Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 13. Mai 2019 - 12 ZB 17.2067

bei uns veröffentlicht am13.05.2019
vorgehend
Verwaltungsgericht Regensburg, RO 8 K 17.998, 21.08.2017

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 1.500,00 € festgesetzt.

Gründe

Der Kläger, ausländischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Rückforderung von Wohngeld.

1. Mit zwei Bescheiden vom 11. Januar 2017 nahm der Beklagte gegenüber dem Kläger die Wohngeldbewilligung für die Zeiträume 1. Januar 2016 bis 31. Juli 2016 und 1. August 2016 bis 30. September 2016 zurück und forderte die Erstattung des überzahlten Betrages. Der Kläger habe von seiner Ehefrau erzieltes Arbeitseinkommen, das sich auf die Wohngeldbewilligung auswirke, gegenüber dem Beklagten nicht angegeben. Den gegen diese Bescheide erhobenen Widerspruch wies die Regierung von Unterfranken mit Bescheid vom 21. April 2017 als unbegründet zurück. Ebenso blieb die erhobene Klage erfolglos. Das Verwaltungsgericht sah die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Wohngeldbewilligung nach § 45 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) als gegeben an. Insbesondere könne sich der Kläger nicht auf Vertrauensschutz berufen, da die Wohngeldbewilligung i.S.v. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X auf Angaben beruhe, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Er sei in den entsprechenden Wohngeldanträgen wie auch in den Bewilligungsbescheiden mehrfach auf seine wohngeldrechtlichen Verpflichtungen, wozu auch die Mitteilung über geänderte Einkommensverhältnisse rechne, hingewiesen worden. Die Kenntnisnahme der einschlägigen Belehrungen habe er jeweils unterschriftlich bestätigt. Soweit er sich nunmehr auf Sprachschwierigkeiten bzw. falsche Vorstellungen über die Mitteilungswege zwischen Behörden berufe, könne er damit nicht durchdringen. Hätten Sprachschwierigkeiten dazu geführt, dass er den Inhalt der Belehrungen nicht hinreichend habe erfassen können, gehe dies zu seinen Lasten. Denn in diesem Fall müsse er sich vor einer Unterschriftsleistung ggf. des Beistands sprachkundiger Dritter bedienen. Somit erweise es sich als zumindest grob fahrlässig, wenn der Kläger der Wohngeldstelle die erforderlichen Mitteilungen nicht gemacht habe.

Auch bestehe ab 1. Januar 2016 zutreffend kein Wohngeldanspruch mehr. Soweit der Kläger im gerichtlichen Verfahren weitere Einkommensbelastungen vortragen lasse, könne er damit nicht mehr gehört werden, da insoweit maßgeblich die Kenntnis der Behörde im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts sei. Im Ergebnis ergäbe sich jedoch selbst bei Unterstellung des Vorliegens der behaupteten Belastungen ab 1. Januar 2016 kein Wohngeldanspruch mehr. Überdies habe der Beklagte die behaupteten Belastungen teilweise sogar widerlegt. Die Rücknahme der Bewilligungsbescheide ab 1. Januar 2016 ziehe nach § 50 Abs. 1 SGB X die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Wohngelds nach sich.

Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung, mit dem sein Bevollmächtigter ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sowie Verfahrensfehler i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend macht. Der Beklagte tritt dem Zulassungsantrag entgegen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

2. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da Berufungszulassungsgründe - sofern überhaupt den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt - nicht vorliegen.

2.1 Die Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts Regensburg ist nicht i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ernstlich zweifelhaft.

2.1.1 Dies gilt zunächst, soweit der Bevollmächtigte des Klägers darauf verweist, die angefochtenen Bescheide seien bereits aufgrund des „Rückwirkungsverbots“ unwirksam, da die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts nach § 48 VwVfG lediglich bis zu dem Zeitpunkt Wirkung entfalte, in dem er erlassen und wirksam geworden sei. Insoweit verweist der Beklagte zutreffend darauf, dass Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Wohngeldbewilligungsbescheide des Klägers § 45 Abs. 1 SGB X ist, der die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts auch für die Vergangenheit ermöglicht.

2.1.2 Dem Kläger kommt im vorliegenden Fall, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, auch kein Vertrauensschutz zu, da zu seinen Lasten § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X eingreift. Danach kann sich der durch einen Verwaltungsakt Begünstigte im Falle von dessen Rücknahme nicht auf Vertrauensschutz berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Das Verschweigen bestimmter Umstände - im vorliegenden Fall der Einkünfte der Ehefrau im maßgeblichen Zeitraum - wird als unrichtige Angabe angesehen, soweit nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) eine Mitteilungspflicht bestand, weil die entsprechenden Umstände für die Bewilligung der in Rede stehenden Leistung erheblich waren (vgl. hierzu m.w.N. Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 45 Rn. 49). Grob fahrlässig verletzt seine Mitwirkungspflicht nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. HS SGB X, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße außer Acht lässt, d.h. wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. hierzu m.w.N. Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 45 Rn. 52). Zwar vermögen unzureichende Kenntnisse der deutschen Sprache vom Grundsatz her den Betroffenen aufgrund des anzulegenden subjektiven Sorgfaltsmaßstabs zu entlasten. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn er einen Antrag oder ein Formular ohne jede Nachprüfung gewissermaßen „blind“ unterschreibt. Insoweit obliegt es dem Betroffenen, sich durch Hinzuziehung einer hinreichend sprachkundigen Person über den Inhalt beispielsweise einer Belehrung über die zu beachtenden Mitteilungspflichten im Wohngeldverfahren Gewissheit zu verschaffen (vgl. hierzu BSG, U.v. 1 7.2010 - B 13 R 77/09 R - BeckRS 2010, 72717 Rn. 33). Tut der Betroffene dies nicht, handelt er grob fahrlässig. Von daher kann den Kläger sein Vortrag, er habe infolge von Sprachschwierigkeiten die Belehrung über die ihn treffenden Mitteilungspflichten nicht verstanden, nicht vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit entlasten.

Hinzu kommt, dass der Kläger entsprechende Sprachschwierigkeiten lediglich behauptet, hingegen nicht näher belegt hat. Zweifel an seinen fehlenden Sprachkenntnissen bestehen schon deshalb, weil er zwar in der Lage war, das Antragsformular für Wohngeld auszufüllen, jedoch lediglich die Information über seine nachgelagerten Mitwirkungspflichten nicht verstanden haben will.

Auch das weitere Vorbringen des Klägers, er habe seinen Mitwirkungspflichten aufgrund eines „Irrtums über die Mitteilungswege zwischen den Behörden“ nicht genügt, vermag ihn vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nicht zu entlasten. Denn zum einen erweist sich der Vortrag eines Irrtums über Behördenmitteilungswege bereits als viel zu allgemein und unsubstantiiert. Zum anderen liegt der Fahrlässigkeitsvorwurf auch diesbezüglich beim „blinden“ Unterschreiben des Belehrungsformulars. Denn dieses weist ausdrücklich auf die Pflicht des Leistungsempfängers selbst hin, Veränderungen im Einkommen bei der Wohngeldbehörde anzuzeigen. Hätte der Kläger diese Belehrung zur Kenntnis genommen, hätte ihm klar sein müssen, dass hier Mitteilungen zwischen Behörden keinerlei Rolle spielen. Von daher kann das Vorbringen im Berufungszulassungsverfahren den Ausschluss des Vertrauensschutzes nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht widerlegen.

2.1.3 Als unzutreffend erweist sich ferner die Auffassung des Klägerbevollmächtigten, dass einem sprachunkundigen Ausländer Bescheide grundsätzlich in die jeweilige Landessprache zu übersetzen seien. Inwieweit der Umstand, dass der Kläger Anhörungsschreiben und Rechtsbehelfsbelehrung:en nicht verstanden haben will, zur Unrichtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung führen soll, ergibt sich aus der Zulassungsbegründung ebenfalls nicht. Dass der Kläger weder im Widerspruchs- noch im Klageverfahren Belege vorgelegt bzw. Angaben zu seiner Entlastung gemacht hat, ließe sich schon deshalb nicht mit angeblichen Sprachschwierigkeiten entschuldigen, weil er zu diesem Zeitpunkt von einem der deutschen Sprache mächtigen Prozessbevollmächtigten vertreten war.

2.1.4 Soweit der Kläger die Berechnung des Wohngeldanspruchs und die Höhe der geforderten Rückzahlung bestreitet, kann er damit die Zulassung der Berufung ebenfalls nicht erwirken. Der Beklagte hat sowohl im Klageverfahren wie auch im Berufungszulassungsverfahren eine entsprechende Berechnung vorgelegt, aus der sich unter Einbeziehung auch der vom Kläger geltend gemachten Kinderbetreuungskosten kein Anspruch auf Wohngeld ergibt. Dem ist der Kläger in keiner Weise substantiiert entgegengetreten. Auch der weitere Vortrag, ihm sei Wohngeld lediglich bis Mai 2016 gezahlt worden, berücksichtigt nicht, dass der Beklagte Wohngeldansprüche des Klägers mit Überzahlungen aus der Vergangenheit aufgerechnet hat, wie sich aus den jeweiligen Festsetzungsbescheiden ergibt. Hiermit setzt sich der Kläger ebenfalls nicht auseinander. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung resultieren aus dem Zulassungsvorbringen daher nicht.

2.1.5 Als unbehelflich erweist sich ferner die „vollumfängliche Bezugnahme“ auf die Klagebegründung vom 14. Juni 2017 zur Darlegung der Zulassungsgründe. Derartig allgemeine Bezugnahmen ersetzen weder die Durchdringung des Streitstoffs noch die geforderte Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 59; BayVGH, B.v. 2.6.2016 - 9 ZB 13.1905 - BeckRS 2016, 47791). Es ist nicht Aufgabe des Berufungsgerichts, sich aus einem allgemein in Bezug genommenen Schriftsatz diejenigen Aspekte herauszusuchen, die möglicherweise ein taugliches Zulassungsvorbringen beinhalten.

2.2 Der von der Bevollmächtigten des Klägers „vorsorglich“ gerügte Verfahrensmangel i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt nicht vor. Entgegen dem Vorbringen in der Zulassungsbegründung hat das Verwaltungsgericht die vom Kläger geltend gemachten „Kinderbetreuungskosten“ bei der Klageabweisung berücksichtigt. Zunächst referiert der Tatbestand des angefochtenen Urteils (Umdruck S. 3) die vom Kläger geltend gemachten „Kinderbetreuungskosten von 1.303,00 €“. Weiter wird in den Entscheidungsgründen ausgeführt, der Beklagtenvertreter habe in der mündlichen Verhandlung, zu der der Kläger nicht erschienen sei, zu den behaupteten Belastungen ausführliche Berechnungen vorgelegt und erläutert, aus denen sich ergeben habe, dass selbst bei Unterstellung des Vorliegens der Belastungen sich kein Wohngeldanspruch des Klägers errechne. Dies lässt sich im Übrigen auch aus der der Antragserwiderung des Beklagten beigefügten Berechnung ablesen. Ein Verfahrensfehler ist mithin nicht ersichtlich.

2.3 Soweit der Klägerbevollmächtigte schließlich im Rahmen des Zulassungsverfahrens einen Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 29. Dezember 2017 über die Einstellung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens gegen den Kläger nach dem Wohngeldgesetz vorlegt, wird nicht ersichtlich, inwieweit sich daraus Berufungszulassungsgründe ableiten lassen sollen.

Der Zulassungsantrag war daher insgesamt abzulehnen.

3. Der Kläger trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Streitwert bestimmt sich nach §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 3 GKG. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das verwaltungsgerichtliche Urteil nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 13. Mai 2019 - 12 ZB 17.2067 zitiert 12 §§.

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(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

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(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

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(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

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(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochte

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 45 Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes


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Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 48 Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes


(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erhebliche

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 50 Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen


(1) Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Sach- und Dienstleistungen sind in Geld zu erstatten. (2) Soweit Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, sind sie zu erstatt

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(1) Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat 1. alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen,2. Änderungen

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Bundessozialgericht Urteil, 01. Juli 2010 - B 13 R 77/09 R

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Tatbestand 1 Die Beteiligten streiten über die Berechtigung der Beklagten, den Bescheid über die Bewilligung einer Witwerrente wegen Wiederheirat des Klägers rückwirkend

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(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Sach- und Dienstleistungen sind in Geld zu erstatten.

(2) Soweit Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, sind sie zu erstatten. §§ 45 und 48 gelten entsprechend.

(2a) Der zu erstattende Betrag ist vom Eintritt der Unwirksamkeit eines Verwaltungsaktes, auf Grund dessen Leistungen zur Förderung von Einrichtungen oder ähnliche Leistungen erbracht worden sind, mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich zu verzinsen. Von der Geltendmachung des Zinsanspruchs kann insbesondere dann abgesehen werden, wenn der Begünstigte die Umstände, die zur Rücknahme, zum Widerruf oder zur Unwirksamkeit des Verwaltungsaktes geführt haben, nicht zu vertreten hat und den zu erstattenden Betrag innerhalb der von der Behörde festgesetzten Frist leistet. Wird eine Leistung nicht alsbald nach der Auszahlung für den bestimmten Zweck verwendet, können für die Zeit bis zur zweckentsprechenden Verwendung Zinsen nach Satz 1 verlangt werden; Entsprechendes gilt, soweit eine Leistung in Anspruch genommen wird, obwohl andere Mittel anteilig oder vorrangig einzusetzen sind; § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bleibt unberührt.

(3) Die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Die Festsetzung soll, sofern die Leistung auf Grund eines Verwaltungsakts erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes verbunden werden.

(4) Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Absatz 3 unanfechtbar geworden ist. Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. § 52 bleibt unberührt.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten bei Berichtigungen nach § 38 entsprechend.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat

1.
alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen,
2.
Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen,
3.
Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen.
Satz 1 gilt entsprechend für denjenigen, der Leistungen zu erstatten hat.

(2) Soweit für die in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Angaben Vordrucke vorgesehen sind, sollen diese benutzt werden.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Berechtigung der Beklagten, den Bescheid über die Bewilligung einer Witwerrente wegen Wiederheirat des Klägers rückwirkend aufzuheben und überzahlte Rentenleistungen zurückzufordern.

2

Der 1947 in der Türkei geborene Kläger kam 1970 nach Deutschland. Hier heiratete er 1974 die am 1.5.1990 verstorbene Versicherte. Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 19.11.1990 ab dem Todestage der Versicherten Witwerrente in Höhe von 435,52 DM monatlich, die unter Anrechnung des Einkommens aus einer abhängigen Beschäftigung des Klägers gezahlt wurde. Der Bescheid vom 19.11.1990 enthielt unter der Überschrift "Auflagen und Vorbehalte" folgenden Passus: "Die hiermit getroffenen Feststellungen beruhen auf den hier vorliegenden Unterlagen. Sie können auf ihre Richtigkeit überprüft werden, wenn sich herausstellt, daß die vorliegenden Unterlagen unvollständig oder unrichtig sind. Sie sind verpflichtet, uns sofort von einer Wiederheirat Mitteilung zu geben."

3

Am 19.7.1991 heiratete der Kläger erneut. Dies teilte er der Beklagten nicht mit. Die Beklagte erhielt auch nicht anderweitig Kenntnis von der Eheschließung. Insbesondere wegen des schwankenden Erwerbseinkommens des Klägers erging in der Folgezeit eine Vielzahl von Änderungsbescheiden betreffend die Höhe der Witwerrente.

4

Ab Februar 2003 befand sich der Kläger in Altersteilzeit. Vor diesem Hintergrund berücksichtigte die Beklagte bei den laufenden Rentenzahlungen ab Juli 2005 ein monatliches Einkommen von 1364,52 Euro. Aufgrund aktualisierter Angaben war aus Sicht der Beklagten für die Zeit ab 1.7.2006 ein noch höheres Einkommen zu berücksichtigen, nach dessen Anrechnung sich kein Rentenzahlbetrag mehr ergab. Deshalb hob sie mit Bescheid vom 10.8.2006 den Bescheid vom 19.11.1990 über die Bewilligung der Witwerrente mit Wirkung vom 1.7.2006 auf und verpflichtete den Kläger zur Erstattung der für den Zeitraum vom 1.7. bis 31.7.2006 eingetretenen Überzahlung in Höhe von 207,35 Euro. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein, mit dem er geltend machte, sein tatsächliches Einkommen werde sich ab dem nächsten Jahr wesentlich reduzieren, da er in Frührente gehen werde. Die geforderte Überzahlung erstattete er unter Vorbehalt. Eine Entscheidung über den Widerspruch traf die Beklagte in der Folgezeit nicht.

5

Im April 2007 kam es zu einem Kontakt zwischen dem Kläger und dem Servicezentrum der Beklagten in Gummersbach. In diesem Zusammenhang gelangte eine Kopie des türkischen Standesregisters des Klägers zu den Verwaltungsakten, aus dem sich dessen Wiederheirat einschließlich des Heiratsdatums ergab.

6

Nach Anhörung des Klägers hob die Beklagte mit Bescheid vom 20.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.2.2008 den Bescheid vom 19.11.1990 über die Bewilligung der Witwerrente rückwirkend zum 1.8.1991 auf und forderte die für den Zeitraum vom 1.8.1991 bis 30.6.2006 zu Unrecht erbrachten Rentenleistungen in Höhe von 31 667,92 Euro zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Anspruch auf Witwerrente sei mit Wirkung vom 1.8.1991 wegen der Wiederheirat des Klägers entfallen. Die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 und 4 SGB X lägen vor, da der Kläger in dem Ausgangsbescheid auf die Bedeutung einer Wiederheirat für den Bestand der Witwerrente schriftlich hingewiesen worden sei. Zudem sei er im Antrag auf Witwerrente dazu befragt worden, ob er nach dem Tode der Versicherten wieder geheiratet habe und ob diese Ehe noch bestehe. Ihm hätte daher bewusst sein müssen, dass sich eine anschließende Ehe auf die Witwerrente auswirke. Bei diesem Sachverhalt könne die Rente auch rückwirkend nach Ablauf von zehn Jahren zurückgefordert werden. Ein zur Ermessensausübung zwingender atypischer Fall liege nicht vor. Denn die Leistungsüberzahlung falle allein in den Verantwortungsbereich des Klägers und sei ausschließlich auf sein Fehlverhalten zurückzuführen.

7

Mit Urteil vom 21.8.2008 hat das SG den Bescheid vom 20.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.2.2008 aufgehoben. Zwar seien die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 und 4 SGB X erfüllt. Die Beklagte habe aber dennoch die Bewilligung der Witwerrente nicht rückwirkend zum 1.8.1991 aufheben dürfen, weil die Voraussetzungen des § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X iVm § 45 Abs 3 Satz 4 SGB X nicht erfüllt seien. Denn die Witwerrente sei nur bis Juni 2006 gezahlt worden, und das Verwaltungsverfahren über die Aufhebung habe erst rund ein Jahr später begonnen.

8

Im Berufungsverfahren hat der Kläger den Widerspruch gegen den Bescheid vom 10.8.2006 zurückgenommen. Ferner haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, Gegenstand des Verfahrens sei nur noch der Bescheid vom 20.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.2.2008.

9

Mit Urteil vom 3.6.2009 hat das LSG das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X seien gegeben. Durch die Wiederheirat des Klägers am 19.7.1991 und den dadurch bedingten Wegfall seines Anspruchs auf Witwerrente sei mit Ablauf des 31.7.1991 in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten. Eine objektive Mitteilungspflichtverletzung liege vor, weil der Kläger die Beklagte nicht über seine Wiederheirat im Jahre 1991 in Kenntnis gesetzt habe. Dem Kläger sei auch grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen. Der entsprechende Hinweis der Beklagten im Ursprungsbescheid vom 19.11.1990 sei leicht verständlich und eindeutig. Es bestünden keine Zweifel daran, dass der Kläger nach seinen geistigen Fähigkeiten in der Lage gewesen sei, den Hinweis zu verstehen. Denn er habe sich bereits seit 1970 in Deutschland aufgehalten und sei durchgehend berufstätig gewesen. Zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids vom 19.11.1990 sei er als Schlosser und damit als Facharbeiter beschäftigt gewesen, was für ein ausreichendes intellektuelles Niveau zum Verständnis des Hinweises spreche. Einem der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtigen Versicherten sei im Rahmen seiner Sorgfaltspflichten zuzumuten, alles Erforderliche zu unternehmen, um etwaige Verständigungsprobleme auszuräumen. Dieser Grundsatz gelte auch für den Kläger, der ihn bezogen auf den Bewilligungsbescheid vom 19.11.1990 aber nicht beachtet habe. Damit habe er gegen seine Verpflichtung verstoßen, Bewilligungsbescheide zu lesen und vollständig zur Kenntnis zu nehmen.

10

Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X lägen vor. Denn der Kläger hätte erkennen müssen, dass die Wiederheirat entscheidenden Einfluss auf den Fortbestand seines Anspruchs auf Witwerrente habe. Dass eine Witwerrente nur bis zur Wiederheirat gezahlt werde, könne als allgemein geläufig angesehen werden.

11

Die Aufhebung des Bescheids vom 19.11.1990 sei innerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X iVm § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X ab Kenntnis der Beklagten von der Änderung der tatsächlichen Umstände erfolgt. Kenntnis von der Wiederheirat habe die Beklagte erstmals im April 2007 anlässlich der Vorsprache des Klägers im Servicezentrum in Gummersbach erhalten; die Aufhebung sei sodann mit Bescheid vom 20.8.2007 erfolgt. Es sei weder vorgetragen noch sonst erkennbar, dass die Beklagte schon zuvor Kenntnis von der Wiederheirat erhalten habe.

12

Die Aufhebung sei gemäß § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X iVm § 45 Abs 3 Satz 4 SGB X auch jenseits der Zehnjahresfrist möglich gewesen, da die Geldleistung im Sinne dieser Vorschriften bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Aufhebung gezahlt worden sei. Denn das sich aus dem Bewilligungsbescheid ergebende (vermeintliche) Rentenstammrecht habe im Zeitpunkt der Aufhebung bestanden; der Leistungsfall sei noch nicht vollständig abgeschlossen gewesen. Unschädlich sei, ob im Einzelfall für bestimmte Zwischenzeiträume wegen zu hohen anrechenbaren Einkommens tatsächlich keine Rentenleistungen ausgekehrt worden seien. Die Gesetzgebungsgeschichte bestätige diese Auslegung. In der Gesetzesbegründung werde betreffend die Reichweite des § 45 Abs 3 Satz 4 SGB X nicht auf die tatsächliche Zahlung, sondern darauf abgestellt, ob es sich um "abgeschlossene Fälle" handele. Die Gesetzesmaterialien nähmen ausdrücklich auf das seinerzeitige Anliegen des Bundesrechnungshofs Bezug, unredliche Leistungsbezieher im Rahmen der Fristenregelung des § 45 Abs 3 SGB X nicht zu begünstigen. Auch dies spreche dafür, § 45 Abs 3 Satz 4 SGB X in erster Linie im Sinne einer Vertrauensschutzregelung zu bewerten, die eine Rückforderung nur dann ausschließe, wenn der Versicherte wegen des zwischenzeitlichen vollständigen Abschlusses des Leistungsfalls nicht mehr mit weiteren Maßnahmen des Versicherungsträgers rechnen müsse. Im konkreten Fall verdiene der Kläger schon deshalb keinen Vertrauensschutz, weil die Zahlungseinstellung noch nicht bestandskräftig gewesen sei. Mit der Einlegung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 10.8.2006 habe er zum Ausdruck gebracht, dass er den Leistungsfall und seinen Zahlungsanspruch keineswegs als abgeschlossen betrachtet habe.

13

Die Beklagte sei auch nicht zur Ermessensausübung verpflichtet gewesen, da kein atypischer Fall vorliege. Weder der Aufhebungszeitraum von ca 15 Jahren noch die Höhe des Erstattungsbetrags seien geeignet, eine Atypik zu begründen. Die Überzahlung, deren Rechtswidrigkeit der Kläger ohne weiteres hätte erkennen können, sei allein Folge der Verletzung seiner Mitteilungspflicht gewesen. Es sei auch nicht erkennbar, dass der Kläger durch die Rückzahlungsverpflichtung in wirtschaftliche Bedrängnis gerate. Die Verpflichtung zur Erstattung des überzahlten Betrags folge aus § 50 Abs 1 SGB X. Bedenken gegen die Berechnung der Höhe des Erstattungsbetrags bestünden nicht.

14

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Nichteinhaltung der Fünfmonatsfrist zur Absetzung des Urteils. Das angefochtene Urteil sei am 3.6.2009 verkündet worden, seinen Prozessbevollmächtigten aber erst am 10.11.2009 zugegangen. Auch das Datum der Übersendung (Absendevermerk vom 5.11.2009) liege außerhalb der Fünfmonatsfrist. Materiell-rechtlich rügt er eine Verletzung des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X und des § 45 Abs 3 Satz 4 SGB X. Entgegen der Ansicht des LSG habe er nicht grob fahrlässig unterlassen, der Beklagten seine Wiederheirat anzuzeigen. Er selbst sei aufgrund seiner Probleme, die deutsche Sprache in Wort und Schrift ausreichend zu verstehen, ohne fremde Hilfe nicht in der Lage gewesen, den Bescheid inhaltlich zu verstehen. Selbst wenn er seinerzeit mit seinem deutschen Nachbarn, mit dem er die Rentenangelegenheiten üblicherweise erledigt habe, über den Hinweis, die Wiederheirat müsse angezeigt werden, gesprochen hätte, könne ihm kein grob fahrlässiges Verhalten unterstellt werden, da ihm die Anzeigepflicht zum Zeitpunkt der Wiederheirat und danach nicht mehr bewusst gewesen sei; er diese vielmehr schlicht (normal) fahrlässig vergessen habe. Auch könne nicht ausgeschlossen werden, dass sein Nachbar ihn nicht auf die Verpflichtung zur Anzeige der Wiederheirat hingewiesen habe. Insofern rüge er die mangelnde Aufklärung der genauen Umstände, unter denen er den Bescheid vom 19.11.1990 erhalten und zur Kenntnis genommen habe. Entgegen der Ansicht des LSG liege eine Zahlung iS von § 45 Abs 3 Satz 4 SGB X nur vor, wenn das Geld, um dessen Leistung es gehe, tatsächlich gezahlt werde, dh den Besitzer wechsele. Der Begriff "Zahlung" meine den letzten Schritt der Leistungsgewährung. Dies sei vorliegend aber zu Beginn des Verwaltungsverfahrens über die streitgegenständliche Aufhebung nicht mehr der Fall gewesen, weil er zu diesem Zeitpunkt keine Rentenzahlung mehr erhalten habe. Schließlich liege entgegen der Meinung des LSG auch ein atypischer Fall vor.

15

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 3.6.2009 zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Köln vom 21.8.2008 zurückzuweisen.

16

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

17

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

18

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 165, § 153 Abs 1, § 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

19

Die durch Zulassung statthafte Revision des Klägers ist zulässig. Sie ist aber nicht begründet.

20

1. Im Revisionsverfahren vom Amts wegen zu beachtende Sachentscheidungshindernisse liegen nicht vor.

21

2. Auch die vom Kläger gerügte Überschreitung der Fünfmonatsfrist für die Absetzung des Urteils ist nicht gegeben. Nach § 547 Nr 6 ZPO, der über § 202 SGG auch in sozialgerichtlichen Verfahren gilt, iVm § 136 Abs 1 Nr 6 SGG ist eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen, wenn sie nicht mit Gründen versehen ist. Das Fehlen von Entscheidungsgründen liegt nach der Rechtsprechung auch vor, wenn ein Urteil nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den beteiligten Berufsrichtern unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist (Senatsurteil vom 20.11.2003 - B 13 RJ 41/03 R - BSGE 91, 283 = SozR 4-1500 § 120 Nr 1, RdNr 4; BSG Beschluss vom 17.2.2009 - B 2 U 189/08 B - SozR 4-1750 § 547 Nr 2 RdNr 5; Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 27.4.1993 - GmSOGB 1/92 - SozR 3-1750 § 551 Nr 4).

22

Diese Frist hat das LSG eingehalten. Das angefochtene Urteil ist am 3.6.2009 verkündet und am 22.10.2009 der Geschäftsstelle übergeben worden. Dies ergibt sich aus der vom Senat eingeholten Auskunft des LSG vom 8.2.2010 und den vom LSG übersandten Unterlagen (Urschrift des Urteils mit dem dortigen Stempelaufdruck "Urteil zur Geschäftsstelle am 22. OKT. 2009").

23

3. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist eine Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Variante 1 SGG); mit ihr begehrt der Kläger die Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 20.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.2.2008. Dieser Bescheid enthält zwei Verfügungssätze. Zum einen hat die Beklagte die mit Bescheid vom 19.11.1990 erfolgte Bewilligung der Witwerrente rückwirkend zum 1.8.1991 aufgehoben. Zum anderen hat sie die Erstattung der für den Zeitraum vom 1.8.1991 bis 30.6.2006 zu Unrecht erbrachten Rentenleistungen in Höhe von 31 667,92 Euro verlangt. Über die Rechtmäßigkeit dieser beiden Verfügungssätze hat der Senat zu entscheiden.

24

Einer ausdrücklichen Aufhebung der nach Erlass des Ursprungsbescheids vom 19.11.1990 regelmäßig wegen der Einkommensanrechnung ergangenen Änderungsbescheide bedurfte es nicht. Denn bei ihnen handelt es nach den Feststellungen des LSG ihrem Inhalt nach ausschließlich um solche, die den Witwerrentenanspruch des Klägers nur der Höhe und nicht dem Grunde nach betrafen, dh die Beklagte hat nach dem 19.11.1990 über die Grundlagen der Anspruchsberechtigung des Klägers auf Witwerrente nicht mehr entschieden. Erledigt sich aber der Grundlagenbescheid (hier also die Rentenbewilligung) durch Aufhebung, erledigen sich auch die in der Folge wegen Einkommensanrechnung ergangenen Änderungsbescheide, ohne dass es deren ausdrücklicher Aufhebung bedarf (§ 39 Abs 2 SGB X Erledigung "auf andere Weise"; vgl BSG Urteil vom 16.6.1999 - B 9 V 4/99 R - BSGE 84, 108, 110 = SozR 3-3900 § 22 Nr 1 S 3; Steinwedel in Kasseler Komm, Stand 2010, § 39 SGB X RdNr 26 mwN).

25

4. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Beklagte berechtigt war, den Bescheid über die Bewilligung einer Witwerrente vom 19.11.1990 wegen der Wiederheirat des Klägers rückwirkend zum 1.8.1991 aufzuheben und die überzahlten Rentenleistungen für den Zeitraum vom 1.8.1991 bis 30.6.2006 in Höhe von 31 667,92 Euro zurückzufordern.

26

Als Rechtsgrundlagen für den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 20.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.2.2008 kommen nur § 48 Abs 1 SGB X und § 50 Abs 1 SGB X in Betracht.

27

Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X), oder soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X).

28

a) Es ist nicht zu beanstanden, dass das LSG die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 und 4 SGB X bejaht hat.

29

aa) Bei der mit Bescheid vom 19.11.1990 erfolgten Bewilligung der Witwerrente ab 1.5.1990 handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Die erforderliche wesentliche Änderung in den (tatsächlichen) Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, liegt darin, dass der Kläger am 19.7.1991 wieder geheiratet hat (vgl BSG Urteile vom 11.12.1992 - 9a RV 20/90 - BSGE 72, 1 = SozR 3-1300 § 48 Nr 22 S 30; vom 11.7.1985 - 5b/1 RJ 82/84 - SozR 2200 § 1291 Nr 29 S 88). Denn nach dem hier noch anwendbaren - bis 31.12.1991 geltenden - § 1291 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) fielen Witwerrenten mit dem Ablauf des Monats weg, in dem der Berechtigte wieder heiratete, hier also zum 1.8.1991. Dies ergibt sich auch aus dem seit 1.1.1992 geltenden § 46 Abs 1 und 2 SGB VI, wonach der Anspruch auf Witwen- oder Witwerrente davon abhängig ist, dass die Witwe oder der Witwer "nicht wieder geheiratet haben". Damit hat der Gesetzgeber unter Verzicht auf eine besondere Wegfallbestimmung, das Nichtverheiratetsein der Witwe oder des Witwers als Anspruchsgrundlage normiert, ohne jedoch eine Rechtsänderung zur Rechtslage nach der RVO bezwecken zu wollen (BSG Urteil vom 11.12.1992 - 9a RV 20/90 - BSGE 72, 1, 2 = SozR 3-1300 § 48 Nr 22 S 30 unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung in BR-Drucks 120/89 S 164 zu § 46 des Entwurfs zum Rentenreformgesetz 1992). Entsprechend bestimmt § 100 Abs 3 Satz 1 SGB VI, dass, sofern aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegfallen, die Rentenzahlung mit dem Beginn des Kalendermonats endet, zu dessen Beginn der Wegfall wirksam ist.

30

bb) Der Kläger hat es unterlassen, der Beklagten seine Wiederheirat mitzuteilen. Zu dieser Mitteilung war er gesetzlich verpflichtet. Dies ergibt sich aus § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB I, wonach derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, ua Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen hat.

31

cc) Diese Pflicht hat der Kläger, wie das LSG rechtsfehlerfrei ausgeführt hat, grob fahrlässig verletzt. Es ist weder vom Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass das LSG den revisionsrechtlich überprüfbaren Entscheidungsspielraum bei der Feststellung der groben Fahrlässigkeit überschritten hat.

32

Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird (vgl § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 letzter Teils SGB X). Das BSG hat bereits mehrfach entschieden, dass die Feststellung grober Fahrlässigkeit nur in engen Grenzen revisionsrechtlich überprüfbar ist (vgl Urteile vom 5.9.2006 - B 7a AL 14/05 R - BSGE 97, 73 = SozR 4-4300 § 144 Nr 15, RdNr 24; vom 13.7.2006 - B 7a AL 16/05 R - SozR 4-4300 § 122 Nr 5 RdNr 14; vom 28.11.1978 - 4 RJ 130/77 - BSGE 47, 180, 181 ff = SozR 2200 § 1301 Nr 8 S 20 ff). Das Revisionsgericht prüft nur, ob das LSG den Entscheidungsspielraum bei der Feststellung der groben Fahrlässigkeit als solchen verkannt hat. Insofern ist das Berufungsurteil nicht zu beanstanden. Das LSG hat entsprechend der ständigen Rechtsprechung des BSG bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit einen subjektiven Maßstab angelegt (vgl zB Urteile vom 29.10.2008 - B 11 AL 52/07 R - SozR 4-4300 § 118 Nr 2 RdNr 20; vom 13.7.2006 aaO; vom 9.2.2006 - B 7a AL 58/05 R - Juris RdNr 16). Es ist auch ansonsten nicht von einer unzutreffenden Rechtsansicht hinsichtlich des Begriffs der groben Fahrlässigkeit ausgegangen. Das Revisionsvorbringen des Klägers richtet sich insoweit allein gegen die Würdigung der tatsächlichen Feststellungen durch das LSG - insbesondere zur Erkennbarkeit und Verständlichkeit der Mitteilungspflicht. Die Beweiswürdigung entzieht sich aber im Regelfall der revisionsrechtlichen Überprüfung, wenn sie nicht mit zulässigen Verfahrensrügen (zB Verstoß gegen Denkgesetze, Naturgesetze, allgemeine Erfahrungssätze oder Außerachtlassen des Gesamtergebnisses des Verfahrens) angegriffen wird, was hier nicht der Fall ist.

33

Das LSG hat - unangegriffen und damit für den Senat bindend (§ 163 SGG) - festgestellt, dass die Belehrung im Bewilligungsbescheid vom 19.11.1990 über die sofortige Mitteilungspflicht bei Wiederheirat eindeutig und leicht verständlich und der Kläger nach seinen intellektuellen Fähigkeiten in der Lage gewesen ist, den entsprechenden Hinweis zu verstehen und auch danach zu handeln. Den Adressaten eines Bewilligungsbescheids trifft die Obliegenheit, diesen zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen (BSG Urteil vom 8.2.2001 - B 11 AL 21/00 R - SozR 3-1300 § 45 Nr 45 S 153 f; Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 45 RdNr 56). Sofern der Kläger sich insoweit auf schlechte eigene deutsche Sprachkenntnisse beruft, ist das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass er sich durch Hinzuziehung einer für die Übersetzung ausreichend sprachkundigen Person (zB Dolmetscher) hinreichende Klarheit über den Inhalt des Bescheids hätte verschaffen müssen (vgl BSG Urteil vom 24.4.1997 - 11 RAr 89/96 - Juris RdNr 23; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 31.7.2007 - L 12 AL 124/06 - Juris RdNr 32; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 6.12.2000 - L 5 AL 4372/00 - Juris RdNr 41; vgl auch BVerfG Beschluss vom 2.6.1992 - 2 BvR 1401/91, 2 BvR 254/92 - BVerfGE 86, 280, 284 f). Dass der Kläger hierzu nicht in der Lage gewesen sei, hat das LSG nicht festgestellt. Gegenteiliges ist vom Kläger auch in der Revision nicht vorgetragen worden. Insbesondere hat er auch keine zulässige und begründete Sachaufklärungsrüge erhoben. Sofern der Kläger rügt, das LSG habe seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 103 SGG) insoweit verletzt, als es die genauen Umstände, unter denen er den Bescheid vom 19.11.1990 seinerzeit erhalten und zur Kenntnis genommen habe, hätte aufklären müssen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich, warum sich das LSG - ausgehend von seiner Rechtsauffassung und in Anbetracht des von ihm festgestellten Sachverhalts - zu einer weiteren Sachaufklärung hätte gedrängt sehen müssen.

34

dd) Die Schlussfolgerung des LSG, dass dem Kläger Vertrauensschutz auch gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X abzusprechen ist, weil er zumindest aus grob fahrlässiger Unkenntnis nicht gewusst hat, dass ihm nach seiner Wiederheirat die mit Bescheid vom 19.11.1990 bewilligte Witwerrente nicht mehr zustehe, ist nach den vom LSG festgestellten Umständen revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.

35

b) Die Aufhebung der Rentenbewilligung mit Bescheid vom 20.8.2007 erfolgte gemäß § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X, der über § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X entsprechend anzuwenden ist, innerhalb eines Jahres ab Kenntnis der Beklagten von der wesentlichen Änderung der Verhältnisse. Denn nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG hat die Beklagte erstmals im April 2007 anlässlich einer persönlichen Vorsprache des Klägers in ihrem Servicezentrum in Gummersbach Kenntnis von dessen Wiederheirat erhalten.

36

c) Der Aufhebung der Rentenbewilligung mit Bescheid vom 20.8.2007 steht nicht entgegen, dass die für die Aufhebung maßgebliche wesentliche Änderung in den Verhältnissen (Wiederheirat am 19.7.1991 und Wegfall des Witwerrentenanspruchs mit Ablauf des Monats Juli 1991) bereits vor über zehn Jahren eingetreten war. Dies ergibt sich aus der Verweisung in § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X. Danach "gelten" ua die Sätze 3 bis 5 des § 45 Abs 3 SGB X "entsprechend". Einschlägig ist vorliegend die Bestimmung des § 45 Abs 3 Satz 4 SGB X.

37

Nach § 45 Abs 3 Satz 3 Nr 1 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe nach Absatz 2 dann zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr 2 (Verwaltungsakt beruht auf vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtigen oder unvollständigen Angaben) oder Nr 3 (Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts) gegeben sind. Nach Abs 3 Satz 4 kann in den Fällen des Satzes 3 ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. Die Übergangsvorschrift des Abs 3 Satz 5, nach der bei Ablauf der Zehnjahresfrist am 15.4.1998 Satz 4 mit der Maßgabe gilt, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden kann, kommt im vorliegenden Fall nicht mehr in Betracht.

38

aa) Die Sätze 4 und 5 sind in § 45 Abs 3 SGB X durch das Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen vom 6.4.1998 (BGBl I 688) mit Wirkung vom 15.4.1998 eingefügt worden; gleichzeitig wurde in § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X ihre entsprechende Anwendung bestimmt. Nach der zuvor geltenden Rechtslage bewirkte die Verweisung von § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X auf § 45 Abs 3 Satz 3 SGB X, dass zehn Jahre nach der wesentlichen Änderung eine Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit ausgeschlossen war, wenn sich dies zuungunsten des Betroffenen auswirkte(eingehend BSG Urteil vom 11.12.1992 - 9a RV 20/90 - BSGE 72, 1, 3 ff = SozR 3-1300 § 48 Nr 22 S 32 ff).

39

Die Einfügung von Satz 4 und 5 in § 45 Abs 3 SGB X sowie die Ergänzung der Verweisung in § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X erfolgten aufgrund der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 4.3.1998 (BT-Drucks 13/10033). Zur Begründung heißt es wie folgt (BT-Drucks 13/10033 S 20 zu Art 5 Nr 2):

        

"Die Praxis, insbesondere bei den Trägern der Rentenversicherung, hat gezeigt, daß rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung nach Überschreitung der Zehnjahresfrist nicht mehr zurückgenommen werden können, auch wenn sich der Rentner der Unrechtmäßigkeit z. B. doppelter Rentenzahlungen bewußt ist (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Der Bundesrechnungshof fordert eine Rechtsänderung (BT-Drucksache 13/5700). Die Neuregelung läßt eine Rücknahme auch nach Ablauf von 10 Jahren zu, begrenzt die Rücknahme aber auf laufende Geldleistungen. Abgeschlossene Fälle werden nicht erfaßt. Eine Rücknahme für die Zeit ab Inkrafttreten der Neuregelung (§ 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X) ist auch in den Fällen zulässig, in denen die Frist von 10 Jahren am Tage des Inkrafttretens der Neuregelung bereits abgelaufen war; in diesen Fällen soll jedoch aus Gründen des Vertrauensschutzes die Aufhebung des Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit ausgeschlossen sein."

40

Der Bundesrechnungshof hatte in seinen Bemerkungen vom 16.10.1996 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung in dem Abschnitt "Doppelte Rentenzahlungen" eine Rechtslage für bedenklich gehalten, nach der selbst Rentner, die sich der Unrechtmäßigkeit doppelter Zahlungen bewusst seien, diese allein wegen des Ablaufs der Zehnjahresfrist nicht mehr zurückzahlen müssten. Da dies den Leistungsempfängern, die Überzahlungen auf erste Anforderung erstatteten, und den Beitragszahlern, die solche Überzahlungen letztlich finanzierten, kaum zu vermitteln sei, "sollte das Bundesministerium rechtliche Änderungen in Erwägung ziehen" (BT-Drucks 13/5700 S 72 unter 26.4).

41

Die Anpassung des § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X bezeichnete der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung als "Folgeänderung"(BT-Drucks 13/10033 S 21 zu Art 5 Nr 3).

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bb) Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 11.12.1992 - 9a RV 20/90 - BSGE 72, 1, 3 = SozR 3-1300 § 48 Nr 22)betraf die in § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X in der bis zum 14.4.1998 geltenden Fassung (aF) angeordnete entsprechende Anwendung der in § 45 Abs 3 Satz 3 SGB X enthaltenen Regelung nur die darin bestimmte Rechtsfolge (Korrektur bis zum Ablauf von zehn Jahren) und nicht auch die in dem "Wennsatz" dieser Bestimmung enthaltenen Voraussetzungen für den Eintritt dieser Rechtsfolge. Auch wenn es sich danach bei dem Verweis des § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X aF auf Satz 3 des § 45 Abs 3 SGB X um eine Rechtsfolgenverweisung handelte, kann dies für den Verweis auf Satz 4 des § 45 Abs 3 SGB X nicht angenommen werden. Dieser ist vielmehr als Rechtsgrundverweisung zu verstehen, wobei allerdings die systematischen und teleologischen "Entsprechungen" des § 48 SGB X gegenüber § 45 SGB X zu beachten sind.

43

Nach dem System des § 45 SGB X ist bereits die Zehnjahresfrist in § 45 Abs 3 Satz 3 SGB X für die Rücknahme eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung als Ausnahmeregelung ausgestaltet (vgl BSG Urteil vom 11.12.1992 - 9a RV 20/90 - BSGE 72, 1, 6 f = SozR 3-1300 § 48 Nr 22 S 35). Sie dient der Sanktion für ein vom Gesetzgeber missbilligtes Verhalten des Leistungsempfängers (vgl § 45 Abs 3 Satz 3 iVm Abs 2 Satz 3 Nr 2 und 3 SGB X). Das missbilligte Verhalten führt zum Verlust der in § 45 Abs 3 Satz 1 SGB X festgelegten Vergünstigung, wonach ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bereits nach Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe nicht mehr zu Lasten des Begünstigten zurückgenommen werden kann. Vielmehr tritt die Rücknahmesperre in solchen Fällen gemäß § 45 Abs 3 Satz 3 SGB X erst zehn Jahre nach Bescheiderteilung ein, es sei denn, es liegen die Voraussetzungen des seit dem 15.4.1998 geltenden weiteren Ausnahmetatbestands des § 45 Abs 3 Satz 4 SGB X vor: Handelt es sich um einen Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung (also eine Leistung, die regelmäßig wiederkehrend für bestimmte Zeitabschnitte gezahlt wird§ 48 sgb i, bt-drucks 7/868 s 31>), und wird diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens (§§ 8, 18 SGB X) über die Rücknahme gezahlt, dann kann dieser rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakt auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren seit seinem Erlass noch zurückgenommen werden.

44

Auch in § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X wird in Nr 2 und 4 an ein unredliches (bösgläubiges) Verhalten des gesetzwidrig Begünstigten eine nachteilige Ausnahmeregelung geknüpft: Der Leistungsträger soll den Verwaltungsakt mit Dauerwirkung hiernach rückwirkend, dh schon ab dem Zeitpunkt der anspruchsschädlichen Änderung der Verhältnisse, aufheben dürfen. Die folgerichtige (gemäß § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X entsprechende) Übertragung der Regelung des § 45 Abs 3 Satz 4 SGB X auf diejenige des § 48 SGB X bedeutet daher, dass bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Nr 2 (vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung einer Mitteilungspflicht) oder der Nr 4 (Kenntnis oder grob fahrlässige Nichtkenntnis vom Ruhen oder Wegfall des sich aus dem Verwaltungsakt ergebenden Anspruchs) des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X die Aufhebung eines rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakts mit Dauerwirkung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse auch nach Ablauf der von diesem Zeitpunkt an laufenden Zehnjahresfrist in Betracht kommt, wenn ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung vorliegt und diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Aufhebung gezahlt wurde. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, verbleibt es bei der Zehnjahresfrist für die rückwirkende Aufhebung zu Lasten des rechtswidrig Begünstigten, dh die Tatbestände des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 und 4 SGB X ziehen zehn Jahre nach Änderung der Verhältnisse keine Sanktion mehr nach sich.

45

Dass die rückwirkende Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse nach Ablauf der Zehnjahresfrist ein unredliches ("bösgläubiges") Verhalten des Betroffenen voraussetzt (und daher nicht den Fall des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X erfasst § 48 sgb x rdnr 65; aa merten in hauck/noftz, sgb x, stand 2010, k § 48 rdnr 113>), ergibt sich auch aus der bereits dargestellten Gesetzeshistorie. Anlass für die Einfügung der Sätze 4 und 5 in § 45 Abs 3 SGB X war ausweislich der - oben unter aa) wiedergegebenen - Gesetzesmaterialien(BT-Drucks 13/10033 S 20 zu Art 5 Nr 2) die Kritik des Bundesrechnungshofs (vgl BT-Drucks 13/5700 S 72 unter 26.4), dass nach der bis dahin geltenden Rechtslage selbst Rentenempfänger, die sich der Unrechtmäßigkeit von Rentenzahlungen bewusst waren, diese allein wegen des Ablaufs der Zehnjahresfrist nicht mehr zurückzahlen mussten. Mit der Gesetzesänderung wollte der Gesetzgeber die vom Bundesrechnungshof angemahnten offensichtlich unbilligen Ergebnisse bei der Anwendung der strikten Zehnjahresfrist vermeiden (vgl Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X, Stand 2010, K § 45 RdNr 56; Rüfner in Wannagat, SGB X, Stand 2002, § 45 RdNr 58) und Bedenken ausräumen, die der bis dahin geltenden Fristenregelung des § 45 Abs 3 SGB X einen "Betrügerschutz"(s hierzu W. Meyer, FS Krasney, 1997, S 319 ff) entnommen hatten (vgl Waschull in Lehr- und PraxisKomm SGB X, 2. Aufl 2007, § 45 RdNr 95).

46

cc) Vorliegend war zwar die Zehnjahresfrist, die vom Zeitpunkt der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse (Wiederheirat des Klägers am 19.7.1991) an lief (vgl BSG Urteil vom 11.12.1992 - 9a RV 20/90 - BSGE 72, 1, 6 = SozR 3-1300 § 48 Nr 22 S 35),zu Beginn des Verwaltungsverfahrens, das zum Erlass des streitgegenständlichen Bescheids vom 20.8.2007 führte, längst abgelaufen. Die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung der Witwerrente zum 1.8.1991 war aber dennoch möglich. Denn die Voraussetzungen des § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X iVm § 45 Abs 3 Satz 4 SGB X sind erfüllt.

47

(1) Nach den Feststellungen des LSG liegen - wie oben unter b) bis d) ausgeführt - sowohl die Voraussetzungen des Aufhebungstatbestands des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X als auch die des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X vor.

48

(2) Bei dem Bescheid über die Bewilligung der Witwerrente vom 19.11.1990 handelt es sich um einen Verwaltungsakt über eine laufende (wiederkehrende) Geldleistung (Dauerbescheid).

49

(3) Voraussetzung für die Aufhebung nach Ablauf der Zehnjahresfrist ist schließlich gemäß § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X iVm § 45 Abs 3 Satz 4 SGB X, dass die laufende Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Aufhebung gezahlt worden ist. Auch dies ist vorliegend der Fall.

50

Dem steht nicht entgegen, dass die Witwerrente an den Kläger zu Beginn des Verwaltungsverfahrens, das zum Erlass des streitgegenständlichen Bescheids vom 20.8.2007 führte, tatsächlich nicht mehr gezahlt wurde. Sie galt dennoch als bis zum Beginn des hier maßgeblichen Aufhebungsverwaltungsverfahrens "gezahlt" iS des § 45 Abs 3 Satz 4 SGB X iVm § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X. Zu Beginn dieses Verwaltungsverfahrens lag nämlich über den monatlichen Zahlungsanspruch aus der mit Bescheid vom 19.11.1990 bewilligten Witwerrente noch keine ablehnende bestandskräftige Entscheidung der Beklagten vor. Denn über den Widerspruch des Klägers gegen die mit Bescheid vom 10.8.2006 verfügte rückwirkende Aufhebung der Bewilligung der Witwerrente zum 1.7.2006, weil sich aufgrund der Anrechnung von Einkommen des Klägers gemäß § 97 Abs 1 Satz 1 Nr 1 iVm Abs 2 SGB VI kein Zahlbetrag mehr ergeben hatte, war noch nicht entschieden.

51

Im Einzelnen gilt Folgendes: Betroffen sind von der Bestimmung des § 45 Abs 3 Satz 4 SGB X nur rechtswidrige Verwaltungsakte über eine laufende Geldleistung, sofern "diese Geldleistung bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde". Zwar könnte der Wortlaut der Norm mit der Verwendung der Formulierung "gezahlt" darauf hindeuten, dass nur diejenigen Fälle von der Rücknahme nach Ablauf von zehn Jahren seit Bescheiderteilung bzw Änderung der Verhältnisse nicht erfasst werden sollen, in denen die rechtswidrig gewährte Geldleistung zu Beginn des Rücknahme-/Aufhebungsverfahrens bereits nicht mehr gezahlt wird, die Geldleistung also nicht mehr "läuft". Eine solche Auslegung könnte in Fällen, in denen - wie vorliegend - eine jahrelang rechtswidrig gewährte wiederkehrende Sozialleistung zu einem bestimmten Zeitpunkt wegen Anrechnung von Einkommen nicht mehr zu zahlen ist und erst danach bekannt wird, dass Rücknahmegründe wegen unredlichen Verhaltens des rechtswidrig Begünstigen gegeben sind, dem Anliegen des Gesetzgebers, unredliche Leistungsbezieher im Rahmen der Fristenregelung des § 45 Abs 3 SGB X nicht zu begünstigen(vgl BT-Drucks 13/10033 S 20 zu Art 5 Nr 2), entgegenstehen (vgl S. Ungewitter, VersorgVerw 2001, 48, 51, mit dem Hinweis, dass die Gesetzesformulierung insoweit "unklar" sei und deshalb zu "grotesken Ergebnissen" führen könne).

52

Dies muss im vorliegenden Fall jedoch nicht endgültig geklärt werden. Denn aus der vom Gesetzgeber gewählten Formulierung lässt sich jedenfalls mit hinreichender Deutlichkeit noch entnehmen, dass von dieser Norm auch solche Fälle erfasst werden, die hinsichtlich der "Zahlung" der unrechtmäßig empfangenen "laufenden Geldleistung" bis zum Beginn des Rücknahme-/Aufhebungsverwaltungsverfahrens noch nicht abgeschlossen sind. Insoweit folgerichtig findet sich in der - oben unter aa) zitierten - Gesetzesbegründung zu dieser Vorschrift auch der Hinweis, dass nur "abgeschlossene Fälle" von der Rücknahme nach Ablauf der Zehnjahresfrist nicht mehr erfasst werden sollen (BT-Drucks 13/10033 S 20 zu Art 5 Nr 2); (nur) in diesen "abgeschlossenen Fällen" soll also der unredliche Leistungsempfänger die ihm vom Gesetzgeber nach der materiellen Rechtslage nicht zugedachte Dauerleistung behalten dürfen. Liegt aber zu Beginn eines Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme/Aufhebung nach Ablauf der Zehnjahresfrist noch keine bestandskräftige Entscheidung über das Ende der "Zahlung" der streitigen "laufenden Geldleistung" vor, kann der Leistungsfall (hier iS von "Zahlungsfall") nicht als abgeschlossen betrachtet werden. Eine "laufende Geldleistung" verliert ihren Charakter nicht dadurch, dass sie verspätet gezahlt wird (vgl BSG Urteil vom 26.9.2006 - B 1 KR 1/06 R - SozR 4-2500 § 31 Nr 5 RdNr 11). Sie gilt daher trotz Zahlungsunterbrechung zB auch dann noch als bis zum Beginn des Rücknahmeverfahrens "gezahlt" iS des § 45 Abs 3 Satz 4 SGB X mit der Folge, dass der Anwendungsbereich dieser Norm eröffnet wird, wenn die faktische Zahlungseinstellung ihre Ursache allein in technischen Gründen hat(vgl Verbandskomm, Stand 2010, § 45 SGB X Anm 4.4).

53

Dasselbe muss dann aber auch für den hier vorliegenden Fall gelten, dass zu Beginn eines Verwaltungsverfahrens über die Aufhebung der Bewilligung einer wiederkehrenden Sozialleistung nach Ablauf der Zehnjahresfrist seit Eintritt der wesentlichen Änderung zwar (tatsächlich) keine Zahlung mehr erfolgte, der das Ende der Zahlung verfügende Verwaltungsakt zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht in Bestandskraft erwachsen war (§ 77 SGG). Weder - wie ausgeführt - der Wortlaut - mit dem Abstellen auf die Formulierung "gezahlt" - noch der Sinn und Zweck des § 45 Abs 3 Satz 4 SGB X sprechen in einem solchen Fall gegen dessen Anwendung. Denn wenn der Begünstigte gegen den die Zahlungseinstellung verfügenden Bescheid Widerspruch einlegt, bringt er selbst zum Ausdruck, dass er den Leistungsfall noch nicht als abgeschlossen betrachtet, sondern dass er seinen - vermeintlichen - "Zahlungsanspruch" aus der "laufenden Geldleistung" weiter verfolgen und damit die vom Gesetzgeber missbilligte Perpetuierung des Unrechts durch Empfang einer ihm rechtlich nicht zustehenden Geldleistung (hier: Witwerrente trotz Wiederheirat) fortsetzen will. In diesem Fall besteht kein Anlass, dass nach Ablauf von zehn Jahren die in § 45 Abs 3 Satz 4 SGB X iVm § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X bei unredlichem (bösgläubigem) Verhalten vorgesehene Ausdehnung der Rücknehmbarkeit/Aufhebbarkeit unanwendbar wird. Ein schützenswertes Bestandsinteresse des Betroffenen besteht nicht. Die rückwirkende Aufhebung des Dauerbescheids zu Lasten des gesetzwidrig Begünstigten ist dann auch nach Ablauf der Zehnjahresfrist des § 45 Abs 3 Satz 3 SGB X trotz Nichtzahlung der "laufenden Geldleistung" zu Beginn des Verwaltungsverfahrens nicht ausgeschlossen. Vielmehr gilt eine "laufende Geldleistung" bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über ihre Rücknahme/Aufhebung stets noch als "gezahlt" iS des § 45 Abs 3 Satz 4 SGB X(iVm § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X), solange der das Ende der Zahlung verfügende Verwaltungsakt noch nicht bindend ist.

54

Vorliegend hatte die Beklagte mit Bescheid vom 10.8.2006 die Rentenbewilligung mit Wirkung vom 1.7.2006 aufgehoben, weil sich aufgrund der seinerzeitigen Einkommenshöhe des Klägers kein Rentenzahlbetrag mehr ergab. Während des Widerspruchsverfahrens erhielt sie Kenntnis von der Wiederheirat des Klägers, worauf sie nach Anhörung mit Bescheid vom 20.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.2.2008 die Bewilligung der Witwerrente rückwirkend zum 1.8.1991 aufhob. Da aber zu Beginn dieses Aufhebungsverwaltungsverfahrens der (ua) das Ende der Rentenzahlung verfügende Bescheid vom 10.8.2006 noch nicht bestandskräftig war, galt die Witwerrente bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens betreffend den hier streitgegenständlichen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 20.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.2.2008 als "gezahlt" iS des § 45 Abs 3 Satz 4 SGB X(iVm § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X).

55

Ob - wie das LSG meint - die Witwerrente bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Aufhebung auch dann noch als "gezahlt" iS des § 45 Abs 3 Satz 4 SGB X iVm § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X gelten kann, wenn zu diesem Zeitpunkt nur noch "das sich aus dem Bewilligungsbescheid ergebende (vermeintliche) Rentenstammrecht" besteht, bedarf bei der hier vorliegenden besonderen Fallkonstellation keiner Entscheidung.

56

d) Die Aufhebungsentscheidung der Beklagten ist auch nicht wegen Fehlens einer Ermessensentscheidung rechtswidrig.

57

Das Wort "soll" in Abs 1 Satz 2 des § 48 SGB X bedeutet, dass der Leistungsträger in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend aufheben muss, er jedoch in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon abweichen kann(stRspr, zB BSG Urteil vom 5.10.2006 - B 10 EG 6/04 R - BSGE 97, 144 = SozR 4-1300 § 48 Nr 8, RdNr 18). Die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, ist als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen und zu entscheiden (ebenfalls stRspr, zB BSG Urteile vom 5.10.2006 aaO; vom 12.12.1995 - 10 RKg 9/95 - SozR 3-1300 § 48 Nr 42 S 93; vom 18.9.1991 - 10 RKg 5/91 - BSGE 69, 233, 237 = SozR 3-5870 § 20 Nr 3 S 8, jeweils mwN).

58

Bei der Prüfung, ob eine zur Ermessensausübung zwingende Atypik des Geschehensablaufs vorliegt, kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an (BSG Urteile vom 26.10.1998 - B 2 U 35/97 R - Juris RdNr 26, vom 29.6.1994 - 1 RK 45/93 - BSGE 74, 287, 294 = SozR 3-1300 § 48 Nr 33 S 72; vom 25.4.1990 - 7 RAr 20/89 - Juris RdNr 43, jeweils mwN). Diese müssen Merkmale aufweisen, die signifikant vom (typischen) Regelfall abweichen, in dem die Rechtswidrigkeit eines ursprünglich richtigen Verwaltungsakts ebenfalls durch nachträgliche Veränderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist. Hierbei ist zu prüfen, ob die mit der Aufhebung verbundene Pflicht zur Erstattung der zu Unrecht erhaltenen Leistungen (§ 50 Abs 1 SGB X) nach Lage des Falls eine Härte bedeuten, die den Leistungsbezieher in atypischer Weise stärker belastet als den hierdurch im Normalfall Betroffenen (BSG Urteile vom 26.10.1998 aaO; vom 29.6.1994 aaO; vom 25.4.1990 aaO). Ebenso ist das Verhalten des Leistungsträgers im Geschehensablauf in die Betrachtung einzubeziehen. Mitwirkendes Fehlverhalten auf seiner Seite, das als eine atypische Behandlung des Falls iS einer Abweichung von der grundsätzlich zu erwartenden ordnungsgemäßen Sachbearbeitung zu werten ist, kann im Einzelfall die Atypik des verwirklichten Tatbestands nach § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X ergeben(BSG Urteile vom 29.6.1994 aaO = SozR 3-1300 § 48 Nr 33 S 72 f; vom 25.4.1990 aaO, jeweils mwN). Dabei ist die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, nicht losgelöst davon zu beurteilen, welcher der in Nr 1 bis 4 vorausgesetzten Aufhebungstatbestände erfüllt ist (BSG Urteil vom 5.10.2006 - B 10 EG 6/04 R - BSGE 97, 144 = SozR 4-1300 § 48 Nr 8, RdNr 18 mwN).

59

Die mit bindender Wirkung festgestellten Umstände rechtfertigen - wie vom Berufungsgericht zu Recht entschieden - nicht die Annahme eines atypischen Falls:

60

Das LSG ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass eine Atypik nicht allein damit begründet werden kann, dass die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung der Witwerrente und die Erstattungsforderung einen Zeitraum von ca 15 Jahren umfassen. Denn der vorliegende Fall ist nach den bindenden Feststellungen des LSG dadurch gekennzeichnet, dass die Ursache der seit 1.8.1991 eingetretenen Überzahlung ausschließlich in den Verantwortungsbereich des Klägers fällt und durch ein unredliches ("bösgläubiges") Verhalten begründet war. Nur er hätte durch die sofortige Mitteilung seiner Wiederheirat die unrechtmäßige Weiterzahlung der Witwerrente vermeiden können; ein Fehlverhalten auf Seiten der Beklagten liegt nicht vor. Der Kläger durfte nicht darauf vertrauen, dass die Beklagte anderweitig von seiner Wiederheirat Kenntnis erlangen werde. Schließlich hat das LSG auch nicht festgestellt, dass der Kläger durch die Erfüllung des Erstattungsanspruchs im Nachhinein sozialhilfebedürftig und dadurch seine wirtschaftliche Existenz auf Dauer ernsthaft gefährdet würde (vgl BSG Urteil vom 12.12.1995 - 10 RKg 9/95 - SozR 3-1300 § 48 Nr 42 S 94).

61

e) Nicht zu beanstanden ist schließlich die mit der Entscheidung über die Aufhebung verbundene - ihr rechtlich nachgeordnete - Erstattungsentscheidung der Beklagten nach § 50 Abs 1 SGB X. Ist - wie hier - die Aufhebungsentscheidung sachlich richtig, beschränkt sich die Prüfung der Entscheidung über die Erstattung nur noch darauf, ob dem Erstattungsverlangen selbst gegenüber Einwendungen entgegengesetzt werden können (vgl BSG Urteil vom 18.9.1991 - 10 RKg 5/91 - Juris RdNr 22 = BSGE 69, 233 = SozR 3-5870 § 20 Nr 3). Dafür hat der Kläger nichts vorgetragen; demgegenüber hat das LSG festgestellt, dass gegen die Berechnung der Höhe des Erstattungsbetrags keine Bedenken bestehen. Gegenteiliges ist auch nicht ersichtlich.

62

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 und 4 SGG.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.