Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 12. März 2019 - 10 ZB 18.2371

bei uns veröffentlicht am12.03.2019
vorgehend
Verwaltungsgericht München, M 4 K 18.1076, 23.10.2018

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 29. März 2017 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf zehn Jahre befristet und seine Abschiebung in die Republik Bosnien-Herzegowina für den Fall, dass er das Bundesgebiet nicht verlassen haben oder dorthin wieder einreisen sollte, angedroht wurde.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.

Das Verwaltungsgericht hat die vom Kläger am 6. März 2018 erhobene Klage als verfristet erachtet. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Die Zustellung habe durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen können, weil der Aufenthaltsort des Klägers unbekannt gewesen sei. Die Beklagte habe sich gründlich bemüht, den Aufenthaltsort des Klägers herauszufinden und erfolglos versucht, den streitgegenständlichen Bescheid an die von der Polizei ermittelte Auslandsadresse zuzustellen. Erst nachdem dieses Einschreiben als unzustellbar zurückgekommen sei, sei die öffentliche Zustellung angeordnet worden. In der mündlichen Verhandlung habe der Kläger eingeräumt, sich bis zur Rückkehr Ende Mai/Juni 2017 nicht im Bundesgebiet aufgehalten zu haben. Ein Zustellungsversuch an die Meldeadresse sei bei dieser Sachlage weder notwendig noch sinnvoll und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich gewesen. Die Versäumung der Klagefrist sei nicht unverschuldet gewesen, weil der Kläger im Januar 2017 untergetaucht sei, obwohl er aufgrund der Anhörung gewusst habe, dass eine Ausweisung im Raum gestanden habe. Er habe durch sein Verhalten eine Zustellung verhindert, so dass eine Berufung auf Zustellungsmängel darüber hinaus rechtsmissbräuchlich wäre. Im Übrigen wäre die Klage auch unbegründet.

Die vom Kläger in der Zulassungsbegründung dagegen vorgebrachten Einwendungen begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils.

Soweit der Kläger geltend macht, sich nur vorübergehend im Ausland aufgehalten, seine Wohnung aber nicht aufgegeben zu haben, ist dieser Einwand nicht geeignet, die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Aufenthaltsort des Empfängers im Sinne des Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZVG unbekannt gewesen sei, ernstlich in Frage zu stellen. Denn unstreitig war zum maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung der öffentlichen Zustellung Anfang Mai 2017 (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2016 - 10 C 15.723 - juris Rn. 8, 14; B.v. 19.9.2017 - 10 C 17.1434 - juris Rn. 4; VG München, U.v. 28.2.2018 - M 25 K 15.4886 - juris Rn. 21; Hasser/Kugele/ Thum/Tegethoff, Verwaltungsrecht in Bayern, Stand November 2018, Art. 15 Erl. 2; zum gleichlautenden § 10 VwZG Ronellenfitsch in BeckOK VwVfG, Stand 1.10.2018, § 10 VwZG Rn. 15; Sadler in VwVG/VwZG, 9. Auflage 2014, § 10 VwZG Rn. 8; Schlatmann in Engelhart/App/Schlatmann, VwVfG/VwZG, 11. Auflage 2017, § 10 VwZG Rn. 5) der Beklagten der Aufenthaltsort nach den polizeilichen Mitteilungen unbekannt. Von daher ist es unerheblich, ob die Abwesenheit nur vorübergehend oder länger dauernd gewesen ist oder ob die bisherige Wohnung „aufgegeben“ wurde.

Aufgrund des Ergebnisses der polizeilichen Ermittlungen, wonach sich der Kläger spätestens Anfang Januar 2017 nach Bosnien-Herzegowina abgesetzt hat, sowie der Tatsache, dass die Zustellung eines anderen Schreibens der Ausländerbehörde per Postzustellungsurkunde am 1. März 2017 an die bisherige Meldeadresse unbeantwortet blieb, war ein (erneuter) Zustellungsversuch nicht angezeigt. Denn ein Zustellungsversuch vor Anordnung der öffentlichen Zustellung kann unterlassen werden, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass sie erfolglos bleiben wird (BayVGH, U.v. 29.7.1970 - 6 VIII 70 - VGHE 23, 143/144; Hasser/Kugele/Thum/Tegethoff, Verwaltungsrecht in Bayern, Stand November 2018, Art. 15 Erl. 2).

Fehl geht schließlich auch der Einwand des Klägers, dass eine Zustellung an eine in der Wohnung befindliche Person wie bspw. seine Tochter möglich gewesen wäre. Dass diese vom Kläger bevollmächtigt gewesen wäre, ihn gegenüber der Beklagten zu vertreten oder etwaige ihn betreffende Schreiben und Bescheide entgegenzunehmen, ist weder vom Kläger vorgetragen noch ergibt sich dies aus den Angaben der Tochter bei ihrer Zeugenvernehmung durch die Polizei noch befindet sich eine entsprechende Vollmacht in den Behördenakten (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2016 - 10 C 15.723 - juris Rn. 16).

Dem Kläger war auch nicht nach § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne Verschulden verhindert gewesen wäre, die Klagefrist einzuhalten. Ein Verschulden im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO ist dann anzunehmen, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. BVerwG, B.v. 4.10.2002 - 5 C 47.01, 5 B 33.5 B 33.01 - juris Rn. 2 m.w.N.). Der Kläger hat dadurch, dass er sich nicht mehr in seiner bisherigen, der Beklagten bekannten Wohnung, sondern an einem unbekannten Ort aufgehalten hat, ohne Vorsorge dafür zu treffen, dass ihm Schriftstücke der Beklagten zugeleitet werden konnten, die öffentliche Zustellung selbst verursacht und damit diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Betroffenen geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war.

Dessen ungeachtet hat das Verwaltungsgericht nicht nur ein Verschulden des Klägers angenommen, sondern darüber hinaus das Berufen auf die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung als rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB) und damit als unbeachtlich erachtet (vgl. BGH, B.v. 28.4.2008 - II ZR 61/07 - juris -Ls-; U.v. 19.12.2001 - VIII ZR 282/00 - juris Rn. 36). Zu dieser selbständig tragenden Begründung verhält sich das Zulassungsvorbringen indes nicht.

Da der Kläger die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht gewahrt hat und die Klage demzufolge unzulässig ist, gehen seine Ausführungen, mit denen er in materiell-rechtlicher Hinsicht die Richtigkeit der Entscheidung des Erstgerichts angreift, von vornherein ins Leere.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


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(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

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(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Tenor

1. Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. September 2012 - 2 LA 234/11 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

2. Das Land Niedersachsen hat die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein verwaltungsgerichtliches Verfahren aus dem Bereich des Schulrechts.

2

1. a) Der Beschwerdeführer besuchte ein öffentliches technisches Fachgymnasium. Da er an einer Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie) leidet, beantragte er zum Nachteilsausgleich eine Schreibzeitverlängerung für die Anfertigung von Klausuren sowie die Nichtbewertung der Rechtschreibung (sog. Notenschutz). Die Schule lehnte dies ab.

3

b) Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren verpflichtete das Oberverwaltungsgericht die Schule, dem Beschwerdeführer bis zur Entscheidung in der Hauptsache bei der Anfertigung schriftlicher Leistungsüberprüfungen außer in naturwissenschaftlich-mathematischen Fächern eine Schreibzeitverlängerung von 10 % der jeweiligen Bearbeitungszeit zu gewähren. Soweit der Eilantrag darüber hinaus auf vorläufige Gewährung eines Zeitzuschlages von 25 % und Notenschutz bezüglich der Rechtschreibleistung in allen Fächern sowie auf die ebenfalls bereits vorgerichtlich geltend gemachte Verpflichtung der Schule gerichtet war, ihn in Mathematik anwendungsbezogen auf das erste Prüfungsfach Elektronik zu unterrichten, blieb er ohne Erfolg. Eine vom Beschwerdeführer in dieser Sache erhobene Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen (1 BvR 2129/08).

4

c) In der Hauptsache fasste das Verwaltungsgericht zunächst einen Beweisbeschluss zur Frage der medizinischen Notwendigkeit eines weitergehenden Nachteilsausgleichs. Dieser wurde jedoch nicht mehr ausgeführt, nachdem der Beschwerdeführer die Allgemeine Hochschulreife erworben hatte. Der Beschwerdeführer stellte seine Klage daraufhin um. Neben Feststellungsanträgen begehrte er, seine unter anderem auf Klausurabwertungen wegen Schreibfehlern (sog. "GRZ-Abzug") beruhenden Kursnoten im Fach Deutsch in der Jahrgangsstufe 12 anzuheben.

5

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit der Begründung ab, die in der Jahrgangsstufe 12 erteilten Einzelnoten seien bestandskräftig geworden und daher nicht mehr anfechtbar. Der Zulässigkeit der Feststellungsanträge stehe teilweise der Subsidiaritätsgrundsatz und teilweise das Fehlen eines Feststellungsinteresses entgegen.

6

d) Den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht mit dem hier angegriffenen Beschluss ab.

7

aa) Es könne offenbleiben, ob das Verwaltungsgericht die halbjährlichen Kursabschlussnoten als eigenständig anfechtbare Regelungen habe ansehen dürfen. Die Versäumung der Widerspruchsfrist sei insoweit jedenfalls unschädlich, da die Widerspruchsbehörde eine Sachentscheidung getroffen habe. Von der Bestandskraft der Einzelnoten könne daher nicht ausgegangen werden.

8

An der Richtigkeit der Ablehnung des Verpflichtungsantrags bestünden im Ergebnis gleichwohl keine ernstlichen Zweifel, da nicht ersichtlich sei, dass die den Kursnoten zugrunde liegenden Bewertungen fehlerhaft gewesen sein könnten. Es sei in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass unter einer Legasthenie leidenden Schülern zum Nachteilsausgleich nur Schreibzeitverlängerungen gewährt werden könnten oder die Nutzung technischer Hilfsmittel gestattet werden könne. Die Gewährung von Notenschutz (durch Nichtbewertung der Rechtschreibung) sei demgegenüber in der Regel nicht zulässig, da sie zu einer Benachteiligung von Schülern führen könne, denen aus sonstigen Gründen Rechtschreibfehler in größerem Umfang unterliefen. Darüber hinaus komme ein Ausgleich durch Notenschutz deswegen nicht in Betracht, weil sich die vom Beschwerdeführer beanstandeten Noten gerade auf das Fach Deutsch bezögen und in diesem unter anderem Rechtschreibung und Zeichensetzung zu den allgemein vorausgesetzten Kompetenzen gehörten. Ein Anspruch auf Notenschutz folge selbst bei einem den Behinderungsbegriff erfüllenden Ausmaß der Legasthenie auch nicht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, da sich hieraus ein originärer subjektiver Leistungsanspruch nicht ableiten lasse. Unmittelbar aus Art. 24 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention, BGBl 2008 II S. 1419) ergäben sich ebenfalls keine entsprechenden Rechte. Schließlich sehe die geltende Erlasslage in gewissem Umfang eine differenzierte Bewertung vor und eröffne einen pädagogischen Bewertungsspielraum, der eine einzelfallgerechte Berücksichtigung des Erscheinungsbildes der Legasthenie ermögliche. Es sei nicht ersichtlich, dass bei der Bewertung der den beanstandeten Kursnoten zugrunde liegenden Deutschklausuren hiervon in willkürlicher Weise abgewichen worden sei.

9

bb) Auch das Feststellungsinteresse habe das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht verneint. Ein Rehabilitationsinteresse könne nicht bejaht werden, da von den Einzelnoten und der Durchschnittsnote des Abiturzeugnisses keine den Beschwerdeführer in seiner Persönlichkeit diskriminierende Wirkung ausgehe. Die Bewertung im Fach Deutsch in der Jahrgangsstufe 12 könne für sich gesehen nicht als diskriminierend angesehen werden, zumal sich die begehrte Anhebung nicht auf die Durchschnittsnote auswirken würde. Hinsichtlich anderer Einzelnoten habe der Beschwerdeführer nicht näher dargelegt, welche Punktzahl er für angemessen halte. Soweit er sein Feststellungsbegehren auf eine beabsichtigte Amtshaftungsklage stütze, habe das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass eine solche mangels Verschuldens offensichtlich aussichtslos sei.

10

2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 19 Abs. 4 GG, aus Art. 3 Abs. 1 und 3 GG in Verbindung mit der UN-Behindertenrechtskonvention sowie aus Art. 12 GG und führt dies näher aus. Insbesondere rügt er, das Ausgangsgericht habe zu keinem Zeitpunkt in einem ordentlichen Hauptsacheverfahren durch Beweisaufnahme geprüft, welche Maßnahmen notwendig gewesen seien, um die behinderungsbedingten Nachteile auszugleichen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei es aber uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar, ob ein in Prüfungen gewährter Nachteilsausgleich die Störung vollständig ausgeglichen habe, was gegebenenfalls mit Hilfe von Sachverständigen zu ermitteln sei (Hinweis auf BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. Dezember 1992 - 1 BvR 1295/90 -, NJW 1993, S. 917 <918>). Das Oberverwaltungsgericht habe zudem verkannt, dass er durch die Anlegung desselben Leistungsbemessungsmaßstabs wie bei seinen nicht behinderten Mitschülern in einem Bereich, in dem er aufgrund seiner Funktionsstörung nicht gleichermaßen leistungsfähig sein könne, benachteiligt worden sei. Aus fachärztlicher Sicht habe er in allen Fächern zusätzlich 25 % der üblichen Bearbeitungszeit benötigt, um die gleichen Chancen bei der Bearbeitung der anstehenden Aufgaben zu haben. Ein reiner Nachteilsausgleich führe, auch wenn er den Verzicht auf die Benotung der Rechtschreibung beinhalte, keineswegs zu einer Beeinträchtigung der Chancengleichheit nichtbehinderter Mitschüler. Dadurch, dass es das Oberverwaltungsgericht versäumt habe, seine willkürliche Entscheidung aus dem Eilverfahren im Berufungszulassungsverfahren zu korrigieren, nehme es ihm die Möglichkeit der Rehabilitation und verschärfe damit die bereits erfolgte Diskriminierung. Damit werde zudem eine Amtshaftungsklage bewusst ausgeschlossen und würden legasthene Schüler in Niedersachsen im Ergebnis rechtlos gestellt.

11

3. Die Verfassungsbeschwerde ist dem Niedersächsischen Justizministerium und der Beklagten des Ausgangsverfahrens, der vormaligen Schule des Beschwerdeführers, zugestellt worden. Diese haben von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

II.

12

1. Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG; vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.

13

2. Die Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht wird der verfassungsrechtlichen Verbürgung effektiven Rechtsschutzes nicht gerecht.

14

a) Das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet zwar keinen Anspruch auf die Errichtung eines bestimmten Instanzenzuges (vgl. BVerfGE 104, 220 <231>; 125, 104 <136 f.>; stRspr). Hat der Gesetzgeber jedoch mehrere Instanzen geschaffen, darf der Zugang zu ihnen nicht in unzumutbarer und durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 104, 220 <232>; 125, 104 <137>; stRspr). Das Gleiche gilt, wenn das Prozessrecht - wie hier die §§ 124, 124a VwGO - den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>). Aus diesem Grund dürfen die Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe nicht derart erschwert werden, dass sie auch von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand nicht mehr erfüllt werden können und die Möglichkeit, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, für den Rechtsmittelführer leerläuft. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, sondern in entsprechender Weise für die Auslegung und Anwendung der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO selbst (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>). Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar ist eine Auslegung und Anwendung des § 124 Abs. 2 VwGO danach dann, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist, sich damit als objektiv willkürlich erweist und den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwert (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>; 134, 106 <117 f. Rn. 34>).

15

b) Das Oberverwaltungsgericht hat durch seine Handhabung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO den Zugang zur Berufungsinstanz in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise verengt und dadurch das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzt.

16

aa) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind immer schon dann begründet, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfGE 125, 104 <140>). Dies hat der Beschwerdeführer getan. Er hat aufgezeigt, dass das Verwaltungsgericht seinen Verpflichtungsantrag rechtsfehlerhaft als unzulässig behandelt hat und die angenommene Unzulässigkeit der Feststellungsanträge betreffend den Notenschutz und den Umfang des ihm zustehenden Nachteilsausgleichs aus Subsidiaritätsgründen zumindest ernstlichen - vom Oberverwaltungsgericht selbst näher aufgezeigten - Zweifeln begegnet. Das Oberverwaltungsgericht hat mit einer verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Begründung gleichwohl die Berufung nicht zugelassen.

17

bb) Es begegnet zwar keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Berufungsgericht bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) auf andere rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte abstellt als das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils und wenn es - soweit rechtliches Gehör gewährt ist - die Zulassung der Berufung deshalb ablehnt, weil sich das Urteil aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig erweist. Es widerspricht jedoch sowohl dem Sinn und Zweck des dem Berufungsverfahren vorgeschalteten Zulassungsverfahrens als auch der Systematik der in § 124 Abs. 2 VwGO geregelten Zulassungsgründe und kann den Zugang zur Berufung in sachlich nicht mehr zu rechtfertigender Weise einschränken, wenn das Berufungsgericht auf andere Gründe entscheidungstragend abstellt als das Verwaltungsgericht, die nicht ohne Weiteres auf der Hand liegen und deren Heranziehung deshalb über den mit Blick auf den eingeschränkten Zweck des Zulassungsverfahrens von ihm vernünftigerweise zu leistenden Prüfungsumfang hinausgeht (vgl. BVerfGE 134, 106 <119 f. Rn. 40>; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, S. 542 <543>).

18

Dass dem Beschwerdeführer vor Erlass der angegriffenen Entscheidung im Hinblick auf die neue Begründung des Oberverwaltungsgerichts im Berufungszulassungsverfahren rechtliches Gehör gewährt worden wäre, lässt sich den beigezogenen Akten des Ausgangsverfahrens nicht entnehmen. Darüber hinaus lagen die Voraussetzungen für einen Austausch der Begründung hiernach auch nicht vor.

19

(1) Hinsichtlich der auf den Notenschutz bezogenen Klageanträge ergibt sich dies schon daraus, dass das Oberverwaltungsgericht die angenommene inhaltliche Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils auf Gründe stützt, denen ihrerseits grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zukommt. Denn die Heranziehung von Erwägungen mit Grundsatzbedeutung zur Ablehnung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel verkürzt den vom Gesetzgeber für Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vorgesehenen Rechtsschutz im Berufungsverfahren in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise (vgl. BVerfGK 10, 208 <213 f. m.w.N.>).

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Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtsfrage immer dann, wenn es maßgebend auf eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage ankommt, deren Klärung im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint. Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO entspricht danach weitgehend dem der grundsätzlichen Bedeutung in der revisionszulassungsrechtlichen Bestimmung des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (vgl. BVerfGK 10, 208 <214>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. September 2009 - 1 BvR 814/09 -, NJW 2009, S. 3642 <3643>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. August 2011 - 1 BvR 1764/09 -, NVwZ-RR 2011, S. 963 <964>).

21

Nach diesen Maßstäben kam der vom Oberverwaltungsgericht verneinten Frage, ob der Beschwerdeführer im Hinblick auf seine Legasthenie so genannten Notenschutz in Form der Nichtbewertung der Rechtschreibung verlangen konnte, grundsätzliche Bedeutung zu. Denn ihre Beantwortung hat Bedeutung weit über den Einzelfall des Beschwerdeführers hinaus und betrifft den Umfang des verfassungsrechtlich sowohl unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit im Prüfungsrecht (BVerfGE 52, 380 <388>) als auch des Benachteiligungsverbots gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (BVerfGE 96, 288<301 ff.>) bestehenden Anspruchs auf behinderungsbezogenen Nachteilsausgleich (zu der namentlich aus den verfassungsrechtlichen Bezügen abgeleiteten Grundsatzbedeutung der Rechtmäßigkeit der Bemerkung der Nichtberücksichtigung von Rechtschreibleistungen im Abiturzeugnis vgl. BayVGH, Urteile vom 28. Mai 2014 - 7 B 14.22 u.a. -, juris, Rn. 27). Die umstrittene Frage des Umfangs des Nachteilsausgleichs, der an Legasthenie leidenden Schülern zusteht, war zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts noch nicht höchstrichterlich geklärt. Erst im Jahr 2015 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass aus dem Gebot der Chancengleichheit nur Ansprüche auf Änderung der Prüfungsbedingungen (Nachteilsausgleich), nicht aber solche auf Änderung des Maßstabs der Leistungsbewertung (Notenschutz) abgeleitet werden könnten (BVerwGE 152, 330). Hiergegen sind beim Bundesverfassungsgericht mittlerweile Verfassungsbeschwerden anhängig (Az. 1 BvR 2577/15, 1 BvR 2578/15 und 1 BvR 2579/15), über die noch nicht entschieden ist.

22

Das Oberverwaltungsgericht konnte die Nichtzulassung der Berufung wegen inhaltlicher Richtigkeit daher hierauf nicht stützen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der flankierenden Erwägungen, im Fach Deutsch gehörten Rechtschreibung und Zeichensetzung gerade zu den allgemein vorausgesetzten Kompetenzen und der Schutz des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG beschränke sich auf seine Funktion als Abwehrrecht. Gleiches gilt für den Hinweis auf den nach den einschlägigen schulrechtlichen Ausführungsbestimmungen bestehenden pädagogischen Spielraum. Ob die erfolgten Abwertungen unter Berücksichtigung des Spielraums der Behinderung des Beschwerdeführers hinreichend Rechnung trugen, wäre gegebenenfalls erst in einem Berufungsverfahren zu klären gewesen.

23

(2) Auch mit Blick auf das (verneinte) Feststellungsinteresse verkürzt das Oberverwaltungsgericht die verfassungsrechtlich garantierten Zugangsmöglichkeiten zum Berufungsverfahren. Soweit es ausführt, es fehle an dem (vom Verwaltungsgericht insoweit nicht geprüften) Feststellungsinteresse, weil die Ausweisung der Deutschnoten in der Jahrgangsstufe 12 mit Blick auf deren Auswirkungen auf das Abiturergebnis keinen diskriminierenden Charakter hätten und der Beschwerdeführer hinsichtlich der anderen Einzelnoten schon nicht näher dargelegt habe, welche Punktzahl er für erforderlich halte, lagen diese Erwägungen nicht ohne Weiteres auf der Hand und überschritten den statthaften Prüfungsumfang im Berufungszulassungsverfahren. Inhaltlich liegen sie auch eher fern, weil der Beschwerdeführer dargelegt hat, dass die Feststellung, welche Noten er mit der von ihm für notwendig gehaltenen längeren Schreibzeitverlängerung in allen Fächern erreicht hätte, im Nachhinein nicht möglich ist. Gerade deswegen blieb ihm aber nur die Möglichkeit eines Feststellungsantrags, um eine in den erreichten Noten gegebenenfalls fortwirkende Benachteiligung durch einen entsprechenden Feststellungsausspruch zu beseitigen. In der fachgerichtlichen Rechtsprechung ist im Übrigen geklärt, dass sich das notwendige Feststellungsinteresse in einer solchen Situation bereits aus der Geltendmachung einer fortdauernden faktischen Grundrechtsbeeinträchtigung ergeben kann (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2014 - BVerwG 1 WB 59.13 -, juris, Rn. 20; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 113 Rn. 146 m.w.N.), die hier insbesondere im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gerügt wird.

24

3. Auf die Beantwortung der weiteren vom Beschwerdeführer aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen kommt es nicht an, da der angegriffene Beschluss die Berufungszulassung behandelt und keine Entscheidung zur Sache enthält.

III.

25

1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts beruht auf dem Verfassungsverstoß. Er ist daher gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache ist an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

26

2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 ff.>).

Tenor

I.

Die Beschwerde der Klägerin zu 1 wird zurückgewiesen.

II.

Dem Kläger zu 2 wird in Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 20. März 2015 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Thomas Oberhäuser, Münsterplatz 13, 89073 Ulm, beigeordnet.

III.

Die Klägerin zu 1 trägt die Kosten ihres Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die Kläger verfolgen mit ihren Beschwerden ihre in erster Instanz erfolglosen Prozesskostenhilfeanträge bezüglich ihrer Klagen gegen die Feststellung der Beklagten weiter, dass die Klägerin zu 1 (im Folgenden: Klägerin), die philippinische Staatsangehörige und Ehefrau des Klägers zu 2 (im Folgenden: Kläger) ist, kein von diesem abgeleitetes freizügigkeitsrechtliches Aufenthaltsrecht in Deutschland besitzt. Der Kläger ist deutscher und rumänischer Staatsangehöriger.

Die Beschwerde der Klägerin ist zurückzuweisen (I.). Hingegen ist dem Kläger auf seine zulässige Beschwerde hin in Abänderung des angefochtenen Beschlusses nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO Prozesskostenhilfe zu bewilligen und sein Prozessbevollmächtigter nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO beizuordnen (II.).

I.

Die zulässige Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO (1.) und die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor (2.).

1. Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Danach kann der Klägerin Prozesskostenhilfe aber nicht bewilligt werden. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Denn die Klage ist unzulässig, weil sie nicht fristgerecht erhoben worden ist (a) und der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann (b).

a) Die Klage ist nicht innerhalb der Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO erhoben worden. Nach dieser Regelung muss die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO, wie sie die Klage gegen die mit Bescheid vom 28. Oktober 2014 getroffene Feststellung, dass die Klägerin kein abgeleitetes freizügigkeitsrechtliches Aufenthaltsrecht in Deutschland besitzt, darstellt, innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieses Verwaltungsakts erhoben werden. Dies ist im Falle der Klägerin jedoch nicht geschehen.

aa) Der Bescheid ist der Klägerin mit Ablauf des Mittwoch, 12. November 2014, wirksam gemäß Art. 15 VwZVG öffentlich zugestellt worden.

aaa) Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZVG kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist. Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt.

(1) Der Aufenthaltsort der Klägerin war der Beklagten zum Zeitpunkt der öffentlichen Zustellung unbekannt.

Da die Zustellungsvorschriften auch im Verwaltungsverfahren der Wahrung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) dienen sollen und bei der öffentlichen Zustellung dem Empfänger das zuzustellende Schriftstück regelmäßig aber weder übergeben noch inhaltlich bekannt wird, ist diese verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Form der Zustellung nicht oder nur schwer durchführbar ist. Die öffentliche Zustellung ist daher als letztes Mittel der Bekanntgabe nur dann zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln (vgl. BVerwG, U. v. 18.4.1997 - 8 C 43.95 - juris Rn. 18 m. w. N.). Vor diesem Hintergrund ist der Aufenthaltsort im Sinne von Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZVG nicht schon dann unbekannt, wenn er der Behörde nicht bekannt ist. Vielmehr ist dies erst dann der Fall, wenn der Behörde der Aufenthaltsort trotz der insoweit erforderlichen gründlichen und sachdienlichen Bemühungen um Aufklärung unbekannt geblieben ist (vgl. BVerwG a. a. O. Rn. 19 m. w. N.). Ein solcher Fall liegt hier vor.

Die Beklagte kannte den Aufenthaltsort der Klägerin nicht mehr, seit deren für den 10. Juli 2014 vorgesehene Abschiebung aufgrund des Bescheids vom 20. Mai 2014, der ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug ablehnte und ihr die Abschiebung androhte, daran scheiterte, dass die Klägerin untergetaucht war. Daraufhin beantragte die Beklagte die Ausschreibung der Klägerin zur Personenfahndung im INPOL. Außerdem bat sie mit Schreiben vom 28. Juli 2014 die für ihr Gebiet zuständige Polizeiinspektion festzustellen, ob sich die Klägerin weiterhin an ihrer bisherigen Adresse aufhalte bzw. wohin sie verzogen sei. Mit Schreiben vom 28. August 2014 teilte die Polizeiinspektion der Beklagten daraufhin mit, man habe in der Wohnung nur den Kläger angetroffen, der erklärt habe, dass er sich an den Europäischen Gerichtshof gewandt habe und die Klägerin sich bis zu dessen Entscheidung verborgen halten werde. Eine Befragung der Nachbarn habe ergeben, dass die Klägerin nur selten im Haus gesehen worden sei. In der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht vom 21. Oktober 2015, die die Klage gegen die Ablehnung des Antrags der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis betraf, teilte der Kläger darüber hinaus mit, seine Frau halte sich bei Verwandten in Deutschland auf, eine Adresse wolle er aber nicht nennen. Danach durfte die Beklagte aber davon ausgehen, dass der Aufenthaltsort der Klägerin im Sinne von Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZVG unbekannt war. Weitere Bemühungen um Aufklärung waren unter diesen Umständen nicht mehr erforderlich. Denn es ist nicht ersichtlich, welche weiteren sachdienlichen Ermittlungen noch in Frage gekommen wären.

Das Einholen einer Meldeauskunft bot keine Aussicht auf Erfolg. Die Beklagte selbst hatte die Klägerin, die bis dahin ausschließlich in der auch vom Kläger bewohnten Wohnung gemeldet war, bei ihrer Meldebehörde abgemeldet, nachdem die Abschiebung am 10. Juli 2014 daran gescheitert war, dass die Klägerin untergetaucht war. Da die Klägerin sich bewusst verborgen hielt, wie der Kläger der Polizei gegenüber im August bestätigt hatte, war auch nicht zu erwarten, dass sie sich inzwischen unter Angabe ihres neuen Aufenthaltsorts bei der Meldebehörde der Beklagten selbst ab- oder bei einer anderen Meldebehörde angemeldet hatte.

Auch bei einer neuerlichen Befragung des Klägers wären Erkenntnisse über den Aufenthaltsort der Klägerin nicht zu erwarten gewesen. Denn dieser hatte sich nicht nur Ende August gegenüber der Polizei, sondern erneut in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 21. Oktober 2014 und damit erst wenige Tage vor der Anordnung der öffentlichen Zustellung am 28. Oktober 2014 geweigert, die Adresse der Klägerin preiszugeben.

Schließlich war eine Klärung des Aufenthaltsorts der Klägerin auch nicht durch den Rechtsanwalt zu erwarten, der sie im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof vertreten hatte, das die Ablehnung ihres Eilantrags betraf, der sich gegen ihre Abschiebung aufgrund der Ablehnung ihres Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis richtete (10 CS 14.1485).

Zum einen bestand entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten zum Zeitpunkt der Anordnung der öffentlichen Zustellung am 28. Oktober 2014 nicht mehr die Möglichkeit, diesen Rechtsanwalt unter Hinweis auf die Folgen der Nichtangabe einer ladungsfähigen Anschrift zur Angabe des Aufenthaltsorts der Klägerin anzuhalten (vgl. § 82 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO). Denn die Verfahren Au 1 K 14.816, Au 1 S 14.817 und 10 CS 14.1485, auf die sich die dem Rechtsanwalt erteilte Vollmacht bezog, waren zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen. Die auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage (Au 1 K 14.816) war in der mündlichen Verhandlung vom 21. Oktober 2014 zurückgenommen und das Verfahren daraufhin eingestellt worden. Den diese Klage betreffenden Eilantrag (Au 1 S 14.817) hatte das Verwaltungsgericht bereits mit Beschluss vom 18. Juni 2014 abgelehnt. Die dagegen erhobene Beschwerde (10 CS 14.1485) hatte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 19. September 2014 verworfen.

Zum anderen war im Hinblick auf seine Schweigepflicht nach § 43a Abs. 2 Satz 1 und 2 BRAO selbst dann nicht zu erwarten, dass der Rechtsanwalt der Beklagten Auskunft über den wirklichen Aufenthaltsort der Klägerin erteilt hätte, wenn er ihn gekannt hätte. Denn es war nicht davon auszugehen, dass die Klägerin, die sich bewusst verborgen hielt, ihren Rechtsanwalt insoweit von seiner Schweigepflicht entbunden hätte (vgl. dazu Kleine-Cosack, BRAO, 7. Aufl. 2015, § 43a Rn. 39 ff.).

(2) Schließlich war auch eine Zustellung an einen Vertreter oder einen Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich. Dass der Kläger von der Klägerin bevollmächtigt gewesen wäre, sie gegenüber der Beklagten zu vertreten oder etwaige sie betreffende Schreiben und Bescheide entgegenzunehmen, ist vom Prozessbevollmächtigten weder vorgetragen, noch befindet sich eine entsprechende Vollmacht bei den Behördenakten. Auch an den Rechtsanwalt, der die Klägerin in den Verfahren Au 1 K 14.816, Au 1 S 14.817 und 10 CS 14.1485 vertreten hat, konnte eine Zustellung nicht erfolgen. Denn die Vollmacht war ausdrücklich auf diese Verfahren beschränkt, die die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und den damit verbundenen Eilantrag betrafen. Sie bezog sich daher nicht auf das Verwaltungsverfahren, das auf den Erlass des streitgegenständlichen, das Nichtbestehen eines freizügigkeitsrechtlichen Aufenthaltsrechts der Klägerin feststellenden Bescheids gerichtet war.

bbb) Auch die übrigen Anforderungen des Art. 15 VwZVG sind erfüllt.

(1) Anhaltspunkte dafür, dass die Anordnung der öffentlichen Zustellung entgegen Art. 15 Abs. 1 Satz 2 VwZVG nicht durch einen zeichnungsberechtigten Bediensteten getroffen wurde, bestehen nicht. Sie werden von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.

(2) Darüber hinaus sind auch die Verfahrensregelungen des Art. 15 Abs. 2 VwZVG beachtet worden.

Die öffentliche Zustellung erfolgt durch Bekanntmachung einer Benachrichtigung an der Stelle, die die Beklagte hierfür allgemein bestimmt hat (Art. 15 Abs. 2 Satz 1 VwZVG). Dass das Benachrichtigungsschreiben, das, wie in den Behördenakten vermerkt, vom 29. Oktober 2014 bis zum 17. November 2014 ausgehängt war, an einer Stelle bekanntgemacht worden ist, die diesen Anforderungen nicht genügt, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Das Schreiben lässt mit der Beklagten die Behörde erkennen, für die zugestellt wird (Art. 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 VwZVG). Die Benachrichtigung enthält den Namen und die letzte bekannte Anschrift der Klägerin als Zustellungsadressatin (Art. 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VwZVG) sowie das Datum und das Aktenzeichen des zuzustellenden Bescheids vom 28. Oktober 2014 (Art. 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 VwZVG). Sie lässt mit der Ausländerbehörde der Beklagten die Stelle erkennen, bei der der Bescheid eingesehen werden kann (Art. 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VwZVG), wobei neben der Anschrift auch das Zimmer angegeben wird, in dem die Einsichtnahme erfolgen kann. Auch enthält die Benachrichtigung den Hinweis, dass der Bescheid vom 28. Oktober 2014 öffentlich zugestellt wird und dass mit der Zustellung Fristen in Gang gesetzt werden, nach deren Ablauf Rechtsverluste drohen können (Art. 15 Abs. 2 Satz 3 VwZVG).

(3) Schließlich ist in den Akten auch vermerkt, von wann bis wann und wie die Bekanntmachung erfolgt ist (Art. 15 Abs. 2 Satz 5 VwZVG). Denn auf dem Benachrichtigungsschreiben ist vermerkt, dass das Schreiben am 29. Oktober 2014 ausgehängt und am 17. November 2014 abgenommen worden ist. Daraus ergibt sich aber nicht nur, von wann bis wann die Bekanntmachung stattgefunden hat, sondern auch, dass sie durch Aushang und damit wie sie erfolgt ist.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn man davon ausgeht, dass neben dem Beginn und dem Ende des Aushangs auch dessen Ort vermerkt werden muss (vgl. Giehl/Adolph/Käß, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Stand: Dezember 2015, Art. 15 VwZVG Anm. 3). Denn auch dies führt nicht zur Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung. Art. 15 Abs. 2 Satz 5 VwZVG ist kein Wirksamkeitserfordernis (vgl. Schlattmann in Engelhardt/App/Schlattmann, VwVG/VwZG, 10. Aufl. 2014, § 10 VwZG Rn. 17 m. w. N.; Ronellenfitsch in Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, Stand: 1. April 2015, § 10 VwZG Rn. 31), sondern dient lediglich dem Nachweis, dass die Zustellung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form erfolgt ist (vgl. Schlattmann in Engelhardt/App/Schlattmann, VwVG/VwZG, 10. Aufl. 2014, § 10 VwZG Rn. 17; Giehl/Adolph/Käß, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Stand: Dezember 2015, Art. 15 VwZVG Anm. 3). Bestehen aber wie hier keine Anhaltspunkte dafür, dass die Benachrichtigung an einer anderen Stelle als derjenigen bekanntgemacht worden ist, die von der Beklagten dafür allgemein bestimmt worden ist, so kann auch ohne eine ausdrückliche Nennung des Orts, an dem die Benachrichtigung ausgehangen hat, in dem in Art. 15 Abs. 2 Satz 5 VwZVG vorgesehenen Aktenvermerk davon ausgegangen werden, dass die Bekanntmachung an der dafür bestimmten Stelle erfolgt ist.

ccc) Ist damit die öffentliche Zustellung wirksam, so gilt der Bescheid vom 28. Oktober 2014 nach Art. 15 Abs. 2 Satz 6 VwZVG als zugestellt, wenn seit dem Tag der Bekanntmachung der Benachrichtigung zwei Wochen vergangen sind. Da die Benachrichtigung am Mittwoch, 29. Oktober 2014, bekanntgemacht wurde, galt der Bescheid vom 28. Oktober 2014 nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG in Verbindung mit § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit dem Ablauf des Mittwoch, 12. November 2014, als zugestellt.

bb) Die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO hat auch mit der Zustellung des Bescheids mit dem Ablauf des 12. November 2014 nach § 58 Abs. 1 VwGO zu laufen begonnen. Zwar wird nach dieser Regelung die Klagefrist nur in Gang gesetzt, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, das Gericht, bei dem er anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. Dies ist hier jedoch geschehen. Denn der Bescheid vom 28. Oktober 2014 ist mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen, die diesen Anforderungen genügt.

cc) Damit hat die einmonatige Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO gemäß § 57 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 222 Abs. 1 ZPO und § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB am Freitag, 12. Dezember 2014, geendet. Die Klage ist danach aber nicht fristgerecht erhoben, weil sie beim Verwaltungsgericht erst am 24. Februar 2015 eingegangen ist.

b) Der Klägerin ist auch nicht nach § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm zwar nach dieser Regelung auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wobei die Tatsachen zur Begründung des Antrags bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen sind (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Danach kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand jedoch nicht in Betracht. Denn die Klägerin war nicht ohne Verschulden verhindert, die Klagefrist zu wahren.

Ein Verschulden im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO ist dann anzunehmen, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. BVerwG, B. v. 4.10.2002 - 5 C 47.01, 5 B 33.5 B 33.01 - juris Rn. 2 m. w. N.). Legt man dies zugrunde, so ist hier aber von einem Verschulden der Antragstellerin auszugehen.

Dass die Klägerin von dem Bescheid vom 28. Oktober 2014 aufgrund der öffentlichen Zustellung keine Kenntnis hatte, rechtfertigt nicht die Annahme, dass sie ohne ihr Verschulden an der rechtzeitigen Klageerhebung gehindert war. Zwar war diese Unkenntnis die Ursache für die Fristversäumnis. Sie beruhte jedoch ihrerseits darauf, dass der Beklagten eine Bekanntgabe des Bescheids vom 28. Oktober 2014 nicht möglich war, weil der Aufenthaltsort der Klägerin in Folge ihres Untertauchens weder bekannt noch mit zumutbaren Nachforschungen zu ermitteln war. Die Klägerin hat die öffentliche Zustellung also dadurch selbst verursacht, dass sie sich nicht mehr in ihrer bisherigen, der Beklagten bekannten Wohnung, sondern an einem unbekannten Ort aufgehalten hat, ohne Vorsorge dafür zu treffen, dass ihr Schriftstücke der Beklagten zugeleitet werden konnten. Damit hat sie aber diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Betroffenen geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war.

Die Beklagte hatte den Antrag der Klägerin auf Erlass einer Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom 20. Mai 2014 abgelehnt und ihr die Abschiebung in ihr Heimatland oder in einen anderen Staat angedroht, in den sie einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist. Sie hatte außerdem am 10. Juli 2014 versucht, die angedrohte Abschiebung durchzuführen, nachdem der diesbezügliche Eilantrag mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 18. Juni 2014 abgelehnt worden war. Dies scheiterte daran, dass die Klägerin sich der Abschiebung entzog, indem sie untertauchte. Vor diesem Hintergrund musste die Klägerin aber damit rechnen, dass die Beklagte weitere Maßnahmen ergreifen würde, um ihren Aufenthalt zu beenden. In einer solchen Situation hätte ein seine Rechte und Pflichten gewissenhaft wahrnehmender Betroffener aber dafür gesorgt, dass ihm etwaige weitere Schreiben und Bescheide der Beklagte rechtzeitig zur Kenntnis gelangen konnten, um gegebenenfalls dagegen mit Rechtsbehelfen vorzugehen. So wäre es der Klägerin ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, den Kläger, der sich nach wie vor an der bisherigen gemeinsamen Adresse aufhielt, der Behörde als Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Denn dies hätte durch ein entsprechendes Schreiben an die Beklagte oder eine dem Kläger ausgehändigte und von diesem an die Beklagte weitergeleitete Vollmacht geschehen können, ohne dass die Klägerin ihren Aufenthaltsort hätte preisgeben müssen. Dies hat sie jedoch unterlassen.

2. Kann der Klägerin damit Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht bewilligt werden, weil ihre Klage unzulässig ist und deshalb keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, so kann ihr auch nicht nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO ihr Prozessbevollmächtigter beigeordnet werden.

II.

Die zulässige Beschwerde des Klägers ist hingegen begründet, weil dem Kläger nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO Prozesskostenhilfe zu bewilligen (1.) und nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO sein Prozessbevollmächtigter beizuordnen ist (2.).

1. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen vor. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Klägers, der nach den vorgelegten Erklärungen über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Ehefrau die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig. Denn die Klage ist zulässig (a) und hat auch in der Sache hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil zumindest offen ist, ob die Feststellung, dass die Klägerin kein abgeleitetes freizügigkeitsrechtliches Aufenthaltsrecht in Deutschland besitzt, sich im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen wird und den Kläger in seinen Rechten verletzt (b).

a) Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist sie nicht deshalb unzulässig, weil die Klagefrist nicht gewahrt (aa) oder der Kläger nicht klagebefugt wäre (bb).

aa) Die Klage ist zunächst nicht verfristet. Die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO hat nicht zu laufen begonnen. Denn der Bescheid vom 28. Oktober 2014, mit dem die Beklagte festgestellt hat, dass die Klägerin kein abgeleitetes freizügigkeitsrechtliches Aufenthaltsrecht besitzt, ist dem Kläger nicht bekanntgegeben worden. Vielmehr hat er davon nur aufgrund der von seinem Prozessbevollmächtigten am 12. Februar 2015 genommenen Akteneinsicht Kenntnis erlangt.

Der Kläger ist auch nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben so zu behandeln, als hätte er erst nach Ablauf der Klagefrist Klage erhoben (vgl. BVerwG, U. v. 27.11.1996 - 11 A 100.95 - juris Rn. 31). Insbesondere kommt eine Verwirkung nicht in Betracht. Der Kläger hat nicht erst längere Zeit, nachdem er von dem angefochtenen Bescheid Kenntnis erlangt hatte oder hätte erlangen müssen, und zu einem Zeitpunkt Klage erhoben, zu dem aufgrund seines Verhaltens nicht mehr mit einer Klageerhebung zu rechnen war (vgl. Brenner in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 74 Rn. 56 ff., insb. Rn. 63). Denn die Klage ist am 24. Februar 2015 und damit wenige Tage, nachdem der Kläger aufgrund der Akteneinsicht seines Prozessbevollmächtigten vom 12. Februar 2015 von der Ausweisung Kenntnis erlangen konnte, beim Verwaltungsgericht eingegangen.

bb) Dem Kläger fehlt auch nicht die für die Klage gegen die Feststellung des Nichtbestehens eines abgeleiteten freizügigkeitsrechtlichen Aufenthaltsrechts der Klägerin erforderliche Klagebefugnis.

Nach § 42 Abs. 2 VwGO ist eine Anfechtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt, gegen den sie sich richtet, in seinen Rechten verletzt zu sein. Dafür genügt es, dass die behauptete Rechtsverletzung möglich erscheint. Dies ist bereits dann anzunehmen, wenn eine Verletzung eigener subjektiver Rechte des Klägers nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen ist (st. Rspr.; vgl. etwa BVerwG, U. v. 23.3.1982 - 1 C 157/79 - juris Rn. 23; U. v. 10.7.2001 - 1 C 35/00 - juris Rn. 15 jeweils m. w. N.). Danach ist der Kläger aber klagebefugt.

Es erscheint nämlich zumindest möglich, dass er durch die Feststellung, dass der Klägerin kein freizügigkeitsrechtliches Aufenthaltsrecht zusteht, in seinem Recht nach Art. 21 Abs. 1 AEUV verletzt wird, sich als Unionsbürger im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Denn dieses Recht kann durch die Nichtanerkennung eines abgeleiteten freizügigkeitsrechtlichen Aufenthaltsrechts der Klägerin beeinträchtigt werden, weil der Kläger dadurch davon abgehalten werden könnte, von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch zu machen (vgl. EuGH, U. v. 12.3.2014 - O, C-456/12 - juris Rn. 54; U. v. 16.7.2015 - Singh, C-218/14 - juris Rn. 50; im Einzelnen s.u.).

b) Die Rechtsverfolgung bietet auch in der Sache hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil zumindest offen ist, ob die Feststellung des Nichtbestehens eines freizügigkeitsrechtlichen Aufenthaltsrechts rechtswidrig ist (aa) und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; bb).

aa) Offen ist, ob der Bescheid vom 28. Oktober 2014 rechtswidrig ist, weil der Klägerin entgegen der Ansicht der Beklagten ein vom Kläger abgeleitetes freizügigkeitsrechtliches Aufenthaltsrecht zustehen kann, obwohl der Kläger, der sowohl die deutsche als auch die rumänische Staatsangehörigkeit besitzt, sich bisher nur in Deutschland und Rumänien und damit nicht in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als dem aufgehalten hat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

Keiner Klärung bedarf zunächst, ob die Klägerin als Ehegattin eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers deshalb gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 oder § 3 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 4 Satz 1 FreizügG/EU ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU haben kann, weil sich der Kläger, der auch die rumänische Staatsangehörigkeit besitzt, möglicherweise trotz seiner deutschen Staatsangehörigkeit als Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats im Bundesgebiet im Sinne von § 1 FreizügG/EU aufhält und deshalb nach dieser Regelung das Freizügigkeitsgesetz/EU die Einreise und den Aufenthalt seiner Familienangehörigen regelt. Ebenso braucht im Prozesskostenhilfeverfahren nicht entschieden zu werden, ob der Klägerin ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger oder ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl Nr. L 158, S. 77; im Folgenden: Richtlinie 2004/38/EG) im Hinblick darauf zusteht, dass sich der Kläger als rumänischer Staatsangehöriger ungeachtet seiner deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG in Deutschland in einem anderen als dem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und deshalb nach dieser Regelung für die Klägerin als seine Familienangehörige im Sinne von Art. 2 Nr. 2 Buchst. a Richtlinie 2004/38/EG diese Richtlinie gilt. Denn jedenfalls ist offen, ob der Klägerin ein abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht deshalb zusteht, weil der Kläger, obwohl er auch die rumänische Staatsangehörigkeit besitzt, als Deutscher durch seinen Aufenthalt in Rumänien in den Jahren 2010 bis 2014, von seinem Freizügigkeitsrecht nach Art. 21 Abs. 1 AEUV Gebrauch gemacht hat und anschließend nach Deutschland zurückgekehrt ist.

Zwar kann sich ein solches, vom Kläger als deutschem Staatsangehörigen abgeleitetes Aufenthaltsrecht der Klägerin weder aus dem Freizügigkeitsgesetz/EU noch aus der Richtlinie 2004/38/EG ergeben. Denn das Freizügigkeitsgesetz/EU regelt nach § 1 FreizügG/EU nur die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union und ihrer Familienangehörigen, nicht aber von Familienangehörigen deutscher Staatsangehöriger (vgl. BVerwG, U. v. 22.6.2011 - 1 C 11.10 - juris Rn. 7). Die Richtlinie 2004/38/EG gilt für Unionsbürger, die sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, begeben oder sich dort aufhalten, und für ihre Familienangehörigen (Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG). Sie begründet daher kein Aufenthaltsrecht von Familienangehörigen in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt (vgl. EuGH, U. v. 12.3.2014 - O, C-456/12 - juris Rn. 37 ff.). Jedoch kann sich ein Aufenthaltsrecht von Familienangehörigen von Unionsbürgern, die sich in dem Staat aufhalten, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, aus Art. 21 Abs. 1 AEUV ergeben (EuGH a. a. O. Rn. 44 ff.).

Art. 21 Abs. 1 AEUV, nach dem jeder das Recht hat, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten, gewährt einem Drittstaatsangehörigen, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, der sich in Ausübung dieses Rechts, insbesondere als Arbeitnehmer (vgl. EuGH, U. v. 7.7.1992 - Singh, C-370/90, juris Rn. 21 und 25; U. v. 11.12.2007 - Eind, C-291/05 - juris Rn. 45), in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat, bei der Rückkehr des Unionsbürgers in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht in diesem Mitgliedstaat (vgl. EuGH, U. v. 12.3.2014 - O, C-456/12 - juris Rn. 46 ff.). Dies ist aus Gründen der praktischen Wirksamkeit der Rechte des Unionsbürgers aus Art. 21 Abs. 1 AEUV geboten. Denn ohne ein solches Aufenthaltsrecht für seine Familienangehörigen würde der Unionsbürger davon abgehalten, den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zu verlassen, um sein Aufenthaltsrecht nach Art. 21 Abs. 1 AEUV in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, weil er nicht die Gewissheit hätte, mit seinen nahen Verwandten im Herkunftsstaat ein etwa durch Heirat oder Familienzusammenführung entwickeltes oder gefestigtes Familienleben fortzusetzen (vgl. EuGH, U. v. 11.12.2007 - Eind, C-291/05 - juris Rn. 36; U. v. 12.3.2014 - O, C-456/12 - juris Rn. 54). Erforderlich ist allerdings, dass der Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat von solcher Dauer ist, dass der Unionsbürger dort ein Familienleben entwickeln oder festigen kann (vgl. EuGH, U. v. 12.3.2014 - O, C-456/12 - juris Rn. 51). Dies ist dann der Fall, wenn der Unionsbürger von seinem Recht nach Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG Gebrauch macht, sich für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufzuhalten (vgl. EuGH a. a. O. Rn. 53). Die Voraussetzungen für die Gewährung des abgeleiteten Aufenthaltsrechts auf der Grundlage von Art. 21 Abs. 1 AEUV dürfen dabei nicht strenger sein als diejenigen, die die Richtlinie 2004/38/EG für einen Drittstaatsangehörigen vorsieht, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, indem er sich in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen hat, als dem, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt (vgl. EuGH a. a. O. Rn. 50).

Legt man dies zugrunde, so ist zumindest offen, ob die Feststellung der Beklagten, dass die Klägerin kein abgeleitetes freizügigkeitsrechtliches Aufenthaltsrecht in Deutschland besitzt, rechtswidrig ist. Besäße der Kläger ausschließlich die deutsche Staatsangehörigkeit, hätte er von seinem Freizügigkeitsrecht als Unionsbürger nach Art. 21 Abs. 1 AufenthG Gebrauch gemacht. Denn er hat, soweit seine Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 21. Oktober 2014 zutreffen, von 2010 bis 2014 in Rumänien gelebt und ist dort einer unselbstständigen Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter und Vertriebsleiter nachgegangen. Sein Aufenthalt in Rumänien wäre dabei auch von ausreichender Dauer, um dort ein Familienleben entwickeln oder festigen zu können. Denn der Kläger hätte damit von seinem Recht nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Richtlinie 2004/38/EG Gebrauch gemacht, sich als Arbeitnehmer für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufzuhalten. Dementsprechend hat er während dieses Aufenthalts in Rumänien auch im Jahr 2012 die Klägerin geheiratet.

Offen ist allerdings, ob das danach in Betracht kommende abgeleitete Aufenthaltsrecht der Klägerin auf der Grundlage von Art. 21 Abs. 1 AEUV deshalb nicht besteht, weil der Kläger neben der deutschen auch die rumänische Staatsangehörigkeit besitzt und damit sein Aufenthalt in Rumänien nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich auf seinem Freizügigkeitsrecht als Unionsbürger nach Art. 21 Abs. 1 AEUV, sondern auch auf seiner rumänischen Staatsangehörigkeit beruhte. Die Frage, ob ein Familienangehöriger eines Unionsbürgers, der die Staatsangehörigkeit zweier Mitgliedstaaten besitzt und der sich unter den Voraussetzungen von Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG für mehr als drei Monate von einem dieser Mitgliedstaaten in den anderen begibt und anschließend wieder in den Mitgliedstaat, aus dem er gekommen ist, zurückkehrt, sich in diesem Mitgliedstaat auf ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht auf der Grundlage von Art. 21 Abs. 1 AEUV berufen kann, ist allerdings, soweit ersichtlich, bisher nicht geklärt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat zwar entschieden, dass Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG und Art. 21 Abs. 1 AEUV auf einen Unionsbürger, der nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht, sondern sich stets in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und der sich im Übrigen im Besitz der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats befindet, grundsätzlich nicht anwendbar sind (vgl. EuGH, U. v. 5.5.2011 - McCarthy, C-434/09 - juris Rn. 57). Nicht ausdrücklich geklärt ist aber, ob ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht des Familienangehörigen auf der Grundlage von Art. 21 Abs. 1 AEUV in Betracht kommt, wenn der Unionsbürger, der die Staatsangehörigkeit von zwei Mitgliedstaaten besitzt, von seinem Freizügigkeitsrecht nach Art. 21 Abs. 1 AEUV dadurch Gebrauch gemacht hat, dass er sich für längere Zeit unter Beachtung der Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG von einem dieser Mitgliedstaaten in den anderen begeben hat und anschließend zurückgekehrt ist (vgl. für ein abgeleitetes freizügigkeitsrechtliches Aufenthaltsrecht in solchen Fällen BayVGH, B. v. 9.8.2012 - 19 CE 11.1893 - juris Rn. 22 unter Hinweis auf EuGH, U. v. 2.10.2002 - Garcia Avello, C-148/02 - juris Rn. 25 ff.; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 1 FreizügG/EU Nr. 1.4; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Oktober 2015, Rn. 7 zu § 1 FreizügG/EU).

Da die Beklagte die Feststellung des Nichtbestehens eines abgeleiteten freizügigkeitsrechtlichen Aufenthaltsrechts im Bescheid vom 29. Oktober 2014 der Sache nach allein auf die Verneinung dieser Frage gestützt hat, ist aber auch offen, ob diese Feststellung, die ihre Rechtsgrundlage allenfalls in einer entsprechenden Anwendung von § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU findet (vgl. BVerwG, U. v. 22.6.2011 - 1 C 11.10 - juris Rn. 9, wo offengelassen wird, ob das Freizügigkeitsgesetz entsprechend anwendbar ist), bereits deshalb rechtswidrig ist, weil sie als Ermessensentscheidung auf unzutreffenden Erwägungen beruht.

bb) Kommt damit aber ernsthaft in Betracht, dass die Feststellung des Nichtbestehens eines abgeleiteten freizügigkeitsrechtlichen Aufenthaltsrechts der Klägerin in Deutschland rechtswidrig ist, weil sich möglicherweise ein solches Aufenthaltsrecht aus Art. 21 Abs. 1 AEUV ergibt und nicht durch die doppelte Staatsangehörigkeit des Klägers ausgeschlossen wird, so ist auch zumindest offen, ob der Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2014 den Kläger in seinen Rechten verletzt. Denn wäre die Anerkennung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts der Klägerin, wie dargelegt, aus Gründen der praktischen Wirksamkeit des Freizügigkeitsrechts des Klägers nach Art. 21 Abs. 1 AEUV geboten, weil dieses Recht sonst beeinträchtigt wäre (vgl. EuGH, U. v. 12.3.2014 - O, C-456/12 - juris Rn. 54; U. v. 16.7.2015 - Singh, C-218/14 - juris Rn. 50), so verletzte die Feststellung der Beklagten, dass ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht der Klägerin nicht besteht, den Kläger in seinem eigenen Recht auf Freizügigkeit im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nach Art. 21 Abs. 1 AEUV.

2. Liegen danach die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO vor, so ist dem Kläger auch nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO sein Prozessbevollmächtigter beizuordnen. Denn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt war angesichts der Bedeutung der Sache für den Kläger und der Schwierigkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen erforderlich.

Die Kostenentscheidung bezüglich der Beschwerde der Klägerin beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Hinsichtlich der Beschwerde des Klägers bedarf es keiner Kostenentscheidung. Weder fallen Gerichtskosten an, noch können Kosten erstattet werden. Gerichtskosten können im Prozesskostenhilfeverfahren gemäß § 3 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nur erhoben werden, soweit anders als hier eine Beschwerde gegen die erstinstanzliche Prozesskostenhilfeentscheidung verworfen oder zurückgewiesen wird. Eine Kostenerstattung ist sowohl für das Bewilligungs- als auch für das Beschwerdeverfahren ausgeschlossen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Satz 4 und § 127 Abs. 4 ZPO). Da Gerichtskosten für die Beschwerde des Klägers nicht erhoben werden können, ist auch eine Streitwertfestsetzung entbehrlich.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es auch für das Beschwerdeverfahren der Klägerin nicht, weil gemäß § 3 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

I. In Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 24. Mai 2017 wird dem Kläger Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren M 10 K 17.754 bewilligt und Rechtsanwältin S. H., M., beigeordnet, soweit sich die Klage (hilfsweise) auf die behördliche Befristungsentscheidung bezieht.

Im Übrigen (d.i. bezüglich der gegen die Ausweisungsverfügung gerichteten Klage) wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens, soweit seine Beschwerde zurückgewiesen wird; die Gebühr wird auf die Hälfte ermäßigt.

Gründe

Die Beschwerde, mit der sich der Kläger gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Klage gegen den Ausweisungsbescheid des Beklagten vom 27. September 2016 (M 10 K 17.754) ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts wendet, ist teilweise begründet. Eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe bezüglich der – im Hauptantrag – gegen die Ausweisungsverfügung gerichteten Anfechtungsklage des Klägers kommt nicht in Betracht, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung insoweit keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO; 1.). Soweit sich das Klageverfahren hilfsweise auf die behördliche Befristungsentscheidung im angegriffenen Bescheid bezieht, liegen dagegen die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 2 ZPO) zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags vor (2.).

1. Bezüglich der gegen die Ausweisungsverfügung des Beklagten vom 27. September 2016 gerichteten Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO) hat das Verwaltungsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach summarischer Prüfung im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Die Anfechtungsklage des Klägers vom 22. Februar 2017 dürfte allerdings entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieses Verwaltungsakts und damit innerhalb der Klagefrist gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO erhoben worden sein (1.1.). Die angefochtene Ausweisung des Klägers wird sich im Hauptsacheverfahren jedoch voraussichtlich als rechtmäßig erweisen und den Kläger daher nicht in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; 1.2.).

1.1. Wie im Schreiben des Verwaltungsgerichtshofs vom 1. September 2017 bereits ausgeführt, dürfte der angefochtene Bescheid vom 27. September 2016 entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts dem Kläger nicht wirksam durch öffentliche Bekanntmachung gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 1 VwZVG zugestellt worden sein. Nach ständiger Rechtsprechung ist die öffentliche Zustellung als „letztes Mittel“ der Bekanntgabe (nur) zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise – d.h. grundsätzlich auch durch Zustellung im Ausland (vgl. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. Art. 14 VwZVG) – zu übermitteln (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 43.95 – NVwZ 1999,178; BayVGH, B.v. 20.1.2016 – 10 C 15.723 – juris Rn. 9). Da sich in der vorgelegten Behördenakte Angaben zum Wohnort des Klägers in Albanien befinden (vgl. insbes. Bl. 2,6 der Akte), ist die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Aufenthaltsort des Klägers sei dem Beklagten zum Zeitpunkt der öffentlichen Zustellung unbekannt gewesen, in dieser Form nicht haltbar. Jedenfalls hatte die Ausländerbehörde eine Nachforschungs- bzw. Ermittlungspflicht. Eine Behörde muss sich, bevor sie den Weg der öffentlichen Zustellung einschlägt, durch die nach Sachlage gebotenen Ermittlungen Gewissheit darüber verschaffen, dass der Aufenthaltsort des Zustellungsempfängers nicht nur ihr, sondern allgemein unbekannt ist (vgl. etwa Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 15. Aufl. 2014, § 41 Rn. 75 m.w.N.). Solche danach gebotenen Ermittlungen hat die Ausländerbehörde aber nach Aktenlage nicht durchgeführt. Damit wäre eine wirksame Bekanntgabe der Ausweisungsverfügung an den Kläger frühestens mit der Aushändigung des Ausweisungsbescheids des Beklagten durch die Bundespolizeiinspektion Flughafen München II am 1. Februar 2017 (vgl. den polizeilichen Bericht vom 1.2.2017, Bl. 76 f. der Behördenakte) erfolgt und demgemäß die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO gewahrt.

1.2. Die angefochtene Ausweisung des Klägers wird sich aber im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtmäßig erweisen und den Kläger daher nicht in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der Beklagte hat die verfügte Ausweisung zu Recht auf § 53 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG gestützt und zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse festgestellt, weil gegen den Kläger wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG durch Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 8. Juli 2015 rechtskräftig eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen verhängt worden ist. Das Ausweisungsinteresse wiegt nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG schwer, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Ein Rechtsverstoß ist demnach immer dann beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig, oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist. Eine vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich kein geringfügiger Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift (vgl. etwa zuletzt NdsOVG, B.v. 20.6.2017 – 13 LA 134/17 – juris Rn. 10 mit Rsprnachweisen zu § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG a.F.; BayVGH, B.v. 5.7.2016 – 10 ZB 14.1402 – juris Rn. 14 m.w.N.).

Der Einwand des Klägers, eine vorsätzliche schwere Straftat liege in seinem Fall nicht vor, weil er sich entgegen der Bescheidsbegründung nicht 14 Monate, sondern nur insgesamt 148 Tage und somit lediglich zwei Monate nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe, greift nicht durch. Denn obwohl die Angaben zur Dauer des rechtswidrigen Aufenthalts des Klägers im angefochtenen Bescheid nicht widerspruchsfrei sind (vgl. einerseits die Sachverhaltswiedergabe unter I., S. 2 des Bescheids und andererseits die Gründe unter II. 1.2, S. 3 des Bescheids), hat der Beklagte die Straftat des Klägers gemessen an den oben dargelegten Grundsätzen und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats zu Recht als nicht geringfügigen Verstoß (vgl. dazu auch Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, AufenthG § 54 Rn. 80 m.w.N.; Graßhof in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, Kommentar, 2016, AufenthG § 54 Rn. 114 ff.) und damit als Anwendungsfall des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG bewertet.

Ebenso wenig durchgreifend ist der weitere Einwand, die Geringfügigkeit seines Verstoßes ergebe sich unter entsprechender Berücksichtigung der gesetzlichen Regelung in § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3 und Abs. 1 Satz 3 StAG sowie der hierzu ergangenen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern. Denn vergleichbare Schwellenregelungen bei strafrechtlichen Verurteilungen hat der Gesetzgeber im Aufenthaltsrecht bei der Gewichtung des (früheren) Ausweisungsgrunds gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG a.F. bzw. des Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG gerade nicht vorgesehen (vgl. auch Nr. 55.2.2.2 AVwV zu § 55 AufenthG a.F.).

Vor diesem Hintergrund ist der Beklagte in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers dessen Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Neben dem spezialpräventiven Ausweisungsinteresse hat die Ausländerbehörde dabei zu Recht auch generalpräventive Gründe mit angeführt und zutreffend festgestellt, dass im Rahmen der Gesamtabwägung zu beachtende besondere persönliche, wirtschaftliche oder sonstige Bindungen des Klägers im Sinne von § 53 Abs. 2 AufenthG bzw. Art. 8 EMRK weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich sind.

2. Soweit sich das Klageverfahren auch ohne diesbezüglichen eigenen Antrag hilfsweise auf die behördliche Befristungsentscheidung im angegriffenen Bescheid bezieht (vgl. BayVGH, U.v. 20.6.2017 – 10 B 17.135 – juris Rn. 21), liegen dagegen die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 14.3.2017 – 10 C 17.260 – juris Rn. 2) vor. Bewilligungs- oder Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach einer Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO; BayVGH, B.v. 10.2.2017 – 10 C 16.2096 – juris Rn. 2) ein, also im vorliegenden Fall mit Eingang der vollständigen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers beim Verwaltungsgericht am 1. Mai 2017. Zum danach maßgeblichen Zeitpunkt hat bzw. hatte die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil zumindest offen ist, ob die im angefochtenen Bescheid vom 27. September 2016 (ursprünglich) getroffene Befristungsentscheidung des Beklagten mit den dort angestellten Ermessenserwägungen nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt und damit ermessensfehlerhaft im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO ist. Dafür spricht, dass der Beklagte auf das Schreiben des Verwaltungsgerichtshofs vom 1. September 2017 hin mit Schriftsatz vom 6. September 2017 den streitgegenständlichen Bescheid in Nr. 2. geändert und die Wiedereinreise des Klägers in die Bundesrepublik Deutschland nunmehr auf die Dauer von drei Jahren untersagt hat. Ob die nunmehr unterhalb der Fünf-Jahres-Frist nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bestimmte Sperrfrist zulasten des Klägers (noch) ermessensfehlerhaft ist, bedarf hier keiner Erörterung.

Soweit die Beschwerde des Klägers zurückgewiesen wird, folgt die Kostenentscheidung aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt, die der Senat bei der nur teilweisen Zurückweisung der Beschwerde nach billigem Ermessen auf die Hälfte ermäßigt.

Eine Kostenerstattung ist sowohl für das Bewilligungsals auch für das Beschwerdeverfahren ausgeschlossen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4, § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin ist marokkanische Staatsangehörige und heiratete im Jahr 2013 einen deutschen Staatsangehörigen. Mit Visum zum Zweck des Familiennachzugs reiste sie am ... März 2014 in das Bundesgebiet ein und beantragte am ... März 2014 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Familiennachzug zu ihrem Ehemann. Die Aufenthaltserlaubnis wurde am ... September 2014 mit einer Gültigkeit bis zum ... März 2017 erteilt.

Mit Schreiben vom ... Juni 2015 teilte der Ehemann der Klägerin der Beklagten mit, dass er sich von der Klägerin getrennt habe, da die Klägerin mit einer Frau in Marokko eine Beziehung führe und ihn nur geheiratet habe, um in Deutschland einen Aufenthaltstitel zu bekommen. Die Klägerin sei zudem am ... Juni 2015 aus der ehelichen Wohnung ausgezogen und habe das Bundesgebiet verlassen.

Mit Schreiben vom ... Juni 2015 hörte die Beklagte die Klägerin sowie ihren Mann zu einer nachträglichen Befristung der erteilten Aufenthaltserlaubnis an. Das an die Klägerin gerichtete Anhörungsschreiben wurde öffentlich zugestellt, da ein erstes an ihre letzte bekannte Adresse gerichtetes Schreiben nicht zugestellt werden konnte.

Mit öffentlich zugestelltem Bescheid vom 10. August 2015 verkürzte die Beklagte die Gültigkeitsdauer der Aufenthaltserlaubnis der Klägerin auf den ... August 2015 (Ziff. 1). Sie informierte die Klägerin darüber, dass sie verpflichtet ist, das Bundesgebiet zu verlassen und setzte ihr hierfür eine Frist von einem Monat ab Unanfechtbarkeit des Bescheids, spätestens jedoch bis zum ... März 2017 (Ziff. 2). Für den Fall des Nichteinhaltens dieser Frist kündigte sie die Abschiebung der Klägerin nach Marokko oder einen anderen Staat an, in den die Klägerin einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist (Ziff. 3).

Aus den vorgelegten Behördenakten (Bl. 116 d.A.) ergibt sich, dass die Klägerin am ... August 2015 in Begleitung einer Mitarbeiterin eines Frauenhauses, in dem sie zu diesem Zeitpunkt wohnte, in der (vormalig) ehelichen Wohnung war, um ihre Sachen abzuholen. Aus den von der Beklagten eingeholten Meldeauskünften ergibt sich weiter, dass die Klägerin ab dem ... Juli 2015 wieder, allerdings nicht mehr unter der Adresse der früheren Ehewohnung, gemeldet war (Bl. 117 d.A.).

Am 30. Oktober 2015 ließ die Klägerin durch ihren damaligen Bevollmächtigten Akteneinsicht bei der Beklagten nehmen.

Mit bei Gericht am ... November 2015 per Fax eingegangenem Schreiben ihres damaligen Bevollmächtigten ließ die Klägerin Klage gegen den Bescheid erheben und beantragen,

Der Bescheid der Beklagten wird aufgehoben.

hilfsweise: Es wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

hilfsweise: Es wird festgestellt, dass der Bescheid unwirksam ist.

Die Klage sei zulässig und insbesondere nicht verfristet. Die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung des Bescheids hätten nicht vorgelegen; die Klägerin habe erst im Rahmen der Akteneinsicht am 30. Oktober 2015 von dem Bescheid erfahren.

Die Klage sei auch begründet. Der Klägerin stehe ein eigener Aufenthaltstitel nach Art. 31 Abs. 1 iVm Abs. 2 AufenthG zu, da die Klägerin Opfer häuslicher Gewalt geworden sei.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom ... Dezember 2015 beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Klage sei nach Ablauf der Klagefrist erhoben worden und daher unzulässig. Sie sei im Übrigen auch unbegründet, insbesondere würden der Beklagten keine Anhaltspunkte für das Vorliegen häuslicher Gewalt vorliegen.

Mit weiterem Schreiben vom ... Februar 2016 teilte die Beklagte mit, dass bei ihr ein neues Meldeprogramm eingeführt worden sei und in dem Zeitraum des Bescheidserlasses Verzögerungen bei der Übermittlung von Daten oder Unsicherheiten bei der Bedienung nicht auszuschließen seien.

In der mündlichen Verhandlung vom ... Februar 2018 wurde der – mittlerweile – geschiedene Ehemann der Klägerin als Zeuge vernommen. Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung wird insoweit Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am ... Februar 2018 entschieden werden, obwohl für die Klägerin niemand erschienen ist, da in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden war, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beteiligten sind form- und fristgerecht geladen worden.

Die Klage ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.).

I.

Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere nicht nach Ablauf der Klagefrist erhoben worden, da für die Klägerin die Klagefrist aus § 74 Abs. 1 S. 1 iVm S. 2 VwGO nie angelaufen ist. Die Beklagte ist unzutreffend vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 Nr. 1 BayVwZVG für eine öffentliche Zustellung des Bescheids ausgegangen. Danach ist eine öffentliche Zustellung möglich, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist. Der Aufenthaltsort der Klägerin war zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses aber nicht unbekannt, sondern die Klägerin war bereits seit ... Juli 2015 mit einer Adresse gemeldet, wie sich aus den Melderegistereinträgen ergibt. Die Beklagte hat selbst eingeräumt, dass es bei ihr aufgrund einer Umstellung des Meldeprogramms zu Unregelmäßigkeiten und Fehlbedienungen gekommen sein könnte. Art. 15 Abs. 1 Nr. 1 BayVwZVG erfasst aber nicht Fälle, in denen der Aufenthaltsort der erlassende Behörde aus in ihrer Sphäre liegenden Gründen schuldhaft unbekannt bleibt. Sind die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 Nr. 1 BayVwZVG nicht erfüllt und wird dennoch öffentlich zugestellt, liegt ein nicht heilbarer Zustellungsfehler vor und wird ein gleichwohl öffentlich zugestellter Verwaltungsakt erst wirksam, wenn der Adressat oder sein Bevollmächtigter tatsächlich Kenntnis von dem Bescheid erhalten (vgl. zum gleichlautenden § 10 VwZG Engelhardt/App/Schlatmann, 10. A, § 10 VwZG Rn. 19). Diese Kenntnisnahme erfolgte vorliegend im Rahmen der Akteneinsicht des damaligen Bevollmächtigten der Klägerin am 30. Oktober 2015. Die nur wenige Tage später am ... November 2015 erhobene Klage erfolgte daher rechtzeitig, unabhängig davon, ob man auf solche Konstellationen ab dem Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntniserlangung die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 S. 1 VwGO, die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO – ggf. in entsprechender Anwendung – oder die durch Verwirkung gezogene Grenze zulässigen Rechtschutzes zu Grunde legt.

II.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom ... August 2015 ist rechtmäßig ergangen und verletzt die Klägerin nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Nach Art. 7 Abs. 2 S. 1 AufenthG ist eine Aufenthaltserlaubnis zu befristen. Dies ist auch vorliegend geschehen, da die am ... September 2014 der Klägerin erteilte Aufenthaltserlaubnis ursprünglich bis zum ... März 2017 befristet war. Gemäß Art. 7 Abs. 2 S. 2 AufenthG kann aber eine Frist auch nachträglich verkürzt werden, wenn eine für die Erteilung wesentliche Voraussetzung entfallen ist.

Der Klägerin wurde am ... September 2014 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG erteilt. Grundvoraussetzung hierfür ist insbesondere das Herbeiführen bzw. Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft, § 27 Abs. 1 AufenthG. Es steht aber zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO) fest, dass eine solche familiäre Lebensgemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrem damaligen Ehemann zum für die gerichtliche Überprüfung maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses (hierzu Samel, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht 12. A., § 7 AufenthG, Rn. 72) nicht mehr bestand. Zwar ist eine gemeinsame Ehewohnung nur regelmäßig, aber nicht zwingend Voraussetzung für die Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft. Zumindest ist aber eine derartige räumliche Nähe der Wohnungen erforderlich, dass die familiäre Kommunikation, die auch von beiden gewollt ist, tatsächlich möglich und auch praktiziert wird. Sie endet jedenfalls mit der auf Dauer angelegten Trennung der Ehegatten. Auch das ggf. noch bestehende formale Band der Ehe reicht für sich allein nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zu entfalten. Erst der bei beiden Ehepartnern bestehende Wille, die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet tatsächlich herzustellen oder aufrechtzuerhalten, löst den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG aus. Maßgeblich ist der nachweislich betätigte Wille beider Ehepartner, mit dem jeweils anderen Ehepartner als wesentlicher Bezugsperson ein gemeinsames Leben zu führen (BVerwG v. 22.5.2013 – 1 B 25/12 – juris Rn. 4; BayVGH v. 27.10.2017 – 10 ZB 16.1074; Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht 12. A., § 27, Rn. 46 ff.).

Dies zu Grunde gelegt, fehlte es bei Erlass des angegriffenen Bescheids an einer bestehenden familiären Lebensgemeinschaft. Die Klägerin ist am ... Juni 2015 endgültig aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen und ist soweit ersichtlich nur einmal im August 2015 zurückgekehrt, um ihre Sachen aus der Wohnung abzuholen. Dass damals die endgültige Trennung erfolgte, wird auch von der Klägerin nicht bestritten und ergibt sich überzeugend auch aus der Aussage des geschiedenen Ehemanns der Klägerin in der mündlichen Verhandlung. Dieser hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, er habe die Klägerin am ... Juni 2015 nach Marokko geschickt und ihr gesagt, dass die Beziehung beendet sei. Die Voraussetzungen für eine Verkürzung der Geltungsdauer der erteilten Aufenthaltserlaubnis lagen demnach vor. Der Bescheid lässt auch keinen einer gerichtlichen Nachprüfung unterliegenden Ermessensfehler erkennen (§ 114 S. 1 VwGO).

Ob daneben ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus anderen Vorschriften besteht, ist für die gegen eine Verkürzung der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage unerheblich (BVerwG v. 9.6.2009 – 1 C 11.08). Die Ausführungen der Klageseite zu einem möglichen Anspruch aus Art. 31 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG gehen daher ins Leere. Weder hat die Klägerin eine hierauf gestützte Aufenthaltserlaubnis vor Erlass des Bescheids beantragt noch wurde mit dem angegriffenen Bescheid – ausweislich des Tenors – über eine solche Aufenthaltserlaubnis entschieden, wie die Vetreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nochmals ausdrücklich betont hat. Die hierauf bezogenen Ausführungen im Bescheid sind unnötig, im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nach Maßgabe der vorstehend zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber auch ohne Relevanz.

III.

Die Klage war deshalb abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

(1) Die Zustellung kann durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn

1.
der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist,
2.
bei juristischen Personen, die zur Anmeldung einer inländischen Geschäftsanschrift zum Handelsregister verpflichtet sind, eine Zustellung weder unter der eingetragenen Anschrift noch unter einer im Handelsregister eingetragenen Anschrift einer für Zustellungen empfangsberechtigten Person oder einer ohne Ermittlungen bekannten anderen inländischen Anschrift möglich ist oder
3.
sie im Fall des § 9 nicht möglich ist oder keinen Erfolg verspricht.
Die Anordnung über die öffentliche Zustellung trifft ein zeichnungsberechtigter Bediensteter.

(2) Die öffentliche Zustellung erfolgt durch Bekanntmachung einer Benachrichtigung an der Stelle, die von der Behörde hierfür allgemein bestimmt ist, oder durch Veröffentlichung einer Benachrichtigung im Bundesanzeiger. Die Benachrichtigung muss

1.
die Behörde, für die zugestellt wird,
2.
den Namen und die letzte bekannte Anschrift des Zustellungsadressaten,
3.
das Datum und das Aktenzeichen des Dokuments sowie
4.
die Stelle, wo das Dokument eingesehen werden kann,
erkennen lassen. Die Benachrichtigung muss den Hinweis enthalten, dass das Dokument öffentlich zugestellt wird und Fristen in Gang gesetzt werden können, nach deren Ablauf Rechtsverluste drohen können. Bei der Zustellung einer Ladung muss die Benachrichtigung den Hinweis enthalten, dass das Dokument eine Ladung zu einem Termin enthält, dessen Versäumung Rechtsnachteile zur Folge haben kann. In den Akten ist zu vermerken, wann und wie die Benachrichtigung bekannt gemacht wurde. Das Dokument gilt als zugestellt, wenn seit dem Tag der Bekanntmachung der Benachrichtigung zwei Wochen vergangen sind.

Tenor

I.

Die Beschwerde der Klägerin zu 1 wird zurückgewiesen.

II.

Dem Kläger zu 2 wird in Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 20. März 2015 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Thomas Oberhäuser, Münsterplatz 13, 89073 Ulm, beigeordnet.

III.

Die Klägerin zu 1 trägt die Kosten ihres Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die Kläger verfolgen mit ihren Beschwerden ihre in erster Instanz erfolglosen Prozesskostenhilfeanträge bezüglich ihrer Klagen gegen die Feststellung der Beklagten weiter, dass die Klägerin zu 1 (im Folgenden: Klägerin), die philippinische Staatsangehörige und Ehefrau des Klägers zu 2 (im Folgenden: Kläger) ist, kein von diesem abgeleitetes freizügigkeitsrechtliches Aufenthaltsrecht in Deutschland besitzt. Der Kläger ist deutscher und rumänischer Staatsangehöriger.

Die Beschwerde der Klägerin ist zurückzuweisen (I.). Hingegen ist dem Kläger auf seine zulässige Beschwerde hin in Abänderung des angefochtenen Beschlusses nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO Prozesskostenhilfe zu bewilligen und sein Prozessbevollmächtigter nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO beizuordnen (II.).

I.

Die zulässige Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO (1.) und die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor (2.).

1. Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Danach kann der Klägerin Prozesskostenhilfe aber nicht bewilligt werden. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Denn die Klage ist unzulässig, weil sie nicht fristgerecht erhoben worden ist (a) und der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann (b).

a) Die Klage ist nicht innerhalb der Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO erhoben worden. Nach dieser Regelung muss die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO, wie sie die Klage gegen die mit Bescheid vom 28. Oktober 2014 getroffene Feststellung, dass die Klägerin kein abgeleitetes freizügigkeitsrechtliches Aufenthaltsrecht in Deutschland besitzt, darstellt, innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieses Verwaltungsakts erhoben werden. Dies ist im Falle der Klägerin jedoch nicht geschehen.

aa) Der Bescheid ist der Klägerin mit Ablauf des Mittwoch, 12. November 2014, wirksam gemäß Art. 15 VwZVG öffentlich zugestellt worden.

aaa) Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZVG kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist. Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt.

(1) Der Aufenthaltsort der Klägerin war der Beklagten zum Zeitpunkt der öffentlichen Zustellung unbekannt.

Da die Zustellungsvorschriften auch im Verwaltungsverfahren der Wahrung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) dienen sollen und bei der öffentlichen Zustellung dem Empfänger das zuzustellende Schriftstück regelmäßig aber weder übergeben noch inhaltlich bekannt wird, ist diese verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Form der Zustellung nicht oder nur schwer durchführbar ist. Die öffentliche Zustellung ist daher als letztes Mittel der Bekanntgabe nur dann zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln (vgl. BVerwG, U. v. 18.4.1997 - 8 C 43.95 - juris Rn. 18 m. w. N.). Vor diesem Hintergrund ist der Aufenthaltsort im Sinne von Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZVG nicht schon dann unbekannt, wenn er der Behörde nicht bekannt ist. Vielmehr ist dies erst dann der Fall, wenn der Behörde der Aufenthaltsort trotz der insoweit erforderlichen gründlichen und sachdienlichen Bemühungen um Aufklärung unbekannt geblieben ist (vgl. BVerwG a. a. O. Rn. 19 m. w. N.). Ein solcher Fall liegt hier vor.

Die Beklagte kannte den Aufenthaltsort der Klägerin nicht mehr, seit deren für den 10. Juli 2014 vorgesehene Abschiebung aufgrund des Bescheids vom 20. Mai 2014, der ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug ablehnte und ihr die Abschiebung androhte, daran scheiterte, dass die Klägerin untergetaucht war. Daraufhin beantragte die Beklagte die Ausschreibung der Klägerin zur Personenfahndung im INPOL. Außerdem bat sie mit Schreiben vom 28. Juli 2014 die für ihr Gebiet zuständige Polizeiinspektion festzustellen, ob sich die Klägerin weiterhin an ihrer bisherigen Adresse aufhalte bzw. wohin sie verzogen sei. Mit Schreiben vom 28. August 2014 teilte die Polizeiinspektion der Beklagten daraufhin mit, man habe in der Wohnung nur den Kläger angetroffen, der erklärt habe, dass er sich an den Europäischen Gerichtshof gewandt habe und die Klägerin sich bis zu dessen Entscheidung verborgen halten werde. Eine Befragung der Nachbarn habe ergeben, dass die Klägerin nur selten im Haus gesehen worden sei. In der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht vom 21. Oktober 2015, die die Klage gegen die Ablehnung des Antrags der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis betraf, teilte der Kläger darüber hinaus mit, seine Frau halte sich bei Verwandten in Deutschland auf, eine Adresse wolle er aber nicht nennen. Danach durfte die Beklagte aber davon ausgehen, dass der Aufenthaltsort der Klägerin im Sinne von Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwZVG unbekannt war. Weitere Bemühungen um Aufklärung waren unter diesen Umständen nicht mehr erforderlich. Denn es ist nicht ersichtlich, welche weiteren sachdienlichen Ermittlungen noch in Frage gekommen wären.

Das Einholen einer Meldeauskunft bot keine Aussicht auf Erfolg. Die Beklagte selbst hatte die Klägerin, die bis dahin ausschließlich in der auch vom Kläger bewohnten Wohnung gemeldet war, bei ihrer Meldebehörde abgemeldet, nachdem die Abschiebung am 10. Juli 2014 daran gescheitert war, dass die Klägerin untergetaucht war. Da die Klägerin sich bewusst verborgen hielt, wie der Kläger der Polizei gegenüber im August bestätigt hatte, war auch nicht zu erwarten, dass sie sich inzwischen unter Angabe ihres neuen Aufenthaltsorts bei der Meldebehörde der Beklagten selbst ab- oder bei einer anderen Meldebehörde angemeldet hatte.

Auch bei einer neuerlichen Befragung des Klägers wären Erkenntnisse über den Aufenthaltsort der Klägerin nicht zu erwarten gewesen. Denn dieser hatte sich nicht nur Ende August gegenüber der Polizei, sondern erneut in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 21. Oktober 2014 und damit erst wenige Tage vor der Anordnung der öffentlichen Zustellung am 28. Oktober 2014 geweigert, die Adresse der Klägerin preiszugeben.

Schließlich war eine Klärung des Aufenthaltsorts der Klägerin auch nicht durch den Rechtsanwalt zu erwarten, der sie im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof vertreten hatte, das die Ablehnung ihres Eilantrags betraf, der sich gegen ihre Abschiebung aufgrund der Ablehnung ihres Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis richtete (10 CS 14.1485).

Zum einen bestand entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten zum Zeitpunkt der Anordnung der öffentlichen Zustellung am 28. Oktober 2014 nicht mehr die Möglichkeit, diesen Rechtsanwalt unter Hinweis auf die Folgen der Nichtangabe einer ladungsfähigen Anschrift zur Angabe des Aufenthaltsorts der Klägerin anzuhalten (vgl. § 82 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO). Denn die Verfahren Au 1 K 14.816, Au 1 S 14.817 und 10 CS 14.1485, auf die sich die dem Rechtsanwalt erteilte Vollmacht bezog, waren zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen. Die auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Klage (Au 1 K 14.816) war in der mündlichen Verhandlung vom 21. Oktober 2014 zurückgenommen und das Verfahren daraufhin eingestellt worden. Den diese Klage betreffenden Eilantrag (Au 1 S 14.817) hatte das Verwaltungsgericht bereits mit Beschluss vom 18. Juni 2014 abgelehnt. Die dagegen erhobene Beschwerde (10 CS 14.1485) hatte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 19. September 2014 verworfen.

Zum anderen war im Hinblick auf seine Schweigepflicht nach § 43a Abs. 2 Satz 1 und 2 BRAO selbst dann nicht zu erwarten, dass der Rechtsanwalt der Beklagten Auskunft über den wirklichen Aufenthaltsort der Klägerin erteilt hätte, wenn er ihn gekannt hätte. Denn es war nicht davon auszugehen, dass die Klägerin, die sich bewusst verborgen hielt, ihren Rechtsanwalt insoweit von seiner Schweigepflicht entbunden hätte (vgl. dazu Kleine-Cosack, BRAO, 7. Aufl. 2015, § 43a Rn. 39 ff.).

(2) Schließlich war auch eine Zustellung an einen Vertreter oder einen Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich. Dass der Kläger von der Klägerin bevollmächtigt gewesen wäre, sie gegenüber der Beklagten zu vertreten oder etwaige sie betreffende Schreiben und Bescheide entgegenzunehmen, ist vom Prozessbevollmächtigten weder vorgetragen, noch befindet sich eine entsprechende Vollmacht bei den Behördenakten. Auch an den Rechtsanwalt, der die Klägerin in den Verfahren Au 1 K 14.816, Au 1 S 14.817 und 10 CS 14.1485 vertreten hat, konnte eine Zustellung nicht erfolgen. Denn die Vollmacht war ausdrücklich auf diese Verfahren beschränkt, die die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und den damit verbundenen Eilantrag betrafen. Sie bezog sich daher nicht auf das Verwaltungsverfahren, das auf den Erlass des streitgegenständlichen, das Nichtbestehen eines freizügigkeitsrechtlichen Aufenthaltsrechts der Klägerin feststellenden Bescheids gerichtet war.

bbb) Auch die übrigen Anforderungen des Art. 15 VwZVG sind erfüllt.

(1) Anhaltspunkte dafür, dass die Anordnung der öffentlichen Zustellung entgegen Art. 15 Abs. 1 Satz 2 VwZVG nicht durch einen zeichnungsberechtigten Bediensteten getroffen wurde, bestehen nicht. Sie werden von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.

(2) Darüber hinaus sind auch die Verfahrensregelungen des Art. 15 Abs. 2 VwZVG beachtet worden.

Die öffentliche Zustellung erfolgt durch Bekanntmachung einer Benachrichtigung an der Stelle, die die Beklagte hierfür allgemein bestimmt hat (Art. 15 Abs. 2 Satz 1 VwZVG). Dass das Benachrichtigungsschreiben, das, wie in den Behördenakten vermerkt, vom 29. Oktober 2014 bis zum 17. November 2014 ausgehängt war, an einer Stelle bekanntgemacht worden ist, die diesen Anforderungen nicht genügt, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Das Schreiben lässt mit der Beklagten die Behörde erkennen, für die zugestellt wird (Art. 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 VwZVG). Die Benachrichtigung enthält den Namen und die letzte bekannte Anschrift der Klägerin als Zustellungsadressatin (Art. 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VwZVG) sowie das Datum und das Aktenzeichen des zuzustellenden Bescheids vom 28. Oktober 2014 (Art. 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 VwZVG). Sie lässt mit der Ausländerbehörde der Beklagten die Stelle erkennen, bei der der Bescheid eingesehen werden kann (Art. 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VwZVG), wobei neben der Anschrift auch das Zimmer angegeben wird, in dem die Einsichtnahme erfolgen kann. Auch enthält die Benachrichtigung den Hinweis, dass der Bescheid vom 28. Oktober 2014 öffentlich zugestellt wird und dass mit der Zustellung Fristen in Gang gesetzt werden, nach deren Ablauf Rechtsverluste drohen können (Art. 15 Abs. 2 Satz 3 VwZVG).

(3) Schließlich ist in den Akten auch vermerkt, von wann bis wann und wie die Bekanntmachung erfolgt ist (Art. 15 Abs. 2 Satz 5 VwZVG). Denn auf dem Benachrichtigungsschreiben ist vermerkt, dass das Schreiben am 29. Oktober 2014 ausgehängt und am 17. November 2014 abgenommen worden ist. Daraus ergibt sich aber nicht nur, von wann bis wann die Bekanntmachung stattgefunden hat, sondern auch, dass sie durch Aushang und damit wie sie erfolgt ist.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn man davon ausgeht, dass neben dem Beginn und dem Ende des Aushangs auch dessen Ort vermerkt werden muss (vgl. Giehl/Adolph/Käß, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Stand: Dezember 2015, Art. 15 VwZVG Anm. 3). Denn auch dies führt nicht zur Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung. Art. 15 Abs. 2 Satz 5 VwZVG ist kein Wirksamkeitserfordernis (vgl. Schlattmann in Engelhardt/App/Schlattmann, VwVG/VwZG, 10. Aufl. 2014, § 10 VwZG Rn. 17 m. w. N.; Ronellenfitsch in Bader/Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, Stand: 1. April 2015, § 10 VwZG Rn. 31), sondern dient lediglich dem Nachweis, dass die Zustellung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form erfolgt ist (vgl. Schlattmann in Engelhardt/App/Schlattmann, VwVG/VwZG, 10. Aufl. 2014, § 10 VwZG Rn. 17; Giehl/Adolph/Käß, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Stand: Dezember 2015, Art. 15 VwZVG Anm. 3). Bestehen aber wie hier keine Anhaltspunkte dafür, dass die Benachrichtigung an einer anderen Stelle als derjenigen bekanntgemacht worden ist, die von der Beklagten dafür allgemein bestimmt worden ist, so kann auch ohne eine ausdrückliche Nennung des Orts, an dem die Benachrichtigung ausgehangen hat, in dem in Art. 15 Abs. 2 Satz 5 VwZVG vorgesehenen Aktenvermerk davon ausgegangen werden, dass die Bekanntmachung an der dafür bestimmten Stelle erfolgt ist.

ccc) Ist damit die öffentliche Zustellung wirksam, so gilt der Bescheid vom 28. Oktober 2014 nach Art. 15 Abs. 2 Satz 6 VwZVG als zugestellt, wenn seit dem Tag der Bekanntmachung der Benachrichtigung zwei Wochen vergangen sind. Da die Benachrichtigung am Mittwoch, 29. Oktober 2014, bekanntgemacht wurde, galt der Bescheid vom 28. Oktober 2014 nach Art. 31 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG in Verbindung mit § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit dem Ablauf des Mittwoch, 12. November 2014, als zugestellt.

bb) Die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO hat auch mit der Zustellung des Bescheids mit dem Ablauf des 12. November 2014 nach § 58 Abs. 1 VwGO zu laufen begonnen. Zwar wird nach dieser Regelung die Klagefrist nur in Gang gesetzt, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, das Gericht, bei dem er anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. Dies ist hier jedoch geschehen. Denn der Bescheid vom 28. Oktober 2014 ist mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen, die diesen Anforderungen genügt.

cc) Damit hat die einmonatige Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO gemäß § 57 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 222 Abs. 1 ZPO und § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB am Freitag, 12. Dezember 2014, geendet. Die Klage ist danach aber nicht fristgerecht erhoben, weil sie beim Verwaltungsgericht erst am 24. Februar 2015 eingegangen ist.

b) Der Klägerin ist auch nicht nach § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm zwar nach dieser Regelung auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wobei die Tatsachen zur Begründung des Antrags bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen sind (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Danach kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand jedoch nicht in Betracht. Denn die Klägerin war nicht ohne Verschulden verhindert, die Klagefrist zu wahren.

Ein Verschulden im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO ist dann anzunehmen, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. BVerwG, B. v. 4.10.2002 - 5 C 47.01, 5 B 33.5 B 33.01 - juris Rn. 2 m. w. N.). Legt man dies zugrunde, so ist hier aber von einem Verschulden der Antragstellerin auszugehen.

Dass die Klägerin von dem Bescheid vom 28. Oktober 2014 aufgrund der öffentlichen Zustellung keine Kenntnis hatte, rechtfertigt nicht die Annahme, dass sie ohne ihr Verschulden an der rechtzeitigen Klageerhebung gehindert war. Zwar war diese Unkenntnis die Ursache für die Fristversäumnis. Sie beruhte jedoch ihrerseits darauf, dass der Beklagten eine Bekanntgabe des Bescheids vom 28. Oktober 2014 nicht möglich war, weil der Aufenthaltsort der Klägerin in Folge ihres Untertauchens weder bekannt noch mit zumutbaren Nachforschungen zu ermitteln war. Die Klägerin hat die öffentliche Zustellung also dadurch selbst verursacht, dass sie sich nicht mehr in ihrer bisherigen, der Beklagten bekannten Wohnung, sondern an einem unbekannten Ort aufgehalten hat, ohne Vorsorge dafür zu treffen, dass ihr Schriftstücke der Beklagten zugeleitet werden konnten. Damit hat sie aber diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Betroffenen geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war.

Die Beklagte hatte den Antrag der Klägerin auf Erlass einer Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom 20. Mai 2014 abgelehnt und ihr die Abschiebung in ihr Heimatland oder in einen anderen Staat angedroht, in den sie einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist. Sie hatte außerdem am 10. Juli 2014 versucht, die angedrohte Abschiebung durchzuführen, nachdem der diesbezügliche Eilantrag mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 18. Juni 2014 abgelehnt worden war. Dies scheiterte daran, dass die Klägerin sich der Abschiebung entzog, indem sie untertauchte. Vor diesem Hintergrund musste die Klägerin aber damit rechnen, dass die Beklagte weitere Maßnahmen ergreifen würde, um ihren Aufenthalt zu beenden. In einer solchen Situation hätte ein seine Rechte und Pflichten gewissenhaft wahrnehmender Betroffener aber dafür gesorgt, dass ihm etwaige weitere Schreiben und Bescheide der Beklagte rechtzeitig zur Kenntnis gelangen konnten, um gegebenenfalls dagegen mit Rechtsbehelfen vorzugehen. So wäre es der Klägerin ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, den Kläger, der sich nach wie vor an der bisherigen gemeinsamen Adresse aufhielt, der Behörde als Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Denn dies hätte durch ein entsprechendes Schreiben an die Beklagte oder eine dem Kläger ausgehändigte und von diesem an die Beklagte weitergeleitete Vollmacht geschehen können, ohne dass die Klägerin ihren Aufenthaltsort hätte preisgeben müssen. Dies hat sie jedoch unterlassen.

2. Kann der Klägerin damit Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht bewilligt werden, weil ihre Klage unzulässig ist und deshalb keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, so kann ihr auch nicht nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO ihr Prozessbevollmächtigter beigeordnet werden.

II.

Die zulässige Beschwerde des Klägers ist hingegen begründet, weil dem Kläger nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO Prozesskostenhilfe zu bewilligen (1.) und nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO sein Prozessbevollmächtigter beizuordnen ist (2.).

1. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen vor. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Klägers, der nach den vorgelegten Erklärungen über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Ehefrau die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig. Denn die Klage ist zulässig (a) und hat auch in der Sache hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil zumindest offen ist, ob die Feststellung, dass die Klägerin kein abgeleitetes freizügigkeitsrechtliches Aufenthaltsrecht in Deutschland besitzt, sich im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen wird und den Kläger in seinen Rechten verletzt (b).

a) Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist sie nicht deshalb unzulässig, weil die Klagefrist nicht gewahrt (aa) oder der Kläger nicht klagebefugt wäre (bb).

aa) Die Klage ist zunächst nicht verfristet. Die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO hat nicht zu laufen begonnen. Denn der Bescheid vom 28. Oktober 2014, mit dem die Beklagte festgestellt hat, dass die Klägerin kein abgeleitetes freizügigkeitsrechtliches Aufenthaltsrecht besitzt, ist dem Kläger nicht bekanntgegeben worden. Vielmehr hat er davon nur aufgrund der von seinem Prozessbevollmächtigten am 12. Februar 2015 genommenen Akteneinsicht Kenntnis erlangt.

Der Kläger ist auch nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben so zu behandeln, als hätte er erst nach Ablauf der Klagefrist Klage erhoben (vgl. BVerwG, U. v. 27.11.1996 - 11 A 100.95 - juris Rn. 31). Insbesondere kommt eine Verwirkung nicht in Betracht. Der Kläger hat nicht erst längere Zeit, nachdem er von dem angefochtenen Bescheid Kenntnis erlangt hatte oder hätte erlangen müssen, und zu einem Zeitpunkt Klage erhoben, zu dem aufgrund seines Verhaltens nicht mehr mit einer Klageerhebung zu rechnen war (vgl. Brenner in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 74 Rn. 56 ff., insb. Rn. 63). Denn die Klage ist am 24. Februar 2015 und damit wenige Tage, nachdem der Kläger aufgrund der Akteneinsicht seines Prozessbevollmächtigten vom 12. Februar 2015 von der Ausweisung Kenntnis erlangen konnte, beim Verwaltungsgericht eingegangen.

bb) Dem Kläger fehlt auch nicht die für die Klage gegen die Feststellung des Nichtbestehens eines abgeleiteten freizügigkeitsrechtlichen Aufenthaltsrechts der Klägerin erforderliche Klagebefugnis.

Nach § 42 Abs. 2 VwGO ist eine Anfechtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt, gegen den sie sich richtet, in seinen Rechten verletzt zu sein. Dafür genügt es, dass die behauptete Rechtsverletzung möglich erscheint. Dies ist bereits dann anzunehmen, wenn eine Verletzung eigener subjektiver Rechte des Klägers nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen ist (st. Rspr.; vgl. etwa BVerwG, U. v. 23.3.1982 - 1 C 157/79 - juris Rn. 23; U. v. 10.7.2001 - 1 C 35/00 - juris Rn. 15 jeweils m. w. N.). Danach ist der Kläger aber klagebefugt.

Es erscheint nämlich zumindest möglich, dass er durch die Feststellung, dass der Klägerin kein freizügigkeitsrechtliches Aufenthaltsrecht zusteht, in seinem Recht nach Art. 21 Abs. 1 AEUV verletzt wird, sich als Unionsbürger im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Denn dieses Recht kann durch die Nichtanerkennung eines abgeleiteten freizügigkeitsrechtlichen Aufenthaltsrechts der Klägerin beeinträchtigt werden, weil der Kläger dadurch davon abgehalten werden könnte, von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch zu machen (vgl. EuGH, U. v. 12.3.2014 - O, C-456/12 - juris Rn. 54; U. v. 16.7.2015 - Singh, C-218/14 - juris Rn. 50; im Einzelnen s.u.).

b) Die Rechtsverfolgung bietet auch in der Sache hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil zumindest offen ist, ob die Feststellung des Nichtbestehens eines freizügigkeitsrechtlichen Aufenthaltsrechts rechtswidrig ist (aa) und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; bb).

aa) Offen ist, ob der Bescheid vom 28. Oktober 2014 rechtswidrig ist, weil der Klägerin entgegen der Ansicht der Beklagten ein vom Kläger abgeleitetes freizügigkeitsrechtliches Aufenthaltsrecht zustehen kann, obwohl der Kläger, der sowohl die deutsche als auch die rumänische Staatsangehörigkeit besitzt, sich bisher nur in Deutschland und Rumänien und damit nicht in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als dem aufgehalten hat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

Keiner Klärung bedarf zunächst, ob die Klägerin als Ehegattin eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers deshalb gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 oder § 3 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 4 Satz 1 FreizügG/EU ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU haben kann, weil sich der Kläger, der auch die rumänische Staatsangehörigkeit besitzt, möglicherweise trotz seiner deutschen Staatsangehörigkeit als Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats im Bundesgebiet im Sinne von § 1 FreizügG/EU aufhält und deshalb nach dieser Regelung das Freizügigkeitsgesetz/EU die Einreise und den Aufenthalt seiner Familienangehörigen regelt. Ebenso braucht im Prozesskostenhilfeverfahren nicht entschieden zu werden, ob der Klägerin ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger oder ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl Nr. L 158, S. 77; im Folgenden: Richtlinie 2004/38/EG) im Hinblick darauf zusteht, dass sich der Kläger als rumänischer Staatsangehöriger ungeachtet seiner deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG in Deutschland in einem anderen als dem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und deshalb nach dieser Regelung für die Klägerin als seine Familienangehörige im Sinne von Art. 2 Nr. 2 Buchst. a Richtlinie 2004/38/EG diese Richtlinie gilt. Denn jedenfalls ist offen, ob der Klägerin ein abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht deshalb zusteht, weil der Kläger, obwohl er auch die rumänische Staatsangehörigkeit besitzt, als Deutscher durch seinen Aufenthalt in Rumänien in den Jahren 2010 bis 2014, von seinem Freizügigkeitsrecht nach Art. 21 Abs. 1 AEUV Gebrauch gemacht hat und anschließend nach Deutschland zurückgekehrt ist.

Zwar kann sich ein solches, vom Kläger als deutschem Staatsangehörigen abgeleitetes Aufenthaltsrecht der Klägerin weder aus dem Freizügigkeitsgesetz/EU noch aus der Richtlinie 2004/38/EG ergeben. Denn das Freizügigkeitsgesetz/EU regelt nach § 1 FreizügG/EU nur die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union und ihrer Familienangehörigen, nicht aber von Familienangehörigen deutscher Staatsangehöriger (vgl. BVerwG, U. v. 22.6.2011 - 1 C 11.10 - juris Rn. 7). Die Richtlinie 2004/38/EG gilt für Unionsbürger, die sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, begeben oder sich dort aufhalten, und für ihre Familienangehörigen (Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG). Sie begründet daher kein Aufenthaltsrecht von Familienangehörigen in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt (vgl. EuGH, U. v. 12.3.2014 - O, C-456/12 - juris Rn. 37 ff.). Jedoch kann sich ein Aufenthaltsrecht von Familienangehörigen von Unionsbürgern, die sich in dem Staat aufhalten, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, aus Art. 21 Abs. 1 AEUV ergeben (EuGH a. a. O. Rn. 44 ff.).

Art. 21 Abs. 1 AEUV, nach dem jeder das Recht hat, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten, gewährt einem Drittstaatsangehörigen, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, der sich in Ausübung dieses Rechts, insbesondere als Arbeitnehmer (vgl. EuGH, U. v. 7.7.1992 - Singh, C-370/90, juris Rn. 21 und 25; U. v. 11.12.2007 - Eind, C-291/05 - juris Rn. 45), in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat, bei der Rückkehr des Unionsbürgers in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht in diesem Mitgliedstaat (vgl. EuGH, U. v. 12.3.2014 - O, C-456/12 - juris Rn. 46 ff.). Dies ist aus Gründen der praktischen Wirksamkeit der Rechte des Unionsbürgers aus Art. 21 Abs. 1 AEUV geboten. Denn ohne ein solches Aufenthaltsrecht für seine Familienangehörigen würde der Unionsbürger davon abgehalten, den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zu verlassen, um sein Aufenthaltsrecht nach Art. 21 Abs. 1 AEUV in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, weil er nicht die Gewissheit hätte, mit seinen nahen Verwandten im Herkunftsstaat ein etwa durch Heirat oder Familienzusammenführung entwickeltes oder gefestigtes Familienleben fortzusetzen (vgl. EuGH, U. v. 11.12.2007 - Eind, C-291/05 - juris Rn. 36; U. v. 12.3.2014 - O, C-456/12 - juris Rn. 54). Erforderlich ist allerdings, dass der Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat von solcher Dauer ist, dass der Unionsbürger dort ein Familienleben entwickeln oder festigen kann (vgl. EuGH, U. v. 12.3.2014 - O, C-456/12 - juris Rn. 51). Dies ist dann der Fall, wenn der Unionsbürger von seinem Recht nach Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG Gebrauch macht, sich für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufzuhalten (vgl. EuGH a. a. O. Rn. 53). Die Voraussetzungen für die Gewährung des abgeleiteten Aufenthaltsrechts auf der Grundlage von Art. 21 Abs. 1 AEUV dürfen dabei nicht strenger sein als diejenigen, die die Richtlinie 2004/38/EG für einen Drittstaatsangehörigen vorsieht, der Familienangehöriger eines Unionsbürgers ist, der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, indem er sich in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen hat, als dem, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt (vgl. EuGH a. a. O. Rn. 50).

Legt man dies zugrunde, so ist zumindest offen, ob die Feststellung der Beklagten, dass die Klägerin kein abgeleitetes freizügigkeitsrechtliches Aufenthaltsrecht in Deutschland besitzt, rechtswidrig ist. Besäße der Kläger ausschließlich die deutsche Staatsangehörigkeit, hätte er von seinem Freizügigkeitsrecht als Unionsbürger nach Art. 21 Abs. 1 AufenthG Gebrauch gemacht. Denn er hat, soweit seine Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 21. Oktober 2014 zutreffen, von 2010 bis 2014 in Rumänien gelebt und ist dort einer unselbstständigen Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter und Vertriebsleiter nachgegangen. Sein Aufenthalt in Rumänien wäre dabei auch von ausreichender Dauer, um dort ein Familienleben entwickeln oder festigen zu können. Denn der Kläger hätte damit von seinem Recht nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Richtlinie 2004/38/EG Gebrauch gemacht, sich als Arbeitnehmer für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufzuhalten. Dementsprechend hat er während dieses Aufenthalts in Rumänien auch im Jahr 2012 die Klägerin geheiratet.

Offen ist allerdings, ob das danach in Betracht kommende abgeleitete Aufenthaltsrecht der Klägerin auf der Grundlage von Art. 21 Abs. 1 AEUV deshalb nicht besteht, weil der Kläger neben der deutschen auch die rumänische Staatsangehörigkeit besitzt und damit sein Aufenthalt in Rumänien nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich auf seinem Freizügigkeitsrecht als Unionsbürger nach Art. 21 Abs. 1 AEUV, sondern auch auf seiner rumänischen Staatsangehörigkeit beruhte. Die Frage, ob ein Familienangehöriger eines Unionsbürgers, der die Staatsangehörigkeit zweier Mitgliedstaaten besitzt und der sich unter den Voraussetzungen von Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG für mehr als drei Monate von einem dieser Mitgliedstaaten in den anderen begibt und anschließend wieder in den Mitgliedstaat, aus dem er gekommen ist, zurückkehrt, sich in diesem Mitgliedstaat auf ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht auf der Grundlage von Art. 21 Abs. 1 AEUV berufen kann, ist allerdings, soweit ersichtlich, bisher nicht geklärt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat zwar entschieden, dass Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG und Art. 21 Abs. 1 AEUV auf einen Unionsbürger, der nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht, sondern sich stets in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und der sich im Übrigen im Besitz der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats befindet, grundsätzlich nicht anwendbar sind (vgl. EuGH, U. v. 5.5.2011 - McCarthy, C-434/09 - juris Rn. 57). Nicht ausdrücklich geklärt ist aber, ob ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht des Familienangehörigen auf der Grundlage von Art. 21 Abs. 1 AEUV in Betracht kommt, wenn der Unionsbürger, der die Staatsangehörigkeit von zwei Mitgliedstaaten besitzt, von seinem Freizügigkeitsrecht nach Art. 21 Abs. 1 AEUV dadurch Gebrauch gemacht hat, dass er sich für längere Zeit unter Beachtung der Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG von einem dieser Mitgliedstaaten in den anderen begeben hat und anschließend zurückgekehrt ist (vgl. für ein abgeleitetes freizügigkeitsrechtliches Aufenthaltsrecht in solchen Fällen BayVGH, B. v. 9.8.2012 - 19 CE 11.1893 - juris Rn. 22 unter Hinweis auf EuGH, U. v. 2.10.2002 - Garcia Avello, C-148/02 - juris Rn. 25 ff.; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 1 FreizügG/EU Nr. 1.4; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Oktober 2015, Rn. 7 zu § 1 FreizügG/EU).

Da die Beklagte die Feststellung des Nichtbestehens eines abgeleiteten freizügigkeitsrechtlichen Aufenthaltsrechts im Bescheid vom 29. Oktober 2014 der Sache nach allein auf die Verneinung dieser Frage gestützt hat, ist aber auch offen, ob diese Feststellung, die ihre Rechtsgrundlage allenfalls in einer entsprechenden Anwendung von § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU findet (vgl. BVerwG, U. v. 22.6.2011 - 1 C 11.10 - juris Rn. 9, wo offengelassen wird, ob das Freizügigkeitsgesetz entsprechend anwendbar ist), bereits deshalb rechtswidrig ist, weil sie als Ermessensentscheidung auf unzutreffenden Erwägungen beruht.

bb) Kommt damit aber ernsthaft in Betracht, dass die Feststellung des Nichtbestehens eines abgeleiteten freizügigkeitsrechtlichen Aufenthaltsrechts der Klägerin in Deutschland rechtswidrig ist, weil sich möglicherweise ein solches Aufenthaltsrecht aus Art. 21 Abs. 1 AEUV ergibt und nicht durch die doppelte Staatsangehörigkeit des Klägers ausgeschlossen wird, so ist auch zumindest offen, ob der Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2014 den Kläger in seinen Rechten verletzt. Denn wäre die Anerkennung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts der Klägerin, wie dargelegt, aus Gründen der praktischen Wirksamkeit des Freizügigkeitsrechts des Klägers nach Art. 21 Abs. 1 AEUV geboten, weil dieses Recht sonst beeinträchtigt wäre (vgl. EuGH, U. v. 12.3.2014 - O, C-456/12 - juris Rn. 54; U. v. 16.7.2015 - Singh, C-218/14 - juris Rn. 50), so verletzte die Feststellung der Beklagten, dass ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht der Klägerin nicht besteht, den Kläger in seinem eigenen Recht auf Freizügigkeit im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nach Art. 21 Abs. 1 AEUV.

2. Liegen danach die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO vor, so ist dem Kläger auch nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO sein Prozessbevollmächtigter beizuordnen. Denn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt war angesichts der Bedeutung der Sache für den Kläger und der Schwierigkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen erforderlich.

Die Kostenentscheidung bezüglich der Beschwerde der Klägerin beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Hinsichtlich der Beschwerde des Klägers bedarf es keiner Kostenentscheidung. Weder fallen Gerichtskosten an, noch können Kosten erstattet werden. Gerichtskosten können im Prozesskostenhilfeverfahren gemäß § 3 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nur erhoben werden, soweit anders als hier eine Beschwerde gegen die erstinstanzliche Prozesskostenhilfeentscheidung verworfen oder zurückgewiesen wird. Eine Kostenerstattung ist sowohl für das Bewilligungs- als auch für das Beschwerdeverfahren ausgeschlossen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Satz 4 und § 127 Abs. 4 ZPO). Da Gerichtskosten für die Beschwerde des Klägers nicht erhoben werden können, ist auch eine Streitwertfestsetzung entbehrlich.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es auch für das Beschwerdeverfahren der Klägerin nicht, weil gemäß § 3 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

(2) Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; bei Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung, des Antrags auf Zulassung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Beschwerde beträgt die Frist einen Monat. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

(3) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.

(4) Über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat.

(5) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZR 61/07
vom
28. April 2008
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ist die öffentliche Zustellung gemessen an den Voraussetzungen des § 185 ZPO
unwirksam, ist es dem von der Unwirksamkeit Begünstigten verwehrt, sich auf diese
zu berufen, wenn er zielgerichtet versucht hat, eine Zustellung, mit der er sicher
rechnen musste, zu verhindern. In einem solchen Fall ist das Berufen auf die Unwirksamkeit
rechtsmissbräuchlich und damit unbeachtlich (Bestätigung von BGHZ 149,
311).
BGH, Beschluss vom 28. April 2008 - II ZR 61/07 - OLG Hamm
LG Bielefeld
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 28. April 2008 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly,
Kraemer, Caliebe und Dr. Drescher

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 19. Januar 2007 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an den 2. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Berufungsgericht hat den Vortrag des Klägers nur unvollständig und zudem nur im Zusammenhang mit der Prüfung der Frage der ordnungsgemäßen Zustellung des Versäumnisurteils zur Kenntnis genommen. Es hat sich dadurch unter Verstoß gegen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) in entscheidungserheblicher Weise den Blick für die sich nach dem Vortrag des Klägers aufdrängende Prüfung verstellt, ob ein Berufen des Beklagten auf die nicht ordnungsgemäße Zustellung rechtsmissbräuchlich ist (§ 242 BGB).
2
I. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann auch in einem Fall, in dem die öffentliche Zustellung, wie das Berufungsgericht hier angenommen hat, unwirksam ist, ein Berufen auf die Unwirksamkeit im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein (BGHZ 149, 311, 323). Diese im vorliegenden Fall gebotene Prüfung hat das Berufungsgericht unterlassen, weil es den Vortrag des Klägers zu dem Verhalten des Beklagten, mit dem dieser seine postalische Erreichbarkeit zu verhindern versucht hat in einer Zeit, in der er mit einer Inan- spruchnahme seitens des Klägers aus der Garantieerklärung rechnen musste, nicht ausreichend zur Kenntnis genommen hat.
3
1. Der Kläger hat unter Vorlage eines Schreibens der Meldebehörde vorgetragen , dass sich der Beklagte bereits zum 1. Januar 2005 mit unbekanntem Aufenthaltsort abgemeldet hat, er mithin seiner Meldepflicht fast ein halbes Jahr nicht nachgekommen ist. Obwohl seine Ehefrau weiterhin am bisherigen gemeinsamen Wohn- und Geschäftssitz lebte und erreichbar war, hat der Beklagte während dieser Zeit nichts unternommen, um sicherzustellen, dass ihn dort - weiterhin - für ihn eingehende Post erreichen konnte. Er hat weder, was angesichts des Verbleibens seiner Ehefrau unter der gemeinsamen Wohnanschrift ohne Weiteres möglich gewesen wäre, dafür Sorge getragen, dass die für ihn dort eingehende Post entgegengenommen und an ihn weitergeleitet wird noch hat er - was sich ebenfalls aufgedrängt hätte, wenn er nicht beabsichtigte, unerreichbar zu sein, - einen Postnachsendeauftrag gestellt.
4
2. Ebenfalls nur unvollständig zur Kenntnis genommen hat das Berufungsgericht den unter Bezugnahme auf die Akten des Verfahrens 2 O 163/98 LG Bielefeld gehaltenen Vortrag des Klägers zu dem Verhalten des Prozessbevollmächtigten des Beklagten. Das Berufungsgericht hat insoweit lediglich berücksichtigt , dass der Prozessbevollmächtigte die Nachfrage des Klägers nach der Anschrift des Beklagten unbeantwortet gelassen hat. Es hat dabei aber nicht in den Blick genommen, dass der Prozessbevollmächtigte genau zu dieser Zeit den Beklagten in der Zwangsvollstreckungssache 2 O 163/98 LG Bielefeld und dem sich daran anschließenden Kostenstreit vertreten hat, in der er für den Beklagten Anträge gestellt hat und mehrfach schriftsätzlich tätig geworden ist. Angesichts dessen hätte sich dem Berufungsgericht aufdrängen müssen, dass zwischen dem Beklagten und seinem Anwalt zu der Zeit, in der der Beklagte für den Kläger u.a. deshalb nicht erreichbar war, weil der Anwalt die Auskunft über den Aufenthaltsort verweigerte, Kontakt bestand. Der Anwalt hätte dem Kläger daher den Aufenthaltsort des Beklagten mitteilen können, was er Monate nach der öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteils im Verfahren 2 O 163/98 LG Bielefeld schließlich getan hat mit der Bemerkung, er sei "vom Gericht" nie zur Mitteilung der Anschrift aufgefordert worden. Jedenfalls aber war der Beklagte unter Zugrundelegung dieses Vortrags des Klägers darüber informiert, dass der Kläger ihn erneut gerichtlich aus der Garantie in Anspruch nehmen wollte. Über seinen Prozessbevollmächtigten, den der Klägeranwalt zeitnah und fortlaufend informiert hatte, wusste der Beklagte von dem Inhalt des Gesellschafterbeschlusses vom 7. Dezember 2004 und der sich daran anschließenden Korrespondenz über die Sanierung und die von dem Kläger geforderte Sonderzahlung , und ihm musste aufgrund dieser Informationen bewusst sein, dass der Kläger nach dem Scheitern des Zwangsvollstreckungsversuchs, wie schriftlich gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten angekündigt, Klage gegen ihn erheben würde und er dafür für ihn postalisch erreichbar sein musste. Trotz dieses Wissens hat der Beklagte weder seinen Anwalt angehalten, dem Kläger seinen Aufenthaltsort mitzuteilen, noch hat er, nachdem er seinen neuen Wohnsitz genommen und sich angemeldet hatte, es für nötig befunden, seiner Ehefrau die neue Anschrift mitzuteilen, damit diese die zu erwartenden gerichtlichen Schriftstücke an ihn nachsenden konnte.
5
3. Hätte das Berufungsgericht nicht nur das Bemühen des Klägeranwalts und des Landgerichts hinsichtlich der Aufenthaltsermittlung des Beklagten, sondern den gesamten Vortrag des Klägers zu dem Verhalten des Beklagten berücksichtigt, ist nicht ausgeschlossen, dass es darin ein Vorgehen des Beklagten gesehen hätte, das dem Ziel diente, eine erfolgversprechende gerichtliche Inanspruchnahme seitens des Klägers aus der Garantie durch "Untertauchen" zu verhindern. Es hätte dann möglicherweise das Berufen des Beklagten auf die Fehlerhaftigkeit der öffentlichen Zustellung als rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB) gewertet und es ihm deshalb versagt, die Unwirksamkeit der Zustellung im Prozess geltend zu machen.
6
II. Der Senat hat bei der Zurückverweisung von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
Goette Kurzwelly Kraemer Caliebe Drescher
Vorinstanzen:
LG Bielefeld, Entscheidung vom 13.01.2006 - 2 O 385/05 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 19.01.2007 - 26 U 36/06 -

(1) Die Anfechtungsklage muß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Ist nach § 68 ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich, so muß die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden.

(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.