Arbeitsgericht Weiden Schlussurteil, 16. Sept. 2015 - 3 Ca 1739/14

bei uns veröffentlicht am16.09.2015
vorgehend
Arbeitsgericht Weiden, 3 Ca 1739/14, 08.05.2015

Gericht

Arbeitsgericht Weiden

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten zu 1) nicht fristlos, sondern erst zum 15.07.2015 aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.000,- € netto nebst Zinsen aus jeweils 400,- € in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit 1.1.2015, 1.2.2015, 1.3.2015, 1.4.2015 sowie 1.5.2015 zu bezahlen.

3. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin 800,- € netto nebst Zinsen aus jeweils 400,- € in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit 1.6.2015 sowie 1.7.2015 zu bezahlen.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) zum Ersatz aller materiellen Schäden verpflichtet ist, die der Klägerin durch die sexuellen Übergriffe des bei der beklagten Partei beschäftigten Geschäftsführers, dem Beklagten zu 2), entstanden sind und noch entstehen werden.

5. Die Beklagten zu 1) und 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 2.500,- € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit 25.10.2014 zu bezahlen.

6. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

7. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte zu 1) 57,5%, die Beklagte zu 1) und der Beklagte zu 2) tragen samtverbindlich weitere 17,5% und die Klägerin trägt 25%.

8. Der Streitwert wird auf 13.000,- € festgesetzt.

9. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses, um Vergütung, Schadensersatz und Entschädigung.

Am 8.5.2015 ist in dieser Rechtssache bereits ein Teilurteil ergangen. Auf den dortigen Tatbestand wird verwiesen. Die Klägerin war bei der Beklagten zu 1) ab 1.8.2014 im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses befristet als Bürokraft mit einem monatlichen Arbeitslohn i. H. v. 400 € - Steuern, Abgaben und Versicherungen sind gem. Ziffer 5 des Arbeitsvertrages vom Arbeitgeber zu leisten - beschäftigt. Nach Ziffer 1 des Arbeitsvertrages endet das Arbeitsverhältnis „am 01.08.2015“ (Bl. 7 d. A.).

Nach dem zum Teilurteil führenden ersten Kammertermin vom 8.5.2015 hat die Klägerin noch die weiter ausgesprochenen Kündigungen vom 30.4.2015 (Bl. 95 d. A.) und vom 5.5.2015 (Bl. 96 d. A.) mit ihrer Klageerweiterung vom 21.5.2015 gerichtlich angegriffen und Vergütung für den Zeitraum Dezember 2014 bis einschließlich Juni 2015 geltend gemacht (Klageerweiterung vom 7.8.2015). Auch die weiteren Kündigungen seien unwirksam, da zu unbestimmt und ohne wichtigen Grund i. S. d. § 626 I BGB ausgesprochen worden (Bl. 93 d. A.).

Zur sexuellen Belästigung trägt die Klägerin weiter vor, dass der Inhalt der Strafakten zum Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten zu 2) wegen des Verdachts sexueller Nötigung den klägerischen Sachvortrag bestätige. Die Vorgängerin der Klägerin, Frau S., habe entgegen der Beklagteneinlassung bei ihrer polizeilichen Einvernahme sehr wohl Übergriffe bzw. Annäherungsversuche des Beklagten zu 2) am Anfang des Beschäftigungsverhältnisses angegeben. Wegen des Wortlauts ihrer Erklärungen im Einzelnen wird auf Bl. 101 d. A. verwiesen. Auch die weitere Vorgängerin der Klägerin, Frau G., habe sich dahingehend geäußert, dass sie sich ihrerseits den Annäherungen des Beklagten zu 2) habe entziehen müssen und ihrerseits unangemessenen Kontakten des Beklagten zu 2) ausgesetzt gewesen sei. Wegen der Einzelheiten zum Klägervortrag bezüglich der Aussage der Zeugin G. bei der Polizei wird auf Bl. 101 f. d. A. verwiesen. Das Verhältnis des Beklagten zu 2) zu den beiden Vorgängerinnen der Klägerin sei danach keinesfalls nur freundschaftlich gewesen, da beide übereinstimmend angegeben hätten, das sein Verhalten jeweils sehr unangenehm für sie gewesen sei und eindeutig sexuellen Charakter gehabt habe (Bl. 102 d. A.). Auch habe die Zeugin R. E. die Schilderungen der Klägerin aus den Erzählungen der Klägerin ihr gegenüber bestätigt und angegeben, dass die Klägerin am 25.9.2014 gegen 12.10 Uhr von der Arbeit nach Hause gekommen sei, dies tränenüberströmt und am ganzen Körper zitternd (Bl. 102 d. A.). Bezüglich weiterer Einzelheiten zum umfangreichen Klägervortrag wird vollumfänglich auf sämtliche hierzu eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Klägerin beantragt zuletzt noch:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten zu 1) vom 30.4.2015 nicht aufgelöst wurde.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten zu 1) vom 5.5.2015 nicht aufgelöst wurde.

3. Es wird festgestellt, dass die Klägerin berechtigt war, die ihr übertragenen Arbeiten zurückzuhalten, solange die Beklagte zu 1) keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen hat, die Klägerin vor weiteren sexuellen Übergriffen des bei der beklagten Partei beschäftigten Geschäftsführers, dem Beklagten zu 2), zu schützen.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) zum Ersatz aller materiellen Schäden verpflichtet ist, die der Klägerin durch die sexuellen Übergriffe des bei der beklagten Partei beschäftigten Geschäftsführers, dem Beklagten zu 2), entstanden sind und noch entstehen werden.

5. Die Beklagten zu 1) und 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 5.000,- € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

6. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.000,- € netto nebst Zinsen aus jeweils 400,- € in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit 1.1.2015, 1.2.2015, 1.3.2015, 1.4.2015 sowie 1.5.2015 zu bezahlen.

7. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin 800,- € netto nebst Zinsen aus jeweils 400,- € in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit 1.6.2015 sowie 1.7.2015 zu bezahlen.

Die Beklagten beantragen hingegen weiterhin,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten tragen hierzu weitergehend vor, dass die Kündigung vom 30.4.2015 bestimmt genug sei. Die Kündigung vom 5.5. sei vom einzelvertretungsberechtigten 1. Vorstand innerhalb von zwei Wochen nach Einstellung des klägerseits aufgrund falscher Angaben eingeleiteten Ermittlungsverfahrens zu Recht ausgesprochen worden. Die Klägerin habe im Zusammenhang mit einer Schussabgabe des Beklagten zu 2) zur Vergrämung von Kormoranen bei der Polizei zulasten des Beklagten zu 2) wissentlich unrichtige Angaben gemacht, vgl. S. 2-6 aus dem Beklagtenschriftsatz vom 8.9.2015. Es habe sich nicht um eine scharfe Waffe, sondern für die Klägerin ohne weiteres erkennbar nur um eine Schreckschusspistole gehandelt. Auch die Umstände der konkreten Schussabgabe, insbesondere den Hinweis des Beklagten, dass es laut werden könne und den Hinweis der Klägerin, dass sie die Schussabgabe ausdrücklich wollte, habe die Klägerin bei der Polizei verschwiegen bzw. falsch dargestellt (vgl. S. 5 des Schriftsatzes vom 8.9.2015). Zu den Zeuginnen S. und G. sei vorzutragen, dass es keine sexuellen Übergriffe gegeben habe. Richtig sei, dass es bei der Zeugin S. ganz am Anfang Abstimmungsfragen in Hinblick auf das Nebeneinander bei der Arbeitserledigung vorm Bildschirm und der Sitzgelegenheit am Arbeitstisch im Büro des Beklagten zu 2) gegeben habe. Sexuelle Absichten seien jedoch kein Thema gewesen. Der Beklagte zu 2) sei auf die Wünsche der Zeugin eingegangen und man habe dann bis zum Ausscheiden der Zeugin rund dreieinhalb Jahre sehr gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet, ohne dass es irgendwelche Probleme gegeben habe. Die kurzen Umarmungen zum Abschied habe auch nicht der Beklagte zu 2), sondern die Zeugin S. eingeführt. Auch bei der Zeugin G. habe sich das Miteinander im beengten Büro nach kurzer Zeit eingespielt, unangemessene und sexuell übergriffige Handlungen habe es nicht gegeben. Unrichtig sei, dass der Beklagte zu 2) erklärt habe, sehr erfreut gewesen zu sein, dass er endlich ihren Busen habe sehen können. Richtig hingegen sei, dass die Zeugin G. am Eingang des Saales gesessen habe und die Mitgliedschaft und damit das Stimmrecht der einzelnen Teilnehmer einer Versammlung überprüft habe. Sie sei dabei sehr freizügig mit offenem Busen am Eingang gesessen und habe für Gesprächsstoff unter den Teilnehmern aus der ganzen O. gesorgt. Der Beklagte zu 2) habe dies am nächsten Tag kritisiert und ihr mitgeteilt, dass dies die erste und letzte Teilnahme an einer Veranstaltung der Beklagten gewesen sei. Dies sei einer von mehreren Gründen gewesen, warum man sich bereits nach wenigen Monaten im gegenseitigen Einvernehmen getrennt habe. Der Vortrag zu den Äußerungen der Zeugin R. E. werde mit Nichtwissen bestritten. Bezüglich der Klägerin werde auch angesichts deren Äußerungen bei der Polizei weiterhin bestritten, dass es zu unangemessenen und sexuellen Berührungen seitens des Beklagten zu 2) gekommen sei. Der Beklagte zu 2) habe keine echte Waffe mit sich geführt, sondern - was die Klägerin gewusst habe - nur eine Schreckschusspistole. Er habe gar nicht schießen wollen, da dies sehr laut sei. Die Klägerin habe aber gemeint, dass er ruhig schießen könne, dies mache ihr nichts aus. Der Beklagte zu 2) habe sich vor Kündigungsausspruch mit dem Vorstandsvorsitzenden der Beklagten zu 1) abgestimmt. Selbst wenn die klägerseits geschilderten Vorfälle zutreffen sollten, würde dies mangels zurechenbaren Verschuldens nicht zu einer. Haftung der Beklagten zu 1) führen. Ein Organisationsverschulden gäbe es nicht. Vor dem Anwaltsschreiben hätte es keine Hinweise auf irgendwelche Übergriffe des Beklagten zu 2) gegeben, der seit rund 40 Jahren erfolgreich und verantwortungsbewusst für die Beklagte zu 1) tätig gewesen sei. Gegenüber dem Beklagten zu 2) komme kein AGG-Anspruch in Betracht, da dieser nicht Arbeitgeber sei, ein Anspruch nach § 823 BGB bestehe nicht, da die behaupteten Vorfälle unrichtig seien. Schließlich sei die Entschädigungsforderung der Klägerin mit Blick auf die andernorts ausgeurteilten Schmerzensgeldbeträge überzogen, hier liege strafrechtlich auch allenfalls eine Beleidigung vor. Für einen Anspruch aus § 823 BGB gegenüber dem Beklagten zu 2) sei die Arbeitsgerichtsbarkeit nicht zuständig, da § 2 I Nr. 3 d ArbGG nicht einschlägig und der Beklagte zu 2) nicht Arbeitgeber sei. Wegen weiterer Einzelheiten zum umfangreichen Beklagtenvortrag wird noch vollumfänglich auf sämtliche hierzu eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Beklagten haben mit Schriftsatz vom 24.8.2015 Verfahrensaussetzung gem. § 149 I ZPO beantragt. Diesen Antrag hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 8.9.2015 zurückgewiesen.

Die Kammer hat im zweiten Kammertermin die Klägerin und den Beklagten zu 2) zu den behaupteten Vorfällen gem. § 141 I 1 ZPO angehört. Diesbezüglich wird auf das Protokoll des Termins vom 16.9.2015 verwiesen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen noch auf den gesamten weiteren Akteninhalt verwiesen.

Gründe

Die Klage ist teilweise zulässig und - soweit zulässig - auch teilweise begründet.

Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist für alle Anträge eröffnet. Für die Kündigungsschutzanträge ergibt sich dies aus § 2 I Nr. 3 b, für die übrigen Anträge aus § 2 I Nr. 3 a ArbGG bzw., soweit die Beklagtenseite zuletzt den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten hinsichtlich des Antrages 5) der Klage und hier bezüglich des Beklagten zu 2) und zwar bezüglich einer Anspruchsgrundlage (§ 823 BGB) angezweifelt hat, aus § 2 I Nr. 9 oder zumindest aus § 2 III ArbGG. Hierüber war trotz der Rechtswegrüge nicht vorab zu befinden, da die Rüge erst nach Stellung der Anträge im ersten Kammertermin kurz vor dem zweiten Kammertermin und damit nicht fristgerecht gem. § 282 III ZPO erhoben wurde, was zur Folge hat, dass über den Rechtsweg auch erst im Urteil befunden werden kann (vgl. OLG Köln vom 10.4.1995, 8 U 62/94; LAG Sachsen vom 13.4.2000, 4 Ta 25/00; MüKo ZPO, 4 Aufl., § 17 a GVG Rn. 12).

Die Klage ist überwiegend zulässig, insbesondere ist das Feststellungsinteresse für die Kündigungsschutzanträge gem. § 256 I ZPO gegeben, was sich bereits aus §§ 7, 4 KSchG ergibt. Auch das Feststellungsinteresse für den Antrag 4) aus der Klageschrift (entstandene und noch entstehende materielle Schäden) ist gegeben, da sowohl nach dem Klagevortrag als auch nach dem gesamten Akteninhalt unter Berücksichtigung der Kammertermine durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Klägerin ein Schaden entstanden ist bzw. noch entstehen wird, z. B. durch entgehendes Entgelt (vgl. § 252 BGB) (vgl. hierzu BAG vom 20.6.2013, 8 AZR 482/12). Die Klägerin hat hierzu unwidersprochen geltend gemacht, von den Vorfällen schwer belastet zu sein und an Angstzuständen und Schlafstörungen zu leiden. Dies kann zu einem künftigen Schadenseintritt führen.

Unzulässig ist allerdings der Antrag 3) aus der Klage vom 22.10.2014, da hierfür kein Feststellungsinteresse und damit Rechtsschutzbedürfnis mehr besteht. Dies folgt aus dem inzwischen eingetretenen Zeitablauf - schließlich war das Arbeitsverhältnis bis 31.7 bzw. 1.8.2015 befristet. Zudem ist wegen § 615 BGB nicht ersichtlich, warum die Klägerin noch ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung bezüglich eines Rechts zur Zurückhaltung ihrer Arbeitsleistung haben könnte.

Die Klage ist teilweise begründet.

Die Kündigung vom 5.5.2015 ist als außerordentliche und fristlose mangels eines wichtigen Grundes i. S. d. § 626 I BGB unwirksam, wirkt jedoch im Wege der Umdeutung als ordentliche Kündigung zum15.7.2015. Auf die ordentliche Kündigung vom 30.4.2015 kam es daher nicht mehr an, da diese das Arbeitsverhältnis auch nicht früher auflösen konnte.

Die Klägerin hat mit ihrer Klageerweiterung vom 21.5.2015 die Dreiwochenfrist des § 4 KSchG gewahrt.

Ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung vom 5.5.2015 liegt nicht vor. Schon aus dem Beklagtenvortrag kann ein Grund für eine fristlose Kündigung nicht erkannt werden. Dass die Klägerin den Beklagten zu 2) mit vorsätzlich falschen Angaben bzw. Unterstellungen angezeigt hat - so der Kündigungsvorwurf, vgl. Kündigungsschreiben Bl. 96 d. A. - kann nicht festgestellt werden. Dass die Klägerin bei der Polizei behauptet hätte, dass es sich bei der Waffe des Beklagten zu 2) um eine scharfe Pistole handelt, ist nicht erkennbar. Auch aus dem Beklagtenvortrag ergibt sich dies nicht. Soweit die Klägerin angegeben hat, dass die Waffe so wie die Dienstwaffe der Polizei ausgesehen habe, ist dies mit Blick auf die hier relevante Frage ohne Belang, da auch Schreckschusspistolen täuschend echt aussehen können. Woher die Klägerin hätte wissen oder erkennen können, dass es sich um eine Schreckschusspistole und keine scharfe Waffe handelt, ist nicht ersichtlich, womit aber dem insoweit unsubstantiierten Beklagtenvortrag nicht gefolgt werden kann. Der Kündigungsvorwurf erweist sich aber auch bezüglich der angeblich falschen Darstellung der Umstände der Schussabgabe als im Ergebnis haltlos. Die Klägerin hat zwar im Kammertermin eingeräumt, dass es schon sein könne, dass sie auf Frage des Beklagten zu 2) hin gesagt hat, dass er schießen könne. Allerdings berücksichtigt die Kammer hier die konkrete Situation, in der sich die Klägerin befand, nämlich alleine mit einem Mann mit Waffe, den sie erst kurz kennt - und zwar in dessen Auto und in abgelegenem Gebiet. In einer solchen Situation kann die Kammer nachvollziehen, wenn die Klägerin einem möglichen Einverständnis mit einer Schussabgabe keinen hohen Stellenwert einräumt. Zur Überzeugung der Kammer kommt es aber darauf gar nicht an, denn die Klägerin hat weiter erklärt, dass sie nicht damit gerechnet habe, dass dieser sogleich zum Fenster herausschießt, was bei ihr aufgrund der erheblichen Lautstärke zu Ohrendröhnen geführt habe. Letzteres hat die Klägerin auch ausweislich des beklagtenseits vorgelegten Protokolls bei der Polizei ausgesagt und damit auf die konkrete Frage der Polizei geantwortet, wobei sie zuvor die konkrete Frage, ob der Beklagte zu 2) ihr jemals gedroht habe, ausdrücklich verneint hat. Die Klägerin hat auch ausgeführt, dass er ja auch hätte aussteigen könne, ihr kam es also ersichtlich darauf an, gerade die unmittelbare Schussabgabe aus dem Auto heraus anzuprangern. Mit diesem Verständnis ist nicht erkennbar, inwieweit die Klägerin bei der Polizei wissentlich falsche Angaben gemacht haben sollte. Einen fristlosen Kündigungsgrund gibt es damit nicht, da ein solcher auch anderweitig nicht ersichtlich ist.

Die Kündigung kann aber gem. § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden. Die Beklagte will sich offensichtlich in jedem Fall von der Klägerin trennen. Unwirksame fristlose Kündigungen können regelmäßig in ordentliche Kündigungen umgedeutet werden. Der Vorstandsvorsitzende ist unproblematisch kündigungsberechtigt. Die ordentliche Kündigung ist wirksam. Insbesondere waren die Anforderungen des Kündigungsschutzgesetzes mangels Anwendbarkeit beklagtenseits nicht zu beachten. Andere Unwirksamkeitsgründe sind nicht erkennbar. Soweit die Klägerin hier auf das Bestimmtheitserfordernis verweist und auch eine umgedeutete Kündigung für unwirksam erachtet, folgt dem die Kammer nicht. Dies deshalb, da hier kein unbestimmter Kündigungstermin angegeben wurde, sondern das Gericht selbst den nächst zulässigen ordentlichen Kündigungstermin festzulegen hat. Dies ist hier bei Beachtung der zweimonatigen Kündigungsfrist gem. Arbeitsvertrag und des Umstandes, dass auch bei verlängerten Kündigungsfristen nur die Kündigungstermine des § 622 BGB in Betracht kommen (zum Fünfzehnten oder zum Monatsende, vgl. hierzu KR, § 622 Rn. 177) der 15.7.2015.

Da die weitere ordentliche Kündigung vom 30.4.2015 das Arbeitsverhältnis bei Beachtung der einzuhaltenden Kündigungsfrist und Kündigungstermine ebenfalls nicht vor dem 15.7.2015 auflösen konnte, kam es hierauf nicht mehr an.

Da die Kündigung vom 30.9.2014 sowie die außerordentliche Kündigung vom 5.5.15 unwirksam sind, kann die Klägerin jedenfalls bis 30.6.2015 von der Beklagten Vergütung verlangen, auch nach dem Beklagtenvortrag jedenfalls bis 3.12.2014 als regulärer Lohn gem. § 611 I BGB i. V. m. dem Arbeitsvertrag, danach jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges gem. §§ 615, 293 ff. BGB und zwar monatlich in Höhe der vereinbarten 400,- € netto gem. Nr. 5 des Arbeitsvertrages. Damit sind die Vergütungsanträge aus den Klageerweiterungen vom 21.5.2015 und vom 7.8.2015 begründet, die Zinsforderungen ergeben sich aus §§ 288 I, 286 I, 614 BGB.

Bezüglich des zuletzt arbeitgeberseits noch eingewandten eventuellen Arbeitslosengeldbezuges gilt, dass richtig ist, dass der Arbeitnehmer in Höhe des Bezuges öffentlich-rechtlicher Leistungen wegen des Anspruchsübergangs nicht mehr aktivlegitimiert ist. Allerdings hat der Arbeitgeber hierzu nach richtiger Auffassung einen Auskunftsanspruch entsprechend § 74 c II HGB gegen den Arbeitnehmer und kann einen solchen Einwand nicht mit Erfolg und ohne irgendwelche Anhaltspunkte - etwa in Form einer Überleitungsanzeige - noch kurzfristig gegen den ansonsten bestehenden Annahmeverzugsanspruch geltend machen (vgl. KR-Spilger, 10. Aufl., § 11 KSchG Rn. 48).

Auch der Antrag 4) ist begründet. Dies folgt aus § 15 I AGG. Die Zweimonatsfrist des § 15 IV AGG ist gewahrt. Die Klägerin wurde vom Beklagten zu 2) sexuell belästigt i. S. d. § 3 IV AGG und damit benachteiligt i. S. d. AGG, was der Beklagten zu 1) als Arbeitgeber auch zuzurechnen ist und zur begehrten Feststellung bezüglich der Schadensersatzpflicht führt.

Eine sexuelle Belästigung i. S. d. § 3 IV AGG ist ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, das bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

Vorliegend hat der Beklagte zu 2) die Klägerin im September 2014 i.d.S. sexuell belästigt. Dies ergibt sich aus dem Sachvortrag der Klägerin und deren Bekundungen gem. § 141 I ZPO im Kammertermin, denen das Gericht folgt, da es davon überzeugt ist, dass die Klägerin sich hier vollständig wahrheitsgemäß eingelassen hat. Die Klägerin hat den Sachverhalt ruhig und nachvollziehbar ohne erkennbare Widersprüche geschildert und dabei detailreich und ohne logische oder sprachliche Brüche vorgetragen. Dabei hat sie auch für sie vermeintlich eher negative Umstände - wie, dass es sein könne, dass sie dem Beklagten zu 2) gesagt habe, dass er schießen könne - nicht ausgespart. Die Kammer glaubt der Klägerin insgesamt.

Nach ihrer Aussage hat sie der Beklagte zu 2) als ihr Vorgesetzter von Beginn des Arbeitsverhältnisses an immer wieder auf die Couch in seinem Büro zitiert und ist dort nahe an sie herangerutscht. Sie ist dann immer wieder weiter weggerutscht, was er mit den Worten „Bleib halt da“ kommentiert hat. Der Beklagte zu 2) hat sie auch anderweitig immer wieder berühren wollen und berührt, indem er ihr über die Schulter gestreichelt und ihr den Arm um die Hüfte gelegt hat. Auch hat er sie bei Verabschiedungen immer umarmt und sie dabei an sich herangezogen. Ca. vier Wochen nach Arbeitsbeginn, ausweislich ihrer schriftsätzlichen Einlassung am 17.9.2014, hat der Beklagte zu 2) dann bei einem Außentermin beim Fischlehrpfad bei W. immer wieder ihre Hand genommen und seine Hand auch um ihre Hüfte gelegt, wobei sie sich dem immer wieder entzogen hat, indem sie von ihm weggegangen ist. Anschließend hat der Beklagte zu 2), nachdem er sie zum Essen eingeladen hat, während der Rückfahrt zur Beklagten zu 1) in seinem Auto erneut versucht, ihre Hand zu ergreifen, wobei sie diese aber zurückgezogen hat. Dann hat er seine rechte Hand auf ihren Oberschenkel gelegt und ist mit dieser immer weiter Richtung Schritt gewandert. Die Klägerin hat zwar versucht, seine Hand wegzudrücken, dies aber hat den Beklagten zu 2) insoweit nicht gestört, als er seine Hand die ganze Zeit über auf ihrem Oberschenkel in der Nähe des Knies gelassen hat. Dabei ist die Klägerin ängstlich und nervös gewesen und hat ständig zwischen seiner Hand und ihrem Schritt ein Papier gerollt, um zu verhindern, dass seine Hand wieder weiter hochrutscht. Ca. eine Woche später, ausweislich der schriftsätzlichen Einlassung der Klägerin am 25.9.2014, ist es dann zu einem erneuten Vorfall gekommen. Der Beklagte zu 2) ist im Büro plötzlich von hinten an sie herangetreten, als sie einen Ordner aus dem Aktenschrank ziehen musste und dabei mit dem Rücken zur Zimmermitte stand, und hat die Klägerin mit beiden Händen von hinten an die Brüste gefasst und sie dabei umklammert. Dabei war der Beklagte zu 2) erregt, was sich an seinem lauten Atmen zeigte. Dagegen hat sich die Klägerin gewehrt und sich mit beiden Händen aus der Umklammerung befreit und den Beklagten zu 2) mit der Schulter weggeschubst. Nach diesem zweiten Vorfall hat die Klägerin geweint und gezittert. Sie ist heimgefahren, nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt, seitdem arbeitsunfähig krank und durch die Vorfälle schwer belastet, hat Angstzustände, Schlafstörungen und ist psychisch aufgrund der Vorfälle enorm belastet (diesen letzten Vortrag bereits aus der Klageschrift haben die Beklagten nicht bestritten, so dass er nach § 138 III ZPO als zugestanden gilt; ob sich die Klägerin - was die Beklagten bestritten haben - dabei in Behandlung ihres Hausarztes befand oder ob von Seiten der Ärzte weitere Kriseninterventionsdienste empfohlen wurden, spielt für die Fallentscheidung keine Rolle).

Diesen Klägervortrag hat der Beklagte zu 2) zwar überwiegend abgestritten. Die Kammer glaubt aber der Klägerin, § 286 I ZPO. Ob der Beklagte zu 2) zum o.g. Sachverhalt wahrheitsgemäß nach § 141 I ZPO ausgesagt hat, konnte die Kammer nicht feststellen. Das Gericht stellt klar, dass es nicht feststellen konnte, ob der Beklagte zu 2) - insgesamt oder teilweise - gelogen hat. Es war der Kammer aber nicht möglich, zu erkennen, ob bzw. inwieweit der Beklagte wahrheitsgemäß aussagt oder eben nicht. Damit ist der Beklagtenseite der Gegenbeweis nicht gelungen.

Diese Erkenntnis ergibt sich aus den schriftsätzlichen Einlassungen der Beklagtenseite und den Ausführungen des Beklagten zu 2) in den Kammerterminen, § 286 I ZPO. Die mündlichen Einlassungen im zweiten Kammertermin waren teilweise schwer nachvollziehbar, insbesondere zu den angeblichen zweideutigen Erklärungen der Klägerin. Auffallend war insgesamt, dass der Beklagte zu 2) bei eindeutig unrelevantem Geschehen (Grund für den Ausflug, Rahmenhandlung am 25.9.2014) weitschweifig berichtete, sich zu den Kernpunkten aber nur - und dies teilweise nur auf wiederholte Nachfrage hin (z. B. bezüglich des zweiten Vorfalls vom 25.9.2014) - kurz und oberflächlich äußerte und hier immer wieder Nachfragen erforderlich waren. Die Kammer hat auch Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Beklagten zu 2), gerade was diese Kernpunkte (Vorfälle vom 17.9 und vom 25.9.) angeht. Dies ergibt sich daraus, dass der Beklagte zu 2) zur Überzeugung der Kammer ein offensichtlich falsches Verständnis zum Umgang mit untergebenen Mitarbeiterinnen hat und in diesem Punkt auch uneinsichtig ist (vgl. dessen Verweis auf die Verschwiegenheitspflicht) und zur Verharmlosung neigt. So hat es unstreitig mit der Vorgängerin Fr. S. Abstimmungsfragen in Bezug auf das Nebeneinander bei der Arbeitserledigung gegeben. Ebenso unstreitig hat Fr. S. in Bezug auf den Beklagten zu 2) in ihrer polizeilichen Vernehmung geschildert, dass der Beklagte zu 2) auf der Couch sehr nahe an sie herangerutscht war, was ihr zuwider gewesen war und sie dann wegerutscht ist, er aber wieder aufgerückt ist. Auch sei er einmal beim Ordnereinordnen plötzlich ganz nah hinter ihr gestanden. Der Beklagte zu 2) hat hierzu geltend gemacht, dass es keinerlei Probleme gegeben habe und man sehr gut vertrauensvoll zusammengearbeitet habe. Zur Überzeugung der Kammer ergibt sich hieraus, dass der Beklagte zu 2) Fehlverhalten gegenüber dem weiblichen Geschlecht verharmlost und/oder verdrängt. In dieses Bild passt, dass der Beklagte zu 2) im zweiten Kammertermin erklärt hat, dass er der Klägerin auf der Rückfahrt von der V. M. tatsächlich an den Oberschenkel gefasst habe, um sehen zu können, wie sie das vorangegangene Gespräch verstanden habe. In diesem Zusammenhang meint der Beklagte zu 2), auf die Verpflichtung der Klägerin, sich bei Problemen vertrauensvoll doch erst an ihn zu wenden zu müssen und auf die Verschwiegenheitspflicht der Klägerin hinweisen zu müssen. Daraus folgt zur Überzeugung der Kammer aber gerade ein vollkommen falsches Verständnis vom Umgang mit untergebenen Mitarbeiterinnen, wenn der Beklagte zu 2), meint, diese gleich zu Beginn des Arbeitsverhältnisses ständig berühren zu müssen (nach seinen Einlassungen mit Händedruck, auf die Schulter klopfen, Umarmung „usw.“, was er als Zeichen der Wertschätzung und „Freundschall“ versteht), mögliche Kritik seiner Arbeitnehmerin hieran aber mit Verweis auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit und die Verschwiegenheitspflicht abtun möchte. Dieses dramatisch falsche Verständnis vom korrekten Miteinander im Arbeitsverhältnis führt in Verbindung mit der Verharmlosungs- und/oder Verdrängungstendenz des Beklagten zu 2) dazu, dass die Kammer gerade nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen konnte, dass der durch das vorliegende Verfahren aber auch das Strafverfahren inzwischen in Bedrängnis geratene Beklagte zu 2) hier wahrheitsgemäß aussagt. In dieses Bild passen schließlich auch seine widersprüchlichen Einlassungen zur Vorgängerin der Klägerin E. G., die ebenfalls bei der Polizei erklärt hat, dass er sich ihr immer wieder unangenehm genähert habe, dies auch mit Berührungen am Oberschenkel. Die Zeugin hat weiter ausgesagt, dass der Beklagte zu 2) einmal zu ihr gesagt habe, dass er jetzt endlich auch mal ihren Busen gesehen habe, nachdem sie am Vortag einmal einen etwas tieferen Ausschnitt getragen habe. Hierzu hat der Beklagte zu 2) im ersten Kammertermin zunächst erklärt, dass er sich daran nicht mehr erinnern könne, später aber schriftsätzlich bestritten, gegenüber der Zeugin erklärt zu haben, dass er sehr erfreut war, dass er ihren Busen endlich sehen konnte (Solches aber hat weder die Zeugin noch die Klägerin behauptet).

Aufgrund dieser Zweifel am Wahrheitsgehalt der Erklärungen des Beklagten zu 2) vermag die Kammer seine Ausführungen zum klägerseits geschilderten Sachverhalt und insbesondere auch die beklagtenseits geschilderten angeblichen zweideutigen Bemerkungen der Klägerin gegenüber dem Beklagten zu 2) ihrer Entscheidung nicht zugrunde zu legen.

Damit aber steht fest, dass der Beklagte zu 2) die Klägerin sexuell belästigt hat. Sowohl die Annäherungen auf der Couch mit den Berührungen, dem Schulterstreicheln und dem Hand-um-die Hüfte-legen als auch die Ereignisse vom 17.9.2014 (Hand nehmen, dem Hand-um-die Hüfte-legen, Anfassen am Oberschenkel im Auto mit Handbewegung in Richtung Schritt) und vom 25.9.2014 (Umklammerung von hinten mit Griff an die Brüste) stellen einzeln als auch insgesamt sexuelle Belästigungen i. S. d. § 3 IV AGG dar. Sexuelle Handlungen und Berührungen sind unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung - § 3 IV AGG erfasst über die strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen hinaus weitere Tatbestände (vgl. Bauer/Göpfert/Krieger AGG, 3. Aufl., § 3 Rn. 54) - und unabhängig von einer besonderen Schwere festzustellen (BGK Rn. 55), da es vorliegend regelmäßig um erhebliche Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre geht und eine entsprechend hohe Schutzbedürftigkeit für die betroffenen Mitarbeiterinnen besteht (vgl. Däubler/Bertzbach, AGG, 3. Aufl., § 3 Rn. 77). Daher begeht auch der eine sexuelle Belästigung, der am Arbeitsplatz die allgemein übliche minimale körperliche Distanz zu einer Mitarbeiterin regelmäßig nicht wahrt, sondern diese gezielt unnötig und wiederholt anfasst bzw. berührt oder gar sich mit seinem Körper an die Mitarbeiterin herandrängelt, obwohl all diese Kontakte erkennbar unerwünscht sind (vgl. LAG Schleswig-Holstein vom 27.9.2006, 3 Sa 163/06; BGK, § 3 Rn. 55). Das ist vorliegend der Fall. Der Beklagte zu 2) hat die übliche körperliche Distanz zur Mitarbeiterin nicht gewahrt, sondern diese wiederholt unnötig und bewusst berührt. Dabei stellen jedenfalls das Arm-um die Hüfte-legen, das Anfassen am Oberschenkel mit der Handbewegung in Richtung Schritt der Klägerin sowie das Umklammern von hinten mit Griff an die Brüste ein sexuell bestimmtes Verhalten dar. Dieses Verhalten des Beklagten zu 2) war der Klägerin offensichtlich unerwünscht, was auch objektiv erkennbar war, schließlich hat sie sich dem Beklagten zu 2) nach ihren glaubhaften Ausführungen immer wieder entzogen, z. B. ist sie auf der Couch weggerutscht, hat sich von ihm am Fischlehrpfad immer wieder entfernt, seine Hand im Auto weggedrückt und ihren Schritt geschützt und sich schließlich aus der Umklammerung von hinten befreit. Mit diesem wiederholten sexuell bestimmten Verhalten hat der Beklagte zu 2) auch die Würde der Klägerin i. S. d. § 3 IV AGG verletzt, die sich ständigen Berührungen auch an intimen Körperstellen ausgesetzt sah und damit vom Beklagten in hohem Maße respektlos behandelt wurde. Hinzu kommt, dass der Beklagte zu 2) durch die nicht nachlassenden Berührungen bereits nach wenigen Wochen für die Klägerin ein Arbeitsumfeld geschaffen hat, in dem sie jederzeit damit rechnen musste, mit weiteren Annäherungsversuchen des Beklagten zu 2) konfrontiert zu werden. Die beschriebene sexuelle Belästigung der Klägerin hat der Beklagte zu 2) durch sein entsprechendes Verhalten auch „bewirkt“ i. S. d. § 3 IV AGG, wobei es keine Rolle spielt, wie er selbst sein Verhalten eingeschätzt und empfunden hat oder verstanden wissen wollte (vgl. BAG vom 9.6.2011, 2 AZR 323/10).

Die sexuelle Belästigung stellt einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot i. S. d. § 15 I AGG dar. Für diesen Anspruch kommt es nach dem Wortlaut der Vorschrift grundsätzlich nicht darauf an, wer - also Arbeitgeber oder Dritte - gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen haben. Ein Verschulden des Arbeitgebers wird vermutet, allerdings kommt eine Schadensersatzpflicht nicht in Betracht, wenn er - der Arbeitgeber - gem. § 15 I 2 AGG nachweisen kann, dass er eine Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

Vorliegend haftet die Beklagte zu 1) für den Verstoß ihres Geschäftsführers gegen das o.g. Benachteiligungsverbot wegen Unterlassens ausreichender Maßnahmen und Pflichten i. S. d. § 12 AGG. Hierzu gilt, dass der Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, die Pflichtverletzungen des Beklagten zu 2) nicht zu vertreten. Hierzu zählt insbesondere die Darlegungs- und Beweislast für die Erfüllung der Handlungspflichten nach § 12 AGG (BGK § 15 Rn. 22).

Nach § 12 AGG muss der Arbeitgeber - hier also die Beklagte zu 1) - die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz ihrer Mitarbeiter vor Benachteiligungen i. S. d. AGG treffen, wozu auch vorbeugende Maßnahmen zählen, § 12 I AGG. Hierzu soll der Arbeitgeber in geeigneter Art und Weise, insbesondere im Rahmen der beruflichen Aus- und Fortbildung, auf die Unzulässigkeit solcher Benachteiligungen hinweisen und daraufhinwirken, dass diese unterbleiben, § 12 II AGG. Im Falle von Benachteiligungen i. S. d. AGG muss der Arbeitgeber diese unterbinden und die Betroffenen schützen, § 12 III und IV AGG. Schließlich müssen u. a. das AGG sowie Informationen über die Beschwerdestellen i. S. d. § 13 AGG im Betrieb bekannt gemacht werden, § 12 V AGG. § 12 AGG dient in Umsetzung der europarechtlichen Antidiskriminierungsrichtlinie gerade dazu, Arbeitgeber dazu anzuhalten, gegen alle Formen der sexuellen Diskriminierung vorzugehen und insbesondere präventive Maßnahmen zur Bekämpfung der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz zu treffen (vgl. Däubler, AGG, § 12 Rn. 3). Eine Verletzung der Schutzpflichten nach § 12 AGG - der wie das gesamte AGG in jedem Unternehmen und Betrieb unabhängig von der Größe gilt (vgl. BGK § 12 Rn. 8) - begründet in Verbindung mit § 15 I und II eine Haftung des Arbeitgebers für eigenes Organisationsverschulden, auch wenn die eigentliche Benachteiligungshandlung durch einen anderen Beschäftigten oder einen Dritten begangen wird (BGK § 12 Rn. 5; Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 11. Aufl., Kapitel 3 Rn. 4884).

Angewendet auf den vorliegenden Fall ergibt sich hieraus die Haftung der Beklagten zu 1). Diese ist nach den Bekundungen ihres Vorstandsvorsitzenden im zweiten Kammertermin zu keinem Zeitpunkt ihren Pflichten nach § 12 AGG nachgekommen. Sie hat insbesondere ihren Geschäftsführer und andere Mitarbeiter nicht über die Regelungen des AGG informiert und hat zu keinem Zeitpunkt präventive Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierung und sexueller Belästigung ergriffen. Solches war auch bei der Beklagten zu 1) keinesfalls entbehrlich, etwa in dem Sinn, dass ohnehin jedem klar sein müsste, dass sexuelle Belästigungen verboten sind. Dies ergibt sich schon daraus, dass § 12 AGG ausnahmslos gilt. Außerdem ergibt sich gerade bei sexuellen Belästigungen und wohl auch gerade beim Beklagten zu 2) das Erfordernis, darauf hinzuweisen, dass nicht nur strafbare sexuelle Übergriffe auf untergebene Mitarbeiterinnen verboten sind, sondern der Diskriminierungsschutz des AGG bereits früher ansetzt und z. B. bereits sexuell bestimmte körperliche Berührungen oder Bemerkungen gesetzlich verpönt sind.

Diese haftungsrechtlich relevanten und der Beklagten zu 1) über § 12 AGG zuzurechnenden Umstände können auch zu weiteren klägerseits befürchteten Schäden führen. Gegen diese Einschätzung hat sich die Beklagte zu 1) soweit ersichtlich auch nicht gewandt.

Schließlich ist auch der Antrag 5) teilweise begründet. Die Haftung der Beklagten zu 1) ergibt sich dem Grunde nach aus § 15 II AGG, diesbezüglich wird auf obige Ausführungen zu § 15 I AGG verwiesen. Erleichternd entfällt hierzugunsten der Klägerin das Verschuldenserfordernis (vgl. BGK § 15 Rn. 32). Der Beklagte zu 2) haftet als unmittelbar selbst Handelnder der Klägerin wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. §§ 823 I BGB, 253 II BGB, vgl. obige Ausführungen. Hierzu ist festzustellen, dass der Beklagte zu 2) die Klägerin wiederholt und sowohl am 17.9. als auch am 25.9. durchaus schwerwiegend sexuell belästigt hat, dies schuldhaft und rechtswidrig. Arbeitgeber und Beklagter zu 2) haften hier als Gesamtschuldner (vgl. Däubler, AGG, § 15 Rn. 149). Eine ungerechtfertigte Benachteiligung - hier in Form einer sexuellen Belästigung - führt auch regelmäßig zu einem Nichtvermögensschaden (vgl. BT-Drs. 16/1780 S. 38).

Nach Ansicht des Gerichts ist die ausgeurteilte Entschädigung i. H. v. 2.500,- € im vorliegenden Fall angemessen. Hierbei waren alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Schwere der Verletzungshandlungen. Nach dem EuGH müssen Entschädigungen zur Gewährleistung eines wirksamen Rechtsschutzes auch abschreckend sein, womit Bagatellentschädigungen europarechtswidrig wären. Andererseits ist in jedem Fall ein angemessenes Verhältnis zum erlittenen Schaden herzustellen (vgl. BT-Drs. a. a. O.). Danach erscheinen die 2.500,- € angemessen. Der Beklagte zu 2) hat die Klägerin wiederholt sexuell belästigt, zuletzt am 25.9.2014 auch massiv. Der Beklagte zu 2) ist uneinsichtig, was sich z. B. darin zeigt, dass er meint, das Recht zu haben, seine Mitarbeiterin zu verschiedenen Anlässen immer wieder anfassen zu dürfen und dies dann mit freundschaftlichem und vertrauensvollem Zusammenarbeiten rechtfertigt und verharmlost. Andererseits hat der Beklagte zu 2) der Klägerin nach ihrer Aussage bei der Polizei nie gedroht. Auch hatte die Kammer den Eindruck, dass die Klägerin durchaus selbstbewusst ist, sich grundsätzlich recht gut wehren kann und in der Lage zu sein erscheint, die Vorfälle zu verarbeiten und hinter sich zu lassen. Unter Berücksichtigung des mit dem Antrag zu 4) ebenfalls zugesprochenen materiellen Schadensersatzes hält die Kammer nach alldem den ausgeurteilten Betrag für angemessen.

Danach war insgesamt zu entscheiden, wie geschehen.

Die Entscheidung beruht im Kostenpunkt unter Berücksichtigung des Teilurteils auf §§ 92, 100 ZPO.

Der Streitwert wurde gem. §§ 61 I ArbGG, 42 II GKG, 3 ZPO festgesetzt.

Ein gesetzlich begründeter Anlass für eine gesonderte Berufungszulassung bestand nicht, § 64 III ArbGG.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Arbeitsgericht Weiden Schlussurteil, 16. Sept. 2015 - 3 Ca 1739/14

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Arbeitsgericht Weiden Schlussurteil, 16. Sept. 2015 - 3 Ca 1739/14

Referenzen - Gesetze

Arbeitsgericht Weiden Schlussurteil, 16. Sept. 2015 - 3 Ca 1739/14 zitiert 20 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen


(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 823 Schadensersatzpflicht


(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di

Zivilprozessordnung - ZPO | § 100 Kosten bei Streitgenossen


(1) Besteht der unterliegende Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen. (2) Bei einer erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung am Rechtsstreit kann nach dem Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Ma

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 4 Anrufung des Arbeitsgerichts


Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung er

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 615 Vergütung bei Annahmeverzug und bei Betriebsrisiko


Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch de

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 622 Kündigungsfristen bei Arbeitsverhältnissen


(1) Das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters oder eines Angestellten (Arbeitnehmers) kann mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden. (2) Für eine Kündigung durch den Arbeitgeber beträgt die K

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 252 Entgangener Gewinn


Der zu ersetzende Schaden umfasst auch den entgangenen Gewinn. Als entgangen gilt der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrschei

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 7 Wirksamwerden der Kündigung


Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht (§ 4 Satz 1, §§ 5 und 6), so gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam; ein vom Arbeitnehmer nach § 2 erklärter Vorbehalt erlischt.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 140 Umdeutung


Entspricht ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts, so gilt das letztere, wenn anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde.

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 12 Maßnahmen und Pflichten des Arbeitgebers


(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen wegen eines in § 1 genannten Grundes zu treffen. Dieser Schutz umfasst auch vorbeugende Maßnahmen. (2) Der Arbeitgeber soll in geeigneter Art und

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 13 Beschwerderecht


(1) Die Beschäftigten haben das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs, des Unternehmens oder der Dienststelle zu beschweren, wenn sie sich im Zusammenhang mit ihrem Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber, von Vorgesetzten, anderen Be

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Arbeitsgericht Weiden Schlussurteil, 16. Sept. 2015 - 3 Ca 1739/14 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

Arbeitsgericht Weiden Schlussurteil, 16. Sept. 2015 - 3 Ca 1739/14 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 20. Juni 2013 - 8 AZR 482/12

bei uns veröffentlicht am 20.06.2013

Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 13. Februar 2012 - 2 Sa 768/11 - wird zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 09. Juni 2011 - 2 AZR 323/10

bei uns veröffentlicht am 09.06.2011

Tenor 1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. Oktober 2009 - 11 Sa 511/09 - aufgehoben.

Referenzen

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht (§ 4 Satz 1, §§ 5 und 6), so gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam; ein vom Arbeitnehmer nach § 2 erklärter Vorbehalt erlischt.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

Der zu ersetzende Schaden umfasst auch den entgangenen Gewinn. Als entgangen gilt der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 13. Februar 2012 - 2 Sa 768/11 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche der Klägerin, die sich aufgrund ihrer Weltanschauung, ihres Alters sowie ihrer ethnischen Herkunft diskriminiert sieht.

2

Die 1961 geborene Klägerin ist Han-Chinesin. Sie hat an der P Fremdsprachenuniversität studiert. Ihr Vater ist an dieser Professor und Präsident des Chinesischen Germanistenverbandes. Die Klägerin ist nicht Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas.

3

Für die Beklagte ist die Klägerin seit 1987 als freie Mitarbeiterin und arbeitnehmerähnliche Person als Radio- und Onlineredakteurin in der Chinaredaktion beschäftigt. Die Beschäftigung wurde zwischen den Parteien seit Ende 2003 durch Honorarrahmenverträge geregelt.

4

Im Sommer 2008 geriet die Chinaredaktion - zumindest teilweise - in die öffentliche Kritik. Es wurde der Vorwurf erhoben, die Redaktion wahre zu wenig politische Distanz gegenüber der offiziellen chinesischen Regierungsmeinung. Schließlich wurden der Redaktionsleiter und seine Stellvertreterin versetzt. Die Leitung der Chinaredaktion übernahm Ende 2008 die Hauptabteilungsleiterin der Asienprogramme. Diese, des Chinesischen nicht mächtig, zog den Sinologen Prof. Dr. R zur Beratung hinzu, der die Online-Website täglich las und für die Beklagte wichtige Passagen übersetzte. Ende Februar 2009 wurde Y Chef vom Dienst, ohne dass eine Ausschreibung stattgefunden hätte. Y ist mongolischer Herkunft.

5

Zu den Aufgaben der Klägerin gehörten Interviews mit VIPs. Ein am 7. März 2009 mit dem Sinologen S durchgeführtes Interview zum Thema „Tibet“ wurde nicht veröffentlicht. Zur Frankfurter Buchmesse 2009 mit dem Gastland China entsandte die Beklagte andere Redaktionsmitglieder, nicht die Klägerin. Ein Workshop der Redaktion zu dem Thema „Strukturelle Veränderungen und Zusammenarbeit“, der am 2. Juli 2009 durchgeführt wurde, mündete in einem Papier mit Verhaltensleitlinien. Dieses unterschrieb die Klägerin nicht.

6

Unter dem 2. Juli 2009 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ab 1. August 2010 der Umfang der Beschäftigung eingeschränkt werde und die Klägerin mit einer um mehr als 20 % geminderten Vergütung rechnen müsse. Tatsächlich verdiente die Klägerin 2008 56.307,97 Euro brutto, 2009 noch 51.124,39 Euro brutto und 2010 schließlich 50.676,60 Euro brutto. Die Parteien einigten sich sodann am 20. Juli 2009 auf einen neuen, bis zum 31. Dezember 2010 befristeten Honorarrahmenvertrag.

7

Die Mittel für die Chinaredaktion wurden für 2010 um 60.000,00 Euro reduziert. Ohne Erfolg bewarb sich die Klägerin unter dem 10. April 2010 bei der Beklagten um eine Festanstellung. Die Stelle wurde an die etwa 34 Jahre alte Mitarbeiterin Ya vergeben.

8

Unter dem 28. Juni 2010 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie den Honorarrahmenvertrag über das vereinbarte Befristungsende am 31. Dezember 2010 hinaus nicht mehr verlängern werde. Das nach dem Tarifvertrag für arbeitnehmerähnliche Personen vorgeschriebene Personalgespräch wurde durchgeführt. Die Klägerin erhielt die tarifliche Leistung, die im Falle der Nichtfortsetzung der freien Mitarbeit vorgesehen ist.

9

Mit Schreiben vom 27. August 2010 verlangte die Klägerin, ihre Beschäftigung zu verlängern und ließ mögliche Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche dem Grunde nach geltend machen. Die Beklagte lehnte unter dem 10. Oktober 2010 eine weitere Beschäftigung ab und verwies darauf, dass wegen der stark geänderten Programminhalte und der medialen Arbeitsweise der Chinaredaktion die journalistischen Defizite der Klägerin eine weitere Zusammenarbeit nicht zuließen. Mit Eingang beim Arbeitsgericht am 2. Dezember 2010 hat die Klägerin die vorliegende Klage erheben lassen.

10

Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte habe ihr „Sympathie für die Volksrepublik China und damit Unterstützung für die KP China“ und mithin eine Weltanschauung unterstellt. Ihre Entlassung beruhe auf der Unterstellung, sie sei gegenüber der Volksrepublik China zu regierungsfreundlich. Dieser tatsächlich unzutreffende Vorwurf sei anlässlich der Auseinandersetzung um das Interview mit S zum Tibet-Konflikt deutlich geworden. Zahlreiche ihrer Kommilitonen an der P Fremdsprachenuniversität seien mittlerweile Diplomaten in wichtigen Positionen oder in sonstigen Führungspositionen.

11

Wegen der ihr unterstellten, in der Sache nicht zutreffenden Weltanschauung habe die Beklagte sie seit 2008 benachteiligt. Der hinzugezogene externe Monitor sei von der Chinaredaktion als Zensor empfunden worden. Trotz besserer Eignung sei nicht die Klägerin, sondern Y zum Chef vom Dienst befördert worden. Ihr Interview mit S sei aufgrund der politischen Wertung durch die Redaktionsleitung nicht publiziert worden. Am 23. April 2009 sei sie wegen frühzeitigen Verlassens des Nachtdienstes abgestraft worden, obwohl ein solches Verhalten bis dahin üblich gewesen sei. Die Teilnahme an der Buchmesse sei ihr im Sommer 2009 verweigert worden, obschon auch sie politische Beiträge verfasst habe und dafür geeignet gewesen sei. Die Arbeitsverhältnisse derjenigen Mitarbeiter, die die Verhaltensgrundsätze für die Chinaredaktion nicht unterschrieben hatten, seien entweder beendet oder stark eingeschränkt worden. Andererseits seien sogar neue freie Mitarbeiter beschäftigt worden. Die Beklagte könne somit nicht den Zwang zu Einsparungen als Begründung für ihre Entlassung anführen. Der nicht näher begründete Vorwurf journalistischer Defizite im Schreiben vom 10. Oktober 2010 sei verletzend als Maßregelung nach § 16 AGG anzusehen. Sie habe 23 Jahre gearbeitet und an jeder Schulung teilgenommen.

12

Die Klägerin sieht sich darüber hinaus wegen ihrer ethnischen Herkunft diskriminiert. Ausdrücklich habe der als Kontrolleur tätige Prof. Dr. R geäußert, über bestimmte Themen sollten Redakteure chinesischer Sozialisierung nicht berichten.

13

Schließlich hat die Klägerin die Auffassung vertreten, dass sie auch wegen ihres Alters benachteiligt worden sei. Mit Schriftsatz vom 14. Januar 2011 habe der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Fluktuation bei den freien Mitarbeitern der Chinaredaktion ua. damit begründet, dass Mitarbeiter, die sich noch bis vor Kurzem in dem entsprechenden Sendegebiet aufgehalten hätten, über „frischere“ Sprachkenntnisse verfügten. Dies sei eine unmittelbare wie mittelbare Benachteiligung wegen ihres Alters. Diese werde auch daran deutlich, dass die erfolgreiche Bewerberin um eine Festanstellung deutlich jünger gewesen sei.

14

Die Klägerin hat beantragt,

        

1.    

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, sämtliche materiellen Schäden bis zu einer Obergrenze von 10.000,00 Euro zu ersetzen, die der Klägerin aus der nicht erfolgenden Beschäftigung als redaktionell tätige Programmmitarbeiterin iSd. § 16 Satz 1 TVaP Deutsche Welle ab dem 1. Januar 2011 entstehen werden,

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, an sie eine angemessene Entschädigung, mindestens aber 30.000,00 Euro nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2011 zu zahlen,

        

3.    

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.903,70 Euro zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2011 aus 951,85 Euro sowie seit dem 1. März 2011 aus weiteren 951,85 Euro zu zahlen.

15

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat in Abrede gestellt, die Klägerin wegen einer Weltanschauung benachteiligt oder ihr überhaupt eine solche unterstellt zu haben. Die politische Diskussion um die Chinaredaktion habe seinerzeit die Onlineredaktion und nicht die Hörfunkredaktion betroffen, bei welcher die Klägerin überwiegend tätig gewesen sei. Soweit sie in geringem Umfang auch für den Onlinebereich gearbeitet habe, habe sich dies so gut wie überhaupt nicht auf politische Themen bezogen. Die Klägerin sei extrem unpolitisch und habe Beiträge zum „Lifestyle“ verfasst, also zB über Möbelmessen, Weinmessen usw. Das durchgeführte Interview mit Herrn S habe den Qualitätsanforderungen der Beklagten nicht entsprochen, zudem habe die Klägerin den ursprünglich vorgesehenen Interviewpartner Roland Koch als ehemaligen Hessischen Ministerpräsidenten eigenmächtig gegen den Sinologen S ausgetauscht, der schon nicht als VIP gelten könne. Prof. Dr. R sei auch kein „geheimer Zensor“ gewesen, sondern habe offen an den allgemeinen Diskussionsrunden der Redaktion teilgenommen. Mit Y habe die Beklagte den aus ihrer Sicht erfahrensten Journalisten zum Chef vom Dienst ernannt, was im Übrigen nicht die Besetzung einer Planstelle darstelle. Wegen unstreitig zu frühen Verlassens des Arbeitsplatzes sei die Klägerin lediglich ermahnt worden, ihre vertraglichen Pflichten einzuhalten.

16

Der Honorarrahmenvertrag sei aus Gründen des Haushalts, aber auch aus Gründen, die der Rundfunkfreiheit der Beklagten unterlägen, nicht verlängert worden. Die bislang getrennten Radio- und Onlineredaktionen seien zu einer einheitlichen Redaktion zusammengefasst worden, bei der zunehmend politische Inhalte in den Vordergrund gestellt werden sollten. Der Klägerin fehle Onlineerfahrung. Die von ihr überwiegend bearbeiteten Themenbereiche hätten mit politischem Journalismus nichts zu tun. Dem Ziel, einen Mitarbeiterstamm mit frischen Sprachkenntnissen zu pflegen, dienten nicht zuletzt die befristeten Beschäftigungsverhältnisse. Die Auffrischung von Sprachkenntnissen erfolge altersunabhängig durch Aufenthalte im Berichtsland. Im Rahmen ihrer verfassungsrechtlich garantierten Rundfunkfreiheit könne die Beklagte gerade im Bereich der freien Mitarbeiter Längerbeschäftigte gegen neue Kräfte austauschen.

17

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb vor dem Landesarbeitsgericht ohne Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche weiter.

Entscheidungsgründe

18

Die zulässige Revision ist unbegründet. Die Klägerin ist weder wegen ihrer Weltanschauung, noch wegen ihres Alters oder wegen ihrer ethnischen Herkunft benachteiligt worden; auch eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung hat sie nicht dargetan. Daher bestehen weder materielle Schadensersatzansprüche noch ein Entschädigungsanspruch.

19

A. Die Revision ist zulässig; die Klägerin hat zumindest eine zulässige Sachrüge erhoben.

20

I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG, § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört die Angabe der Revisionsgründe zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung. Bei Sachrügen sind diejenigen Umstände bestimmt zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt, § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO. Die Revisionsbegründung muss die angenommenen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind (st. Rspr., BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 72; 9. Februar 2011 - 7 AZR 91/10 - Rn. 14; 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 16, BAGE 130, 119). Die Revisionsbegründung hat sich daher mit den tragenden Gründen des Berufungsurteils auseinanderzusetzen. Das erfordert die konkrete Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll. Der Revisionsführer darf sich nicht darauf beschränken, seine Rechtsausführungen aus den Vorinstanzen zu wiederholen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass er das angefochtene Urteil für das Rechtsmittel überprüft und mit Blickrichtung auf die Rechtslage durchdenkt. Die Revisionsbegründung soll durch ihre Kritik an dem Berufungsurteil außerdem zur richtigen Rechtsfindung des Revisionsgerichts beitragen (BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - aaO). Die bloße Darstellung anderer Rechtsmeinungen ohne jede Auseinandersetzung mit den Gründen des Berufungsurteils genügt nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung (BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - aaO). Hat das Berufungsgericht über mehrere Streitgegenstände entschieden, muss die Revision für jeden Teil des Klagebegehrens begründet werden. Ein einheitlicher Revisionsangriff genügt nur dann, wenn die Entscheidung über den nicht eigens behandelten Anspruch denknotwendig von der ordnungsgemäß angegriffenen Entscheidung über den anderen Anspruch abhängt (BAG 15. Dezember 2011 - 8 AZR 197/11 - Rn. 25).

21

II. Nach diesen Grundsätzen ist die Revision der Klägerin zulässig. Sie hat nämlich gerügt, das Landesarbeitsgericht habe den Begriff des in § 1 AGG aufgeführten Merkmals der Weltanschauung verkannt. Damit wird die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Da sich die Klägerin zur Begründung ihrer Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche immer auch auf eine Benachteiligung wegen der Weltanschauung beruft, ist die Revision insgesamt zulässig.

22

B. Die Klage auf Feststellung, mit der die Klägerin die Ersatzpflicht der Beklagten für künftige materielle Schäden, die aus ihrer nicht erfolgten Weiterbeschäftigung entstehen, festgestellt wissen will, ist zulässig.

23

I. Das besondere Feststellungsinteresse ist nach § 256 Abs. 1 ZPO bei Klagen auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftiger Schäden grundsätzlich dann gegeben, wenn Schadensfolgen in der Zukunft möglich sind, auch wenn ihre Art, ihr Umfang und sogar ihr Eintritt noch ungewiss sind. Es muss allerdings eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Schadenseintritt bestehen (vgl. BAG 28. April 2011 - 8 AZR 769/09 - Rn. 26, AP SGB VII § 104 Nr. 6 = EzA RVO § 636 Nr. 14; 19. August 2010 - 8 AZR 315/09 - Rn. 29, AP SGB IX § 81 Nr. 18 = EzA ZPO 2002 § 318 Nr. 1).

24

II. Vorliegend ist das Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO zu bejahen.

25

1. Der Klägerin geht es um den Ersatz ihres materiellen Schadens, der darin besteht, dass sie nach dem 31. Dezember 2010 nicht mehr als freie Mitarbeiterin bei der Beklagten arbeitet. Der Feststellungsantrag zielt damit darauf ab, die Ersatzpflicht der Beklagten hinsichtlich des der Klägerin ab dem 1. Januar 2011 entgangenen laufenden monatlichen Entgelts festzustellen. Anspruchsgrundlage hierfür wäre § 15 Abs. 1 AGG. Eine Benachteiligung kann auch darin bestehen, dass es der Arbeitgeber unterlässt, dem Arbeitnehmer einen weiteren - befristeten oder unbefristeten Vertrag - anzubieten (vgl. BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 364/11 - Rn. 25). Es ist möglich, dass zukünftig Folgeschäden dadurch entstehen, dass der Klägerin Entgelt entgeht (vgl. auch § 252 BGB). Ob dieser Schaden gerade auf die angeblichen benachteiligenden Handlungen der Beklagten wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale zurückzuführen ist, ist eine Frage des Kausalzusammenhangs und damit der Begründetheit des Feststellungsantrags(vgl. auch BAG 22. Juli 2010 - 8 AZR 1012/08 - Rn. 105, AP AGG § 22 Nr. 2 = EzA AGG § 22 Nr. 2 bzgl. zukünftiger Schäden infolge einer unterbliebenen Beförderung).

26

2. Die Klägerin muss sich nicht darauf verweisen lassen, vorrangig eine Leistungsklage zu erheben. Es kann von der Beklagten als einer Bundesrundfunkanstalt des öffentlichen Rechts erwartet werden, dass sie einem stattgebenden Feststellungsurteil nachkommen wird. Mit dem Feststellungsantrag wird demnach eine umfassende Rechtsstreitbeilegung angestrebt (vgl. BAG 10. November 2011 - 6 AZR 481/09 - Rn. 14, AP BAT § 27 Nr. 13).

27

3. Es bestehen auch keine Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit des Antrags, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Bei einer Feststellungsklage gelten nicht die gleichen strengen Anforderungen an die Bestimmtheit des Antrags wie bei einer Leistungsklage. Einer Zwangsvollstreckung ist ein Feststellungsurteil nicht zugänglich. Wenn der sich noch in der Entwicklung befindende Schaden bei einer Feststellungsklage nicht beziffert werden muss, so kann es auch nicht schaden, wenn der Anspruchssteller freiwillig den festzustellenden Schaden in einer bestimmten Höhe begrenzt.

28

Die Unbestimmtheit des Antrags folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin erst in der Berufungsinstanz ihre geltend gemachte Ersatzpflicht für ihre zukünftigen materiellen Schäden auf 10.000,00 Euro begrenzt hat. Nachdem das Arbeitsgericht die Klage vollständig abgewiesen hatte, stand fest, dass die Beklagte keine Ersatzpflicht hinsichtlich etwaiger materieller Schäden trifft, welche über 10.000,00 Euro hinausgeht. Worauf sich die Begrenzung bezog, ist jedenfalls aufgrund einer Auslegung hinreichend genau zu ermitteln. Die Klägerin macht mit dem Klageantrag zu 1. ihr zukünftig entgehendes monatliches Entgelt als materiellen Schaden in Form des entgangenen Gewinns geltend. Wird der monatlich als Schadensersatz eingeforderte Betrag später beziffert, kann durch Aufaddierung der monatlichen Beträge bis zu der Grenze von 10.000,00 Euro problemlos ermittelt werden, wie weit der Feststellungsantrag reicht.

29

C. Die Feststellungsklage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin ist weder wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmals benachteiligt noch in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt oder gar schwer verletzt worden.

30

I. Als arbeitnehmerähnliche Person fällt die Klägerin unter den Schutz des AGG, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AGG.

31

II. Der Anspruch ist nicht verfallen, da die zweimonatige Frist des § 15 Abs. 4 AGG von der Klägerin gewahrt wurde. Die Ausschlussfrist verstößt entgegen der Rechtsansicht der Revision nicht gegen das Unionsrecht (vgl. BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 188/11 - Rn. 23 f.; 24. September 2009 - 8 AZR 705/08 - Rn. 40, AP AGG § 3 Nr. 2 = EzA AGG § 3 Nr. 1). Die Frist beginnt in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Betroffene Kenntnis von der Benachteiligung erlangt, § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG. Bei Dauertatbeständen beginnt die Frist erst mit Beseitigung des Zustands. Vorliegend sollte der Honorarrahmenvertrag seitens der Beklagten am 31. Dezember 2010 beendet werden, die Klägerin hatte jedoch schon mit anwaltlichem Schreiben vom 27. August 2010 Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche dem Grunde nach angemeldet.

32

Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kommt es nicht darauf an, ob mit der Feststellungsklage die Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG eingehalten worden ist. Denn auf den materiellen Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG findet § 61b ArbGG keine Anwendung(hM, vgl. GK-ArbGG/Schütz Stand März 2013 § 61b Rn. 8; ErfK/Koch 13. Aufl. § 61b ArbGG Rn. 2; Schwab/Weth/Walker ArbGG 3. Aufl. § 61b Rn. 7; Dü-well/Lipke/Kloppenburg 3. Aufl. § 61b Rn. 3; BCF/Creutzfeldt ArbGG 5. Aufl. § 61b Rn. 1; HWK/Ziemann 5. Aufl. § 61b ArbGG Rn. 1; aA Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 15 Rn. 57; Jacobs RdA 2009, 193, 202). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung, die nur von Entschädigung, nicht von Schadensersatz spricht (noch offen gelassen in BAG 22. Juli 2010 - 8 AZR 1012/08 - Rn. 46, AP AGG § 22 Nr. 2 = EzA AGG § 22 Nr. 2).

33

III. Die Klägerin ist nicht „wegen“ ihrer Weltanschauung oder einer ihr unterstellten Weltanschauung benachteiligt worden.

34

1. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde, wobei die sich nachteilig auswirkende Maßnahme direkt an das verbotene Merkmal anknüpfen muss(vgl. BAG 22. Juli 2010 - 8 AZR 1012/08 - Rn. 50, AP AGG § 22 Nr. 2 = EzA AGG § 22 Nr. 2). Eine Benachteiligung durch Unterlassen kommt in Betracht, wenn ein Arbeitgeber ein befristetes Arbeitsverhältnis wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes nicht verlängert(vgl. BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 364/11 - Rn. 25; vgl. auch EuGH 4. Oktober 2001 - C-438/99 - [Jiménez Melgar] Rn. 47, Slg. 2001, I-6915 = AP EWG-Richtlinie Nr. 92/85 Nr. 3 = EzA BGB § 611a Nr. 17, zur Nichterneuerung eines befristeten Vertrags bei einer schwangeren Arbeitnehmerin). Dabei reicht es nach § 3 Abs. 1 Satz 1 letzte Alternative AGG aus, dass der Benachteiligte eine schlechtere Behandlung erfährt, als sie eine andere Person in einer vergleichbaren Lage erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung kann also auch in Betracht kommen, wenn es an konkreten Personen in einer vergleichbaren Lage mangelt.

35

2. Die Klägerin hat aber keine Indizien für die Vermutung vorgetragen, sie sei wegen einer ihr unterstellten Weltanschauung von der Beklagten benachteiligt worden.

36

a) Rechtlich zutreffend geht die Klage zunächst davon aus, dass ein Arbeitgeber einen Betroffenen auch dann benachteiligt, wenn er das Vorliegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bei der Benachteiligung irrig nur annimmt(§ 7 Abs. 1 Halbs. 2 AGG). Die Klägerin macht nicht geltend, von der Beklagten wegen einer bei ihr tatsächlich vorliegenden Weltanschauung benachteiligt worden zu sein. Sie sieht sich vielmehr benachteiligt, weil die Beklagte bei ihr - irrigerweise - eine Weltanschauung vermutet habe und sie aufgrund dieser unzutreffenden Vermutung ungünstiger behandelt habe, als es eine andere Person ohne eine solche vermutete Weltanschauung erfahren würde.

37

b) Rechtsfehlerfrei hat das Landesarbeitsgericht erkannt, dass die Klägerin keine Indizien dafür vorgetragen hat, dass die Beklagte ihr überhaupt eine „Weltanschauung“ unterstellt hat.

38

Die Klägerin hat vorgetragen, die Beklagte habe ihr unterstellt „Sympathie für die Volksrepublik China“ zu haben und „gegenüber der Volksrepublik China zu regierungsfreundlich“ zu sein. Wenn man zugunsten der Klägerin annimmt, die Beklagte habe bei ihr tatsächlich diese Einstellungen angenommen (Sympathie für die Volksrepublik China, zu freundliche Einstellung gegenüber der Regierung dieses Landes), stellt dies ersichtlich nicht die Annahme einer „Weltanschauung“ der Klägerin dar. Abgesehen davon, dass man Sympathie „für ein Land“ streng genommen gar nicht empfinden kann und der Vorwurf, „zu freundlich“ über das Handeln einer Regierung zu berichten, die sachliche Rüge mangelnder journalistischer Objektivität enthält, weist eine solche Kritik schon für sich genommen keinerlei Bezug zu einer Weltanschauung auf. Insbesondere indizierte eine solche Sichtweise der Klägerin entgegen der mit der Revision weiter vertretenen Auffassung keine „Unterstützung für die KP China“, wie dies die Klägerin ihrerseits schlussfolgern will. Aber selbst wenn die Beklagte solches unterstellt haben sollte, ergäbe sich daraus wiederum nicht, die Beklagte habe der Klägerin eine „Weltanschauung“ unterstellt. Abgesehen davon fehlt es an jeder Darlegung, inwieweit die Politik der KP China, das Handeln der Regierung der Volksrepublik China oder die in der Volksrepublik China stattfindenden gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Prozesse überhaupt noch „weltanschaulich“ fundiert sind. Entsprechendes gilt für den Hinweis der Klägerin, sie habe an der Fremdsprachenuniversität in P studiert und ihre Kommilitonen oder Studenten ihres Vaters seien heute Diplomaten oder bekleideten inzwischen hohe Funktionen. Insoweit legt die Klägerin schon nicht dar, welche Bedeutung solche Tatsachen in der Vorstellungswelt der Beklagten für die Behandlung der Klägerin gespielt haben sollen.

39

Es kann dabei dahinstehen, ob heute überhaupt noch von einer „kommunistischen Weltanschauung“ gesprochen werden kann, die im Allgemeinen eingenommen werden könnte oder die speziell im Falle der Volksrepublik China handlungsleitend ist. Unstrittig weist die Klägerin für ihre Person solches von sich, sie ist auch nicht Mitglied der KP China. Wenn sich andererseits die Beklagte einer in die Diskussion geratenen „Regierungsfreundlichkeit“ der Chinaredaktion näher angenommen hat und eine unter Umständen nicht gewahrte journalistische Distanz zum Handeln der Regierung in P abzubauen versuchte, so wandte sie sich weder gegen „Sympathie für die Volksrepublik China“ noch hatte dies mit „Unterstützung der KP China“ zu tun. Die Klägerin hat keine Tatsachen dargelegt, die den Schluss zulassen, sie sei wegen einer Weltanschauung oder auch nur wegen einer unterstellten Weltanschauung benachteiligt worden.

40

3. Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Landesarbeitsgericht weiter entschieden, dass jedenfalls ein Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Behandlung und einer „Weltanschauung“ vorliegend nicht zu bejahen ist.

41

a) Der Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Behandlung und dem Merkmal der Weltanschauung ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Weltanschauung anknüpft oder durch diese motiviert ist. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund das ausschließliche Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist. Ausreichend ist vielmehr, dass das verpönte Merkmal Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst hat (st. Rspr., vgl. BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 364/11 - Rn. 32; 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 42). Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an (BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 42).

42

b) Danach ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht selbst unter der Annahme, die Beklagte habe der Klägerin zu Unrecht eine Weltanschauung unterstellt, zu dem Ergebnis gekommen ist, dass eine Kausalität zwischen der Weltanschauung und dem Nachteil unwahrscheinlich ist.

43

aa) Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnene Überzeugung oder Nichtüberzeugung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen dem nach dem AGG verbotenen Merkmal und einem Nachteil kann revisionsrechtlich nur darauf überprüft werden, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt(BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 364/11 - Rn. 34; 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 36). Solche Fehler hat die Revisionsbegründung nicht aufgezeigt.

44

bb) Revisionsrechtlich ist es insbesondere nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht darauf abgestellt hat, dass die behaupteten Benachteiligungen zeitlich lange vor der Entscheidung lagen, die Zusammenarbeit mit der Klägerin zu beenden. Die Beklagte erneuerte den Honorarrahmenvertrag mit der Klägerin noch am 20. Juli 2009. Die Komplexe „Austausch der gesamten Redaktionsleitung“, „Ablehnung des VIP-Beitrags der Klägerin“ vom 7. März 2009, „Abstrafen wegen des frühzeitigen Verlassens des Nachtdienstes“ am 23. April 2009, „Einschränkung der Tätigkeit der Klägerin“ (April 2009) sowie „Nichtteilnahme an der Buchmesse“ am 4. Juni 2009 liegen sämtlich vor diesem Datum. Wenn die Beklagte sich im Juli 2009 entschied, die Zusammenarbeit mit der Klägerin fortzusetzen, erschließt sich nicht, weshalb sie sich wegen der gleichen Umstände ca. ein Jahr später entschließen sollte, die Zusammenarbeit mit ihr zu beenden. Im Übrigen handelt es sich hier um eine Würdigung vor allem auf tatsächlichem Gebiet, welche dem Berufungsgericht zukommt und einen Rechtsfehler jedenfalls nicht erkennen lässt.

45

cc) Schließlich hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler entschieden, dass sich die Beklagte im Rahmen der verfassungsrechtlich geschützten Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) darauf berufen kann, gerade im Bereich der redaktionell tätigen freien Mitarbeiter für eine gewisse Fluktuation sorgen zu wollen.

46

Es ist anerkannt, dass den Rundfunkanstalten die zur Erfüllung ihres Programmauftrags notwendige Freiheit und Flexibilität nicht genommen werden darf (vgl. BAG 26. Juli 2006 - 7 AZR 495/05 - Rn. 21, BAGE 119, 138; grundlegend BVerfG 13. Januar 1982 - 1 BvR 848/77 ua. - BVerfGE 59, 231). Die Klägerin war als Radio-/Onlineredakteurin beschäftigt und zählte damit auch zu den programmgestaltenden Redakteuren (BAG 26. Juli 2006 - 7 AZR 495/05 - Rn. 18, aaO). Das Landesarbeitsgericht hat auch eine Zusammenschau aller Indizien  und damit eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorgenommen.

47

4. Der Schadensersatzanspruch ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Benachteiligung der Klägerin wegen des Alters begründet.

48

Die Revision rügt ohne Erfolg, das Landesarbeitsgericht habe das rechtliche Gehör dadurch verletzt, dass es nicht gewürdigt habe, die erfolgreiche Bewerberin auf die Stelle im Jahre 2010, Frau Ya, sei 34 Jahre alt, und damit jünger als die Klägerin gewesen. Ausschlaggebend für die Stellenvergabe war aus Sicht des Berufungsgerichts jedoch die fehlende fachliche Qualifikation der Klägerin. Die allgemein gehaltenen Ausführungen zu ihren Vorzügen wie lange Berufserfahrung, gute Onlinekenntnisse, Teilnahme an Fortbildungen etc. ersetzen keinen substanziierten Vortrag zu den Vorgaben, die von der Beklagten für die Stelle gemacht wurden.

49

Auch die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zu den angeblich fehlenden „frischen Sprachkenntnissen“ der Klägerin sind nicht zu beanstanden. In Betracht kommt hier lediglich eine mittelbare Benachteiligung wegen des Alters, § 3 Abs. 2 AGG. Soweit die Revision (Seite 87 ff. der Revisionsbegründung) offenbar meint, das Berufungsgericht habe sich nicht mit einer möglichen mittelbaren Benachteiligung auseinander gesetzt, ist dies unzutreffend, weil offensichtlich keine unmittelbare Benachteiligung im Raum stand. Das Landesarbeitsgericht hat in dem Ausspruch des Prozessbevollmächtigten der Beklagten gar keinen Altersbezug erkennen können, weil sich die Aktualität von Sprachkenntnissen nach der Anbindung an das jeweilige Ausland richte und diese unabhängig von dem Alter sei. Dies lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen.

50

5. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur fehlenden Benachteiligung der Klägerin wegen ihrer ethnischen Herkunft sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zudem wiederholt die Klägerin hier lediglich ihren Sachvortrag aus der Berufungsinstanz, ohne einen Rechtsfehler in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuzeigen.

51

6. Die Schadensersatzklage ist überdies unbegründet, weil der haftungsausfüllende Zusammenhang zwischen angeblicher verbotener Diskriminierung und Schaden nicht dargelegt wird.

52

a) Für einen materiellen Schadensersatzanspruch der Klägerin nach § 15 Abs. 1 AGG wäre nämlich Voraussetzung, dass ihre Schlechterstellung - ihre Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmals einmal unterstellt - auch tatsächlich zu einem Schaden geführt hat bzw. führen wird. Der materielle Schaden, den die Klägerin geltend macht, besteht nach ihren eigenen Aussagen in dem ausgebliebenen monatlichen Entgelt als entgangenen Gewinn. Dieser Schaden wäre aber nur dann kausal auf ihre Benachteiligung wegen ihrer (angenommenen) Weltanschauung, ihres Alters oder ihrer ethnischen Herkunft zurückzuführen, wenn ansonsten alle Voraussetzungen für ein neues Vertragsangebot vorgelegen hätten, wenn also die unterbliebene Verlängerung oder Entfristung des Honorarrahmenvertrags lediglich deshalb unterblieben wäre, weil die Beklagte nach einem gemäß § 1 AGG verpönten Merkmal differenziert hat.

53

Ähnliche Überlegungen werden für die Situation eines abgelehnten Bewerbers angestellt (vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - Rn. 78, AP AGG § 15 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 10). Auch hier reicht es nicht aus, dass ein Bewerber im Laufe des Bewerbungsverfahrens diskriminiert worden ist, um einen materiell-rechtlichen Schaden gemäß § 15 Abs. 1 AGG wegen entgangenen Entgelts geltend machen zu können. Vielmehr kann diesen Schaden nur derjenige geltend machen, der ohne die benachteiligende Handlung auch tatsächlich genommen worden wäre, idR also der am besten geeignete Bewerber. Mit anderen Worten müssen auch hier alle Voraussetzungen für eine Übernahme des Betroffenen in ein Arbeitsverhältnis vorgelegen haben und der Vertragsschluss darf einzig nur an der Differenzierung wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmals gescheitert sein. Ähnlich wie bei einer erstmaligen Bewerbersituation ist für die Verlängerung eines befristeten Vertrags aus Arbeitgebersicht entscheidend, dass es sich um die oder den bestmöglichen Kandidaten(in) für eine weitere Vertragsverlängerung handelt. Die Beweiserleichterung gemäß § 22 AGG findet hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität keine Anwendung(vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - Rn. 79, aaO; ErfK/Schlachter 13. Aufl. § 15 AGG Rn. 3; MüKoBGB/Thüsing 6. Aufl. § 22 AGG Rn. 21; Windel RdA 2011, 193, 195).

54

b) Nach dem Vortrag der Klägerin und dem gesamten Akteninhalt kann nicht festgestellt werden, dass die unterbliebene Entfristung oder Verlängerung des Honorarrahmenvertrags an einer nach §§ 1, 7 AGG verbotenen Differenzierung auf Seiten der Beklagten scheiterte. Die Klägerin trägt nicht vor, die Beklagte habe ansonsten kundgetan, den Vertrag mit ihr eigentlich verlängern zu wollen. Die Klägerin hat auch nicht dargelegt, dass bei der Beklagten grundsätzlich die Bereitschaft bestand, befristete Honorarrahmenverträge nochmals zu verlängern. Unstreitig musste die Beklagte vorgegebene Budgeteinsparungen bei der Chinaredaktion umsetzen.

55

7. Die Revision ist ebenfalls unbegründet, soweit sie die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Berufungsgericht rügt (Art. 103 Abs. 1 GG).

56

a) Wird eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend gemacht, muss nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO die Revisionsbegründung die Darlegung der Verletzung dieses Anspruchs und deren Entscheidungserheblichkeit enthalten. Will der Revisionsführer geltend machen, das Landesarbeitsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es seine Ausführungen nicht berücksichtigt habe, muss er konkret dartun, welches wesentliche Vorbringen das Landesarbeitsgericht bei seiner Entscheidung übergangen haben soll. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brauchen nicht jedes Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu behandeln (vgl. etwa BVerfG 8. Oktober 2003 - 2 BvR 949/02 - zu II 1 a der Gründe; BGH 27. März 2003 - V ZR 291/02 - zu II 3 b bb (3) beta der Gründe, BGHZ 154, 288). Nach § 313 Abs. 3 ZPO sollen die Entscheidungsgründe eine „kurze Zusammenfassung” der Erwägungen enthalten, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht. Allein der Umstand, dass sich die Gründe einer Entscheidung mit einem bestimmten Gesichtspunkt nicht ausdrücklich auseinandersetzen, rechtfertigt daher nicht die Annahme, das Gericht habe diesen Gesichtspunkt bei seiner Entscheidung nicht erwogen (BAG 22. März 2005 - 1 ABN 1/05 - Rn. 13, BAGE 114, 157). Vielmehr bedarf es hierzu besonderer Umstände (vgl. BVerfG 8. Oktober 2003 - 2 BvR 949/02 - zu II 1 a der Gründe). Darüber hinaus hat der Revisionsführer die Entscheidungserheblichkeit der Gehörsverletzung darzutun (vgl. BAG 28. Januar 2009 - 4 AZR 912/07 - Rn. 11, AP ZPO § 551 Nr. 66 = EzA ZPO 2002 § 551 Nr. 10). Hierzu muss nachvollziehbar dargelegt werden, dass das Landesarbeitsgericht nach seiner Argumentationslinie unter Berücksichtigung des entsprechenden Gesichtspunkts möglicherweise anders entschieden hätte (BAG 22. März 2005 - 1 ABN 1/05 - aaO). Der Anspruch auf rechtliches Gehör schützt aber nicht davor, dass das Gericht dem Vortrag einer Partei in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht die aus deren Sicht richtige Bedeutung beimisst (BAG 17. März 2010 - 5 AZN 1042/09 - Rn. 11, BAGE 133, 330; 31. Mai 2006 - 5 AZR 342/06 (F) - Rn. 6, BAGE 118, 229).

57

b) Danach kann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör der Klägerin durch das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt werden. Entgegen der Ansicht der Revision hat das Landesarbeitsgericht den Vortrag der Klägerin entweder im Tatbestand oder in den Entscheidungsgründen behandelt und lediglich rechtlich anders als die Klägerin bewertet. Auch wenn nicht jede Einzelheit des klägerischen Vortrags in den Entscheidungsgründen noch einmal gesondert gewürdigt wird, kann die Klägerin nicht davon ausgehen, das Gericht habe diesen Vortrag nicht mit in seine rechtlichen Überlegungen einbezogen. Ein Gericht muss, wenn es im Gegensatz zu der Rechtsansicht einer Partei einem bestimmten Umstand nicht die gewünschte Bedeutung beimisst, dies nicht in jedem Einzelfall erläutern. Dies ergibt sich schon aus § 313 Abs. 3 ZPO, wonach die Erwägungen kurz zusammengefasst werden sollen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht. Dagegen bedeutet der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht, dass ein Gericht zu jedem von einer Partei vertretenen Argument erläutern müsste, warum es seine Entscheidung gerade auf diese Überlegung nicht gestützt hat.

58

c) Die Revision legt im Übrigen nicht dar, dass das Berufungsurteil auf dem Rechtsfehler eines übergangenen Sachvortrags beruhte. Für das Landesarbeitsgericht war entscheidend, dass die Zusammenarbeit mit der Klägerin beendet wurde, weil sie nicht mehr in das geänderte redaktionelle Konzept passte, eine Personalreduzierung aus Kostengründen notwendig war und die Beklagte im Rahmen des ihr zukommenden Schutzes der Rundfunkfreiheit Wert legte auf eine Fluktuation bei den freien Mitarbeitern. Damit hat sich die Revision substanziell nicht weiter auseinandergesetzt.

59

Dass die Berufungsrichter den Schadensersatzansprüchen der Klägerin unter dem Gesichtspunkt einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung (§ 823 Abs. 1 BGB) oder einer Maßregelung (§ 612a BGB, § 16 AGG) der Klägerin nicht näher getreten sind, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte kann und darf die für sie maßgeblichen Qualifikationsaspekte in Relation zu ihrem jeweiligen redaktionellen Konzept definieren und handhaben; wenn im Rahmen solcher Entwicklungen die Zusammenarbeit mit der Klägerin nicht fortgesetzt wird, stellt dies weder ein persönliches Werturteil noch eine Maßregelung dar.

60

IV. Da die Beklagte weder im Umgang mit der Klägerin an ein durch § 1 AGG verbotenes Merkmal angeknüpft hat, noch ein Kausalzusammenhang zwischen einer Benachteiligung der Klägerin und einer unterstellten, nach § 7 AGG verbotenen Motivlage erkennbar wäre, hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht eine Indizwirkung der von der Klägerin angeführten Diskriminierungen oder Diskriminierungskomplexe abgelehnt. Schließlich ist sowohl nach dem Sachvortrag der Klägerin als auch nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ein schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin nicht zu erkennen. Einen solchen stellt es auch nicht dar, wenn der Honorarrahmenvertrag der Klägerin aufgrund der mit ihr vereinbarten Befristung ausläuft und nicht verlängert wird.

61

D. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Hauck    

        

    Böck    

        

    Breinlinger    

        

        

        

    Umfug    

        

    Andreas Henniger    

                 

Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

Entspricht ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts, so gilt das letztere, wenn anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde.

(1) Das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters oder eines Angestellten (Arbeitnehmers) kann mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden.

(2) Für eine Kündigung durch den Arbeitgeber beträgt die Kündigungsfrist, wenn das Arbeitsverhältnis in dem Betrieb oder Unternehmen

1.
zwei Jahre bestanden hat, einen Monat zum Ende eines Kalendermonats,
2.
fünf Jahre bestanden hat, zwei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
3.
acht Jahre bestanden hat, drei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
4.
zehn Jahre bestanden hat, vier Monate zum Ende eines Kalendermonats,
5.
zwölf Jahre bestanden hat, fünf Monate zum Ende eines Kalendermonats,
6.
15 Jahre bestanden hat, sechs Monate zum Ende eines Kalendermonats,
7.
20 Jahre bestanden hat, sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats.

(3) Während einer vereinbarten Probezeit, längstens für die Dauer von sechs Monaten, kann das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden.

(4) Von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Regelungen können durch Tarifvertrag vereinbart werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags gelten die abweichenden tarifvertraglichen Bestimmungen zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, wenn ihre Anwendung zwischen ihnen vereinbart ist.

(5) Einzelvertraglich kann eine kürzere als die in Absatz 1 genannte Kündigungsfrist nur vereinbart werden,

1.
wenn ein Arbeitnehmer zur vorübergehenden Aushilfe eingestellt ist; dies gilt nicht, wenn das Arbeitsverhältnis über die Zeit von drei Monaten hinaus fortgesetzt wird;
2.
wenn der Arbeitgeber in der Regel nicht mehr als 20 Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt und die Kündigungsfrist vier Wochen nicht unterschreitet.
Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen. Die einzelvertragliche Vereinbarung längerer als der in den Absätzen 1 bis 3 genannten Kündigungsfristen bleibt hiervon unberührt.

(6) Für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer darf keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. Oktober 2009 - 11 Sa 511/09 - aufgehoben.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 5. Februar 2009 - 1 Ca 1247/08 - wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte ist ein Unternehmen des Möbeleinzelhandels mit mehreren hundert Arbeitnehmern. Die Belegschaft hat einen Betriebsrat gewählt.

3

Der im Jahr 1950 geborene Kläger war seit dem 1. Juli 1976, zuletzt als Einkäufer und Produktmanager bei der Beklagten beschäftigt. Sein monatliches Bruttoeinkommen betrug 6.558,10 Euro.

4

Am 18. Oktober 2007 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung. Sie warf ihm vor, eine Mitarbeiterin mit einem Schlag auf das Gesäß belästigt zu haben.

5

Am 25. und 26. Juni 2008 war der Kläger in einem Betrieb der Beklagten in K eingesetzt. Gegenüber einer 26-jährigen Einkaufsassistentin der Beklagten machte er an diesen Tagen bei vier Gelegenheiten Bemerkungen sexuellen Inhalts. Die Mitarbeiterin meldete die Vorfälle der Beklagten. Diese hörte den Kläger am 4. Juli 2008 zu den Vorwürfen an.

6

Mit Schreiben vom 7. Juli 2008 leitete die Beklagte das Verfahren zur Anhörung des Betriebsrats ein. Der Betriebsrat stimmte der beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung mit Schreiben vom 10. Juli 2008 zu.

7

Mit Schreiben vom 11. Juli 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 28. Februar 2009.

8

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei rechtsunwirksam. Er habe die Mitarbeiterin nicht sexuell belästigt, sondern lediglich „geneckt“. Die Beklagte habe allenfalls mit einer Abmahnung reagieren dürfen. Die ihm zuvor erteilte Abmahnung sei nicht einschlägig. Im Übrigen sei die Anhörung des Betriebsrats nicht ordnungsgemäß erfolgt. Die Beklagte habe den Betriebsrat tendenziös informiert. Insbesondere mit einem Hinweis auf frühere Abmahnungen habe sie in unzulässiger Weise ein negatives Bild von ihm gezeichnet, auch wenn sie zugleich mitgeteilt habe, dass diese früheren Abmahnungen - unstreitig - schon wieder aus seiner Personalakte entfernt worden seien.

9

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose noch durch die fristgerechte Kündigung vom 11. Juli 2008 beendet worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, das Verhalten des Klägers stelle eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG dar. Darauf habe sie mit Blick auf die zuvor erteilte einschlägige Abmahnung von Oktober 2007 mit einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses reagieren dürfen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO)und zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, es fehle an einem wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung (I.). Die Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Dies kann der Senat selbst entscheiden, da die maßgeblichen Tatsachen feststehen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Beklagte hat die außerordentliche Kündigung innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt(II.). Die Kündigung ist nicht mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats unwirksam (III.). Die Klage gegen die nur hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung bleibt damit ebenfalls ohne Erfolg (IV.).

13

I. Die Kündigung vom 11. Juli 2008 beruht auf einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.

14

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21, AP BGB § 626 Nr. 220).

15

2. Das Verhalten des Klägers rechtfertigt „an sich“ eine außerordentliche Kündigung. Er hat eine Mitarbeiterin sexuell belästigt.

16

a) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet(vgl. BAG 25. März 2004 - 2 AZR 341/03 - zu B I 2 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 189 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 6). Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, ua. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (vgl. BAG 25. März 2004 - 2 AZR 341/03 - aaO mwN).

17

b) Der Kläger hat mit den vom Landesarbeitsgericht festgestellten Äußerungen am 25. und 26. Juni 2008 eine Mitarbeiterin der Beklagten an ihrem Arbeitsplatz wiederholt sexuell belästigt. Gegen die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger keine beachtlichen Verfahrensrügen erhoben. Sie sind damit für den Senat bindend (§ 559 Abs. 2 ZPO). Die Bewertung des Landesarbeitsgerichts, bei den Bemerkungen des Klägers habe es sich um sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehandelt, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

18

aa) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können danach auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen(Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 60; Kamanabrou RdA 2006, 321, 326; Kock MDR 2006, 1088, 1089; v. Roetteken AGG § 3 Rn. 375; Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 77).

19

Das jeweilige Verhalten muss bewirken oder bezwecken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Relevant ist entweder das Ergebnis oder die Absicht (Nollert-Borasio/Perreng AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 39). Für das „Bewirken“ genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle (v. Roetteken AGG § 3 Rn. 352, 383). Auf vorsätzliches Verhalten kommt es nicht an (ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 3 AGG Rn. 14). Im Vergleich zu § 2 Abs. 2 des mit Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 außer Kraft getretenen Beschäftigtenschutzgesetzes (BSchG) ist der Begriff der sexuellen Belästigung in § 3 Abs. 4 AGG in Umsetzung von Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 76/207/EWG vom 9. Februar 1976 (ABl. EG L 39 vom 14. Februar 1976 S. 40) idF der Richtlinie 2002/73/EG vom 23. September 2002 (ABl. EG L 269 vom 5. Oktober 2002 S. 15) weiter gefasst (vgl. Entwurfsbegründung BR-Drucks. 329/06 S. 34; BT-Drucks. 16/1780 S. 33; Nollert-Borasio/Perreng aaO Rn. 36; Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 76; v. Roetteken aaO Rn. 375). Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit erfordert - anders als noch § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BSchG(vgl. BAG 25. März 2004 - 2 AZR 341/03 - AP BGB § 626 Nr. 189 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 6) - nicht mehr, dass die Betroffenen ihre ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht haben (v. Roetteken aaO Rn. 360; ErfK/Schlachter aaO Rn. 12; AGG/Schleusener 3. Aufl. § 3 Rn. 157; Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert aaO Rn. 77a). Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war (v. Roetteken aaO Rn. 360; ErfK/Schlachter aaO; Wendeling-Schröder in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 3 Rn. 41).

20

bb) Danach lässt die Bewertung der Bemerkungen des Klägers als sexuelle Belästigungen durch das Landesarbeitsgericht keinen Rechtsfehler erkennen.

21

(1) Alle vier Bemerkungen hatten einen sexuellen Inhalt. Mit der ersten Bemerkung gab der Kläger in anzüglicher Weise der Erwartung Ausdruck, die Mitarbeiterin würde für ihn ihre körperlichen Reize zur Schau stellen. In Bezug auf den Zollstock stellte er einen anzüglichen Vergleich an. Beim Mittagessen sprach er die Mitarbeiterin auf ihr Sexualleben an. Schließlich machte er ihr explizit ein anzügliches Angebot.

22

(2) Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass die Unerwünschtheit dieser Bemerkungen objektiv und im Übrigen auch für den Kläger erkennbar gewesen sei. Das hat dieser nicht mit beachtlichen Verfahrensrügen angegriffen.

23

(3) Mit den wiederholten Bemerkungen sexuellen Inhalts hat der Kläger iSv. § 3 Abs. 4 AGG die Würde der Mitarbeiterin verletzt. Er hat diese an zwei aufeinander folgenden Arbeitstagen gleich mehrfach mit anzüglichen Bemerkungen verbal sexuell belästigt und damit zum Sexualobjekt erniedrigt. Dadurch entstand für die betroffene Mitarbeiterin zudem ein Arbeitsumfeld, in welchem sie jederzeit mit weiteren entwürdigenden Anzüglichkeiten seitens des Klägers rechnen musste.

24

(4) Der Kläger hat die sexuelle Belästigung der Mitarbeiterin iSv. § 3 Abs. 4 AGG „bewirkt“. Unmaßgeblich ist, wie er selbst sein Verhalten eingeschätzt und empfunden hat oder verstanden wissen wollte.

25

3. Die außerordentliche Kündigung ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt.

26

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32).

27

aa) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26, AP BGB § 626 Nr. 227 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30). Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können - je nach Lage des Falls - Bedeutung gewinnen. Sie sind jedenfalls bei der Interessenabwägung nicht generell ausgeschlossen und können berücksichtigt werden (BAG 16. Dezember 2004 - 2 ABR 7/04 - zu B II 3 b aa der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 191 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 7). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO).

28

bb) Den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz konkretisiert auch § 12 Abs. 3 AGG(vgl. BAG 25. Oktober 2007 - 8 AZR 593/06 - Rn. 68, BAGE 124, 295; noch zu § 4 Abs. 1 BSchG: BAG 25. März 2004 - 2 AZR 341/03 - zu B II 2 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 189 = BGB 2002 § 626 Nr. 6). Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehören, im Einzelfall die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen jedoch insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen (Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 12 Rn. 32; ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 12 AGG Rn. 3).

29

b) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 13. März 2008 - 2 AZR 88/07 - Rn. 25, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 87 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 73). Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz daraufhin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, aaO; 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219).

30

c) Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene einzelfallbezogene Interessenabwägung einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, trotz der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 rechtfertige das Fehlverhalten des Klägers keine negative Prognose, ist rechtsfehlerhaft.

31

aa) Die anzustellende Prognose fällt negativ aus, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden muss, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag in Zukunft erneut und in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Ist der Arbeitnehmer wegen gleichartiger Pflichtverletzungen schon einmal abgemahnt worden und verletzt er seine vertraglichen Pflichten gleichwohl erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch weiterhin zu Vertragsstörungen kommen ( BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82). Dabei ist nicht erforderlich, dass es sich um identische Pflichtverletzungen handelt (vgl. BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 40, aaO). Es reicht aus, dass die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben Bereich stammen und somit Abmahnungs- und Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen (BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 41, aaO; 16. Januar 1992 - 2 AZR 412/91 - zu B I 2 b bb der Gründe, EzA BGB § 123 Nr. 36). Entscheidend ist letztlich, ob der Arbeitnehmer aufgrund der Abmahnung erkennen konnte, der Arbeitgeber werde weiteres Fehlverhalten nicht hinnehmen, sondern ggf. mit einer Kündigung reagieren (HaKo-Fiebig 3. Aufl. § 1 Rn. 233; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 281).

32

bb) Nach diesen Grundsätzen bestand zwischen der der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 zugrunde liegenden Pflichtverletzung und den zur Kündigung führenden Pflichtverstößen ein ausreichender innerer Zusammenhang.

33

(1) Der Kläger war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mit Schreiben vom 18. Oktober 2007 wegen der Belästigung einer Mitarbeiterin durch einen Schlag auf das Gesäß abgemahnt worden. Die Bewertung dieses Verhaltens als sexuelle Belästigung iSd. § 3 Abs. 4 AGG durch das Landesarbeitsgericht ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Bei einem Schlag auf das Gesäß handelt es sich um einen Eingriff in die körperliche Intimsphäre, der objektiv als sexuell bestimmt iSv. § 3 Abs. 4 AGG anzusehen ist(vgl. Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 55; v. Roetteken AGG § 3 Rn. 378; AGG/Schleusener 3. Aufl. § 3 Rn. 153; Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 77a; Wendeling-Schröder in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 3 Rn. 45). Auf die Motivation des Klägers kam es nicht an.

34

(2) Mit den zur Kündigung führenden verbalen sexuellen Belästigungen trat eine der körperlichen Belästigung gleichartige Unzuverlässigkeit und Grenzüberschreitung des Klägers zu Tage. Es geht in beiden Fällen um ein die Integrität der Betroffenen missachtendes, erniedrigendes Verhalten. Unerheblich ist, in welcher Form sich die Belästigungen äußerten.

35

(3) Die Warnfunktion der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 war nicht etwa auf körperlich belästigendes Verhalten beschränkt. Die Beklagte hatte zum Ausdruck gebracht, dass sie bei einer erneuten Pflichtverletzung die Kündigung erklären werde. Der Kläger konnte ohne Weiteres erkennen, dass die Beklagte die abermalige Belästigung einer Mitarbeiterin - unabhängig davon, ob diese verbal oder durch körperliche Berührung stattfände - nicht hinnehmen und zum Anlass für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nehmen würde.

36

d) Im Hinblick darauf war der Beklagten bei Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Weiterbeschäftigung des Klägers auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar. Eine solche Abwägung durch den Senat selbst ist möglich, weil die des Berufungsgerichts rechtsfehlerhaft ist und alle relevanten Tatsachen feststehen.

37

aa) Die Pflichtverletzung des Klägers wiegt schwer. Er hat eine Mitarbeiterin an zwei Arbeitstagen hintereinander mehrmals sexuell belästigt. Verbale Belästigungen bewegen sich entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht generell in einem „weniger gravierenden Bereich“ des durch § 3 Abs. 4 AGG aufgezeigten Spektrums. Auch die Intensität verbaler Belästigungen kann vielmehr erheblich sein. So liegt es im Streitfall. Der Kläger hat der Mitarbeiterin mit immer neuen Varianten verbaler Anzüglichkeiten zugesetzt. Die Äußerungen fielen bei unterschiedlichsten Gelegenheiten. Es handelte sich nicht etwa um eine einmalige „Entgleisung“. Die Belästigungen erfolgten fortgesetzt und hartnäckig. Der auf eigene körperliche Merkmale anspielende anzügliche Vergleich hatte zudem, ebenso wie das an die Mitarbeiterin gerichtete anzügliche Angebot, bedrängenden Charakter.

38

bb) Der Kläger kann sich nicht auf einen Irrtum über die Unerwünschtheit seiner Verhaltensweise berufen. Sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG erfordern tatbestandlich kein vorsätzliches Verhalten. Zwar wird es zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sein, wenn er sich nachvollziehbar in einem solchen Irrtum befand. Der Kläger setzte aber nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts die Belästigungen trotz einer für ihn erkennbar ablehnenden Haltung der Mitarbeiterin fort.

39

cc) Der nochmalige Ausspruch nur einer Abmahnung war kein der Beklagten zumutbares milderes Mittel. Nachdem sich der Kläger die vorhergegangene Abmahnung nicht zur Warnung hatte gereichen lassen, war davon auszugehen, dass dieses Mittel zukünftige Pflichtverletzungen nicht würde verhindern können. Schon aufgrund der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 musste der Kläger für den Fall der erneuten sexuellen Belästigung mit einer Kündigung rechnen. Auch seine langjährige Betriebszugehörigkeit war angesichts dessen nicht mehr geeignet, Erwartungen in seine künftige Zuverlässigkeit zu begründen. Der Umstand, dass sich der Kläger noch vor Ausspruch der Kündigung bei der betroffenen Mitarbeiterin entschuldigt hatte, rechtfertigt keine andere Bewertung. Der Kläger hatte sich dazu erst nach dem Personalgespräch am 4. Juli 2008 und damit unter dem Eindruck einer bereits drohenden Kündigung entschlossen.

40

dd) Der Beklagten war auch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zuzumuten. Die Beklagte hatte gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 AGG die Pflicht, ihr weibliches Personal effektiv vor weiteren sexuellen Belästigungen durch den Kläger zu schützen. Dies konnte sie durch den Ausspruch einer nur ordentlichen Kündigung nicht gewährleisten. Für den Lauf der Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Ende eines Kalendermonats hätte vielmehr die Gefahr einer Belästigung durch den Kläger - möglicherweise gerade verstärkt durch das absehbare Ende des Arbeitsverhältnisses - fortbestanden. Dessen erst nach dem Personalgespräch erfolgter Entschuldigung kommt auch insoweit kein besonderes Gewicht zu. Trotz seiner langjährigen Betriebszugehörigkeit und des relativ hohen Alters des Klägers überwog damit das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses dessen Interesse an einer Fortsetzung zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist.

41

II. Die Kündigung vom 11. Juli 2008 ist nicht nach § 626 Abs. 2 BGB unwirksam.

42

1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist dann der Fall, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 171/09 - Rn. 15, AP BGB § 626 Nr. 231 = EzA BPersVG § 108 Nr. 5; 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 18, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7).

43

2. Danach hat die Beklagte die Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Die Frist begann am 4. Juli 2008 zu laufen. Nach ihrem vom Kläger nicht bestrittenen Vorbringen hatte die Beklagte an diesem Tag erstmals Kenntnis von den Vorwürfen erlangt. Die Kündigung vom 11. Juli 2008 ist dem Kläger nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten noch an diesem Tag zugegangen.

44

III. Die außerordentliche Kündigung ist nicht wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats unwirksam.

45

1. Eine Kündigung ist gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht nur unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat überhaupt zu beteiligen, sondern auch dann, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat, vor allem seiner Unterrichtungspflicht nach Satz 2 der Vorschrift nicht ausreichend nachgekommen ist. An die Mitteilungspflicht im Anhörungsverfahren sind dabei nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungen des Arbeitgebers im Prozess. Es gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände und Gründe für die Kündigung unterbreitet hat (BAG 22. April 2010 - 2 AZR 991/08 - Rn. 13, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 163 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 26; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 163/07 - Rn. 18, AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 18 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 16). Dagegen führt eine bewusst unrichtige oder unvollständige und damit irreführende Darstellung zu einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats (BAG 5. November 2009 - 2 AZR 676/08 - Rn. 40, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 183 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 20; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 163/07 - aaO).

46

2. Danach hat die Beklagte den Betriebsrat mit ihrem Schreiben vom 7. Juli 2008 ausreichend informiert. Sie hat ihm mit der Schilderung des belästigenden Verhaltens des Klägers am 25. und 26. Juni 2008 die aus ihrer Sicht tragenden Gründe für die beabsichtigte Kündigung unterbreitet. Darüberhinaus hat sie den Betriebsrat an „die einschlägige Abmahnung vom 18. Oktober 2007 und an die anderen einschlägigen Hinweise und Abmahnungen aus den letzten Jahren (…) erinnert“. Aus ihrer Sicht enthielt dies auch angesichts des Umstands, dass die früheren Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers bereits entfernt waren, keine unrichtige Information.

47

3. Die Beklagte brauchte nicht den Ablauf der Frist von drei Tagen abzuwarten, die dem Betriebsrat gem. § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG zur Stellungnahme eingeräumt ist. Der Arbeitgeber kann eine Kündigung auch schon vor Fristablauf aussprechen, wenn der Betriebsrat erkennbar abschließend zu der Kündigungsabsicht Stellung genommen hat. Das Anhörungsverfahren ist dann beendet (vgl. BAG 24. Juni 2004 - 2 AZR 461/03 - zu B II 2 b bb der Gründe, AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 22 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 9; 15. November 1995 - 2 AZR 974/94 - zu II 2 a der Gründe, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 73 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 89). So liegt der Fall hier. Der Betriebsrat hatte mit Schreiben vom 10. Juli 2008, unterzeichnet vom Betriebsratsvorsitzenden, der Kündigung ausdrücklich und vorbehaltlos zugestimmt.

48

IV. Da die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang am 11. Juli 2008 beendet hat, bleibt die Klage gegen die ordentliche Kündigung zum 28. Februar 2009 schon deshalb ohne Erfolg.

49

V. Als unterlegene Partei hat der Kläger gem. § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten von Berufung und Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Koch    

        

    Rachor    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Dr. Roeckl    

                 

(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen wegen eines in § 1 genannten Grundes zu treffen. Dieser Schutz umfasst auch vorbeugende Maßnahmen.

(2) Der Arbeitgeber soll in geeigneter Art und Weise, insbesondere im Rahmen der beruflichen Aus- und Fortbildung, auf die Unzulässigkeit solcher Benachteiligungen hinweisen und darauf hinwirken, dass diese unterbleiben. Hat der Arbeitgeber seine Beschäftigten in geeigneter Weise zum Zwecke der Verhinderung von Benachteiligung geschult, gilt dies als Erfüllung seiner Pflichten nach Absatz 1.

(3) Verstoßen Beschäftigte gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1, so hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen.

(4) Werden Beschäftigte bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch Dritte nach § 7 Abs. 1 benachteiligt, so hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu ergreifen.

(5) Dieses Gesetz und § 61b des Arbeitsgerichtsgesetzes sowie Informationen über die für die Behandlung von Beschwerden nach § 13 zuständigen Stellen sind im Betrieb oder in der Dienststelle bekannt zu machen. Die Bekanntmachung kann durch Aushang oder Auslegung an geeigneter Stelle oder den Einsatz der im Betrieb oder der Dienststelle üblichen Informations- und Kommunikationstechnik erfolgen.

(1) Die Beschäftigten haben das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs, des Unternehmens oder der Dienststelle zu beschweren, wenn sie sich im Zusammenhang mit ihrem Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber, von Vorgesetzten, anderen Beschäftigten oder Dritten wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt fühlen. Die Beschwerde ist zu prüfen und das Ergebnis der oder dem beschwerdeführenden Beschäftigten mitzuteilen.

(2) Die Rechte der Arbeitnehmervertretungen bleiben unberührt.

(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen wegen eines in § 1 genannten Grundes zu treffen. Dieser Schutz umfasst auch vorbeugende Maßnahmen.

(2) Der Arbeitgeber soll in geeigneter Art und Weise, insbesondere im Rahmen der beruflichen Aus- und Fortbildung, auf die Unzulässigkeit solcher Benachteiligungen hinweisen und darauf hinwirken, dass diese unterbleiben. Hat der Arbeitgeber seine Beschäftigten in geeigneter Weise zum Zwecke der Verhinderung von Benachteiligung geschult, gilt dies als Erfüllung seiner Pflichten nach Absatz 1.

(3) Verstoßen Beschäftigte gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1, so hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen.

(4) Werden Beschäftigte bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch Dritte nach § 7 Abs. 1 benachteiligt, so hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu ergreifen.

(5) Dieses Gesetz und § 61b des Arbeitsgerichtsgesetzes sowie Informationen über die für die Behandlung von Beschwerden nach § 13 zuständigen Stellen sind im Betrieb oder in der Dienststelle bekannt zu machen. Die Bekanntmachung kann durch Aushang oder Auslegung an geeigneter Stelle oder den Einsatz der im Betrieb oder der Dienststelle üblichen Informations- und Kommunikationstechnik erfolgen.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.

(1) Besteht der unterliegende Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen.

(2) Bei einer erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung am Rechtsstreit kann nach dem Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(3) Hat ein Streitgenosse ein besonderes Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend gemacht, so haften die übrigen Streitgenossen nicht für die dadurch veranlassten Kosten.

(4) Werden mehrere Beklagte als Gesamtschuldner verurteilt, so haften sie auch für die Kostenerstattung, unbeschadet der Vorschrift des Absatzes 3, als Gesamtschuldner. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, nach denen sich diese Haftung auf die im Absatz 3 bezeichneten Kosten erstreckt, bleiben unberührt.