Bayerisches Oberstes Landesgericht Beschluss, 26. Feb. 2019 - 1 AR 5/19

bei uns veröffentlicht am26.02.2019

Gericht

Bayerisches Oberstes Landesgericht

Tenor

Als (örtlich) zuständiges Gericht wird das Landgericht München I bestimmt.

Gründe

I.

Gegenstand der zum Landgericht München I (Az. 28 O 3233/18) erhobenen und mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2018 erweiterten Klage sind Ausgleichsansprüche nach § 78 Abs. 2 VVG.

Als Bauleitungs- und Montageversicherer macht die Antragstellerin Ausgleichsansprüche wegen Leitungswasserschäden geltend, die am 12. Mai 2015 und am 18. August 2015 in einem Neu- bzw. Erweiterungsbau einer Klinik in Murnau eingetreten sind. Die am 6. März 2018 eingegangene Klage richtet sich nur gegen die Antragsgegnerinnen zu 1) und 2), die ihren Sitz in München haben. Sie werden als Leitungswasserversicherer in Anspruch genommen. Mit der Klageerweiterung macht die Antragstellerin Ansprüche gegen die weiteren Antragsgegnerinnen als Mitversicherer geltend. Die Antragsgegnerin zu 3), die ihren Hauptsitz in Dublin hat, hat in Frankfurt am Main eine Niederlassung für Deutschland. Die Antragsgegnerin zu 4) hat ihren Sitz in München, die Antragsgegnerin zu 5) in Berlin, die Antragsgegnerin zu 6) in Wiesbaden, die Antragsgegnerin zu 7) in Dortmund und die Antragsgegnerin zu 8) in Münster.

Die Antragstellerin hat Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts gestellt und angeregt, das Landgericht München I als zuständiges Gericht zu bestimmen (Seite 70 des Schriftsatzes vom 6. Dezember 2018, Bl. 210 d. A.). Aufgrund der Vorbefassung des Landgerichts München I mit der Klage, der Konsortialführerschaft der Antragsgegnerin zu 2) mit Sitz in München und des Schadensorts nahe München sei dies zweckmäßig und prozesswirtschaftlich.

Die Antragsgegnerinnen haben sich zu dem Antrag nicht geäußert.

II.

Auf den zulässigen Antrag bestimmt der Senat das Landgericht München I als (örtlich) zuständiges Gericht.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist das nach § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO für das Bestimmungsverfahren zuständige Gericht, weil die Antragsgegnerinnen ihren allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 17 ZPO) in verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken (München, Berlin und Hamm) haben und das zuerst mit der Sache befasste Gericht in Bayern liegt.

2. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.

Dem Antrag steht insbesondere nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin zu 3) im Inland lediglich einen besonderen Gerichtsstand (Art. 7 Nr. 5 Brüssel-Ia-VO) hat. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist auch in Verfahren anwendbar, in denen hinsichtlich einer beklagten Partei im Inland ein besonderer Gerichtsstand nach unionsrechtlichen Zuständigkeitsbestimmungen begründet ist und die anderen Beklagten unterschiedliche allgemeine Gerichtsstände im Inland haben (BGH, Beschluss vom 6. Mai 2013, X ARZ 65/13, MDR 2013, 805 Rn. 16; OLG Hamm, Beschluss vom 1. Dezember 2016, I-32 SA 43/16, WuW 2017, 292 Rn. 89 = Rn. 71 juris).

Die Antragsgegnerinnen werden als Streitgenossinnen i. S. v. §§ 59, 60 ZPO in Anspruch genommen. § 60 ZPO beruht weitgehend auf Zweckmäßigkeitserwägungen und ist deshalb grundsätzlich weit auszulegen (BGH, Beschluss vom 3. Mai 2011, X ARZ 101/11, MDR 2011, 807). Es genügt, dass die Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt (BGH, Beschluss vom 6. Juni 2018, X ARZ 303/18, MDR 2018, 951 Rn. 12). Dies ist hier der Fall. Die Antragstellerin stützt ihre Klage auf dasselbe Versicherungsverhältnis (Anlage K 6).

3. Die Auswahl unter den in Betracht kommenden Gerichten erfolgt nach den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und der Prozessökonomie. Auszuwählen ist grundsätzlich eines der Gerichte, an dem eine der Antragsgegnerinnen ihren allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 17 ZPO) hat.

Der Senat bestimmt als zuständiges Gericht das Landgericht München I. Auf die zutreffenden Erwägungen der Antragstellerin wird Bezug genommen.

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(2) Die Versicherer sind im Verhältnis zueinander zu Anteilen nach Maßgabe der Beträge verpflichtet, die sie dem Versicherungsnehmer nach dem jeweiligen Vertrag zu zahlen haben. Ist auf eine der Versicherungen ausländisches Recht anzuwenden, kann der Versicherer, für den das ausländische Recht gilt, gegen den anderen Versicherer einen Anspruch auf Ausgleichung nur geltend machen, wenn er selbst nach dem für ihn maßgeblichen Recht zur Ausgleichung verpflichtet ist.

(3) In der Haftpflichtversicherung von Gespannen sind bei einer Mehrfachversicherung die Versicherer im Verhältnis zueinander zu Anteilen entsprechend der Regelung in § 19 Absatz 4 des Straßenverkehrsgesetzes verpflichtet.

(4) Hat der Versicherungsnehmer eine Mehrfachversicherung in der Absicht vereinbart, sich dadurch einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, ist jeder in dieser Absicht geschlossene Vertrag nichtig; dem Versicherer steht die Prämie bis zu dem Zeitpunkt zu, zu dem er von den die Nichtigkeit begründenden Umständen Kenntnis erlangt.

(1) Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt:

1.
wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung des Richteramtes rechtlich oder tatsächlich verhindert ist;
2.
wenn es mit Rücksicht auf die Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke ungewiss ist, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig sei;
3.
wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist;
4.
wenn die Klage in dem dinglichen Gerichtsstand erhoben werden soll und die Sache in den Bezirken verschiedener Gerichte belegen ist;
5.
wenn in einem Rechtsstreit verschiedene Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben;
6.
wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

(2) Ist das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof, so wird das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört.

(3) Will das Oberlandesgericht bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen, so hat es die Sache unter Begründung seiner Rechtsauffassung dem Bundesgerichtshof vorzulegen. In diesem Fall entscheidet der Bundesgerichtshof.

Das Gericht, bei dem eine Person ihren allgemeinen Gerichtsstand hat, ist für alle gegen sie zu erhebenden Klagen zuständig, sofern nicht für eine Klage ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist.

(1) Der allgemeine Gerichtsstand der Gemeinden, der Korporationen sowie derjenigen Gesellschaften, Genossenschaften oder anderen Vereine und derjenigen Stiftungen, Anstalten und Vermögensmassen, die als solche verklagt werden können, wird durch ihren Sitz bestimmt. Als Sitz gilt, wenn sich nichts anderes ergibt, der Ort, wo die Verwaltung geführt wird.

(2) Gewerkschaften haben den allgemeinen Gerichtsstand bei dem Gericht, in dessen Bezirk das Bergwerk liegt, Behörden, wenn sie als solche verklagt werden können, bei dem Gericht ihres Amtssitzes.

(3) Neben dem durch die Vorschriften dieses Paragraphen bestimmten Gerichtsstand ist ein durch Statut oder in anderer Weise besonders geregelter Gerichtsstand zulässig.

(1) Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt:

1.
wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung des Richteramtes rechtlich oder tatsächlich verhindert ist;
2.
wenn es mit Rücksicht auf die Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke ungewiss ist, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig sei;
3.
wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist;
4.
wenn die Klage in dem dinglichen Gerichtsstand erhoben werden soll und die Sache in den Bezirken verschiedener Gerichte belegen ist;
5.
wenn in einem Rechtsstreit verschiedene Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben;
6.
wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

(2) Ist das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof, so wird das zuständige Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört.

(3) Will das Oberlandesgericht bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen, so hat es die Sache unter Begründung seiner Rechtsauffassung dem Bundesgerichtshof vorzulegen. In diesem Fall entscheidet der Bundesgerichtshof.

16
c) § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist auch in Fällen anzuwenden, in denen hinsichtlich eines Antragsgegners im Inland lediglich ein besonderer Gerichtsstand nach den unionsrechtlichen Zuständigkeitsbestimmungen begründet ist und die anderen Antragsgegner ihren allgemeinen Gerichtsstand im Inland haben (BGH, Beschluss vom 19. März 1987 - I ARZ 903/86, NJW 1988, 646; Roth in Stein-Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 36 Rn. 25; Hausmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl., § 36 Rn. 39; Lange in Prütting/Gehrlein, ZPO, 4. Aufl., § 36 Rn. 6). Danach ist der Anwendungsbereich des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO hier eröffnet.

Mehrere Personen können als Streitgenossen gemeinschaftlich klagen oder verklagt werden, wenn sie hinsichtlich des Streitgegenstandes in Rechtsgemeinschaft stehen oder wenn sie aus demselben tatsächlichen und rechtlichen Grund berechtigt oder verpflichtet sind.

Mehrere Personen können auch dann als Streitgenossen gemeinschaftlich klagen oder verklagt werden, wenn gleichartige und auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtsstreits bilden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ARZ 101/11
vom
3. Mai 2011
in dem Gerichtstandbestimmungsverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Auch wenn ein Vertrag über die Beteiligung an einem in der Rechtsform der
Kommanditgesellschaft organisierten Vermögensfonds im Rahmen eines Haustürgeschäfts
zustande gekommen ist, kann eine Klage gegen ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen
, das vom Anleger wegen Verletzung von Pflichten aus
einem mit der Kommanditgesellschaft geschlossenen Vertrag über die Kontrolle
der Mittelverwendung in Anspruch genommen wird, nicht im besonderen Gerichtsstand
des Haustürgeschäfts gemäß § 29c ZPO erhoben werden.
Der für eine Streitgenossenschaft gemäß § 60 ZPO erforderliche sachliche Zusammenhang
zwischen den geltend gemachten Ansprüchen ist gegeben, wenn
der Kläger geltend macht, sowohl der Vermittler einer Kapitalanlage als auch
ein wegen desselben Schadens als Gesamtschuldner in Anspruch genommenes
Wirtschaftsprüfungsunternehmen hätten erkennen können und müssen,
dass der Emissionsprospekt Fehler aufweise und das Geschäftsmodell der Kapitalanlage
gegen Vorschriften des Kreditwesengesetzes verstoße. Der Zusammenhang
wird nicht dadurch aufgehoben, dass die Beklagten aus unterschiedlichen
Verträgen in Anspruch genommen werden, zwischen denen ihrerseits
kein unmittelbarer Zusammenhang besteht.
BGH, Beschluss vom 3. Mai 2011 - X ARZ 101/11 - Kammergericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Mai 2011 durch die
Richter Keukenschrijver, Gröning, Dr. Bacher, Hoffmann und die Richterin
Schuster

beschlossen:
Als zuständiges Gericht wird das Landgericht Berlin bestimmt.

Gründe:


1
I. Der Kläger begehrt von den Beklagten Ersatz des Schadens aus einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage.
2
Der Kläger beteiligte sich im November 2004 auf Vermittlung der Beklagten zu 1 über eine Treuhandkommanditistin an einem Vermögensfonds in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft (nachfolgend: Gesellschaft). Über das Vermögen der Gesellschaft ist mit Beschluss vom 12. September 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet worden.
3
Die Beklagte zu 2, eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, hat im Auftrag der Gesellschaft deren Emissionsprospekt in der Fassung vom 17. März 2004 begutachtet. Ferner hat sie mit der Gesellschaft einen - im Emissionsprospekt im Wortlaut wiedergegebenen - Vertrag über die Kontrolle der Mittelverwendung geschlossen. Nach diesem Vertrag durften Verfügungen über das Bankkonto, auf das die Kommanditeinlagen überwiesen wurden, nur mit Zustimmung der Beklagten zu 2 erfolgen. Diese hatte vor der Erteilung der Zustimmung zu prüfen , ob bestimmte im Vertrag festgelegte formale Kriterien erfüllt waren.
4
Der Kläger nimmt beide Beklagten vor dem Landgericht Berlin auf Erstattung seiner Einlagen Zug um Zug gegen Abtretung seiner Beteiligungsrechte an der Gesellschaft in Anspruch und begehrt ergänzend die Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich künftig eintretender Nachteile. Er macht geltend, die Beklagte zu 1 habe ihn bei der Vermittlung der Anlage nicht hinreichend über die mit der Anlage verbundenen Risiken, über beanstandete Verstöße gegen die Vorschriften des Kreditwesengesetzes bei vergleichbaren Geschäften, über negative Presseberichte und über Fehler des Emissionsprospekts aufgeklärt. Die Beklagte zu 2 habe die ihr obliegenden Pflichten aus dem Mittelverwendungskontrollvertrag , in dessen Schutzbereich der Kläger einbezogen sei, verletzt , weil sie fahrlässig nicht erkannt habe, dass das Geschäftsmodell der Gesellschaft gegen die Vorschriften des Kreditwesengesetzes verstoßen habe und dass der Emissionsprospekt unrichtig und unvollständig gewesen sei.
5
Die Beklagte zu 2 hat die örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt. Der Kläger beantragt nunmehr, das Landgericht Berlin, hilfsweise ein anderes Gericht gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als zuständiges Gericht zu bestimmen. Die Beklagte zu 2 tritt diesem Antrag entgegen und beantragt hilfsweise , als zuständiges Gericht das Landgericht München I zu bestimmen.
6
Das Kammergericht hält den Antrag auf Bestimmung eines Gerichtsstands für zulässig und begründet. Es sieht sich an einer dem Antrag stattgebenden Entscheidung durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Naumburg vom 11. November 2010 (1 AR 32/10 (Zust), nicht veröffentlicht) gehindert und hat die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
7
II. Die Vorlage ist zulässig.
8
Das Oberlandesgericht Naumburg hat in dem genannten Beschluss eine Bestimmung des Gerichtsstands in einem im Wesentlichen gleich gelagerten Fall abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der wegen unzureichender Aufklärung in Anspruch genommene Anlagevermittler und die wegen Verletzung von Pflichten aus dem Vertrag über die Kontrolle der Mittelverwendung in Anspruch genommene Wirtschaftsprüfungsgesellschaft seien nicht als Streitgenossen anzusehen. Das vorlegende Kammergericht sieht die Voraussetzungen für eine Streitgenossenschaft hingegen als gegeben an. Damit würde es in einer Rechtsfrage von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg abweichen.
9
III. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des Gerichtsstands gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO sind erfüllt.
10
1. Zutreffend ist das vorlegende Gericht davon ausgegangen, dass die Parteien nicht denselben allgemeinen Gerichtsstand haben und dass für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist.
11
a) Für die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Klage ist der besondere Gerichtsstand für Haustürgeschäfte (§ 29c ZPO) nicht gegeben.
12
Wie das vorlegende Gericht zutreffend darlegt, erfasst § 29c ZPO ohne Rücksicht auf die Anspruchsgrundlage alle Klagen, mit denen Ansprüche geltend gemacht werden, die sich auf ein Haustürgeschäft im Sinne von § 312 BGB gründen. Hierzu gehören auch alle Folgeansprüche aus Haustürgeschäften sowie Ansprüche wegen Verschuldens bei Vertragsschluss oder wegen einer in Zusammenhang mit dem Haustürgeschäft begangenen unerlaubten Handlung gegen den Vertragspartner oder gegen Dritte, die in die Vertragsanbahnung eingeschaltet waren (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2003 - X ARZ 362/02, NJW 2003, 1190 f.).
13
Die Ansprüche, die der Kläger gegen die Beklagte zu 2 geltend macht, erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Die Beklagte zu 2 war nicht in die Anbahnung , den Abschluss oder die Abwicklung des nach dem Vortrag des Klägers als Haustürgeschäft zu qualifizierenden Anlagevertrages einbezogen. Die gegen sie erhobenen Ansprüche stellen auch keine Folgeansprüche aus diesem Vertrag dar. Sie werden auf den Vertrag über die Kontrolle der Mittelverwendung gestützt. Dieser Vertrag steht nicht in rechtlichem Zusammenhang mit dem Haustürgeschäft. Dass der geltend gemachte Schaden auch durch den Abschluss des Haustürgeschäfts verursacht worden ist, reicht für die Anwendung des § 29c ZPO nicht aus.
14
b) Ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand ist auch nicht gemäß § 32b ZPO am Sitz der Gesellschaft begründet. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind, wie das vorlegende Gericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, jedenfalls hinsichtlich der Klage gegen die Beklagte zu 1 nicht erfüllt.
15
§ 32b ZPO findet keine Anwendung, wenn ein Beklagter wegen Verletzung eines Anlageberatungsvertrags auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird. Dies gilt auch dann, wenn der Beklagte sich bei der Beratung auf öffentliche Kapitalmarktinformationen bezogen hat (BGH, Beschluss vom 30. Januar 2007 - X ARZ 381/06, NJW 2007, 1364 Rn. 11; Beschluss vom 30. Oktober 2008 - III ZB 92/07, NJW 2009, 513 Rn. 15). Für Ansprüche aus einem Anlagevermittlungsvertrag gilt nichts anderes.
16
2. Der Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstands steht auch nicht entgegen, dass die Klage bereits - vor demselben Gericht - gegen beide Beklagten anhängig ist (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. Februar 2011 - X ARZ 388/10, zur Veröffentlichung vorgesehen, Rn. 6 f. mwN, Volltext in juris

).


17
3. Die Beklagten sind Streitgenossen im Sinne von § 60 ZPO.
18
§ 60 ZPO beruht weitgehend auf Zweckmäßigkeitserwägungen und ist deshalb grundsätzlich weit auszulegen. Dies gestattet es, auch ohne Identität oder Gleichheit des tatsächlichen und rechtlichen Grundes der geltend zu machenden Ansprüche Streitgenossenschaft anzunehmen, wenn diese Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt (BGH, Beschluss vom 23. Mai 1990 - I ARZ 186/90, MDR 1991, 222 f. = NJW-RR 1991, 381). Ein solcher Zusammenhang ist auch im Streitfall gegeben. Er ergibt sich entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Naumburg nicht nur daraus, dass hinter beiden Lebenssachverhalten derselbe Vermögensfonds steht. Der Kläger nimmt die Beklagten vielmehr auch auf Ersatz derselben Schäden in Anspruch und stützt seine Ansprüche gegenüber beiden Beklagten jedenfalls auch darauf, dass diese Fehler im Emissionsprospekt und Verstöße gegen Vorschriften des Kreditwesengesetzes übersehen haben. Der sachliche Zusammenhang wird nicht dadurch aufgehoben, dass die Ansprüche gegen die beiden Beklagten auf unterschiedliche Verträge gestützt werden, die ihrerseits nicht in unmittelbarem rechtlichen Zusammenhang stehen. Er ist auch nicht deshalb zu verneinen, weil die Pflichten, deren Verletzung der Kläger geltend macht, unterschiedlichen Inhalt haben und sich nach dem Klägervorbringen nur insoweit decken, als sie dem Schutz (potentieller) Anleger dienten. Trotz der bestehenden Unterschiede erscheinen die erhobenen Ansprüche ihrem Wesen nach gleichartig, weil der Kläger seine Klage darauf stützt, dass beide Beklagten einen Beitrag zum Vertrieb der Kapitalanlage geleistet haben, obwohl sie hätten erkennen können und müssen, dass der Emissionsprospekt Fehler aufweise und die Tätigkeit der Gesellschaft gegen Vorschriften des Kreditwesengesetzes verstoße.
19
IV. Als zuständiges Gericht bestimmt der Senat das Landgericht Berlin.
20
Im Bezirk dieses Gerichts haben sowohl der Kläger als auch die Beklagte zu 1 ihren allgemeinen Gerichtsstand. Ferner ist hier auch der Anlagevertrag abgeschlossen worden, der zum Eintritt der geltend gemachten Schäden geführt hat. Diesen Gesichtspunkten kommt im Streitfall stärkeres Gewicht zu als dem von der Beklagten zu 2 aufgezeigten Umstand, dass beim Landgericht München I und beim Oberlandesgericht München bereits eine Vielzahl von Verfahren wegen vergleichbarer Sachverhalte anhängig ist.
Keukenschrijver Gröning Bacher
Hoffmann Schuster
Vorinstanz:
Kammergericht, Entscheidung vom 22.03.2011 - 18 AR 89/10 -
12
Die hier allein in Betracht kommende Streitgenossenschaft nach § 60 ZPO setzt voraus, dass gleichartige und auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtsstreits bilden. Die Vorschrift ist, wovon der Vorlagebeschluss und der Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg übereinstimmend ausgehen, grundsätzlich weit auszulegen. Es genügt, dass die Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt (BGH, Beschluss vom 23. Mai 1990 - I ARZ 186/90, NJW-RR 1991, 381; Beschluss vom 3. Mai 2011 - X ARZ 101/11, NJW-RR 2011, 1137 Rn. 18).

Das Gericht, bei dem eine Person ihren allgemeinen Gerichtsstand hat, ist für alle gegen sie zu erhebenden Klagen zuständig, sofern nicht für eine Klage ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist.

(1) Der allgemeine Gerichtsstand der Gemeinden, der Korporationen sowie derjenigen Gesellschaften, Genossenschaften oder anderen Vereine und derjenigen Stiftungen, Anstalten und Vermögensmassen, die als solche verklagt werden können, wird durch ihren Sitz bestimmt. Als Sitz gilt, wenn sich nichts anderes ergibt, der Ort, wo die Verwaltung geführt wird.

(2) Gewerkschaften haben den allgemeinen Gerichtsstand bei dem Gericht, in dessen Bezirk das Bergwerk liegt, Behörden, wenn sie als solche verklagt werden können, bei dem Gericht ihres Amtssitzes.

(3) Neben dem durch die Vorschriften dieses Paragraphen bestimmten Gerichtsstand ist ein durch Statut oder in anderer Weise besonders geregelter Gerichtsstand zulässig.