Fahrerlaubnisrecht: EuGH: Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen (Kapper-Entscheidung)

published on 27/08/2009 13:43
Fahrerlaubnisrecht: EuGH: Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen (Kapper-Entscheidung)
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Rechtsanwalt für Fahrerlaubnisrecht - EU-Führerschein - BSP Bierbach, Streifler & Partner PartGmbB
Der EuGH hat mit dem Urteil vom 29. 4. 2004 (Az.: C-476/01) folgendes entschieden:

Das AG Frankenthal hat mit Entscheidung vom 11. 10. 2001, berichtigt durch Schreiben vom 19. 12. 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 7. und 24. 12. 2001, gem. Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung von Artikel 1 II der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. 7. 1991 über den Führerschein (ABl. L 237, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 97/26/EG des Rates vom 2. 6. 1997 (ABl. L 150, S. 41) (im Folgenden: Richtlinie 91/439 oder Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Diese Frage stellt sich in einem Strafverfahren gegen Herrn Kapper, gegen den eine Geldstrafe verhängt wurde, weil er am 20. 11. und 11. 12. 1999 ein Kraftfahrzeug ohne gültige Fahrerlaubnis geführt hatte, während er im Besitz eines am 11. 8. 1999 von den niederländischen Behörden ausgestellten Führerscheins war.


Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsregelung


Artikel 1 der Richtlinie 91/439 bestimmt:

(1) Die Mitgliedstaaten stellen den einzelstaatlichen Führerschein gem. den Bestimmungen dieser Richtlinie nach dem EG-Muster in Anhang I oder Ia aus. ...
(2) Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt.
(3) Begründet der Inhaber eines gültigen Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem, der den Führerschein ausgestellt hat, so kann der Aufnahmemitgliedstaat seine einzelstaatlichen Rechtsvorschriften hinsichtlich der Gültigkeitsdauer des Führerscheins, der ärztlichen Kontrolle und der steuerlichen Bestimmungen auf den Führerscheininhaber anwenden und auf dem Führerschein die für die Verwaltung unerlässlichen Angaben eintragen.

Nach Artikel 7 I Buchstabe b der Richtlinie hängt die Ausstellung des Führerscheins vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes oder vom Nachweis der Eigenschaft als Student - während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten - im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats ab.

Nach Artikel 7 Absatz 5 der Richtlinie kann [j]ede Person ... nur Inhaber eines einzigen von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins sein.

Artikel 8 Absätze 1 bis 4 der Richtlinie lautet:

(1) Hat der Inhaber eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat begründet, so kann er einen Antrag auf Umtausch seines Führerscheins gegen einen gleichwertigen Führerschein stellen; es ist Sache des umtauschenden Mitgliedstaats, gegebenenfalls zu prüfen, ob der vorgelegte Führerschein tatsächlich gültig ist.
(2) Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen.
(3) Der umtauschende Mitgliedstaat leitet den abgegebenen Führerschein an die zuständige Stelle des Mitgliedstaats, der ihn ausgestellt hat, zurück und begründet dieses Verfahren im Einzelnen.
(4) Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in II genannten Maßnahmen angewendet wurde.

Ein Mitgliedstaat kann es außerdem ablehnen, einem Bewerber, auf den eine solche Maßnahme in einem anderen Mitgliedstaat angewendet wurde, einen Führerschein auszustellen.

Artikel 9 der Richtlinie 91/439 bestimmt:
Im Sinne dieser Richtlinie gilt als ordentlicher Wohnsitz der Ort, an dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder - im Falle eines Führerscheininhabers ohne berufliche Bindungen - wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d. h. während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt.

Als ordentlicher Wohnsitz eines Führerscheininhabers, dessen berufliche Bindungen an einem anderen Ort als dem seiner persönlichen Bindungen liegen und der sich daher abwechselnd an verschiedenen Orten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten aufhalten muss, gilt jedoch der Ort seiner persönlichen Bindungen, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt. Diese Voraussetzung entfällt, wenn sich der Führerscheininhaber in einem Mitgliedstaat zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer aufhält. Der Besuch einer Universität oder einer Schule hat keine Verlegung des ordentlichen Wohnsitzes zur Folge.

Artikel 10 II der Richtlinie lautet:
Die Mitgliedstaaten können nach Zustimmung der Kommission die für die Anwendung von Artikel 8 Absätze 4, 5 und 6 erforderlichen Anpassungen ihrer innerstaatlichen Vorschriften vornehmen.

Nach Artikel 12 I der Richtlinie 91/439 hatten die Mitgliedstaaten nach Konsultation der Kommission vor dem 1. 7. 1994 die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um dieser Richtlinie ab 1. 7. 1996 nachzukommen.

Nach Artikel 12 III der Richtlinie unterstützen die Mitgliedstaaten einander bei der Durchführung der Richtlinie und tauschen im Bedarfsfall Informationen über die von ihnen registrierten Führerscheine aus.


Nationale Regelung

In der Bundesrepublik Deutschland bestimmte sich die in der Richtlinie 91/439 vorgesehene gegenseitige Anerkennung der Führerscheine vom 1. 7. 1996 bis 31. 12. 1998 nach der Verordnung vom 19. 6. 1996 zur Umsetzung der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. 7. 1991 über den Führerschein und zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (BGBl. I S. 877, im Folgenden: EU-Führerschein-VO 1996).

Nach Artikel 1 § 4 I EU-Führerschein-VO 1996 galt die Berechtigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs in Deutschland nicht
für Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis,

1. wenn sie zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich dieser Verordnung hatten, es sei denn, dass sie sich für mindestens sechs Monate nur zum Besuch einer Universität oder Schule im Ausland aufgehalten haben,
2. solange ihnen im Geltungsbereich dieser Verordnung die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen worden ist oder ihnen auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf oder
3. wenn ihnen im Inland von einer Verwaltungsbehörde die Fahrerlaubnis sofort vollziehbar oder bestandskräftig entzogen oder ihnen die Erteilung einer Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist; das Gleiche gilt, wenn die Entziehung nur deshalb nicht erfolgt ist, weil zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet wurde.

Seit dem 1. 1. 1999 gilt die Verordnung vom 18. 8. 1998 über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung, BGBl. I S. 2214, im Folgenden: FeV 1999).

§ 7 FeV 1999, der die Voraussetzung des ordentlichen Wohnsitzes für die Erteilung einer Fahrerlaubnis betrifft, enthält die nationalen Vorschriften, mit denen Artikel 7 I Buchstabe b und Artikel 9 der Richtlinie 91/439 umgesetzt werden.

§ 28 Absätze 1 und 4 FeV 1999 bestimmt:

(1) Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz i.S. des § 7 I oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen - vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 - im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Auflagen zur ausländischen Fahrerlaubnis sind auch im Inland zu beachten. Auf die Fahrerlaubnisse finden die Vorschriften dieser Verordnung Anwendung, soweit nichts anderes bestimmt ist.
...
(4) Die Berechtigung nach I gilt nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis,

1. die lediglich im Besitz eines Lernführerscheins oder eines anderen vorläufig ausgestellten Führerscheins sind,
2. die zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Student oder Schüler i.S. des § 7 II die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben,
3. denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben, oder
4. solange sie im Inland, in dem Staat, der die Fahrerlaubnis erteilt hatte, oder in dem Staat, in dem sie ihren ordentlichen Wohnsitz haben, einem Fahrverbot unterliegen oder der Führerschein nach § 94 der Strafprozessordnung beschlagnahmt, sichergestellt oder in Verwahrung genommen worden ist.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

Herr Kapper legte gegen einen Strafbefehl des AG Frankenthal vom 17. 3. 2000 Einspruch ein. Das AG hatte gegen ihn eine Geldstrafe verhängt, weil er am 20. 11. und 11. 12. 1999 in Deutschland ein Kraftfahrzeug ohne gültige Fahrerlaubnis geführt hatte. Zur Tatzeit war Herr Kapper im Besitz eines am 11. 8. 1999 von den niederländischen Behörden ausgestellten Führerscheins.

Mit Strafbefehl vom 26. 2. 1998 hatte dasselbe Gericht Herrn Kapper die deutsche Fahrerlaubnis entzogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von neun Monaten, also bis zum 25. 11. 1998, keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Nach den Ausführungen in der Vorlageentscheidung wurde Herrn Kapper nach dem 25. 11. 1998 in Deutschland keine neue Fahrerlaubnis erteilt. Aus den Akten ist nicht ersichtlich, ob er nach diesem Zeitpunkt bei den deutschen Behörden eine solche Fahrerlaubnis beantragt hatte.

Im Rahmen des von Herrn Kapper eingeleiteten Einspruchsverfahrens fragt sich das AG, ob die deutsche Regelung mit der Richtlinie 91/439 vereinbar ist; der Gerichtshof sei zwar nicht für die Entscheidung dieser Frage zuständig, wohl aber für die Feststellung, ob das Gemeinschaftsrecht der Anwendung der Strafvorschriften entgegenstehe, in denen ein Verstoß gegen die deutsche Regelung geahndet werde. Dem in den Niederlanden ausgestellten Führerschein werde nach den nationalen Bestimmungen die Wirksamkeit in Deutschland abgesprochen. Das AG verweist insoweit auf Artikel 1 § 4 I EU-Führerschein-VO 1996, der den gleichen Inhalt habe wie der ab 1. 1. 1999 geltende § 28 IV FeV 1999.

Die Anwendung der nationalen Regelung setze eine implizite Überprüfung des Wohnortes des Führerscheininhabers zum Zeitpunkt der Ausstellung durch einen anderen Mitgliedstaat voraus. Dies führe dazu, dass in Deutschland der Hoheitsakt dieses anderen Staates überprüft werde, was eine Einschränkung des in Artikel 1 II der Richtlinie 91/439 niedergelegten Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine darstellen könnte.

Artikel 8 Absätze 1 bis 4 der Richtlinie gebe für die Beantwortung der im Ausgangsverfahren aufgeworfenen Frage nichts her. Diese Vorschrift, wonach ein Mitgliedstaat ausdrücklich befugt sei, die Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu überprüfen, regele nur den Umtausch eines gültigen Führerscheins, berechtige jedoch einen Mitgliedstaat nicht, den Hoheitsakt eines anderen Staates als nichtig anzusehen.

Unter diesen Umständen hat das AG Frankenthal das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Verbietet es Artikel 1 II der Richtlinie 91/439 einem Mitgliedstaat, einem Führerschein die Anerkennung dann zu versagen, wenn nach seinen Ermittlungen ein anderer Mitgliedstaat diesen ausgestellt hatte, obwohl der Führerscheininhaber dort nicht seinen ordentlichen Wohnsitz hatte, und kommt der genannten Vorschrift gegebenenfalls insoweit konkrete Wirkung zu?


Zur Zulässigkeit der Vorlagefrage


Die niederländische Regierung bezweifelt die Zulässigkeit der Vorlagefrage. Ihrer Ansicht nach liefert die Vorlageentscheidung weder zum Sachverhalt noch zu den einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts oder zu den Gründen, aus denen die Antwort auf die Frage für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens von Bedeutung ist, ausreichende Angaben. Sie meint, dass die Fahrerlaubnis von Herrn Kapper wahrscheinlich zur Tatzeit noch entzogen gewesen sei. In diesem Fall sei es irrelevant, ob Herr Kapper im Besitz eines Führerscheins gewesen sei. Daher sei es auch unerheblich, ob die deutschen Behörden berechtigt gewesen seien, dem ihm ausgestellten niederländischen Führerschein die Anerkennung zu versagen, und ob ihm dieser Führerschein zu Unrecht ausgestellt worden sei, weil er damals seinen ordentlichen Wohnsitz nicht in den Niederlanden gehabt habe.

Insoweit ist daran zu erinnern, dass es nach ständiger Rechtsprechung ausschließlich Sache der mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichte ist, die die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung zu übernehmen haben, im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls sowohl zu beurteilen, ob eine Vorabentscheidung erforderlich ist, damit sie ihr Urteil erlassen können, als auch, ob die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen erheblich sind. Betreffen also die vorgelegten Fragen die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, so ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden.

Nach dieser Rechtsprechung kann der Gerichtshof die Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur dann ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind.

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Vorlageentscheidung ist zwar in äußerst knappen Wendungen abgefasst, denen es sich insbesondere nicht entnehmen ließ, ob bei den polizeilichen Überprüfungen vom 20. 11. und 11. 12. 1999 die Berechtigung von Herrn Kapper zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland noch entzogen oder eingeschränkt war. Das vorlegende Gericht hat jedoch auf das Klarstellungsersuchen des Gerichtshofes nach Artikel 104 § 5 der Verfahrensordnung erläutert, dass die Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis, die im Strafbefehl vom 26. 2. 1998 neben dem Entzug der Fahrerlaubnis gegen Herrn Kapper angeordnet worden war, am 25. 11. 1998 ablief. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts hätte Herr Kapper nach diesem Zeitpunkt bei den deutschen Behörden einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis stellen können.

Außerdem ergibt sich aus der schriftlichen Antwort der deutschen Regierung auf die ihr vom Gerichtshof gestellten Fragen, dass, wenn eine Entziehung der Fahrerlaubnis einen Gemeinschaftsbürger mit ordentlichem Wohnsitz in Deutschland betrifft, die nationalen Vorschriften über die Folgen dieser Entziehung auch dann Anwendung finden, wenn diese Person Inhaber eines von den Behörden eines anderen Mitgliedstaats ausgestellten Führerscheins ist oder ihr später ein solcher Führerschein ausgestellt wird. Daraus folgt, dass ein solcher ausländischer Führerschein von den deutschen Behörden nicht anerkannt wird.

Unter Berücksichtigung dieser zusätzlichen Informationen verfügt der Gerichtshof über die erforderlichen tatsächlichen und rechtlichen Angaben, um die ihm vorgelegte Frage sachdienlich beantworten zu können.

Im Übrigen ist festzustellen, dass die knappe Fassung der Vorlageentscheidung die Regierungen der Mitgliedstaaten, die beim Gerichtshof Erklärungen eingereicht haben, und die Kommission nicht daran gehindert hat, zur Vorlagefrage Stellung zu nehmen.

Die Vorlagefrage des AG ist daher zulässig.


Zur Vorlagefrage


Im Hinblick auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und den Inhalt der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen kann sich die Prüfung der Vorlagefrage nicht auf die vom vorlegenden Gericht ausdrücklich erwähnten Aspekte beschränken, sondern muss auch noch einige andere Bestimmungen der Richtlinie 91/439 berücksichtigen, die sich auf die Beantwortung der Frage auswirken können, und zwar insbesondere Artikel 8 IV. Um eine sachdienliche und möglichst vollständige Antwort auf die Vorlagefrage zu geben, ist diese daher auszuweiten.

Die Frage ist demnach umzuformulieren und in zwei gesonderten Teilen zu prüfen. Das vorlegende Gericht möchte erstens im Wesentlichen wissen, ob Artikel 1 II in Verbindung mit Artikel 7 I Buchstabe b und Artikel 9 der Richtlinie 91/439 so auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat einem von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein die Anerkennung nicht deshalb versagen darf, weil nach den ihm vorliegenden Informationen der Führerscheininhaber zum Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats und nicht im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats gehabt hat. Zweitens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 1 II in Verbindung mit Artikel 8 IV der Richtlinie 91/439 so auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht deshalb ablehnen darf, weil im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats auf den Inhaber des Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Staat erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, wenn die zusammen mit dieser Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedstaat abgelaufen war, bevor der Führerschein von dem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist.


Zum ersten Teil der Vorlagefrage
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen


Nach Ansicht der deutschen Regierung ist die Richtlinie 91/439 insbesondere unter Berücksichtigung ihres Artikels 7 I Buchstabe b so auszulegen, dass der Wohnsitzmitgliedstaat einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein die Anerkennung dann versagen kann, wenn der Inhaber seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Ausstellungsmitgliedstaat hatte. Der Vorlageentscheidung könne mangels ausreichender Angaben nicht entnommen werden, ob Herr Kapper in den Niederlanden tatsächlich einen ordentlichen Wohnsitz i.S. von Artikel 9 der Richtlinie gehabt habe. Falls es daran fehlen sollte, sei die streitige niederländische Fahrerlaubnis jedenfalls von vornherein nichtig, zumindest aber rechtswidrig gewesen. Unter diesen Umständen hätten die niederländischen Behörden gar keinen Führerschein ausstellen dürfen, und der Führerschein sei auf Grund dieses Fehlers auch einer Anerkennung nicht zugänglich gewesen. Nach Artikel 7 I Buchstabe b der Richtlinie hänge die Ausstellung eines Führerscheins ausdrücklich vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes des Inhabers im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten ab.

Die niederländische Regierung trägt dagegen vor, aus dem in Artikel 1 II der Richtlinie 91/439 aufgestellten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung folge, dass ein Mitgliedstaat einen von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Führerschein anerkennen müsse und nicht berechtigt sei, die Voraussetzungen der Ausstellung zu prüfen. Im Ausgangsverfahren hätten die niederländischen Behörden befunden, dass Herr Kapper seinen ordentlichen Wohnsitz in den Niederlanden habe, und ihm den Führerschein ausgestellt. Die deutschen Behörden könnten die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung nicht nachprüfen und seien folglich verpflichtet, den ausgestellten Führerschein ohne weiteres anzuerkennen.

Soweit das deutsche Recht die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Führerscheins an Bedingungen knüpfe, sei zu prüfen, ob Artikel 1 II der Richtlinie 91/439 unmittelbare Wirkung habe. In diesem Zusammenhang weist die niederländische Regierung darauf hin, dass sich der Einzelne in allen Fällen, in denen Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erschienen, gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen könne, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in innerstaatliches Recht umsetze.

Artikel 1 II der Richtlinie enthalte eine klare und eindeutige Verpflichtung für die Mitgliedstaaten, die Führerscheine nach europäischem Muster gegenseitig anzuerkennen und den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit nicht zu zwingen, diesen Führerschein umzutauschen. Diese Bestimmung sehe die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor. Die Richtlinie lasse den Mitgliedstaaten, an die sie gerichtet sei, keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen, die zu ergreifen seien, um diesen Anforderungen zu genügen. Folglich habe Artikel 1 II der Richtlinie unmittelbare Wirkung.

Ebenso wie die niederländische Regierung weist die Kommission darauf hin, dass die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine nach Artikel 1 II der Richtlinie 91/439 grundsätzlich an keine weiteren Bedingungen geknüpft sei und ohne jede Formalität geschehe. Sie beruhe auf dem gegenseitigen Vertrauen in die Respektierung weitgehend harmonisierter Vorschriften, da die Richtlinie nicht bloß zur gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine, sondern auch zur Einhaltung verschiedener Voraussetzungen und Mindeststandards bei der Ausstellung dieser Führerscheine verpflichte.

Die Richtlinie 91/439 sehe zwar ausnahmsweise Bestimmungen vor, nach denen die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins abgelehnt werden könne; der aufnehmende Mitgliedstaat sei jedoch nicht automatisch berechtigt, die Anerkennung eines Führerscheins deshalb zu versagen, weil er der Auffassung sei, dass dieser in einem anderen Mitgliedstaat möglicherweise unter Verletzung in der Richtlinie vorgesehener Voraussetzungen ausgestellt worden sei. Dies gelte auch dann, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats ermittelt hätten, dass ein Führerschein entgegen Artikel 7 I Buchstabe b der Richtlinie einer Person ausgestellt worden sei, die zum Zeitpunkt der Ausstellung nicht die Voraussetzung eines mindestens sechsmonatigen Wohnsitzes im ausstellenden Mitgliedstaat erfüllt habe.

In Fällen offensichtlicher Rechtsverstöße stehe es den Behörden des aufnehmenden Mitgliedstaats frei, i.S. von Artikel 12 III der Richtlinie von dem ausstellenden Mitgliedstaat Aufklärung zu verlangen. Wenn ein Staat offensichtliche und systematische Missstände bei der Ausstellung von Führerscheinen durch die Behörden eines anderen Mitgliedstaats feststelle, könne er gegen diesen ein Verfahren nach Artikel 227 EG einleiten.

Zur Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit von Artikel 1 II der Richtlinie weist die Kommission zunächst darauf hin, dass der Gerichtshof bereits in Randnummer 43 des Urteils Awoyemi bestätigt habe, dass diese Vorschrift unbedingt und hinreichend genau sei.

Indem sich § 28 FeV 1999 gegen die Personen richte, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums außerhalb Deutschlands einen Führerschein erworben hätten, obwohl sie ihren Wohnsitz in Deutschland gehabt hätten, widerspreche er dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung. Allerdings gehe aus dieser Vorschrift nicht hervor, dass die deutschen Behörden eine regelmäßige Kontrolle eventueller Verstöße der Behörden anderer Mitgliedstaaten gegen die Voraussetzungen für die Ausstellung von Führerscheinen vornähmen. Die deutschen Behörden lehnten es nur dann ab, einen ausländischen Führerschein anzuerkennen, wenn sie auf Grund eigener Informationen feststellten, dass der Inhaber des Führerscheins wegen seines Wohnsitzes im Inland das Wohnsitzerfordernis der Richtlinie nicht erfüllt habe.

Das Wohnsitzerfordernis diene u. a. dem Zweck, einen Führerscheintourismus zu verhindern. Das Erfordernis spiele im derzeit geltenden System eine wichtige Rolle, weil es trotz der Fortschritte bei der Harmonisierung der nationalen Bestimmungen über den Führerschein nach wie vor wichtige Bereiche gebe (Dauer der Gültigkeit, regelmäßige ärztliche Untersuchungen usw.), die die Mitgliedstaaten unterschiedlich regelten. Das Wohnsitzerfordernis sei eine Folge der unvollständigen Harmonisierung und werde mit deren zunehmendem Fortschreiten an Bedeutung verlieren, so dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung lückenlos verwirklicht werden könne.

Solange das Wohnsitzerfordernis bestehe, seien alle Mitgliedstaaten gehalten, es auch zu vollziehen. Es sei allerdings die Angelegenheit des Mitgliedstaats, der einen Führerschein ausstelle oder erneuere, die Einhaltung des Wohnsitzerfordernisses zu kontrollieren, und die anderen Mitgliedstaaten seien zur Einhaltung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung verpflichtet.

Die deutsche Regelung bewege sich im Grenzbereich dieser beiden Erfordernisse. Die Einschränkung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung, die diese Regelung bedeute, erscheine sachlich gerechtfertigt. Im Übrigen könne der Aufnahmemitgliedstaat nicht gezwungen sein, Vorgänge außer Acht zu lassen, die sich in seinem Hoheitsgebiet zugetragen hätten und unmittelbar die Frage beträfen, wo der Betroffene zur Zeit des Erwerbs seines Führerscheins seinen Wohnsitz gehabt habe. Die Kommission verweist insoweit auf das Urteil vom 27. 9. 1989 in der Rechtssache 130/88.


Antwort des Gerichtshofes

Nach ständiger Rechtsprechung sieht Artikel 1 II der Richtlinie 91/439 die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor. Diese Bestimmung erlegt den Mitgliedstaaten eine klare und genaue Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen lässt, die zu ergreifen sind, um dieser Verpflichtung nachzukommen.

Der Gerichtshof hat im Urteil Kommission/Niederlande bereits ausdrücklich die Möglichkeit für den Aufnahmemitgliedstaat ausgeschlossen, Verfahren der systematischen Kontrolle einzuführen, die gewährleisten sollen, dass die Inhaber von Führerscheinen, die von anderen Mitgliedstaaten ausgestellt wurden, die in Artikel 7 I Buchstabe b und Artikel 9 der Richtlinie 91/439 vorgesehene Voraussetzung eines Wohnsitzes im Ausstellungsmitgliedstaat tatsächlich erfüllt haben. In Randnummer 75 dieses Urteils hat der Gerichtshof nämlich entschieden, dass die Behörden, die einen Führerschein ausstellen, zu prüfen haben, ob der Ast. seinen ordentlichen Wohnsitz in dem Staat hat, der diesen Führerschein ausstellt, und dass der Besitz eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins als Nachweis dafür anzusehen ist, dass der Inhaber des Führerscheins die in der Richtlinie 91/439 vorgesehenen Voraussetzungen für die Ausstellung erfüllt hat. Folglich verstößt der Aufnahmemitgliedstaat gegen den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen, wenn er vom Führerscheininhaber verlangt, dass er den Nachweis führt, dass er die in Artikel 7 I Buchstabe b und Artikel 9 der Richtlinie 91/439 vorgesehenen Voraussetzungen tatsächlich erfüllt hat.

Daraus folgt, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine es dem Aufnahmemitgliedstaat auch verbietet, bei einer in seinem Hoheitsgebiet vorgenommenen Straßenverkehrskontrolle die Anerkennung eines Führerscheins, der dem Führer eines Kraftfahrzeugs von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wurde, mit der Begründung zu verweigern, dass der Inhaber des Führerscheins nach den Informationen, über die der Aufnahmemitgliedstaat verfügt, zum Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats und nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellungsstaats gehabt habe. Denn wie der Generalanwalt in Nummer 44 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, gelten die in Randnummer 75 des Urteils Kommission/Niederlande enthaltenen Erwägungen, die sich auf den systematischen Nachweis der Wohnsitzvoraussetzung durch den Führerscheininhaber im Rahmen eines Verfahrens zur Registrierung des Führerscheins in einem anderen als dem ausstellenden Mitgliedstaat beziehen, auch für die gelegentlichen Überprüfungen und Ermittlungen, die dieser Mitgliedstaat vornimmt, um entscheiden zu können, ob er den Führerschein anerkennt oder nicht.

Da die Richtlinie 91/439 dem Ausstellungsmitgliedstaat eine ausschließliche Zuständigkeit verleiht, sich zu vergewissern, dass die Führerscheine unter Beachtung der in Artikel 7 I Buchstabe b und Artikel 9 dieser Richtlinie vorgesehenen Wohnsitzvoraussetzung ausgestellt werden, ist es allein Sache dieses Mitgliedstaats, geeignete Maßnahmen in Bezug auf diejenigen Führerscheine zu ergreifen, bei denen sich nachträglich herausstellt, dass ihre Inhaber diese Voraussetzung nicht erfüllt haben. Hat ein Aufnahmemitgliedstaat ernsthafte Gründe, die Ordnungsmäßigkeit eines oder mehrerer von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellter Führerscheine zu bezweifeln, so hat er dies dem anderen Mitgliedstaat im Rahmen der gegenseitigen Unterstützung und des Informationsaustauschs nach Artikel 12 III der Richtlinie mitzuteilen. Falls der Ausstellungsmitgliedstaat nicht die geeigneten Maßnahmen ergreift, könnte der Aufnahmemitgliedstaat gegen diesen Staat gegebenenfalls ein Verfahren nach Artikel 227 EG einleiten, um den Gerichtshof einen Verstoß gegen die Verpflichtungen aus der Richtlinie 91/439 feststellen zu lassen.

Demnach ist auf den ersten Teil der Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 1 II in Verbindung mit Artikel 7 I Buchstabe b und Artikel 9 der Richtlinie 91/439 so auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat einem von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein die Anerkennung nicht deshalb versagen darf, weil nach den ihm vorliegenden Informationen der Führerscheininhaber zum Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats und nicht im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats gehabt hat.


Zum zweiten Teil der Vorlagefrage
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen


Herr Kapper trägt vor, die Bestimmungen des § 28 FeV 1999 verstießen gegen die Richtlinie 91/439. Mit diesen Bestimmungen habe der deutsche Gesetzgeber erreichen wollen, dass bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig erworbene Führerscheine als nichtig angesehen werden müssten und im Inland ungültig seien. Diese Bestimmungen verstießen gegen den Grundgedanken der wechselseitigen Anerkennung der Akte der Verwaltungsbehörden der verschiedenen Mitgliedstaaten. Sie stellten sogar einen Rückfall hinter den Rechtszustand vor der Richtlinie 91/439 dar, wonach Führerscheine aus anderen Mitgliedstaaten bei einem Wohnsitzwechsel wenigstens noch zwölf Monate gültig gewesen seien.

Die Richtlinie 91/439 sehe zwar bestimmte Ausnahmen von dem in Artikel 1 II niedergelegten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung vor. So könne gem. III dieses Artikels der Aufnahmemitgliedstaat bei einem Wohnsitzwechsel einzelstaatliche Rechtsvorschriften erlassen, nach denen auf dem Führerschein gewisse für die Verwaltung unerlässliche Angaben eingetragen werden könnten. Diese Bestimmung erlaube es dem betreffenden Staat jedoch nicht, dem von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein einfach die Anerkennung zu versagen. Da es sich um Ausnahmen vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung handele, seien sie prinzipiell restriktiv auszulegen.

Ebenso wenig ermächtige Artikel 8 der Richtlinie den deutschen Gesetzgeber zum Erlass der beanstandeten Vorschriften.

Dieser Artikel befasse sich ausschließlich mit bestimmten Einzelfragen bei einem möglichen Umtausch des Führerscheins. Für diese Auslegung spreche, dass die Absätze 1, 2, 3 und 6 des Artikels 8 der Richtlinie 91/439 ausdrücklich verschiedene Verfahrensweisen beim Umtausch von Führerscheinen erwähnten. Es wäre unlogisch, wenn die beiden weiteren Absätze 4 und 5 ganz generelle Regelungen enthielten, die sich nicht mit der Umtauschproblematik befassten.

Zwar hätten die deutschen Behörden die Möglichkeit, die Gültigkeit eines ausländischen Führerscheins für das Inland nicht anzuerkennen, solange dort eine Maßnahme wie ein Fahrverbot oder eine Sperrfrist wirksam sei. Für die Zeit danach sei ihnen diese Möglichkeit jedoch sicherlich nicht eröffnet.

Gäbe es keine zeitliche Beschränkung der Wirksamkeit eines Fahrverbots oder einer vorläufigen oder endgültigen Entziehung der Fahrerlaubnis, so würde dies zu untragbaren Ergebnissen führen. Ein deutscher Staatsbürger, dessen nationaler Führerschein in Deutschland eingezogen worden sei und der in einen anderen Mitgliedstaat umgezogen sei, wäre auch dann nicht berechtigt, bei seiner Rückkehr in sein Heimatland von einem von diesem Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein Gebrauch zu machen, wenn die neue Fahrerlaubnis mehrere Jahre nach dem Entzug der deutschen Fahrerlaubnis erteilt worden wäre. Der Erwerb einer deutschen Fahrerlaubnis wäre ihm, abgesehen von der fehlenden Zuständigkeit dieses Staates, auch nach Artikel 7 Absatz 5 der Richtlinie verwehrt.

Außerdem sei zu prüfen, ob die Kommission der Bundesrepublik Deutschland die Zustimmung zu den fraglichen Vorschriften erteilt habe, wie es Artikel 10 der Richtlinie verlange.

Die deutsche Regierung vertritt die Auffassung, dass die Richtlinie 91/439, insbesondere Artikel 8 Absätze 2 und 4, so auszulegen sei, dass der Wohnsitzmitgliedstaat einem Führerschein, der in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden sei, die Anerkennung dann versagen könne, wenn der inländische Führerschein entzogen worden sei.

Aus dem Regelungskontext der Richtlinie 91/439 ergebe sich, dass aus dem in ihrem Artikel 1 II enthaltenen sehr allgemeinen Programmsatz allein noch keine pauschale und unbedingte Geltung fremder Führerscheine außerhalb des ausstellenden Mitgliedstaats folge. Vielmehr erfolge eine Anerkennung nur nach Maßgabe der Einzelbedingungen, die in den Detailbestimmungen der Richtlinie, nämlich den Artikeln 2 bis 12, näher dargelegt seien.

Artikel 8 II der Richtlinie stelle ausdrücklich klar, dass der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über den Entzug der Fahrerlaubnis anwenden könne. Auf Gemeinschaftsangehörige mit ordentlichem Wohnsitz in Deutschland fänden daher stets die deutschen Vorschriften über den Fahrerlaubnisentzug Anwendung, nicht nur in Bezug auf die von den deutschen Behörden ausgestellten Führerscheine, sondern auch auf solche, die von den Behörden eines anderen Mitgliedstaats ausgestellt worden seien.

Artikel 8 IV sehe sogar ausdrücklich vor, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ablehnen könne, den ein anderer Mitgliedstaat einer Person ausgestellt habe, der in seinem Hoheitsgebiet der Führerschein entzogen worden sei.

Nicht geteilt werden könne die restriktive Auffassung des vorlegenden Gerichts, wonach Artikel 8 Absätze 2 und 4 nur in Fällen des Umtauschs eines gültigen Führerscheins anwendbar sei. Artikel 8 II gelte vielmehr nach seinem Wortlaut zwar auch, aber keineswegs ausschließlich für die Fälle des Führerscheinumtauschs.

Eine unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie käme nur dann in Frage, wenn die fraglichen Bestimmungen hinreichend konkret wären und nicht richtig in deutsches Recht umgesetzt worden wären. Es sei jedoch dargelegt worden, dass § 28 IV Nummer 3 FeV 1999 das Gemeinschaftsrecht richtig und vollständig umsetze.

In ihrer schriftlichen Antwort auf die Fragen des Gerichtshofes hat die deutsche Regierung weiter ausgeführt, dass die am 1. 9. 2002 in Kraft getretene Verordnung vom 7. 8. 2002 zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (BGBl. I S. 3267, im Folgenden: FeV 2002) u. a. § 28 FeV 1999 dahin geändert habe, dass ein neuer Absatz 5 eingefügt worden sei. Dieser Absatz sehe ausdrücklich vor, dass die zuständigen Behörden auf Antrag das Recht erteilen könnten, in Deutschland von einer in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, wenn die Gründe nicht mehr bestünden, aus denen auf ihren Inhaber eine der in § 28 IV Nummern 3 und 4 genannten Maßnahmen angewendet worden seien.

Nach Ansicht der italienischen Regierung, die sich erst in der mündlichen Phase am vorliegenden Verfahren beteiligt hat, enthält Artikel 8 IV der Richtlinie 91/439 den Grundsatz, dass die nationalen Strafvorschriften, nach denen die Fahrerlaubnis eingeschränkt werden könne, Vorrang haben vor der automatischen Anerkennung der von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheine. Diese Bestimmung solle verhindern, dass die strafrechtliche Sanktion der Entziehung der Fahrerlaubnis in dem Mitgliedstaat, der diese Sanktion verhängt habe, durch den Gebrauch eines später in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Führerscheins umgangen werde, und zwar unabhängig von der Ordnungsmäßigkeit der Ausstellung dieses Führerscheins. Der Wortlaut des Artikels 8 IV der Richtlinie enthalte jedoch eine stillschweigende Bezugnahme auf die Fortgeltung der betreffenden Sanktion. Im Hinblick darauf, dass das grundlegende Prinzip der Richtlinie die gegenseitige Anerkennung der Führerscheine sei und Artikel 8 IV eine Ausnahme von diesem Grundsatz darstelle, sei diese Bestimmung in der Weise eng auszulegen, dass sich ein Mitgliedstaat nicht auf sie berufen könne, um die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu versagen, wenn die Maßnahme, mit der die Fahrerlaubnis beschränkt worden sei, nicht mehr in Kraft sei.

Die Kommission führt in ihren schriftlichen Erklärungen aus, dass sich die Weigerung, den niederländischen Führerschein von Herrn Kapper anzuerkennen, auf die gegen ihn in Deutschland angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis stützen könne, die zu den in Artikel 8 II der Richtlinie 91/439 genannten Maßnahmen gehöre. Dies stehe im Einklang mit Artikel 8 IV der Richtlinie, der mit § 28 IV Nummer 3 FeV 1999 in die deutsche Rechtsordnung umgesetzt worden sei.

Die Anwendung dieser Bestimmung sei nicht auf die Fälle des Umtauschs eines gültigen Führerscheins beschränkt. Die Bestimmung sei naturgemäß auch anwendbar, wenn der Inhaber den Umtausch seines ausländischen Führerscheins beantrage. Sie sei aber nicht ausschließlich in diesem Fall anwendbar. Diese Auffassung werde entgegen den Ausführungen des vorlegenden Gerichts durch den Wortlaut des Artikels 8 Absätze 2 und 4 der Richtlinie gestützt.

Außerdem widerspreche die Weigerung, die Gültigkeit eines ausländischen Führerscheins anzuerkennen, in diesen eng umschriebenen Fällen nicht dem in Artikel 1 II der Richtlinie enthaltenen Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, da es im Interesse aller Mitgliedstaaten liege, dass die in Artikel 8 II der Richtlinie genannten inländischen Maßnahmen respektiert würden. In diesem Sinne sei auch die letzte Begründungserwägung der Richtlinie zu verstehen. Die Kommission verweist insoweit auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach die Mitgliedstaaten berechtigt seien, die Maßnahmen zu treffen, die verhindern sollten, dass sich einige ihrer Staatsangehörigen unter Missbrauch der durch den EG-Vertrag geschaffenen Möglichkeiten der Anwendung des nationalen Rechts entziehen und sich in missbräuchlicher oder betrügerischer Absicht auf Gemeinschaftsrecht berufen.

In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission jedoch die Ansicht vertreten, dass sie auf Grund des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, wie er sich nach den Erläuterungen darstelle, die das vorlegende Gericht auf Ersuchen des Gerichtshofes gegeben habe, ihre Erklärungen in diesem Punkt ergänzen müsse. Es sei nämlich zu berücksichtigen, dass die in Deutschland angeordnete Maßnahme der Entziehung der Fahrerlaubnis diesen Klarstellungen zufolge auf neun Monate begrenzt gewesen sei und Herr Kapper zum Zeitpunkt der Ausstellung des niederländischen Führerscheins in seinem Heimatland grundsätzlich eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis hätte beantragen können. In Anbetracht dieser Umstände sei Artikel 8 IV der Richtlinie nicht so auszulegen, dass ein Mitgliedstaat einem von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein auf unbestimmte Zeit über den Zeitpunkt hinaus, zu dem der Betroffene im erstgenannten Mitgliedstaat eine neue Fahrerlaubnis hätte erhalten können, die Anerkennung versagen könne.

Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung außerdem ihre schriftliche Antwort auf die ihr gestellte Frage des Gerichtshofes, ob die Bundesrepublik Deutschland die in Artikel 10 II der Richtlinie 91/439 genannte Zustimmung eingeholt habe, ergänzt. Sie habe ihre Zustimmung zu den Bestimmungen des § 28 FeV 1999 implizit gegeben, da ihr diese notifiziert worden seien und sie gegen diese - anders als bei anderen Bestimmungen der FeV 1999, die Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens seien - keine Einwände gehabt habe. Artikel 10 II der Richtlinie verlange von der Kommission keine förmlichen Entscheidungen, mit denen sie den ihr von den Mitgliedstaaten mitgeteilten nationalen Vorschriften ausdrücklich ihre Zustimmung erteile.


Antwort des Gerichtshofes

Soweit es Artikel 8 IV Unterabsatz 1 der Richtlinie 91/439 einem Mitgliedstaat erlaubt, die Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins dann nicht anzuerkennen, wenn auf dessen Inhaber in seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme der Einschränkung, der Aussetzung, des Entzugs oder der Aufhebung der Fahrerlaubnis angewendet wurde, stellt er eine Ausnahme von dem in Artikel 1 II der Richtlinie enthaltenen allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine dar.

Wie sich aus der ersten Begründungserwägung der Richtlinie ergibt, wurde dieser Grundsatz aufgestellt, um die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben. Dazu hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Regelungen über die Ausstellung und die gegenseitige Anerkennung der Führerscheine durch die Mitgliedstaaten sowohl unmittelbaren als auch mittelbaren Einfluss auf die Ausübung der Rechte haben, die durch die Bestimmungen des Vertrages über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr gewährleistet werden. Im Hinblick auf die Bedeutung der Individualverkehrsmittel kann nämlich der Besitz eines vom Aufnahmestaat ordnungsgemäß anerkannten Führerscheins Einfluss auf die tatsächliche Ausübung einer großen Zahl von unselbständigen oder selbständigen Erwerbstätigkeiten und, allgemeiner gesagt, der Freizügigkeit durch die unter das Gemeinschaftsrecht fallenden Personen haben.

Nach ständiger Rechtsprechung sind die Bestimmungen einer Richtlinie, die von einem in dieser Richtlinie aufgestellten allgemeinen Grundsatz abweichen, eng auszulegen. Dies muss erst recht gelten, wenn dieser allgemeine Grundsatz die Ausübung von durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten, wie sie in Randnummer 71 des vorliegenden Urteils aufgeführt sind, erleichtern soll.

Es ist jedoch klarzustellen, dass entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts die Anwendung von Artikel 8 IV der Richtlinie nicht auf die Fälle beschränkt ist, in denen die Behörden eines Mitgliedstaats vom Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins mit einem Antrag auf Umtausch dieses Führerscheins befasst werden. Denn auch wenn Artikel 8 der Richtlinie mehrere Bestimmungen enthält, die die materiellen und formellen Voraussetzungen für den Umtausch oder die Ersetzung eines Führerscheins speziell für den Fall regeln, dass der Inhaber bei den zuständigen Behörden einen entsprechenden Antrag stellt, so haben die Absätze 2 und 4 dieses Artikels doch einen anderen Zweck, nämlich den, es den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, in ihrem Hoheitsgebiet ihre nationalen Vorschriften über den Entzug, die Aussetzung und die Aufhebung der Fahrerlaubnis anzuwenden. Die Ausübung der ihnen in Artikel 8 Absätze 2 und 4 der Richtlinie eingeräumten Befugnis durch die Mitgliedstaaten kann daher nicht von einer freiwilligen Handlung des Inhabers eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins, wie es die Beantragung eines Umtauschs dieses Führerscheins darstellt, abhängen. Es ist daran zu erinnern, dass nach der Rechtsprechung die Richtlinie 91/439 die Systeme des Führerscheinumtauschs ausdrücklich beseitigen wollte und dass sie es den Mitgliedstaaten verbietet, die Registrierung oder den Umtausch der nicht von ihren eigenen Behörden ausgestellten Führerscheine zu verlangen, wenn sich die Inhaber dieser Führerscheine in ihrem Hoheitsgebiet niederlassen.

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten und aus den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen, dass das nationale Gericht im Ausgangsverfahren neben anderen Vorschriften auch § 28 IV Nummern 3 und 4 FeV 1999 zu beachten hat. Diese Bestimmungen, die anwendbar sind, wenn der Führerscheininhaber seinen ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hat, hindern die deutschen Behörden offenbar daran, die Gültigkeit des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins u. a. dann anzuerkennen, wenn auf den Inhaber in Deutschland eine von einem Gericht erlassene Maßnahme des Entzugs seiner Fahrerlaubnis angewendet wurde. In einem solchen Fall kann der Betroffene nach der anwendbaren Regelung einen in Deutschland gültigen Führerschein anscheinend nur dann erhalten, wenn er bei den zuständigen Behörden die Neuerteilung der Fahrerlaubnis beantragt und den damit verbundenen Voraussetzungen und Prüfungen genügt. Seit dem 1. 9. 2002 sieht § 28 Absatz 5 FeV 2002 jedoch ausdrücklich vor, dass die deutschen Behörden dem Betroffenen gestatten können, von seiner von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, wenn die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen.

Außerdem ergibt sich aus den Akten, dass im Strafbefehl vom 26. 2. 1998 gegen Herrn Kapper neben der Entziehung oder Aufhebung der Fahrerlaubnis eine Sperrfrist angeordnet war, die am 25. 11. 1998 ablief. Nach diesem Zeitpunkt hätte Herr Kapper nach den Angaben des vorlegenden Gerichts bei den deutschen Behörden einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis stellen können. Somit bestand für Herrn Kapper, als ihm am 11. 8. 1999 von den niederländischen Behörden ein Führerschein ausgestellt wurde, im deutschen Hoheitsgebiet keine Sperre mehr für die Beantragung einer Neuerteilung der Fahrerlaubnis bei den zuständigen Behörden der Bundesrepublik Deutschland.

Nach dem Wortlaut von Artikel 8 IV der Richtlinie 91/439 kann ein Mitgliedstaat es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in II dieses Artikels genannten Maßnahmen angewendet wurde. Da diese Bestimmung eng auszulegen ist, kann sich ein Mitgliedstaat nicht auf sie berufen, um einer Person, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer früher von ihm erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins zu versagen, der ihr möglicherweise später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird. Ist nämlich die zusätzlich zu der fraglichen Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats bereits abgelaufen, so verbietet es Artikel 1 II in Verbindung mit Artikel 8 IV der Richtlinie 91/439 diesem Mitgliedstaat, weiterhin die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins, der dem Betroffenen später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist, abzulehnen.

Gegen diese Schlussfolgerung lässt sich nicht einwenden, dass die anwendbaren nationalen Vorschriften, insbesondere § 28 FeV 1999, gerade darauf abzielen, die zeitlichen Wirkungen einer Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer früheren Fahrerlaubnis auf unbestimmte Zeit zu verlängern und den deutschen Behörden die Zuständigkeit für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis vorzubehalten. Wie der Generalanwalt in Nummer 75 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, wäre es die Negation des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine selbst, der den Schlussstein des mit der Richtlinie 91/439 eingeführten Systems darstellt, wenn man einen Mitgliedstaat für berechtigt hielte, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins unter Berufung auf seine nationalen Vorschriften unbegrenzt zu verweigern.

Nach alledem ist auf den zweiten Teil der Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 1 II in Verbindung mit Artikel 8 IV der Richtlinie 91/439 so auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht deshalb ablehnen darf, weil im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats auf den Inhaber des Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Staat erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, wenn die zusammen mit dieser Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedstaat abgelaufen war, bevor der Führerschein von dem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist.


Kosten

Die Auslagen der deutschen, der italienischen und der niederländischen Regierung sowie der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.


Aus diesen Gründen


hat DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer) auf die ihm vom AG Frankenthal mit Entscheidung vom 11. 10. 2001, berichtigt durch Schreiben vom 19. 12. 2001, vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 1 II in Verbindung mit Artikel 7 I Buchstabe b und Artikel 9 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. 7. 1991 über den Führerschein in der Fassung der Richtlinie 97/26/EG des Rates vom 2. 6. 1997 ist so auszulegen, dass ein Mitgliedstaat einem von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein die Anerkennung nicht deshalb versagen darf, weil nach den ihm vorliegenden Informationen der Führerscheininhaber zum Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats und nicht im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats gehabt hat.

Artikel 1 II in Verbindung mit Artikel 8 IV der Richtlinie 91/439 ist so auszulegen, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht deshalb ablehnen darf, weil im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats auf den Inhaber des Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Staat erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, wenn die zusammen mit dieser Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedstaat abgelaufen war, bevor der Führerschein von dem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist.


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(1) Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Absatz 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Be

(1) Eine Fahrerlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Bewerber seinen ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hat. Dies wird angenommen, wenn der Bewerber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – bei fehlenden berufliche
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12/05/2021 14:55

Das Verwaltungsgericht Weimar (8 E 416/21) erachtet die Entscheidung des AG Weimar (9 F 148/21), die über die Aufhebung jeglicher Corona-Schutzmaßnahmen in Weimarer Schulen befunden hat, als „offensichtlich rechtswidrig“. Eine solche Befugnis über die Anordnungen von Behörden zu entscheiden, stehe nicht dem Familiengericht zu, sondern fällt in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte.  So hat mittlerweile das Oberlandesgericht Jena (OLG Jena) den umstrittenen Beschluss wieder aufgehoben. Dirk Streifler - Streifler&Kollegen - Rechtsanwälte Berlin
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Die Schlussbescheide des Landes NRW mit denen, die Bezirksregierung versucht hat geleistete Corona-Soforthilfen von Empfängern zurückzuerlangen, sind rechtswidrig. Das entschied das Verwaltungsgericht Düsseldorf am 16.08.2022 und gab den Klägern in drei Pilotverfahren Recht.  Dass dies kein Einzelfall ist zeigen auch die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Köln sowie des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen. Das VG Köln hat noch am selben Tag, mit sechs Urteilen entschieden, dass die Rückforderung von im Frühjahr ausgezahlten Coronahilfen durch das Land Nordrhein-Westfalen nicht rechtmäßig war. Nur eine Woche später hat auch das VG Gelsenkirchen den Klägern - einen sososälbstständigen Veranstaltungstechniker sowie einer Rechtsanwaltsozietät - Recht gegeben. Auch sie konnten sich erfolgreich gegen die Rückforderungen erhaltener Coronahilfen wehren. Das können Sie auch! Kontaktieren Sie Streifler&Kollegen noch heute! Streifler&Kollegen - Rechtsanwälte Berlin  
15/04/2014 11:58

Mit Verabschiedung der FIFA Regularien das Public Viewing betreffend nimmt Rechtsunsicherheit auf Seiten der Veranstalter fortwährend zu. Wir beraten Sie im Vorfeld über eine sachgerechte Vorgehensweise.
Artikel zu Verwaltungsrecht

Annotations

(1) Eine Fahrerlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Bewerber seinen ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hat. Dies wird angenommen, wenn der Bewerber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – bei fehlenden beruflichen Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, das heißt während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt. Ein Bewerber, dessen persönliche Bindungen im Inland liegen, der sich aber aus beruflichen Gründen in einem oder mehreren anderen Staaten aufhält, hat seinen ordentlichen Wohnsitz im Sinne dieser Vorschrift im Inland, sofern er regelmäßig hierhin zurückkehrt. Die Voraussetzung entfällt, wenn sich der Bewerber zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer in einem solchen Staat aufhält.

(2) Bewerber, die bislang ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten und die sich ausschließlich zum Zwecke des Besuchs einer Hochschule oder Schule in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum aufhalten, behalten ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland.

(3) Bewerber, die bislang ihren ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum hatten und die sich ausschließlich wegen des Besuchs einer Hochschule oder Schule im Inland aufhalten, begründen keinen ordentlichen Wohnsitz im Inland. Ihnen wird die Fahrerlaubnis erteilt, wenn die Dauer des Aufenthalts mindestens sechs Monate beträgt.

(1) Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Absatz 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Auflagen zur ausländischen Fahrerlaubnis sind auch im Inland zu beachten. Auf die Fahrerlaubnisse finden die Vorschriften dieser Verordnung Anwendung, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Der Umfang der Berechtigung der jeweiligen Fahrerlaubnisklassen ergibt sich aus dem Beschluss (EU) 2016/1945 der Kommission vom 14. Oktober 2016 über Äquivalenzen zwischen Führerscheinklassen (ABl. L 302 vom 9.11.2016, S. 62). Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Fahrerlaubnisklassen, für die die Entscheidung der Kommission keine entsprechenden Klassen ausweist. Für die Berechtigung zum Führen von Fahrzeugen der Klassen L und T gilt § 6 Absatz 3 entsprechend.

(3) Die Vorschriften über die Geltungsdauer von Fahrerlaubnissen der Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE und D1E in § 23 Absatz 1 gelten auch für die entsprechenden EU- und EWR-Fahrerlaubnisse. Grundlage für die Berechnung der Geltungsdauer ist das Datum der Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis. Wäre danach eine solche Fahrerlaubnis ab dem Zeitpunkt der Verlegung des ordentlichen Wohnsitzes in die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr gültig, weil seit der Erteilung mehr als fünf Jahre verstrichen sind, besteht die Berechtigung nach Absatz 1 Satz 1 noch sechs Monate, gerechnet von der Begründung des ordentlichen Wohnsitzes im Inland an. Für die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis ist § 30 in Verbindung mit § 24 Absatz 1 entsprechend anzuwenden.

(4) Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis,

1.
die lediglich im Besitz eines Lernführerscheins oder eines anderen vorläufig ausgestellten Führerscheins sind,
2.
die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Absatz 2 die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben,
3.
denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben,
4.
denen auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf,
5.
solange sie im Inland, in dem Staat, der die Fahrerlaubnis erteilt hatte, oder in dem Staat, in dem sie ihren ordentlichen Wohnsitz haben, einem Fahrverbot unterliegen oder der Führerschein nach § 94 der Strafprozessordnung beschlagnahmt, sichergestellt oder in Verwahrung genommen ist,
6.
die zum Zeitpunkt des Erwerbs der ausländischen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis Inhaber einer deutschen Fahrerlaubnis waren,
7.
deren Fahrerlaubnis aufgrund einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates, der nicht in der Anlage 11 aufgeführt ist, prüfungsfrei umgetauscht worden ist, oder deren Fahrerlaubnis aufgrund eines gefälschten Führerscheins eines Drittstaates erteilt wurde,
8.
die zum Zeitpunkt der Erteilung einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates, die in eine ausländische EU- oder EWR-Fahrerlaubnis umgetauscht worden ist, oder zum Zeitpunkt der Erteilung der EU- oder EWR-Fahrerlaubnis auf Grund einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates ihren Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie die ausländische Erlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Absatz 2 in eine ausländische EU- oder EWR-Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts umgetauscht haben, oder
9.
die den Vorbesitz einer anderen Klasse voraussetzt, wenn die Fahrerlaubnis dieser Klasse nach den Nummern 1 bis 8 im Inland nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt.
In den Fällen des Satzes 1 kann die Behörde einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen. Satz 1 Nummer 3 und 4 ist nur anzuwenden, wenn die dort genannten Maßnahmen im Fahreignungsregister eingetragen und nicht nach § 29 des Straßenverkehrsgesetzes getilgt sind. Satz 1 Nummer 9 gilt auch, wenn sich das Fehlen der Berechtigung nicht unmittelbar aus dem Führerschein ergibt.

(5) Das Recht, von einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis nach einer der in Absatz 4 Nummer 3 und 4 genannten Entscheidungen im Inland Gebrauch zu machen, wird auf Antrag erteilt, wenn die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen. Absatz 4 Satz 3 sowie § 20 Absatz 1 und 3 gelten entsprechend.