Grundvoraussetzungen, § 129 InsO

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Grundvoraussetzungen, § 129 InsO

originally published: 25.06.2021 16:47, updated: 15.09.2025 10:39

I. Grundvoraussetzungen, § 129 InsO

Jede vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommene Rechtshandlung, sofern sie sich benachteiligend auf die Befriedigungsquote der Insolvenzgläubiger i.S.v. § 38 InsO auswirkt, unterliegt der Insolvenzanfechtung.

1. Rechtshandlung

a) Grundlegendes


Der Begriff "Rechtshandlung" wird weit ausgelegt. Darunter ist jedes vom Willen getragene Tun oder Unterlassen des Schuldners oder eines Dritten (soweit nicht die InsO etwas anderes vorsieht), das Rechtswirkungen auslösen kann, zu verstehen.

Beispiele für aktives Tun: Verpflichtungs- und Verfügungsverträge, Willenserklärungen, einseitige Rechtsgeschäfte wie Kündigungen oder Verzichtserklärungen, rechtsgeschäftsähnliche Handlungen wie Mahnungen oder Fristsetzungen, Realakte wie die Verarbeitung i.S.d. §§ 946, 950 BGB, Prozesshandlungen, Lastschriftzahlungen, wegen § 141 InsO auch Vollstreckungshandlungen sowie die Vollziehung eines Arrests und/oder einer einstweiligen Verfügung

Beispiele für Unterlassen: Verstreichenlassen einer Verjährungsfrist, Nichtbestreiten im Prozess, versäumtes Einlegen eines Rechtsbehelfs


b) Problemfeld: Übergabe eines Schecks an einen Vollziehungsbeamten

KG, 16.10.2009, 14 U 18/09
Nach Auffassung des Kammergerichts kann eine Rechtshandlung i.S.d. §§ 129 ff. InsO nicht allein darin gesehen werden, dass der Insolvenzschuldner in eine Durchsuchung einwilligt und nicht auf einer richterlichen Anordnung nach §§ 758, 758a ZPO besteht.

BGH, 10.02.2005, IX ZR 211/02:
Es liegt keine Rechtshandlung liegt vor, wenn der Insolvenzschuldner nur noch die Wahl zwischen sofortiger Erfüllung der Forderung oder Duldung der Vollstreckung hat, wenn selbstbestimmtes Handeln de facto ausgeschaltet ist.

BGH, Urteil vom 06.10.2009, IX ZR 191/05:
Dagegen stellt die Übergabe eines Schecks des Insolvenzschuldners an einen Vollziehungsbeamten (z.B. Gerichtsvollzieher) eine Rechtshandlung des Insolvenzschuldners dar. Denn wenn
der Insolvenzschuldner der anwesenden Vollziehungsperson zur Vermeidung eines - mangels pfändbarer Gegenstände voraussichtlich erfolglosen - Pfändungsversuchs einen Scheck über den geforderten Betrag übergibt, besteht zumindest theoretisch die Möglichkeit zu einem anderweitigen Verhalten.

OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 29.08.2005, 16 U 11/05,
OLG Karlsruhe, Urteil vom 24.06.2008, 8 U 186/07:
Zwar vertraten sowohl das OLG Frankfurt a.M. als auch das OLG Karlsruhe die Auffassung, wonach eine während der Zwangsvollstreckung getätigte Zahlung keine Rechtshandlung des Schuldners darstelle - unabhängig davon, ob der Gerichtsvollzieher vor Ort gewesen sei oder nicht, ob der Schuldner aufgrund einer mit dem Gerichtsvollzieher getroffenen Ratenvereinbarung und in welcher Weise - in bar, per Überweisung oder Scheck - gezahlt habe. 

BGH, Urteil vom 10.12.2009, IX ZR 128/08 (Revision zum o.g. Urteil des OLG Karlsruhe): 
Der BGH bewertet aber die verfahrensrechtliche Abgrenzung der Oberlandesgerichte nicht mit dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und dem Zweck der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsOvereinbar:

Im Lichte seiner vorangegangenen Rechtsprechung betont er, dass eine Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO in Abgrenzung zu unanfechtbaren einseitigen Gläubigerhandlungen nur in Betracht komme, wenn ein willensgesteuertes Handeln des Schuldners zur Befriedigung beigetragen habe. Denn nur wer darüber entscheiden könne, ob er die angeforderte Leistung erbringe oder verweigere, nehme selbst eine Rechtshandlung im Sinne des § 129 InsO vor. Dabei sei dem Schuldner die Möglichkeit zu eigenem willensgesteuerten Handeln nicht allein dadurch genommen, dass die Einzelzwangsvollstreckung bereits begonnen habe. 

Zum einen unterscheide sich die Situation, dass eine einzelne Zwangsvollstreckungsmaßnahme erfolglos geblieben sei und deshalb demnächst weitere Maßnahmen drohten, nicht wesentlich von derjenigen, in welcher der Beginn der Zwangsvollstreckung noch bevorstehe. Nach wie vor könne der Schuldner frei entscheiden, ob er Vermögenswerte, die das Vollstreckungsorgan bislang nicht aufgefunden hätten oder die er noch von dritter Seite bekommen könnte, zur Befriedigung des Vollstreckungsgläubigers einsetze oder statt dessen die Fortsetzung des Zwangsvollstreckungsverfahrens hinnehme und die Konsequenz ziehe, selbst Insolvenzantrag zu stellen. 

Zum anderen beruhe die gegenteilige Auffassung des OLG Karlsruhe auf der unzutreffenden Prämisse, dass in der Einzelzwangsvollstreckung ratenweise Leistungen des Vollstreckungsschuldners auf einen einheitlichen hoheitlichen Zugriff zurückgeführt würden. Bleibe ein Pfändungsversuch ganz oder teilweise fruchtlos, setze sich dieser am Beginn des Verfahrens stehende hoheitliche Zugriff nicht fort, wenn der Schuldner einige Zeit später doch Leistungen an den Gerichtsvollzieher erbringe. Die Entscheidungsfreiheit sei nicht dadurch aufgehoben, dass der Schuldner bei fortgesetzter Fruchtlosigkeit die eidesstattliche Versicherung abgeben müsse. Die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung stelle seine Dispositionsfreiheit über etwaige verbliebene Vermögenswerte nicht in Frage. 

Auch die vom OLG Karlsruhe angestellten praktischen Erwägungen gäben keine Veranlassung, die am Regelungszweck ausgerichtete Auslegung des § 133 InsO im Falle von Ratenzahlungen nach § 806b ZPO aufzugeben. 

Zum einen erschwere der bargeldlose Zahlungsverkehr, dessen sich Schuldner häufig auch im Rahmen des § 806b ZPO zur Erfüllung von Ratenzahlungsvereinbarungen bedienten, nicht die Abgrenzung zwischen anfechtbaren eigenverantwortlichen Leistungen des Schuldners und unanfechtbaren einseitigen Vollstreckungshandlungen. Denn die Abgrenzung sei bei einer bargeldlosen Zahlung einfacher als bei Hingabe von Bargeld an den Gerichtsvollzieher, da Überweisungen, Lastschriften und Scheckbegebungen zwingend erforderten, dass der Schuldner noch freien Zugriff auf sein Girokonto habe. Sei das Konto wegen Überziehung gesperrt oder unterliege es einer Pfändung, werde der vom Schuldner veranlasste Zahlungsvorgang erfolglos bleiben. Akzeptiere die Bank die Kontobelastung, beruhe die Zahlung auf der eigenverantwortlichen Verfügung des Schuldners über sein Konto und sei daher anfechtbar.

Zum anderen trage der bargeldlose Zahlungsverkehr nicht zur Beeinträchtigung der Rechtssicherheit des Vollstreckungsgläubigers bei, weil dieser etwaige zusätzlich eröffnete Anfechtungsrisiken vermeiden könne. Der Vollstreckungsgläubiger könne die Anfechtung vermeiden, indem er - ebenso wie er gemäß §§ 808 ff. ZPO anfechtungsfrei auf körperliche Sachen und Bargeld des Schuldners zugreifen könne - gemäß §§ 828 ff. ZPO auf dessen Kontoguthaben zugreife und den Auszahlungsanspruch des Schuldners pfänden und sich zur Einziehung überweisen lasse. Bareinzahlungen des Schuldners bei einer Bank mit anschließender Überweisung des eingezahlten Betrages auf das Dienstkonto des Gerichtsvollziehers qualifiziert der BGH als willensgetragene Leistungen des Schuldners wie Ratenzahlungen, die er in bar am Dienstsitz des Gerichtsvollziehers erbringe. Mithin seien sie der Vorsatzanfechtung zugänglich.

2. Gläubigerbenachteiligung

a) Grundlegendes

Gläubigerbenachteiligung führt zu einer Beeinträchtigung der haftenden Masse, d.h. einer Minderung der Aktivmasse oder Vergrößerung der Passivmasse bzw. wenn die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger aus der Insolvenzmasse ohne die anfechtbare Rechtshandlung günstiger wären und durch sie verkürzt, vereitelt, erschwert oder verzögert sind.

Die Rechtshandlung muss einen Bezug zur Insolvenzmasse haben. Denn die Gläubigerforderungen können nur mit der Insolvenzmasse befriedigt werden. Deshalb können die Insolvenzgläubiger nicht auf das insolvenzfreie Schuldnervermögen zurückgreifen, höchstpersönliche Ansprüche geltend machen oder die Arbeitskraft des Schuldners einfordern.

Beispiele für fehlende Gläubigerbenachteiligung: Veräußerung eines wertausschöpfend belasteten Gegenstands; Erfüllung einer Verbindlichkeit durch den Schuldner, wenn der Gläubiger Sicherheiten in entsprechender Höhe innehatte


b) Problemfeld: Zahlung durch den Schuldner nach begonnener Zwangsvollstreckung

Die Zahlung aus einem Überziehungskredit bewirkt eine Gläubigerbenachteiligung gem. § 129 InsO. Damit muss der Insolvenzverwalter für eine schlüssige Anfechtungsklage wegen einer vom Schuldnerkonto geleisteten Zahlung nicht (mehr) dartun, dass die Mittel aus einem Guthaben oder Kreditrahmen stammen.

BGH, Urteil vom 06.10.2009, IX ZR 191/05:
Aufgrund der Insolvenzanfechtung soll vornehmlich dasjenige, was aus dem Vermögen des Schuldners unter Benachteiligung der Insolvenzmasse veräußert, weggegeben oder aufgegeben worden ist, zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden (§ 129 Abs. 1, § 143 Abs. 1 InsO). [...]
Anerkannt ist ferner, dass die nach § 143 Abs. 1 InsO zurückzugewährenden Werte nicht unmittelbar aus dem Vermögen des Schuldners stammen müssen. Anfechtbar können vielmehr auch solche Rechtshandlungen des Schuldners sein, durch die er Vermögensbestandteile mit Hilfe einer Mittelsperson an den gewünschten Empfänger verschiebt, ohne notwendigerweise mit diesem äußerlich in unmittelbare Rechtsbeziehungen zu treten (mittelbare Zuwendungen [...]). Für den Dritten muss hierbei erkennbar gewesen sein, dass es sich um eine Leistung des Schuldners gehandelt hat [...]. Die mittelbare Zuwendung kann [...] infolge und nach Einräumung des vom Schuldner beantragten Überziehungskredits bewirkt werden. Dieser unmittelbar aus dem Vermögen der Bank herrührende Zahlungsfluss ist deshalb dem Schuldner zuzurechnen [...]. In anfechtungsrechtlicher Wertung kann eine solche Direktzahlung grundsätzlich nicht anders behandelt werden als wenn Geldmittel, auf die der Schuldner keinen Anspruch hatte, ihm durch ein neu gewährtes Darlehen zunächst überlassen und sodann zur Deckung von Verbindlichkeiten verwendet werden [...]. Im Streitfall war der Schuldner der Bank für die Überziehung "gut". Er konnte insofern seine Bonität, die letztlich auch einen Vermögenswert darstellen kann, in die Waagschale werfen; da diese Bonität aus der Sicht der Bank nicht unbeschränkt weitere Überziehungen rechtfertigte, hat der Schuldner sie teilweise zugunsten der Beklagten "verbraucht" und somit auch einen zumindest "potentiellen" Vermögenswert geopfert.
Werden Darlehensmittel an einen Gläubiger des Kreditnehmers durch den Kreditgeber direkt ausgezahlt, ist dieser Gläubiger anfechtungsrechtlich nicht stärker schutzwürdig, als wenn er die so bereit gestellten Gelder nach vorausgegangenem Empfang durch den Schuldner erst im zweiten Schritt von diesem erhalten hätte, sofern für den Gläubiger nur erkennbar ist, dass es sich bei der Direktzahlung des Kreditgebers um eine Leistung des Schuldners handelte. Darauf, ob die Bank zur Einlösung der begebenen Schecks verpflichtet war, kommt es im Verhältnis der Pateien nicht an [...]. Die Gläubigerbenachteiligung der Direktauszahlung des Überziehungskredits von der Bank an den begünstigten Gläubiger liegt gerade darin, dass die Kreditmittel nicht in das Vermögen des Schuldners gelangt und dort für den Zugriff der Gläubigergesamtheit verblieben sind.

3. Kausalität zwischen Rechtshandlung und Gläubigerbenachteiligung

Grundsätzlich reicht es aus, dass die Rechtshandlung mittelbar kausal für die Gläubigerbenachteiligung war, d.h. wenn nicht das anzufechtende Rechtsgeschäft selbst, sondern weitere Umstände (z.B. die Uneinbringlichkeit der Gegenleistung) zur Beeinträchtigung der Gläubiger geführt haben. Dieser die Gläubigerbenachteiligung auslösende Umstand muss jedoch durch die angefochtene Rechtshandlung verursacht worden sein.

Beispiele für mittelbare Gläubigerbenachteiligung: Stundung / Erlass einer massebezogenen Forderung, Verstreichenlassen der Verjährungsfrist, Veräußerung einer Sache unter Verkehrswert, Schuldner erhält keine oder keine angemessene Gegenleistung, Schuldner hat bei einer unentgeltlich zu erbringenden Leistung eine Gegenleistung versprochen

Bei den Anfechtungstatbeständen der §§ 132, 133 Abs. 2 InsO reicht mittelbare Kausalität nicht aus, vielmehr wird unmittelbare Kausalität verlangt. Die Rechtshandlung muss das Schuldnervermögen sofort bzw. im wirtschaftlichen Rahmen des Gesamtgeschäfts gemindert haben.

4. Rechtshandlung vor Insolvenzeröffnung

Die Rechtshandlung muss vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sein. Eine Ausnahme ist in § 147 InsO normiert.

Gem. § 140 Abs. 1 InsO gilt eine Rechtshandlung erst in dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten. Soll beispielsweise ein Vertrag angefochten werden, der erst in der Krisensituation des Schuldners in Kraft tritt, ist nicht auf den Abschluss, sondern auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens abzustellen.

Sofern für das Wirksamwerden der Rechtsgeschäfts eine Eintragung z.B. im Grundbuch erforderlich ist, gilt das Rechtsgeschäft als vorgenommen, sobald die übrigen Voraussetzungen für das Wirksamwerden erfüllt sind (§ 140 Abs. 2 S. 1 InsO), d.h. die Willenserklärung des Schuldners für ihn gem. § 873 Abs. 2 BGB bindend geworden ist und der andere Teil den Antrag auf Eintragung der Rechtsänderung im Grundbuch gestellt hat. Entsprechend gilt dies für Anträge auf Eintragung einer Vormerkung (vgl. § 140 Abs. 2 S. 2 InsO).

Bei bedingten oder befristeten Rechtshandlungen bleibt der Eintritt der Bedingung oder des Termins außer Betracht (§ 140 Abs. 3 InsO). Es kommt auf den Zeitpunkt an, in dem die bedingte Handlung erfolgte. Wird eine Sache beispielsweise unter Eigentumsvorbehalt veräußert, ist der Austausch der Willenserklärungen maßgeblich, selbst wenn die letzte Rate erst viel später gezahlt wird. Erfasst werden nur rechtsgeschäftliche Bedingungen.

Die Berechnung der Frist vor dem Eröffnungsantrag richtet sich nach § 139 Abs. 1 InsO. Bei mehreren Eröffnungsanträgen ist gem. § 139 Abs. 2 S. 1 InsO der erste zulässige und begründete Antrag maßgeblich, auch wenn die Eröffnung aufgrund eines späteren Antrags erfolgt.

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