Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 10. Sept. 2014 - L 3 SB 235/13

bei uns veröffentlicht am10.09.2014

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I.

Auf die Berufung von A. wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28. November 2013 abgeändert und der Beklagte verurteilt, unter weiterer Abänderung des Bescheides vom 4. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Januar 2009 nach Maßgabe seines Vergleichsangebotes vom 5. Juni 2014 auch für den Zeitraum 1. Januar 1999 bis 31. Juli 2006 einen GdB von 60 festzustellen.

Im Übrigen wird die Berufung von A. zurückgewiesen.

II.

Der Beklagte erstattet die notwendigen außergerichtlichen Kosten von A. zur Hälfte.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der 1974 geborene intersexuelle Mensch A. (nachstehend: M.R.) ist schwerbehindert im Sinne von §§ 2 Abs. 2, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX). Begehrt wird die rückwirkende Feststellung eines GdB von 80 ab dem 01.08.1994 sowie im Wege einer Klageerweiterung die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ im Sinne von § 146 Abs. 1 SGB IX.

M.R. machte mit Erstantrag vom 25.04.2008 das Vorliegen einer Gonadendysgenesie bei Karyotyp 46 XY, eine Wesensveränderung, ein chronisches Erschöpfungssyndrom, Arthralgien, Myalgien, eine Borreliose, Osteoporose, Asthma und Hashimoto-Thyreoiditis geltend. Entsprechend den vorgelegten Unterlagen vor allem des Universitätsklinikums M., des Universitätsklinikums E. und des Klinikums M. in T. ist M.R. nach dem Geschlechtschromosomensatz männlich. Nach dem Phänotyp ist M.R. bei unauffälliger Maskulinisierung jedoch weiblich. Psychosexuell ist M.R. ebenfalls weiblicher Ausprägung.

Der Beklagte stellte mit Bescheid vom 08.05.2008 einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 fest und berücksichtigte nachstehende Gesundheitsstörungen:

1. Seelische Störung, Somatisierungsstörung (Einzel-GdB 30),

2. Gonadendysgenesie (Einzel-GdB 20).

Die mit den Gesundheitsstörungen Borreliose, Hashimoto-Thyreoiditis, Asthma und Osteopenie verbundenen Einschränkungen würden keinen GdB von wenigstens 10 bedingen.

M.R. hob mit Widerspruchsbegründung vom 08.07.2008 hervor, ab der Pubertät, die nicht eingesetzt habe, seien verstärkt Probleme aufgetreten. Fehlende weibliche Hormone hätten eine Brustentwicklung nicht ermöglicht mit der Folge erheblicher sozialer Schwierigkeiten mit starken Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl. Nach Gabe von Östrogen ab dem 19. Lebensjahr habe sich eine rudimentäre Brust in Form einer Mikromastie entwickelt. Dies bereite auch heute noch große Probleme im Hinblick auf das Selbstverständnis als weibliches Wesen.

Der Beklagte hat mit Abhilfe-Bescheid vom 23.07.2008 ab dem 25.04.2008 einen GdB von 50 festgestellt, weil die Folgen von Hormonmangel bei Gonadendysgenesie die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft rechtfertigten.

Auf den weiteren Widerspruch vom 19.08.2008 stellte der Beklagte mit Teilabhilfe-Bescheid vom 04.12.2008 einen GdB von 50 rückwirkend ab 01.08.1994 fest, weil zu diesem Zeitpunkt die Erstdiagnose getroffen wurde. Im Übrigen wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02.01.2009 zurückgewiesen. Die Feststellung eines GdB von 80 ab Geburt (06.09.1974) sei nicht möglich. M.R. sei ausweislich der vorgelegten Unterlagen annähernd wie ein normales Mädchen aufgewachsen. Erst ab dem Jahr 1994 seien schwerwiegendere gesundheitliche Auswirkungen nachweisbar.

Mit Klage vom 03.02.2009 zum Sozialgericht Bayreuth (SG) ist beantragt worden, einen GdB von 80 rückwirkend zum 01.08.1994 festzustellen. Die Gynäkologin Dr. W. habe 06/1994 bis Ende 1996 eine Amenorrhoe festgestellt. Prof. Dr. W. habe 08/1994 eine Gonadendysgenesie endokrinologisch nachgewiesen. Ab 06/1998 sei man von Dr. K., Dr. S. und Dr. K. wegen Depressionen und einer Angststörung behandelt worden. Nachweisend seien multiple Behandlungen wegen der Gonadendysgenesie, der Hashimoto-Thyreoiditis, einem chronischen Erschöpfungssyndrom, Hauterkrankungen und Hormonmangel erfolgt.

Das SG hat die Schwerbehinderten-Akten des Beklagten, die Unterlagen der Deutschen Rentenversicherung Niederbayern mit den zugehörigen Streitakten S 2 R 4165/07 und entsprechende ärztliche Unterlagen beigezogen.

M.R. hat gegenüber dem gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. G. angegeben, dass sich sukzessive eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes und des Befindens eingestellt habe, wobei es sich zunächst um einen schleichenden Prozess gehandelt habe. Ab Ende 2003 sei es dann zu einer starken Verschlechterung gekommen. Im Jahr 2005 habe die Berufstätigkeit als Bürokaufmann/frau aufgeben werden müssen. Seit Anfang 2008 werde eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezogen. Der Sachverständige Dr. G. ist im Folgenden mit Gutachten vom 04.02.2010 zu dem Ergebnis gekommen, dass aufgrund der bestehenden Gesundheitsstörungen ab 01.08.1994 ein GdB von 50 bestehe und ab Dezember 2007 ein GdB von 80.

Vorgelegt worden ist die Stellungnahme der Schwerbehindertenbeauftragten des Bundesverbandes intersexueller Menschen e. V. K. vom 26.04.2010. Diese hat darauf hingewiesen, dass naheliegende erhebliche psychische Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt worden seien.

Gestützt auf die nervenärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie B. vom 18.07.2011 hat der Beklagte ein Vergleichsangebot dahingehend unterbreitet, ab 01.08.2006 einen GdB von 60 und ab 01.12.2007 einen GdB von 70 festzustellen.

Nach Anhörung, es sei beabsichtigt, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, hat der ehemalige Bevollmächtigte von M.R. mit Schreiben vom 08.11.2013 das Vorliegen einer erheblichen Gehbehinderung geltend gemacht und das Attest des Dr. W. vom 22.11.2012 vorgelegt. Die Gonadenanlage sei nicht deszendiert. Das heiße, dass die Hoden- bzw. Ovarienanlage in der Leiste liege. Durch die Enge des Leistenkanals könne es zu Quetschungen kommen, die äußerst schmerzhaft seien. In Abhängigkeit von der jeweiligen sich verändernden Lage der Hoden/Ovarien könne es immer wieder zu Schmerzepisoden kommen, die unterschiedlich lange andauern könnten.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 28.11.2013 ausgesprochen: Unter Abänderung des Bescheides vom 04.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2009 wird der Beklagte verurteilt, den GdB ab 01.08.2006 mit 60 und ab 01.06.2007 mit 80 zu bemessen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Hierbei hat das SG das Gutachten des Dr. G. vom 04.02.2010 sowie die nervenärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie B. vom 18.07.2011 kritisch gewürdigt und die jeweiligen anspruchsbegründenden Gesichtspunkte positiv gewichtet. Eine Verschlechterung im psychopathologischen Befund sei etwa ab Anfang 2006 festzustellen, so dass unter Berücksichtigung des für das Vorliegen einer Behinderung maßgeblichen Zeitraums von wenigstens sechs Monaten ab 01.08.2006 eine Höherbewertung auf einen GdB von 60 gerechtfertigt sei. Die psychischen Beschwerden hätten sich nach 2006 verstärkt. Bei der Untersuchung durch Dr. T. in dem Rentenstreitverfahren S 2 R 4165/07 sei die Stimmungslage depressiv gewesen. Die Verschlechterung im psychischen Befund rechtfertige daher die Anhebung des GdB und dessen Bewertung mit 80 ab dem 01.06.2007. Das weitergehende Begehren sei unbegründet.

Die hiergegen gerichtete Berufung von M.R. geht am 28.12.2013 bei dem Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) ein. Von Seiten des Senats werden die Schwerbehinderten-Akten des Beklagten und die erstinstanzlichen Streitakten beigezogen. Dies gilt auch für den Rentenrechtsstreit S 2 R 4165/07 und eine Heftung „Kopien der gesamten Patientenakte“.

Der Senat überträgt mit Beschluss vom 25.02.2014 die Berufung dem Berichterstatter, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern über die Berufung zu entscheiden hat.

M.R. hält mit Schriftsatz vom 23.02.2014 an ihrem Begehren fest, einen GdB von 80 ab dem Jahr 1994 festzustellen. Dies ermögliche die Inanspruchnahme höherer Steuerfreibeträge in der Vergangenheit. Die gegengeschlechtliche Hormonbehandlung ab September 1994 habe zu einem schleichenden und immer stärker manifest werdenden Libidoverlust geführt, die Entfernung des Penis im Jahr 1995 zu Gefühlsirritationen und zu Störungen im Genitalbereich und bei der sexuellen Empfindungsfähigkeit. Die Verschlechterung des psychischen Zustandes seit 1994 habe bereits im Juni 1998 zu einer ersten Konsultation von Psychiatern und zu einer ersten Psychotherapie geführt. Im Übrigen leide man seit Januar 1995 an einer Osteopenie bzw. Osteoporose mit starken Schmerzen im Brustbein.

M.R. legt die Schreiben des Finanzamtes B. vom 04.03.2010 und vom 20.03.2014 vor. Danach könnte beginnend ab dem Jahr 1999 eine (weitere) Erstattung der Lohn-/Einkommensteuer in Betracht kommen.

Gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 30.05.2014 der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie B. unterbreitet der Beklagte am 05.06.2014 ein Vergleichsangebot dahingehend, ab 01.01.1999 einen GdB von 60 festzustellen. Ab 01.08.2006 verbleibe es jedoch bei den im Gerichtsbescheid vom 28.11.2013 getroffenen GdB-Feststellungen. Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie B. hat auch darauf hingewiesen, dass eine erhebliche Gehbehinderung nicht vorliege.

Entsprechend dem Schreiben vom 27.07.2014 wird das Vergleichsangebot des Beklagten vom 05.06.2014 nicht angenommen, weil das Merkzeichen „G“ nicht angeboten worden ist. Des Weiteren wird auf einen Zivilprozess gegen die Universitätsklinik E. und eine Klage nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) verwiesen. Vorgelegt wird erneut das Attest des Dr. W. vom 22.11.2012, der die Problematik der Enge des Leistenkanals und hieraus resultierender Quetschungen beschrieben hat.

In der mündlichen Verhandlung vom 10.09.2014 trägt M.R. ergänzend vor, dass es mit Entdeckung des Hodens im Jahr 2010 immer wieder zu Schmerzzuständen bis zu drei Tagen komme, in denen das Gehvermögen so gut wie vollständig eingeschränkt sei. In der Zeit solle man sich auch nicht bewegen, weil der Hoden herabdränge. Dann seien wieder Zeiten von ein paar Tagen, in denen die Gehfähigkeit wegen dieser Problematik nicht beeinträchtigt sei. Im Übrigen würden nunmehr männliche Hormone eingenommen, so dass mit einer Veränderung des Körpers und einer Verstärkung der diesbezüglichen Problematik zu rechnen sei. Außerdem wachse der Penisstumpf derzeit wieder und bereite auch zusätzliche Schmerzen.

Beantragt wird,

einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 bereits ab dem 01.08.1994 festzustellen sowie das Merkzeichen „G“ zuzuerkennen.

Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt,

die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.11.2013 zurückzuweisen, soweit sie über das Vergleichsangebot vom 05.06.2014 hinausgeht.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Schwerbehinderten-Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen. Dies gilt auch für die Rentenstreitakte S 2 R 4165/07 und das Geheft „Kopien der Patientenakte“.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des intersexuellen Menschen M.R. ist gemäß §§ 143, 144 und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und teilweise begründet. Entsprechend dem Beschluss vom 25.02.2014 hat die Entscheidung dem Berichterstatter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern oblegen (§§ 105 Abs. 1, 153 Abs. 5 SGG).

Bei M.R. ist bereits ab dem Jahr 1999 ein GdB von 60 festzustellen (und nicht erst ab 01.08.2006). Das weitergehende Begehren ist unbegründet. Ein GdB von 80 kann für die Vergangenheit (streitig ist der Zeitraum 01.08.1994 - 31.05.2007) nicht festgestellt werden. Mangels einer erheblichen Gehbehinderung steht das Merkzeichen „G“ nicht zu.

Bis zum Inkrafttreten des SGB IX am 01.07.2001 (Gesetz vom 19.06.2001, BGBl. I S. 1046 ff.) ist das Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft - Schwerbehindertengesetz (SchwbG) maßgeblich gewesen. Seitdem werden im Ergebnis inhaltsgleich nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung (GdB) nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX i. V. m. § 30 Abs. 1 und 16 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) sind zur Beurteilung der jeweiligen Funktionsstörungen und -beeinträchtigungen die „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ (Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung in der jeweiligen Fassung) zugrunde zu legen. Diese haben die vormals geltenden „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 1996 ff., 2008“ mit Wirkung zum 01.01.2009 abgelöst. Nachdem hier der Zeitraum ab 01.08.1994 streitbefangen ist, sind für die Vergangenheit einschließlich 31.12.2008 die „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 1996 ff., 2008 heranzuziehen.

Wenngleich diese Verwaltungsvorschriften, herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, für das Gericht nicht zwingend bindend sind, werden sie dennoch regelmäßig zur Gesetzesauslegung und als wertvolle Entscheidungshilfe herangezogen. Das Gebot der Gleichbehandlung, wie es in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) normiert ist, erfordert es auch in diesem Fall, keinen anderen Bewertungsmaßstab als den üblichen anzulegen (Bundessozialgericht - BSG - mit Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 in „Die Sozialgerichtsbarkeit“ 1991, S. 227 ff. zu den „Anhaltspunkten 1983“). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 06.03.1995 - BvR 60/95 (in NJW 1995, S. 3049, 3050) die Beachtlichkeit der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1983“ in verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren als „antizipierte Sachverständigengutachten“ bestätigt. Entsprechendes gilt auch für die jeweiligen Neufassungen der „Anhaltspunkte“, die die zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse und Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft über die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen, die Rechtsprechung des BSG, zwischenzeitliche Änderungen der Rechtsgrundlagen sowie Erfahrungen bei der Anwendung der bisherigen „Anhaltspunkte“ eingearbeitet haben (BSG mit Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/03 R in SGb 2004, S. 378).

Es gilt das Antragsprinzip (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Hier hat M.R. am 25.04.2008 einen Erstantrag verwaltungsseitig eingereicht. Für eine rückwirkende GdB-Feststellung vor Eingang des Erstantrages vom 25.04.2008 bedarf es eines besonderen Interesses (BSG mit Urteil vom 16.02.2012 - B 9 SB 1/11 R in SozR 4/3250 § 69 Nr. 15). Hierzu zählen auch Nachteilsausgleiche, die sich aus § 33b Einkommensteuergesetz (EStG) ergeben. Insoweit ergibt sich aus den Schreiben des Finanzamtes B. vom 04.03.2010 und vom 20.03.2014, dass beginnend ab dem Jahr 1999 bei der Klägerin eine (weitere) Erstattung an Lohn-/Einkommensteuer in Betracht kommt. Dementsprechend ist im Falle der Klägerin ein „besonderes Interesse“ an einer rückwirkenden GdB-Feststellung ab dem 01.01.1999 gegeben.

Das Feststellungsverfahren nach dem Schwerbehindertenrecht (SchwbG bzw. nunmehr SGB IX) dient jedoch nicht der mittelbaren Beweissicherung hinsichtlich des Zivilrechtsstreits, der gegen die Universitätsklinik E. geführt wird. Auch das Verfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) ist unabhängig von dem hiesigen Feststellungsverfahren. Insoweit ist es nicht ausreichend, dass gegebenenfalls die nämlichen medizinischen Bewertungsgrundlagen heranzuziehen sind. Denn nach dem OEG sind unabhängig von dort zu beachtenden weiteren rechtlichen Vorgaben aus medizinischer Sicht auch Kausalitätsfragen entscheidungserheblich.

Soweit das SG mit Gerichtsbescheid vom 28.11.2013 ausgesprochen hat, unter Abänderung des Bescheides vom 04.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2009 wird der Beklagte verurteilt, den GdB ab 01.08.2006 mit 60 und ab 01.06.2007 mit 80 zu bemessen, entspricht dies der Sach- und Rechtslage ab dem genannten Zeitpunkt 01.08.2006. Der Senat sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil er entsprechend § 153 Abs. 2 SGG insoweit den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung folgt.

Der Gerichtsbescheid des SG vom 28.11.2013 erweist sich jedoch in zeitlicher Hinsicht als ungenügend. Auch für den Zeitraum beginnend ab 01.01.1999 bis einschließlich 31.07.2006 ist ein GdB von 60 festzustellen und eine entsprechende Bescheinigung zur Vorlage bei den Steuerbehörden auszuhändigen. Dies ergibt sich aus der nervenärztlichen Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie B. vom 30.05.2014 in Auswertung der Rentenstreitakte S 2 R 4165/07 und des Geheftes „Kopien der Patientenakte“. Frau B. hat ausgeführt: Aus der Akte des Streitverfahrens in der Rentensache ist dem Rentenverlauf zu entnehmen, dass bis 2007 Pflichtbeiträge entrichtet wurden. Die Höherbewertung im Gerichtsbescheid des SG ist auf das Gutachten des Dr. T. gestützt, das ab 01.06.2007 eine deutliche depressive Störung bescheinigte. M.R. habe angegeben, die Problematik nicht mit den Eltern besprochen zu haben, da man mit Unverständnis gerechnet habe. Diesbezüglich sei eine Verschlechterung seit etwa einem halben Jahr angegeben worden, eine aktuelle psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung wurde aber nicht angegeben, die frühere Psychotherapie habe nicht viel gebracht. Die Rentenakte enthält auch noch ein MDK-Gutachten von 2006, in dem eine aktuelle Arbeitsunfähigkeit bestätigt wurde bei Verneinung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE). M.R. berichte aber auch über Ermüdungserscheinungen, so dass der Lebensgefährte im Haushalt viel erledige. Zusammenfassend lasse sich eine Begründung für einen GdB von 80 ab 1999 nicht finden; eine Verschlechterung im Jahr 2006 ist auch der Rentenakte zu entnehmen. Ein vorübergehender Behandlungsbedarf durch Psychotherapie bei Dr. K. ist für das Jahr 1998 dokumentiert, danach offenbar längere Zeit keine nervenärztliche Mitbehandlung. Somit kann aus der Sicht von Frau B. grenzwertig bereits ab dem Jahr 1999 ein GdB von 60 vertreten werden unter Berücksichtigung einer seelischen Störung mit einem Einzel-GdB von 20. Dabei wird auch eine gewisse Somatisierungsneigung mitberücksichtigt; medizinische Vorstellungen erfolgten wegen diffuser körperlicher Beschwerden unter dem Verdacht von Nebenwirkungen der Hormontherapie. Frau B. begründet im Folgenden die Feststellung eines Gesamt-GdB von 60 ab 1999 mit den Folgen von Hormonmangel bei Gonadendysgenesie (Einzel-GdB 50) und einer seelischen Störung (Einzel-GdB von 20).

Dem ist aus der Sicht des erkennenden Senats vollinhaltlich beizupflichten (§ 128 Abs. 1 SGG). Denn ausgehend von zwei wesentlichen Beschwerdekomplexen ab 1999 mit Einzel-GdB-Werten von 50 und 20 hat zum damaligen Zeitpunkt ein Gesamt-GdB von 60 bestanden: Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von Ausnahmefällen (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit eines Ohres bei schwerer beidseitiger Einschränkung der Sehfähigkeit) abgesehen, führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Rdz. 19 Abs. 3 und 4 der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit“).

Als Zwischenergebnis ist daher festzustellen, dass sich die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.11.2013 insoweit als begründet erweist, als der Beklagte mit Vergleichsangebot vom 05.06.2014 sich bereit erklärt hat, für die in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 30.05.2014 genannten Gesundheitsstörungen ab 01.01.1999 einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 festzustellen (und es im Übrigen bei dem Gerichtsbescheid des SG vom 28.11.2013 verbleibt).

M.R. begehrt weiterhin die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „G“. Der Senat hält insoweit eine Erweiterung des Streitgegenstandes für sachdienlich (§ 99 Abs. 1 SGG). Denn der Rechtsstreit ist auch insoweit entscheidungsreif. Auch hat sich die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie B. mit versorgungsärztlicher Stellung vom 30.05.2014 hierzu geäußert.

Nach dem Bekunden von M.R. in der mündlichen Verhandlung vom 10.09.2014 hat sich die Problematik des immer wieder deszendierenden Hodens erst nach dessen Entdeckung im Jahr 2010 entwickelt. Ausweislich des Attestes des Dr. W. vom 22.11.2012 ist M.R. deswegen jedoch nicht erheblich gehbehindert im Sinne von § 146 Abs. 1 SGB IX. Die Gonadenanlage ist nicht deszendiert. Der Hoden bzw. Ovarialanlage liegen in der Leiste. Durch die Enge des Leistenkanals kann es zu Quetschungen kommen, die äußerst schmerzhaft sein können. In Abhängigkeit von der jeweiligen (sich verändernden) Lage des Hodens/der Ovarien kann es immer wieder zu Schmerzepisoden kommen, die unterschiedlich lang andauern können. Dr. W. hat abschließend die Angaben von M.R. bestätigt, dass es dann zu starken Schmerzen kommt und M.R. nur sehr kurze Strecken unter Schmerzen gehen kann.

Dies ist jedoch nicht ausreichend, um das Merkzeichen „G“ zuzuerkennen können. Inhaltsgleich mit den vormals maßgeblichen „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ bestimmen die „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ in Teil D Rdz. 1d: Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens sind als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z. B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen.

Ein Leidenszustand, vergleichbar den vorstehend genannten Regelbeispielen, ist jedoch nicht dauerhaft gegeben. Der Senat verkennt nicht, dass im Akutfall aufgrund der hieraus resultierenden Schmerzen ein weiteres Fortbewegen so gut wie unmöglich ist. Der Hoden ist jedoch nicht ständig verlagert bzw. eingeklemmt. Dr. W. hat mit Attest vom 22.11.2012 zutreffend darauf hingewiesen, dass es immer wieder zu Schmerzepisoden kommen kann, die unterschiedlich lange andauern können. Intermittierend auftretende Schmerzzustande begründen jedoch keine dauerhaft erhebliche Gehbehinderung im Sinne von § 146 Abs. 1 SGB IX.

Es besteht auch keine Vergleichbarkeit zum Beispiel mit Epileptikern, bei denen gehäuft überwiegend am Tage eine mittlere Anfallshäufigkeit vorliegt, oder mit Diabetikern, die tagsüber unter häufigen nicht vermeidbaren hypoglykämischen Schocks leiden. Diesem Personenkreis kann im Einzelfall das Merkzeichen „G“ zuerkannt werden („Versorgungsmedizinische Grundsätze in Teil D Rdz 1e). Im diesem Zusammenhang ist für den Senat aufgrund des persönlichen Eindrucks, der sich in der mündlichen Verhandlung vom 10.09.2014 ergeben hat, auch kein Hinweis für das Vorliegen einer erheblichen Gehbehinderung im Sinne des Gesetzes erkennbar geworden.

Auch aufgrund des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderung - UN-Behindertenrechtskonvention (BGBl. 2008 Teil II Nr. 35 vom 31.12.2008) ergeben sich keine weitergehenden Ansprüche. Vielmehr genügen die Vorschriften des Schwerbehindertenrechts insbesondere in § 146 Abs. 1 SGB IX, der einen Nachteilsausgleich in Form des Merkzeichens „G“ vorsieht, höherrangigem Recht, wenn als Vergleichsmaßstab ein Behinderter heranzuziehen ist, der einseitig im Unterschenkel amputiert ist (Einzel-GdB von 50) oder an einem sogenannten Klumpfuß (Einzel-GdB von 40) leidet, der die Gehfähigkeit ständig und nicht nur wie im Falle von M.R. im Akutfall erheblich beeinträchtigt.

Die von M.R. in der mündlichen Verhandlung vom 10.09.2014 vorgetragene zu befürchtende Progredienz des Beschwerdebildes in der Zukunft kann hier nicht berücksichtigt werden. Insoweit wird M.R. anheimgestellt, zu gegebener Zeit verwaltungsseitig einen Neufeststellungsantrag gemäß § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) einzureichen.

Nach alledem war die Berufung des intersexuellen Menschen M.R. gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.11.2013 im Übrigen abzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV | § 2 Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“


Die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien sind in der Anlage zu dieser Verordnung#F1_771649als deren Bestandteil festgelegt.

Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 146 Periodizität und Berichtszeitraum


Die Erhebungen erfolgen jährlich für das abgelaufene Kalenderjahr.

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 10. Sept. 2014 - L 3 SB 235/13 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 10. Sept. 2014 - L 3 SB 235/13 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundessozialgericht Urteil, 16. Feb. 2012 - B 9 SB 1/11 R

bei uns veröffentlicht am 16.02.2012

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. März 2011 insoweit aufgehoben, als es die Feststellung eines Grades der Behinderung für die Zei

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Die Erhebungen erfolgen jährlich für das abgelaufene Kalenderjahr.

(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend.

(2) Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Ist die Berufung nicht gegeben, kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Wird sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche Verhandlung beantragt, findet mündliche Verhandlung statt.

(3) Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.

(4) Wird mündliche Verhandlung beantragt, kann das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

Die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien sind in der Anlage zu dieser Verordnung*als deren Bestandteil festgelegt.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. März 2011 insoweit aufgehoben, als es die Feststellung eines Grades der Behinderung für die Zeit vom 4. Januar 1998 bis 31. Oktober 2000 betrifft.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision als unzulässig verworfen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 für die Zeit vom 4.1.1998 bis 20.1.2003 hat.

2

Der am 1.9.1943 geborene Kläger beantragte erstmals am 26.9.2002 die Feststellung eines GdB für die Zeit ab dem 4.1.1998. Zur Begründung erklärte er, er habe ein besonderes Interesse an der rückwirkenden Feststellung "wegen Rentenantragstellung zum 60. Lebensjahr sowie wg. Steuervergünstigung".

3

Mit Bescheid vom 21.3.2003 stellte das beklagte Land wegen eines operierten Bandscheibenschadens, Nervenwurzelreizerscheinungen sowie Schlaganfallfolgen für die Zeit vom 1.11.2000 bis 20.1.2003 einen GdB von 20 und für die Zeit ab 21.1.2003 einen solchen von 40 fest. Auf den Widerspruch des Klägers, mit dem dieser die Feststellung eines GdB von mindestens 50 begehrte, erteilte der Beklagte den Abhilfebescheid vom 22.7.2003. Darin erkannte er - insbesondere wegen der Folgen einer am 20.1.2003 erlittenen Hirnblutung - einen GdB von 80 sowie die Voraussetzungen der Merkzeichen G und B ab dem 21.1.2003 an. Auf den dagegen gerichteten "Widerspruch" des Klägers stellte der Beklagte durch Bescheid vom 4.11.2003 für die Zeit vom 1.11.2000 bis 20.1.2003 einen GdB von 30 sowie eine "dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit" fest. Dagegen legte der Kläger erneut Widerspruch ein. Zugleich erklärte er sich mit den für die Zeit ab 21.1.2003 getroffenen Feststellungen einverstanden. Soweit der Widerspruch danach noch offen war, wies ihn der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 1.4.2004 zurück.

4

Mit seiner Klage hat der Kläger die Feststellung eines GdB von mindestens 50 für die Zeit vom 4.1.1998 bis 20.1.2003 beansprucht. Nach Beweisaufnahme hat das Sozialgericht Stuttgart (SG) die Klage abgewiesen (Urteil vom 11.12.2006). Hinsichtlich der Zeit vom 4.1.1998 bis 31.10.2000 sei die Klage unzulässig, weil dem Kläger das nach ständiger Rechtsprechung für die rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft geforderte besondere Rechtsschutzinteresse fehle. Hinsichtlich der Zeit vom 1.11.2000 bis 20.1.2003 sei die Klage zwar zulässig, weil der Kläger insoweit ein besonderes Interesse an der Feststellung seiner Schwerbehinderteneigenschaft habe. Werde diese festgestellt, habe er ab diesem Zeitpunkt Anspruch auf abschlagsfreie Rente. Die Klage sei indes unbegründet, da sich für die Zeit vom 1.11.2000 bis 20.1.2003 nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein höherer GdB als 30 nicht feststellen lasse.

5

Während des anschließenden Berufungsverfahrens hat der Beklagte mit Bescheid vom 12.1.2007 festgestellt, dass der GdB des Klägers ab 21.1.2003 90 betrage. Der Kläger hat weiterhin die Feststellung eines GdB von mindestens 50 für die Zeit vom 4.1.1998 bis 20.1.2003 beansprucht. Nach Beweisaufnahme hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) durch Urteil vom 23.3.2011 das Urteil des SG wie folgt geändert: Das beklagte Land ist unter weiterer Abänderung des Bescheides vom 21.3.2003 in der Gestalt der Bescheide vom 22.7.2003 und 4.11.2003 sowie des Widerspruchsbescheides vom 1.4.2004 verpflichtet worden, bei dem Kläger für die Zeit vom 1.11.2000 bis 20.1.2003 einen GdB von 40 festzustellen. Im Übrigen sind die Klage abgewiesen und die Berufung des Klägers zurückgewiesen worden. Diese Entscheidung hat das LSG wie folgt begründet:

6

Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage des Klägers betreffe die Zeit vom 4.1.1998 bis 20.1.2003. Soweit es sich um die Feststellung des GdB für diesen Zeitraum handele, sei keiner der erteilten Bescheide bestandskräftig geworden. Für die Zeit vom 4.1.1998 bis 30.10.2000 sei die Feststellung eines GdB abgelehnt, für die Zeit danach bis zum 20.1.2003 sei ein GdB von 30 festgestellt worden.

7

Hinsichtlich der GdB-Feststellung für die Zeit vom 4.1.1998 bis 31.10.2000 sei die Klage unzulässig, weil dem Kläger insoweit das notwendige Interesse, das über das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis hinausgehe, fehle. Dass ein Antragsteller für die rückwirkende Feststellung seiner Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch ein besonderes Interesse geltend machen müsse, folge aus § 6 Abs 1 S 2 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV). In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass rentenrechtliche Vorteile, die mit der Anerkennung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch zusammenhingen, ein solches besonderes Interesse darstellten. Dagegen habe das Bundessozialgericht (BSG) bereits in seinem Urteil vom 29.5.1991 ausgeführt, dass steuerliche Vorteile kein solches Interesse begründeten. Zwar habe das BSG in einem Beschluss vom 11.10.2006 ausgeführt, es sei angesichts des Widerspruchs, den das Urteil vom 29.5.1991 in der Literatur gefunden habe, wieder klärungsbedürftig geworden, welche Qualität die Interessen eines Behinderten haben müssten, damit Feststellungen nach dem SGB IX auch rückwirkend getroffen werden könnten. Dieser Beschluss, der in einem Prozesskostenhilfeverfahren ergangen sei, habe die weitere Rechtsprechung der Sozialgerichte jedoch nicht beeinflusst. Hiernach liege kein ausreichendes besonderes Interesse vor, wenn die rückwirkende Feststellung eines GdB lediglich mit der Begründung begehrt werde, es könnten noch steuerrechtliche Freibeträge geltend gemacht werden. Dem sei zu folgen. Die besonderen Freibeträge nach den §§ 33 und 33b Einkommensteuergesetz (EStG) seien nur mittelbare Folge der Statusfeststellung eines bestimmten GdB. Da die Einkommensteuerpflicht die meisten Bundesbürger treffe, könne das Interesse an einer besonderen steuerlichen Gestaltung nur als allgemeines, aber nicht als besonderes Interesse verstanden werden.

8

Hingegen bestehe für die Zeit vom 27.9.2002 an schon deshalb ein Rechtsschutzbedürfnis, weil der Antrag des Klägers auf Feststellung seines GdB am 26.9.2002 beim Versorgungsamt eingegangen sei. Weitergehend seien für die Zeit ab November 2000 bis zum Eingang des Feststellungsantrages rentenrechtliche Vorteile des Klägers denkbar, und zwar im Hinblick auf den Stichtag 16.11.2000 in § 236a Abs 4 SGB VI. Für den demnach zulässigerweise streitigen Zeitraum vom 1.11.2000 bis 20.1.2003 könne der Kläger die Feststellung eines GdB von 40 verlangen, jedoch nicht die Feststellung seiner Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch.

9

Diese Beurteilung ergebe sich aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme. Den Einzel-GdB für die psychischen Störungen entnehme der Senat im Wesentlichen dem Gutachten des Dr. V. Danach habe der Kläger an einer Anpassungsstörung mit leichter depressiver Reaktion gelitten, die auf der Grundlage der Nr 26.3 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) als leichtere psychische Störung zu Recht mit einem GdB von 20 bewertet worden sei. Den davon abweichenden Schlussfolgerungen des Sachverständigen Dr. H. sei dagegen nicht zu folgen. Auf neurologischem Gebiet hätten ab November 2000 noch keine Behinderungen bestanden jedenfalls keine mit einem GdB von mehr als 10. Dr. V. habe den vorliegenden Unterlagen entnommen, dass zu keinem Zeitpunkt neurologische Beschwerden wie etwa Ausfallerscheinungen diagnostiziert worden seien. Zwar habe der Kläger schon vor Januar 2003, nämlich im Februar 2002, einen Schlaganfall erlitten. Jedoch habe dieser Anfall keine für mehr als sechs Monate andauernden neurologischen Folgen gehabt. Weiterhin folge der Senat den Einschätzungen Dr. V., dass für die Migräne des Klägers kein GdB von mehr als 10 anerkannt werden könne. Es handele sich um eine leichtere Verlaufsform mit durchschnittlich einem Anfall pro Monat (Nr 26.2 AHP). Die orthopädischen Beeinträchtigungen seien entsprechend dem Vorschlag des Sachverständigen Dr. N. mit einem GdB von 20 zu bewerten, weil sie mittelgradige funktionelle Auswirkungen in (nur) einem Wirbelsäulenabschnitt hätten (Nr 26.18 AHP). Wegen gelegentlich geklagter Schmerzen im Knie sei ein GdB nicht zu bilden. Die von den behandelnden Ärzten beschriebenen Hörbehinderungen des Klägers bedingten in Anwendung der Nr 26.5 AHP einen GdB von 20. Schließlich sei für die Herzrhythmusstörungen des Klägers die Annahme eines GdB von höchstens 10 (Nr 26.9 AHP) gerechtfertigt. Aus den genannten Einzel-GdB ergebe sich bei integrierender Betrachtung, wie von Dr. N. vorgeschlagen, ein Gesamt-GdB von 40.

10

Der Senat lasse "im Hinblick auf die Frage, ob die Klage des Klägers für die Zeit vor dem 01.11.2000 unzulässig ist", die Revision zu. Nach dem derzeitigen Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei die Frage - ggf erneut - klärungsbedürftig, welche Qualität die Interessen eines Antragstellers an der rückwirkenden Feststellung eines GdB haben müssten, um "besondere Interessen" iS von § 6 Abs 1 S 2 SchwbAwV zu sein und ob insbesondere einkommensteuerrechtliche Vorteile ausreichten. Diese Frage sei auch nach dem Urteil des BSG vom 29.5.1991 nicht vollständig beantwortet, nachdem es dort um ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X gegangen sei, hier indes eine Erstfeststellung in Rede stehe.

11

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von Bundesrecht. Zu Unrecht habe das LSG die Auffassung vertreten, er könne sich für den Zeitraum vom 4.1.1998 bis 31.10.2000 nicht auf ein "besonderes Interesse" iS von § 6 Abs 1 S 2 SchwbAwV berufen. Vielmehr genügten die einkommensteuerrechtlichen Erleichterungen in § 33b Abs 3 EStG mit der Möglichkeit steuerermäßigender Pauschbeträge, um ein derartiges besonderes Interesse anzunehmen. Wie § 33b EStG zu entnehmen sei, kämen nur stärker behinderte Menschen mit einem GdB von mindestens 25 in den Genuss der Pauschbeträge. Schwerbehindertenrechtlich sei demgegenüber gemäß § 69 Abs 1 S 6 SGB IX die Feststellung eines GdB bereits dann zu treffen, wenn ein solcher von wenigstens 20 vorliege, so dass "in der Pauschbetragsmöglichkeit ein 'besonderes Interesse' zu sehen" sei.

12

Die Klage sei zudem mindestens für die Zeit ab 1.11.2000 begründet. Das LSG habe insoweit den GdB unter Verstoß gegen die Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung und die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen unzutreffend und mit 40 zu niedrig festgestellt.

13

Schon das SG habe bei der schwerbehindertenrechtlichen Beurteilung der bei ihm bereits vor der Lendenwirbel-Bandscheibenoperation im Januar 2002 bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der Lenden- und Halswirbelsäule wesentliche Befunde außer Betracht gelassen. Diese hätten es nahegelegt, den insoweit festzustellenden Teil-GdB auf mindestens 30 festzusetzen. Soweit das LSG die Wirbelsäulenschäden für die Zeit ab November 2000 lediglich mit einem Teil-GdB von 20 bewertet habe, habe es unbeachtet gelassen, dass die untersuchenden Radiologen bereits im Januar 1998 für nahezu den gesamten Bereich der Lendenwirbelsäule osteochondrotische Veränderungen beschrieben hätten. Die behandelnde Neurologin habe schon im Februar 1998 ausgeprägte verschleißhafte Wirbelsäulenveränderungen beschrieben. Gänzlich außer Betracht gelassen worden sei ausweislich der Entscheidungsgründe auch der Umstand, dass er - der Kläger - in der Zeit vom 4.1.1998 bis jedenfalls mindestens zum 20.1.2003 unter schwerwiegenden verschleißhaften Veränderungen der Halswirbelsäule gelitten habe. Dies habe die behandelnde Neurologin bereits im Februar 1998 beschrieben. Auch aus anderen ärztlichen Befundberichten des Jahres 1998 ergäben sich entsprechende Hinweise. Insgesamt hätte nach den Empfehlungen der AHP bei zwei mittelgradigen bis schweren funktionellen Beeinträchtigungen der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte der GdB mit mindestens 30 angesetzt werden müssen. Zumindest hätte sich das LSG gedrängt fühlen müssen, den Sachverständigen Dr. N. ergänzend zu befragen und aufzuklären, weshalb dieser die Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der Halswirbelsäule gänzlich bei der Ermittlung des Teil-GdB für die Wirbelsäule außer Betracht gelassen habe. Insoweit liege eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht vor.

14

Die freie richterliche Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) sei zudem insoweit überschritten, als das LSG wegen der seit dem 4.1.1998 nachgewiesenen Migräneerkrankung lediglich einen Teil-GdB von 10 angenommen habe, obwohl nach den insoweit maßgeblichen AHP mindestens ein GdB von 20 für eine mittelgradige Verlaufsform mit häufigeren Anfällen angemessen sei. Das LSG sei zu Unrecht von einer nur leichteren Verlaufsform mit durchschnittlich einem nachgewiesenen Anfall pro Monat ausgegangen. Diese Feststellung lasse in entscheidungserheblicher Weise Teile des Gesamtergebnisses des Verfahrens außer Acht. Gegenteilige Hinweise fänden sich in verschiedenen Befundberichten der behandelnden Ärzte. Schließlich hätte sich das LSG gedrängt fühlen müssen, bei dem neurologisch befassten Sachverständigen Dr. V. nachzufragen, nachdem dieser in seinem Gutachten vom 29.12.2010 die hausärztlich bestätigte durchgängige Migräneneigung offenkundig nicht erkannt oder jedenfalls nicht in seinem Gutachten berücksichtigt habe.

15

Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des LSG Baden-Württemberg vom 23.3.2011 sowie unter weiterer Abänderung des Urteils des SG Stuttgart vom 11.12.2006 das beklagte Land unter Abänderung der Bescheide vom 21.3.2003 in der Gestalt der Bescheide vom 22.7.2003 und 4.11.2003 sowie des Widerspruchsbescheides vom 1.4.2004 zu verpflichten, bei ihm für die Zeit vom 4.1.1998 bis 20.1.2003 einen GdB von mindestens 50 festzustellen.

16

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

17

Er schließt sich dem angefochtenen Urteil an.

18

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

19

1. Die Revision des Klägers ist zulässig, soweit er für die Zeit vom 4.1.1998 bis zum 31.10.2000 die Feststellung eines GdB von mindestens 50 begehrt; hinsichtlich des entsprechenden Anspruchs für die Zeit vom 1.11.2000 bis zum 20.1.2003 ist sie unzulässig.

20

a) Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, wie schon im Klage- und Berufungsverfahren, der Anspruch des Klägers auf Feststellung eines GdB von wenigstens 50 für beide Zeiträume, wobei für die Zeit vom 4.1.1998 bis 31.10.2000 zusätzlich streitig ist, ob überhaupt die Feststellung eines GdB zu erfolgen hat. Sofern sich der Streit - wie hier - auf Grund und Höhe des GdB für bestimmte Zeiträume bezieht, handelt es sich um abtrennbare, tatsächlich und rechtlich selbstständige Teile des Streitstoffs, die einer getrennten rechtlichen Betrachtung zugänglich sind.

21

Die behördliche Feststellung eines GdB (s allgemein zuletzt BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 SB 3/10 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 13) ist, da sich der GdB - abhängig vom Gesundheitszustand eines Menschen - jederzeit verändern kann, aus der Natur der Sache heraus auf bestimmbare Zeiträume zu beziehen. Demzufolge ist über den GdB auf Antrag (Erstantrag gemäß § 69 Abs 1 S 1 SGB IX; Verschlimmerungsantrag gemäß § 48 SGB X) des Menschen mit Behinderung oder von Amts wegen (Änderung wegen Zustandsverbesserung oder -verschlechterung gemäß § 48 SGB X) uU für abgegrenzte Zeiträume unterschiedlich zu entscheiden. Ebenso kann für bestimmte Zeiträume nachträglich abweichend entschieden werden, wenn sich die Feststellung des GdB als zu niedrig oder zu hoch herausstellt (Überprüfung gemäß § 44 Abs 2 SGB X, auch auf Antrag; Rücknahme gemäß § 45 SGB X).

22

b) Die Revision ist vom LSG im Urteilsausspruch unbeschränkt zugelassen worden und damit insgesamt statthaft. Zwar mag angesichts der vom LSG für die Zulassung der Revision gegebenen Begründung, die Zulassung erfolge im Hinblick auf die Frage, ob die Klage für die Zeit vor dem 1.11.2000 unzulässig ist, fraglich sein, ob die Revisionszulassung den gesamten Zeitraum vom 4.1.1998 bis 20.1.2003 umfasst. Das reicht jedoch nicht aus, um eine beschränkte Zulassungsentscheidung anzunehmen. Unter Berücksichtigung der weiteren allgemein gehaltenen Ausführungen zur Begründung der Revisionszulassung liegt in dieser Aussage nämlich keine eindeutige Einschränkung des Umfangs der Revisionszulassung (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 160 RdNr 24a, 28c).

23

c) Die Revision ist hinsichtlich des Anspruchs auf Feststellung des GdB im Zeitraum vom 1.11.2000 bis 20.1.2003 unzulässig, denn ihre Begründung genügt insoweit nicht den Anforderungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Nach dieser Vorschrift muss die Begründung der Revision (s § 164 Abs 2 S 1 SGG) einen bestimmten Antrag enthalten sowie die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Zweck der Vorschrift ist es, im Interesse der Entlastung des Revisionsgerichts sicherzustellen, dass der Revisionsführer das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel der Revision und mit Blickrichtung hierauf die Rechtslage genau überprüft (BSG SozR 1500 § 164 Nr 12; BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 2). Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (s nur BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 9, 11, 12; Leitherer, aaO, § 164 RdNr 9c mwN) verlangt die Norm, dass in der Revisionsbegründung die Gründe dargelegt werden, die das angefochtene Urteil als unrichtig erscheinen lassen. Bei der Rüge von Verfahrensmängeln müssen die maßgeblichen Vorgänge so genau angegeben werden, dass das Revisionsgericht sie, die Richtigkeit des Vorbringens unterstellt, ohne weitere Ermittlungen beurteilen kann (Leitherer, aaO, RdNr 12). Erforderlich ist insoweit eine Darlegung, die das Revisionsgericht in die Lage versetzt, beurteilen zu können, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann.

24

Der Kläger greift das Urteil des LSG hinsichtlich des Zeitraumes vom 1.11.2000 bis 20.1.2003 zunächst mit der Behauptung einer Überschreitung der Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG)an. Bei einer solchen Rüge muss nicht nur ein relevanter Verstoß (zB gegen Denk- und Erfahrungssätze) bezeichnet, sondern auch angegeben werden, zu welchem Ergebnis die Beweiswürdigung hätte führen müssen. Hinsichtlich einer Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG hat der Kläger im Kern zutreffend den Inhalt des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung sowie die Maßstäbe der revisionsgerichtlichen Überprüfbarkeit dargestellt, seine nachfolgende Darlegung vermeintlicher Rechtsverletzungen des LSG jedoch daran nicht genügend ausgerichtet.

25

Dem Kläger ist es nicht gelungen darzustellen, dass das LSG bei der Ermittlung des GdB durch Verwertung der vorliegenden Beweismittel (ärztliche Befundberichte und Gutachten) gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht berücksichtigt habe (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 128 RdNr 10 ff). Er behauptet, dass das LSG seiner Pflicht zur umfassenden Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens (s dazu Keller, aaO, RdNr 13 mwN) nicht entsprochen habe, indem es verschiedene ärztliche Befunde nicht berücksichtigt habe. Zur nachvollziehbaren Darstellung des behaupteten Verstoßes hätte der Kläger zunächst anhand des Inhalts des Berufungsurteils genau aufzeigen müssen, inwiefern die von ihm benannten Befunde darin nicht berücksichtigt worden seien. Da sich das LSG im Wesentlichen auf die Beurteilungen durch gerichtliche Sachverständige gestützt hat, hätte der Kläger zudem im Einzelnen darstellen müssen, dass in den Gutachten dieser Sachverständigen bestimmte ärztliche Befunde keine Berücksichtigung gefunden hätten. Daran mangelt es. Hingegen reicht es nicht aus, wenn der Kläger geltend machen wollte, die betreffenden Befunde hätten anders gewürdigt werden müssen (vgl dazu Leitherer, aaO, § 164 RdNr 12c).

26

Soweit der Kläger als Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) beanstandet, dass das LSG die gerichtlichen Sachverständigen Dr. N. und Dr. V. nicht ergänzend zu von ihm - dem Kläger - für weiter aufklärungsbedürftig gehaltenen Punkten befragt habe, hat er die entsprechenden Rechtsverletzungen ebenfalls nicht nachvollziehbar dargestellt. Eine Verletzung des § 103 SGG liegt vor, wenn sich das Tatsachengericht auf der Grundlage seiner eigenen materiell-rechtlichen Auffassung hätte gedrängt fühlen müssen, weitere Ermittlungen anzustellen(Leitherer, aaO, § 103 RdNr 20 mwN). Zwar kann sich ein Beteiligter zur Begründung seiner Revision - anders als im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG) - auf einen entsprechenden Verfahrensmangel auch dann stützen, wenn er einen Beweisantrag, dem das Gericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist, nicht ausdrücklich bezeichnet. Ein Gedrängt-Fühlen-Müssen des LSG ist jedoch - von offensichtlichen Fallgestaltungen abgesehen - nur dann anzunehmen, wenn das LSG durch den Beteiligten darauf hingewiesen worden ist, dass und inwiefern er die Sachaufklärung noch nicht als ausreichend erfolgt ansieht. Dass der Kläger dem LSG solche Hinweise gegeben habe, hat er nicht behauptet. Er hat zwar dargestellt, warum seines Erachtens das LSG die Sachverständigen hätte ergänzend befragen müssen, jedoch nicht ausgeführt, dass und wie er dem LSG den betreffenden Ermittlungsbedarf nahegelegt habe. Überdies hat der Kläger auch nicht dargelegt, zu welchem Ergebnis die ergänzende Befragung der Sachverständigen voraussichtlich geführt hätte (vgl dazu Leitherer, aaO, § 164 RdNr 12c).

27

d) Hinsichtlich des Anspruchs auf Feststellung eines GdB im Zeitraum vom 4.1.1998 bis 31.10.2000 ist die Revision zulässig. Formen und Fristen sind eingehalten. Ihre Begründung genügt den Anforderungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Der Kläger macht schlüssig geltend, dass das LSG zu Unrecht das Prozessurteil des SG bestätigt und ihm insoweit eine Sachentscheidung verwehrt habe (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 55; BSG SozR 3-1500 § 73 Nr 10).

28

2. Die Revision des Klägers ist auch begründet, soweit die Feststellung des GdB des Klägers für die Zeit vom 4.1.1998 bis 31.10.2000 im Streit ist. Sie führt zur entsprechenden Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.

29

a) Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist die Klage in Bezug auf den genannten Zeitraum zulässig. Alle Prozessvoraussetzungen sind erfüllt.

30

Es handelt sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG). Angefochten ist zunächst der Bescheid vom 21.3.2003. Darin ist zwar nicht ausdrücklich erklärt, dass für die Zeit vor dem 1.11.2000 die Feststellung eines GdB abgelehnt werde. Da der Antrag des Klägers vom 26.9.2002 auf Feststellung eines GdB und Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises ab dem 4.1.1998 gerichtet war, liegt in der im Bescheid vom 21.3.2003 getroffenen Feststellung eines GdB von 20 für die Zeit ab dem 1.11.2000 jedoch zugleich die Ablehnung der Feststellung eines GdB für die Zeit davor. Nach dem für den Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts (s § 31 SGB X) maßgeblichen sogenannten Empfängerhorizont (Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 31 RdNr 26 mwN), konnte der Kläger den Bescheid vom 21.3.2003 in diesem Sinne verstehen und hat ihn, wie seine Widerspruchsbegründung belegt, auch so verstanden. Diese ablehnende Entscheidung betreffend die Zeit vom 4.1.1998 bis 31.10.2000 ist vom Beklagten in der Folgezeit in allen erteilten Abhilfe-, Änderungs- und Widerspruchsbescheiden aufrechterhalten worden. Ebenso hat der Kläger sein Ziel, der Beklagte möge für diesen Zeitraum das Bestehen eines GdB von mindestens 50 sowie die Eigenschaft als Schwerbehinderter (zur Differenzierung s BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 SB 1/10 R - juris RdNr 16, 17, SozialVerw 2011, 11) feststellen, bis zur Entscheidung des LSG stets weiter verfolgt. In diesem Umfang erstrebt er auch im Revisionsverfahren eine entsprechende Verpflichtung des Beklagten.

31

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen hat der Kläger für dieses Klagebegehren durchaus ein allgemeines Rechtsschutzinteresse und eine Klagebefugnis. Das allgemeine Rechtsschutzinteresse besteht, wenn der Kläger seine Rechte nicht auf einfachere Weise verwirklichen kann. Die Klagebefugnis erfordert demgegenüber die generelle Möglichkeit der Verletzung eigener Rechte des Klägers (zur Unterscheidung s nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, Vor § 51 RdNr 16a mwN). Ist die Klagebefugnis zu bejahen, ist das Rechtsschutzbedürfnis regelmäßig gegeben (Keller, aaO, mwN). Die Befugnis, eine gerichtliche Entscheidung - hier gegenüber dem Beklagten - verlangen zu können, wird schon durch die Behauptung des Klägers belegt, die angestrebte Entscheidung könne seine rechtliche oder wirtschaftliche Stellung verbessern. Die bloße Geltendmachung im Sinne der Behauptung einer Möglichkeit (s dazu Keller, aaO, § 54 RdNr 9, 10 mwN) reicht hier aus (s insbesondere BSG Urteil vom 5.7.2007 - B 9/9a SB 2/07 R - BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6 RdNr 16, 18).

32

Soweit SG und LSG die Klage als unzulässig angesehen haben, weil der Kläger nicht die Voraussetzungen für eine vor den Zeitpunkt der Antragstellung zurückreichende Feststellung des GdB nach § 6 Abs 1 S 2 SchwbAwV erfülle, haben sie Inhalt und Reichweite der Prozessvoraussetzungen des allgemeinen Rechtsschutzinteresses und der Klagebefugnis verkannt. Zutreffend hat das LSG zwar ausgeführt, dass das - nach § 6 Abs 1 S 2 SchwbAwV erforderliche - besondere Interesse über das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis hinausgehe. Das besondere Interesse nach dieser Vorschrift betrifft jedoch gerade deswegen nicht die Zulässigkeit, sondern die Begründetheit der Klage. Fehlt es, ist die Klage unbegründet.

33

b) Nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens vermag der erkennende Senat die Annahme des SG und LSG nicht zu bestätigen, dass der Kläger für die Zeit vom 4.1.1998 bis 31.10.2000 ein besonderes Interesse an der Feststellung seines GdB nicht besitze. Dieser hat zwar bisher ein derartiges Interesse nicht glaubhaft gemacht. Nach den Tatsachenfeststellungen des LSG lässt sich ein besonderes Interesse des Klägers an der begehrten rückwirkenden Feststellung des GdB jedoch nicht ausschließen.

34

aa) Der Anspruch des Klägers auf Feststellung eines GdB von mindestens 50 für die Zeit vom 4.1.1998 bis 31.10.2000 richtet sich nach dem Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz - SchwbG -) idF der Neubekanntmachung vom 26.8.1986 (BGBl I 1421, ber 1550), das bis zum 30.6.2001 gegolten hat. Die Vorschriften des SGB IX vom 19.6.2001 (BGBl I 1046) sind zum 1.7.2001 in Kraft getreten und erfassen damit Lebenssachverhalte erst von diesem Zeitpunkt an. Allerdings sind die hier maßgeblichen Vorschriften des SchwbG im Wesentlichen inhaltsgleich mit denen des SGB IX.

35

           

Nach § 4 Abs 1 S 1 SchwbG stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag des Behinderten das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Außerdem stellen diese Behörden gemäß § 4 Abs 5 S 1 SchwbG auf Antrag des Behinderten ua aufgrund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als Schwerbehinderter und den GdB aus. Die Einzelheiten der Ausweisausstellung sind in der SchwbAwV (Näheres s BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 SB 3/10 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 13 RdNr 22) geregelt. § 6 Abs 1 S 1 und 2 SchwbAwV idF der hier einschlägigen Bekanntmachung vom 25.7.1991 (BGBl I 1739) bestimmt dazu:

Auf der Rückseite des Ausweises ist als Beginn der Gültigkeit des Ausweises einzutragen:

1.    

in den Fällen des § 4 Abs 1 und 4 SchwbG der Tag des Eingangs des Antrags auf Feststellung nach diesen Vorschriften,

2.    

…       

Ist auf Antrag des Schwerbehinderten nach Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses festgestellt worden, dass die Eigenschaft als Schwerbehinderter, ein anderer GdB oder ein oder mehrere gesundheitliche Merkmale bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben, ist zusätzlich das Datum einzutragen, von dem ab die jeweiligen Voraussetzungen mit dem Ausweis nachgewiesen werden können.

36

Der erkennende Senat hat sich zuletzt in seinem Urteil vom 7.4.2011 (aaO) zu dem Anspruch des behinderten Menschen auf eine vor seinen Feststellungsantrag zurückwirkende Feststellung eines GdB geäußert. In Abgrenzung zu seinem Urteil vom 29.5.1991 (- 9a/9 RVs 11/89 - BSGE 69, 14 = SozR 3-1300 § 44 Nr 3) hat er entschieden, dass für die behördliche Erstfeststellung, dass ein GdB von 50 bereits zu einem Zeitpunkt vor der Antragstellung vorgelegen hat, (nur) die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses erforderlich ist und eine solche rückwirkende Feststellung im Erstfeststellungsverfahren, um das es sich auch hier handelt, nicht auf offensichtliche Fälle beschränkt ist.

37

Hinsichtlich der auf Antrag des behinderten Menschen gesetzlich vorgeschriebenen behördlichen Feststellung der Behinderung und des GdB (s § 4 Abs 1 S 1 SchwbG, § 69 Abs 1 S 1 SGB IX) hat der Senat darauf hingewiesen, dass im Gesetz zwar nicht geregelt war und ist, von welchem Zeitpunkt an diese Entscheidung zu treffen ist. Hinreichende Maßgaben zur Bestimmung des Wirksamkeitsbeginns einer GdB-Feststellung lassen sich jedoch aus dem Sinn und Zweck solcher Feststellungen und dem Erfordernis einer Vermeidung unnötigen Verwaltungsaufwandes herleiten. Dabei ist davon auszugehen, dass es sich um Statusfeststellungen handelt, die in einer Vielzahl von Lebensbereichen die Inanspruchnahme von Vorteilen und Nachteilsausgleichen ermöglichen sollen. Da eine derartige Inanspruchnahme regelmäßig nicht (für längere Zeit) rückwirkend möglich ist, reicht es grundsätzlich aus, wenn die GdB-Feststellung für die Zeit ab Antragstellung erfolgt. Mit der Stellung des Antrags bringt nämlich der behinderte Mensch der Behörde gegenüber sein Interesse an einer verbindlichen Statusfeststellung erstmalig zum Ausdruck. Insofern ist es sachgerecht, von dem behinderten Menschen die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses zu verlangen, wenn er seinen GdB ausnahmsweise schon für einen vor der Antragstellung liegenden Zeitraum festgestellt haben möchte. Diese aus dem SchwbG - und dem SGB IX - herzuleitenden rechtlichen Grundsätze haben ihren Niederschlag in den gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften über die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises gefunden. Dazu gehört auch die Regelung des § 6 Abs 1 S 2 SchwbAwV.

38

bb) Zur Eingrenzung des Begriffs des besonderen Interesses, wie er sich in § 6 Abs 1 S 2 SchwbAwV findet, hat der Senat(SozR 4-3250 § 69 Nr 13 RdNr 24) ähnliche Maßstäbe zugrunde gelegt wie bei dem Anspruch eines im Ausland lebenden Menschen mit Behinderung auf Feststellung seines GdB in Deutschland. Im Ergebnis ist danach das besondere Interesse anzunehmen, wenn dem Menschen mit Behinderung aus der - rückwirkenden - Feststellung seines GdB konkrete Vorteile erwachsen können. Als entsprechenden Vorteil hatte das BSG zuvor bereits die - grundsätzliche - Möglichkeit der Inanspruchnahme einer gesetzlichen Altersrente für schwerbehinderte Menschen anerkannt (BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 5; BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6). In seinem Urteil vom 7.4.2011 (aaO) hat der Senat im Einklang mit der dortigen Vorinstanz auch die Möglichkeit des Bezuges einer abschlagsfreien Altersrente ausreichen lassen, um ein besonderes Interesse an der vor die Antragstellung zurückwirkenden Feststellung eines GdB von 50 als Grundlage für die Feststellung der Schwerbehinderung (s § 2 Abs 2 SGB IX) anzunehmen.

39

Im vorliegenden Rechtsstreit ist die Inanspruchnahme von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung - entgegen der letzten Stellungnahme des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Schriftsatz vom 13.9.2011 - nicht von Bedeutung, soweit es Feststellungen für den Zeitraum vom 4.1.1998 bis 31.10.2000 betrifft. Für die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Rente für schwerbehinderte Menschen mit Vollendung des 60. Lebensjahres ohne gesetzliche Abschläge ist, worauf das LSG zutreffend hingewiesen hat, die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft für die Zeit vor dem 1.11.2000 nicht erforderlich. Gesetzlicher Stichtag ist nach § 236a Abs 4 SGB VI der 16.11.2000. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte, die - wie der Kläger - vor dem 17.11.1950 geboren sind und am 16.11.2000 schwerbehindert (§ 2 Abs 2 SGB IX) waren, Anspruch auf "diese" Altersrente (für schwerbehinderte Menschen), wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben, bei Beginn der Altersrente als schwerbehinderte Menschen anerkannt waren und die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben. Die Vorschrift setzt somit nicht voraus, dass der Versicherte bereits am 16.11.2000 60 Jahre alt war. Ebenso wenig ist erforderlich, dass die Schwerbehinderung an diesem Tag bereits anerkannt (festgestellt) war. Vielmehr reicht es aus, wenn im Zeitpunkt des Rentenbeginns eine auf den 16.11.2000 bezogene Feststellung der Schwerbehinderung vorliegt.

40

Soweit der Kläger zur Begründung eines besonderen Interesses an der Feststellung seines GdB schon für die Zeit ab dem 1.4.1998 anführt, er wolle insoweit Steuervorteile in Anspruch nehmen, hat sich das BSG mit dieser Problematik sachlich noch nicht abschließend befasst. Zwar war es auch in dem durch das Urteil vom 29.5.1991 (BSGE 69, 14 = SozR 3-1300 § 44 Nr 3) entschiedenen Revisionsverfahren Ziel des dortigen Klägers, Steuervorteile in Anspruch zu nehmen. Einer sachlich-rechtlichen Beurteilung dieses Ziels bedurfte es jedoch nicht, weil eine abschließende Entscheidung allein im Hinblick auf die spezifischen Bestimmungen des § 44 Abs 2 iVm Abs 4 S 1 SGB X möglich war.

41

Nach Auffassung des Senats kann auch die beabsichtigte Inanspruchnahme von konkreten Steuervorteilen ein besonderes Interesse an einer vor die Antragstellung zurückreichenden Feststellung des GdB begründen. Die bisher zu dieser Frage ergangenen instanzgerichtlichen Entscheidungen, die ein besonderes Interesse verneint haben, überzeugen nicht.

42

Das LSG für das Saarland (Beschluss vom 5.11.2002 - L 5 B 12/01 SB) hat maßgebend darauf abgehoben, dass die rückwirkende Feststellung auf offenkundige Fälle beschränkt bleiben müsse. Dass diese rechtliche Voraussetzung in Verfahren der Erstfeststellung des GdB nicht gilt, hat das BSG unlängst entschieden (Urteil vom 7.4.2011, aaO). Das SG Dortmund (Urteil vom 29.3.2004 - S 43 SB 20/03) hat es für entscheidend gehalten, dass steuerliche Vergünstigungen für im Arbeitsleben stehende behinderte Menschen die typische Folge der Feststellung eines GdB seien und daher ein besonderes Interesse an dessen rückwirkender Feststellung nicht begründen könnten. Diese Argumentation greift zu kurz, denn damit ließe sich in Bezug auf jeden einer großen Personenzahl zugänglichen Vorteil, der sich aus der Feststellung eines GdB oder der Schwerbehinderung ableiten lässt, das von § 6 Abs 1 S 2 SchwbAwV verlangte besondere Interesse verneinen.

43

Das im hiesigen Revisionsverfahren angefochtene Urteil des LSG schließlich hat seine Beurteilung allein mit dem Hinweis auf das Urteil des BSG vom 29.5.1991 (- 9a/9 RVs 11/89 - BSGE 69, 14 = SozR 3-1300 § 44 Nr 3) begründet. Das BSG habe ausgeführt, dass steuerliche Vorteile ein besonderes Interesse nicht darstellen könnten. Diese Begründung trifft nicht zu. In seinem Urteil vom 29.5.1991 hat sich das BSG nicht in diesem Sinne geäußert. Insbesondere hat es nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass die beabsichtigte Inanspruchnahme von Steuervorteilen ein besonderes Feststellungsinteresse begründen könne. Seine vom LSG zitierten Ausführungen führen allein zu der Schlussfolgerung, dass die weitere Rückwirkung eines Antrags, wie sie in § 6 Abs 1 S 2 SchwbAwV vorgesehen ist, auf offenkundige Fälle beschränkt werden muss, in denen bei Anwendung des § 44 Abs 2 SGB X auch das pflichtgemäße Ermessen die rückwirkende Aufhebung begründen kann. Diesbezüglich hat der Senat bereits klargestellt, dass für die Erstfestsetzung eines GdB zu einem vor der Antragstellung liegenden Zeitpunkt nur die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses erforderlich ist und eine solche rückwirkende Feststellung nicht auf offenkundige Fälle beschränkt ist.

44

Zwar bringt die Zuerkennung eines Pauschbetrages nach § 33b EStG für ein bestimmtes Kalenderjahr dem behinderten Menschen wohl weitaus weniger finanzielle Vorteile als die Vermeidung eines - lebenslangen - Rentenabschlages. Um einen nennenswerten finanziellen Vorteil handelt es sich indes gleichwohl. Der Senat sieht keinen Grund, warum derartige Vorteile kein besonderes Interesse iS des § 6 Abs 1 S 2 SchwbAwV begründen sollen. Entscheidend ist, dass diese Vorteile für den Antragsteller bei einer rückwirkenden Feststellung des GdB auch konkret in Betracht kommen müssen.

45

cc) Unter welchen tatsächlichen Umständen ein besonderes Interesse an der rückwirkenden GdB-Feststellung angenommen werden kann, wird durch den Begriff der Glaubhaftmachung bestimmt. Insoweit reicht die bloße Behauptung des Antragstellers, Steuervorteile in Anspruch nehmen zu wollen, nicht aus, um ein besonderes Interesse als glaubhaft gemacht anzusehen.

46

Der in § 6 Abs 1 S 2 SchwbAwV verwendete Begriff der Glaubhaftmachung ist ua bekannt aus dem gerichtlichen Beweisrecht(s § 294 ZPO). Er findet dort in bestimmten Bereichen Anwendung, in denen ein an Sicherheit grenzender Nachweis von Tatsachen aus bestimmten Gründen nicht möglich ist oder durch Erleichterung der Beweisanforderungen eine Beschleunigung des Verfahrens erreicht werden soll (vgl zB § 406 Abs 3 ZPO; § 178a Abs 2 S 1 Halbs 2 SGG). Die Glaubhaftmachung ist eine Beweisführung, die dem Richter einen geringeren Grad der Wahrscheinlichkeit vermitteln soll (Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl 2011, § 294 RdNr 1; s auch BSG SozR 5070 § 3 Nr 1 und SozR 3-3900 § 15 Nr 4). Herkömmlicherweise wird beweisrechtlich unterschieden zwischen dem sog Vollbeweis und der sog Glaubhaftmachung. Während beim Vollbeweis die betreffende Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur vollen Überzeugung festgestellt werden muss, reicht bei der Glaubhaftmachung die Annahme einer überwiegenden und damit hinreichenden Wahrscheinlichkeit für deren Bestehen aus. Dazu wiederum ist ausreichend, dass mehr Umstände für das Vorliegen der Tatsache als dagegen sprechen. Zudem ist die Glaubhaftmachung nicht an die förmlichen Beweismittel der ZPO gebunden (Reichold, aaO). Den Wahrscheinlichkeitsbeweis hat - wie den Vollbeweis - derjenige zu führen, dem die Feststellung der Tatsache rechtlich zugute kommt.

47

Auch außerhalb des gerichtlichen Beweisrechts findet die Glaubhaftmachung Anwendung, etwa im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung. Bei Fehlen von Versicherungsunterlagen für Zeiten vor dem 1.1.1950 (§ 286a SGB VI) oder für die Feststellung von erheblichen Tatsachen nach dem Fremdrentengesetz (FRG) ist die Glaubhaftmachung der für den Anspruch erheblichen Tatsachen zugelassen und vorgeschrieben. § 4 Abs 1 S 2 FRG enthält im Übrigen eine gesetzliche Begriffsbestimmung. Danach ist eine Tatsache glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist.

48

Auch das Verwaltungsverfahrensrecht der Kriegsopferversorgung, das in anderen Gesetzen des sozialen Entschädigungsrechts für entsprechend anwendbar erklärt wird (vgl zB § 6 Abs 3 Opferentschädigungsgesetz), kennt die Glaubhaftmachung (s § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung -KOVVfG-). Nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 3-3900 § 15 Nr 4) ist im sozialen Entschädigungsrecht sogar von drei Beweismaßstäben, nämlich vom Vollbeweis, von der Wahrscheinlichkeit und der Glaubhaftmachung, auszugehen. Dies erklärt sich aus § 15 KOVVfG, der von der Möglichkeit einer Glaubhaftmachung ohne Unterlagen allein aufgrund der Angaben des Antragstellers ausgeht. Ein Anlass, diese Besonderheit auf das Schwerbehindertenrecht zu übertragen, besteht indes nicht, auch wenn das KOVVfG gemäß § 4 Abs 1 S 2 SchwbG(bzw § 69 Abs 1 S 3 SGB IX)grundsätzlich entsprechend anwendbar ist. Denn § 15 KOVVfG soll den im sozialen Entschädigungsrecht gelegentlich auftretenden Beweisschwierigkeiten in besonderer Weise Rechnung tragen(vgl dazu Knörr in Knickrehm , Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, §§ 12 bis 18 KOVVfG RdNr 5 ff).

49

Abgesehen von den dargestellten Beweiserleichterungen für denjenigen, der eine Tatsache glaubhaft zu machen hat, beinhaltet die normative Pflicht zur Glaubhaftmachung grundsätzlich auch die Verpflichtung des Antragstellers, alle notwendigen Tatsachen darzulegen und alle erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Diese Darlegungs- und Beibringungspflicht besteht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) auch im Rahmen der Glaubhaftmachung nach § 294 ZPO(BGH Beschluss vom 11.9.2003 - IX ZB 37/03 - BGHZ 156, 139). Danach ist es allein Sache der Partei, der die Last der Glaubhaftmachung obliegt, die Beweismittel beizubringen. Die Partei kann sich grundsätzlich aller Beweismittel auch außerhalb des gerichtlichen Beweisverfahrens nach §§ 355 ff ZPO bedienen und es genügt ein geringerer Grad der richterlichen Überzeugungsbildung.

50

Diese für den Zivilprozess entwickelte Rechtsprechung bedarf für Verwaltungs- und Gerichtsverfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz (s § 20 Abs 1 S 1 SGB X; § 103 S 1 SGG) der Modifikation. Die dem Beteiligten des entsprechenden Verfahrens (hier nach § 4 SchwbG iVm § 6 Abs 1 S 2 SchwbAwV) obliegende Pflicht zur Glaubhaftmachung durch Darlegung und ggf Vorlage entsprechender Beweismittel schränkt die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen ein, ohne sie jedoch gänzlich zu verdrängen. Die Amtsermittlungspflicht setzt allerdings erst dann ein, wenn der Antragsteller seinen Darlegungspflichten nachgekommen und die Wahrscheinlichkeit für den glaubhaft zu machenden Umstand dargetan hat (BSGE 45, 1, 9 = SozR 3900 § 40 Nr 9; BSG SozR 5070 § 3 Nr 1; BSG Beschluss vom 10.8.1989 - 4 BA 94/89). Weiter bleibt die Behörde zur Sachaufklärung verpflichtet, wenn der Antragsteller nach entsprechender Darlegung die zur Glaubhaftmachung notwendigen Unterlagen nicht selbst beschaffen kann und deren Beschaffung durch die Behörde selbst nicht unmöglich erscheint.

51

Darüber hinaus ist die Behörde verpflichtet, den Antragsteller auf seine Darlegungs- und Beibringungspflichten zur Glaubhaftmachung hinzuweisen und ihn notfalls aufzufordern, Fehlendes nachzuholen. Dies folgt aus der auch im Feststellungsverfahren des Schwerbehindertenrechts geltenden Pflicht zur Aufklärung und Beratung (vgl §§ 13, 14 SGB I).

52

Abhängig von den rechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des konkret in Rede stehenden wirtschaftlichen oder rechtlichen Vorteils kann dessen "Glaubhaftmachung" im Rahmen des Schwerbehindertenrechts (vgl § 6 Abs 1 S 2 SchwbAwV) weniger oder mehr Aufwand verlangen. Der Umfang der notwendigen Glaubhaftmachung richtet sich nach dem konkret angestrebten rechtlichen oder wirtschaftlichen Vorteil. Wird etwa als konkreter Vorteil geltend gemacht, eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung abschlagsfrei beziehen zu wollen, sind dafür andere Umstände wahrscheinlich zu machen als für die Behauptung, rückwirkend Steuervorteile in Anspruch nehmen zu wollen. Das liegt an den rechtlichen Unterschieden zwischen dem materiellen Rentenrecht und dem Steuerrecht ebenso wie an Unterschieden im jeweiligen Recht des Verwaltungsverfahrens.

53

Soweit § 4 SchwbG iVm § 6 Abs 1 S 2 SchwbAwV die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses verlangt, ist dem Antragsteller die Verpflichtung zur Darlegung auferlegt, dass für ihn steuerrechtliche Vorteile für die betreffende Zeit vor der Beantragung der Feststellung des GdB konkret erreichbar sind. Das wäre zB der Fall, wenn die Steuerbescheide für diesen Zeitraum noch nicht bindend wären, und zwar entweder insgesamt oder bezüglich der Anerkennung der Pauschbeträge für behinderte Menschen (§ 33b EStG). Entsprechend verhielte es sich, wenn der Antragsteller - bei Vorliegen eines bindenden Steuerbescheides - die Erfüllung der Voraussetzungen nach § 173 Abs 1 Nr 2 oder § 175 Abs 1 S 1 Nr 2 Abgabenordnung glaubhaft machen könnte. Zweckmäßigerweise sollte die entsprechende Glaubhaftmachung durch Vorlage einer Bescheinigung des zuständigen Finanzamtes erfolgen.

54

dd) Dass der Kläger nach diesen Kriterien bereits ein besonderes Interesse an einer Feststellung seines GdB für die Zeit vom 4.1.1998 bis 31.10.2000 glaubhaft gemacht hat, lässt sich den berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht entnehmen. Andererseits ist nicht ersichtlich, dass der Beklagte bereits seiner Verpflichtung nachgekommen ist, den Kläger auf seine Darlegungsobliegenheiten hinzuweisen und - falls notwendig - zur Ergänzung seiner Angaben aufzufordern. Demzufolge muss dem Kläger die Glaubhaftmachung auch im derzeitigen Stand des Verfahrens noch ermöglicht werden. Die Nichterfüllung der Hinweis- und Aufklärungspflicht durch den Beklagten führt im bereits anhängigen sozialgerichtlichen Verfahren dazu, dass das Tatsachengericht - hier das LSG - im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht den Kläger zur Darlegung und Vorlage entsprechender Nachweise aufzufordern hat. Dies hat das LSG von seinem Rechtsstandpunkt aus, dass die beabsichtigte Inanspruchnahme steuerlicher Vorteile unter keinen Umständen ein besonderes Interesse iS des § 6 Abs 1 S 2 SchwbAwV begründen könne, bislang konsequent unterlassen.

55

Da der Senat als Revisionsgericht die erforderlichen Ermittlungen nicht durchführen darf (vgl § 163 SGG), ist das Berufungsurteil in entsprechendem Umfang aufzuheben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (vgl § 170 Abs 2 S 2 SGG).

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Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

(1) Eine Änderung der Klage ist nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.

(2) Die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage ist anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen haben.

(3) Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrunds

1.
die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt werden,
2.
der Klageantrag in der Hauptsache oder in bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird,
3.
statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird.

(4) Die Entscheidung, daß eine Änderung der Klage nicht vorliege oder zuzulassen sei, ist unanfechtbar.

Die Erhebungen erfolgen jährlich für das abgelaufene Kalenderjahr.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.