Bundesfinanzhof Beschluss, 26. Juli 2011 - VII B 134/10

Gericht
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wird wegen Überlieferung ihrer Milchquote im Milchwirtschaftsjahr 2006/ 2007 vom Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt) aufgrund der diesbezüglichen Abgabenanmeldung ihrer Molkerei auf eine Milchabgabe von rd. … € in Anspruch genommen. Einspruch und Klage dagegen blieben ohne Erfolg. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Finanzgerichts (FG) richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde (§ 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) ist unbegründet. Die Revision ist nicht nach § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen.
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1. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegt nicht vor.
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Die Beschwerde rügt insofern --zusammengefasst--, dass die Klägerin den Vorsitzenden des Senats, der über die Klage beim FG entschieden hat, abgelehnt und gegen den Beschluss, mit dem das FG dieses Ablehnungsgesuch zurückgewiesen hat, sofortige Beschwerde eingelegt habe; gleichwohl habe das FG vor endgültiger Erledigung dieses Ablehnungsgesuchs, insbesondere auch der vorgenannten Beschwerde, zur Sache entschieden, was einen absoluten Revisionsgrund gemäß § 119 Nr. 2 FGO darstelle. Überdies sei der Klägerin die dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden zu dem Ablehnungsgesuch vor dessen Bescheidung nicht zur Kenntnis gegeben und dadurch ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden.
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Dieses Vorbringen kann schon deshalb nicht zur Zulassung der Revision führen, weil es unschlüssig ist. § 119 Nr. 2 FGO setzt voraus, dass ein Richter, der bei der Entscheidung mitgewirkt hat, wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt worden ist; das Ablehnungsgesuch der Klägerin hatte jedoch gerade keinen Erfolg. Dass das FG auch nicht vor Erlass seines Urteils die Entscheidung über die wegen des Ablehnungsgesuchs erhobene "sofortige Beschwerde" abwarten musste, bedarf keiner näheren Ausführung, nachdem diese Beschwerde gemäß § 128 Abs. 2 FGO offensichtlich nicht statthaft war.
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Ob im Übrigen das Ablehnungsgesuch gerechtfertigt war, ist gemäß § 128 Abs. 2, § 124 Abs. 2 FGO in diesem Verfahren nicht zu prüfen. Ebenso wenig ist zu prüfen, ob das FG der Klägerin vor seiner Entscheidung über das Ablehnungsgesuch die dienstliche Stellungnahme des abgelehnten Vorsitzenden Richters hätte zur Kenntnis geben müssen und ob es dies unterlassen hat, wie die Beschwerde im Widerspruch zum Akteninhalt behauptet. Denn selbst wenn die Vorgehensweise des FG in dieser Hinsicht verfahrensfehlerhaft gewesen sein mag, fehlt es für eine erfolgreiche Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör doch an den erforderlichen Darlegungen der Beschwerde, was sie bei Gewährung rechtlichen Gehörs noch hätte vortragen können und wollen und inwiefern dies geeignet gewesen wäre, das FG zu einer anderen Entscheidung über das Ablehnungsgesuch zu veranlassen.
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2. Die Rechtssache hat auch nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
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Die Beschwerde hat in diesem Zusammenhang folgende Frage aufgeworfen:
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"Ist die Erhebung einer Abgabe auf dem Milchsektor unter Berücksichtigung der durch die Verordnungen (EG) Nr. 1787/2003 und (EG) Nr. 1788/2003 vom 29.09.2003 eingeführten Veränderungen (Aufhebung des Preisstützungsmechanismus durch Abschaffung des Richtpreises, zeitliche und mengenmäßige Begrenzung der Interventionen sowie kontinuierliche Reduzierung der Aufwendungen für den Milchmarkt) noch verhältnismäßig und erfüllt sie noch die gemeinschaftsrechtlichen Voraussetzungen einer Abgabenerhebung?"
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Zur Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage trägt die Beschwerde vor, die Erhebung der Milchabgabe im Streitjahr sei unverhältnismäßig, weil durch die kontinuierliche Reduzierung der Aufwendungen für den Milchmarkt, die Abschaffung des Richtpreises für Milch und durch die zeitliche und mengenmäßige Begrenzung der Interventionen auf dem Milchmarkt der zuvor bestehende Preisstützungsmechanismus faktisch aufgehoben worden sei und dadurch das Milchquotensystem seine innere Rechtfertigung verloren habe. Die vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in den Entscheidungen, in denen er das System der Erhebung einer Milchabgabe gerechtfertigt habe, unterstellten Voraussetzungen lägen also nicht mehr vor.
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Dieses Vorbringen rechtfertigt jedoch ebenfalls nicht die Zulassung einer Revision. Denn es ist nicht erkennbar, dass die in der Rechtsprechung des EuGH bisher noch nicht ausdrücklich erörterten, von der Beschwerde hervorgehobenen Veränderungen in der Milchmarktordnung und der, wie die Beschwerde offenbar geltend machen will, bereits bei Erlass der hier einschlägigen Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 eingetretene Verfall des Milchpreises den Verordnungsgeber unbeschadet des ihm bei Maßnahmen der hier streitigen Art nach der Rechtsprechung des EuGH zustehenden weiten Gestaltungsspielraums hätten zwingen müssen, das System der Erhebung einer Milchabgabe bei Überschreitung der einzelbetrieblich festgesetzten Milchquote aufzugeben. Der beschließende Senat vermag auch weder dem Beschwerdevorbringen zu entnehmen noch sonst zu erkennen, dass unter diesen Gesichtspunkten an der Gültigkeit der Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 Zweifel bestehen, die es erforderlich machen könnten, in dem angestrebten Revisionsverfahren dem EuGH die vorgenannte Verordnung zur Prüfung ihrer Gültigkeit mit einem Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vorzulegen, sodass aus diesem Grunde, wie die Beschwerde geltend macht, die Revision zugelassen werden müsste.
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Soweit die Beschwerde ferner unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu Sonderabgaben gegen die Gültigkeit der Verordnung Einwände erhebt, verkennt sie, dass ungeachtet der Frage, ob es sich bei der Milchabgabe um eine Sonderabgabe im Sinne dieser Rechtsprechung handelte, die Verordnung nicht an den Maßstäben zu messen ist, die das deutsche Verfassungsrecht (und das BVerfG) für Sonderabgaben aufstellen, sondern an den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und Prinzipien des Gemeinschaftsrechts, an denen der EuGH die Verordnung auch tatsächlich gemessen hat, ohne ihre Gültigkeit zu beanstanden. Dass dagegen nach Maßgabe der in diesem Zusammenhang einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG (vgl. u.a. Urteil vom 30. Juni 2009 2 BvE 2/08 u.a. --Lissabon--, BVerfGE 123, 267) aus der Sicht des deutschen Verfassungsrechts Einwände zu erheben wären, die sich gegen das Gemeinschaftsrecht deshalb durchsetzen, weil dieses die in Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) für unantastbar erklärten Grundsätze der Art. 1 und 20 GG verletzt und damit zur Wahrung des unantastbaren Kerngehalts der Verfassungsidentität des GG eine "Identitätskontrolle" durch das BVerfG eingefordert werden könnte, wird von der Beschwerde selbst nicht behauptet. Es ist auch offensichtlich nicht der Fall.

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(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
(2) Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder Abschrift des Urteils, gegen das Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht im Falle der elektronischen Beschwerdeeinlegung.
(3) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 dargelegt werden. Die Begründungsfrist kann von dem Vorsitzenden auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden.
(4) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.
(5) Der Bundesfinanzhof entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch den Bundesfinanzhof wird das Urteil rechtskräftig.
(6) Liegen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann der Bundesfinanzhof in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
(7) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt, wenn nicht der Bundesfinanzhof das angefochtene Urteil nach Absatz 6 aufhebt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt für den Beschwerdeführer die Revisionsbegründungsfrist, für die übrigen Beteiligten die Revisions- und die Revisionsbegründungsfrist. Auf Satz 1 und 2 ist in dem Beschluss hinzuweisen.
(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
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die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.
Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn
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das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, - 2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, - 3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, - 4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat, - 5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder - 6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.
(1) Gegen die Entscheidungen des Finanzgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an den Bundesfinanzhof zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.
(2) Prozessleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über die Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse nach §§ 91a und 93a, Beschlüsse über die Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen, Sachverständigen und Dolmetschern, Einstellungsbeschlüsse nach Klagerücknahme sowie Beschlüsse im Verfahren der Prozesskostenhilfe können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.
(3) Gegen die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 und 5 und über einstweilige Anordnungen nach § 114 Abs. 1 steht den Beteiligten die Beschwerde nur zu, wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist. Für die Zulassung gilt § 115 Abs. 2 entsprechend.
(4) In Streitigkeiten über Kosten ist die Beschwerde nicht gegeben. Das gilt nicht für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.
(1) Der Bundesfinanzhof prüft, ob die Revision statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Revision unzulässig.
(2) Der Beurteilung der Revision unterliegen auch diejenigen Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind, sofern sie nicht nach den Vorschriften dieses Gesetzes unanfechtbar sind.
(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.