Kindergeld: Anspruch bis zum Abschluss des dualen Studiums?

bei uns veröffentlicht am03.07.2014

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Absolviert ein volljähriges Kind eine Ausbildung, die mit einem Bachelor-Studium kombiniert ist (duales Studium), liegt insgesamt eine - zum Kindergeld berechtigende - Erstausbildung vor.
Das gilt nach Auffassung des Finanzgerichts Münster auch dann, wenn zuerst die Ausbildung und anschließend das Studium beendet wird.

Im Streitfall lehnte die Familienkasse den Kindergeldantrag für die Zeit nach Abschluss der Prüfung zum Industriekaufmann ab. Begründung: Das Studium sei nicht begünstigt, weil das Kind eine Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von mehr als 20 Stunden pro Woche ausübe. Für das Finanzgericht Münster indes ist die 20-Stunden-Grenze hier nicht relevant, weil die Berufsausbildung im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses erfolgt. Entsprechend der Stellenausschreibung habe sich das Kind mit dem Abschluss „Industriekaufmann“ noch nicht als endgültig „berufsausgebildet“ angesehen.

Hintergrund: Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums ist eine Erwerbstätigkeit für den Kindergeldanspruch grundsätzlich schädlich. Der Gesetzgeber lässt aber auch Ausnahmen zu. Für den Kindergeldanspruch unschädlich sind:

• Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit,

• ein Ausbildungsdienstverhältnis oder

• ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis.

Wie duale Studiengänge beim Kindergeld letztlich behandelt werden, wird der Bundesfinanzhof entscheiden müssen. Zu dieser Rechtsfrage sind nämlich bereits einige Verfahren anhängig (FG Münster, 4 K 635/14 Kg; Rev. BFH, z.B. III R 52/13; XI R 1/14).

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Referenzen

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die Mutter ihres 1988 geborenen Sohnes (S). S nahm nach dem Abitur ein duales Hochschulstudium zum Bachelor im Studiengang Steuerrecht auf, das am 29. Februar 2012 enden sollte. Parallel dazu absolvierte er in einer Steuerberatungskanzlei eine studienintegrierte praktische Ausbildung zum Steuerfachangestellten, die er am 1. August 2008 begann und im Juni 2011 mit der Prüfung zum Steuerfachangestellten beendete. Im März 2013 beendete S erfolgreich sein Bachelorstudium.

2

Nach Beendigung seiner Ausbildung zum Steuerfachangestellten arbeitete S ab 1. August 2011 mehr als 20 Stunden pro Woche in einer anderen Steuerberatungskanzlei. Nach deren Erklärungen vom 12. April 2012 und 12. Juni 2012 setzte S dort seine Ausbildung durch eine studienbegleitende Betreuung fort. Ein schriftlicher Vertrag über Inhalt und Umfang der Tätigkeit bestand nicht. Die Entlohnung entsprach der eines Steuerfachangestellten.

3

Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) hob die gegenüber der Klägerin erfolgte Kindergeldfestsetzung für S mit Bescheid vom 16. Februar 2012 ab 1. Januar 2012 auf und forderte das für die Monate Januar und Februar 2012 bereits ausbezahlte Kindergeld von der Klägerin zurück. Der hiergegen eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 31. Juli 2012 zurückgewiesen.

4

Auf die dagegen gerichtete Klage hob das Finanzgericht (FG) den Aufhebungsbescheid und die Einspruchsentscheidung mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 57 veröffentlichten Gründen auf.

5

Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, dass S mit der bestandenen Prüfung zum Steuerfachangestellten seine Erstausbildung beendet habe. Die anschließend aufgenommene Vollzeittätigkeit in einer Steuerberatungskanzlei sei daher nach § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung anspruchsschädlich gewesen.

6

Die Familienkasse beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

8

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. § 121 FGO).

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision der Familienkasse ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

10

1. Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass S im Streitzeitraum Januar 2012 bis August 2012 (Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung vom 31. Juli 2012) beim Kindergeldanspruch der Klägerin nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zu berücksichtigen ist, weil er das 18. Lebensjahr, aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hatte und für einen Beruf ausgebildet wurde.

11

Die durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 1. November 2011 (BGBl I 2011, 2131, BStBl I 2011, 986) bewirkte Änderung des § 32 Abs. 4 Satz 2 ff. EStG berührt den in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verwendeten Begriff der Berufsausbildung nicht (s. hierzu auch die Gesetzesbegründung in BRDrucks 54/11, S. 56, wonach eine Einschränkung dieses Berufsausbildungsbegriffs nicht erfolgen sollte). Das von S durchgeführte Studium bildet daher einen Berücksichtigungstatbestand, unabhängig davon, ob es sich um eine Erst- oder Zweitausbildung handelte (Senatsurteil vom 27. Januar 2011 III R 57/10, BFH/NV 2011, 1316). Anhaltspunkte dafür, dass S sich im Streitzeitraum Januar 2012 bis August 2012 nicht ernsthaft und nachhaltig auf sein Berufsziel vorbereitet hatte (s. zu dieser Anforderung z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. Oktober 2012 VI R 102/10, BFH/NV 2013, 366; vom 22. November 2012 V R 60/10, BFH/NV 2013, 531; Senatsurteil vom 22. Dezember 2011 III R 67/10, BFH/NV 2012, 930), wurden vom FG nicht festgestellt.

12

2. Zutreffend ist das FG auch davon ausgegangen, dass nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG eine Erwerbstätigkeit nicht nur dann schädlich sein kann, wenn das zu berücksichtigende Kind neben einer erstmaligen Berufsausbildung zusätzlich (kumulativ) ein Erststudium abgeschlossen hat.

13

a) Das FG legte insoweit noch den im Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 zugrunde, wonach ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung und eines Erststudiums in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt wird, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Das FG hat den Begriff "und" implizit so interpretiert, dass es sich hierbei um alternative und nicht um kumulative Voraussetzungen handelt. Anderenfalls hätte sich die vom FG behandelte Abgrenzungsfrage, ob mit dem Abschluss der Ausbildung zum Steuerfachangestellten eine neben dem Studium ausgeübte Erwerbstätigkeit kindergeldschädlich ist, nicht gestellt.

14

b) Der Senat hat indes die mittlerweile eingetretene Rechtsänderung zu berücksichtigen (s. hierzu Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 118 FGO Rz 78, m.w.N.) und bereits § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. des Art. 2 Nr. 13 des Gesetzes zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 26. Juni 2013 (BGBl I 2013, 1809, BStBl I 2013, 802, Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz --AmtshilfeRLUmsG--) anzuwenden. Danach wird ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Die Regelung trat rückwirkend zum 1. Januar 2012 in Kraft (Art. 31 Abs. 2 AmtshilfeRLUmsG).

15

c) Offen bleiben kann, ob die durch das AmtshilfeRLUmsG bewirkte Änderung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG eine unzulässige Rückwirkung im Sinne der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- (Beschluss vom 17. Dezember 2013  1 BvL 5/08, BGBl I 2014, 255) enthält. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, müsste der dann geltende § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 in dem Sinne ausgelegt werden, wie es das FG getan hat.

16

aa) Das BVerfG entscheidet in diesen Fällen allein über die Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung, nicht über die verbindliche Auslegung des einfachen Rechts, das der Gesetzgeber rückwirkend ändern wollte. Hält das BVerfG die Rückwirkung für verfassungswidrig, ist es weiterhin der Fachgerichtsbarkeit aufgegeben, den Inhalt der alten Rechtslage durch Auslegung zu klären. Dabei kann sich auch ergeben, dass die Norm gerade so zu verstehen ist, wie es der Gesetzgeber nachträglich festgestellt wissen wollte (s. im Einzelnen BVerfG-Beschluss in BGBl I 2014, 255, unter B.II.2.b cc (1) (b)).

17

bb) Nach Auffassung des Senats ist auch die ursprüngliche Formulierung ("und" statt "oder") nicht als eine Aufzählung verschiedener Tatbestandsvoraussetzungen zu verstehen. Zwar sollte bei der sprachlichen Fassung von Gesetzestexten das Wort "und" immer dann verwendet werden, wenn in einer Rechtsvorschrift verschiedene Tatbestandsvoraussetzungen oder Rechtsfolgen kumulativ festgelegt werden sollen (s. Rz 90 des Handbuchs der Rechtsförmlichkeiten, Bundesanzeiger Nr. 160a vom 22. Oktober 2008). Die Gesetzeshistorie spricht jedoch dafür, dass dies im vorliegenden Fall nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprach. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Steuervereinfachungsgesetz 2011 (BRDrucks 54/11, S. 6) verwendete noch den Ausdruck "oder". Auch in der Gesetzesbegründung wurde ausgeführt, dass zukünftig eine Erwerbstätigkeit nur noch bis zum Abschluss der ersten Berufsausbildung oder eines Erststudiums eines Kindes außer Betracht bleiben soll (BRDrucks 54/11, S. 55 f.). Der Finanzausschuss des Bundestags empfahl hingegen, den Ausdruck "oder" durch das Wort "und" zu ersetzen (BTDrucks 17/6105, S. 12), um die Formulierung an § 12 Nr. 5 EStG anzupassen (BTDrucks 17/6146, S. 14). Dem folgte der Bundestag (BRDrucks 360/11, S. 5). In der Folge wies der Finanzausschuss des Bundesrates darauf hin, dass der verwendeten Formulierung im Rahmen des § 12 Nr. 5 EStG eine andere Bedeutung zukomme als im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Er führte zudem aus, dass eine kumulative Voraussetzung (Berufsausbildung und Erststudium) weder gewollt noch sinnvoll sei und deshalb zum ursprünglichen Wortlaut zurückzukehren sei (BRDrucks 360/1/11, S. 5). Dieser Anregung ist der Gesetzgeber zwar im weiteren Gesetzgebungsverfahren nach Durchführung des Vermittlungsverfahrens nicht gefolgt. Da jedoch nicht ersichtlich ist, dass mit dem Änderungsbegehren des Finanzausschusses des Bundestages eine über die bloße redaktionelle Anpassung an § 12 Nr. 5 EStG hinausgehende inhaltliche Änderung des Gesetzentwurfs bezweckt wurde, und sich ein derartiges Anliegen auch aus dem Vermittlungsverfahren (BTDrucks 17/7025, BRDrucks 568/11) nicht ergibt, geht der Senat davon aus, dass die Rückkehr zum ursprünglichen Wortlaut entweder nur wegen eines redaktionellen Versehens im Vermittlungsverfahren unterblieben ist oder der Begriff "und" nur zur Kennzeichnung eines Fallbeispiels (Erststudium als Unterfall der Erstausbildung) Verwendung finden sollte. Entsprechend wäre auch die ursprüngliche Gesetzesfassung trotz der Verwendung des Wortes "und" nicht im Sinne von kumulativen, sondern von alternativen Voraussetzungen zu lesen gewesen (ebenso Bering/Friedenberger NWB 2012, 278, 282, die die Formulierung im Sinne von "sowohl ... als auch" interpretieren; Felix, NJW 2012, 22, 24 f., wonach eine andere Auslegung ihrerseits verfassungsrechtliche Probleme aufwürfe).

18

3. Zu Recht ist das FG weiter davon ausgegangen, dass ein Kind, das ein duales Studium durchführt, seine Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG noch nicht mit der erfolgreichen Absolvierung der studienintegrierten praktischen Ausbildung im Lehrberuf (hier zum Steuerfachangestellten) beendet, sondern die Erstausbildung bis zum Abschluss des parallel zum Studium durchgeführten Bachelorstudiums fortdauert. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:

19

a) § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist dahin auszulegen, dass der Begriff des Erststudiums nur einen Unterfall des Oberbegriffes der erstmaligen Berufsausbildung darstellt.

20

Der Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG lässt zwar sowohl die Interpretation zu, dass durch den Begriff der erstmaligen Berufsausbildung nur Ausbildungsgänge erfasst werden, die kein Studium an einer Hochschule beinhalten, als auch die Interpretation, dass die erstmalige Berufsausbildung den Oberbegriff bildet und das Erststudium nur einen Unterfall der erstmaligen Berufsausbildung darstellt. Der normale Sprachgebrauch spricht jedoch eher für die zweite Auslegungsvariante, da danach üblicherweise --wie im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG-- auch ein Studium als Berufsausbildung anzusehen ist.

21

Diese Auslegung wird auch durch die Gesetzesmaterialien gestützt. So führte der Gesetzgeber aus, nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums bestehe die widerlegbare Vermutung, dass das Kind in der Lage sei, sich selbst zu unterhalten, und dass diese Vermutung durch den Nachweis als widerlegt gelte, dass das Kind sich in "einer weiteren Berufsausbildung" befinde und tatsächlich keiner weiteren (schädlichen) Erwerbstätigkeit nachgehe (BRDrucks 54/11, S. 55 f.). Insoweit verwendet der Gesetzgeber den Begriff der weiteren Berufsausbildung als Oberbegriff für ein weiteres Studium und eine weitere andere Art der Berufsausbildung. Entsprechendes gilt, soweit der Gesetzgeber ausführt, dass ein Studium dann ein erstmaliges Studium darstelle, wenn es sich um eine "Erstausbildung" handele (BRDrucks 54/11, S. 55 f.).

22

b) Der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendete Berufsausbildungsbegriff ist enger auszulegen als das in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verwendete Tatbestandsmerkmal "Kind, das ... für einen Beruf ausgebildet wird".

23

Der Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG gibt auf die Frage, ob der Begriff der Berufsausbildung --wie im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG-- dahin auszulegen ist, dass darunter jede allgemein berufsqualifizierende Maßnahme zu fassen ist, oder ein engeres Verständnis erfordert, allenfalls insoweit eine Antwort, als der Begriff "erstmaligen" darauf hindeutet, dass die Berufsausbildung auf einen Abschluss ausgerichtet sein muss.

24

Auch die Gesetzesmaterialien sprechen dafür, dass der Gesetzgeber für den in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendeten Begriff der Berufsausbildung einen eingeschränkteren Anwendungsbereich vorsehen wollte als für den in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG geregelten Berücksichtigungstatbestand. Danach soll der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendete Begriff der Berufsausbildung enger gefasst sein und sicherstellen, dass nicht bereits jede allgemein berufsqualifizierende Maßnahme zum Verbrauch der Erstausbildung führt (BRDrucks 54/11, S. 55 f.). Voraussetzung soll danach zum einen sein, dass das Kind durch die berufliche Ausbildungsmaßnahme die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse erwirbt, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen, weshalb insbesondere der Besuch einer allgemein bildendenden Schule keine erstmalige Berufsausbildung vermitteln soll. Zum anderen muss der Beruf nach der Gesetzesbegründung durch eine Ausbildung im Rahmen eines öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgangs erlernt werden und der Ausbildungsgang durch eine Prüfung abgeschlossen werden, weshalb beispielsweise ein bloßer Computerkurs nicht für eine Erstausbildung ausreichen soll (BRDrucks 54/11, S. 55 f.). Ziel dieser beiden Einschränkungen ist es, die berücksichtigungsschädliche Wirkung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu begrenzen.

25

c) Für die Frage, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führen soll oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang Teil der Erstausbildung sein kann, ist darauf abzustellen, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt.

26

aa) Wortlaut und Gesetzesmaterialien lassen nicht erkennen, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss zum Verbrauch der Erstausbildung führen soll. So kann die Formulierung "Eine Berufsausbildung liegt demnach vor, wenn der Steuerpflichtige durch eine berufliche Ausbildungsmaßnahme die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse erwirbt, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen" (BRDrucks 54/11, S. 55 f.) sowohl dahin interpretiert werden, dass das Kind befähigt sein müsse, irgendeinen Beruf aufzunehmen, als auch dahin, dass es befähigt sein müsse, einen von ihm angestrebten Beruf aufzunehmen.

27

bb) Die systematische Stellung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG und der Sinn und Zweck der Norm sprechen indes dafür, mehraktige Ausbildungsmaßnahmen dann als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu qualifizieren, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann (in diesem Sinne auch Seiler in Kirchhof, EStG, 13. Aufl., § 32 Rz 17).

28

Die Funktion des steuerlichen Familienleistungsausgleichs besteht primär darin, einen Einkommensbetrag in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich der Bedarfe für Betreuung, Erziehung oder Ausbildung eines Kindes steuerlich freizustellen (§ 31 Satz 1 EStG). Bei Kindern in Ausbildung dient der Freibetrag für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung der Abdeckung des allgemeinen Ausbildungsbedarfs (Jachmann, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 32 Rz A 91), zu dem nach der Rechtsprechung des BFH auch der Ausbildungsunterhalt i.S. von § 1610 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zählt (Urteil vom 17. Dezember 2009 VI R 63/08, BFHE 227, 487, BStBl II 2010, 341). Die steuerliche Berücksichtigung solcher Belastungen ist dabei nicht vollständig in das Ermessen des Gesetzgebers gestellt. Denn die Eltern können sich ihnen nicht beliebig entziehen, sondern sind im Gegenteil schon nach dem Unterhaltsrecht des BGB weitgehend dazu verpflichtet, ihren Kindern zumindest "eine" Berufsausbildung zu finanzieren (s. hierzu BFH-Urteil in BFHE 227, 487, BStBl II 2010, 341).

29

Unter Berücksichtigung dieser verfassungsrechtlichen Funktion des steuerlichen Familienleistungsausgleichs hat die Rechtsprechung bereits bei der Auslegung des Berufsausbildungsbegriffes des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG auch das durch die Eltern und das Kind definierte Berufsziel miteinbezogen. So ist in ständiger Rechtsprechung des BFH anerkannt, dass sich in Berufsausbildung befindet, wer "sein Berufsziel" noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet (z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 2013, 366, und in BFH/NV 2013, 531; Senatsurteil in BFH/NV 2012, 930). Unter Berufsausbildung wird deshalb die Erlangung der für die Ausübung des "angestrebten" Berufs geeigneten Grundlagen verstanden (z.B. BFH-Urteile vom 16. April 2002 VIII R 58/01, BFHE 199, 111, BStBl II 2002, 523, Ausbildung eines Soldaten auf Zeit zum Offizier; vom 26. August 2010 III R 88/08, BFH/NV 2011, 26, betr. Traineetätigkeit). Der BFH erkennt damit zum einen an, dass den Eltern und dem Kind von Verfassungs wegen ein weiter Entscheidungsspielraum bei der Gestaltung der Ausbildung zukommt (BFH-Urteil vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701). Zum anderen verweist er hinsichtlich dieses Auslegungsergebnisses auf den Sinn und Zweck des seit dem 1. Januar 1996 geltenden steuerrechtlichen Kindergelds, wonach das Existenzminimum eines Kindes von der Besteuerung auszunehmen ist, weil durch den kindbedingten Aufwand die steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern gemindert wird (BFH-Urteil in BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701, unter Verweis auf den BVerfG-Beschluss vom 29. Mai 1990  1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653).

30

Dieser systematische Zusammenhang spricht dafür, dass auch im Rahmen der durch § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG erfolgten Abgrenzung --zwischen der steuerlich zu berücksichtigenden Unterhaltsverantwortung der Eltern für "eine" Ausbildung des Kindes und der Verantwortung des Kindes für die eigene Unterhaltssicherung-- bei mehraktigen Ausbildungen das von den Eltern und dem Kind bestimmte Berufsziel nicht außer Betracht gelassen werden darf. Ist daher aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat, kann auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein. Abzustellen ist dabei darauf, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung darstellen. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden.

31

cc) Nichts anderes ergibt sich aus der in § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG vorgesehenen Einschränkung der Vermutungsregel des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Danach ist eine nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums ausgeübte Erwerbstätigkeit anspruchsunschädlich, wenn sie im Rahmen einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit mit bis zu 20 Stunden, einem Ausbildungsdienstverhältnis oder einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis i.S. der §§ 8 und 8a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch ausgeübt wird.

32

Hintergrund dieser Regelung ist die Überlegung, dass eine Erwerbstätigkeit dann schädlich sein soll, wenn sie Zeit und Arbeitskraft des Kindes überwiegend in Anspruch nimmt (BRDrucks 54/11, S. 55 f.). Auch in der Literatur (Bering/ Friedenberger NWB 2012, 278, 281) wird argumentiert, dass das Kind seiner Berufsausbildung nicht mehr ernsthaft und hinreichend nachgehen könne, wenn es regelmäßig in Vollzeit arbeite; ebenso sollten Fälle der "Pro-forma-Immatrikulation" eines Vollzeitbeschäftigten aus dem steuerlichen Berücksichtigungstatbestand ausgeschlossen werden. Jedoch erfordert auch der insoweit zum Ausdruck kommende Aspekt der Missbrauchsverhinderung nicht, dass die in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendeten Tatbestandsmerkmale der erstmaligen Berufsausbildung und des Erststudiums immer bereits dann als erfüllt angesehen werden müssen, wenn das Kind --unabhängig vom angestrebten Berufsziel-- irgendeinen berufsqualifizierenden Abschluss erlangt hat. Denn die Vermeidung eines solchen Missbrauchs findet bei konsequenter Anwendung der BFH-Rechtsprechung bereits auf der vorgelagerten Ebene des Berufsausbildungsbegriffes des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG statt. Wie bereits ausgeführt wurde, befindet sich ein Kind nur dann in Berufsausbildung, wenn es sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, "sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet" (z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 2013, 366, und in BFH/NV 2013, 531; Senatsurteil in BFH/NV 2012, 930). Eine strenge Prüfung der Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit der Ausbildungsbemühungen auf der Ebene des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG trägt zudem dazu bei, dass Missbrauch nicht nur im Falle des Abschlusses einer objektiv berufsqualifizierenden Erstausbildung, sondern in jedem von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG erfassten Fall verhindert werden kann. Im Übrigen geht der Senat davon aus, dass Kinder, die im Rahmen einer mehraktigen Ausbildung einen ersten Abschluss erlangt haben, häufig nur vorübergehend --insbesondere während weniger lernintensiver Zeiträume wie den Semesterferien-- ihren Erwerbstätigkeitsumfang erhöhen und deshalb ihre gesamte Ausbildung gleichwohl in üblichem Zeitrahmen beenden werden können. Daher dürften in solchen Fällen bereits im Rahmen der Prüfung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG keine Missbrauchsanzeichen erkennbar werden.

33

dd) Für eine Beschränkung des Erstausbildungsbegriffes auf den ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss spricht schließlich auch nicht, dass bei Kindern, die nach einem solchen Abschluss einer den Umfang des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG überschreitenden Erwerbstätigkeit nachgehen, die Freistellung des Existenzminimums des Kindes im Rahmen der Besteuerung der Einkünfte des Kindes stattfindet. Denn selbst bei Annahme einer ganzjährigen Tätigkeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 21 Stunden ergäben sich unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 7,50 € oder 8,50 € --wie er für typische Aushilfstätigkeiten von in Ausbildung befindlichen Kindern nicht unüblich ist-- nach Berücksichtigung üblicher Abzugsbeträge (insbesondere für Werbungskosten) häufig unter dem Existenzminimum liegende Einkünfte des Kindes (s. hierzu auch Felix, NJW 2012, 22, 27, zum Fall einer studentischen Hilfskraft). Dies hätte zur Folge, dass bei Anwendung der Verwaltungsauffassung eine effektive steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes sowohl auf der Ebene der Besteuerung der Eltern als auch auf der Ebene der Besteuerung des Kindes fehlschlagen könnte.

34

ee) Schließlich sieht sich der Senat bei der Auslegung der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendeten Begriffe der erstmaligen beruflichen Ausbildung und des Erststudiums auch nicht an eine ggf. hiervon abweichende Auslegung dieser Begriffe im Rahmen des § 12 Nr. 5 EStG gebunden. Die beiden Regelungen unterscheiden sich bereits insoweit, als sie die steuerliche Anerkennung unterschiedlicher Gegenstände betreffen. Während es im Rahmen des Familienleistungsausgleichs primär um die steuerliche Berücksichtigung des Existenzminimums des in Ausbildung befindlichen Kindes einschließlich des Ausbildungsbedarfs geht, regelt § 12 Nr. 5 EStG die steuerliche Anerkennung von Aufwendungen für die Ausbildung. Entsprechend muss die Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG den Anforderungen des subjektiven Nettoprinzips genügen, während die Rechtsprechung bei der Anwendung des § 12 Nr. 5 EStG die folgerichtige Umsetzung des objektiven Nettoprinzips in den Blick nimmt (z.B. BFH-Urteil in BFHE 227, 487, BStBl II 2010, 341). Entsprechend hat der BFH auch in seiner bisherigen Rechtsprechung bereits die Unabhängigkeit der beiden Regelungskomplexe betont (BFH-Urteil vom 27. Mai 2003 VI R 33/01, BFHE 202, 314, BStBl II 2004, 884).

35

4. Überträgt man diese Rechtsgrundsätze auf den Streitfall, so ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass die Erstausbildung des S mit der bestandenen Prüfung zum Steuerfachangestellten noch nicht beendet war.

36

Nach den Feststellungen des FG bildete die Ausbildung zum Steuerfachangestellten einen integrativen Bestandteil einer von S angestrebten mehraktigen Ausbildung, die auch den im Rahmen des Hochschulstudiums zu erlangenden weitergehenden Abschluss zum Bachelor im Studiengang Steuerrecht mitumfasste. Dass die beiden Abschlüsse in einem engen sachlichen Zusammenhang standen, ergibt sich dabei bereits daraus, dass sie sich inhaltlich schwerpunktmäßig auf denselben Fachbereich, den Themenbereich Steuerrecht, bezogen und damit --wenn auch ggf. auf unterschiedlichen Qualifikationsstufen-- auf dasselbe Berufsfeld vorbereiteten. Die Ausbildungsgänge standen auch in einem engen zeitlichen Zusammenhang. Sie wurden zunächst parallel zueinander verfolgt. Nach Beendigung der Ausbildung zum Steuerfachangestellten wurde die Ausbildung zum Bachelor ohne beachtliche Unterbrechung fortgeführt und beendet. Da somit auch der weitergehende Bachelorabschluss noch als Teil der Erstausbildung des S zu qualifizieren ist, hat das FG zu Recht nicht darauf abgestellt, ob S im Streitzeitraum Januar 2012 bis August 2012 einer schädlichen Erwerbstätigkeit i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 und 3 EStG nachgegangen ist.

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 21. November 2013  8 K 807/12, die Einspruchsentscheidung der Familienkasse ... vom 16. März 2012 sowie der Kindergeldbescheid der Familienkasse ... vom 14. Februar 2012 aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger für den Zeitraum Januar bis März 2012 Kindergeld für A in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) für seine am …. August 1990 geborene Tochter A im Streitzeitraum (Januar bis März 2012) noch Kindergeld zusteht, obwohl A bereits im Mai 2011 eine Berufsausbildung zur Fachinformatikerin erfolgreich beendet hat.

2

A schloss im November 2008 einen Studienvertrag mit einer staatlich anerkannten privaten Hochschule (Hochschule) über das Studium zum "Bachelor of Science" mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik.

3

Nach der für A geltenden Studienordnung zielt das Bachelorstudium an der Hochschule als berufsqualifizierendes Hochschulstudium auf die organisatorische Verzahnung von wissenschaftlichem Studium und beruflicher Praxis, auf ein Lernen durch die wechselseitige Verknüpfung von theoretischen Fragestellungen und praktischen Anwendungen. Der Studiengang mit einer Regelstudienzeit von sieben Semestern gliedert sich in ein Grundstudium von vier Semestern, ein obligatorisches zweiteiliges Auslandsstudium im 5. Semester sowie das Hauptstudium im 6. und 7. Semester. Im "ausbildungsintegrierten Studium" (§ 6.3 der Studienordnung), das A absolvierte, kann ein Volontariat in Anlehnung an eine berufspraktische Ausbildungsordnung das erforderliche Praktikum ersetzen.

4

Am 11. November 2008 erhielt A von einer Bank die erforderliche Unterstützungserklärung für das ausbildungsintegrierte Studium zum Bachelor of Science. Hierin bestätigte die Bank der Hochschule, dass A für die Dauer des Studiums bei der Bank beschäftigt sei. Mit A sei ein Volontariatsvertrag abgeschlossen worden, der es A ermögliche, in den ersten vier Semestern des Studiums an den Lehrveranstaltungen und Prüfungen der Hochschule teilzunehmen und in den lehrveranstaltungs- und prüfungsfreien Zeiten in der Bank die berufspraktische Ausbildung zur Fachinformatikerin zu durchlaufen. A werde die Möglichkeit eingeräumt, parallel zum 4. Fachsemester des Studiums die schriftliche und mündliche Externen-Prüfung zur Fachinformatikerin vor der Industrie- und Handelskammer (IHK) abzulegen. Nach dem erfolgreichen Abschluss der berufspraktischen Ausbildung sei vorgesehen, A in ein Teilzeitarbeitsverhältnis zu übernehmen, das parallel zum Auslandssemester und zum Hauptstudium angelegt sei.

5

Im Dezember 2008 wurde zwischen der Bank und A ein Ausbildungsvertrag zur Ausbildung im Ausbildungsberuf der Fachinformatikerin abgeschlossen.

6

Der dualen Ausbildung liegt eine Kooperationsvereinbarung zwischen der Bank und der Hochschule zugrunde. Darin verpflichtete sich die Bank, mit allen Mitarbeitern, die in den akademischen Studiengängen an der Hochschule eingeschrieben sind, für die Dauer des Studiums einen Volontariats- oder Teilzeitarbeitsvertrag zu schließen und dies der Hochschule anzuzeigen. Die Lage der Arbeitszeiten war so zu gestalten, dass den Studierenden ein uneingeschränkter Besuch der Lehrveranstaltungen und Prüfungen an der Hochschule ermöglicht wird.

7

Die Hochschule hat bescheinigt, dass A ein duales Studium in Wirtschaftsinformatik mit parallel laufender Ausbildung zur Fachinformatikerin absolviert und eine parallele Ausbildungs- und Berufstätigkeit während des gesamten Studiums notwendig ist.

8

A legte im Juni 2009 ihr Abitur ab und wurde anschließend zum Wintersemester 2009/2010 zum Studium an der Hochschule zugelassen, welches sie zum 1. September 2009 tatsächlich aufnahm. Die Ausbildung bei der Bank begann am 1. August 2009.

9

Im Mai 2011 schloss A die Ausbildung zur Fachinformatikerin erfolgreich ab. Die Bank teilte der A daraufhin mit, dass sie A ab dem 8. Juni 2011 befristet bis zum 28. Februar 2013 als … in die Dienste der Bank übernehme. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit betrage 39 Stunden; mit Aufnahme des berufsbegleitenden Studiums an der Hochschule reduziere sich die persönliche Arbeitszeit der A aber bis zum erfolgreichen Abschluss des Studiums auf 60 % der jeweils gültigen tariflichen Arbeitszeit.

10

A beendete ihr Studium an der Hochschule zu Beginn des Jahres 2013 erfolgreich und wurde von der Bank zum 1. Februar 2013 in ein Vollzeit-Arbeitsverhältnis übernommen.

11

Der Kläger erhielt für A zunächst Kindergeld bis einschließlich Juni 2011. Im Januar 2012 beantragte er unter Hinweis auf das von der Tochter absolvierte Studium die Weitergewährung von Kindergeld.

12

Diesem Antrag entsprach die Rechtsvorgängerin der Beklagten und Revisionsbeklagten (Familienkasse) nur für die Monate Juli bis Dezember 2011. Für die Zeit ab Januar 2012 hingegen lehnte die Familienkasse durch Bescheid vom 14. Februar 2012 den Antrag sinngemäß ab, weil A die Ausbildung zur Fachinformatikerin als Erstausbildung abgeschlossen habe. Die Erwerbstätigkeit der A sei deshalb gemäß § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. ab 1. Januar 2012 (n.F.) kindergeldschädlich. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 16. März 2012).

13

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der der Kläger geltend machte, A habe sich im Streitzeitraum (Januar bis März 2012) noch in ihrer Erstausbildung zum Bachelor of Science befunden, da der duale Studiengang noch nicht beendet gewesen sei, ab. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 457 veröffentlicht.

14

Das FG führte aus, zwar habe sich A bis zur Verleihung des Bachelor of Science zu Beginn des Jahres 2013 noch "in Ausbildung" befunden. Der Anspruch des Klägers sei jedoch nach § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG n.F. ausgeschlossen.

15

A habe bereits vor dem Streitzeitraum im Jahr 2011 eine erstmalige Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. abgeschlossen; denn zu diesem Zeitpunkt habe sie gemäß § 71 Abs. 2 i.V.m. § 76 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) ihre Abschlussprüfung nach § 37 BBiG zur Fachinformatikerin, einem anerkannten Ausbildungsberuf nach § 4 BBiG, erfolgreich abgelegt.

16

Die Erwerbstätigkeit der A sei auch nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG unschädlich. Denn dabei handele es sich nicht um ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis und die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit habe mehr als 20 Stunden betragen; es liege auch kein Ausbildungsdienstverhältnis vor. Eine Ausbildung der A sei nicht Gegenstand ihres Vertrags mit der Bank aus dem Juni 2011. Es habe sich um ein befristetes Anstellungsverhältnis gehandelt, in dem keine Ausbildungsinhalte und -ziele vereinbart worden seien.

17

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG. A habe nicht bereits im Juni 2011 ihre Erstausbildung abgeschlossen. Primärziel von A sei der Erwerb des Studienabschlusses "Bachelor of Science" gewesen; die Ausbildung zur Fachinformatikerin sei lediglich eine in das Studium integrierte Zusatzausbildung gewesen.

18

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Familienkasse unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung vom 16. März 2012 zu verpflichten, ihm für die Monate Januar bis März 2012 Kindergeld für A zu gewähren.

19

Die Familienkasse beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

20

Sie trägt vor, der Kindergeldanspruch des Klägers für A scheitere an § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG. Der Begriff der Erstausbildung sei weit auszulegen. Es reiche aus, dass der Abschluss dazu befähige, aus der erlernten Tätigkeit Einkünfte zu erzielen. Hier habe A mit dem Bestehen der Abschlussprüfung zur Fachinformatikerin eine Erstausbildung absolviert.

Entscheidungsgründe

21

II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass A bereits im Jahr 2011 eine Erstausbildung abgeschlossen hat; denn ein Kind, das ein duales Studium durchführt, hat nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 3. Juli 2014 III R 52/13 (BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152), das das FG bei seiner Urteilsfindung noch nicht berücksichtigen konnte, seine Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG noch nicht mit der erfolgreichen Absolvierung einer studienintegrierten praktischen Ausbildung in einem Lehrberuf (hier: zur Fachinformatikerin) beendet, sondern die Erstausbildung dauert jedenfalls bis zum Abschluss eines parallel durchgeführten Bachelorstudiums fort.

22

1. Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass A im Streitzeitraum Januar bis März 2012 als Kind des Klägers nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zu berücksichtigen ist, weil sie das 18. Lebensjahr, aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hatte und für einen Beruf ausgebildet wurde. Weder die Änderung des § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 1. November 2011 (BGBl I 2011, 2131, BStBl I 2011, 986) noch die erneute --rückwirkende-- Änderung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG durch das Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 26. Juni 2013 (BGBl I 2013, 1809, BStBl I 2013, 802, Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz --AmtshilfeRLUmsG--) haben an der Auslegung des § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG etwas geändert (vgl. BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, unter II.1. i.V.m. II.2.b).

23

2. Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG, der rückwirkend zum 1. Januar 2012 in Kraft getreten ist und den das FG seinem Urteil zugrunde gelegt hat, wird ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 nur berücksichtigt, wenn das Kind keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Nach der Rechtsprechung des III. Senats des BFH (Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, unter II.3.), der sich der Senat anschließt, gelten für die Auslegung dieser Vorschrift folgende Grundsätze:

24

a) § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. ist dahin auszulegen, dass der Begriff des Erststudiums nur einen Unterfall des Oberbegriffes der erstmaligen Berufsausbildung darstellt (BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 19 ff.; BRDrucks 54/11, S. 55 f.).

25

b) Der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. verwendete Berufsausbildungsbegriff ist enger auszulegen als das in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verwendete Tatbestandsmerkmal "Kind, das ... für einen Beruf ausgebildet wird" (BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 22 ff.; BRDrucks 54/11, S. 55 f.).

26

c) Für die Frage, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führen soll oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss Teil der Erstausbildung sein kann, ist nach der systematischen Stellung, dem Zweck der Vorschrift und der Funktion des Familienleistungsausgleichs darauf abzustellen, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt (BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 25 ff.; Seiler in Kirchhof, EStG, 14. Aufl., § 32 Rz 17). Auch im Rahmen der durch § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG erfolgten Abgrenzung zwischen der steuerrechtlich zu berücksichtigenden Unterhaltsverantwortung der Eltern für "eine" Ausbildung des Kindes und der Verantwortung des Kindes für die eigene Unterhaltssicherung darf bei mehraktigen Ausbildungen das von den Eltern und dem Kind bestimmte Berufsziel nicht außer Betracht gelassen werden (BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 30).

27

d) Ist aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat, kann auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein. Abzustellen ist dabei darauf, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung darstellen. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden (BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 30).

28

e) Die in § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG n.F. vorgesehene Einschränkung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. steht dieser Auslegung nicht entgegen (BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 31 f.).

29

f) Für eine Beschränkung des Erstausbildungsbegriffes auf den ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss spricht auch nicht, dass bei Kindern, die nach einem solchen Abschluss einer den Umfang des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG n.F. überschreitenden Erwerbstätigkeit nachgehen, die Freistellung des Existenzminimums des Kindes im Rahmen der Besteuerung der Einkünfte des Kindes stattfindet, so dass bei Anwendung der Verwaltungsauffassung eine effektive steuerrechtliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes sowohl auf der Ebene der Besteuerung der Eltern als auch auf der Ebene der Besteuerung des Kindes fehlschlagen könnte (BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 33).

30

g) Bei der Auslegung der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. verwendeten Begriffe der erstmaligen beruflichen Ausbildung und des Erststudiums besteht keine Bindung an eine ggf. abweichende Auslegung dieser Begriffe im Rahmen des § 12 Nr. 5 EStG (BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 34; s.a. BFH-Urteil vom 27. Mai 2003 VI R 33/01, BFHE 202, 314, BStBl II 2004, 884).

31

3. Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze, die das FG in seinem Urteil noch nicht berücksichtigen konnte, auf den Streitfall ist das FG zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Erstausbildung der A mit der bestandenen Prüfung zur Fachinformatikerin beendet war. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des FG zum Studienvertrag, zur Studienordnung, zur Unterstützungserklärung und zum Ausbildungsvertrag bildete die Ausbildung zur Fachinformatikerin einen integrativen Bestandteil des von A angestrebten Abschlusses "Bachelor of Science (Wirtschaftsinformatik)" im Rahmen des Studiums an der Hochschule. Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben.

32

a) Dass die beiden von A angestrebten Abschlüsse in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang standen, ergibt sich bereits aus der Bescheinigung der Hochschule vom 23. August 2012, wonach es sich bei der Ausbildung der A um ein duales Studium in Wirtschaftsinformatik mit parallel laufender Ausbildung zur Fachinformatikerin handelte. Eine parallele Ausbildungs- und Berufstätigkeit während des gesamten Studiums sei notwendig.

33

b) Der Inhalt der Bescheinigung wird durch den Studienvertrag i.V.m. der Studienordnung bestätigt. Die Zulassung zum Studium erfolgte gemäß § 1 des Studienvertrags nur vorbehaltlich der Regelungen des § 3. Nach § 3 des Studienvertrags setzte die Aufnahme des Studiums den Abschluss eines Volontariatsvertrags mit einem Unternehmen und der Abgabe einer Unterstützungserklärung voraus, nach der es dem Studenten u.a. ermöglicht wird, in den lehrveranstaltungs- und prüfungsfreien Zeiten die berufspraktische Ausbildung zu durchlaufen. Nach § 4 des Studienvertrags i.V.m. der Studienordnung zielte der Studiengang auf die organisatorische Verzahnung von wissenschaftlichem Studium und beruflicher Praxis (§ 2 der Studienordnung), wobei im ausbildungsintegrierten Studium ein Volontariat in Anlehnung an eine berufspraktische Ausbildungsordnung ein Praktikum ersetzte (§ 6.3 der Studienordnung). Die Prüfung zum Bachelor of Science war nur dann bestanden, wenn die Praxisnachweise nach § 6 erbracht waren (§ 10.2 der Studienordnung).

34

c) Zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Studienvertrag i.V.m. der Studienordnung sah die Unterstützungserklärung der Bank vor, dass es A von der Bank ermöglicht werde, in den ersten vier Semestern des Studiums an den Lehrveranstaltungen und Prüfungen der Hochschule teilzunehmen und in den lehrveranstaltungs- und prüfungsfreien Zeiten die berufspraktische Ausbildung zur Fachinformatikerin zu durchlaufen. Die zeitlichen und inhaltlichen Anforderungen an die berufspraktische Ausbildung während der ersten vier Semester ergaben sich aus der Verordnung über die Berufsausbildung zum IT-Fachinformatiker sowie dem mit der IHK abgestimmten Ausbildungsplan. A wurde die Möglichkeit eingeräumt, parallel zum 4. Fachsemester des Studiums die schriftliche und mündliche Prüfung zur Fachinformatikerin abzulegen; im Anschluss war eine Teilzeitbeschäftigung bei der Bank vorgesehen.

35

d) Auch der --zeitlich nach dem Studienvertrag abgeschlossene-- Ausbildungsvertrag der A mit der Bank zeigt die sachliche und zeitliche Verzahnung: Er definierte in Ziff. 1 zunächst die Ziele des Studiums an der Hochschule und legte erst danach fest, dass die Bank A parallel zum Studium eine praktische Ausbildung vermittelt, deren Anforderungen sich aus der Verordnung über die Berufsausbildung zur Fachinformatikerin ergeben. Die praktische Ausbildung in der Bank während der ersten vier Semester erfolgte im "3-Tage-Modell" (drei Wochentage in der Bank, drei Wochentage an der Hochschule). Die Bank verpflichtete sich, A die Teilnahme an den Lehrveranstaltungen und Prüfungen im ausbildungsintegrierten Studium an der Hochschule zu ermöglichen. A verpflichtete sich nach Ziff. 12 des Ausbildungsvertrags (neben der eigentlichen Ausbildung) u.a. auch dazu, an allen Lehrveranstaltungen der Hochschule, die für ihren Studiengang vorgesehen sind, teilzunehmen, der Bank regelmäßig den Nachweis eines der Studienordnung entsprechenden Studienverlaufs zu erbringen, an den Prüfungen der Hochschule teilzunehmen und der Bank die Ergebnisse der Prüfungen unverzüglich mitzuteilen. Nach Ziff. 15 des Ausbildungsvertrags stand dieser unter dem Vorbehalt einer erfolgreichen Teilnahme am Auswahlverfahren der Hochschule.

36

e) Die Verzahnung wird auch dadurch bestätigt, dass beide Abschlüsse der A sich schwerpunktmäßig auf denselben Fachbereich, nämlich die Informatik, bezogen und damit --wenn auch auf unterschiedlichen Qualifikationsstufen-- auf dasselbe Berufsfeld vorbereiteten.

37

f) Das zunächst parallel betriebene Studium wurde überdies nach Beendigung der Ausbildung zur Fachinformatikerin nahtlos fortgeführt und beendet. Der sich an den Ausbildungsvertrag anschließende Arbeitsvertrag mit der Bank vom Juni 2011 sah bis zum erfolgreichen Abschluss des berufsbegleitenden (Haupt-)Studiums eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 60 % sowie besondere Arbeitsbedingungen während des Praxis- und Auslandssemesters der Hochschule vor.

38

g) Der Senat darf diese Würdigung selbst vornehmen. Zwar ist der BFH grundsätzlich daran gehindert, die festgestellten Tatsachen selbst zu würdigen; eine Ausnahme gilt jedoch dann, wenn das FG alle für die Würdigung erforderlichen Tatsachen festgestellt hat und diese nach den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen für eine bestimmte Schlussfolgerung sprechen, die das FG nicht gezogen hat (vgl. BFH-Urteile vom 22. August 2007 III R 89/06, BFH/NV 2008, 351, unter II.2.; vom 5. November 2013 VIII R 20/11, BFHE 243, 481, BStBl II 2014, 275, Rz 16; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 118 FGO Rz 145; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz 57).

39

Im Übrigen ist auch das FG auf Seite 22 seines Urteils davon ausgegangen, dass das eigentliche Ausbildungsziel der A der Abschluss zum Bachelor of Science (Wirtschaftsinformatik) war.

40

4. Die Sache ist spruchreif. Dem Kläger steht Kindergeld für A zu.

41

a) Da auch das Hauptstudium an der Hochschule bis zum Bachelorabschluss noch Teil der Erstausbildung der A ist, kommt es nicht darauf an, ob A im Streitzeitraum (Januar bis März 2012) einer schädlichen Erwerbstätigkeit i.S. des § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG n.F. nachgegangen ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 36). Insbesondere kann deshalb dahinstehen, ob die wöchentliche Arbeitszeit der A im Streitzeitraum (Januar bis März 2012) trotz der mit Schreiben vom 27. Mai 2011 von der Bank verfügten Freistellung der A --unter Fortzahlung ihrer Vergütung-- für das Auslandssemester und das Auslandspraktikum (Zeit vom 8. Juni 2011 bis 5. März 2012) mehr als 20 Stunden betrug, wie das FG angenommen hat und mit der Revision angegriffen wird.

42

b) Da der Klage auf der Grundlage des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG stattzugeben ist, bedarf keiner Entscheidung, ob dessen rückwirkende Einführung zum 1. Januar 2012 verfassungsgemäß ist (ebenso offenlassend BFH in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 15 ff.).

43

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

44

6. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 121 Satz 1, § 90 Abs. 2 FGO).