Bundesfinanzhof Beschluss, 30. Aug. 2010 - VII B 48/10

published on 30/08/2010 00:00
Bundesfinanzhof Beschluss, 30. Aug. 2010 - VII B 48/10
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Gericht

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Tatbestand

1

I. Der in Deutschland wohnhafte Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) war Geschäftsführer einer spanischen GmbH. Wegen rückständiger Körperschaftsteuer dieser GmbH zur Rechnungsnummer ...1465 nahm die spanische Finanzverwaltung den Antragsteller in Haftung. Gegen den ihm zugestellten Haftungsbescheid legte der Antragsteller Steuerbeschwerde ein. Das Klageverfahren vor dem spanischen Finanzgericht ist noch nicht abgeschlossen. Zwischenzeitlich erließ das spanische Finanzamt über den Steuerbetrag nebst Säumniszuschlägen (126 511,03 €) eine Vollstreckungsanordnung, die dem Rechtsanwalt des Antragstellers zugestellt wurde.

2

Mit e-mail über das CCN/CSI-Netz übersandte die Staatsbehörde für Steuerverwaltung in Madrid an das Bundeszentralamt für Steuern ein Beitreibungsersuchen. Der e-mail waren zwei Dateien angefügt, im pdf-Format die Vollstreckungsanordnung mit der Bezeichnung "Enforcement Instrument for Income Tax (period 2000) Reg. no. A-...1465" und im Word-Format das ausgefüllte Pendelformular "Ersuchen um Beitreibung gemäß Artikel 6 der Richtlinie 2008/55/EG", die beizutreibende Forderung war mit 135 063,52 € (126 511,03 € nebst bis zum Datum des Ersuchens aufgelaufenen Zinsen) angegeben. Diese e-mail wurde an den Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt --FA--) weitergeleitet. Daraufhin übersandte das FA am 27. Juli 2009 eine Zahlungsaufforderung vom 24. Juli 2009 an den Antragsteller mit dem Inhalt, der Antragsteller schulde der "spanischen Steuerbehörde" "Einkommensteuer 2000" 126 511,03 € und "Nebenleistungen" 8 552,49 € und dem Hinweis, dass im Falle der Nichtzahlung Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet würden. Dagegen erhob der Antragsteller u.a. wegen nicht ausreichender Konkretisierung des zu vollstreckenden Bescheids und des Beitreibungsersuchens Einspruch und beantragte Aussetzung der Vollziehung.

3

Gleichzeitig mit der Übersendung der Abschrift einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung, mit der das FA bei sich selbst als Drittschuldner alle gegenwärtigen und zukünftigen Steuererstattungsansprüche des Antragstellers aus den Veranlagungsjahren 2001 und 2002 (63 918,54 €) wegen dessen Schuld gegenüber der spanischen Steuerbehörde pfändete und dessen Einziehung anordnete, konkretisierte das FA die Zahlungsaufforderung. Als Rechtsgrundlage bezeichnete es § 117 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 114 AO i.V.m. § 254 AO und teilte die Angaben aus dem Beitreibungsersuchen mit, u.a. den Namen der spanischen Steuerbehörde und die Steuernummer. Zugleich lehnte es eine Aussetzung der Vollziehung ab. Über den Einspruch ist bisher nicht entschieden worden.

4

Das Finanzgericht (FG) gab dem Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung der Zahlungsaufforderung im Wesentlichen statt (abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2010, 848). Es entschied, die Vollziehung des Leistungsgebots durch die Pfändungs- und Einziehungsverfügung werde gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 63 918,54 € aufgehoben, die weitere Vollziehung werde gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 71 144,98 € ausgesetzt. Es wertete die Zahlungsaufforderung als grundsätzlich zulässiges und im Streitfall durch die ergänzenden Angaben des FA auch hinreichend konkretisiertes Leistungsgebot. Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit ergäben sich allein daraus, dass der per e-mail im sog. pdf-Format übersandte vollstreckbare Titel möglicherweise nicht --wie in § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Durchführung der EG-Beitreibungsrichtlinie vom 3. Mai 2003 (BGBl I 2003, 654) vorgeschrieben-- in amtlicher Ausfertigung oder beglaubigter Kopie vorliege. Eine per e-mail übersandte Datei entspreche nicht dem deutschen Sprachgebrauch von "in amtlicher Ausfertigung oder beglaubigter Kopie". Eine der Papierform rechtlich gleichwertige Datei als Vollstreckungstitel könnte sich nur aus Art. 21 Abs. 1 der zum 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Verordnung (EG) Nr. 1179/2008 der Kommission vom 28. November 2008 zur Festsetzung der Durchführungsbestimmungen zu bestimmten Artikeln der Richtlinie 2008/55/EG über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen im Zusammenhang mit bestimmten Abgaben, Zöllen, Steuern und sonstigen Maßnahmen (DurchführungsVO n.F.) ergeben, der vorschreibe, dass Vollstreckungstitel elektronisch zu übermitteln und elektronisch übermittelte Dokumente oder deren Ausdrucke ebenso rechtsverbindlich seien wie postalisch übermittelte Dokumente. Es bestünden jedoch Zweifel an der Gültigkeit der Regelung. Es erscheine fraglich, ob es sich noch als "Durchführung" der Richtlinie des Rates darstelle, obwohl der Rat auch in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2008/55/EG vom 26. Mai 2008 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Abgaben, Zölle, Steuern und sonstige Maßnahmen (BeitreibungsRL n.F.) dabei geblieben sei, dass "eine amtliche Ausfertigung oder eine beglaubigte Kopie" des Vollstreckungstitels dem Beitreibungsersuchen "beizufügen" sei und auch die Europäische Kommission dies in Art. 12 Abs. 2 DurchführungsVO n.F. wiederhole.

5

Gegen die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung hat das FA die vom FG zugelassene Beschwerde eingelegt.

6

Es beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und --sinngemäß-- die Anträge auf Aufhebung bzw. Aussetzung der Vollziehung abzulehnen.

7

Das FA sieht in der Regelung des § 21 Abs. 1 DurchführungsVO n.F. eine ausreichende Rechtsgrundlage für eine wirksame Beifügung des Vollstreckungstitels per e-mail im Sinne der BeitreibungsRL.

8

Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Beschwerde des FA ist begründet.

10

Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann die Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung durch das Gericht erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Es fehlt bereits an einem der Aussetzung fähigen Verwaltungsakt.

11

Die Zahlungsaufforderung, deren Aussetzung der Antragsteller ausdrücklich mit seinem Antrag begehrt, enthält keine eigenständige, den Empfänger belastende Regelung. Sie beschränkt sich vielmehr auf die Mitteilung der Zahlstelle, an die der Antragsteller die ihm --mit dem ihm bekanntgegebenen Haftungsbescheid der spanischen Finanzbehörde-- aufgegebene Zahlung zu bewirken hat und enthält die Ankündigung von Vollstreckungsmaßnahmen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs handelt es sich bei der Ankündigung der Vollstreckung um eine lediglich aus Gründen der Zweckmäßigkeit nach außen gerichtete Bekanntmachung einer verwaltungsinternen Maßnahme (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. August 2000 VII B 46/00, BFH/NV 2001, 149; vom 13. Februar 1997 VII S 35/96, BFH/NV 1997, 462; vom 14. Juni 1988 VII B 15/88, BFH/NV 1989, 75).

12

Entgegen der Auffassung des FG handelt es sich nicht um ein Leistungsgebot i.S. des § 254 Abs. 1 AO. Dieses war vielmehr --wie das FG selbst festgestellt hat-- bereits mit dem spanischen Haftungsbescheid verbunden, und obendrein war dem Antragsteller von der spanischen Finanzbehörde bereits eine Vollstreckungsanordnung zugestellt worden. Danach war die Vollstreckung in Deutschland unmittelbar möglich (vgl. FG Hamburg, Urteil vom 19. Juni 1986 IV 222-223/84 N, EFG 1986, 608).

13

Ein Fall des Art. 8 Abs. 2 BeitreibungsRL, wonach der Vollstreckungstitel gegebenenfalls nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem die ersuchte Behörde ihren Sitz hat, als solcher bestätigt und anerkannt oder durch einen Titel ergänzt oder ersetzt werden kann, der die Vollstreckung im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats ermöglicht, liegt danach nicht vor. Aber selbst wenn in der Zahlungsaufforderung eine Wiederholung des Leistungsgebots mit neuer Zahlstelle und Zahlungsfrist gesehen werden könnte, würde eine solche wiederholende Verfügung keine erneute Anfechtungsmöglichkeit eröffnen. Denn von der Zahlungsaufforderung geht --wie schon das FG ausgeführt hat-- keine weitergehende Belastung aus als von dem mit dem Haftungsbescheid verbundenen Leistungsgebot (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Februar 2008 VII B 156/07, BFH/NV 2008, 967).

14

Auf die vom FG für grundsätzlich klärungsbedürftig erachteten Fragen kommt es nach alledem im Streitfall nicht an.

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(1) Soweit nichts anderes bestimmt ist, darf die Vollstreckung erst beginnen, wenn die Leistung fällig ist und der Vollstreckungsschuldner zur Leistung oder Duldung oder Unterlassung aufgefordert worden ist (Leistungsgebot) und seit der Aufforderung

(1) Die Finanzbehörden können zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe nach Maßgabe des deutschen Rechts in Anspruch nehmen. (2) Die Finanzbehörden können zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe auf Grund innerstaatlich anwendbarer völkerrechtli
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published on 07/11/2016 00:00

Tenor 1. Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16. Juni 2016 wird bis zur Entscheidung des Antragsgegners über den hiergegen erhobenen Einspruch von der Vollziehung ausgesetzt.2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Tatbestand
published on 25/06/2015 00:00

Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. April 2014 wird zurückgewiesen.
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Annotations

(1) Die Finanzbehörden können zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe nach Maßgabe des deutschen Rechts in Anspruch nehmen.

(2) Die Finanzbehörden können zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe auf Grund innerstaatlich anwendbarer völkerrechtlicher Vereinbarungen, innerstaatlich anwendbarer Rechtsakte der Europäischen Union sowie des EU-Amtshilfegesetzes leisten.

(3) Die Finanzbehörden können nach pflichtgemäßem Ermessen zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe auf Ersuchen auch in anderen Fällen leisten, wenn

1.
die Gegenseitigkeit verbürgt ist,
2.
der ersuchende Staat gewährleistet, dass die übermittelten Auskünfte und Unterlagen nur für Zwecke seines Besteuerungs- oder Steuerstrafverfahrens (einschließlich Ordnungswidrigkeitenverfahren) verwendet werden, und dass die übermittelten Auskünfte und Unterlagen nur solchen Personen, Behörden oder Gerichten zugänglich gemacht werden, die mit der Bearbeitung der Steuersache oder Verfolgung der Steuerstraftat befasst sind,
3.
der ersuchende Staat zusichert, dass er bereit ist, bei den Steuern vom Einkommen, Ertrag und Vermögen eine mögliche Doppelbesteuerung im Verständigungswege durch eine sachgerechte Abgrenzung der Besteuerungsgrundlagen zu vermeiden und
4.
die Erledigung des Ersuchens die Souveränität, die Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder andere wesentliche Interessen des Bundes oder seiner Gebietskörperschaften nicht beeinträchtigt und keine Gefahr besteht, dass dem inländischen Beteiligten ein mit dem Zweck der Rechts- und Amtshilfe nicht zu vereinbarender Schaden entsteht, falls ein Handels-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis oder ein Geschäftsverfahren, das auf Grund des Ersuchens offenbart werden soll, preisgegeben wird.
Soweit die zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe Steuern betrifft, die von den Landesfinanzbehörden verwaltet werden, entscheidet das Bundesministerium der Finanzen im Einvernehmen mit der zuständigen obersten Landesbehörde.

(4) Bei der Durchführung der Rechts- und Amtshilfe richten sich die Befugnisse der Finanzbehörden sowie die Rechte und Pflichten der Beteiligten und anderer Personen nach den für Steuern im Sinne von § 1 Abs. 1 geltenden Vorschriften. § 114 findet entsprechende Anwendung. Bei der Übermittlung von Auskünften und Unterlagen gilt für inländische Beteiligte § 91 entsprechend; soweit die Rechts- und Amtshilfe Steuern betrifft, die von den Landesfinanzbehörden verwaltet werden, hat eine Anhörung des inländischen Beteiligten abweichend von § 91 Abs. 1 stets stattzufinden, es sei denn, die Umsatzsteuer ist betroffen, es findet ein Informationsaustausch auf Grund des EU-Amtshilfegesetzes statt oder es liegt eine Ausnahme nach § 91 Abs. 2 oder 3 vor.

(5) Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, zur Förderung der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates völkerrechtliche Vereinbarungen über die gegenseitige Rechts- und Amtshilfe auf dem Gebiete des Zollwesens in Kraft zu setzen, wenn sich die darin übernommenen Verpflichtungen im Rahmen der nach diesem Gesetz zulässigen zwischenstaatlichen Rechts- und Amtshilfe halten.

(1) Die Zulässigkeit der Maßnahme, die durch die Amtshilfe verwirklicht werden soll, richtet sich nach dem für die ersuchende Finanzbehörde, die Durchführung der Amtshilfe nach dem für die ersuchte Behörde geltenden Recht.

(2) Die ersuchende Finanzbehörde trägt gegenüber der ersuchten Behörde die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der zu treffenden Maßnahme. Die ersuchte Behörde ist für die Durchführung der Amtshilfe verantwortlich.

(1) Soweit nichts anderes bestimmt ist, darf die Vollstreckung erst beginnen, wenn die Leistung fällig ist und der Vollstreckungsschuldner zur Leistung oder Duldung oder Unterlassung aufgefordert worden ist (Leistungsgebot) und seit der Aufforderung mindestens eine Woche verstrichen ist. Das Leistungsgebot kann mit dem zu vollstreckenden Verwaltungsakt verbunden werden. Ein Leistungsgebot ist auch dann erforderlich, wenn der Verwaltungsakt gegen den Vollstreckungsschuldner wirkt, ohne ihm bekannt gegeben zu sein. Soweit der Vollstreckungsschuldner eine von ihm auf Grund einer Steueranmeldung geschuldete Leistung nicht erbracht hat, bedarf es eines Leistungsgebots nicht.

(2) Eines Leistungsgebots wegen der Säumniszuschläge und Zinsen bedarf es nicht, wenn sie zusammen mit der Steuer beigetrieben werden. Dies gilt sinngemäß für die Vollstreckungskosten, wenn sie zusammen mit dem Hauptanspruch beigetrieben werden. Die gesonderte Anforderung von Säumniszuschlägen kann ausschließlich automationsgestützt erfolgen.