vorgehend
Verwaltungsgericht Augsburg, Au 1 K 18.1194, 12.02.2019

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Ausweisungsbescheids der Beklagten vom 18. Juni 2018 weiter.

Der zulässige Antrag ist unbegründet, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG) nicht vorliegt.

Das Verwaltungsgericht hat die Voraussetzungen einer Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG und insbesondere die Gefahr der Wiederholung vergleichbarer Straftaten aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung des Klägers wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren zehn Monaten und einer Woche (Urteil des Landgerichts O. vom 19.7.2016) bejaht. Ausländerbehörde und Verwaltungsgericht könnten grundsätzlich von der Richtigkeit der strafrechtlichen Verurteilung ausgehen und dürften dessen Feststellungen ihrer Entscheidung zugrunde legen. Eine Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, das Strafverfahren gewissermaßen zu wiederholen, wenn der Betroffene geltend mache, zu Unrecht verurteilt worden zu sein, bestehe grundsätzlich nicht. Das Landgericht O. habe sich ausführlich mit der Glaubwürdigkeit der einzigen Zeugin der Straftat sowie der Qualität ihrer Aussage (hinsichtlich Inhalt, Aussageverhalten und Motivlage) befasst. Vor diesem Hintergrund sei nicht ersichtlich, inwieweit das Verwaltungsgericht mit einem Abstand von mittlerweile rund zweieinhalb Jahren zur Aussage der Zeugin vor dem Strafgericht und rund viereinhalb Jahren zur Tat zu einer besseren Erkenntnis kommen könnte. Dem Antrag des Klägers auf (erneute) Vernehmung des Opfers als Zeugin sei deshalb nicht nachzukommen. Die Ausweisung erweise sich unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls als gerechtfertigt, weil das öffentliche Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers überwiege und die Ausweisung auch unter Berücksichtigung des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht unverhältnismäßig sei.

Der Kläger rügt mit dem Zulassungsantrag, das Verwaltungsgericht habe gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen, weil es seinen hilfsweise gestellten Beweisantrag bezüglich der Vernehmung der damaligen Zeugin nicht berücksichtigt habe. Bereits mit der Klagebegründung sei die Glaubhaftigkeit der Aussagen der damaligen Zeugin wesentlich erschüttert worden. Auch in der mündlichen Verhandlung sei durch den Kläger jegliches strafbare Verhalten bestritten worden; es seien Belege und Indizien für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr vorgetragen worden. Den in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisantrag, „zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger mit der Zeugin einvernehmlichen Geschlechtsverkehr hatte und somit keine Straftat begangen hat“, diese auch im Verwaltungsprozess als Zeugin zu vernehmen, habe das Gericht in den Gründen seine Entscheidung nicht explizit beschieden. Vielmehr habe es nur allgemeine Ausführungen zu der Frage gemacht, welcher Sachverhalt im Ausweisungsverfahren zugrunde zu legen sei.

Ein Verfahrensfehler im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG ist damit jedoch nicht dargelegt. Zwar gilt auch für hilfsweise gestellte Beweisanträge, dass Art. 103 Abs. 1 GG verletzt wird, wenn ihnen nicht nachgegangen wird, obgleich dies im Prozessrecht keine Stütze findet, also ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird (vgl. BVerfG, B.v. 22.9.2009 - 1 BvR 3501/08 - juris Rn. 13 m.w.N.; BVerwG, B.v. 20.9.2018 - 1 B 64.18 u.a. - juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 16.1.2019 - 10 ZB 18.32210 - juris Rn. 3). Das Verwaltungsgericht hat den Hilfsbeweisantrag des Klägers jedoch in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung als nicht beachtlich abgelehnt (UA S. 11, Rn. 26). Denn es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass Ausländerbehörden - und demzufolge auch die zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung berufenen Gerichte - in aller Regel von der Richtigkeit der strafrechtlichen Verurteilung ausgehen können und die darin getroffenen Feststellungen ihrer Entscheidung zugrunde legen dürfen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein Verfahrensbeteiligter die Richtigkeit der vom Strafgericht getroffenen Feststellungen unter Darlegung konkreter Anhaltspunkte beanstandet und diese Anhaltspunkte nach Auffassung des Verwaltungsgerichts tatsächlich geeignet sind, die dort gezogenen Schlüsse zu erschüttern, sodass sich dem Verwaltungsgericht eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2018 - 10 ZB 18.1121 - juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 8.12.2015 - 18 A 2462/13 - juris Rn. 11; OVG Hamburg, U.v. 15.6.2015 - 1 Bf 163/14 - juris Rn. 44 jew. m.w.N.). Letzteres hat das Verwaltungsgericht auch in Kenntnis der vom Kläger im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstmals vorgetragenen Schilderung des Geschehens unter Hinweis auf die umfassende und eingehende Würdigung der Aussage der Zeugin durch das Strafgericht und die inzwischen verstrichene Zeit zu Recht verneint. Weder die Einlassungen des Klägers zum Tatgeschehen noch den Versuch, die Zeugin und Geschädigte der Straftat mit unsubstantiierten Mutmaßungen nunmehr als unglaubwürdige „Herumtreiberin“ zu diskreditieren, musste das Verwaltungsgericht als geeignet ansehen, die besonders eingehende, gründliche und überzeugende Beweiswürdigung des Strafgerichts zu erschüttern.

Aus den genannten Gründen ist - ohne dass dies der Kläger ausdrücklich gerügt hat - auch ein Verstoß gegen den Untersuchungs- bzw. Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht dargetan.

Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich der Sache nach auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Bezüglich der Annahme der Tatbestandsvoraussetzungen des § 53 Abs. 1 AufenthG und insbesondere der erforderlichen Wiederholungsgefahr wird auf die Ausführungen oben verwiesen. Einwendungen gegen die Interessenabwägung und die unter besonderer Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 EMRK erfolgten Verhältnismäßigkeitserwägungen des Verwaltungsgerichts hat der Kläger im Zulassungsantrag nicht erhoben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 02. Mai 2019 - 10 ZB 19.625

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 02. Mai 2019 - 10 ZB 19.625

Referenzen - Gesetze

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 02. Mai 2019 - 10 ZB 19.625 zitiert 10 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 152


(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochte

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 63 Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren


(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 86


(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. (2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag ka

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 53 Ausweisung


(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 02. Mai 2019 - 10 ZB 19.625 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 02. Mai 2019 - 10 ZB 19.625 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 16. Jan. 2019 - 10 ZB 18.32210

bei uns veröffentlicht am 16.01.2019

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der zulässige Antrag ist unbegründe

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 05. Sept. 2018 - 10 ZB 18.1121

bei uns veröffentlicht am 05.09.2018

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt. IV. Der Antrag au

Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 15. Juni 2015 - 1 Bf 163/14

bei uns veröffentlicht am 15.06.2015

Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26. August 2014 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg abgeändert: Die Klage wird abgewiesen, soweit sich diese gegen die im Bescheid der Be

Referenzen

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der zulässige Antrag ist unbegründet, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) schon nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt ist und nicht vorliegt.

Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe das rechtliche Gehör verletzt, weil es die in der mündlichen Verhandlung gestellten und protokollierten bedingten Beweisanträge (zur fehlenden Chance, in Nigeria die Ermittlungsbehörden von einem anderen Geschehensverlauf zu überzeugen, zur fehlenden justiziellen Aufarbeitung des Sachverhalts nach rechtsstaatlichen Grundsätzen und zu den Verhältnissen in nigerianischen Gefängnissen) nicht berücksichtigt habe; diese seien im Urteil nicht einmal andeutungsweise erwähnt, weshalb sich nicht beurteilen lasse, aus welchen Gründen den Beweisanträgen nicht nachgegangen worden sei. Diese Beweisanträge seien auch nicht verspätet (§ 70 Abs. 2 Satz 1 AsylG) und für die Entscheidung des Gerichts erheblich, weil davon auszugehen sei, dass eine Bestätigung der unter Beweis gestellten Tatsachen das Gericht von der Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers überzeugt hätte und demgemäß internationaler Schutz gewährt worden wäre.

Ein Verfahrensfehler im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO ist damit jedoch nicht hinreichend dargelegt. Zwar gilt auch für hilfsweise für den Fall ihrer Entscheidungserheblichkeit gestellte Beweisanträge, dass Art. 103 Abs. 1 GG verletzt wird, wenn ihnen nicht nachgegangen wird, obgleich dies im Prozessrecht keine Stütze findet, also ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird (vgl. BVerfG, B.v. 22.9.2009 - 1 BvR 3501/08 - juris Rn. 13 m.w.N.; BVerwG, B.v. 20.9.2018 - 1 B 64.18 u.a. - juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 14.12.2018 - 10 ZB 18. 33209 - Rn. 8 m.w.N.). Das Gericht ist danach jedoch nicht verpflichtet, Beweisanträge zu berücksichtigen, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht geeignet sind, die Entscheidung in irgendeiner Weise zu beeinflussen (fehlende Entscheidungserheblichkeit). So liegt der Fall aber hier.

Denn das Verwaltungsgericht hat das vom Kläger geltend gemachte individuelle Verfolgungsschicksal aufgrund einer eingehenden Gesamtwürdigung seines Vortrags bei der Anhörung vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung sowie unter Berücksichtigung auch der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Dokumente als insgesamt nicht schlüssig und unglaubhaft bewertet. Tatsachengerichte müssen aber nach ständiger Rechtsprechung auch substantiierten Beweisanträgen (wobei hier dahinstehen kann, ob die Beweisanträge des Klägers in der gestellten Form als substantiiert anzusehen sind) zum Verfolgungsgeschehen nicht nachgehen, wenn der Tatsachen- oder Sachvortrag in wesentlichen Punkten unplausibel oder in nicht auflösbarer Weise widersprüchlich ist (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 26.11.2007 - 5 B 172.07 -; BayVGH, B.v. 11.07.2017 - 21 ZB 17.30482 - jew. juris, Ls.). Auf der Basis der maßgeblichen erstinstanzlichen Bewertung des Vorbringens des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal als insgesamt unplausibel und nicht glaubhaft war eine Berücksichtigung der gestellten bedingten Beweisanträge, die an das vom Kläger behauptete Verfolgungsgeschehen unmittelbar anknüpfen bzw. dieses Geschehen voraussetzen, wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit offensichtlich nicht veranlasst. Einer ausdrücklichen, darauf gestützten Ablehnung in den Gründen der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts (vgl. Breunig in BeckOK VwGO, Stand: 1.10.2018, § 86 Rn. 66) bedurfte es danach hier nicht.

Soweit der Kläger eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darüber hinaus darin sieht, dass das Verwaltungsgericht seine Sachverhaltsschilderung aus unzureichenden Gründen als unglaubhaft bewertet hat, und sich im Weiteren ausführlich mit den diesbezüglichen Argumenten des Erstgerichts auseinandersetzt, greift er mit seiner Gehörsrüge letztlich die Sachverhalts- bzw. Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts an. Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers gehört - auch in schwierigen Fällen - zum Wesen der richterlichen Rechtsfindung, vor allem der freien Beweiswürdigung (BVerwG, B.v. 18.7.2001 - 1 B 118.01 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 17.1.2018 - 10 ZB 17.30723 - juris Rn. 5; B.v. 29.1.2018 - 10 ZB 17.31788 - juris Rn. 7; OVG NW, B.v. 13.6.2014 - 19 A 2166/11.A - juris Rn. 4). Eine vermeintlich fehlerhafte Verneinung der Glaubhaftigkeit des klägerischen Tatsachenvortrags kann grundsätzlich nicht Gegenstand einer Gehörsrüge sein (vgl. BayVGH, B.v. 16.10.2018 - 1 ZB 18.32333 - juris Rn. 4 m.w.N.). Das Gericht ist nicht gehalten, den Ausführungen eines Beteiligten in der Sache zu folgen (BVerfG, B.v. 22.11.2005 - 2 BvR 1090/05 - juris Rn. 26).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage weiter, die auf Aufhebung des Ausweisungsbescheids der Beklagten vom 2. August 2017 und hilfsweise auf Verpflichtung der Beklagten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die Länge der Sperrfrist herabzusetzten, gerichtet ist. Zudem beantragt er, ihm für das Zulassungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11). Das ist jedoch nicht der Fall.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Aufhebung der Ausweisungsverfügung mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger auch gegenwärtig die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde. Er habe mehrere Straftaten begangen, die gegen verschiedene hochrangige Rechtsgüter gerichtet gewesen seien. Die Tatsache, dass er in enger zeitlicher Abfolge mehrere Straftaten begangen habe, indiziere bereits für sich genommen eine Wiederholungsgefahr. Eine innere Wandlung habe der Kläger nicht vollzogen. Die Folgen der Tat seien für das Kind erheblich und prägend für die gesamte Entwicklung. Einsicht sei vom Kläger auch in der Strafverhandlung nicht gezeigt worden. Die Abwägung ergebe, dass das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse überwiege. Die Ausweisung sei auch nicht unverhältnismäßig.

Hiergegen bringt der Kläger im Zulassungsverfahren im Wesentlichen vor, dass die Verurteilungen wegen angeblicher Körperverletzungen und wegen Kindesentziehung einzig und allein auf der Zeugenaussage der Ehefrau beruhten, die ihn abgrundtief hasse und eine notorische Lügnerin sei. Insoweit werde auf das psychiatrische Gutachten vom 30. September 2017 verwiesen. Dies habe das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt. Bezüglich der behaupteten Kindesentführung sei dem Verwaltungsgericht eine Vereinbarung der Eheleute vom 19. Januar 2013 vorgelegt worden, aus der sich ergebe, dass die Ehefrau damit einverstanden gewesen sei, dass die gemeinsame Tochter in Jordanien bei der Mutter des Klägers bleibe und erst wieder nach München komme, „wenn sie (die Ehefrau) sich geändert habe“. Weder diese Vereinbarung noch die Entscheidung des Oberlandesgerichts, mit der der Ehefrau das Sorgerecht für die Tochter abgesprochen worden sei, habe das Verwaltungsgericht berücksichtigt. Der Kläger habe seine Tochter vor einer Rabenmutter retten müssen, dies sei alles andere als Gleichgültigkeit. Sein Bleibeinteresse wiege besonders schwer, weil er eine Niederlassungserlaubnis besitze. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts missachte den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Auf eine nicht näher bekannte Entscheidung des EuGH aus dem April 2018 werde verwiesen.

Mit diesem Vorbringen zieht der Kläger die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung jedoch nicht ernsthaft in Zweifel. Er ist strafgerichtlich mit rechtskräftigem Urteil vom 20. Oktober 2016 zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 8 Monaten wegen der Entziehung Minderjähriger in Tatmehrheit mit Betrug in Tatmehrheit mit fünf tatmehrheitlichen Fällen der vorsätzlichen Körperverletzung in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden. Diese strafrechtliche Verurteilung durfte das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des Vorliegens einer Wiederholungsgefahr ohne weitere Nachprüfung zugrunde legen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, B.v. 24.2.1998 – 1 B 21.98 – juris zu § 47 Abs. 1 AuslG 1990; B. v. 8.5.1989 – 1 B 77.89 – InfAuslR 1989, 269 zu § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1965, jeweils m.w.N.) erfordert die Anwendung der auf eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung abstellenden Ausweisungstatbestände keine Prüfung, ob der Betroffene tatsächlich eine Straftat begangen hat. Soweit es bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung etwa auf die Umstände der Tatbegehung ankommt – z.B. im Rahmen der Feststellung einer Wiederholungsgefahr oder bei der Ermessensausübung – besteht zwar keine derartige strikte Bindung an eine rechtskräftige Verurteilung. Es ist aber geklärt, dass die Ausländerbehörden – und demzufolge auch die zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung berufenen Gerichte – in dieser Beziehung ohne weiteres in aller Regel von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen können und die darin getroffenen Feststellungen ihrer Entscheidung zugrunde legen dürfen (OVG NRW, B.v. 8.12.2015 – 18 A 2462/13 – juris Rn. 11). Etwas anderes gilt nur dann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür dargetan werden, dass sich dem Verwaltungsgericht eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen. Solche konkreten Anhaltspunkte ergeben sich weder aus dem Vorbringen in der ersten Instanz noch aus dem Zulassungsvorbringen. Der Kläger behauptet zwar, dass er die ihm zur Last gelegten Straftaten nicht begangen bzw. es sich um Nothilfe gehandelt habe, und beruft sich darauf, dass seine Ehefrau eine notorische Lügnerin sei. Dabei übersieht er aber, dass das Strafgericht seine Verurteilung nicht nur auf die Aussagen der Ehefrau im Strafverfahren, sondern auch auf die der weiteren Zeugen gestützt hat. Es hat die Eltern der Ehefrau und deren Betreuerin als Zeugen vernommen und ihre Glaubwürdigkeit bejaht. Bei dem vom Kläger im erstinstanzlichen und im Zulassungsverfahren vorgelegten psychiatrischen Gutachten vom 29. September 2017 handelt es sich dagegen um ein Gutachten zur Erziehungsfähigkeit der Ehefrau, das keine Aussagen zur Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen der im Strafverfahren trifft. Auch der Kläger wurde im Strafverfahren vernommen. Seine Aussage hat das Strafgericht als unglaubwürdig eingestuft, weil er die ihm aufgezeigten Widersprüche in seiner Aussage nicht erklären konnte. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zeugin, die der Kläger im Strafverfahren benannt hat, nachweislich vom Anwalt des Klägers in ihrem Aussageverhalten beeinflusst worden ist. Auch im Zulassungsverfahren ist das Vorbringen des Klägers nicht widerspruchsfrei. Im Strafverfahren hat er behauptet, dass seine Tochter auf Initiative seiner Ehefrau nach Jordanien verbracht worden und sie mit der Sorgerechtsübertragung einverstanden gewesen sei, während er nunmehr die Kindesentziehung als einen Akt der „Nothilfe“ für seine Tochter bezeichnet. Angesichts der ausführlichen Begründung des Strafurteils, das sich dezidiert mit der Glaubwürdigkeit der einzelnen Zeugen auseinandersetzt, konnte das Verwaltungsgericht daher die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts zum Verhalten des Klägers seiner Prognose der Wiederholungsgefahr zugrunde legen.

Mit dem Verweis auf sein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, die angeblich fehlerhafte Abwägungsentscheidung und eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zeigt der Kläger ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils auf. Sein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse hat das Verwaltungsgericht berücksichtigt. Der Kläger legt nicht substantiiert da, aus welchen Gründen die zur Ausweisung führende Abwägungsentscheidung fehlerhaft sein sollte. Alle maßgeblichen Gesichtspunkte wurden von der Beklagten und dem Verwaltungsgericht in die Abwägungsentscheidung eingestellt; die für einen weiteren Verbleib im Bundesgebiet sprechenden Gesichtspunkte überwiegen allerdings nicht das öffentliche Ausweisungsinteresse, weil vom Kläger auch gegenwärtig eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, er enge Beziehungen in sein Heimatland unterhält und auch seine Tochter dort lebt. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (17.4.2018, C-316/16), die Vorlagefragen zur Verlustfeststellung gegenüber Unionsbürgern beantwortet, ist für eine Ausweisungsentscheidung nach nationalem Recht nicht maßgeblich.

Ausführungen die Verkürzung der Sperrfrist betreffend und damit zur Begründetheit des Hilfsantrags enthält das Zulassungsvorbringen nicht.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren ist abzulehnen, weil die Voraussetzungen des § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet aus den genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Die Kostenentscheidung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Kostenentscheidung für das Prozesskostenhilfeverfahren bedarf es nicht. Das Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gerichtsgebührenfrei. Die im Prozesskostenhilfeverfahren entstandenen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).

Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und Abs. 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG. Eine Streitwertfestsetzung für das Prozesskostenhilfeverfahren ist nicht erforderlich, weil Kosten nicht erstattet werden.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26. August 2014 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen, soweit sich diese gegen die im Bescheid der Beklagten vom 1. Dezember 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 23. März 2012 verfügte Ausweisung des Klägers aus dem Bundesgebiet richtet.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 1. Dezember 2011 und des Widerspruchsbescheids vom 23. März 2012 – soweit diese entgegenstehen – verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf 6 Jahre und 6 Monate zu befristen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens trägt der Kläger zu 9/10 und die Beklagte zu 1/10.

Hinsichtlich der Kosten des gesamten Verfahrens ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der für den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger vollstreckbaren Kosten abwenden, falls nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe der jeweils zu vollstreckenden Kosten leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet und begehrt hilfsweise deren Befristung.

2

Der im Juli 1960 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste 1996 mit seiner damaligen Ehefrau, ..., und den drei Kindern (... - geboren 1987, ... - geboren 1990 und ... - geboren 1995) in das Bundesgebiet ein. In den Jahren 1998 und 2003 wurden noch zwei weitere Kinder (... und ...) geboren. Nach einem zunächst erfolglosen Asylverfahren erkannte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 16. Oktober 2001 den Kläger und die weiteren Familienmitglieder als Asylberechtigte an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Afghanistans vorliegen. Daraufhin wurde dem Kläger im November 2001 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, die seit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes als Niederlassungserlaubnis fortgilt (vgl. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG).

3

Das Landgericht Hamburg verurteilte den Kläger mit inzwischen rechtskräftigem Urteil vom 27. Oktober 2008 (601 Ks 20/08, 3090 Js 15/08) zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Das Landgericht sah es als erwiesen an, dass der Kläger in den späten Abendstunden des 30. Aprils 2008 heimtückisch und mit Tötungsvorsatz im Badezimmer der gemeinsamen Wohnung auf seine damalige Ehefrau eingestochen und sie durch mehrere Stiche in den Oberkörper und Bauchbereich lebensgefährlich verletzt hat. Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Klägers sei zur Tatzeit nicht erheblich vermindert oder sogar aufgehoben gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des Landgerichts Hamburg Bezug genommen. Die gegen das Urteil eingelegte Revision verwarf der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 27. Mai 2009, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, als unbegründet.

4

Die Ehe des Klägers wurde durch Urteil des Amtsgerichts Hamburg St. Georg vom 19. Mai 2009 geschieden. Das Sorgerecht für die noch minderjährigen Kinder wurde Frau D... zugesprochen.

5

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wiederrief mit Bescheid vom 4. August 2011 die im Bescheid vom 16. Oktober 2001 gegenüber dem Kläger getroffene Anerkennung als Asylberechtigter sowie die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Zugleich stellte es fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht gegeben seien. Das Verwaltungsgericht Hamburg hob mit inzwischen rechtskräftigem Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 23. Mai 2013 (10 A 398/11) den Bescheid vom 4. August 2011 auf, soweit darin festgestellt wird, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft „offensichtlich“ nicht erfüllt sind und wies im Übrigen die Klage ab.

6

Mit „Ausweisungsverfügung“ vom 1. Dezember 2011 wies die Beklagte den Kläger u.a. aus dem Bundesgebiet unbefristet aus und drohte ihm die Abschiebung - ausgenommen nach Afghanistan - an, sofern der Kläger nicht drei Monate nach Bekanntgabe der Verfügung ausgereist sein sollte.

7

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. März 2012 zurück. Der Kläger erfülle den Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 1 AufenthG. Da der Kläger als asylberechtigt anerkannt und zuletzt im Besitz einer Niederlassungserlaubnis und eines Reiseausweises für Flüchtlinge gewesen sei, könne er gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 5 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Die kraft Gesetzes vorzunehmende Ist-Ausweisung sei zu einer Regelausweisung herabgestuft, wobei nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG schwerwiegende Gründe in den Fällen des § 53 AufenthG in der Regel vorlägen. Ein Ausnahmefall liege weder im Hinblick auf den Werdegang des Klägers noch auf seine persönlichen Verhältnisse, insbesondere seinen langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet, vor und ergebe sich auch nicht aus den Umständen der von ihm verübten Tat. Selbst wenn davon auszugehen sei, dass kein Regelfall vorliege, werde die Ausweisung aus Ermessensgründen für erforderlich gehalten. Die Ausweisung sei bei sachgerechter Abwägung des öffentlichen Interesses an der Ausreise des Klägers mit dessen Interesse an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet notwendig. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 27. März 2012 zugestellt.

8

Der Kläger hat am 27. April 2012 Klage erhoben. Zu deren Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen: 2002 sei sein ältester Sohn … bei einem tragischen Verkehrsunfall verstorben. Seine Ehefrau habe dies als Strafe Gottes dafür empfunden, dass sie ihn, den Kläger, nicht hinreichend liebe. Obwohl er, der Kläger, sich um seine Ehefrau gekümmert habe, habe es zunehmend Phasen gegeben, in denen sie nicht mit ihm gesprochen und ihn nicht beachtet habe. Auf Wunsch der Ehefrau hätten die Eheleute sodann in getrennten Zimmern geschlafen. Ende März 2008 habe er das Foto von seiner Ehefrau im Arm eines anderen Mannes entdeckt und seine Frau darauf angesprochen. Diese habe angegeben, dass das Foto bei einem zufälligen Treffen mit einem früheren Bekannten entstanden sei. Die Ehefrau habe nach diesem Gespräch nicht mehr mit ihm geredet und ihn ignoriert. Am 12. April 2008 habe er sich mit ihr versöhnen wollen, was jedoch misslungen sei. Daraufhin habe er sich selbst geschlagen und mit einem Messer, das er gegen sich selbst gerichtet habe, gedroht, sich umzubringen. Am 30. April 2008 habe er, während er in einer Arbeitspause zur Wohnung zurückgekehrt sei, die Post des von seiner Ehefrau beauftragten Rechtsanwalts aus dem Briefkasten genommen und geöffnet. Er sei davon ausgegangen, dass die Ehe am 16. Mai 2008 geschieden werden solle. Gespräche am Abend mit der Ehefrau in Gegenwart der ältesten Tochter hätten keine Änderung bewirkt. Daraufhin habe er sich ins Bett gelegt, um zu schlafen. Während er dort gelegen habe, habe er an seine Kinder und die 22 Jahre mit ihm verheiratete Frau gedacht, die er jetzt - wie seinen ältesten Sohn - für endgültig verloren geglaubt habe. Er sei dann aufgestanden und mit einem Messer, das er zuvor aus einem Laden mitgenommen habe, in das Badezimmer gegangen, habe dort mit der Frau gesprochen und dann mehrmals mit dem Messer auf seine Ehefrau eingestochen. Ob er aufgehört habe, weil er wollte, dass seine Ehefrau am Leben bleiben solle, oder ob das dem Verhalten der erschienenen Kinder geschuldet gewesen sei, sei im Strafprozess umstritten geblieben, ebenso wie die Frage, ob er der Tochter ... zugerufen habe, sie solle die Polizei und einen Arzt rufen. An einer Wiederholungsgefahr, die eine Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen rechtfertigen könne, fehle es. Auch weise die Tat einen derart singulären Charakter auf, dass aus generalpräventiven Gründen eine Ausweisung nicht erfolgen könne.

9

Nach der Entlassung aus der Strafhaft habe er zunächst bei seinem Neffen gewohnt. Seit Mai 2014 wohne er bei seinem Bruder. Seit Juni 2014 habe er einmal wöchentlich Umgang mit seinem Sohn ... Er bemühe sich um den Umgang mit den Kindern, was sich auch aus den Verhandlungsprotokollen des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg in einem Umgangsverfahren ergebe.

10

Der Kläger hat beantragt,

11

die Ausweisungsverfügung der Beklagten im Bescheid vom 1. Dezember 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. März 2012 aufzuheben,

12

hilfsweise,

13

die Wirkungen der Ausweisung zu befristen.

14

Die Beklagte hat beantragt,

15

die Klage abzuweisen.

16

Zur Begründung hat sie sich auf die Gründe der angefochtenen Entscheidungen berufen. In der mündlichen Verhandlung hat sie die Ermessenerwägungen ergänzt.

17

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 26. August 2014 die Ausweisungsverfügung im Bescheid vom 1. Dezember 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. März 2012 aufgehoben. Die Ausweisung sei im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten, weil der Kläger gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden könne. Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung lägen weder im Hinblick auf einen spezialpräventiven noch auf einen generalpräventiven Zweck der Ausweisung vor. An der erforderlichen konkreten Wiederholungsgefahr fehle es. Denn ausweislich der Stellungnahmen des Psychologischen Dienstes der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel vom 6. September 2011 und 11. Oktober 2011... bestehe aufgrund der Persönlichkeit des Klägers ein niedriges Rückfallrisiko und ein geringer Behandlungs- und Betreuungsbedarf. Auch das psychologische Kurzgutachten des ... vom 9. Dezember 2012 komme zu dem Ergebnis, dass die Gefahr, dass die durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbestehe, hinreichend gering sei. Es gebe keine Hinweise auf eine etwaige Gewaltbereitschaft oder Rachegedanken. Auch generalpräventive Gründe könnten die Ausweisung nicht stützen, da es sich um eine Beziehungs- bzw. Leidenschaftstat handele, die sich einem rational gesteuerten und damit beherrschbaren Verhalten entziehe.

18

Durch Beschluss vom 9. Februar 2015 hat das Berufungsgericht auf Antrag der Beklagten die Berufung zugelassen. Mit am 4. März 2015 bei dem Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz hat die Beklagte die Berufung begründet: Der Kläger genieße zwar gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz und könne daher nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit ausgewiesen werden. Dies sei dann anzunehmen, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers ein deutliches Übergewicht habe. Bei Ausweisungen zum Zwecke der Generalprävention sei dies dann der Fall, wenn die Straftat besonders schwer wiege und ein dringendes Bedürfnis dafür bestehe, über eine etwaige strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Das Gewicht der Straftat sei konkret nach den Umständen der Tatbegehung zu ermitteln. Die vom Kläger begangene Straftat wiege besonders schwer und es bestehe ein dringendes Bedürfnis dafür, durch eine Ausweisung des Klägers andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere im Allgemeinen und Konfliktlösungen mit dem Messer im Besonderen abzuhalten. Der Kläger habe weder eine spontane Leidenschaftstat begangen noch sei er im Bundesgebiet verwurzelt und in seinem Heimatland entwurzelt. Vor diesem Hintergrund überwiege das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung das Interesse des Klägers, von einer Ausweisung verschont zu bleiben. Die Beklagte hat ihre Ermessenserwägungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht vorsorglich ergänzt. Insoweit wird wegen der Einzelheiten auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung (Seite 8, Bl. 277 d.A.) Bezug genommen

19

Die Beklagte beantragt,

20

das bei der Beklagten am 3. September 2014 eingegangene Urteil des Verwaltungsgerichts vom 26. August 2014 zu dem Aktenzeichen 10 K 1162/12 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

21

Der Kläger beantragt,

22

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen,

23

hilfsweise,

24

die Wirkung der Ausweisung auf viereinhalb Jahre nach Ausreise zu befristen.

25

Der Kläger trägt im Wesentlichen vor: In dem angegriffenen Urteil werde ausführlich dargelegt, dass spezialpräventive Gründe seine Ausweisung nicht mehr rechtfertigen könnten. Die Beklagte stütze die Ausweisung nunmehr ausschließlich auf generalpräventive Gründe. Der Argumentation der Beklagten, es liege keine Leidenschaftstat vor, sei nicht zu folgen. Es habe sich um eine hochspezifische, einmalige Konfliktsituation gehandelt, in der er, der Kläger, nach einer jahrelangen Ehekrise mit der Scheidungsabsicht seiner Frau konfrontiert worden sei und darauf angesichts der von ihm als trostlos empfundenen Zukunft ohne seine Kinder und seine Frau mit Verzweiflung, Wut und Verlustängsten reagiert habe. Das von der Beklagten skizzierte Bild eines berechnenden Täters treffe nicht zu. Der Bundesgerichtshof habe die Hinzuziehung eines Sachverständigen für vorzugswürdig gehalten und die Ablehnung des Beweisantrages über die verminderte Schuldfähigkeit des Klägers nur deshalb als noch nicht rechtsfehlerhaft angesehen, weil das Strafmaß selbst bei deutlich eingeschränkter Steuerungsfähigkeit gleich geblieben wäre.

26

Im Strafverfahren habe es durchaus Ungereimtheiten gegeben. So habe er in der polizeilichen Vernehmung am 1. Mai 2008 um 3:35 Uhr angegeben, er sei in das Badezimmer gegangen, habe seiner Frau gesagt, dass er ein unschuldiger Mann sei, und dass ihm dann die Nerven kaputt gegangen seien. Auch habe er von seiner Frau abgelassen, weil er nicht gewollt habe, dass sie tot sei. Seine Frau habe in der polizeilichen Vernehmung ausgesagt, dass ihr Mann immer gesagt habe, dass sie sein Gott sei und sie sich vorstellen könne, dass er sie nicht habe töten wollen, sondern ihr nur habe Angst einjagen wollen, damit sie sich nicht scheiden lasse. Er habe sich am 30. April 2008 in einer absoluten Ausnahmesituation befunden. Zur Schuldfähigkeit gebe es Ungereimtheiten. In einer solchen Situation komme der Ausweisung keine Steuerungsfunktion zu. Bezüglich der Einzelheiten der Schilderung des Tathergangs wird auf den klägerischen Schriftsatz vom 10. April 2015 (Bl. 215 - 218 d. A.) Bezug genommen.

27

Seinen Sohn rufe er regelmäßig an; warum dieser ihn nicht anrufe, wisse er nicht genau. Im Sommer 2014 habe er für ca. zwei Monate diesen einmal wöchentlich für ca. 5 Stunden getroffen und mit ihm etwas unternommen. Der Kontakt sei aber von der Mutter unterbunden worden. Seit April 2014 habe er eine neue Partnerin. Er wohne bei seinem Bruder ... und dessen Familie, die neben der afghanischen inzwischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen. Er habe regelmäßig Kontakt zu einem weiteren Bruder in Hamburg, der im Besitz einer Niederlassungserlaubnis sei, sowie zu einer in Hamburg lebenden Schwester, die im Besitz einer auf drei Jahre befristeten Aufenthaltserlaubnis sei. Er arbeite bei seinem Neffen, verdiene dort monatlich 400 Euro und beziehe in geringem Umfang ergänzende Unterstützungsleistungen. Eine Rückkehr nach Afghanistan könne er sich nicht vorstellen. Er habe dort keinen Kontakt. Der telefonische Kontakt zu seinem allein dort verbliebenen behinderten Bruder sei vor ca. 6 Monaten plötzlich abgebrochen. Das Haus in Herat sei durch seine Stiefbrüder, die in Dubai lebten, für 1,5 Millionen Dollar verkauft worden. Die Stiefbrüder hätten das Geld behalten. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er, dass er erpresst werden würde. Bezüglich der Lebensverhältnisse des Klägers wird ergänzend auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie die klägerischen Schriftsätze Bezug genommen.

28

Der Kläger war am 31. Oktober 2011 zunächst in den offenen Vollzug verlegt und ist am 29. April 2013 aus der Strafhaft entlassen worden, nachdem das Landgericht Hamburg mit Beschluss vom 25. Februar 2013 (605 StVK 369/12) die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt hatte. Die Bewährungszeit ist bis zum 28. April 2017 festgesetzt worden. Seit seiner Haftentlassung am 29. April 2013 steht der Kläger unter Bewährungsaufsicht. Die Bewährungshelferin, ..., hat mit Schreiben vom 1. November 2013 (Bl.127 Beiakte A), 11. Juli 2014 (Bl. 111 d. A.) sowie 17. Dezember 2014 (Bl. 132 Beiakte A), auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, Stellung genommen. Sie führt u.a. aus: Der Kläger arbeite seit seiner Haftentlassung im Imbiss ... seines Neffen und verdiene monatlich 750,00 Euro. Bei seinem Bruder zahle er 130,00 Euro Miete. Soziale Kontakte habe der Kläger vorwiegend zu seiner Verwandtschaft in Hamburg. Aufgrund der eingeschränkten Deutschkenntnisse sei eine Verständigung mit dem Kläger schwierig. Tiefergreifende Gespräche seien im Rahmen der Bewährungshilfe aufgrund der geringen Deutschkenntnisse nicht möglich gewesen. Die Deutschkenntnisse hätten sich nicht wesentlich verbessert, da der Kläger sich vorwiegend unter Landsleuten aufhalte. Zu den Gesprächen der Bewährungshilfe bringe der Kläger meistens seine Freundin mit, die für ihn gelegentlich übersetze.

29

Ausweislich der beigezogenen familiengerichtlichen Akten des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg (982 F 94/10 und 982 F 32/12 - Beiakten F und G), auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat sich der Kläger darum bemüht, ein Umgangsrecht zu seinen Kindern Y..., M... und S... zu erhalten. Ausweislich der Stellungnahme des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie ... vom 4. Oktober 2010 (Bl. 35 Beiakte G) leiden alle drei Kinder als direkte Folge der Gewalttat des Klägers unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, wobei diese bei M… weniger ausgeprägt sei, da sie während der Tat geschlafen habe. In der Stellungnahme vom 16. November 2011 (Bl. 28 Beiakte F) führte Dr. K... aus, dass die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung bei Y... und S…. habe gesichert werden können. Bei S..., der sich in regelmäßiger traumatherapeutischer Behandlung befinde, habe sich die Situation erfreulicher Weise beruhigt. Aus der Stellungnahme des Verfahrensbeistandes der Kinder vom 28. Februar 2012 (Bl. 35 f. Beiakte F) geht hervor, dass diese keinen Kontakt zu ihrem Vater wünschen. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 28. Februar 2012 hat der Kläger den Antrag auf Erhalt eines Umgangsrechts zurückgenommen, da er akzeptiere, dass es für die Kinder wichtig sei, dass ein Umgang nur auf deren Initiative stattfinde (vgl. Bl. 37 ff., 41 Beiakte F).

30

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird ergänzend auf die Gerichtsakte sowie die dem Gericht vorliegenden Sachakten (vgl. Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 15. Juni 2015 waren, Bezug genommen. Hinsichtlich des Werdegangs des Klägers sowie seiner persönlichen Entwicklung wird ergänzend insbesondere auf die Gutachten des Diplompsychologen W... (Beiakte A Bl. 26 ff. und 41 ff.) sowie die Stellungnahme des Diplompsychologen J...(Beiakte A Bl. 47 ff.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

31

Auf die zulässige Berufung der Beklagten ist die Klage gegen die angefochtene Ausweisung in der Verfügung der Beklagten vom 1. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. März 2012 abzuweisen (I.) und die Beklagte zu verpflichten, die Wirkungen der Ausweisung im tenorierten Umfang zu befristen (II.).

I.

32

Nach dem für den Senat maßgeblichen Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.11.2007, 1 C 45/06, BVerwGE 130, 20, juris Rn. 12) ist die angefochtene Ausweisung in der Verfügung der Beklagten vom 1. Dezember 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. März 2012 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

33

Rechtsgrundlage der Ausweisung ist §§ 53 Nr. 1 i.V.m. 56 Abs. 1 AufenthG (hierzu unter 1.). Es liegen schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vor (hierzu unter 2.). Eine Ausnahme von der nach § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG vorzunehmenden Regelausweisung ist nicht gegeben (hierzu unter 3.). Die Ausweisung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht (hierzu unter 4.).

34

1. Der Kläger hat, indem er rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde, den zwingenden Ausweisungsgrund nach § 53 Nr. 1 AufenthG verwirklicht. Der Kläger genießt gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz, weil er bei Erlass der Ausweisungsverfügung vom 1. Dezember 2011 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis war und sich seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte.

35

Dem Kläger steht kein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG zu. Danach genießt ein Ausländer besonderen Ausweisungsschutz, der mit einem deutschen Familienangehörigen - hiervon umfasst ist die aus den Eltern und deren Kindern bestehende Kleinfamilie (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 22.11.2012, 3 So 71/12, InfAuslR 2013, 89, juris Rn. 8 m.w.N.) - in einer familiären Lebensgemeinschaft lebt. Der im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht allein bestehende telefonische Kontakt zu seinem Sohn S... begründet keine familiäre Lebensgemeinschaft.

36

2. Aufgrund des besonderen Ausweisungsschutzes darf der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Solche liegen in der Regel vor, wenn der Ausweisungsgrund des § 53 Nr. 1 AufenthG erfüllt ist (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG) und sind vorliegend im Hinblick auf die durch die Ausweisung bezweckten generalpräventiven Ziele gegeben (vgl. zur Systematik der Ausweisungstatbestände: BVerwG, Beschl. v. 1.9.2014, 1 B 13/14, InfAuslR 2014, 420, juris Rn. 11 f.).

37

2.1. Das Verwaltungsgericht hat zwar mit zutreffenden Erwägungen (Urteil Seite 8 - 14 unter I.1.) ausgeführt, dass insbesondere im Hinblick auf die gutachterlichen Stellungnahmen der Diplom-Psychologen W... und J... vom 6. September 2011, 11. Oktober 2011 und 9. Dezember 2012 sowie das Verhalten des Klägers nach seiner Haftentlassung keine hinreichend wahrscheinliche Gefahr der Wiederholung gleichartiger Straftaten besteht. Die Ausführungen des Verwaltungsgericht macht sich das Berufungsgericht zu Eigen und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, § 130b Satz 2 VwGO.

38

Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegen jedoch im Hinblick auf die durch die Ausweisung bezweckten generalpräventiven Ziele vor; insoweit ist keine Ausnahme vom Regelfall gegeben. Eine Ausweisung allein aus generalpräventiven Gründen ist bei Ausländern, die besonderen Ausweisungsschutz genießen, im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur ausnahmsweise dann zulässig, wenn der Straftat besonderes Gewicht zukommt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Dieses kann sich bei Straftaten insbesondere aus deren Art, Schwere und Häufigkeit ergeben. Insoweit werden an die Ausweisung allein aus generalpräventiven Gründen sehr hohe Anforderungen hinsichtlich der Annahme schwerwiegender Gründe im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG gestellt. Dabei kommt es stets auf die besondere Schwere der Straftat im Einzelfall an. Dies setzt voraus, dass die konkreten Umstände der begangenen Straftat oder Straftaten, wie sie sich aus dem Strafurteil und dem vorangegangenen Strafverfahren ergeben, ermittelt und individuell gewürdigt werden. Die besondere Schwere der Straftat im Hinblick auf die verhaltenssteuernde Wirkung der Ausweisung auf andere Ausländer erfordert, dass von einer derartigen Straftat eine besonders hohe Gefahr für den Staat oder die Gesellschaft ausgeht (vgl. insgesamt: BVerwG, Urt. v. 14.2.2012, 1 C 7/11, BVerwGE 142, 29, juris Rn. 17 ff., 24).

39

Da der Gesetzgeber selbst grundsätzlich generalpräventive Motive im Ausweisungsrecht anerkennt und gerade bei strafrechtlichen Verurteilungen auch als alleinigen Grund für eine Ausweisung billigt, können die Gerichte und Behörden bei der Anwendung der einschlägigen Vorschriften dies nicht wegen eines fehlenden empirischen Nachweises der Abschreckungswirkung für andere Ausländer oder wegen des zunehmenden Anteils nur spezialpräventiv auszuweisender Ausländer in Frage stellen. Insoweit ist vielmehr die Einschätzung des Gesetzgebers, die im Rahmen des ihm zustehenden weiten gesetzgeberischen Ermessens liegt und nicht erkennbar willkürlich ist, zu respektieren (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.2.2012, 1 C 7/11, juris Rn. 19).

40

Das Unionsrecht gebietet keine weiteren Einschränkungen der Ausweisung des Klägers; sie darf insbesondere nicht nur aus spezialpräventiven Gründen vorgenommen werden. Die Richtlinie RL 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (ABl. Nr. L 158 S. 77; Unionsbürgerrichtlinie), die in Art. 27 Abs. 2 bzw. in deren Umsetzung nach § 6 Abs. 2 FreizügG/EU eine nur auf generalpräventive Gründe gestützte Ausweisung von Unionsbürgern verbietet, findet vorliegend keine Anwendung. Sie gilt gemäß § 1 FreizügG/EU nur für Staatsangehörige anderer Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und deren Familienangehörige, die sich im Bundesgebiet aufhalten (vgl. zum Anwendungsbereich: Bauer in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Auflage 2013, vor §§ 53-56 AufenthG, Rn. 36 ff.).

41

Ebenso kann der Kläger aus der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. Nr. L 251 S. 12; Familienzusammenführungsrichtlinie), sowie der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. Nr. L 16, S. 44; Daueraufenthaltsrichtlinie) keine für ihn günstigere Rechtsstellung herleiten. Die Familienzusammenführungsrichtlinie gilt nach deren Art. 3 Abs. 3 nicht für Familienangehörige eines Unionsbürgers. Der Aufenthalt des Klägers dient nicht i.S.v. Art. 2 Buchstabe d RL 2003/86/EG der Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft mit einem ausländischen Familienangehörigen, zu denen nach Art. 4 Abs. 1 RL 2003/86/EG der Ehegatte sowie die minderjährigen Kinder zählen. Im Übrigen spricht Überwiegendes dafür, dass Art. 6 Abs. 2 RL 2003/86/EG dahingehend auszulegen ist, dass eine Ausweisung auch ausschließlich auf generalpräventive Gründe gestützt werden kann (vgl. Bauer in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Auflage 2013, vor §§ 53-56 AufenthG, Rn. 68 ff.). Die Anforderungen, die die durch § 9a AufenthG in die bundesdeutsche Rechtsordnung umgesetzte Daueraufenthaltsrichtlinie (RL 2003/209/EG) stellt, erfüllt der Kläger nicht (vgl. allgemein zur Daueraufenthaltsrichtlinie: Bauer in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Auflage 2013, vor §§ 53-56 AufenthG, Rn. 81 ff.). Er war nicht im Besitz einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU; hierfür fehlt es schon an ausreichenden Kenntnissen der deutschen Sprache (vgl. §§ 9a Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. 2 Abs. 11 AufenthG).

42

Generalpräventive Gründe rechtfertigen für sich die Ausweisung des Klägers aus dem Bundesgebiet. Im Einzelnen:

43

2.2. Das Berufungsgericht folgt den Feststellungen des Landgerichts im Urteil vom 27. Oktober 2008 insbesondere zur Vorgeschichte der Tat, zum Tathergang, zur Motivation des Klägers - auch hinsichtlich des Vorsatzes sowie des Ablassens von der weiteren Tatbegehung, nachdem seine Tochter Y... das Badezimmer betreten hat - sowie zu der vom Landgericht angenommenen vollen Schuldfähigkeit des Klägers.

44

2.2.1. Soweit der Kläger einwendet, im strafgerichtlichen Verfahren habe es Ungereimtheiten gegeben und insoweit seine Aussage in der polizeilichen Vernehmung am 1. Mai 2008 und die Vernehmung von Frau M...D... am 14. Mai 2008 anführt, erschüttert dies zur Überzeugung des Berufungsgericht nicht das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 27. Oktober 2008. Insoweit ist das Berufungsgericht zwar nicht an die Feststellungen des Landgerichts im Strafurteil gebunden. Insbesondere erstreckt sich die Rechtskraft des Strafurteils nicht auf die Entscheidungsgründe (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 58. Auflage 2015, Einl Rn. 168 ff.). Auch ist die Bindungswirkung des Strafurteils nicht aufgrund einer anderweitigen gesetzlichen Regelung - wie z.B. in §§ 23, 57 Bundesdisziplinargesetz - angeordnet worden. Ebenso wie in einem nachfolgenden strafgerichtlichen Verfahren darf der Richter eines nachfolgenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, für den die Feststellungen des vorangegangenen Strafverfahrens entscheidungserheblich sind, diese Feststellungen daher nicht ungeprüft übernehmen. Er kann sich aber von deren Richtigkeit durch die im strafgerichtlichen Urteil mitgeteilten Gründe überzeugen. Beanstandet ein Verfahrensbeteiligter die Richtigkeit der dort getroffenen Feststellungen, muss der neue Tatrichter prüfen, ob diese Beanstandungen nach seiner Auffassung geeignet sind, die dort gezogenen Schlüsse zu erschüttern. Ist dies nicht der Fall, so kann er diese sowie ggf. einen Beweisantrag, der gestellt wird, um die Unrichtigkeit der früheren Feststellungen zu beweisen, als bedeutungslos ablehnen. Hält er das Vorbringen bzw. ggf. den Beweisantrag dagegen für geeignet, das Beweisgebäude zu erschüttern, muss er ihm nachgehen, sofern die Feststellung der früheren Tatbegehung für seine eigene Entscheidung von Bedeutung ist (vgl. BGH, Beschl. v. 3.6.1997, 1 StR 183/97, BGHSt 43, 106, juris Rn. 6; BGH, Beschl. v. 17.6.2008, 4 StR 77/08, NStZ 2008, 685, juris Rn. 8).

45

Nach dieser Maßgabe erschüttert das Vorbringen des Klägers zur Überzeugung des Berufungsgerichts nicht die Feststellungen im strafgerichtlichen Urteil. Der Kläger macht geltend, er habe in der polizeilichen Vernehmung am 1. Mai 2008 um 3:35 Uhr angegeben, er sei in das Badezimmer gegangen, habe seiner Frau gesagt, dass er ein unschuldiger Mann sei, und dass ihm dann die Nerven kaputt gegangen seien. Soweit der Kläger damit begründen will, dass er bei Begehung der Tat vermindert schuldfähig gewesen sei, hat das Landgericht dies überzeugend abgelehnt (S. 36 f. Urteil LG Hamburg vom 27.10.2008). Gegen eine verminderte Schuldfähigkeit spricht insbesondere, dass der Kläger die Tatwaffe ohne besondere krisenhafte Zuspitzung bereits mehrere Stunden vor Tatbegehung von der Arbeit mit nach Hause genommen hat und es an einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen emotionaler Erregung und Tatbegehung im Sinne eines plötzlichen Auslösers fehlte. Vielmehr hatte sich die besonders angespannte Lage nach dem Auseinandergehen der Familienmitglieder sogar beruhigt. Der Kläger hatte sich in sein Zimmer begeben. Das weitere Vorgehen des Klägers zeigt ein erhebliches Maß an Kontrolle (vgl. S. 10 f. Urteil LG Hamburg): Kurz nachdem der Kläger sich in sein Zimmer begeben hatte, verließ die Tochter S...mit ihrem Ehemann die Wohnung. Der Angeklagte bemerkte dies. Er begab sich in den Flur, nahm das Messer aus seiner Jacke an sich, ging zurück in sein Zimmer, legte das Messer unter sein Kopfkissen und legte sich für kurze Zeit noch einmal hin. Nachdem er anhand der Geräuschkulisse bemerkt hatte, dass sich seine Ehefrau in dem räumlich beengten Badezimmer befand, verließ er mit dem Messer in der Hand sein Zimmer und ging zu seiner Ehefrau in das Badezimmer. Dort griff er sie unvermittelt an.

46

Soweit der Kläger weiter geltend macht, er habe von seiner Frau abgelassen, weil er nicht gewollt habe, dass sie tot sei, hat sich das Landgericht demgegenüber überzeugend aus der Gesamtschau der Beweise darauf gestützt, dass der Kläger erklärt hat, dass er nicht weiter auf seine Ehefrau eingestochen habe, weil „sein kleines Kind (sein Sohn S...) vor die Tür gekommen sei“. Er habe dann auch die Tür „zugemacht“ (vgl. S. 22 Urteil LG Hamburg). Hinsichtlich der Fähigkeiten des bei der polizeilichen Vernehmung eingesetzten Dolmetschers Karimi hat sich das Landgericht Hamburg von dessen sprachlichen Fähigkeiten, insbesondere in grammatikalischer Hinsicht und bezüglich der Wortwahl, überzeugt.

47

Die vom Kläger angeführte Aussage der Ehefrau in der Vernehmung vom 14. Mai 2008, sie habe nicht geglaubt, was passiert sei, weil ihr Ehemann sie über alles geliebt habe und sie sich vorstellen könne, dass er sie nicht habe töten, sondern nur verletzen wollen, erschüttert nicht die Feststellungen des Landgerichts im Urteil vom 27. Oktober 2008. Den Tötungsvorsatz hat das Landgericht überzeugend aus den ihm zur Verfügung stehenden Beweismitteln, insbesondere auch der Aussage des Klägers selbst „er habe sie töten wollen, weil sie sich habe scheiden lassen wollen“ abgeleitet (S. 22 Urteil LG Hamburg).

48

Insgesamt hat das Landgericht die Einlassungen des Klägers - auch jene in der Vernehmung vom 1. Mai 2008 - sowie der Zeugen umfangreich gewürdigt (vgl. S. 21 - 32 Urteil LG Hamburg) und nachvollziehbar sowie für das Berufungsgericht überzeugend in seine Überzeugungsbildung einbezogen.

49

2.2.2. Das Landgericht ist ferner für das Berufungsgericht überzeugend davon ausgegangen, dass die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Klägers zur Tatzeit nicht erheblich vermindert oder sogar aufgehoben war. Die Ausführungen des Landgerichts hierzu (vgl. S. 36 f. Urteil LG Hamburg) sind nachvollziehbar. Aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 27. Mai 2009 (5 StR 156/09), mit dem dieser die Revision des Klägers als unbegründet verworfen hat, ergibt sich nichts anders. Zwar hält der Bundesgerichtshof die Hinzuziehung eines Sachverständigen für vorzugswürdig. Er hat die Ablehnung des klägerischen Beweisantrags zum Vorliegen einer verminderten Schuldfähigkeit jedoch für das Berufungsgericht überzeugend gleichberechtigt („einerseits“ – „andererseits“) auch deshalb für vertretbar gehalten, weil das Landgericht seine eigene Sachkunde durch die überaus sorgfältige Würdigung der Anknüpfungstatsachen und Erörterung derselben hinreichend belegt hat.

50

2.3. Die vom Kläger begangene Straftat wiegt besonders schwer. Es besteht ein dringendes Bedürfnis daran, über eine strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten.

51

Die Schwere der Straftat drückt sich indiziell in der Höhe der verhängten Strafe aus, die mit sieben Jahren und sechs Monaten deutlich die in § 53 Nr. 1 AufenthG normierte Mindeststrafhöhe von drei Jahren übersteigt. Unter den Strafvorschriften zum Schutz des Lebens ist Mord wegen der besonderen in § 211 Abs. 2 StGB aufgeführten Begehungsmomente die schwerste Straftat. Der Schutz des Lebens anderer ist essentielle Voraussetzung eines geordneten gesellschaftlichen Zusammenlebens im Bundesgebiet; das menschliche Leben gehört zu den höchsten zu schützenden Rechtsgütern des bundesdeutschen Rechtssystems. Dem Anliegen der Ausweisung, anderen Ausländern zu verdeutlichen, dass ein Aufenthalt im Bundesgebiet die Achtung des Lebens anderer voraussetzt, kommt daher für das Zusammenleben im Bundesgebiet grundlegende Bedeutung zu. Diese Bedeutung wird nicht dadurch abgeschwächt, dass der vom Kläger begangene versuchte Mord sowie die schwere Körperverletzung als Beziehungstat in seinem familiären Umfeld erfolgten und der Mord aufgrund des beherzten Eingreifens seiner damals 13-jährigen Tochter Y... nicht vollendet wurde. In der bundesdeutschen Rechtsordnung, in welcher insoweit ein gesellschaftlicher Konsens zum Ausdruck kommt, ist zudem der Wunsch einer Ehefrau, sich von ihrem Ehemann scheiden zu lassen, zu respektieren. Im Hinblick darauf besteht ein dringendes Bedürfnis, den Kläger über die strafrechtliche Sanktion hinaus aus dem Bundesgebiet auszuweisen, d.h. ihm einen weiteren rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet und damit eine Verfestigung seines Aufenthaltsrechts zu verwehren, ihm einen Aufenthalt im Bundesgebiet bis zum Ablauf des Befristungszeitraums zu verwehren und dies ggf. auch zwangsweise durchzusetzen, um andere Ausländer in ähnlichen Situationen von entsprechenden Straftaten abzuhalten.

52

2.4. Auf der Grundlage der überzeugenden Feststellungen des Landgerichts Hamburg kann die Ausweisung wegen des abgeurteilten Tatgeschehens am 30. April 2008 auch auf andere Ausländer in einer ähnlichen Situation eine abschreckende, generalpräventive Wirkung entfalten.

53

Allerdings setzt die Eignung zur Generalprävention im Einzelfall voraus, dass es im Bundesgebiet überhaupt Ausländer gibt, die sich in einer mit dem Betroffenen vergleichbaren Situation befinden, ohne dass es auf deren Zahl im Einzelnen ankommt. Im Hinblick darauf können einzigartige Verfehlungen singulären Charakters eine Ausweisung nicht begründen, weil nicht die Gefahr besteht, dass auch ein anderer Ausländer eine vergleichbare Verfehlung begehen wird (Discher in GK, AufenthG, Stand Juni 2009, II - Vor §§ 53 ff., Rn. 447f.). Auch wenn die vorliegende Straftat in einem spezifischen menschlichen Beziehungsgeflecht wurzelt, handelt es sich doch um ein Verhaltensmuster, das nicht einzigartig ist. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Ehemann - vorliegend vor einem muslimisch afghanisch geprägten Sozialisations- und Fluchthintergrund - den Wunsch seiner Ehefrau nach Scheidung der Ehe nicht akzeptieren will. Auch der weitere Hintergrund der Tat, wie der nicht verarbeitete Tod des Sohnes Y..., die schwierige eheliche Situation nach dem Tod des Sohnes sowie das Bemühen des Klägers, dennoch die Ehe weiterzuführen, machen die Tat nicht zu einer einzigartigen. Denn das Ringen um die Fortführung der Ehe sowie weitere persönliche Umstände aus der (gemeinsamen) Lebensgeschichte sind keine außergewöhnlichen Begleiterscheinungen einer (hier ehelichen) Beziehungstat.

54

Die Ausweisung ist auch nicht deshalb zur Generalprävention ausnahmsweise ungeeignet, weil die der Maßnahme zugrundeliegende Gewalttat eine Leidenschafts- bzw. Situationstat ist, deren Begehung von einer rationalen Steuerung weit entfernt ist bzw. der eine rationale Steuerung nicht zugrunde liegt. Insoweit ist zwar anerkannt, dass in Bezug auf elementar eruptive Gewalttaten auch die strengstmögliche Sanktion potentielle Täter mit ähnlicher Veranlagung in vergleichbaren Situationen kaum von der Begehung einer ähnlichen Tat wird abhalten können (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.12.1984, 1 B 148/84, InfAuslR 1985, 101, juris Rn. 7; Urt. v. 26.2.1980, 1 C 90/76, BVerwGE 60, 75; juris Rn. 11); insoweit kann es ggf. aber hinreichend sein, dass Ausländer durch die Ausweisung davon abgehalten werden, die Bedingungen herbeizuführen, unter denen sie dann im Zustand verminderter oder gar fehlender Schuldfähigkeit Straftaten begehen (vgl. VGH Kassel, Beschl. v. 25.6.1998, 13 UE 1304/95, AuAS 1998, 232, juris Rn. 23), oder davon abgehalten werden, Messer, Waffen bzw. ähnliche gefährliche Werkzeuge bereit zu halten (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.5.1973, I C 33/72, BVerwGE 42, 133, juris Rn. 35).

55

Auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts Hamburg hat der Kläger keine elementar eruptive Gewalttat begangen, die von einer rationalen Steuerung weit entfernt liegt. Zwar war der Kläger bei Begehung der Tat affektiv durch Wut, Verzweiflung und Verlustängste erregt. Seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit war zur Tatzeit jedoch nicht erheblich vermindert. Die rationale Steuerung zeigt sich - unabhängig von der strafrechtlichen Würdigung - auch im bereits geschilderten Tathergang: Der Kläger hat bereits Stunden vor der Tatbegehung im Hinblick auf die von ihm jedenfalls in Betracht gezogene Tötung seiner Ehefrau das Messer von seiner Arbeit mit nach Hause genommen. Er hat dieses, nachdem sich die häusliche Situation zunächst beruhigt hatte und er bemerkt hatte, dass seine Tochter S... und deren Ehemann die Wohnung verlassen hatten, aus seiner im Flur hängenden Jacke herausgenommen und unter sein Kopfkissen gelegt. Erst nachdem er gehört hatte, dass seine Ehefrau sich im räumlich beengten Badezimmer befand und nicht mehr in ihrem abgeschlossenen und damit sicheren Schlafzimmer, hat er das Messer genommen, ist ins Badezimmer gegangen und hat unvermittelt auf seine Ehefrau eingestochen.

56

Selbst wenn der Kläger bei der versuchten Tötungshandlung - wie von ihm vorgetragen - vermindert schuldfähig gewesen sein sollte, wäre seine Ausweisung geeignet, andere Ausländer davon abzuhalten, Vorbereitungen für eine Tötung vorzunehmen, z.B. durch die Mitnahme eines Messers.

57

3. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG wird der Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn die Voraussetzungen des § 53 AufenthG vorliegen. So liegt es hier. Ein durch eine atypische Situation gekennzeichneter Ausnahmefall mit der Folge, dass die Ausweisung im Ermessen der Beklagten steht, liegt nicht vor. Bei dieser Prüfung sind alle Umstände der strafgerichtlichen Verurteilung sowie die sonstigen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen, die in § 55 Abs. 3 AufenthG nicht abschließend (BVerwG, Urt. v. 19.11.1996, 1 C 6/95, BVerwGE 102, 249) genannt werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 1.9.2014, 1 B 13/14, juris Rn. 12 m.w.N.). Ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - liegt dabei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 23.10.2007, 1 C 10/07, BVerwGE 129, 367, juris Rn. 24 f.) bereits dann vor, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten. Hierdurch ist die Ermessensentscheidung jedoch nicht dahingehend vorgeprägt, dass zwingend von der Ausweisung abzusehen wäre. Insbesondere bei der im Laufe der Zeit angewachsenen Gruppe im Bundesgebiet geborener und aufgewachsener Ausländer bedarf es bei der Entscheidung über eine Ausweisung einer individuellen Würdigung, inwieweit der Ausländer im Bundesgebiet verwurzelt ist und dies angesichts der konkreten Ausweisungsgründe bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles einer Ausweisung entgegensteht. Aber auch in anderen Fällen erweist sich der schematische Blick der Verwaltung auf die Ist- und Regelausweisung als wenig hilfreich, um das gesamte Spektrum betroffener Belange in den Blick nehmen zu können. Allerdings erfordert nicht jede Berührung der durch Art. 6 GG bzw. Art 8 EMRK geschützten Belange eines Ausländers in Fällen einer zur Regelausweisung herabgestuften Ist-Ausweisung zwingend die Ausübung behördlichen Ermessens. Erforderlich ist vielmehr, dass die genannten Belange des Ausländers unter wertender Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles einen - der Situation sog. faktischer Inländer vergleichbaren - besonders hohen Grad an Schutzwürdigkeit erreichen bzw. es im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen geboten erscheint, die Entscheidung über die Ausweisung in das Ermessen der Beklagten zu stellen, um das gesamte Spektrum betroffener Belange angemessen in den Blick nehmen zu können (vgl. VGH Kassel, Beschl. v. 14.1.2009, 9 A 1622/08.Z, EZAR-NF 44 Nr. 10, juris 20 ff.).

58

Gemessen an diesem Maßstab liegt ein Ausnahmefall nicht vor. Der Kläger ist nicht ebenso wie ein faktischer Inländer in besonders hohem Maße schutzwürdig; es ist nicht geboten, die Entscheidung über seine Ausweisung in das Ermessen der Beklagten zu stellen, um das gesamte Spektrum betroffener Belange angemessen in den Blick nehmen zu können. Im Einzelnen:

59

Die Straftat - versuchter Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung - ist von ganz erheblicher Schwere. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen Ausführungen unter I.2.3. (Seite 17) Bezug genommen. Es besteht daher ein dringendes Bedürfnis an der Ausweisung des Klägers. Diesem Bedürfnis stehen keine ähnlich gewichtigen Umstände entgegen, aufgrund derer ernsthaft in Betracht zu ziehen wäre, von der Ausweisung abzusehen oder die eine Ermessensentscheidung erfordern würden, um das gesamte Spektrum betroffener Belange angemessen in den Blick nehmen zu können.

60

Solche Umstände ergeben sich nicht aus dem Tatgeschehen. Obwohl der Kläger affektiv durch Wut, Verzweiflung und Verlustängste erregt war, zeigt die Ausführung der Tat - wie ausgeführt - ein erhebliches Maß an Kontrolle. Der Ausweisung entgegenstehende gewichtige Gründe, die einen Ausnahmefall von der regelhaft vorzunehmenden Ausweisung begründen könnten, ergeben sich auch nicht aus sonstigen Umständen:

61

Insoweit ist zwar zu berücksichtigen, dass sich der Kläger bei Begehung der Tat in einer emotionalen Ausnahmesituation befand, er vor Begehung der Tat und danach strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, sich in der Haft ausweislich des Inhalts der Gefangenen-Personalakten (auf die Beiakten L bis O wird Bezug genommen) weitgehend beanstandungslos geführt und die Tat offenbar auch so verarbeitet hat, dass er eine solche in ähnlicher Situation nicht erneut begehen würde. Insbesondere zur persönlichen Entwicklung des Klägers und seinem Verhalten während und nach der Haft wird ergänzend auf den Inhalt des Strafvollstreckungsheftes (Beiakte A) Bezug genommen.

62

Der Kläger ist aufgrund seines bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet hier jedoch nur ansatzweise verwurzelt. Er reiste 1996 mit 36 Jahren in das Bundesgebiet ein. Von November 2001 bis zum Erlass der Ausweisungsverfügung im Dezember 2011 war er im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltstitels. Obwohl sich der Kläger seit ca. 20 Jahren im Bundesgebiet aufhält - davon 5 Jahre in Haft -, spricht er kaum Deutsch; er kann weder Lesen noch Schreiben. Dies erschwert nachhaltig seine Integration, obwohl anzuerkennen ist, dass er mehrfach versucht hat, die deutsche Sprache zu erlernen. Der Kläger hat stabile soziale Kontakte im Bundesgebiet, die sich aber fast ausschließlich auf die im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen beschränken. Es handelt sich insbesondere um den Kontakt zu seinem Bruder..., und dessen Familie, in dessen Haus er zur Miete wohnt und der neben der afghanischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Weiterer Kontakt besteht zu einem weiteren Bruder, der afghanischer Staatsangehöriger und im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist, zu seiner Schwester, die im Besitz einer befristeten Aufenthaltserlaubnis ist, sowie zu den Enkelkindern seines Onkels väterlicherseits; schriftsätzlich hat der Kläger angegeben, auch zu einem Stiefbruder und mehreren Cousins, zu seiner Schwiegermutter und der Schwester seiner früheren Ehefrau Kontakt zu haben. Der Kläger hat eine Freundin, die deutsche Staatsangehörige ist und auch dem afghanischen Kulturkreis entstammt. Seine frühere Ehefrau und seine drei Töchter wünschen keinen Kontakt mehr zum Kläger; nach Angaben des Klägers leiden sie weiterhin unter der Tat. Der Kontakt zu seinem Sohn S..., der neben der afghanischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ist derzeit auf einen einmal monatlich erfolgenden telefonischen Kontakt beschränkt, der vom Kläger ausgeht. Es ist derzeit nicht absehbar, dass sich dieser Kontakt zeitnah zu einer familiären Lebensgemeinschaft entwickeln wird. Auch ist für den Kläger der Besuch des Grabes seines verstorbenen Sohnes in Hamburg wichtig.

63

Obwohl der Kläger von Oktober 2001 bis zum Erlass der Ausweisungsverfügung vom 1. Dezember 2011 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis war, hat er sich nicht nachhaltig wirtschaftlich in das Bundesgebiet integriert. Zwar hat er immer - offenbar vermittelt durch Verwandte - gearbeitet. Mit Ausnahme der Jahre 2005/2006 hat er bzw. seine Familie aber während des gesamten Aufenthalts im Bundesgebiet ergänzend staatliche Unterstützung in Anspruch genommen, da er bzw. seine Ehefrau ihren Lebensunterhalt nicht sichern konnten. In den Jahren 2005/2006 ist der Kläger als selbständiger Unternehmer tätig gewesen, um - nach seinen Angaben - die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen; diese wirtschaftliche Tätigkeit konnte nicht erfolgreich fortgeführt werden. Derzeit verdient der Kläger monatlich 400 Euro. Nach seinen Bekundungen soll die Tätigkeit jeweils zum Winter hin ausgeweitet und der Verdienst auf ca. monatlich 750 Euro aufgestockt werden. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Kläger ausweislich der Stellungnahmen des Diplompsychologen W... vom 6. September 2011 (vgl. Bl. 31 Beiakte A) sowie des Diplompsychologen J... vom 9. Dezember 2012 (Bl. 53 Beiakte A) erhebliche Schulden hatte.

64

Der Kläger ist nicht dem afghanischen Kulturkreis und noch nicht den Lebensverhältnissen in Afghanistan entwurzelt. Nach Angaben des Klägers leben in Afghanistan keine unmittelbaren Familienangehörigen mehr; seine Geschwister und Halbgeschwister haben Afghanistan verlassen. Jedoch hat er bis vor einem halben Jahr noch telefonischen Kontakt zu einem nach seinen Angaben behinderten Bruder gehabt, der in Herat gelebt und Besitzer eines Ladens war, den er vermietet hat. Es kann offen bleiben, ob diese erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Schilderung zutreffend ist. Das Gericht hat hieran Zweifel, weil der behinderte Bruder demnach in der Lage war, seit dem Tod der Mutter allein zu leben - die Mutter des Klägers ist ausweislich der Angaben in der Stellungnahme des Diplompsychologen J... vorm 9. Dezember 2012 (vgl. Bl. 49 Beiakte A) ca. 1997 verstorben -, einen Laden zu vermieten und aus diesen Mieteinnahmen zu leben. Auch wenn der Bruder des Klägers nach dessen Angaben „seinen Mund nicht halten“ und „die Leute beschimpft“ habe, erscheint dem Gericht ein plötzliches spurloses Verschwinden, nach Vermutungen des Klägers durch die Taliban oder den IS, wenig glaubhaft.

65

Auch wenn keine Verwandten des Klägers mehr in Afghanistan leben sollten, ist bezüglich einer Wiedereingliederung des Klägers in die afghanische Gesellschaft zu berücksichtigen, dass der Kläger bis zu seinem 36. Lebensjahr in Afghanistan gelebt hat, er somit dort aufgewachsen ist und die ihn prägende Zeit dort verbracht hat. Er spricht Dari und hat sich auch im Bundesgebiet in einem afghanisch geprägten Bekannten- und Verwandtenkreis aufgehalten. Auch wird es dem Kläger möglich sein, jedenfalls über Internet in Verbindung mit seinen im Bundesgebiet lebenden Verwandten und Bekannten zu bleiben. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, er befürchte bei einer Rückkehr nach Afghanistan erpresst zu werden, weil sein Vater ein reicher und bekannter Mann gewesen sei und auch bekannt sein würde, dass seine Halbbrüder das Grundstück für so viel Geld verkauft hätten, kann offen bleiben, ob eine derartige Gefahr der Erpressung im Fall einer Rückkehr bestehen würde. Ein daraus erwachsendes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG könnte im vorliegenden aufenthaltsrechtlichen Verfahren nicht berücksichtigt werden, da das Gericht an die gegenteiligen Feststellungen im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. August 2011 gebunden ist, vgl. § 42 Satz 1 AsylVfG.

66

Das Gericht geht im Weiteren davon aus, dass dem gesunden Kläger eine wirtschaftliche Integration in Afghanistan schwer fallen wird. Unter Umständen kann er dabei jedoch an Bekannte seines Vaters anknüpfen, der nach Angaben des Klägers ein reicher und bekannter Mann war. Gegebenenfalls wird er auf Hilfe seiner im Bundesgebiet lebenden Verwandten angewiesen sein; es ist nicht ersichtlich, dass die im Bundesgebiet lebenden Verwandten des Klägers, die diesen bisher unterstützt haben, ihm in Zukunft keine Hilfe mehr gewähren würden.

67

4. Die Ausweisung des Klägers verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

68

4.1. Die Ausweisung des Klägers verstößt nicht gegen die Gewährleistungen aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG. Der Eingriff in den Schutzbereich der genannten Grundrechte ist rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig. Trotz des langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet ist es dem Kläger angesichts der Schwere der begangenen Straftat und obwohl eine konkrete Wiederholungsgefahr derzeit nicht besteht, zuzumuten, nach Afghanistan zurückzukehren und für die Dauer der Befristung dem Bundesgebiet fernzubleiben. Die damit verbundenen Nachteile stehen in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit der Ausweisung verfolgten Zweck. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen unter I.3. Bezug genommen.

69

4.2. Die Ausweisung verletzt nicht die Rechte des Klägers aus Art. 8 EMRK. Zwar ist durch die Ausweisung das danach geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (vgl. Art. 8 Abs. 1 EMRK) betroffen. Der Eingriff ist jedoch gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK zulässig. Danach darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 EMRK nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist u.a. für die nationale oder öffentliche Sicherheit oder zur Verhütung von Straftaten. Die Frage, ob der durch eine Ausweisung bewirkte Eingriff im konkreten Einzelfall in diesem Sinne „notwendig“, insbesondere verhältnismäßig ist, ist anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien zu beurteilen (BVerwG, Beschl. v. 10.2.2011, 1 B 22.10, Buchholz 402.242 § 56 AufenthG Nr. 5 m.w.N.; Urt. v. 22.10.2009, 1 C 26.08, InfAuslR 2010, 91). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umständen auch andere gewichtige persönliche Belange zu berücksichtigen (vgl. zu den sog. Boultif/Üner-Kriterien: EGMR, Urteile v. 2.8.2001, Nr. 54273/00, Boultif, InfAuslR 2001, 476; v. 18.10.2006, Nr. 46410/99, Üner, NVwZ 2007, 1279; v. 13.10.2011, Nr. 41548/06, Trabelsi, EuGRZ 2012, 11). In Anwendung dieses Maßstabs ist der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen unter I.3. Bezug genommen.

70

4.3. Der Ausweisung des Klägers steht auch nicht die Unionsbürgerschaft (Art. 20 AEUV) des Sohnes des Klägers nach den Grundsätzen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs im Verfahren „Zambrano“ (v. 8.3.2011, Rs C- 34/09, InfAuslR 2011, 179) entgegen. Denn der Sohn des Klägers besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit, lebt bei seiner allein sorgeberechtigten deutschen Mutter und ist daher durch die Ausweisung nicht faktisch gezwungen, das Bundesgebiet zu verlassen; die Ausweisung des Klägers hat nicht zur Folge, dass sich sein Sohn gezwungen sähe, das Gebiet der Union zu verlassen, um seinen Vater zu begleiten (vgl. Bauer in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Auflage 2013, vor §§ 53-56 AufenthG, Rn. 40 f.).

II.

71

Hinsichtlich des erstinstanzlich vom Kläger gestellten Hilfsantrags auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung, über den das Berufungsgericht nach Abweisung der Klage hinsichtlich der Ausweisung zu entscheiden hat, ist die Klage nach Konkretisierung des Klagantrags (vgl. hierzu: OVG Münster, Beschl. v. 24.1.2013, 18 A 139/12, juris Rn. 33, 35) zulässig und im tenorierten Umfang begründet. Die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG aufgeführten Wirkungen der Ausweisung sind gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auf sechs Jahre und sechs Monate zu befristen. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG beginnt die Sperrfrist mit der Ausreise.

72

Die Ausweisung eines Ausländer mit besonderem Ausweisungsschutz ist - abgesehen vom hier nicht gegebenen Fall des § 11 Abs. 1 Satz 7 AufenthG - zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit in ihren Wirkungen zugleich von Amts wegen zu befristen. Ist eine Befristungsentscheidung nicht erfolgt, so führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit der ansonsten rechtmäßigen Ausweisung, sondern dazu, dass der Ausländer ggf. schon mit der Anfechtung der Ausweisung zugleich seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG durchsetzen kann. Dabei ist in dem Widerspruch gegen die Ausweisung zugleich der Antrag auf Befristung enthalten. Die Bemessung der Befristungsdauer ist eine gebundene Entscheidung (vgl. insgesamt: BVerwG, Urt. v. 14.2.2012, 1 C 7/11, BVerwGE 142, 29, juris Rn. 28 ff.; BVerwG, Urt. v. 13.12.2012, 1 C 14/12, InfAuslR 2013, 141, juris Rn. 11).

73

Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer - wie vorliegend - aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.

74

2. Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Bei einer allein aus generalpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung bedarf es der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange von der Ausweisung eine abschreckende Wirkung auf andere Ausländer ausgeht. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK messen und ggf. relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung ist hier nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts vorzunehmen. Bei fehlender behördlicher Befristungsentscheidung - wie hier - ist die gerichtliche Abwägung Grundlage des Verpflichtungsausspruchs (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.7.2012, 1 C 19/11, BVerwGE 143, 277, juris Rn. 42; Urt. v. 6.3.2014, 1 C 2/13, InfAuslR 2014, 223).

75

3. Unter Anwendung dieses Maßstabs hält das Berufungsgericht in einem ersten Schritt allein unter Berücksichtigung des generalpräventiven Zweckes der Ausweisung einen deutlich längeren Befristungszeitraum als sechs Jahre und sechs Monate für geboten. Im vorliegenden Fall geht es um die Abwehr von Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Mitbürger. Die Schwere der Straftat, die wenn auch emotional aufgewühlte, so dennoch kontrollierte, die Hilf- und Schutzlosigkeit des Opfers ausnutzende Begehungsweise der Tat erfordern zum Zwecke der Abschreckung anderer Straftäter in ähnlichen Konfliktlagen ein sehr deutliches Signal, dass bei Begehung einer ähnlichen Straftat eine Rückkehr in das Bundesgebiet auf lange Zeit nicht möglich sein wird; eine Abschreckung auf andere Ausländer erscheint für einen deutlich an zehn Jahre herangehenden Befristungszeitraum grundsätzlich geboten. Dies gilt auch, obwohl die Straftat nunmehr schon vor sieben Jahren begangen und der Kläger inzwischen auf Bewährung aus der Strafhaft entlassen wurde.

76

Unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Klägers sind die Wirkungen der Ausweisung jedoch auf 6 Jahre und 6 Monate zu befristen. Insoweit hat das Berufungsgericht insbesondere berücksichtigt, dass sich der Kläger seit 20 Jahren im Bundesgebiet aufhält, inzwischen fast 55 Jahre alt ist und hier in einem stabilen sozialen Netz von dem afghanischen Kulturkreis entstammenden Verwandten lebt, insbesondere seinen Geschwistern sowie deren Familien. Seit einem Jahr hat er eine neue Beziehung zu einer Frau, die wahrscheinlich durch seine Ausreise unterbrochen und auf gelegentliche telefonische Kontakte reduziert werden wird. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass ein Teil der Verwandten und Bekannten des Klägers inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit oder längerfristige Aufenthaltstitel besitzt, so dass er über deutliche soziale Bindungen im Bundesgebiet verfügt. Den Kontakt zu seinem Sohn S... wird er telefonisch aufrechterhalten können und müssen. Wirtschaftlich ist der Kläger nur teilweise in der Lage zu seinem Lebensunterhalt beizutragen. Da der Kläger seinen Lebensunterhalt bisher - mit Ausnahme der Jahre 2005 und 2006 - nicht vollständig aus eigenem Einkommen sichern konnte, er nur ansatzweise Deutsch spricht und daher trotz des langen Aufenthalts nur sehr bedingt integriert ist, kommt die Festsetzung einer Sperrfrist von weniger als sechs Jahren und sechs Monaten unter Zugrundelegung der oben aufgeführten Kriterien nicht in Betracht.

III.

77

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Ein Grund, die Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO zuzulassen, besteht nicht.

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.

(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.

(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.