Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 07. Dez. 2017 - 19 CS 16.2529

bei uns veröffentlicht am07.12.2017
vorgehend
Verwaltungsgericht Ansbach, AN 5 S 16.150, 25.11.2016

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses, mit dem es das Verwaltungsgericht abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Versagung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis durch Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. November 2015 anzuordnen. Darlegen im Sinn der Vorschrift des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO erfordert eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung; eine undifferenzierte Wiederholung der erstinstanzlichen Antragsbegründung durch Bezugnahme genügt nicht (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 146 Rn. 22).

Der Antragsteller, ein im Jahr 1949 geborener türkischer Staatsangehöriger, dessen im Jahr 1973 begonnener Aufenthalt im Bundesgebiet im Jahr 1986 nach Begehung eines versuchten Mordes und teilweiser Verbüßung der deswegen verhängten Haftstrafe durch Ausweisung und Abschiebung beendet worden ist, der nach seiner erneuten Einreise im Jahr 2002 ein Asylverfahren erfolglos betrieben hat (rechtskräftiger Abschluss am 7.2.2007) und dem nach vorübergehender Duldung für die Zeit vom 2. Mai 2008 bis zum 1. Januar 2014 befristete Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt worden sind, trägt – in weitgehender Wiederholung seiner erstinstanzlichen Ausführungen – vor, die der Versagung eines Aufenthaltstitels zugrunde liegende Ausweisung sei rechtswidrig, weil vom Antragsteller wegen seines hohen Alters keine gegenwärtige Gefahr ausgehe und seine familiären Verhältnisse (fünf Kinder und fünf Enkelkinder lebten im Bundesgebiet) nicht ausreichend gewürdigt worden seien. Vom Antragsteller begangene Straftaten seien entweder aus zeitlichen Gründen nicht mehr von Bedeutung oder sie würden (mangels ausreichenden Gewichts) kein überwiegendes Ausweisungsinteresse begründen. Der Antragsteller sei mittlerweile wieder bei seiner Frau gemeldet und halte sich wieder überwiegend bei ihr auf. Allerdings müsse er die Wohnung manchmal für zwei oder drei Tage pro Woche wieder verlassen. Weiterhin wurde geltend gemacht, dem Antragsteller stehe (analog) der Status eines Assoziationsberechtigten zu, er missbillige das derzeitige türkische Präsidialsystem und sei im Zuge der Abstimmung dagegen aktiv geworden.

1. Die Behauptung, dem Antragsteller stehe „zumindest analog der Rechtsstatus eines Assoziationsberechtigten zu, so dass wegen der Stillhalteklausel in Art. 14 ARB 1/80 die Ausweisungsschutzvorschriften der Daueraufenthaltsrichtlinie Anwendung finden müssten“, ist weder innerhalb der am 5. Januar 2017 endenden Begründungsfrist für die Beschwerde gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO erhoben worden noch setzen sich die begründeten Ausführungen mit der gegenteiligen Rechtsauffassung der Antragsgegnerin und des Verwaltungsgerichts (vgl. BA S. 10) in nachvollziehbarer Art und Weise auseinander. Insbesondere den verwaltungsgerichtlichen Erwägungen, die Ehefrau des Antragstellers sei seit Jahren nicht erwerbstätig, der Antragsteller habe keinen Aufenthaltstitel zur Familienzusammenführung besessen, er habe nicht drei Jahre einen ordnungsgemäßen Wohnsitz bei seiner Ehefrau gehabt und er habe darüber hinaus seit Ende 2009 den Aufenthaltstitel gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG durch Täuschung erwirkt, hat der Antragsteller nichts Substantielles entgegen gesetzt; eine hiervon abweichende Rechtsauffassung hat er weder schlüssig dargelegt noch nachvollziehbar begründet.

2. Der Vortrag, der Antragsteller missbillige das in der Türkei zur Abstimmung gestellte Präsidialsystem und sei dagegen im Bundesgebiet aktiv geworden, verhilft der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. Ungeachtet der Tatsache, dass auch dieses Vorbringen erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist erfolgt ist, mangelt es an jeglicher Begründung, weshalb sich aus diesem herkunftsstaatsbezogenen Sachverhalt ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis ergeben könnte. Hinsichtlich zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse, die der Antragsteller offensichtlich geltend machen will, hat die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller als abgelehntem Asylbewerber zutreffend auf die ausschließliche Entscheidungszuständigkeit des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sowie auf ihre Bindung an die im dortigen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse hingewiesen (§ 24 Abs. 2, § 42 AsylG).

3. Schließlich ist auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wegen der mit Bescheid vom 13. November 2015 verfügten Ausweisung dürfe dem Antragsteller gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG kein Aufenthaltstitel erteilt werden, nicht zweifelhaft, denn die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ausweisungsverfügung begegne keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, ist nicht in Anbetracht des Beschwerdevortrags zu beanstanden (zur Inzidentüberprüfung der Ausweisungsverfügung in solchen Fällen vgl. z.B. BayVGH, B.v. 19.1.2015 – 10 CS 14.2656 – juris Rn. 22).

Für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Ausweisungsverfügung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.2007 – 1 C 45.06 – BVerwGE 130, 20). Prüfungsmaßstab für die Ausweisung bilden deshalb die §§ 53 ff. AufenthG in der Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und zur Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I 2015, S. 1386) und des Gesetzes zu erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl I 2016, S. 394). Eine nach altem Recht verfügte Ausweisung wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, wenn also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG (als Grundtatbestand; vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097, S. 49 f.) der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (vgl. BayVGH, B.v. 27.1.2017 – 10 ZB 15.1976 – juris Rn. 8).

Der strafrechtlich erheblich vorgeahndete Antragsteller ist nach seiner Rückkehr aus der Türkei in den Jahren 2003 bis 2015 wegen Diebstahls mit Waffen, versuchter Nötigung und gefährlicher Körperverletzung, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und wegen Erschleichens von Aufenthaltstiteln zu Geldstrafen, aber auch zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden.

Die Antragsgegnerin hat die Ausweisung auf § 55 Abs. 1 AufenthG a.F. i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 2 AufenthG a.F. gestützt. Nach diesen Vorschriften konnte ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn er – wie der Antragsteller – in einem Verwaltungsverfahren falsche Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels gemacht oder – wie der Antragsteller – einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Die letztgenannte Vorschrift war dabei so zu verstehen, dass ein Rechtsverstoß nur dann unbeachtlich ist, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, andererseits aber immer dann beachtlich ist, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig, oder wenn er geringfügig, aber nicht vereinzelt ist (BVerwG, U.v. 24.9.1996 – 1 C 9.94 – BVerwGE 102, 63 [66]). Dem entsprechend lag ein Ausweisungsgrund jedenfalls dann vor, wenn der festgestellte Rechtsverstoß nicht geringfügig ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 1 C 23.03 – BVerwGE 122, 193 – juris Rn. 19). Eine vorsätzlich begangene Straftat konnte grundsätzlich nicht als geringfügig im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG angesehen werden, es sei denn, das Strafverfahren war wegen Geringfügigkeit eingestellt worden (vgl. BVerwG, U.v. 24.9.1996, a.a.O.).

Der der Ausweisungsentscheidung zu Grunde gelegte vorsätzliche Verstoß des Antragstellers gegen Strafvorschriften des Aufenthaltsgesetzes ist entgegen dessen Einschätzung nicht geringfügig und er begründet entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers deshalb ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse. Laut dem Urteil des Amtsgerichts N. vom 27. Mai 2015 haben sich der Antragsteller und seine Ehefrau wegen Erschleichens von Aufenthaltstiteln nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG strafbar gemacht. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts N. haben der Antragsteller und seine Ehefrau gegenüber der Ausländerbehörde der Wahrheit zuwider angegeben, zusammen eine Wohnung zu bewohnen und dort einen gemeinsamen Hausstand zu führen. Entsprechende Falschangaben zur widerrechtlichen Erlangung von Aufenthaltstiteln betreffen einen Kernbereich des Aufenthaltsrechts und stellen einen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen ein öffentliches Interesse dar, dem – ungeachtet der Ahndung mit einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen und des Lebensalters des Antragstellers – ausländerrechtlich erhebliches Gewicht zukommt. Dies kommt auch durch die Tatsache zum Ausdruck, dass falsche Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels für den Täter nach § 55 Abs. 2 Nr. 1b AufenthG a.F. (unabhängig von der verhängten Strafe) einen selbständigen Ausweisungsgrund gebildet haben und nun – nach der Novellierung des Ausweisungsrechts zum 1. Januar 2016 – nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG n.F. ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse begründen. Die Beklagte verweist überdies angesichts der begangenen Straftaten zu Recht auf charakterliche Mängel und eine defizitäre Persönlichkeitsstruktur. Wie der abgeurteilte Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche Vorschriften zeigt, ist allein der Hinweis auf das Lebensalter von 69 Jahren nicht geeignet, die Annahme einer vom Antragsteller ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu widerlegen. Das Strafurteil vom 26. November 1982 beschreibt den Antragsteller vom Charakter her als egozentrisch, geltungssüchtig und rechthaberisch, verbunden mit Schroffheit und einer Überschätzung der eigenen Bedeutung. Der Antragsteller könne in Teilbereichen seiner Persönlichkeit das Emotionale nicht hinreichend zügeln. Dabei trete vor allen Dingen die Unfähigkeit zutage, innere Spannungen zu ertragen oder zu kanalisieren. Hieraus ergebe sich eine gewisse Neigung zu kurzschlußartigen Reaktionen. Angesichts der Verurteilungen vom 15. Dezember 2003 wegen Diebstahls mit Waffen, versuchter Nötigung und gefährlicher Körperverletzung und vom 24. April 2013 wegen Körperverletzung ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller seine Haltung und sein Verhalten grundlegend geändert hätte.

Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse steht kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse des Antragstellers am Verbleib im Bundesgebiet gegenüber. Der Antragsteller kann sich zur Begründung eines überwiegenden privaten Interesses am Verbleib im Bundesgebiet nicht erfolgreich auf den Schutz des Art. 8 EMRK berufen.

Das Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK umfasst die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind (vgl. EGMR, U.v. 9.10.2003 – 48321/99 – Euro 2006, 560 ) und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (vgl. BVerfG, B.v. 21.2.2011 – 2 BvR 1392/10 – InfAuslR 2011, 235 m.w.N.). Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist ein behördlicher Eingriff in die Ausübung eines Rechts nach Absatz 1 nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Der Eingriff muss eine in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahme darstellen, die durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und mit Blick auf das verfolgte legitime Ziel auch im engeren Sinne verhältnismäßig ist (vgl. BVerfG, B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07 – InfAuslR 2007, 275). Im Rahmen der privaten Belange, die bei der Prüfung des Eingriffs von Bedeutung sind, ist in Rechnung zu stellen, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist. Als Gesichtspunkte für das Vorhandensein von anerkennenswerten Bindungen können Integrationsleistungen in persönlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht von Bedeutung sein, der rechtliche Status, die Beachtung gesetzlicher Pflichten und Verbote, der Grund für die Dauer des Aufenthalts und Kenntnisse der deutschen Sprache. Diese Bindungen des Ausländers im Inland sind in Beziehung zu setzen zu den (noch vorhandenen) Bindungen an seinen Heimatstaat. Hierzu gehört die Prüfung, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters, seiner persönlichen Befähigung und seiner familiären Anbindung im Heimatland von dem Land seiner Staatsangehörigkeit bzw. Herkunft entwurzelt ist.

Die angeordnete Ausweisung erfolgt auf gesetzlicher Grundlage und verfolgt ein legitimes Ziel, nämlich die Verhinderung weiterer Straftaten des Antragstellers im Bundesgebiet. Die öffentlichen Belange, namentlich die in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Belange der öffentlichen Ordnung und der Verhinderung von strafbaren Handlungen, überwiegen nach der zutreffenden Beurteilung des Verwaltungsgerichts das private Interesse des Antragstellers am Verbleib im Bundesgebiet. Die Beschwerde zeigt keine Lebensumstände auf, die zu einer Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung führen müssten. Der Antragsteller hat wesentliche Teile seines Lebens in der Türkei verbracht. Er ist mit deren Sprache und Kultur vertraut und es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, weshalb ihm eine Rückkehr in die Türkei nicht zumutbar sein sollte. Auch dort halten sich Familienangehörige des Antragstellers auf, zu denen er Kontakte pflegt. Die verwandtschaftlichen Beziehungen zu erwachsenen Kindern oder minderjährigen Enkelkindern im Bundesgebiet, die hinsichtlich ihrer Intensität nicht näher dargelegt wurden, begründen kein in § 53 Abs. 2 AufenthG typisiertes Bleibeinteresse und haben gegenüber den Ausweisungsinteressen nur ein geringes Gewicht. Dabei ist zu sehen, dass in der Vergangenheit eine familiäre Lebensgemeinschaft infolge der Straftaten des Antragstellers (Strafhaft, Rückkehr in die Türkei) über einen langen Zeitraum nicht bestanden hat. Das Sozialamt der Antragsgegnerin gelangt – gestützt auf Vermerke des Sozialdienstes aus den Jahren 1978/1979 – in einem Schreiben vom 28. August 2006 zu der Bewertung, dass sich der Antragsteller nie um seine Familie gekümmert hat.

Vom Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seiner Ehefrau kann auch weiterhin nicht ausgegangen werden. Das Strafurteil vom 27. Mai 2015 hat – vom Antragsteller unwiderlegt – festgestellt, dass eine eheliche Lebensgemeinschaft zwischen den Eheleuten nicht bestanden hat; die Ehegatten haben in verschiedenen Wohnungen gelebt, wie der Antragsteller in seiner Stellungnahme vom November 2015 selbst bestätigt. Eine Lebensgemeinschaft von Gewicht wird nicht dadurch wieder hergestellt, dass der Antragsteller wieder unter der Adresse der Ehefrau gemeldet ist und sich zeitweise dort aufhält. Erst der bei beiden Eheleuten bestehende Wille, die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet tatsächlich herzustellen oder aufrechtzuerhalten, löst den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG aus; die Beweislast für das Bestehen dieses Herstellungswillens als einer inneren Tatsache trägt der Ausländer (vgl. BVerwG, U.v. 22.6.2011 – 1 C 11.10 – juris Rn. 14 ff.; U.v. 30.3.2010 – 1 C 7.09 – BVerwGE 136, 222 Rn. 15); das formale Band der Ehe reicht insoweit nicht aus. Zwar verbietet es sich angesichts der Vielfalt der von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Ausgestaltungsmöglichkeiten der familiären Lebensgemeinschaft, schematische oder allzu enge Mindestvoraussetzungen für das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft zu formulieren (vgl. BVerfG, B.v. 30.1.2002 - 2 BvR 231/00 - NVwZ 2002, 849, Rn. 22). Selbst wenn Eheleute im Allgemeinen ihren Lebensmittelpunkt in einer gemeinsamen Wohnung haben, kann eine eheliche Lebensgemeinschaft auch dann bestehen, wenn die Eheleute – etwa aus beruflichen Gründen – in getrennten Wohnungen leben oder aus gewichtigen Gründen - Berufstätigkeit, Inhaftierung – wenig persönlichen Kontakt haben. In einem derartigen Fall ist allerdings erforderlich, dass das Bestehen einer über eine bloße Begegnungsgemeinschaft hinausreichenden familiären Beistandsgemeinschaft auf andere Weise erkennbar sichergestellt ist, etwa durch eine jedenfalls erforderliche intensive Kommunikation zwischen den Eheleuten als Indiz für eine gemeinsame Lebensgestaltung, durch Beistandsleistungen oder Besuche im Rahmen des Möglichen (U.v. 22.6.2011 – 1 C 11.10 – juris Rn. 18). Maßgeblich ist der nachweisbar betätigte Wille, mit der Partnerin bzw. dem Partner als wesentlicher Bezugsperson ein gemeinsames Leben zu führen. Ob dieser Wille vorliegt und praktiziert wird, ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls.

Vorliegend hat der Antragsteller die Wiederaufnahme einer ehelichen Lebensgemeinschaft nach langjähriger Trennung (die Vermieterbescheinigung vom 7.5.2014 bestätigt noch ein Zusammenwohnen des Antragstellers mit einer anderen Frau; die Einverständniserklärung der Ehefrau vom 4.11.2015 betrifft die Herstellung einer häuslichen Gemeinschaft; von einer ehelichen Lebensgemeinschaft ist in der Erklärung nicht die Rede) nicht im erforderlichen Umfang dargelegt; er trägt vor, die Wohnung regelmäßig und für einen längeren Zeitraum verlassen zu müssen, weil die Ehefrau darauf bestehe. Eine psychische Erkrankung der Ehefrau, auf die er dies zurückführt, hat er weder dargelegt noch belegt.

Die privaten Belange auf der Antragstellerseite werden von widerstreitenden öffentlichen Belangen, namentlich den in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Belangen der öffentlichen Ordnung und der Verhinderung von strafbaren Handlungen, überwogen. Die Art und Schwere der vom Antragsteller begangenen Straftaten und seine Verhaltensmuster begründen die erhebliche Gefahr der Begehung erneuter Straftaten.

Ohne dass es darauf noch entscheidungserheblich ankommt, ist festzustellen, dass auch die Regelerteilungsvoraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 5 AufenthG nicht vorliegen. Aus den bereits genannten Gründen besteht ein Ausweisungsinteresse gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG; der Lebensunterhalt ist entgegen § 5 Abs. 1 Nrn. 1 AufenthG nicht gesichert. Der Antragsteller verfügt lediglich über gesicherte Einkünfte in Höhe von ca. 200 EUR (Altersrentenbescheid vom 7.5.2014); die finanzielle Unterstützung durch Familie und Freund, auf die sich der Antragsteller im Übrigen beruft, ist nicht dauerhaft sichergestellt.

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG, wobei im vorläufigen Rechtsschutzverfahren der sogenannte Auffangstreitwert halbiert wird.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO)

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Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 53 Ausweisung


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Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 42 Bindungswirkung ausländerrechtlicher Entscheidungen


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(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.

(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.

(5) u. (6) (weggefallen)

(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gilt der Aufenthalt als erlaubt.

(2) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt hat. Absatz 1 Satz 2 bis 3 gilt entsprechend.

(3) Einem Ausländer soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 vorliegt. Die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist oder der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt. Sie wird ferner nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen, oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

(4) Einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer kann für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Eine Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 verlängert werden, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4a) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches wurde, soll, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
seine Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre,
2.
er jede Verbindung zu den Personen, die beschuldigt werden, die Straftat begangen zu haben, abgebrochen hat und
3.
er seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.

Nach Beendigung des Strafverfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4b) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach § 10 Absatz 1 oder § 11 Absatz 1 Nummer 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes wurde, kann, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
die vorübergehende Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre, und
2.
der Ausländer seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.
Die Aufenthaltserlaubnis kann verlängert werden, wenn dem Ausländer von Seiten des Arbeitgebers die zustehende Vergütung noch nicht vollständig geleistet wurde und es für den Ausländer eine besondere Härte darstellen würde, seinen Vergütungsanspruch aus dem Ausland zu verfolgen. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(5) Einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.

(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.

(5) u. (6) (weggefallen)

(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gilt der Aufenthalt als erlaubt.

(2) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt hat. Absatz 1 Satz 2 bis 3 gilt entsprechend.

(3) Einem Ausländer soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 vorliegt. Die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist oder der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt. Sie wird ferner nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen, oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

(4) Einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer kann für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Eine Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 verlängert werden, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4a) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches wurde, soll, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
seine Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre,
2.
er jede Verbindung zu den Personen, die beschuldigt werden, die Straftat begangen zu haben, abgebrochen hat und
3.
er seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.

Nach Beendigung des Strafverfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4b) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach § 10 Absatz 1 oder § 11 Absatz 1 Nummer 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes wurde, kann, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
die vorübergehende Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre, und
2.
der Ausländer seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.
Die Aufenthaltserlaubnis kann verlängert werden, wenn dem Ausländer von Seiten des Arbeitgebers die zustehende Vergütung noch nicht vollständig geleistet wurde und es für den Ausländer eine besondere Härte darstellen würde, seinen Vergütungsanspruch aus dem Ausland zu verfolgen. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(5) Einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

(1) Das Bundesamt klärt den Sachverhalt und erhebt die erforderlichen Beweise. Das Bundesamt unterrichtet den Ausländer frühzeitig in einer Sprache, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann, über den Ablauf des Verfahrens, über seine Rechte und Pflichten im Verfahren, insbesondere über Fristen und die Folgen einer Fristversäumung, sowie über freiwillige Rückkehrmöglichkeiten. Der Ausländer ist persönlich anzuhören. Von einer Anhörung kann abgesehen werden, wenn das Bundesamt

1.
dem Asylantrag vollständig stattgeben will oder
2.
der Auffassung ist, dass der Ausländer aufgrund dauerhafter Umstände, die sich seinem Einfluss entziehen, nicht zu einer Anhörung in der Lage ist. Im Zweifelsfall ist für die Feststellung der Dauerhaftigkeit der Umstände eine ärztliche Bestätigung erforderlich. Wird von einer Anhörung abgesehen, unternimmt das Bundesamt angemessene Bemühungen, damit der Ausländer weitere Informationen unterbreiten kann.
Von der Anhörung ist abzusehen, wenn der Asylantrag für ein im Bundesgebiet geborenes Kind unter sechs Jahren gestellt und der Sachverhalt auf Grund des Inhalts der Verfahrensakten der Eltern oder eines Elternteils ausreichend geklärt ist. Die Tatsache, dass keine Anhörung stattgefunden hat, darf die Entscheidung nicht negativ beeinflussen. Die Entscheidung nach den Sätzen 4 und 7 ergeht nach Aktenlage.

(1a) Sucht eine große Zahl von Ausländern gleichzeitig um Asyl nach und wird es dem Bundesamt dadurch unmöglich, die Anhörung in zeitlichem Zusammenhang mit der Antragstellung durchzuführen, so kann das Bundesamt die Anhörung vorübergehend von einer anderen Behörde, die Aufgaben nach diesem Gesetz oder dem Aufenthaltsgesetz wahrnimmt, durchführen lassen. Die Anhörung darf nur von einem dafür geschulten Bediensteten durchgeführt werden. Die Bediensteten dürfen bei der Anhörung keine Uniform tragen. § 5 Absatz 4 gilt entsprechend.

(2) Nach Stellung eines Asylantrags obliegt dem Bundesamt auch die Entscheidung, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt.

(3) Das Bundesamt unterrichtet die Ausländerbehörde unverzüglich über

1.
die getroffene Entscheidung und
2.
von dem Ausländer vorgetragene oder sonst erkennbare Gründe
a)
für eine Aussetzung der Abschiebung, insbesondere über die Notwendigkeit, die für eine Rückführung erforderlichen Dokumente zu beschaffen, oder
b)
die nach § 25 Abs. 3 Satz 2 Nummer 1 bis 4 des Aufenthaltsgesetzes der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegenstehen könnten.

(4) Eine Entscheidung über den Asylantrag ergeht innerhalb von sechs Monaten. Das Bundesamt kann die Frist auf höchstens 15 Monate verlängern, wenn

1.
sich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht komplexe Fragen ergeben,
2.
eine große Zahl von Ausländern gleichzeitig Anträge stellt, weshalb es in der Praxis besonders schwierig ist, das Verfahren innerhalb der Frist nach Satz 1 abzuschließen oder
3.
die Verzögerung eindeutig darauf zurückzuführen ist, dass der Ausländer seinen Pflichten nach § 15 nicht nachgekommen ist.
Das Bundesamt kann die Frist von 15 Monaten ausnahmsweise um höchstens weitere drei Monate verlängern, wenn dies erforderlich ist, um eine angemessene und vollständige Prüfung des Antrags zu gewährleisten.

(5) Besteht aller Voraussicht nach im Herkunftsstaat eine vorübergehend ungewisse Lage, sodass eine Entscheidung vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, kann die Entscheidung abweichend von den in Absatz 4 genannten Fristen aufgeschoben werden. In diesen Fällen überprüft das Bundesamt mindestens alle sechs Monate die Lage in dem Herkunftsstaat. Das Bundesamt unterrichtet innerhalb einer angemessenen Frist die betroffenen Ausländer über die Gründe des Aufschubs der Entscheidung sowie die Europäische Kommission über den Aufschub der Entscheidungen.

(6) Die Frist nach Absatz 4 Satz 1 beginnt mit der Stellung des Asylantrags nach § 14 Absatz 1 und 2. Ist ein Antrag gemäß dem Verfahren nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) zu behandeln, so beginnt die Frist nach Absatz 4 Satz 1, wenn die Bundesrepublik Deutschland als für die Prüfung zuständiger Mitgliedstaat bestimmt ist. Hält sich der Ausländer zu diesem Zeitpunkt nicht im Bundesgebiet auf, so beginnt die Frist mit seiner Überstellung in das Bundesgebiet.

(7) Das Bundesamt entscheidet spätestens 21 Monate nach der Antragstellung nach § 14 Absatz 1 und 2.

(8) Das Bundesamt informiert den Ausländer für den Fall, dass innerhalb von sechs Monaten keine Entscheidung ergehen kann, über die Verzögerung und unterrichtet ihn auf sein Verlangen über die Gründe für die Verzögerung und den zeitlichen Rahmen, innerhalb dessen mit einer Entscheidung zu rechnen ist.

Die Ausländerbehörde ist an die Entscheidung des Bundesamtes oder des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes gebunden. Über den späteren Eintritt und Wegfall der Voraussetzungen des § 60 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes entscheidet die Ausländerbehörde, ohne dass es einer Aufhebung der Entscheidung des Bundesamtes bedarf.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tenor

I. Die Verfahren 10 CS 14.2656 und 10 C 14.2657 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

III. Die Kosten der Beschwerdeverfahren trägt der Antragsteller.

IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren 10 CS 14.2656 wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Mit seinen Beschwerden verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Versagung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sowie seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Antrags- (M 25 S 14.3701) und das Klageverfahren (M 25 K 14.3700) weiter.

Der Antragsteller ist togoischer Staatsangehöriger und wurde am 23.Juni 1995 in der Bundesrepublik geboren. Nachdem er, vertreten durch seine Eltern, die im Jahr 1992 ins Bundesgebiet eingereist und Asyl beantragt hatten, erfolglos zwei Asylverfahren durchgeführt hatte, erhielt er erstmals im Dezember 2004 eine Aufenthaltsbefugnis und zuletzt am 13. Dezember 2005 eine bis 11. April 2010 befristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 32 Abs. 3 AufenthG, deren Verlängerung er am 9. April 2010 beantragte.

Bei diesem Antrag gab er an, dass gegen ihn wegen des Verdachts einer Straftat ermittelt werde. Er erhielt deshalb lediglich Bescheinigungen über eine Erlaubnisfiktion gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG. Seit Mai 2011 wird der Antragsteller auf der sog. Properliste für jugendliche Intensivstraftäter wegen Gewalt- und Eigentumsdelikten geführt. Es liegen folgende strafrechtliche Verurteilungen vor:

1. Urteil des Amtsgerichts München vom 23. Mai 2011: Vier Tage Jugendarrest wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen in Tatmehrheit mit Bedrohung in Tatmehrheit mit Diebstahl.

2. Urteil des Amtsgerichts München vom 24. Januar 2012: Vier Tage Jugendarrest wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und Unterstellung unter einjährige Betreuungsaufsicht hinsichtlich Schule, Ausbildung, Arbeit und Freizeitgestaltung.

3. Urteil des Amtsgerichts München vom 3. April 2012: Jugendstrafe von zehn Monaten mit dreijähriger Bewährung wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung.

4. Urteil des Amtsgerichts München vom 12. April 2012: Jugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten mit dreijähriger Bewährung unter Einbeziehung der Verurteilung vom 3. April 2012 wegen unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort jeweils in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung.

5. Urteil des Landgerichts München I vom 26. November 2013: Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts München vom 12. April 2012.

Wegen der letzten Tat ist der Antragsteller seit 15. Februar 2013 inhaftiert.

Nach erfolgter Anhörung wies die Antragsgegnerin den Antragsteller aus (Nr. 1 des Bescheids vom 7.August 2014), lehnte seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom 9. April 2010 ab (Nr. 2) und untersagte die Wiedereinreise für sieben Jahre (Nr. 3). Die Abschiebung nach Togo bzw. in einen anderen aufnahmebereiten bzw. zur Rückübernahme verpflichteten Staat aus der Haft wurde angeordnet bzw. angedroht (Nr. 4).

Zur Begründung der Ausweisungsentscheidung führte die Antragsgegnerin aus, dass der Antragsteller zwingend auszuweisen sei (§ 53 Nr. 1 AufenthG). Besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG genieße er nicht, weil er nur bis zum 11. April 2010 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen sei. Die Ausweisung entspreche Art. 8 Abs. 2 EMRK. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung sei vor allem von Bedeutung, ob der Ausländer über soziale Bindungen zu seinem Herkunftsland verfüge, welche Bindungen er im Gastland habe und ob die Ausweisung wegen Straftaten erheblicher Schwere einem dringenden sozialen Bedürfnis entspreche. Die Eltern und Geschwister des Antragstellers lebten in Deutschland. Er habe die Schule mit dem Hauptschulabschluss beendet, aber noch keine Berufsausbildung begonnen. Es werde davon ausgegangen, dass der Antragsteller die Muttersprache der Eltern zumindest verstehe, da die Eltern erst im Jahr 1992 von Togo nach Deutschland eingereist seien. Zu den beiden Halbschwestern in Togo habe der Antragsteller eine durchaus enge Bindung. Als Erwachsener sei er nicht mehr auf den Beistand von Familienangehörigen angewiesen. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller und seine Familie noch gute Kontakte und einen Bezug nach Togo hätten. Der Antragsteller sei massiv strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er sei bereits zweimal zu einer Jugendstrafe verurteilt worden. Er habe sich auch bereits zweimal in der Jugendarrestanstalt zur Verbüßung eines Arrests befunden. Dies hätte jedoch keinen Eindruck bei ihm hinterlassen. Am 14. Februar 2013 sei er massiv strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er sei wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung schuldig gesprochen worden. Das Gericht habe festgestellt, dass der Antragsteller und seine Mittäter mehrfach gegen den Willen der Geschädigten sexuelle Handlungen an ihr vornahmen, die sie sehr erniedrigten und auch zu gravierenden psychischen Folgen führten. Zu Lasten des Antragstellers habe die Art und Weise der Ausführung der Taten gesprochen. Äußerst negativ sei auch das Nachtatverhalten gewertet worden. Er habe keinerlei Schuldeinsicht gezeigt. Strafverschärfend habe sich weiter ausgewirkt, dass der Antragsteller bereits mehrfach vorgeahndet gewesen sei und innerhalb einer offenen Bewährung gehandelt habe. Es bestehe auch nach der Haftentlassung die Gefahr, dass der Antragsteller ähnlich gelagerte Straftaten begehe. Das ergebe sich aus dem Umstand, dass die bisher verhängten Jugendstrafen oder Jugendarreste offenbar keinerlei Eindruck bei ihm hinterlassen hätten. Zudem habe er keinerlei Schuldbewusstsein oder Einsicht an den Tag gelegt. Er habe eine enorme kriminelle Energie bewiesen, weil er sich auch dann nicht von seinem Vorhaben abbringen habe lassen und sexuelle Handlungen an der Geschädigten vorgenommen habe, obwohl diese immer wieder ihren entgegenstehenden Willen zum Ausdruck gebracht habe. Aufgrund des massiven delinquenten Verhaltens, der hohen Rückfallgeschwindigkeit und der geringen Achtung der körperlichen Unversehrtheit und sexuellen Selbstbestimmung anderer bestehe die konkrete Gefahr weiterer schwerer Straftaten durch den Antragsteller im Bundesgebiet. Im Rahmen der Abwägung der privaten Interessen an einem weiteren Verbleib des Antragstellers im Bundesgebiet mit den öffentlichen Interessen an seiner Ausreise zeige sich, dass die öffentlichen Interessen überwögen.

Die Versagung des Aufenthaltstitels begründete die Antragsgegnerin mit dem Vorliegen des absoluten Versagungsgrundes des § 11 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 AufenthG sowie des Versagungsgrundes des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Zwar könne von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bei Aufenthaltserlaubnissen zum Familiennachzug abgesehen werden. Die Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen an der Versagung der Aufenthaltserlaubnis und den persönlichen Interessen des Antragstellers führe aber auch hier zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts überwiege.

Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller Klage erheben (M 25 K 14.3700). Zugleich beantragte er, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ablehnung der Erteilung eines Aufenthaltstitels anzuordnen bzw. wiederherzustellen (M 25 S 14.3701). Für beide Verfahren beantragte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten.

Mit Beschluss vom 6. November 2014 lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht München den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis anzuordnen, sowie den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klage- und das Antragsverfahren ab. Dem Erfolg des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wegen der Versagung der Aufenthaltserlaubnis stehe bereits die Sperrwirkung der verfügten Ausweisung entgegen. Auch wenn die Ausweisung des Antragstellers wegen der aufschiebenden Wirkung der gegen sie gerichteten Anfechtungsklage nicht vollziehbar sei, sei sie dennoch wirksam. Dies genüge für die Auslösung der Sperrwirkung. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG gebiete aber, dass im Rahmen des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis eine summarische Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung erfolge. Die Ausweisung finde ihre Rechtsgrundlage in § 53 Nr. 1 AufenthG. Besonderen Ausweisungsschutz genieße der Antragsteller nicht. Neben der Regelvermutung, dass schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Antragstellers rechtfertigten, stütze auch die beim Antragsteller zu bejahende konkrete Wiederholungsgefahr die Zulässigkeit der Ausweisung. Die danach einfachgesetzlich zulässige Ausweisung des Antragstellers sei auch mit Blick auf die Bestimmung des Art. 8 Abs. 1 EMRK und auf höherrangiges Verfassungsrecht als nicht unverhältnismäßig anzusehen. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die nicht in eine allgemeine Ermessensausübung münde, sei zu berücksichtigen, dass beim Antragsteller mit Blick auf sein bisheriges Verhalten von einer hohen Wiederholungsgefahr für die Begehung schwerer Straftaten auszugehen sei. Auch seien die den Verurteilungen zugrunde liegenden Straftaten nicht als bloße vorübergehende Jugenddelinquenz zu betrachten. Das Landgericht München I habe im Urteil vom 26. November 2013 herausgestellt, dass beim Antragsteller schädliche Neigungen vorlägen. Zu seinen Gunsten sei zu berücksichtigen, dass er hier geboren und aufgewachsen sei und er einen Hauptschulabschluss besitze. Auch wenn er seine Heimatsprache „Kotokoli“ nur sehr gebrochen spreche, sei ihm eine Rückkehr nach Togo zuzumuten. Nach der geplanten Haftentlassung im August 2016 werde er 21 Jahre alt sein. Er könne dann ohne die Unterstützung von Bekannten und Verwandten zu Recht kommen. Er könne bei einem weiteren Spracherwerb auf die vorhandenen, wenn auch geringen Kenntnisse aufbauen. Der Antragsteller befände sich in einem Alter, in dem ihm das Erlernen einer neuen Sprache ohne weiteres zumutbar sei. Aufgrund der Kontaktaufnahme der Familie zur togoischen Fußballnationalmannschaft und der aktenkundigen fußballerischen Begabung könne sich für den Antragsteller nach Verbüßung der Strafhaft in Togo auch eine sportliche Zukunft aufbauen lassen.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO und für die Anfechtungsklage samt Nebenentscheidungen werde aus denselben Gründen abgelehnt. Die Befristung sei rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig. Dem Antragsteller könnten bereits vor Ablauf der Sperrfrist Betretenserlaubnisse erteilt werden. Es bleibe ihm auch unbenommen, einen Antrag auf Festsetzung einer kürzeren Frist zu stellen.

Im Beschwerdeverfahren beantragt der Antragsteller,

den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München aufzuheben, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen und dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten zu gewähren.

Zur Begründung bringt er vor, die Auffassung des Erstgerichts, dass bereits der Erlass der Ausweisungsverfügung die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 11 AufenthG hindere, verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Für eine tatsächliche Überprüfung bleibe kein Raum mehr. Die Ausweisungsverfügung sei allein auf generalpräventive Gesichtspunkte gestützt worden. Dies verstoße gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. August 2007. Das Bundesverfassungsgericht stelle alle Ausweisungstatbestände, unabhängig davon, ob es sich um eine Ist-, Regel- oder Ermessensausweisung handle, unter den Vorbehalt einer verfassungsrechtlich vorgegebenen Einzelfallentscheidung. Das Erstgericht gehe irrig von einer zwingenden Ausweisung aus. Der Antragsteller besitze einen besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 4 AufenthG. Er sei im Bundesgebiet geboren und halte sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig mit Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik auf. Selbst wenn kein besonderer Ausweisungsschutz bestünde, sei ein Regel-Ausnahme-Verhältnis nach den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts in den sog. Verwurzelungsfällen zu treffen. Das Gericht habe übersehen, dass „Kotokoli“ ein Stammesdialekt sei, der nur mündlich weitergegeben werde. Das Gericht hätte darlegen müssen, wie das Erlernen eines Stammesdialekts ohne Lehrer und Bücher möglich sein solle. Zudem spreche der Antragsteller auch kein Französisch. Die Ausführungen zu den Sprachkenntnissen stützten sich auf Erkenntnisse, die ohne Beweisaufnahme durch das Gericht nicht unterstellt werden könnten. Es könne nicht ernsthaft angenommen werden, dass sich der fußballerisch begabte Antragsteller in Togo eine sportliche Zukunft aufbauen könne. Diese ohne jeden konkreten Bezug zur Realität ausgesprochene Hoffnung vermöge nicht die Rechtmäßigkeit einer Ausweisungsverfügung eines faktischen Inländers zu stützen. Es verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG, wenn der Entscheidung des Erstgerichts zugrunde gelegt werde, dass der Antragsteller schon vor Erreichen der Strafmündigkeit straffällig geworden sei. Die Entscheidung des Erstgerichts lasse zudem jede eigene Auseinandersetzung mit der Straftat und deren Motiven sowie eine Zukunftsprognose vermissen. Zusammenfassend sei auszuführen, dass der Ausgang des Klageverfahrens bezüglich der Ausweisung des Antragstellers zumindest offen und eine Beweisaufnahme zu verschiedenen Punkten durchzuführen sei. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens könne nicht von einem überwiegenden Vollzugsinteresse ausgegangen werden.

Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.

II.

Die Beschwerden bleiben ohne Erfolg. Die für das Beschwerdeverfahren 10 CS 14.2656 dargelegten Gründe, die der Senat ausschließlich prüft (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung der Nr. I und II des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 6. November 2014 (1.). Die Beschwerde gegen Nr. IV des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 6. November 2014 (10 C 14.2657) ist ebenfalls unbegründet, weil das Verwaltungsgericht die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren M 25 K 14.3700 und für das Antragsverfahren M 25 S 14.3701 zu Recht abgelehnt hat (2.).

1. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Nr. 2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 7. August 2014, mit dem der Antrag des Antragstellers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom 9. April 2010 abgelehnt worden ist, voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird, und hat daher den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Recht abgelehnt.

Das Erstgericht stellt zur Begründung seiner Entscheidung darauf ab, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis habe, weil die Sperrwirkung der in Nr. 1 des Bescheids vom 7. August 2014 verfügten Ausweisung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegenstehe (§ 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG). Da für die Auslösung der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AufenthG bereits die Wirksamkeit der Ausweisung ausreicht (Bauer in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 10. Aufl. 2013, AufenthG § 11 Rn. 4), hat das Erstgericht im Rahmen des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis eine Überprüfung der Ausweisungsverfügung vorgenommen. Diese Vorgehensweise verstößt entgegen dem Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren nicht gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Dies ergibt sich aus Folgendem: Gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG lassen Widerspruch und Klage unbeschadet der aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung unberührt. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber entschieden, dass der Eintritt der Wirksamkeit einer Ausweisungsverfügung auch dann nicht gehemmt werden soll, wenn die sofortige Vollziehung nicht angeordnet wurde (Funke-Kaiser in Gemeinschaftskommentar, AufenthG, § 84 Rn. 38 m.w.N.). Wird der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG einer gleichzeitig verfügten Ausweisung abgelehnt, so hat dies zur Folge, dass insoweit auch die Ausweisungsverfügung mittelbar vollzogen wird. Unerlässlich ist es deshalb, um den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu genügen, dass im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wegen der Versagung der Aufenthaltserlaubnis die Ausweisungsverfügung auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft wird (Funke-Kaiser in Gemeinschaftskommentar, AufenthG, § 84 Rn. 49). Das Erstgericht hat eine summarische Inzidentprüfung (vgl. Hailbronner, AufenthG, § 11 Rn. 14 m.w.N.) der Ausweisungsverfügung vorgenommen. Diese summarische Überprüfung der Ausweisungsverfügung im Rahmen eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis hindert entgegen dem Beschwerdevorbringen eine richterliche Überprüfung einer nicht für sofort vollziehbar erklärten Ausweisungsverfügung nicht. Diese findet jedenfalls im Rahmen des Klageverfahrens gegen die Ausweisungsverfügung statt. Sollte das Gericht im Rahmen des Hauptsacheverfahrens zu dem Ergebnis kommen, dass die Ausweisung rechtswidrig ist, tritt auch die Sperrwirkung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG nicht ein. Im Übrigen hat sich das Erstgericht nicht auf eine summarische Überprüfung der Ausweisung beschränkt. Sämtliche rechtlichen Voraussetzungen für eine Ausweisung wurden überprüft. Fragen, die einer tatsächlichen Klärung im Hauptsacheverfahren bedurft hätten, bestanden nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht.

Soweit im Beschwerdeverfahren gerügt wird, dass die Ausweisungsverfügung nur auf generalpräventive Gründe gestützt worden sei und die verfassungsrechtlich vorgegebene Einzelfallentscheidung nicht erfolgt sei, trifft dies nicht zu. Das Erstgericht hat ebenso wie die Antragsgegnerin im Bescheid vom 7. August 2014 eine konkrete Wiederholungsgefahr für die Begehung weiterer schwerer Straftaten beim Antragsteller bejaht. Das Verwaltungsgericht hat insoweit auf seine strafrechtlichen Verurteilungen, insbesondere die zuletzt vom Antragsteller begangene Straftat (Vergewaltigung und Körperverletzung) abgestellt. Es hat betont, dass weder die Verbüßung von Jugendarrest noch die Verhängung von Jugendstrafen zur Bewährung positiv auf den Antragsteller hätten einwirken können, er im Strafverfahren die Tat geleugnet und keine Schuldeinsicht gezeigt habe und das Elternhaus auf seine Straftaten nicht oder in schädlicher Weise reagiert habe und er nach der Strafentlassung in eine vorbelastete Umgebung zurückkehre.

Auch die in der Beschwerdebegründung geäußerte Auffassung, die Ausweisungsentscheidung habe die individuellen Lebensumstände des Antragstellers nicht erfasst, weil dies durch das von der Ausländerbehörde bzw. dem Erstgericht angelegte Prüfprogramm nicht gewährleistet sei, ist nicht zutreffend. Die Ausländerbehörde und das Verwaltungsgericht sind davon ausgegangen, dass der Antragsteller wegen der Verurteilung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten zwingend auszuweisen sei (§ 53 Nr. 1 AufenthG). Die verfügte Ausweisung entspricht jedoch den verfassungsrechtlichen Anforderungen, wonach auch bei Anwendung des gesetzlichen Stufensystems für Ausweisungen die Umstände des Einzelfalls zu prüfen seien, da nur diese Prüfung sicherstellen könne, dass die Verhältnismäßigkeit bezogen auf die Lebenssituation des betroffenen Ausländers gewahrt bleibe (BVerfG, B.v. 10.8.2007 – 2 BvR 535/06 – juris Rn. 19), weil das Verwaltungsgericht eine Verhältnismäßigkeitsprüfung anhand der Maßstäbe des Art. 8 EMRK vorgenommen hat. Insbesondere legt der Antragsteller insoweit nicht dar, inwieweit die vom Erstgericht anhand von Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 GG vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung der Ausweisung nicht der sich aus dem Verfassungsrecht ergebenden Verpflichtung entspricht, die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung im konkreten Fall unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR zu untersuchen.

Ebenso wenig legt der Antragsteller im Beschwerdeverfahren dar, aus welchen Gründen er besonderen Ausweisungsschutz i.S.v. § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genießen solle. Die Rechtsfolge des § 56 Abs. 1 Satz 2 und 4 AufenthG, wonach ein Ausländer nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden darf und die zwingende Ausweisung zu einer Regelausweisung herabgestuft wird, tritt nur ein, wenn der Ausländer den besonderen Ausweisungsschutz i.S.v. § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für sich in Anspruch nehmen kann. Der Antragsteller ist zwar im Bundesgebiet geboren und hat sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, er besitzt jedoch nicht die nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG für das Bestehen eines besonderen Ausweisungsschutzes erforderliche Aufenthaltserlaubnis. Das Verwaltungsgericht hat insoweit ausgeführt, dass es für das Bestehen eines besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auf den tatsächlichen Besitz der Aufenthaltserlaubnis ankommt und die Fiktionswirkung des Verlängerungsantrages gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG dem tatsächlichen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nicht gleichsteht. Diese Rechtsauffassung des Erstgerichts ist zutreffend (Alexy in Hofmann/Hofmann, HK-AuslR, 1. Aufl. 2008, AufenthG, § 56 Rn. 9) und wurde vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren nicht in Zweifel gezogen.

Die im Beschwerdeverfahren vertretene Rechtsansicht, wonach selbst dann, wenn kein besonderer Ausweisungsschutz bestünde, wegen der Verwurzelung des Antragstellers ein „Regel-Ausnahme-Verhältnis nach den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 2 BvR 1392/10) zu treffen sei“, ist nicht zutreffend. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass bei Vorliegen einer zwingenden Ausweisung die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 23.10.2007 – 1 C 10/07 – juris Rn. 24), wonach ein Ausnahmefall von der Regelausweisung – und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung – bereits dann vorliegt, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten, keine Anwendung findet. Diese Rechtsprechung ist zum Regelausweisungstatbestand des § 54 AufenthG bzw. zu einer wegen des Vorliegens besonderen Ausweisungsschutzes zur Regelausweisung herabgestuften zwingenden Ausweisung ergangen. Sie ist nicht auf die Ist-Ausweisung nach § 53 AufenthG übertragbar. Eine Ist-Ausweisung ist allein auf ihre Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Die vom Antragsteller angeführte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit es nicht zulasse, das Gewicht des für eine Ausweisung sprechenden öffentlichen Interesses allein anhand der Typisierung der den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten zu bestimmen (BVerfG, B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07), hat nicht zur Folge, dass aus einer zwingenden Ausweisung eine Ermessensausweisung wird, wenn verfassungsrechtlich oder völkerrechtlich geschützte private Interessen des Ausländers tangiert sind. Die bei einem zwingenden Ausweisungstatbestand verfassungsrechtlich vorgegebene Verhältnismäßigkeitsprüfung führt nicht zu einer durch den Gesetzeswortlaut des § 53 AufenthG ausdrücklich ausgeschlossenen Ermessensentscheidung, sondern beinhaltet lediglich die Pflicht, die der Ausweisung zugrundeliegende Straftat unter Berücksichtigung sämtlicher Tatumstände und der sich aus den Straftaten ergebenden Gefahr zu gewichten und mit eventuell entgegenstehenden privaten Interessen des Ausländers abzuwägen (vgl. zum Ganzen Hailbronner, AuslR, AufenthG, vor § 53 Rn. 10 ff.).

Soweit der Antragsteller im Beschwerdeverfahren vorträgt, die Ausweisungsverfügung sei nicht rechtmäßig, weil er die Landessprache (Kotokoli) und Französisch nicht spreche und das Gericht zu Unrecht von einer sportlichen Zukunft als Fußballer in Togo ausgegangen sei, führt dies nicht zur Abänderung oder Aufhebung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Das Verwaltungsgericht ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass der Antragsteller entsprechend seinem Vortrag im Antragsverfahren „Kotokoli“ zumindest „sehr gebrochen“ spreche. Ausschlaggebend für die Auffassung des Erstgerichts, das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Antragstellers überwiege das von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Interesse des Antragstellers trotz der nur geringen Sprachkenntnisse, war, dass dem Antragsteller das Erlernen seiner Heimatsprache zumutbar sei, weil er zumindest Grundkenntnisse der Sprache besitze und sich in einem Alter befinde, in dem er eine neue Sprache noch erlernen könne. Ob er sich um den weiteren Spracherwerb bereits während seiner Strafhaft bemüht oder erst in seinem Heimatland Anstrengungen zum Spracherwerb unternimmt, war für das Erstgericht dabei nicht maßgebend. Im Übrigen spricht nach der Aktenlage vieles dafür, dass die Sprachkenntnisse des Antragstellers in seiner Heimatsprache „Kotokoli“ besser sind als von ihm im Antragsverfahren behauptet. Insoweit hat das Verwaltungsgericht überzeugend ausgeführt, dass die Mutter mit ihren Kindern zumindest teilweise in „Kotokoli“ gesprochen habe, weil sie nicht so gut Deutsch spreche. Zudem ergibt sich aus dem Jugendgerichtshilfebericht der AWO vom 30. Oktober 2013, dass der Antragsteller telefonischen Kontakt zu seinen Halbschwestern in Togo hatte. Ein solcher telefonischer Kontakt setzt zumindest Grundkenntnisse der Landessprache voraus. Wie sich bereits aus der Formulierung im Beschluss ergibt, verstand das Erstgericht eine eventuelle Karriere als Fußballspieler in Togo nicht als konkrete Zukunftschance, die maßgeblichen Einfluss auf das Abwägungsergebnis gehabt hätte, sondern nur als Hinweis, dass der Antragsteller eventuell auch seine fußballerische Begabung nutzen könnte.

Dem Verwaltungsgericht kam es bei der Abwägungsentscheidung auch nicht maßgeblich darauf an, ob die Halbschwestern des Antragstellers noch in Togo lebten und dem Antragsteller in der Anfangszeit unterstützend zur Seite stehen könnten. Es hat entscheidungserheblich darauf abgestellt, dass der Antragsteller im Zeitpunkt seiner geplanten Haftentlassung 21 Jahre alt sein werde und es ihm in diesem Alter auch zuzumuten sei, sich ohne die Unterstützung seiner Familie eine Existenz in Togo aufzubauen. Der Schwierigkeiten, die sich hierbei für den Antragsteller ergeben würden, war sich das Gericht bewusst, es bewertete aber die vom Antragsteller ausgehende Wiederholungsgefahr als so schwerwiegend, dass selbst die zweifellos bestehenden Schwierigkeiten beim Aufbau einer Zukunft im Heimatland nicht zu einem Überwiegen des Interesses des Antragstellers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet führen.

Entgegen den Ausführungen in der Beschwerdebegründung hat das Gericht seiner Auffassung, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch weitere Verfehlungen des Antragstellers drohe und von ihm somit eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgehe, auch keine Straftaten zugrunde gelegt, die der Antragsteller vor Erreichen der Strafmündigkeit begangen hatte. Die vom Antragsteller vor Eintritt der Strafmündigkeit begangenen Straftaten sind lediglich bei der Sachverhaltsdarstellung erwähnt. Ausschlaggebend für die Annahme der konkreten Wiederholungsgefahr waren die zahlreichen (teilweise schweren) Straftaten nach Eintritt der Strafmündigkeit, die Erfolglosigkeit der Maßnahmen der Jugendhilfe, die Tatsache, dass der Antragsteller von der Verbüßung des Jugendarrests vollkommen unbeeindruckt blieb, die Begehung weiterer Straftaten innerhalb der Bewährungszeit sowie sein Verhalten nach Begehen der letzten Straftat. Wenn das Erstgericht in dem Beschluss erwähnt, dass der Antragsteller schon als strafunmündiges Kind mit dem Gesetz in Konflikt geraten sei und es gebrochen habe, dient dies lediglich der Abrundung des sich nach Eintritt der Strafmündigkeit abzeichnenden Bildes einer sich seit Jahren entwickelnden und steigernden kriminellen Karriere des Antragstellers.

Entgegen dem Vorbringen im Beschwerdeverfahren hat sich das Erstgericht mit der Straftat des Antragstellers, die letztlich zu seiner Ausweisung führte, auseinandergesetzt und ist aufgrund des Verhaltens des Antragstellers in der Vergangenheit zu dem Ergebnis gekommen, dass auch in Zukunft eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung von ihm ausgeht. Bei der Bewertung der vom Antragsteller begangenen Straftat hat sich das Erstgericht im Wesentlichen der Beurteilung des Landgerichts München I im Urteil vom 26. November 2013 angeschlossen. Es wurde berücksichtigt, dass sich beim Antragsteller keine Hinweise auf Reife- oder Entwicklungsverzögerungen oder sonstige Erklärungen für sein Verhalten ergeben hätten, die Art und Weise der Ausführung der Taten eine besondere kriminelle Energie gezeigt habe, weil er den vom Opfer deutlich geäußerten entgegenstehenden Willen nicht beachtet habe und neben der Vergewaltigung auch den Straftatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung erfüllt habe. Zudem habe er keinerlei Schuldeinsicht gezeigt und nach der Tat versucht, seine Mitangeklagten im Hinblick auf ihr Aussageverhalten im Strafprozess zu beeinflussen. Die Auffassung des Erstgerichts, dass beim Antragsteller eine konkrete Wiederholungsgefahr für die Begehung weiterer Straftaten bestehe und auch die Hauptverhandlung im Strafprozess keine Zäsur bewirkt habe, hat der Antragsteller mit seinem Vorbringen im Beschwerdeverfahren nicht in Frage gestellt. Das Erstgericht hat betont, dass weder die Unterstellung unter die Aufsicht und Betreuung des Jugendamtes, die Verbüßung von Jugendarrest noch die Verhängung von Jugendstrafen zur Bewährung positiv auf den Antragsteller hätten einwirken können. Er habe im Strafverfahren die Tat geleugnet und keine Schuldeinsicht gezeigt. Das Elternhaus sei nicht in der Lage gewesen, auf die Verfehlungen des Antragstellers zu reagieren, so dass eine beabsichtigte Rückkehr nach der Strafentlassung in eine Umgebung, die bislang bereits nicht förderlich gewesen sei, die Wiederholungsgefahr nicht entfallen ließe. Allein die bekundete Absicht, ein Sachverständigengutachten bezüglich der Zukunftsprognose des Antragstellers einholen zu wollen, zieht die auf konkreten Tatsachen und Verhaltensweisen des Antragstellers beruhende Feststellung des Erstgerichts, dass vom Antragsteller eine Wiederholungsgefahr ausgehe, nicht in Zweifel.

2. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten nach § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 127 Abs. 2 ZPO liegen weder für das Klageverfahren noch für das Antragsverfahren vor.

Prozesskostenhilfe erhält derjenige, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Insoweit ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird und daher auch bei der Interessenabwägung im Antragsverfahren, die anhand der Erfolgsaussicht im Hauptsacheverfahren erfolgt, das öffentliche Interesse an der sofortigen Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers das private Interesse des Antragstellers, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, überwiegt. Diesbezüglich kann auf die Ausführungen unter 1. verwiesen werden. Im Prozesskostenhilfeverfahren ist der Senat allerdings nicht auf die Prüfung des Beschwerdevorbringens begrenzt. Aber auch aus den vorgelegten Akten und dem Parteivortrag vor dem Verwaltungsgericht ergibt sich nicht, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung des Antragstellers sei rechtmäßig, so dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bereits an § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG scheitere, nicht zutreffend wäre. Auch wenn der Antragsteller in Deutschland geboren ist, hier sein ganzes Leben verbracht hat und seine Kernfamilie hier lebt, ist die Ausweisung nicht unverhältnismäßig i.S.v. Art. 8 Abs. 2 EMRK. Der Antragsteller wird bei seiner Rückkehr nach Togo bereits 21 Jahre alt sein. Die Kontakte zu seinen bisher in Togo lebenden entfernteren Familienangehörigen zeigen, dass er sich zumindest mündlich in der Landessprache verständigen kann. Ebenso bestehen offensichtlich Kontakte der Familie in das Heimatland. Die Mutter des Antragstellers hat sich zuletzt im Dezember 2012 dort aufgehalten. Zudem leben wohl auch die Großeltern des Antragstellers dort (vgl. Schreiben d. Antragstellers v. 8.4.2013 an einen Mitangeklagten). Die bislang bekannten Tatsachen zum Verhalten des Antragstellers in der Vergangenheit, den von ihm begangenen Straftaten und dem Verhalten nach der Tat reichen aus, um das Vorliegen einer nach wie vor bestehenden Gefahr erheblicher künftiger strafrechtlicher Verfehlungen des Antragstellers zu begründen. Angesichts der erheblichen Wiederholungsgefahr und dem hohen Rang der vom Antragsteller durch seine Straftaten verletzten Schutzgüter ist die Ausweisung auch unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten, die der Antragsteller bei einer Rückkehr nach Togo haben wird, notwendig i.S.d. Art. 8 Abs. 2 EMRK.

Die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren sind auch nicht offen. Nach dem derzeitigen Sachstand muss das Erstgericht kein Sachverständigengutachten bezüglich des Bestehens einer Wiederholungsgefahr oder zur Beurteilung der Zukunftsprognose für den Antragsteller einholen. Der Tatrichter hat insoweit eine eigene Prognoseentscheidung zu treffen. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der Wiederholungsgefahr bedarf es nur in Ausnahmefällen. Nur bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen ist zur Beurteilung der Wiederholungsgefahr gegebenenfalls die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich (BVerwG, B.v. 13.3.2009 – 1 B 20.08 – juris Rn. 6). Anhaltspunkte für eine solche psychische Erkrankung beim Antragsteller ergeben sich aus den vorliegenden Akten nicht. Auch bezüglich der Sprachkenntnisse des Antragstellers bedarf es keiner Beweisaufnahme im Hauptsacheverfahren. Die Ausweisungsverfügung der Antragsgegnerin würde sich auch dann als rechtmäßig erweisen, wenn der Antragsteller nur „sehr gebrochen“ Kotokoli sprechen könnte, da ihm ein weiterer Spracherwerb, gegebenenfalls auch erst in Togo, zugemutet werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 CS 14.2656 beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG. Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 C 14.2657 bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 11. Mai 2015 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und die Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von vier Jahren nach Ausreise befristet wurden.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Das ist jedoch nicht der Fall.

Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers für rechtmäßig erachtet. Es ist auf der Grundlage der §§ 53 ff. AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung vom Vorliegen eines Regelausweisungsgrundes nach § 54 Nr. 2 AufenthG und vom Fehlen eines besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG ausgegangen. Der Kläger war mit Urteil des Amtsgerichts Laufen vom 22. Dezember 2014 wegen des Einschleusens von Ausländern zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden. Der Kläger war nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 56 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG a.F.

Im Zulassungsverfahren wendet sich der Kläger dagegen, dass das Verwaltungsgericht angenommen hat, er besitze keine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU.

Mit diesem Vorbringen wird aber die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung des Klägers sei rechtmäßig, gemessen an den nunmehr maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) nicht ernsthaft in Zweifel gezogen.

Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen. Die Änderung der Sach- und Rechtslage ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 57; vgl. auch BVerwG, B.v. 15.12.2003 - 7 AV 2.03 - NVwZ 2004, 744). Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12), also hier der Entscheidung über den Zulassungsantrag; Rechtsänderungen während des Zulassungsverfahrens sind zu beachten.

Der Senat hat daher die streitbefangene Ausweisungsverfügung (und das diese als rechtmäßig bestätigende verwaltungsgerichtliche Urteil) unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens mangels entgegenstehender Übergangsregelung anhand der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung zu überprüfen. Seit dieser Rechtsänderung differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessensausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky-Reis in Hofmann, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53-56 Rn. 13 und § 53 Rn. 5 ff.; a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246). Eine nach altem Recht verfügte Ausweisung wird nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG in ihrer Neufassung am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also gemäß der zentralen Ausweisungsnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG (als Grundtatbestand; vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.) der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

Die Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung entsprechend dem Zulassungsvorbringen beschränkt sich folglich ausschließlich darauf, ob dem Kläger die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten-EU nach Art. 4 bis 7 Richtlinie 2003/109/EG zukommt, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG nunmehr dazu führt, dass der betreffende Ausländer nur ausgewiesen werden darf, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger keine Daueraufenthaltserlaubnis-EU besitzt, die ihm einen erhöhten Ausweisungsschutz vermitteln würde. Die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten wird grundsätzlich durch die Bescheinigung nach Art. 8 Abs. 3 RL 2003/109/EG belegt, wobei die zentrale Bedeutung zu beachten ist, die das Unionsrecht ihrer Gestaltung und Fälschungssicherheit beimisst; sie kann aber auch durch eine schriftliche Bestätigung der Behörden des Mitgliedstaates, in dem das Recht zum Daueraufenthalt-EG entstanden sein soll, gegebenenfalls auch dessen Auslandsvertretung in Deutschland, geführt werden, wobei es einer sorgfältigen Vergewisserung durch die Ausländerbehörde bedarf, dass die Rechtsstellung als langfristig Aufenthaltsberechtigter auch tatsächlich verliehen worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2012 - 19 CS 12.1851 - juris Rn. 4; B.v. 11.9.14 - 10 CS 14.1581 - juris Rn. 23). Im israelischen Reisepass des Klägers befand sich im Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung eine am 21. Januar 2010 ausgestellte, bis 20. Januar 2015 gültige befristete Aufenthaltserlaubnis, deren Bezeichnung nicht der nach Art. 8 Abs. 3 Richtlinie 2003/109/EU erforderlichen Bezeichnung in der ungarischen Sprache entsprach (vgl. hierzu Nr. 38a.1.1.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz). Auch der im Zulassungsverfahren nunmehr vorgelegte Aufenthaltstitel (ausgestellt am 13. April 2015 und gültig bis 13. April 2025) trägt nicht die entsprechende Bezeichnung für einen „Daueraufenthalt-EG“ in ungarischer Sprache. Die Bezeichnung unterscheidet sich nicht nur durch den Zusatz „EK“, sondern stimmt auch im Übrigen nicht mit der nach der Sprachenliste erforderlichen Übersetzung überein. Dies zeigt auch die englische Übersetzung. Der Aufenthaltstitel des Klägers ist mit „permanent residence card“ überschrieben, während die Übersetzung für Daueraufenthalt „long-term resident“ lautet.

Eine entsprechende Bestätigung des Mitgliedstaats, dass der Kläger ein Daueraufenthaltsrecht-EG besitzt, wurde im Zulassungsverfahren nicht vorgelegt. Der Umstand, dass er die angeblich in Ungarn erworbene Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten nicht belegt hat, fällt in seine Verantwortung (BayVGH, U.v. 24.7.2014 - 19 B 13.1293 - juris Rn. 40).

Die Kostenentscheidung folgt nach alledem aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 sich im Bundesgebiet aufhält,
2.
ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Absatz 1 Satz 1 sich im Bundesgebiet aufhält, wenn
a)
er vollziehbar ausreisepflichtig ist,
b)
ihm eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist und
c)
dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist,
3.
entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in das Bundesgebiet einreist,
4.
einer vollziehbaren Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 oder 2 oder § 47 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 zuwiderhandelt,
5.
entgegen § 49 Abs. 2 eine Angabe nicht, nicht richtig oder nicht vollständig macht, sofern die Tat nicht in Absatz 2 Nr. 2 mit Strafe bedroht ist,
6.
entgegen § 49 Abs. 10 eine dort genannte Maßnahme nicht duldet,
6a.
entgegen § 56 wiederholt einer Meldepflicht nicht nachkommt, wiederholt gegen räumliche Beschränkungen des Aufenthalts oder sonstige Auflagen verstößt oder trotz wiederholten Hinweises auf die rechtlichen Folgen einer Weigerung der Verpflichtung zur Wohnsitznahme nicht nachkommt oder entgegen § 56 Abs. 4 bestimmte Kommunikationsmittel nutzt oder bestimmte Kontaktverbote nicht beachtet,
7.
wiederholt einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1 oder Absatz 1c zuwiderhandelt oder
8.
im Bundesgebiet einer überwiegend aus Ausländern bestehenden Vereinigung oder Gruppe angehört, deren Bestehen, Zielsetzung oder Tätigkeit vor den Behörden geheim gehalten wird, um ihr Verbot abzuwenden.

(1a) Ebenso wird bestraft, wer vorsätzlich eine in § 404 Abs. 2 Nr. 4 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder in § 98 Abs. 3 Nr. 1 bezeichnete Handlung begeht, für den Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 4 Abs. 1 Satz 1 eines Aufenthaltstitels bedarf und als Aufenthaltstitel nur ein Schengen-Visum nach § 6 Abs. 1 Nummer 1 besitzt.

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 11 Absatz 1 oder in Zuwiderhandlung einer vollziehbaren Anordnung nach § 11 Absatz 6 Satz 1 oder Absatz 7 Satz 1
a)
in das Bundesgebiet einreist oder
b)
sich darin aufhält,
1a.
einer vollstreckbaren gerichtlichen Anordnung nach § 56a Absatz 1 zuwiderhandelt und dadurch die kontinuierliche Feststellung seines Aufenthaltsortes durch eine in § 56a Absatz 3 genannte zuständige Stelle verhindert oder
2.
unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen oder das Erlöschen oder die nachträgliche Beschränkung des Aufenthaltstitels oder der Duldung abzuwenden oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und der Absätze 1a und 2 Nr. 1 Buchstabe a ist der Versuch strafbar.

(4) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 2 Nr. 2 bezieht, können eingezogen werden.

(5) Artikel 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge bleibt unberührt.

(6) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 steht einem Handeln ohne erforderlichen Aufenthaltstitel ein Handeln auf Grund eines durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels gleich.

(7) In Fällen des Absatzes 2 Nummer 1a wird die Tat nur auf Antrag einer dort genannten zuständigen Stelle verfolgt.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 9. April 2010 - 13 B 1300/10 - und der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. Mai 2010 - 11 ME 129/10 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Hannover zurückverwiesen.

...

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 8.000,- € (in Worten: achttausend Euro) und für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 4.000,- € (in Worten: viertausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach Ablehnung der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis.

2

1. Der 19jährige Beschwerdeführer ist türkischer und libanesischer Staatsangehöriger. Er wurde im Bundesgebiet geboren und lebt zusammen mit seiner Mutter und vier Geschwistern in häuslicher Gemeinschaft in H.. Seine Mutter, libanesische Staatsangehörige, sowie drei Geschwister besitzen unbefristete Aufenthaltserlaubnisse, sein älterer Bruder die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Vater des Beschwerdeführers stammt aus der Türkei; er wurde wegen Nichtableistung des Wehrdienstes aus der Türkei ausgebürgert; während des Ausgangsverfahrens befand er sich in der Justizvollzugsanstalt V. in Haft. Bis zum Eintritt der Volljährigkeit im September 2009 besaß der Beschwerdeführer eine von seiner Mutter abgeleitete Aufenthaltserlaubnis.

3

Der Beschwerdeführer ist bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Er verließ 2007 die Hauptschule mit einem Abgangszeugnis, das durchweg die Noten "mangelhaft" und "ungenügend" ausweist. Anschließend nahm er an einem Berufsvorbereitungsjahr teil und besuchte verschiedene Bildungs- und Integrationsmaßnahmen. Bis Ende Februar 2010 bezog er Leistungen nach dem SGB II.

4

2. Die Ausländerbehörde lehnte den Antrag des Beschwerdeführers auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom 2. März 2010 ab und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Der Aufenthaltserlaubnis stehe nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG die fehlende Lebensunterhaltssicherung entgegen; ein Abweichen von der Regelerteilungsvoraussetzung sei wegen fehlender Integration in Deutschland und geringer Motivation, den Lebensunterhalt dauerhaft aus eigenen Mitteln sicherzustellen, nicht möglich. Der Beschwerdeführer könne sich auch nicht mit Erfolg auf § 25 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 8 EMRK berufen, da er nicht faktisch zum Inländer geworden sei. Seine fehlende Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse sei so stark, dass es auf die Möglichkeit der Integration in der Türkei nur noch untergeordnet ankomme. Dabei dürfe nicht unbeachtet bleiben, dass sein vollziehbar ausreisepflichtiger Vater mit ihm in die Türkei umsiedeln könne; sein Vater habe zudem Freunde in der Türkei, die den Beschwerdeführer dort unterstützen könnten. Das Verlassen des Bundesgebiets würde für den Beschwerdeführer auch keine außergewöhnliche Härte im Sinne von § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG bedeuten.

5

3. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Klage, über die noch nicht entschieden worden ist. Gleichzeitig beantragte er die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Die Ausländerbehörde habe sich nur unzureichend mit der Reichweite des Art. 8 EMRK, den Integrationsleistungen des Beschwerdeführers und den tatsächlichen Folgen einer Ausreise auseinandergesetzt. Der Beschwerdeführer sei in Deutschland geboren, habe hier sein gesamtes bisheriges Leben verbracht und verfüge über gute Deutschkenntnisse. Trotz des formalen Eintritts der Volljährigkeit sei er auf die Hilfe und Zuwendung seiner Familie angewiesen. Mit der Türkei verbinde ihn nur die Staatsangehörigkeit. Er sei noch nie dort gewesen, verfüge über keine sozialen Bindungen dorthin und habe dort weder Verwandte noch Bekannte; die türkische Sprache beherrsche er nicht. Seine Familie sei nicht in der Lage, ihn in der Türkei finanziell zu unterstützen. Der Beschwerdeführer könne auch nicht gemeinsam mit seinem Vater zurückkehren, da dieser zum einen ausgebürgert worden sei, zum anderen frühestens im Oktober 2010 aus der Haft entlassen werde. Der Verweis auf Freunde des Vaters sei rein spekulativ. Insgesamt sei nicht nachvollziehbar, wie es dem Beschwerdeführer möglich sein solle, sich in der Türkei zu (re-)integrieren.

6

4. Mit Beschluss vom 9. April 2010 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab, da sich der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig erweise. Das Gericht folgte der Begründung des Bescheids. Ergänzend wies es darauf hin, dass der Beschwerdeführer trotz der Ausbürgerung seines Vaters türkischer Staatsangehöriger bleibe, dass es ihm zumutbar sei, die türkische Sprache zu erlernen, und dass es seinen in Deutschland lebenden Familienangehörigen freistehe, mit ihm in die Türkei zurückzukehren.

7

5. Mit seiner Beschwerde gegen diese Entscheidung machte der Beschwerdeführer geltend, das Verwaltungsgericht habe den zugrundeliegenden Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unzutreffend gewürdigt und sich mit seinen familiären Bindungen in Deutschland nur unzureichend auseinandergesetzt. Soweit es davon ausgegangen sei, Freunde des Vaters könnten den Beschwerdeführer in der Türkei unterstützen, hätte es zwingend weiterer Sachverhaltsklärung bedurft. Offen geblieben sei zudem, wie der Beschwerdeführer in der Zeit bis zum Erlernen der türkischen Sprache in der Türkei kommunizieren solle.

8

6. Mit Beschluss vom 20. Mai 2010 wies das Oberverwaltungsgericht die Beschwerde zurück: Das Verwaltungsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben werde, weil der Beschwerdeführer die Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfülle und keinen Anspruch nach § 25 Abs. 4 Satz 2 oder Abs. 5 AufenthG habe. Eine im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK hinreichende Integration des Beschwerdeführers könne nicht festgestellt werden, da ihm in keiner Weise eine berufliche Verwurzelung gelungen sei. Der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK dürfte auch unter dem Aspekt des Familienlebens nicht betroffen sein, da gesundheitliche Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers nicht ersichtlich seien und er nicht näher dargelegt habe, inwiefern er auf die Hilfe seiner Mutter und seines älteren Bruders angewiesen sei. Jedenfalls sei der Eingriff nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Mangels beruflicher Integration habe das Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen Einwanderungskontrolle ein überwiegendes Gewicht. Das Leben in der Türkei sei dem Beschwerdeführer nicht unzumutbar. Er sei arbeitsfähig und könne sich wegen seiner Deutschkenntnisse insbesondere im Tourismusgewerbe bewerben. Es sei ihm zuzumuten, sich in Regionen niederzulassen, in denen arabisch gesprochen wird; auch sei er in der Lage, in angemessener Zeit türkisch zu lernen. Unabhängig davon, ob Verwandte oder Freunde des Vaters den Beschwerdeführer unterstützen könnten, sei zu berücksichtigen, dass sein Vater jedenfalls nach der Haftentlassung mit ihm ausreisen könnte; die Ausbürgerung des Vaters stelle kein Hindernis dar, da er sich ohne Weiteres wieder einbürgern lassen könne.

9

7. Mit der fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, dass die Gerichte die Bedeutung von Art. 6 Abs. 1 GG verkannt hätten. Das Verwaltungsgericht habe sich mit dem grundrechtlichen Schutz der Familie und den tatsächlichen Familienverhältnissen überhaupt nicht befasst. Das Oberverwaltungsgericht habe die persönlichen Konsequenzen, die der Verlust der familiären Bindungen für den Beschwerdeführer bedeute, bei der Abwägung nicht berücksichtigt. Der Verweis der Gerichte auf den Vater des Beschwerdeführers und dessen vermeintliche Freunde sei ungeeignet, den Eingriff in Art. 6 Abs. 1 GG zu rechtfertigen. Da der Beschwerdeführer in der Türkei wegen Mittellosigkeit und fehlender Sprachkenntnisse einer sozialen Isolation ausgesetzt wäre, sei Art. 6 Abs. 1 GG bereits durch die Versagung von Eilrechtsschutz verletzt.

10

Darüber hinaus lägen Verstöße gegen Art. 2 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG vor. Die angegriffenen Beschlüsse verkennten die Bedeutung, die der Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK zukomme, da sie die für die Abwägung wesentlichen Umstände nicht erkannt beziehungsweise unberücksichtigt gelassen hätten. Zudem hätten die Gerichte die Entscheidungen auf die fehlenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt, obwohl eine hinreichende Berücksichtigung des Vortrags des Beschwerdeführers zu dem Ergebnis geführt hätte, dass die Aussichten der Klage offen seien und ein Anordnungsanspruch bestehe; die eigenen Feststellungen der Gerichte zeigten, dass der Sachverhalt in wesentlichen Punkten noch klärungsbedürftig sei.

11

8. Das Bundesverfassungsgericht untersagte im Wege der einstweiligen Anordnung der Ausländerbehörde, bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde die angedrohte Abschiebung zu vollziehen (Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 2010 - 2 BvR 1392/10 -).

12

9. Dem Niedersächsischen Justizministerium wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

II.

13

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen Art. 19 Abs. 4 GG.

14

1. Der Grundsatz der Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen. Der Beschwerdeführer hat deutlich gemacht, dass er bereits durch die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes in verfassungsmäßigen Rechten verletzt ist (vgl. zu diesem Erfordernis BVerfGE 35, 382 <397 f.>; 53, 30 <53 f.>; 59, 63 <83 f.>; 76, 1 <40>). Er zeigt auf, dass und weshalb die angegriffenen Entscheidungen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache hätten abhängig machen dürfen, und greift damit eine spezifische Besonderheit des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes an. Der Beschwerdeführer war daher nicht gehalten, vor der Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts zunächst den Rechtsweg in der Hauptsache zu durchlaufen.

15

2. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG.

16

a) Der in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten Garantie eines umfassenden und effektiven Rechtsschutzes kommt wesentliche Bedeutung bereits für den vorläufigen Rechtsschutz zu, dessen Versagung vielfach irreparable Folgen hat. Die nach § 80 Abs. 1 VwGO für den Regelfall vorgeschriebene aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage ist insoweit eine adäquate Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie. Andererseits gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG die aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe im Verwaltungsprozess nicht schlechthin. Überwiegende öffentliche Belange können es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts ist daher ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Der Rechtsschutzanspruch des Bürgers ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 69, 220 <227 f.>; BVerfGK 5, 328 <334>; 11, 179 <186 f.>). Geltung und Inhalt dieser Leitlinien sind nicht davon abhängig, ob der Sofortvollzug eines Verwaltungsakts einer gesetzlichen (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO) oder einer behördlichen Anordnung (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) entspringt (vgl. BVerfGE 69, 220 <228 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. Oktober 2003 - 1 BvR 2025/03 -, NVwZ 2004, S. 93 <94>).

17

b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen auch dann nicht gerecht, wenn man hier den in § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG normierten grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses in Rechnung stellt und daraus folgert, dass die Gerichte - neben der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache - zu einer Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten sind, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die Annahme rechtfertigen können, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 10. Oktober 2003 - 1 BvR 2025/03 -, NVwZ 2004, S. 93 <94>). Ausgehend von der Erkenntnis, dass der Fall im Hauptsacheverfahren zu klärende Sach- und Rechtsfragen aufwirft und deshalb die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache abhängig gemacht werden kann, hätten sich die Verwaltungsgerichte mit den substantiiert vorgetragenen persönlichen Belangen des Beschwerdeführers in einer der Bedeutung dieser Umstände für die Aussetzungsentscheidung angemessenen Weise auseinandersetzen müssen. Daran fehlt es. Zwar ist es grundsätzlich Sache der Fachgerichte, den Sachverhalt zu ermitteln und rechtlich zu würdigen; die Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht ist auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts beschränkt (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; stRspr). Eine solche Verletzung liegt hier jedoch vor. Die Gerichte haben das Vorbringen des Beschwerdeführers einer abschließenden Würdigung in der Art einer Hauptsacheentscheidung unterzogen, ohne naheliegende Einwände zu berücksichtigen und auf die Vorläufigkeit ihrer Würdigung sowie den interimistischen Charakter ihrer Entscheidungen Bedacht zu nehmen, und damit das Gebot effektiven Rechtsschutzes verfehlt.

18

Der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten ist vor allem die Frage, ob die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vor dem Recht auf Achtung des Privatlebens, das Art. 8 Abs. 1 EMRK neben dem Recht auf Achtung des Familienlebens schützt, Bestand haben kann. Die angegriffenen Entscheidungen halten es grundsätzlich für möglich, dass sich ein Ausländer zur Begründung eines Aufenthaltsrechts auf den Schutz des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK berufen kann, stellen jedoch fest, dass die Voraussetzungen, unter denen hieraus ein rechtliches Ausreisehindernis im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG folge oder eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG anzunehmen sei, im Falle des Beschwerdeführers nicht erfüllt seien. Diese Feststellung ist nicht in einer die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes rechtfertigenden Weise begründet. Sowohl das Verwaltungsgericht - durch Inbezugnahme des Bescheids der Ausländerbehörde - als auch das Oberverwaltungsgericht haben einseitig auf die berufliche Integration des Beschwerdeführers abgestellt und damit den Schutzgehalt von Art. 8 Abs. 1 EMRK verkürzt; die Rechtfertigungsprüfung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK lässt eine hinreichende Auseinandersetzung mit den konkreten Lebensverhältnissen des Beschwerdeführers vermissen.

19

aa) Das Recht auf Achtung des Privatlebens umfasst die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind (vgl. EGMR, Urteil der Großen Kammer vom 9. Oktober 2003 - 48321/99 -, Fall Slivenko , EuGRZ 2006, S. 560 <561>) und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (vgl. BVerfGK 11, 153 <159 f.>; BVerwGE 133, 72 <82 f.> m.w.N.). Ein Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK muss nach Art. 8 Abs. 2 EMRK eine in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahme darstellen, die durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und mit Blick auf das verfolgte legitime Ziel auch im engeren Sinne verhältnismäßig ist (vgl. BVerfGK 11, 153 <160> m.w.N.).

20

bb) Hiermit im Einklang steht zwar die in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene Maßstabsbildung, wonach zur Herleitung eines Aufenthaltsrechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ein durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiertes Privatleben erforderlich sei, das nur noch im Bundesgebiet geführt werden kann, und dass es hierfür einerseits auf die Integration des Ausländers in Deutschland, andererseits die Möglichkeit zur (Re-)Integration im Staat der Staatsangehörigkeit ankomme. Allerdings wird die konkrete Würdigung der vom Beschwerdeführer vorgetragenen Umstände zur Verwurzelung in Deutschland und der Entwurzelung hinsichtlich der Türkei dem auf die Erfassung der individuellen Lebensverhältnisse des Ausländers angelegten Prüfprogramm (vgl. BVerfGK 12, 37 <44>; BVerwGE 133, 72 <82 ff.>) nicht gerecht.

21

Die angegriffenen Entscheidungen nehmen keine gewichtende Gesamtbewertung der Lebensumstände des Beschwerdeführers vor (vgl. BVerwGE 133, 72 <84>). Stattdessen stellen sie hinsichtlich des Schutzbereichs von Art. 8 Abs. 1 EMRK einseitig auf die - aus ihrer Sicht fehlenden - wirtschaftlichen Bindungen des Beschwerdeführers an die Bundesrepublik Deutschland ab, indem sie eine misslungene berufliche Integration konstatieren. Die Geburt des Beschwerdeführers in Deutschland sowie das Gewicht des über 18 Jahre andauernden rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet werden nur unzureichend gewürdigt. Der Umstand, dass die gesamte Familie des Beschwerdeführers in Deutschland lebt, und die sonstigen persönlichen Bindungen an die Bundesrepublik Deutschland bleiben gänzlich unberücksichtigt. Nicht in den Blick genommen wird auch das angesichts der bisherigen Straflosigkeit des Beschwerdeführers vergleichsweise geringe Gewicht des die Aufenthaltsbeendigung rechtfertigenden öffentlichen Interesses (vgl. BVerfGK 12, 37 <45>). Im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist das Oberverwaltungsgericht - ebenso wie das Verwaltungsgericht in seinen ergänzenden Hinweisen - dem Fehlen tatsächlicher Verbindungen zur Türkei nicht individuell nachgegangen, obwohl sich in Ansehung der Lebensgeschichte des Beschwerdeführers die Notwendigkeit aufdrängt, die vorgetragene Entwurzelung - insbesondere die fehlenden Kenntnisse der türkischen Sprache und Kultur sowie das Fehlen jeglicher Bezugsperson in der Türkei - aufzuklären. Der Verweis darauf, in angemessener Zeit türkisch lernen und in der Türkei Arbeit finden oder sich jedenfalls in arabisch sprechenden Landesteilen niederlassen und im Tourismusgewerbe bewerben zu können, stützt sich auf globale Erkenntnisse, deren konkrete Bedeutung für den Beschwerdeführer nicht ermittelt worden ist und ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung wohl auch nicht ermittelt werden kann. Entsprechendes gilt für die Behauptung, der ausreisepflichtige Vater könne - jedenfalls nach seiner Haftentlassung - mit dem Beschwerdeführer in die Türkei ausreisen, weil insoweit nicht nur unberücksichtigt geblieben ist, dass die Haftentlassung frühestens im Oktober 2010 möglich war, sondern es auch jeglichen Eingehens auf mögliche konkrete Lebensperspektiven des Vaters und des Beschwerdeführers ermangelt.

22

3. Die angegriffenen Beschlüsse beruhen auf der Grundrechtsverletzung. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Vorgaben zu einer anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt wären. Die Kammer hebt deshalb nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG die angegriffenen Beschlüsse auf und verweist die Sache an das Verwaltungsgericht zurück. Auf das Vorliegen der weiteren gerügten Grundrechtsverstöße kommt es nicht an.

III.

23

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. auch BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Das Gericht hat im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, durch Beschluß über die Kosten zu entscheiden.

(2) Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so entscheidet das Gericht außer in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 4 nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens durch Beschluß; der bisherige Sach- und Streitstand ist zu berücksichtigen. Der Rechtsstreit ist auch in der Hauptsache erledigt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Erledigungserklärung enthaltenden Schriftsatzes widerspricht und er vom Gericht auf diese Folge hingewiesen worden ist.

(3) In den Fällen des § 75 fallen die Kosten stets dem Beklagten zur Last, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.