Urteils-Kommentar zu Oberlandesgericht Stuttgart Urteil, 12. Apr. 2022 - 1 U 205/18 von Dirk Streifler


Authors
Oberlandesgericht Stuttgart Urteil, 12. Apr. 2022 - 1 U 205/18
Tenor
1. Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 24.10.2018 (Az.: 22 O 348/16) wird zurückgewiesen.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 24.10.2018 (Az.: 22 O 348/16) dahin abgeändert, dass die Klage in vollem Umfang abgewiesen wird.
3. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen und die Kosten der Streithelferin tragen die Klägerin zu 1 zu 66 % und die Klägerin zu 2 zu 34 %.
4. Das vorliegende Urteil und – soweit nicht vorstehend abgeändert – das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 24.10.2018 (Az.: 22 O 348/16) sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen können die Vollstreckung der Beklagten bzw. der Streithelferin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte bzw. die Streithelferin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert: 158.421.196,64 €
Im Verhältnis zur Klägerin zu 1: 104.557.978,56 €
Im Verhältnis zur Klägerin zu 2: 53.863.218,08 €
Gründe
A.
Die Klägerinnen verlangen als Käufer von Vorzugsaktien der beklagten Holdinggesellschaft Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sog. V.-Abgasskandal.
I.
Die beiden Klägerinnen sind Fondsgesellschaften der US-amerikanischen E.-Gruppe. Die beklagte P. Automobil Holding SE ist als Holdinggesellschaft mit rund 52 % der Stimmrechte an dem Automobilhersteller V. AG, ihrer Streithelferin, beteiligt; diese Beteiligung stellt ihr einziges substanzielles Investment dar. Die Klägerinnen erwarben in den Jahren 2013 bis 2015 Vorzugsaktien der Beklagten. Sie nehmen die Beklagte im Zusammenhang mit dem Einbau einer sog. Abschalteinrichtung in Dieselfahrzeugen, bekannt als V.-Diesel- oder V.-Abgasskandal, auf Schadensersatz in Anspruch, insbesondere wegen der Verletzung kapitalmarktrechtlicher Publizitätspflichten. Die Klägerinnen machen insgesamt rund 160 Mio. € Kursdifferenzschaden geltend (26,72 € Schaden pro Vorzugsaktie bei rund 4 bzw. 2 Mio. erworbenen Vorzugsaktien). Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Einzelnen sowie des Vorbringens und der Antragstellung in erster Instanz wird auf das angegriffene Urteil verwiesen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).
II.
Das Landgericht hat das vorliegende Verfahren zunächst mit Beschluss vom 20.10.2017 (Bl. 347 ff.) im Hinblick auf die Aktienkäufe vom 3.6.2014 bis 6.7.2015 bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart über die im Vorlagebeschluss des Landgerichts Stuttgart vom 28.2.2017 (Az.: 22 AR 1/17 Kap, Vorlagebeschluss, 28.02.2017, Vorlage zum Oberlandesgericht zur Herbeiführung eines Musterentscheids im ..., Langtext vorhanden" href="https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001312159/format/xsl?oi=c5eaeNXUya&sourceP=%7B%22source%22%3A%22Link%22%7D">22 AR 1/17 Kap) genannten Feststellungsziele ausgesetzt.
III.
Mit dem angegriffenen Urteil vom 24.10.2018 hat das Landgericht auf die mündliche Verhandlung vom 12.9.2018 (Protokoll Bl. 974 ff.) die Teilaussetzung aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin zu 1 rund 29 Mio. € sowie an die Klägerin zu 2 rund 15 Mio. € nebst Zinsen zu zahlen, und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Klägerinnen jedweden weiteren Schaden, der ihnen im Zusammenhang mit Erwerben der Vorzugsaktie der Beklagten im Zeitraum vom 3.6.2014 bis 6.7.2015 aufgrund der Verletzung der Ad-Hoc-Publizitätspflicht durch die Beklagte im Zusammenhang mit der „Dieselgate-Betrugsaffäre“ bei der V. AG entsteht, zu ersetzen; im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt: Den Klägerinnen stünden Schadensersatzansprüche gemäß § 37b WpHG a.F. in der zugesprochenen Höhe zu. Für die Beklagte als Holdinggesellschaft habe eine genuine Ad-hoc-Publizitätspflicht ungeachtet derjenigen der V. AG als Beteiligungsunternehmen bestanden. Die Beklagte hafte wegen einer Insiderinformation, die im Mai 2014 in der Sphäre der V. AG entstanden sei. Die Information habe Prof. Dr. W., der damals Vorstandsvorsitzender der V. AG gewesen sei und zugleich dem Vorstand der Beklagten angehört habe, unstreitig zum 23.5.2014 erreicht. Die Beklagte sei als Holdinggesellschaft unmittelbar von den aus der Sphäre der V. AG stammenden Insiderinformationen betroffen. Im Übrigen wird auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils verwiesen.
IV.
Die Klägerinnen machen mit ihrer Berufung geltend, dass die Berechnung des Schadens durch das Landgericht nicht den zutreffenden Kursdifferenzschaden abdecke und die Schäden aus Umsatzgeschäften des Jahres 2013, also vor dem 23.5.2014, zu Unrecht nicht berücksichtigt worden seien. Es hätte festgestellt werden können, dass Prof. Dr. W. schon im Jahr 2012 Kenntnis von dem Einsatz und der drohenden Entdeckung der Betrugssoftware gehabt habe und insoweit eine publizitätspflichtige Insiderinformation vorliege. Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Klägerinnen auf die von ihnen beantragten Zwischenstreite über die Zeugnisverweigerungsrechte verschiedener Zeugen verzichtet hätten. Ferner hätten sich nicht alle Zeugen auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen; die Ladung weiterer Zeugen sei angezeigt gewesen. Der Schadensberechnung habe das Landgericht ein zu frühes Ende des Beobachtungszeitraums zugrunde gelegt.
Die Klägerinnen beantragen hinsichtlich ihrer Berufung,
über die erstinstanzlich getroffenen Feststellungen und den den Klägerinnen zuerkannten Betrag hinaus das am 24. Oktober 2018 verkündete Urteil des Landgerichts Stuttgart (Az. 22 O 348/16) teilweise abzuändern und
1. die Beklagte zu verurteilen, über den der Klägerin zu 1 durch das Landgericht bereits zugesprochenen Betrag von EUR 29.047.107,27 nebst Zinsen hinaus weitere EUR 75.510.871,29 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten p.a. über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, über den der Klägerin zu 2 durch das Landgericht bereits zugesprochenen Betrag von EUR 14.789.773,68 nebst Zinsen hinaus weitere EUR 39.073.444,40 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten p.a. über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
3. festzustellen, dass die Beklagte über den durch das Landgericht bereits festgestellten Zeitraum vom 3. Juni 2014 bis zum 6. Juli 2015 verpflichtet ist, den Klageparteien jeweils jedweden weiteren Schaden, einschließlich von Schäden aufgrund einer Geldentwertung des Euros gegenüber dem US-Dollar, der den Klageparteien im Zusammenhang mit Erwerben der Vorzugsaktie der Beklagten im Zeitraum vom 29. Oktober 2013 bis 13. Dezember 2013 aufgrund der Verletzung der Ad-hoc-Publizitätspflicht durch die Beklagte im Zusammenhang mit der Dieselgate-Betrugsaffäre bei ihrer Beteiligungsgesellschaft V. AG entsteht, zu ersetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerinnen und die weiteren Anträge der Klägerinnen im Schriftsatz der Klägervertreter vom 25.2.2019 zurückzuweisen.
Die Beklagte und die Streithelferin treten der Berufung der Klägerinnen entgegen.
Die Beklagte macht geltend, das Urteil beruhe auf Verfahrensfehlern. Dem Einzelrichter des Landgerichts falle ein willkürlicher Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zur Last, weil er von einer Vorlage der Sache an die Kammer abgesehen habe. Außerdem habe er in mehrfacher Hinsicht den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. In der Sache habe das Landgericht rechtsfehlerhaft einen Anspruch der Klägerinnen gemäß § 37b WpHG a.F. bejaht. Die Klägerinnen hätten nur „security entitlements“ nach US-amerikanischem Recht erlangt, die lediglich Derivaten auf die Vorzugsaktien der Beklagten entsprächen und für die Aktivlegitimation der Klägerinnen nicht ausreichten. Die streitgegenständlichen Käufe von Vorzugsaktien der Beklagten hätte die Klägerin außerdem im Rahmen eines sog. Pair Trade mit Leerverkäufen von V.-Vorzugsaktien kombiniert und so ein vollständiges Hedging in Bezug auf Kursschwankungen der von der Beklagten gehaltenen V.-Aktien, die das wesentliche Vermögen der Beklagten ausmachten, betrieben. Die Vorteile daraus müssten sich die Klägerinnen anrechnen lassen mit der Folge, dass ein Schaden zu verneinen sei. Im Übrigen wären Ansprüche aus § 37b Abs. 1 WpHG a.F. jedenfalls gemäß § 37b Abs. 4 WpHG a.F. verjährt.
Die Beklagte beantragt hinsichtlich ihrer Berufung,
1. unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts vom 24. Oktober 2018 - Az. 22 O 348/16 - die Klage insgesamt abzuweisen;
2. hilfsweise das Urteil des Landgerichts vom 24. Oktober 2018 - Az. 22 O 348/16 - insoweit aufzuheben, als die Beklagte verurteilt wurde, und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerinnen beantragen,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Klägerinnen treten der Berufung der Beklagten und insbesondere auch dem Vorbringen der Beklagten zur fehlenden Aktivlegitimation der Klägerinnen und zur Vorteilsanrechnung im Hinblick auf die Leerverkäufe von V.-Vorzugsaktien entgegen.
Die im Berufungsverfahren als Streithelferin auf Beklagtenseite beigetretene V. AG hat sich den Anträgen der Beklagten in der Verhandlung vom 12.9.2019 angeschlossen und ist in der Verhandlung vom 10.2.2022 nicht erschienen.
Wegen des Vorbringens der Parteien und der Streithelferin im Berufungsverfahren wird im Übrigen auf die Schriftsätze im Berufungsverfahren verwiesen, wegen der Ergebnisse der Senatsverhandlungen vom 12.9.2019 und 10.2.2022 auf die Protokolle.
V.
Der Senat hat am 12.9.2019 mündlich verhandelt (siehe das Senatsprotokoll). Mit Beschluss vom 29.10.2019 hat er das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Kapitalanleger-Musterverfahren 3 Kap 1/16 des Oberlandesgerichts Braunschweig und 20 Kap 2/17 des Oberlandesgerichts Stuttgart ausgesetzt. Der Beschluss vom 29.10.2019 ist durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 16.6.2020 (II ZB 30/19) aufgehoben worden. Wegen der prozessualen Hintergründe und der Einzelheiten zu den verschiedenen Verfahren in Stuttgart und Braunschweig im Zusammenhang mit kapitalmarktrechtlichen Ansprüchen gegen die Beklagte und die Streithelferin wird auf den Beschluss des Senats vom 29.10.2019 Bezug genommen (vgl. dort unter A. II.).
Durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 16.6.2020 ist die Fortsetzung des vorliegenden Verfahrens angeordnet worden. Für Schadensersatzansprüche, die auf das Unterlassen einer öffentlichen Kapitalmarktinformation gestützt würden, könne eine Entscheidung über die Feststellungsziele eines bereits eingeleiteten Musterverfahrens nur dann bindende Wirkung haben, wenn diese Feststellungsziele dieselbe öffentliche Kapitalmarktinformation beträfen. Die Aussetzung des Verfahrens könne danach nicht auf die Feststellungsziele des Musterverfahrens beim Oberlandesgericht Braunschweig gestützt werden, weil die Feststellungen des Oberlandesgerichts Braunschweig keine Bindungswirkung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 KapMuG für mögliche, auf die Verletzung von Informationspflichten der Beklagten gestützte Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte hätten. Die Feststellungsziele im Musterverfahren beim Oberlandesgericht Braunschweig beträfen ausschließlich anspruchsbegründende oder anspruchsausschließende Voraussetzungen bzw. Rechtsfragen in Bezug auf Schadensersatzansprüche wegen öffentlicher Kapitalmarktinformationen der Streithelferin. Der erkennende Senat habe die Abhängigkeit der Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen rechtsfehlerhaft darauf gestützt, dass eine Erweiterung des Musterverfahrens beim Oberlandesgericht Stuttgart um weitere Feststellungsziele naheliege.
Die Parteien haben in der Folge ergänzend vorgetragen, insbesondere hat die Beklagte den bereits im Zusammenhang mit ihrer Berufung erwähnten Vortrag vorgebracht, dass die Klägerinnen in Anbetracht der von ihnen gehaltenen „security entitlements“ nach US-amerikanischen Recht nicht aktivlegitimiert seien und ihnen wegen des Vorliegens eines Pair Trade im Ergebnis kein Schaden entstanden sei.
Der Senat hat am 10.2.2022 mündlich verhandelt (siehe das Senatsprotokoll). Die Klägerinnen haben in der ihnen gewährten Schriftsatzfrist mit Schriftsatz vom 10.3.2022 zum Beklagtenschriftsatz vom 13.1.2022 Stellung genommen. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 10.3.2021 [richtig: 2022] zur mündlichen Verhandlung vom 10.2.2022 Stellung genommen. Im Übrigen wird auch hier auf die Schriftsätze der Parteien und der Streithelferin im Berufungsverfahren verwiesen.
B.
Die Berufungen beider Seiten sind zulässig. Die Berufung der Klägerinnen ist jedoch unbegründet, während die Berufung der Beklagten Erfolg hat.
I.
Das vorliegende Verfahren ist nicht nach § 8 Abs. 1 KapMuG im Hinblick auf das Musterverfahren 20 Kap 2/17des Oberlandesgerichts Stuttgart auszusetzen. Gemäß dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 16.6.2020 (II ZB 30/19 Rn. 24) hängt der Rechtsstreit im Sinne des § 8 Abs. 1 KapMuG erst dann von den Feststellungszielen des Musterverfahrens ab, wenn nur noch Tatsachen oder Rechtsfragen offen sind, die unabhängig vom Ausgang des Musterverfahrens nicht beantwortet werden können; vor der Aussetzungsentscheidung nach § 8 Abs. 1 KapMuG müssen dabei nicht nur die im Musterverfahren statthaften Feststellungsziele offenbleiben, sondern auch solche Tatsachen oder Rechtsfragen, die nur auf diese bezogen geprüft werden können. Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend keine Abhängigkeit von den Feststellungszielen des Musterverfahrens 20 Kap 2/17 des Oberlandesgerichts Stuttgart gegeben. Aufgrund des nach der mündlichen Verhandlung vom 12.9.2019 eingereichten neuen Vorbringens der Beklagten, das hinsichtlich der maßgebenden Frage eines Schadens unstreitig oder nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO zuzulassen ist, hat vielmehr unabhängig davon eine Entscheidung in der Sache zu ergehen.
Die nunmehr entscheidungserheblichen, nach der mündlichen Verhandlung vom 12.9.2019 von Beklagtenseite ergänzend vorgebrachten Gesichtspunkte der Aktivlegitimation der Klägerinnen (dazu IV. 1.) und der Schadensfeststellung (dazu IV. 2), können naturgemäß nicht Gegenstand des Musterverfahrens OLG Stuttgart 20 Kap 2/17 sein. Eine Aussetzung nach § 8 Abs. 1 KapMuG wäre deshalb nur möglich bzw. für das Berufungsgericht sogar rechtlich zwingend (im Gegensatz zum Revisionsgericht, weil im Revisionsverfahren unmittelbar eine höchstrichterliche Klärung herbeigeführt werden könnte, vgl. BGH, Urteil vom 15.7.2014 – XI ZR 100/13 –, NJW 2014, 3362 Rn. 12), wenn es nur noch um die Feststellungsziele im Verfahren OLG Stuttgart 20 Kap 2/17 als Rechtsfragen und die hierfür notwendigen Tatsachenfeststellungen ginge. Gleiches dürfte im Übrigen auch für die Schadenshöhe gelten, weil nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen eine Beweisaufnahme zur Schadenshöhe (vgl. BGH, Urteil v. 9.5.2005 – II ZR 287/02 –, NJW 2005, 2450, juris Rn. 27, insoweit hätte das LG zuvor auf eine hinreichende eigene Sachkunde hinweisen müssen, vgl. BGH, Urteile vom 23.11. 2006 – III ZR 65/06 –, NJW-RR 2007, 357 Rn. 14; vom 22.2.2011 – II ZR 146/09 –, NZG 2011, 549 Rn. 25; Beschluss vom 13.1.2015 – VI ZR 204/14 –, NJW 2015, 1311 Rn. 5) erst dann durchzuführen ist, wenn eine Haftung dem Grunde nach besteht.
II.
Die von den Klägerinnen erhobene Klage ist zulässig.
1. Das Landgericht geht zutreffend davon aus, dass die Klägerinnen partei- und prozessfähig sind. Die Berufung der Beklagten greift die entsprechenden Ausführungen im angefochtenen Urteil auch nicht an (siehe dort Rn. 81 ff.; ferner Senatsprotokoll vom 12.9.2019, S. 3). Bei der im US-Bundesstaat Delaware gegründeten Klägerin zu 2 mit Satzungssitz in New York ist nach Art. XXV Abs. 5 S. 2 des im Verhältnis zu den USA maßgeblichen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags vom 29.10.1954 von der nach dortigem Gründungsrecht gegebenen Rechtsfähigkeit auszugehen (vgl. BGH, Urteil v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02 –, BGHZ 153, 353, juris Rn. 8 ff.). Nach den von der Berufung der Beklagten nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts befindet sich der effektive Verwaltungssitz (zu der außerhalb der EU anzuwendenden Sitztheorie vgl. zusammenfassend BGH, Urteile vom 29.1.2003 – VIII ZR 155/02 –, BGHZ 153, 353, juris Rn. 9; vom 12.7.2011 – II ZR 28/10 –, BGHZ 190, 242 Rn. 16) der nach dem Recht der Cayman Islands gegründeten Klägerin zu 1 im US-Bundesstaat New York, nach dessen Recht die Gründung und Sitzverlegung anerkannt wird. Das Landgericht legt im Urteil auch korrekt und unbeanstandet dar, dass die Angaben in der vorliegenden Klageschrift zur Bezeichnung der Klägerinnen ausreichend sind (siehe dort Rn. 99-103).
2. Die deutschen Gerichte sind international zuständig. Die Vorschriften der (deutschen) Zivilprozessordnung über die örtliche Zuständigkeit (§§ 12 ff. ZPO) regeln mittelbar auch die Abgrenzung zwischen der Zuständigkeit deutscher und ausländischer Gerichte. Soweit nach diesen Vorschriften ein deutsches Gericht örtlich zuständig ist, ist es im Verhältnis zu den ausländischen Gerichten auch international zuständig (vgl. BGH, Urteil vom 5.5.2011 – IX ZR 176/10 –, BGHZ 189, 320 Rn. 7). Im sachlichen und räumlichen Anwendungsbereich der EuGVVO n.F. (VO [EU] Nr. 1215/2012) gehen deren Gerichtsstände vor (vgl. Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 32b Rn. 8). Die EuGVVO n.F. ist hier einschlägig. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die EuGVVO n.F. auch auf einen Rechtsstreit zwischen einem Beklagten, der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, und einem Kläger eines Drittstaats anwendbar (vgl. EuGH EuZW 2005, 345 Rn. 27; EuZW 2016, 558 Rn. 20). Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben. Die zeitliche Anwendbarkeit der EuGVVO n.F. folgt aus Art. 66 Abs. 1 EuGVVO n.F., die sachliche aus Art. 1 EuGVVO n.F. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt auf dieser Grundlage aus Art. 26 Abs. 1 EuGVVO n.F. (rügelose Einlassung) und auch aus Art. 4 Abs. 1, 63 Abs. 1 EuGVVO n.F. (Sitz der Beklagten) sowie Art. 7 Nr. 2 EuGVVO n.F. (Handlungsort einer unerlaubten Handlung, vgl. OLG Frankfurt EuZW 2010, 918 f.).
III.
Im Streitfall ist in erster Linie deutsches Recht anwendbar.
1. Das Landgericht ist zutreffend und von den Berufungen unbeanstandet davon ausgegangen, dass das anwendbare Recht für die eingeklagten Schadensersatzansprüche wegen unterlassener Ad-hoc-Mitteilungen nach der deliktsrechtlichen Ausweichklausel in Art. 4 Abs. 3 ROM II-VO (VO [EG] 864/2007) und damit abweichend von der Grundregel in Art. 4 Abs. 1 ROM II-VO zu bestimmen ist und hier deutsches Recht zur Anwendung kommt, weil an das Emittentenstatut und nicht an den Marktort anzuknüpfen ist (siehe das angegriffene Urteil Rn. 162 ff.; vgl. Hellgardt in: Assmann/Schneider/Mülbert, WpHR, 7. Aufl. 2019, §§ 97, 98 WpHG Rn. 175 ff. m.w.N.;zur Einordnung als deliktische Haftung Hellgardt, a.a.O. Rn. 45 ff.; zur zeitlichen Anwendbarkeit Art. 31 f. ROM II-VO). Im Übrigen geht der Senat, wie in der mündlichen Verhandlung vom 12.9.2019 dargelegt, davon aus, dass auch eine stillschweigende Rechtswahl im Sinne von Art. 14 Abs. 1 ROM II-VO anzunehmen ist, weil beide Seiten – auch die in Drittstaaten ansässigen Klägerinnen – sich dezidiert auf die materiell-rechtlichen Regelungen des § 37b WpHG a.F. berufen (Senatsprotokoll vom 12.9.2019, S. 4 f., Bl. 2454 f.). Dem sind die Parteien in der Verhandlung vom 12.9.2019 nicht entgegengetreten. Vielmehr haben die Parteien ihr Vorbringen zum deutschen Recht mit ihren weiteren schadensrechtlichen Ausführungen bis zur Verhandlung vom 10.3.2022 und auch danach noch vertieft. Unter den vorliegenden Umständen ist somit davon auszugehen, dass die Parteien das Bewusstsein und den notwendigen Willen hatten, durch die Berufung auf deutsche Rechtsvorschriften das deutsche Recht als Deliktsstatut zu wählen (vgl. BGH, Urteile vom 12.12.1990 – VIII ZR 332/89 –, NJW 1991, 1292, 1293; vom 30.10.2008 – I ZR 12/06 –, NJW 2009, 1205 Rn. 19; vom 31.5.2011 – VI ZR 154/10 –, BGHZ 190, 28 Rn. 47; MüKoBGB/Junker, 8. Aufl. 2021, Art. 14 ROM II-VO Rn. 32 f., auch zu Erwägungsgrund Nr. 31 der ROM II-VO).
2. Unabhängig von dieser für die Haftung maßgeblichen Hauptfrage wäre die Frage einer Aktivlegitimation der Klägerinnen als Vorfrage selbständig anzuknüpfen (hierzu zusammenfassend Grüneberg/Thorn, 81. Aufl. 2022, Einl. EGBGB Rn. 29 mit Nachw. aus der Rspr.). Für diese Vorfrage haben die Parteien im Ergebnis zu Recht auf US-amerikanisches Recht (Art. 8 UCC New York) abgestellt. Da aus den nachfolgenden prozessualen Gründen von der Aktivlegitimation der Klägerinnen auszugehen ist (unten IV. 1.), kann offenbleiben, ob sich dies aus Art. 43 EGBGB ergibt, wonach bei Wertpapieren das Recht am Lageort über das Recht am Papier entscheidet (sog. Wertpapiersachstatut, Grüneberg/Thorn, a.a.O., Art. 43 EGBGB Rn. 1; das Recht aus dem Papier folgt dem jeweiligen Forderungsstatut oder Gesellschaftsstatut, vgl. Staudinger/Mansel, BGB (2015), Anh. zu Art. 43 ff. EGBGB Rn. 74; MüKoBGB/Wendehorst, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 43 Rn. 200-202; nach OLG Frankfurt ZEV 2011, 478, juris Rn. 31 ff. richtet sich die Übereignung von Wertpapieren in schweizerischer Sammelverwahrung bei einer Depotbank durch Abtretung des Besitzherausgabeanspruchs gegen die depotführende Bank nach schweizerischem Zivilrecht), oder aus der Sonderregelung in § 17a DepotG (dazu Staudinger/Mansel, a.a.O., Anh. zu Art. 43 ff EGBGB Rn. 64 ff.; Scherer/Rögner, DepotG, 1. Aufl. 2012, § 5 Rn. 120 ff., § 17a Rn. 23 ff.; MüKoBGB/Wendehorst, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 43 Rn. 247 ff.; BT-Drs. 14/1539 S. 15 f.; zum umstrittenen Geltungsbereich des § 17a DepotG Einsele WM 2001, 2415, 2419 ff., EuZW 2018, 402, 405 ff. und MüKoHGB/Einsele, Band 6, 4. Aufl. 2019, Q. Depotgeschäft Rn. 211).
IV.
Die Klage der Klägerinnen ist in der Sache unbegründet.
1. Aktivlegitimation
Allerdings sind die Klägerinnen aktivlegitimiert. Die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 31.5.2021 in neuer Form erhobene Rüge der fehlenden Aktivlegitimation ist wegen der bindenden tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts i.V.m. § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO ausgeschlossen.
a) Gemäß § 314 S. 1 ZPO liefert der Tatbestand des Ersturteils den Beweis für das mündliche Vorbringen einer Partei im erstinstanzlichen Verfahren (siehe auch BGH, Urteil vom 10.6.2021 – III ZR 38/20 –, NJW-RR 2021, 1223 Rn. 19). Diese Beweiswirkung erstreckt sich auch darauf, ob eine bestimmte Behauptung bestritten ist oder nicht. Da sich die Beweisregel des § 314 S. 1 ZPO auf das mündliche Parteivorbringen bezieht, ist davon auszugehen, dass die Parteien dasjenige in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, was der Tatbestand ausweist. Zum Tatbestand in diesem Sinne gehören auch tatsächliche Feststellungen, die sich in den Entscheidungsgründen finden. Die Beweiswirkung gemäß § 314 S. 1 ZPO kann nur durch das Sitzungsprotokoll (§ 314 S. 2 ZPO) und nicht auch durch den Inhalt der Schriftsätze entkräftet werden. Vorher eingereichte Schriftsätze sind durch den Tatbestand, der für das Vorbringen am Schluss der mündlichen Verhandlung Beweis erbringt, überholt. Bei einem Widerspruch zwischen dem Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und der Wiedergabe des Parteivorbringens im Urteilstatbestand sind die Ausführungen im Tatbestand maßgeblich (vgl. BGH, Urteil vom 8.11.2007 – I ZR 99/05 –, NJW-RR 2008, 1566 Rn. 15).
b) Danach sind die Feststellungen im unstreitigen Tatbestand des angegriffenen Urteils (dort Rn. 47 f.), wonach die Klägerin zu 1 insgesamt 3.940.956 Vorzugsaktien der Beklagten gekauft hat und – bis auf die wieder veräußerten 27.858 – weiterhin im Depotbestand hält und die Klägerin zu 2 insgesamt 2.030.190 Vorzugsaktien gekauft hat und – bis auf die wieder veräußerten 14.351 – weiterhin im Depotbestand hält, hinsichtlich des tatsächlichen Vorbringens in erster Instanz bindend. Da diese Feststellungen (Kaufen und Halten der Aktien als sog. Rechtstatsachen) auch tatsächlichen Charakter haben und für die Aktivlegitimation nach § 37b Abs. 1 WpHG a.F. ausreichen, kann sich die Beklagte insoweit nicht mehr auf ein erstinstanzliches Bestreiten berufen (vgl. zu Rechtstatsachen MüKoZPO/Fritsche, 6. Aufl. 2020, § 138 Rn. 2, 29; siehe auch BGH, Urteil vom 13.3.1998 – V ZR 190/97 –, NJW 1998, 2058, 2060; nur ergänzend Klägerschriftsatz vom 13.8.2021 Rn. 68 ff.). Widersprüche innerhalb des Urteils oder zu den Verhandlungsprotokollen des Landgerichts werden nicht geltend gemacht und sind nicht ersichtlich. Eine Bezugnahme auf die Schriftsätze erfolgt im angegriffenen Urteil insoweit nur pauschal. Für die Aktivlegitimation ist anders als bei einer eventuellen Schadensberechnung keine nähere Aufschlüsselung der Käufe nach einzelnen Kaufdaten wie in Anlage K46 erforderlich (siehe ergänzend auch die Anlage B142, Bl. 2612 ff.). Dass das erstinstanzliche Verfahren und das angegriffene Urteil rechtliche Mängel aufweisen mögen, steht der Bindungskraft des Tatbestands grundsätzlich nicht entgegen (siehe auch BeckOK ZPO/Elzer, 43. Ed. 1.12.2021, § 314 Rn. 38).
c) Im Übrigen war das von der Beklagten geltend gemachte Bestreiten der Aktienkäufe in erster Instanz nach der Vorlage der Bankbestätigungen über die Käufe in Anlage K46 mit Klägerschriftsatz vom 14.7.2017 (Bl. 282) nicht hinreichend substantiiert.
aa) Nach § 138 Abs. 2 und 3 ZPO hat sich jede Partei über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären; Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, sofern nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht. Die erklärungsbelastete Partei hat – soll ihr Vortrag beachtlich sein – auf die Behauptungen ihres Prozessgegners grundsätzlich „substantiiert“, d.h. mit näheren positiven Angaben, zu erwidern. Ein substantiiertes Vorbringen kann grundsätzlich nicht pauschal bestritten werden. Ob und inwieweit also die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen. Je detaillierter das Vorbringen ist, desto höher sind die Substantiierungsanforderungen gemäß § 138 Abs. 2 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 28.7.2020 – VI ZR 300/18 –, NJW-RR 2020, 1320 Rn. 10; Urteil vom 20.2.2018 – II ZR 272/16 –, BGHZ 217, 327 Rn. 20; BeckOK ZPO/von Selle, 43. Ed. 1.12.2021, § 138 Rn. 15 ff., 18 m.w.N.).
bb) Nach diesen Grundsätzen berufen die Klägerinnen sich im Schriftsatz vom 13.8.2021 (Rn. 32 ff., 54 ff., 66 ff.) mit Recht darauf, dass die Beklagte die auf Anlage K46 gestützte Behauptung des Aktienerwerbs der Klägerinnen nicht substantiiert bestritten hat. Mit der Vorlage der Anlage K46 haben die Klägerinnen ihren Vortrag bezüglich des Aktienerwerbs auf das pauschale Bestreiten der Beklagten (Klageerwiderung vom 20.2.2017 Bl. 144, S. 59 Rn. 232) substantiiert (vgl. Bl. 282 nach der Verfügung Bl. 276). Eine nähere Substantiierung des Bestreitens der Beklagten ist in der Folge ausgeblieben. An der von der Beklagten im Schriftsatz vom 31.5.2021 (Rn. 163) für ihr Bestreiten genannten Stelle des Beklagtenschriftsatzes vom 11.1.2018 (Rn. 10) ist lediglich von den „behaupteten Aktienerwerben“ der Klägerinnen die Rede.
cc) Der von der Beklagten im Schriftsatz vom 13.1.2022 (Rn. 155 ff.) hiergegen eingewandte Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29.11.2018 (I ZR 5/18, MDR 2019, 242 Rn. 10) betrifft Vorgänge außerhalb der Wahrnehmung der bestreitenden Partei und ist nicht übertragbar. Denn im Streitfall lagen der Beklagten mit der Anlage K46 nähere Angaben zu den Rechtspositionen der Klägerinnen vor. Ein substantiiertes Bestreiten wäre, wie das neue Beklagtenvorbringen zeigt, möglich und aus den genannten Gründen nach § 138 Abs. 2 ZPO auch erforderlich gewesen, zumal die Beklagte in der Klageerwiderung vom 20.2.2017 (Bl. 144 S. 59 Rn. 232) speziell das Fehlen von mit Anlage 46 dann vorgelegten Bankbestätigungen beanstandet hatte.
dd) Entgegen dem Beklagtenschriftsatz vom 10.3.2021 [richtig: 2022] (Rn. 2) ist zwischen den Parteien nicht etwa unstreitig, dass die Klägerinnen keine Vorzugsaktien der Beklagten erworben haben; die Klägerinnen räumen in ihrem Schriftsatz vom 13.8.2021 nicht ein, lediglich Inhaber von Wertpapierberechtigungen gewesen zu sein. So tragen die Klägerinnen im Schriftsatz vom 13.8.2021 (Rn. 76) ausdrücklich vor, sie hätten Vorzugsaktien der Beklagten als Finanzinstrumente i.S.d. § 37b WpHG a.F. erworben und nicht etwa nur Derivate. Dieser Vortrag von Rechtstatsachen steht nicht in Widerspruch dazu, dass die Klägerinnen den behaupteten Erwerb und die Inhaberschaft der Vorzugsaktien – wie im Übrigen bereits aus Anlage K46 bekannt ist – auf „security entitlements“ stützen. Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der von der Beklagten weiter zitierten Randnummer 95 des Klägerschriftsatzes vom 13.8.2021.
d) Das neue Bestreiten der Aktivlegitimation der Klägerinnen durch den Beklagtenschriftsatz vom 13.5.2021, das in den Folgeschriftsätzen vertieft worden ist, ist nicht gemäß § 531 Abs. 2 S. 1 BGB zuzulassen. Zulassungsgründe nach dieser Vorschrift sind nicht dargetan und nicht ersichtlich, zumal sich bereits aus der mit Klägerschriftsatz vom 14.7.2017 vorgelegten Anlage K46 ergab, dass die Klägerinnen das Kaufen und Halten der Aktien als sog. Rechtstatsachen auf die bereits dort so bezeichneten „security entitlements“ gestützt haben. Das angegriffene Urteil ist erst am 24.10.2018 auf die Verhandlung vom 12.9.2018 ergangen, also lange Zeit nach Vorlage der Anlage K46. Das Vorbringen der Beklagten zum amerikanischen Recht ist auch nicht als stets zulässiges, rein rechtliches Vorbringen zu werten. Denn damit wird das in erster Instanz tatsächlich festgestellte Kaufen und Halten der Vorzugsaktien bestritten. Der Grundsatz, dass ausländische Rechtsnormen keine Tatsachen sind und die Präklusionsvorschriften nicht anzuwenden sind, ist hier nicht einschlägig (vgl. auch BGH NJW 2013, 3656 Rn. 19; Zöller/Geimer, a.a.O. Rn. 14). Denn mit dem Kaufen und Halten der Aktien ist ein Vorgang bzw. Zustand als Rechtstatsache festgestellt. Ergänzend ist anzumerken, dass die Diskussion der rechtlichen Einordnung der gemäß Art. 8 UCC als „certificated securities“ verbrieften Rechte in „bearer form“ und in „registered form“ durch intermediäre Zwischenverwahrer seit Jahrzehnten geführt wird (vgl. nur Staudinger/Mansel, BGB (2015), Anh. zu Art. 43 ff EGBGB Rn. 86; Scherer/Rögner, DepotG, 1. Aufl. 2012, § 5 Rn. 121 ff.; MüKoHGB/Einsele, Band 6, 4. Aufl. 2019, Q. Depotgeschäft Rn. 197 sowie Einsele WM 2001, 7 ff. und 2415 ff.) und für die Beklagte angesichts des klaren Wortlauts der Anlage K46 längst bekannt hätte sein können und müssen.
e) Im Übrigen dürfte – ohne dass es hierzu einer abschließenden Entscheidung im Berufungsverfahren bedarf – auch viel dafür sprechen, das security entitlement nach US-Recht als besondere Form des wirtschaftlichen Eigentums anzusehen (vgl. dazu MüKoHGB/Einsele, Band 6, 4. Aufl. 2019, Q. Depotgeschäft Rn. 197), zumal es sich um eine insolvenzfeste Position der Klägerinnen handelt und das Argument der Beklagten mit den Stimmrechten jedenfalls bei Vorzugsaktien ohne Stimmrecht (wie hier) schon im Ansatz nicht greift. Denn bei der Auslegung von § 37b WpHG a.F. ist ein weites Verständnis des Begriffs des Erwerbens zugrunde zu legen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 17.12.2020 – II ZB 31/14 –, NJW-RR 2021, 430, juris Rn. 327). Auch das deutsche Recht dürfte bei der stückelosen Girosammelverwahrung von Aktien längst von einer sachenrechtlichen Betrachtungsweise abgerückt sein (vgl. dazu BeckOGK/Vatter, 1.9.2021, AktG § 10 Rn. 65 und Rn. 70), so dass es nicht gerechtfertigt erscheint, bei einer Verwahrung in einem ausländischen Depot andere Maßstäbe anzulegen.
2. Schaden wegen Vorteilsanrechnung zu verneinen
Die Klage ist sowohl bezüglich der Zahlungsanträge als auch bezüglich des Feststellungsantrags unbegründet. Denn der eingeklagte Kursdifferenzschaden durch die Käufe von Vorzugsaktien der Beklagten ist zu verneinen. Den Klägerinnen stehen daher keine entsprechenden Schadensersatzansprüche gemäß § 37b Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. oder sonst aus Deliktsrecht – die Klägerinnen stützen sich u.a. auf § 826 BGB – gegen die Beklagte zu. Zusätzlich zu den Käufen von Vorzugsaktien der Beklagten haben die Klägerinnen Leerverkäufe von V.-Vorzugsaktien getätigt (zur Absicherung bzw. zum Hedging durch Leerverkäufe auch Findeisen/Tönningsen, WM 2011, 1405 f.; Schockenhoff, WM 2020, 1349, 1350; Mülbert/Sajnovits in: Assmann/Schneider/Mülbert, WpHR, 7. Aufl. 2019, Vor Art 1 VO Nr. 236/2012 Rn. 49 ff., 53). Bei dem Kursdifferenzschaden durch die Käufe von Vorzugsaktien der Beklagten sind die Vorteile aus den gleichzeitig getätigten Leerverkäufen von Vorzugsaktien der Streithelferin anzurechnen. Dies führt zum Wegfall eines möglichen Kursdifferenzschadens, weil die Klägerinnen ihre Klage auf Pflichtverletzungen der Beklagten stützen, die ihre Grundlage in der Beteiligung der Beklagten an der V. AG haben und den V.-Abgasskandal betreffen, und gerade solche Risiken durch die Leerverkäufe von V.-Vorzugsaktien abgesichert waren.
a) Zulässigkeit des Berufungsvorbringens zu den Leerverkäufen der Klägerinnen
Der erst nach der Senatsverhandlung vom 12.9.2019 vorgebrachte Beklagtenvortrag, dass ein Schaden der Klägerinnen wegen der Leerverkäufe von V.-Vorzugsaktien zu verneinen sei, ist im Berufungsverfahren gemäß § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO zuzulassen und zwar auch, soweit er bestritten wird, was allerdings nur partiell der Fall ist. Die Klägerinnen machen erfolglos geltend, der Beklagten sei das Vorliegen eines Pair Trade seit September 2015 bekannt gewesen (vgl. Klägerschriftsatz vom 13.8.2021 Rn. 1).
aa) Soweit das Beklagtenvorbringen zu den Leerverkäufen von V.-Vorzugsaktien unstreitig ist, ist es ohne Weiteres zuzulassen. Denn unstreitiges und damit nicht beweisbedürftiges Vorbringen hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung nach § 529 Abs. 1 ZPO zugrunde zu legen, unabhängig davon, ob bei seiner Berücksichtigung eine Beweisaufnahme etwa auf Folgefragen erforderlich wird (vgl. BeckOK ZPO/Wulf, 43. Ed. 1.12.2021, § 531 Rn. 8; siehe auch BeckOK ZPO/Bacher, a.a.O., § 296 Rn. 11 im Hinblick auf den gerügten Verstoß gegen §§ 530, 296 ZPO). Auf die Unstreitigkeit ihres Vorbringens hat die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 13.1.2022 für den damaligen Zeitpunkt mit Recht hingewiesen. Erst im nachgelassenen Klägerschriftsatz vom 10.3.2022 ist ein partielles Bestreiten des Beklagtenvortrags zu den Leerverkäufen erfolgt.
bb) Soweit die Klägerinnen in ihrem Schriftsatz vom 10.3.2022 das Beklagtenvorbringen partiell bestreiten, ist es jedenfalls gemäß § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO zuzulassen. Die Bestimmung des § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO eröffnet die Möglichkeit des Vorbringens neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel auch ohne eine Ursächlichkeit durch das Erstgericht, wenn es nicht auf Nachlässigkeit der Partei beruht. Nachlässig handelt eine Partei, wenn sie die tatsächlichen Umstände nicht vorbringt, deren Relevanz für den Rechtsstreit ihr bekannt sind oder bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt hätten bekannt sein müssen und zu deren Geltendmachung sie im ersten Rechtszug imstande ist. Für eine Nachlässigkeit reicht auch einfache Fahrlässigkeit aus. Allerdings dürfen an die Informations- und Substantiierungslast der Partei keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Grundsätzlich müssen der Partei die Umstände bekannt sein. Es besteht keine Verpflichtung, unbekannte tatsächliche Umstände zu ermitteln (vgl. BeckOK ZPO/Wulf, 43. Ed. 1.12.2021, § 531 Rn. 19).
Nach dem Vorbringen der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 11.6.2021 (Bl. 2732 ff.) ist eine Nachlässigkeit zu verneinen, weil die Beklagte danach im Rahmen des von ihr zur Erlangung der Klägerdokumente angestrengten US-amerikanischen Discovery-Verfahrens einen wesentlichen Teil der im Schriftsatz vom 31.5.2021 vorgelegten Unterlagen erst am 14.5.2021 in der maßgebenden Fassung erhalten hat, zum Teil sogar erst am 28.5.2021 (siehe näher Beklagtenschriftsatz vom 11.6.2021 Rn. 12). Dem sind die Klägerinnen im Schriftsatz vom 13.8.2021 (Rn. 58-61, 197 ff.) nicht näher entgegengetreten; sie legen nicht hinreichend dar, dass der Beklagten die zuletzt am 28.5.2021 erfolgte Dokumentenherausgabe anzulasten ist (Klägerschriftsatz vom 13.8.2021 Rn. 204 genügt schon zeitlich nicht). Da keine Verpflichtung besteht, unbekannte tatsächliche Umstände zu ermitteln, sehen die Klägerinnen zu Unrecht eine Nachlässigkeit der Beklagten darin, dass diese erstmals mit Antrag vom 5.4.2019 das Discovery-Verfahren eingeleitet hat (siehe Klägerschriftsatz vom 13.8.2021, Rn. 20, 59 f.).
Eine frühere Kenntnis der Beklagten von dem Pair Trade oder nähere Hinweise darauf legen die Klägerinnen nicht dar; dass andere Investoren eine solche Strategie verfolgt haben (vgl. den Forbes-Artikel vom 30.9.2015 Anl. B161, Bl. 2958), reicht nicht aus. Das Klägervorbringen im Schriftsatz vom 13.8.2021 (Rn. 36 ff.) trägt unter Zugrundelegung der Maßstäbe der Rechtsprechung die Annahme von Nachlässigkeit nicht (vgl. das von den Klägerinnen zitierte Urteil BGH NJW-RR 2021, 56 Rn. 15 f.). Das Stellen eines Antrags nach § 142 ZPO hätte keine hinreichende Gewähr für eine schnellere Beschaffung der durch das Discovery-Verfahren erlangten Unterlagen gegeben, zumal die Anordnung der Urkundenvorlegung nach jener Vorschrift im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts steht (vgl. BeckOK ZPO/von Selle, 43. Ed. 1.12.2021, § 142 Rn. 15).
b) Tatsächliche Feststellungen zum „P. Discount Trade“
In tatsächlicher Hinsicht ist festzustellen, dass die Klägerinnen gleichzeitig mit den Käufen von Vorzugsaktien der Beklagten jeweils Leerverkäufe von V.-Vorzugsaktien getätigt
haben und ein enger Zusammenhang zwischen den Käufen und den Leerverkäufen bestand, weil sie beide aufgrund des von den Klägerinnen gezielt verfolgten Investitionskonzepts des „P. Discount Trade“ erfolgt sind.
aa) Bereits nach dem unstreitigen Parteivortrag beider Seiten ist von folgenden Verbindungen zwischen den Käufen von Vorzugsaktien der Beklagten, auf welche die Klägerinnen ihre Schadensersatzklage stützen, und den daneben getätigten Leerverkäufen von Vorzugsaktien der Streithelferin auszugehen:
Die Klägerinnen bestreiten nicht das Beklagtenvorbringen, dass den Käufen und Leerverkäufen ein einheitliches Investitionskonzept zugrunde lag, das die Klägerinnen intern als „P. Discount Trade“ bezeichnet haben und bei dem es sich um einen sog. Pair Trade handelte, mit dem die Klägerinnen auf eine Unterbewertung der Vorzugsaktien der Beklagten im Verhältnis zu den von der Beklagten gehaltenen Stammaktien der Klägerin spekuliert und auf eine Verringerung des entsprechenden Spread gesetzt haben. Der Pair Trade bestand aus einer Long-Position in Vorzugsaktien der Beklagten und einer Absicherungsposition in Vorzugsaktien der Streithelferin (Leerverkäufe, Short-Position). Damit haben sich die Klägerinnen nicht nur gegen allgemeine Marktrisiken, sondern u.a. auch gegen V.-bezogene Risiken wie solche aus Corporate-Governance- und Compliance-Defiziten absichert (vgl. Klägerschriftsätze vom 13.8.2021 Rn. 4 ff.; vom 10.3.2022 Rn. 20; Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021 Rn. 41). Die jeweiligen Käufe von Vorzugsaktien der Beklagten und Leerverkäufe von solchen der Streithelferin beruhten also auf einer einheitlichen Investitionsentscheidung (vgl. im Übrigen die von der Beklagten zitierte Mail der Klägerseite vom 8.6.2015, Bl. 2617; der Begriff „P. Discount“ bzw. „P. Discount Trade“ wird z.B. in Anl. B149 und B151 bis B154 gebraucht, Bl. 2626 ff.); diese geht weit über eine reine Risikostreuung durch eine Portfoliodiversifikation hinaus.
Die Klägerinnen bestreiten auch nicht, dass die Umsetzung des Investitionskonzepts dadurch erfolgte, dass der Kauf von Vorzugsaktien der Beklagten jeweils mit einem zeitgleichen Leerverkauf von Vorzugsaktien der Streithelferin kombiniert wurde (vgl. Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021, Rn. 42, ausführlich Rn. 54 ff. mit der Transaktionsübersicht für die Zeit vom 29.10.2013 bis 30.12.2015, jeweils mit Angabe von „B“ für Kauf und „SS“ für Leerverkauf, Bl. 2612 ff. [Anmerkung: Am Ende von Rn. 59 muss es wohl richtig 2.549.519,22 € statt 3.510.050,59 heißen. Der letztgenannte Betrag ist der US-Dollar-Betrag; hier ist man wohl in der Spalte auf Bl. 2612 verrutscht.]). Die Wertpapierorders bezüglich der Käufe und Leerverkäufe wurden einheitlich und voneinander abhängig erteilt (vgl. Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021 Rn. 68 ff., 82; siehe den Hinweis „trades are contingent“ in der Ordner Bl. 2619R oben; Übersetzung im Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021 Rn. 70; siehe rein ergänzend auch Bl. 2617R: „[…] how these trades interrelate with the corresponding V. shorts.“). Hiergegen bringen die Klägerinnen im Schriftsatz vom 10.3.2022 (Rn. 10, 12, 20 ff.) in tatsächlicher Hinsicht lediglich vor, die Käufe und Leerverkäufe seien nicht „notwendig“ verbunden gewesen und nicht im gleichen Volumen durchgeführt worden; die Anlagestrategie sei im freien Ermessen der Klägerinnen aufgrund freiwilliger Entscheidungen erfolgt. Die Klägerinnen bestreiten auf tatsächlicher Ebene nicht, dass sie in Ausübung des ihnen zustehenden Ermessens zusammenhängende Orders in der von der Beklagten vorgetragenen Art erteilt haben.
Unstreitig ist ferner, dass Käufe und Leerverkäufe im internen Reporting auf Klägerseite immer zusammen und mit Bezug zueinander und der wirtschaftliche Erfolg stets als Saldo aus Long- und Shortpositionen ausgewiesen worden ist (vgl. Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021 Rn. 83 ff., 99 ff. mit Anl. B136, Bl. 2578, B149 ff., Bl. 2626 ff.; als „irrelevant“ bezeichnet im Klägerschriftsatz vom 10.3.2022 Rn. 11). Die Klägerinnen halten dem entgegen, für die Frage der Schadensentstehung sei im Rahmen des § 37b WpHG a.F. eine Einzelbetrachtung vorzunehmen (siehe u.a. Schriftsatz vom 10.3.2022, Rn. 11, 17). Damit machen sie aber nur eine schadensrechtliche Rechtsansicht geltend und bestreiten nicht das im Übrigen durch Dokumente der Klägerseite gestützte tatsächliche Vorbringen der Beklagten.
bb) Der Senat ist über diesen unstreitigen Sachverhalt hinaus auf Grundlage des beiderseitigen Parteivorbringens und der von der Beklagten vorgelegten Dokumente/E-Mails der Klägerseite, deren Echtheit die Klägerinnen nicht bestreiten, gemäß § 286 ZPO davon überzeugt, dass der Pair Trade „P. Discount“ von den Klägerinnen gezielt so konzipiert war, dass etwaige Verluste bei den P.-Vorzugsaktien aufgrund von Schwankungen des Werts der von der Beklagten gehaltenen V.-Stammaktien, seien sie durch V.-spezifische Vorgänge oder durch allgemeine Marktschwankungen bedingt, im Sinne eines vollständigen Hedging durch Gewinne aus den Leerverkäufen der V.-Vorzugsaktien ausgeglichen werden sollten, und dass der Pair Trade auch so umgesetzt worden ist (vgl. Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021 Rn. 46 ff.).
(1) Die Klägerinnen haben den entsprechenden Tatsachenvortrag der Beklagten aus dem Schriftsatz vom 31.5.2021, also die Angaben zum Vorliegen eines Pair Trade und seiner Ausgestaltung, in ihrem Schriftsatz vom 13.8.2021 nicht bestritten. Dort wird nur in Abrede gestellt, dass die Klägerinnen damit gegen den Ausgang eines vor dem Oberlandesgericht Celle anhängigen Gerichtsverfahrens gegen die Beklagte gewettet haben, an dem Schwestergesellschaften der Klägerinnen beteiligt sind (Schriftsatz v. 13.8.2021 Rn. 2 ff., 175; siehe auch Beklagtenschriftsatz vom 13.1.2022 Rn. 22). Die Klägerinnen haben mit dem Schriftsatz vom 13.8.2021 außerdem ein von ihnen beauftragtes Privatgutachten von Prof. Dr. K. vom August 2021 (Anl. K78, Bl. 3027 ff.) vorgelegt, in dem zum „Sachverhalt“ festgehalten wird (Bl. 3031 f.):
„[…] Die Klägerinnen sind Teil der Fondsfamilie der E. Investment Management L.P. („E.“). E. ist ein US-amerikanischer Hedgefondsmanager, der Gelder für Universitäten und Pensionskassen verwaltet und an den Kapitalmärkten investiert. Zu den üblichen Anlagestrategien der von E. verwalteten Fonds gehören sog. marktneutrale Strategien durch das Eingehen von Positionen, die gegen allgemeine Marktrisiken gesichert sind. Dies geschieht regelmäßig durch das Eingehen von Absicherungspositionen („Hedge-“ oder „Hedging Positionen“). Die genaue Ausgestaltung der marktneutralen Strategie variiert von Fall zu Fall.
Als sich die Klägerinnen im Jahr 2013 dazu entschieden, Vorzugsaktien der Beklagten zu erwerben, hielt diese eine Beteiligung in Höhe von rund 52,2% der V.-Stammaktien. Diese Beteiligung an V. war der wesentliche Vermögensgegenstand der Beklagten. Die Analysten der Klägerinnen stuften die Beklagte deshalb als eine sogenannte single asset Company ein. Sie gelangten zu der Auffassung, dass der Börsenkurs der P.-Aktien niedriger sei als ihr „wahrer“ Wert (Fundamentalwert) und dass die Aktien daher mit einem Preisabschlag (Diskont, engl. discount) gehandelt würden. Ein solcher Abschlag ist in der Regel auch bei anderen börsennotierten Holdinggesellschaften, vor allem bei single asset Companies anzunehmen. Der Abschlag der Beklagten wurde in einer Bandbreite zwischen 24-45 % je nach dem aktuellen Börsenkurs der Beklagten beziffert. Die Klägerinnen ermittelten diesen Abschlag aus der Differenz zwischen dem Nettoinventarwert (net asset value, NAV) der Beklagten und dem Börsenwert der ausgegebenen Vorzugsaktien.
Aufgrund des Discounts, mit dem die Vorzugsaktien der Beklagten an der Börse gehandelt wurden, entschieden sich die Klägerinnen, die bereits oben erwähnten Vorzugsaktien der Beklagten zu erwerben (im Folgenden „lange Position“ oder „Long Position“). Sie sicherten diese Erwerbe ab, indem sie Vorzugsaktien der V. AG (im Folgenden auch „V.-Aktien“ oder „V.-Vorzüge“) leerverkauften („kurze Position“ oder „Short Position“). Auf diese Weise schafften sie es, nicht nur das allgemeine Marktrisiko, sondern auch das V.-spezifische Risiko aus ihrer P.-Position zu eliminieren. Sie „wetteten“ also weder auf ein Ansteigen noch eine Reduktion des P.- oder V.-Aktienkurses, sondern einzig darauf, dass der Abstand (spread) zwischen dem NAV der Beklagten (= dem Börsenwert der V.-Vorzüge) und dem Börsenwert der P.-Vorzüge geringer wurde. Aus diesem Grund wurde die Strategie intern „P. Discount Trade“ bzw. „P. Strategy“ genannt […].
Der Aufbau der Short Positionen war mit Kosten für die Klägerinnen verbunden. Zum einen zahlten sie den „Verleihern“ der leerverkauften Aktien Gebühren. Zum anderen mussten sie diesen Personen marktübliche Sicherheiten für die Rückgabeverpflichtung der „geliehenen“ Aktien stellen. Daneben fielen die üblichen Handelskosten (Maklercourtage etc.) an.“
Der Senat geht davon aus, dass dieser im Privatgutachten dargestellte Sachverhalt, der zum unstreitigen Sachverhalt passt, zutrifft. Die Klägerinnen haben sich das von ihnen vorgelegte Privatgutachten im Schriftsatz vom 13.8.2021 (Rn. 15) vollumfänglich zu eigen gemacht, ohne den dargestellten Sachverhalt zu korrigieren oder in Frage zu stellen. Sie haben im Schriftsatz vom 13.8.2021 (Rn. 16 f., 135 ff.) bezüglich der geltend gemachten Entstehung eines Schadens und des Nichteingreifens eines Vorteilsausgleichs auch im Einzelnen auf das Gutachten Bezug genommen.
Erstmals in dem in der Verhandlung vom 10.2.2022 nachgelassenen Schriftsatz vom 10.3.2022 stellen die Klägerinnen den Sachverhalt bezüglich des Pair Trade zum Teil anders dar, als er von der Beklagtenseite und auch im eigenen Privatgutachten von Prof. Dr. K. vom August 2021 beschrieben wird. Sie machen nun geltend, dass die Leerverkäufe von Vorzugsaktien der Streithelferin angeblich nicht zu einer vollständigen Absicherung der Positionen in Vorzugsaktien der Beklagten, auf welche die Klage gestützt wird, geführt habe.
Möglicherweise ist die Klägerseite aufgrund des Beklagtenschriftsatzes vom 13.1.2022 zu der Einschätzung gelangt, dass die Rechtsfolgen des zuvor unstreitigen und im Privatgutachten von Prof. Dr. K. vom August 2021 dargestellten Sachverhalts für sie nachteilig sein könnten, etwa weil danach Einiges für einen Vorteilsausgleich sprechen könnte. In der Präambel zu dem von der Klägerseite vorgelegten Ergänzungsgutachten vom 8.3.2022 versucht nun auch Prof. Dr. K., sich von der Sachverhaltsdarstellung aus seinem ersten Gutachten zu distanzieren und den Eindruck einer bloßen Unterstellung für gutachterliche Zwecke zu erwecken, wenn er ausführt:
„Dabei soll – wie auch schon in meinem ersten Gutachten – für den Zweck der rechtlichen Analyse unterstellt werden, dass die „langen“ Positionen der Klägerinnen vollständig „gehedged“ waren, wenngleich damit selbstverständlich keine Tatsachenbehauptung für die Klägerseite aufgestellt werden soll.“
Hinweise darauf, dass es sich bei dem recht ausführlich dargestellten Sachverhalt im Gutachten von Prof. Dr. K. vom August 2021 bloß um eine Unterstellung für Zwecke der rechtlichen Analyse handeln soll, finden sich in jenem Gutachten und auch in dem sich darauf stützenden Klägerschriftsatz vom 13.8.2021 aber nicht. In dem Gutachten wird vielmehr der gesamtgesellschaftliche Nutzen von Standard-Arbitragestrategien in der Art eines Pair Trade wie beim „P. Discount“ herausgestellt (siehe Gutachten Prof. Dr. K. vom August 2021 S. 6 ff., Bl. 3032 ff.).
(2) Für ein vollständiges Hedging, wie im ersten Gutachten von Prof. Dr. K. dargestellt („Eliminierung“ nicht nur des allgemeinen Marktrisiko, sondern auch des V.-spezifischen Risikos) spricht bereits die Konzeption des Pair Trade, mit dem die Klägerinnen auf eine Verringerung des Spread in Form einer Unterbewertung der Vorzugsaktien der Beklagten im Verhältnis zu den von der Beklagten gehaltenen Stammaktien der Streithelferin bzw. dem NAV der Beklagten gesetzt haben (siehe im Einzelnen das Gutachten Prof. Dr. K. vom August 2021, S. 5 ff, Bl. 3031 ff.). Zu würdigen sind hier ferner die von der Beklagten vorgelegten Dokumente der Klägerinnen, nach denen das Hedging in Höhe von 100 % erfolgte (siehe zum Umfang des Hedging die im Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021 Rn. 92 ff. wiedergegebenen Dokumente sowie ergänzend die Anlagen B150 und B151; soweit die Klägerinnen im Schriftsatz vom 10.3.2022 Rn. 23 geltend machen, die Dokumente stellten nur eine „punktuelle Einschätzung“ dar, steht dies einer Würdigung als Indiztatsache nicht entgegen).
Die Absicht eines vollständigen Hedging wird auch durch die von der Beklagten vorgelegten und zitierten E-Mails der Klägerseite vom September 2015 bestätigt (siehe Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021 Rn. 101 ff. – mit deutscher Übersetzung – sowie Anl. B153). Daraus ergibt sich, dass die Mitarbeiter der Klägerseite davon ausgingen, dass selbst ein so gravierendes Ereignis wie das Bekanntwerden des V.-Abgasskandals am 18.9.2015 keinen Einfluss auf den „P. trade“ haben wird. So heißt es in einer einer E-Mail vom Freitag, den 18.9.2015, 19.21 Uhr, auszugsweise: „It should not have any impact on the P. trade.“ Dem entspricht die Feststellung in der E-Mail vom Montag, den 21.9.2015, 8.10 Uhr: „V. and P. open down 12 %, but the spread unch´d“ (zur Übersetzung und Erläuterung der hier auf Englisch zitierten Passagen siehe Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021 Rn. 104, 107).Zum zeitlichen Hintergrund: Am 18.9.2015 (Freitag) teilte die US-Bundesumweltschutzbehörde EPA der Streithelferin mit, dass Verstöße gegen den Clean Air Act festgestellt worden seien (Veröffentlichung der sog. Notice of Violation). Am 20.9.2015 räumte die Streithelferin die Verstöße gegenüber der EPA öffentlich ein. Am 22.9.2015 (Montag), folgte die im angegriffenen Urteil wiedergegebene Ad-hoc-Mitteilung der Streithelferin (siehe den unstreitigen Tatbestand des angegriffenen Urteils Rn. 43 ff.).
(3) Der Feststellung des Senats steht nicht entgegen, dass die Klägerinnen gemäß der vorgelegten Transaktionsliste (Anl. B142) und dem Vorbringen beider Seiten 10 % weniger Verkäufe von V.-Vorzugsaktien getätigt haben als Käufe von Vorzugsaktien der Beklagten, das Leerverkaufsvolumen von V.-Vorzugsaktien sich also insgesamt nur auf 90 % des Kaufvolumens belief (siehe Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021 Rn. 63, 77, und Klägerschriftsatz vom 10.3.2022 Rn. 12, 20). Denn das NAV der Beklagten umfasst neben der Beteiligung an der Streithelferin, die den größten Anteil ausmacht, insbesondere noch Barmittel in Milliardenhöhe (siehe näher die unbestrittenen Angaben im Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021 Rn. 24 f., 34, 39, auch zu den 90 %; zum NAV auch das Gutachten von Prof. Dr. K. vom August 2021 S. 5 f.). Daher ist plausibel, dass eine volle Absicherung der Risiken aus der V.-Beteiligung der Beklagten nicht Leerverkäufe von V.-Vorzugsaktien im vollen Volumen der getätigten Käufe von Vorzugsaktien der Beklagten erforderte. Zwar heißt es in der im Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021 wiedergegebenen (Rn. 47 mit Übersetzung) und von den Klägerinnen im Schriftsatz vom 10.3.2022 (Rn. 22) angesprochenen E-Mail eines Mitarbeiters der Klägerseite vom 8.6.2015 sinngemäß, dass 94 % von P.s NAV aus der Beteiligung an V. bestehe, weshalb für jeden Kauf von Vorzugsaktien der Beklagten in Höhe eines entsprechenden Anteils Leerverkäufe von V.-Vorzugsaktien getätigt würden, um Kursschwankungen von V. abzusichern. Da der Pair Trade über einen Zeitraum von vielen Monaten beginnend Ende Oktober 2013 durchgeführt worden ist (siehe Anl. B142), traten im Zeitverlauf naturgemäß auch Wertschwankungen bei den V.-Aktien auf, die wiederum den Anteil der V.-Beteiligung am NAV der Beklagten und grundsätzlich auch den Absicherungsbedarf beeinflusst haben können (daher nicht durchgreifend auch das Vorbringen im Beklagtenschriftsatz vom 10.3.2022 Rn. 34-36, u.a. zu den Auswirkungen des Kursverlusts von jeweils 12 % bezüglich beider Vorzugsaktien am 21.9.2015 bei einer Absicherung von 90 %; siehe nur ergänzend auch Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021 Rn. 94 zu den Marktwerten der Long- und der Short-Position per Schlusskurs vom 11.9.2015).
(4) Im Übrigen hat die Klägerseite den Beklagtenvortrag, dass das Volumen der Leerverkäufe eben dem Umfang entsprach, den die Klägerseite ermittelt hatte, um die Position der Klägerinnen in Vorzugsaktien der Beklagten vollständig abzusichern (Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021 Rn. 45, 47 f., 51, 63, 97 f.), nicht substantiiert bestritten. Die Klägerinnen machen im Schriftsatz vom 10.3.2022 (Rn. 21) zwar geltend, dass ein vollständiges Hedging, das einen Schaden ausschließe, nicht erfolgt sei. Damit bestreiten sie aber nur pauschal den Ausschluss des Schadens durch ein vollständiges Hedging, ohne substantiiert dem Beklagtenvorbringen zu dem Pair Trade und seiner Ausgestaltung entgegen zu treten und darzulegen, nach welchen Kriterien die Klägerinnen die Höhe der Leerverkäufe von V.-Vorzugsaktien im Verhältnis zu den getätigten Käufen von Vorzugsaktien der Beklagten festgelegt haben und inwieweit ggf. auf eine Absicherung verzichtet wurde (vgl. zu unstreitigen Absicherungsgeschäften auch 2 U 102/14, Urteil, 26.03.2015, Schadensersatz im Zusammenhang mit Leerverkäufen von Aktien: Gesamtabwägung im Rahmen einer ..., Langtext vorhanden" href="https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001216606/format/xsl?oi=c5eaeNXUya&sourceP=%7B%22source%22%3A%22Link%22%7D">OLG Stuttgart, Urteil vom 26.3.2015 – 2 U 102/14 –, juris 2 U 102/14, Urteil, 26.03.2015, Schadensersatz im Zusammenhang mit Leerverkäufen von Aktien: Gesamtabwägung im Rahmen einer ..., Langtext vorhanden" href="https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001216606/format/xsl/anchor/rd_259?oi=c5eaeNXUya&sourceP=%7B%22source%22%3A%22Link%22%7D">Rn. 259 f.; siehe dazu auch Beklagtenschriftsätze vom 31.5.2021 Rn. 159 ff., vom 13.1.2022 Rn. 144 ff.).
Das Vorbringen der Klägerinnen, dass die Investitionsentscheidung nach Einschätzung und freiem Ermessen der Klägerinnen erfolgte, ändert daran nichts. Der für die Klägerinnen verantwortliche US-amerikanische Hedgefondsmanager, E., hat in Ausübung seines Investitionsermessens mit dem unstreitigen Pair Trade in Form des „P. Discount“ ein wohlüberlegtes und ausgefeiltes Investitionskonzept verfolgt (siehe beispielhaft zu einzelnen Orders den Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021 Rn. 68 ff.). Dass die Höhe der einzelnen Transaktionen und vor allem das jeweilige Verhältnis zwischen Käufen und Leerverkäufen nicht einem Plan gefolgt, sondern nach Belieben festgelegt worden ist, erscheint daher fernliegend. Vielmehr spricht auch die von den Klägerinnen selbst angesprochene E-Mail vom 8.6.2015, 9.57 Uhr, dafür, dass die Klägerseite bis zum Ende der streitgegenständlichen Käufe von Vorzugsaktien der Beklagten eine vollständige Absicherung entsprechend den von der Beklagten gehaltenen V.-Stammaktien durch Leerverkäufe von V.-Vorzugsaktien angestrebt hat (vgl. Klägerschriftsatz vom 10.3.2022 Rn. 22 mit Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021 Rn. 47; siehe nur ergänzend auch den letzten Absatz der E-Mail vom 8.6.2015, 9.17 Uhr, Bl. 2617 f.).
(5) Die Klägerinnen machen erfolglos geltend, dass sie auch dann von der Investition in die Vorzugsaktien der Beklagten profitieren konnten, wenn sich die anderen Vermögenswerte der Beklagten, also insbesondere die Beteiligungen an anderen Unternehmen, positiv entwickelten oder wenn die Haftungsfragen im Zusammenhang mit dem Short-Squeeze der Stammaktie der V. AG vom Oktober 2008 gelöst worden wären (siehe näher Klägerschriftsatz vom 10.3.2022 Rn. 8 ff.). Dies ändert nichts daran, dass das Risiko bezüglich der von der Beklagten gehaltenen V.-Stammaktien in der festgestellten Weise durch die Leerverkäufe von V.-Vorzugsaktien abgesichert wurde. Im Übrigen ist im Sachverhalt des Gutachtens von Prof. Dr. K. vom August 2021 (S. 5) ausgeführt, dass die Analysten der Klägerseite die Beklagte als sog. single asset company eingestuft hätten, weil die Beteiligung an V. der wesentliche Vermögensgegenstand der Beklagten gewesen sei (siehe ferner das Gutachten von Prof. Dr. K. vom 8.3.2022, S. 14). Danach wurden weitere Unternehmensbeteiligungen also nicht als wesentlich erachtet.
(6) Der im Klägerschriftsatz vom 10.3.2022 (Rn. 24) angebotene Sachverständigenbeweis zu den Behauptungen der Klägerinnen, Kursverluste bei V.-Vorzugsaktien zögen „nicht automatisch“ identische Kursverluste bei der P.-Vorzugsaktie nach sich, insbesondere nicht im Verhältnis zu dem von den Klägerinnen angenommenen Anteil am NAV, braucht nicht eingeholt zu werden. Die entsprechenden Behauptungen können unterstellt werden. Sie stehen der – sogleich näher auszuführenden – rechtlichen Würdigung, dass eine Vorteilsanrechnung vorzunehmen ist, die zum Wegfall eines eventuellen Kursdifferenzschadens führt, nicht entgegen. Denn maßgebend dafür ist die Feststellung, dass der Pair Trade „P. Discount“ von den Klägerinnen so konzipiert war und umgesetzt wurde, dass ein vollständiges Hedging erfolgte. Die Klägerinnen „eliminierten“ mit ihrem Investitionskonzept – wie ausgeführt – nicht nur das allgemeine Marktrisiko, sondern auch das V.-spezifische Risiko aus ihrer P.-Position; sie „wetten“ weder auf ein Ansteigen noch auf eine Reduktion des P.- oder V.-Aktienkurses, sondern einzig darauf, dass der Spread zwischen dem Börsenwert der P.-Vorzugsaktien und dem NAV der Beklagten (mit den von ihr gehaltenen V.-Aktien) geringer wurde. Dass die Absicherung durch die Leerverkäufe aufgrund der Unkalkulierbarkeit der Kursverläufe der beiden Vorzugsaktien, die durch den Börsenhandel bestimmt werden, nicht in jedem einzelnen Moment zu einem perfekten Verhältnis von Long- und Short-Positionen führte, stellt die umgesetzte Absicherungskonzeption des Pair Trade „P. Discount“ nicht in Frage.
c) Anrechnung der Vorteile aus den Leerverkäufen von V.-Vorzugsaktien
Die vorstehenden tatsächlichen Feststellungen führen in rechtlicher Hinsicht dazu, dass ein Kursdifferenzschaden der Klägerinnen durch die streitgegenständlichen Käufe von Vorzugsaktien der Beklagten, auf welche die Klägerinnen ihre Schadensersatzansprüche stützen, insgesamt zu verneinen ist. Denn nach den getroffenen Feststellungen wurde neben dem Marktrisiko auch das V.-spezifische Risiko, das den Vorzugsaktien der Beklagten wegen der von der Beklagten gehaltenen V.-Stammaktien innewohnte, durch die jeweils gleichzeitig und gezielt durchgeführten Leerverkäufe von V.-Vorzugsaktien abgesichert. Die Klägerinnen stützen ihre Schadensersatzansprüche auf unterlassene Ad-hoc-Mitteilungen der Beklagten im Hinblick auf ihre Beteiligung an der V. AG und den V.-Abgasskandal und damit auf ein Risiko, das entsprechend der Konzeption des Pair Trade durch die Leerverkäufe abgesichert war. Die Absicherungswirkung der Leerverkäufe (vollständiges Hedging) ist im Wege der Vorteilsanrechnung zu berücksichtigen und führt jedenfalls auf diesem Weg zum Wegfall eines eventuellen Kursdifferenzschadens (vgl. zur Geltendmachung des Kursdifferenzschadens etwa Klageschrift Rn. 166 ff.; Berufungsbegründung Bl. 1256 ff.; erstes Gutachten Prof. Dr. K. S. 34; Klägerschriftsatz vom 10.3.2022 Rn. 35 f., 40 ff.).
aa) Gemäß § 37b Abs. 1 WpHG a.F. ist der Emittent unter den dort näher geregelten Voraussetzungen „zum Ersatz des durch die Unterlassung entstandenen Schadens verpflichtet“. Der Anleger kann als Mindestschaden auch den im vorliegenden Fall von den Klägerinnen geltend gemachten Kursdifferenzschaden ersetzt verlangen. Hierfür muss der Anleger lediglich darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass, wäre die Ad-hoc-Mitteilung rechtzeitig erfolgt, der Kurs zum Zeitpunkt seines Kaufs niedriger gewesen wäre als er tatsächlich war (vgl. BGH, Urteil vom 13.12.2011 – XI ZR 51/10 –, BGHZ 192, 90 Rn. 49 ff., 67). Der Kursdifferenzschaden berechnet sich aus der Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Transaktionspreis und dem Preis, der sich bei pflichtgemäßem Publizitätsverhalten gebildet hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 – II ZB 31/14 –, Rn. 345).
bb) Die Absicherungswirkung der Leerverkäufe von V.-Vorzugsaktien ist jedenfalls im Wege der Vorteilsanrechnung zu berücksichtigen. Zwar handelt es sich bei den Vorzugsaktien der Beklagten und den V.-Vorzugsaktien um unterschiedliche Finanzinstrumente gemäß § 37b Abs. 1 S. 1 WpHG a.F. So ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bezüglich der Musterverfahren auch zwischen den Kapitalmarktinformationen der Beklagten und der Streithelferin zu unterscheiden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16.6.2020 – II ZB 30/19 –, juris Rn. 16 f.; vom 16.6.2020 – II ZB 10/19 –, juris Rn. 20 ff., 27, 30). Die prozessrechtliche Trennung der Musterverfahren lässt aber keinen Rückschluss auf die schadensrechtliche Beurteilung zu und schließt eine Anrechnung der Vorteile aus den Leerverkäufen von V.-Vorzugsaktien nicht aus (siehe nur ergänzend zu dem bereits bei der Schadensberechnung erforderlichen Gesamtvermögensvergleich BGH, Urteil vom 21.10.2021 – IX ZR 9/21 –, juris Rn. 10, zur Abgrenzung zwischen Schadensberechnung und Vorteilsausgleichung Rn. 16 f.).
cc) Die Voraussetzungen für eine Anrechnung der Vorteile aus den Leerverkäufen von V.-Vorzugsaktien sind gegeben mit der Folge, dass ein eventueller Kursdifferenzschaden jedenfalls infolge der Vorteilsanrechnung wegfällt.
(1) Nach den Grundsätzen der Vorteilsanrechnung sind dem Geschädigten diejenigen Vorteile anzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen. Die vorteilhaften Umstände müssen mit dem schädigenden Ereignis in einem qualifizierten Zusammenhang stehen. Zu berücksichtigen ist ferner, ob eine Anrechnung dem Sinn und Zweck des Schadensersatzes entspricht und weder der Geschädigte unzumutbar belastet noch der Schädiger unbillig entlastet wird (vgl. BGH, Urteil vom 18.10.2018 – III ZR 497/16 –, NJW 2019, 215 Rn. 17 m.w.N.; näher jurisPK-BGB/Rüßmann, 9. Auflage 2020 (Stand 8.9.2021), § 249 Rn. 48 ff. m.w.N.; siehe auch zum schadensrechtlichen Bereicherungsverbot BGH, Urteil vom 4.4.2014 – V ZR 275/12, NJW 2015, 468 Rn. 20 m.w.N.; ferner BGH, Urteil vom 27.7.2021 – II ZR 164/20 –, juris Rn. 51 m.w.N.; zum ordre public BGH, Urteil vom 4.6.1992 – IX ZR 149/91 –, BGHZ 118, 312, juris Rn. 72 ff. betreffend punitive damages).
So muss sich der Anleger, der auf der Grundlage eines einheitlichen Beratungsgesprächs zwei verschiedene, ihrer Struktur nach aber gleichartige Anlagemodelle gezeichnet und dabei eine auf demselben Beratungsfehler beruhende einheitliche Anlageentscheidung getroffen hat, auf den Zeichnungsschaden aus dem verlustbringenden Geschäft die Gewinne aus dem positiv verlaufenen Geschäft anrechnen lassen, sofern er eines der beiden Geschäfte im Wege des Schadensersatzes rückabwickeln will (vgl. BGH, Urteil vom 18.10.2018 – III ZR 497/16 –, NJW 2019, 215 Rn. 15 ff., 26 ff. mit einer ausführlichen Darstellung der Rechtsprechung und Literatur; siehe zur Vorteilsausgleichung auch BGH, Urteil vom 25.5.2020 – VI ZR 252/19 –, BGHZ 225, 316 Rn. 65 ff.; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, Vorb. v. § 249 Rn. 67 ff., insb. Rn. 95, 101).
Die Anrechnung eines Vorteils aus der Ablösung eines ungünstigen Zins-Swap-Vertrags hat der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs bejaht, wenn der geschädigte Anleger aufgrund eines auf einem Beratungsfehler beruhenden Willensentschlusses zugleich mit dem Abschluss eines (neuen) Zinssatz-Swap-Vertrags und wegen desselben einen anderen früher abgeschlossenen, ihm nachteiligen Zins-Swap-Vertrag ablöst, sofern nicht schon der Abschluss dieses früheren Vertrags auf einer pflichtwidrigen Willensbeeinflussung des Anlegers beruhte (vgl. BGH, Urteil vom 18.10.2018 – III ZR 497/16 –, NJW 2019, 215 Rn. 24 unter Bezugnahme auf BGH, Urteil vom 22.3.2016 – XI ZR 425/14 –, NJW 2016, 2949 Rn. 44; siehe ferner BGH, Urteil vom 28.4.2015 – XI ZR 378/13 –, BGHZ 205, 117 Rn. 85 ff.).
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat eine Anrechnung von Vorteilen auf Verluste aus einer Reihe von gleichartigen unzulässigen Spekulationsgeschäften, die die im dortigen Verfahren von einer Gesellschaft verklagten Vertreter eines ihrer Organe pflichtwidrig abgeschlossen hatten, vorgenommen. Dies hat er damit begründet, dass zwar die Vor- und die Nachteile auf unterschiedlichen haftungsbegründenden Ereignissen beruhten, weshalb kein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen den Verlustgeschäften und den Geschäften mit Gewinn bestehe. Das Gebot der Vorteilsausgleichung ergebe sich aber unter anderem aus dem Bereicherungsverbot. Die Gesellschaft solle sich nicht aufgrund eines Fehlers des Organmitglieds auf dessen Kosten bereichern (siehe näher BGH, Urteil vom 18.10.2018 – III ZR 497/16 –, NJW 2019, 215 Rn. 25 mit BGH, Urteil vom 15.1.2013 – II ZR 90/11 –, NJW 2013, 1958 Rn. 26 f.).
(2) Danach ist hier eine Vorteilsanrechnung geboten und zwar für alle durchgeführten Käufe von Vorzugsaktien der Beklagten. Die jeweils gleichzeitig erfolgte Absicherung durch Leerverkäufe von V.-Vorzugsaktien (vollständiges Hedging) führt dazu, dass ein eventueller Kursdifferenzschaden voll ausgeglichen wird und deshalb zu verneinen ist.
Der Kursdifferenzschaden aus der Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Transaktionspreis für die Vorzugsaktien der Beklagten und dem Preis, der sich bei pflichtgemäßem Publizitätsverhalten der Beklagten bezüglich des V.-Abgasskandals gebildet hätte (vgl. § 37b Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F.), wird durch die anzurechnenden Vorteile aus den Leerverkäufen von V.-Vorzugsaktien komplett ausgeglichen. Denn mit den Leerverkäufen haben die Klägerinnen gezielt die Risiken aus der von der Beklagten gehaltenen V.-Beteiligung abgesichert bzw. gehedged. So machen die Klägerinnen im Schriftsatz vom 13.8.2021 (Rn. 181) unter Bezugnahme auf das erste Gutachten von Prof. Dr. K. vom August 2021 selbst geltend, dass zu den durch die Leerverkäufe abgesicherten V.-spezifischen Risiken auch und gerade das Risiko von Informationspflichtverletzungen der Streithelferin gegenüber dem Kapitalmarkt gehörte, auf das die Klägerinnen wegen der Beteiligung der Beklagten an der Streithelferin der Sache nach auch ihre Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte stützen. Das erste Gutachten von Prof. Dr. K. geht dabei davon aus, dass durch die Leerverkäufe ein „latenter“ Vorteil bei den Klägerinnen entstanden ist, dessen Anrechnung nicht an der Voraussetzung eines adäquat verursachten Vorteils scheitert (dort S. 24 ff.).
Die Vorteile aus den Leerverkäufen von V.-Vorzugsaktien stehen nach den getroffenen Feststellungen darüber hinaus in einem qualifizierten Zusammenhang mit den Käufen von Vorzugsaktien der Beklagten. Da Käufe und Leerverkäufe Teil des einheitlichen Anlagekonzepts „P. Discount Trade“ waren und auf einer einheitlichen Investment-Entscheidung beruhten, ist der Zusammenhang noch enger als im genannten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.10.2018 (III ZR 497/16, NJW 2019, 215 Rn. 27: Verklammerung, Paket). Auch das von den Klägerinnen mit dem Schriftsatz vom 10.3.2022 vorgelegte zweite Privatgutachten von Prof. Dr. K. vom 8.3.2022 (Anl. K82) rechtfertigt keine andere Bewertung. Prof. Dr. K. setzt sich darin zwar eingehend mit den Ausführungen in dem Privatgutachten von Prof. Dr. L. vom 7.1.2022 (Anl. B163) auseinander, das die Beklagte vorgelegt hat, und wirft Prof. Dr. L. diverse argumentative Fehler vor. Er bringt aber keine durchgreifenden Argumente gegen die Vorteilsanrechnung vor. Die von den Klägerinnen gewünschte Einzelbetrachtung der Käufe von Vorzugsaktien der Beklagten lässt sich auch dem bereits angesprochenen Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13.12.2011 (XI ZR 51/10 –, BGHZ 192, 90 Rn. 67 f.) nicht entnehmen.
Die Vorteilsanrechnung widerspricht nicht dem Sinn und Zweck des Schadensersatzes. Zweck des Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland vom 21.6.2002 (Viertes Finanzmarktförderungsgesetz, BGBl. I 2002 S. 2010), mit dem § 37b WpHG a.F. eingeführt worden ist, war u.a. die Stärkung des Anlegerschutzes (vgl. BT-Drs. 14/8017, S. 62 f., 64). In Bezug auf den Umfang des ersatzfähigen Schadens sind die Gesetzesmaterialien bestenfalls ambivalent (vgl. BGH, Urteil vom 13.12.2011 – XI ZR 51/10 –, BGHZ 192, 90 Rn. 55 m.w.N.). Prof. Dr. K. macht im ersten Gutachten vom August 2021 (S. 35 ff.) geltend, Ziel der Gesetzesänderungen, mit denen § 37b WpHG a.F. eingeführt worden ist, sei nach der Gesetzesbegründung auch gewesen, die Publizitätsvorschriften des Kapitalmarkts durchzusetzen. Die §§ 37b, 37c WpHG a.F. hätten nach Ansicht des Gesetzgebers also eine Präventions- und Rechtsdurchsetzungsfunktion. Fernziel sei die Steigerung der Attraktivität des deutschen Kapitalmarkts, vor allem für internationale Investoren. Der Bundesgerichtshof hat ausgeführt (Beschluss vom 23.4.2013 – II ZB 7/09 –, NJW 2013, 2114 Rn. 34):
„Die Schadensersatzpflicht wegen Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung einer Insiderinformation dient in erster Linie dem Vermögensschutz der Anleger, selbst wenn sie zusätzlich einen generalpräventiven Charakter hat […]. Die Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung schützt das Interesse an der Funktionsfähigkeit der Märkte und soll dem Insider-Handel entgegenwirken, und sie schützt auch das Vermögensinteresse der Anleger hinsichtlich des Erzielens „richtiger“ Preise sowie ihre Entscheidungsfreiheit.“
Der gesetzlich bezweckte Anlegerschutz steht der Vorteilsanrechnung nicht entgegen. Das Investitionskonzept der Klägerinnen war darauf gerichtet, eine angenommene Unterbewertung der Vorzugsaktion der Beklagten im Verhältnis zu den von der Beklagten gehaltenen V.-Aktien auszunutzen. Das Hedging war konstitutives Merkmal des „P. Discount“. Die Klägerinnen haben auf diese Weise wie festgestellt nur auf eine Verringerung des vorgenannten Spread zwischen dem Wert der Vorzugsaktien der Beklagten einerseits und der von der Beklagten gehaltenen V.-Stammaktien andererseits „gewettet“. Die Klägerinnen machen nicht geltend, dass der Spread im Zeitpunkt der Investitionen aufgrund des V.-Abgasskandals zu ihren Lasten verzerrt und ihr Investitionskonzept dadurch beeinträchtigt war. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Spread wegen der Absicherungswirkung der Leerverkäufe durch den V.-Abgasskandal nicht berührt wurde. Ob das Investitionskonzept im Ergebnis erfolgreich war, ist nicht von Bedeutung (vgl. dazu Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021 Rn. 100, 111 ff. mit Anlagen B154, B155; dagegen Klägerschriftsatz vom 10.3.2022 Rn. 13 ff., 32). Auch ein etwaiger generalpräventiver Charakter des § 37b WpHG a.F. schlösse angesichts der speziellen Konstruktion des „P. Discount Trade“ eine Vorteilsanrechnung in dem vorliegenden Einzelfall nicht aus (siehe zur Frage des Zwecks der Haftung das erste Gutachten von Prof. Dr. K. S. 34 ff. und das zweite Gutachten S. 16 ff.).
In Anbetracht der speziellen Konstruktion des „P. Discount Trade“ werden die Klägerinnen dadurch, dass das Hedging auch Verletzungen der Ad-hoc-Publizität durch die Streithelferin abgedeckt hat und die Vorteile aus den Leerverkäufen von V.-Vorzugsaktien im Wege des Vorteilsausgleichs berücksichtigt werden, nicht unzumutbar belastet; ebenso wenig wird die Beklagte im vorliegenden Einzelfall unbillig entlastet. Nur ergänzend sei – auch im Hinblick auf eine Generalprävention – angemerkt, dass die Aktienkäufer aus den von den Klägerinnen im Rahmen des „P. Discount Trade“ getätigten Leerverkäufen von V.-Vorzugsaktien ggf. Schadensersatzansprüche gegen die Streithelferin geltend machen könnten (siehe nur ergänzend Beklagtenschriftsatz vom 13.1.2022 Rn. 6, 114 ff., 132 f.); solche Schadensersatzansprüche gingen auch zulasten der Beklagten, weil ihr Vermögen im Wesentlichen aus Aktien der Streithelferin besteht. Die Attraktivität des Kapitalmarktstandorts Deutschland ist auch insofern nicht beeinträchtigt.
Dass die Vorteilsanrechnung im Hinblick auf theoretische Schadensersatzansprüche aus § 37b WpHG a.F. aus Investorensicht ein Argument für ungesicherte Long-Positionen sein könnte, ist rechtlich nicht entscheidend (nicht durchgreifend hier das erste Gutachten von Prof. Dr. K. S. 38). Die Klägerinnen machen auch nicht geltend, dass sie den Vorteil etwaiger Ansprüche aus § 37b WpHG a.F. in ihre Anlageentscheidung einbezogen hätten, sondern sie haben sich aufgrund der Konzeption des „P. Discount“ als Pair Trade für das festgestellte Hedging entschieden.
(3) Da der Kursdifferenzschaden auf den Geldbetrag gerichtet ist, den der Anleger zu viel bezahlt oder zu wenig erhalten hat, sind keine Erwerbs- oder Veräußerungskosten zu ersetzen, zumal die in dem Klägerschriftsatz vom 10.3.2022 (Rn. 30) angesprochenen Kosten der Absicherung bereits aufgrund der Konzeption des Pair Trade „P.-Discount“ angefallen sind (vgl. Hellgardt in: Assmann/Schneider/Mülbert, WpHR, 7. Aufl. 2019, § 97 WpHG Rn. 138; siehe auch Gutachten Prof. Dr. K. vom August 2021 S. 25 Fn. 83: Zwar hat der Anleger Handelskosten wie z.B. Maklercourtage aufgewendet; diese sind jedoch nicht Teil des ersatzfähigen Differenzschadens.). Die Beklagte trägt ferner unwidersprochen vor, dass der Aufwand der Klägerinnen für die Eingehung ihrer „P. Discount“-Position bei einer frühzeitigen Veröffentlichung des V.-Abgasskandals nicht niedriger gewesen wäre (vgl. Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021 Rn. 121 f., 124 ff.), also sowieso angefallen wäre.
(4) Die in den Gutachten von Prof. Dr. K. aufgeführten Fallgruppen, in denen eine Vorteilsanrechnung verneint wird, sind nicht einschlägig.
(a) Die Vorteile, welche die Klägerinnen durch die Leerverkäufe von V.-Vorzugsaktien erreicht haben, sind nicht mit Versicherungsleistungen vergleichbar, bei denen eine Vorteilsanrechnung in vielen Konstellationen abgelehnt wird. So entlasten Leistungen aus einer vom Geschädigten oder für ihn von einem Dritten abgeschlossenen Schadensversicherung den Schädiger i.d.R. nicht. Für diese Versicherung greift die in § 86 VVG angeordnete Legalzession ein. Für Summenversicherungen gilt § 86 VVG nicht. Die Vorteilsausgleichung scheidet daher nicht schon wegen der Legalzession aus. Trotzdem ist auch hier eine Anrechnung der Versicherungsleistungen auf den Schadensersatzanspruch i.d.R. zu verneinen: Der Geschädigte oder zu seiner Begünstigung ein Dritter und nicht der Schädiger hat sich die Versicherungsleistungen durch die Zahlung der Prämien „erkauft“. Dem Schädiger gebührt der Vorteil daher nicht. Das trifft vor allem auf die Lebensversicherung zu, und zwar unabhängig davon, ob sie als Sparversicherung oder als Risikoversicherung abgeschlossen worden war, und ferner für die Unfallversicherung (vgl. BGH, Urteile v. 19.11.1955 – VI ZR 214/54 –, BGHZ 19, 94 Rn. 10 ff.; vom 19.12.1978 – VI ZR 218/76 –, BGHZ 73, 109, juris Rn. 36 ff.; Staudinger/Höpfner, BGB (2021), § 249 Rn. 162 ff., Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, Vorb. v. § 249 Rn. 84; MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl. 2019, § 249 Rn. 258 ff.).
Diese Grundsätze sind nicht auf den Streitfall übertragbar und stehen der gebotenen Vorteilsanrechnung nicht entgegen. Prof. Dr. K. geht im Gutachten vom August 2021 (S. 29) zutreffend davon aus, dass Gewinne aus den Leerverkaufspositionen rechtlich keine Versicherungsleistungen waren (zitiert im Klägerschriftsatz v. 13.8.2021 Rn. 181). Entgegen seiner Ansicht (a.a.O.) stellen etwaige Vorteile auch funktional keine Versicherungsleistungen dar. Die Klägerinnen sicherten sich mit den Leerverkäufen nicht etwa wie z.B. bei einer Verkaufsoption (Put-Option), für die eine Prämie zu zahlen ist (vgl. Zerey, Finanzderivate, 4. Aufl. 2016, § 12 Rn. 9; Ruiner/Batz, StB 2017, 254, 255 ff.), im Sinne einer Versicherung gegen Kursverluste der gekauften Vorzugsaktien der Beklagten ab (insofern ist der Begriff der „Absicherung“ hier ungenau, vgl. auch Beklagtenschriftsatz vom 13.1.2022 Rn. 121). Vielmehr „eliminierten“ sie gezielt mit den Leerverkäufen das allgemeine Marktrisiko und auch das V.-spezifische Risiko aus ihrer P.-Position. Sie „wetteten“ weder auf ein Ansteigen noch auf eine Reduktion des P.- oder V.-Aktienkurses, sondern einzig allein auf eine Verringerung des Spreads (vgl. das Gutachten von Prof. Dr. K. vom August 2021 S. 6, 30). Die Leerverkäufe bewirkten eine Neutralisierung von Kursschwankungen in beide Richtungen (Gewinn und Verlust); sie konnten auch zu Verlusten in der Short-Position führen (bei einem Kursanstieg der leer verkauften V.-Vorzugsaktien, vgl. Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021, Rn. 5 f., 44; siehe auch Zerey, Finanzderivate, 4. Aufl. 2016, § 12 Rn. 92). Diesen Verlusten hätten dann gemäß der Konzeption des „P. Discount Trade“ Gewinne bei den gekauften P.-Vorzugsaktien gegenübergestanden. Für das Hedging durch die Leerverkäufe fielen keine Prämien im Sinne einer Gegenleistung für die Absicherung (vergleichbar einer Versicherungsprämie) an, sondern lediglich Gebühren, insbesondere Handelskosten und Leihgebühren (siehe dazu Klägerschriftsatz vom 13.8.2021 Rn. 176 sowie erstes Gutachten Prof. Dr. K. vom August 2021 S. 6, 30). Die Klägerinnen haben sich die Vorteile aus den Leerverkäufen nicht wie bei einer Versicherung durch die Zahlung von Prämien „erkauft“.
(b) Der von Prof. Dr. K. (erstes Gutachten S. 31 f.; zweites Gutachten S. 14 ff.) weiter angeführte Grundsatz, dass eine Vorteilsausgleichung nicht in Betracht kommt, wenn ein eigenes Verhalten des Geschädigten in Rede steht, zu dem er nicht nach § 254 Abs. 2 BGB verpflichtet war, ist im Streitfall ebenfalls nicht einschlägig. Diesem Grundsatz liegt die Erwägung zu Grunde, dass überpflichtmäßige Anstrengungen des Geschädigten den Schädiger nicht entlasten sollen (vgl. BGH, Urteile vom 16.2.1971 – VI ZR 147/69 –, BGHZ 55, 329, juris Rn. 12 ff.; vom 28.6.2011 – KZR 75/10 –, BGHZ 190, 145 Rn. 65; MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl. 2019, § 249 Rn. 273 f.). Das vorliegende Hedging, das Risiken durch Informationspflichtverletzungen der V. AG mit abdeckte und sich insofern auch auf entsprechende Pflichtverletzungen der Beklagten wegen ihrer Beteiligung an der V. AG erstreckte, war von vorneherein konstitutiver Teil des Investitionskonzepts der Klägerinnen. Daher ist es nicht mit überpflichtmäßigen Anstrengungen zur Schadensminderung vergleichbar (siehe auch die Fälle bei MüKoBGB/ Oetker, a.a.O. § 249 Rn. 274).
(c) Entgegen der Ansicht von Prof. Dr. K. (erstes Gutachten S. 38 ff.; zweites Gutachten S. 18 ff.) bedeutet die Vorteilsanrechnung im Streitfall nicht, dass eine Vorteilsanrechnung in jedem Fall geboten ist, in dem in einem Portfolio eine Position von der Informationspflichtverletzung bezüglich einer anderen Position profitiert. Denn der vorliegende Fall ist besonders gelagert. Eine Portfoliodiversifikation, bei der die Kurse einzelner gehaltener Wertpapiere in einer gegenläufigen Beziehung zueinander stehen, ist nicht mit dem vorliegenden Pair Trade in Form des „P. Discount“ vergleichbar. Die Klägerinnen haben bei dem „P. Discount“ gezielt Aktien von Gesellschaften ausgewählt, die eng und beinahe symbiotisch miteinander verflochten sind: Das Vermögen der Beklagten besteht ganz überwiegend aus Stammaktien der Streithelferin. Vor diesem Hintergrund haben die Klägerinnen eine verhältnismäßige Unterbewertung der Vorzugsaktien der Beklagten gesehen und ihr Investment „P. Discount“ gezielt unter Ausschaltung des V.-Kursrisikos (vollständiges Hedging wie festgestellt) auf den Spread zwischen Käufen und Leerverkäufen ausgerichtet. In erster Linie blieb nur das Risiko bezüglich kursrelevanter Ereignisse, die nicht die V. AG, sondern ausschließlich die Beklagte betreffen, bei den Klägerinnen (vgl. auch Beklagtenschriftsatz vom 31.5.2021 Rn. 8). Solche Ereignisse stehen aber nicht in Rede (siehe auch das Gutachten von Prof. Dr. K. vom 8.3.2022, S. 14). Die Beziehung zwischen den Käufen von P.-Vorzugsaktien und den Leerverkäufen von V.-Vorzugsaktien war erheblich enger, als wenn in einem diversifizierten Portfolio einige Wertpapiere von Fehlinformationen profitieren, während andere verlieren. Die Vorteilsanrechnung im vorliegenden Fall bedeutet daher entgegen der Ansicht von Prof. Dr. K. nicht, dass auch bei einer Portfoliodiversifikation Vorteile aus gegenläufigen Positionen anzurechnen wären, zumal es dort nicht um die „Eliminierung“ von Risiken geht, wie sie hier durch die gezielt gekoppelten Leerverkäufe von V.-Vorzugsaktien erfolgt ist (vgl. Schäfer in: Assmann/Schütze/ Buck-Heeb, KapAnlR-HdB, 5. Aufl. 2020, § 23 Rn. 81).
(5) Für die Zulassung der Vorteilsanrechnung auch bei Schadensersatzansprüchen aus § 37b Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. spricht im Übrigen noch die im Gesetz normierte zeitliche Begrenzung der Anspruchsberechtigung dahingehend, dass der Geschädigte bei Bekanntwerden der Insiderinformation noch Inhaber der Finanzinstrumente sein muss. Damit sind solche Anleger ausgeschlossen, die während der Zeit der Desinformation des Marktes sowohl das Kaufs- als auch das Verkaufsgeschäft tätigten. Schadensrechtlich gesehen handelt es sich beim Ausschluss der Weiterverkäufer um einen Fall der Vorteilsausgleichung, wenn man davon ausgeht, dass der Schaden bereits im Zeitpunkt der schadensverursachenden Transaktion entsteht (vgl. Hellgardt in: Assmann/Schneider/Mülbert, WpHR, 7. Aufl. 2019, § 97 WpHG Rn. 80; Weichert, Der Anlegerschaden bei fehlerhafter Kapitalmarktinformation, 2008, S. 123 f., 128 ff.). Der vorliegende Fall, dass die Risiken aus den Käufen von Vorzugsaktien der Beklagten sogleich zu wesentlichen Teilen durch Leerverkäufe von Vorzugsaktien der Streithelferin, an der die Beklagte hauptsächlich beteiligt ist, eliminiert worden sind, ist ähnlich gelagert wie das Verkaufsgeschäft während der Zeit der Desinformation, zumal die Klägerinnen ihre Schadensersatzansprüche auf den V.-Abgasskandal stützen und damit gerade auf solche Vorgänge, gegen die sie durch die Leerverkäufe abgesichert waren (insofern anders gelagert als § 37b Abs. 1 Nr. 1 WpHG a.F. die im zweiten Gutachten von Prof. Dr. K. vom 8.3.2022 S. 5 zitierten Vorschriften § 11 Abs. 2 WpPG, § 20 Abs. 2 VermAnlG und § 306 Abs. 1 S. 2 KAGB; zum Vorteilsausgleich beim Weiterverkauf zu einem Zeitpunkt, in dem die informationelle Schieflage noch nicht vollständig beseitigt ist, Möllers/Leisch in: Kölner Kommentar zum WpHG, 2. Aufl. 2014, §§ 37b, c Rn. 372; Weichert, a.a.O. S. 212 f.; zur Vorteilsanrechnung bei Ansprüchen aus §§ 45 ff. BörsG a.F. BGH, Beschluss vom 15.12.2020 – XI ZB 24/16 –, BGHZ 228, 133 Rn. 160).
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1, § 100 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 S. 1 und 2, § 709 S. 2 ZPO. Es ist kein Grund gegeben, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen. Das Urteil beruht auf einer Einzelfallwürdigung, insbesondere in schadensrechtlicher Hinsicht. So sind die tatsächlichen Feststellungen, welche die Vorteilsanrechnung tragen, durch den Einzelfall geprägt (Pair Trade „P. Discount“). Dass nach diesen Feststellungen eine Vorteilsanrechnung durchzuführen ist, ist nach den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zweifelhaft, auch wenn Prof. Dr. K. dazu in seinen beiden von den Klägerinnen vorgelegten Parteigutachten eine andere Auffassung vertritt (vgl. Musielak/Voit/Ball, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 543 Rn. 5a).
I. Einleitung
Das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 12. April 2022 behandelt eine zentrale Frage des Kapitalmarktrechts: die Anrechenbarkeit von Vorteilen aus Hedging-Positionen (Leerverkäufe) im Rahmen eines Kursdifferenzschadens. Der Fall steht im Kontext des Diesel-Skandals und befasst sich mit Schadensersatzansprüchen aufgrund unterlassener Ad-hoc-Mitteilungen (§ 37b WpHG a.F.). Dabei werden rechtlich bisher wenig behandelte Fragen zur Vorteilsanrechnung und deren Grenzen aufgeworfen. Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die Praxis der Emittentenhaftung und das Schadensersatzrecht.
II. Sachverhalt
Die Kläger, institutionelle Investoren aus den USA, hatten Vorzugsaktien der Porsche Automobil Holding SE (PSE) erworben, deren Kurs durch das Bekanntwerden des Diesel-Skandals erheblich fiel. Parallel dazu erzielten sie durch Leerverkäufe von VW-Vorzugsaktien – einer Tochtergesellschaft der PSE – Gewinne, da diese ebenfalls an Kurswert verloren. Die Kläger machten geltend, die PSE habe durch die unterlassene Veröffentlichung von Insiderinformationen ihre Ad-hoc-Pflichten verletzt, was zu einem Kursdifferenzschaden führte. Die Beklagte berief sich auf die Anrechnung der Leerverkaufsgewinne, da beide Transaktionen Teil eines einheitlichen Anlagekonzepts („Pair Trade“) waren.
III. Entscheidungsinhalt
Das OLG Stuttgart entschied, dass die im Rahmen des Pair-Tradings erzielten Gewinne aus Leerverkäufen auf VW-Vorzugsaktien im Wege der Vorteilsanrechnung den Kursdifferenzschaden kompensieren. Die Begründung stützt sich auf zwei Hauptpunkte:
-
Adäquat-kausaler Zusammenhang: Der Senat nahm an, dass die Gewinne aus den Leerverkäufen und die Verluste aus dem Kursrückgang der PSE-Aktien durch die einheitliche Investitionsstrategie („Pair Discount Trading“) adäquat kausal miteinander verbunden seien.
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Zweck des Schadensersatzes: Der Senat argumentierte, dass die Vorteilsanrechnung den Geschädigten nicht unzumutbar belaste und den Schädiger nicht unbillig entlaste, da die Positionen symbiotisch miteinander verflochten seien.
IV. Würdigung
1. Kursdifferenzschaden und Hedging-Positionen
Die Frage, ob Gewinne aus Hedging-Positionen bei der Berechnung eines Kursdifferenzschadens anzurechnen sind, war bisher kaum Gegenstand der Rechtsprechung. Hedging dient der Absicherung von Risiken und ähnelt funktional einer Versicherung. Der Senat behandelt die Gewinne aus Leerverkäufen jedoch nicht als Versicherungsleistung, sondern ordnet sie aufgrund der Verklammerung durch das einheitliche Anlagekonzept der Vorteilsanrechnung zu.
-
Adäquat-kausaler Zusammenhang: Die Herleitung eines adäquaten Zusammenhangs zwischen dem schädigenden Ereignis (unterlassene Ad-hoc-Mitteilung) und den Vorteilen überzeugt nicht. Zwar besteht ein Zusammenhang zwischen den Leerverkäufen und dem Kursrückgang, jedoch fehlt der direkte Bezug zur Pflichtverletzung. Der Senat verkennt, dass die Gewinne aus Leerverkäufen unabhängig von der Insiderinformation hätten realisiert werden können.
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Zweck des Schadensersatzes: Die Entscheidung des Senats lässt den Zweck des Schadensersatzes – insbesondere die vollständige Kompensation und Entscheidungsfreiheit des Anlegers – unberücksichtigt. Hätte die PSE ihre Ad-hoc-Pflichten erfüllt, wären die Gewinne aus den Leerverkäufen möglicherweise geringer ausgefallen oder gar nicht entstanden.
2. Abgrenzung zu anderen Fallgruppen
Die Entscheidung orientiert sich an Fällen der Anlageberatung, etwa der Verklammerung von Geschäften durch ein Beratungsgespräch (BGH Urt. vom 18.10.2018 - III ZR 497/16). Dies ist sachlich unzutreffend, da das Pair-Trading strukturell auf die Verknüpfung von Long- und Short-Positionen abzielt. Ein Vergleich mit Versicherungsleistungen wäre naheliegender gewesen. Hierbei wird eine Vorteilsanrechnung regelmäßig abgelehnt, da der Geschädigte durch Prämienzahlungen oder Gebühren eine Gegenleistung erbracht hat.
3. Praktische Folgen und Kritik
Das Urteil hat erhebliche praktische Konsequenzen. Es öffnet die Tür zu einer weitreichenden Vorteilsanrechnung bei institutionellen Anlegern, die Hedging-Strategien verfolgen. Dies führt zu einer potenziellen Haftungslücke, da professionell hedgende Anleger keinen Schaden geltend machen könnten. Gleichzeitig benachteiligt es Laieninvestoren, die keine Hedging-Positionen aufbauen.
V. Abweichende Meinungen und Problemkreise
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Vergleich mit Versicherungsfällen: Die Vorteilsanrechnung bei Hedging-Positionen wird teilweise in der Literatur abgelehnt, da diese funktional einer Privatversicherung entsprechen.
-
Unterschiedliche Maßstäbe bei Anlegergruppen: Die Entscheidung benachteiligt institutionelle Anleger, die durch Hedging abgesicherte Verluste nicht geltend machen können, während Laieninvestoren nicht in den Anwendungsbereich der Vorteilsanrechnung fallen.
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Unklarheiten bei der Verklammerung: Die Rechtsprechung fordert eine enge Verklammerung von Geschäften, was zu Abgrenzungsschwierigkeiten führt. Der Begriff der „symbiotischen Verflechtung“ bleibt unklar und schafft Unsicherheiten.
-
Normzweck des § 37b WpHG: Die Entscheidung vernachlässigt die Bedeutung der Entscheidungsfreiheit des Anlegers als zentralen Normzweck. Eine differenziertere Betrachtung wäre erforderlich gewesen.
VI. Fazit und Ausblick
Das Urteil des OLG Stuttgart wirft wichtige Fragen zum Verhältnis von Vorteilsanrechnung und Schadensersatz auf. Die Entscheidung überzeugt weder in der Begründung noch im Ergebnis vollständig. Sie verdeutlicht die Notwendigkeit einer präziseren Abgrenzung von Fällen der Vorteilsanrechnung, insbesondere bei Hedging-Strategien. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH zu einer klareren Linie findet und institutionelle Anleger nicht faktisch von Schadensersatzansprüchen ausschließt. Das Urteil könnte künftig als Ausgangspunkt für eine differenziertere Betrachtung von Vorteilsanrechnungen im Kapitalmarktrecht dienen.


Annotations
BUNDESGERICHTSHOF
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. September 2018 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, die Richter Tombrink und Dr. Remmert sowie die Richterinnen Dr. Arend und Dr. Böttcher
für Recht erkannt:
Tatbestand
- 1
- Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung im Zusammenhang mit der Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds in Anspruch.
- 2
- Der Kläger beteiligte sich mit Beitrittserklärung vom 25. April 2005 in Höhe von 20.000 € zuzüglich 5 % Agio an der Immobilienfonds P. GmbH & Co. KG (im Folgenden: niederländischer Fonds). Am selben Tag erwarb er Anteile an einem weiteren Immobilienfonds - Renditefonds C. GmbH & Co. KG (im Folgenden kanadischer Fonds) - im Gegenwert von 60.000 € ebenfalls zuzüglich 5 % Agio. Des Weiteren investierte er in das Anlagemodell "C. M. ". Der Kläger folgte damit - wenn auch der Höhe nach mit abweichenden Beträgen - drei von vier Anlagevorschlägen des damals für die Beklagte als selbständiger Handelsvertreter tätigen Anlageberaters R. .
- 3
- Der niederländische Fonds entwickelte sich negativ, während der inzwischen vollständig abgewickelte kanadische Fonds erhebliche Gewinne abwarf.
- 4
- Der Kläger verlangt, soweit im vorliegenden Verfahren noch von Bedeutung , die Rückzahlung seiner Einlage in den niederländischen Fonds nebst Agio Zug-um-Zug gegen Übertragung der Beteiligung sowie Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und ihrer Verpflichtung, ihn von allen Schäden und Nachteilen aus der Beteiligung freizustellen. Er behauptet, der Berater habe die gezeichneten Anlagen, dem von ihm verfolgten Anlageziel entsprechend, als "absolut sicher" dargestellt, während sie tatsächlich hoch spekulativ und mit einem Totalverlustrisiko behaftet seien. In Bezug auf die streitige Beteiligung habe der Berater ihn über zahlreiche Risiken, unter anderem die Haftung gemäß § 172 Abs. 4 HGB und das Währungsrisiko, nicht aufgeklärt. Auch bei dem kanadischen Immobilienfonds sei er über die gleichartigen Risiken nicht aufgeklärt worden. Anderenfalls hätte er beide Anlagen nicht gezeichnet.
- 5
- Die Beklagte ist dem entgegen getreten.
- 6
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und die Beklagte - unter Anrechnung von Ausschüttungen - unter anderem zur Leistung von Schadensersatz verurteilt. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
- 7
- Die Revision ist weitgehend begründet.
I.
- 8
- Das Berufungsgericht hat - soweit für das vorliegende Verfahren von Interesse - ausgeführt, der Handelsvertreter R. habe den Kläger in Bezug auf den niederländischen Immobilienfonds weder über das Risiko des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung noch über das sich aus der Vereinbarung eines auf Schweizer Franken bezogenen Swaps ergebende Währungsrisiko aufgeklärt. Der Beratungsfehler sei für die Anlageentscheidung des Klägers ursächlich gewesen. Der Kläger sei daher so zu stellen, wie er stünde, hätte er die Beteiligung nicht gezeichnet. Er müsse sich entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung auch nicht die - die Verluste übersteigenden - Gewinne aus dem am selben Tag gezeichneten kanadischen Immobilienfonds als Vorteil anrechnen lassen. Bei der fehlerhaften Beratung über mehrere verschiedene Fondsbeteiligungen nebst anschließendem Beitritt des Anlegers zu den jeweils empfohlenen Fondsgesellschaften handele es sich selbst dann um kein einheitliches , sondern um mehrere selbständige Schadensereignisse, wenn die Beratung in einem einzigen Gespräch erfolge. Das Oberlandesgericht hat die Revision zugelassen und dazu in den Gründen ausgeführt, die Rechtsfrage, ob bei taggleich erfolgter Empfehlung und Zeichnung zweier Beteiligungen an jeweils einem geschlossenen Immobilienfonds die aus der einen Beteiligung erwachsenen Renditen mit den aus der anderen Beteiligung erwachsenen Verlusten zu verrechnen seien, sei - soweit ersichtlich - bislang höchstrichterlich nicht entschieden.
II.
- 9
- Die dagegen gerichtete Revision führt zur teilweisen Aufhebung des Berufungsurteils und zur weitgehenden Wiederherstellung der klageabweisenden landgerichtlichen Entscheidung.
- 10
- 1. Das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision wirksam auf die Frage der Schadensberechnung beschränkt.
- 11
- Die Zulassung der Revision kann auf einen selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs beschränkt werden (z.B. Senatsbeschluss vom 1. September 2016 - III ZR 271/15, juris Rn. 4; Senatsurteil vom 7. Juli 1983 - III ZR 119/82, juris Rn. 11, insoweit in BGHZ 88, 885 ff nicht abgedruckt mwN). Die Eingren- zung der Rechtsmittelzulassung kann sich bei - wie hier - uneingeschränkter Zulassung im Tenor auch aus den Entscheidungsgründen ergeben. Dies kann der Fall sein, wenn die Zulassung nur wegen einer bestimmten Rechtsfrage ausgesprochen wird (Senatsbeschluss vom 27. März 2014 - III ZR 387/13, juris Rn. 4 m.zahlr.w.N.; Senatsurteil vom 19. Juli 2012 - III ZR 308/11, WM 2012, 1574 Rn. 8; BGH, Urteil vom 27. September 2011 - II ZR 221/09, WM 2011, 2223 Rn. 18). Bezieht sich die Rechtsfrage, zu deren Klärung das Berufungsgericht die Revision zugelassen hat, auf einen abtrennbaren Teil des Streitstoffs, ist die Entscheidung grundsätzlich so auszulegen, dass das Berufungsgericht die Revision lediglich beschränkt auf diesen Teil des Streitgegenstands zugelassen hat (z.B. BGH, Urteil vom 27. September 2011 aaO mwN). Demgegenüber ist eine Beschränkung der Zulassung auf einzelne Rechtsfragen oder Anspruchselemente nicht zulässig (z.B. Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2010 - III ZR 127/10, WM 2011, 526 Rn. 5 m.zahlr.w.N.; BGH, Urteil vom 10. Juli 2015 - V ZR 198/14, NJW 2015, 3371 Rn. 7).
- 12
- Den Gründen des Berufungsurteils ist zu entnehmen, dass es dem Oberlandesgericht bei der Zulassungsentscheidung allein auf die Klärung der Frage der Anrechnung von Renditen aus einer anderen Beteiligung auf den geltend gemachten Schaden ankam.
- 13
- Die Beschränkung der Revisionszulassung auf diese Frage ist zulässig. Es handelt sich um einen rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil des Streitstoffs, auf den die Beklagte selbst ihre Revision hätte begrenzen können (vgl. dazu etwa Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2010 aaO). Voraussetzung dafür ist eine Selbständigkeit des von der Zulassungsbeschränkung erfassten Teils des Streitstoffs in dem Sinne, dass dieser in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem übrigen Prozessstoff beurteilt werden kann und auch im Falle einer Zurückverweisung kein Widerspruch zum nicht anfechtbaren Teil des Streitstoffs auftreten kann (Senat aaO mwN; BGH, Urteile vom 23. September 2003 - XI ZR 135/02, WM 2003, 2232, 2233 und vom 29. Januar 2003 - XII ZR 92/01, BGHZ 153, 358, 362). Es muss sich indessen weder um einen eigenen Streitgegenstand handeln, noch muss der betroffene Teil des Streitstoffs auf der Ebene der Berufungsinstanz teilurteilsfähig sein (Senat aaO; BGH, Urteil vom 25. Januar 1995 - XII ZR 195/93, NJW-RR 1995, 449 f).
- 14
- Die hier in Rede stehende Anrechnung von Vorteilen, die aus einer gleichzeitig mit der im Wege des Schadensersatzes rückabzuwickelnden Beteiligung abgeschlossenen vergleichbaren Kapitalanlage erzielt wurden, auf die geltend gemachten Verluste lässt sich ohne weiteres von den Voraussetzungen des Grundes des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs sowie der Höhe des aus der Investition erwachsenen Verlusts abgrenzen und kann in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht selbständig beurteilt werden, ohne dass insoweit ein Widerspruch zu befürchten ist. Streitig ist nur, ob beide zeitgleich geschlossenen Geschäfte bei der Berechnung des Schadens miteinander "verklammert" werden. Über diese Frage kann unabhängig von den übrigen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs entschieden werden.
- 15
- 2. Der Senat beurteilt die mit der zugelassenen Revision zu klärende Frage abweichend vom Berufungsgericht in dem Sinne, dass eine Anrechnung der mit der Renditefonds C. GmbH & Co. KG erzielten Rendite auf den in der Zeichnung der Kapitalanlage Immobilienfonds P. GmbH & Co. KG liegenden Schaden stattzufinden hat. Dies führt vorliegend zur weitgehenden Abweisung der Klage, weil der Kläger nach den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen, nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts mit dem inzwischen vollständig abgewickelten kanadischen Immobilienfonds einen Gewinn von umgerechnet 22.928,32 € erzielt hat, der über dem in den niederländischen Immobilienfonds investierten Betrag von 20.000 € nebst Agio und Steuerzahlungen (1.107 €) abzüglich der vom Berufungsgericht berücksichtigten Ausschüttungen von 4.332,06 und Teilrückzahlung des Agios in Höhe von 600 € liegt.
- 16
- a) Ob auf den infolge einer fehlerhaften Anlageberatung entstandenen Schaden Gewinne aus anderen - positiv verlaufenen - Anlagegeschäften angerechnet werden können, wird regelmäßig unter dem Aspekt der Vorteilsausgleichung erörtert.
- 17
- aa) Nach deren Grundsätzen sind dem Geschädigten diejenigen Vorteile anzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen (z.B. Senatsurteil vom 17. Juli 2014 - III ZR 226/13, BeckRS 2014, 15367, Rn. 23; BGH, Urteile vom 16. Januar 1990 - VI ZR 170/89, NJW 1990, 1360 und vom 15. November 1967 - VIII ZR 150/65, BGHZ 49, 56, 61 f.). Die vorteilhaften Umstände müssen mit dem schädigenden Ereignis in einem qualifizierten Zusammenhang stehen. Zu berücksichtigen ist ferner, ob eine Anrechnung dem Sinn und Zweck des Schadensersatzes entspricht und weder der Geschädigte unzumutbar belastet noch der Schädiger unbillig entlastet wird (Senatsurteile vom 17. Juli 2014 aaO; vom 15. Juli 2010 - III ZR 336/08, BGHZ 186, 205 Rn. 35; vom 17. November 2005 - III ZR 350/04, NJW 2006, 499 Rn. 7; vom 21. Dezember 1989 - III ZR 118/88, BGHZ 109, 380, 392 und vom 2. Oktober 1986 - III ZR 93/85, VersR 1987, 256).
- 18
- bb) Die Anrechnung von Renditen aus einem anderen Investment auf den geltend gemachten Schaden wird nicht einheitlich beurteilt.
- 19
- (1) Es wird vertreten, dass dann, wenn eine Kapitalanlage aus unterschiedlichen selbständigen Anlageformen besteht, eine Anrechnung von Vorteilen (Erträgen) aus einer anderen Anlage nicht vorzunehmen ist (Heymann, HGB, 2. Aufl., Rn. III/34; Welter/Lang/Balzer, Handbuch der Informationspflichten im Bankverkehr, Rn. 7.84; Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankrechtspraxis, Bd. 4, Rn. 7/1340). Anderes soll jedoch gelten, wenn mehrere Anlagen unselbständige Teile eines einheitlichen Anlagekonzepts oder Anlagevorschlags sind (LG Traunstein, BKR 2013, 479, 480; Heymann aaO; Welter/Lang/Belzer aaO, Hellner/Steuer aaO; Edelmann, in: Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts , 4. Aufl., Rn. 133).
- 20
- Nach anderer Auffassung kommt eine Anrechnung in Betracht, wenn es um Anlageprodukte geht, bei denen gleichartige Aufklärungspflichtverletzungen betroffen sind, das heißt wenn eine ordnungsgemäße Aufklärung über das Verlustgeschäft zugleich eine solche über das gewinnbringende Geschäft beinhaltet hätte (Allmendinger/Tilp, Börsentermin- und Differenzgeschäfte, Rn. 845; ähnlich: OLG Düsseldorf, ZIP 2003, 471, 472).
- 21
- Für den Bereich der Finanztermingeschäfte wird überdies vertreten, für die Frage der Vorteilsanrechnung sei die "Fehleridentität" im Sinne einer echten Identität des Fehlers im ontologischen Sinn maßgeblich. Beruhten die verlustreichen und gewinnbringenden Geschäfte hingegen auf einer Mehrzahl wesensgleicher Beratungsfehler, reiche dies für eine Vorteilsanrechnung nicht aus (Jahn/Reiner, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch, 5. Aufl., § 114 Rn. 49; Reiner/Schacht, WuB I G 1.-10.14, S. 415).
- 22
- (2) In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist die Frage der Vorteilsanrechnung bei Kapitalanlagegeschäften vor allem bei - gegebenenfalls durch einen Rahmenvertrag miteinander verbundenen - Verträgen über Swap-Geschäfte diskutiert und unterschiedlich beantwortet worden. Das Oberlandesgericht Koblenz hat im Falle zu verschiedenen Zeiten getätigter Swap-Geschäfte die Anrechnung von Vorteilen aus positiv verlaufenen Geschäften abgelehnt (Urteil vom 5. November 2015 - 8 U 1247/14, juris Rn. 65), wohingegen das Oberlandesgericht München eine andere Auffassung vertreten hat (WM 2013, 369, 373), wobei dort allerdings die Besonderheit bestand, dass der Rahmenvertrag ausdrücklich vorsah, dass die Einzelabschlüsse untereinander einen einheitlichen Vertrag bildeten.
- 23
- (3) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist über die Anrechnung von Vorteilen aus gewinnbringend verlaufenen Investitionen auf Verluste, die durch pflichtwidrige Anlageberatungen beziehungsweise darauf beruhende -entscheidungen verursacht wurden, jeweils in Abhängigkeit von den Besonderheiten der zu beurteilenden Fallgestaltungen entschieden worden.
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- Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sich im Zusammenhang mit der Anfechtung von über ein Girokonto abgewickelten Devisenoptionsgeschäften (Urteile vom 22. Januar 2013 - XI ZR 471/11, NJW-RR 2013, 948 Rn. 11, und XI ZR 472/11, juris Rn. 11) und der Verletzung von Aufklärungspflichten bei dem Abschluss von Swap-Geschäften (Urteile vom 22. März 2016 - XI ZR 425/14, NJW 2016, 2949 Rn. 39 ff und vom 28. April 2015 - XI ZR 378/13, BGHZ 205, 117 Rn. 84 ff) zu der Frage der Vorteilsausgleichung geäußert. Die Gleichförmigkeit einer möglichen (Aufklärungs-)Pflichtverletzung führe nicht dazu, dass verschiedene selbständige Schadensereignisse zu einem ein- zigen Schadensereignis verbunden würden (BGH, Urteile vom 22. Januar 2013 jeweils aaO). Sei Schadenereignis eine Beratungspflichtverletzung anlässlich des Abschlusses konkreter Swap-Geschäfte, könnten Vorteile, die aus zu anderen Zeiten geschlossenen Swap-Verträgen aufgrund einer gesonderten Beratung resultierten, mangels Nämlichkeit des Schadensereignisses im Zuge der Vorteilsausgleichung keine Berücksichtigung finden (BGH, Urteil vom 28. April 2015 aaO Rn. 85; Urteile vom 22. Januar 2013 jeweils aaO). Die Anrechnung eines Vorteils aus der Ablösung eines ungünstigen Zins-Swap-Vertrags hat der XI. Zivilsenat hingegen bejaht, wenn der geschädigte Anleger aufgrund eines auf einem Beratungsfehler beruhenden Willensentschlusses zugleich mit dem Abschluss eines (neuen) Zinssatz-Swap-Vertrags und wegen desselben einen anderen früher abgeschlossenen, ihm nachteiligen Zins-Swap-Vertrag ablöst, sofern nicht schon der Abschluss dieses früheren Vertrags auf einer pflichtwidrigen Willensbeeinflussung des Anlegers beruhte (Urteil vom 22. März 2016 aaO Rn. 44).
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- Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat eine Anrechnung von Vorteilen auf Verluste aus einer Reihe von gleichartigen unzulässigen Spekulationsgeschäften , die die im dortigen Verfahren von einer Gesellschaft verklagten Vertreter eines ihrer Organe pflichtwidrig abgeschlossen hatten, vorgenommen (Urteil vom 15. Januar 2013 - II ZR 90/11, NJW 2013, 1958 Rn. 26 f). Dies hat er damit begründet, dass zwar die Vor- und die Nachteile auf unterschiedlichen haftungsbegründenden Ereignissen beruhten, weshalb kein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen den Verlustgeschäften und den Geschäften mit Gewinn bestehe. Das Gebot der Vorteilsausgleichung ergebe sich aber unter anderem aus dem Bereicherungsverbot. Die Gesellschaft solle sich nicht aufgrund eines Fehlers des Organmitglieds auf dessen Kosten bereichern. Die Gesellschaft verhielte sich treuwidrig und widersprüchlich, wenn sie das Organ- mitglied für einen Fehler ersatzpflichtig mache, aber die Vorteile behalte, wenn es den gleichen Fehler erneut begehe und aus diesem ein Gewinn erwachse. Eine solche Anrechnung von Gewinnen und Verlusten belaste die Gesellschaft nicht unzumutbar und begünstige das Organ nicht unbillig. Sie entspreche auch der gesetzlichen Wertung für einen unberechtigten Geschäftsführer, der ohne Auftrag handele (aaO Rn. 27 mwN).
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- b) Ungeachtet dessen, ob die Grundsätze der Vorteilsanrechnung in der vorliegenden Fallgestaltung unmittelbar oder mit Blick auf die unterschiedlichen Entstehungszeitpunkte von Schaden und Vorteil bei den beiden Anlagegeschäften (Schadenseintritt zum Zeitpunkt der Zeichnung des negativ verlaufenden Fonds einerseits und Vorteilsentstehung während der Geschäftstätigkeit der lukrativen Fondsgesellschaft andererseits) nur entsprechend Anwendung finden können, erfordert die Betrachtung aller im hier zu beurteilenden Einzelfall maßgeblichen Umstände eine Verrechnung der mit dem kanadischen Immobilienfonds erzielten Gewinne auf den vom Kläger durch die Zeichnung des niederländischen Immobilienfonds erlittenen Verlust.
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- Dabei fällt vor allem ins Gewicht, dass beide Immobilienfonds Gegenstand eines einheitlichen Beratungsgesprächs waren, dem wiederum ein umfassender Vorschlag des Beraters zur Neuordnung des Vermögens des Klägers (sogenannte "Asset Allocation", Anlage K 1) zugrunde lag. Beide Anlageentscheidungen wurden durch das Beratungsgespräch miteinander "verklammert". Insoweit stellten sich die ihrer Struktur nach gleichartigen und in ihren Risiken vergleichbaren Investments letztlich als "Paket" dar. Im Ergebnis hat der Kläger eine aus mehreren Komponenten bestehende einheitliche Anlageentscheidung getroffen, auch wenn die Anlagen für sich betrachtet nicht voneinander abhingen und die Beteiligungserklärungen separat unterzeichnet wurden. Hinzu kommt, dass der Anlageberater bei dem Beratungsgespräch eine beide Anlagen gleichermaßen betreffende Aufklärungspflichtverletzung begangen hat. Das Berufungsgericht hat insoweit die - aufgrund der beschränkten Revisionszulassung von der Beklagten nicht mit Erfolg angegriffene - Feststellung getroffen, dass der Berater R. den Kläger in Bezug auf die Beteiligung an der Immobilienfonds P. GmbH & Co. KG unter anderem nicht über das aufklärungspflichtige Risiko des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung gemäß § 172 Abs. 4 HGB informierte. Nach dem Sachvortrag des Klägers wies der kanadische Immobilienfonds gleichartige Risiken auf, über die eine Aufklärung ebenso wenig erfolgte. Es muss daher - das Klägervorbringen als zutreffend unterstellt - davon ausgegangen werden, dass beide Anlageentscheidungen auf demselben - inhaltlich identischen - Beratungsfehler beruhten. Dies wird - ebenso wie die Einheitlichkeit der Anlageentscheidung - dadurch bestätigt, dass der Kläger selbst vorgetragen hat, er hätte bei zutreffender Aufklärung beide Fonds nicht gezeichnet.
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- Jedenfalls aus der Kumulation der aufgezeigten Umstände - dieselbe Beratungssituation, umfassendes Anlagekonzept, gleichartige Kapitalmarktprodukte , Identität des Aufklärungsfehlers und Gesamtentscheidung des Klägers über die Eingehung der Anlagen - ergibt sich, dass auch die Rückabwicklung der beiden zeitgleich abgeschlossenen Geschäfte nicht getrennt voneinander erfolgen darf. Bei einer wertenden Betrachtung muss daher die Entwicklung, die beide Fonds genommen haben, im Sinne einer Gesamtsaldierung in die Schadensberechnung einbezogen werden.
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- Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung maßgeblich von derjenigen, über die der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs im Zusammenhang mit verschiedenen Swap-Geschäften zu entscheiden hatte. Jener hat zwar eine Anrechnung von Vorteilen aus anderen Geschäftsabschlüssen auf den dort geltend gemachten Schaden allein wegen der Gleichförmigkeit der Pflichtverletzung und der Gleichartigkeit der Geschäfte verneint (BGH, Urteil vom 28. April 2015 aaO Rn. 85; ähnlich: Urteile vom 22. Januar 2013 jeweils aaO). Anders als hier waren die - im Ergebnis gleichartigen - Anlageentscheidungen aber zeitlich gestaffelt, aufgrund jeweils neuer Beratungssituationen und damit klar voneinander abgegrenzt getroffen worden.
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- Durch eine Anrechnung der Gewinne aus der gleichzeitig gezeichneten Beteiligung wird die Beklagte als Schädigerin auch nicht unbillig entlastet. Die Entscheidung des Klägers, beide Anlagen zu tätigen, beruhte auf derselben Beratung, die ihm im Ergebnis aufgrund der positiven Entwicklung des kanadischen Fonds teilweise zugutekam. In dem Umstand, dass sich ein einheitlicher Fehler in einem einheitlichen Beratungsgespräch unterschiedlich auf mehrere Anlageentscheidungen auswirken kann, kann entgegen der Ansicht des Klägers grundsätzlich auch kein Anreiz zur Falschberatung liegen. Ob dies anders zu bewerten wäre, wenn sich Anhaltspunkte für ein gezieltes Vorgehen des Beraters ergeben, durch die Art und Weise der Gestaltung des Beratungsvorgangs trotz eines Aufklärungsfehlers einer etwaigen Haftung zu entgehen, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. Dem Sachvortrag lassen sich entsprechende Hinweise nicht entnehmen.
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- Die vom Klägervertreter im Verhandlungstermin im Hinblick auf die Vielzahl denkbarer Fallgestaltungen geäußerten Bedenken, hat der Senat in seine Überlegungen einbezogen, sie jedoch nicht für durchgreifend erachtet. Gerade der insoweit vom Kläger herangezogene, aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gleichheitsgrundsatz gebietet es vielmehr, wesentlich unterschiedliche Sachverhaltskonstellationen ihrer Ungleichheit entsprechend unterschiedlich zu behandeln (st. Rspr. vgl. z.B. BVerfGE 3, 58, 135; BGH, Urteil vom 9. März 2016 - IV ZR 9/15, BGHZ 209, 201 Rn. 17), wobei die Würdigung der tatsächlichen Umstände weitgehend die Domäne des Tatrichters ist.
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- 4. Hingegen ist der auf die Freistellungsverpflichtung gerichtete Feststellungsausspruch angesichts der beschränkten Zulassung der Revision und der damit einhergehenden Rechtskraft dem Grunde nach insoweit aufrechtzuerhalten , als ein die bestehenden Vorteile übersteigender künftiger Schaden des Klägers in Betracht kommt. Hierfür müssen dem Kläger allerdings Nachteile entstehen, die die Differenz zwischen den für den Erwerb der Kapitalanlage an dem niederländischen Fonds nebst Agio und Steuern (zusammen 21.107 €) aufgewandten Kosten einerseits und dem Gewinn aus der Beteiligung an dem kanadischen Fonds (22.928,32 €), den Ausschüttungen in Höhe von 4.332,06 € sowie der Teilerstattung des Agios von 600 € andererseits, das heißt 6.753,38 €, übersteigen.
III.
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- Das Berufungsurteil war daher gemäß § 562 Abs. 1 ZPO teilweise aufzuheben. Da der Rechtsstreit zur Entscheidung reif ist, konnte der Senat gemäß § 563 Abs. 3 ZPO selbst in der Sache entscheiden.
Arend Böttcher
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 06.01.2016 - 11 O 118/15 -
OLG Celle, Entscheidung vom 22.09.2016 - 11 U 13/16 -