vorgehend
Sozialgericht Augsburg, S 5 U 213/10, 05.04.2012
nachgehend
Bundessozialgericht, B 2 U 147/17 B, 07.11.2017

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 5. April 2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Verletztenteilrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung anlässlich des Arbeitsunfalls vom 12.12.2007 streitig.

Die 1966 geborene Klägerin war als Altenpflegerin beschäftigt. Am 12.12.2007 morgens um 5:00 Uhr gegen Schichtende stürzte die Klägerin auf das Gesäß, als der Stuhl zusammenbrach, auf dem sie saß, während sie einer Heimbewohnerin einen Kompressionsverband anlegte. Die Klägerin hatte starke Schmerzen und begab sich sofort zum Durchgangsarzt Dr. F. in der Kreisklinik A-Stadt. Dieser fand röntgenologisch eine sichtbare Fehlstellung des Steißbeins, welche als Anomalie oder fragliche Fraktur gedeutet wurde.

Am 21.01.2008 nahm die Klägerin ihre Beschäftigung wieder auf; indem sie zunächst Überstunden und Urlaub einbrachte und danach wieder als Altenpflegerin tätig war. Ab 21.04.2008 war sie dauerhaft arbeitsunfähig und erhielt nach Lohnfortzahlung Krankengeld. Auf Empfehlung des Beratungsarztes Prof. Dr. H., eines Chirurgen vom 08.04.2008 stellte die Beklagte die berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung ein. Rückwirkend erhielt die Klägerin seit 01.01.2009 Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Im Verwaltungsverfahren ermittelte die Beklagte zunächst die gesundheitlichen Verhältnisse der Klägerin vor und nach dem Unfall wegen Beschwerden an der Wirbelsäule beim Hausarzt Dr. G. sowie der Fachärztin für physikalische und rehabilitive Medizin Dr. S.. In einer am 14.03.2008 bei Dr. R. (M-Stadt) angefertigten Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule und der Ileosakralgelenke fanden sich Zeichen einer abgelaufenen Sakroiliitis links mit noch floriden Anteilen und deutlich sklerosierten Anteilen mit Verbreiterung des Gelenkspalts, ein deutlich abgeknicktes Os coccygeum (Steißbein) bei leichter Subluxationsstellung sowie eine Osteochondrose Typ 2 mit Spondylosis deformans L4/5 und L5/S1 mit Protrusionen. Der Neurochirurg Dr. K. wies in seinem Befundbericht vom 26.06.2008 darauf hin, dass die Klägerin unter einer lumbalen Diskopathie L4 bis S1, Facettensyndrom und einer Osteochondrose sowie einer erworbenen Steißbeindeformität leide. Das CT des Beckens vom 09.05.2008 deute auf eine Ileosakralgelenksarthrose hin.

Während des stationären Aufenthalts in der Kreisklinik A-Stadt vom 03.08.2008 bis 11.08.2008 wurde die Klägerin wegen der Diagnosen einer Schmerzexazerbation mit Immobilität bei Bandscheibenprotrusion L4/5 und L5/S1, einem Zustand nach Steißbeinfraktur, einer Urtikaria an Stamm und Extremitäten, einer Depression, einer somatoformen Schmerzstörung und einer psychovegetativen Überlagerung behandelt. Bei einem neurologischen Konzil stellte Dr. L. ein Schmerzsyndrom mit Anpassungsstörung fest.

Daraufhin erfolgte eine Rehabilitation beim Träger der Rentenversicherung in der Fachklinik E. vom 21.08.2008 bis 06.09.2008 bzw. 07.10.2008 bis 11.11.2008 unter anderem wegen einer andauernden Persönlichkeitsänderung, einer leichten depressiven Episode, einer akuten Belastungsreaktion und einer Somatisierungsstörung. Ab 01.01.2009 wurde schließlich mit Bescheid vom 05.04.2011 von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 553,59 € monatlich auf Dauer gewährt. Die Rente wurde mit Bescheid vom 02.07.2012 verlängert bis auf Juli 2014 und mit Bescheid vom 20.03.2014 auf unbestimmte Dauer bewilligt.

Daneben bezieht die Klägerin eine Zusatzversorgung in Höhe von monatlich 152,88 €. Entsprechende Feststellungen fanden in weiteren stationären Rehaverfahren in Bad W. (März 2010 mit Diagnosen: mittelgradige depressive Episode und chronische Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren, nach ICD: F32.1 bzw.F45.4) und in Bad A. (November 2010) statt.

Im Auftrag der Beklagten erstellte der Orthopäde Dr. H. am 04.03.2009 ein schriftliches Gutachten. Danach seien höchst wahrscheinlich ohne das Unfallereignis vom 12.12.2007 eine Steißbeinfraktur, eine Kreuzbeinläsion mit Läsion der Kreuzbeindarmbeingelenke mit chronischer Instabilität des linken Kreuzdarmbeingelenks und sekundärer Arthrose als Folge einer Kreuzbeinfraktur, ein chronischer posttraumatischer Schmerzzustand im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule und des unteren Beckens nicht entstanden. Infolge der Schmerzbehandlung seien sicherlich auch Nebenwirkungen wie Allergien, psychosomatische Störungen und eine Beeinträchtigung der Persönlichkeit aufgetreten. Es sei aber eine neurologisch/psychiatrische Zusatzbegutachtung erforderlich. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15.07.2009 hielt Dr. H. an dieser Einschätzung fest, ebenso in einem weiteren Gutachten vom 14.10.2009. Danach sei es aber entsprechend Prof. Dr. B. am 12.12.2007 zu keiner Fraktur des Steißbeines, aber zu einer schweren Prellung gekommen. Der Unfall sei die entscheidende Veränderung im Schmerzgeschehen, auch wegen der seither erfolgten Einnahme von Schmerzmitteln. Das spreche mit größter Wahrscheinlichkeit für einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den späteren Schmerzen.

In beratungsärztlichen Stellungnahmen vom 09.06.2009 und 29.10.2009 vertrat Prof. Dr. H. die Auffassung, dass die dokumentierten Vorschäden von Dr. H. nicht ausreichend gewürdigt worden seien. Sein Gutachten sei daher nicht schlüssig. Am 29.09.2009 nahm der Chefarzt des Klinikums A-Stadt Prof. Dr. B. eine Befundung der Röntgenaufnahmen vor, wonach keine traumatische Schädigung, sondern eine angeborene Abwinkelung zwischen Steiß- und Kreuzbein vorliege. Das schriftliche Dokument wurde wegen datenschutzrechtlichen Bedenken bei der Auswahl des Gutachters aus den Akten entfernt.

Im von der Beklagten eingeholten Gutachten vom 10.07.2009 kam die Neurologin Dr. M. zum Ergebnis, dass die Steißbeinprellung mit Steißbeinfraktur, Kreuzbeinläsion und Ileosakralgelenksläsion sowie eine Anpassungsstörung mit depressiver Entwicklung mit einer MdE von 50 v.H. nicht ohne jede äußere Einwirkung durch eine normale Verrichtung des privaten täglichen Lebens zu etwa derselben Zeit oder in naher Zukunft in etwa demselbem Ausmaß eingetreten wäre. Die Gutachterin war später nicht bereit, eine Ergänzung unter Auseinandersetzung mit den Einwänden von Dr. H. vorzunehmen.

Dr. H. (Neurologe) vertrat in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 26.10.2009 die Auffassung, dass eine Steißbeinprellung nicht geeignet sei, langfristige Beschwerden hervorzurufen. Ein Schmerzsyndrom als Unfallfolge sei mangels organischen Korrelats nicht nachzuvollziehen. Der Unfall sei ausgesprochen banal gewesen. Zweieinhalb Jahre nach einem Unfall sei definitionsgemäß die Diagnose „Anpassungsstörung“ nicht mehr zu stellen. Die MdE Einschätzung von Dr. M. sei nicht plausibel.

Mit Bescheid vom 21.12.2009 verneinte die Beklagte einen Anspruch auf Verletztenrente. Die Prellung des Steißbeins sei folgenlos verheilt. Unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit werde bis zum 07.01.2008 anerkannt.

Auf den Widerspruch der Klägerin vom 24.01.2010 hin erstellte der Neurologe Dr. K. ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung vom 21.04.2010. Ein banales Unfallereignis wie das vom 12.12.2007 führe nach Ansicht dieses Sachverständigen nicht zu einer länger andauernden psychischen Störung. Die Klägerin leide an einer somatoformen Schmerzstörung, welche bereits vor dem Unfall vorgelegen habe. So habe eine über einmonatige Krankschreibung im S. 2007 wegen akuten Lumbalsyndroms mit Blockierung und Anfertigung eines CT der LWS vorgelegen. Ein sekundärer Krankheitsgewinn spiele nunmehr eine nicht unerhebliche Rolle. Unfallfolgen auf neurologischem oder psychiatrischem Fachgebiet seien nicht gegeben. Er schließe sich der Beurteilung von  Dr. H. an.

Die Orthopädin Dr. L. stellte in einem weiteren Gutachten am 15.04.2010 fest, dass es durch den Unfall zu einer Prellung des Steißbeins gekommen sei, welche zu einer Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit bis zum 08.01.2008 geführt habe. Steißbeinprellungen könnten mehrere Monate andauernde Coccygodynien auslösen. Dadurch seien aber die von der Klägerin beklagten funktionellen Beschwerden nicht zu erklären. Unfallfremd bestünde ein behandlungsbedürftiges Lendenwirbelsäulensyndrom. Mangels dauerhafter Unfallfolgen liege keine MdE vor.

Nach Erteilung des negativen Widerspruchsbescheides vom 15.07.2010 hat die Klägerin am 11.08.2010 Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben (Az.: S 5 U 213/10). Mit diesem Verfahren hat das SG eine weitere Klage wegen Verletztengeld verbunden (Az.: S 5 U 321/10).

Am 23.02.2011 hat der Orthopäde Dr. W. im Auftrag des SG ein Gutachten erstattet und die Auffassung der Beklagten bestätigt. Auffällig sei eine erhebliche Inkonsistenz der erhobenen Befunde von nahezu unbeweglicher Lendenwirbelsäule bis hin zur frei möglicher Beugung im Sitzen. Beim Betasten der Steißbeinspitze zeige sich ein gering federnder Widerstand. Eine krankhafte Überbeweglichkeit sei nicht festzustellen. Eine richtungsweisende Progredienz von Aufbraucherscheinungen der unteren Lendenwirbelsäule sei auszuschließen. Es läge eine organisch nicht erklärbare Hyperpathie im hinteren Becken- und Gesäßbereich vor. Eine solche trete üblicherweise bei einer Schädigung peripherer Nerven auf, welche trotz mehrfacher fachärztlich-neurologischer Untersuchung nicht festgestellt worden sei. Die radiologischen Befunde ergäben keine Hinweise auf eine Verletzung des Kreuz- oder Steißbeins. Infolgedessen sei eine jahrelang andauernde Schmerzsymptomatik nicht nachzuvollziehen. Eine Steißbeinprellung ohne nachweisbare strukturelle Läsionen heile spätestens nach zwei bis drei Wochen folgenlos ab. Eine MdE liege nicht vor. Dr. W. wurde vom Bevollmächtigten der Klägerin abgelehnt. Das SG wies den Antrag mit Beschluss vom 2. August 2011 zurück, das LSG die Beschwerde hiergegen mit Beschluss vom 3. Februar 2012.

Mit Gerichtsbescheid vom 5. April 2012 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, dass als Folge des Arbeitsunfalls lediglich eine Prellung des Steißbeines erfolgt sei. Das ergebe sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. W.. Die nachfolgenden Schmerzen seien nicht durch den Arbeitsunfall zu erklären.

Die Klägerin hat am 03.05.2012 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt und beantragt, ihr Rente und Verletztengeld zu gewähren. Zur Begründung hat sie die bereits in ersten Instanz geltend gemachten Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen angeführt: chronischer traumatischer Schmerzzustand im unteren LWS-Bereich, im Bereich des Beckens mit erheblicher Beeinträchtigung der Sitzfunktion und Stehfunktion; deutliche Depressivität, konzentrative Minderbelastung, reduzierte Stressbelastbarkeit, Inkontinenz, vorzeitiges Klimakterium, Gewichtszunahme, Fettleber und Abhängigkeit von Schmerzmitteln. Weiter hat sie angeführt, das SG und der gerichtliche Sachverständige seien voreingenommen gewesen. Die Klägerin sei im Gerichtsverfahren benachteiligt worden. Ihr rechtliches Gehör und die Amtsermittlungspflicht seien verletzt worden. Das Gutachten des gerichtliche Sachverständigen Dr. W. weise gravierende Mängel auf und sei unverwertbar. Die Befunde seien nicht chronologisch dargestellt worden. Die „beratungsärztlichen Stellungnahmen“ insbesondere von Prof. Dr. H. seien für die nachfolgenden Begutachtungen und Entscheidungen maßgeblich gewesen.

Das LSG hat nach Beiziehung zahlreicher Berichte und Befunde des Hausarztes, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Kreisklinik O-Stadt den Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie Dr. R. zum medizinischen Sachverständigen bestellt. In seinem Gutachten vom 03.02.2014 gelangte der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass nur eine folgenlos ausgeheilte Prellung auf den Unfall vom 12.12.2007 zurückgeführt werden könne.

Der Bevollmächtigte der Klägerin hat dazu in einem 62-seitigen Schriftsatz vom 21.04.2014 Stellung genommen. Insbesondere führt er an, dass die Klägerin vor dem Unfall uneingeschränkt leistungsfähig gewesen sei. Chronische Gesundheitsstörungen mit einer Beeinträchtigung der Arbeitskraft hätten nicht vorgelegen. Seit dem Unfall leide sie dagegen an dauernden Schmerzen; auch als Folge der Medikation. Diese Diskrepanz (vorher/nachher) sei nur im Gutachten von Dr. H. zutreffend erklärt worden. Wenn in einem Gutachten Unfallfolgen abgelehnt würden, müssten andere geeignete adäquate Ursachen für die beklagten Beschwerden nachgewiesen werden. Das Prinzip des Vollbeweises gelte in beide Richtungen. Schließlich sei Dr. R. den interesseorientierten Einschätzungen der Beratungsärzte der Beklagten gefolgt und habe es im Übrigen versäumt, den Diagnosen ICD-Codes zuzuordnen, wie es die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) verlange. Dieser Gutachter habe sich in zu geringem Maße an dem Unfallbericht der Klägerin vom 14.12.2007 orientiert. Die Wiedergabe des Unfallgeschehens im Gutachten zeige Unlust und Unwillen sowie eine negative Voreinstellung gegenüber der Klägerin. Dr. R. gehe nicht fachgerecht mit der bildgebenden Diagnostik um. Tatsächlich habe eine Steißbeinfraktur mit erheblicher Deformität vorgelegen, die mehrfach digital-rektal mit einer gesteigerten Schmerzempfindlichkeit verifiziert worden sei.

Dr. R. missachte die Einschätzung anderer Ärzte (zum Beispiel von Prof. Dr. B.), die eine Fraktur bescheinigt hätten. Eine Fraktur sei im Übrigen keine zwingende Voraussetzung für das Entstehen einer Coccygodynie; dazu reichten auch Prellungen aus. Viel spreche dafür, dass durch den Unfall auch eine Läsion der Iliosakralgelenke (Kreuzbeinfraktur) verursacht worden sei. Dr. R. habe sich insoweit nicht ausreichend mit den Vorbefunden auseinandergesetzt. Anhaltspunkte für eine vorbestehende Sakroiliitis lägen nicht vor. Vor dem Unfall hätten keine psychischen Störungen vorgelegen; diese seien vielmehr Folge der chronischen Schmerzen, die der Unfall nach sich gezogen habe. Insoweit habe Dr. M. eine zutreffende Diagnose erstellt; Prof. Dr. H. und - ihm folgend - Dr. R. hätten sich damit nicht ausreichend auseinandergesetzt. Es sei nicht auf den Einzelfall eingegangen worden. Auch ein Bagatelltrauma könne Auslöser seelischer Störungen sein.

Am 04.06.2014 hat Dr. R. daraufhin im Auftrag des Senats eine ergänzende Stellungnahme vorgelegt. Die Ausführungen des Klägerbevollmächtigten seien irrelevant und brächten keine neuen Anhaltspunkte bzw. führten nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Hinsichtlich einer psychischen Erkrankung fehle dieser das auslösende morphologisch-traumatologische Substrat. Zwischenzeitlich hat der Bevollmächtigte der Klägerin auch eine Nachbestimmung der Winkelverhältnisse anhand der Dokumentation vom März 2014 beigebracht. Dr. R. hat sich eingehend mit der so genannten Angulierung (Abwinklung) auseinander gesetzt. Hiergegen hat sich die Klägerin mit einer weiteren 27-seitigen Stellungnahme mit Anlagen gewandt.

Eine mündliche Verhandlung vom 27.08.2015 ist vertagt und das Verfahren zum Ruhen gebracht worden, weil zunächst ein Rechtsstreit wegen Entfernung der beratungsärztlichen Stellungnahme von Prof. Dr. H. betrieben worden ist. Nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Senats vom 27. August 2015 (L 8 U 319/13) durch das Bundessozialgericht ist das Verfahren L 8 U 184/12 unter dem jetzigen Aktenzeichen wieder aufgenommen worden.

Mit Beschluss vom 9. Dezember 2016 hat der Senat den Antrag auf Ablehnung von Dr. R. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Eine weitere Stellungnahme durch Dr. R. erfolgte am 23.02.2017 nach Fertigung eines umfassenden Fragenkatalogs durch den Bevollmächtigten der Klägerin. Dabei hat der Sachverständige ausgeführt, dass die Fragen ausweislich der auftretenden Wiederholungen selbst vom Fragesteller nicht mehr adäquat überblickt würden und sich deren Konsequenz für die Beurteilung überwiegend überhaupt nicht erschließe. Der Sachverständige könne es nicht als seine Aufgabe erkennen, der Klägerpartei gänzlich irrelevante und teils widersinnige Frage zu beantworten oder medizinische Sachverhalte in dem gewünschten Umfang über die umfängliche, detaillierte und aussagekräftige Begutachtungen zu erläutern. Im Detail wird dann nochmals auf den Umstand einer bestimmten Winkelstellung an der unteren Wirbelsäule sowie die Frage einer Fraktur eingegangen. Abschließend bemerkt der Sachverständige, dass die anhaltende, aufgeregte Diskussion der Klagepartei im Dickicht des medizinischen Halbwissens aus seiner Sicht keine weiteren Erörterungen verlange. Daraufhin erfolgte eine weitere Ablehnung durch den Bevollmächtigten der Klägerin. Der Antrag 03.05.2017 auf Ablehnung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. R. wegen Besorgnis der Befangenheit ist vom Senat mit Beschluss vom 2. Juni 2017 abgelehnt worden.

Der Klägerbevollmächtigte beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Augsburg vom 5. April 2012 sowie des Bescheides vom 21. Dezember 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.07.2010 zu verurteilen, der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE von 20 v. H. ab April 2008 zu leisten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die beigezogenen Akten der Beklagten und diverse medizinische Unterlagen verwiesen. Das LSG hat unter anderem alle Befundberichte des Hausarztes Dr. G. und des Psychotherapeuten Dr. E. beigezogen, die Unterlagen des Kreiskrankenhauses O-Stadt, Unterlagen des Rentenversicherungsträgers sowie diverse Röntgenaufnahmen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, weil die Klägerin wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Berufung wurde am 03.05.2012 form- und fristgerecht (zugestellt am 12.04.2012) eingelegt (§ 151 Abs. 1 SGG).

Das SG hat die Klage zutreffend abgewiesen. Ein Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung steht der Klägerin nicht zu. Die in § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII genannten Anspruchsvoraussetzungen liegen nicht vor. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte Anspruch auf eine Rente, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist.

Zwar stellt der Unfall vom 12.12.2007 einen Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII dar, weil die Klägerin eine versicherte Tätigkeit als Altenpflegerin ausgeübt hat und während der Arbeit auf das Gesäß gestürzt ist. Der Senat stützt sich insoweit auf die Angaben der Klägerin gegenüber dem Durchgangsarzt am 12.12.2007. Als Erstschaden ist aber nur eine Steißbeinprellung bewiesen. Die Entwicklung des weiteren Schmerzgeschehens ist im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung kausal nicht mehr dem Unfall zuzurechnen.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII muss das Unfallereignis bei dem Versicherten zu einem Körperschaden entweder in Gestalt eines Gesundheitsschadens oder des Todes geführt haben. Die Körperschädigung gehört zur Definition des Unfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung. In Abgrenzung von den erst für die Gewährung von Leistungen maßgeblichen Unfallfolgen wird deshalb insoweit von Primärschaden oder Gesundheitserstschaden gesprochen, der vom Unfallversicherungsträger im Vollbeweis festzustellen ist. Der Versicherte hat dementsprechend nicht nur einen Anspruch auf die bindende Feststellung der Folgen eines Arbeitsunfalls, den er durch Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unabhängig von dem Begehren nach Entschädigung geltend machen kann, sondern auch auf die Feststellung, dass ein bestimmtes Ereignis ein Arbeitsunfall gewesen ist und in diesem Zusammenhang auf die Feststellung, welche Primärschäden Folge der Einwirkung auf seinen Körper gewesen sind (G. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 8 SGB VII, Rn. 150). Gegenstand des Verfahrens ist hier die Zuerkennung einer Verletztenrente, die die Feststellung von Primärschäden inzidenter verlangt.

1. Für die Feststellung einer Fraktur des Steißbeines als Erstschaden bestehen nach der Beweiswürdigung zu viele Zweifel. Eine Fraktur wird letztlich nur noch von der Sachverständigen Dr. M. angenommen, die aber vom Fachgebiet her Neurologin ist. Selbst der Sachverständige Dr. H., der als einziger zunächst eine solche Feststellung getroffen hat, ist in seinem dritten Gutachten von dieser Ansicht abgerückt. Soweit es die Expertise von Prof. B. betrifft, ist diese zwar aus den Akten der Beklagten entfernt. Eine „Fernwirkung“ in dem Sinne, dass eine bereits erlangte Kenntnis durch andere Sachverständige verwertet wird, ist nach Ansicht des Senats aber nicht unzulässig. Zwar mag für die Expertise selbst ein Beweisverwertungsverbot angenommen werden. Ein gelöschtes Gutachten kann mangels verkörperter Gedankenerklärung nicht mehr als Urkundenbeweis i.S.v. § 118 SGG i.V.m. § 415 ZPO in Betracht kommen. In der Rechtsprechung des BVerfG und einiger obersten Gerichtshöfe wird aber eine Fernwirkung nicht abgelehnt (vgl. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 200 SGB VII, Rn. 135). Insgesamt sind hier nicht höchstpersönliche Belange der Klägerin berührt, wenn es ohne persönliche Untersuchung um die Auswertung bildgebender Verfahren geht. Entscheidend für einen Eingriff in den Kernbereich des Persönlichkeitsrechtes wäre es, wenn eine Situation gegeben ist, in der auf Grund von konkreten Hinweisen oder typischerweise und ohne gegenteilige tatsächliche Anhaltspunkte im Einzelfall der unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung betroffen wird, etwa im Zuge der Beobachtung von Äußerungen innerster Gefühle oder von Ausdrucksformen der Sexualität (vgl. BVerfG vom 03.03.2004 - 1 BvR 2378/98, 1 BvR 11 BvR 1084/99 - juris Rn. 127 m.w.N).

Beim Verwaltungshandeln der Beklagten war auch nicht von einem schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstoß auszugehen. Das Auswahlrecht des § 200 Abs. 2 HS 1 SGB VII ist rein verwaltungsverfahrensrechtlicher Natur. Es ermöglicht dem Bürger eine qualifizierte Mitwirkung bei der behördlichen Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 20 SGB X) und dient der Förderung der Akzeptanz des das Verwaltungsverfahren abschließenden Verwaltungsakts des Unfallversicherungsträgers, soweit er dem Gutachten des vom Bürger ausgewählten Gutachters folgt (BSG, Urteil vom 20.07.2010 - B 2 U 17/09 R -, SozR 4-2700 § 200 Nr. 2, Rn. 35). Es ist ein grundrechtlich nicht gebotenes, aber für ein bürgernahes Verwaltungsverfahren nützliches, einfachgesetzliches Verfahrensrecht der Versicherten gegen die Unfallversicherungsträger (BSG, Urteil vom 20.07.2010 - B 2 U 17/09 R -, SozR 4-2700 § 200 Nr. 2, Rn. 42).

Schließlich erfolgte die Interpretation der vorhandenen bildgebenden Materialien (Röntgenbilder, CT und MRT) durch alle befassten Sachverständigen selbstständig, ohne Zutun von Prof. B.. So war sich schon der Durchgangsarzt Dr. F. nicht sicher, ob eine Fraktur vorgelegen hat. Die digital-rektale Untersuchung wurde zwar als sehr schmerzhaft geschildert, aber eine Fraktur war nicht tastbar. Der Befund der Röntgenaufnahmen ergab eine sichtbare Fehlstellung des Steißbeines, jedoch keine scharfen Frakturlinien. Die Befunddeutungen durch den Oberarzt Dr. S. der Inneren Abteilung (Rheumaambulanz) der Kreisklinik M-Stadt ergab auch keine eindeutige Fraktur, wenn diese auch differenzialdiagnostisch erörtert wurde (Arztbrief vom 09.06.2008). Das gleiche gilt für die Vorstellung bei der H. S. und deren Deutung eigener Aufnahmen der Lendenwirbelsäule und des mitgebrachten MRT. Danach leidet die Klägerin wahrscheinlich an einer Sacroiliitis der linken ISG Fuge (Prof W.).

Schon im Juni 2007 - vor dem Unfall - wurde ein CT angefertigt mit einer unvollständigen Darstellung des Steißbeines, dessen Abwicklung als Anomalie gedeutet worden ist (Befund Dr. G. vom 19.06.2007). Nach der Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule und der Ileosakralgelenke vom 14.03.2008 (Dr. R., M-Stadt) zeigte sich ein deutlich abgeknicktes Os coccygeum bei leichter Subluxationsstellung, bei der es sich nach einem Nachtragsbefund vom 20.03.2008 durchaus auch um eine abgelaufene Fraktur im Os sacrum und im os ilium handeln könnte. Die Orthopädin Dr. L. stellte in ihrem Gutachten vom 15.04.2010 fest, dass es durch den Unfall vom 12.12.2007 nur zu einer Prellung des Steißbeins gekommen sei. Auch der Orthopäde Dr. W. fand in seinem Gutachten am 23.02.2011 keine Fraktur. Die radiologischen Befunde ergäben keine Hinweise auf eine Verletzung des Kreuz- oder Steißbeins.

Gerade auch der Sachverständige Dr. R. hat am 03.02.2014 alle erheblichen bildgebenden Befunde seit dem Jahre 2003 in seinem Gutachten aufgeführt und die Einwände des Bevollmächtigten der Klägerin zur Kenntnis genommen. Auch er geht, insbesondere aufgrund des Topogramms der Computertomographie vom 31.06.2007 von einer sicheren anlagebedingten Abwinklung des Steißbeines aus. Ganz besonders aufgrund der Einwände des Klägerbevollmächtigten geht Dr. R. nochmals auf die so genannte Angulierung in seiner ergänzenden Stellungnahme ein.

Insgesamt sieht der Senat damit die Amtsermittlung als ausgeschöpft an. Es bedurfte weder einer weiteren Stellungnahme des Dr. R., noch dessen persönlicher Einvernahme in der mündlichen Verhandlung. Besonders hat dazu der umfangreiche Fragenkatalog beigetragen, zu dessen Erstellung der Senat dem Klägerbevollmächtigten Gelegenheit gegeben hat. Dieser wurde von Dr. R. zur Kenntnis genommen und, soweit es die gutachtliche Fragestellung betrifft, gewürdigt. Die Überzeugung des Gerichts war durch die Antworten des Dr. R. gefestigt und bedurfte keiner weiteren Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Dem am 21.04.2014 und später wiederholt gestellten Antrag auf persönliche Einvernahme des Sachverständigen folgt der Senat daher nicht.

Bei dieser Sachlage besteht zwar eine entfernte Möglichkeit einer Fraktur des Steißbeines durch den Unfall. Eine Überzeugung des Gerichts im Sinne des vollen Beweises lässt sich aber allein aus den Äußerungen von Dr. H. nicht gewinnen. Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 128 SGG in der Fassung vom 23.9.1975). Eine Tatsache muss - danach in so hohem Grade wahrscheinlich sein, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen. Die erforderliche, an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit kann unter Rekurs auf die zivilgerichtliche Rechtsprechung angenommen werden, wenn beim Richter ein Maß an persönlicher Gewissheit erreicht ist, welches Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie andererseits völlig auszuschließen (Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, § 128, Rn. 5).

2. Zur richterlichen Überzeugung in diesem Sinne findet sich demnach als Primärschaden eine Prellung nicht nur des Steißbeines, sondern auch der Lendenwirbelsäule und des Beckens. Eine weitergehende Schädigung an der Lendenwirbelsäule ist ebenfalls nicht bewiesen. Insoweit fehlt es an einem weiteren Erstschaden und darüber hinaus werfen zahlreiche dokumentierte Vorschäden Zweifel an dem ursächlichen Zusammenhang auf. Zwar bedingen diese Schäden an der unteren Wirbelsäule auch die folgende Schmerzbehandlung mit ihren psychischen Weiterungen. Bereits seit dem Jahre 2003 waren aber klinisch relevante Vorschäden bekannt. Diese bestanden nicht lediglich in für die Abrechnung relevanten Diagnosen (der Kläger Bevollmächtigte spricht dann später von so genannten Quartalsdiagnosen). Vielmehr lagen diesen Feststellungen tatsächlich erfolgte Behandlungen zu Grunde wegen Beschwerden, die zur ärztlichen Konsultation führten. So erstellte der Radiologe Dr. M. am 08.07.1999 Aufnahmen der Wirbelsäule wegen der Überweisungsdiagnose anhaltender Lumbalgien. Weitere Röntgenaufnahmen unter anderem der Lendenwirbelsäule sowie eine Beckenübersicht fertigte der Orthopädie Dr. G. am 11.02.2003, ohne die Beschwerden funktionell erklären zu können, so dass dieser eine rheumatologische Abklärung empfohlen hat. Darüber hinaus ist verzeichnet, dass die Klägerin beruflich als Altenpflegerin eine rückenbelastende Tätigkeit ausübte und Schmerzmittel nahm (Dolovisan und Ibuprofen). Schließlich erfolgte im Juni 2007 eine Computertomographie der Wirbelsäule von LWK 3 bis SWK 1 (Dr. S. in der Praxis M./R.). Die Überweisung erfolgte durch den Orthopäden Dr. G.. Dieser vermerkte bei der letzten Vorstellung am 18.06.2007 ein akutes Lumbalsyndrom mit Blockierungen (notfallmäßige Vorstellung). Er hatte dokumentiert, dass seit einer Woche Hexenschussbeschwerden bestanden, auch Elektrifizierungsgefühle in der linken Wade. Gleichteilig erfolgte eine Krankschreibung über einen Monat.

3. Am Vorliegen einer chronischen Schmerzstörung mit der Diagnose ICD 45.4 bestehen keine Zweifel. Diese wurde dem Grunde nach erstmals durch Dr. L. im S. 2008 gestellt. Sie erhärtete sich nach der Langzeitbeobachtung bei diversen Kurmaßnahmen, so erstmals in E.. Diese steht aber nicht in ursächlichem Zusammenhang mit der stattgefundenen Wirbelsäulen- und Steißbeinprellung.

Ein Kausalzusammenhang Sinne der Unfallversicherung mit dieser Schmerzerkrankung zum Unfall geschehen am 12.12.2007 ist nicht gegeben. Dies ist zu allererst eine Fragestellung für gerichtliche Sachverständige, die als Fachärzte berufen sind, Zusammenhänge im seelischen Bereich zu kennen und zu beurteilen. Dies erfordert eine Kenntnis über die Entstehung derartige Erkrankungen und deren Diagnostik. Insoweit haben drei Sachverständige in unterschiedlichen Funktionen, als Beratungsarzt, von der Verwaltung beauftragter Gutachter und gerichtlich bestellter Sachverständiger, einen Zusammenhang verneint. Dies sind als Beratungsarzt der Neurologe Dr. H., im Widerspruchsverfahren der von der Verwaltung beauftragte Sachverständige Dr. K. und im Gerichtsverfahren der Chirurg Dr. R.. Hinsichtlich dieser der sachverständigen medizinischen Beurteilungskompetenz unterliegenden Umstände kann sich der Senat nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Überzeugung vom ursächlichen Zusammenhang bilden.

Hierzu genügt nicht die laienhafte Betrachtungsweise eines zeitlichen Zusammenhangs und der Notwendigkeit, Schmerzmittel einnehmen zu müssen. Diese Überlegungen sind aber die Basis des Gutachtens der Neurologin Dr. M.. Deren Gutachten leidet an erheblichen Mängeln. Darin wird kritiklos ein Zusammenhang hergestellt, der schon sprachlich zum Ausdruck bringt, dass der Gutachterin die wesentlichen Kausalitätsüberlegungen der gesetzlichen Unfallversicherung nicht bekannt sind. So wenn darin davon die Rede ist, dass ohne jede äußere Einwirkung durch eine normale Verrichtung des privaten täglichen Lebens zu etwa derselben Zeit oder naher Zukunft in etwa demselben Ausmaß der Schaden nicht eingetreten wäre, wird allein ein zeitlicher Zusammenhang im Sinne der conditio sine qua non hergestellt. Die gesetzliche Unfallversicherung verlangt aber eine wertende Zuschreibung im Sinne der Kausalitätsnorm der wesentlichen Mitursache. Der Theorie nach unterliegen zwar auch Manifestationen von anlagebedingten Erkrankungen durch ein Unfallereignis dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Eine solche Argumentation im positiven Sinne verlangt aber eine Auseinandersetzung mit dem Umfang von Vorerkrankungen und der Schwere des Unfallereignisses. Dr. M. bringt zumindest in der Niederlegung des Gutachtens keinerlei Vorerkrankungen in die Diskussion mit ein. Zur lebensgeschichtlichen Bedeutung des Unfallereignisses äußert sie sich ebenfalls nicht. Schließlich ist die von ihr gestellte Diagnose durch Dr. H. maßgeblich in Zweifel gezogen worden. Der Beratungsarzt Dr. H. ist wissenschaftlich ausgewiesen hinsichtlich der Begutachtung somatoformer und funktioneller Störungen (vgl. sein gleichnamiges Werk in 2. Auflage, November 2004, Verlag Urban & Fischer). Danach ist die Diagnose einer Anpassungsstörung nicht mehr zu stellen, wenn die Erkrankung über zwei Jahre andauert. Danach spielt die individuelle Disposition und Vulnerabilität bei dem möglichen Auftreten bei der Form der Anpassungsstörung eine erhebliche Rolle. Es ist aber dennoch davon auszugehen, dass das Erkrankungsbild ohne die Belastung nicht entstanden wäre (a.a.O. S. 196). Als diagnostische Leitlinie gilt die sorgfältige Bewertung der Beziehung zwischen Art, Inhalt und Schwere der Symptome, die Berücksichtigung der Anamnese, der Persönlichkeit und des belastenden Ereignisses, auch der aktuellen Situation zum Zeitpunkt des Unfalls und einer eventuellen zeitgleichen Lebenskrise (a.a.O. S. 197).

Gegen die Überzeugungskraft des Gutachtens von Dr. M. spricht auch, dass diese nicht mehr bereit war in einer ergänzenden Stellungnahme eine Auseinandersetzung mit den Einwänden von Dr. H. vorzunehmen. Demgegenüber wiegt die Äußerung von Dr. H. nicht schwer, dass zweieinhalb Jahre nach dem Unfall die Diagnose einer Anpassungsstörung nicht mehr gestellt werden könnte. Zwar ist diese Äußerung bereits zwei Jahre nach dem Unfall der Klägerin erfolgt, Dr. H. hat sich insoweit - wie der Kläger Bevollmächtigte mehrfach anführt - in der Berechnung vertan, falls er seine Aussage auf die Klägerin bezogen getroffen hat. Für sich betrachtet stimmt die Aussage aber. So werden Anpassungsstörungen nach dem Definitionsschema der Weltgesundheitsorganisation (ICD-10) ihrem zeitlichen Verlauf nach so beschrieben, dass die Störung im allgemeinen innerhalb eines Monats nach dem belastende Ereignis beginnt und meist nicht länger als 6 Monate anhält, außer bei der Entwicklung einer längeren depressiven Reaktion (F43.2). Diese hält aber auch nicht länger als 2 Jahre an und kann lediglich bei anhaltendem Stressor (zum Beispiel einer entstellenden Verletzung oder ähnlichem) zu einer chronischen Anpassungsstörung ohne zeitliche Begrenzung entwickeln.

Der Bevollmächtigte der Klägerin weist zu Recht auf die Bedeutung einer Klassifikation der seelischen Erkrankung nach dem ICD-Schlüssel hin. Dies fordert auch die Rechtsprechung zur Beurteilung eines kausalen Zusammenhanges bei diesem Erkrankungsbild (BSG, 09.05.2006, B 2 U 1/05 R). Voraussetzung für die Anerkennung eines psychischen Gesundheitserstschadens bzw. einer Unfallfolge ist die genaue Feststellung der konkreten Gesundheitsstörung. Die Diagnose sollte i. d. R. aufgrund eines der üblichen Diagnosesysteme (ICD 10; DSM IV) unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen (Keller in: Hauck/Noftz, SGB, 05/15, § 8 SGB VII, Rn. 325a).

Aber auch schon mit der Klassifizierung als Anpassungsstörungen durch Dr. M. zeigt sich, dass es um ein schicksalhaft verlaufenes Leiden geht. Denn nach der Definition der Anpassungsstörung handelt es sich um Zustände von subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung, die im allgemeinen soziale Funktionen und Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung oder nach belastenden Lebensereignissen auftreten. Die Belastung kann das soziale Netz des Betroffenen beschädigt haben (wie bei einem Trauerfall oder Trennungserlebnissen) oder das weitere Umfeld sozialer Unterstützung oder soziale Werte (wie bei Emigration oder nach Flucht). Sie kann auch in einem größeren Entwicklungsschritt oder einer Krise bestehen (wie Schulbesuch, Elternschaft, Misserfolg, Erreichen eines ersehnten Zieles und Ruhestand). Die individuelle Prädisposition oder Vulnerabilität spielt bei dem möglichen Auftreten und bei der Form der Anpassungsstörung eine bedeutsame Rolle; es ist aber dennoch davon auszugehen, dass das Krankheitsbild ohne die Belastung nicht entstanden wäre. Die Anzeichen sind unterschiedlich und umfassen depressive Stimmung, Angst oder Sorge (oder eine Mischung von diesen). Außerdem kann ein Gefühl bestehen, mit den alltäglichen Gegebenheiten nicht zurechtzukommen, diese nicht vorausplanen oder fortsetzen zu können.

Damit ist zwar eine Anerkennung als Unfallfolge nicht generell ausgeschlossen. Das Unfallereignis bzw. eine Unfallfolge kann auch dann wesentliche Mitursache einer psychischen Störung sein, wenn bei gewöhnlicher seelischer Reaktionsweise vergleichbar Betroffener keine so ausgeprägte Reaktion auf die Einwirkung zu erwarten gewesen wäre. Bei der Abwägung der Wesentlichkeit des Unfallereignisses und dessen gesundheitlicher Folgen im Einzelfall ist aber auch die Stärke des Unfallereignisses zu berücksichtigen (vgl. Keller in: Hauck/Noftz, SGB, 05/15, § 8 SGB VII, Rn 326 unter Anführung von Rechtsprechung und Literatur).

Während eine solche Auseinandersetzung im Gutachten von Dr. M. fehlt, führen die anderen fachlich berufenen Sachverständigen Dr. H. und Dr. K. für den Senat überzeugend aus, dass es ein ursächlicher Zusammenhang nicht vorliegt.

Dr. H. (Neurologe) vertritt in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 26.10.2009 die Auffassung, dass eine Steißbeinprellung nicht geeignet ist, langfristige Beschwerden hervorzurufen. Ein Schmerzsyndrom als Unfallfolge ist danach mangels organischen Korrelats nicht nachzuvollziehen. Der Unfall war ausgesprochen banal. Jahre nach einem Unfall ist definitionsgemäß eine Diagnose „Anpassungsstörung“ nicht mehr zu stellen. Andererseits fehlt es nach Dr. H. nicht am Vorliegen relevanter Vorbefunde. Von diesem Umstand ist auch der Senat voll überzeugt. Denn durch die vorhandenen Arztberichte sind massive gesundheitliche Beeinträchtigungen der Klägerin an der Wirbelsäule, insbesondere im unteren Bereich, bewiesen. Insoweit wird zunächst auf die Ausführungen hinsichtlich der bildgebenden Verfahren der Wirbelsäule hingewiesen (oben Seite 10, 3. Absatz). Darüber hinaus sind zahlreiche ärztliche Schilderungen der vorgegebenen Beschwerden vorhanden. So schon im Juli 1999 mit der Angabe anhaltender Lumbalgien bei Dr. R.. Beschwerden im Bereich der unteren Wirbelsäule im Februar 2003 (Röntgen unter anderem der LWS bei Dr. G.). Eine Blockierung bzw. Hexenschuss im Juni 2007 (Befund Dr. G. und der Anfertigung eines CT. Die Fachärztin für physikalische und rehabilitive Medizin Dr. S. berichtete am 20.07.2007 und 05.12.2007 noch vor dem Arbeitsunfall. Im Dezember 2007 wurden dabei eine betriebsinterne Umsetzung bzw. Umschulungsmaßnahmen wegen der bestehenden Beschwerden im Beruf erwogen. Als Diagnosen sind angeführt eine ISG- Funktionsstörung beidseits, ein myofaszialles Schmerzsyndrom, ein chronisch-lumbovertebrales Schmerzsyndrom sowie weitere Beschwerden der unteren Wirbelsäule (Arztbriefe an Dr. G.).

Nach dem Leistungsauszug der AOK vom 26.08.2008 war die Klägerin vom 11.06.2007 bis 14.07.2007 deswegen arbeitsunfähig. Darüber hinaus weisen auch die erfolgten Behandlungen auf ein massives Schmerzgeschehen hin, so zahlreiche Injektion und Infusionsbehandlungen bis hin zur Verordnung eines TENS- Gerätes. Es handelt sich dabei um eine Elektrotherapie zur Behandlung chronischer und akuter Schmerzzustände (Reizstrom).

Schließlich klassifiziert Dr. H. auch die Erkrankung der Klägerin nicht als Anpassungstörung, sondern als Schmerzsyndrom und würdigt dazu auch den Heilverlauf nach dem Unfall, nämlich Entlassungsberichte aus der Fachklinik E. vom 04.09.2008 und 27.11.2008 mit den Diagnosen einer leichten depressiven Episode, akuter Belastungsreaktion und Somatisierungsstörung. Ebenso führt er die Beobachtung des Neurochirurgen Dr. K. vom 26.06.2008 an, wonach das Gangbild demonstrativ mit Gehstöcken algogen verändert war.

Auch der in keinerlei vertraglichen Beziehung zur Beklagten stehende Gutachter Dr. K. verneint einen ursächlichen Zusammenhang. Dessen Gutachten basiert auf einer noch weiteren Entwicklung, nämlich einer letzten Kurmaßnahme in Bad W. und verzeichnet nunmehr auch die sozialversicherungsrechtliche Relevanz des Unfalls bei der Arbeitslosen - und Rentenversicherung. Dr. K. würdigt dann das Geschehen in seiner Entwicklung mit einer erstmaligen Diagnose auf ein somatoformes Schmerzgeschehen im August 2008, der Beurteilung des Neurochirurgen Dr. K., den Aufenthalt in der Fachklinik E. und den Ausführungen der Klägerin selbst im Rahmen der Anamnese zu der Kurmaßnahme in Bad W..

Zusammenfassend gelangt dann Dr. K. zu einer auch den Senat überzeugenden Einschätzung, dass von einer somatoformer Schmerzstörung auszugehen ist, einer Schmerzstörung, die nur zum Teil durch organische Faktoren erklärt werden kann und die unter Berücksichtigung der vorhandenen Befunde bereits vor dem Unfall vorgelegen hatte. Diese hat in den letzten Jahren eine Ausweitung erfahren mit immer neuen körperlichen Beschwerden, die nur bedingt organisch einzuordnen sind. ein sekundärer Krankheitsgewinn spielt - wie Dr. K. ausführt und der Leidensverlauf aufzeigt - auch eine nicht unerhebliche Rolle.

Diese Einschätzung überzeugt den Senat vor allem auch in der Gesamtschau mit allen ihm vorliegenden ärztlichen Entlassungsberichten aus den bereits angeführten stationären Rehabilitationsverfahren. Diese beruhen auf einer Langzeitbeobachtung und zahlreichen von der Klägerin im Rahmen dieser Behandlungen wiedergegebenen Äußerungen. Ihre Hauptdiagnosen lauten auf Somatisierungsstörung (F45.0). Dabei handelt es sich um die wiederholte Darbietung körperlicher Symptome in Verbindung mit hartnäckigen Forderungen nach medizinischen Untersuchungen trotz wiederholter negativer Ergebnisse und Versicherung der Ärzte, dass die Symptome nicht körperlich begründbar sind. Wenn somatische Störungen vorhanden sind, erklären sie nicht die Art und das Ausmaß der Symptome, das Leiden und die innerliche Beteiligung des Patienten. Charakteristisch sind multiple, wiederholt auftretende und häufig wechselnde körperliche Symptome, die wenigstens zwei Jahre bestehen. Die meisten Patienten haben eine lange und komplizierte Patienten-Karriere hinter sich, sowohl in der Primärversorgung als auch in spezialisierten medizinischen Einrichtungen, wo viele negative Untersuchungen und ergebnislose explorative Operationen durchgeführt sein können. Die Symptome können sich auf jeden Körperteil oder jedes System des Körpers beziehen.

Im Abschlussbericht von Bad W. vom 21.04.2010 wurden die Ursachen des Schmerzleidens nicht Anlass bezogen gesehen, sondern in der Entwicklungsgenese der Klägerin (Seite 9 des Abschlussberichts). Charakteristisch für dieses Krankheitsbild ist - so im Abschlussbericht auf Seite 14 - die Anschuldigung eines einzelnen Ereignisses für den Gesamtzustand. Nach der sozialmedizinischen Epikrise im Abschlussbericht war der Aufbau entsprechender adäquater Bewältigungsstrategien in Anbetracht der Verfestigung kognitiver Grundannahmen (Anschuldigung des Arbeitsunfalls) und einer Einengung auf das Schmerzerleben nicht in ausreichendem Maße möglich. Dies entspricht im Ergebnis auch den Feststellungen, die bereits in E. erfolgt sind.

Gegen einen Kausalzusammenhang sprechen auch die auf orthopädisch/chirurgischem Fachgebiet erstellten Gutachten. Es sind dies bis auf Dr. H. alle mit der Sache befassten Sachverständigen. Dr. H. hält ohnehin neben seiner Beurteilung eine solche durch einen psychiatrisch orientierten Sachverständigen für erforderlich. Dr. R. hingegen weist auf, dass er als langjähriger gerichtlicher Sachverständiger aus einem unfallchirurgischen Wissen schöpfen kann, das auch Kausalverläufe umfasst, die ihren Ausgang aus dramatischen Schädigungen nehmen. Insoweit kann er zu dieser Diskussion beitragen, als er eine traumatische Verursachung des weiter unterhaltenen Schmerzgeschehens ausschließen kann. So führt auch Dr. R. aus, dass hinsichtlich des in der Folge festgestellten depressiven Krankheitsbildes mit gestörter Schmerzverarbeitung eine Unfallursächlichkeit nicht gefunden werden konnte. Das banale Unfallereignis kann demnach für eine posttraumatische Belastungsstörung als Ausgangspunkt einer Depression auch aufgrund der gutachtlichen Erfahrung selbst von Seiten des unfallchirurgischen/orthopädischen Gutachters nicht als plausibel achtet werden. Wenn es demnach aufgrund der Schmerzsymptomatik überhaupt zu einer psychischen Beeinträchtigung gekommen ist, so jedenfalls nicht aufgrund von Unfallfolgen, sondern aufgrund der anhaltenden Beschwerdesymptomatik der mäßigen degenerativen Veränderungen der unteren Lendenwirbelsäule sowie der vorübergehend akuten Symptomatik seitens des linken Iliosakralgelenkes. Viel wahrscheinlicher scheint aber eine gestörte Schmerzverarbeitung aufgrund einer eigenständigen, anfänglich möglicherweise latenten psychischen Beeinträchtigung. Insoweit schließt sich dieser Sachverständige den Ausführungen von Dr. K. an. Zum Überzeugungsgehalt des schriftlichen Gutachtens wird auf die Ausführungen auf S. 12 zum Antrag auf Ladung des Sachverständigen vom 21.04.2014 Bezug genommen.

Auch die Orthopädin Dr. L. stellte in ihrem Gutachten vom 15.04.2010 als Unfallfolge lediglich eine Prellung der Steißbeines fest, für die außer der Gabe milder Schmerzmittel und Vermeidung des Sitzen eine Behandlung weder möglich noch erforderlich ist. Aber selbst eine Fraktur des Steißbeines kann nicht geeignet sein, organische oder funktionelle Beschwerden zu erklären, wie sie von der Klägerin vorgebracht werden. Der gleichen Ansicht ist auch der gerichtliche Sachverständige Dr. W. in seinem Gutachten vom 23.02.2011. Danach liegt eine organisch nicht erklärbare Hyperpathie im hinteren Becken- und Gesäßbereich vor.

Zusammenfassend besteht somit kein Versicherungsfall im Sinn der gesetzlichen Unfallversicherung, der zu einer Entschädigung mit einer Verletztenteilrente führt. Die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin sind dokumentiert und sozialmedizinisch gewürdigt. Eine Entschädigung findet aber im kausalen System der Unfallversicherung nicht statt. Die Klägerin hat aber Zuwendungen des Sozialsystems erfahren, als sie Lohnfortzahlung, Krankengeld, Arbeitslosengeld und Rente wegen voller Erwerbsminderung mit einem Leistungsbeginn ab 01.01.2009 erhalten hat und weiterhin erhält.

Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf Verletztengeld (§§ 45 ff. SGB VII) zu. Dies ist - nach dem zuletzt gestellten Antrag der Klägerin ohnehin - nicht mehr Gegenstand des Verfahrens.

Insgesamt ist die Berufung daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 20. Juni 2017 - L 8 U 185/16 zitiert 13 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

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(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 151


(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 128


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 8 Arbeitsunfall


(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem G

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 55


(1) Mit der Klage kann begehrt werden 1. die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses,2. die Feststellung, welcher Versicherungsträger der Sozialversicherung zuständig ist,3. die Feststellung, ob eine Gesundheitsstörun

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 20 Untersuchungsgrundsatz


(1) Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden. (2) Die Behörde hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch

Zivilprozessordnung - ZPO | § 415 Beweiskraft öffentlicher Urkunden über Erklärungen


(1) Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind (öffen

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 56 Voraussetzungen und Höhe des Rentenanspruchs


(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versich

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 118


(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprech

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Bundessozialgericht Urteil, 20. Juli 2010 - B 2 U 17/09 R

bei uns veröffentlicht am 20.07.2010

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. September 2008 wird zurückgewiesen.

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(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

(3) Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.

(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch

1.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
2.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
a)
Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder
b)
mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen,
2a.
das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort, an dem Kinder von Versicherten nach Nummer 2 Buchstabe a fremder Obhut anvertraut werden, wenn die versicherte Tätigkeit an dem Ort des gemeinsamen Haushalts ausgeübt wird,
3.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, daß die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten oder deren Lebenspartner fremder Obhut anvertraut werden,
4.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben,
5.
das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt.

(3) Als Gesundheitsschaden gilt auch die Beschädigung oder der Verlust eines Hilfsmittels.

(1) Mit der Klage kann begehrt werden

1.
die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses,
2.
die Feststellung, welcher Versicherungsträger der Sozialversicherung zuständig ist,
3.
die Feststellung, ob eine Gesundheitsstörung oder der Tod die Folge eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit oder einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes ist,
4.
die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts,
wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.

(2) Unter Absatz 1 Nr. 1 fällt auch die Feststellung, in welchem Umfang Beiträge zu berechnen oder anzurechnen sind.

(3) Mit Klagen, die sich gegen Verwaltungsakte der Deutschen Rentenversicherung Bund nach § 7a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch richten, kann die Feststellung begehrt werden, ob eine Erwerbstätigkeit als Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit ausgeübt wird.

(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung nach § 387 der Zivilprozeßordnung ergeht durch Beschluß.

(2) Zeugen und Sachverständige werden nur beeidigt, wenn das Gericht dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses oder Gutachtens für die Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig erachtet.

(3) Der Vorsitzende kann das Auftreten eines Prozeßbevollmächtigten untersagen, solange die Partei trotz Anordnung ihres persönlichen Erscheinens unbegründet ausgeblieben ist und hierdurch der Zweck der Anordnung vereitelt wird.

(1) Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind (öffentliche Urkunden), begründen, wenn sie über eine vor der Behörde oder der Urkundsperson abgegebene Erklärung errichtet sind, vollen Beweis des durch die Behörde oder die Urkundsperson beurkundeten Vorganges.

(2) Der Beweis, dass der Vorgang unrichtig beurkundet sei, ist zulässig.

(1) Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden.

(2) Die Behörde hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.

(3) Die Behörde darf die Entgegennahme von Erklärungen oder Anträgen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, nicht deshalb verweigern, weil sie die Erklärung oder den Antrag in der Sache für unzulässig oder unbegründet hält.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. September 2008 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Löschung eines von ihr eingeholten medizinischen Sachverständigengutachtens.

2

Auf die ärztliche Anzeige einer Berufskrankheit (BK) teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 13.5.2003 mit, dass beabsichtigt sei, das Vorliegen einer BK durch ein ärztliches Gutachten feststellen zu lassen. Sie schlug als Gutachter Dr. Sch., , Dr. B., , und die "Orthopädische Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. Dr. A., , " vor. Ferner wies sie darauf hin, dass das Gutachten auf Grund einer Untersuchung erstattet werden soll, zu der der Gutachter andere Ärzte hinzuziehen könne, und der Kläger der Übermittlung der Unterlagen über die bisherigen Feststellungen an den Gutachter nach den Vorschriften über den Sozialdatenschutz gemäß § 76 Abs 2 SGB X widersprechen könne. Mit eigenhändigem Schreiben vom 20.5.2003 erklärte der Kläger sein Einverständnis mit dem Gutachter "Orthopädische Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. Dr. A.".

3

Dr. S. erstellte am 27.7.2003 als Mitglied der Orthopädischen Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. Dr. A. nach Untersuchung des Klägers (am 25.7.2003) ein Gutachten. Daraufhin lehnte die Beklagte die Feststellung einer BK nach Nr 2108 (BK 2108) der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung ab (Bescheid vom 2.10.2003; Widerspruchsbescheid vom 16.12.2003).

4

Der Kläger hat hiergegen am 6.1.2004 beim SG Köln geklagt. Am 20.5.2005 beantragte er bei der Beklagten, das Gutachten von Dr. S. vom 27.7.2003 zu löschen, hilfsweise, es zu sperren. Dies lehnte die Beklagte im Bescheid vom 22.7.2005 ab. Das SG hat "die Klage" abgewiesen (Urteil vom 30.11.2005). Sowohl die Ablehnung der Feststellung einer BK 2108 als auch die der Entfernung des Gutachtens aus den Verwaltungsakten, die nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden sei, seien rechtmäßig; der Kläger habe ein etwaiges Rügerecht verwirkt.

5

Das LSG Nordrhein-Westfalen hat das Verfahren, soweit die Klagen gegen die Ablehnung des Löschungsanspruchs gerichtet waren, zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung abgetrennt und zur Nachholung des Widerspruchsverfahrens ausgesetzt. Nachdem die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen hatte (Widerspruchsbescheid vom 19.7.2007), hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 3.9.2008). Das Gutachten von Dr. S. sei nicht wegen Verstoßes gegen das in § 200 Abs 2 SGB VII geregelte Widerspruchs- und Auswahlrecht in rechtlich unzulässiger Weise zu Stande gekommen. Mit der Auswahl der "Orthopädischen Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. Dr. A." habe der Kläger der Übermittlung seiner Sozialdaten an die Gemeinschaftspraxis zugestimmt. Ihm seien auch mehrere Gutachter vorgeschlagen worden. Dass sich sein Einverständnis nicht auf die Gemeinschaftspraxis, sondern allein auf Prof. Dr. Dr. A. bezogen habe, sei nicht zu erkennen gewesen. Aber auch unabhängig davon sei das von einem nicht namentlich bezeichneten Mitglied einer Gemeinschaftspraxis erstellte Gutachten nicht zu entfernen. Nach der Rechtsprechung des BSG könnten lediglich Verstöße gegen das Widerspruchsrecht durch Entfernung des Gutachtens aus der Akte geheilt werden.

6

Mit der vom BSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung seines Löschungsanspruchs aus § 84 Abs 2 Satz 1 SGB X. Das Gutachten von Dr. S. sei wegen Verstoßes gegen sein Auswahl- und Widerspruchsrecht des § 200 Abs 2 SGB VII zu löschen. Eine Gemeinschaftspraxis sei kein Gutachter im Sinne dieser Vorschrift, sondern eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, bei der allein die Ärzte als Rechtspersonen höchstpersönlich handelten. Da das Gutachterauswahlrecht nicht nur zur Verbesserung der Verfahrenstransparenz beitragen, sondern auch die Mitwirkungsrechte der Versicherten stärken solle, sei die Benennung eines individualisierten Arztes zwingend erforderlich. Nach dem Empfängerhorizont sei lediglich Prof. Dr. Dr. A. als Gutachter vorgeschlagen worden. Dieser hätte das Gutachten erstellen und dafür Sorge tragen müssen, dass die sich aus der Begutachtung ergebenden Daten den anderen Ärzten der Gemeinschaftspraxis nicht zugänglich gemacht würden. Mit der Auswahl der Orthopädischen Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. Dr. A. sei kein Einverständnis zur Übermittlung der Sozialdaten an die anderen Ärzte der Gemeinschaftspraxis erklärt worden. Von einem Versicherten könnten Kenntnisse über den rechtlichen Status einer Gemeinschaftspraxis nicht verlangt werden. Durch die Datenübermittlung an Dr. S. sei zudem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt worden. Dieser Verstoß ziehe ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Dem stehe nicht entgegen, dass Prof. Dr. Dr. A. in einer späteren Stellungnahme zu demselben Ergebnis wie Dr. S. gekommen sei.

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Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. September 2008 und des Sozialgerichts Köln vom 30. November 2005 sowie die ablehnende Entscheidung im Bescheid der Beklagten vom 22. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass er einen Anspruch auf Löschung des Gutachtens des Dr. S. vom 27. Juli 2003 hat, hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, das Gutachten von Dr. S. vom 27. Juli 2003 zu löschen.

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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Sie schließt sich den Ausführungen der Vorinstanz an.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Löschung des von ihr im Verwaltungsverfahren eingeholten medizinischen Sachverständigengutachtens.

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1. Das LSG hatte zulässig den Rechtsstreit über den Löschungsanspruch von demjenigen über den Anspruch auf Feststellung einer BK 2108 getrennt und gesondert über den streitigen Löschungsanspruch entschieden. Denn es handelt sich um zwei unterschiedliche Rechtsfolgen und somit um unterschiedliche Streitgegenstände. Ferner ersetzt oder ändert die Feststellung der Beklagten, der Kläger habe keinen Löschungsanspruch gegen sie, ihre Feststellung nicht, er habe gegen sie keinen Anspruch auf Feststellung einer BK 2108. Daher war die den Löschungsanspruch verneinende Feststellung entgegen dem SG nicht Gegenstand des die Feststellung einer BK 2108 betreffenden Klageverfahrens iS des § 96 Abs 1 SGG geworden.

12

Die Entscheidung über den Löschungsanspruch ist für die Entscheidung des Rechtsstreits um die BK 2108 und diese für jene darüber hinaus auch nicht vorgreiflich iS des § 114 Abs 2 Satz 1 SGG. Dies gilt auch für die Frage, ob das ärztliche Gutachten, das der Kläger gelöscht haben will, im Streit um die BK 2108 verwertbar ist. Denn der Löschungsanspruch hängt allein von der Unzulässigkeit einer Speicherung von Sozialdaten ab. Hingegen ist für diesen Anspruch unerheblich, ob ein von der Verwaltung eingeholtes und tatsächlich nicht gelöschtes (Verwaltungs-) Gutachten vom Gericht (im Urkundsbeweis) gewürdigt werden darf oder einem Beweisverwertungsverbot unterfällt und deshalb für die Überzeugungsbildung des Gerichts nicht verwertbar ist. Denn die Frage der Verwertbarkeit von Sozialdaten stellt sich dem Gericht nur hinsichtlich solcher von einem Träger übermittelter Sozialdaten, die ihm "ungelöscht" zur Kenntnis gebracht wurden. Eine spätere, ggf gerichtlich erstrittene, tatsächliche Löschung der Daten in den Dateiträgern/Akten der Verwaltung kann diese erworbene Kenntnis des Gerichts, gegen das der Löschungsanspruch nicht gerichtet ist, nicht beseitigen.

13

2. Die zulässige Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) gegen die Feststellung der Beklagten, der Kläger habe keinen Löschungsanspruch gegen sie, ist unbegründet. Denn dieser Verwaltungsakt (vom 22.7.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.7.2007) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

14

Daher konnte offen bleiben, mit welcher Klage in Fällen der vorliegenden Art die Anfechtungsklage zulässigerweise verbunden werden kann. Der Kläger hat sie (entsprechend der Rechtsprechung des Senats, Urteil vom 21.3.2006 - B 2 U 24/04 R - SozR 4-1300 § 84 Nr 1 RdNr 25; vgl auch BVerwG, Urteil vom 9.6.2010 - 6 C 5/09) mit einer Verpflichtungsklage (Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Anspruchs auf Löschung) kombiniert. Er hat sie hilfsweise mit einer (unechten <§ 54 Abs 4 SGG> oder echten<§ 54 Abs 5 SGG>) Leistungsklage auf tatsächliche Durchführung der Löschung verbunden (vgl zu den Klagearten VG Karlsruhe, Urteil vom 14.4.2010 - 3 RK 2309/09; Bieresborn in: von Wulffen, SGB X, § 84 RdNr 10). Unabhängig davon, ob die Verpflichtungsklage als spezielle Leistungsklage oder die unechte oder die allgemeine Leistungsklage gegeben und zulässig war, stand fest, dass (nur und jedenfalls) eine dieser Klagen zulässig war, sodass das BSG in jedem Fall zu einer Entscheidung in der Sache befugt war. Einer Bestimmung, welche dieser Klagen zulässig war, bedurfte es trotz des Haupt- und Hilfsantrags nicht, weil jede von ihnen, sofern zulässig, unbegründet war. Denn sie alle sind nur dann begründet, wenn der Kläger den abgelehnten Löschungsanspruch hat. Mit der Abweisung der Anfechtungsklage gegen diese Ablehnung steht aber fest, dass der Kläger keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung eines Anspruchs auf Löschung und auch keinen Anspruch unmittelbar auf Löschung durch die Beklagte hat.

15

Deshalb war auch nicht zu entscheiden, ob die das Leistungsbegehren betreffenden Revisionsanträge des Klägers, "das Gutachten" zu löschen, hinreichend bestimmt waren. Dies war zweifelhaft, weil er grundsätzlich die Sozialdaten, deren Löschung er begehrt, so genau hätte bezeichnen müssen, dass im Urteil klar hätte ausgesprochen werden können, was die Beklagte in dem Gutachten hätte löschen müssen.

16

3. Die Feststellung der Beklagten, der Kläger habe keinen Löschungsanspruch gegen sie, ist rechtmäßig.

17

Als Anspruchsgrundlage kommt einzig § 84 Abs 2 Satz 1 SGB X in Betracht (a). Die Beklagte war zuständig und befugt, über den Löschungsanspruch des Klägers zu entscheiden (b). Die "Speicherung" des Gutachtens war zulässig. Selbst wenn vorliegend eine Verletzung des Auswahlrechts aus § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII vorliegen sollte und diese überhaupt geeignet wäre, die Unzulässigkeit der "Speicherung" zu begründen, wäre dieser Verfahrensmangel unbeachtlich geworden, weil der Kläger ihn der Beklagten nicht rechtzeitig mitgeteilt hat (c).

18

a) Nach § 84 Abs 2 Satz 1 SGB X sind Sozialdaten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. Der vom Informationseingriff Betroffene hat das Recht, vom Träger die Unkenntlichmachung seiner unzulässig gespeicherten Sozialdaten zu verlangen.

19

Diese Norm ist, wie in der genannten Senatsentscheidung vom 21.3.2006 vorausgesetzt, eine Anspruchsgrundlage. Der Bürger kann eine Löschung beanspruchen, obwohl § 38 SGB I (Rechtsanspruch bei gebundenen Sozialleistungen auch ohne Feststellung eines individualschützenden Normzwecks) nicht gilt. Denn § 84 Abs 2 Satz 1 SGB X ist eine drittschützende Norm. Sie soll dem Schutz der von einem Informationseingriff betroffenen Bürger, mithin einem von der Allgemeinheit abgrenzbaren Personenkreis, dienen und ihnen die Rechtsmacht zuweisen, gegen die Verwaltung durchzusetzen, dass die Ergebnisse des Eingriffs, die gespeicherten Sozialdaten, gelöscht werden.

20

§ 20 Abs 2 Nr 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), der gemäß § 1 Abs 2 BDSG nur auf personenbezogene Daten anwendbar ist, ist gegenüber § 84 Abs 2 Satz 1 SGB X subsidiär(§ 1 Abs 3 Satz 1 BDSG; vgl auch § 84 Abs 1a SGB X; offen gelassen im BSG-Urteil vom 13.10.1992 - 5 RJ 16/92 - BSGE 71, 170 ff). Denn § 84 Abs 2 Satz 1 SGB X ist eine Rechtsvorschrift des Bundes, die die Löschung (auch) personenbezogener (Sozial-) Daten regelt.

21

b) Die Beklagte war zuständig und befugt, verbindlich festzustellen, der Kläger habe den gegen sie erhobenen Löschungsanspruch nicht. Wie ua § 83 Abs 4 bis 6 SGB X hinsichtlich der Ablehnung eines Auskunftsanspruchs zeigt, lässt es das Gesetz iS des Gesetzesvorbehalts des § 31 SGB I zu, dass der Verwaltungsträger über das Bestehen eines im Zusammenhang mit gespeicherten Daten gegen ihn erhobenen Anspruchs selbst verbindlich entscheiden darf.

22

c) Die Speicherung des Gutachtens war zulässig iS des § 84 Abs 2 Satz 1 SGB X.

23

aa) Es konnte offen bleiben, ob ein Löschungsanspruch nach Einfügung eines in Papierform erstellten Gutachtens in eine Verwaltungsakte, die ein "Speichern auf einem Datenträger" iS des § 84 Abs 2 Satz 1 iVm § 67 Abs 6 Satz 2 Nr 1 SGB X ist, entgegen dem Gesetzeswortlaut die Löschung des ganzen Gutachtens oder nur diejenige von einzelnen unzulässig gespeicherten Sozialdaten erfasst. Unterstellt, der Anspruch erfasse die Löschung des ganzen Gutachtens, hat die Beklagte nach den Maßstäben des Sozialdatenschutzes des § 35 SGB I iVm §§ 67 ff SGB X zulässig gehandelt(§ 67c Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Satz 1 SGB X). Denn das Einfügen des Gutachtens in die Verwaltungsakte war zur Erfüllung der Aufgabe der Beklagten erforderlich, über das Bestehen eines Anspruchs auf Feststellung einer BK 2108 rechtmäßig zu entscheiden. Die Daten waren ferner zu dem Zweck gespeichert worden, die das Verfahren abschließende Entscheidung darüber vorzubereiten und ggf später zu überprüfen, ob der Kläger die medizinischen Voraussetzungen einer BK 2108 erfüllt und den erhobenen Feststellungsanspruch hat.

24

bb) SGB X-spezifische Unzulässigkeitsgründe liegen nicht vor. Insbesondere berührt die Rüge des Klägers, es sei infolge der Verletzung seines Auswahlrechts auch sein Widerspruchsrecht verletzt, nicht die Zulässigkeit einer Speicherung von Sozialdaten gemäß § 67c Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Satz 1 SGB X.

25

Die Beklagte hatte den Kläger gemäß § 200 Abs 2 SGB VII ua auf sein Widerspruchsrecht aus § 76 Abs 2 Nr 1 SGB X hingewiesen. Ferner war sie zur Datenübermittlung an die "Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. Dr. A." nach § 69 Abs 1 Nr 1 SGB X sowie wegen des eigenhändig erklärten "Einverständnisses" des Klägers mit dieser Gemeinschaftspraxis als Gutachter befugt, unabhängig davon, ob der Kläger damit für sie nicht erkennbar gemeint hatte, er habe nur Prof. Dr. Dr. A. persönlich als Gutachter ausgewählt. Außerdem war sie (auch) zur Entgegennahme der von dem im Geheimnisverbund des § 78 Abs 1 Satz 1 SGB X stehenden Dr. S. erhobenen Daten gemäß § 76 Abs 2 Nr 1 SGB X ermächtigt. Der Kläger hatte nicht widersprochen.

26

cc) Die Beachtung des Auswahlrechts ist in § 67c SGB X nicht als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Speicherung von Sozialdaten ausgestaltet. Auch keine andere Vorschrift des SGB regelt ausdrücklich, dass eine Verletzung des Auswahlrechts die Rechtsfolge der Unzulässigkeit der Speicherung von Sozialdaten begründet.

27

§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII sieht diese Rechtsfolge jedenfalls nicht ausdrücklich vor.

28

Es musste aber nicht abschließend geklärt werden, ob diese Vorschrift dennoch so verstanden werden darf, als ob sie gleichwohl die Unzulässigkeit der Speicherung sinngemäß und noch hinreichend bestimmt anordne. Denn die mögliche Verletzung dieses Verfahrensrechts des Klägers war unbeachtlich geworden.

29

Es kann offen bleiben, ob die Beklagte das einfachgesetzliche verwaltungsverfahrensrechtliche Auswahlrecht des Klägers aus § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII verletzt hat.

30

Nach dieser Vorschrift "soll" - dh im Regelfall, wenn mehrere geeignete Gutachter vorhanden sind, "muss" - der Unfallversicherungsträger vor Erteilung eines Gutachtensauftrags dem Versicherten mehrere Gutachter zur Auswahl benennen. Dies entspricht im Regelfall dem Auswahlrecht aus § 14 Abs 5 Satz 3 und 4 SGB IX. Auch danach wird dem Wunsch des Leistungsberechtigten Rechnung getragen, wenn dieser sich für einen der (im Regelfall drei) vom Leistungsträger benannten Sachverständigen entschieden hat. Die Gutachter, zwischen denen der Versicherte auswählen darf, müssen folglich "benannt" werden. Ein eigenes, den Träger bindendes Vorschlagsrecht hat der Versicherte hingegen nicht (vgl Kranig in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 200 RdNr 11 und Gutachtenkolloquium, Band 13, 1998, S 35, 44; Ricke in: Kasseler Komm, SGB VII, § 200 RdNr 3; Franke in: LPK-SGB VII, § 200 RdNr 3; Kliegel in: Lauterbach, SGB VII, 4. Aufl, 6. Lfg., März 1998, § 200 RdNr 8, 14; Becker, MEDSACH 2006, 74 f; Neumann, Unfallmedizinische Tagungen Heft 97, 1997, S 231, 239; Plagemann, NJW 1996, 3173, 3176). Dies spricht dafür, dass die Gutachter genau mit ihrem "Namen" (einschließlich der Berufsbezeichnung und der Anschrift) zu benennen sind. Nur dann ist grundsätzlich sichergestellt, dass der Versicherte ohne eigene Nachforschungen darüber, wen der Träger als Gutachter zur Auswahl vorschlägt, sich über die Benannten unterrichten und eine sachlich begründete Auswahl unter ihnen treffen kann. Wird hingegen eine Gemeinschaftspraxis nur mit dem Namen eines ihrer Ärzte bezeichnet, werden die anderen Gutachter gerade nicht benannt.

31

Es musste ebenfalls nicht entschieden werden, ob der Kläger erkannt hatte, dass die "Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. Dr. A." aus mehreren Ärzten und aus welchen sie bestand und ob er durch sein eigenhändiges Schreiben des Inhalts, er wähle diese Gemeinschaftspraxis, alle Ärzte der Gemeinschaftspraxis als Gutachter "auswählen" wollte.

32

dd) Eine (mögliche) Verletzung des Auswahlrechts war nämlich unbeachtlich geworden und konnte schon deshalb keine Unzulässigkeit der Speicherung begründen. Der Kläger war nämlich seiner verwaltungsverfahrensrechtlichen Obliegenheit nicht nachgekommen, der Beklagten unverzüglich mitzuteilen, dass nicht der von ihm angeblich allein ausgewählte Gutachter Prof. Dr. Dr. A., sondern der von ihm nach seinem Vortrag nicht ausgewählte Dr. S. die Begutachtung übernommen hatte.

33

Ein Versicherter, der meint, dass nicht der von ihm ausgewählte Arzt das Gutachten erstellt, muss dem Unfallversicherungsträger unverzüglich mitteilen, dass er sein Auswahlrecht verletzt sieht (Rügeobliegenheit).

34

Grundsätzlich hat er dies unverzüglich anzuzeigen, sobald er erkennt, dass ein anderer als der von ihm gewählte Gutachter vom Träger zum Gutachter bestellt wurde oder die Begutachtung übernimmt. Das muss er nicht hinnehmen; es obliegt ihm aber, sein Auswahlrecht unverzüglich zu verteidigen. Daher kann nach den Umständen des Einzelfalls seine Mitwirkung an einer Gutachtenerstellung durch einen vom Träger bestellten Gutachter, den der Versicherte zuvor als von ihm nicht ausgewählt erkannt hat, die Genehmigung der vom Träger getroffenen Gutachterauswahl bedeuten. Erkennt der Versicherte den Fehler ausnahmsweise erst später, etwa bei Kenntnisnahme von dem Gutachten, obliegt es ihm besonders dringlich, dies unverzüglich dem Träger mitzuteilen. Denn nur dann kann dieser sofort die Lage klären und notfalls rechtzeitig ein Gutachten des vom Versicherten ausgewählten Sachverständigen einholen. Nur so kann der Träger sicherstellen, dass er seine das Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung auf ein Gutachten stützen kann, das ohne eine Verletzung des Auswahlrechts erstellt wurde.

35

Das Auswahlrecht des § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII ist rein verwaltungsverfahrensrechtlicher Natur. Es ermöglicht dem Bürger eine qualifizierte Mitwirkung bei der behördlichen Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 20 SGB X) und dient der Förderung der Akzeptanz des das Verwaltungsverfahren abschließenden Verwaltungsakts des Unfallversicherungsträgers, soweit er dem Gutachten des vom Bürger ausgewählten Gutachters folgt. Dadurch dient es mittelbar auch der besseren Durchsichtigkeit ("Transparenz") der Entscheidungsfindung des Trägers und des Datenflusses für den Versicherten.

36

Das Auswahlrecht bezweckt ausschließlich, im jeweiligen Verwaltungsverfahren einen inhaltlich richtigen und für den Versicherten akzeptablen verfahrensabschließenden Verwaltungsakt vorzubereiten. Von einer (beabsichtigten) Begutachtung durch einen vom Versicherten nicht ausgewählten Gutachter muss der Sozialversicherungsträger unverzüglich erfahren, um die Rechtsverletzung zu verhindern oder zu beseitigen und das Verfahren unter Beachtung des Auswahlrechts durchführen zu können. Der Bürger, der bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken und insbesondere ihm bekannte Tatsachen angeben soll (§ 21 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB X), ist hier der einzige, der eine Verletzung seines Auswahlrechts rechtzeitig abwenden oder eine Heilung dieses Verfahrensfehlers rechtzeitig anstoßen kann.

37

Eine Verletzung des Auswahlrechts kann grundsätzlich nur bis zum Abschluss des jeweiligen Verwaltungsverfahrens vom Unfallversicherungsträger geheilt werden. Deshalb wird die Verletzung, auch wenn sie ungeheilt bleibt, mit dem Abschluss des Verwaltungsverfahrens grundsätzlich unbeachtlich (vgl zur Rügeobliegenheit im Prüfungsrecht BVerwGE 96, 126, 129 ff, Juris-RdNr 18 f).

38

Dies gilt nur dann nicht, wenn der Bürger ausnahmsweise die Verletzung seines Auswahlrechts vor dem Erlass des abschließenden Verwaltungsakts nicht erkennen konnte, also keine Möglichkeit zur Rechtsverteidigung hatte, oder wenn der Träger das Auswahlrecht trotz einer rechtzeitigen Rüge des Bürgers nicht als verletzt ansieht und keine Heilung veranlasst. Dann kann der Bürger den Mangel auch noch im Widerspruchsverfahren geltend machen, sodass die Ausgangsbehörde, die auch die Abhilfebehörde ist, oder die Widerspruchsbehörde noch eine Heilung im Verantwortungsbereich der Verwaltung herbeiführen kann.

39

Wird erst danach gerügt, ist eine zweckwahrende Heilung des Auswahlrechts, die zu einem verfahrensfehlerfreien Abschluss des Verwaltungsverfahrens allein durch eine Entscheidung der Verwaltung führt, nicht mehr möglich. War nämlich eine (bestehende) Verletzung des Auswahlrechts auch bis zum Ende des Widerspruchsverfahrens nicht zu erkennen oder wurde sie, obwohl rechtzeitig gerügt, auch von der Widerspruchsbehörde des Trägers verneint, kann der Zweck des Auswahlrechts in dem jeweiligen Verwaltungsverfahren, in dem es besteht, nicht mehr erreicht werden. Der Verfahrensfehler bleibt ggf nur noch nach Maßgabe des § 42 Satz 1 SGB X rechtserheblich und kann nicht gesondert angefochten werden(so auch Kranig in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 200 RdNr 26 und K § 199 RdNr 5; aA Thüringer LSG, Urteil vom 22.1.2009 - L 1 U 1089/06 - Juris RdNr 40; offen gelassen ua in BSGE 100, 25, 39 f, RdNr 57 f mwN; kritisch dazu C. Wagner in jurisPK-SGB VII, § 200 RdNr 51). Er führt zur Aufhebung des verfahrensabschließenden Verwaltungsakts, wenn nicht offensichtlich ist, dass die Auswahlrechtsverletzung die Entscheidung der Verwaltung in der Sache nicht beeinflusst hat.

40

ee) Der Kläger hat den (angeblichen) Verfahrensmangel im Verwaltungsverfahren nicht rechtzeitig angezeigt. Er hat die Beklagte in Kenntnis der Begutachtung durch Dr. S. bis zum Verfahrensabschluss nicht darauf hingewiesen, dass er mit seiner eigenhändigen Erklärung nur Prof. Dr. Dr. A. als Gutachter habe wählen wollen. Daher kam es für die Zulässigkeit der im Verwaltungsverfahren erfolgten Speicherung des Gutachtens des Dr. S. auf diesen nicht einmal mit dem Widerspruch, sondern erst vor dem SG gerügten Mangel des Verwaltungsverfahrens nicht an.

41

ff) Es gibt auch keine anwendbare Rechtsnorm außerhalb des SGB, welche die Speicherung eines Gutachtens datenschutzrechtlich für unzulässig erklärt, wenn das Gutachten von einem Gutachter erstellt wurde, den der Bürger nicht als Sachverständigen ausgewählt hat.

42

Insbesondere das vom Kläger angeführte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG), ein Abwehrrecht, verbietet die Speicherung eines Gutachtens in solchen Fällen nicht. Es gebietet dem Gesetzgeber grundsätzlich auch nicht, ein verletztes einfachgesetzliches Auswahlrecht als Unzulässigkeitsgrund für eine derartige Speicherung einzuführen. Dass das Auswahlrecht mittelbar auch die Durchsichtigkeit der Entscheidungsfindung des Trägers und die des Datenflusses für den Versicherten fördert, bedeutet noch nicht, dass es vom Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung umfasst wird und somit grundsätzlich allen Bürgern gegen alle Verwaltungsträger zustünde. Vielmehr ist es ein grundrechtlich nicht gebotenes, aber für ein bürgernahes Verwaltungsverfahren nützliches, einfachgesetzliches Verfahrensrecht der Versicherten gegen die Unfallversicherungsträger (und der Behinderten in Teilhabeverfahren).

43

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.

(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch

1.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
2.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
a)
Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder
b)
mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen,
2a.
das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort, an dem Kinder von Versicherten nach Nummer 2 Buchstabe a fremder Obhut anvertraut werden, wenn die versicherte Tätigkeit an dem Ort des gemeinsamen Haushalts ausgeübt wird,
3.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, daß die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten oder deren Lebenspartner fremder Obhut anvertraut werden,
4.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben,
5.
das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt.

(3) Als Gesundheitsschaden gilt auch die Beschädigung oder der Verlust eines Hilfsmittels.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.