Arbeitsgericht Hagen Urteil, 11. Feb. 2015 - 3 Ca 2127/14
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 09.10.2014 nicht aufgelöst worden ist.
2. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die weitere, fristlose Kündigung des Beklagten vom 13.10.2014 aufgelöst worden ist.
3. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die weitere, außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 04.11.2014 mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2015 aufgelöst wird.
4. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens arbeitsvertragsgerecht als weiterzubeschäftigen.
5. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
6. Der Streitwert wird Euro festgesetzt.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit zweier fristloser arbeitgeberseitiger Kündigungen, einer außerordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung mit sozialer Auslauffrist sowie über einen Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers.
3Der -jährige Kläger ist seit dem als Dipl.- im Dienst gegen ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von Euro bei dem Beklagten beschäftigt. Gemäß arbeitsvertraglicher Bezugnahme finden auf das Arbeitsverhältnis die tarifvertraglichen Regelungen des TVöD Anwendung. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist hiernach inzwischen ordentlich unkündbar. Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50.
4Der Beklagte ist ein des . Ein Personalrat ist im Amt.
5Im Jahr 2013 hatte der Kläger dienstlichen Kontakt zu einer von ihm betreuten Klientin . Im April 2013 führte der Kläger zwei Beratungsgespräche mit Frau .
6Bei dem Beklagten wird im Sozialpsychiatrischen Dienst eine Dokumentationssoftware ISGA eingesetzt. Unter ISGA werden Falldokumentationen betreffend der dort betreuten Klienten angelegt.
7Der Kläger legte spätestens am 13.06.2013 eine Falldokumentation der Klientin in dem EDV-Programm ISGA an. Das Computerprogramm vergibt bei einer solchen Neuanlage eine Personen-ID. Die ID-Nummer der spätestens am 13.06.2013 angelegten Falldokumentation der Klientin lautet .
8Im Laufe des Jahres 2013 entwickelte sich eine partnerschaftliche Beziehung zwischen dem Kläger und Frau , die nach in dem vorliegenden Rechtsstreit unbestrittenem Klägervortrag in der Zeit von Mitte/Ende Juni 2013 bis Mitte Dezember 2013 bestand.
9In der Zeit zwischen dem 13.06.2013 und dem 10.12.2013 veränderte der Kläger in der in dem Programm ISGA angelegten Falldokumentation der Klientin verschiedene der eingegebenen Daten. So änderte er den Namen in , die Anschrift von in und die Telefonnummer von Frau . Ferner erfasste er einen anderen Namen der Schwester der Frau , über die der erste Kontakt zum Beklagten hergestellt worden war.
10Am 06.01.2014 legte der Kläger den Fall erneut in ISGA an, diesmal mit der Personen-ID .
11Am 03.03.2014 ging bei dem Beklagten eine gegen den Kläger gerichtete Dienstaufsichtsbeschwerde der Frau mit Anwaltsschreiben vom 27.02.2014 (Bl. 59 – 61 d. A.) ein. In dieser Dienstaufsichtsbeschwerde wurde der Vorwurf erhoben, der Kläger habe aus seinem dienstlichen Kontakt als Sozialarbeiter heraus mit der ihm anvertrauten Klientin Frau eine partnerschaftliche Beziehung aufgenommen, was äußerst bedenklich sei, da Frau aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation, insbesondere erheblicher psychischer Beeinträchtigungen, als Schutzbefohlene gegenüber dem Sozialpsychiatrischen Dienst des Beklagten angesehen werden müsse.
12Der Beklagte leitete aufgrund der Dienstaufsichtsbeschwerde Aufklärungsmaßnahmen ein und befragte u. a. den Kläger.
13Am 14.04.2014 fand ein Anhörungsgespräch mit dem Kläger statt. Für die Teilnehmer des Gesprächs auf Seiten des Beklagten wird auf die Angaben auf Seite 5 des Beklagtenschriftsatzes vom 15.12.2014 Bezug genommen (Bl. 240 d. A.). In der Anhörung gab der Kläger u. a. an, den Fall versehentlich unter einem anderen Namen angelegt zu haben. Am 06.01.2014 habe er den Fall „ “ neu angelegt, weil er am Jahresanfang Fälle durchgesehen habe und ihm der Fehler aufgefallen sei.
14Am 15.04.2014 nahm der Kläger erneut Änderungen in dem Fall in dem EDV-System vor, indem er den Namen in und den Vornamen von in änderte.
15Der Beklagte ließ ebenfalls im April 2014 über den EDV-Administrator die EDV-Daten in ISGA systematisch auswerten und die dortigen Falldaten überprüfen. Über das Ergebnis verhält sich ein Aktenvermerk des Beklagten mit Datum 19.04.2014 (Bl. 118 – 121 d. A., einschließlich Anlagen Bl. 122 – 163 d. A.). In dem Aktenvermerk heißt es (auszugsweise):
16„…
17Das beweist eindeutig, dass der Fall in der Zeit zwischen dem 13.06.2013 (letzte Falländerung aufgrund der Datensicherung vom 02.12.2013) und dem 10.12.2013 (letzte Falländerung aufgrund der Falldarstellung am 14.04.2014) umbenannt worden ist. Da als Person der letzten Änderungen immer Herr gespeichert wurde, ist auch gesichert, dass er diese Änderungen vorgenommen hat.
18…
19Diese Vielzahl der Veränderungen schließt ein fahrlässiges unbewusstes Vorgehen von Herrn aus.
20Herr hat somit vorsätzlich die dienstliche Falldokumentation, die der Aktenführung gleichkommt, verändert und damit gefälscht.
21…“
22Der Beklagte schaltete zudem Mitte April 2014 die Kriminalpolizei ein, da der Kläger sich nach ihrer Einschätzung nicht bereit zeigte, an einer Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken und da der Beklagte sich nicht in der Lage sah, Ermittlungen im privaten Umfeld von Frau durchzuführen. Hierbei erfuhr der Beklagte, dass gegen den Kläger bereits ein Ermittlungsverfahren wegen einer potenziellen Straftat nach § 174 c StGB (sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses) eingeleitet sei.
23Die Staatsanwaltschaft Hagen stellte in der Folgezeit die Ermittlungen gegen den Kläger wegen des Tatvorwurfs des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungsverhältnisses gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Hierüber verhält sich die in Kopie zur Gerichtsakte gereichte Einstellungsnachricht vom 12.09.2014 (Bl. 167 d. A.).
24Mit Anklageschrift vom 12.09.2014 (Bl. 57, 58 d. A.) erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Kläger vor dem Amtsgericht wegen rechtswidriger Datenveränderung, strafbar gemäß § 303 a StGB. Für den genauen Inhalt der Anklageschrift wird auf die zur Gerichtsakte gereichte Kopie Bezug genommen.
25Von der Anklageerhebung erfuhr der Beklagte am Nachmittag des 16.09.2014.
26Bis zur Anklageerhebung ist der Kläger bei dem Beklagten unverändert weiterbeschäftigt worden.
27Mit Schreiben vom 18.09.2014 hörte der Beklagte den Kläger zu der gegen ihn im Raum stehenden Vorwürfe an, worauf der Kläger sich am 23.09.2014, vertreten durch seine jetzige Prozessbevollmächtigte, einließ.
28Am 24.09.2014 ersuchte der Beklagte das LWL-Integrationsamt um Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers, die das LWL-Integrationsamt am 07.10.2014 erteilte, sowohl hinsichtlich einer außerordentlichen fristlosen Kündigung als auch einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist. Die schriftliche Zustimmung vom 07.10.2014 ist in Kopie zur Gerichtsakte gereicht (Bl. 12 d. A.), worauf Bezug genommen wird. Gegen diese Zustimmung hat der Kläger Widerspruch eingelegt, worüber noch nicht entschieden ist.
29Mit Schreiben vom 07.10.2014 (Bl. 62 – 66 d. A.) hörte der Beklagte den bei ihm gebildeten Personalrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Kündigung, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist des Arbeitsverhältnisses des Klägers an. Für den Inhalt der Personalratsanhörung wird im Einzelnen auf die zur Gerichtsakte gereichte Kopie Bezug genommen. Am Ende des Anhörungsschreibens heißt es, sowohl die fristlose, wie auch die hilfsweise außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist seien jeweils beabsichtigt als Tatkündigung wegen rechtswidriger Datenveränderung, § 303 a StGB, hilfsweise als Verdachtskündigung aus demselben, genannten Grund.
30Der Personalrat reagierte auf die Anhörung mit schriftlicher Stellungnahme vom 09.10.2014 (Bl. 249 – 251 d. A.), für deren Inhalt ebenfalls auf die zur Gerichtsakte gereichte Kopie Bezug genommen wird. Hinsichtlich der hilfsweise beabsichtigten außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist lehnte er die Zustimmung ab, im Wesentlichen gestützt darauf, dass die Ausschlussfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB für den Kündigungsausspruch nicht gewahrt sei.
31Noch mit Schreiben vom 09.10.2014 (Bl. 13 d. A.), dem Kläger zugegangen am selben Tag, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos wegen rechtswidriger Datenveränderung (§ 303 a StGB), hilfsweise wegen des dahingehenden dringenden Verdachts. Für den genauen Inhalt des Kündigungsschreibens wird auf die zur Gerichtsakte gereichte Kopie Bezug genommen. Unterzeichnet ist das Kündigungsschreiben mit dem Zusatz „im Auftrag“. Dem Kündigungsschreiben war keine Vollmachtsurkunde beigefügt. Oben auf dem Schreiben wird als Auskunftsperson Herr genannt, der der Leiter der „Servicestelle Personal und Organisation“ bei dem Beklagten ist.
32Mit Schreiben vom 10.10.2014 (Bl. 15 f. d. A.) wies der Kläger gegenüber dem Beklagten die Kündigung gemäß § 174 BGB zurück, da mit dem Kündigungsschreiben keine Vollmacht vorgelegt wurde.
33Mit Schreiben vom 13.10.2014 (Bl. 29 d. A.), diesmal unterzeichnet durch die Kreisdirektorin , kündigte der Beklagte erneut das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos. Die in dem Kündigungsschreiben vom 13.10.2014 angegebenen Kündigungsgründe sind identisch mit denen in dem Kündigungsschreiben vom 09.10.2014.
34Gegen die Rechtswirksamkeit der Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 09.10.2014 wendet sich der Kläger mit seiner am 13.10.2014 vorab per Fax und am 14.10.2014 im Original bei Gericht eingehenden Klageschrift. Gegen die Rechtswirksamkeit der Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 13.10.2014 wendet sich der Kläger mit klageerweiterndem Schriftsatz vom 22.10.2014, eingehend bei Gericht per Fax am 22.10.2014 und im Original am 23.10.2014.
35Nachdem der Personalrat mit Schreiben vom 09.10.2014 die Zustimmung zu der außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist verweigert hatte, wurde die Zustimmung durch einstimmigen Beschluss der Einigungsstelle am 04.11.2014 ersetzt, wofür im Einzelnen auf das Protokoll der Sitzung der Einigungsstelle vom 04.11.2014 Bezug genommen wird (Bl. 247 d. A.).
36Mit Schreiben vom 04.11.2014 (Bl. 73 d. A.), dem Kläger zugegangen am selben Tag, kündigte der Beklagte erneut das Arbeitsverhältnis des Klägers, diesmal hilfsweise außerordentlich unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist von sechs Monaten zum Quartalsende, d. h. zum 30.06.2015. Unterschrieben ist dieses Kündigungsschreiben wieder von der Kreisdirektorin . Zur Begründung dieser Kündigung werden erneut dieselben Gründe angegeben, wie in den Kündigungsschreiben vom 09.10.2014 und 13.10.2014. Für den weiteren Inhalt des Kündigungsschreibens vom 04.11.2014 wird auch hier auf die zur Gerichtsakte gereichte Kopie Bezug genommen.
37Gegen die Rechtswirksamkeit der Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 04.11.2014 wendet sich der Kläger mit klageerweiterndem Schriftsatz vom 10.11.2014, eingehend bei Gericht per Fax am 10.11.2014 und per Originalschriftsatz am 12.11.2014.
38Der Kläger hält alle drei angegriffenen Kündigungen des Beklagten für rechtsunwirksam, da ein wichtiger Grund für deren Ausspruch nicht vorgelegen habe. Zudem sei die Ausschlussfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt, da der Kündigungssachverhalt, der Vorwurf der rechtswidrigen Datenveränderung gemäß § 303 a StGB, umfassend und vollständig bereits im April 2014 bekannt gewesen sei. Dies ergebe sich aus dem Aktenvermerk vom 19.04.2014. Ausgehend von dem 19.04.2014 hätte der Beklagte die Frist zum Kündigungsausspruch gemäß § 626 Abs. 2 BGB einhalten müssen, was angesichts der jetzt angegriffenen Kündigungen ersichtlich nicht der Fall sei. Der Beklagte habe hier nicht die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und die Anklageerhebung abwarten dürfen. Was die Datenveränderung anbelange, sei durch das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren kein Erkenntnisfortschritt zu erwarten gewesen. Die Staatsanwaltschaft habe in ihrer Anklage vielmehr den Sachverhalt anhand der durch den beklagten vorgelegten Beweismittel festgestellt und rechtlich gewürdigt.
39Der Kläger ist zudem der Auffassung, es liege keine ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats vor Ausspruch der angegriffenen Kündigungen vor, da der dem Personalrat mitgeteilte Sachverhalt zur Kündigungsbegründung hinsichtlich einzelner Angaben irreführend und falsch sei.
40Die erste Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 09.10.2014 sei zudem aus Gründen gemäß § 174 Satz 1 BGB unwirksam, da die Kündigung zu Recht mangels Vorlage einer erforderlichen Vollmachtsurkunde unverzüglich zurückgewiesen worden sei.
41Für die zweite Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 13.10.2014 als Wiederholungskündigung fehle es an einer erforderlichen erneuten Beteiligung des Personalrats vor Kündigungsausspruch. Auch sei die Kündigung nicht unverzüglich im Sinne von § 91 Abs. 5 SGB IX nach Vorliegen der Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen worden.
42Letzteres gelte auch für die dritte Kündigung mit Schreiben des Beklagten vom 04.11.2014.
43Der Kläger beantragt:
44- 45
1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung des beklagten vom 09.10.2014 nicht aufgelöst worden ist.
- 47
2. Der beklagte Kreis wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens arbeitsvertragsgerecht als weiterzubeschäftigen.
- 49
3. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die weitere, fristlose Kündigung des beklagten vom 13.10.2014 aufgelöst worden ist.
- 51
4. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die weitere, außerordentliche Kündigung des beklagten vom 04.11.2014 mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2015 aufgelöst wird.
Der Beklagte beantragt,
53die Klage abzuweisen.
54Der Beklagte ist der Auffassung, ein wichtiger Grund zum Ausspruch der angegriffenen Kündigungen, der es ihm unzumutbar mache, das Arbeitsverhältnis des Klägers auch nur bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen, liege vor. Dies ergebe sich aus den von dem Kläger unstreitig vorgenommenen, rechtswidrigen Datenveränderungen im Sinne von § 303 a StGB. Zu Lasten des Arbeitgebers begangene Straftaten würden in der Regel eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Vorliegend wiege der Vertrauensbruch besonders schwer, weil der Kläger Eintragungen im EDV-System manipuliert habe, denen Außenwirkung zukomme. Im hochsensiblen Bereich der könne sich jederzeit die Situation ergeben, dass der Beklagte sein Handeln durch Angabe korrekter Daten gegenüber Dritten, auch der Öffentlichkeit, rechtfertigen müsse. Der Beklagte müsse sich insoweit auf die Loyalität des Klägers verlassen können. Auch sei der Gesichtspunkt der Rufschädigung zu berücksichtigen.
55Die Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB sei ausgehend von dem Zeitpunkt der Kenntnis des Beklagten von der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft betreffend der rechtswidrigen Datenveränderungen (§ 303 a StGB) gewahrt. Der Beklagte habe unter Beachtung der Rechtsprechung des BAG den Ausgang des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens abwarten dürfen, zumal die Ermittlungsmöglichkeiten des Beklagten in Bezug auf Frau begrenzt gewesen seien.
56Der Personalrat sei zutreffend unter Beachtung des Kenntnisstandes des Beklagten von diesem vor Kündigungsausspruch über den für ihn maßgeblichen Kündigungssachverhalt unterrichtet worden. Es gelte der Grundsatz der subjektiven Determination.
57Der Beklagte trägt vor, Unterzeichner des Kündigungsschreibens vom 09.10.2014 sei ihr Personalleiter, der Zeuge gewesen, über dessen Position der Kläger informiert gewesen sei. Die Zurückweisung einer Kündigung gegenüber einem Personalleiter einer öffentlichen Einrichtung gehe ins Leere.
58Für das weitere Vorbringen der Parteien wird Bezug genommen auf die ausgetauschten und zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze sowie auf die in mündlicher Verhandlung zu Protokoll abgegebenen Erklärungen.
59Das Amtsgericht hat zwischenzeitlich das Hauptverfahren über die Anklage gegen den Kläger wegen widerrechtlicher Veränderung von Computerdaten eröffnet. Hauptverhandlungstermin wurde bestimmt auf den 16. April 2015. Zuletzt wurde der Termin in den Monat März 2015 vorgezogen.
60Entscheidungsgründe:
61A.
62Die Klage ist zulässig.
63Bei den Klageanträgen zu 1., 3. und 4. handelt es sich um zulässige, gegen eine jeweils konkret genannte Kündigung gerichtete Feststellungsanträge im Sinne von §§ 13 Abs. 1, 4 Satz 1 KSchG.
64Bei dem Klageantrag zu 2. handelt es sich um einen ausreichend bestimmten Weiterbeschäftigungsantrag, da kein Streit zwischen den Parteien über die arbeitsvertragsgerechte Beschäftigung des Klägers als besteht (siehe zur ausreichenden Bestimmtheit eines Weiterbeschäftigungsantrages nur Germelmann, Arbeitsgerichtsgesetz, 8. Auflage, § 46, Rdnr. 64).
65Die im Laufe des Rechtsstreits erfolgten Klageerweiterungen sind jedenfalls sachdienlich im Sinne von § 263 ZPO, da der bisherige Streitstoff eine verwertbare Entscheidungsgrundlage bleibt, die Zulassung die endgültige Beilegung des Streits fördert und hierdurch ein neuer Prozess vermieden wird.
66B.
67Die Klage ist auch in vollem Umfang begründet.
68Die mit den Klageanträgen zu 1., 3. und 4. angegriffenen Kündigungen sind jeweils rechtsunwirksam und haben das Arbeitsverhältnis des Klägers daher nicht beendet bzw. werden dieses nicht beenden. Der Beklagte ist dementsprechend gemäß Klageantrag zu 2. zur Weiterbeschäftigung zu verurteilen.
69a)
70Der Klageantrag zu 1. ist begründet, da das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 09.10.2014 nicht rechtswirksam fristlos beendet worden ist. Eine erfolgreiche Umdeutung der angegriffenen Kündigung in eine ordentliche Kündigung scheidet schon deshalb aus, da das Arbeitsverhältnis des Klägers unstreitig gemäß § 34 Abs. 2 TVöD ordentlich unkündbar ist.
71Zunächst ist festzustellen, dass der Kläger die Klagefrist gemäß §§ 13 Abs. 1, 4, 7 KSchG durch Klageerhebung am 13.10.2014 bei Gericht gewahrt hat.
72Die Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 09.10.2014 ist bereits rechtsunwirksam, weil die Frist gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB seit Kenntnis des Beklagten von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen nicht gewahrt ist. Dies gilt sowohl, soweit die Kündigung als Tatkündigung ausgesprochen ist, sowie auch, soweit sie als Verdachtskündigung ausgesprochen ist. Die Nichteinhaltung der Frist hat zur Folge, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam ist, da § 626 Abs. 2 BGB die unwiderlegbare gesetzliche Vermutung auslöst, dass der Grund seine Bedeutung für eine außerordentliche Kündigung verloren hat (siehe hierzu nur Erfurter Kommentar/Müller-Glöge, 15. Auflage, § 626 BGB, Rdnr. 221 m. w. N.). Auch für eine Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 34 Abs. 2 TVöD ist die Einhaltung der Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB bei Kündigungsausspruch erforderlich. Die tarifliche Regelung knüpft an die außerordentliche Kündigung gemäß § 626 BGB an (Sponer/Steinherr, TVöD, Gesamtausgabe, § 34, Rdnr. 114).
73Der Beklagte stützt die Kündigung mit Schreiben vom 09.10.2014 erkennbar auf den Tatvorwurf der rechtswidrig begangenen Datenveränderung (§ 303 a StGB) durch den Kläger, hilfsweise auch den dringenden Verdacht, eine rechtswidrige Datenveränderung im Sinne von § 303 a StGB vorgenommen zu haben. Dies ergibt sich aus den Angaben in dem Kündigungsschreiben des Beklagten vom 09.10.2014 zur Kündigungsbegründung, dem Sachvortrag des Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit, wie auch aus der Personalratsanhörung mit Schreiben vom 07.10.2014. Hierbei werden dem Kläger insbesondere die unstreitig erfolgten Datenveränderungen hinsichtlich der Falldokumentation der Klientin in dem Computerprogramm ISGA in der Zeit zwischen den 13.06.2013 und dem 10.12.2013 zum Vorwurf gemacht, wie sie Gegenstand der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 12.09.2014 (Bl. 57, 58 d. A.) sind. Der insoweit seitens des Beklagten angeführte Kündigungsgrund ist, mit Ausnahme der Tatsache der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft, dem Beklagten aber unstreitig seit April 2014 aufgrund des zur Gerichtsakte gereichten Aktenvermerks vom 19.04.2014 nebst Anlagen (Bl. 118 – 163 d. A.) vollumfassend bekannt. Die Staatsanwaltschaft hat keine erkennbaren, weiteren Ermittlungen durchgeführt, sondern in der Anklageschrift wird der Sachverhalt vielmehr anhand der durch den Beklagten vorgelegten Beweismittel festgestellt und rechtlich gewürdigt. Für den Beklagten stand folglich der Kündigungssachverhalt bereits Mitte April 2014 fest, weshalb ab diesem Zeitpunkt auch die Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begann. Die Einhaltung der Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB hat der Kündigende, vorliegend der Beklagte darzulegen und zu beweisen (siehe nur Münchener Kommentar BGB/Henssler, 6. Auflage, 2012, § 626, Rdnr. 346). Die Einhaltung der ab Mitte April 2014 laufenden Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB ist durch den Kündigungsausspruch am 09.10.2014 nicht erkennbar.
74Die weiteren Ausführungen des Beklagten im Zusammenhang mit dem Ausspruch der fristlosen Kündigung mit Schreiben vom 09.10.2014 gegenüber dem Kläger, wie die zu dem ursprünglichen Verdacht eines strafbaren Verhaltens des Klägers gemäß § 174 c StGB, zu Vorwürfen gegenüber dem Kläger aus der Vergangenheit oder einer möglichen Rufschädigung des Beklagten aufgrund der seitens des Klägers unstreitig vorgenommenen Datenveränderungen lassen für sich genommen substantiiert keinen weiteren wichtigen Grund für einen Ausspruch der angegriffenen fristlosen Kündigung vom 09.10.2014 erkennen, und spielen daher auch keine Rolle für die Einhaltung der Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB im Hinblick auf den wichtigen Grund „rechtswidrige Datenveränderung im Sinne von § 303 a StGB bzw. eines dahingehenden dringenden Verdachts“.
75Für die Einhaltung der Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB geht die Kammer von folgenden Grundsätzen nach der Rechtsprechung des BAG aus:
76Nach § 626 Abs. 2 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, soweit der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Auch grob fahrlässige Unkenntnis setzt die Frist nicht in Gang. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände (BAG, Urteil vom 27.01.2011 – 2 AZR 825/09 -, in: NZA 2011, 798 ff., juris Rdnr. 15; Urteil vom 22.11.2012 – 2 AZR 732/11 -, in: NZA 2013, 665 ff., juris Rdnr. 30).
77Geht es um ein strafbares Verhalten des Arbeitnehmers, darf der Arbeitgeber den Fort- und Ausgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten und abhängig davon in dessen Verlauf zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt kündigen. Für die Wahl des Zeitpunkts bedarf es eines sachlichen Grundes. Wenn der Kündigungsberechtigte neue Tatsachen erfahren oder neue Beweismittel erlangt hat und nunmehr ausreichende Erkenntnisse für eine Kündigung zu haben glaubt, kann er dies zum Anlass für den Ausspruch einer neuerlichen Kündigung nehmen (BAG, Urteil vom 27.01.2011 a. a. O., juris Rdnr. 16; Urteil vom 22.11.2012 a. a. O., juris Rdnr. 31).
78Der Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens – beispielsweise die Erhebung der öffentlichen Klage und die spätere Verurteilung – kann einen gegen den Arbeitnehmer bestehenden Verdacht, er habe seine Vertragspflichten verletzt, verstärken (BAG, Urteil vom 27.01.2011 a. a. O., juris Rdnrn, 17, 18; Urteil vom 22.11.2011 a. a. O., juris Rdnr. 32). Auch wenn derartige Umstände für sich genommen – d. h. ohne konkreten, den Kündigungsgrund stützenden Tatsachenvortrag - nicht ausreichen, eine Verdachts- oder Tatkündigung zu begründen, stellen sie doch einen Einschnitt dar, der in der Lage ist, den Verdacht oder die Überzeugung des Arbeitgebers zu verstärken, und der für den Beginn der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB von Bedeutung sein kann (BAG, Urteil vom 27.01.2011 a. a. O., juris Rdnr. 17 ff.; Urteil vom 22.11.2012 a. a. O., juris Rdnr. 32). Dies gilt jedenfalls dann, wenn etwa vor Erstattung der Strafanzeige nicht alle Vorfälle hinreichend aufgeklärt waren (BAG, Urteil vom 22.11.2012 a. a. O., juris Rdnr. 35).
79Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt demnach erneut zu laufen, wenn der Arbeitgeber eine neue, den Verdacht der Tatbegehung verstärkende Tatsache zum Anlass für eine Kündigung nimmt. Eine den Verdacht verstärkende Tatsache kann die Anklageerhebung im Strafverfahren darstellen, selbst wenn sie nicht auf neuen Erkenntnissen beruht. Der Umstand, dass eine unbeteiligte Stelle mit weiterreichenden Ermittlungsmöglichkeiten, als sie dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen, einen hinreichenden Tatverdacht bejaht, ist geeignet, den gegen den Arbeitnehmer gehegten Verdacht zu verstärken (BAG, Urteil vom 27.01.2011 a. a. O., juris Rdnr. 19).
80Vorliegend kommt der Tatsache der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft am 12.09.2014 gegen den Kläger wegen rechtswidriger Datenveränderung gemäß § 303 a StGB jedoch auch unter Beachtung der o. g. Rechtsprechung des BAG kein derartiges Gewicht zu, dass hierdurch die Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung dem Kläger gegenüber wegen eben dieser rechtswidrigen Datenveränderung neu zu laufen begonnen hätte. Den Sachverhalt der rechtswidrigen Datenveränderung hatte der Beklagte bereits Mitte April 2014 selbst intern umfassend ausermittelt, wie sich aus dem vorgelegten Aktenvermerk vom 19.04.2014 ergibt, der nebst beigefügter Anlagen klar aussagt, dass der Kläger vorsätzlich die dienstliche Falldokumentation, die der Aktenführung gleichkomme, verändert und damit gefälscht habe. Auch die weiteren Datenveränderungen des Klägers vom 15.04.2014, die nicht Gegenstand der Anklageschrift vom 12.09.2014 sind, sind bereits in dem Aktenvermerk vom 19.04.2014 auf Seite 2 oben festgehalten (Bl. 119 d. A.). Hinsichtlich der Datenveränderungen war durch das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren kein Erkenntnisfortschritt zu erwarten und ist tatsächlich auch nicht erfolgt, da die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift den Sachverhalt unstreitig ausschließlich anhand der von dem Beklagten vorgelegten Beweismittel festgestellt und rechtlich gewürdigt hat. In einem solchen Fall aber kann allein die Tatsache der Anklageerhebung nicht dazu führen, dass der hier gegen den Kläger gehegte Tatverdacht verstärkt wird und deshalb ab diesem Zeitpunkt die Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB erneut zu laufen beginnt. Dies ist auch aus der Entscheidung BAG, Urteil vom 22.11.2012 a. a. O., dort juris Rdnr. 35, zu folgern, wo das BAG auf eine nicht ausreichende Aufklärung vor Erstattung der dortigen Strafanzeige und einen relevanten Erkenntnisfortschritt durch Beweisaufnahme des mit den Möglichkeiten der Amtsermittlung ausgestatten Strafgerichts abstellt.
81Der Einigungsstelle, die die Frage der Einhaltung der Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB am 04.11.2014 anders bewertet hat, lag dabei offenbar der in dem vorliegenden Rechtsstreit vorgelegte Aktenvermerk vom 19.04.2014 betreffend Datenveränderungen durch den Kläger nicht vor, da sich dies auch nicht aus der Personalratsanhörung ergibt.
82Soweit die Ermittlungsmöglichkeiten des Beklagten in Bezug auf Frau in deren privatem Umfeld seinerzeit im April 2014 tatsächlich begrenzt waren, betraf dies dagegen den Verdacht einer Strafbarkeit des Klägers gemäß § 174 c StGB. Diesbezüglich aber hat die Staatsanwaltschaft am 12.09.2014 das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Wegen des Tatvorwurfs oder Verdachts eines strafbaren Verhaltens des Klägers gemäß § 174 c StGB hat folglich auch in keinem Fall zeitgleich mit der Anklageerhebung wegen § 303 a StGB die Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB (neu) begonnen, und wegen des Tatvorwurfs oder Verdacht gemäß § 174 c StGB hat der Beklagte auch ersichtlich nicht die angegriffene Kündigung ausgesprochen.
83Im Ergebnis kann folglich nicht festgestellt werden, dass der Beklagte vor Ausspruch der angegriffenen fristlosen Kündigung mit Schreiben vom 09.10.2014 gegenüber dem Kläger die Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB gewahrt hat. Dies gilt sowohl, soweit die Kündigung als Tatkündigung, wie auch, soweit sie als Verdachtskündigung ausgesprochen ist.
84Dementsprechend hat der Beklagte auch die Frist gemäß § 91 Abs. 2 SGB IX von zwei Wochen zur Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes vor Kündigungsausspruch nicht gewahrt.
85Die fristlose Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 09.10.2014 ist bereits wegen Nichteinhaltung der Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB rechtsunwirksam. Auf die weiteren Rechtsfragen, ob die Kündigung aus Gründen gemäß § 174 Satz 1 BGB, wegen Nichtvorliegens eines wichtigen Grundes oder wegen fehlerhafter Personalratsbeteiligung rechtsunwirksam ist, kommt es entscheidungserheblich nicht mehr an.
86Eine Umdeutung der Kündigung gemäß § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung scheidet aus, da das Arbeitsverhältnis des Klägers unstreitig gemäß § 34 Abs. 2 TVöD ordentlich unkündbar ist. Die Regelungen des TVöD sind kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme anwendbar. Der Kläger hat das . Lebensjahr vollendet und ist mehr als Jahre bei dem Beklagten beschäftigt.
87Dem Klageantrag zu 1. war folglich, wie geschehen, stattzugeben.
88b)
89Die Begründetheit des Klageantrages zu 3. ergibt sich aus demselben Grund, wie die des Klageantrages zu 1.
90Auch hier ist zunächst festzustellen, dass der Kläger durch Klageerweiterung eingehend bei Gericht am 22.10.2014 rechtzeitig gemäß §§ 13 Abs. 1, 4, 7 KSchG Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 13.10.2014 erhoben hat.
91Auch für die fristlose Kündigung mit Schreiben vom 13.10.2014 ist die Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB bei Kündigungsausspruch durch den Beklagten nicht gewahrt. Die Kündigung ist auf dieselben Gründe gestützt, wie die Kündigung vom 09.10.2014. Für die Nichteinhaltung der Frist kann auf die obigen Ausführungen zu dem Klageantrag zu 1. verwiesen werden.
92Eine Umdeutung der fristlosen Kündigung vom 13.10.2014 in eine ordentliche Kündigung scheidet auch hier aus Gründen des § 34 Abs. 2 TVöD aus.
93c)
94Auch die Begründetheit des Klageantrages zu 4. ergibt sich aus demselben Grund, wie die des Klageantrages zu 1.
95Auch hier ist zunächst festzustellen, dass der Kläger durch Klageerweiterung eingehend bei Gericht am 10.11.2014 rechtzeitig gemäß §§ 13 Abs. 1, 4, 7 KSchG Klage erhoben hat gegen die Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 04.11.2014.
96Auch für die außerordentliche Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 04.11.2014 ist die Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Auch diese Kündigung ist auf dieselben Gründe gestützt wie die beiden vorangegangenen Kündigungen vom 09.10.2014 und 13.10.2014. Für die Nichteinhaltung der Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB kann auf die obigen Ausführungen zu dem Klageantrag zu 1. verwiesen werden. Auch hier scheidet eine Umdeutung in eine ordentliche Kündigung aus Gründen des § 34 Abs. 2 TVöD aus.
97d)
98Die Begründetheit des Klageantrages zu 2. ergibt sich unter Berücksichtigung der Entscheidung des Großen Senats des BAG vom 27.02.1985 (GS 1/84, in: AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). In dieser Entscheidung hat der Große Senat des BAG ausgeführt, dass - außer im Fall einer offensichtlich unwirksamen Kündigung – regelmäßig aufgrund der Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsschutzprozesses ein schützenswertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers während des Kündigungsschutzprozesses besteht. Ergeht jedoch ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil, überwiegt in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses, es sei denn, es liegen besondere, hiergegen sprechende Umstände vor.
99Da vorliegend keine besonderen Umstände vorgetragen sind, die ausdrücklich für ein überwiegendes Interesse der Beklagten gegen eine Weiterbeschäftigung des Klägers sprechen, ist aufgrund der zuvor erfolgten gerichtlichen Feststellung der Unwirksamkeit der von der Beklagten ausgesprochenen Kündigungen dem Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers bis zum rechtkräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits stattzugeben.
100C.
101Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 91 ff. ZPO. Der Beklagte hat als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
102Die Streitwertfestsetzung ergibt sich gemäß §§ 46 Abs. 2, 61 Abs. 1 ArbGG, § 42 Abs. 2 GKG, §§ 3 ff. ZPO. Für den Klageantrag zu 1. wird gemäß § 42 Abs. 2 GKG ein Streitwert von drei Bruttomonatsverdiensten des Klägers für angemessen erachtet, für den Klageantrag zu 2. ein Streitwert von einem Bruttomonatsverdienst. Letzteres gilt auch für den Klageantrag zu 3., mit dem die zeitnah ausgesprochene zweite fristlose Kündigung angegriffen wird. Für den Klageantrag zu 4. wird wiederum ein Streitwert in Höhe von drei Bruttomonatsverdiensten des Klägers für angemessen erachtet aufgrund der dort ausgesprochenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses erst zum 30.06.2015.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Arbeitsgericht Hagen Urteil, 11. Feb. 2015 - 3 Ca 2127/14
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Urteil einreichenArbeitsgericht Hagen Urteil, 11. Feb. 2015 - 3 Ca 2127/14 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).
(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.
(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte.
(1) Eingliederungshilfe erhält, wer die erforderliche Leistung nicht von anderen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.
(2) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieser Teil entsprechende Leistungen vorsieht; dies gilt insbesondere bei einer gesetzlichen Verpflichtung der Träger anderer Sozialleistungen oder anderer Stellen, in ihrem Verantwortungsbereich die Verwirklichung der Rechte für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten oder zu fördern.
(3) Das Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung und der Leistungen der Eingliederungshilfe bestimmt sich nach § 13 Absatz 3 des Elften Buches.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
(1) Die Vorschriften über das Recht zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses werden durch das vorliegende Gesetz nicht berührt. Die Rechtsunwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung kann jedoch nur nach Maßgabe des § 4 Satz 1 und der §§ 5 bis 7 geltend gemacht werden. Stellt das Gericht fest, dass die außerordentliche Kündigung unbegründet ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat auf seinen Antrag das Gericht das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzulegen, zu dem die außerordentliche Kündigung ausgesprochen wurde. Die Vorschriften der §§ 10 bis 12 gelten entsprechend.
(2) Verstößt eine Kündigung gegen die guten Sitten, so finden die Vorschriften des § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 und der §§ 10 bis 12 entsprechende Anwendung.
(3) Im Übrigen finden die Vorschriften dieses Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 auf eine Kündigung, die bereits aus anderen als den in § 1 Abs. 2 und 3 bezeichneten Gründen rechtsunwirksam ist, keine Anwendung.
Nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit ist eine Änderung der Klage zulässig, wenn der Beklagte einwilligt oder das Gericht sie für sachdienlich erachtet.
(1) Die Vorschriften über das Recht zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses werden durch das vorliegende Gesetz nicht berührt. Die Rechtsunwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung kann jedoch nur nach Maßgabe des § 4 Satz 1 und der §§ 5 bis 7 geltend gemacht werden. Stellt das Gericht fest, dass die außerordentliche Kündigung unbegründet ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat auf seinen Antrag das Gericht das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzulegen, zu dem die außerordentliche Kündigung ausgesprochen wurde. Die Vorschriften der §§ 10 bis 12 gelten entsprechend.
(2) Verstößt eine Kündigung gegen die guten Sitten, so finden die Vorschriften des § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 und der §§ 10 bis 12 entsprechende Anwendung.
(3) Im Übrigen finden die Vorschriften dieses Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 auf eine Kündigung, die bereits aus anderen als den in § 1 Abs. 2 und 3 bezeichneten Gründen rechtsunwirksam ist, keine Anwendung.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
Tenor
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1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 7. August 2009 - 19/3 Sa 575/08 - aufgehoben.
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2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 6. März 2008 - 19 Ca 9432/06 - abgeändert:
-
Die Klage wird abgewiesen.
-
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
- 1
-
Die Parteien streiten über eine fristlose Verdachtskündigung.
- 2
-
Der im Jahr 1961 geborene Kläger war bei der beklagten Stadt seit dem 1. September 1989 als Orchestermusiker (2. Hornist) gegen ein Bruttomonatsgehalt von zuletzt 4.580,79 Euro beschäftigt. Nach den anzuwendenden Bestimmungen des Tarifvertrags für Musiker in Kulturorchestern (TVK) sind Arbeitnehmer, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und mehr als 15 Jahre beschäftigt sind, ordentlich nicht mehr kündbar.
- 3
-
Ihren Eigenbetrieb der städtischen Bühnen leitete die Beklagte mit Wirkung zum 1. September 2004 auf die S GmbH (nachfolgend S GmbH) über. Der Kläger widersprach einem Übergang seines Arbeitsverhältnisses. In der Folge wies die Beklagte den Kläger - ebenso wie die übrigen Mitarbeiter, die einer Überleitung widersprochen hatten - aufgrund eines mit der S GmbH geschlossenen Personalgestellungsvertrags dieser zur Dienstausübung zu. Im Februar 2005 fand eine Betriebsratswahl für einen von der Beklagten und der S GmbH gemeinsam geführten Betrieb „Städtische Bühnen“ statt. In dem von der S GmbH eingeleiteten Wahlanfechtungsverfahren wurde der Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Wahl rechtskräftig abgewiesen. Mit - weiterem - Beschluss vom 19. Februar 2009 erklärte das Hessische Landesarbeitsgericht die Wahl für „ungültig“.
- 4
-
Der Kläger war mit einem Kollegen aus dem Orchester befreundet. Dieser hat zwei Töchter, geboren 1990 und 1994. Der Kläger berührte das ältere der Mädchen - damals fünf- bis sechsjährig - bei Besuchen im Haus des Freundes in den Jahren 1995 und 1996 unsittlich, das jüngere - damals acht bis neun Jahre alt - mehrmals bei Besuchen bei der inzwischen allein lebenden Mutter in den Jahren 2002 und 2003. Am 22. September 2004 erstattete die Mutter Anzeige. Gegen den Kläger wurde daraufhin ein Ermittlungsverfahren ua. wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern eingeleitet. Gegenstand des Verfahrens war auch der Vorwurf, der Kläger habe im Jahr 1994 ein weiteres, damals elf Jahre altes Mädchen sexuell missbraucht.
- 5
-
Am 20. Oktober 2004 wurde die Beklagte durch den Vater der Mädchen über die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe informiert. In einem Gespräch der Beklagten mit den übrigen Hornbläsern am 22. November 2004 offenbarte einer der Musiker, dass sich der Kläger auch seinem Sohn unsittlich genähert habe und ein strafrechtliches Verfahren gegen Zahlung eines Bußgelds eingestellt worden sei. Er und andere Mitglieder der Stimmgruppe der Hornisten erklärten, mit dem Kläger nicht mehr zusammenarbeiten zu können.
- 6
-
Am 13. Dezember 2004 hörte die Beklagte den Kläger zu den Vorwürfen an. Dieser bestritt deren Berechtigung. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2004 sprach die Beklagte eine auf den Verdacht der Tatbegehungen gestützte fristlose Kündigung aus. Der dagegen erhobenen Klage gab das Hessische Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 9. Oktober 2006 mit der Begründung - rechtskräftig - statt, dass die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt habe.
- 7
-
Nachdem die Beklagte im Verlauf der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 9. Oktober 2006 erfahren hatte, dass gegen den Kläger Anklage erhoben worden war, bemühte sie sich vergeblich um Akteneinsicht. In einem Telefonat mit dem zuständigen Richter am 30. November 2006 erfuhr sie, dass die Anklageerhebung auf dem ihr bekannten Inhalt der Ermittlungsakte beruhe. Mit Schreiben vom 4. Dezember 2006 lud sie den Kläger erneut zu einem Anhörungsgespräch am 11. Dezember 2006. Der Kläger teilte ihr am 8. Dezember 2006 mit, dass er nicht erscheinen werde. Nach Anhörung des - trotz Wahlanfechtung weiterhin amtierenden - Betriebsrats sprach die Beklagte am 21. Dezember 2006 erneut eine außerordentliche, fristlose Verdachtskündigung aus. Dagegen erhob der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage.
- 8
-
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei mangels Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Die Frist sei spätestens am 3. Dezember 2004 abgelaufen. Die Kündigung sei eine unzulässige Wiederholungskündigung. Die von ihm begangenen Straftaten könnten als außerdienstliches Verhalten die Kündigung ohnehin nicht rechtfertigen. Der Kläger hat bestritten, dass es zu einem Vertrauensverlust bei seinen Kollegen gekommen sei und seine Anwesenheit die künstlerische Qualität des Orchesters beeinträchtige. Seine sexuellen Neigungen seien seit Anfang der 90-er Jahre im Orchester bekannt gewesen. Er befinde sich seit 1992 in therapeutischer Behandlung. Deswegen bestehe keine Wiederholungsgefahr. Seine Taten seien Folge einer psychischen Disposition. Die Kündigung sei deshalb nach den Grundsätzen der krankheitsbedingten Kündigung zu beurteilen und mangels negativer Prognose unwirksam. Außerdem habe statt des Betriebsrats der zuständige Personalrat angehört werden müssen.
-
Der Kläger hat beantragt
-
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. Dezember 2006 nicht beendet worden ist.
- 10
-
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, mit der Erhebung der Anklage sei ein wesentlicher Einschnitt im Strafverfahren verbunden gewesen. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei erneut in Gang gesetzt worden, als sie von der Anklageerhebung Kenntnis erhalten habe. Wegen des dringenden Verdachts der Begehung der fraglichen Straftaten sei die Kündigung auch materiell gerechtfertigt. Das Verhalten des Klägers weise einen hinreichenden dienstlichen Bezug auf. Das Vertrauensverhältnis zu den Mitgliedern des Orchesters, insbesondere zu den Hornbläsern, sei zerstört. Die Anwesenheit des Klägers beeinträchtige die künstlerische Qualität bei Proben und Vorstellungen. Die Neigungen des Klägers seien keineswegs allgemein im Orchester bekannt gewesen. Es bestehe ein unkalkulierbares Risiko, dass er wieder einschlägig auffällig werde. Im Hinblick darauf, dass sie in der Komparserie und im Rahmen von Praktika minderjährige Kinder beschäftige, sei ihr eine Weiterbeschäftigung nicht zuzumuten. Die Beteiligung des Personalrats sei nicht erforderlich gewesen.
-
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO)und zur Abweisung der Klage. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt(I.). Die Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Dies kann der Senat selbst entscheiden, da die maßgeblichen Tatsachen feststehen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt vor(II.). Die Kündigung ist nicht mangels Anhörung des Personalrats unwirksam (III.).
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I. Die Kündigung vom 21. Dezember 2006 ist nicht nach § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Die Beklagte hat die gesetzliche Frist zur Erklärung der Kündigung gewahrt.
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1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.
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a) Dies ist dann der Fall, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (Senat 25. November 2010 - 2 AZR 171/09 - Rn. 15 mwN, NZA-RR 2011, 177; 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 18, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7). Grob fahrlässige Unkenntnis ist insoweit ohne Bedeutung (Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 319 mwN). Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt (Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - aaO). Solange er die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführt, läuft die Ausschlussfrist nicht an (Senat 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - zu B I 3 der Gründe, aaO). Um den Lauf der Frist nicht länger als notwendig hinauszuschieben, muss eine Anhörung allerdings innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Die Frist darf im Allgemeinen, und ohne dass besondere Umstände vorlägen, nicht mehr als eine Woche betragen (Senat 2. März 2006 - 2 AZR 46/05 - Rn. 24, BAGE 117, 168).
- 16
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b) Geht es um ein strafbares Verhalten des Arbeitnehmers, darf der Arbeitgeber den Aus- oder Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten und in dessen Verlauf zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt kündigen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 25, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7; 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9; Bader/Bram/Dörner/Kriebel-Bader KSchG Stand Dezember 2010 § 626 BGB Rn. 77; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 321). Für den betreffenden Zeitpunkt bedarf es eines sachlichen Grundes. Wenn etwa der Kündigungsberechtigte neue Tatsachen erfahren oder neue Beweismittel erlangt hat und nunmehr einen - neuen - ausreichenden Erkenntnisstand für eine Kündigung zu haben glaubt, kann er dies zum Anlass für den Ausspruch der Kündigung nehmen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 20, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7; 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9).
- 17
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c) Der Arbeitgeber kann sich auch für die Überlegung, ob er eine Verdachtskündigung aussprechen soll, am Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens orientieren (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7). Dort gewonnene Erkenntnisse oder Handlungen der Strafverfolgungsbehörden können die Annahme verstärken, der Vertragspartner habe die Pflichtverletzung begangen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - aaO; vgl. HaKo-Gieseler 3. Aufl. § 626 BGB Rn. 106; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 711). Eine solche den Verdacht intensivierende Wirkung kann auch die Erhebung der öffentlichen Klage haben (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - aaO; AnwK-ArbR/Bröhl 2. Aufl. Bd. 1 § 626 BGB Rn. 102; HaKo-Gieseler aaO; SPV/Preis aaO). Zwar kann die Erhebung der öffentlichen Klage für sich genommen keinen dringenden Verdacht im kündigungsrechtlichen Sinne begründen (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 27, aaO; 29. November 2007 - 2 AZR 724/06 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 40 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5). Sie bedeutet aber einen Einschnitt, der in der Lage ist, die anderweitig schon genährte Überzeugung des Arbeitgebers zu verstärken. Während die Einleitung des Ermittlungsverfahrens lediglich einen Anfangsverdacht erfordert, ist die Erhebung der öffentlichen Klage nach der Strafprozessordnung an das Bestehen eines „hinreichenden“ Verdachts gebunden. Der Verdacht erhält damit eine andere Qualität. Dies rechtfertigt es, die Erhebung der öffentlichen Klage als einen Umstand anzusehen, bei dessen Eintritt der Arbeitgeber einen sachlichen Grund hat, das Kündigungsverfahren einzuleiten (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - aaO; AnwK-ArbR/Bröhl aaO; HaKo-Gieseler aaO; SPV/Preis aaO).
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d) Der Arbeitgeber hat nicht nur zwei Möglichkeiten, dem sich mit der Zeit entwickelnden Zuwachs an Erkenntnissen durch eine außerordentliche Kündigung zu begegnen. Es gibt nicht lediglich zwei objektiv genau bestimmbare Zeitpunkte, zu denen die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen begönne: einen Zeitpunkt für den Ausspruch einer Verdachts-, einen weiteren für den Ausspruch einer Tatkündigung. Im Laufe des Aufklärungszeitraums kann es vielmehr mehrere Zeitpunkte geben, in denen der Verdacht „dringend“ genug ist, um eine Verdachtskündigung darauf zu stützen. Dabei steht dem Kündigungsberechtigten ein gewisser Beurteilungsspielraum zu (Senat 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 22 ff., AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7).
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e) Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt demnach erneut zu laufen, wenn der Arbeitgeber eine neue, den Verdacht der Tatbegehung verstärkende Tatsache zum Anlass für eine Kündigung nimmt. Eine den Verdacht verstärkende Tatsache kann die Anklageerhebung im Strafverfahren darstellen, selbst wenn sie nicht auf neuen Erkenntnissen beruht. Der Umstand, dass eine unbeteiligte Stelle mit weiterreichenden Ermittlungsmöglichkeiten, als sie dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen, einen hinreichenden Tatverdacht bejaht, ist geeignet, den gegen den Arbeitnehmer gehegten Verdacht zu verstärken. Der Arbeitgeber kann ihn auch dann zum Anlass für den Ausspruch einer Verdachtskündigung nehmen, wenn er eine solche schon zuvor erklärt hatte. Da die neuerliche Kündigung auf einem neuen, nämlich um die Tatsache der Anklageerhebung ergänzten Sachverhalt beruht, handelt es sich nicht etwa um eine unzulässige Wiederholungskündigung. Ebenso wenig ist das Recht, eine weitere Verdachtskündigung auszusprechen, mit dem Ausspruch einer ersten Verdachtskündigung verbraucht. Der Arbeitgeber hat sich dadurch, dass er eine Verdachtskündigung bereits vor Anklageerhebung ausgesprochen hat, auch nicht dahin gebunden, vor Ausspruch einer weiteren Kündigung den Ausgang des Ermittlungs- oder Strafverfahrens abzuwarten. Für die Annahme eines solchen Verzichts auf ein - noch nicht absehbares späteres - Kündigungsrecht gibt es keine Grundlage. Zwar bezieht sich der Verdacht jeweils auf dieselbe Tat, der zur Kündigung führende Sachverhalt ist aber gerade nicht identisch. Die zweite Kündigung stützt sich auf eine erweiterte, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB neu in Gang setzende Tatsachengrundlage.
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2. Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte mit Ausspruch der Kündigung am 21. Dezember 2006 die Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Diese begann am 8. Dezember 2006 erneut zu laufen. Die Kündigung vom 21. Dezember 2006 erfolgte innerhalb von zwei Wochen.
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a) Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB begann erneut in dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem die Beklagte vollständige Kenntnis davon erhielt, dass gegen den Kläger Anklage wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern eines Kollegen erhoben worden war und neue entlastende Gesichtspunkte nicht zu ermitteln waren. Der Verdacht bezieht sich zwar auf dieselbe Tat wie der, welcher der Kündigung vom 23. Dezember 2004 zugrunde lag. Der Sachverhalt ist aber deshalb nicht identisch, weil sich die Beklagte zusätzlich auf die Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft beruft.
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b) Vollständige positive Kenntnis von den den Verdacht verstärkenden Umständen hatte die Beklagte erst am 8. Dezember 2006. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hatte sie zwar bereits während der mündlichen Verhandlung am 9. Oktober 2006 Kenntnis davon erhalten, dass gegen den Kläger Anklage erhoben worden war. Sie hatte aber erst aufgrund des Gesprächs mit dem zuständigen Richter am 30. November 2006 erfahren, dass die Anklage auf dem ihr bekannten Inhalt der Ermittlungsakte beruhte und damit ua. die Vorwürfe zum Gegenstand hatte, die den von ihr gehegten Verdacht gegen den Kläger betrafen. Ihre vorausgegangenen Bemühungen, Akteneinsicht zu erhalten, waren erfolglos geblieben. Die Beklagte durfte anschließend dem Kläger Gelegenheit geben, neue entlastende Umstände vorzubringen. Mit der Einladung zu einem Anhörungstermin am 11. Dezember 2006 ist sie diese Maßnahme zur Aufklärung des Sachverhalts auch hinreichend zügig angegangen. Zwar war die dafür in der Regel zu veranschlagende Wochenfrist am 11. Dezember überschritten. Die Beklagte ging gleichwohl mit der gebotenen Eile vor. Der 30. November 2006 war ein Donnerstag. Das Einladungsschreiben vom 4. Dezember wurde am auf ihn folgenden zweiten Arbeitstag verfasst. Dies ist zumindest angesichts der Besonderheit, dass sie schon zuvor eine Verdachtskündigung ausgesprochen hatte und die Notwendigkeit einer weiteren Anhörung des Klägers damit nicht unmittelbar auf der Hand lag, nicht zu beanstanden. Dass die Beklagte den Termin erst auf eine weitere Woche später anberaumte, ist ihr ebenso wenig vorzuhalten. Sie berücksichtigte damit in angemessener Weise das Interesse des im Betrieb nicht mehr beschäftigten Klägers an einer Ankündigungszeit. Mit dem Erhalt von dessen Nachricht am 8. Dezember 2006, er werde den Anhörungstermin nicht wahrnehmen, stand sodann fest, dass sich neue entlastende Umstände durch eine Anhörung des Klägers nicht ergeben würden.
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II. Die Kündigung vom 21. Dezember 2006 beruht auf einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.
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1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220).
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2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt des sexuellen Missbrauchs von Kindern eines Kollegen ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet.
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a) Die Beklagte hat sich zur Rechtfertigung der Kündigung zwar nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen. Obwohl der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund darstellt (st. Rspr., Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8), stehen beide Gründe aber nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, aaO ). Ergibt sich nach tatrichterlicher Würdigung das tatsächliche Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen; es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 23, aaO; 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - mwN, aaO). Nichts anderes gilt für das Revisionsgericht, wenn das Berufungsgericht zwar nicht selbst geprüft hat, ob ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gegeben ist, aber gem. § 559 Abs. 2 ZPO bindend festgestellt hat, dass die Pflichtwidrigkeit tatsächlich begangen wurde.
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b) Dies ist hier der Fall. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass der Kläger sowohl während mehrerer Besuche im Haus der Familie seines Kollegen in den Jahren 1995/1996 die ältere von dessen Töchtern, damals fünf- bis sechsjährig, unsittlich berührte als auch mehrmals in den Jahren 2002 und 2003 die jüngere Tochter, damals acht bis neun Jahre alt, anlässlich von Besuchen im Haus der inzwischen allein lebenden Ehefrau. Das Landesarbeitsgericht hat darüber hinaus festgestellt, dass ein weiterer Kollege der Beklagten während eines Gesprächs am 22. November 2004 mitgeteilt hatte, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen des Vorwurfs, dieser habe sich dem Sohn des Kollegen unsittlich genähert, sei eingestellt worden. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erklärten der betreffende Kollege und andere Mitglieder der Hornisten-Gruppe, mit dem Kläger wegen dieser Vorwürfe nicht mehr zusammenarbeiten zu können.
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c) Der Umstand, dass der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht einer gerichtlichen Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat nicht entgegen. In diesem Zusammenhang bedarf es keiner Entscheidung, ob der ungültig gewählte, aber während des Wahlanfechtungsverfahrens weiter amtierende Betriebsrat überhaupt nach § 102 Abs. 1 BetrVG zu beteiligen war. Ausreichend ist jedenfalls, wenn dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 24 mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung Genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Danach ist der Betriebsrat hier ausreichend unterrichtet worden. Die vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen sind auch Gegenstand des Anhörungsschreibens vom 15. Dezember 2006.
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d) Eine schwere und schuldhafte Vertragspflichtverletzung kann ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. Das gilt auch für die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten (Senat 12. März 2009 - 2 ABR 24/08 - Rn. 30, EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Arbeitnehmervertreter Nr. 1; 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8).
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e) Der Kläger hat seine Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB, auf die berechtigten Interessen der Beklagten Rücksicht zu nehmen, durch den sexuellen Missbrauch von Kindern eines Kollegen in erheblichem Maße verletzt. Darauf, ob sich aus § 5 Abs. 1 TVK aF noch weiter gehende Pflichten zur Rücksichtnahme ergaben, kommt es nicht an.
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aa) Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 19, NZA 2011, 112; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 77). Der Arbeitnehmer ist auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - aaO; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - aaO). Die Pflicht zur Rücksichtnahme kann deshalb auch durch außerdienstliches Verhalten verletzt werden (vgl. ErfK/Müller-Glöge 11. Aufl. § 626 BGB Rn. 83). Allerdings kann ein außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers die berechtigten Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer grundsätzlich nur beeinträchtigen, wenn es einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit hat (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - aaO; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 21, aaO). Das ist der Fall, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat (Senat 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 22, aaO; 27. November 2008 - 2 AZR 98/07 - Rn. 21, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 90 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 4). Fehlt ein solcher Zusammenhang, scheidet eine Pflichtverletzung regelmäßig aus (Senat 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - aaO; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 21, aaO; SPV/Preis Rn. 642).
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bb) Die von dem Kläger außerdienstlich begangenen Straftaten haben einen solchen Bezug zum Arbeitsverhältnis.
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(1) Dieser Bezug besteht zunächst darin, dass Opfer der Straftaten des Klägers die Kinder eines Kollegen waren.
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(2) Die von dem Kläger an den Kollegenkindern begangenen Sexualstraftaten hatten zudem negative Auswirkungen auf das betriebliche Miteinander. So haben mehrere Mitglieder der Stimmgruppe des Klägers in dem Gespräch am 22. November 2004 gegenüber der Beklagten erklärt, mit dem Kläger nicht mehr zusammenarbeiten zu können. Der Einwand des Klägers, in dem Orchester herrsche ohnehin keine Atmosphäre des Vertrauens, sondern eine Atmosphäre der Angst, ist unbeachtlich. Er ändert nichts daran, dass im vorliegenden Zusammenhang allein der Kläger für die Störung des Betriebsfriedens verantwortlich ist.
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cc) Die Straftaten des Klägers haben das kollegiale Miteinander und damit das Arbeitsverhältnis schwer belastet. Der Kläger hat das Vertrauen seines Kollegen und von dessen Familie wiederholt massiv missbraucht. Aus eben diesem Grund haben mehrere Kollegen aus seiner Stimmgruppe ausgeschlossen, mit ihm weiter zusammenarbeiten zu können.
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Der Kläger hat vorsätzlich gehandelt. Soweit er seine sexuellen Neigungen im Laufe des Rechtsstreits auf krankhafte Störungen zurückgeführt hat, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Der Kläger hat nicht behauptet, dass es ihm unmöglich gewesen sei, sein Verhalten zu steuern. Die Grundsätze einer personenbedingten Kündigung finden keine Anwendung.
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3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gerechtfertigt. Der Beklagten war es unzumutbar, den Kläger auch nur bis zum Ablauf einer - fiktiven - Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen.
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a) Obwohl das Landesarbeitsgericht - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - eine Interessenabwägung nicht vorgenommen hat, ist eine eigene Abwägung durch den Senat möglich. Der dem Berufungsgericht in der Rechtsprechung des Senats zugestandene Beurteilungsspielraum (vgl. Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5) schränkt lediglich die revisionsrechtliche Überprüfung der Interessenabwägung ein. Hat das Berufungsgericht eine Interessenabwägung vorgenommen, ist - wenn sämtliche relevanten Tatsachen feststehen - eine eigene Interessenabwägung des Revisionsgerichts nur dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist (vgl. Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 35 f., AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Fehlt es indessen an einer Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts, ist es - wenn alle relevanten Tatsachen festgestellt sind - nicht erforderlich, dem Landesarbeitsgericht Gelegenheit zu geben, zunächst eine eigene Abwägung vorzunehmen. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB ist zwar in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, aaO).
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b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 f. mwN).
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c) Danach ist die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. Dezember 2006 gerechtfertigt.
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aa) Der Kläger hat wiederholt die Kinder eines Kollegen sexuell missbraucht und dadurch bewirkt, dass sich mehrere Mitglieder seiner Stimmgruppe weigerten, mit ihm weiter zusammenzuarbeiten. Ohne erhebliche Auswirkungen auf den Betriebsfrieden war eine Mitwirkung des Klägers in seiner Stimmgruppe damit nicht mehr vorstellbar. Zwar war der betreffende Kollege zum Zeitpunkt der Kündigung bereits aus dem Orchester ausgeschieden. Der zweite betroffene Kollege und weitere Mitglieder, die an dem Gespräch am 22. November 2004 teilgenommen hatten, waren aber auch im Dezember 2006 noch beschäftigt. Unerheblich ist, ob die sexuellen Neigungen des Klägers schon länger im Orchester bekannt waren. Der Kläger hat nicht behauptet, es sei auch bekannt gewesen, dass er tatsächlich Straftaten an Kollegenkindern beging.
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bb) Für die Beklagte war es nicht zumutbar, den Kläger unter Inkaufnahme einer fortbestehenden Störung des Betriebsfriedens weiterzubeschäftigen. Anders als in einer Drucksituation, der kein Verhalten des Arbeitnehmers und kein personenbedingter Grund zugrunde liegt, war die Beklagte nicht gehalten, sich etwa schützend vor den Kläger zu stellen und zu versuchen, die Kollegen von ihrer Weigerung, weiter mit dem Kläger zusammenzuarbeiten, abzubringen (vgl. dazu Senat 19. Juni 1986 - 2 AZR 563/85 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 33 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 39). Der Kläger hatte durch sein Verhalten die Betriebsstörung vielmehr selbst herbeigeführt. Er hat das ihm von einem Kollegen und dessen Familie entgegengebrachte Vertrauen in schwerwiegender Weise mehrfach missbraucht. Dass auch anderen Kollegen angesichts dessen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihm nicht mehr möglich erschien, ist objektiv nachvollziehbar. Sexueller Missbrauch von Kindern ist ein die Integrität der Opfer in schwerwiegender Weise verletzendes Delikt. Geschützt ist die Entwicklung der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung (Fischer StGB 58. Aufl. § 176 Rn. 2 mwN). Äußere, fremdbestimmte Eingriffe in die kindliche Sexualität sind in besonderer Weise geeignet, diese Entwicklung zu stören. Die Tat birgt die Gefahr von nachhaltigen Schädigungen des Kindes (Fischer Rn. 36 mwN, aaO). Sie ist nach § 176 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht.
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cc) Einer vorherigen Abmahnung bedurfte es nicht. Angesichts der Schwere seiner Pflichtverletzungen war deren - auch nur erstmalige - Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich ausgeschlossen (vgl. zu diesem Maßstab Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).
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dd) Nicht entscheidend ist, ob zu erwarten stand, der Kläger werde weiterhin sexuelle Straftaten an (Kollegen-)Kindern begehen. Die von dem Kläger vorgetragenen Therapiebemühungen und der Umstand, dass er strafrechtlich nur zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt wurde, rechtfertigen deshalb ebenso wenig eine andere Bewertung wie Gesichtspunkte der Resozialisierung. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Beklagte angesichts der Erklärungen von Mitgliedern der Stimmgruppe des Klägers davon ausgehen musste, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen diesem und seinen Kollegen nicht mehr zu erwarten war. Soweit der Kläger geltend gemacht hat, nicht alle Orchestermusiker hätten sich geweigert, mit ihm zusammenzuarbeiten, kann die Richtigkeit dieser Behauptung dahinstehen. Der Kläger bestreitet nicht, dass mehrere Mitglieder seiner Stimmgruppe nicht mehr zu einer Zusammenarbeit bereit waren. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die musikalische Qualität von Proben oder Vorstellungen bei einer Weiterbeschäftigung des Klägers tatsächlich gelitten hätte. Der Beklagten war es angesichts der Taten des Klägers schon nicht zumutbar, von seinen Kollegen eine weitere Zusammenarbeit überhaupt zu fordern. Darauf, ob der Kläger im Dienst Kontakt zu Kindern hatte, kommt es ebenfalls nicht an.
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ee) An dem Ergebnis der Interessenabwägung ändert sich auch dann nichts, wenn die Behauptung des Klägers zutrifft, erst eine als Krankheit anzusehende Ausprägung seiner sexuellen Neigungen habe ihn straffällig werden lassen. Der Beklagten ist es auch unter dieser Voraussetzung nicht zuzumuten, von den Kollegen des Klägers die weitere Zusammenarbeit zu verlangen. Die durch das Verhalten des Klägers verursachte Störung des Betriebsfriedens wird dadurch nicht geringer.
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ff) Disziplinarrechtliche Maßstäbe zur Beurteilung von Dienstvergehen eines Beamten sind für den Streitfall ohne Bedeutung. Die Sachverhalte, die den vom Kläger herangezogenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zugrunde liegen, sind zudem schon deshalb nicht vergleichbar, weil es dabei nicht um den Missbrauch von Kollegenkindern ging. Der Kläger will überdies aus dem Umstand, dass die Beklagte Opernaufführungen mit sexuellen Bezügen inszeniert, eine Bereitschaft zur Toleranz von Kindesmissbrauch ableiten. Dies ist abwegig. Soweit er darüber hinaus meint, seine Taten hätten einen Bezug zu seiner Tätigkeit als bildender Künstler, bleibt unklar, welchen Schluss er daraus ableitet. Er kann schwerlich gemeint haben, die Kunstfreiheit rechtfertige Kindesmissbrauch.
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gg) Beschäftigungsdauer und Lebensalter des Klägers rechtfertigen kein anderes Ergebnis. An der Schwere der Pflichtverletzungen und Störung des Betriebsfriedens ändern sie nichts.
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hh) Der Umstand, dass der Kläger ordentlich unkündbar war, hat auf die Interessenabwägung keinen gesonderten Einfluss. Ist es dem Arbeitgeber - wie hier - nicht zumutbar, den tariflich unkündbaren Arbeitnehmer bis zum Ablauf der „fiktiven“ Frist einer ordentlichen Beendigungskündigung weiterzubeschäftigen, ist eine außerordentliche fristlose Kündigung auch des tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers gerechtfertigt (Senat 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 5 b der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; 15. November 2001 - 2 AZR 605/00 - BAGE 99, 331).
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III. Die Kündigung ist nicht mangels Beteiligung eines für den Kläger zuständigen Personalrats nach § 78 Abs. 2 des Hessischen Personalvertretungsgesetzes vom 24. März 1988 (HPVG) unwirksam.
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1. Bei einer außerordentlichen Kündigung sieht § 78 Abs. 2 HPVG eine Anhörung des Personalrats vor. Soweit der Kläger das Unterbleiben einer Beteiligung nach § 77 HPVG gerügt hat, handelt es sich offensichtlich um eine Falschbezeichnung. § 77 Nr. 2 Buchst. i HPVG betrifft die Mitbestimmung bei ordentlichen Kündigungen (außerhalb der Probezeit). Eine Anhörung war im Streitfall nicht etwa nach § 104 Abs. 3 Satz 1 HPVG entbehrlich. Nach dieser Bestimmung entfallen zwar die Mitbestimmung und Mitwirkung des Personalrats in Personalangelegenheiten der in § 104 Abs. 1 HPVG genannten Orchestermitglieder. Das Beteiligungsrecht bei außerordentlichen Kündigungen wird aber als bloßes Anhörungsrecht von dem Ausschluss nicht erfasst (Burkholz HPVG 2. Aufl. § 104 zu 3.2; ders. in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 104 HPVG Rn. 17).
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2. Indessen sind aus dem Parteivorbringen keine Umstände dafür ersichtlich, dass zum Zeitpunkt der Kündigung vom 21. Dezember 2006 ein Personalrat im Amt gewesen wäre, der nach § 78 Abs. 2 HPVG hätte angehört werden müssen.
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a) Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe, da in Wirklichkeit kein gemeinsamer Betrieb bestanden habe, nicht den für diesen gewählten Betriebsrat, sondern „den zuständigen Personalrat“ beteiligen müssen. Nach ihrem Vorbringen im Rechtsstreit über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 23. Dezember 2004 hatte die Beklagte vor Ausspruch dieser Kündigung den Personalrat des „Restamts Städtische Bühnen“ angehört. Dabei handelte es sich um denjenigen Personalrat, der für die von der Beklagten zuvor als Eigenbetrieb geführten Städtischen Bühnen gewählt war. Im Konsens aller Beteiligten sollte dieser ein „Übergangsmandat“ für die bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter bis zur Wahl eines eigenen Betriebsrats wahrnehmen (vgl. Hessisches LAG 19. Februar 2009 - 9 TaBV 202/08 - zu I der Gründe).
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b) Die Amtszeit dieses Personalrats hatte mit Ablauf des 31. August 2004 geendet. Auf die Frage, ob nicht bis zur Rechtskraft der die Betriebsratswahl vom Februar 2005 für ungültig erklärenden gerichtlichen Entscheidung ohnehin nur der für den - vermeintlichen - Gemeinschaftsbetrieb gebildete Betriebsrat zu beteiligen gewesen wäre, kommt es deshalb nicht an.
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aa) Das Amt des für den Eigenbetrieb gewählten Personalrats endete mit Ablauf des 31. August 2004. Der Eigenbetrieb als Dienststelle der Beklagten wurde durch die Überleitung des Betriebs auf die S GmbH mit Wirkung zum 1. September 2004 iSv. § 81 Abs. 2 HPVG aufgelöst. Im Falle einer Privatisierung endet das Amt des Personalrats (Fitting 25. Aufl. § 130 Rn. 10, 15). Die Änderung der Rechtsform des Trägers der Betriebsorganisation hat den Verlust der bisherigen personalvertretungsrechtlichen Repräsentation zur Folge (Fitting aaO Rn. 15). Die Überführung in eine privatrechtliche Trägerschaft stellt eine Auflösung der Dienststelle im personalvertretungsrechtlichen Sinne dar (Burkholz HPVG 2. Aufl. § 1 zu 4 aE; Hohmann in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 81 HPVG Rn. 276 mwN; v.Roetteken in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 1 HPVG Rn. 158). Hieran ändert im Streitfall nichts, dass zusammen mit dem Kläger eine Vielzahl weiterer Arbeitnehmer der Überleitung ihrer Arbeitsverhältnisse auf die S GmbH widersprochen hatten. Damit blieben sie zwar Arbeitnehmer der Beklagten. Auch mag diese sie in einer Organisationseinheit „Restamt Städtische Bühnen“ zusammengefasst haben. Darin lag aber keine Aufrechterhaltung der Dienststelle des Eigenbetriebs „Städtische Bühnen“. Dieser war auf die S GmbH übergeleitet und damit aufgelöst worden. Dies ergibt sich auch aus einer Organisationsverfügung der Oberbürgermeisterin der Beklagten vom 28. September 2004. Ihr zufolge wurden die bisherigen Organisationseinheiten der Städtischen Bühnen mit Wirkung vom 1. September 2004 aufgelöst und gleichzeitig eine neue Organisationseinheit „Restamt Städtische Bühnen“ eingerichtet (vgl. die Entscheidung des BAG im Verfahren über die Anfechtung der Wahl des Betriebsrats im vermeintlichen Gemeinschaftsbetrieb vom 16. April 2008 - 7 ABR 4/07 - zu A der Gründe, AP BetrVG 1972 § 1 Gemeinsamer Betrieb Nr. 32 = EzA BetrVG 2001 § 1 Nr. 7). Der Kläger behauptet nicht, dass für diese Organisationseinheit bis zum Ausspruch der Kündigung ein neuer Personalrat gewählt worden sei.
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bb) Der Personalrat der bisherigen Dienststelle „Städtische Bühnen“ blieb nicht deshalb über die Privatisierung zum 1. September 2004 hinaus im Amt, weil im Personalgestellungsvertrag zwischen der Beklagten und der S GmbH vom 1. April 2004 geregelt war, dass der Personalrat gemäß § 103 HPVG die zuständige Interessenvertretung für die gestellten Arbeitnehmer sei(vgl. Hessisches LAG 19. Februar 2009 - 9 TaBV 202/08 - zu I der Gründe). § 103 HPVG bestimmt, dass öffentliche Theater und selbständige Orchester Dienststellen im Sinne des HPVG sind. Diese gesetzliche Fiktion dient vor allem der Klarstellung (Burkholz in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 103 HPVG Rn. 7). Zu den Folgen der Auflösung einer Dienststelle durch ihre Privatisierung verhält sich § 103 HPVG nicht. Durch vertragliche Vereinbarung wiederum kann der gesetzliche Anwendungsbereich des Personalvertretungsrechts nicht wirksam verändert werden.
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cc) Ein gesetzlich vorgesehenes Übergangsmandat des Personalrats, wie es zB für die Umwandlung eines Universitätsklinikums in § 98 Abs. 6 HPVG geregelt ist, bestand im Streitfall nicht. Wenn der Personalrat zur Schließung dieser möglichen Schutzlücke (vgl. dazu Fitting 25. Aufl. § 130 Rn. 15) ein Übergangsmandat für die bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter wahrnahm (vgl. Hessisches LAG 19. Februar 2009 - 9 TaBV 202/08 -), dauerte dieses allenfalls bis zur Wahl des Betriebsrats, längstens sechs Monate (vgl. Fitting aaO Rn. 17). Zudem gilt ein Personalrat, der in Privatisierungsfällen ein Übergangsmandat wahrnimmt, als Betriebsrat und hat Rechte und Pflichten aus dem Betriebsverfassungs-, nicht dem Personalvertretungsgesetz (vgl. Fitting aaO Rn. 18 f.).
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3. Für die Anhörung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers war nicht ein bei der Beklagten errichteter Gesamtpersonalrat zuständig. Bei individuellen Maßnahmen ist der Gesamtpersonalrat, unabhängig von der Entscheidungsbefugnis des Dienststellenleiters, gem. § 83 Abs. 4 iVm. Abs. 1 und Abs. 2 HPVG unzuständig (Hohmann in v.Roetteken/Rothländer HBR Stand Dezember 2010 § 83 HPVG Rn. 96). Bei der Anhörung zu einer außerordentlichen Kündigung nach § 78 Abs. 2 HPVG gibt es zudem kein Stufenverfahren, so dass eine Beteiligung des Gesamtpersonalrats nach § 52 Abs. 2 HPVG ebenfalls nicht in Betracht kommt.
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IV. Als unterlegene Partei hat der Kläger gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
-
Kreft
Schmitz-Scholemann
Rachor
Beckerle
B. Schipp
Tenor
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Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 12. April 2011 - 19 Sa 1951/10 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
- 1
-
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Sie streiten ferner - in Abhängigkeit vom Ausgang des Kündigungsrechtsstreits - über Abrechnung und Zahlung von Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs.
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Die Beklagte stellt Transportgeräte her. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Der 1950 geborene Kläger war seit April 1977, zuletzt als Leiter Buchhaltung/Finanzen/Personal bei ihr tätig.
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Anfang 2003 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger über einen längeren Zeitraum hinweg unberechtigt Firmengelder iHv. rund 280.500,00 Euro vereinnahmt hatte. Der Kläger gestand dies zu. Im Rahmen eines notariellen Schuldanerkenntnisses trat er im März 2003 den pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens an die Beklagte ab und gewährte ihr weitere Sicherheiten. Die Beklagte beschäftigte den Kläger weiter. Sie beließ es bei einer ihm erteilten Kontovollmacht, verschärfte allerdings ihre Kontrollen. Unter anderem verpflichtete sie den Kläger, der Geschäftsführung für Überweisungen, die von Firmenkonten getätigt wurden, Belege vorzulegen.
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Im April 2007 ging der Beklagten ein zugunsten einer anderen Gläubigerin des Klägers ausgestellter Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zu, mit dem seine Gehaltsansprüche wegen einer Forderung iHv. 48.900,00 Euro gepfändet wurden. Ende April 2007 stellte sie den Kläger von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Im selben Zeitraum traten neue Unregelmäßigkeiten im Verhalten des Klägers zutage. Nachforschungen bei Kreditinstituten ergaben, dass dieser - zumindest in zwei Fällen - ohne rechtlichen Grund Firmengelder auf sein Konto überwiesen hatte. Die Vorgänge hatte er durch Erstellung fingierter Belege verschleiert.
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Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 10. Mai 2007 außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht. Der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage wurde - rechtskräftig - stattgegeben, da der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei.
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Im Rahmen von Ermittlungen stieß die Beklagte auf weitere unrechtmäßige Überweisungen. Nach neuerlicher Anhörung des Betriebsrats kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 15. August 2007 abermals fristlos. Das Landesarbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt, erneut wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung. Das Urteil ist rechtskräftig.
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Am 29. Juni 2007 erstattete die Beklagte Strafanzeige. Am 21. Mai 2008 erhob die Staatsanwaltschaft gegen den Kläger Anklage. Sie legte ihm zur Last, sich in 74 Fällen der Untreue zum Nachteil der Beklagten schuldig gemacht zu haben. Mit Blick darauf hörte die Beklagte den Betriebsrat am 19. November 2008 zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses an. Mit Beschluss vom 18. November 2008 hatte das Amtsgericht die öffentliche Klage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Nachdem sie davon erfahren hatte, führte die Beklagte eine weitere Betriebsratsanhörung zu einer auch auf diesen Gesichtspunkt gestützten fristlosen Kündigung durch. Mit Zustimmung des Betriebsrats kündigte sie das Arbeitsverhältnis am 25. November 2008 außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 30. Juni 2009. Sie erklärte die fristlose Kündigung sowohl als Tat- als auch als Verdachtskündigung. Das Landesarbeitsgericht gab der dagegen gerichteten Klage - rechtskräftig - statt; die fristlose Kündigung sei nicht binnen der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt worden, die ordentliche Kündigung sei aufgrund der einzelvertraglich in Bezug genommenen Bestimmung des § 20 Nr. 4 MTV Metall- und Elektroindustrie NRW ausgeschlossen.
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Am 24. August 2009 fand vor dem Amtsgericht die Hauptverhandlung gegen den Kläger statt. Die Staatsanwaltschaft beantragte, nachdem das Verfahren in vier Punkten eingestellt worden war, wegen 67 angeklagter - die Jahre 2005 bis 2007 betreffender - Taten, den Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten ohne Bewährung zu verurteilen; in drei Anklagepunkten beantragte sie Freispruch. Die Verteidigung des Klägers schloss sich dem mit der Maßgabe an, den Kläger zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten zu verurteilen und die Strafe zur Bewährung auszusetzen. Das Amtsgericht verurteilte den Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten ohne Bewährung. Es sah es aufgrund einer durchgeführten Beweisaufnahme als erwiesen an, dass der Kläger in der fraglichen Zeit in 67 Fällen Firmengelder iHv. ingesamt 44.061,54 Euro veruntreut habe. Bei der Verhandlung und Urteilsverkündigung waren ein Geschäftsführer der Beklagten und ihr Prozessbevollmächtigter anwesend.
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Auf ihren noch am selben Tag gestellten Antrag wurden der Beklagten am 11. September 2009 Abschriften des Verhandlungsprotokolls und des Strafurteils zur Verfügung gestellt. Nach Unterrichtung des Betriebsrats kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 22. September 2009 erneut fristlos.
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Dagegen hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Außerdem hat er Zahlungs- und Abrechnungsansprüche für die Monate Oktober bis Dezember 2009 geltend gemacht.
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Noch im Verlauf des ersten Rechtszuges kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 4. Dezember 2009 ein weiteres Mal, nunmehr mit der Begründung, der Kläger habe sich herabsetzend über ihr steuerliches Verhalten geäußert. In einem hierüber getrennt geführten Kündigungsschutzprozess stellte das Arbeitsgericht mit Urteil vom 23. Juni 2010 fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Das Urteil ist - insoweit - rechtskräftig.
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Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger die Auffassung vertreten, seiner Kündigungsschutzklage sei angesichts des Urteils vom 23. Juni 2010 ohne Weiteres stattzugeben. Aufgrund dieser Entscheidung stehe zwischen den Parteien bindend fest, dass zwischen ihnen noch am 4. Dezember 2009 ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Damit stehe zugleich fest, dass es nicht durch die fristlose Kündigung vom 22. September 2009 aufgelöst worden sei. Im Übrigen sei auch diese Kündigung unwirksam, weil die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt und die Betriebsratsanhörung fehlerhaft sei.
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Der Kläger hat - zusammengefasst und unter Berücksichtigung einer in der Revisionsinstanz erfolgten Klarstellung - zuletzt beantragt
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1.
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 22. September 2009 nicht aufgelöst worden ist;
2.
die Beklagte zu verurteilen, für die Monate Oktober 2009 und Dezember 2009 jeweils einen Gehaltsbruttobetrag iHv. 5.749,75 Euro und für den Monat November 2009 einen Gehaltsbruttobetrag iHv. 8.979,98 Euro abzurechnen und die betreffenden Beträge, vermindert um auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangene Ansprüche iHv. 528,01 Euro und vermindert um auf die Beklagte übergegangene Ansprüche iHv. je 1.437,05 Euro für die Monate Oktober und Dezember 2009 sowie 3.078,85 Euro für den Monat November 2009, jeweils zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf das volle Bruttogehalt seit dem ersten Kalendertag eines jeden Folgemonats an ihn bzw. eine evtl. Drittgläubigerin auszuzahlen;
hilfsweise
festzustellen, dass er für die Monate Oktober und Dezember 2009 jeweils Inhaber einer von der Beklagten nicht abgerechneten Bruttolohnforderung iHv. 5.749,75 Euro und für den Monat November 2009 Inhaber einer von der Beklagten nicht abgerechneten Bruttolohnforderung iHv. 8.979,98 Euro ist;
hilfsweise dazu
festzustellen, dass er für die Monate Oktober, November und Dezember 2009 jeweils Inhaber einer nicht abgerechneten Bruttoforderung in der im vorstehenden Hilfsantrag bezeichneten Höhe ist, die - bezogen auf die Monate Oktober und Dezember 2009 - iHv. je 1.437,05 Euro netto auf die Beklagte und iHv. je 528,01 Euro netto auf die Arbeitsgemeinschaft für Arbeit im Kreis Herford übergegangen ist und die - bezogen auf den Monat November 2009 - iHv. 3.078,85 Euro netto auf die Beklagte und iHv. 528,01 Euro auf die Arbeitsgemeinschaft für Arbeit im Kreis Herford übergangen ist;
hilfsweise zu allem Vorstehenden
die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Monate Oktober, November und Dezember 2009 je 1.067,65 Euro netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Kalendertag eines jeden Folgemonats zu zahlen
sowie
die Beklagte zu verurteilen, für die Monate Oktober und Dezember 2009 jeweils 1.604,08 Euro Lohnsteuer, 144,36 Euro Kirchensteuer und 88,22 Euro Solidaritätszuschlag und für den Monat November 2009 2.932,08 Euro Lohnsteuer, 263,88 Euro Kirchensteuer und 161,26 Euro Solidaritätszuschlag an das zuständige Betriebsstättenfinanzamt, namentlich das Finanzamt Bielefeld-Außenstadt, sowie für die Monate Oktober bis Dezember 2009 jeweils insgesamt 1.074,60 Euro an Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen zur Rentenversicherung an die Deutsche Rentenversicherung und jeweils insgesamt 151,20 Euro an Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen zur Arbeitslosenversicherung an die Bundesagentur für Arbeit abzuführen.
- 14
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe nach Abgabe des Schuldanerkenntnisses weitere Firmengelder veruntreut, zumindest in den im Strafverfahren nachgewiesenen 67 Fällen. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB habe sie gewahrt. Der Kläger habe im Strafverfahren die fraglichen Taten mittelbar dadurch eingeräumt, dass er in der Verhandlung vom 24. August 2009 keinen umfassenden Freispruch, sondern die Verhängung einer Bewährungsstrafe beantragt habe. Dies sei als neue Tatsache zu werten. Um dem Betriebsrat insoweit etwas „Greifbares“ bieten zu können, habe sie die Übersendung des Protokolls und der schriftlichen Urteilsgründe abwarten dürfen. Die anschließende Anhörung des Betriebsrats sei ordnungsgemäß erfolgt. Etwaige Fehler bei der Beschlussfassung des Gremiums seien ihr nicht zuzurechnen. Die auf Zahlung und Abrechnung gerichteten Anträge seien schon deshalb unbegründet, weil zwischen den Parteien seit Zugang der Kündigung vom 22. September 2009 kein Arbeitsverhältnis mehr bestanden habe. Unabhängig davon sei sie nicht in Annahmeverzug geraten. Eine tatsächliche Beschäftigung des Klägers sei für sie unzumutbar gewesen.
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Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag zu 1. stattgegeben, im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat es das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die außerordentliche Kündigung vom 22. September 2009 zu Recht als wirksam angesehen (I.). Die auf Abrechnung und Zahlung von Annahmeverzugslohn gerichteten Anträge einschließlich der darauf bezogenen Hilfsanträge sind dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen (II.).
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I. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die fristlose Kündigung vom 22. September 2009 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
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1. Einem klageabweisenden Urteil im vorliegenden Rechtsstreit steht nicht das rechtskräftige Urteil vom 23. Juni 2010 entgegen, soweit das Arbeitsgericht festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 4. Dezember 2009 nicht aufgelöst worden ist. Der Beklagten ist es trotz dieser Feststellungen nicht verwehrt, sich auf die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 22. September 2009 zu berufen.
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a) Der Umfang der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung im Kündigungsschutzprozess bestimmt sich nach dem Streitgegenstand. Streitgegenstand einer Kündigungsschutzklage mit einem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG ist, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien aus Anlass einer bestimmten Kündigung zu dem in ihr vorgesehenen Termin aufgelöst worden ist. Die begehrte Feststellung erfordert nach dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung eine Entscheidung über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der Kündigung. Mit der Rechtskraft des der Klage stattgebenden Urteils steht deshalb fest, dass jedenfalls im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zwischen den streitenden Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden hat (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 826/09 - Rn. 13, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 73; 26. März 2009 - 2 AZR 633/07 - Rn. 16, BAGE 130, 166). Auch enthält ein rechtskräftiges Urteil, wonach das Arbeitsverhältnis der Parteien durch eine bestimmte Kündigung zu dem vorgesehenen Termin nicht aufgelöst worden ist, grundsätzlich die konkludente Feststellung, dass dieses Arbeitsverhältnis nicht zuvor durch andere Ereignisse aufgelöst worden ist (BAG 25. März 2004 - 2 AZR 399/03 - zu B II 1 der Gründe, AP BMT-G II § 54 Nr. 5 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 4; 5. Oktober 1995 - 2 AZR 909/94 - zu II 1 der Gründe, BAGE 81, 111). Die Rechtskraft schließt gemäß § 322 ZPO im Verhältnis der Parteien zueinander eine hiervon abweichende gerichtliche Feststellung in einem späteren Verfahren aus(BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 826/09 - Rn. 13, aaO; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - zu B I 1 b aa der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11).
- 20
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b) Zu berücksichtigen ist aber, dass der Streitgegenstand der (späteren) Kündigungsschutzklage und damit der Umfang der Rechtskraft eines ihr stattgebenden Urteils auf die (streitige) Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die konkret angegriffene Kündigung beschränkt werden kann (BAG 26. März 2009 - 2 AZR 633/07 - Rn. 16, BAGE 130, 166; 25. März 2004 - 2 AZR 399/03 - zu B II 2 der Gründe, AP BMT-G II § 54 Nr. 5 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 4; 20. Mai 1999 - 2 AZR 278/98 - zu I der Gründe, ZinsO 2000, 351; 17. Mai 1984 - 2 AZR 109/83 - zu A II der Gründe, BAGE 46, 191). Eine solche Einschränkung des Umfangs der Rechtskraft bedarf deutlicher Anhaltspunkte, die sich aus der Entscheidung selbst ergeben müssen (für die Einschränkung der Rechtskraft eines die Leistungsklage abweisenden Urteils vgl. BAG 11. Oktober 2011 - 3 AZR 795/09 - Rn. 18 mwN, EzA ZPO 2002 § 322 Nr. 2). Das schließt es nicht aus, für die Bestimmung des Umfangs der Rechtskraft im Einzelfall Umstände heranzuziehen, die schon mit der Entscheidungsfindung zusammenhängen. So kann für die „Ausklammerung“ der Rechtsfolgen einer eigenständigen, zeitlich früher wirkenden Kündigung aus dem Streitgegenstand der Klage, die sich gegen eine später zugegangene Kündigung richtet, der Umstand sprechen, dass dieselbe Kammer des Arbeitsgerichts am selben Tag über beide Kündigungen entschieden hat. In einem solchen Fall ist regelmäßig sowohl für die Parteien als auch für das Gericht klar, dass die Wirkungen der früheren Kündigung nicht zugleich Gegenstand des Rechtsstreits über die später wirkende Kündigung sein sollten (vgl. BAG 20. Mai 1999 - 2 AZR 278/98 - zu I der Gründe, aaO).
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c) Danach führt die Rechtskraft des der Klage gegen die Kündigung vom 4. Dezember 2009 stattgebenden Urteils vom 23. Juni 2010 nicht dazu, dass im vorliegenden Rechtsstreit die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der fristlosen Kündigung vom 22. September 2009 nicht mehr geprüft werden könnte. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts, das Arbeitsgericht habe mit seinem Urteil vom 23. Juni 2010 nicht über die Wirksamkeit der ihm bekannten, zeitlich vorhergehenden Kündigung entscheiden wollen und entschieden, ist rechtsfehlerfrei. Die Parteien haben ihren Streit über die Wirksamkeit der betreffenden Kündigungen in getrennten Prozessen ausgetragen. Im Tatbestand des Urteils vom 23. Juni 2010 wird ausdrücklich auf die fristlose Kündigung vom 22. September 2009 hingewiesen. Es ist das erstinstanzliche Aktenzeichen des vorliegenden Rechtsstreits aufgeführt und dargestellt worden, dass das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben hat. Das Urteil vom 23. Juni 2010 stammt von derselben Kammer, die am 9. April 2010 das erstinstanzliche Urteil in der vorliegenden Sache verkündet hat. Hinzu kommt, dass bei Verkündung des Urteils vom 23. Juni 2010 die Frist für die Einlegung einer Berufung gegen das am 9. April 2010 ergangene Urteil noch nicht abgelaufen war. Dafür, dass sich das Arbeitsgericht dieser Tatsache bei Verkündung des Urteils vom 23. Juni 2010 bewusst war, spricht der in den dortigen Tatbestand aufgenommene Hinweis, es handele sich bei der vorausgegangenen Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung vom 22. September 2009 um ein erstinstanzliches Urteil. Schon diese Umstände zeigen, dass aus Sicht des Arbeitsgerichts die Kündigung vom 22. September 2009 nicht zugleich Gegenstand des Rechtsstreits betreffend die Kündigung vom 4. Dezember 2009 sein sollte. Überdies befassen sich die Entscheidungsgründe des Urteils vom 23. Juni 2010 an keiner Stelle mit der Frage, ob das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom 4. Dezember 2009 noch bestanden hat. Dies kann in Anbetracht des bekanntermaßen noch nicht rechtskräftig beendeten Streits über die Wirksamkeit der vorangegangenen Kündigung, zu deren Rechtfertigung sich die Beklagte überdies auf völlig andere Gründe berufen hatte, nur so verstanden werden, dass das Arbeitsgericht bei seiner Entscheidung vom 23. Juni 2010 die rechtliche Bewertung der Kündigung vom 22. September 2009 dem Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits überlassen wollte.
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2. Die Kündigung vom 22. September 2009 beruht auf einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.
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a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dass sich der Kläger in 67 Fällen der Untreue zum Nachteil der Beklagten schuldig gemacht hat und der Beklagten damit die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar war. Diese Würdigung lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Ungeachtet der knappen Ausführungen liegt kein Verfahrensmangel iSd. § 547 Nr. 6 ZPO vor. Aus der Begründung des Gerichts wird hinreichend deutlich, dass es - auch ohne vorausgehende Abmahnung - von der Unzumutbarkeit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst für die Dauer einer (fiktiven) Kündigungsfrist ausgegangen ist. Das ist angesichts der Schwere der dem Kläger anzulastenden Pflichtverletzungen nicht zu beanstanden. Dessen Lebensalter und die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit vermögen kein anderes Ergebnis zu rechtfertigen. Das sieht die Revision ersichtlich nicht anders.
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b) Mit dem zur Rechtfertigung der Kündigung vorgebrachten Grund ist die Beklagte nicht präkludiert. Dies gilt selbst dann, wenn die in Rede stehenden 67 Untreuehandlungen - entweder im Sinne eines Verdachts oder im Sinne eines Tatvorwurfs - bereits Gegenstand der rechtskräftig für unwirksam erklärten Kündigungen vom 10. Mai 2007, 15. August 2007 und 25. November 2008 gewesen sein sollten. Das angefochtene Urteil enthält dazu keine eindeutigen Feststellungen.
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aa) Eine Kündigung kann nicht erfolgreich auf Gründe gestützt werden, die der Arbeitgeber schon zur Begründung einer vorhergehenden Kündigung vorgebracht hat und die in einem rechtskräftig abgeschlossenen Kündigungsschutzprozess mit dem Ergebnis materiell geprüft worden sind, dass sie die Kündigung nicht tragen. Mit einer Wiederholung dieser Gründe zur Stützung einer späteren Kündigung ist der Arbeitgeber ausgeschlossen (BAG 6. September 2012 - 2 AZR 372/11 - Rn. 13, BB 2012, 2367; 8. November 2007 - 2 AZR 528/06 - Rn. 20 ff. mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 19). Eine solche Präklusionswirkung entfaltet die Entscheidung über die frühere Kündigung allerdings nur bei identischem Kündigungssachverhalt. Hat sich dieser wesentlich geändert, darf der Arbeitgeber erneut kündigen (BAG 6. September 2012 - 2 AZR 372/11 - Rn. 13, aaO; 26. November 2009 - 2 AZR 272/08 - Rn. 19, BAGE 132, 299).
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bb) Die außerordentliche Kündigung vom 22. September 2009 stellt sich danach nicht als bloße Wiederholung einer der früheren Kündigungen dar.
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(1) Die Klagen gegen die Kündigungen vom 10. Mai und 15. August 2007 waren deshalb erfolgreich, weil das Landesarbeitsgericht für beide zu dem Ergebnis gelangt war, sie seien wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung und damit aus einem formellen Grund unwirksam. Eine materielle gerichtliche Überprüfung der Kündigungsgründe erfolgte nicht.
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(2) Die fristlose - sowohl auf einen bloßen Tatverdacht als auch den Tatvorwurf - gestützte Kündigung vom 25. November 2008 hatte deshalb keinen Bestand, weil das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt. Das Gericht war der Auffassung, die Eröffnung des Hauptverfahrens, auf deren Grundlage die Beklagte gekündigt habe, stelle gegenüber der - bereits länger als zwei Wochen zurückliegenden - Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft und den in diesem Zusammenhang bekannt gewordenen Tatsachen keinen Umstand dar, der die Ausschlussfrist erneut in Gang setze. Auch insoweit hat deshalb eine materielle Prüfung der Kündigungsgründe als solche nicht stattgefunden. Unabhängig davon stützt die Beklagte die Kündigung vom 22. September 2009 nicht auf einen vollständig identischen Sachverhalt. Sie beruft sich zusätzlich auf die strafgerichtliche Verurteilung des Klägers und die in der Hauptverhandlung von seiner Seite abgegebenen Erklärungen. Ob dies ausreicht, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB erneut in Gang zu setzen, erfordert eine neue rechtliche Bewertung; die Entscheidung über die Kündigung vom 25. November 2008 erfasst diesen Aspekt nicht und vermag insoweit keine Präklusionswirkung zu entfalten (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 19, BAGE 137, 54).
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3. Die Beklagte hat die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.
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a) Nach § 626 Abs. 2 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Auch grob fahrlässige Unkenntnis setzt die Frist nicht in Gang. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 15, BAGE 137, 54; 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 18, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7).
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b) Geht es um ein strafbares Verhalten des Arbeitnehmers, darf der Arbeitgeber den Fort- und Ausgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens abwarten und abhängig davon in dessen Verlauf zu einem nicht willkürlich gewählten Zeitpunkt kündigen. Für die Wahl des Zeitpunkts bedarf es eines sachlichen Grundes. Wenn der Kündigungsberechtigte neue Tatsachen erfahren oder neue Beweismittel erlangt hat und nunmehr ausreichend Erkenntnisse für eine Kündigung zu haben glaubt, kann er dies zum Anlass für den Ausspruch einer neuerlichen Kündigung nehmen (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 16 mwN, BAGE 137, 54; 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 20 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7).
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c) Der Fortgang des Ermittlungs- und Strafverfahrens - beispielsweise die Erhebung der öffentlichen Klage und die spätere Verurteilung - kann einen gegen den Arbeitnehmer bestehenden Verdacht, er habe seine Vertragspflichten verletzt, verstärken (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 17, 18 mwN, BAGE 137, 54). Auch wenn derartige Umstände für sich genommen - dh. ohne konkreten, den Kündigungsgrund stützenden Tatsachenvortrag - nicht ausreichen, eine Verdachts- oder Tatkündigung zu begründen (vgl. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 16, DB 2013, 641; 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 26, EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 11), stellen sie doch einen Einschnitt dar, der in der Lage ist, den Verdacht oder die Überzeugung des Arbeitgebers zu verstärken, und der für den Beginn der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB von Bedeutung sein kann(BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 16, aaO; 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 17 ff., aaO). Das gilt auch, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis am Anfang der Ermittlungen schon einmal gekündigt hat (BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 19, aaO).
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d) Für eine Kündigung, die wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung ausgesprochen wird, gelten mit Blick auf § 626 Abs. 2 BGB grundsätzlich dieselben Erwägungen wie für eine Kündigung wegen einer als erwiesen angesehenen Straftat(BAG 29. Juli 1993 - 2 AZR 90/93 - zu II 1 c der Gründe, AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 31 = EzA BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 4). Die Möglichkeit, die Kündigung an neue Erkenntnisse im Strafverfahren zu knüpfen, trägt den mit der Aufklärung strafbarer Handlungen des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber verbundenen Schwierigkeiten und dessen eingeschränkten Ermittlungsmöglichkeiten Rechnung. Hat der Arbeitgeber eine Kündigung bereits ausgesprochen, weil er der Auffassung war, die bisher angestellten Ermittlungen böten ihm eine hinreichende Grundlage für einen dringenden Tatverdacht oder den Nachweis einer schwerwiegenden Pflichtverletzung, schließt dies eine neuerliche Kündigung bei Hinzutreten veränderter, die Überzeugung verstärkender Umstände nicht aus. Zwar stellen in der Regel weder der Verdacht strafbarer Handlungen noch eine begangene Straftat einen Dauertatbestand dar (BAG 29. Juli 1993 - 2 AZR 90/93 - zu II 1 c dd der Gründe, aaO). Das hindert den Arbeitgeber aber nicht daran, eine erneute Kündigung auf eine veränderte, weil erweiterte Tatsachengrundlage zu stützen. Durch eine einmal erklärte Kündigung verzichtet er auf dieses Recht nicht, mögen auch die Kündigungsart und die in Rede stehende Pflichtverletzung die nämliche sein (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 19, BAGE 137, 54; aA Walker Anm. zu AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 49, unter 2).
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e) In Anwendung dieser Grundsätze ist das Landesarbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB habe am 11. September 2009 als dem Tag - neu - begonnen, an welchem die Beklagte eine Abschrift des Protokolls der Hauptverhandlung und des Strafurteils vom 24. August 2009 erhalten hat.
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aa) Die strafrechtliche Verurteilung des Klägers konnte die Beklagte in der Gewissheit bestätigen, dass dieser die ihm zur Last gelegten Taten tatsächlich begangen hat (vgl. BAG 18. November 1999 - 2 AZR 852/98 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 93, 12). Das Landesarbeitsgericht hat für den Senat bindend angenommen, vor Erstattung der Strafanzeige seien nicht alle Vorfälle hinreichend aufgeklärt gewesen. Den Gründen des Strafurteils, auf die das Landesarbeitsgericht Bezug genommen hat, ist zu entnehmen, dass sich der Kläger weder zur Sache eingelassen, noch Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen und den Taten gemacht hatte. Zumindest in einem solchen Fall bedeutet es einen relevanten Erkenntnisfortschritt, dass das mit den Möglichkeiten der Amtsermittlung ausgestattete Strafgericht nach Beweisaufnahme den Tatnachweis als geführt ansieht und zu einer Verurteilung des Arbeitnehmers gelangt (vgl. BAG 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 26 = EzA BGB § 626 nF Nr. 160). Im Streitfall kommt hinzu, dass der Verteidiger des Klägers keinen Freispruch, sondern die Verhängung einer Bewährungsstrafe beantragt und der Kläger von der ihm eingeräumten Möglichkeit, etwas zu seiner Verteidigung vorzubringen, keinen Gebrauch gemacht hat. Auch dadurch hat sich die Tatsachengrundlage erweitert, belegt das Verhalten des Klägers doch zumindest, dass er den Vorwürfen nicht mehr aktiv entgegen treten will.
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bb) Es hält sich im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum, wenn das Landesarbeitsgericht für den Beginn der Frist nicht auf den 24. August 2009 als das Datum der Urteilsverkündung abgestellt hat, sondern auf die Zuleitung des Protokolls und der schriftlichen Urteilsgründe am 11. September 2009. Erst durch die Möglichkeit der Kenntnisnahme von den schriftlichen Gründen hat die Beklagte - angesichts der Komplexität des Verfahrens und der Vielzahl der in Rede stehenden Tathandlungen - hinreichende Gewissheit über den konkreten Gegenstand und den Umfang der Verurteilung gewonnen. Für diese Sichtweise spricht zudem das in § 406e der Strafprozessordnung verbürgte Recht des Verletzten auf Akteneinsicht durch einen Rechtsanwalt, das die Prüfung ermöglichen soll, ob und in welchem Umfang zivilrechtliche Ansprüche mit Erfolgsaussicht geltend gemacht werden können(vgl. Hanseatisches OLG Hamburg 21. März 2012 - 2 Ws 11/12 ua. - Rn. 22, wistra 2012, 397; zur Einsicht in strafrechtliche Ermittlungsakten vgl. BVerfG 5. Dezember 2006 - 2 BvR 2388/06 - NJW 2007, 1052). Die Teilnahme an der öffentlichen Verhandlung ist hierfür kein ausreichendes Äquivalent. Ob die Beklagte - wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat - die Übermittlung der Schriftstücke auch wegen ihrer Unterrichtungspflichten aus § 102 Abs. 1 BetrVG abwarten durfte, bedarf keiner Entscheidung.
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f) Die Kündigungserklärung erfolgte binnen zweier Wochen nach dem 11. September 2009. Die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, die fristlose Kündigung vom 22. September 2009 sei dem Kläger am 24. September 2009 zugegangen.
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4. Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß zur Kündigung vom 22. September 2009 angehört worden.
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a) Die Beklagte ist gemäß dem Grundsatz der „subjektiven Determinierung“ (vgl. dazu BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 352/11 - Rn. 41 mwN, NZA 2013, 86; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 45 mwN, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36) ihrer Mitteilungspflicht aus § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG inhaltlich ausreichend nachgekommen.
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b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann dahinstehen, ob die Beklagte das Anhörungsverfahren durch Übergabe des Unterrichtungsschreibens an ein anderes Mitglied des Betriebsrats als dessen Vorsitzenden am 18. September 2009 wirksam eingeleitet hatte und deshalb die Frist des § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG bei Zugang des Kündigungsschreibens am 24. September 2009 tatsächlich abgelaufen war. Auf die Empfangszuständigkeit des betreffenden Mitglieds kommt es nicht an. Das Anhörungsverfahren war aufgrund der Stellungnahme des Betriebsrats in jedem Fall am 21. September 2009 abgeschlossen (vgl. BAG 24. Juni 2004 - 2 AZR 461/03 - zu B II 2 b der Gründe, AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 22 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 9).
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aa) Der Kläger wendet sich nicht gegen die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, der Anhörungsbogen mit der seitens des Betriebsrats abgegebenen Erklärung, gegen die fristlose Kündigung bestünden keine Bedenken, habe der Beklagten am 21. September 2009 und damit zu einem Zeitpunkt vorgelegen, zu dem das Kündigungsschreiben ihren Machtbereich noch nicht verlassen hatte. Es handelte sich dabei erkennbar um eine das Anhörungsverfahren abschließende Äußerung.
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bb) Die Rüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Stellungnahme keine ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats zugrunde gelegen habe, greift nicht durch.
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(1) Mängel bei der Beschlussfassung des Betriebsrats haben grundsätzlich selbst dann keine Auswirkungen auf die Ordnungsgemäßheit seiner Anhörung, wenn der Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt weiß oder erkennen kann, dass der Betriebsrat die Angelegenheit nicht fehlerfrei behandelt hat. Solche Fehler - etwa die Abgabe der Stellungnahme durch ein dafür unzuständiges Mitglied des Betriebsrats - gehen schon deshalb nicht zu Lasten des Arbeitgebers, weil dieser keine rechtliche Möglichkeit eines Einflusses auf die Beschlussfassung des Betriebsrats hat (BAG 6. Oktober 2005 - 2 AZR 316/04 - Rn. 21 mwN, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 150 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 16; 24. Juni 2004 - 2 AZR 461/03 - zu B II 2 b aa der Gründe mwN, AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 22 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 9).
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(2) Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn erkennbar keine Stellungnahme des Gremiums „Betriebsrat”, sondern etwa nur eine persönliche Äußerung des Betriebsratsvorsitzenden vorliegt oder der Arbeitgeber den Fehler des Betriebsrats durch unsachgemäßes Verhalten selbst veranlasst hat (BAG 6. Oktober 2005 - 2 AZR 316/04 - Rn. 22, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 150 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 16; 16. Januar 2003 - 2 AZR 707/01 - zu B I 2 c der Gründe, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 129 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 2).
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(3) Für das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls fehlt es auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts an hinreichenden Anhaltspunkten. Einen beachtlichen Verfahrensfehler des Landesarbeitsgerichts zeigt der Kläger nicht auf. Er bezieht sich auf sein Vorbringen, entweder habe das betreffende Betriebsratsmitglied am 21. September 2009 nur eine persönliche Äußerung abgegeben oder die Beklagte habe den Betriebsrat zu einer eiligen Beschlussfassung im Umlaufverfahren gedrängt. Er verbindet damit den Einwand, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht gemeint, dies laufe auf eine unzulässige Ausforschung hinaus. Soweit er damit geltend machen will, das Landesarbeitsgericht habe eine gebotene Beweisaufnahme unterlassen, ist die Rüge unzulässig. Er legt nicht dar, welches Ergebnis die Erhebung des angebotenen Beweises voraussichtlich erbracht hätte (zu dieser Anforderung BAG 6. Januar 2004 - 9 AZR 680/02 - zu II 3 d aa der Gründe, BAGE 109, 145). Unabhängig davon ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts mit den Vorgaben des Prozessrechts vereinbar. Zwar kann es einer Prozesspartei, die keinen Einblick in bestimmte Geschehensabläufe hat und der deshalb die Beweisführung erschwert ist, gestattet sein, auch solche Tatsachen unter Beweis zu stellen, die sie nicht sicher kennt, die sie aber aufgrund ihr bekannter Umstände vermuten kann. Zulässig ist ein solcher Beweisantritt aber nur, wenn zumindest greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen der fraglichen Tatsache aufgezeigt werden (vgl. BAG 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - Rn. 33, DB 2009, 964; BGH 15. Mai 2003 - III ZR 7/02 - zu II 2 a der Gründe, BGHReport 2003, 891). Dieser Anforderung genügt das Vorbringen des Klägers nicht. Allein die verhältnismäßig kurze Zeit, die zwischen Übergabe des Anhörungsbogens und der Stellungnahme vom 21. September 2009 liegt und der zusätzliche Umstand, dass zwei Tage dieser Zeitspanne arbeitsfrei gewesen sein mögen, sind keine greifbare Indizien dafür, dass das handelnde Betriebsratsmitglied der Beklagten lediglich eine persönliche Stellungnahme übermittelt hat. Zum einen ist es nicht ausgeschlossen, dass der Betriebsrat außerhalb der regulären Arbeitszeit zu Sitzungen zusammentritt. Zum anderen deutet der Inhalt der Stellungnahme („… haben wir keine Bedenken“) explizit auf eine Einbeziehung weiterer Betriebsratsmitglieder hin. Ebenso wenig bietet der zeitliche Ablauf einen Anhaltspunkt für die Annahme, der Betriebsrat habe, falls er einen Beschluss im Umlaufverfahren gefasst haben sollte, dies auf Drängen der Beklagten getan.
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II. Die Klageanträge zu 2. fallen dem Senat nicht zur Entscheidung an. Der Kläger hat in der Revisionsbegründung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass deren Erfolg vom Ausgang des Kündigungsrechtsstreits abhängt. Dies kann bei sachgerechter Würdigung, insbesondere vor dem Hintergrund des angebrachten Prozesskostenhilfegesuchs, nur so verstanden werden, dass er sie insgesamt als uneigentliche Hilfsanträge zum Kündigungsschutzantrag stellen will. Selbst wenn über sie zu befinden wäre, bliebe seiner Revision im Übrigen der Erfolg versagt. Infolge der Wirksamkeit der Kündigung vom 22. September 2009 hat in den Monaten Oktober, November und Dezember 2009 zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis mehr bestanden.
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III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
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Kreft
Rinck
Berger
Krichel
Nielebock
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.
(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
(1) Eingliederungshilfe erhält, wer die erforderliche Leistung nicht von anderen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.
(2) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen, bleiben unberührt. Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil dieser Teil entsprechende Leistungen vorsieht; dies gilt insbesondere bei einer gesetzlichen Verpflichtung der Träger anderer Sozialleistungen oder anderer Stellen, in ihrem Verantwortungsbereich die Verwirklichung der Rechte für Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten oder zu fördern.
(3) Das Verhältnis der Leistungen der Pflegeversicherung und der Leistungen der Eingliederungshilfe bestimmt sich nach § 13 Absatz 3 des Elften Buches.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte.
Entspricht ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts, so gilt das letztere, wenn anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde.
(1) Die Vorschriften über das Recht zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses werden durch das vorliegende Gesetz nicht berührt. Die Rechtsunwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung kann jedoch nur nach Maßgabe des § 4 Satz 1 und der §§ 5 bis 7 geltend gemacht werden. Stellt das Gericht fest, dass die außerordentliche Kündigung unbegründet ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat auf seinen Antrag das Gericht das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzulegen, zu dem die außerordentliche Kündigung ausgesprochen wurde. Die Vorschriften der §§ 10 bis 12 gelten entsprechend.
(2) Verstößt eine Kündigung gegen die guten Sitten, so finden die Vorschriften des § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 und der §§ 10 bis 12 entsprechende Anwendung.
(3) Im Übrigen finden die Vorschriften dieses Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 auf eine Kündigung, die bereits aus anderen als den in § 1 Abs. 2 und 3 bezeichneten Gründen rechtsunwirksam ist, keine Anwendung.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
(1) Die Vorschriften über das Recht zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses werden durch das vorliegende Gesetz nicht berührt. Die Rechtsunwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung kann jedoch nur nach Maßgabe des § 4 Satz 1 und der §§ 5 bis 7 geltend gemacht werden. Stellt das Gericht fest, dass die außerordentliche Kündigung unbegründet ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat auf seinen Antrag das Gericht das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzulegen, zu dem die außerordentliche Kündigung ausgesprochen wurde. Die Vorschriften der §§ 10 bis 12 gelten entsprechend.
(2) Verstößt eine Kündigung gegen die guten Sitten, so finden die Vorschriften des § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 und der §§ 10 bis 12 entsprechende Anwendung.
(3) Im Übrigen finden die Vorschriften dieses Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 auf eine Kündigung, die bereits aus anderen als den in § 1 Abs. 2 und 3 bezeichneten Gründen rechtsunwirksam ist, keine Anwendung.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
(1) Das Urteilsverfahren findet in den in § 2 Abs. 1 bis 4 bezeichneten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung.
(2) Für das Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Verfahren vor den Amtsgerichten entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. Die Vorschriften über den frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung und das schriftliche Vorverfahren (§§ 275 bis 277 der Zivilprozeßordnung), über das vereinfachte Verfahren (§ 495a der Zivilprozeßordnung), über den Urkunden- und Wechselprozeß (§§ 592 bis 605a der Zivilprozeßordnung), über die Musterfeststellungsklage (§§ 606 bis 613 der Zivilprozessordnung), über die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung) und über die Verlegung von Terminen in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August (§ 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung) finden keine Anwendung. § 127 Abs. 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die sofortige Beschwerde bei Bestandsschutzstreitigkeiten unabhängig von dem Streitwert zulässig ist.
(1) Bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen aus einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis, einer Dienstpflicht oder einer Tätigkeit, die anstelle einer gesetzlichen Dienstpflicht geleistet werden kann, bei Ansprüchen von Arbeitnehmern auf wiederkehrende Leistungen sowie in Verfahren vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen dem Grunde oder der Höhe nach geltend gemacht oder abgewehrt werden, ist der dreifache Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistungen maßgebend, wenn nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist. Ist im Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit die Höhe des Jahresbetrags nicht nach dem Antrag des Klägers bestimmt oder nach diesem Antrag mit vertretbarem Aufwand bestimmbar, ist der Streitwert nach § 52 Absatz 1 und 2 zu bestimmen.
(2) Für die Wertberechnung bei Rechtsstreitigkeiten vor den Gerichten für Arbeitssachen über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist höchstens der Betrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts maßgebend; eine Abfindung wird nicht hinzugerechnet. Bei Rechtsstreitigkeiten über Eingruppierungen ist der Wert des dreijährigen Unterschiedsbetrags zur begehrten Vergütung maßgebend, sofern nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist.
(3) Die bei Einreichung der Klage fälligen Beträge werden dem Streitwert hinzugerechnet; dies gilt nicht in Rechtsstreitigkeiten vor den Gerichten für Arbeitssachen. Der Einreichung der Klage steht die Einreichung eines Antrags auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe gleich, wenn die Klage alsbald nach Mitteilung der Entscheidung über den Antrag oder über eine alsbald eingelegte Beschwerde eingereicht wird.