Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 26. Juli 2017 - L 12 KA 13/16

bei uns veröffentlicht am26.07.2017

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 08.12.2015, S 28 KA 1344/14 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte und die Beigeladenen zu 2) und 6) tragen die Kosten des Berufungsverfahrens zu je 1/3. Die Kosten der übrigen Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die individuelle Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V durch die Zustellung des, die Beratung erstmalig festsetzenden, streitgegenständlichen Widerspruchsbescheids des Beklagten erfolgt ist.

Die Beigeladene zu 1. ist eine allgemeinärztliche Gemeinschaftspraxis. Gegen diese setzte die Prüfungsstelle im Rahmen einer Richtgrößenprüfung 2006 (Arzneimittel und Sprechstundenbedarf) mit Prüfbescheid vom 17.12.2008 wegen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um 26,12% einen Regress in Höhe von 5.744,64 EUR fest. Es handelte sich um die erste Richtgrößenprüfung der Beigeladenen zu 1.

Der Beklagte gab dem hiergegen eingelegten Widerspruch der Beigeladenen zu 1. mit Widerspruchsbescheid vom 8.7.2014 teilweise statt (Ziffer 1) und sprach statt des Regresses eine Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V aus (Ziffer 2 Satz 1). Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen (Ziffer 2 Satz 3). Es ergebe sich zwar nach der Bereinigung des Gesamtverordnungsvolumens um Praxisgegebenheiten eine neue (bereinigte) Überschreitung iHv 30,63%, allerdings habe gem. § 106 Abs. 5e SGB V abweichend von Abs. 5a bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent eine individuelle Beratung zu erfolgen. Der Ausnahmetatbestand des § 106 Abs. 5e SGB V sei hier erfüllt. Ein Regress sei daher nicht festzusetzen gewesen. Gemäß Ziffer 2 Satz 2 sollte die Beratung mit der Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolgen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 13.8.2014 Klage zum Sozialgericht München und stellte klar, dass sich die Klage nicht gegen den Ausspruch der Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V unter Ziffer 2 Satz 1 des Widerspruchsbescheides richte. Aufgehoben werden solle der Widerspruchsbescheid nur insoweit, als die Beratung mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolgt sein solle, denn an eine individuelle Beratung gem. § 106 Abs. 5e SGB V seien höhere Anforderungen zu stellen als an eine „schriftliche Beratung“ im Rahmen eines Maßnahmenfestsetzungsbescheids. Das Angebot einer individuellen Beratung setze voraus, dass die Prüfgremien auf die betroffenen Ärzte, sei es in schriftlicher oder mündlicher Form, zugingen und diesen eine Beratung, die speziell auf die jeweilige Praxis abgestimmt sei, zur Disposition stelle. Es bestehe keine Rechtsgrundlage dafür, dass die Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolge. Soweit den Prüfgremien bei der konkreten Ausgestaltung der Maßnahme nach § 106 Abs. 5e SGB V überhaupt ein eigenes Ermessen zugestanden werden könne, sei dieses vom Beklagten jedenfalls nicht ausgeübt worden. Die „individuelle Beratung“ iSd § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V unterscheide sich aufgrund der Begrifflichkeit von der „schriftlichen Beratung“ iSd § 106 Abs. 5a Satz 1 i.V.m. Abs. 1a SGB V. Zum einen ergebe sich aus § 106 Abs. 5e Satz 3 SGB V, dass den betroffenen Ärzten bei erstmaliger Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent eine individuelle Beratung „angeboten“ werden müsse. Bei einer mittels eines Bescheids einseitig auferlegten „schriftlichen“ Beratung werde weder auf die Vertragsärzte mit dem Ziel eines persönlichen Gesprächs zugegangen noch werde ihnen die Beratung zur Disposition gestellt. Der streitgegenständliche Widerspruchsbescheid unterscheide sich seinem Inhalt nach nicht von den üblichen schriftlichen Beratungen der Prüfgremien nach § 106 Abs. 5a Satz 1 SGB V. Konkrete Darlegungen zu betragsmäßigen Einsparpotentialen, geschweige denn zielführende Lösungsansätze lasse der Bescheid vermissen. Es sei eine klare Trennung zwischen Festsetzung der Maßnahme, deren Vollziehung sowie einer abschließenden Feststellung über die Vollziehung vorzunehmen. Es könne offen bleiben, ob eine individuelle Beratung bei Ärztinnen und Ärzten, die schon seit Jahren ihr Richtgrößenvolumen überschritten, eine bloße Förmelei darstellen würde. Jedenfalls handele es sich vorliegend um das erste Richtgrößenverfahren der Beigeladenen zu 1. Im Übrigen sei die individuelle Beratung in der ab dem Quartal 1/15 geltenden Prüfvereinbarung in deren § 17 ausdrücklich in der von der Klägerseite vertretenen Form geregelt. Warum der Beklagte für die Altquartale eine andere Auslegung weiterverfolge, erschließe sich der Klägerin nicht.

Der Beklagte trug vor, die Durchführung einer Beratung bezüglich eines Verordnungsverhaltens von vor neun Jahren sei nicht zielführend und bloße Förmelei. Der Beklagte habe den Zeitpunkt der individuellen Beratung davon abhängig zu machen, ob in dem erstinstanzlichen Bescheid Beratungspunkte aufgeführt gewesen seien oder nicht. Mangels Beratungspunkten im erstinstanzlichen Prüfbescheid sei vorliegend die Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Versand des Widerspruchsbescheids am 8.7.2014 erfolgt. Damit genieße die Beigeladene zu 1. bis einschließlich Quartal 3/2014 Regressschutz. Aus der Normenkette des § 106 Abs. 5e i.V.m Abs. 5a i.V.m. Abs. 1a SGB V ergebe sich lediglich eine Beratungsaufgabe der Prüfungsstelle anhand von Übersichten. Dies könne auch schriftlich im Bescheid erfolgen.

Das SG hat der Klage mit Urteil vom 8. Dezember 2015 stattgegeben und den Bescheid des Beklagten vom 8.7.2014 insoweit aufgehoben, als unter Ziffer 2 Satz 2 festgestellt wurde, dass die ausgesprochene Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolgt sei. Anders als die Beratungen nach Abs. 1a seien die Beratungen nach Abs. 5a und 5e zwingend durchzuführen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 106 Abs. 1a i.V.m. Abs. 5a Satz 1 und 2 SGB V habe die Prüfungsstelle hinsichtlich der Ausgestaltung der Beratung einen Ermessensspielraum, soweit die Partner der Gesamtverträge keine Bestimmungen in den Prüfungsvereinbarungen träfen. Das BSG führe im Urteil vom 05.06.2013 (Az. B 6 KA 40/12 R, Rn. 10) hierzu aus, dass dem Sinn und Zweck der Maßnahme am ehesten ein persönliches Beratungsgespräch gerecht werden dürfte. Unabhängig von der Art ihrer Ausgestaltung erfolge mit der Festsetzung einer Beratung jedenfalls eine Beurteilung des Verordnungsverhaltens des Vertragsarztes. Die Prüfgremien träfen die Feststellung, dass eine Überschreitung der Richtgrößen nicht durch Praxisbesonderheiten begründet, das Verordnungsverhalten des Vertragsarztes mithin unwirtschaftlich gewesen sei. Der Vertragsarzt müsse sich der Maßnahme der „Beratung“ unterziehen, auch wenn diese unter Umständen nur in der Kenntnisnahme des Festsetzungsbescheides bestehe.

Diese zu § 106 Abs. 1a i.V.m. Abs. 5a Satz 1 und 2 SGB V ergangene Rechtsprechung des BSG könne jedoch nur eingeschränkt auf § 106 Abs. 5e SGB V übertragen werden. Anders als in § 106 Abs. 1a, 5a SGB V sei in § 106 Abs. 5e Satz 1 von einer „individuellen“ Beratung die Rede. Zwar ließe sich argumentieren, dass auch eine im Rahmen eines Festsetzungsbescheids vorgenommene Beratung eine individuelle Beratung sei, weil sie im Rahmen eines individuellen Bescheids gegenüber dem einzelnen Bescheidsadressaten erfolge. Die Betonung der Individualität durch den Gesetzgeber spräche jedoch eher dafür, dass damit eine auf die speziellen Verhältnisse, insbesondere auf den speziellen (Beratungs) Bedarf des Vertragsarztes gerichtete Beratung gemeint sei. Dass der Gesetzgeber eine über den „Festsetzungsbescheid mit Beratungsfunktion“ hinausgehende Beratung im Sinn gehabt habe, sei auch den Regelungen des § 106 Abs. 5e Sätze 3 und 4 SGB V zu entnehmen. Satz 3 regele die Frage der Festsetzung eines Erstattungsbetrages, „wenn ein Vertragsarzt die ihm angebotene Beratung abgelehnt hat“. Danach gehe der Gesetzgeber jedenfalls davon aus, dass die Prüfungsstelle dem Vertragsarzt eine Beratung anbiete. Satz 4 räume den Vertragsärzten die Möglichkeit ein, im Rahmen der Beratung nach Satz 1 in begründeten Fällen eine Feststellung der Prüfungsstelle über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten zu beantragen. Diese Regelung könne nur Wirkung entfalten, wenn die Beratung bzw. das Beratungsangebot über die Kenntnisnahme eines Festsetzungsbescheids hinausgehe. Die Notwendigkeit, dass vor Festsetzung eines Regresses dem Vertragsarzt zumindest ein Beratungsangebot gemacht werden müsse, lasse sich auch aus der Gesetzesbegründung zum GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) entnehmen. Unter dem Angebot einer Beratung sei dabei zu verstehen, dass die Prüfungsstelle dem Vertragsarzt die Möglichkeit zur Inanspruchnahme einer tatsächlichen, auf den speziellen (Beratungs-)Bedarf des Vertragsarztes ausgerichteten und auf den betroffenen Prüfungszeitraum bezogenen Beratung gebe. Ob diese Beratung schriftlich oder mündlich erfolge, liege im Ermessen der Prüfungsstelle.

An eine individuelle Beratung i.S.d. § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V seien demnach grundsätzlich höhere Anforderungen zu stellen als an eine Beratung i.S.d. § 106 Abs. 1a i.V.m. Abs. 5a Satz 1 und 2 SGB V. Allein die Festsetzung einer Beratung im Rahmen eines Maßnahmenbescheides und die Kenntnisnahme durch den Vertragsarzt genügten jedenfalls nicht. Etwas anderes könnte allenfalls für den - hier nicht vorliegenden - Fall gelten, wenn es sich um einen Vertragsarzt handele, der schon seit Jahren sein Richtgrößenvolumen überschreite und davon auszugehen sei, dass er aufgrund früherer Maßnahmen der Prüfgremien mit Beratungsfunktion keinen Beratungsbedarf mehr habe, eine Beratung also nur mehr bloße Förmelei darstellen würde.

In seiner Berufung vom 20.1.2016 rügt der Beklagte zunächst die Formulierung der Urteilsformel als nicht bestimmt genug. Es sei nicht klar, ob der Vertragsarzt als beraten gelte oder ob der Beschwerdeausschuss noch eine Beratung durchzuführen habe.

Materiell-rechtlich wiederholte und vertiefte der Beklagte seine bisherigen Ausführungen. Der Gesetzgeber habe gerade nicht formuliert, dass die Beratung persönlich stattzufinden habe, so dass bei § 106 Abs. 5e SGB V auch eine schriftliche Beratung zulässig sei. Soweit auf die Möglichkeit der Feststellung der Prüfungsstelle über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten abgestellt würde, könne dieser Antrag nicht nur innerhalb eines persönlichen Gesprächs, sondern auch bereits aufgrund eines erlassenen Prüfbescheides gestellt werden. Ausweislich der Gesetzesbegründung zum GKV-VStG ziele die Beratungsregelung insbesondere auf Jungpraxen. Ein Beratungsbedarf bei einer Praxis, die wie die vorliegende schon länger in der Prüfung sei, sei geringer, ein Beratungsgespräch demnach bloße Förmelei. Zudem sei die vorliegende Praxis im Rahmen von Prüfbescheiden für die nachfolgenden Quartale auf mögliches Einsparpotenzial hingewiesen worden. Ein persönliches Beratungsgespräch für den Prüfzeitraum 2006 im Jahre 2016 würde daher nicht mehr zu einem geänderten Verordnungsverhalten ab dem Jahr 2007 beitragen. Bei der wörtlichen Auslegung des Gesetzestextes werde dem Wort „individuell“ zu viel Bedeutung beigemessen. Zudem sei nicht nachvollziehbar, warum nur Praxen mit einem Überschreitungswert von über 25% in den Genuss einer individuellen Beratung kommen sollten, obwohl ein unwirtschaftliches Verhalten auch bei Praxen mit einer Überschreitung unter 25% und gegebenenfalls höherem Einsparpotenzial für die GKV vorliegen würde. Es sei nicht ersichtlich, warum die Durchführung eines persönlichen Beratungsgespräches ein effektiveres Mittel der Wirtschaftlichkeitsprüfung darstellen solle als das Aufzeigen von Einsparpotenzialen im Wege eines schriftlichen Bescheides. Im vorliegenden Fall würde die Durchführung eines zusätzlichen (zum schriftlichen Widerspruchsbescheid) persönlichen Beratungsgesprächs den Zeitpunkt einer „individuellen Beratung“ nach § 106 Absatz 5e SGB V nochmals nach hinten verschieben. Diese Vorgehensweise sei mit rechtlichen Unsicherheiten verbunden. Es würde sich die Frage stellen, gegen welche Maßnahme der betroffene Arzt vorgehen müsse, falls er Rechtsmittel „gegen die Beratung“ einlegen wolle. Die Beratung nach Absatz 5e sei im Widerspruchsbescheid bereits ausgesprochen worden, fraglich sei demnach, ob noch Rechtsmittel gegen die Vollziehung der schriftlichen Beratung als Folge eines (möglicherweise eigenen) Verwaltungsaktes zulässig wären. Die Beratung sei damit faktisch in zwei Verwaltungsakte gesplittet. Diese Aufsplittung diene aber nicht der Rechtssicherheit, die das BSG dem Erlass eines schriftlichen Bescheides zugewiesen habe. Die neue Rahmenvorgabe des Spitzenverbandes der GKV und KBV zur Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung vom 30.11.2015 sehe in § 5 Abs. 3 Satz 2 und 3 dementsprechend auch vor, dass die individuelle Beratung statt im Rahmen eines persönlichen Gesprächs auch schriftlich durchgeführt werden könne, auf Wunsch des Arztes ergänzt durch eine zusätzliche mündliche Beratung. Auch die historische Auslegung des Begriffs der „individuellen Beratung“ nach Absatz 5b zeige, dass ursprünglich eine Regressierung allein bei Überschreiten von mehr als 25% des Richtgrößenvolumens vorgesehen war. Es sei nachvollziehbar, dass dieser Umstand zu der Einführung der streitigen Regelung geführt habe, der vor einer Regressierung das Aufzeigen konkreten Einsparpotenzials zwingend vorschalten wollte. Allerdings verweise die streitige Regelung auf Absatz 5a in Verbindung mit Absatz 1a, wonach eine Beratung anhand von Übersichten stattzufinden habe. Darunter sei eine Beratung nach den hier verwendeten ATC-und PZN-Listen zu subsumieren, was auch im Bescheid möglich sei. Der Vertragsarzt könne dem Bescheid die anerkannten Praxisbesonderheiten sowie die Beratungspunkte entnehmen. Damit sei der Rechtssicherheit aller Beteiligten genüge getan. Die ab dem Prüfquartal 1/15 geltende Prüfvereinbarung sei auf den streitgegenständlichen Zeitraum nicht anwendbar.

Der Beklagte stellt den Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 8.12.2015, S 28 KA 1344/14 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte stellt den Antrag,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin hält das Urteil des SG für zutreffend. Der Beklagte verkenne, dass die Beratung nach der streitgegenständlichen Regelung des Absatz 5e gesplittet werden könne in die Festsetzung im Bescheid sowie die Durchführung im Rahmen einer persönlichen Beratung. Auch das BSG gehe in seinem Urteil (B 6 KA 3/14 R) von einer tatsächlichen Durchführung einer individuellen Beratung aus. Daher dürfe gerade nicht auf eine schriftliche Beratung mittels festsetzenden Bescheids abgestellt werden. Eben diese Rechtsprechung setze das Urteil des SG um. Auch spreche die Regelung des Absatz 5e davon, dem Betroffenen sei eine Beratung „anzubieten“. Sinn und Zweck einer Beratung sei es, auf die individuellen Bedürfnisse der Praxis einzugehen, was nur in einem auf die Praxis abgestimmten Beratungsgespräch möglich sei. Prüfeinrichtungen seien nach § 35 SGB X ohnehin zur Begründung ihrer Verwaltungsakte und damit zur Mitteilung aller wesentlichen entscheidungserheblichen rechtlichen und tatsächlichen Gründe verpflichtet. Dies stelle aber nicht gleichzeitig eine Beratung im Sinne der streitgegenständlichen Regelung dar.

Die Beigeladenen zu 2) und 6) stellen den Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 8.12.2015, S 28 KA 1344/14 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Eine Beratung müsse vom Sinn und Zweck her geeignet sein, den Vertragsarzt in die Lage zu versetzen, sein Verordnungsverhalten zu prüfen und zu korrigieren. Dies könne mündlich oder schriftlich erfolgen. § 106 Abs. 1a SGB V nenne als Grundlagen die Übersichten des geprüften Arztes, anhand derer die Beratung zu erfolgen habe. Absatz 5e mit seinem Verweis auf Abs. 1a solle daher die Beratung trotz des Zusatzes „individuell“ als solche nicht anders gestalten als bisher, sondern lediglich den Grundsatz „Beratung vor Regress“ bei den Richtgrößenprüfungen bei erstmaliger Überschreitung des Richtgrößenvolumens im Gesetz verankern. Es sei nicht nachvollziehbar, warum das SG an die individuelle Beratung grundsätzlich höhere Anforderungen stelle als an die Beratung im Sinne des § 106 Abs. 1a SGB V. Die schriftlichen Ausführungen im Widerspruchsbescheid zu den Überschreitungen sowie den anerkannten Praxisbesonderheiten genügten den Anforderungen an eine Beratung im Sinne von Absatz 5e, da sie geeignet seien, den geprüften Arzt zu einem zukünftig wirtschaftlicheren Verordnungsverhalten zu veranlassen.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten des Beklagten und der Prüfungsstelle sowie die Gerichtsakten beider Instanzen. Auf den Inhalt der beigezogenen Akten und die Sitzungsniederschrift, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden, wird im Übrigen Bezug genommen.

Gründe

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht Ziffer 2 Satz 2 des Widerspruchsbescheides aufgehoben. Der Senat schließt sich der zutreffenden Begründung des SG an und verweist auf dessen Ausführungen, § 153 Abs. 2 SGG.

Auch die in der Berufungsinstanz vorgetragenen Argumente führen zu keinem anderen Ergebnis.

Der Urteilstenor, mit dem das SG den Bescheid des Beklagten vom 8.7.2014 insoweit aufgehoben hat, als unter Ziffer 2 Satz 2 festgestellt wurde, dass die ausgesprochene Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolgt ist, ist bestimmt genug. Denn aus den zur Auslegung des Tenors heranzuziehenden Entscheidungsgründen des Urteils (Keller in Meyer/Ladewig, Komm. zum SGG, 12. Aufl. 2017, § 136, Rn. 5) ergibt sich, dass der Beklagte die in Ziffer 2 Satz 1 des Bescheides ausgesprochene Beratung zumindest noch anzubieten hat.

Das SG hat die streitige Ziffer auch zu Recht aufgehoben.

§ 106 Abs. 5e SGB V (idF vom 19.10.2012, BGBl. I S. 2192) lautet wie folgt:

„Abweichend von Absatz 5a Satz 3 erfolgt bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent eine individuelle Beratung nach Absatz 5a Satz 1. Ein Erstattungsbetrag kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfzeit-raum nach der Beratung festgesetzt werden. Dies gilt entsprechend, wenn ein Vertragsarzt die ihm angebotene Beratung abgelehnt hat. Im Rahmen der Beratung nach Satz 1 können Vertragsärzte in begründeten Fällen eine Feststellung der Prüfungsstelle über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten beantragen. Eine solche Feststellung kann auch beantragt werden, wenn zu einem späteren Zeitpunkt die Festsetzung eines Erstattungs-betrags nach Absatz 5a droht. Das Nähere zur Umsetzung der Sätze 1 bis 5 regeln die Vertragspartner nach Absatz 2 Satz 4. Dieser Absatz gilt auch für Verfahren, die am 31. Dezember 2011 noch nicht abgeschlossen waren.“

Auf die vorliegende Richtgrößenprüfung der Beigeladenen zu 1. war § 106 Abs. 5e SGB V anzuwenden, da das Prüfverfahren am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen war und die Entscheidung des Beklagten nach dem 25.10.2012 ergangen ist (vgl. BSG, Urteil vom 22.10.2014, Az. B 6 KA 3/14 R). Soweit argumentiert wurde, inwieweit sich eine erstmalige Überschreitung des Richtgrößenvolumens nur auf den Zeitraum nach Inkrafttreten der Neuregelung des Absatz 5e bezieht, hat sich der Senat hierzu schon in mehreren Urteilen geäußert (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 24.5.2017, L 12 KA 19/16). Die Neuregelung sollte demnach keine Zäsur bzw. Amnestie insoweit darstellen, dass eine erstmalige Überschreitung nur den Zeitraum nach der Neuregelung betrifft, vielmehr liegt bei Überschreitungen vor der Neuregelung dann keine erstmalige Überschreitung mehr vor (so auch BSG, Urteil vom 22.10.2014, B 6 KA 3/14 R, Rn. 58 ff.).

Nähere Regelungen der Partner der Gesamtverträge nach § 106 Abs. 5e Satz 6 SGB V zur Frage der Umsetzung des § 106 Abs. 5e Sätze 1 bis 5 SGB V existieren für den streitgegenständlichen Prüfungszeitraum nicht.

§ 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V verweist bezüglich der individuellen Beratung auf Absatz 5a Satz 1, der wiederum auf Absatz 1a Bezug nimmt. Danach berät in erforderlichen Fällen die in Absatz 4 genannte Prüfungsstelle die Vertragsärzte auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung.

Nach der Gesetzesbegründung zum GKV-VStG sollte bei erstmaliger Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 v.H. „kein Regress festgesetzt werden, bevor den betroffenen Vertragsärztinnen und -ärzten daraufhin nicht zumindest eine einmalige Beratung angeboten wurde“ (BT-Drs. 17/6906, S. 79). Dementsprechend führt auch das BSG aus, dass Sinn und Zweck der Einfügung des § 106 Abs. 5e SGB V gewesen sei, Ärzte nach erstmaligem Überschreiten des Richtgrößenvolumens nicht unmittelbar einem - trotz der betragsmäßigen Begrenzung durch § 106 Abs. 5c Satz 7 SGB V wirtschaftlich belastenden - Regress auszusetzen, sondern ihnen über eine eingehende „Beratung“ zunächst ohne finanzielle Konsequenzen für die Praxis die Möglichkeit zu geben, ihr Verordnungsverhalten bei Arznei- und Heilmitteln zu modifizieren (BSG, Urteil vom 22.10.2014, Az. B 6 KA 3/14 R, Rn. 65).

Das SG hat hierzu zutreffend ausgeführt, dass die individuelle Beratung nach Absatz 5e zusätzlich zu der ohnehin nach § 35 Abs. 1 SGB X notwendigen Begründung der Überschreitungen und möglichen Einsparpotenzialen im Widerspruchsbescheid zu erfolgen hat. Diese Notwendigkeit ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der maßgeblichen Vorschrift, denn nach Absatz 5e Satz 3 kann ein Vertragsarzt die ihm „angebotene“ Beratung ablehnen. Ein Angebot setzt bereits begrifflich die Möglichkeit der Annahme oder der Verweigerung voraus, was allein nach Ausspruch einer „erfolgten“ Beratung in einem schriftlichen Bescheid nicht möglich ist. Im Übrigen gehen die Ausführungen im Widerspruchsbescheid zu den Einsparpotenzialen der Beigeladenen zu 1. auch nicht über das hinaus, was im Rahmen der Begründungspflicht nach § 35 SGB X zu verlangen ist. Hierin gleichzeitig eine vom Gesetz verlangte individuelle Beratung zu sehen, würde der Intention des Gesetzgebers, mit dem ausdrücklichen Beratungsangebot eine Änderung des Verordnungsverhaltens herbeizuführen, nicht gerecht. Auch hätte es des Umsetzungsauftrages des § 106 Absatz 5b Satz 6 an die untergesetzliche Ebene nicht bedurft, wenn sich durch die Neuregelung keine Änderung gegenüber der alten Rechtslage hätte ergeben sollen.

Entsprechend haben die Vertragspartner die Prüfvereinbarung, gültig ab dem Quartal 1/15 in § 17 entsprechend angepasst. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 der (neuen) Prüfvereinbarung erfolgt die individuelle Beratung nach § 106 Abs. 5e S. 1 SGB V durch Festsetzung im Bescheid. Nach Satz 2 der Vorschrift wird die Maßnahme der individuellen Beratung von der Prüfungsstelle vollzogen, findet in einem persönlichen (auf Wunsch des Vertragsarztes auch fernmündlichen) Gespräch statt und soll dem Vertragsarzt zeitnah angeboten werden. Lehnt der Vertragsarzt eine Beratung ab, stellt die Prüfungsstelle in einem Feststellungsbescheid fest, dass der Vertragsarzt als beraten im Sinne des § 106 Abs. 5e S. 1 SGB V gilt. Der weitere Ablauf der Beratung wird in § 17 Abs. 2 der PV (neu) näher dargestellt. Mit dieser (neuen) Regelung wird letztlich das kodifiziert, was der Beklagte für den streitgegenständlichen Zeitraum für rechtlich und praktisch nicht umsetzbar hält.

Die von dem Beklagten monierte Trennung der Beratung in eine Festsetzung im Prüfbzw. Widerspruchsbescheid und die verwaltungsmäßige Umsetzung (Vollzug) in einem nachfolgenden Beratungsgespräch bzw. dessen Angebot begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Verwaltungsaktqualität hat zunächst nur die Festsetzung der Beratung im Bescheid, die Durchführung der Beratung ist lediglich dessen Vollzug, der nicht angefochten werden kann. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass der Vertragsarzt eine angebotene Beratung auch ablehnen kann. Das reine Angebot der Beratung hat schon mangels Regelungscharakter keine Verwaltungsaktqualität.

Rechtsunsicherheit ist durch diese Auslegung - wie auch die Umsetzung in der neuen Prüfvereinbarung zeigt - nicht zu befürchten. Der Beklagte verfängt auch nicht mit dem Argument, der Zeitpunkt der Beratung würde sich durch eine zusätzlich zum schriftlichen Bescheid erforderliche Beratung immer weiter nach hinten hinaus schieben. Vielmehr hat es der Beklagte bzw. die Prüfstelle durch zeitnah angebotene Beratungen selbst in der Hand, auf einen kurzen Verfahrensablauf hinzuwirken. Zudem kann eine Beratung nur auf eine Verhaltensänderung in der Zukunft hinwirken. Insoweit geht das Argument des Beklagten - eine Beratung könne am Verordnungsverhalten für zurückliegende Zeiträume nichts ändern und sei bloße Förmelei - ins Leere.

Soweit die Beigeladene zu 2. ausführt, dass mit Abs. 5e lediglich der Grundsatz „Beratung vor Regress“ Einzug ins Gesetz finden sollte, ohne zusätzliche Anforderungen an die Beratung zu stellen, für dies zu keinem anderen Ergebnis. Es hätte des Zusatzes „individuelle“ Beratung nicht bedurft, hätte die Regelung nur zur Verankerung des Grundsatzes gedient. In diesem Fall wäre der alleinige Hinweis in Abs. 5e Satz 1 auf Abs. 5a Satz 1 ausreichend gewesen. Auch die Argumentation, die Regelung hätte nach der Gesetzesbegründung in erster Linie Jungpraxen im Auge, greift nicht. Die Regelung wollte vielmehr das wirtschaftliche Risiko einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens kalkulierbar halten, indem in diesem Fall zumindest eine einmalige Beratung angeboten werden soll. Bei einer erstmaligen Überschreitung sind Jungpraxen aber nicht schutzbedürftiger als bisher nicht auffällig gewordene Altpraxen. In diesem Sinne argumentiert auch das BSG in seinem Urteil vom 22.10.2014, das eine Schutzbedürftigkeit von bereits in der Vergangenheit auffällig gewordenen Praxen verneint und insoweit eine Privilegierung von Vertragsärzten, die seit längerem nicht mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot im Einklang handeln, verneint (BSG, aaO, Rn 66). Diese Ärzte bedürften keiner Beratung, „diese wäre vielmehr bloße Förmelei“. Eine Anwendung des Grundsatzes ausschließlich auf Jungpraxen, wie der Beklagte meint, hat aber auch das BSG nicht gesehen. Wenn der Gesetzgeber dies gewollt hätte, hätte es seinen Niederschlag im Gesetzestext finden müssen. In der hier maßgeblichen Fassung des § 106 Abs. 5e SGB V stellt der Wortlaut aber nur auf die erstmalige Überschreitung ab, unabhängig davon, ob es sich um eine Jung- oder eine Altpraxis handelt.

Das SG hat daher Ziffer 2 Satz 2 des streitgegenständlichen Bescheides in zutreffendem Umfang aufgehoben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 und 3 VwGO und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG, zuzulassen.

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 26. Juli 2017 - L 12 KA 13/16 zitiert 13 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

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(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt. (2) Das Landessozialgericht

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Sozialgericht München Urteil, 08. Dez. 2015 - S 28 KA 1344/14

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Tenor I. Der Bescheid des Beklagten vom 08.07.2014 wird insoweit aufgehoben, als unter Ziffer 2 Satz 2 entschieden wird, dass die ausgesprochene Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolgt ist.

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Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. November 2013 aufgehoben.

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Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 20. Juni 2012 wird zurückgewiesen.

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Tenor

I.

Der Bescheid des Beklagten vom 08.07.2014 wird insoweit aufgehoben, als unter Ziffer 2 Satz 2 entschieden wird, dass die ausgesprochene Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolgt ist.

II.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Gegenstand des Rechtsstreits ist allein die Frage, ob die individuelle Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V durch die Zustellung des, die Beratung erstmalig festsetzenden, Widerspruchsbescheids des Beklagten erfolgt ist.

Mit Schreiben vom 06.10.2008 informierte die Prüfungsstelle Ärzte Bayern die Beigeladene zu 1., eine allgemeinärztliche A., über die Einleitung der Richtgrößenprüfung 2006 (Arzneimittel und Sprechstundenbedarf). Es handelte sich um die erste Richtgrößenprüfung der Beigeladenen zu 1.

Mit Prüfbescheid vom 17.12.2008 setzte die Prüfungsstelle wegen Überschreitung des Richtgrößenvolumens für das Jahr 2006 i. H. v. 26,12% einen Regress in Höhe von 5.744,64 € gegen die Beigeladene zu 1. fest; gegen diesen legte die Beigeladene zu 1. fristgerecht Widerspruch ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.2014 gab der Beklagte dem Widerspruch der Beigeladenen zu 1. teilweise statt (Ziffer 1). Es wurde eine Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V ausgesprochen (Ziffer 2 Satz 1). Gemäß Ziffer 2 Satz 2 erfolgte diese mit der Zustellung des Widerspruchsbescheides. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen (Ziffer 2 Satz 3). Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass sich nach der Bereinigung des Gesamtverordnungsvolumens um Praxisgegebenheiten eine neue (bereinigte) Überschreitung i. H. v. 30,63% ergebe. Da vorliegend aber ein Widerspruch seitens der Krankenkassen nicht vorliege, greife das Verbot der reformatio in peius. Es bleibe folglich bei der ursprünglich festgesetzten Überschreitung i. H. v. 26,12%. Gem. § 106 Abs. 5a SGB V seien bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25% nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten die sich daraus ergebenden Mehrkosten den Krankenkassen zu erstatten. Gem. § 106 Abs. 5e SGB V erfolge abweichend von Abs. 5a bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent eine individuelle Beratung nach Abs. 5a Satz 1. Der Ausnahmetatbestand des § 106 Abs. 5e SGB V sei hier erfüllt. Ein Regress sei daher nicht festzusetzen gewesen. Die Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V erfolge mit Zustellung dieses Bescheids.

Die Klägerin, die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, hat am 13.08.2014 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Sie hat klargestellt, dass sich die Klage nicht gegen den Ausspruch der Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V unter Ziffer 2 Satz 1 des Widerspruchsbescheides wendet. Die Klägerin ist der Auffassung, dass an eine individuelle Beratung gem. § 106 Abs. 5e SGB V höhere Anforderungen zu stellen sind als an eine „schriftliche Beratung“ im Rahmen eines Maßnahmenfestsetzungsbescheids. Das Angebot einer individuellen Beratung setze voraus, dass die Prüfgremien auf die betroffenen Ärzte, sei es in schriftlicher oder mündlicher Form, zugingen und diesen eine Beratung, die speziell auf die jeweilige Praxis abgestimmt sei, zur Disposition stelle. Es bestehe keine Rechtsgrundlage dafür, dass die Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolge. Soweit den Prüfgremien bei der konkreten Ausgestaltung der Maßnahme nach § 106 Abs. 5e SGB V überhaupt ein eigenes Ermessen zugestanden werden könne, sei dieses vom Beklagten jedenfalls nicht ausgeübt worden. Die „individuelle Beratung“ i. S. d. § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V unterscheide sich aufgrund der Begrifflichkeit von der „schriftlichen Beratung“ i. S. d. § 106 Abs. 5a Satz 1 i. V. m. Abs. 1a SGB V. Zum einen ergebe sich aus § 106 Abs. 5e Satz 3 SGB V, dass den betroffenen Ärzten bei erstmaliger Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent eine individuelle Beratung „angeboten“ werden müsse. Bei einer mittels eines Bescheids einseitig auferlegten „schriftlichen“ Beratung werde weder auf die Vertragsärzte mit dem Ziel eines persönlichen Gesprächs zugegangen noch werde ihnen die Beratung zur Disposition gestellt. Darüber hinaus sehe § 106 Abs. 5e Satz 4 SGB V vor, dass im Rahmen der Beratung nach Satz 1 Vertragsärzte in begründeten Fällen eine Feststellung der Prüfungsstelle über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten beantragen könnten. Diese Regelung würde bei einer mittels Widerspruchsbescheids einseitig auferlegten Beratung ins Leere laufen. Der streitgegenständliche Widerspruchsbescheid unterscheide sich seinem Inhalt nach nicht von den üblichen schriftlichen Beratungen der Prüfgremien nach § 106 Abs. 5a Satz 1 SGB V. Konkrete Darlegungen zu betragsmäßigen Einsparpotentialen, geschweige denn zielführende Lösungsansätze lasse der Bescheid vermissen. Es sei eine klare Trennung zwischen Festsetzung der Maßnahme, deren Vollziehung sowie einer abschließenden Feststellung über die Vollziehung vorzunehmen. Es könne offen bleiben, ob eine individuelle Beratung bei Ärztinnen und Ärzten, die schon seit Jahren ihr Richtgrößenvolumen überschritten, eine bloße Förmelei darstellen würde. Jedenfalls handele es sich vorliegend um das erste Richtgrößenverfahren der Beigeladenen zu 1.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 08.07.2014 insoweit aufzuheben, als unter Ziffer 2 Satz 2 entschieden wird, dass die ausgesprochene Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolgt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Durchführung einer Beratung, deren Gegenstand ein Verordnungsverhalten von vor neun Jahren sei, nicht zielführend und bloße Förmelei sei. Sowohl Prüfungsstelle als auch Beschwerdeausschuss seien für die Festsetzung und die Durchführung einer Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V zuständig. Der Beklagte habe den Zeitpunkt der individuellen Beratung davon abhängig zu machen, ob in dem erstinstanzlichen Bescheid Beratungspunkte aufgeführt gewesen seien oder nicht. Mangels Beratungspunkte im erstinstanzlichen Prüfbescheid sei vorliegend die Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Versand des Widerspruchsbescheids am 08.07.2014 erfolgt. Damit genieße die Beigeladene zu 1. bis einschließlich Quartal 3/2014 Regressschutz. Aus der Normenkette des § 106 Abs. 5e i. V. m. Abs. 5a i. V. m. Abs. 1a SGB V ergebe sich lediglich eine Beratungsaufgabe der Prüfungsstelle anhand von Übersichten.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Auf Nachfrage des Gerichts hat der Beklagte die „Prüfhistorie“ der Beigeladenen zu 1. übermittelt. Danach wurden gegenüber der Beigeladenen zu 1. im Rahmen einer Durchschnittswertprüfung 4/2007 sowie einer Ersatzrichtgrößenprüfung 3/2009 jeweils Beratungen bestandskräftig festgesetzt; die Beratungen erfolgten jeweils mit schriftlichem Festsetzungsbescheid. Verschiedene, aufgrund von Ersatzrichtgrößenprüfungen von der Prüfungsstelle festgesetzte Regresse sind noch beim Beklagten anhängig.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 08.07.2014 ist, soweit unter Ziffer 2 Satz 2 entschieden wurde, dass die ausgesprochene Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolgt, rechtswidrig.

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage liegen vor. Insbesondere ist die Klägerin klagebefugt. Die Betroffenheit in ihre Rechte ergibt sich aus der Gesamtverantwortung der Kassenärztlichen Vereinigungen für eine den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entsprechende Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung (§ 75 Abs. 1 SGB V), in die durch Entscheidungen der Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse eingegriffen wird. Hieraus folgt nach der Rechtsprechung des BSG ihre Befugnis, die Rechtswidrigkeit dieser Entscheidungen unabhängig vom Nachweis eines darüber hinausgehenden konkreten rechtlichen Interesses im Einzelfall geltend zu machen (BSG, Urteil vom 28.08.1996, Az. 6 RKa 88/95, Rn. 13 m. w. N.).

Die Klage ist auch begründet.

Streitgegenstand ist lediglich die Frage, ob die individuelle Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V durch die Zustellung des, die Beratung erstmalig festsetzenden, Widerspruchsbescheids des Beklagten erfolgt ist.

§ 106 Abs. 5e SGB V (in der Fassung vom 19.10.2012) lautet:

„Abweichend von Absatz 5a Satz 3 erfolgt bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent eine individuelle Beratung nach Absatz 5a Satz 1. Ein Erstattungsbetrag kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfzeitraum nach der Beratung festgesetzt werden. Dies gilt entsprechend, wenn ein Vertragsarzt die ihm angebotene Beratung abgelehnt hat. Im Rahmen der Beratung nach Satz 1 können Vertragsärzte in begründeten Fällen eine Feststellung der Prüfungsstelle über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten beantragen. Eine solche Feststellung kann auch beantragt werden, wenn zu einem späteren Zeitpunkt die Festsetzung eines Erstattungsbetrags nach Absatz 5a droht. Das Nähere zur Umsetzung der Sätze 1 bis 5 regeln die Vertragspartner nach Absatz 2 Satz 4. Dieser Absatz gilt auch für Verfahren, die am 31. Dezember 2011 noch nicht abgeschlossen waren.“

Auf die vorliegende Richtgrößenprüfung der Beigeladenen zu 1. war § 106 Abs. 5e SGB V anzuwenden, da das Prüfverfahren am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen war und die Entscheidung des Beklagten nach dem 25.10.2012 ergangen ist (vgl. BSG, Urteil vom 22.10.2014, Az. B 6 KA 3/14 R, LS 2).

Nähere Regelungen der Partner der Gesamtverträge zur Frage der Umsetzung des § 106 Abs. 5e Sätze 1 bis 5 SGB V existieren für den streitgegenständlichen Prüfungszeitraum nicht.

§ 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V verweist bezüglich der individuellen Beratung auf Abs. 5a Satz 1, der wiederum auf Abs. 1a Bezug nimmt. Danach berät in erforderlichen Fällen die in Absatz 4 genannte Prüfungsstelle die Vertragsärzte auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung.

Anders als die Beratungen nach Abs. 1a sind jedoch die Beratungen nach Abs. 5a und 5e zwingend durchzuführen.

Nach der Rechtsprechung des BSG zu § 106 Abs. 1a i. V. m. Abs. 5a Satz 1 und 2 SGB V hat die Prüfungsstelle hinsichtlich der Ausgestaltung der Beratung einen Ermessensspielraum; mit der Festsetzung einer Beratung sind jedoch grundsätzlich die an diese Maßnahme zu stellenden Anforderungen erfüllt: „Die konkrete Ausgestaltung der Maßnahme steht im Ermessen der Prüfgremien (vgl. BT-Drucks 14/6309 S 11 Zu Nummer 4 <§ 106> Zu Buchst b), soweit die Partner der Gesamtverträge keine Bestimmungen in den Prüfungsvereinbarungen treffen. Dem Sinn und Zweck der Maßnahme dürfte am ehesten ein persönliches Beratungsgespräch gerecht werden, wie es nach den Angaben der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung in Sachsen von den Prüfgremien auch regelmäßig durchgeführt wird. Unabhängig von der Art ihrer Ausgestaltung erfolgt mit der Festsetzung einer Beratung jedenfalls eine Beurteilung des Verordnungsverhaltens des Vertragsarztes. Die Prüfgremien treffen die Feststellung, dass eine Überschreitung der Richtgrößen nicht durch Praxisbesonderheiten begründet, das Verordnungsverhalten des Vertragsarztes mithin unwirtschaftlich war. Der Vertragsarzt muss sich der Maßnahme der „Beratung“ unterziehen, auch wenn diese unter Umständen nur in der Kenntnisnahme des Festsetzungsbescheides besteht“ (BSG, Urteil vom 05.06.2013, Az. B 6 KA 40/12 R, Rn. 10; vgl. zum Ermessensspielraum auch Clemens in: jurisPK-SGB V, Stand 20.01.2015, § 106 Rn. 287).

Nach Auffassung der Kammer kann die zu § 106 Abs. 1a i. V. m. Abs. 5a Satz 1 und 2 SGB V ergangene Rechtsprechung des BSG jedoch nur eingeschränkt auf § 106 Abs. 5e SGB V übertragen werden.

Anders als in § 106 Abs. 1a, 5a SGB V ist in § 106 Abs. 5e Satz 1 von einer „individuellen“ Beratung die Rede. Zwar ließe sich argumentieren, dass auch eine im Rahmen eines Festsetzungsbescheids vorgenommene Beratung eine individuelle Beratung ist, weil sie im Rahmen eines individuellen Bescheids gegenüber dem einzelnen Bescheidsadressaten erfolgt. Die Betonung der Individualität durch den Gesetzgeber spricht jedoch eher dafür, dass damit eine auf die speziellen Verhältnisse, insbesondere auf den speziellen (Beratungs-)Bedarf des Vertragsarztes gerichtete Beratung gemeint ist. Dass der Gesetzgeber eine über den „Festsetzungsbescheid mit Beratungsfunktion“ hinausgehende Beratung im Sinn hatte, ist auch den Regelungen des § 106 Abs. 5e Sätze 3 und 4 SGB V zu entnehmen. Satz 3 regelt die Frage der Festsetzung eines Erstattungsbetrages, „wenn ein Vertragsarzt die ihm angebotene Beratung abgelehnt hat“. Danach geht der Gesetzgeber jedenfalls davon aus, dass die Prüfungsstelle dem Vertragsarzt eine Beratung anbietet. Satz 4 räumt den Vertragsärzten die Möglichkeit ein, im Rahmen der Beratung nach Satz 1 in begründeten Fällen eine Feststellung der Prüfungsstelle über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten zu beantragen. Diese Regelung kann nur Wirkung entfalten, wenn die Beratung bzw. das Beratungsangebot über die Kenntnisnahme eines Festsetzungsbescheids hinausgeht.

Auch der Gesetzesbegründung zum GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG), mit dem § 106 Abs. 5e SGB V eingeführt wurde, ist zu entnehmen, dass vor Festsetzung eines Regresses dem Vertragsarzt zumindest ein Beratungsangebot gemacht werden muss. Dort heißt es, dass „gemäß der Neuregelung in Absatz 5e die Festsetzung eines Erstattungsbetrages bei erstmaliger Überschreitung des Richtgrößenvolumens eine vorherige Beratung oder zumindest ein Beratungsangebot voraussetzt“ (BT-Drs. 17/6906, S. 79). Gemäß der Begründung soll bei erstmaliger Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 v. H. „kein Regress festgesetzt werden, bevor den betroffenen Vertragsärztinnen und -ärzten daraufhin nicht zumindest eine einmalige Beratung angeboten wurde“ (BT-Drs. 17/6906, S. 79).

Dementsprechend führt auch das BSG aus, dass Sinn und Zweck der Einfügung des § 106 Abs. 5e SGB V gewesen sei, Ärzte nach erstmaligem Überschreiten des Richtgrößenvolumens nicht unmittelbar einem - trotz der betragsmäßigen Begrenzung durch § 106 Abs. 5c Satz 7 SGB V wirtschaftlich belastenden - Regress auszusetzen, sondern ihnen über eine eingehende „Beratung“ zunächst ohne finanzielle Konsequenzen für die Praxis die Möglichkeit zu geben, ihr Verordnungsverhalten bei Arznei- und Heilmitteln zu modifizieren (BSG, Urteil vom 22.10.2014, Az. B 6 KA 3/14 R, Rn. 65). Das BSG hat in seiner Entscheidung jedoch einschränkend darauf hingewiesen, dass die Annahme, dass der Gesetzgeber auch Vertragsärzte privilegieren wollte, die seit längerem nicht im Einklang mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot tätig seien, nicht gerechtfertigt sei. Ärzte, die ggf. schon seit Jahren ihr Richtgrößenvolumen überschritten und hinlänglich wüssten, welcher Verordnungsumfang von der zuständigen Prüfungsstelle als wirtschaftlich angesehen werde, bedürften einer solchen „Beratung“ nicht; diese wäre vielmehr bloße Förmelei (BSG, ebenda, Rn. 66).

Nach alledem ist dem Gesetzeswortlaut sowie der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass dem Vertragsarzt im Rahmen des § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V zumindest eine Beratung angeboten werden muss.

Nach Auffassung der Kammer ist unter dem Angebot einer Beratung zu verstehen, dass die Prüfungsstelle dem Vertragsarzt die Möglichkeit zur Inanspruchnahme einer tatsächlichen, auf den speziellen (Beratungs-)Bedarf des Vertragsarztes ausgerichteten und auf den betroffenen Prüfungszeitraum bezogenen Beratung gibt. Ob diese Beratung schriftlich oder mündlich erfolgt, liegt im Ermessen der Prüfungsstelle.

An eine individuelle Beratung i. S. d. § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V sind demnach grundsätzlich höhere Anforderungen zu stellen als an eine Beratung i. S. d. § 106 Abs. 1a i. V. m. Abs. 5a Satz 1 und 2 SGB V. Allein die Festsetzung einer Beratung im Rahmen eines Maßnahmenbescheides und die Kenntnisnahme durch den Vertragsarzt genügen nicht. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn es sich um einen Vertragsarzt handelt, der schon seit Jahren sein Richtgrößenvolumen überschreitet und davon auszugehen ist, dass er aufgrund früherer Maßnahmen der Prüfgremien mit Beratungsfunktion keinen Beratungsbedarf mehr hat, eine Beratung also nur mehr bloße Förmelei darstellen würde (vgl. BSG, ebenda, Rn. 66).

Da es sich im vorliegenden Fall um die erste Richtgrößenprüfung der Beigeladenen zu 1. handelte, war eine derartige Ausnahmekonstellation nicht gegeben.

Aus diesem Grund war der Bescheid des Beklagten vom 08.07.2014, soweit unter Ziffer 2 Satz 2 entschieden wird, dass die ausgesprochene Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolgt, aufzuheben. Der Beklagte bzw. die Prüfstelle muss daher die Beigeladene zu 1. noch beraten bzw. ihr zumindest eine Beratung anbieten. Da der streitgegenständliche, das Jahr 2006 betreffende Prüfungszeitraum weit zurückliegt, erscheint es zwar offen, ob die Vertragsärzte der Beigeladenen zu 1. ein auf diesen Zeitraum bezogenes Beratungsangebot in Anspruch nehmen werden. Darauf kam es jedoch im Hinblick auf die Begründetheit der Klage nicht an.

Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.

(1) Die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen überwachen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich und die Kassenärztlichen Vereinigungen vereinbaren Inhalt und Durchführung der Beratungen und Prüfungen nach Absatz 2 sowie die Voraussetzungen für Einzelfallprüfungen. Die Vertragspartner können die Prüfungsstelle mit der Prüfung ärztlich verordneter Leistungen in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung beauftragen und tragen die Kosten. Die Krankenkassen übermitteln der Prüfungsstelle die Daten der in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung verordneten Leistungen; dabei sind zusätzlich die Zahl der Behandlungsfälle und eine Zuordnung der verordneten Leistungen zum Datum der Behandlung zu übermitteln. Die §§ 296 und 297 gelten entsprechend.

(2) Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird von der Prüfungsstelle nach § 106c geprüft durch

1.
arztbezogene Prüfungen ärztlicher Leistungen nach § 106a,
2.
arztbezogene Prüfungen ärztlich verordneter Leistungen nach § 106b.
Die Prüfungen werden auf der Grundlage der Daten durchgeführt, die der Prüfungsstelle nach § 106c gemäß § 296 Absatz 1, 2 und 4 sowie § 297 Absatz 2 übermittelt werden. Hat die Prüfungsstelle Zweifel an der Richtigkeit der übermittelten Daten, ermittelt sie die Datengrundlagen für die Prüfung aus einer Stichprobe der abgerechneten Behandlungsfälle des Arztes und rechnet die so ermittelten Teildaten nach einem statistisch zulässigen Verfahren auf die Grundgesamtheit der Arztpraxis hoch.

(3) Die Prüfungsstelle nach § 106c bereitet die für die Prüfungen nach Absatz 2 erforderlichen Daten und sonstigen Unterlagen auf, trifft Feststellungen zu den für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit wesentlichen Sachverhalten und entscheidet unter Beachtung der Vereinbarungen nach den §§ 106a und 106b, ob der Vertragsarzt, der ermächtigte Arzt oder die ermächtigte Einrichtung gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind. Eine Maßnahme kann insbesondere auch die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung sein. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung auf Grund einer Wirtschaftlichkeitsprüfung, die von Amts wegen durchzuführen ist, muss für ärztliche Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheides und für ärztlich verordnete Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab dem Schluss des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, erfolgen; § 45 Absatz 2 des Ersten Buches gilt entsprechend. Für Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die auf Grund eines Antrags erfolgen, ist der Antrag für die Prüfung ärztlicher Leistungen spätestens 18 Monate nach Erlass des Honorarbescheides und für die Prüfung ärztlich verordneter Leistungen spätestens 18 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, bei der Prüfungsstelle nach § 106c einzureichen. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung muss innerhalb weiterer zwölf Monate nach Ablauf der in Satz 4 genannten Frist erfolgen; die Regelung des § 45 Absatz 2 des Ersten Buches findet keine entsprechende Anwendung. Gezielte Beratungen sollen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen. Die Prüfungsstelle berät die Vertragsärzte auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung.

(4) Werden Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassenverbände und Kassenärztlichen Vereinigungen für eine ordnungsgemäße Umsetzung. Können Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt werden, weil die erforderlichen Daten nach den §§ 296 und 297 nicht oder nicht im vorgesehenen Umfang oder nicht fristgerecht übermittelt worden sind, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassen oder der Kassenärztlichen Vereinigungen. Die zuständige Aufsichtsbehörde hat nach Anhörung der Vorstandsmitglieder und der jeweils entsandten Vertreter im Ausschuss den Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung zu veranlassen, das Vorstandsmitglied auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens in Anspruch zu nehmen, falls der Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung das Regressverfahren nicht bereits von sich aus eingeleitet hat.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der im Krankenhaus erbrachten ambulanten ärztlichen und belegärztlichen Leistungen.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 20. Juni 2012 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Tatbestand

1

Die Klägerin, eine aus zwei Fachärzten für Allgemeinmedizin bestehende Gemeinschaftspraxis, wendet sich gegen die Festsetzung einer Beratung im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung aufgrund von Richtgrößen für das Jahr 2006.

2

Die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkasse Sachsen setzte mit Bescheid vom 20.11.2008 gegen die Klägerin wegen Überschreitung der Richtgröße der Fachärzte für Allgemeinmedizin einen Regress in Höhe von 2789,37 Euro fest. Ihre Verordnungskosten hätten im Jahr 2006 einschließlich Sprechstundenbedarf brutto 767 142,29 Euro betragen bei einem Richtgrößenvolumen von 502 227,56 Euro. Eine Summe in Höhe von 126 745,27 Euro brachte die Prüfungsstelle in Abzug, weil sie Verordnungen für Indikationsgebiete betrafen, die als Praxisbesonderheiten in der Prüfungsvereinbarung festgelegt waren, etwa die Schmerztherapie mit betäubungsmittelhaltigen Arzneimitteln. Weitere 7900,76 Euro zog die Prüfungsstelle für Mehraufwendungen für Antidementiva ab, weil ein erhöhter Anteil an Demenzpatienten festgestellt worden war (6,8 % gegenüber 1,3 % in der Vergleichsgruppe). Soweit die Klägerin sich darauf berufen habe, dass sie eine Vielzahl von Pflegeheimpatienten behandele, habe sie weder zu den von ihr namentlich benannten 20 Patienten, die Verordnungskosten von mehr als 2000 Euro verursacht hätten, noch zu den 200 pauschal angegebenen Pflegeheimpatienten Angaben zu Indikation, Diagnose, Name der Versicherten, Krankenkassenversichertennummer, verordneten Arzneimitteln sowie Menge und Quartalskosten der Einzelmedikamente gemacht. Soweit der durchschnittliche Rentneranteil der Fachgruppe um 25 % überschritten sei, sei dies mit der höheren Richtgröße für Rentner berücksichtigt worden. Es verbleibe eine Überschreitung der gewichteten Richtgröße von 25,92 %.

3

Auf den Widerspruch der Klägerin, zu dessen Begründung sie erneut auf die Praxisbesonderheit "Heimbetreuung" verwies, hob der beklagte Beschwerdeausschuss mit Bescheid vom 7.8.2009 aus der Sitzung vom 27.5.2009 den Regress auf und setzte eine Beratung fest. Er führte ua aus, Pflegeheimpatienten könnten wegen einer aufwendigen Betreuung eine Besonderheit darstellen. Aus den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen sei aber nicht ersichtlich, dass tatsächlich 200 Patienten in Pflegeheimen betreut würden. Die Nennung von 20 namentlich benannten besonders kostenintensiven Patienten - davon 17 Pflegeheimpatienten - könne nicht ohne Weiteres zur Anerkennung von Praxisbesonderheiten führen. Es wäre vielmehr Pflicht der Klägerin gewesen, die behaupteten Praxisbesonderheiten sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach schlüssig darzulegen. Dieser Pflicht sei sie nicht nachgekommen. Nach eingehender Prüfung werde für insgesamt 11 der 20 namentlich genannten Patienten ein Mehraufwand in Höhe von 25 043,35 Euro zusätzlich anerkannt. Zur Ermittlung möglicher Praxisbesonderheiten sei ein Vergleich der häufigsten Diagnosen in den allgemeinmedizinischen Praxen in Sachsen mit der klägerischen Praxis vorgenommen worden, der lediglich bei zwei Positionen - bei den somatoformen Störungen und der Herzinsuffizienz - eine geringe positive Abweichung gegenüber der Fachgruppe ergeben habe. Von einem besonderen Klientel könne deshalb nicht ausgegangen werden. Nach Abzug der bereits von der Prüfungsstelle anerkannten und der im Widerspruchsverfahren festgestellten Praxisbesonderheiten in Höhe von insgesamt 159 789,16 Euro verbleibe eine Überschreitung des Richtgrößenvolumens von 20,93 %, sodass eine Beratung festzusetzen sei.

4

Das SG hat mit dem angefochtenen Urteil vom 20.6.2012 die Klage abgewiesen. Der auf die Richtgrößenwerte der Richtgrößenvereinbarung 2006 gestützte Regress sei rechtmäßig. Zwar sei diese Richtgrößenvereinbarung nicht rechtzeitig zu Jahresbeginn vereinbart und bekanntgemacht worden. Ihre Anwendung benachteilige die Klägerin jedoch nicht, weil für 2006 höhere Richtgrößen vereinbart worden seien als für 2005. In der Sache sei die Entscheidung des Beklagten rechtmäßig. Weitere Praxisbesonderheiten habe die Klägerin nicht substantiiert dargelegt. Hierfür reiche es nicht aus, wenn der geprüfte Arzt lediglich eine Patientenliste mit der Angabe von Diagnosen und Behandlungen vorlege. Der Beklagte habe dem naheliegenden Gedanken Rechnung getragen, dass bei der Betreuung von Patienten in Pflegeheimen verstärkt Patienten mit Demenzerkrankung vorhanden sein könnten und habe die sich hieraus ergebenden Mehrkosten anerkannt. Bezüglich der namentlich genannten Patienten habe er darüber hinaus Art und Umfang der verordneten Arzneimittel bewertet und weitere 25 043,35 Euro in Abzug gebracht. Für weitere in Pflegeheimen betreute Patienten sei dies schon deshalb nicht möglich gewesen, weil die Klägerin lediglich eine Anzahl angegeben habe, aber keine weiteren Patienten mit Namen bezeichnet habe. Allein die Unterbringung eines Patienten in einem Pflegeheim rechtfertige nicht die Anerkennung als Praxisbesonderheit mit Abzug eines pauschalen Verordnungsvolumens, für dessen Bemessung überdies keine Anhaltspunkte vorlägen. Eine weitere Substantiierung von Praxisbesonderheiten sei der Klägerin auch nicht unzumutbar gewesen.

5

Zur Begründung ihrer Sprungrevision trägt die Klägerin vor, der Umfang der ihr auferlegten Darlegungspflichten sei rechtswidrig. Die erforderliche Behandlungsintensität bei den betreuten Pflegeheimpatienten stelle per se eine anerkennungswürdige Praxisbesonderheit dar. Von den Prüfgremien seien ihr nur lückenhafte Informationen zur Verfügung gestellt worden, nämlich Dokumentationen ohne Klarnamen der Patienten sowie Vermerke von Pharmazentralnummern für Medikamente. Anhand dieser Daten habe sie ihrer Darlegungslast nicht nachkommen können. Andererseits seien die Anhaltspunkte für die Anerkennung einer Praxisbesonderheit evident gewesen. Diese Erkenntnisse hätten die Prüfgremien aber nicht zum Anlass genommen, ihrer Amtsermittlungspflicht zu genügen. Sie fügt eine Aufstellung von 211 Patienten bei, die sie im Jahr 2013 in einem Seniorenheim betreut habe und deren Altersdurchschnitt 85,36 Lebensjahre betragen habe. Allein durch die im Vergleich zu den Mitgliedern höhere Richtgröße für Rentner seien die höheren Kosten für Pflegeheimbewohner nicht ausreichend berücksichtigt. Etwa ab dem 75. Lebensjahr sei ein überproportionaler Anstieg der Verordnungskosten zu verzeichnen, sodass es einer weiteren Differenzierung bedürfe. Bei Heimbewohnern werde auch ausschließlich der das Heim betreuende Arzt für Verordnungen in Anspruch genommen. Es wäre sachwidrig, wenn der ein Heim versorgende Arzt für jeden Einzelfall die Besonderheit begründen müsse. Die systematische Besonderheit ergebe sich bereits aus dieser speziellen Patientengruppe, für die höhere Kosten anfallen würden. Die Prüfgremien seien verpflichtet, eine eigene Vergleichsgruppe für die Ärzte zu bilden, die Pflegeheimpatienten betreuen.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 20.6.2012 und den Bescheid des Beklagten vom 7.8.2009 aufzuheben.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Da den Prüfgremien die Adressen der Versicherten nicht vorlägen, sei die Unterbringung in einem Heim nicht ohne Weiteres ersichtlich. Es sei Sache des Vertragsarztes, die entsprechenden Angaben vorzutragen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Sprungrevision der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage gegen den Bescheid des Beklagten zu Recht abgewiesen.

10

1. Die Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid formell beschwert iS des § 54 Abs 1 Satz 2 SGG und damit klagebefugt. Sie erstrebt die Beseitigung einer in ihre Rechtssphäre eingreifenden Verwaltungsmaßnahme, die sie als rechtswidrig beanstandet (vgl BSGE 90, 127, 130; zur Klagebefugnis allgemein Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 54 RdNr 9 bis 12a mwN). Ein nachteiliges Einwirken auf die Rechtssphäre der Klägerin fehlt nicht etwa deshalb, weil der angefochtene Bescheid keine materielle Ausgleichspflicht festsetzt, sondern nur eine immaterielle Maßnahme der "Beratung". Auch bei der Beratung nach § 106 Abs 1a iVm Abs 5a Satz 1 und 2 SGB V handelt es sich nach der gesetzlichen Konzeption um eine Sanktion im Falle der Überschreitung des Richtgrößenvolumens. Das SG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Richtgrößen nach der Intention des Gesetzgebers eine Steuerungsfunktion zukommt und dies im Wortlaut des § 84 Abs 6 Satz 3 SGB V zum Ausdruck kommt. Danach leiten die Richtgrößen den Vertragsarzt bei seinen Entscheidungen über die Verordnung von Leistungen nach § 31 nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot. Die Steuerungsfunktion wird über die Wirtschaftlichkeitsprüfungen abgesichert (vgl BT-Drucks 12/3608 S 100 Zu Nummer 56 <§ 106> Zu Buchst f). Mit der Übertragung der Verantwortung für die Information und Beratung der Vertragsärzte über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der von ihnen verordneten Leistungen auf die Prüfgremien verband der Gesetzgeber die Vorstellung, erhebliche Wirtschaftlichkeitspotentiale zu aktivieren und die Versorgungsqualität zu verbessern (vgl BT-Drucks 15/1525 S 113 Zu Nummer 82 <§ 106> Zu den Buchst a und b). Wie jede Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung zielt auch die Beratung nach § 106 Abs 1a iVm Abs 5a Satz 1 und 2 SGB V letztlich auf eine Verhaltensänderung. Die konkrete Ausgestaltung der Maßnahme steht im Ermessen der Prüfgremien (vgl BT-Drucks 14/6309 S 11 Zu Nummer 4 <§ 106> Zu Buchst b), soweit die Partner der Gesamtverträge keine Bestimmungen in den Prüfungsvereinbarungen treffen. Dem Sinn und Zweck der Maßnahme dürfte am ehesten ein persönliches Beratungsgespräch gerecht werden, wie es nach den Angaben der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung in Sachsen von den Prüfgremien auch regelmäßig durchgeführt wird. Unabhängig von der Art ihrer Ausgestaltung erfolgt mit der Festsetzung einer Beratung jedenfalls eine Beurteilung des Verordnungsverhaltens des Vertragsarztes. Die Prüfgremien treffen die Feststellung, dass eine Überschreitung der Richtgrößen nicht durch Praxisbesonderheiten begründet, das Verordnungsverhalten des Vertragsarztes mithin unwirtschaftlich war. Der Vertragsarzt muss sich der Maßnahme der "Beratung" unterziehen, auch wenn diese uU nur in der Kenntnisnahme des Festsetzungsbescheides besteht. Der damit verbundene Eingriff in die durch Art 12 Abs 1 GG geschützte Berufsfreiheit begründet eine Beschwer der Klägerin.

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Für die Zeit ab dem 1.1.2012 kommt hinzu, dass nach der Einfügung von § 106 Abs 5e SGB V durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz(vom 22.12.2011 - BGBl I 2983) die Festsetzung einer Beratung für einen vorhergehenden Prüfzeitraum Voraussetzung für die Festsetzung eines Regresses ist. Schließlich ist auch nicht ausgeschlossen, dass die Beratung als Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung für die rechtlichen Voraussetzungen in anderen Verfahren, etwa in einem Disziplinarverfahren oder auch einem Zulassungsentziehungsverfahren, eine Rolle spielen kann.

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2. Rechtsgrundlage des Bescheides des Beklagten ist § 106 Abs 2 iVm Abs 5a und Abs 1a SGB V(hier zugrunde zu legen in der Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190, die im Jahr 2006 galt). Nach § 106 Abs 2 Nr 1 SGB V wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter anderem durch arztbezogene Prüfung ärztlich verordneter Leistungen bei Überschreitung der Richtgrößenvolumina nach § 84 und/oder anhand von Stichproben(aaO Nr 2), geprüft. Die Überschreitung der Richtgrößenvolumina löst gemäß § 84 Abs 6 Satz 4 SGB V eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Abs 5a SGB V aus.

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Das SG hat zu Recht entschieden, dass hier Prüfungsmaßstab die auf der Grundlage von § 84 Abs 6 SGB V getroffene Richtgrößenvereinbarung für das Jahr 2006 war. Diese war zwar entgegen § 84 Abs 6 Satz 1 SGB V nicht bis zum 15.11.2005 zustande gekommen, sondern beruhte auf einem Schiedsspruch vom 16.1.2006. Das steht jedoch der Wirksamkeit der Richtgrößenvereinbarung hier nicht entgegen, weil die Vereinbarung für das Jahr 2006 nach den von der Klägerin nicht angegriffenen Feststellungen des SG jedenfalls für die Fachgruppe der Allgemeinmediziner höhere Werte auswies als die Vereinbarung für das Vorjahr. Sofern keine Verschlechterung eintritt, stellen die neuen Richtgrößen keinen "Eingriff" dar, und es fehlt an der Grundlage für die Annahme einer unzulässigen Rückwirkung (vgl BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2 RdNr 27; BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 55). Dass sich für andere Fachgruppen (Gynäkologen, Psychiater und Orthopäden) die Richtgrößen zu ihren Lasten veränderten, berührt die Wirksamkeit der für die hier maßgebliche Fachgruppe vereinbarten Richtgrößen nicht.

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3. Art und Umfang der Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten durch den Beklagten sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Ebenso wie bei der Prüfung nach Durchschnittswerten besteht auch bei einer Richtgrößenprüfung ein Beurteilungsspielraum der Prüfgremien, soweit es um die Feststellung und Bewertung von Praxisbesonderheiten geht (vgl BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2 RdNr 38; BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 36). Der Begriff der Praxisbesonderheiten ist hier nicht anders zu verstehen als im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Durchschnittswerten (vgl BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2 RdNr 38; BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10 RdNr 35; Clemens in Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl 2010, § 36 RdNr 123 Fn 129). Praxisbesonderheiten sind anzuerkennen, wenn ein spezifischer, vom Durchschnitt der Vergleichsgruppe signifikant abweichender Behandlungsbedarf des Patientenklientels und die hierdurch hervorgerufenen Mehrkosten nachgewiesen werden (BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10 RdNr 35). Regelmäßig nicht zielführend ist der Hinweis auf schwere und kostenintensive Erkrankungen, weil sich solche Fälle in jeder Praxis finden (vgl BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2 RdNr 38; Clemens aaO, RdNr 63).

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Seit dem 1.1.2004 verpflichtet § 106 Abs 5a Satz 5 SGB V(idF des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003 - BGBl I 2190) die Vertragspartner, in der Prüfungsvereinbarung Maßstäbe für die Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten zu bestimmen. In der im streitbefangenen Zeitraum geltenden Prüfungsvereinbarung vom 14.4.2005 nannte die Anlage 7.1 "Indikationsgebiete zur Berücksichtigung als Praxisbesonderheiten bei Richtgrößenprüfungen". Der Beklagte hat entsprechend § 5 Abs 2 Satz 3 der Anlage 7 zur Prüfungsvereinbarung die Kosten der Arzneimittel für die in der Anlage 7.1 genannten Indikationsgebiete aus dem Verordnungsvolumen der Praxis herausgerechnet. In Abzug gebracht hat der Beklagte ferner 99,78 Euro für Imiquimod zur Behandlung des superfiziellen Basalzellkarzinoms, das nach der Anlage 1.1 Nr 29 der Prüfungsvereinbarung vom 12.12.2007 als Praxisbesonderheit zu berücksichtigen ist.

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Weitere Praxisbesonderheiten ermittelt nach § 106 Abs 5a Satz 8 SGB V idF des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007 (BGBl I 378) die Prüfungsstelle auf Antrag des Arztes, auch durch Vergleich mit den Diagnosen und Verordnungen in einzelnen Anwendungsbereichen der entsprechenden Fachgruppe. Es kann offenbleiben, ob die Formulierung eine Einschränkung der Amtsermittlungspflicht impliziert (vgl dazu Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand Juni 2013, K § 106 RdNr 191 f). Die Ermittlungen des Beklagten genügten unabhängig davon jedenfalls den von der Rechtsprechung hierzu allgemein entwickelten Grundsätzen. Danach sind die Prüfgremien zu Ermittlungen von Amts wegen hinsichtlich solcher Umstände verpflichtet, die typischerweise innerhalb der Fachgruppe unterschiedlich und daher augenfällig sind (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 35 RdNr 17; aaO Nr 34 RdNr 18 unter Bezugnahme auf BSG vom 8.5.1985 - 6 RKa 24/83 - Juris RdNr 21 = USK 85190 S 1014 f; vgl zB auch BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 51 S 277; Nr 53 S 295 oben). Den von der Klägerin als Besonderheit geltend gemachten Umständen ist der Beklagte hinreichend nachgegangen. Er hat mit Hilfe eines Diagnosevergleichs eine erhöhte Zahl von Patienten mit der Diagnose "Demenz" festgestellt und einen Mehraufwand für Antidementiva in Höhe von 7900,76 Euro berücksichtigt. Bezüglich der von der Klägerin namentlich benannten Patienten hat der Beklagte nach eingehender Überprüfung Kosten für Diätetika, ein opioidhaltiges Schmerzmittel sowie ein Arzneimittel gegen Morbus Parkinson in Höhe von insgesamt 25 043,35 Euro als Praxisbesonderheiten anerkannt. Im Übrigen hat er einen Vergleich der 30 häufigsten Diagnosen in der Fachgruppe angestellt und lediglich bei den Besuchsleistungen geringfügige Überschreitungen der Klägerin in Relation zur Fachgruppe festgestellt. Hieraus hat er beurteilungsfehlerfrei geschlossen, dass eine besondere Klientel, die einen Mehraufwand im Verordnungsbereich erforderlich mache, nicht ersichtlich sei.

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Rechtsfehlerfrei hat der Beklagte angenommen, dass die Betreuung von Pflegeheimbewohnern eine Praxisbesonderheit darstellen kann, wenn nachweisbar ein erhöhter Behandlungsbedarf besteht. Ein solcher ergibt sich aber nicht per se aus dem Umstand, dass ein Patient in einem Pflegeheim wohnt. Weder die Pflegebedürftigkeit noch die spezielle Wohnsituation lassen ohne Weiteres auf erhöhte Verordnungskosten schließen. Der Beklagte hat im Rahmen seiner Amtsermittlung mögliche Besonderheiten in diesem Zusammenhang - wie etwa den Mehraufwand für die Verordnungen von Antidementiva - untersucht und berücksichtigt. Er hat erhöhte Kosten für Wundbehandlungen bei Pflegebedürftigen erwogen, aber nicht feststellen können. Ein Vergleich der Diagnosehäufigkeiten mit der Fachgruppe zeigte keine signifikanten Besonderheiten. Weitere Ermittlungen von Amts wegen musste der Beklagte nicht anstellen. Entgegen der Auffassung der Klägerin war der Beklagte nicht verpflichtet, die Verordnungskosten für die einzelnen von der Klägerin behandelten Pflegeheimbewohner zu ermitteln. Dies dürfte ihm schon deshalb nicht möglich gewesen sein, weil ihm nach §§ 296 ff SGB V Adressen von Versicherten für die arztbezogenen Prüfungen nach § 106 Abs 2 Nr 1 SGB V regelmäßig nicht übermittelt werden(vgl dazu BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11 RdNr 29).

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Etwaige Mehraufwendungen für die Betreuung von Pflegeheimpatienten hätte vielmehr die Klägerin konkret darlegen müssen. Die Darlegungs- und Feststellungslast für besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende atypische Umstände wie Praxisbesonderheiten und kompensierende Einsparungen obliegt dem Arzt (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 54 S 298 f mwN; Nr 57 S 325; BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19 RdNr 14; Nr 23 RdNr 13; Nr 35 RdNr 17). Es besteht insofern in der Wirtschaftlichkeitsprüfung ein gewisses Spannungsfeld zwischen der nach § 20 Abs 1 SGB X bestehenden Verpflichtung der Prüfgremien, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, und der besonderen Mitwirkungspflicht des geprüften Arztes, die über die allgemeinen Mitwirkungspflichten nach § 21 Abs 2 SGB X hinausgeht(vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 35 RdNr 40 mwN). Grundsätzlich ist es Angelegenheit des Vertragsarztes, die für ihn günstigen Tatsachen so genau wie möglich anzugeben und zu belegen, vor allem, wenn sie allein ihm bekannt sind oder nur durch seine Mithilfe aufgeklärt werden können (vgl BSG aaO mwN). Der Arzt ist gehalten, solche Umstände im Prüfungsverfahren, also spätestens gegenüber dem Beschwerdeausschuss, geltend zu machen, die sich aus der Atypik seiner Praxis ergeben, aus seiner Sicht auf der Hand liegen und den Prüfgremien nicht ohne Weiteres an Hand der Verordnungsdaten und der Honorarabrechnung bekannt sind oder sein müssen (BSG aaO RdNr 42).

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Die Klägerin hat hier zwar auf die Betreuung von Versicherten in Pflegeheimen hingewiesen, aber nicht dargelegt, inwiefern der Verordnungsbedarf bei Pflegeheimbewohnern wesentlich anders sein soll als bei - typischerweise ebenfalls älteren - Rentnern, deren erhöhter Bedarf durch die besonderen Richtgrößen für diese Gruppe bereits berücksichtigt war. Abgesehen von der namentlichen Nennung von 20 Patienten, davon 17 Pflegeheimbewohnern, mit besonderem Verordnungsaufwand (insgesamt nach Angaben der Klägerin 70 802 Euro) gegenüber dem Prüfungsausschuss hat sie sich im gesamten Verfahren auf den pauschalen Hinweis auf die Betreuung von Pflegeheimbewohnern beschränkt, ohne auch nur ein konkretes Beispiel für die Notwendigkeit besonders aufwendiger Verordnungen zu nennen. Ungeachtet dessen, dass im Revisionsverfahren neuer Sachvortrag nicht berücksichtigt werden kann, § 163 SGG, bezieht sich die im Revisionsverfahren vorgelegte Liste auf Bewohner eines Seniorenheims, nicht eines Pflegeheims, und belegt lediglich das hohe Alter der Patienten. Auch insofern behauptet die Klägerin lediglich einen überdurchschnittlichen Verordnungsaufwand, ohne diesen näher zu begründen (vgl dazu BSG Beschluss vom 15.8.2012 - B 6 KA 101/11 B - RdNr 9). Anhand ihrer Behandlungsdokumentationen wäre für sie aber mit vertretbarem Aufwand nachvollziehbar gewesen, welche Verordnungen für welche Patienten aufgrund welcher Diagnosen ausgestellt wurden. Für 20 Patienten hat sie entsprechende Aufstellungen vorgelegt, die auch näher geprüft und berücksichtigt worden sind. Es ist nicht ersichtlich, dass ihr weiterer Vortrag unzumutbar gewesen wäre.

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4. Der Beklagte hat zu Recht als Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung eine Beratung festgesetzt. Beratungen der Vertragsärzte nach § 106 Abs 1a SGB V auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum verordneten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung werden nach § 106 Abs 5a Satz 1 SGB V durchgeführt, wenn das Verordnungsvolumen eines Arztes in einem Kalenderjahr das Richtgrößenvolumen um mehr als 15 vom Hundert übersteigt und die Prüfgremien nicht davon ausgehen, dass die Überschreitung in vollem Umfang durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 vom Hundert hat der Vertragsarzt nach § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V nach Feststellung durch die Prüfgremien den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten. Da nach Abzug der anerkannten Praxisbesonderheiten hier eine Überschreitung des Richtgrößenvolumens um 20,93 % verblieb, lagen die Voraussetzungen für die Festsetzung einer Beratung vor.

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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits, weil sie mit ihrem Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs 2 VwGO). Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, weil diese im Verfahren keine Anträge gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO, vgl dazu BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

(1) Die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen überwachen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich und die Kassenärztlichen Vereinigungen vereinbaren Inhalt und Durchführung der Beratungen und Prüfungen nach Absatz 2 sowie die Voraussetzungen für Einzelfallprüfungen. Die Vertragspartner können die Prüfungsstelle mit der Prüfung ärztlich verordneter Leistungen in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung beauftragen und tragen die Kosten. Die Krankenkassen übermitteln der Prüfungsstelle die Daten der in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung verordneten Leistungen; dabei sind zusätzlich die Zahl der Behandlungsfälle und eine Zuordnung der verordneten Leistungen zum Datum der Behandlung zu übermitteln. Die §§ 296 und 297 gelten entsprechend.

(2) Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird von der Prüfungsstelle nach § 106c geprüft durch

1.
arztbezogene Prüfungen ärztlicher Leistungen nach § 106a,
2.
arztbezogene Prüfungen ärztlich verordneter Leistungen nach § 106b.
Die Prüfungen werden auf der Grundlage der Daten durchgeführt, die der Prüfungsstelle nach § 106c gemäß § 296 Absatz 1, 2 und 4 sowie § 297 Absatz 2 übermittelt werden. Hat die Prüfungsstelle Zweifel an der Richtigkeit der übermittelten Daten, ermittelt sie die Datengrundlagen für die Prüfung aus einer Stichprobe der abgerechneten Behandlungsfälle des Arztes und rechnet die so ermittelten Teildaten nach einem statistisch zulässigen Verfahren auf die Grundgesamtheit der Arztpraxis hoch.

(3) Die Prüfungsstelle nach § 106c bereitet die für die Prüfungen nach Absatz 2 erforderlichen Daten und sonstigen Unterlagen auf, trifft Feststellungen zu den für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit wesentlichen Sachverhalten und entscheidet unter Beachtung der Vereinbarungen nach den §§ 106a und 106b, ob der Vertragsarzt, der ermächtigte Arzt oder die ermächtigte Einrichtung gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind. Eine Maßnahme kann insbesondere auch die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung sein. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung auf Grund einer Wirtschaftlichkeitsprüfung, die von Amts wegen durchzuführen ist, muss für ärztliche Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheides und für ärztlich verordnete Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab dem Schluss des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, erfolgen; § 45 Absatz 2 des Ersten Buches gilt entsprechend. Für Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die auf Grund eines Antrags erfolgen, ist der Antrag für die Prüfung ärztlicher Leistungen spätestens 18 Monate nach Erlass des Honorarbescheides und für die Prüfung ärztlich verordneter Leistungen spätestens 18 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, bei der Prüfungsstelle nach § 106c einzureichen. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung muss innerhalb weiterer zwölf Monate nach Ablauf der in Satz 4 genannten Frist erfolgen; die Regelung des § 45 Absatz 2 des Ersten Buches findet keine entsprechende Anwendung. Gezielte Beratungen sollen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen. Die Prüfungsstelle berät die Vertragsärzte auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung.

(4) Werden Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassenverbände und Kassenärztlichen Vereinigungen für eine ordnungsgemäße Umsetzung. Können Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt werden, weil die erforderlichen Daten nach den §§ 296 und 297 nicht oder nicht im vorgesehenen Umfang oder nicht fristgerecht übermittelt worden sind, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassen oder der Kassenärztlichen Vereinigungen. Die zuständige Aufsichtsbehörde hat nach Anhörung der Vorstandsmitglieder und der jeweils entsandten Vertreter im Ausschuss den Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung zu veranlassen, das Vorstandsmitglied auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens in Anspruch zu nehmen, falls der Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung das Regressverfahren nicht bereits von sich aus eingeleitet hat.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der im Krankenhaus erbrachten ambulanten ärztlichen und belegärztlichen Leistungen.

Tenor

I.

Der Bescheid des Beklagten vom 08.07.2014 wird insoweit aufgehoben, als unter Ziffer 2 Satz 2 entschieden wird, dass die ausgesprochene Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolgt ist.

II.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Gegenstand des Rechtsstreits ist allein die Frage, ob die individuelle Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V durch die Zustellung des, die Beratung erstmalig festsetzenden, Widerspruchsbescheids des Beklagten erfolgt ist.

Mit Schreiben vom 06.10.2008 informierte die Prüfungsstelle Ärzte Bayern die Beigeladene zu 1., eine allgemeinärztliche A., über die Einleitung der Richtgrößenprüfung 2006 (Arzneimittel und Sprechstundenbedarf). Es handelte sich um die erste Richtgrößenprüfung der Beigeladenen zu 1.

Mit Prüfbescheid vom 17.12.2008 setzte die Prüfungsstelle wegen Überschreitung des Richtgrößenvolumens für das Jahr 2006 i. H. v. 26,12% einen Regress in Höhe von 5.744,64 € gegen die Beigeladene zu 1. fest; gegen diesen legte die Beigeladene zu 1. fristgerecht Widerspruch ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.2014 gab der Beklagte dem Widerspruch der Beigeladenen zu 1. teilweise statt (Ziffer 1). Es wurde eine Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V ausgesprochen (Ziffer 2 Satz 1). Gemäß Ziffer 2 Satz 2 erfolgte diese mit der Zustellung des Widerspruchsbescheides. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen (Ziffer 2 Satz 3). Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass sich nach der Bereinigung des Gesamtverordnungsvolumens um Praxisgegebenheiten eine neue (bereinigte) Überschreitung i. H. v. 30,63% ergebe. Da vorliegend aber ein Widerspruch seitens der Krankenkassen nicht vorliege, greife das Verbot der reformatio in peius. Es bleibe folglich bei der ursprünglich festgesetzten Überschreitung i. H. v. 26,12%. Gem. § 106 Abs. 5a SGB V seien bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25% nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten die sich daraus ergebenden Mehrkosten den Krankenkassen zu erstatten. Gem. § 106 Abs. 5e SGB V erfolge abweichend von Abs. 5a bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent eine individuelle Beratung nach Abs. 5a Satz 1. Der Ausnahmetatbestand des § 106 Abs. 5e SGB V sei hier erfüllt. Ein Regress sei daher nicht festzusetzen gewesen. Die Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V erfolge mit Zustellung dieses Bescheids.

Die Klägerin, die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, hat am 13.08.2014 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Sie hat klargestellt, dass sich die Klage nicht gegen den Ausspruch der Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V unter Ziffer 2 Satz 1 des Widerspruchsbescheides wendet. Die Klägerin ist der Auffassung, dass an eine individuelle Beratung gem. § 106 Abs. 5e SGB V höhere Anforderungen zu stellen sind als an eine „schriftliche Beratung“ im Rahmen eines Maßnahmenfestsetzungsbescheids. Das Angebot einer individuellen Beratung setze voraus, dass die Prüfgremien auf die betroffenen Ärzte, sei es in schriftlicher oder mündlicher Form, zugingen und diesen eine Beratung, die speziell auf die jeweilige Praxis abgestimmt sei, zur Disposition stelle. Es bestehe keine Rechtsgrundlage dafür, dass die Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolge. Soweit den Prüfgremien bei der konkreten Ausgestaltung der Maßnahme nach § 106 Abs. 5e SGB V überhaupt ein eigenes Ermessen zugestanden werden könne, sei dieses vom Beklagten jedenfalls nicht ausgeübt worden. Die „individuelle Beratung“ i. S. d. § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V unterscheide sich aufgrund der Begrifflichkeit von der „schriftlichen Beratung“ i. S. d. § 106 Abs. 5a Satz 1 i. V. m. Abs. 1a SGB V. Zum einen ergebe sich aus § 106 Abs. 5e Satz 3 SGB V, dass den betroffenen Ärzten bei erstmaliger Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent eine individuelle Beratung „angeboten“ werden müsse. Bei einer mittels eines Bescheids einseitig auferlegten „schriftlichen“ Beratung werde weder auf die Vertragsärzte mit dem Ziel eines persönlichen Gesprächs zugegangen noch werde ihnen die Beratung zur Disposition gestellt. Darüber hinaus sehe § 106 Abs. 5e Satz 4 SGB V vor, dass im Rahmen der Beratung nach Satz 1 Vertragsärzte in begründeten Fällen eine Feststellung der Prüfungsstelle über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten beantragen könnten. Diese Regelung würde bei einer mittels Widerspruchsbescheids einseitig auferlegten Beratung ins Leere laufen. Der streitgegenständliche Widerspruchsbescheid unterscheide sich seinem Inhalt nach nicht von den üblichen schriftlichen Beratungen der Prüfgremien nach § 106 Abs. 5a Satz 1 SGB V. Konkrete Darlegungen zu betragsmäßigen Einsparpotentialen, geschweige denn zielführende Lösungsansätze lasse der Bescheid vermissen. Es sei eine klare Trennung zwischen Festsetzung der Maßnahme, deren Vollziehung sowie einer abschließenden Feststellung über die Vollziehung vorzunehmen. Es könne offen bleiben, ob eine individuelle Beratung bei Ärztinnen und Ärzten, die schon seit Jahren ihr Richtgrößenvolumen überschritten, eine bloße Förmelei darstellen würde. Jedenfalls handele es sich vorliegend um das erste Richtgrößenverfahren der Beigeladenen zu 1.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 08.07.2014 insoweit aufzuheben, als unter Ziffer 2 Satz 2 entschieden wird, dass die ausgesprochene Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolgt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Durchführung einer Beratung, deren Gegenstand ein Verordnungsverhalten von vor neun Jahren sei, nicht zielführend und bloße Förmelei sei. Sowohl Prüfungsstelle als auch Beschwerdeausschuss seien für die Festsetzung und die Durchführung einer Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V zuständig. Der Beklagte habe den Zeitpunkt der individuellen Beratung davon abhängig zu machen, ob in dem erstinstanzlichen Bescheid Beratungspunkte aufgeführt gewesen seien oder nicht. Mangels Beratungspunkte im erstinstanzlichen Prüfbescheid sei vorliegend die Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Versand des Widerspruchsbescheids am 08.07.2014 erfolgt. Damit genieße die Beigeladene zu 1. bis einschließlich Quartal 3/2014 Regressschutz. Aus der Normenkette des § 106 Abs. 5e i. V. m. Abs. 5a i. V. m. Abs. 1a SGB V ergebe sich lediglich eine Beratungsaufgabe der Prüfungsstelle anhand von Übersichten.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Auf Nachfrage des Gerichts hat der Beklagte die „Prüfhistorie“ der Beigeladenen zu 1. übermittelt. Danach wurden gegenüber der Beigeladenen zu 1. im Rahmen einer Durchschnittswertprüfung 4/2007 sowie einer Ersatzrichtgrößenprüfung 3/2009 jeweils Beratungen bestandskräftig festgesetzt; die Beratungen erfolgten jeweils mit schriftlichem Festsetzungsbescheid. Verschiedene, aufgrund von Ersatzrichtgrößenprüfungen von der Prüfungsstelle festgesetzte Regresse sind noch beim Beklagten anhängig.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 08.07.2014 ist, soweit unter Ziffer 2 Satz 2 entschieden wurde, dass die ausgesprochene Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolgt, rechtswidrig.

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage liegen vor. Insbesondere ist die Klägerin klagebefugt. Die Betroffenheit in ihre Rechte ergibt sich aus der Gesamtverantwortung der Kassenärztlichen Vereinigungen für eine den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entsprechende Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung (§ 75 Abs. 1 SGB V), in die durch Entscheidungen der Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse eingegriffen wird. Hieraus folgt nach der Rechtsprechung des BSG ihre Befugnis, die Rechtswidrigkeit dieser Entscheidungen unabhängig vom Nachweis eines darüber hinausgehenden konkreten rechtlichen Interesses im Einzelfall geltend zu machen (BSG, Urteil vom 28.08.1996, Az. 6 RKa 88/95, Rn. 13 m. w. N.).

Die Klage ist auch begründet.

Streitgegenstand ist lediglich die Frage, ob die individuelle Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V durch die Zustellung des, die Beratung erstmalig festsetzenden, Widerspruchsbescheids des Beklagten erfolgt ist.

§ 106 Abs. 5e SGB V (in der Fassung vom 19.10.2012) lautet:

„Abweichend von Absatz 5a Satz 3 erfolgt bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent eine individuelle Beratung nach Absatz 5a Satz 1. Ein Erstattungsbetrag kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfzeitraum nach der Beratung festgesetzt werden. Dies gilt entsprechend, wenn ein Vertragsarzt die ihm angebotene Beratung abgelehnt hat. Im Rahmen der Beratung nach Satz 1 können Vertragsärzte in begründeten Fällen eine Feststellung der Prüfungsstelle über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten beantragen. Eine solche Feststellung kann auch beantragt werden, wenn zu einem späteren Zeitpunkt die Festsetzung eines Erstattungsbetrags nach Absatz 5a droht. Das Nähere zur Umsetzung der Sätze 1 bis 5 regeln die Vertragspartner nach Absatz 2 Satz 4. Dieser Absatz gilt auch für Verfahren, die am 31. Dezember 2011 noch nicht abgeschlossen waren.“

Auf die vorliegende Richtgrößenprüfung der Beigeladenen zu 1. war § 106 Abs. 5e SGB V anzuwenden, da das Prüfverfahren am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen war und die Entscheidung des Beklagten nach dem 25.10.2012 ergangen ist (vgl. BSG, Urteil vom 22.10.2014, Az. B 6 KA 3/14 R, LS 2).

Nähere Regelungen der Partner der Gesamtverträge zur Frage der Umsetzung des § 106 Abs. 5e Sätze 1 bis 5 SGB V existieren für den streitgegenständlichen Prüfungszeitraum nicht.

§ 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V verweist bezüglich der individuellen Beratung auf Abs. 5a Satz 1, der wiederum auf Abs. 1a Bezug nimmt. Danach berät in erforderlichen Fällen die in Absatz 4 genannte Prüfungsstelle die Vertragsärzte auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung.

Anders als die Beratungen nach Abs. 1a sind jedoch die Beratungen nach Abs. 5a und 5e zwingend durchzuführen.

Nach der Rechtsprechung des BSG zu § 106 Abs. 1a i. V. m. Abs. 5a Satz 1 und 2 SGB V hat die Prüfungsstelle hinsichtlich der Ausgestaltung der Beratung einen Ermessensspielraum; mit der Festsetzung einer Beratung sind jedoch grundsätzlich die an diese Maßnahme zu stellenden Anforderungen erfüllt: „Die konkrete Ausgestaltung der Maßnahme steht im Ermessen der Prüfgremien (vgl. BT-Drucks 14/6309 S 11 Zu Nummer 4 <§ 106> Zu Buchst b), soweit die Partner der Gesamtverträge keine Bestimmungen in den Prüfungsvereinbarungen treffen. Dem Sinn und Zweck der Maßnahme dürfte am ehesten ein persönliches Beratungsgespräch gerecht werden, wie es nach den Angaben der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung in Sachsen von den Prüfgremien auch regelmäßig durchgeführt wird. Unabhängig von der Art ihrer Ausgestaltung erfolgt mit der Festsetzung einer Beratung jedenfalls eine Beurteilung des Verordnungsverhaltens des Vertragsarztes. Die Prüfgremien treffen die Feststellung, dass eine Überschreitung der Richtgrößen nicht durch Praxisbesonderheiten begründet, das Verordnungsverhalten des Vertragsarztes mithin unwirtschaftlich war. Der Vertragsarzt muss sich der Maßnahme der „Beratung“ unterziehen, auch wenn diese unter Umständen nur in der Kenntnisnahme des Festsetzungsbescheides besteht“ (BSG, Urteil vom 05.06.2013, Az. B 6 KA 40/12 R, Rn. 10; vgl. zum Ermessensspielraum auch Clemens in: jurisPK-SGB V, Stand 20.01.2015, § 106 Rn. 287).

Nach Auffassung der Kammer kann die zu § 106 Abs. 1a i. V. m. Abs. 5a Satz 1 und 2 SGB V ergangene Rechtsprechung des BSG jedoch nur eingeschränkt auf § 106 Abs. 5e SGB V übertragen werden.

Anders als in § 106 Abs. 1a, 5a SGB V ist in § 106 Abs. 5e Satz 1 von einer „individuellen“ Beratung die Rede. Zwar ließe sich argumentieren, dass auch eine im Rahmen eines Festsetzungsbescheids vorgenommene Beratung eine individuelle Beratung ist, weil sie im Rahmen eines individuellen Bescheids gegenüber dem einzelnen Bescheidsadressaten erfolgt. Die Betonung der Individualität durch den Gesetzgeber spricht jedoch eher dafür, dass damit eine auf die speziellen Verhältnisse, insbesondere auf den speziellen (Beratungs-)Bedarf des Vertragsarztes gerichtete Beratung gemeint ist. Dass der Gesetzgeber eine über den „Festsetzungsbescheid mit Beratungsfunktion“ hinausgehende Beratung im Sinn hatte, ist auch den Regelungen des § 106 Abs. 5e Sätze 3 und 4 SGB V zu entnehmen. Satz 3 regelt die Frage der Festsetzung eines Erstattungsbetrages, „wenn ein Vertragsarzt die ihm angebotene Beratung abgelehnt hat“. Danach geht der Gesetzgeber jedenfalls davon aus, dass die Prüfungsstelle dem Vertragsarzt eine Beratung anbietet. Satz 4 räumt den Vertragsärzten die Möglichkeit ein, im Rahmen der Beratung nach Satz 1 in begründeten Fällen eine Feststellung der Prüfungsstelle über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten zu beantragen. Diese Regelung kann nur Wirkung entfalten, wenn die Beratung bzw. das Beratungsangebot über die Kenntnisnahme eines Festsetzungsbescheids hinausgeht.

Auch der Gesetzesbegründung zum GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG), mit dem § 106 Abs. 5e SGB V eingeführt wurde, ist zu entnehmen, dass vor Festsetzung eines Regresses dem Vertragsarzt zumindest ein Beratungsangebot gemacht werden muss. Dort heißt es, dass „gemäß der Neuregelung in Absatz 5e die Festsetzung eines Erstattungsbetrages bei erstmaliger Überschreitung des Richtgrößenvolumens eine vorherige Beratung oder zumindest ein Beratungsangebot voraussetzt“ (BT-Drs. 17/6906, S. 79). Gemäß der Begründung soll bei erstmaliger Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 v. H. „kein Regress festgesetzt werden, bevor den betroffenen Vertragsärztinnen und -ärzten daraufhin nicht zumindest eine einmalige Beratung angeboten wurde“ (BT-Drs. 17/6906, S. 79).

Dementsprechend führt auch das BSG aus, dass Sinn und Zweck der Einfügung des § 106 Abs. 5e SGB V gewesen sei, Ärzte nach erstmaligem Überschreiten des Richtgrößenvolumens nicht unmittelbar einem - trotz der betragsmäßigen Begrenzung durch § 106 Abs. 5c Satz 7 SGB V wirtschaftlich belastenden - Regress auszusetzen, sondern ihnen über eine eingehende „Beratung“ zunächst ohne finanzielle Konsequenzen für die Praxis die Möglichkeit zu geben, ihr Verordnungsverhalten bei Arznei- und Heilmitteln zu modifizieren (BSG, Urteil vom 22.10.2014, Az. B 6 KA 3/14 R, Rn. 65). Das BSG hat in seiner Entscheidung jedoch einschränkend darauf hingewiesen, dass die Annahme, dass der Gesetzgeber auch Vertragsärzte privilegieren wollte, die seit längerem nicht im Einklang mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot tätig seien, nicht gerechtfertigt sei. Ärzte, die ggf. schon seit Jahren ihr Richtgrößenvolumen überschritten und hinlänglich wüssten, welcher Verordnungsumfang von der zuständigen Prüfungsstelle als wirtschaftlich angesehen werde, bedürften einer solchen „Beratung“ nicht; diese wäre vielmehr bloße Förmelei (BSG, ebenda, Rn. 66).

Nach alledem ist dem Gesetzeswortlaut sowie der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass dem Vertragsarzt im Rahmen des § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V zumindest eine Beratung angeboten werden muss.

Nach Auffassung der Kammer ist unter dem Angebot einer Beratung zu verstehen, dass die Prüfungsstelle dem Vertragsarzt die Möglichkeit zur Inanspruchnahme einer tatsächlichen, auf den speziellen (Beratungs-)Bedarf des Vertragsarztes ausgerichteten und auf den betroffenen Prüfungszeitraum bezogenen Beratung gibt. Ob diese Beratung schriftlich oder mündlich erfolgt, liegt im Ermessen der Prüfungsstelle.

An eine individuelle Beratung i. S. d. § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V sind demnach grundsätzlich höhere Anforderungen zu stellen als an eine Beratung i. S. d. § 106 Abs. 1a i. V. m. Abs. 5a Satz 1 und 2 SGB V. Allein die Festsetzung einer Beratung im Rahmen eines Maßnahmenbescheides und die Kenntnisnahme durch den Vertragsarzt genügen nicht. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn es sich um einen Vertragsarzt handelt, der schon seit Jahren sein Richtgrößenvolumen überschreitet und davon auszugehen ist, dass er aufgrund früherer Maßnahmen der Prüfgremien mit Beratungsfunktion keinen Beratungsbedarf mehr hat, eine Beratung also nur mehr bloße Förmelei darstellen würde (vgl. BSG, ebenda, Rn. 66).

Da es sich im vorliegenden Fall um die erste Richtgrößenprüfung der Beigeladenen zu 1. handelte, war eine derartige Ausnahmekonstellation nicht gegeben.

Aus diesem Grund war der Bescheid des Beklagten vom 08.07.2014, soweit unter Ziffer 2 Satz 2 entschieden wird, dass die ausgesprochene Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolgt, aufzuheben. Der Beklagte bzw. die Prüfstelle muss daher die Beigeladene zu 1. noch beraten bzw. ihr zumindest eine Beratung anbieten. Da der streitgegenständliche, das Jahr 2006 betreffende Prüfungszeitraum weit zurückliegt, erscheint es zwar offen, ob die Vertragsärzte der Beigeladenen zu 1. ein auf diesen Zeitraum bezogenes Beratungsangebot in Anspruch nehmen werden. Darauf kam es jedoch im Hinblick auf die Begründetheit der Klage nicht an.

Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. November 2013 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit steht ein Regress wegen Überschreitung der Heilmittel-Richtgrößen im Jahr 2008.

2

Der Kläger nimmt seit 1990 als Orthopäde an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Nach vorangegangenen Regressen für die Jahre 2006 und 2007 setzte die Prüfungsstelle wegen der Überschreitung des individuellen Richtgrößenvolumens (RGVol) bei Heilmitteln im Jahr 2008 einen weiteren Regress gegen den Kläger fest (Bescheid vom 20.12.2010). Mit Bescheid vom 19.9.2012 (Beschluss vom 27.6.2012) half der beklagte Beschwerdeausschuss dem Widerspruch des Klägers teilweise ab und verminderte den Regressbetrag auf 10 303,54 Euro. Im Übrigen wies er den Widerspruch zurück: Der Kläger habe 2008 das RGVol für Orthopäden - nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten und kompensatorischen Einsparungen - um 31,18 vH überschritten. Die Regelung des § 106 Abs 5e SGB V über den Vorrang der Beratung werde nicht rückwirkend angewandt, da bereits zwei bestandskräftige Regressbescheide für 2006 und 2007 vorlägen und damit ein Regress nicht erstmals festgesetzt werde.

3

Auf die Klage des Klägers hat das SG mit Urteil vom 20.11.2013 den Bescheid des Beklagten aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Festsetzung eines Regresses sei mit dem in § 106 Abs 5e SGB V geregelten Grundsatz "Beratung vor Regress" nicht vereinbar. Nach seinem Satz 7 gelte § 106 Abs 5e SGB V auch für Verfahren, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen gewesen seien. Der Gesetzgeber habe, wie aus den Gesetzesmaterialien hervorgehe, mit § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V klarstellen wollen, dass der in § 106 Abs 5e SGB V verankerte Grundsatz "Beratung vor Regress" auch für bei Inkrafttreten des § 106 Abs 5e SGB V zum 1.1.2012 noch nicht abgeschlossene Richtgrößenprüfungen gelten solle. Vor Erlass des angefochtenen Bescheids habe keine individuelle Beratung des Klägers im Sinne des § 106 Abs 5e SGB V zur Wirtschaftlichkeit seines Heilmittelverordnungsverhaltens stattgefunden. Die Regressbescheide für 2006 und 2007 stellten keine Beratung nach § 106 Abs 5e SGB V dar.

4

Angesichts der Zielsetzung des § 106 Abs 5e SGB V könne dem Kläger auch nicht entgegengehalten werden, er habe das RGVol im Jahr 2008 nicht zum ersten, sondern zum dritten Mal überschritten. Die Konzeption des § 106 Abs 5e SGB V mit dem zum 1.1.2012 neu eingeführten Grundsatz "Beratung vor Regress" sehe vor, dass der Arzt, der mit seinem Verordnungsverhalten die Richtgrößen überschreite, ab 1.1.2012 zuerst nach näherer Maßgabe des § 106 Abs 1a SGB V beraten werden müsse. Ein Regress dürfe erst dann festgesetzt werden, wenn er in einem weiteren Prüfungszeitraum nach erfolgter (oder abgelehnter) Beratung die Richtgrößen erneut überschreite. Für diesen Verfahrensgang sei es unerheblich, ob die Richtgrößen in der Vergangenheit überschritten worden seien und deswegen Regressbescheide ergangen seien. Als erstmalige Überschreitung des RGVol im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V sei diejenige Überschreitung anzusehen, auf die erstmals die in der genannten Vorschrift geforderte Beratung stattfinde. Ein Regress komme daher erst in Betracht, wenn der Kläger nach einer solchen Beratung künftig das RGVol erneut um mehr als 25 vH überschreite.

5

Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung von Bundesrecht. Das SG habe § 106 Abs 5e SGB V fehlerhaft angewandt; die von ihm vorgenommene Auslegung der Norm sei mit deren klaren Wortlaut nicht zu vereinbaren. Gründe, vom Wortlaut des Gesetzes abzuweichen, gebe es nicht. Der Gesetzeswortlaut gehe davon aus, dass nur bei einer erstmaligen Überschreitung des RGVol die Maßnahme auf eine individuelle Beratung beschränkt sei. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass die Vorschrift für jedes am Stichtag 1.1.2012 noch laufende Verfahren Geltung entfalten solle, so gebe die Formulierung "erstmalig" im Gesetzestext keinen Sinn. Soweit der Gesetzestext - wie hier - eindeutig sei und nicht zu schlechthin unbilligen Ergebnissen führe, bedürfe es keiner Auslegung unter Hinzunahme der Gesetzesbegründung. § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V ordne die rückwirkende Anwendung des neuen Rechts auf frühere Sachverhalte gerade nicht in der erforderlichen Klarheit an. Die in der Gesetzesbegründung zum Einschub des § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V enthaltenen Überlegungen könnten keine Anwendung finden, da diese sich nicht im Gesetzeswortlaut objektiviert hätten. Hätte der Gesetzgeber mit dem Gesetzeswortlaut tatsächlich rückwirkend alle Wirtschaftlichkeitsprüfungen und bereits festgesetzte Regresse beseitigen und der Tätigkeit der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung damit ihre Grundlage entziehen wollen, so hätte er damit zugleich auch in die Rechte der Krankenkassen eingegriffen, weil verfestigte Vermögenspositionen entwertet würden. Dass er dies gewollt habe, ergebe sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch den Gesetzesmaterialien.

6

Im Übrigen verkenne das SG den systematischen Aufbau des § 106 Abs 5e SGB V: In Satz 1 aaO werde unmissverständlich eine "erstmalige Überschreitung" vorausgesetzt; alle nachfolgenden Regelungen des § 106 Abs 5e SGB V bauten hierauf auf, setzten also eine "erstmalige Überschreitung" voraus. Daraus folge, dass eine Beratung nur bei einer erstmaligen Überschreitung erforderlich sei, sonst nicht. Die Erstüberschreitung sei nach dem Gesetzeswortlaut jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn zum 31.12.2011 bereits bestandskräftige Richtgrößen-Regressbescheide aus früheren Prüfjahren gegen den Arzt vorgelegen hätten, so wie es hier der Fall gewesen sei. Bezugszeitraum sei dabei die gesamte, in der Vergangenheit liegende Tätigkeit des Vertragsarztes, bei der es zu Überschreitungen gekommen sei. Mit der erstmaligen Überschreitung nach § 106 Abs 5e SGB V könne nichts anderes gemeint sein als die numerisch erstmalige Überschreitung. Die Auslegung des SG käme einem Neuanfang der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Richtgrößen gleich; Regresse könnten frühestens für das Jahr 2015 - zeitversetzt erst in 2016 oder 2017 - festgesetzt werden. Hätte der Gesetzgeber eine "Amnestie" in dieser Hinsicht gewollt, hätte er dies im Gesetzestext ausdrücklich regeln müssen.

7

Aus der Anwendung des Leistungsfallprinzips folge, dass § 106 Abs 5e Satz 1 bis 6 SGB V lediglich auf Prüfquartale nach dem 1.1.2012 Anwendung finde. Wenn § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V die Durchführung einer Beratung zur Voraussetzung der Festsetzung eines Regresses erkläre, so werde damit eine Tatbestandsvoraussetzung normiert, die materiell-rechtlicher Art sei. Anspruchsbegründendes Ereignis sei die tatsächliche Verordnungspraxis in den maßgeblichen Beurteilungsquartalen; das spätere Prüfverfahren ändere nichts an einer tatsächlichen Überschreitung, sondern diene lediglich deren Ermittlung und Feststellung. Somit habe vorliegend zum Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheides am 19.9.2012 ein abgeschlossener Sachverhalt vorgelegen. Der Grundsatz der sofortigen Anwendung des neuen Rechts sei nicht anzuwenden, weil die Neuregelung nicht allein begünstigend wirke, sondern zugleich die Krankenkassen belaste.

8

Durch die Einfügung des Satzes 7 aaO mit Wirkung zum 26.10.2012 sei keine Änderung eingetreten, da es sich bei der von dieser Vorschrift angeordneten Erstreckung des zeitlichen Geltungsbereichs auf sämtliche zum 31.12.2011 nicht abgeschlossenen Sachverhalte um eine unzulässige und damit verfassungswidrige echte Rückwirkung handele. Der Gesetzgeber könne den Inhalt geltenden Rechts mit Wirkung für die Vergangenheit nur in den verfassungsrechtlichen Grenzen für eine rückwirkende Rechtssetzung feststellend oder klarstellend präzisieren; Ausführungen in der Gesetzesbegründung, dass die Vorschrift lediglich klarstellenden Charakter habe, seien für die Gerichte nicht verbindlich. Die Voraussetzungen für eine echte Rückwirkung seien erfüllt, da durch Satz 7 aaO Regressansprüche der Krankenkassen nachträglich zum Erlöschen gebracht worden seien. Keine der Fallgruppen, in denen eine echte Rückwirkung ausnahmsweise zulässig sei, sei vorliegend gegeben. Insbesondere fehle es an überragenden Gemeinwohlbelangen, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgingen. Die Rückwirkungsgrundsätze seien auch auf gesetzliche Krankenkassen anwendbar, weil das Rückwirkungsverbot nicht lediglich aus Grundrechten, sondern auch aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet werde. Vertrauensschutz ziele daher nicht lediglich auf den Schutz der Grundrechte, sondern sämtlicher einer natürlichen oder juristischen Person zustehender Rechte.

9

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Stuttgart vom 21.11.2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

11

Das BSG gehe keineswegs in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw Rechtsverhältnisse immer nach dem Recht beurteilten, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten habe. Vielmehr sei nach den allgemeinen, für das intertemporale Sozialrecht geltenden Grundsätzen zunächst zu klären, ob das Versicherungs- bzw Leistungsfallprinzip oder das Geltungszeitraumprinzip zur Anwendung komme. Letztlich hänge es vom Inhalt und Zweck der konkreten neuen Regelung ab, ob diese mit Wirkung für die Zukunft auch die bereits unter dem früheren Recht begründeten Ansprüche erfasse oder nicht.

12

Durch § 106 Abs 5e SGB V sei nicht die inhaltliche Beurteilung der Wirtschaftlichkeit verändert worden, sondern lediglich die Rechtsfolge bzw Sanktion, die sich an eine festgestellte Unwirtschaftlichkeit anschließe. Auch die jüngere Rechtsprechung des BSG ordne die Beratung als Sanktion und nicht als materiell-rechtliche Regelung ein. Der gesamte rechtliche Gehalt des neuen § 106 Abs 5e SGB V wirke sich erst nach Abschluss der materiellen Prüfung aus. Mangels einer materiell-rechtlichen Vorgabe bzw einer materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzung verbleibe hier nur die Anwendung des Geltungszeitraumprinzips mit dem Ergebnis, dass der neue § 106 Abs 5e SGB V bereits auf das laufende - hier zu beurteilende - Prüfverfahren hätte Anwendung finden müssen, da die maßgeblichen Rechtsfolgen in den zeitlichen Geltungsbereich des neuen § 106 Abs 5e SGB V fielen. Gegen die Anwendung des Versicherungs- bzw Leistungsfallprinzips spreche auch, dass anspruchsbegründendes Ereignis für den Regressanspruch der Krankenkassen nicht die quartalsweise getätigten Verordnungen, sondern die Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH sei; dies stehe erst nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens fest. Die Beratung habe de facto eine Doppelnatur als Rechtsfolge und Verfahrensvoraussetzung.

13

Selbst wenn man § 106 Abs 5e SGB V als Änderung einer materiell-rechtlichen Vorgabe einstufen würde, gelte das Versicherungs- bzw Leistungsfallprinzip nur "grundsätzlich" und auch nur dann, wenn später in Kraft gesetztes Recht "ausdrücklich oder sinngemäß" nichts anderes bestimme. Letzteres sei der Fall. Der Gesetzgeber sei vom Geltungszeitraumprinzip ausgegangen, da er sonst die spätere Ergänzung kaum als "Klarstellung" bezeichnet hätte. Die Neufassung der Norm solle nach ihrem Sinn und Zweck sofort gelten, dh auch laufende Prüfverfahren habe erfassen sollen, da es sich nicht um eine grundlegend neue Regelung, sondern um die Umwandlung einer Soll- in eine Mussvorschrift handele. Diese Umwandlung habe zum einen die Feststellung des Gesetzgebers zum Hintergrund gehabt, dass die in der Vergangenheit ausgesprochenen Regresse das Verordnungsverhalten der Vertragsärzte nicht verändert hätten; der Gesetzgeber habe daher eine echte Kehrtwende im Bereich der Richtgrößenprüfung vornehmen wollen. Durch eine Beratung solle ausdrücklich eine nochmalige Überschreitung vermieden werden. Zum Weiteren hätten die hohen Regressforderungen dazu geführt, dass immer mehr junge Ärzte die Niederlassung ablehnten und immer mehr Patienten die Sorge äußerten, wegen der Richtgrößen benötigte Medikamente nicht mehr zu bekommen. Angesichts dessen erscheine es mehr als unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber noch drei Jahre habe warten wollen, bis seine Regelungen griffen.

14

Da es sich bei § 106 Abs 5e SGB V um eine Regelung handle, die den Vertragsarzt begünstige, lägen auch die Voraussetzungen für die sofortige Anwendung des neuen Rechts vor. Bei einer begünstigenden Regelung sei grundsätzlich lediglich zu prüfen, ob Grundsätze des Vertrauensschutzes der sofortigen Einführung der Neuregelung entgegenstünden. Das Vertrauen der Krankenkassen in den Fortbestand der Rechtslage sei jedoch ebenso wenig schutzwürdig wie deren angeblich verfestigte Vermögensposition. Der Gesetzgeber habe bewusst in Kauf genommen, dass ihnen Rückzahlungsbeträge und Vermögenspositionen entgingen. Schließlich sei maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtslage bei der vorliegend erhobenen Anfechtungsklage der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, wie das BSG mit Urteil vom 24.11.1993 (6 RKa 20/91 - SozR 3-2200 § 368n Nr 6) entschieden habe; der Widerspruchsbescheid sei am 19.9.2012 ergangen und damit zu einem Zeitpunkt, als der neue § 106 Abs 5e SGB V bereits in Kraft getreten gewesen sei.

15

Soweit es die Anwendbarkeit des § 106 Abs 5e SGB V in der Fassung ab dem 26.10.2012 betreffe, sei das Versicherungs- bzw Leistungsfallprinzip schon deswegen nicht anwendbar, weil später in Kraft gesetztes Recht - nämlich Satz 7 aaO - ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimme. Der Auffassung, dass die vermeintliche Klarstellung leerlaufe, da die Regelung einen konstitutiven Charakter habe, sei nicht zuzustimmen. Der Gesetzgeber sei der Auffassung gewesen, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die entscheidende Rechtslage der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung sein werde. Durch die gegenteilige Auffassung werde hier die eigene Erläuterung des Gesetzgebers in seiner Gesetzesbegründung als unbeachtlich verworfen. Zu entscheiden, was Recht sein solle, sei in einem demokratischen Rechtsstaat grundsätzlich Sache des Gesetzgebers. § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V sei auch nicht verfassungswidrig. Echte Rückwirkung entfalte eine Rechtsnorm nur, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung für den Bürger bzw Grundrechtsträger schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung gelten solle. Vorliegend werde die Rechtsstellung der Vertragsärzte jedoch verbessert, während die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen) keine Grundrechtsträger seien.

16

Schließlich gelte § 106 Abs 5e SGB V auch für Vertragsärzte, die ihr RGVol in der Vergangenheit bereits mehrmals um 25 vH überschritten, aber bisher noch nie eine Beratung erhalten hätten. Zwar sei § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V ("erstmalig") eindeutig; dies gelte grundsätzlich aber auch für Satz 2 aaO, wonach ein Erstattungsbetrag bei künftigen Überschreitungen erstmals für den Prüfungszeitraum nach der Beratung festgesetzt werden könne. Hieraus sei zu entnehmen, dass es unerheblich sei, ob eine erstmalige oder eine mehrmalige Überschreitung vorliege. Angesichts zweier möglicher Auslegungen komme dem subjektiven Willen des Gesetzgebers Gewicht bei der Auslegung zu. Die Gesetzesbegründung sei dahingehend eindeutig, dass sie den Vorrang der Beratung auf jedes noch laufende Prüfverfahren erstrecke, sofern der Vertragsarzt zuvor noch nie beraten worden sei. Die Gesetzbegründung unterscheide an dieser Stelle nicht zwischen erstmaliger und nochmaliger Überschreitung.

17

Sinn und Zweck der Vorschrift sei eben nicht, nur junge Vertragsärzte zu schützen, sondern insgesamt künftige Überschreitungen des RGVol durch gezielte und umfangreiche Beratungen zu vermeiden. Das könne nur gelingen, wenn allen Vertragsärzten, die noch nie eine Beratung erhalten hätten, eine solche zuteil werde, und alle Vertragsärzte die Chance hätten, ihr Verordnungsverhalten entsprechend an die Hinweise und Vorgaben der Beratung anzupassen. Eine solche Beratung habe er - der Kläger - aber unstreitig nie erhalten; die Richtgrößenprüfungen 2006 und 2007 hätten nicht mit einer Beratung, sondern einem Regress geendet. Regressbescheide seien nicht dazu geeignet, künftige Regresse zu vermeiden. Ein Regressbescheid lege grundsätzlich nur dar, dass der Vertragsarzt unwirtschaftlich verordnet habe, aber nicht warum und schon gar nicht, wie er es besser machen könne. Der Vertragsarzt könne und werde seine Verordnungsweise nur dann ändern, wenn ihm überzeugend vor Augen geführt werde, dass seine bisherige Verordnungsweise nicht zielführend gewesen sei, und ihm gleichzeitig sinnvolle Verordnungsalternativen aufgezeigt würden. Sofern man hingegen auf eine "erstmalige" Überschreitung abstelle, erscheine die Auffassung zielführend, dass als eine solche vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Intention nur eine nach Einführung des § 106 Abs 5e SGB V eingetretene Überschreitung in Betracht komme.

18

Der Beigeladene zu 6. hat sich - ohne einen Antrag zu stellen - dem Vorbringen des Beklagten angeschlossen; die übrigen Beigeladenen haben weder Anträge gestellt noch sich geäußert.

Entscheidungsgründe

19

Die Revision des Beklagten hat im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG Erfolg. Da das SG zu Unrecht angenommen hat, dass § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V der Festsetzung eines Regresses entgegensteht, muss es nun in der Sache prüfen, ob der Bescheid des Beklagten rechtmäßig ist.

20

1. Rechtsgrundlage der Festsetzung eines Regresses ist § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V(in der ab dem 1.1.2004 geltenden und seither - nahezu - unveränderten Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190). Danach hat der Vertragsarzt bei einer Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH nach Feststellung durch den Prüfungsausschuss (ab 1.1.2008: die Prüfungsstelle) den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Dies gilt auch für verordnete Heilmittel (vgl § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 iVm § 84 Abs 6 Satz 1, Abs 8 Satz 1 SGB V). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann der Senat nicht abschließend beurteilen, da das SG hierzu - aus seiner Sicht zu Recht - keine Feststellungen getroffen hat.

21

2. Entgegen der Auffassung des SG ist der angefochtene Bescheid des Beklagten nicht bereits deswegen rechtswidrig, weil gemäß § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V anstelle eines Regresses lediglich eine individuelle Beratung hätte festgesetzt werden dürfen.

22

Zwar bestimmt § 106 Abs 5e SGB V(idF des Art 1 Nr 38 Buchst d des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes vom 22.12.2011 , gemäß Art 15 Abs 1 GKV-VStG am 1.1.2012 in Kraft getreten), dass abweichend von § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V bei einer erstmaligen Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH eine individuelle Beratung nach § 106 Abs 5a Satz 1 SGB V erfolgt(Satz 1 aaO). Der hierdurch vorgegebene Vorrang der individuellen Beratung vor einer Regressfestsetzung ("Beratung vor Regress") findet im zu beurteilenden Prüfverfahren jedoch (noch) keine Anwendung. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass § 106 Abs 5e SGB V nach seinem Satz 7 auch für (Prüf-)Verfahren gilt, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren. Diese Geltungsanordnung wurde erst mit Wirkung zum 26.10.2012 eingefügt (durch Art 12b Nr 3 des Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 19.10.2012, BGBl I 2192, 2226) und betrifft nur Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse, die nach dem 25.10.2012 ergangen sind.

23

a. Der Senat folgt allerdings nicht der Auffassung des Beklagten, dass der in § 106 Abs 5e SGB V bestimmte Beratungsvorrang schon deswegen keine Anwendung finden kann, weil die durch § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V angeordnete Erstreckung der Norm auch auf vor ihrem Inkrafttreten zum 1.1.2012 liegende Prüfungszeiträume eine verfassungswidrige Rückwirkung zu Lasten der Krankenkassen beinhaltet.

24

aa. Der Senat kann offenlassen, ob dieser gesetzlichen Regelung im Sinne der Terminologie des BVerfG echte Rückwirkung zukommt, die grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar ist, oder lediglich eine unechte Rückwirkung vorliegt, die grundsätzlich zulässig ist (s hierzu BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 40 mwN). Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Sachverhalte eingreift, eine unechte Rückwirkung dann, wenn eine Rechtsnorm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (vgl BVerfGE 132, 302, 318 mwN; s auch BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 41 mwN; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 46; BSG Urteil vom 19.2.2014 - B 6 KA 10/13 R -RdNr 44, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-2500 § 85 Nr 79). Bei dieser Abgrenzung ist auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe (Verkündung) der Norm abzustellen (vgl BVerfGE 132, 302, 318; BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 46).

25

Allerdings spricht nach der Rechtsprechung des Senats zur Maßgeblichkeit des im jeweils zu prüfenden Zeitraum geltenden Rechts (s hierzu 2.b.aa.) viel dafür, dass § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V echte Rückwirkung entfaltet, indem die Norm die Anwendung des zum 1.1.2012 in Kraft getretenen Beratungsvorrangs auch auf bereits abgeschlossene Prüfungszeiträume anordnet. Die Annahme des Klägers, dass es sich bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht um einen bereits in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt im Sinne der zitierten Rechtsprechung handele, sondern ein solcher erst nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten und der Festsetzung des Regressbetrages durch die Prüfungsstelle vorliege, überzeugt nicht. Zwar ist der Satzteil "nach Feststellung durch die Prüfungsstelle" in § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V in dem Sinne zu verstehen, dass sich die Erstattungspflicht nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, sondern die Festsetzung eines entsprechenden Regressbetrages durch einen Verwaltungsakt der Prüfgremien voraussetzt. Für das Vorliegen eines "abgeschlossenen Sachverhalts" ist dies jedoch ohne Bedeutung, denn die Umstände, die zu einer Regressverpflichtung geführt haben, liegen sämtlich in der Vergangenheit und sind abgeschlossen. Dies gilt nicht allein für die den Regress "auslösende" Handlung - die Verordnung von Arznei- oder Heilmitteln in einem das RGVol weit überschreitenden Umfang -, sondern auch für alle anderen maßgeblichen Umstände, insbesondere solche, die - wie Praxisbesonderheiten - den Umfang der Verordnungen begründen bzw rechtfertigen könnten. So treffen die Prüfgremien zwar erst im Prüfverfahren die Entscheidung, ob und welche Praxisbesonderheiten sie anerkennen, doch betrifft dies lediglich die Würdigung der Umstände; der zu prüfende Sachverhalt selbst einschließlich der Umstände bzw Tatsachen, die zur Begründung des Vorliegens einer Praxisbesonderheit herangezogen werden können, liegt - abgeschlossen - in der Vergangenheit. Im Rahmen der Prüfung zu berücksichtigende Umstände können nur solche sein, die im jeweiligen Prüfungszeitraum vorgelegen haben. Im Übrigen ist auch der Senat davon ausgegangen, dass Prüfungszeiträume vor Inkrafttreten einer Gesetzesänderung "abgeschlossen" waren (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 15).

26

bb. Auch bei Annahme einer echten Rückwirkung wäre diese jedoch zulässig, weil sich der Umstand, dass die nach bisherigem Recht zwingende Festsetzung eines Regresses auch in Bezug auf bereits abgeschlossene Prüfungszeiträume durch eine bloße Beratung ersetzt wird, allein zu Lasten der Krankenkassen auswirkt. Zwar führt die Regelung dazu, dass diese Erstattungsbeträge nicht erhalten, mit denen sie bei Zugrundelegung der bisherigen Rechtslage rechnen konnten. Krankenkassen können sich als Körperschaften des öffentlichen Rechts und damit als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung jedoch nicht darauf berufen, dass einer sie belastenden Norm unzulässige Rückwirkung zukommt (offengelassen von BSGE 90, 231, 258 = SozR 4-2500 § 266 Nr 1, RdNr 80 im Zusammenhang mit der Korrektur von Zahlungen aus dem Risikostrukturausgleich).

27

Die Grenzen zulässiger Rückwirkung von Gesetzen hat das BVerfG aus dem grundrechtlich verorteten Vertrauensschutz und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet (vgl zB BVerfGE 109, 133, 181; BVerfGE 126, 369, 393 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 75; BVerfGE 131, 20, 38; zuletzt BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 63). Das Verbot rückwirkender belastender Gesetze schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte (BVerfGE 132, 302, 317 mwN; zuletzt BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 63). Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des Grundgesetzes, unter deren Schutz Sachverhalte "ins Werk gesetzt" worden sind (BVerf GE 127, 1, 16; BVerfGE 132, 302, 317 mwN; zuletzt BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 63).

28

Auf Grundrechte können sich Krankenkassen jedoch nicht berufen. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG sind die Grundrechte (grundsätzlich) ihrem Wesen nach nicht auf juristische Personen des öffentlichen Rechts anwendbar, soweit diese öffentliche Aufgaben wahrnehmen (BVerfGE 39, 302, 312 f - Krankenkassen; BVerfGE 62, 354, 369 = SozR 2200 § 368n Nr 25 S 70 f - KÄVen; BVerfGE 68, 193, 206 - Zahntechnikerinnungen; BVerfGE 70, 1, 15 = SozR 2200 §376d Nr 1 S 1; BVerfG Beschluss vom 7.6.1991 - 1 BvR 1707/88 - Juris, RdNr 2 - Krankenkassenverbände; BVerfG SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 14 - Krankenkassen; BVerfG BVerfGK 3, 300 - Krankenkassen; BVerfG SozR 4-2500 § 4 Nr 1 RdNr 3 - Krankenkassen; zuletzt BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 4 = NVwZ-RR 2009, 361 - Krankenkassen). Die Grundrechtsberechtigung hängt namentlich von der Funktion ab, in der die juristische Person von dem beanstandeten Akt der öffentlichen Gewalt betroffen wird; besteht diese Funktion in der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener und geregelter Aufgaben, so kann eine juristische Person sich insoweit nicht auf Grundrechte berufen (BVerfGE 68, 193, 208; BVerfGE 70, 1, 15 = SozR 2200 § 376d Nr 1 S 1; BVerfG , SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 14; zuletzt BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 4).

29

Dies ist vorliegend der Fall. Die gesetzlichen Krankenkassen sind durch den mit Rückwirkung angeordneten Vorrang der Beratung vor einer Regressfestsetzung in ihrer Funktion als Träger öffentlicher, vom Staat durch Gesetz übertragener und geregelter Aufgaben betroffen. Sie sind "dem Staat eingegliederte Körperschaften des öffentlichen Rechts, die Aufgaben in mittelbarer Staatsverwaltung wahrnehmen" (BVerfGE 39, 302, 313). Die Hauptaufgabe der gesetzlichen Krankenkassen besteht im Vollzug einer zwecks Erfüllung der staatlichen Grundaufgabe "Schutz in Fällen von Krankheit" geschaffenen detaillierten Sozialgesetzgebung (BVerfGE 39, 302, 313; BVerfG SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 17; BVerfG , Nichtannahmebeschluss vom 11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 6). Sie besteht darin, als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung öffentlich-rechtlich geregelten Krankenversicherungsschutz für die Versicherten zu gewähren (BVerfG SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 20; BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 6). Untrennbarer Teil dieser Aufgabe sind auch die sich aus dem Leistungserbringungsrecht ergebenden Rechte und Pflichten der Krankenkassen. Für Krankenkassen gibt es - anders als für Universitäten und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten - keine besondere Zuordnung zu dem durch Grundrechte geschützten Lebensbereich (BVerfGE 39, 302, 314; BVerfG SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 28; BVerfGK 3, 300 mwN). Auch sind sie nicht schon deshalb einem grundrechtlich geschützten Lebensbereich zugeordnet, weil ihnen Selbstverwaltungsrechte (vgl § 4 Abs 1 SGB V sowie § 29 Abs 1 SGB IV)zustehen (vgl BVerfGE 68, 193, 207; BVerfG SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 24; BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 6).

30

Entgegen der Auffassung des Beklagten sind die Rückwirkungsgrundsätze auch nicht deswegen auf gesetzliche Krankenkassen anwendbar, weil das Rückwirkungsverbot nicht allein aus Grundrechten, sondern auch aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet wird. Die Annahme, dass aus der Geltung des Rechtsstaatsprinzips grundsätzlich für "jedermann" (vgl zB BVerfGE 87, 48, 63, mwN: "Die rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, die für jedermann gelten ..."), zugleich folge, dass sich auch juristische Personen des öffentlichen Rechts hierauf berufen können, geht fehl. In Bezug auf die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden hat das BVerfG ausdrücklich klargestellt, dass unter dem gemäß Art 93 Abs 1 Nr 4a GG, § 90 Abs 1 BVerfGG zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde berechtigten "jedermann" nur derjenige zu verstehen ist, der Träger von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten - also grundrechtsfähig - ist(BVerfGK 16, 449, 454 f = Juris RdNr 17).

31

Auch dem Gesamtzusammenhang der Rechtsprechung des BVerfG zum Rückwirkungsverbot ist zu entnehmen, dass sich nur (natürliche oder juristische) Personen hierauf berufen können, wenn - bzw soweit - diese auch Träger von Grundrechten sind. Das BVerfG hat in Bezug auf das Rückwirkungsverbot immer wieder auf die "Freiheitssphäre" des Bürgers abgehoben, in die durch rückwirkende Gesetze eingegriffen werde: "Die Grundrechte wie auch das Rechtsstaatsprinzip garantieren im Zusammenwirken die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und damit als eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Es würde Einzelne in ihrer Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an ihr Verhalten oder an sie betreffende Umstände ohne Weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt ihres rechtserheblichen Verhaltens galten" (BVerfGE 127, 1, 16 mwN; BVerfGE 131, 20, 38 f; BVerfGE 132, 302, 317; zuletzt BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 63). Zudem hat das Gericht ausdrücklich betont, dass vorrangiger Prüfungsmaßstab bei einer echten Rückwirkung die Grundrechte sind, und dass "in die insoweit erforderliche grundrechtliche Bewertung die allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzipien des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit, aber auch der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich in der Weise ein(fließen), wie dies allgemein bei der Auslegung und Anwendung von Grundrechten im Hinblick auf die Fragen des materiellen Rechts geschieht" (BVerfGE 76, 256, 347). Im dargelegten Rahmen sei das Rechtsstaatsprinzip zu beachten, hinter dem letztlich der Gedanke der Freiheitsgewähr stehe (BVerfGE aaO; in diesem Sinne auch BVerfGE 109, 133, 180, in dem ausdrücklich der "(Staats-)Bürger" angesprochen wird).

32

Da die Krankenkassen wie auch die KÄVen an dieser grundrechtlich geschützten Freiheitsphäre nicht partizipieren, sind sie nicht nur prozessual gehindert, die Beachtung des Rückwirkungsverbotes über die Verfassungsbeschwerde durchzusetzen, sondern sie haben auch materiell keine Rechtsposition inne, die verfassungsrechtlich gegen rückwirkende Verschlechterungen geschützt wäre.

33

Entgegen der Auffassung des Beklagten berührt die Regelung auch nicht die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen, wobei dahingestellt bleiben kann, ob bzw unter welchen Voraussetzungen die Krankenkassen verfassungsrechtlich gegen rückwirkende Änderungen der Grundlagen ihrer Finanzierung geschützt sind. Anders als die Bestimmungen über die Degression (vgl BSGE 80, 223, 226 f = SozR 3-2500 § 85 Nr 22 S 136 f; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 48 RdNr 12), dienen die Regresse wegen der Überschreitung des RGVol nicht vorrangig der Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung durch Erzielung von Einsparungen. Ihr Zweck ist nicht die Refinanzierung der von den Krankenkassen zu tragenden Arzneimittelkosten, sondern sie haben in erster Linie Lenkungscharakter, weil sie die Vertragsärzte veranlassen sollen, die in den RGVol konkretisierten Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes zu beachten. Wenn der Gesetzgeber den schon seit Jahren im Gesetz niedergelegten Grundsatz "Beratung vor Regress" (§ 106 Abs 5 Satz 2 SGB V), den die Rechtsprechung des Senats bisher als Sollvorschrift angesehen hat (stRspr, zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 27 mwN; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 23), strikter ausgestaltet und einen ausnahmslos greifenden Vorrang der Beratung vor einem Regress bei erstmaliger Überschreitung der RGVol normiert, schwächt das deutlich die Position der Kassen und der Prüfgremien bei der Durchsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebotes bei der Verordnung von Arznei- und Heilmitteln; auf verfassungsrechtliche Grenzen stößt der Gesetzgeber insoweit jedoch nicht.

34

b. Ungeachtet der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Norm steht § 106 Abs 5e SGB V vorliegend jedoch schon deswegen einer Regressfestsetzung nicht entgegen, weil die Regelung auf Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse, die - wie hier - vor dem 26.10.2012 ergangen sind, noch keine Anwendung findet. Hierfür sind folgende Gesichtspunkte maßgebend:

35

§ 106 Abs 5e SGB V in der vom 1.1.2012 bis zum 25.10.2012 geltenden Fassung war nur für Prüfverfahren maßgeblich, die Prüfungszeiträume nach dem Inkrafttreten der Norm betrafen, weil nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich das im Prüfungszeitraum geltende Recht maßgeblich ist (aa.). Etwas anderes gilt nur, wenn es ausdrücklich angeordnet ist; derartiges war § 106 Abs 5e SGB V in der bis zum 26.10.2012 geltenden Fassung nicht zu entnehmen (bb.). Eine solche ausdrückliche Geltungsanordnung in Bezug auf zurückliegende Prüfungszeiträume enthält (erst) der nachträglich (durch Art 12b Nr 3 des Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 19.10.2012, BGBl I 2192, 2226) angefügte und gemäß Art 15 Abs 1 des Gesetzes am 26.10.2012 in Kraft getretene § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V; dieser bestimmt, dass Abs 5e aaO auch für Verfahren gilt, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren (cc.). Dem Ergebnis, dass erst Satz 7 aaO eine Rückbezüglichkeit der Regelungen des § 106 Abs 5e SGB V bewirkt hat, stehen auch die Grundsätze des intertemporalen Rechts nicht entgegen(dd.). § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V war allerdings zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten noch nicht in Kraft getreten und daher noch nicht zu beachten(ee.).

36

aa. Für die rechtliche Beurteilung, welche Rechtsfolgen sich aus einer Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH ergeben, ist grundsätzlich das im jeweiligen Prüfungszeitraum geltende Recht maßgeblich; bis zum Inkrafttreten des § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V galt dies auch für die Anwendung des § 106 Abs 5e SGB V.

37

(1) Die Rechtmäßigkeit von Regressfestsetzungen und anderen Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung beurteilt sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats nach dem im jeweiligen Prüfungszeitraum geltenden Recht. Danach sind für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungs- oder Behandlungsweise in Prüfungszeiträumen, die vor Inkrafttreten einer Gesetzesänderung abgeschlossen waren, die zum früheren Zeitpunkt geltenden Rechtsvorschriften maßgeblich, wenn diese ohne Übergangsbestimmungen in Kraft getreten sind (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 15). Jedenfalls soweit es die materiell-rechtlichen Vorgaben der Wirtschaftlichkeitsprüfung betrifft, es also um die Frage geht, nach welchen Grundsätzen diese Prüfung stattfindet und was ihr Gegenstand ist, richtet sich dies nach den Vorschriften, die im jeweils geprüften Zeitraum gegolten haben (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 16). Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn es gesetzlich ausdrücklich angeordnet ist.

38

Auf diese Entscheidung hat der Senat nachfolgend Bezug genommen und - konkret auf § 106 Abs 5e SGB V bezogen - ausgeführt, dass diese Vorschrift nur für Prüfverfahren gilt, die Zeiträume nach ihrem Inkrafttreten betreffen(BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 36 RdNr 12). Zu ergänzen ist, dass der Senat in zahlreichen Entscheidungen zu § 106 SGB V auf das für den jeweiligen Prüfungszeitraum maßgebliche Recht abgestellt hat, auch ohne dies näher zu begründen(vgl aus jüngerer Zeit zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 30 RdNr 10; BSGE 113, 123 = SozR 4-2500 § 106 Nr 40, RdNr 15; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 41 RdNr 12).

39

(2) Etwas anderes gilt nach der Senatsrechtsprechung lediglich dann, wenn es um die Gestaltung des Prüfverfahrens als solches geht, etwa wenn der Normgeber ohne Erlass von Übergangsbestimmungen die Vorschriften über die Zusammensetzung der für die Wirtschaftlichkeitsprüfung zuständigen Verwaltungsstelle (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 15 unter Bezugnahme auf BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5, RdNr 9) oder andere Vorschriften über das formelle Verfahren ändert. Dies betrifft etwa Regelungen über die Zuständigkeit, die Besetzung von Verwaltungsstellen, das Verfahren bzw die Form von Entscheidungen. Verfahrensvorschriften werden nach allgemeinen Grundsätzen mit ihrem Inkrafttreten unmittelbar wirksam (BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5, RdNr 9).

40

Bei der in § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V normierten Suspendierung von Regressen, denen keine Beratung vorangegangen ist, handelt es sich jedoch nicht um derartige Verfahrensvorschriften. Vielmehr betrifft die Regelung die Durchführung des Prüfverfahrens als solches und damit materielles Recht (so auch Scholz in Becker/Kingreen, SGB V, 3. Aufl 2012, § 106 RdNr 33; zur Annahme einer materiell-rechtlichen Regelung neigt auch Weinrich, GesR 2014, 390, 394; vgl auch Clemens in jurisPK-SGB V, 2. Aufl 2012, § 106 RdNr 238): Der Grundsatz "Beratung vor Regress" lässt sich den in der (zitierten) Senatsrechtsprechung angesprochenen "Grundsätzen" zuordnen, "nach welchen … diese Prüfung stattfindet". Das ergibt sich schon daraus, dass die "Beratung" nach Überschreitung des RGVol eine Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung darstellt, die der Arzt gerichtlich überprüfen lassen kann (s hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 41 RdNr 10 f), die also ersichtlich nicht nur verfahrenstechnische Bedeutung hat. Unabhängig davon, ob man § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V als Regelung der Voraussetzungen für die Festsetzung von Regressen versteht (nur bei mehrmaliger Überschreitung zulässig) oder als Regelung der Voraussetzungen für die Durchführung einer Beratung (nur bei erstmaliger Überschreitung), bestimmt die Norm die Voraussetzungen, unter denen eine Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung erfolgen kann bzw muss. Versteht man § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V hingegen allein als Regelung einer Rechtsfolge, indem vorgegeben wird, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtsfolge "Regressfestsetzung" durch die Rechtsfolge "Beratung" ersetzt wird, ändert sich nichts: Die Rechtsfolge ist - quasi als "Kehrseite" der Tatbestandsvoraussetzungen - Teil des materiellen Rechts.

41

(3) Der Maßgeblichkeit des im Prüfungszeitraum geltenden Rechts steht auch nicht entgegen, dass üblicherweise bei einer Anfechtungsklage als maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung ihrer Begründetheit die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Verwaltungsaktes bzw des Widerspruchsbescheides angenommen wird (vgl die Nachweise bei Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 33). Zunächst ist dem geltenden Recht kein "allgemeiner Grundsatz" zu entnehmen, wonach für die Beurteilung von Anfechtungsklagen (zwingend) die zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung geltende Rechtslage maßgeblich ist (so schon BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 7 S 17). Der Rückgriff auf die Klageart zur Bestimmung des anzuwendenden Rechts entspricht lediglich einer "Faustregel" mit praktisch einleuchtenden Ergebnissen (BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 7 S 17; BSG SozR 4-4300 § 335 Nr 1 RdNr 12 mwN; in diesem Sinne auch BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 1 RdNr 5 = Juris 10).

42

Zudem kommt für die materiell-rechtlichen Regelungen der Wirtschaftlichkeitsprüfung der Zeitpunkt der (letzten) Verwaltungsentscheidung als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtslage schon aus Sachgründen nicht in Betracht. Bei den im Falle eines Verstoßes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verhängten Prüfmaßnahmen handelt es sich um Reaktionen auf ein nicht den gesetzlichen (konkret den §§ 12 Abs 1, 70 Abs 1 Satz 2, 72 Abs 2 SGB V)und den vertraglichen Anforderungen entsprechendes Verhalten des Arztes. Daher muss der Vertragsarzt bereits zu Beginn des jeweiligen Prüfungszeitraums erkennen können, welche Regelungen für ihn insoweit maßgeblich sind, da er nur so sein Verhalten darauf einstellen kann. Es liegt auf der Hand, dass das Behandlungs- oder Verordnungsverhalten eines Arztes nicht nach Maßstäben beurteilt werden kann, die erst im Laufe des Verwaltungsverfahrens in Kraft getreten sind, bei Vornahme der - den Gegenstand der Prüfung bildenden - Verordnungen aber noch nicht galten. Soweit der Senat in einer Entscheidung vom 24.11.1993 für die rechtliche Beurteilung einer auf die Behandlungsweise bezogenen Wirtschaftlichkeitsprüfung auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abgestellt hat (s BSG SozR 3-2200 § 368n Nr 6 S 13 f), hält er hieran nicht mehr fest.

43

bb. Nach der Rechtsprechung des Senats wie auch nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts (s 2.b.dd) kommt die Anwendung anderer Vorschriften als derjenigen, die im Prüfungszeitraum gegolten haben, nur dann in Betracht, wenn dies gesetzlich ausdrücklich angeordnet ist (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 16). Dass § 106 Abs 5e SGB V in der bis zum 25.10.2012 geltenden Fassung auch für Prüfverfahren Geltung besitzen sollte, die vor dem Inkrafttreten der Norm am 1.1.2012 liegende Prüfungszeiträume betreffen, ist jedoch weder der Norm selbst noch den Gesetzesmaterialien zu entnehmen. Das Gesetz enthält insoweit keinerlei Regelungen, die die Anwendung der Norm auf in der Vergangenheit liegende Sachverhalte anordnen; auch der Gesetzesbegründung zum GKV-VStG lässt sich kein dahingehender Wille des Gesetzgebers entnehmen, dass das neue Recht mit sofortiger Wirkung auf alle noch "offenen" Prüfverfahren Anwendung finden sollte, da sie sich hierzu überhaupt nicht verhält. Die im Zusammenhang mit der nachträglichen Einfügung des § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V geäußerte gegenteilige Auffassung des Gesetzgebers ("Klarstellung") vermag hieran nichts zu ändern(s hierzu 2.b.cc.(1)).

44

cc. Eine gesetzliche Anordnung des Inhalts, dass der Beratungsvorrang auch auf Prüfverfahren Anwendung finden soll, die bereits abgeschlossene Prüfungszeiträume betreffen, enthält erst der am 26.10.2012 in Kraft getretene § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V. Dieser bestimmt, dass der in § 106 Abs 5e SGB V geregelte Vorrang einer individuellen Beratung vor einer Regressfestsetzung für alle Verfahren der Richtgrößenprüfung gilt, die nicht bis zum 31.12.2011 durch einen Bescheid des Beschwerdeausschusses abgeschlossen waren.

45

(1) § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V enthält allerdings keine bloße Klarstellung, sondern eine Änderung der Rechtslage in Form einer ausdrücklichen - konstitutiven - gesetzlichen Geltungsanordnung(in diesem Sinne bereits Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2014, § 106 RdNr 218b; s auch SG Marburg Beschluss vom 16.12.2013 - S 12 KA 565/13 ER - Juris, RdNr 18: "rückwirkend … in Kraft gesetzt …"; zweifelnd auch BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 36 RdNr 12: "(unterstellt) klarstellende Neuregelung"; aA Weinrich, GesR 2014, 390, 394; Christophers, ZMGR 2014, 11, 13). Zwar heißt es in der Satz 7 aaO betreffenden Gesetzesbegründung (Ausschussbericht zum Gesetz vom 19.10.2012, BT-​Drucks 17/10156, S 95): "Klarstellung zur Rechtslage. Der Grundsatz 'Beratung vor Regress' gilt ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des GKV-​VStG am 1. Januar 2012 für alle laufenden und nachfolgenden Verfahren der Prüfgremien - auch soweit sie zurückliegende Prüfungszeiträume betreffen." Diese Annahme geht jedoch fehl.

46

Eine Klarstellung setzt voraus, dass etwas dem Grunde nach bereits angelegt ist und nur vorsorglich noch einmal verdeutlicht werden soll, dass dies so ist. Dies ist in Bezug auf die in Satz 7 aaO getroffene Regelung, dass § 106 Abs 5e SGB V auch für Verfahren gilt, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren, jedoch nicht der Fall. § 106 Abs 5e SGB V fand - vor Einfügung des Satzes 7 aaO als einer ausdrücklichen Geltungsanordnung - gerade keine Anwendung auf Verfahren, welche vor dem 1.1.2012 liegende Prüfungszeiträume betreffen, weil nach der Rechtsprechung des Senats für Wirtschaftlichkeitsprüfungen das im jeweiligen Prüfungszeitraum geltende Recht maßgeblich ist und § 106 Abs 5e SGB V in der bis zum 26.10.2012 geltenden Fassung keinerlei Anhaltspunkte für eine rückbezügliche Wirkung der Norm enthielt.

47

Die Auffassung des Gesetzgebers, eine Vorschrift habe lediglich klarstellenden Charakter, ist für die Gerichte nicht verbindlich (BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 47, unter Hinweis auf BVerfGE 126, 369, 392). Sie schränkt weder die Kontrollrechte und -pflichten der Fachgerichte und des BVerfG ein noch relativiert sie die für sie maßgeblichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe, denn zur verbindlichen Auslegung einer Norm ist letztlich allein die rechtsprechende Gewalt berufen (BVerfGE 126, 369, 392 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 73; BVerfGE 131, 20, 37). Eine vom Gesetzgeber beanspruchte Befugnis zur "authentischen" Interpretation wird daher von der Verfassungsgerichtsbarkeit nicht anerkannt (vgl BVerfGE 65, 196, 215; BVerfGE 111, 54, 107; BVerfGE 126, 369, 392 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 73; BVerfGE 131, 20, 37; BVerfG Beschluss vom 17.12.2013, aaO RdNr 48). Dies gilt auch für die Frage, ob eine Regelung konstitutiv ist oder nur klarstellt, was nach Ansicht des Gesetzgebers ohnedies gegolten hat (BVerfGE 126, 369, 392 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 73). Dabei genügt für die Beantwortung der Frage, ob eine rückwirkende Regelung konstitutiven Charakter hat, die Feststellung, dass die geänderte Norm von den Gerichten nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung in einem Sinn ausgelegt werden konnte und ausgelegt worden ist, die mit der Neuregelung ausgeschlossen werden soll (BVerfGE 131, 20, 37 f; BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 52, 55 f). Dies ist vorliegend der Fall.

48

(2) Regelungsinhalt des § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V ist es, anzuordnen, dass die in den vorangehenden Sätzen des Abs 5e aaO enthaltenen Regelungen auch für (Prüf-)Verfahren gelten, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren. Unter "Verfahren" im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V ist das Verwaltungsverfahren zu verstehen. Zwar ließe der Gesetzeswortlaut eine Auslegung dahingehend zu, dass Verfahren jeder Art - dh sowohl das Verwaltungsverfahren als auch das Gerichtsverfahren - erfasst werden sollen. Jedoch ergibt sich aus dem Regelungszusammenhang in Verbindung mit der Gesetzesbegründung, dass die Geltungsanordnung nicht bereits bei Gericht anhängige Verfahren erfassen soll (ebenso LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 19.2.2013 - L 5 KA 222/13 ER-B - MedR 2013, 758, 761 = Juris, RdNr 36; Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2014, § 106 RdNr 218c; s auch Weinrich, GesR 2014, 390). Dass mit dem Begriff "Verfahren" im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V allein das Verwaltungsverfahren gemeint ist, folgt bereits daraus, dass sich die Regelung an die Prüfgremien - dh an die "Verwaltung" - richtet(Engelhard aaO). Zudem hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung (Ausschussbericht zum Gesetz vom 19.10.2012, BT-​Drucks 17/10156, S 95) verdeutlicht, dass die Neuregelung für ein bereits vor dem Inkrafttreten abgeschlossenes Widerspruchsverfahren nicht gilt, "auch wenn eine Klage gegen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses noch anhängig ist".

49

Soweit der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang darauf verwiesen hat, dass "insoweit" die allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätze gelten, dürfte der Gesetzgeber den "Grundsatz" (bzw die "Faustregel") im Blick gehabt haben, dass der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung für die Beurteilung der Rechtslage maßgeblich ist; dies bestätigen die weiteren Ausführungen in der Gesetzesbegründung (aaO), dass die Prüfgremien "das zum Zeitpunkt ihrer abschließenden Entscheidung geltende Recht" anzuwenden hätten. Dies bestätigt ebenfalls die Annahme, dass mit "Verfahren" nur das Verwaltungsverfahren gemeint ist. Das Verwaltungsverfahren wiederum umfasst sowohl das Verfahren vor der Prüfungsstelle als auch das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss, da es sich bei dem Beschwerdeverfahren um ein eigenständiges und umfassendes Verwaltungsverfahren in einer zweiten Verwaltungsinstanz handelt (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 42 RdNr 22 mwN).

50

"Abgeschlossen" ist das Verfahren mit seiner "Beendigung", im verfahrensrechtlichen Sinne also - sofern es sich nicht anderweitig erledigt oder beendet wird - mit Erlass des Verwaltungsaktes (Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Juni 2014, § 8 RdNr 13 und § 18 RdNr 1), das Widerspruchsverfahren entsprechend mit Erlass des Widerspruchsbescheides. Darauf, ob das Verfahren "bestandskräftig" abgeschlossenen ist, kommt es nicht an (so zutreffend Mutschler in Kasseler Komm, Stand 1.6.2014, § 8 SGB X RdNr 11, unter Hinweis darauf, dass die Behörde nach dem Erlass des Verwaltungsaktes nichts mehr tun kann; ebenso Vogelsang in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Juni 2014, § 8 RdNr 13). Somit findet die Neuregelung dann keine Anwendung, wenn ein - verwaltungsverfahrensrechtlich vor dem in § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V genannten Zeitpunkt abgeschlossenes - Verfahren durch gerichtliche Entscheidung zur erneuten Entscheidung an den Beschwerdeausschuss zurückverwiesen wird(Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2014, § 106 RdNr 218d), da es allein darauf ankommt, ob das Widerspruchsverfahren bei Inkrafttreten der Neuregelung abgeschlossen war oder nicht.

51

dd. Eine Heranziehung der Grundsätze des intertemporalen Rechts führt entgegen der Auffassung des Klägers zu keiner anderen Beurteilung.

52

(1) Nach der Rechtsprechung des BSG gilt bei Rechtsänderungen grundsätzlich das Versicherungsfall- bzw Leistungsfallprinzip. Hiernach ist ein Rechtssatz nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden; spätere Änderungen eines Rechtssatzes sind danach für die Beurteilung von vor seinem Inkrafttreten entstandene Lebensverhältnisse unerheblich, es sei denn, dass das Gesetz seine zeitliche Geltung auf solche Verhältnisse erstreckt (vgl zB BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 11/12 R - Juris, RdNr 42; zuletzt BSG Urteil vom 5.3.2014 - B 12 R 1/12 R - SozR 4-2400 § 26 Nr 3 RdNr 21). Dementsprechend geht das BSG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw Rechtsverhältnisse grundsätzlich nach dem Recht beurteilen, das zur Zeit des Vorliegens der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat (vgl BSG SozR 4-4300 § 335 Nr 1 RdNr 13; BSG SozR 4-5910 § 111 Nr 1 RdNr 9; BSGE 111, 268 = SozR 4-2400 § 24 Nr 7, RdNr 12; BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 11/12 R - Juris, RdNr 42; zuletzt BSG Urteil vom 5.3.2014 - B 12 R 1/12 R - SozR 4-2400 § 26 Nr 3 RdNr 21). Das Versicherungsfall- bzw Leistungsfallprinzip ist allerdings nicht anzuwenden, soweit später in Kraft gesetztes Recht ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimmt; dann kommt der Grundsatz der sofortigen Anwendung des neuen Rechts auch auf nach altem Recht entstandene Rechte und Rechtsverhältnisse zum Tragen (BSG SozR 4-4300 § 335 Nr 1 RdNr 13; BSG SozR 4-5910 § 111 Nr 1 RdNr 9; BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 11/12 R - Juris, RdNr 43; zuletzt BSG SozR 4-2400 § 26 Nr 3 RdNr 21). Welcher der genannten Grundsätze des intertemporalen Rechts zur Anwendung gelangt, richtet sich letztlich danach, wie das einschlägige Recht ausgestaltet bzw auszulegen ist (BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 11/12 R - Juris, RdNr 44; zuletzt BSG SozR 4-2400 § 26 Nr 3 RdNr 21).

53

(2) Nach diesen - wegen der Besonderheiten des Vertragsarztrechts ohnehin nur sinngemäß übertragbaren - Maßstäben entspricht die Rechtsprechung des Senats zur Anwendbarkeit des im Prüfungszeitraum geltenden Rechts dem Versicherungsfall- bzw Leistungsfallprinzip. Den Grundsatz der sofortigen Anwendung des neuen Rechts zugrunde zu legen, kommt aus den bereits oben dargestellten Gründen nicht in Betracht, weil dem Gesetz - vor Einfügung des Satzes 7 aaO - weder ausdrücklich noch sinngemäß zu entnehmen war, dass die Regelungen über den Vorrang der Beratung auch auf abgeschlossene Prüfungszeiträume Anwendung finden sollten. Soweit in einzelnen - vom Kläger herangezogenen - Entscheidungen des BSG abweichende Maßstäbe zugrunde gelegt worden sind, ist dies auf Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets zurückzuführen.

54

ee. § 106 Abs 5e SGB V findet jedoch auch unter Berücksichtigung seines Satzes 7 ausschließlich auf (Prüf-)Verfahren Anwendung, in denen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses nach dem 25.10.2012 ergangen ist. Da Satz 7 aaO mit Wirkung zum 26.10.2012 in Kraft getreten ist, entzieht er den vor seinem Inkrafttreten nach altem Recht ergangenen Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse nicht die Grundlage; eine derartige Regelungsabsicht hat im Normtext in Verbindung mit der Regelung zum Inkrafttreten keinen hinreichenden Niederschlag gefunden:

55

Zwar enthält § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V eine ausdrückliche Geltungsanordnung des Inhalts, dass § 106 Abs 5e SGB V - entgegen der Rechtsprechung des Senats zum jeweils maßgeblichen Recht - auch auf Prüfungszeiträume Anwendung findet, die vor dem Inkrafttreten des Abs 5e am 1.1.2012 liegen, sofern die betreffenden Prüfverfahren am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren. Jedoch ist der Normbefehl insoweit nicht eindeutig, als Prüfverfahren betroffen sind, in denen die das Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung des Beschwerdeausschusses zwar nach dem 31.12.2011, jedoch vor Inkrafttreten des Satzes 7 aaO am 26.10.2012 - dem auf die Verkündung im Bundesgesetzblatt folgenden Tag (vgl Art 15 Abs 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften, BGBl I 2012, 2192, 2226) - ergangen ist. Der Norm selbst kann zwar der Wille des Normgebers entnommen werden, auch diese Konstellationen in die begünstigende Wirkung des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V einzubeziehen; dieser Annahme steht jedoch die Regelung zum Inkrafttreten der Geltungsanordnung am 26.10.2012 wie auch die Gesetzesbegründung selbst entgegen.

56

Der Gesetzgeber hätte § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V rückwirkend zum 1.1.2012 in Kraft setzen und damit auch solchen, das Verfahren abschließenden Entscheidungen aus der "Zwischenzeit" die rechtliche Basis - soweit es auf die Beratung ankommt - entziehen können. Das hat er jedoch nicht getan. Zudem hat der Gesetzgeber in der Begründung (Ausschussbericht zum Gesetz vom 19.10.2012, BT-​Drucks 17/10156, S 95) darauf hingewiesen, dass er seine Regelung auf "noch nicht abgeschlossene Verfahren" beschränken will; auch hat er betont, dass die Prüfgremien das "zum Zeitpunkt ihrer abschließenden Entscheidung geltende Recht" an​zuwenden haben. Dabei ist möglicherweise nicht hinreichend gesehen worden, dass die Beschwerdeausschüsse bis zum Inkrafttreten des Satzes 7 aaO Verfahren "abschließen" und dabei das zum Zeitpunkt des jeweiligen Quartals geltende Recht anwenden mussten. Eine Regelungsabsicht, auch den auf dieser Basis ergangenen Bescheiden, die durchaus schon bestandskräftig geworden sein konnten, nachträglich rückwirkend die Grundlage zu entziehen, hat im Normtext in Verbindung mit der Regelung zum Inkrafttreten keinen hinreichenden Niederschlag gefunden. In den Gesetzesmaterialien fehlen Hinweise, wie insoweit mit bestandskräftig gewordenen Bescheiden umgegangen werden soll, also ob § 44 Abs 2 SGB X eingreifen oder die betroffenen Ärzte die Vollstreckung der Regresse der KÄV zu Gunsten der Krankenkassen mit vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfen abwehren können sollen, und ob schon bezahlte Regresse rückabgewickelt werden müssen. Deshalb ist Satz 7 aaO so zu verstehen, dass der Vorrang der Beratung nach § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V nicht für solche Verfahren gilt, die vor dem 1.1.2012 liegende Prüfungszeiträume betreffen und in denen die abschließende Entscheidung des Beschwerdeausschusses vor dem Inkrafttreten des Satzes 7 aaO am 26.10.2012 ergangen ist. Davon ist der hier zu entscheidende Fall erfasst, weil der Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses vom 19.9.2012 dem Kläger am 20.9.2012 bekanntgegeben wurde.

57

3. Im Übrigen fände § 106 Abs 5e SGB V selbst dann keine Anwendung, wenn die Norm auch für das vorliegend zu beurteilende Prüfverfahren Geltung besäße, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm nicht erfüllt sind. Angesichts vorangegangener Regresse in den Jahren 2006 und 2007 hat der Kläger sein RGVol nicht "erstmalig" im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V überschritten:

58

a. § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V setzt voraus, dass es sich bei der zur Beurteilung anstehenden Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH im Prüfungszeitraum 2008 um eine "erstmalige" Überschreitung gehandelt hat. Hierzu bedürfte es - entgegen der vom SG und vom Kläger vertretenen Auffassung - der Feststellung, dass es nicht bereits in vorangegangenen Prüfungszeiträumen mindestens einmal oder gar wiederholt zu derartigen Überschreitungen gekommen ist (in diesem Sinne schon LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 20.11.2013 - L 11 KA 81/13 B ER - Juris, RdNr 83; Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2014, § 106 RdNr 213b; aA LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 19.2.2013 - L 5 KA 222/13 ER-B - MedR 2013, 758, 761 = Juris, RdNr 39; SG Düsseldorf Urteil vom 3.4.2013 - S 2 KA 281/12 - Juris, RdNr 28; Rompf/Weinrich in Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, 6. Aufl, Stand April 2014, § 106 SGB V, RdNr C 106-24; Christophers, ZMGR 2014, 11, 12; Weinrich, GesR 2014, 390, 393). Der Kläger hat jedoch sein RGVol bei Heilmitteln im streitbefangenen Jahr 2008 nicht "erstmalig" im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V überschritten: Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des SG, die im Revisionsverfahren nicht mit Verfahrensrügen angegriffen werden können(§ 163 iVm § 161 Abs 4 SGG)und auch nicht angegriffen worden sind, sind gegen ihn auch für die Jahre 2006 und 2007 Regresse wegen Überschreitung des RGVol bei Heilmitteln festgesetzt worden.

59

b. Die dem SG-Urteil zugrunde liegende Vorstellung, unabhängig vom Verordnungsverhalten des Vertragsarztes in vorangegangenen Prüfungszeiträumen müsse ab dem 1.1.2012 weiteren Regressfestsetzungen immer eine förmliche Beratung vorangehen, trifft nicht zu.

60

Schlüssig wäre die Konzeption des SG nur, wenn anzunehmen wäre, der Gesetzgeber habe zum 1.1.2012 eine vollständige "Nullstellung" der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Richtgrößen bewirken und allen Ärzten ungeachtet ihres bisherigen Verordnungsverhaltens einen regressfreien Zeitraum verschaffen wollen (in diesem Sinne etwa Christophers, ZMGR 2014, 11, 12: "echte Kehrtwende"; Rompf/Weinrich in Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, 6. Aufl, Stand April 2014, § 106 SGB V, RdNr C 106-24: "Nullstellung"). Das ist dem Gesetz indessen nicht zu entnehmen. Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (BVerfGE 105, 135, 157; BVerfGE 133, 168, 205 f; BFHE 243, 287). Diese Auslegung bestätigt die Rechtsauffassung des Senats.

61

aa. Der Wortlaut des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V, der Ausgangspunkt der Auslegung ist(BVerfGE 133, 168, 205), ist in dem Sinne eindeutig, dass das Tatbestandsmerkmal einer "erstmaligen" Überschreitung nur dann gegeben ist, wenn der Vertragsarzt sein RGVol nicht bereits in vorangegangenen Prüfungszeiträumen überschritten hat. Der Begriff "erstmalig" - gleichbedeutend mit "erstmals" oder "zum ersten Mal" - meint schon nach allgemeinem Sprachgebrauch einen Vorgang, der zuvor noch nicht eingetreten ist, ist also im Sinne von "zum ersten Mal geschehend" zu verstehen (so auch LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 20.11.2013 - L 11 KA 81/13 B ER - Juris, RdNr 72); er bezieht sich auf das numerische Moment im Sinne einer zum ersten Mal geschehenden Überschreitung (LSG Nordrhein-Westfalen aaO RdNr 83). Ebenso eindeutig ist, dass sich der Begriff "erstmalig" auf den Umstand einer Überschreitung des RGVol bezieht ("erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent"). Die Annahmen, dass sich die "Erstmaligkeit" stattdessen - temporal - auf den Umstand einer "erstmaligen Beratung" oder auf das Inkrafttreten der Regelung über den Beratungsvorrang beziehen könnte, findet daher schon im Gesetzeswortlaut keine Stütze.

62

Die Annahme, dass sich das Tatbestandsmerkmal "erstmalig" auf einen nach Inkrafttreten der Regelung eingetretenen Umstand beziehen könnte, käme nur dann in Betracht, wenn es sich bei dem Umstand, auf dessen erstmaliges Auftreten es ankommt, um einen solchen handelt, dem bislang keine rechtliche Bedeutung zukam. Dies gilt etwa für den Begriff der "erstmaligen Besetzung" der Zulassungsgremien mit Vertretern der Psychotherapeuten (§ 95 Abs 13 Satz 2 SGB V), welcher sich naturgemäß auf die Zeit nach der Einbeziehung der psychologischen Psychotherapeuten in die Vertragsärztliche Versorgung bezieht. Demgegenüber nimmt der Begriff der "erstmaligen Überschreitung" Bezug auf die seit mehr als einem Jahrzehnt in § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V (bzw Satz 4 aaO aF) normierte Regelung(mit einer seit 1.1.1993 geltenden Vorläuferregelung in § 106 Abs 5a Satz 1 Halbsatz 2 SGB V aF), wonach bei einer Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH der Mehraufwand vom Arzt zu erstatten ist, sofern er nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Bezugspunkt ist daher hier ein Umstand, der seit langem Tatbestandsvoraussetzung für einen Regress ist. Neu ist allein, dass § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V - bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen - eine vom bisherigen Recht abweichende Rechtsfolge normiert, nämlich eine individuelle Beratung anstelle eines Regresses. Hierauf bezieht sich der Begriff "erstmalig" jedoch nicht.

63

Hätte der Gesetzgeber die Absicht verfolgt, den Begriff der "erstmaligen" Überschreitung vom Wortsinn bzw allgemeinen Sprachgebrauch abweichend auf das Inkrafttreten des § 106 Abs 5e SGB V (mithin auf nachfolgend eingetretene Überschreitungen) zu beziehen, wäre es zu erwarten gewesen, dass er dies ausdrücklich geregelt hätte. Die Absicht, ab Inkrafttreten der Neuregelung sowohl alle "künftigen" Überschreitungen als auch alle noch nicht abgeschlossenen Prüfverfahren einem Beratungsvorrang zu unterwerfen, hätte dann bereits in der "Grundnorm" zum Ausdruck kommen müssen (etwa: "Abweichend von Abs 5a Satz 3 erfolgt für alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Regelung noch nicht abgeschlossenen Prüfverfahren …").

64

bb. Unabhängig davon lässt sich den Gesetzesmaterialien kein Wille des Gesetzgebers entnehmen, den Grundsatz "Beratung vor Regress" ungeachtet des Tatbestandsmerkmals der "Erstmaligkeit" der Überschreitung auf alle ab dem 1.1.2012 (bzw dem 26.10.2012) von den Prüfgremien zu entscheidenden Regressverfahren anzuwenden. Vielmehr sollen nur "erstmalige" Überschreitungen in dem hier verstandenen Sinne privilegiert werden (so zutreffend LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 20.11.2013 - L 11 KA 81/13 B ER - Juris, RdNr 83).

65

(1) Sinn und Zweck der Einfügung des § 106 Abs 5e SGB V war es, Ärzte nach erstmaligem Überschreiten des RGVol nicht unmittelbar einem - trotz der betragsmäßigen Begrenzung durch § 106 Abs 5c Satz 7 SGB V wirtschaftlich belastenden - Regress auszusetzen, sondern ihnen über eine eingehende "Beratung" zunächst ohne finanzielle Konsequenzen für die Praxis die Möglichkeit zu geben, ihr Verordnungsverhalten bei Arznei- und Heilmitteln zu modifizieren. Zwar lässt sich den Gesetzesmaterialien zur Einfügung des § 106 Abs 5e SGB V durch das GKV-VStG wenig zu den Motiven des Gesetzgebers entnehmen; die Gesetzesbegründung erwähnt allein, dass im Bereich der Richtgrößen und der Wirtschaftlichkeitsprüfungen "Deregulierungen und Flexibilisierungen" erfolgten, die das Prinzip "Beratung vor Regress" stärkten und Versorgungsverbesserungen für die Versicherten bedeuteten (BT-Drucks 17/6906 S 46 unter "A. Allgemeiner Teil II.2.8. Weitere Maßnahmen des Gesetzes"). Jedoch hat der Gesetzgeber an anderer Stelle zu erkennen gegeben, welche Motive er mit derartigen Regelungen verfolgt: So hat er in der Gesetzesbegründung zum vorangegangenen Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (vom 22.12.2010, BT-Drucks 17/2413 S 29 zu Doppelbuchstabe bb = § 106 Abs 5c Satz 7)die in § 106 Abs 5c Satz 7 SGB V nF geregelte Begrenzung des Erstattungsbetrages auf 25 000 Euro im Falle erstmaliger Überschreitung damit begründet, dass diese Regelung sachgerecht sei, weil damit insbesondere junge Ärzte, die ihre Tätigkeit in der vertragsärztlichen Versorgung aufnehmen oder neue Versorgungsformen übernehmen, mehr Zeit hätten, sich auf die spezifischen Anforderungen des SGB V an die Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Verordnungen einzustellen.

66

Eines derartigen "Einstellens" auf die Anforderungen des SGB V bedarf es bei seit längerem in der vertragsärztlichen Versorgung tätigen Ärzten nicht. Selbst wenn man davon ausginge, dass der Gesetzgeber den Druck der Regressverfahren nicht allein in Bezug auf junge Ärzte, sondern in Bezug auf die Ärzteschaft insgesamt abmildern wollte, berechtigt dies nicht zu der Annahme, dass der Gesetzgeber auch Vertragsärzte privilegieren wollte, die seit längerem nicht im Einklang mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot tätig sind. Ärzte, die ggf schon seit Jahren ihr RGVol überschreiten und hinlänglich wissen, welcher Verordnungsumfang von der zuständigen Prüfungsstelle als wirtschaftlich angesehen wird, bedürfen einer solchen "Beratung" nicht; diese wäre vielmehr bloße Förmelei.

67

Die Annahme, dass der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 106 Abs 5e SGB V eine völlige "Nullstellung" der Richtgrößenprüfung beabsichtigt habe, findet weder im Gesetzeswortlaut einen Anhalt noch lässt sich den Gesetzesmaterialien ein derart weitgehender Wille des Gesetzgebers entnehmen. Es darf nicht aus dem Blick geraten, dass der Gesetzgeber mit den durch das GKV-VStG und dem nachfolgenden Gesetz vom 19.10.2012 normierten Änderungen nicht die Grundzüge der Richtgrößenprüfung in Frage gestellt oder diese Prüfmethode gar suspendiert, sondern mit der Einfügung des § 106 Abs 5e SGB V lediglich deren Folgen (weiter) abgeschwächt hat. Durch die Einfügung des Wortes "erstmalig" als Tatbestandsvoraussetzung für die Anwendung des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V hat er zudem verdeutlicht, dass diese Privilegierung allein den Ärzten zugutekommen soll, die bislang noch keine Veranlassung zu Prüfmaßnahmen gegeben haben.

68

Die vom SG vertretene Auffassung, eine "erstmalige" Überschreitung könne frühestens nach dem Inkrafttreten des § 106 Abs 5e SGB V - oder sogar erst nach einer vorangegangenen Beratung, dh erst bei zweimaliger Überschreitung des RGVol nach Inkrafttreten der Regelung - liegen, hätte nicht allein zur Folge, dass alle "zukünftigen" Überschreitungen zunächst lediglich eine Beratung nach sich zögen. Sie hätte darüber hinaus die Konsequenz, dass alle noch bei den Prüfgremien anhängigen Verfahren ohne Festsetzung eines Regresses zu beenden wären - selbst dann, wenn der betreffende Arzt sein RGVol in der Vergangenheit regelmäßig überschritten hätte, ohne dass dies durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigt gewesen wäre. Da die Vertragsärzte seit vielen Jahren Richtgrößen zu beachten haben, mithin seit langem die Möglichkeit (bzw die Gewissheit) besteht, dass einzelne von ihnen das RGVol überschreiten, würde die auf das Inkrafttreten der Neuregelung bezogene Erstmaligkeit einen "amnestie"-ähnlichen Charakter erhalten, weil damit sämtliche vorangegangenen Gesetzesverstöße bzw ihre Folgen suspendiert würden. Ein - sich aus einer derartigen Interpretation ergebenden - vollständiger Verzicht auf Regressfestsetzungen für sämtliche noch nicht abgeschlossenen Verfahren hätte einer ausdrücklichen Regelung bedurft.

69

(2) Auch aus der Gesetzesbegründung zum nachgeschobenen Satz 7 der Vorschrift ergibt sich nichts anderes. Diese verhält sich überhaupt nicht zur Frage der "Erstmaligkeit" der Überschreitung und musste dies auch nicht, weil Satz 7 aaO allein bestimmt, dass der Abs 5e "auch" für Verfahren gilt, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren. Gegenstand der (vermeintlichen) "Klarstellung" - und damit auch der entsprechenden Gesetzesbegründung - ist daher die generelle Frage, auf welche Verfahren § 106 Abs 5e SGB V überhaupt Anwendung findet, dh ob die Regelung nur zukünftige oder auch bereits laufende oder gar bereits durch Bescheide der Prüfgremien abgeschlossene Verfahren erfasst. Dass der Gesetzgeber mit Satz 7 aaO zugleich die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm ändern wollte, hat weder im Gesetzeswortlaut noch in der Gesetzesbegründung seinen Niederschlag gefunden.

70

Im Übrigen steht der in der Gesetzesbegründung (Ausschussbericht zum Gesetz vom 19.10.2012, BT-​Drucks 17/10156, S 95) geäußerte Wille, ab dem 1.1.2012 den Grundsatz "Beratung vor Regress" für alle laufenden und nachfolgenden Verfahren anzuwenden, auch wenn sie zurückliegende Zeiträume betreffen, nicht im Widerspruch zum Wortlaut des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V bzw zum Tatbestandsmerkmal "erstmalig" im hier verstandenen Sinne. Die Anwendung des "Grundsatzes" erfolgt in dem Rahmen, den er durch seine Konkretisierung bzw Präzisierung durch die gesetzlichen Vorgaben erhalten hat. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung des Grundsatzes "Beratung vor Regress" bestimmen sich nach § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V: Er gilt mithin für alle Verfahren - aber auch nur für diese -, in denen es "erstmalig" zu einer Überschreitung gekommen ist.

71

c. Erst recht vermag der Senat nicht der vom Kläger vertretenen Auffassung zu folgen, dass dem Tatbestandsmerkmal "erstmalig" deswegen keinerlei eigenständige Bedeutung zukomme, weil die Regelungsgehalte der Sätze 1 und 2 des § 106 Abs 5e SGB V (einerseits Beratungsvorrang nur bei erstmaliger Überschreitung, andererseits Regress erstmals nach Beratung) einander widersprächen und daher angesichts zweier möglicher Auslegungen dem subjektiven Willen des Gesetzgebers, den Beratungsvorrang auf jedes noch laufende Prüfverfahren zu erstrecken, durchschlagende Bedeutung zukomme (in diesem Sinne auch Weinrich, GesR 2014, 390, 392; Christophers, ZMGR 2014, 11, 12). Denn § 106 Abs 5e Satz 2 SGB V steht nicht im Widerspruch zu Satz 1 aaO. Nach § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V erfolgt abweichend von Abs 5a Satz 3 aaO bei einer erstmaligen Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH eine individuelle Beratung nach Abs 5a Satz 1. Hieran schließt Satz 2 aaO an, der bestimmt: "Ein Erstattungsbetrag kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfungszeitraum nach der Beratung festgesetzt werden." Beide Regelungen knüpfen damit an unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen unterschiedliche Rechtsfolgen: Während Satz 1 aaO für den Fall einer "erstmaligen Überschreitung" die Rechtsfolge "individuelle Beratung" vorgibt, bestimmt Satz 2 aaO, wann im Falle einer "künftigen Überschreitung" erstmals ein Regress festgesetzt werden darf.

72

Dass beide Regelungen einander nicht widersprechen, sondern vielmehr Satz 2 auf Satz 1 aaO aufbaut, bestätigt neben der systematischen Stellung des Satzes 2 aaO auch der Sachzusammenhang. So schließt der Begriff "künftig" in Satz 2 aaO an den Begriff "erstmalig" in Satz 1 aaO an: Eine "künftige" Überschreitung nach Satz 2 aaO ist mithin eine solche, die zeitlich später eintritt als die "erstmalige" Überschreitung im Sinne des Satzes 1 aaO. Zudem stellt Satz 2 aaO auf den Prüfungszeitraum "nach der Beratung" ab. Mit der dort genannten "Beratung" ist zweifelsfrei die Beratung gemeint, die nach Satz 1 aaO durchzuführen ist. Dies folgt zum einen aus der Verwendung des bestimmten Artikels ("der" Beratung) in Satz 2 aaO; wäre jedwede Beratung gemeint, wäre die Formulierung "nach einer Beratung" zu erwarten gewesen. Zum anderen entspricht allein diese Interpretation dem offensichtlichen Zweck der Regelung in Satz 2 aaO, sicherzustellen, dass die nach Satz 1 aaO vorgeschriebene individuelle Beratung sich auswirken kann: Der Vertragsarzt soll zunächst Gelegenheit bekommen, sein Verhalten gemäß dem Inhalt der Beratung umzustellen. Dies schließt es aus, nachfolgende ("künftige") Überschreitungen des RGVol zum Anlass für eine Regressfestsetzung zu nehmen, wenn es dabei um einen Prüfungszeitraum geht, der zeitlich vor dieser Beratung liegt oder der zum Zeitpunkt der Beratung jedenfalls noch nicht abgeschlossen ist.

73

4. Da der Kläger im streitbefangenen Jahr 2008 sein RGVol ersichtlich nicht "erstmalig" überschritten hat, bedarf es hier keiner abschließenden Klärung, welche Anforderungen im Einzelnen an das Vorliegen einer "vorangegangenen" Überschreitung zu stellen sind. Der Senat weist jedoch auf Folgendes hin:

74

a. Außer Frage steht, dass § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V zunächst eine Prüfung erfordert, ob eine Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH vorliegt - und zwar zum einen bezogen auf den aktuell zur Prüfung anstehenden Zeitraum, weil sich andernfalls die Frage einer regressersetzenden Beratung überhaupt nicht stellte, zum anderen in Bezug auf vorangegangene Prüfungszeiträume, weil dies für die Frage der "Erstmaligkeit" von Bedeutung ist. Dabei reicht es nach der gesetzlichen Systematik sowohl in Bezug auf die "erstmalige" als auch auf die "vorangegangene" Überschreitung allerdings nicht aus, dass rein statistisch das Verordnungsvolumen um mehr 25 vH überschritten worden ist, sondern es bedarf zusätzlich der Feststellung, dass die Überschreitungen (jeweils) nicht durch Praxisbesonderheiten begründet sind.

75

Zwar stellt § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V seinem Wortlaut nach allein auf die Überschreitung des RGVol um 25 vH ab, doch ist den Grundsätzen einer nach statistischen Vergleichsgrößen bzw nach Durchschnittswerten durchgeführten Wirtschaftlichkeitsprüfung, zu denen auch die Richtgrößenprüfung gehört(BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2 RdNr 38: "basiert jedoch letztlich auch auf einem Durchschnittswert"), immanent, dass Sanktionen nur dann gerechtfertigt sind, wenn die "statistische" Abweichung nicht durch Praxisbesonderheiten begründet bzw gerechtfertigt ist. Liegen Praxisbesonderheiten im Sinne eines spezifischen, vom Durchschnitt der Vergleichsgruppe signifikant abweichenden Behandlungs- bzw Verordnungsbedarfs des Patientenklientels (BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10 RdNr 35; BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2 RdNr 38) vor, entfällt die statistisch begründete Vermutung der Unwirtschaftlichkeit.

76

Für das zur Beurteilung anstehende (aktuelle) Prüfverfahren stellt die Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten eine Selbstverständlichkeit dar. Einer "regressersetzenden" Beratung nach § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V bedürfte es überhaupt nicht, wenn die Überschreitung des RGVol - im zur Prüfung anstehenden Zeitraum - weitgehend oder vollständig durch Praxisbesonderheiten begründet wäre. Dies verdeutlicht die Inbezugnahme des § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V ("abweichend von Absatz 5a Satz 3"): Dort ist ausdrücklich bestimmt, dass der Vertragsarzt bei einer Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH nach Feststellung durch die Prüfungsstelle den sich daraus ergebenden Mehraufwand zu erstatten hat, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist.

77

Für die Frage, ob es bereits zuvor zu Überschreitungen gekommen ist, die einer "Erstmaligkeit" entgegenstehen, kann nichts anderes gelten. Zum einen korrespondieren "erstmalige" und "wiederholte" Überschreitungen miteinander. Zum anderen ist nicht erkennbar, dass der Grundsatz, dass nur eine nicht durch Praxisbesonderheiten begründete Überschreitung Anlass zu Sanktionen geben kann, durch § 106 Abs 5e SGB V außer Kraft gesetzt werden sollte. Dagegen spricht schon der mit der Begrenzung der Privilegierung auf erstmalige Überschreitungen verfolgte Zweck: So wird ein Arzt, der wegen einer unumstrittenen und auch von der Prüfungsstelle nicht in Frage gestellten speziellen Praxisausrichtung die Werte des RGVol regelmäßig um zB 50 vH überschreitet, durch den Umstand einer Überschreitung um mehr als 25 vH nicht "gewarnt" und zu nichts "veranlasst". Erst wenn die Prüfungsstelle ihm mitteilt, dass keine Besonderheiten mehr gesehen werden, hat er Anlass, im Rahmen einer Beratung über sein Verordnungsverhalten nachzudenken.

78

b. Im Übrigen muss es sich bei der vorangegangenen Überschreitung um eine solche handeln, die von der Prüfungsstelle "förmlich" festgestellt wurde. Der bloße Hinweis auf eine Überschreitung des RGVol - etwa durch die Geschäftsstelle der Prüfungsstelle - oder entsprechende Erkenntnisse des Arztes aufgrund seiner Praxissoftware genügen nicht. Für die Notwendigkeit einer "förmlichen" Feststellung der Überschreitung durch die Prüfgremien spricht bereits der Gesichtspunkt, dass eine im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V relevante "vorangegangene" Überschreitung nur dann vorliegt, wenn sie auch nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten mehr als 25 vH beträgt. Dies erfordert eine entsprechende Meinungsbildung durch die Prüfgremien, weil sich Praxisbesonderheiten und ihre Auswirkungen - anders als Überschreitungsgrade - regelmäßig nicht allein "objektiv" ermitteln lassen; vielmehr gehört die Anerkennung von Praxisbesonderheiten zu den Aufgaben der Prüfgremien, bei deren Feststellung diesen ein Beurteilungsspielraum zusteht.

79

In welcher Form die Prüfgremien die Feststellung treffen, dass eine relevante Überschreitung vorliegt, und in welcher Form sie diese dokumentieren, gibt das Gesetz nicht vor. Regelmäßig dürfte diese Feststellung zwar durch einen Regressbescheid erfolgen, doch benennt § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V als Tatbestandsvoraussetzung allein eine "erstmalige Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent", stellt also auf den Umstand einer (nicht gerechtfertigten) Überschreitung als solchen, nicht hingegen auf die hierauf gegründete förmliche Festsetzung eines Regresses ab. Entscheidend ist daher die "Feststellung" des Umstandes, dass eine - nicht durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigte - Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH gegeben ist. Aus Gründen des Rechtsschutzes und der Rechtssicherheit ist jedoch in anderen Fällen als der einer Festsetzung eines Regresses durch einen entsprechenden Bescheid geboten, dass der Vertragsarzt die Möglichkeit hatte, der Feststellung einer ungerechtfertigten Überschreitung des RGVol mit Rechtsmitteln entgegenzutreten.

80

Wenn die Prüfgremien - bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Festsetzung eines Regresses im Übrigen - allein deswegen von einer Regressfestsetzung absehen, weil ihr die Versäumung der Ausschlussfrist entgegenstand, sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, weil der Vertragsarzt durch diese Entscheidung nicht beschwert ist und daher gegebenenfalls im Bescheid enthaltene Feststellungen zur Überschreitung des RGVol nicht angreifen kann. Die Prüfgremien sind allerdings nicht gehindert, durch gesonderten - rechtsmittelfähigen - Bescheid festzustellen, dass der Vertragsarzt sein RGVol um mehr als 25 vH überschritten hat, ohne dass dies durch Praxisbesonderheiten begründet ist.

81

Der Annahme einer (vorangegangenen) Überschreitung im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V steht es nicht entgegen, wenn das Verfahren durch eine vergleichsweise Regelung beendet worden ist, sofern dies die Tatsache einer Überschreitung des RGVol (nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten) um mehr als 25 vH als solche unangetastet lässt. Namentlich gilt dies für Vereinbarungen auf der Grundlage des § 106 Abs 5a Satz 4 SGB V ("Vertrag statt Verwaltungsakt"), welche lediglich eine Verringerung des an sich festzusetzenden Regressbetrages um maximal ein Fünftel beinhalten. Etwas anderes gilt hingegen dann, wenn Inhalt des "Vergleiches" die Anerkennung von Praxisbesonderheiten mit der Folge ist, dass die danach verbleibende Überschreitung weniger als 25 vH beträgt.

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c. Schließlich setzt die Annahme einer vorangegangenen Überschreitung voraus, dass der Arzt tatsächlich unwirtschaftlich verordnet hat. Stellt sich nachträglich - im Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss oder im Gerichtsverfahren - heraus, dass die von den Prüfgremien festgestellte Überschreitung nicht unwirtschaftlich war, ist das Tatbestandsmerkmal "erstmalig" bei einer Überschreitung in Folgejahren nicht in Frage gestellt. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Prüfgremien alle Prüfverfahren, in denen § 106 Abs 5e SGB V Anwendung findet, so lange offenhalten müssen, bis das rechtliche Schicksal vorangegangener Prüfmaßnahmen, die zur Verneinung der "Erstmaligkeit" der Überschreitung geführt haben, geklärt ist. Vielmehr haben sie die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Wird jedoch nachfolgend der Feststellung der Prüfgremien, dass bereits zuvor eine nicht durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigte Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH vorgelegen hat, die Grundlage entzogen, wirkt sich dies auf Bescheide, in denen die Anwendung des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V wegen fehlender Erstmaligkeit verneint wurde, in dem Sinne aus, dass diese Bescheide nunmehr rechtswidrig geworden sind und daher - sofern keine Bestandskraft eingetreten ist - aufzuheben sind. Die fehlende Bestandskraft vorangegangener Regressbescheide hindert daher die Prüfgremien nicht an einer Entscheidung über das Vorliegen der in § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V normierten Voraussetzungen, sondern birgt allein das Risiko, dass die Entscheidung nachträglich unrichtig werden könnte.

83

5. Ob der angefochtene Bescheid in der Sache rechtmäßig ist, kann der Senat nicht entscheiden, da das SG hierzu keine Feststellungen getroffen hat.

84

6. Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren bleibt dem SG überlassen.

(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

(2) Einer Begründung bedarf es nicht,

1.
soweit die Behörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt und der Verwaltungsakt nicht in Rechte eines anderen eingreift,
2.
soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist,
3.
wenn die Behörde gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist,
4.
wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt,
5.
wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 bis 3 ist der Verwaltungsakt schriftlich oder elektronisch zu begründen, wenn der Beteiligte, dem der Verwaltungsakt bekannt gegeben ist, es innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe verlangt.

Tenor

I.

Der Bescheid des Beklagten vom 08.07.2014 wird insoweit aufgehoben, als unter Ziffer 2 Satz 2 entschieden wird, dass die ausgesprochene Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolgt ist.

II.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Gegenstand des Rechtsstreits ist allein die Frage, ob die individuelle Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V durch die Zustellung des, die Beratung erstmalig festsetzenden, Widerspruchsbescheids des Beklagten erfolgt ist.

Mit Schreiben vom 06.10.2008 informierte die Prüfungsstelle Ärzte Bayern die Beigeladene zu 1., eine allgemeinärztliche A., über die Einleitung der Richtgrößenprüfung 2006 (Arzneimittel und Sprechstundenbedarf). Es handelte sich um die erste Richtgrößenprüfung der Beigeladenen zu 1.

Mit Prüfbescheid vom 17.12.2008 setzte die Prüfungsstelle wegen Überschreitung des Richtgrößenvolumens für das Jahr 2006 i. H. v. 26,12% einen Regress in Höhe von 5.744,64 € gegen die Beigeladene zu 1. fest; gegen diesen legte die Beigeladene zu 1. fristgerecht Widerspruch ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.2014 gab der Beklagte dem Widerspruch der Beigeladenen zu 1. teilweise statt (Ziffer 1). Es wurde eine Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V ausgesprochen (Ziffer 2 Satz 1). Gemäß Ziffer 2 Satz 2 erfolgte diese mit der Zustellung des Widerspruchsbescheides. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen (Ziffer 2 Satz 3). Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass sich nach der Bereinigung des Gesamtverordnungsvolumens um Praxisgegebenheiten eine neue (bereinigte) Überschreitung i. H. v. 30,63% ergebe. Da vorliegend aber ein Widerspruch seitens der Krankenkassen nicht vorliege, greife das Verbot der reformatio in peius. Es bleibe folglich bei der ursprünglich festgesetzten Überschreitung i. H. v. 26,12%. Gem. § 106 Abs. 5a SGB V seien bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25% nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten die sich daraus ergebenden Mehrkosten den Krankenkassen zu erstatten. Gem. § 106 Abs. 5e SGB V erfolge abweichend von Abs. 5a bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent eine individuelle Beratung nach Abs. 5a Satz 1. Der Ausnahmetatbestand des § 106 Abs. 5e SGB V sei hier erfüllt. Ein Regress sei daher nicht festzusetzen gewesen. Die Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V erfolge mit Zustellung dieses Bescheids.

Die Klägerin, die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, hat am 13.08.2014 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Sie hat klargestellt, dass sich die Klage nicht gegen den Ausspruch der Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V unter Ziffer 2 Satz 1 des Widerspruchsbescheides wendet. Die Klägerin ist der Auffassung, dass an eine individuelle Beratung gem. § 106 Abs. 5e SGB V höhere Anforderungen zu stellen sind als an eine „schriftliche Beratung“ im Rahmen eines Maßnahmenfestsetzungsbescheids. Das Angebot einer individuellen Beratung setze voraus, dass die Prüfgremien auf die betroffenen Ärzte, sei es in schriftlicher oder mündlicher Form, zugingen und diesen eine Beratung, die speziell auf die jeweilige Praxis abgestimmt sei, zur Disposition stelle. Es bestehe keine Rechtsgrundlage dafür, dass die Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolge. Soweit den Prüfgremien bei der konkreten Ausgestaltung der Maßnahme nach § 106 Abs. 5e SGB V überhaupt ein eigenes Ermessen zugestanden werden könne, sei dieses vom Beklagten jedenfalls nicht ausgeübt worden. Die „individuelle Beratung“ i. S. d. § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V unterscheide sich aufgrund der Begrifflichkeit von der „schriftlichen Beratung“ i. S. d. § 106 Abs. 5a Satz 1 i. V. m. Abs. 1a SGB V. Zum einen ergebe sich aus § 106 Abs. 5e Satz 3 SGB V, dass den betroffenen Ärzten bei erstmaliger Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent eine individuelle Beratung „angeboten“ werden müsse. Bei einer mittels eines Bescheids einseitig auferlegten „schriftlichen“ Beratung werde weder auf die Vertragsärzte mit dem Ziel eines persönlichen Gesprächs zugegangen noch werde ihnen die Beratung zur Disposition gestellt. Darüber hinaus sehe § 106 Abs. 5e Satz 4 SGB V vor, dass im Rahmen der Beratung nach Satz 1 Vertragsärzte in begründeten Fällen eine Feststellung der Prüfungsstelle über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten beantragen könnten. Diese Regelung würde bei einer mittels Widerspruchsbescheids einseitig auferlegten Beratung ins Leere laufen. Der streitgegenständliche Widerspruchsbescheid unterscheide sich seinem Inhalt nach nicht von den üblichen schriftlichen Beratungen der Prüfgremien nach § 106 Abs. 5a Satz 1 SGB V. Konkrete Darlegungen zu betragsmäßigen Einsparpotentialen, geschweige denn zielführende Lösungsansätze lasse der Bescheid vermissen. Es sei eine klare Trennung zwischen Festsetzung der Maßnahme, deren Vollziehung sowie einer abschließenden Feststellung über die Vollziehung vorzunehmen. Es könne offen bleiben, ob eine individuelle Beratung bei Ärztinnen und Ärzten, die schon seit Jahren ihr Richtgrößenvolumen überschritten, eine bloße Förmelei darstellen würde. Jedenfalls handele es sich vorliegend um das erste Richtgrößenverfahren der Beigeladenen zu 1.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 08.07.2014 insoweit aufzuheben, als unter Ziffer 2 Satz 2 entschieden wird, dass die ausgesprochene Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolgt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Durchführung einer Beratung, deren Gegenstand ein Verordnungsverhalten von vor neun Jahren sei, nicht zielführend und bloße Förmelei sei. Sowohl Prüfungsstelle als auch Beschwerdeausschuss seien für die Festsetzung und die Durchführung einer Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V zuständig. Der Beklagte habe den Zeitpunkt der individuellen Beratung davon abhängig zu machen, ob in dem erstinstanzlichen Bescheid Beratungspunkte aufgeführt gewesen seien oder nicht. Mangels Beratungspunkte im erstinstanzlichen Prüfbescheid sei vorliegend die Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Versand des Widerspruchsbescheids am 08.07.2014 erfolgt. Damit genieße die Beigeladene zu 1. bis einschließlich Quartal 3/2014 Regressschutz. Aus der Normenkette des § 106 Abs. 5e i. V. m. Abs. 5a i. V. m. Abs. 1a SGB V ergebe sich lediglich eine Beratungsaufgabe der Prüfungsstelle anhand von Übersichten.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Auf Nachfrage des Gerichts hat der Beklagte die „Prüfhistorie“ der Beigeladenen zu 1. übermittelt. Danach wurden gegenüber der Beigeladenen zu 1. im Rahmen einer Durchschnittswertprüfung 4/2007 sowie einer Ersatzrichtgrößenprüfung 3/2009 jeweils Beratungen bestandskräftig festgesetzt; die Beratungen erfolgten jeweils mit schriftlichem Festsetzungsbescheid. Verschiedene, aufgrund von Ersatzrichtgrößenprüfungen von der Prüfungsstelle festgesetzte Regresse sind noch beim Beklagten anhängig.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 08.07.2014 ist, soweit unter Ziffer 2 Satz 2 entschieden wurde, dass die ausgesprochene Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolgt, rechtswidrig.

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage liegen vor. Insbesondere ist die Klägerin klagebefugt. Die Betroffenheit in ihre Rechte ergibt sich aus der Gesamtverantwortung der Kassenärztlichen Vereinigungen für eine den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entsprechende Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung (§ 75 Abs. 1 SGB V), in die durch Entscheidungen der Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse eingegriffen wird. Hieraus folgt nach der Rechtsprechung des BSG ihre Befugnis, die Rechtswidrigkeit dieser Entscheidungen unabhängig vom Nachweis eines darüber hinausgehenden konkreten rechtlichen Interesses im Einzelfall geltend zu machen (BSG, Urteil vom 28.08.1996, Az. 6 RKa 88/95, Rn. 13 m. w. N.).

Die Klage ist auch begründet.

Streitgegenstand ist lediglich die Frage, ob die individuelle Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V durch die Zustellung des, die Beratung erstmalig festsetzenden, Widerspruchsbescheids des Beklagten erfolgt ist.

§ 106 Abs. 5e SGB V (in der Fassung vom 19.10.2012) lautet:

„Abweichend von Absatz 5a Satz 3 erfolgt bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent eine individuelle Beratung nach Absatz 5a Satz 1. Ein Erstattungsbetrag kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfzeitraum nach der Beratung festgesetzt werden. Dies gilt entsprechend, wenn ein Vertragsarzt die ihm angebotene Beratung abgelehnt hat. Im Rahmen der Beratung nach Satz 1 können Vertragsärzte in begründeten Fällen eine Feststellung der Prüfungsstelle über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten beantragen. Eine solche Feststellung kann auch beantragt werden, wenn zu einem späteren Zeitpunkt die Festsetzung eines Erstattungsbetrags nach Absatz 5a droht. Das Nähere zur Umsetzung der Sätze 1 bis 5 regeln die Vertragspartner nach Absatz 2 Satz 4. Dieser Absatz gilt auch für Verfahren, die am 31. Dezember 2011 noch nicht abgeschlossen waren.“

Auf die vorliegende Richtgrößenprüfung der Beigeladenen zu 1. war § 106 Abs. 5e SGB V anzuwenden, da das Prüfverfahren am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen war und die Entscheidung des Beklagten nach dem 25.10.2012 ergangen ist (vgl. BSG, Urteil vom 22.10.2014, Az. B 6 KA 3/14 R, LS 2).

Nähere Regelungen der Partner der Gesamtverträge zur Frage der Umsetzung des § 106 Abs. 5e Sätze 1 bis 5 SGB V existieren für den streitgegenständlichen Prüfungszeitraum nicht.

§ 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V verweist bezüglich der individuellen Beratung auf Abs. 5a Satz 1, der wiederum auf Abs. 1a Bezug nimmt. Danach berät in erforderlichen Fällen die in Absatz 4 genannte Prüfungsstelle die Vertragsärzte auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung.

Anders als die Beratungen nach Abs. 1a sind jedoch die Beratungen nach Abs. 5a und 5e zwingend durchzuführen.

Nach der Rechtsprechung des BSG zu § 106 Abs. 1a i. V. m. Abs. 5a Satz 1 und 2 SGB V hat die Prüfungsstelle hinsichtlich der Ausgestaltung der Beratung einen Ermessensspielraum; mit der Festsetzung einer Beratung sind jedoch grundsätzlich die an diese Maßnahme zu stellenden Anforderungen erfüllt: „Die konkrete Ausgestaltung der Maßnahme steht im Ermessen der Prüfgremien (vgl. BT-Drucks 14/6309 S 11 Zu Nummer 4 <§ 106> Zu Buchst b), soweit die Partner der Gesamtverträge keine Bestimmungen in den Prüfungsvereinbarungen treffen. Dem Sinn und Zweck der Maßnahme dürfte am ehesten ein persönliches Beratungsgespräch gerecht werden, wie es nach den Angaben der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung in Sachsen von den Prüfgremien auch regelmäßig durchgeführt wird. Unabhängig von der Art ihrer Ausgestaltung erfolgt mit der Festsetzung einer Beratung jedenfalls eine Beurteilung des Verordnungsverhaltens des Vertragsarztes. Die Prüfgremien treffen die Feststellung, dass eine Überschreitung der Richtgrößen nicht durch Praxisbesonderheiten begründet, das Verordnungsverhalten des Vertragsarztes mithin unwirtschaftlich war. Der Vertragsarzt muss sich der Maßnahme der „Beratung“ unterziehen, auch wenn diese unter Umständen nur in der Kenntnisnahme des Festsetzungsbescheides besteht“ (BSG, Urteil vom 05.06.2013, Az. B 6 KA 40/12 R, Rn. 10; vgl. zum Ermessensspielraum auch Clemens in: jurisPK-SGB V, Stand 20.01.2015, § 106 Rn. 287).

Nach Auffassung der Kammer kann die zu § 106 Abs. 1a i. V. m. Abs. 5a Satz 1 und 2 SGB V ergangene Rechtsprechung des BSG jedoch nur eingeschränkt auf § 106 Abs. 5e SGB V übertragen werden.

Anders als in § 106 Abs. 1a, 5a SGB V ist in § 106 Abs. 5e Satz 1 von einer „individuellen“ Beratung die Rede. Zwar ließe sich argumentieren, dass auch eine im Rahmen eines Festsetzungsbescheids vorgenommene Beratung eine individuelle Beratung ist, weil sie im Rahmen eines individuellen Bescheids gegenüber dem einzelnen Bescheidsadressaten erfolgt. Die Betonung der Individualität durch den Gesetzgeber spricht jedoch eher dafür, dass damit eine auf die speziellen Verhältnisse, insbesondere auf den speziellen (Beratungs-)Bedarf des Vertragsarztes gerichtete Beratung gemeint ist. Dass der Gesetzgeber eine über den „Festsetzungsbescheid mit Beratungsfunktion“ hinausgehende Beratung im Sinn hatte, ist auch den Regelungen des § 106 Abs. 5e Sätze 3 und 4 SGB V zu entnehmen. Satz 3 regelt die Frage der Festsetzung eines Erstattungsbetrages, „wenn ein Vertragsarzt die ihm angebotene Beratung abgelehnt hat“. Danach geht der Gesetzgeber jedenfalls davon aus, dass die Prüfungsstelle dem Vertragsarzt eine Beratung anbietet. Satz 4 räumt den Vertragsärzten die Möglichkeit ein, im Rahmen der Beratung nach Satz 1 in begründeten Fällen eine Feststellung der Prüfungsstelle über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten zu beantragen. Diese Regelung kann nur Wirkung entfalten, wenn die Beratung bzw. das Beratungsangebot über die Kenntnisnahme eines Festsetzungsbescheids hinausgeht.

Auch der Gesetzesbegründung zum GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG), mit dem § 106 Abs. 5e SGB V eingeführt wurde, ist zu entnehmen, dass vor Festsetzung eines Regresses dem Vertragsarzt zumindest ein Beratungsangebot gemacht werden muss. Dort heißt es, dass „gemäß der Neuregelung in Absatz 5e die Festsetzung eines Erstattungsbetrages bei erstmaliger Überschreitung des Richtgrößenvolumens eine vorherige Beratung oder zumindest ein Beratungsangebot voraussetzt“ (BT-Drs. 17/6906, S. 79). Gemäß der Begründung soll bei erstmaliger Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 v. H. „kein Regress festgesetzt werden, bevor den betroffenen Vertragsärztinnen und -ärzten daraufhin nicht zumindest eine einmalige Beratung angeboten wurde“ (BT-Drs. 17/6906, S. 79).

Dementsprechend führt auch das BSG aus, dass Sinn und Zweck der Einfügung des § 106 Abs. 5e SGB V gewesen sei, Ärzte nach erstmaligem Überschreiten des Richtgrößenvolumens nicht unmittelbar einem - trotz der betragsmäßigen Begrenzung durch § 106 Abs. 5c Satz 7 SGB V wirtschaftlich belastenden - Regress auszusetzen, sondern ihnen über eine eingehende „Beratung“ zunächst ohne finanzielle Konsequenzen für die Praxis die Möglichkeit zu geben, ihr Verordnungsverhalten bei Arznei- und Heilmitteln zu modifizieren (BSG, Urteil vom 22.10.2014, Az. B 6 KA 3/14 R, Rn. 65). Das BSG hat in seiner Entscheidung jedoch einschränkend darauf hingewiesen, dass die Annahme, dass der Gesetzgeber auch Vertragsärzte privilegieren wollte, die seit längerem nicht im Einklang mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot tätig seien, nicht gerechtfertigt sei. Ärzte, die ggf. schon seit Jahren ihr Richtgrößenvolumen überschritten und hinlänglich wüssten, welcher Verordnungsumfang von der zuständigen Prüfungsstelle als wirtschaftlich angesehen werde, bedürften einer solchen „Beratung“ nicht; diese wäre vielmehr bloße Förmelei (BSG, ebenda, Rn. 66).

Nach alledem ist dem Gesetzeswortlaut sowie der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass dem Vertragsarzt im Rahmen des § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V zumindest eine Beratung angeboten werden muss.

Nach Auffassung der Kammer ist unter dem Angebot einer Beratung zu verstehen, dass die Prüfungsstelle dem Vertragsarzt die Möglichkeit zur Inanspruchnahme einer tatsächlichen, auf den speziellen (Beratungs-)Bedarf des Vertragsarztes ausgerichteten und auf den betroffenen Prüfungszeitraum bezogenen Beratung gibt. Ob diese Beratung schriftlich oder mündlich erfolgt, liegt im Ermessen der Prüfungsstelle.

An eine individuelle Beratung i. S. d. § 106 Abs. 5e Satz 1 SGB V sind demnach grundsätzlich höhere Anforderungen zu stellen als an eine Beratung i. S. d. § 106 Abs. 1a i. V. m. Abs. 5a Satz 1 und 2 SGB V. Allein die Festsetzung einer Beratung im Rahmen eines Maßnahmenbescheides und die Kenntnisnahme durch den Vertragsarzt genügen nicht. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn es sich um einen Vertragsarzt handelt, der schon seit Jahren sein Richtgrößenvolumen überschreitet und davon auszugehen ist, dass er aufgrund früherer Maßnahmen der Prüfgremien mit Beratungsfunktion keinen Beratungsbedarf mehr hat, eine Beratung also nur mehr bloße Förmelei darstellen würde (vgl. BSG, ebenda, Rn. 66).

Da es sich im vorliegenden Fall um die erste Richtgrößenprüfung der Beigeladenen zu 1. handelte, war eine derartige Ausnahmekonstellation nicht gegeben.

Aus diesem Grund war der Bescheid des Beklagten vom 08.07.2014, soweit unter Ziffer 2 Satz 2 entschieden wird, dass die ausgesprochene Beratung nach § 106 Abs. 5e SGB V mit Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolgt, aufzuheben. Der Beklagte bzw. die Prüfstelle muss daher die Beigeladene zu 1. noch beraten bzw. ihr zumindest eine Beratung anbieten. Da der streitgegenständliche, das Jahr 2006 betreffende Prüfungszeitraum weit zurückliegt, erscheint es zwar offen, ob die Vertragsärzte der Beigeladenen zu 1. ein auf diesen Zeitraum bezogenes Beratungsangebot in Anspruch nehmen werden. Darauf kam es jedoch im Hinblick auf die Begründetheit der Klage nicht an.

Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.

(1) Die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen überwachen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich und die Kassenärztlichen Vereinigungen vereinbaren Inhalt und Durchführung der Beratungen und Prüfungen nach Absatz 2 sowie die Voraussetzungen für Einzelfallprüfungen. Die Vertragspartner können die Prüfungsstelle mit der Prüfung ärztlich verordneter Leistungen in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung beauftragen und tragen die Kosten. Die Krankenkassen übermitteln der Prüfungsstelle die Daten der in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung verordneten Leistungen; dabei sind zusätzlich die Zahl der Behandlungsfälle und eine Zuordnung der verordneten Leistungen zum Datum der Behandlung zu übermitteln. Die §§ 296 und 297 gelten entsprechend.

(2) Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird von der Prüfungsstelle nach § 106c geprüft durch

1.
arztbezogene Prüfungen ärztlicher Leistungen nach § 106a,
2.
arztbezogene Prüfungen ärztlich verordneter Leistungen nach § 106b.
Die Prüfungen werden auf der Grundlage der Daten durchgeführt, die der Prüfungsstelle nach § 106c gemäß § 296 Absatz 1, 2 und 4 sowie § 297 Absatz 2 übermittelt werden. Hat die Prüfungsstelle Zweifel an der Richtigkeit der übermittelten Daten, ermittelt sie die Datengrundlagen für die Prüfung aus einer Stichprobe der abgerechneten Behandlungsfälle des Arztes und rechnet die so ermittelten Teildaten nach einem statistisch zulässigen Verfahren auf die Grundgesamtheit der Arztpraxis hoch.

(3) Die Prüfungsstelle nach § 106c bereitet die für die Prüfungen nach Absatz 2 erforderlichen Daten und sonstigen Unterlagen auf, trifft Feststellungen zu den für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit wesentlichen Sachverhalten und entscheidet unter Beachtung der Vereinbarungen nach den §§ 106a und 106b, ob der Vertragsarzt, der ermächtigte Arzt oder die ermächtigte Einrichtung gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind. Eine Maßnahme kann insbesondere auch die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung sein. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung auf Grund einer Wirtschaftlichkeitsprüfung, die von Amts wegen durchzuführen ist, muss für ärztliche Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheides und für ärztlich verordnete Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab dem Schluss des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, erfolgen; § 45 Absatz 2 des Ersten Buches gilt entsprechend. Für Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die auf Grund eines Antrags erfolgen, ist der Antrag für die Prüfung ärztlicher Leistungen spätestens 18 Monate nach Erlass des Honorarbescheides und für die Prüfung ärztlich verordneter Leistungen spätestens 18 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, bei der Prüfungsstelle nach § 106c einzureichen. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung muss innerhalb weiterer zwölf Monate nach Ablauf der in Satz 4 genannten Frist erfolgen; die Regelung des § 45 Absatz 2 des Ersten Buches findet keine entsprechende Anwendung. Gezielte Beratungen sollen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen. Die Prüfungsstelle berät die Vertragsärzte auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung.

(4) Werden Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassenverbände und Kassenärztlichen Vereinigungen für eine ordnungsgemäße Umsetzung. Können Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt werden, weil die erforderlichen Daten nach den §§ 296 und 297 nicht oder nicht im vorgesehenen Umfang oder nicht fristgerecht übermittelt worden sind, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassen oder der Kassenärztlichen Vereinigungen. Die zuständige Aufsichtsbehörde hat nach Anhörung der Vorstandsmitglieder und der jeweils entsandten Vertreter im Ausschuss den Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung zu veranlassen, das Vorstandsmitglied auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens in Anspruch zu nehmen, falls der Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung das Regressverfahren nicht bereits von sich aus eingeleitet hat.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der im Krankenhaus erbrachten ambulanten ärztlichen und belegärztlichen Leistungen.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen überwachen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich und die Kassenärztlichen Vereinigungen vereinbaren Inhalt und Durchführung der Beratungen und Prüfungen nach Absatz 2 sowie die Voraussetzungen für Einzelfallprüfungen. Die Vertragspartner können die Prüfungsstelle mit der Prüfung ärztlich verordneter Leistungen in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung beauftragen und tragen die Kosten. Die Krankenkassen übermitteln der Prüfungsstelle die Daten der in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung verordneten Leistungen; dabei sind zusätzlich die Zahl der Behandlungsfälle und eine Zuordnung der verordneten Leistungen zum Datum der Behandlung zu übermitteln. Die §§ 296 und 297 gelten entsprechend.

(2) Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird von der Prüfungsstelle nach § 106c geprüft durch

1.
arztbezogene Prüfungen ärztlicher Leistungen nach § 106a,
2.
arztbezogene Prüfungen ärztlich verordneter Leistungen nach § 106b.
Die Prüfungen werden auf der Grundlage der Daten durchgeführt, die der Prüfungsstelle nach § 106c gemäß § 296 Absatz 1, 2 und 4 sowie § 297 Absatz 2 übermittelt werden. Hat die Prüfungsstelle Zweifel an der Richtigkeit der übermittelten Daten, ermittelt sie die Datengrundlagen für die Prüfung aus einer Stichprobe der abgerechneten Behandlungsfälle des Arztes und rechnet die so ermittelten Teildaten nach einem statistisch zulässigen Verfahren auf die Grundgesamtheit der Arztpraxis hoch.

(3) Die Prüfungsstelle nach § 106c bereitet die für die Prüfungen nach Absatz 2 erforderlichen Daten und sonstigen Unterlagen auf, trifft Feststellungen zu den für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit wesentlichen Sachverhalten und entscheidet unter Beachtung der Vereinbarungen nach den §§ 106a und 106b, ob der Vertragsarzt, der ermächtigte Arzt oder die ermächtigte Einrichtung gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind. Eine Maßnahme kann insbesondere auch die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung sein. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung auf Grund einer Wirtschaftlichkeitsprüfung, die von Amts wegen durchzuführen ist, muss für ärztliche Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheides und für ärztlich verordnete Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab dem Schluss des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, erfolgen; § 45 Absatz 2 des Ersten Buches gilt entsprechend. Für Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die auf Grund eines Antrags erfolgen, ist der Antrag für die Prüfung ärztlicher Leistungen spätestens 18 Monate nach Erlass des Honorarbescheides und für die Prüfung ärztlich verordneter Leistungen spätestens 18 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, bei der Prüfungsstelle nach § 106c einzureichen. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung muss innerhalb weiterer zwölf Monate nach Ablauf der in Satz 4 genannten Frist erfolgen; die Regelung des § 45 Absatz 2 des Ersten Buches findet keine entsprechende Anwendung. Gezielte Beratungen sollen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen. Die Prüfungsstelle berät die Vertragsärzte auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung.

(4) Werden Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassenverbände und Kassenärztlichen Vereinigungen für eine ordnungsgemäße Umsetzung. Können Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt werden, weil die erforderlichen Daten nach den §§ 296 und 297 nicht oder nicht im vorgesehenen Umfang oder nicht fristgerecht übermittelt worden sind, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassen oder der Kassenärztlichen Vereinigungen. Die zuständige Aufsichtsbehörde hat nach Anhörung der Vorstandsmitglieder und der jeweils entsandten Vertreter im Ausschuss den Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung zu veranlassen, das Vorstandsmitglied auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens in Anspruch zu nehmen, falls der Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung das Regressverfahren nicht bereits von sich aus eingeleitet hat.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der im Krankenhaus erbrachten ambulanten ärztlichen und belegärztlichen Leistungen.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. November 2013 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit steht ein Regress wegen Überschreitung der Heilmittel-Richtgrößen im Jahr 2008.

2

Der Kläger nimmt seit 1990 als Orthopäde an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Nach vorangegangenen Regressen für die Jahre 2006 und 2007 setzte die Prüfungsstelle wegen der Überschreitung des individuellen Richtgrößenvolumens (RGVol) bei Heilmitteln im Jahr 2008 einen weiteren Regress gegen den Kläger fest (Bescheid vom 20.12.2010). Mit Bescheid vom 19.9.2012 (Beschluss vom 27.6.2012) half der beklagte Beschwerdeausschuss dem Widerspruch des Klägers teilweise ab und verminderte den Regressbetrag auf 10 303,54 Euro. Im Übrigen wies er den Widerspruch zurück: Der Kläger habe 2008 das RGVol für Orthopäden - nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten und kompensatorischen Einsparungen - um 31,18 vH überschritten. Die Regelung des § 106 Abs 5e SGB V über den Vorrang der Beratung werde nicht rückwirkend angewandt, da bereits zwei bestandskräftige Regressbescheide für 2006 und 2007 vorlägen und damit ein Regress nicht erstmals festgesetzt werde.

3

Auf die Klage des Klägers hat das SG mit Urteil vom 20.11.2013 den Bescheid des Beklagten aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Festsetzung eines Regresses sei mit dem in § 106 Abs 5e SGB V geregelten Grundsatz "Beratung vor Regress" nicht vereinbar. Nach seinem Satz 7 gelte § 106 Abs 5e SGB V auch für Verfahren, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen gewesen seien. Der Gesetzgeber habe, wie aus den Gesetzesmaterialien hervorgehe, mit § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V klarstellen wollen, dass der in § 106 Abs 5e SGB V verankerte Grundsatz "Beratung vor Regress" auch für bei Inkrafttreten des § 106 Abs 5e SGB V zum 1.1.2012 noch nicht abgeschlossene Richtgrößenprüfungen gelten solle. Vor Erlass des angefochtenen Bescheids habe keine individuelle Beratung des Klägers im Sinne des § 106 Abs 5e SGB V zur Wirtschaftlichkeit seines Heilmittelverordnungsverhaltens stattgefunden. Die Regressbescheide für 2006 und 2007 stellten keine Beratung nach § 106 Abs 5e SGB V dar.

4

Angesichts der Zielsetzung des § 106 Abs 5e SGB V könne dem Kläger auch nicht entgegengehalten werden, er habe das RGVol im Jahr 2008 nicht zum ersten, sondern zum dritten Mal überschritten. Die Konzeption des § 106 Abs 5e SGB V mit dem zum 1.1.2012 neu eingeführten Grundsatz "Beratung vor Regress" sehe vor, dass der Arzt, der mit seinem Verordnungsverhalten die Richtgrößen überschreite, ab 1.1.2012 zuerst nach näherer Maßgabe des § 106 Abs 1a SGB V beraten werden müsse. Ein Regress dürfe erst dann festgesetzt werden, wenn er in einem weiteren Prüfungszeitraum nach erfolgter (oder abgelehnter) Beratung die Richtgrößen erneut überschreite. Für diesen Verfahrensgang sei es unerheblich, ob die Richtgrößen in der Vergangenheit überschritten worden seien und deswegen Regressbescheide ergangen seien. Als erstmalige Überschreitung des RGVol im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V sei diejenige Überschreitung anzusehen, auf die erstmals die in der genannten Vorschrift geforderte Beratung stattfinde. Ein Regress komme daher erst in Betracht, wenn der Kläger nach einer solchen Beratung künftig das RGVol erneut um mehr als 25 vH überschreite.

5

Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung von Bundesrecht. Das SG habe § 106 Abs 5e SGB V fehlerhaft angewandt; die von ihm vorgenommene Auslegung der Norm sei mit deren klaren Wortlaut nicht zu vereinbaren. Gründe, vom Wortlaut des Gesetzes abzuweichen, gebe es nicht. Der Gesetzeswortlaut gehe davon aus, dass nur bei einer erstmaligen Überschreitung des RGVol die Maßnahme auf eine individuelle Beratung beschränkt sei. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass die Vorschrift für jedes am Stichtag 1.1.2012 noch laufende Verfahren Geltung entfalten solle, so gebe die Formulierung "erstmalig" im Gesetzestext keinen Sinn. Soweit der Gesetzestext - wie hier - eindeutig sei und nicht zu schlechthin unbilligen Ergebnissen führe, bedürfe es keiner Auslegung unter Hinzunahme der Gesetzesbegründung. § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V ordne die rückwirkende Anwendung des neuen Rechts auf frühere Sachverhalte gerade nicht in der erforderlichen Klarheit an. Die in der Gesetzesbegründung zum Einschub des § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V enthaltenen Überlegungen könnten keine Anwendung finden, da diese sich nicht im Gesetzeswortlaut objektiviert hätten. Hätte der Gesetzgeber mit dem Gesetzeswortlaut tatsächlich rückwirkend alle Wirtschaftlichkeitsprüfungen und bereits festgesetzte Regresse beseitigen und der Tätigkeit der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung damit ihre Grundlage entziehen wollen, so hätte er damit zugleich auch in die Rechte der Krankenkassen eingegriffen, weil verfestigte Vermögenspositionen entwertet würden. Dass er dies gewollt habe, ergebe sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch den Gesetzesmaterialien.

6

Im Übrigen verkenne das SG den systematischen Aufbau des § 106 Abs 5e SGB V: In Satz 1 aaO werde unmissverständlich eine "erstmalige Überschreitung" vorausgesetzt; alle nachfolgenden Regelungen des § 106 Abs 5e SGB V bauten hierauf auf, setzten also eine "erstmalige Überschreitung" voraus. Daraus folge, dass eine Beratung nur bei einer erstmaligen Überschreitung erforderlich sei, sonst nicht. Die Erstüberschreitung sei nach dem Gesetzeswortlaut jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn zum 31.12.2011 bereits bestandskräftige Richtgrößen-Regressbescheide aus früheren Prüfjahren gegen den Arzt vorgelegen hätten, so wie es hier der Fall gewesen sei. Bezugszeitraum sei dabei die gesamte, in der Vergangenheit liegende Tätigkeit des Vertragsarztes, bei der es zu Überschreitungen gekommen sei. Mit der erstmaligen Überschreitung nach § 106 Abs 5e SGB V könne nichts anderes gemeint sein als die numerisch erstmalige Überschreitung. Die Auslegung des SG käme einem Neuanfang der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Richtgrößen gleich; Regresse könnten frühestens für das Jahr 2015 - zeitversetzt erst in 2016 oder 2017 - festgesetzt werden. Hätte der Gesetzgeber eine "Amnestie" in dieser Hinsicht gewollt, hätte er dies im Gesetzestext ausdrücklich regeln müssen.

7

Aus der Anwendung des Leistungsfallprinzips folge, dass § 106 Abs 5e Satz 1 bis 6 SGB V lediglich auf Prüfquartale nach dem 1.1.2012 Anwendung finde. Wenn § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V die Durchführung einer Beratung zur Voraussetzung der Festsetzung eines Regresses erkläre, so werde damit eine Tatbestandsvoraussetzung normiert, die materiell-rechtlicher Art sei. Anspruchsbegründendes Ereignis sei die tatsächliche Verordnungspraxis in den maßgeblichen Beurteilungsquartalen; das spätere Prüfverfahren ändere nichts an einer tatsächlichen Überschreitung, sondern diene lediglich deren Ermittlung und Feststellung. Somit habe vorliegend zum Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheides am 19.9.2012 ein abgeschlossener Sachverhalt vorgelegen. Der Grundsatz der sofortigen Anwendung des neuen Rechts sei nicht anzuwenden, weil die Neuregelung nicht allein begünstigend wirke, sondern zugleich die Krankenkassen belaste.

8

Durch die Einfügung des Satzes 7 aaO mit Wirkung zum 26.10.2012 sei keine Änderung eingetreten, da es sich bei der von dieser Vorschrift angeordneten Erstreckung des zeitlichen Geltungsbereichs auf sämtliche zum 31.12.2011 nicht abgeschlossenen Sachverhalte um eine unzulässige und damit verfassungswidrige echte Rückwirkung handele. Der Gesetzgeber könne den Inhalt geltenden Rechts mit Wirkung für die Vergangenheit nur in den verfassungsrechtlichen Grenzen für eine rückwirkende Rechtssetzung feststellend oder klarstellend präzisieren; Ausführungen in der Gesetzesbegründung, dass die Vorschrift lediglich klarstellenden Charakter habe, seien für die Gerichte nicht verbindlich. Die Voraussetzungen für eine echte Rückwirkung seien erfüllt, da durch Satz 7 aaO Regressansprüche der Krankenkassen nachträglich zum Erlöschen gebracht worden seien. Keine der Fallgruppen, in denen eine echte Rückwirkung ausnahmsweise zulässig sei, sei vorliegend gegeben. Insbesondere fehle es an überragenden Gemeinwohlbelangen, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgingen. Die Rückwirkungsgrundsätze seien auch auf gesetzliche Krankenkassen anwendbar, weil das Rückwirkungsverbot nicht lediglich aus Grundrechten, sondern auch aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet werde. Vertrauensschutz ziele daher nicht lediglich auf den Schutz der Grundrechte, sondern sämtlicher einer natürlichen oder juristischen Person zustehender Rechte.

9

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Stuttgart vom 21.11.2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

11

Das BSG gehe keineswegs in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw Rechtsverhältnisse immer nach dem Recht beurteilten, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten habe. Vielmehr sei nach den allgemeinen, für das intertemporale Sozialrecht geltenden Grundsätzen zunächst zu klären, ob das Versicherungs- bzw Leistungsfallprinzip oder das Geltungszeitraumprinzip zur Anwendung komme. Letztlich hänge es vom Inhalt und Zweck der konkreten neuen Regelung ab, ob diese mit Wirkung für die Zukunft auch die bereits unter dem früheren Recht begründeten Ansprüche erfasse oder nicht.

12

Durch § 106 Abs 5e SGB V sei nicht die inhaltliche Beurteilung der Wirtschaftlichkeit verändert worden, sondern lediglich die Rechtsfolge bzw Sanktion, die sich an eine festgestellte Unwirtschaftlichkeit anschließe. Auch die jüngere Rechtsprechung des BSG ordne die Beratung als Sanktion und nicht als materiell-rechtliche Regelung ein. Der gesamte rechtliche Gehalt des neuen § 106 Abs 5e SGB V wirke sich erst nach Abschluss der materiellen Prüfung aus. Mangels einer materiell-rechtlichen Vorgabe bzw einer materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzung verbleibe hier nur die Anwendung des Geltungszeitraumprinzips mit dem Ergebnis, dass der neue § 106 Abs 5e SGB V bereits auf das laufende - hier zu beurteilende - Prüfverfahren hätte Anwendung finden müssen, da die maßgeblichen Rechtsfolgen in den zeitlichen Geltungsbereich des neuen § 106 Abs 5e SGB V fielen. Gegen die Anwendung des Versicherungs- bzw Leistungsfallprinzips spreche auch, dass anspruchsbegründendes Ereignis für den Regressanspruch der Krankenkassen nicht die quartalsweise getätigten Verordnungen, sondern die Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH sei; dies stehe erst nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens fest. Die Beratung habe de facto eine Doppelnatur als Rechtsfolge und Verfahrensvoraussetzung.

13

Selbst wenn man § 106 Abs 5e SGB V als Änderung einer materiell-rechtlichen Vorgabe einstufen würde, gelte das Versicherungs- bzw Leistungsfallprinzip nur "grundsätzlich" und auch nur dann, wenn später in Kraft gesetztes Recht "ausdrücklich oder sinngemäß" nichts anderes bestimme. Letzteres sei der Fall. Der Gesetzgeber sei vom Geltungszeitraumprinzip ausgegangen, da er sonst die spätere Ergänzung kaum als "Klarstellung" bezeichnet hätte. Die Neufassung der Norm solle nach ihrem Sinn und Zweck sofort gelten, dh auch laufende Prüfverfahren habe erfassen sollen, da es sich nicht um eine grundlegend neue Regelung, sondern um die Umwandlung einer Soll- in eine Mussvorschrift handele. Diese Umwandlung habe zum einen die Feststellung des Gesetzgebers zum Hintergrund gehabt, dass die in der Vergangenheit ausgesprochenen Regresse das Verordnungsverhalten der Vertragsärzte nicht verändert hätten; der Gesetzgeber habe daher eine echte Kehrtwende im Bereich der Richtgrößenprüfung vornehmen wollen. Durch eine Beratung solle ausdrücklich eine nochmalige Überschreitung vermieden werden. Zum Weiteren hätten die hohen Regressforderungen dazu geführt, dass immer mehr junge Ärzte die Niederlassung ablehnten und immer mehr Patienten die Sorge äußerten, wegen der Richtgrößen benötigte Medikamente nicht mehr zu bekommen. Angesichts dessen erscheine es mehr als unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber noch drei Jahre habe warten wollen, bis seine Regelungen griffen.

14

Da es sich bei § 106 Abs 5e SGB V um eine Regelung handle, die den Vertragsarzt begünstige, lägen auch die Voraussetzungen für die sofortige Anwendung des neuen Rechts vor. Bei einer begünstigenden Regelung sei grundsätzlich lediglich zu prüfen, ob Grundsätze des Vertrauensschutzes der sofortigen Einführung der Neuregelung entgegenstünden. Das Vertrauen der Krankenkassen in den Fortbestand der Rechtslage sei jedoch ebenso wenig schutzwürdig wie deren angeblich verfestigte Vermögensposition. Der Gesetzgeber habe bewusst in Kauf genommen, dass ihnen Rückzahlungsbeträge und Vermögenspositionen entgingen. Schließlich sei maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtslage bei der vorliegend erhobenen Anfechtungsklage der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, wie das BSG mit Urteil vom 24.11.1993 (6 RKa 20/91 - SozR 3-2200 § 368n Nr 6) entschieden habe; der Widerspruchsbescheid sei am 19.9.2012 ergangen und damit zu einem Zeitpunkt, als der neue § 106 Abs 5e SGB V bereits in Kraft getreten gewesen sei.

15

Soweit es die Anwendbarkeit des § 106 Abs 5e SGB V in der Fassung ab dem 26.10.2012 betreffe, sei das Versicherungs- bzw Leistungsfallprinzip schon deswegen nicht anwendbar, weil später in Kraft gesetztes Recht - nämlich Satz 7 aaO - ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimme. Der Auffassung, dass die vermeintliche Klarstellung leerlaufe, da die Regelung einen konstitutiven Charakter habe, sei nicht zuzustimmen. Der Gesetzgeber sei der Auffassung gewesen, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die entscheidende Rechtslage der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung sein werde. Durch die gegenteilige Auffassung werde hier die eigene Erläuterung des Gesetzgebers in seiner Gesetzesbegründung als unbeachtlich verworfen. Zu entscheiden, was Recht sein solle, sei in einem demokratischen Rechtsstaat grundsätzlich Sache des Gesetzgebers. § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V sei auch nicht verfassungswidrig. Echte Rückwirkung entfalte eine Rechtsnorm nur, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung für den Bürger bzw Grundrechtsträger schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung gelten solle. Vorliegend werde die Rechtsstellung der Vertragsärzte jedoch verbessert, während die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen) keine Grundrechtsträger seien.

16

Schließlich gelte § 106 Abs 5e SGB V auch für Vertragsärzte, die ihr RGVol in der Vergangenheit bereits mehrmals um 25 vH überschritten, aber bisher noch nie eine Beratung erhalten hätten. Zwar sei § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V ("erstmalig") eindeutig; dies gelte grundsätzlich aber auch für Satz 2 aaO, wonach ein Erstattungsbetrag bei künftigen Überschreitungen erstmals für den Prüfungszeitraum nach der Beratung festgesetzt werden könne. Hieraus sei zu entnehmen, dass es unerheblich sei, ob eine erstmalige oder eine mehrmalige Überschreitung vorliege. Angesichts zweier möglicher Auslegungen komme dem subjektiven Willen des Gesetzgebers Gewicht bei der Auslegung zu. Die Gesetzesbegründung sei dahingehend eindeutig, dass sie den Vorrang der Beratung auf jedes noch laufende Prüfverfahren erstrecke, sofern der Vertragsarzt zuvor noch nie beraten worden sei. Die Gesetzbegründung unterscheide an dieser Stelle nicht zwischen erstmaliger und nochmaliger Überschreitung.

17

Sinn und Zweck der Vorschrift sei eben nicht, nur junge Vertragsärzte zu schützen, sondern insgesamt künftige Überschreitungen des RGVol durch gezielte und umfangreiche Beratungen zu vermeiden. Das könne nur gelingen, wenn allen Vertragsärzten, die noch nie eine Beratung erhalten hätten, eine solche zuteil werde, und alle Vertragsärzte die Chance hätten, ihr Verordnungsverhalten entsprechend an die Hinweise und Vorgaben der Beratung anzupassen. Eine solche Beratung habe er - der Kläger - aber unstreitig nie erhalten; die Richtgrößenprüfungen 2006 und 2007 hätten nicht mit einer Beratung, sondern einem Regress geendet. Regressbescheide seien nicht dazu geeignet, künftige Regresse zu vermeiden. Ein Regressbescheid lege grundsätzlich nur dar, dass der Vertragsarzt unwirtschaftlich verordnet habe, aber nicht warum und schon gar nicht, wie er es besser machen könne. Der Vertragsarzt könne und werde seine Verordnungsweise nur dann ändern, wenn ihm überzeugend vor Augen geführt werde, dass seine bisherige Verordnungsweise nicht zielführend gewesen sei, und ihm gleichzeitig sinnvolle Verordnungsalternativen aufgezeigt würden. Sofern man hingegen auf eine "erstmalige" Überschreitung abstelle, erscheine die Auffassung zielführend, dass als eine solche vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Intention nur eine nach Einführung des § 106 Abs 5e SGB V eingetretene Überschreitung in Betracht komme.

18

Der Beigeladene zu 6. hat sich - ohne einen Antrag zu stellen - dem Vorbringen des Beklagten angeschlossen; die übrigen Beigeladenen haben weder Anträge gestellt noch sich geäußert.

Entscheidungsgründe

19

Die Revision des Beklagten hat im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG Erfolg. Da das SG zu Unrecht angenommen hat, dass § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V der Festsetzung eines Regresses entgegensteht, muss es nun in der Sache prüfen, ob der Bescheid des Beklagten rechtmäßig ist.

20

1. Rechtsgrundlage der Festsetzung eines Regresses ist § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V(in der ab dem 1.1.2004 geltenden und seither - nahezu - unveränderten Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190). Danach hat der Vertragsarzt bei einer Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH nach Feststellung durch den Prüfungsausschuss (ab 1.1.2008: die Prüfungsstelle) den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Dies gilt auch für verordnete Heilmittel (vgl § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 iVm § 84 Abs 6 Satz 1, Abs 8 Satz 1 SGB V). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann der Senat nicht abschließend beurteilen, da das SG hierzu - aus seiner Sicht zu Recht - keine Feststellungen getroffen hat.

21

2. Entgegen der Auffassung des SG ist der angefochtene Bescheid des Beklagten nicht bereits deswegen rechtswidrig, weil gemäß § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V anstelle eines Regresses lediglich eine individuelle Beratung hätte festgesetzt werden dürfen.

22

Zwar bestimmt § 106 Abs 5e SGB V(idF des Art 1 Nr 38 Buchst d des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes vom 22.12.2011 , gemäß Art 15 Abs 1 GKV-VStG am 1.1.2012 in Kraft getreten), dass abweichend von § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V bei einer erstmaligen Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH eine individuelle Beratung nach § 106 Abs 5a Satz 1 SGB V erfolgt(Satz 1 aaO). Der hierdurch vorgegebene Vorrang der individuellen Beratung vor einer Regressfestsetzung ("Beratung vor Regress") findet im zu beurteilenden Prüfverfahren jedoch (noch) keine Anwendung. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass § 106 Abs 5e SGB V nach seinem Satz 7 auch für (Prüf-)Verfahren gilt, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren. Diese Geltungsanordnung wurde erst mit Wirkung zum 26.10.2012 eingefügt (durch Art 12b Nr 3 des Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 19.10.2012, BGBl I 2192, 2226) und betrifft nur Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse, die nach dem 25.10.2012 ergangen sind.

23

a. Der Senat folgt allerdings nicht der Auffassung des Beklagten, dass der in § 106 Abs 5e SGB V bestimmte Beratungsvorrang schon deswegen keine Anwendung finden kann, weil die durch § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V angeordnete Erstreckung der Norm auch auf vor ihrem Inkrafttreten zum 1.1.2012 liegende Prüfungszeiträume eine verfassungswidrige Rückwirkung zu Lasten der Krankenkassen beinhaltet.

24

aa. Der Senat kann offenlassen, ob dieser gesetzlichen Regelung im Sinne der Terminologie des BVerfG echte Rückwirkung zukommt, die grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar ist, oder lediglich eine unechte Rückwirkung vorliegt, die grundsätzlich zulässig ist (s hierzu BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 40 mwN). Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Sachverhalte eingreift, eine unechte Rückwirkung dann, wenn eine Rechtsnorm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (vgl BVerfGE 132, 302, 318 mwN; s auch BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 41 mwN; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 46; BSG Urteil vom 19.2.2014 - B 6 KA 10/13 R -RdNr 44, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-2500 § 85 Nr 79). Bei dieser Abgrenzung ist auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe (Verkündung) der Norm abzustellen (vgl BVerfGE 132, 302, 318; BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 46).

25

Allerdings spricht nach der Rechtsprechung des Senats zur Maßgeblichkeit des im jeweils zu prüfenden Zeitraum geltenden Rechts (s hierzu 2.b.aa.) viel dafür, dass § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V echte Rückwirkung entfaltet, indem die Norm die Anwendung des zum 1.1.2012 in Kraft getretenen Beratungsvorrangs auch auf bereits abgeschlossene Prüfungszeiträume anordnet. Die Annahme des Klägers, dass es sich bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht um einen bereits in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt im Sinne der zitierten Rechtsprechung handele, sondern ein solcher erst nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten und der Festsetzung des Regressbetrages durch die Prüfungsstelle vorliege, überzeugt nicht. Zwar ist der Satzteil "nach Feststellung durch die Prüfungsstelle" in § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V in dem Sinne zu verstehen, dass sich die Erstattungspflicht nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, sondern die Festsetzung eines entsprechenden Regressbetrages durch einen Verwaltungsakt der Prüfgremien voraussetzt. Für das Vorliegen eines "abgeschlossenen Sachverhalts" ist dies jedoch ohne Bedeutung, denn die Umstände, die zu einer Regressverpflichtung geführt haben, liegen sämtlich in der Vergangenheit und sind abgeschlossen. Dies gilt nicht allein für die den Regress "auslösende" Handlung - die Verordnung von Arznei- oder Heilmitteln in einem das RGVol weit überschreitenden Umfang -, sondern auch für alle anderen maßgeblichen Umstände, insbesondere solche, die - wie Praxisbesonderheiten - den Umfang der Verordnungen begründen bzw rechtfertigen könnten. So treffen die Prüfgremien zwar erst im Prüfverfahren die Entscheidung, ob und welche Praxisbesonderheiten sie anerkennen, doch betrifft dies lediglich die Würdigung der Umstände; der zu prüfende Sachverhalt selbst einschließlich der Umstände bzw Tatsachen, die zur Begründung des Vorliegens einer Praxisbesonderheit herangezogen werden können, liegt - abgeschlossen - in der Vergangenheit. Im Rahmen der Prüfung zu berücksichtigende Umstände können nur solche sein, die im jeweiligen Prüfungszeitraum vorgelegen haben. Im Übrigen ist auch der Senat davon ausgegangen, dass Prüfungszeiträume vor Inkrafttreten einer Gesetzesänderung "abgeschlossen" waren (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 15).

26

bb. Auch bei Annahme einer echten Rückwirkung wäre diese jedoch zulässig, weil sich der Umstand, dass die nach bisherigem Recht zwingende Festsetzung eines Regresses auch in Bezug auf bereits abgeschlossene Prüfungszeiträume durch eine bloße Beratung ersetzt wird, allein zu Lasten der Krankenkassen auswirkt. Zwar führt die Regelung dazu, dass diese Erstattungsbeträge nicht erhalten, mit denen sie bei Zugrundelegung der bisherigen Rechtslage rechnen konnten. Krankenkassen können sich als Körperschaften des öffentlichen Rechts und damit als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung jedoch nicht darauf berufen, dass einer sie belastenden Norm unzulässige Rückwirkung zukommt (offengelassen von BSGE 90, 231, 258 = SozR 4-2500 § 266 Nr 1, RdNr 80 im Zusammenhang mit der Korrektur von Zahlungen aus dem Risikostrukturausgleich).

27

Die Grenzen zulässiger Rückwirkung von Gesetzen hat das BVerfG aus dem grundrechtlich verorteten Vertrauensschutz und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet (vgl zB BVerfGE 109, 133, 181; BVerfGE 126, 369, 393 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 75; BVerfGE 131, 20, 38; zuletzt BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 63). Das Verbot rückwirkender belastender Gesetze schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte (BVerfGE 132, 302, 317 mwN; zuletzt BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 63). Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des Grundgesetzes, unter deren Schutz Sachverhalte "ins Werk gesetzt" worden sind (BVerf GE 127, 1, 16; BVerfGE 132, 302, 317 mwN; zuletzt BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 63).

28

Auf Grundrechte können sich Krankenkassen jedoch nicht berufen. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG sind die Grundrechte (grundsätzlich) ihrem Wesen nach nicht auf juristische Personen des öffentlichen Rechts anwendbar, soweit diese öffentliche Aufgaben wahrnehmen (BVerfGE 39, 302, 312 f - Krankenkassen; BVerfGE 62, 354, 369 = SozR 2200 § 368n Nr 25 S 70 f - KÄVen; BVerfGE 68, 193, 206 - Zahntechnikerinnungen; BVerfGE 70, 1, 15 = SozR 2200 §376d Nr 1 S 1; BVerfG Beschluss vom 7.6.1991 - 1 BvR 1707/88 - Juris, RdNr 2 - Krankenkassenverbände; BVerfG SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 14 - Krankenkassen; BVerfG BVerfGK 3, 300 - Krankenkassen; BVerfG SozR 4-2500 § 4 Nr 1 RdNr 3 - Krankenkassen; zuletzt BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 4 = NVwZ-RR 2009, 361 - Krankenkassen). Die Grundrechtsberechtigung hängt namentlich von der Funktion ab, in der die juristische Person von dem beanstandeten Akt der öffentlichen Gewalt betroffen wird; besteht diese Funktion in der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener und geregelter Aufgaben, so kann eine juristische Person sich insoweit nicht auf Grundrechte berufen (BVerfGE 68, 193, 208; BVerfGE 70, 1, 15 = SozR 2200 § 376d Nr 1 S 1; BVerfG , SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 14; zuletzt BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 4).

29

Dies ist vorliegend der Fall. Die gesetzlichen Krankenkassen sind durch den mit Rückwirkung angeordneten Vorrang der Beratung vor einer Regressfestsetzung in ihrer Funktion als Träger öffentlicher, vom Staat durch Gesetz übertragener und geregelter Aufgaben betroffen. Sie sind "dem Staat eingegliederte Körperschaften des öffentlichen Rechts, die Aufgaben in mittelbarer Staatsverwaltung wahrnehmen" (BVerfGE 39, 302, 313). Die Hauptaufgabe der gesetzlichen Krankenkassen besteht im Vollzug einer zwecks Erfüllung der staatlichen Grundaufgabe "Schutz in Fällen von Krankheit" geschaffenen detaillierten Sozialgesetzgebung (BVerfGE 39, 302, 313; BVerfG SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 17; BVerfG , Nichtannahmebeschluss vom 11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 6). Sie besteht darin, als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung öffentlich-rechtlich geregelten Krankenversicherungsschutz für die Versicherten zu gewähren (BVerfG SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 20; BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 6). Untrennbarer Teil dieser Aufgabe sind auch die sich aus dem Leistungserbringungsrecht ergebenden Rechte und Pflichten der Krankenkassen. Für Krankenkassen gibt es - anders als für Universitäten und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten - keine besondere Zuordnung zu dem durch Grundrechte geschützten Lebensbereich (BVerfGE 39, 302, 314; BVerfG SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 28; BVerfGK 3, 300 mwN). Auch sind sie nicht schon deshalb einem grundrechtlich geschützten Lebensbereich zugeordnet, weil ihnen Selbstverwaltungsrechte (vgl § 4 Abs 1 SGB V sowie § 29 Abs 1 SGB IV)zustehen (vgl BVerfGE 68, 193, 207; BVerfG SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 24; BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 6).

30

Entgegen der Auffassung des Beklagten sind die Rückwirkungsgrundsätze auch nicht deswegen auf gesetzliche Krankenkassen anwendbar, weil das Rückwirkungsverbot nicht allein aus Grundrechten, sondern auch aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet wird. Die Annahme, dass aus der Geltung des Rechtsstaatsprinzips grundsätzlich für "jedermann" (vgl zB BVerfGE 87, 48, 63, mwN: "Die rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, die für jedermann gelten ..."), zugleich folge, dass sich auch juristische Personen des öffentlichen Rechts hierauf berufen können, geht fehl. In Bezug auf die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden hat das BVerfG ausdrücklich klargestellt, dass unter dem gemäß Art 93 Abs 1 Nr 4a GG, § 90 Abs 1 BVerfGG zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde berechtigten "jedermann" nur derjenige zu verstehen ist, der Träger von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten - also grundrechtsfähig - ist(BVerfGK 16, 449, 454 f = Juris RdNr 17).

31

Auch dem Gesamtzusammenhang der Rechtsprechung des BVerfG zum Rückwirkungsverbot ist zu entnehmen, dass sich nur (natürliche oder juristische) Personen hierauf berufen können, wenn - bzw soweit - diese auch Träger von Grundrechten sind. Das BVerfG hat in Bezug auf das Rückwirkungsverbot immer wieder auf die "Freiheitssphäre" des Bürgers abgehoben, in die durch rückwirkende Gesetze eingegriffen werde: "Die Grundrechte wie auch das Rechtsstaatsprinzip garantieren im Zusammenwirken die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und damit als eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Es würde Einzelne in ihrer Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an ihr Verhalten oder an sie betreffende Umstände ohne Weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt ihres rechtserheblichen Verhaltens galten" (BVerfGE 127, 1, 16 mwN; BVerfGE 131, 20, 38 f; BVerfGE 132, 302, 317; zuletzt BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 63). Zudem hat das Gericht ausdrücklich betont, dass vorrangiger Prüfungsmaßstab bei einer echten Rückwirkung die Grundrechte sind, und dass "in die insoweit erforderliche grundrechtliche Bewertung die allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzipien des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit, aber auch der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich in der Weise ein(fließen), wie dies allgemein bei der Auslegung und Anwendung von Grundrechten im Hinblick auf die Fragen des materiellen Rechts geschieht" (BVerfGE 76, 256, 347). Im dargelegten Rahmen sei das Rechtsstaatsprinzip zu beachten, hinter dem letztlich der Gedanke der Freiheitsgewähr stehe (BVerfGE aaO; in diesem Sinne auch BVerfGE 109, 133, 180, in dem ausdrücklich der "(Staats-)Bürger" angesprochen wird).

32

Da die Krankenkassen wie auch die KÄVen an dieser grundrechtlich geschützten Freiheitsphäre nicht partizipieren, sind sie nicht nur prozessual gehindert, die Beachtung des Rückwirkungsverbotes über die Verfassungsbeschwerde durchzusetzen, sondern sie haben auch materiell keine Rechtsposition inne, die verfassungsrechtlich gegen rückwirkende Verschlechterungen geschützt wäre.

33

Entgegen der Auffassung des Beklagten berührt die Regelung auch nicht die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen, wobei dahingestellt bleiben kann, ob bzw unter welchen Voraussetzungen die Krankenkassen verfassungsrechtlich gegen rückwirkende Änderungen der Grundlagen ihrer Finanzierung geschützt sind. Anders als die Bestimmungen über die Degression (vgl BSGE 80, 223, 226 f = SozR 3-2500 § 85 Nr 22 S 136 f; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 48 RdNr 12), dienen die Regresse wegen der Überschreitung des RGVol nicht vorrangig der Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung durch Erzielung von Einsparungen. Ihr Zweck ist nicht die Refinanzierung der von den Krankenkassen zu tragenden Arzneimittelkosten, sondern sie haben in erster Linie Lenkungscharakter, weil sie die Vertragsärzte veranlassen sollen, die in den RGVol konkretisierten Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes zu beachten. Wenn der Gesetzgeber den schon seit Jahren im Gesetz niedergelegten Grundsatz "Beratung vor Regress" (§ 106 Abs 5 Satz 2 SGB V), den die Rechtsprechung des Senats bisher als Sollvorschrift angesehen hat (stRspr, zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 27 mwN; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 23), strikter ausgestaltet und einen ausnahmslos greifenden Vorrang der Beratung vor einem Regress bei erstmaliger Überschreitung der RGVol normiert, schwächt das deutlich die Position der Kassen und der Prüfgremien bei der Durchsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebotes bei der Verordnung von Arznei- und Heilmitteln; auf verfassungsrechtliche Grenzen stößt der Gesetzgeber insoweit jedoch nicht.

34

b. Ungeachtet der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Norm steht § 106 Abs 5e SGB V vorliegend jedoch schon deswegen einer Regressfestsetzung nicht entgegen, weil die Regelung auf Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse, die - wie hier - vor dem 26.10.2012 ergangen sind, noch keine Anwendung findet. Hierfür sind folgende Gesichtspunkte maßgebend:

35

§ 106 Abs 5e SGB V in der vom 1.1.2012 bis zum 25.10.2012 geltenden Fassung war nur für Prüfverfahren maßgeblich, die Prüfungszeiträume nach dem Inkrafttreten der Norm betrafen, weil nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich das im Prüfungszeitraum geltende Recht maßgeblich ist (aa.). Etwas anderes gilt nur, wenn es ausdrücklich angeordnet ist; derartiges war § 106 Abs 5e SGB V in der bis zum 26.10.2012 geltenden Fassung nicht zu entnehmen (bb.). Eine solche ausdrückliche Geltungsanordnung in Bezug auf zurückliegende Prüfungszeiträume enthält (erst) der nachträglich (durch Art 12b Nr 3 des Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 19.10.2012, BGBl I 2192, 2226) angefügte und gemäß Art 15 Abs 1 des Gesetzes am 26.10.2012 in Kraft getretene § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V; dieser bestimmt, dass Abs 5e aaO auch für Verfahren gilt, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren (cc.). Dem Ergebnis, dass erst Satz 7 aaO eine Rückbezüglichkeit der Regelungen des § 106 Abs 5e SGB V bewirkt hat, stehen auch die Grundsätze des intertemporalen Rechts nicht entgegen(dd.). § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V war allerdings zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten noch nicht in Kraft getreten und daher noch nicht zu beachten(ee.).

36

aa. Für die rechtliche Beurteilung, welche Rechtsfolgen sich aus einer Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH ergeben, ist grundsätzlich das im jeweiligen Prüfungszeitraum geltende Recht maßgeblich; bis zum Inkrafttreten des § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V galt dies auch für die Anwendung des § 106 Abs 5e SGB V.

37

(1) Die Rechtmäßigkeit von Regressfestsetzungen und anderen Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung beurteilt sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats nach dem im jeweiligen Prüfungszeitraum geltenden Recht. Danach sind für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungs- oder Behandlungsweise in Prüfungszeiträumen, die vor Inkrafttreten einer Gesetzesänderung abgeschlossen waren, die zum früheren Zeitpunkt geltenden Rechtsvorschriften maßgeblich, wenn diese ohne Übergangsbestimmungen in Kraft getreten sind (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 15). Jedenfalls soweit es die materiell-rechtlichen Vorgaben der Wirtschaftlichkeitsprüfung betrifft, es also um die Frage geht, nach welchen Grundsätzen diese Prüfung stattfindet und was ihr Gegenstand ist, richtet sich dies nach den Vorschriften, die im jeweils geprüften Zeitraum gegolten haben (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 16). Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn es gesetzlich ausdrücklich angeordnet ist.

38

Auf diese Entscheidung hat der Senat nachfolgend Bezug genommen und - konkret auf § 106 Abs 5e SGB V bezogen - ausgeführt, dass diese Vorschrift nur für Prüfverfahren gilt, die Zeiträume nach ihrem Inkrafttreten betreffen(BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 36 RdNr 12). Zu ergänzen ist, dass der Senat in zahlreichen Entscheidungen zu § 106 SGB V auf das für den jeweiligen Prüfungszeitraum maßgebliche Recht abgestellt hat, auch ohne dies näher zu begründen(vgl aus jüngerer Zeit zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 30 RdNr 10; BSGE 113, 123 = SozR 4-2500 § 106 Nr 40, RdNr 15; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 41 RdNr 12).

39

(2) Etwas anderes gilt nach der Senatsrechtsprechung lediglich dann, wenn es um die Gestaltung des Prüfverfahrens als solches geht, etwa wenn der Normgeber ohne Erlass von Übergangsbestimmungen die Vorschriften über die Zusammensetzung der für die Wirtschaftlichkeitsprüfung zuständigen Verwaltungsstelle (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 15 unter Bezugnahme auf BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5, RdNr 9) oder andere Vorschriften über das formelle Verfahren ändert. Dies betrifft etwa Regelungen über die Zuständigkeit, die Besetzung von Verwaltungsstellen, das Verfahren bzw die Form von Entscheidungen. Verfahrensvorschriften werden nach allgemeinen Grundsätzen mit ihrem Inkrafttreten unmittelbar wirksam (BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5, RdNr 9).

40

Bei der in § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V normierten Suspendierung von Regressen, denen keine Beratung vorangegangen ist, handelt es sich jedoch nicht um derartige Verfahrensvorschriften. Vielmehr betrifft die Regelung die Durchführung des Prüfverfahrens als solches und damit materielles Recht (so auch Scholz in Becker/Kingreen, SGB V, 3. Aufl 2012, § 106 RdNr 33; zur Annahme einer materiell-rechtlichen Regelung neigt auch Weinrich, GesR 2014, 390, 394; vgl auch Clemens in jurisPK-SGB V, 2. Aufl 2012, § 106 RdNr 238): Der Grundsatz "Beratung vor Regress" lässt sich den in der (zitierten) Senatsrechtsprechung angesprochenen "Grundsätzen" zuordnen, "nach welchen … diese Prüfung stattfindet". Das ergibt sich schon daraus, dass die "Beratung" nach Überschreitung des RGVol eine Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung darstellt, die der Arzt gerichtlich überprüfen lassen kann (s hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 41 RdNr 10 f), die also ersichtlich nicht nur verfahrenstechnische Bedeutung hat. Unabhängig davon, ob man § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V als Regelung der Voraussetzungen für die Festsetzung von Regressen versteht (nur bei mehrmaliger Überschreitung zulässig) oder als Regelung der Voraussetzungen für die Durchführung einer Beratung (nur bei erstmaliger Überschreitung), bestimmt die Norm die Voraussetzungen, unter denen eine Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung erfolgen kann bzw muss. Versteht man § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V hingegen allein als Regelung einer Rechtsfolge, indem vorgegeben wird, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtsfolge "Regressfestsetzung" durch die Rechtsfolge "Beratung" ersetzt wird, ändert sich nichts: Die Rechtsfolge ist - quasi als "Kehrseite" der Tatbestandsvoraussetzungen - Teil des materiellen Rechts.

41

(3) Der Maßgeblichkeit des im Prüfungszeitraum geltenden Rechts steht auch nicht entgegen, dass üblicherweise bei einer Anfechtungsklage als maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung ihrer Begründetheit die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Verwaltungsaktes bzw des Widerspruchsbescheides angenommen wird (vgl die Nachweise bei Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 33). Zunächst ist dem geltenden Recht kein "allgemeiner Grundsatz" zu entnehmen, wonach für die Beurteilung von Anfechtungsklagen (zwingend) die zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung geltende Rechtslage maßgeblich ist (so schon BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 7 S 17). Der Rückgriff auf die Klageart zur Bestimmung des anzuwendenden Rechts entspricht lediglich einer "Faustregel" mit praktisch einleuchtenden Ergebnissen (BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 7 S 17; BSG SozR 4-4300 § 335 Nr 1 RdNr 12 mwN; in diesem Sinne auch BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 1 RdNr 5 = Juris 10).

42

Zudem kommt für die materiell-rechtlichen Regelungen der Wirtschaftlichkeitsprüfung der Zeitpunkt der (letzten) Verwaltungsentscheidung als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtslage schon aus Sachgründen nicht in Betracht. Bei den im Falle eines Verstoßes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verhängten Prüfmaßnahmen handelt es sich um Reaktionen auf ein nicht den gesetzlichen (konkret den §§ 12 Abs 1, 70 Abs 1 Satz 2, 72 Abs 2 SGB V)und den vertraglichen Anforderungen entsprechendes Verhalten des Arztes. Daher muss der Vertragsarzt bereits zu Beginn des jeweiligen Prüfungszeitraums erkennen können, welche Regelungen für ihn insoweit maßgeblich sind, da er nur so sein Verhalten darauf einstellen kann. Es liegt auf der Hand, dass das Behandlungs- oder Verordnungsverhalten eines Arztes nicht nach Maßstäben beurteilt werden kann, die erst im Laufe des Verwaltungsverfahrens in Kraft getreten sind, bei Vornahme der - den Gegenstand der Prüfung bildenden - Verordnungen aber noch nicht galten. Soweit der Senat in einer Entscheidung vom 24.11.1993 für die rechtliche Beurteilung einer auf die Behandlungsweise bezogenen Wirtschaftlichkeitsprüfung auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abgestellt hat (s BSG SozR 3-2200 § 368n Nr 6 S 13 f), hält er hieran nicht mehr fest.

43

bb. Nach der Rechtsprechung des Senats wie auch nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts (s 2.b.dd) kommt die Anwendung anderer Vorschriften als derjenigen, die im Prüfungszeitraum gegolten haben, nur dann in Betracht, wenn dies gesetzlich ausdrücklich angeordnet ist (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 16). Dass § 106 Abs 5e SGB V in der bis zum 25.10.2012 geltenden Fassung auch für Prüfverfahren Geltung besitzen sollte, die vor dem Inkrafttreten der Norm am 1.1.2012 liegende Prüfungszeiträume betreffen, ist jedoch weder der Norm selbst noch den Gesetzesmaterialien zu entnehmen. Das Gesetz enthält insoweit keinerlei Regelungen, die die Anwendung der Norm auf in der Vergangenheit liegende Sachverhalte anordnen; auch der Gesetzesbegründung zum GKV-VStG lässt sich kein dahingehender Wille des Gesetzgebers entnehmen, dass das neue Recht mit sofortiger Wirkung auf alle noch "offenen" Prüfverfahren Anwendung finden sollte, da sie sich hierzu überhaupt nicht verhält. Die im Zusammenhang mit der nachträglichen Einfügung des § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V geäußerte gegenteilige Auffassung des Gesetzgebers ("Klarstellung") vermag hieran nichts zu ändern(s hierzu 2.b.cc.(1)).

44

cc. Eine gesetzliche Anordnung des Inhalts, dass der Beratungsvorrang auch auf Prüfverfahren Anwendung finden soll, die bereits abgeschlossene Prüfungszeiträume betreffen, enthält erst der am 26.10.2012 in Kraft getretene § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V. Dieser bestimmt, dass der in § 106 Abs 5e SGB V geregelte Vorrang einer individuellen Beratung vor einer Regressfestsetzung für alle Verfahren der Richtgrößenprüfung gilt, die nicht bis zum 31.12.2011 durch einen Bescheid des Beschwerdeausschusses abgeschlossen waren.

45

(1) § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V enthält allerdings keine bloße Klarstellung, sondern eine Änderung der Rechtslage in Form einer ausdrücklichen - konstitutiven - gesetzlichen Geltungsanordnung(in diesem Sinne bereits Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2014, § 106 RdNr 218b; s auch SG Marburg Beschluss vom 16.12.2013 - S 12 KA 565/13 ER - Juris, RdNr 18: "rückwirkend … in Kraft gesetzt …"; zweifelnd auch BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 36 RdNr 12: "(unterstellt) klarstellende Neuregelung"; aA Weinrich, GesR 2014, 390, 394; Christophers, ZMGR 2014, 11, 13). Zwar heißt es in der Satz 7 aaO betreffenden Gesetzesbegründung (Ausschussbericht zum Gesetz vom 19.10.2012, BT-​Drucks 17/10156, S 95): "Klarstellung zur Rechtslage. Der Grundsatz 'Beratung vor Regress' gilt ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des GKV-​VStG am 1. Januar 2012 für alle laufenden und nachfolgenden Verfahren der Prüfgremien - auch soweit sie zurückliegende Prüfungszeiträume betreffen." Diese Annahme geht jedoch fehl.

46

Eine Klarstellung setzt voraus, dass etwas dem Grunde nach bereits angelegt ist und nur vorsorglich noch einmal verdeutlicht werden soll, dass dies so ist. Dies ist in Bezug auf die in Satz 7 aaO getroffene Regelung, dass § 106 Abs 5e SGB V auch für Verfahren gilt, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren, jedoch nicht der Fall. § 106 Abs 5e SGB V fand - vor Einfügung des Satzes 7 aaO als einer ausdrücklichen Geltungsanordnung - gerade keine Anwendung auf Verfahren, welche vor dem 1.1.2012 liegende Prüfungszeiträume betreffen, weil nach der Rechtsprechung des Senats für Wirtschaftlichkeitsprüfungen das im jeweiligen Prüfungszeitraum geltende Recht maßgeblich ist und § 106 Abs 5e SGB V in der bis zum 26.10.2012 geltenden Fassung keinerlei Anhaltspunkte für eine rückbezügliche Wirkung der Norm enthielt.

47

Die Auffassung des Gesetzgebers, eine Vorschrift habe lediglich klarstellenden Charakter, ist für die Gerichte nicht verbindlich (BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 47, unter Hinweis auf BVerfGE 126, 369, 392). Sie schränkt weder die Kontrollrechte und -pflichten der Fachgerichte und des BVerfG ein noch relativiert sie die für sie maßgeblichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe, denn zur verbindlichen Auslegung einer Norm ist letztlich allein die rechtsprechende Gewalt berufen (BVerfGE 126, 369, 392 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 73; BVerfGE 131, 20, 37). Eine vom Gesetzgeber beanspruchte Befugnis zur "authentischen" Interpretation wird daher von der Verfassungsgerichtsbarkeit nicht anerkannt (vgl BVerfGE 65, 196, 215; BVerfGE 111, 54, 107; BVerfGE 126, 369, 392 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 73; BVerfGE 131, 20, 37; BVerfG Beschluss vom 17.12.2013, aaO RdNr 48). Dies gilt auch für die Frage, ob eine Regelung konstitutiv ist oder nur klarstellt, was nach Ansicht des Gesetzgebers ohnedies gegolten hat (BVerfGE 126, 369, 392 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 73). Dabei genügt für die Beantwortung der Frage, ob eine rückwirkende Regelung konstitutiven Charakter hat, die Feststellung, dass die geänderte Norm von den Gerichten nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung in einem Sinn ausgelegt werden konnte und ausgelegt worden ist, die mit der Neuregelung ausgeschlossen werden soll (BVerfGE 131, 20, 37 f; BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 52, 55 f). Dies ist vorliegend der Fall.

48

(2) Regelungsinhalt des § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V ist es, anzuordnen, dass die in den vorangehenden Sätzen des Abs 5e aaO enthaltenen Regelungen auch für (Prüf-)Verfahren gelten, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren. Unter "Verfahren" im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V ist das Verwaltungsverfahren zu verstehen. Zwar ließe der Gesetzeswortlaut eine Auslegung dahingehend zu, dass Verfahren jeder Art - dh sowohl das Verwaltungsverfahren als auch das Gerichtsverfahren - erfasst werden sollen. Jedoch ergibt sich aus dem Regelungszusammenhang in Verbindung mit der Gesetzesbegründung, dass die Geltungsanordnung nicht bereits bei Gericht anhängige Verfahren erfassen soll (ebenso LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 19.2.2013 - L 5 KA 222/13 ER-B - MedR 2013, 758, 761 = Juris, RdNr 36; Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2014, § 106 RdNr 218c; s auch Weinrich, GesR 2014, 390). Dass mit dem Begriff "Verfahren" im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V allein das Verwaltungsverfahren gemeint ist, folgt bereits daraus, dass sich die Regelung an die Prüfgremien - dh an die "Verwaltung" - richtet(Engelhard aaO). Zudem hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung (Ausschussbericht zum Gesetz vom 19.10.2012, BT-​Drucks 17/10156, S 95) verdeutlicht, dass die Neuregelung für ein bereits vor dem Inkrafttreten abgeschlossenes Widerspruchsverfahren nicht gilt, "auch wenn eine Klage gegen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses noch anhängig ist".

49

Soweit der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang darauf verwiesen hat, dass "insoweit" die allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätze gelten, dürfte der Gesetzgeber den "Grundsatz" (bzw die "Faustregel") im Blick gehabt haben, dass der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung für die Beurteilung der Rechtslage maßgeblich ist; dies bestätigen die weiteren Ausführungen in der Gesetzesbegründung (aaO), dass die Prüfgremien "das zum Zeitpunkt ihrer abschließenden Entscheidung geltende Recht" anzuwenden hätten. Dies bestätigt ebenfalls die Annahme, dass mit "Verfahren" nur das Verwaltungsverfahren gemeint ist. Das Verwaltungsverfahren wiederum umfasst sowohl das Verfahren vor der Prüfungsstelle als auch das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss, da es sich bei dem Beschwerdeverfahren um ein eigenständiges und umfassendes Verwaltungsverfahren in einer zweiten Verwaltungsinstanz handelt (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 42 RdNr 22 mwN).

50

"Abgeschlossen" ist das Verfahren mit seiner "Beendigung", im verfahrensrechtlichen Sinne also - sofern es sich nicht anderweitig erledigt oder beendet wird - mit Erlass des Verwaltungsaktes (Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Juni 2014, § 8 RdNr 13 und § 18 RdNr 1), das Widerspruchsverfahren entsprechend mit Erlass des Widerspruchsbescheides. Darauf, ob das Verfahren "bestandskräftig" abgeschlossenen ist, kommt es nicht an (so zutreffend Mutschler in Kasseler Komm, Stand 1.6.2014, § 8 SGB X RdNr 11, unter Hinweis darauf, dass die Behörde nach dem Erlass des Verwaltungsaktes nichts mehr tun kann; ebenso Vogelsang in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Juni 2014, § 8 RdNr 13). Somit findet die Neuregelung dann keine Anwendung, wenn ein - verwaltungsverfahrensrechtlich vor dem in § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V genannten Zeitpunkt abgeschlossenes - Verfahren durch gerichtliche Entscheidung zur erneuten Entscheidung an den Beschwerdeausschuss zurückverwiesen wird(Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2014, § 106 RdNr 218d), da es allein darauf ankommt, ob das Widerspruchsverfahren bei Inkrafttreten der Neuregelung abgeschlossen war oder nicht.

51

dd. Eine Heranziehung der Grundsätze des intertemporalen Rechts führt entgegen der Auffassung des Klägers zu keiner anderen Beurteilung.

52

(1) Nach der Rechtsprechung des BSG gilt bei Rechtsänderungen grundsätzlich das Versicherungsfall- bzw Leistungsfallprinzip. Hiernach ist ein Rechtssatz nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden; spätere Änderungen eines Rechtssatzes sind danach für die Beurteilung von vor seinem Inkrafttreten entstandene Lebensverhältnisse unerheblich, es sei denn, dass das Gesetz seine zeitliche Geltung auf solche Verhältnisse erstreckt (vgl zB BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 11/12 R - Juris, RdNr 42; zuletzt BSG Urteil vom 5.3.2014 - B 12 R 1/12 R - SozR 4-2400 § 26 Nr 3 RdNr 21). Dementsprechend geht das BSG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw Rechtsverhältnisse grundsätzlich nach dem Recht beurteilen, das zur Zeit des Vorliegens der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat (vgl BSG SozR 4-4300 § 335 Nr 1 RdNr 13; BSG SozR 4-5910 § 111 Nr 1 RdNr 9; BSGE 111, 268 = SozR 4-2400 § 24 Nr 7, RdNr 12; BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 11/12 R - Juris, RdNr 42; zuletzt BSG Urteil vom 5.3.2014 - B 12 R 1/12 R - SozR 4-2400 § 26 Nr 3 RdNr 21). Das Versicherungsfall- bzw Leistungsfallprinzip ist allerdings nicht anzuwenden, soweit später in Kraft gesetztes Recht ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimmt; dann kommt der Grundsatz der sofortigen Anwendung des neuen Rechts auch auf nach altem Recht entstandene Rechte und Rechtsverhältnisse zum Tragen (BSG SozR 4-4300 § 335 Nr 1 RdNr 13; BSG SozR 4-5910 § 111 Nr 1 RdNr 9; BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 11/12 R - Juris, RdNr 43; zuletzt BSG SozR 4-2400 § 26 Nr 3 RdNr 21). Welcher der genannten Grundsätze des intertemporalen Rechts zur Anwendung gelangt, richtet sich letztlich danach, wie das einschlägige Recht ausgestaltet bzw auszulegen ist (BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 11/12 R - Juris, RdNr 44; zuletzt BSG SozR 4-2400 § 26 Nr 3 RdNr 21).

53

(2) Nach diesen - wegen der Besonderheiten des Vertragsarztrechts ohnehin nur sinngemäß übertragbaren - Maßstäben entspricht die Rechtsprechung des Senats zur Anwendbarkeit des im Prüfungszeitraum geltenden Rechts dem Versicherungsfall- bzw Leistungsfallprinzip. Den Grundsatz der sofortigen Anwendung des neuen Rechts zugrunde zu legen, kommt aus den bereits oben dargestellten Gründen nicht in Betracht, weil dem Gesetz - vor Einfügung des Satzes 7 aaO - weder ausdrücklich noch sinngemäß zu entnehmen war, dass die Regelungen über den Vorrang der Beratung auch auf abgeschlossene Prüfungszeiträume Anwendung finden sollten. Soweit in einzelnen - vom Kläger herangezogenen - Entscheidungen des BSG abweichende Maßstäbe zugrunde gelegt worden sind, ist dies auf Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets zurückzuführen.

54

ee. § 106 Abs 5e SGB V findet jedoch auch unter Berücksichtigung seines Satzes 7 ausschließlich auf (Prüf-)Verfahren Anwendung, in denen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses nach dem 25.10.2012 ergangen ist. Da Satz 7 aaO mit Wirkung zum 26.10.2012 in Kraft getreten ist, entzieht er den vor seinem Inkrafttreten nach altem Recht ergangenen Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse nicht die Grundlage; eine derartige Regelungsabsicht hat im Normtext in Verbindung mit der Regelung zum Inkrafttreten keinen hinreichenden Niederschlag gefunden:

55

Zwar enthält § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V eine ausdrückliche Geltungsanordnung des Inhalts, dass § 106 Abs 5e SGB V - entgegen der Rechtsprechung des Senats zum jeweils maßgeblichen Recht - auch auf Prüfungszeiträume Anwendung findet, die vor dem Inkrafttreten des Abs 5e am 1.1.2012 liegen, sofern die betreffenden Prüfverfahren am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren. Jedoch ist der Normbefehl insoweit nicht eindeutig, als Prüfverfahren betroffen sind, in denen die das Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung des Beschwerdeausschusses zwar nach dem 31.12.2011, jedoch vor Inkrafttreten des Satzes 7 aaO am 26.10.2012 - dem auf die Verkündung im Bundesgesetzblatt folgenden Tag (vgl Art 15 Abs 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften, BGBl I 2012, 2192, 2226) - ergangen ist. Der Norm selbst kann zwar der Wille des Normgebers entnommen werden, auch diese Konstellationen in die begünstigende Wirkung des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V einzubeziehen; dieser Annahme steht jedoch die Regelung zum Inkrafttreten der Geltungsanordnung am 26.10.2012 wie auch die Gesetzesbegründung selbst entgegen.

56

Der Gesetzgeber hätte § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V rückwirkend zum 1.1.2012 in Kraft setzen und damit auch solchen, das Verfahren abschließenden Entscheidungen aus der "Zwischenzeit" die rechtliche Basis - soweit es auf die Beratung ankommt - entziehen können. Das hat er jedoch nicht getan. Zudem hat der Gesetzgeber in der Begründung (Ausschussbericht zum Gesetz vom 19.10.2012, BT-​Drucks 17/10156, S 95) darauf hingewiesen, dass er seine Regelung auf "noch nicht abgeschlossene Verfahren" beschränken will; auch hat er betont, dass die Prüfgremien das "zum Zeitpunkt ihrer abschließenden Entscheidung geltende Recht" an​zuwenden haben. Dabei ist möglicherweise nicht hinreichend gesehen worden, dass die Beschwerdeausschüsse bis zum Inkrafttreten des Satzes 7 aaO Verfahren "abschließen" und dabei das zum Zeitpunkt des jeweiligen Quartals geltende Recht anwenden mussten. Eine Regelungsabsicht, auch den auf dieser Basis ergangenen Bescheiden, die durchaus schon bestandskräftig geworden sein konnten, nachträglich rückwirkend die Grundlage zu entziehen, hat im Normtext in Verbindung mit der Regelung zum Inkrafttreten keinen hinreichenden Niederschlag gefunden. In den Gesetzesmaterialien fehlen Hinweise, wie insoweit mit bestandskräftig gewordenen Bescheiden umgegangen werden soll, also ob § 44 Abs 2 SGB X eingreifen oder die betroffenen Ärzte die Vollstreckung der Regresse der KÄV zu Gunsten der Krankenkassen mit vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfen abwehren können sollen, und ob schon bezahlte Regresse rückabgewickelt werden müssen. Deshalb ist Satz 7 aaO so zu verstehen, dass der Vorrang der Beratung nach § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V nicht für solche Verfahren gilt, die vor dem 1.1.2012 liegende Prüfungszeiträume betreffen und in denen die abschließende Entscheidung des Beschwerdeausschusses vor dem Inkrafttreten des Satzes 7 aaO am 26.10.2012 ergangen ist. Davon ist der hier zu entscheidende Fall erfasst, weil der Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses vom 19.9.2012 dem Kläger am 20.9.2012 bekanntgegeben wurde.

57

3. Im Übrigen fände § 106 Abs 5e SGB V selbst dann keine Anwendung, wenn die Norm auch für das vorliegend zu beurteilende Prüfverfahren Geltung besäße, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm nicht erfüllt sind. Angesichts vorangegangener Regresse in den Jahren 2006 und 2007 hat der Kläger sein RGVol nicht "erstmalig" im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V überschritten:

58

a. § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V setzt voraus, dass es sich bei der zur Beurteilung anstehenden Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH im Prüfungszeitraum 2008 um eine "erstmalige" Überschreitung gehandelt hat. Hierzu bedürfte es - entgegen der vom SG und vom Kläger vertretenen Auffassung - der Feststellung, dass es nicht bereits in vorangegangenen Prüfungszeiträumen mindestens einmal oder gar wiederholt zu derartigen Überschreitungen gekommen ist (in diesem Sinne schon LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 20.11.2013 - L 11 KA 81/13 B ER - Juris, RdNr 83; Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2014, § 106 RdNr 213b; aA LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 19.2.2013 - L 5 KA 222/13 ER-B - MedR 2013, 758, 761 = Juris, RdNr 39; SG Düsseldorf Urteil vom 3.4.2013 - S 2 KA 281/12 - Juris, RdNr 28; Rompf/Weinrich in Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, 6. Aufl, Stand April 2014, § 106 SGB V, RdNr C 106-24; Christophers, ZMGR 2014, 11, 12; Weinrich, GesR 2014, 390, 393). Der Kläger hat jedoch sein RGVol bei Heilmitteln im streitbefangenen Jahr 2008 nicht "erstmalig" im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V überschritten: Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des SG, die im Revisionsverfahren nicht mit Verfahrensrügen angegriffen werden können(§ 163 iVm § 161 Abs 4 SGG)und auch nicht angegriffen worden sind, sind gegen ihn auch für die Jahre 2006 und 2007 Regresse wegen Überschreitung des RGVol bei Heilmitteln festgesetzt worden.

59

b. Die dem SG-Urteil zugrunde liegende Vorstellung, unabhängig vom Verordnungsverhalten des Vertragsarztes in vorangegangenen Prüfungszeiträumen müsse ab dem 1.1.2012 weiteren Regressfestsetzungen immer eine förmliche Beratung vorangehen, trifft nicht zu.

60

Schlüssig wäre die Konzeption des SG nur, wenn anzunehmen wäre, der Gesetzgeber habe zum 1.1.2012 eine vollständige "Nullstellung" der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Richtgrößen bewirken und allen Ärzten ungeachtet ihres bisherigen Verordnungsverhaltens einen regressfreien Zeitraum verschaffen wollen (in diesem Sinne etwa Christophers, ZMGR 2014, 11, 12: "echte Kehrtwende"; Rompf/Weinrich in Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, 6. Aufl, Stand April 2014, § 106 SGB V, RdNr C 106-24: "Nullstellung"). Das ist dem Gesetz indessen nicht zu entnehmen. Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (BVerfGE 105, 135, 157; BVerfGE 133, 168, 205 f; BFHE 243, 287). Diese Auslegung bestätigt die Rechtsauffassung des Senats.

61

aa. Der Wortlaut des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V, der Ausgangspunkt der Auslegung ist(BVerfGE 133, 168, 205), ist in dem Sinne eindeutig, dass das Tatbestandsmerkmal einer "erstmaligen" Überschreitung nur dann gegeben ist, wenn der Vertragsarzt sein RGVol nicht bereits in vorangegangenen Prüfungszeiträumen überschritten hat. Der Begriff "erstmalig" - gleichbedeutend mit "erstmals" oder "zum ersten Mal" - meint schon nach allgemeinem Sprachgebrauch einen Vorgang, der zuvor noch nicht eingetreten ist, ist also im Sinne von "zum ersten Mal geschehend" zu verstehen (so auch LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 20.11.2013 - L 11 KA 81/13 B ER - Juris, RdNr 72); er bezieht sich auf das numerische Moment im Sinne einer zum ersten Mal geschehenden Überschreitung (LSG Nordrhein-Westfalen aaO RdNr 83). Ebenso eindeutig ist, dass sich der Begriff "erstmalig" auf den Umstand einer Überschreitung des RGVol bezieht ("erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent"). Die Annahmen, dass sich die "Erstmaligkeit" stattdessen - temporal - auf den Umstand einer "erstmaligen Beratung" oder auf das Inkrafttreten der Regelung über den Beratungsvorrang beziehen könnte, findet daher schon im Gesetzeswortlaut keine Stütze.

62

Die Annahme, dass sich das Tatbestandsmerkmal "erstmalig" auf einen nach Inkrafttreten der Regelung eingetretenen Umstand beziehen könnte, käme nur dann in Betracht, wenn es sich bei dem Umstand, auf dessen erstmaliges Auftreten es ankommt, um einen solchen handelt, dem bislang keine rechtliche Bedeutung zukam. Dies gilt etwa für den Begriff der "erstmaligen Besetzung" der Zulassungsgremien mit Vertretern der Psychotherapeuten (§ 95 Abs 13 Satz 2 SGB V), welcher sich naturgemäß auf die Zeit nach der Einbeziehung der psychologischen Psychotherapeuten in die Vertragsärztliche Versorgung bezieht. Demgegenüber nimmt der Begriff der "erstmaligen Überschreitung" Bezug auf die seit mehr als einem Jahrzehnt in § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V (bzw Satz 4 aaO aF) normierte Regelung(mit einer seit 1.1.1993 geltenden Vorläuferregelung in § 106 Abs 5a Satz 1 Halbsatz 2 SGB V aF), wonach bei einer Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH der Mehraufwand vom Arzt zu erstatten ist, sofern er nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Bezugspunkt ist daher hier ein Umstand, der seit langem Tatbestandsvoraussetzung für einen Regress ist. Neu ist allein, dass § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V - bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen - eine vom bisherigen Recht abweichende Rechtsfolge normiert, nämlich eine individuelle Beratung anstelle eines Regresses. Hierauf bezieht sich der Begriff "erstmalig" jedoch nicht.

63

Hätte der Gesetzgeber die Absicht verfolgt, den Begriff der "erstmaligen" Überschreitung vom Wortsinn bzw allgemeinen Sprachgebrauch abweichend auf das Inkrafttreten des § 106 Abs 5e SGB V (mithin auf nachfolgend eingetretene Überschreitungen) zu beziehen, wäre es zu erwarten gewesen, dass er dies ausdrücklich geregelt hätte. Die Absicht, ab Inkrafttreten der Neuregelung sowohl alle "künftigen" Überschreitungen als auch alle noch nicht abgeschlossenen Prüfverfahren einem Beratungsvorrang zu unterwerfen, hätte dann bereits in der "Grundnorm" zum Ausdruck kommen müssen (etwa: "Abweichend von Abs 5a Satz 3 erfolgt für alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Regelung noch nicht abgeschlossenen Prüfverfahren …").

64

bb. Unabhängig davon lässt sich den Gesetzesmaterialien kein Wille des Gesetzgebers entnehmen, den Grundsatz "Beratung vor Regress" ungeachtet des Tatbestandsmerkmals der "Erstmaligkeit" der Überschreitung auf alle ab dem 1.1.2012 (bzw dem 26.10.2012) von den Prüfgremien zu entscheidenden Regressverfahren anzuwenden. Vielmehr sollen nur "erstmalige" Überschreitungen in dem hier verstandenen Sinne privilegiert werden (so zutreffend LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 20.11.2013 - L 11 KA 81/13 B ER - Juris, RdNr 83).

65

(1) Sinn und Zweck der Einfügung des § 106 Abs 5e SGB V war es, Ärzte nach erstmaligem Überschreiten des RGVol nicht unmittelbar einem - trotz der betragsmäßigen Begrenzung durch § 106 Abs 5c Satz 7 SGB V wirtschaftlich belastenden - Regress auszusetzen, sondern ihnen über eine eingehende "Beratung" zunächst ohne finanzielle Konsequenzen für die Praxis die Möglichkeit zu geben, ihr Verordnungsverhalten bei Arznei- und Heilmitteln zu modifizieren. Zwar lässt sich den Gesetzesmaterialien zur Einfügung des § 106 Abs 5e SGB V durch das GKV-VStG wenig zu den Motiven des Gesetzgebers entnehmen; die Gesetzesbegründung erwähnt allein, dass im Bereich der Richtgrößen und der Wirtschaftlichkeitsprüfungen "Deregulierungen und Flexibilisierungen" erfolgten, die das Prinzip "Beratung vor Regress" stärkten und Versorgungsverbesserungen für die Versicherten bedeuteten (BT-Drucks 17/6906 S 46 unter "A. Allgemeiner Teil II.2.8. Weitere Maßnahmen des Gesetzes"). Jedoch hat der Gesetzgeber an anderer Stelle zu erkennen gegeben, welche Motive er mit derartigen Regelungen verfolgt: So hat er in der Gesetzesbegründung zum vorangegangenen Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (vom 22.12.2010, BT-Drucks 17/2413 S 29 zu Doppelbuchstabe bb = § 106 Abs 5c Satz 7)die in § 106 Abs 5c Satz 7 SGB V nF geregelte Begrenzung des Erstattungsbetrages auf 25 000 Euro im Falle erstmaliger Überschreitung damit begründet, dass diese Regelung sachgerecht sei, weil damit insbesondere junge Ärzte, die ihre Tätigkeit in der vertragsärztlichen Versorgung aufnehmen oder neue Versorgungsformen übernehmen, mehr Zeit hätten, sich auf die spezifischen Anforderungen des SGB V an die Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Verordnungen einzustellen.

66

Eines derartigen "Einstellens" auf die Anforderungen des SGB V bedarf es bei seit längerem in der vertragsärztlichen Versorgung tätigen Ärzten nicht. Selbst wenn man davon ausginge, dass der Gesetzgeber den Druck der Regressverfahren nicht allein in Bezug auf junge Ärzte, sondern in Bezug auf die Ärzteschaft insgesamt abmildern wollte, berechtigt dies nicht zu der Annahme, dass der Gesetzgeber auch Vertragsärzte privilegieren wollte, die seit längerem nicht im Einklang mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot tätig sind. Ärzte, die ggf schon seit Jahren ihr RGVol überschreiten und hinlänglich wissen, welcher Verordnungsumfang von der zuständigen Prüfungsstelle als wirtschaftlich angesehen wird, bedürfen einer solchen "Beratung" nicht; diese wäre vielmehr bloße Förmelei.

67

Die Annahme, dass der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 106 Abs 5e SGB V eine völlige "Nullstellung" der Richtgrößenprüfung beabsichtigt habe, findet weder im Gesetzeswortlaut einen Anhalt noch lässt sich den Gesetzesmaterialien ein derart weitgehender Wille des Gesetzgebers entnehmen. Es darf nicht aus dem Blick geraten, dass der Gesetzgeber mit den durch das GKV-VStG und dem nachfolgenden Gesetz vom 19.10.2012 normierten Änderungen nicht die Grundzüge der Richtgrößenprüfung in Frage gestellt oder diese Prüfmethode gar suspendiert, sondern mit der Einfügung des § 106 Abs 5e SGB V lediglich deren Folgen (weiter) abgeschwächt hat. Durch die Einfügung des Wortes "erstmalig" als Tatbestandsvoraussetzung für die Anwendung des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V hat er zudem verdeutlicht, dass diese Privilegierung allein den Ärzten zugutekommen soll, die bislang noch keine Veranlassung zu Prüfmaßnahmen gegeben haben.

68

Die vom SG vertretene Auffassung, eine "erstmalige" Überschreitung könne frühestens nach dem Inkrafttreten des § 106 Abs 5e SGB V - oder sogar erst nach einer vorangegangenen Beratung, dh erst bei zweimaliger Überschreitung des RGVol nach Inkrafttreten der Regelung - liegen, hätte nicht allein zur Folge, dass alle "zukünftigen" Überschreitungen zunächst lediglich eine Beratung nach sich zögen. Sie hätte darüber hinaus die Konsequenz, dass alle noch bei den Prüfgremien anhängigen Verfahren ohne Festsetzung eines Regresses zu beenden wären - selbst dann, wenn der betreffende Arzt sein RGVol in der Vergangenheit regelmäßig überschritten hätte, ohne dass dies durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigt gewesen wäre. Da die Vertragsärzte seit vielen Jahren Richtgrößen zu beachten haben, mithin seit langem die Möglichkeit (bzw die Gewissheit) besteht, dass einzelne von ihnen das RGVol überschreiten, würde die auf das Inkrafttreten der Neuregelung bezogene Erstmaligkeit einen "amnestie"-ähnlichen Charakter erhalten, weil damit sämtliche vorangegangenen Gesetzesverstöße bzw ihre Folgen suspendiert würden. Ein - sich aus einer derartigen Interpretation ergebenden - vollständiger Verzicht auf Regressfestsetzungen für sämtliche noch nicht abgeschlossenen Verfahren hätte einer ausdrücklichen Regelung bedurft.

69

(2) Auch aus der Gesetzesbegründung zum nachgeschobenen Satz 7 der Vorschrift ergibt sich nichts anderes. Diese verhält sich überhaupt nicht zur Frage der "Erstmaligkeit" der Überschreitung und musste dies auch nicht, weil Satz 7 aaO allein bestimmt, dass der Abs 5e "auch" für Verfahren gilt, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren. Gegenstand der (vermeintlichen) "Klarstellung" - und damit auch der entsprechenden Gesetzesbegründung - ist daher die generelle Frage, auf welche Verfahren § 106 Abs 5e SGB V überhaupt Anwendung findet, dh ob die Regelung nur zukünftige oder auch bereits laufende oder gar bereits durch Bescheide der Prüfgremien abgeschlossene Verfahren erfasst. Dass der Gesetzgeber mit Satz 7 aaO zugleich die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm ändern wollte, hat weder im Gesetzeswortlaut noch in der Gesetzesbegründung seinen Niederschlag gefunden.

70

Im Übrigen steht der in der Gesetzesbegründung (Ausschussbericht zum Gesetz vom 19.10.2012, BT-​Drucks 17/10156, S 95) geäußerte Wille, ab dem 1.1.2012 den Grundsatz "Beratung vor Regress" für alle laufenden und nachfolgenden Verfahren anzuwenden, auch wenn sie zurückliegende Zeiträume betreffen, nicht im Widerspruch zum Wortlaut des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V bzw zum Tatbestandsmerkmal "erstmalig" im hier verstandenen Sinne. Die Anwendung des "Grundsatzes" erfolgt in dem Rahmen, den er durch seine Konkretisierung bzw Präzisierung durch die gesetzlichen Vorgaben erhalten hat. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung des Grundsatzes "Beratung vor Regress" bestimmen sich nach § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V: Er gilt mithin für alle Verfahren - aber auch nur für diese -, in denen es "erstmalig" zu einer Überschreitung gekommen ist.

71

c. Erst recht vermag der Senat nicht der vom Kläger vertretenen Auffassung zu folgen, dass dem Tatbestandsmerkmal "erstmalig" deswegen keinerlei eigenständige Bedeutung zukomme, weil die Regelungsgehalte der Sätze 1 und 2 des § 106 Abs 5e SGB V (einerseits Beratungsvorrang nur bei erstmaliger Überschreitung, andererseits Regress erstmals nach Beratung) einander widersprächen und daher angesichts zweier möglicher Auslegungen dem subjektiven Willen des Gesetzgebers, den Beratungsvorrang auf jedes noch laufende Prüfverfahren zu erstrecken, durchschlagende Bedeutung zukomme (in diesem Sinne auch Weinrich, GesR 2014, 390, 392; Christophers, ZMGR 2014, 11, 12). Denn § 106 Abs 5e Satz 2 SGB V steht nicht im Widerspruch zu Satz 1 aaO. Nach § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V erfolgt abweichend von Abs 5a Satz 3 aaO bei einer erstmaligen Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH eine individuelle Beratung nach Abs 5a Satz 1. Hieran schließt Satz 2 aaO an, der bestimmt: "Ein Erstattungsbetrag kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfungszeitraum nach der Beratung festgesetzt werden." Beide Regelungen knüpfen damit an unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen unterschiedliche Rechtsfolgen: Während Satz 1 aaO für den Fall einer "erstmaligen Überschreitung" die Rechtsfolge "individuelle Beratung" vorgibt, bestimmt Satz 2 aaO, wann im Falle einer "künftigen Überschreitung" erstmals ein Regress festgesetzt werden darf.

72

Dass beide Regelungen einander nicht widersprechen, sondern vielmehr Satz 2 auf Satz 1 aaO aufbaut, bestätigt neben der systematischen Stellung des Satzes 2 aaO auch der Sachzusammenhang. So schließt der Begriff "künftig" in Satz 2 aaO an den Begriff "erstmalig" in Satz 1 aaO an: Eine "künftige" Überschreitung nach Satz 2 aaO ist mithin eine solche, die zeitlich später eintritt als die "erstmalige" Überschreitung im Sinne des Satzes 1 aaO. Zudem stellt Satz 2 aaO auf den Prüfungszeitraum "nach der Beratung" ab. Mit der dort genannten "Beratung" ist zweifelsfrei die Beratung gemeint, die nach Satz 1 aaO durchzuführen ist. Dies folgt zum einen aus der Verwendung des bestimmten Artikels ("der" Beratung) in Satz 2 aaO; wäre jedwede Beratung gemeint, wäre die Formulierung "nach einer Beratung" zu erwarten gewesen. Zum anderen entspricht allein diese Interpretation dem offensichtlichen Zweck der Regelung in Satz 2 aaO, sicherzustellen, dass die nach Satz 1 aaO vorgeschriebene individuelle Beratung sich auswirken kann: Der Vertragsarzt soll zunächst Gelegenheit bekommen, sein Verhalten gemäß dem Inhalt der Beratung umzustellen. Dies schließt es aus, nachfolgende ("künftige") Überschreitungen des RGVol zum Anlass für eine Regressfestsetzung zu nehmen, wenn es dabei um einen Prüfungszeitraum geht, der zeitlich vor dieser Beratung liegt oder der zum Zeitpunkt der Beratung jedenfalls noch nicht abgeschlossen ist.

73

4. Da der Kläger im streitbefangenen Jahr 2008 sein RGVol ersichtlich nicht "erstmalig" überschritten hat, bedarf es hier keiner abschließenden Klärung, welche Anforderungen im Einzelnen an das Vorliegen einer "vorangegangenen" Überschreitung zu stellen sind. Der Senat weist jedoch auf Folgendes hin:

74

a. Außer Frage steht, dass § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V zunächst eine Prüfung erfordert, ob eine Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH vorliegt - und zwar zum einen bezogen auf den aktuell zur Prüfung anstehenden Zeitraum, weil sich andernfalls die Frage einer regressersetzenden Beratung überhaupt nicht stellte, zum anderen in Bezug auf vorangegangene Prüfungszeiträume, weil dies für die Frage der "Erstmaligkeit" von Bedeutung ist. Dabei reicht es nach der gesetzlichen Systematik sowohl in Bezug auf die "erstmalige" als auch auf die "vorangegangene" Überschreitung allerdings nicht aus, dass rein statistisch das Verordnungsvolumen um mehr 25 vH überschritten worden ist, sondern es bedarf zusätzlich der Feststellung, dass die Überschreitungen (jeweils) nicht durch Praxisbesonderheiten begründet sind.

75

Zwar stellt § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V seinem Wortlaut nach allein auf die Überschreitung des RGVol um 25 vH ab, doch ist den Grundsätzen einer nach statistischen Vergleichsgrößen bzw nach Durchschnittswerten durchgeführten Wirtschaftlichkeitsprüfung, zu denen auch die Richtgrößenprüfung gehört(BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2 RdNr 38: "basiert jedoch letztlich auch auf einem Durchschnittswert"), immanent, dass Sanktionen nur dann gerechtfertigt sind, wenn die "statistische" Abweichung nicht durch Praxisbesonderheiten begründet bzw gerechtfertigt ist. Liegen Praxisbesonderheiten im Sinne eines spezifischen, vom Durchschnitt der Vergleichsgruppe signifikant abweichenden Behandlungs- bzw Verordnungsbedarfs des Patientenklientels (BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10 RdNr 35; BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2 RdNr 38) vor, entfällt die statistisch begründete Vermutung der Unwirtschaftlichkeit.

76

Für das zur Beurteilung anstehende (aktuelle) Prüfverfahren stellt die Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten eine Selbstverständlichkeit dar. Einer "regressersetzenden" Beratung nach § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V bedürfte es überhaupt nicht, wenn die Überschreitung des RGVol - im zur Prüfung anstehenden Zeitraum - weitgehend oder vollständig durch Praxisbesonderheiten begründet wäre. Dies verdeutlicht die Inbezugnahme des § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V ("abweichend von Absatz 5a Satz 3"): Dort ist ausdrücklich bestimmt, dass der Vertragsarzt bei einer Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH nach Feststellung durch die Prüfungsstelle den sich daraus ergebenden Mehraufwand zu erstatten hat, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist.

77

Für die Frage, ob es bereits zuvor zu Überschreitungen gekommen ist, die einer "Erstmaligkeit" entgegenstehen, kann nichts anderes gelten. Zum einen korrespondieren "erstmalige" und "wiederholte" Überschreitungen miteinander. Zum anderen ist nicht erkennbar, dass der Grundsatz, dass nur eine nicht durch Praxisbesonderheiten begründete Überschreitung Anlass zu Sanktionen geben kann, durch § 106 Abs 5e SGB V außer Kraft gesetzt werden sollte. Dagegen spricht schon der mit der Begrenzung der Privilegierung auf erstmalige Überschreitungen verfolgte Zweck: So wird ein Arzt, der wegen einer unumstrittenen und auch von der Prüfungsstelle nicht in Frage gestellten speziellen Praxisausrichtung die Werte des RGVol regelmäßig um zB 50 vH überschreitet, durch den Umstand einer Überschreitung um mehr als 25 vH nicht "gewarnt" und zu nichts "veranlasst". Erst wenn die Prüfungsstelle ihm mitteilt, dass keine Besonderheiten mehr gesehen werden, hat er Anlass, im Rahmen einer Beratung über sein Verordnungsverhalten nachzudenken.

78

b. Im Übrigen muss es sich bei der vorangegangenen Überschreitung um eine solche handeln, die von der Prüfungsstelle "förmlich" festgestellt wurde. Der bloße Hinweis auf eine Überschreitung des RGVol - etwa durch die Geschäftsstelle der Prüfungsstelle - oder entsprechende Erkenntnisse des Arztes aufgrund seiner Praxissoftware genügen nicht. Für die Notwendigkeit einer "förmlichen" Feststellung der Überschreitung durch die Prüfgremien spricht bereits der Gesichtspunkt, dass eine im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V relevante "vorangegangene" Überschreitung nur dann vorliegt, wenn sie auch nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten mehr als 25 vH beträgt. Dies erfordert eine entsprechende Meinungsbildung durch die Prüfgremien, weil sich Praxisbesonderheiten und ihre Auswirkungen - anders als Überschreitungsgrade - regelmäßig nicht allein "objektiv" ermitteln lassen; vielmehr gehört die Anerkennung von Praxisbesonderheiten zu den Aufgaben der Prüfgremien, bei deren Feststellung diesen ein Beurteilungsspielraum zusteht.

79

In welcher Form die Prüfgremien die Feststellung treffen, dass eine relevante Überschreitung vorliegt, und in welcher Form sie diese dokumentieren, gibt das Gesetz nicht vor. Regelmäßig dürfte diese Feststellung zwar durch einen Regressbescheid erfolgen, doch benennt § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V als Tatbestandsvoraussetzung allein eine "erstmalige Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent", stellt also auf den Umstand einer (nicht gerechtfertigten) Überschreitung als solchen, nicht hingegen auf die hierauf gegründete förmliche Festsetzung eines Regresses ab. Entscheidend ist daher die "Feststellung" des Umstandes, dass eine - nicht durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigte - Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH gegeben ist. Aus Gründen des Rechtsschutzes und der Rechtssicherheit ist jedoch in anderen Fällen als der einer Festsetzung eines Regresses durch einen entsprechenden Bescheid geboten, dass der Vertragsarzt die Möglichkeit hatte, der Feststellung einer ungerechtfertigten Überschreitung des RGVol mit Rechtsmitteln entgegenzutreten.

80

Wenn die Prüfgremien - bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Festsetzung eines Regresses im Übrigen - allein deswegen von einer Regressfestsetzung absehen, weil ihr die Versäumung der Ausschlussfrist entgegenstand, sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, weil der Vertragsarzt durch diese Entscheidung nicht beschwert ist und daher gegebenenfalls im Bescheid enthaltene Feststellungen zur Überschreitung des RGVol nicht angreifen kann. Die Prüfgremien sind allerdings nicht gehindert, durch gesonderten - rechtsmittelfähigen - Bescheid festzustellen, dass der Vertragsarzt sein RGVol um mehr als 25 vH überschritten hat, ohne dass dies durch Praxisbesonderheiten begründet ist.

81

Der Annahme einer (vorangegangenen) Überschreitung im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V steht es nicht entgegen, wenn das Verfahren durch eine vergleichsweise Regelung beendet worden ist, sofern dies die Tatsache einer Überschreitung des RGVol (nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten) um mehr als 25 vH als solche unangetastet lässt. Namentlich gilt dies für Vereinbarungen auf der Grundlage des § 106 Abs 5a Satz 4 SGB V ("Vertrag statt Verwaltungsakt"), welche lediglich eine Verringerung des an sich festzusetzenden Regressbetrages um maximal ein Fünftel beinhalten. Etwas anderes gilt hingegen dann, wenn Inhalt des "Vergleiches" die Anerkennung von Praxisbesonderheiten mit der Folge ist, dass die danach verbleibende Überschreitung weniger als 25 vH beträgt.

82

c. Schließlich setzt die Annahme einer vorangegangenen Überschreitung voraus, dass der Arzt tatsächlich unwirtschaftlich verordnet hat. Stellt sich nachträglich - im Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss oder im Gerichtsverfahren - heraus, dass die von den Prüfgremien festgestellte Überschreitung nicht unwirtschaftlich war, ist das Tatbestandsmerkmal "erstmalig" bei einer Überschreitung in Folgejahren nicht in Frage gestellt. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Prüfgremien alle Prüfverfahren, in denen § 106 Abs 5e SGB V Anwendung findet, so lange offenhalten müssen, bis das rechtliche Schicksal vorangegangener Prüfmaßnahmen, die zur Verneinung der "Erstmaligkeit" der Überschreitung geführt haben, geklärt ist. Vielmehr haben sie die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Wird jedoch nachfolgend der Feststellung der Prüfgremien, dass bereits zuvor eine nicht durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigte Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH vorgelegen hat, die Grundlage entzogen, wirkt sich dies auf Bescheide, in denen die Anwendung des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V wegen fehlender Erstmaligkeit verneint wurde, in dem Sinne aus, dass diese Bescheide nunmehr rechtswidrig geworden sind und daher - sofern keine Bestandskraft eingetreten ist - aufzuheben sind. Die fehlende Bestandskraft vorangegangener Regressbescheide hindert daher die Prüfgremien nicht an einer Entscheidung über das Vorliegen der in § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V normierten Voraussetzungen, sondern birgt allein das Risiko, dass die Entscheidung nachträglich unrichtig werden könnte.

83

5. Ob der angefochtene Bescheid in der Sache rechtmäßig ist, kann der Senat nicht entscheiden, da das SG hierzu keine Feststellungen getroffen hat.

84

6. Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren bleibt dem SG überlassen.

(1) Die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen überwachen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich und die Kassenärztlichen Vereinigungen vereinbaren Inhalt und Durchführung der Beratungen und Prüfungen nach Absatz 2 sowie die Voraussetzungen für Einzelfallprüfungen. Die Vertragspartner können die Prüfungsstelle mit der Prüfung ärztlich verordneter Leistungen in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung beauftragen und tragen die Kosten. Die Krankenkassen übermitteln der Prüfungsstelle die Daten der in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung verordneten Leistungen; dabei sind zusätzlich die Zahl der Behandlungsfälle und eine Zuordnung der verordneten Leistungen zum Datum der Behandlung zu übermitteln. Die §§ 296 und 297 gelten entsprechend.

(2) Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird von der Prüfungsstelle nach § 106c geprüft durch

1.
arztbezogene Prüfungen ärztlicher Leistungen nach § 106a,
2.
arztbezogene Prüfungen ärztlich verordneter Leistungen nach § 106b.
Die Prüfungen werden auf der Grundlage der Daten durchgeführt, die der Prüfungsstelle nach § 106c gemäß § 296 Absatz 1, 2 und 4 sowie § 297 Absatz 2 übermittelt werden. Hat die Prüfungsstelle Zweifel an der Richtigkeit der übermittelten Daten, ermittelt sie die Datengrundlagen für die Prüfung aus einer Stichprobe der abgerechneten Behandlungsfälle des Arztes und rechnet die so ermittelten Teildaten nach einem statistisch zulässigen Verfahren auf die Grundgesamtheit der Arztpraxis hoch.

(3) Die Prüfungsstelle nach § 106c bereitet die für die Prüfungen nach Absatz 2 erforderlichen Daten und sonstigen Unterlagen auf, trifft Feststellungen zu den für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit wesentlichen Sachverhalten und entscheidet unter Beachtung der Vereinbarungen nach den §§ 106a und 106b, ob der Vertragsarzt, der ermächtigte Arzt oder die ermächtigte Einrichtung gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind. Eine Maßnahme kann insbesondere auch die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung sein. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung auf Grund einer Wirtschaftlichkeitsprüfung, die von Amts wegen durchzuführen ist, muss für ärztliche Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheides und für ärztlich verordnete Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab dem Schluss des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, erfolgen; § 45 Absatz 2 des Ersten Buches gilt entsprechend. Für Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die auf Grund eines Antrags erfolgen, ist der Antrag für die Prüfung ärztlicher Leistungen spätestens 18 Monate nach Erlass des Honorarbescheides und für die Prüfung ärztlich verordneter Leistungen spätestens 18 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, bei der Prüfungsstelle nach § 106c einzureichen. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung muss innerhalb weiterer zwölf Monate nach Ablauf der in Satz 4 genannten Frist erfolgen; die Regelung des § 45 Absatz 2 des Ersten Buches findet keine entsprechende Anwendung. Gezielte Beratungen sollen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen. Die Prüfungsstelle berät die Vertragsärzte auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung.

(4) Werden Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassenverbände und Kassenärztlichen Vereinigungen für eine ordnungsgemäße Umsetzung. Können Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt werden, weil die erforderlichen Daten nach den §§ 296 und 297 nicht oder nicht im vorgesehenen Umfang oder nicht fristgerecht übermittelt worden sind, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassen oder der Kassenärztlichen Vereinigungen. Die zuständige Aufsichtsbehörde hat nach Anhörung der Vorstandsmitglieder und der jeweils entsandten Vertreter im Ausschuss den Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung zu veranlassen, das Vorstandsmitglied auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens in Anspruch zu nehmen, falls der Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung das Regressverfahren nicht bereits von sich aus eingeleitet hat.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der im Krankenhaus erbrachten ambulanten ärztlichen und belegärztlichen Leistungen.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. November 2013 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit steht ein Regress wegen Überschreitung der Heilmittel-Richtgrößen im Jahr 2008.

2

Der Kläger nimmt seit 1990 als Orthopäde an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Nach vorangegangenen Regressen für die Jahre 2006 und 2007 setzte die Prüfungsstelle wegen der Überschreitung des individuellen Richtgrößenvolumens (RGVol) bei Heilmitteln im Jahr 2008 einen weiteren Regress gegen den Kläger fest (Bescheid vom 20.12.2010). Mit Bescheid vom 19.9.2012 (Beschluss vom 27.6.2012) half der beklagte Beschwerdeausschuss dem Widerspruch des Klägers teilweise ab und verminderte den Regressbetrag auf 10 303,54 Euro. Im Übrigen wies er den Widerspruch zurück: Der Kläger habe 2008 das RGVol für Orthopäden - nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten und kompensatorischen Einsparungen - um 31,18 vH überschritten. Die Regelung des § 106 Abs 5e SGB V über den Vorrang der Beratung werde nicht rückwirkend angewandt, da bereits zwei bestandskräftige Regressbescheide für 2006 und 2007 vorlägen und damit ein Regress nicht erstmals festgesetzt werde.

3

Auf die Klage des Klägers hat das SG mit Urteil vom 20.11.2013 den Bescheid des Beklagten aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Festsetzung eines Regresses sei mit dem in § 106 Abs 5e SGB V geregelten Grundsatz "Beratung vor Regress" nicht vereinbar. Nach seinem Satz 7 gelte § 106 Abs 5e SGB V auch für Verfahren, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen gewesen seien. Der Gesetzgeber habe, wie aus den Gesetzesmaterialien hervorgehe, mit § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V klarstellen wollen, dass der in § 106 Abs 5e SGB V verankerte Grundsatz "Beratung vor Regress" auch für bei Inkrafttreten des § 106 Abs 5e SGB V zum 1.1.2012 noch nicht abgeschlossene Richtgrößenprüfungen gelten solle. Vor Erlass des angefochtenen Bescheids habe keine individuelle Beratung des Klägers im Sinne des § 106 Abs 5e SGB V zur Wirtschaftlichkeit seines Heilmittelverordnungsverhaltens stattgefunden. Die Regressbescheide für 2006 und 2007 stellten keine Beratung nach § 106 Abs 5e SGB V dar.

4

Angesichts der Zielsetzung des § 106 Abs 5e SGB V könne dem Kläger auch nicht entgegengehalten werden, er habe das RGVol im Jahr 2008 nicht zum ersten, sondern zum dritten Mal überschritten. Die Konzeption des § 106 Abs 5e SGB V mit dem zum 1.1.2012 neu eingeführten Grundsatz "Beratung vor Regress" sehe vor, dass der Arzt, der mit seinem Verordnungsverhalten die Richtgrößen überschreite, ab 1.1.2012 zuerst nach näherer Maßgabe des § 106 Abs 1a SGB V beraten werden müsse. Ein Regress dürfe erst dann festgesetzt werden, wenn er in einem weiteren Prüfungszeitraum nach erfolgter (oder abgelehnter) Beratung die Richtgrößen erneut überschreite. Für diesen Verfahrensgang sei es unerheblich, ob die Richtgrößen in der Vergangenheit überschritten worden seien und deswegen Regressbescheide ergangen seien. Als erstmalige Überschreitung des RGVol im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V sei diejenige Überschreitung anzusehen, auf die erstmals die in der genannten Vorschrift geforderte Beratung stattfinde. Ein Regress komme daher erst in Betracht, wenn der Kläger nach einer solchen Beratung künftig das RGVol erneut um mehr als 25 vH überschreite.

5

Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung von Bundesrecht. Das SG habe § 106 Abs 5e SGB V fehlerhaft angewandt; die von ihm vorgenommene Auslegung der Norm sei mit deren klaren Wortlaut nicht zu vereinbaren. Gründe, vom Wortlaut des Gesetzes abzuweichen, gebe es nicht. Der Gesetzeswortlaut gehe davon aus, dass nur bei einer erstmaligen Überschreitung des RGVol die Maßnahme auf eine individuelle Beratung beschränkt sei. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass die Vorschrift für jedes am Stichtag 1.1.2012 noch laufende Verfahren Geltung entfalten solle, so gebe die Formulierung "erstmalig" im Gesetzestext keinen Sinn. Soweit der Gesetzestext - wie hier - eindeutig sei und nicht zu schlechthin unbilligen Ergebnissen führe, bedürfe es keiner Auslegung unter Hinzunahme der Gesetzesbegründung. § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V ordne die rückwirkende Anwendung des neuen Rechts auf frühere Sachverhalte gerade nicht in der erforderlichen Klarheit an. Die in der Gesetzesbegründung zum Einschub des § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V enthaltenen Überlegungen könnten keine Anwendung finden, da diese sich nicht im Gesetzeswortlaut objektiviert hätten. Hätte der Gesetzgeber mit dem Gesetzeswortlaut tatsächlich rückwirkend alle Wirtschaftlichkeitsprüfungen und bereits festgesetzte Regresse beseitigen und der Tätigkeit der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung damit ihre Grundlage entziehen wollen, so hätte er damit zugleich auch in die Rechte der Krankenkassen eingegriffen, weil verfestigte Vermögenspositionen entwertet würden. Dass er dies gewollt habe, ergebe sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch den Gesetzesmaterialien.

6

Im Übrigen verkenne das SG den systematischen Aufbau des § 106 Abs 5e SGB V: In Satz 1 aaO werde unmissverständlich eine "erstmalige Überschreitung" vorausgesetzt; alle nachfolgenden Regelungen des § 106 Abs 5e SGB V bauten hierauf auf, setzten also eine "erstmalige Überschreitung" voraus. Daraus folge, dass eine Beratung nur bei einer erstmaligen Überschreitung erforderlich sei, sonst nicht. Die Erstüberschreitung sei nach dem Gesetzeswortlaut jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn zum 31.12.2011 bereits bestandskräftige Richtgrößen-Regressbescheide aus früheren Prüfjahren gegen den Arzt vorgelegen hätten, so wie es hier der Fall gewesen sei. Bezugszeitraum sei dabei die gesamte, in der Vergangenheit liegende Tätigkeit des Vertragsarztes, bei der es zu Überschreitungen gekommen sei. Mit der erstmaligen Überschreitung nach § 106 Abs 5e SGB V könne nichts anderes gemeint sein als die numerisch erstmalige Überschreitung. Die Auslegung des SG käme einem Neuanfang der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Richtgrößen gleich; Regresse könnten frühestens für das Jahr 2015 - zeitversetzt erst in 2016 oder 2017 - festgesetzt werden. Hätte der Gesetzgeber eine "Amnestie" in dieser Hinsicht gewollt, hätte er dies im Gesetzestext ausdrücklich regeln müssen.

7

Aus der Anwendung des Leistungsfallprinzips folge, dass § 106 Abs 5e Satz 1 bis 6 SGB V lediglich auf Prüfquartale nach dem 1.1.2012 Anwendung finde. Wenn § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V die Durchführung einer Beratung zur Voraussetzung der Festsetzung eines Regresses erkläre, so werde damit eine Tatbestandsvoraussetzung normiert, die materiell-rechtlicher Art sei. Anspruchsbegründendes Ereignis sei die tatsächliche Verordnungspraxis in den maßgeblichen Beurteilungsquartalen; das spätere Prüfverfahren ändere nichts an einer tatsächlichen Überschreitung, sondern diene lediglich deren Ermittlung und Feststellung. Somit habe vorliegend zum Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheides am 19.9.2012 ein abgeschlossener Sachverhalt vorgelegen. Der Grundsatz der sofortigen Anwendung des neuen Rechts sei nicht anzuwenden, weil die Neuregelung nicht allein begünstigend wirke, sondern zugleich die Krankenkassen belaste.

8

Durch die Einfügung des Satzes 7 aaO mit Wirkung zum 26.10.2012 sei keine Änderung eingetreten, da es sich bei der von dieser Vorschrift angeordneten Erstreckung des zeitlichen Geltungsbereichs auf sämtliche zum 31.12.2011 nicht abgeschlossenen Sachverhalte um eine unzulässige und damit verfassungswidrige echte Rückwirkung handele. Der Gesetzgeber könne den Inhalt geltenden Rechts mit Wirkung für die Vergangenheit nur in den verfassungsrechtlichen Grenzen für eine rückwirkende Rechtssetzung feststellend oder klarstellend präzisieren; Ausführungen in der Gesetzesbegründung, dass die Vorschrift lediglich klarstellenden Charakter habe, seien für die Gerichte nicht verbindlich. Die Voraussetzungen für eine echte Rückwirkung seien erfüllt, da durch Satz 7 aaO Regressansprüche der Krankenkassen nachträglich zum Erlöschen gebracht worden seien. Keine der Fallgruppen, in denen eine echte Rückwirkung ausnahmsweise zulässig sei, sei vorliegend gegeben. Insbesondere fehle es an überragenden Gemeinwohlbelangen, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgingen. Die Rückwirkungsgrundsätze seien auch auf gesetzliche Krankenkassen anwendbar, weil das Rückwirkungsverbot nicht lediglich aus Grundrechten, sondern auch aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet werde. Vertrauensschutz ziele daher nicht lediglich auf den Schutz der Grundrechte, sondern sämtlicher einer natürlichen oder juristischen Person zustehender Rechte.

9

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Stuttgart vom 21.11.2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

11

Das BSG gehe keineswegs in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw Rechtsverhältnisse immer nach dem Recht beurteilten, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten habe. Vielmehr sei nach den allgemeinen, für das intertemporale Sozialrecht geltenden Grundsätzen zunächst zu klären, ob das Versicherungs- bzw Leistungsfallprinzip oder das Geltungszeitraumprinzip zur Anwendung komme. Letztlich hänge es vom Inhalt und Zweck der konkreten neuen Regelung ab, ob diese mit Wirkung für die Zukunft auch die bereits unter dem früheren Recht begründeten Ansprüche erfasse oder nicht.

12

Durch § 106 Abs 5e SGB V sei nicht die inhaltliche Beurteilung der Wirtschaftlichkeit verändert worden, sondern lediglich die Rechtsfolge bzw Sanktion, die sich an eine festgestellte Unwirtschaftlichkeit anschließe. Auch die jüngere Rechtsprechung des BSG ordne die Beratung als Sanktion und nicht als materiell-rechtliche Regelung ein. Der gesamte rechtliche Gehalt des neuen § 106 Abs 5e SGB V wirke sich erst nach Abschluss der materiellen Prüfung aus. Mangels einer materiell-rechtlichen Vorgabe bzw einer materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzung verbleibe hier nur die Anwendung des Geltungszeitraumprinzips mit dem Ergebnis, dass der neue § 106 Abs 5e SGB V bereits auf das laufende - hier zu beurteilende - Prüfverfahren hätte Anwendung finden müssen, da die maßgeblichen Rechtsfolgen in den zeitlichen Geltungsbereich des neuen § 106 Abs 5e SGB V fielen. Gegen die Anwendung des Versicherungs- bzw Leistungsfallprinzips spreche auch, dass anspruchsbegründendes Ereignis für den Regressanspruch der Krankenkassen nicht die quartalsweise getätigten Verordnungen, sondern die Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH sei; dies stehe erst nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens fest. Die Beratung habe de facto eine Doppelnatur als Rechtsfolge und Verfahrensvoraussetzung.

13

Selbst wenn man § 106 Abs 5e SGB V als Änderung einer materiell-rechtlichen Vorgabe einstufen würde, gelte das Versicherungs- bzw Leistungsfallprinzip nur "grundsätzlich" und auch nur dann, wenn später in Kraft gesetztes Recht "ausdrücklich oder sinngemäß" nichts anderes bestimme. Letzteres sei der Fall. Der Gesetzgeber sei vom Geltungszeitraumprinzip ausgegangen, da er sonst die spätere Ergänzung kaum als "Klarstellung" bezeichnet hätte. Die Neufassung der Norm solle nach ihrem Sinn und Zweck sofort gelten, dh auch laufende Prüfverfahren habe erfassen sollen, da es sich nicht um eine grundlegend neue Regelung, sondern um die Umwandlung einer Soll- in eine Mussvorschrift handele. Diese Umwandlung habe zum einen die Feststellung des Gesetzgebers zum Hintergrund gehabt, dass die in der Vergangenheit ausgesprochenen Regresse das Verordnungsverhalten der Vertragsärzte nicht verändert hätten; der Gesetzgeber habe daher eine echte Kehrtwende im Bereich der Richtgrößenprüfung vornehmen wollen. Durch eine Beratung solle ausdrücklich eine nochmalige Überschreitung vermieden werden. Zum Weiteren hätten die hohen Regressforderungen dazu geführt, dass immer mehr junge Ärzte die Niederlassung ablehnten und immer mehr Patienten die Sorge äußerten, wegen der Richtgrößen benötigte Medikamente nicht mehr zu bekommen. Angesichts dessen erscheine es mehr als unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber noch drei Jahre habe warten wollen, bis seine Regelungen griffen.

14

Da es sich bei § 106 Abs 5e SGB V um eine Regelung handle, die den Vertragsarzt begünstige, lägen auch die Voraussetzungen für die sofortige Anwendung des neuen Rechts vor. Bei einer begünstigenden Regelung sei grundsätzlich lediglich zu prüfen, ob Grundsätze des Vertrauensschutzes der sofortigen Einführung der Neuregelung entgegenstünden. Das Vertrauen der Krankenkassen in den Fortbestand der Rechtslage sei jedoch ebenso wenig schutzwürdig wie deren angeblich verfestigte Vermögensposition. Der Gesetzgeber habe bewusst in Kauf genommen, dass ihnen Rückzahlungsbeträge und Vermögenspositionen entgingen. Schließlich sei maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtslage bei der vorliegend erhobenen Anfechtungsklage der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, wie das BSG mit Urteil vom 24.11.1993 (6 RKa 20/91 - SozR 3-2200 § 368n Nr 6) entschieden habe; der Widerspruchsbescheid sei am 19.9.2012 ergangen und damit zu einem Zeitpunkt, als der neue § 106 Abs 5e SGB V bereits in Kraft getreten gewesen sei.

15

Soweit es die Anwendbarkeit des § 106 Abs 5e SGB V in der Fassung ab dem 26.10.2012 betreffe, sei das Versicherungs- bzw Leistungsfallprinzip schon deswegen nicht anwendbar, weil später in Kraft gesetztes Recht - nämlich Satz 7 aaO - ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimme. Der Auffassung, dass die vermeintliche Klarstellung leerlaufe, da die Regelung einen konstitutiven Charakter habe, sei nicht zuzustimmen. Der Gesetzgeber sei der Auffassung gewesen, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die entscheidende Rechtslage der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung sein werde. Durch die gegenteilige Auffassung werde hier die eigene Erläuterung des Gesetzgebers in seiner Gesetzesbegründung als unbeachtlich verworfen. Zu entscheiden, was Recht sein solle, sei in einem demokratischen Rechtsstaat grundsätzlich Sache des Gesetzgebers. § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V sei auch nicht verfassungswidrig. Echte Rückwirkung entfalte eine Rechtsnorm nur, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung für den Bürger bzw Grundrechtsträger schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung gelten solle. Vorliegend werde die Rechtsstellung der Vertragsärzte jedoch verbessert, während die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen) keine Grundrechtsträger seien.

16

Schließlich gelte § 106 Abs 5e SGB V auch für Vertragsärzte, die ihr RGVol in der Vergangenheit bereits mehrmals um 25 vH überschritten, aber bisher noch nie eine Beratung erhalten hätten. Zwar sei § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V ("erstmalig") eindeutig; dies gelte grundsätzlich aber auch für Satz 2 aaO, wonach ein Erstattungsbetrag bei künftigen Überschreitungen erstmals für den Prüfungszeitraum nach der Beratung festgesetzt werden könne. Hieraus sei zu entnehmen, dass es unerheblich sei, ob eine erstmalige oder eine mehrmalige Überschreitung vorliege. Angesichts zweier möglicher Auslegungen komme dem subjektiven Willen des Gesetzgebers Gewicht bei der Auslegung zu. Die Gesetzesbegründung sei dahingehend eindeutig, dass sie den Vorrang der Beratung auf jedes noch laufende Prüfverfahren erstrecke, sofern der Vertragsarzt zuvor noch nie beraten worden sei. Die Gesetzbegründung unterscheide an dieser Stelle nicht zwischen erstmaliger und nochmaliger Überschreitung.

17

Sinn und Zweck der Vorschrift sei eben nicht, nur junge Vertragsärzte zu schützen, sondern insgesamt künftige Überschreitungen des RGVol durch gezielte und umfangreiche Beratungen zu vermeiden. Das könne nur gelingen, wenn allen Vertragsärzten, die noch nie eine Beratung erhalten hätten, eine solche zuteil werde, und alle Vertragsärzte die Chance hätten, ihr Verordnungsverhalten entsprechend an die Hinweise und Vorgaben der Beratung anzupassen. Eine solche Beratung habe er - der Kläger - aber unstreitig nie erhalten; die Richtgrößenprüfungen 2006 und 2007 hätten nicht mit einer Beratung, sondern einem Regress geendet. Regressbescheide seien nicht dazu geeignet, künftige Regresse zu vermeiden. Ein Regressbescheid lege grundsätzlich nur dar, dass der Vertragsarzt unwirtschaftlich verordnet habe, aber nicht warum und schon gar nicht, wie er es besser machen könne. Der Vertragsarzt könne und werde seine Verordnungsweise nur dann ändern, wenn ihm überzeugend vor Augen geführt werde, dass seine bisherige Verordnungsweise nicht zielführend gewesen sei, und ihm gleichzeitig sinnvolle Verordnungsalternativen aufgezeigt würden. Sofern man hingegen auf eine "erstmalige" Überschreitung abstelle, erscheine die Auffassung zielführend, dass als eine solche vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Intention nur eine nach Einführung des § 106 Abs 5e SGB V eingetretene Überschreitung in Betracht komme.

18

Der Beigeladene zu 6. hat sich - ohne einen Antrag zu stellen - dem Vorbringen des Beklagten angeschlossen; die übrigen Beigeladenen haben weder Anträge gestellt noch sich geäußert.

Entscheidungsgründe

19

Die Revision des Beklagten hat im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG Erfolg. Da das SG zu Unrecht angenommen hat, dass § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V der Festsetzung eines Regresses entgegensteht, muss es nun in der Sache prüfen, ob der Bescheid des Beklagten rechtmäßig ist.

20

1. Rechtsgrundlage der Festsetzung eines Regresses ist § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V(in der ab dem 1.1.2004 geltenden und seither - nahezu - unveränderten Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190). Danach hat der Vertragsarzt bei einer Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH nach Feststellung durch den Prüfungsausschuss (ab 1.1.2008: die Prüfungsstelle) den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Dies gilt auch für verordnete Heilmittel (vgl § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 iVm § 84 Abs 6 Satz 1, Abs 8 Satz 1 SGB V). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann der Senat nicht abschließend beurteilen, da das SG hierzu - aus seiner Sicht zu Recht - keine Feststellungen getroffen hat.

21

2. Entgegen der Auffassung des SG ist der angefochtene Bescheid des Beklagten nicht bereits deswegen rechtswidrig, weil gemäß § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V anstelle eines Regresses lediglich eine individuelle Beratung hätte festgesetzt werden dürfen.

22

Zwar bestimmt § 106 Abs 5e SGB V(idF des Art 1 Nr 38 Buchst d des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes vom 22.12.2011 , gemäß Art 15 Abs 1 GKV-VStG am 1.1.2012 in Kraft getreten), dass abweichend von § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V bei einer erstmaligen Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH eine individuelle Beratung nach § 106 Abs 5a Satz 1 SGB V erfolgt(Satz 1 aaO). Der hierdurch vorgegebene Vorrang der individuellen Beratung vor einer Regressfestsetzung ("Beratung vor Regress") findet im zu beurteilenden Prüfverfahren jedoch (noch) keine Anwendung. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass § 106 Abs 5e SGB V nach seinem Satz 7 auch für (Prüf-)Verfahren gilt, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren. Diese Geltungsanordnung wurde erst mit Wirkung zum 26.10.2012 eingefügt (durch Art 12b Nr 3 des Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 19.10.2012, BGBl I 2192, 2226) und betrifft nur Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse, die nach dem 25.10.2012 ergangen sind.

23

a. Der Senat folgt allerdings nicht der Auffassung des Beklagten, dass der in § 106 Abs 5e SGB V bestimmte Beratungsvorrang schon deswegen keine Anwendung finden kann, weil die durch § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V angeordnete Erstreckung der Norm auch auf vor ihrem Inkrafttreten zum 1.1.2012 liegende Prüfungszeiträume eine verfassungswidrige Rückwirkung zu Lasten der Krankenkassen beinhaltet.

24

aa. Der Senat kann offenlassen, ob dieser gesetzlichen Regelung im Sinne der Terminologie des BVerfG echte Rückwirkung zukommt, die grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar ist, oder lediglich eine unechte Rückwirkung vorliegt, die grundsätzlich zulässig ist (s hierzu BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 40 mwN). Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Sachverhalte eingreift, eine unechte Rückwirkung dann, wenn eine Rechtsnorm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (vgl BVerfGE 132, 302, 318 mwN; s auch BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 41 mwN; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 46; BSG Urteil vom 19.2.2014 - B 6 KA 10/13 R -RdNr 44, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-2500 § 85 Nr 79). Bei dieser Abgrenzung ist auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe (Verkündung) der Norm abzustellen (vgl BVerfGE 132, 302, 318; BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 46).

25

Allerdings spricht nach der Rechtsprechung des Senats zur Maßgeblichkeit des im jeweils zu prüfenden Zeitraum geltenden Rechts (s hierzu 2.b.aa.) viel dafür, dass § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V echte Rückwirkung entfaltet, indem die Norm die Anwendung des zum 1.1.2012 in Kraft getretenen Beratungsvorrangs auch auf bereits abgeschlossene Prüfungszeiträume anordnet. Die Annahme des Klägers, dass es sich bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht um einen bereits in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt im Sinne der zitierten Rechtsprechung handele, sondern ein solcher erst nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten und der Festsetzung des Regressbetrages durch die Prüfungsstelle vorliege, überzeugt nicht. Zwar ist der Satzteil "nach Feststellung durch die Prüfungsstelle" in § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V in dem Sinne zu verstehen, dass sich die Erstattungspflicht nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, sondern die Festsetzung eines entsprechenden Regressbetrages durch einen Verwaltungsakt der Prüfgremien voraussetzt. Für das Vorliegen eines "abgeschlossenen Sachverhalts" ist dies jedoch ohne Bedeutung, denn die Umstände, die zu einer Regressverpflichtung geführt haben, liegen sämtlich in der Vergangenheit und sind abgeschlossen. Dies gilt nicht allein für die den Regress "auslösende" Handlung - die Verordnung von Arznei- oder Heilmitteln in einem das RGVol weit überschreitenden Umfang -, sondern auch für alle anderen maßgeblichen Umstände, insbesondere solche, die - wie Praxisbesonderheiten - den Umfang der Verordnungen begründen bzw rechtfertigen könnten. So treffen die Prüfgremien zwar erst im Prüfverfahren die Entscheidung, ob und welche Praxisbesonderheiten sie anerkennen, doch betrifft dies lediglich die Würdigung der Umstände; der zu prüfende Sachverhalt selbst einschließlich der Umstände bzw Tatsachen, die zur Begründung des Vorliegens einer Praxisbesonderheit herangezogen werden können, liegt - abgeschlossen - in der Vergangenheit. Im Rahmen der Prüfung zu berücksichtigende Umstände können nur solche sein, die im jeweiligen Prüfungszeitraum vorgelegen haben. Im Übrigen ist auch der Senat davon ausgegangen, dass Prüfungszeiträume vor Inkrafttreten einer Gesetzesänderung "abgeschlossen" waren (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 15).

26

bb. Auch bei Annahme einer echten Rückwirkung wäre diese jedoch zulässig, weil sich der Umstand, dass die nach bisherigem Recht zwingende Festsetzung eines Regresses auch in Bezug auf bereits abgeschlossene Prüfungszeiträume durch eine bloße Beratung ersetzt wird, allein zu Lasten der Krankenkassen auswirkt. Zwar führt die Regelung dazu, dass diese Erstattungsbeträge nicht erhalten, mit denen sie bei Zugrundelegung der bisherigen Rechtslage rechnen konnten. Krankenkassen können sich als Körperschaften des öffentlichen Rechts und damit als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung jedoch nicht darauf berufen, dass einer sie belastenden Norm unzulässige Rückwirkung zukommt (offengelassen von BSGE 90, 231, 258 = SozR 4-2500 § 266 Nr 1, RdNr 80 im Zusammenhang mit der Korrektur von Zahlungen aus dem Risikostrukturausgleich).

27

Die Grenzen zulässiger Rückwirkung von Gesetzen hat das BVerfG aus dem grundrechtlich verorteten Vertrauensschutz und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet (vgl zB BVerfGE 109, 133, 181; BVerfGE 126, 369, 393 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 75; BVerfGE 131, 20, 38; zuletzt BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 63). Das Verbot rückwirkender belastender Gesetze schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte (BVerfGE 132, 302, 317 mwN; zuletzt BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 63). Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des Grundgesetzes, unter deren Schutz Sachverhalte "ins Werk gesetzt" worden sind (BVerf GE 127, 1, 16; BVerfGE 132, 302, 317 mwN; zuletzt BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 63).

28

Auf Grundrechte können sich Krankenkassen jedoch nicht berufen. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG sind die Grundrechte (grundsätzlich) ihrem Wesen nach nicht auf juristische Personen des öffentlichen Rechts anwendbar, soweit diese öffentliche Aufgaben wahrnehmen (BVerfGE 39, 302, 312 f - Krankenkassen; BVerfGE 62, 354, 369 = SozR 2200 § 368n Nr 25 S 70 f - KÄVen; BVerfGE 68, 193, 206 - Zahntechnikerinnungen; BVerfGE 70, 1, 15 = SozR 2200 §376d Nr 1 S 1; BVerfG Beschluss vom 7.6.1991 - 1 BvR 1707/88 - Juris, RdNr 2 - Krankenkassenverbände; BVerfG SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 14 - Krankenkassen; BVerfG BVerfGK 3, 300 - Krankenkassen; BVerfG SozR 4-2500 § 4 Nr 1 RdNr 3 - Krankenkassen; zuletzt BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 4 = NVwZ-RR 2009, 361 - Krankenkassen). Die Grundrechtsberechtigung hängt namentlich von der Funktion ab, in der die juristische Person von dem beanstandeten Akt der öffentlichen Gewalt betroffen wird; besteht diese Funktion in der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener und geregelter Aufgaben, so kann eine juristische Person sich insoweit nicht auf Grundrechte berufen (BVerfGE 68, 193, 208; BVerfGE 70, 1, 15 = SozR 2200 § 376d Nr 1 S 1; BVerfG , SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 14; zuletzt BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 4).

29

Dies ist vorliegend der Fall. Die gesetzlichen Krankenkassen sind durch den mit Rückwirkung angeordneten Vorrang der Beratung vor einer Regressfestsetzung in ihrer Funktion als Träger öffentlicher, vom Staat durch Gesetz übertragener und geregelter Aufgaben betroffen. Sie sind "dem Staat eingegliederte Körperschaften des öffentlichen Rechts, die Aufgaben in mittelbarer Staatsverwaltung wahrnehmen" (BVerfGE 39, 302, 313). Die Hauptaufgabe der gesetzlichen Krankenkassen besteht im Vollzug einer zwecks Erfüllung der staatlichen Grundaufgabe "Schutz in Fällen von Krankheit" geschaffenen detaillierten Sozialgesetzgebung (BVerfGE 39, 302, 313; BVerfG SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 17; BVerfG , Nichtannahmebeschluss vom 11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 6). Sie besteht darin, als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung öffentlich-rechtlich geregelten Krankenversicherungsschutz für die Versicherten zu gewähren (BVerfG SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 20; BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 6). Untrennbarer Teil dieser Aufgabe sind auch die sich aus dem Leistungserbringungsrecht ergebenden Rechte und Pflichten der Krankenkassen. Für Krankenkassen gibt es - anders als für Universitäten und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten - keine besondere Zuordnung zu dem durch Grundrechte geschützten Lebensbereich (BVerfGE 39, 302, 314; BVerfG SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 28; BVerfGK 3, 300 mwN). Auch sind sie nicht schon deshalb einem grundrechtlich geschützten Lebensbereich zugeordnet, weil ihnen Selbstverwaltungsrechte (vgl § 4 Abs 1 SGB V sowie § 29 Abs 1 SGB IV)zustehen (vgl BVerfGE 68, 193, 207; BVerfG SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 24; BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 6).

30

Entgegen der Auffassung des Beklagten sind die Rückwirkungsgrundsätze auch nicht deswegen auf gesetzliche Krankenkassen anwendbar, weil das Rückwirkungsverbot nicht allein aus Grundrechten, sondern auch aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet wird. Die Annahme, dass aus der Geltung des Rechtsstaatsprinzips grundsätzlich für "jedermann" (vgl zB BVerfGE 87, 48, 63, mwN: "Die rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, die für jedermann gelten ..."), zugleich folge, dass sich auch juristische Personen des öffentlichen Rechts hierauf berufen können, geht fehl. In Bezug auf die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden hat das BVerfG ausdrücklich klargestellt, dass unter dem gemäß Art 93 Abs 1 Nr 4a GG, § 90 Abs 1 BVerfGG zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde berechtigten "jedermann" nur derjenige zu verstehen ist, der Träger von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten - also grundrechtsfähig - ist(BVerfGK 16, 449, 454 f = Juris RdNr 17).

31

Auch dem Gesamtzusammenhang der Rechtsprechung des BVerfG zum Rückwirkungsverbot ist zu entnehmen, dass sich nur (natürliche oder juristische) Personen hierauf berufen können, wenn - bzw soweit - diese auch Träger von Grundrechten sind. Das BVerfG hat in Bezug auf das Rückwirkungsverbot immer wieder auf die "Freiheitssphäre" des Bürgers abgehoben, in die durch rückwirkende Gesetze eingegriffen werde: "Die Grundrechte wie auch das Rechtsstaatsprinzip garantieren im Zusammenwirken die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und damit als eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Es würde Einzelne in ihrer Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an ihr Verhalten oder an sie betreffende Umstände ohne Weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt ihres rechtserheblichen Verhaltens galten" (BVerfGE 127, 1, 16 mwN; BVerfGE 131, 20, 38 f; BVerfGE 132, 302, 317; zuletzt BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 63). Zudem hat das Gericht ausdrücklich betont, dass vorrangiger Prüfungsmaßstab bei einer echten Rückwirkung die Grundrechte sind, und dass "in die insoweit erforderliche grundrechtliche Bewertung die allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzipien des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit, aber auch der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich in der Weise ein(fließen), wie dies allgemein bei der Auslegung und Anwendung von Grundrechten im Hinblick auf die Fragen des materiellen Rechts geschieht" (BVerfGE 76, 256, 347). Im dargelegten Rahmen sei das Rechtsstaatsprinzip zu beachten, hinter dem letztlich der Gedanke der Freiheitsgewähr stehe (BVerfGE aaO; in diesem Sinne auch BVerfGE 109, 133, 180, in dem ausdrücklich der "(Staats-)Bürger" angesprochen wird).

32

Da die Krankenkassen wie auch die KÄVen an dieser grundrechtlich geschützten Freiheitsphäre nicht partizipieren, sind sie nicht nur prozessual gehindert, die Beachtung des Rückwirkungsverbotes über die Verfassungsbeschwerde durchzusetzen, sondern sie haben auch materiell keine Rechtsposition inne, die verfassungsrechtlich gegen rückwirkende Verschlechterungen geschützt wäre.

33

Entgegen der Auffassung des Beklagten berührt die Regelung auch nicht die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen, wobei dahingestellt bleiben kann, ob bzw unter welchen Voraussetzungen die Krankenkassen verfassungsrechtlich gegen rückwirkende Änderungen der Grundlagen ihrer Finanzierung geschützt sind. Anders als die Bestimmungen über die Degression (vgl BSGE 80, 223, 226 f = SozR 3-2500 § 85 Nr 22 S 136 f; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 48 RdNr 12), dienen die Regresse wegen der Überschreitung des RGVol nicht vorrangig der Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung durch Erzielung von Einsparungen. Ihr Zweck ist nicht die Refinanzierung der von den Krankenkassen zu tragenden Arzneimittelkosten, sondern sie haben in erster Linie Lenkungscharakter, weil sie die Vertragsärzte veranlassen sollen, die in den RGVol konkretisierten Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes zu beachten. Wenn der Gesetzgeber den schon seit Jahren im Gesetz niedergelegten Grundsatz "Beratung vor Regress" (§ 106 Abs 5 Satz 2 SGB V), den die Rechtsprechung des Senats bisher als Sollvorschrift angesehen hat (stRspr, zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 27 mwN; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 23), strikter ausgestaltet und einen ausnahmslos greifenden Vorrang der Beratung vor einem Regress bei erstmaliger Überschreitung der RGVol normiert, schwächt das deutlich die Position der Kassen und der Prüfgremien bei der Durchsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebotes bei der Verordnung von Arznei- und Heilmitteln; auf verfassungsrechtliche Grenzen stößt der Gesetzgeber insoweit jedoch nicht.

34

b. Ungeachtet der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Norm steht § 106 Abs 5e SGB V vorliegend jedoch schon deswegen einer Regressfestsetzung nicht entgegen, weil die Regelung auf Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse, die - wie hier - vor dem 26.10.2012 ergangen sind, noch keine Anwendung findet. Hierfür sind folgende Gesichtspunkte maßgebend:

35

§ 106 Abs 5e SGB V in der vom 1.1.2012 bis zum 25.10.2012 geltenden Fassung war nur für Prüfverfahren maßgeblich, die Prüfungszeiträume nach dem Inkrafttreten der Norm betrafen, weil nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich das im Prüfungszeitraum geltende Recht maßgeblich ist (aa.). Etwas anderes gilt nur, wenn es ausdrücklich angeordnet ist; derartiges war § 106 Abs 5e SGB V in der bis zum 26.10.2012 geltenden Fassung nicht zu entnehmen (bb.). Eine solche ausdrückliche Geltungsanordnung in Bezug auf zurückliegende Prüfungszeiträume enthält (erst) der nachträglich (durch Art 12b Nr 3 des Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 19.10.2012, BGBl I 2192, 2226) angefügte und gemäß Art 15 Abs 1 des Gesetzes am 26.10.2012 in Kraft getretene § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V; dieser bestimmt, dass Abs 5e aaO auch für Verfahren gilt, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren (cc.). Dem Ergebnis, dass erst Satz 7 aaO eine Rückbezüglichkeit der Regelungen des § 106 Abs 5e SGB V bewirkt hat, stehen auch die Grundsätze des intertemporalen Rechts nicht entgegen(dd.). § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V war allerdings zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten noch nicht in Kraft getreten und daher noch nicht zu beachten(ee.).

36

aa. Für die rechtliche Beurteilung, welche Rechtsfolgen sich aus einer Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH ergeben, ist grundsätzlich das im jeweiligen Prüfungszeitraum geltende Recht maßgeblich; bis zum Inkrafttreten des § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V galt dies auch für die Anwendung des § 106 Abs 5e SGB V.

37

(1) Die Rechtmäßigkeit von Regressfestsetzungen und anderen Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung beurteilt sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats nach dem im jeweiligen Prüfungszeitraum geltenden Recht. Danach sind für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnungs- oder Behandlungsweise in Prüfungszeiträumen, die vor Inkrafttreten einer Gesetzesänderung abgeschlossen waren, die zum früheren Zeitpunkt geltenden Rechtsvorschriften maßgeblich, wenn diese ohne Übergangsbestimmungen in Kraft getreten sind (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 15). Jedenfalls soweit es die materiell-rechtlichen Vorgaben der Wirtschaftlichkeitsprüfung betrifft, es also um die Frage geht, nach welchen Grundsätzen diese Prüfung stattfindet und was ihr Gegenstand ist, richtet sich dies nach den Vorschriften, die im jeweils geprüften Zeitraum gegolten haben (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 16). Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn es gesetzlich ausdrücklich angeordnet ist.

38

Auf diese Entscheidung hat der Senat nachfolgend Bezug genommen und - konkret auf § 106 Abs 5e SGB V bezogen - ausgeführt, dass diese Vorschrift nur für Prüfverfahren gilt, die Zeiträume nach ihrem Inkrafttreten betreffen(BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 36 RdNr 12). Zu ergänzen ist, dass der Senat in zahlreichen Entscheidungen zu § 106 SGB V auf das für den jeweiligen Prüfungszeitraum maßgebliche Recht abgestellt hat, auch ohne dies näher zu begründen(vgl aus jüngerer Zeit zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 30 RdNr 10; BSGE 113, 123 = SozR 4-2500 § 106 Nr 40, RdNr 15; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 41 RdNr 12).

39

(2) Etwas anderes gilt nach der Senatsrechtsprechung lediglich dann, wenn es um die Gestaltung des Prüfverfahrens als solches geht, etwa wenn der Normgeber ohne Erlass von Übergangsbestimmungen die Vorschriften über die Zusammensetzung der für die Wirtschaftlichkeitsprüfung zuständigen Verwaltungsstelle (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 15 unter Bezugnahme auf BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5, RdNr 9) oder andere Vorschriften über das formelle Verfahren ändert. Dies betrifft etwa Regelungen über die Zuständigkeit, die Besetzung von Verwaltungsstellen, das Verfahren bzw die Form von Entscheidungen. Verfahrensvorschriften werden nach allgemeinen Grundsätzen mit ihrem Inkrafttreten unmittelbar wirksam (BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5, RdNr 9).

40

Bei der in § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V normierten Suspendierung von Regressen, denen keine Beratung vorangegangen ist, handelt es sich jedoch nicht um derartige Verfahrensvorschriften. Vielmehr betrifft die Regelung die Durchführung des Prüfverfahrens als solches und damit materielles Recht (so auch Scholz in Becker/Kingreen, SGB V, 3. Aufl 2012, § 106 RdNr 33; zur Annahme einer materiell-rechtlichen Regelung neigt auch Weinrich, GesR 2014, 390, 394; vgl auch Clemens in jurisPK-SGB V, 2. Aufl 2012, § 106 RdNr 238): Der Grundsatz "Beratung vor Regress" lässt sich den in der (zitierten) Senatsrechtsprechung angesprochenen "Grundsätzen" zuordnen, "nach welchen … diese Prüfung stattfindet". Das ergibt sich schon daraus, dass die "Beratung" nach Überschreitung des RGVol eine Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung darstellt, die der Arzt gerichtlich überprüfen lassen kann (s hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 41 RdNr 10 f), die also ersichtlich nicht nur verfahrenstechnische Bedeutung hat. Unabhängig davon, ob man § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V als Regelung der Voraussetzungen für die Festsetzung von Regressen versteht (nur bei mehrmaliger Überschreitung zulässig) oder als Regelung der Voraussetzungen für die Durchführung einer Beratung (nur bei erstmaliger Überschreitung), bestimmt die Norm die Voraussetzungen, unter denen eine Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung erfolgen kann bzw muss. Versteht man § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V hingegen allein als Regelung einer Rechtsfolge, indem vorgegeben wird, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtsfolge "Regressfestsetzung" durch die Rechtsfolge "Beratung" ersetzt wird, ändert sich nichts: Die Rechtsfolge ist - quasi als "Kehrseite" der Tatbestandsvoraussetzungen - Teil des materiellen Rechts.

41

(3) Der Maßgeblichkeit des im Prüfungszeitraum geltenden Rechts steht auch nicht entgegen, dass üblicherweise bei einer Anfechtungsklage als maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung ihrer Begründetheit die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Verwaltungsaktes bzw des Widerspruchsbescheides angenommen wird (vgl die Nachweise bei Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 33). Zunächst ist dem geltenden Recht kein "allgemeiner Grundsatz" zu entnehmen, wonach für die Beurteilung von Anfechtungsklagen (zwingend) die zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung geltende Rechtslage maßgeblich ist (so schon BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 7 S 17). Der Rückgriff auf die Klageart zur Bestimmung des anzuwendenden Rechts entspricht lediglich einer "Faustregel" mit praktisch einleuchtenden Ergebnissen (BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 7 S 17; BSG SozR 4-4300 § 335 Nr 1 RdNr 12 mwN; in diesem Sinne auch BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 1 RdNr 5 = Juris 10).

42

Zudem kommt für die materiell-rechtlichen Regelungen der Wirtschaftlichkeitsprüfung der Zeitpunkt der (letzten) Verwaltungsentscheidung als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtslage schon aus Sachgründen nicht in Betracht. Bei den im Falle eines Verstoßes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verhängten Prüfmaßnahmen handelt es sich um Reaktionen auf ein nicht den gesetzlichen (konkret den §§ 12 Abs 1, 70 Abs 1 Satz 2, 72 Abs 2 SGB V)und den vertraglichen Anforderungen entsprechendes Verhalten des Arztes. Daher muss der Vertragsarzt bereits zu Beginn des jeweiligen Prüfungszeitraums erkennen können, welche Regelungen für ihn insoweit maßgeblich sind, da er nur so sein Verhalten darauf einstellen kann. Es liegt auf der Hand, dass das Behandlungs- oder Verordnungsverhalten eines Arztes nicht nach Maßstäben beurteilt werden kann, die erst im Laufe des Verwaltungsverfahrens in Kraft getreten sind, bei Vornahme der - den Gegenstand der Prüfung bildenden - Verordnungen aber noch nicht galten. Soweit der Senat in einer Entscheidung vom 24.11.1993 für die rechtliche Beurteilung einer auf die Behandlungsweise bezogenen Wirtschaftlichkeitsprüfung auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abgestellt hat (s BSG SozR 3-2200 § 368n Nr 6 S 13 f), hält er hieran nicht mehr fest.

43

bb. Nach der Rechtsprechung des Senats wie auch nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts (s 2.b.dd) kommt die Anwendung anderer Vorschriften als derjenigen, die im Prüfungszeitraum gegolten haben, nur dann in Betracht, wenn dies gesetzlich ausdrücklich angeordnet ist (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 16). Dass § 106 Abs 5e SGB V in der bis zum 25.10.2012 geltenden Fassung auch für Prüfverfahren Geltung besitzen sollte, die vor dem Inkrafttreten der Norm am 1.1.2012 liegende Prüfungszeiträume betreffen, ist jedoch weder der Norm selbst noch den Gesetzesmaterialien zu entnehmen. Das Gesetz enthält insoweit keinerlei Regelungen, die die Anwendung der Norm auf in der Vergangenheit liegende Sachverhalte anordnen; auch der Gesetzesbegründung zum GKV-VStG lässt sich kein dahingehender Wille des Gesetzgebers entnehmen, dass das neue Recht mit sofortiger Wirkung auf alle noch "offenen" Prüfverfahren Anwendung finden sollte, da sie sich hierzu überhaupt nicht verhält. Die im Zusammenhang mit der nachträglichen Einfügung des § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V geäußerte gegenteilige Auffassung des Gesetzgebers ("Klarstellung") vermag hieran nichts zu ändern(s hierzu 2.b.cc.(1)).

44

cc. Eine gesetzliche Anordnung des Inhalts, dass der Beratungsvorrang auch auf Prüfverfahren Anwendung finden soll, die bereits abgeschlossene Prüfungszeiträume betreffen, enthält erst der am 26.10.2012 in Kraft getretene § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V. Dieser bestimmt, dass der in § 106 Abs 5e SGB V geregelte Vorrang einer individuellen Beratung vor einer Regressfestsetzung für alle Verfahren der Richtgrößenprüfung gilt, die nicht bis zum 31.12.2011 durch einen Bescheid des Beschwerdeausschusses abgeschlossen waren.

45

(1) § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V enthält allerdings keine bloße Klarstellung, sondern eine Änderung der Rechtslage in Form einer ausdrücklichen - konstitutiven - gesetzlichen Geltungsanordnung(in diesem Sinne bereits Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2014, § 106 RdNr 218b; s auch SG Marburg Beschluss vom 16.12.2013 - S 12 KA 565/13 ER - Juris, RdNr 18: "rückwirkend … in Kraft gesetzt …"; zweifelnd auch BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 36 RdNr 12: "(unterstellt) klarstellende Neuregelung"; aA Weinrich, GesR 2014, 390, 394; Christophers, ZMGR 2014, 11, 13). Zwar heißt es in der Satz 7 aaO betreffenden Gesetzesbegründung (Ausschussbericht zum Gesetz vom 19.10.2012, BT-​Drucks 17/10156, S 95): "Klarstellung zur Rechtslage. Der Grundsatz 'Beratung vor Regress' gilt ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des GKV-​VStG am 1. Januar 2012 für alle laufenden und nachfolgenden Verfahren der Prüfgremien - auch soweit sie zurückliegende Prüfungszeiträume betreffen." Diese Annahme geht jedoch fehl.

46

Eine Klarstellung setzt voraus, dass etwas dem Grunde nach bereits angelegt ist und nur vorsorglich noch einmal verdeutlicht werden soll, dass dies so ist. Dies ist in Bezug auf die in Satz 7 aaO getroffene Regelung, dass § 106 Abs 5e SGB V auch für Verfahren gilt, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren, jedoch nicht der Fall. § 106 Abs 5e SGB V fand - vor Einfügung des Satzes 7 aaO als einer ausdrücklichen Geltungsanordnung - gerade keine Anwendung auf Verfahren, welche vor dem 1.1.2012 liegende Prüfungszeiträume betreffen, weil nach der Rechtsprechung des Senats für Wirtschaftlichkeitsprüfungen das im jeweiligen Prüfungszeitraum geltende Recht maßgeblich ist und § 106 Abs 5e SGB V in der bis zum 26.10.2012 geltenden Fassung keinerlei Anhaltspunkte für eine rückbezügliche Wirkung der Norm enthielt.

47

Die Auffassung des Gesetzgebers, eine Vorschrift habe lediglich klarstellenden Charakter, ist für die Gerichte nicht verbindlich (BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 47, unter Hinweis auf BVerfGE 126, 369, 392). Sie schränkt weder die Kontrollrechte und -pflichten der Fachgerichte und des BVerfG ein noch relativiert sie die für sie maßgeblichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe, denn zur verbindlichen Auslegung einer Norm ist letztlich allein die rechtsprechende Gewalt berufen (BVerfGE 126, 369, 392 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 73; BVerfGE 131, 20, 37). Eine vom Gesetzgeber beanspruchte Befugnis zur "authentischen" Interpretation wird daher von der Verfassungsgerichtsbarkeit nicht anerkannt (vgl BVerfGE 65, 196, 215; BVerfGE 111, 54, 107; BVerfGE 126, 369, 392 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 73; BVerfGE 131, 20, 37; BVerfG Beschluss vom 17.12.2013, aaO RdNr 48). Dies gilt auch für die Frage, ob eine Regelung konstitutiv ist oder nur klarstellt, was nach Ansicht des Gesetzgebers ohnedies gegolten hat (BVerfGE 126, 369, 392 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 73). Dabei genügt für die Beantwortung der Frage, ob eine rückwirkende Regelung konstitutiven Charakter hat, die Feststellung, dass die geänderte Norm von den Gerichten nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung in einem Sinn ausgelegt werden konnte und ausgelegt worden ist, die mit der Neuregelung ausgeschlossen werden soll (BVerfGE 131, 20, 37 f; BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 52, 55 f). Dies ist vorliegend der Fall.

48

(2) Regelungsinhalt des § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V ist es, anzuordnen, dass die in den vorangehenden Sätzen des Abs 5e aaO enthaltenen Regelungen auch für (Prüf-)Verfahren gelten, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren. Unter "Verfahren" im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V ist das Verwaltungsverfahren zu verstehen. Zwar ließe der Gesetzeswortlaut eine Auslegung dahingehend zu, dass Verfahren jeder Art - dh sowohl das Verwaltungsverfahren als auch das Gerichtsverfahren - erfasst werden sollen. Jedoch ergibt sich aus dem Regelungszusammenhang in Verbindung mit der Gesetzesbegründung, dass die Geltungsanordnung nicht bereits bei Gericht anhängige Verfahren erfassen soll (ebenso LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 19.2.2013 - L 5 KA 222/13 ER-B - MedR 2013, 758, 761 = Juris, RdNr 36; Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2014, § 106 RdNr 218c; s auch Weinrich, GesR 2014, 390). Dass mit dem Begriff "Verfahren" im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V allein das Verwaltungsverfahren gemeint ist, folgt bereits daraus, dass sich die Regelung an die Prüfgremien - dh an die "Verwaltung" - richtet(Engelhard aaO). Zudem hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung (Ausschussbericht zum Gesetz vom 19.10.2012, BT-​Drucks 17/10156, S 95) verdeutlicht, dass die Neuregelung für ein bereits vor dem Inkrafttreten abgeschlossenes Widerspruchsverfahren nicht gilt, "auch wenn eine Klage gegen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses noch anhängig ist".

49

Soweit der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang darauf verwiesen hat, dass "insoweit" die allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätze gelten, dürfte der Gesetzgeber den "Grundsatz" (bzw die "Faustregel") im Blick gehabt haben, dass der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung für die Beurteilung der Rechtslage maßgeblich ist; dies bestätigen die weiteren Ausführungen in der Gesetzesbegründung (aaO), dass die Prüfgremien "das zum Zeitpunkt ihrer abschließenden Entscheidung geltende Recht" anzuwenden hätten. Dies bestätigt ebenfalls die Annahme, dass mit "Verfahren" nur das Verwaltungsverfahren gemeint ist. Das Verwaltungsverfahren wiederum umfasst sowohl das Verfahren vor der Prüfungsstelle als auch das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss, da es sich bei dem Beschwerdeverfahren um ein eigenständiges und umfassendes Verwaltungsverfahren in einer zweiten Verwaltungsinstanz handelt (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 42 RdNr 22 mwN).

50

"Abgeschlossen" ist das Verfahren mit seiner "Beendigung", im verfahrensrechtlichen Sinne also - sofern es sich nicht anderweitig erledigt oder beendet wird - mit Erlass des Verwaltungsaktes (Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Juni 2014, § 8 RdNr 13 und § 18 RdNr 1), das Widerspruchsverfahren entsprechend mit Erlass des Widerspruchsbescheides. Darauf, ob das Verfahren "bestandskräftig" abgeschlossenen ist, kommt es nicht an (so zutreffend Mutschler in Kasseler Komm, Stand 1.6.2014, § 8 SGB X RdNr 11, unter Hinweis darauf, dass die Behörde nach dem Erlass des Verwaltungsaktes nichts mehr tun kann; ebenso Vogelsang in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Juni 2014, § 8 RdNr 13). Somit findet die Neuregelung dann keine Anwendung, wenn ein - verwaltungsverfahrensrechtlich vor dem in § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V genannten Zeitpunkt abgeschlossenes - Verfahren durch gerichtliche Entscheidung zur erneuten Entscheidung an den Beschwerdeausschuss zurückverwiesen wird(Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2014, § 106 RdNr 218d), da es allein darauf ankommt, ob das Widerspruchsverfahren bei Inkrafttreten der Neuregelung abgeschlossen war oder nicht.

51

dd. Eine Heranziehung der Grundsätze des intertemporalen Rechts führt entgegen der Auffassung des Klägers zu keiner anderen Beurteilung.

52

(1) Nach der Rechtsprechung des BSG gilt bei Rechtsänderungen grundsätzlich das Versicherungsfall- bzw Leistungsfallprinzip. Hiernach ist ein Rechtssatz nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden; spätere Änderungen eines Rechtssatzes sind danach für die Beurteilung von vor seinem Inkrafttreten entstandene Lebensverhältnisse unerheblich, es sei denn, dass das Gesetz seine zeitliche Geltung auf solche Verhältnisse erstreckt (vgl zB BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 11/12 R - Juris, RdNr 42; zuletzt BSG Urteil vom 5.3.2014 - B 12 R 1/12 R - SozR 4-2400 § 26 Nr 3 RdNr 21). Dementsprechend geht das BSG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw Rechtsverhältnisse grundsätzlich nach dem Recht beurteilen, das zur Zeit des Vorliegens der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat (vgl BSG SozR 4-4300 § 335 Nr 1 RdNr 13; BSG SozR 4-5910 § 111 Nr 1 RdNr 9; BSGE 111, 268 = SozR 4-2400 § 24 Nr 7, RdNr 12; BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 11/12 R - Juris, RdNr 42; zuletzt BSG Urteil vom 5.3.2014 - B 12 R 1/12 R - SozR 4-2400 § 26 Nr 3 RdNr 21). Das Versicherungsfall- bzw Leistungsfallprinzip ist allerdings nicht anzuwenden, soweit später in Kraft gesetztes Recht ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimmt; dann kommt der Grundsatz der sofortigen Anwendung des neuen Rechts auch auf nach altem Recht entstandene Rechte und Rechtsverhältnisse zum Tragen (BSG SozR 4-4300 § 335 Nr 1 RdNr 13; BSG SozR 4-5910 § 111 Nr 1 RdNr 9; BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 11/12 R - Juris, RdNr 43; zuletzt BSG SozR 4-2400 § 26 Nr 3 RdNr 21). Welcher der genannten Grundsätze des intertemporalen Rechts zur Anwendung gelangt, richtet sich letztlich danach, wie das einschlägige Recht ausgestaltet bzw auszulegen ist (BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 11/12 R - Juris, RdNr 44; zuletzt BSG SozR 4-2400 § 26 Nr 3 RdNr 21).

53

(2) Nach diesen - wegen der Besonderheiten des Vertragsarztrechts ohnehin nur sinngemäß übertragbaren - Maßstäben entspricht die Rechtsprechung des Senats zur Anwendbarkeit des im Prüfungszeitraum geltenden Rechts dem Versicherungsfall- bzw Leistungsfallprinzip. Den Grundsatz der sofortigen Anwendung des neuen Rechts zugrunde zu legen, kommt aus den bereits oben dargestellten Gründen nicht in Betracht, weil dem Gesetz - vor Einfügung des Satzes 7 aaO - weder ausdrücklich noch sinngemäß zu entnehmen war, dass die Regelungen über den Vorrang der Beratung auch auf abgeschlossene Prüfungszeiträume Anwendung finden sollten. Soweit in einzelnen - vom Kläger herangezogenen - Entscheidungen des BSG abweichende Maßstäbe zugrunde gelegt worden sind, ist dies auf Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets zurückzuführen.

54

ee. § 106 Abs 5e SGB V findet jedoch auch unter Berücksichtigung seines Satzes 7 ausschließlich auf (Prüf-)Verfahren Anwendung, in denen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses nach dem 25.10.2012 ergangen ist. Da Satz 7 aaO mit Wirkung zum 26.10.2012 in Kraft getreten ist, entzieht er den vor seinem Inkrafttreten nach altem Recht ergangenen Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse nicht die Grundlage; eine derartige Regelungsabsicht hat im Normtext in Verbindung mit der Regelung zum Inkrafttreten keinen hinreichenden Niederschlag gefunden:

55

Zwar enthält § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V eine ausdrückliche Geltungsanordnung des Inhalts, dass § 106 Abs 5e SGB V - entgegen der Rechtsprechung des Senats zum jeweils maßgeblichen Recht - auch auf Prüfungszeiträume Anwendung findet, die vor dem Inkrafttreten des Abs 5e am 1.1.2012 liegen, sofern die betreffenden Prüfverfahren am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren. Jedoch ist der Normbefehl insoweit nicht eindeutig, als Prüfverfahren betroffen sind, in denen die das Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung des Beschwerdeausschusses zwar nach dem 31.12.2011, jedoch vor Inkrafttreten des Satzes 7 aaO am 26.10.2012 - dem auf die Verkündung im Bundesgesetzblatt folgenden Tag (vgl Art 15 Abs 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften, BGBl I 2012, 2192, 2226) - ergangen ist. Der Norm selbst kann zwar der Wille des Normgebers entnommen werden, auch diese Konstellationen in die begünstigende Wirkung des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V einzubeziehen; dieser Annahme steht jedoch die Regelung zum Inkrafttreten der Geltungsanordnung am 26.10.2012 wie auch die Gesetzesbegründung selbst entgegen.

56

Der Gesetzgeber hätte § 106 Abs 5e Satz 7 SGB V rückwirkend zum 1.1.2012 in Kraft setzen und damit auch solchen, das Verfahren abschließenden Entscheidungen aus der "Zwischenzeit" die rechtliche Basis - soweit es auf die Beratung ankommt - entziehen können. Das hat er jedoch nicht getan. Zudem hat der Gesetzgeber in der Begründung (Ausschussbericht zum Gesetz vom 19.10.2012, BT-​Drucks 17/10156, S 95) darauf hingewiesen, dass er seine Regelung auf "noch nicht abgeschlossene Verfahren" beschränken will; auch hat er betont, dass die Prüfgremien das "zum Zeitpunkt ihrer abschließenden Entscheidung geltende Recht" an​zuwenden haben. Dabei ist möglicherweise nicht hinreichend gesehen worden, dass die Beschwerdeausschüsse bis zum Inkrafttreten des Satzes 7 aaO Verfahren "abschließen" und dabei das zum Zeitpunkt des jeweiligen Quartals geltende Recht anwenden mussten. Eine Regelungsabsicht, auch den auf dieser Basis ergangenen Bescheiden, die durchaus schon bestandskräftig geworden sein konnten, nachträglich rückwirkend die Grundlage zu entziehen, hat im Normtext in Verbindung mit der Regelung zum Inkrafttreten keinen hinreichenden Niederschlag gefunden. In den Gesetzesmaterialien fehlen Hinweise, wie insoweit mit bestandskräftig gewordenen Bescheiden umgegangen werden soll, also ob § 44 Abs 2 SGB X eingreifen oder die betroffenen Ärzte die Vollstreckung der Regresse der KÄV zu Gunsten der Krankenkassen mit vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfen abwehren können sollen, und ob schon bezahlte Regresse rückabgewickelt werden müssen. Deshalb ist Satz 7 aaO so zu verstehen, dass der Vorrang der Beratung nach § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V nicht für solche Verfahren gilt, die vor dem 1.1.2012 liegende Prüfungszeiträume betreffen und in denen die abschließende Entscheidung des Beschwerdeausschusses vor dem Inkrafttreten des Satzes 7 aaO am 26.10.2012 ergangen ist. Davon ist der hier zu entscheidende Fall erfasst, weil der Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses vom 19.9.2012 dem Kläger am 20.9.2012 bekanntgegeben wurde.

57

3. Im Übrigen fände § 106 Abs 5e SGB V selbst dann keine Anwendung, wenn die Norm auch für das vorliegend zu beurteilende Prüfverfahren Geltung besäße, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm nicht erfüllt sind. Angesichts vorangegangener Regresse in den Jahren 2006 und 2007 hat der Kläger sein RGVol nicht "erstmalig" im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V überschritten:

58

a. § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V setzt voraus, dass es sich bei der zur Beurteilung anstehenden Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH im Prüfungszeitraum 2008 um eine "erstmalige" Überschreitung gehandelt hat. Hierzu bedürfte es - entgegen der vom SG und vom Kläger vertretenen Auffassung - der Feststellung, dass es nicht bereits in vorangegangenen Prüfungszeiträumen mindestens einmal oder gar wiederholt zu derartigen Überschreitungen gekommen ist (in diesem Sinne schon LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 20.11.2013 - L 11 KA 81/13 B ER - Juris, RdNr 83; Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2014, § 106 RdNr 213b; aA LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 19.2.2013 - L 5 KA 222/13 ER-B - MedR 2013, 758, 761 = Juris, RdNr 39; SG Düsseldorf Urteil vom 3.4.2013 - S 2 KA 281/12 - Juris, RdNr 28; Rompf/Weinrich in Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, 6. Aufl, Stand April 2014, § 106 SGB V, RdNr C 106-24; Christophers, ZMGR 2014, 11, 12; Weinrich, GesR 2014, 390, 393). Der Kläger hat jedoch sein RGVol bei Heilmitteln im streitbefangenen Jahr 2008 nicht "erstmalig" im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V überschritten: Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des SG, die im Revisionsverfahren nicht mit Verfahrensrügen angegriffen werden können(§ 163 iVm § 161 Abs 4 SGG)und auch nicht angegriffen worden sind, sind gegen ihn auch für die Jahre 2006 und 2007 Regresse wegen Überschreitung des RGVol bei Heilmitteln festgesetzt worden.

59

b. Die dem SG-Urteil zugrunde liegende Vorstellung, unabhängig vom Verordnungsverhalten des Vertragsarztes in vorangegangenen Prüfungszeiträumen müsse ab dem 1.1.2012 weiteren Regressfestsetzungen immer eine förmliche Beratung vorangehen, trifft nicht zu.

60

Schlüssig wäre die Konzeption des SG nur, wenn anzunehmen wäre, der Gesetzgeber habe zum 1.1.2012 eine vollständige "Nullstellung" der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Richtgrößen bewirken und allen Ärzten ungeachtet ihres bisherigen Verordnungsverhaltens einen regressfreien Zeitraum verschaffen wollen (in diesem Sinne etwa Christophers, ZMGR 2014, 11, 12: "echte Kehrtwende"; Rompf/Weinrich in Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, 6. Aufl, Stand April 2014, § 106 SGB V, RdNr C 106-24: "Nullstellung"). Das ist dem Gesetz indessen nicht zu entnehmen. Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (BVerfGE 105, 135, 157; BVerfGE 133, 168, 205 f; BFHE 243, 287). Diese Auslegung bestätigt die Rechtsauffassung des Senats.

61

aa. Der Wortlaut des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V, der Ausgangspunkt der Auslegung ist(BVerfGE 133, 168, 205), ist in dem Sinne eindeutig, dass das Tatbestandsmerkmal einer "erstmaligen" Überschreitung nur dann gegeben ist, wenn der Vertragsarzt sein RGVol nicht bereits in vorangegangenen Prüfungszeiträumen überschritten hat. Der Begriff "erstmalig" - gleichbedeutend mit "erstmals" oder "zum ersten Mal" - meint schon nach allgemeinem Sprachgebrauch einen Vorgang, der zuvor noch nicht eingetreten ist, ist also im Sinne von "zum ersten Mal geschehend" zu verstehen (so auch LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 20.11.2013 - L 11 KA 81/13 B ER - Juris, RdNr 72); er bezieht sich auf das numerische Moment im Sinne einer zum ersten Mal geschehenden Überschreitung (LSG Nordrhein-Westfalen aaO RdNr 83). Ebenso eindeutig ist, dass sich der Begriff "erstmalig" auf den Umstand einer Überschreitung des RGVol bezieht ("erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent"). Die Annahmen, dass sich die "Erstmaligkeit" stattdessen - temporal - auf den Umstand einer "erstmaligen Beratung" oder auf das Inkrafttreten der Regelung über den Beratungsvorrang beziehen könnte, findet daher schon im Gesetzeswortlaut keine Stütze.

62

Die Annahme, dass sich das Tatbestandsmerkmal "erstmalig" auf einen nach Inkrafttreten der Regelung eingetretenen Umstand beziehen könnte, käme nur dann in Betracht, wenn es sich bei dem Umstand, auf dessen erstmaliges Auftreten es ankommt, um einen solchen handelt, dem bislang keine rechtliche Bedeutung zukam. Dies gilt etwa für den Begriff der "erstmaligen Besetzung" der Zulassungsgremien mit Vertretern der Psychotherapeuten (§ 95 Abs 13 Satz 2 SGB V), welcher sich naturgemäß auf die Zeit nach der Einbeziehung der psychologischen Psychotherapeuten in die Vertragsärztliche Versorgung bezieht. Demgegenüber nimmt der Begriff der "erstmaligen Überschreitung" Bezug auf die seit mehr als einem Jahrzehnt in § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V (bzw Satz 4 aaO aF) normierte Regelung(mit einer seit 1.1.1993 geltenden Vorläuferregelung in § 106 Abs 5a Satz 1 Halbsatz 2 SGB V aF), wonach bei einer Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH der Mehraufwand vom Arzt zu erstatten ist, sofern er nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Bezugspunkt ist daher hier ein Umstand, der seit langem Tatbestandsvoraussetzung für einen Regress ist. Neu ist allein, dass § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V - bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen - eine vom bisherigen Recht abweichende Rechtsfolge normiert, nämlich eine individuelle Beratung anstelle eines Regresses. Hierauf bezieht sich der Begriff "erstmalig" jedoch nicht.

63

Hätte der Gesetzgeber die Absicht verfolgt, den Begriff der "erstmaligen" Überschreitung vom Wortsinn bzw allgemeinen Sprachgebrauch abweichend auf das Inkrafttreten des § 106 Abs 5e SGB V (mithin auf nachfolgend eingetretene Überschreitungen) zu beziehen, wäre es zu erwarten gewesen, dass er dies ausdrücklich geregelt hätte. Die Absicht, ab Inkrafttreten der Neuregelung sowohl alle "künftigen" Überschreitungen als auch alle noch nicht abgeschlossenen Prüfverfahren einem Beratungsvorrang zu unterwerfen, hätte dann bereits in der "Grundnorm" zum Ausdruck kommen müssen (etwa: "Abweichend von Abs 5a Satz 3 erfolgt für alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Regelung noch nicht abgeschlossenen Prüfverfahren …").

64

bb. Unabhängig davon lässt sich den Gesetzesmaterialien kein Wille des Gesetzgebers entnehmen, den Grundsatz "Beratung vor Regress" ungeachtet des Tatbestandsmerkmals der "Erstmaligkeit" der Überschreitung auf alle ab dem 1.1.2012 (bzw dem 26.10.2012) von den Prüfgremien zu entscheidenden Regressverfahren anzuwenden. Vielmehr sollen nur "erstmalige" Überschreitungen in dem hier verstandenen Sinne privilegiert werden (so zutreffend LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 20.11.2013 - L 11 KA 81/13 B ER - Juris, RdNr 83).

65

(1) Sinn und Zweck der Einfügung des § 106 Abs 5e SGB V war es, Ärzte nach erstmaligem Überschreiten des RGVol nicht unmittelbar einem - trotz der betragsmäßigen Begrenzung durch § 106 Abs 5c Satz 7 SGB V wirtschaftlich belastenden - Regress auszusetzen, sondern ihnen über eine eingehende "Beratung" zunächst ohne finanzielle Konsequenzen für die Praxis die Möglichkeit zu geben, ihr Verordnungsverhalten bei Arznei- und Heilmitteln zu modifizieren. Zwar lässt sich den Gesetzesmaterialien zur Einfügung des § 106 Abs 5e SGB V durch das GKV-VStG wenig zu den Motiven des Gesetzgebers entnehmen; die Gesetzesbegründung erwähnt allein, dass im Bereich der Richtgrößen und der Wirtschaftlichkeitsprüfungen "Deregulierungen und Flexibilisierungen" erfolgten, die das Prinzip "Beratung vor Regress" stärkten und Versorgungsverbesserungen für die Versicherten bedeuteten (BT-Drucks 17/6906 S 46 unter "A. Allgemeiner Teil II.2.8. Weitere Maßnahmen des Gesetzes"). Jedoch hat der Gesetzgeber an anderer Stelle zu erkennen gegeben, welche Motive er mit derartigen Regelungen verfolgt: So hat er in der Gesetzesbegründung zum vorangegangenen Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (vom 22.12.2010, BT-Drucks 17/2413 S 29 zu Doppelbuchstabe bb = § 106 Abs 5c Satz 7)die in § 106 Abs 5c Satz 7 SGB V nF geregelte Begrenzung des Erstattungsbetrages auf 25 000 Euro im Falle erstmaliger Überschreitung damit begründet, dass diese Regelung sachgerecht sei, weil damit insbesondere junge Ärzte, die ihre Tätigkeit in der vertragsärztlichen Versorgung aufnehmen oder neue Versorgungsformen übernehmen, mehr Zeit hätten, sich auf die spezifischen Anforderungen des SGB V an die Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Verordnungen einzustellen.

66

Eines derartigen "Einstellens" auf die Anforderungen des SGB V bedarf es bei seit längerem in der vertragsärztlichen Versorgung tätigen Ärzten nicht. Selbst wenn man davon ausginge, dass der Gesetzgeber den Druck der Regressverfahren nicht allein in Bezug auf junge Ärzte, sondern in Bezug auf die Ärzteschaft insgesamt abmildern wollte, berechtigt dies nicht zu der Annahme, dass der Gesetzgeber auch Vertragsärzte privilegieren wollte, die seit längerem nicht im Einklang mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot tätig sind. Ärzte, die ggf schon seit Jahren ihr RGVol überschreiten und hinlänglich wissen, welcher Verordnungsumfang von der zuständigen Prüfungsstelle als wirtschaftlich angesehen wird, bedürfen einer solchen "Beratung" nicht; diese wäre vielmehr bloße Förmelei.

67

Die Annahme, dass der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 106 Abs 5e SGB V eine völlige "Nullstellung" der Richtgrößenprüfung beabsichtigt habe, findet weder im Gesetzeswortlaut einen Anhalt noch lässt sich den Gesetzesmaterialien ein derart weitgehender Wille des Gesetzgebers entnehmen. Es darf nicht aus dem Blick geraten, dass der Gesetzgeber mit den durch das GKV-VStG und dem nachfolgenden Gesetz vom 19.10.2012 normierten Änderungen nicht die Grundzüge der Richtgrößenprüfung in Frage gestellt oder diese Prüfmethode gar suspendiert, sondern mit der Einfügung des § 106 Abs 5e SGB V lediglich deren Folgen (weiter) abgeschwächt hat. Durch die Einfügung des Wortes "erstmalig" als Tatbestandsvoraussetzung für die Anwendung des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V hat er zudem verdeutlicht, dass diese Privilegierung allein den Ärzten zugutekommen soll, die bislang noch keine Veranlassung zu Prüfmaßnahmen gegeben haben.

68

Die vom SG vertretene Auffassung, eine "erstmalige" Überschreitung könne frühestens nach dem Inkrafttreten des § 106 Abs 5e SGB V - oder sogar erst nach einer vorangegangenen Beratung, dh erst bei zweimaliger Überschreitung des RGVol nach Inkrafttreten der Regelung - liegen, hätte nicht allein zur Folge, dass alle "zukünftigen" Überschreitungen zunächst lediglich eine Beratung nach sich zögen. Sie hätte darüber hinaus die Konsequenz, dass alle noch bei den Prüfgremien anhängigen Verfahren ohne Festsetzung eines Regresses zu beenden wären - selbst dann, wenn der betreffende Arzt sein RGVol in der Vergangenheit regelmäßig überschritten hätte, ohne dass dies durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigt gewesen wäre. Da die Vertragsärzte seit vielen Jahren Richtgrößen zu beachten haben, mithin seit langem die Möglichkeit (bzw die Gewissheit) besteht, dass einzelne von ihnen das RGVol überschreiten, würde die auf das Inkrafttreten der Neuregelung bezogene Erstmaligkeit einen "amnestie"-ähnlichen Charakter erhalten, weil damit sämtliche vorangegangenen Gesetzesverstöße bzw ihre Folgen suspendiert würden. Ein - sich aus einer derartigen Interpretation ergebenden - vollständiger Verzicht auf Regressfestsetzungen für sämtliche noch nicht abgeschlossenen Verfahren hätte einer ausdrücklichen Regelung bedurft.

69

(2) Auch aus der Gesetzesbegründung zum nachgeschobenen Satz 7 der Vorschrift ergibt sich nichts anderes. Diese verhält sich überhaupt nicht zur Frage der "Erstmaligkeit" der Überschreitung und musste dies auch nicht, weil Satz 7 aaO allein bestimmt, dass der Abs 5e "auch" für Verfahren gilt, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren. Gegenstand der (vermeintlichen) "Klarstellung" - und damit auch der entsprechenden Gesetzesbegründung - ist daher die generelle Frage, auf welche Verfahren § 106 Abs 5e SGB V überhaupt Anwendung findet, dh ob die Regelung nur zukünftige oder auch bereits laufende oder gar bereits durch Bescheide der Prüfgremien abgeschlossene Verfahren erfasst. Dass der Gesetzgeber mit Satz 7 aaO zugleich die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm ändern wollte, hat weder im Gesetzeswortlaut noch in der Gesetzesbegründung seinen Niederschlag gefunden.

70

Im Übrigen steht der in der Gesetzesbegründung (Ausschussbericht zum Gesetz vom 19.10.2012, BT-​Drucks 17/10156, S 95) geäußerte Wille, ab dem 1.1.2012 den Grundsatz "Beratung vor Regress" für alle laufenden und nachfolgenden Verfahren anzuwenden, auch wenn sie zurückliegende Zeiträume betreffen, nicht im Widerspruch zum Wortlaut des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V bzw zum Tatbestandsmerkmal "erstmalig" im hier verstandenen Sinne. Die Anwendung des "Grundsatzes" erfolgt in dem Rahmen, den er durch seine Konkretisierung bzw Präzisierung durch die gesetzlichen Vorgaben erhalten hat. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung des Grundsatzes "Beratung vor Regress" bestimmen sich nach § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V: Er gilt mithin für alle Verfahren - aber auch nur für diese -, in denen es "erstmalig" zu einer Überschreitung gekommen ist.

71

c. Erst recht vermag der Senat nicht der vom Kläger vertretenen Auffassung zu folgen, dass dem Tatbestandsmerkmal "erstmalig" deswegen keinerlei eigenständige Bedeutung zukomme, weil die Regelungsgehalte der Sätze 1 und 2 des § 106 Abs 5e SGB V (einerseits Beratungsvorrang nur bei erstmaliger Überschreitung, andererseits Regress erstmals nach Beratung) einander widersprächen und daher angesichts zweier möglicher Auslegungen dem subjektiven Willen des Gesetzgebers, den Beratungsvorrang auf jedes noch laufende Prüfverfahren zu erstrecken, durchschlagende Bedeutung zukomme (in diesem Sinne auch Weinrich, GesR 2014, 390, 392; Christophers, ZMGR 2014, 11, 12). Denn § 106 Abs 5e Satz 2 SGB V steht nicht im Widerspruch zu Satz 1 aaO. Nach § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V erfolgt abweichend von Abs 5a Satz 3 aaO bei einer erstmaligen Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH eine individuelle Beratung nach Abs 5a Satz 1. Hieran schließt Satz 2 aaO an, der bestimmt: "Ein Erstattungsbetrag kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfungszeitraum nach der Beratung festgesetzt werden." Beide Regelungen knüpfen damit an unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen unterschiedliche Rechtsfolgen: Während Satz 1 aaO für den Fall einer "erstmaligen Überschreitung" die Rechtsfolge "individuelle Beratung" vorgibt, bestimmt Satz 2 aaO, wann im Falle einer "künftigen Überschreitung" erstmals ein Regress festgesetzt werden darf.

72

Dass beide Regelungen einander nicht widersprechen, sondern vielmehr Satz 2 auf Satz 1 aaO aufbaut, bestätigt neben der systematischen Stellung des Satzes 2 aaO auch der Sachzusammenhang. So schließt der Begriff "künftig" in Satz 2 aaO an den Begriff "erstmalig" in Satz 1 aaO an: Eine "künftige" Überschreitung nach Satz 2 aaO ist mithin eine solche, die zeitlich später eintritt als die "erstmalige" Überschreitung im Sinne des Satzes 1 aaO. Zudem stellt Satz 2 aaO auf den Prüfungszeitraum "nach der Beratung" ab. Mit der dort genannten "Beratung" ist zweifelsfrei die Beratung gemeint, die nach Satz 1 aaO durchzuführen ist. Dies folgt zum einen aus der Verwendung des bestimmten Artikels ("der" Beratung) in Satz 2 aaO; wäre jedwede Beratung gemeint, wäre die Formulierung "nach einer Beratung" zu erwarten gewesen. Zum anderen entspricht allein diese Interpretation dem offensichtlichen Zweck der Regelung in Satz 2 aaO, sicherzustellen, dass die nach Satz 1 aaO vorgeschriebene individuelle Beratung sich auswirken kann: Der Vertragsarzt soll zunächst Gelegenheit bekommen, sein Verhalten gemäß dem Inhalt der Beratung umzustellen. Dies schließt es aus, nachfolgende ("künftige") Überschreitungen des RGVol zum Anlass für eine Regressfestsetzung zu nehmen, wenn es dabei um einen Prüfungszeitraum geht, der zeitlich vor dieser Beratung liegt oder der zum Zeitpunkt der Beratung jedenfalls noch nicht abgeschlossen ist.

73

4. Da der Kläger im streitbefangenen Jahr 2008 sein RGVol ersichtlich nicht "erstmalig" überschritten hat, bedarf es hier keiner abschließenden Klärung, welche Anforderungen im Einzelnen an das Vorliegen einer "vorangegangenen" Überschreitung zu stellen sind. Der Senat weist jedoch auf Folgendes hin:

74

a. Außer Frage steht, dass § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V zunächst eine Prüfung erfordert, ob eine Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH vorliegt - und zwar zum einen bezogen auf den aktuell zur Prüfung anstehenden Zeitraum, weil sich andernfalls die Frage einer regressersetzenden Beratung überhaupt nicht stellte, zum anderen in Bezug auf vorangegangene Prüfungszeiträume, weil dies für die Frage der "Erstmaligkeit" von Bedeutung ist. Dabei reicht es nach der gesetzlichen Systematik sowohl in Bezug auf die "erstmalige" als auch auf die "vorangegangene" Überschreitung allerdings nicht aus, dass rein statistisch das Verordnungsvolumen um mehr 25 vH überschritten worden ist, sondern es bedarf zusätzlich der Feststellung, dass die Überschreitungen (jeweils) nicht durch Praxisbesonderheiten begründet sind.

75

Zwar stellt § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V seinem Wortlaut nach allein auf die Überschreitung des RGVol um 25 vH ab, doch ist den Grundsätzen einer nach statistischen Vergleichsgrößen bzw nach Durchschnittswerten durchgeführten Wirtschaftlichkeitsprüfung, zu denen auch die Richtgrößenprüfung gehört(BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2 RdNr 38: "basiert jedoch letztlich auch auf einem Durchschnittswert"), immanent, dass Sanktionen nur dann gerechtfertigt sind, wenn die "statistische" Abweichung nicht durch Praxisbesonderheiten begründet bzw gerechtfertigt ist. Liegen Praxisbesonderheiten im Sinne eines spezifischen, vom Durchschnitt der Vergleichsgruppe signifikant abweichenden Behandlungs- bzw Verordnungsbedarfs des Patientenklientels (BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10 RdNr 35; BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2 RdNr 38) vor, entfällt die statistisch begründete Vermutung der Unwirtschaftlichkeit.

76

Für das zur Beurteilung anstehende (aktuelle) Prüfverfahren stellt die Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten eine Selbstverständlichkeit dar. Einer "regressersetzenden" Beratung nach § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V bedürfte es überhaupt nicht, wenn die Überschreitung des RGVol - im zur Prüfung anstehenden Zeitraum - weitgehend oder vollständig durch Praxisbesonderheiten begründet wäre. Dies verdeutlicht die Inbezugnahme des § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V ("abweichend von Absatz 5a Satz 3"): Dort ist ausdrücklich bestimmt, dass der Vertragsarzt bei einer Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH nach Feststellung durch die Prüfungsstelle den sich daraus ergebenden Mehraufwand zu erstatten hat, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist.

77

Für die Frage, ob es bereits zuvor zu Überschreitungen gekommen ist, die einer "Erstmaligkeit" entgegenstehen, kann nichts anderes gelten. Zum einen korrespondieren "erstmalige" und "wiederholte" Überschreitungen miteinander. Zum anderen ist nicht erkennbar, dass der Grundsatz, dass nur eine nicht durch Praxisbesonderheiten begründete Überschreitung Anlass zu Sanktionen geben kann, durch § 106 Abs 5e SGB V außer Kraft gesetzt werden sollte. Dagegen spricht schon der mit der Begrenzung der Privilegierung auf erstmalige Überschreitungen verfolgte Zweck: So wird ein Arzt, der wegen einer unumstrittenen und auch von der Prüfungsstelle nicht in Frage gestellten speziellen Praxisausrichtung die Werte des RGVol regelmäßig um zB 50 vH überschreitet, durch den Umstand einer Überschreitung um mehr als 25 vH nicht "gewarnt" und zu nichts "veranlasst". Erst wenn die Prüfungsstelle ihm mitteilt, dass keine Besonderheiten mehr gesehen werden, hat er Anlass, im Rahmen einer Beratung über sein Verordnungsverhalten nachzudenken.

78

b. Im Übrigen muss es sich bei der vorangegangenen Überschreitung um eine solche handeln, die von der Prüfungsstelle "förmlich" festgestellt wurde. Der bloße Hinweis auf eine Überschreitung des RGVol - etwa durch die Geschäftsstelle der Prüfungsstelle - oder entsprechende Erkenntnisse des Arztes aufgrund seiner Praxissoftware genügen nicht. Für die Notwendigkeit einer "förmlichen" Feststellung der Überschreitung durch die Prüfgremien spricht bereits der Gesichtspunkt, dass eine im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V relevante "vorangegangene" Überschreitung nur dann vorliegt, wenn sie auch nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten mehr als 25 vH beträgt. Dies erfordert eine entsprechende Meinungsbildung durch die Prüfgremien, weil sich Praxisbesonderheiten und ihre Auswirkungen - anders als Überschreitungsgrade - regelmäßig nicht allein "objektiv" ermitteln lassen; vielmehr gehört die Anerkennung von Praxisbesonderheiten zu den Aufgaben der Prüfgremien, bei deren Feststellung diesen ein Beurteilungsspielraum zusteht.

79

In welcher Form die Prüfgremien die Feststellung treffen, dass eine relevante Überschreitung vorliegt, und in welcher Form sie diese dokumentieren, gibt das Gesetz nicht vor. Regelmäßig dürfte diese Feststellung zwar durch einen Regressbescheid erfolgen, doch benennt § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V als Tatbestandsvoraussetzung allein eine "erstmalige Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent", stellt also auf den Umstand einer (nicht gerechtfertigten) Überschreitung als solchen, nicht hingegen auf die hierauf gegründete förmliche Festsetzung eines Regresses ab. Entscheidend ist daher die "Feststellung" des Umstandes, dass eine - nicht durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigte - Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH gegeben ist. Aus Gründen des Rechtsschutzes und der Rechtssicherheit ist jedoch in anderen Fällen als der einer Festsetzung eines Regresses durch einen entsprechenden Bescheid geboten, dass der Vertragsarzt die Möglichkeit hatte, der Feststellung einer ungerechtfertigten Überschreitung des RGVol mit Rechtsmitteln entgegenzutreten.

80

Wenn die Prüfgremien - bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Festsetzung eines Regresses im Übrigen - allein deswegen von einer Regressfestsetzung absehen, weil ihr die Versäumung der Ausschlussfrist entgegenstand, sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, weil der Vertragsarzt durch diese Entscheidung nicht beschwert ist und daher gegebenenfalls im Bescheid enthaltene Feststellungen zur Überschreitung des RGVol nicht angreifen kann. Die Prüfgremien sind allerdings nicht gehindert, durch gesonderten - rechtsmittelfähigen - Bescheid festzustellen, dass der Vertragsarzt sein RGVol um mehr als 25 vH überschritten hat, ohne dass dies durch Praxisbesonderheiten begründet ist.

81

Der Annahme einer (vorangegangenen) Überschreitung im Sinne des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V steht es nicht entgegen, wenn das Verfahren durch eine vergleichsweise Regelung beendet worden ist, sofern dies die Tatsache einer Überschreitung des RGVol (nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten) um mehr als 25 vH als solche unangetastet lässt. Namentlich gilt dies für Vereinbarungen auf der Grundlage des § 106 Abs 5a Satz 4 SGB V ("Vertrag statt Verwaltungsakt"), welche lediglich eine Verringerung des an sich festzusetzenden Regressbetrages um maximal ein Fünftel beinhalten. Etwas anderes gilt hingegen dann, wenn Inhalt des "Vergleiches" die Anerkennung von Praxisbesonderheiten mit der Folge ist, dass die danach verbleibende Überschreitung weniger als 25 vH beträgt.

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c. Schließlich setzt die Annahme einer vorangegangenen Überschreitung voraus, dass der Arzt tatsächlich unwirtschaftlich verordnet hat. Stellt sich nachträglich - im Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss oder im Gerichtsverfahren - heraus, dass die von den Prüfgremien festgestellte Überschreitung nicht unwirtschaftlich war, ist das Tatbestandsmerkmal "erstmalig" bei einer Überschreitung in Folgejahren nicht in Frage gestellt. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Prüfgremien alle Prüfverfahren, in denen § 106 Abs 5e SGB V Anwendung findet, so lange offenhalten müssen, bis das rechtliche Schicksal vorangegangener Prüfmaßnahmen, die zur Verneinung der "Erstmaligkeit" der Überschreitung geführt haben, geklärt ist. Vielmehr haben sie die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Wird jedoch nachfolgend der Feststellung der Prüfgremien, dass bereits zuvor eine nicht durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigte Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH vorgelegen hat, die Grundlage entzogen, wirkt sich dies auf Bescheide, in denen die Anwendung des § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V wegen fehlender Erstmaligkeit verneint wurde, in dem Sinne aus, dass diese Bescheide nunmehr rechtswidrig geworden sind und daher - sofern keine Bestandskraft eingetreten ist - aufzuheben sind. Die fehlende Bestandskraft vorangegangener Regressbescheide hindert daher die Prüfgremien nicht an einer Entscheidung über das Vorliegen der in § 106 Abs 5e Satz 1 SGB V normierten Voraussetzungen, sondern birgt allein das Risiko, dass die Entscheidung nachträglich unrichtig werden könnte.

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5. Ob der angefochtene Bescheid in der Sache rechtmäßig ist, kann der Senat nicht entscheiden, da das SG hierzu keine Feststellungen getroffen hat.

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6. Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren bleibt dem SG überlassen.

(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

(2) Einer Begründung bedarf es nicht,

1.
soweit die Behörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt und der Verwaltungsakt nicht in Rechte eines anderen eingreift,
2.
soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist,
3.
wenn die Behörde gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist,
4.
wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt,
5.
wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 bis 3 ist der Verwaltungsakt schriftlich oder elektronisch zu begründen, wenn der Beteiligte, dem der Verwaltungsakt bekannt gegeben ist, es innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe verlangt.

(1) Die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen überwachen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich und die Kassenärztlichen Vereinigungen vereinbaren Inhalt und Durchführung der Beratungen und Prüfungen nach Absatz 2 sowie die Voraussetzungen für Einzelfallprüfungen. Die Vertragspartner können die Prüfungsstelle mit der Prüfung ärztlich verordneter Leistungen in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung beauftragen und tragen die Kosten. Die Krankenkassen übermitteln der Prüfungsstelle die Daten der in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung verordneten Leistungen; dabei sind zusätzlich die Zahl der Behandlungsfälle und eine Zuordnung der verordneten Leistungen zum Datum der Behandlung zu übermitteln. Die §§ 296 und 297 gelten entsprechend.

(2) Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird von der Prüfungsstelle nach § 106c geprüft durch

1.
arztbezogene Prüfungen ärztlicher Leistungen nach § 106a,
2.
arztbezogene Prüfungen ärztlich verordneter Leistungen nach § 106b.
Die Prüfungen werden auf der Grundlage der Daten durchgeführt, die der Prüfungsstelle nach § 106c gemäß § 296 Absatz 1, 2 und 4 sowie § 297 Absatz 2 übermittelt werden. Hat die Prüfungsstelle Zweifel an der Richtigkeit der übermittelten Daten, ermittelt sie die Datengrundlagen für die Prüfung aus einer Stichprobe der abgerechneten Behandlungsfälle des Arztes und rechnet die so ermittelten Teildaten nach einem statistisch zulässigen Verfahren auf die Grundgesamtheit der Arztpraxis hoch.

(3) Die Prüfungsstelle nach § 106c bereitet die für die Prüfungen nach Absatz 2 erforderlichen Daten und sonstigen Unterlagen auf, trifft Feststellungen zu den für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit wesentlichen Sachverhalten und entscheidet unter Beachtung der Vereinbarungen nach den §§ 106a und 106b, ob der Vertragsarzt, der ermächtigte Arzt oder die ermächtigte Einrichtung gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind. Eine Maßnahme kann insbesondere auch die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung sein. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung auf Grund einer Wirtschaftlichkeitsprüfung, die von Amts wegen durchzuführen ist, muss für ärztliche Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheides und für ärztlich verordnete Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab dem Schluss des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, erfolgen; § 45 Absatz 2 des Ersten Buches gilt entsprechend. Für Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die auf Grund eines Antrags erfolgen, ist der Antrag für die Prüfung ärztlicher Leistungen spätestens 18 Monate nach Erlass des Honorarbescheides und für die Prüfung ärztlich verordneter Leistungen spätestens 18 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, bei der Prüfungsstelle nach § 106c einzureichen. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung muss innerhalb weiterer zwölf Monate nach Ablauf der in Satz 4 genannten Frist erfolgen; die Regelung des § 45 Absatz 2 des Ersten Buches findet keine entsprechende Anwendung. Gezielte Beratungen sollen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen. Die Prüfungsstelle berät die Vertragsärzte auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung.

(4) Werden Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassenverbände und Kassenärztlichen Vereinigungen für eine ordnungsgemäße Umsetzung. Können Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt werden, weil die erforderlichen Daten nach den §§ 296 und 297 nicht oder nicht im vorgesehenen Umfang oder nicht fristgerecht übermittelt worden sind, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassen oder der Kassenärztlichen Vereinigungen. Die zuständige Aufsichtsbehörde hat nach Anhörung der Vorstandsmitglieder und der jeweils entsandten Vertreter im Ausschuss den Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung zu veranlassen, das Vorstandsmitglied auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens in Anspruch zu nehmen, falls der Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung das Regressverfahren nicht bereits von sich aus eingeleitet hat.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der im Krankenhaus erbrachten ambulanten ärztlichen und belegärztlichen Leistungen.

(1) Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben; die §§ 184 bis 195 finden keine Anwendung; die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung sind entsprechend anzuwenden. Wird die Klage zurückgenommen, findet § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung keine Anwendung.

(2) Dem Beigeladenen werden die Kosten außer in den Fällen des § 154 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung auch auferlegt, soweit er verurteilt wird (§ 75 Abs. 5). Ist eine der in § 183 genannten Personen beigeladen, können dieser Kosten nur unter den Voraussetzungen von § 192 auferlegt werden. Aufwendungen des Beigeladenen werden unter den Voraussetzungen des § 191 vergütet; sie gehören nicht zu den Gerichtskosten.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, soweit sie an Erstattungsstreitigkeiten mit anderen Trägern beteiligt sind.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.