Außergewöhnliche Belastungen: Zumutbare Belastung bei Krankheitskosten sind verfassungsgemäß
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Beiträge für eine (Basis-)Krankenversicherung sind ohne Beschränkungen als Sonderausgaben abzugsfähig. Darunter fallen jedoch nur solche Ausgaben, die zumindest im Zusammenhang mit der Erlangung des Versicherungsschutzes stehen.
Ist dies nicht der Fall, können Krankheitskosten grundsätzlich als außergewöhnliche Belastungen in der Steuererklärung geltend gemacht werden. Darunter fallen z.B. Aufwendungen für Zahnreinigung und Zweibettzimmerzuschläge sowie Aufwendungen für Zuzahlungen für Medikamente, die von den Krankenversicherungen nicht übernommen worden sind. Das Problem: außergewöhnliche Belastungen wirken sich nur dann steuermindernd aus, wenn die zumutbare Belastung (abhängig vom Gesamtbetrag der Einkünfte, Familienstand und Zahl der Kinder) überschritten wurde. Strittig war nun, ab dies auch für Krankheitskosten gilt.
Ansicht des Bundesfinanzhofs
In den entschiedenen Streitfällen argumentierten die Steuerpflichtigen, dass ihre Krankheitskosten von Verfassungs wegen ohne Berücksichtigung einer zumutbaren Belastung abzuziehen seien. Denn das Bundesverfassungsgericht habe entschieden, dass Krankenversicherungsbeiträge Teil des einkommensteuerrechtlich zu verschonenden Existenzminimums seien. Dies müsse jedenfalls auch für Praxis- und Rezeptgebühren gelten. Diese Ansicht teilte der Bundesfinanzhof jedoch nicht.
Es ist verfassungsrechtlich nicht geboten, bei Krankheitskosten (einschließlich der Praxis- und Rezeptgebühren) auf den Ansatz der zumutbaren Belastung zu verzichten. Denn zum verfassungsrechtlich zu achtenden Existenzminimum, das sich grundsätzlich nach dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau richtet, gehören solche Zuzahlungen nicht, da auch Sozialhilfeempfänger solche leisten müssen.
Beachten Sie: Eine Zuzahlung mag zwar dann nicht mehr zumutbar sein, wenn dadurch in das verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum eingegriffen werden sollte. Das war in den Streitfällen angesichts der Einkünfte der Steuerpflichtigen und deren Aufwendungen von 143 EUR und 170 EUR aber nicht der Fall. Somit konnte der Bundesfinanzhof offenlassen, ob etwas anderes gilt, wenn der Steuerpflichtige Zuzahlungen leisten muss und dadurch das zu versteuernde Einkommen den Grundfreibetrag (8.652 EUR in 2016) unterschreitet.
Quelle: BFH, Urteil vom 2.9.2015, (Az.: VI R 33/13); BFH, Urteil vom 2.9.2015, (Az.: VI R 32/13).
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Tenor
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Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 14. Juni 2012 1 K 28/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Streitig ist, ob Aufwendungen für die Praxisgebühr und Zuzahlungen zu Medikamenten als außergewöhnliche Belastung ohne Berücksichtigung einer zumutbaren Belastung anzusetzen sind.
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Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), zur Einkommensteuer des Streitjahres (2010) zusammenveranlagte kinderlose Eheleute, erzielten einen Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 35.708 €. Die Kläger wandten im Streitjahr für Praxisgebühren insgesamt 120 € sowie für Zuzahlungen zu Medikamenten insgesamt 52 € auf und machten diese Kosten als außergewöhnliche Belastungen im Rahmen ihrer Einkommensteuerveranlagung geltend.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte diese Aufwendungen im Einkommensteuerbescheid des Streitjahres nicht als außergewöhnliche Belastungen, da die Aufwendungen die zumutbare Belastung (5 % von 35.708 €) nicht überstiegen.
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Dagegen machten die Kläger vor dem Finanzgericht (FG) geltend, dass diese Aufwendungen steuerlich in voller Höhe zu berücksichtigen seien; die Zuzahlungen gehörten zu der Krankenversorgung der Kläger, die aus verfassungsrechtlichen Gründen von der Einkommensteuer freizustellen sei.
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Das FG wies die Klage ab. Die geltend gemachten Aufwendungen seien zwar außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG), da die Praxisgebühren gemäß §§ 28 Abs. 4 Satz 1, 61 Satz 2 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) sowie die Zuzahlungen zu Arzneimitteln nach Maßgabe der §§ 31 Abs. 3 Satz 1, 61 Satz 1 SGB V zu den Krankheitskosten gehörten. Die Aufwendungen wirkten sich aber im Streitfall steuerlich nicht aus, weil die zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 1 und Abs. 3 EStG) nicht überschritten sei. Gegen den Ansatz einer zumutbaren Belastung bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil den Klägern ein verfügbares Einkommen über dem Existenzminimum verbleibe.
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Dem stehe die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Abzugsfähigkeit der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (BVerfG-Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125) nicht entgegen. Insoweit sei der Auffassung des Niedersächsischen FG zu folgen, dass eine zumutbare Belastung auch bei Krankheitskosten zu berücksichtigen sei (Niedersächsisches FG, Urteil vom 7. Dezember 2011 2 K 19/11, Finanz-Rundschau --FR-- 2012, 968).
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Die Kläger rügen mit der Revision die Verletzung von Verfassungsrecht. In der Vergangenheit hätten sowohl der Bundesfinanzhof (BFH) als auch das BVerfG die Berücksichtigung der zumutbaren Belastung zwar als verfassungsgemäß beurteilt. Neuerdings habe aber das BVerfG mit Beschluss in BVerfGE 120, 125 entschieden, dass Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für seine Krankenversorgung steuerfrei bleiben müssten, soweit sie mit der Versorgung auf Sozialhilfeniveau vergleichbar seien.
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Die Grundsätze dieses Beschlusses seien über den Bereich des Sonderausgabenabzugs hinaus folgerichtig auch im Bereich der außergewöhnlichen Belastungen anzuwenden. Denn Krankheitskosten, die dem sozialhilfegleichen Versorgungsniveau entsprächen, müssten sich ebenfalls steuermindernd auswirken, weil die Aufwendungen für die Krankheitskosten selbst ebenso wie die Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung zur Krankenversorgung gehörten.
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Ein Empfänger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts werde nicht mit Krankheitskosten belastet, soweit die Belastungsgrenze von 87,36 € überschritten werde. Zuzahlungen Steuerpflichtiger, die diesen Betrag überstiegen, müssten ohne Berücksichtigung einer zumutbaren Belastung freigestellt werden.
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Die Kläger beantragen,
das Urteil des FG Hamburg vom 14. Juli 2012 mit der Maßgabe aufzuheben, Krankheitskosten in Höhe von 172 €, soweit sie dem sozialhilfegleichen Versorgungsniveau entsprechen, als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG ohne Abzug der zumutbaren Belastung zu berücksichtigen.
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Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die von den Klägern aufgewendeten Krankheitskosten zwar grundsätzlich unter den Tatbestand der außergewöhnlichen Belastungen fallen, sich im Streitfall aber steuerlich nicht auswirken, weil die Aufwendungen die zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 1 und Abs. 3 EStG) nicht überschritten haben. Es ist auch von Verfassungs wegen nicht geboten, hinsichtlich dieser Aufwendungen auf den Ansatz einer zumutbaren Belastung zu verzichten.
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1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird nach § 33 Abs. 1 EStG auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (Abs. 3) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird.
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Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Dementsprechend geht der BFH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Krankheitskosten --ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung-- dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Bei den typischen und unmittelbaren Krankheitskosten wird die Außergewöhnlichkeit letztlich unwiderleglich vermutet und die Zwangsläufigkeit dieser Aufwendungen weder dem Grunde nach (stets aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig) noch der Höhe nach (Angemessenheit und Notwendigkeit im Einzelfall) geprüft (zuletzt Senatsurteil vom 14. April 2015 VI R 89/13, BFHE 249, 483, BStBl II 2015, 703, m.w.N.).
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Nach § 33 Abs. 3 EStG beträgt die zumutbare Belastung in Abhängigkeit vom Gesamtbetrag der Einkünfte der Steuerpflichtigen und in Abhängigkeit davon, ob bei den Steuerpflichtigen der Grundtarif oder das Splittingverfahren zur Anwendung kommt sowie ob mehr oder weniger als drei Kinder zu berücksichtigen sind, zwischen 1 % und 7 % des Gesamtbetrags der Einkünfte.
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2. Nach diesen Grundsätzen ist es zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig, dass Zuzahlungen Krankheitskosten darstellen und daher grundsätzlich als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind (offen gelassen im BFH-Urteil vom 18. Juli 2012 X R 41/11, BFHE 238, 103, BStBl II 2012, 821). Die Krankheitskosten sind allerdings nur insoweit als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, als sie den Betrag der nach § 33 Abs. 3 EStG ermittelten zumutbaren Belastung überschreiten. Denn § 33 Abs. 3 EStG differenziert bei der Ermittlung der zumutbaren Belastung nicht zwischen Krankheitskosten und anderen Aufwendungen, die als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind; der Wortlaut ist insoweit eindeutig.
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Soweit die einkommenssteuerrechtliche Literatur zur verfassungsrechtlichen Beurteilung des Ansatzes einer zumutbaren Belastung Stellung nimmt, geht eine Auffassung davon aus, dass ein solcher Ansatz verfassungsrechtlich hinnehmbar sei (Blümich/Heger, § 33 EStG Rz 134; Kanzler in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 33 EStG Rz 216; Stöcker in Lademann, EStG, § 33 Rz 257; C.P. Steger, Die außergewöhnliche Belastung im Steuerrecht, Baden-Baden 2008, S. 190 ff.) oder dass dies jedenfalls dann gelte, solange ein verfügbares Einkommen über dem Existenzminimum verbleibe (Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 14. Aufl., § 33 Rz 48; Fuhrmann in Korn, § 33 EStG Rz 57). Soweit die zumutbare Belastung als verfassungswidrig beurteilt wird, wird dies insbesondere damit begründet, dass die zumutbare Belastung dem Prinzip der Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit widerspreche (J. Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, S. 618 f.; Tipke, Steuerrechtsordnung, 2. Aufl., Bd. II, S. 830 f.; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 8 Rz 720; L. Karrenbrock/Petrak, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2011, 552; H. Haupt, DStR 2010, 960; Arndt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 33 Rz A 6, B 44) oder dass die Berechnung der zumutbaren Belastung zu im Ergebnis verfassungswidrigen Progressionssprüngen führen könne (Kosfeld, FR 2009, 366, FR 2012, 969, FR 2013, 359).
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3. Der erkennende Senat ist der Auffassung, dass der Ansatz der zumutbaren Belastung bei Krankheitskosten, auch soweit es um den Abzug von Zuzahlungen geht, von Verfassungs wegen hinzunehmen ist. Die Bemessung des einkommensteuerrechtlich maßgeblichen Existenzminimums richtet sich grundsätzlich nach dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau. Auch Sozialhilfeempfänger haben jedoch Zuzahlungen zu leisten. Daher ist eine Differenzierung zwischen Krankheitskosten und anderen als außergewöhnliche Belastungen abziehbaren Aufwendungen beim Ansatz der zumutbaren Belastung verfassungsrechtlich nicht geboten.
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a) Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Beurteilung, ob eine einkommensteuerrechtliche Regelung Aufwendungen des Steuerpflichtigen aus dem Bereich der privaten Lebensführung hinreichend berücksichtigt, das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums, das aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes abzuleiten ist. Danach hat der Staat das Einkommen des Bürgers insoweit steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie benötigt. Dem Grundgedanken der Subsidiarität, wonach Eigenversorgung Vorrang vor staatlicher Fürsorge hat, entspricht es, dass sich die Bemessung des einkommensteuerrechtlich maßgeblichen Existenzminimums nach dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau richtet. Was der Staat dem Einzelnen voraussetzungslos aus allgemeinen Haushaltsmitteln zur Verfügung zu stellen hat, das darf er ihm nicht durch Besteuerung seines Einkommens entziehen (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 120, 125; vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653; jeweils m.w.N.).
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b) Zu diesem einkommensteuerrechtlich zu verschonenden Existenzminimum gehören grundsätzlich auch die Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Kranken- und Pflegeversorgung. Denn das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums schützt nicht nur das sogenannte sächliche Existenzminimum für Nahrung, Kleidung, Hygiene, Hausrat, Wohnung und Heizung.
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aa) Der erkennende Senat geht dabei davon aus, dass Aufwendungen für eine Kranken- und Pflegeversorgung dem Grunde nach nicht nur die Beiträge zur Krankenversicherung, sondern auch den eigentlichen Sachaufwand für eine Krankenversorgung umfassen. Denn auch das BVerfG sieht es als unerheblich an, ob die Kranken- und Pflegeversorgung indirekt über eine Versicherung oder direkt über Versorgungsleistungen sichergestellt werde. Solange der Empfänger entsprechender Sozialleistungen aus den allgemeinen Haushaltsmitteln finanziert werde, sei der entsprechende Aufwand im Einkommensteuerrecht steuerfrei zu stellen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 120, 125, Rz 115).
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bb) Allerdings ist für die Bemessung des existenznotwendigen Aufwands hinsichtlich der Aufwendungen für eine Kranken- und Pflegeversorgung der Höhe nach auf das sozialhilferechtlich gewährleistete Leistungsniveau als eine das Existenzminimum quantifizierende Vergleichsebene abzustellen (so BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 120, 125; vom 25. September 1992 2 BvL 5, 8, 14/91, BVerfGE 87, 153 <171>).
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c) Die hier im Einzelnen streitigen Aufwendungen sind nicht Teil des sozialhilferechtlichen Versorgungsniveaus. Denn auch Sozialhilfeempfänger müssen seit 2004 Zuzahlungen leisten und hatten die Praxisgebühr zu entrichten.
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aa) Nach § 31 Abs. 3 SGB V haben Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, an die abgebende Stelle zu jedem zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordneten Arznei- und Verbandmittel als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 1 SGB V ergebenden Betrag zu leisten, jedoch jeweils nicht mehr als die Kosten des Mittels ("Arzneimittelzuzahlung"; Beck in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 2. Aufl. 2012, § 31 SGB V). Nach § 28 SGB V in der vom 1. April 2007 bis 31. Dezember 2011 geltenden und damit auch hier im Streitjahr anwendbaren Fassung hatten Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet hatten, je Kalendervierteljahr für jede erste Inanspruchnahme eines an der ambulanten ärztlichen, zahnärztlichen oder psychotherapeutischen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringers, die nicht auf Überweisung aus demselben Kalendervierteljahr erfolgt, als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 2 SGB V ergebenden Betrag an den Leistungserbringer zu leisten ("Praxisgebühr"; Fahlbusch in: Schlegel/ Voelzke, a.a.O., § 28 SGB V Rz 82 ff.). Das sind im Fall der Arzneimittelzuzahlung nach § 61 Satz 1 SGB V 10 % des Abgabepreises, mindestens jedoch 5 € und höchstens 10 €, allerdings jeweils nicht mehr als die Kosten des Mittels. Im Fall der Praxisgebühr waren dies 10 € je Kalendervierteljahr. Zuzahlungsverpflichtungen (insgesamt dazu: Albers in: Schlegel/ Voelzke, a.a.O., § 62 SGB V Rz 17) bestehen insbesondere auch für Heilmittel (§ 32 Abs. 2 i.V.m. § 61 Satz 3 SGB V), Hilfsmittel (§ 33 Abs. 8 i.V.m. § 61 Satz 1 SGB V) sowie zur Krankenhausbehandlung (§ 39 Abs. 4 i.V.m. § 61 Satz 2 SGB V).
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bb) Diese Zuzahlungen nach § 61 SGB V sind bis zur Belastungsgrenze des § 62 SGB V von jedem Versicherten zu erbringen. Die Belastungsgrenze beträgt 2 % der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt (§ 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V); für chronisch Kranke, die wegen derselben schwerwiegenden Krankheit in Dauerbehandlung sind, reduziert sie sich auf 1 %. Dies gilt nach § 62 Abs. 2 Sätze 5 und 6 SGB V in grundsätzlich gleicher Weise auch für Versicherte, die Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) erhalten, sowie für Versicherte, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhalten. Bei Versicherten, die Sozialleistungen nach dem SGB XII oder nach dem SGB II erhalten, sind als Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt für die gesamte Bedarfsgemeinschaft der Regelsatz des Haushaltsvorstands nach der Regelsatzverordnung und die Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II maßgeblich (§ 62 Abs. 2 Sätze 5, 6 SGB V).
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Diese Rechtslage gilt ab Januar 2004. Der Gesetzgeber hat mit dem GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14. November 2003 (BGBl I 2003, 2190) auch die zuvor durch § 62 SGB V in der bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung gegebene Möglichkeit der Befreiung von der Zuzahlungspflicht entfallen lassen (zur Rechtsentwicklung Albers in: Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 62 SGB V Rz 2). Die Zuzahlungen sollen nunmehr aus dem Regelsatz erbracht werden, um im Hinblick auf die Zuzahlungen Sozialhilfeempfänger den Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung gleichzustellen. Im Ergebnis haben damit, so auch das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 16. Dezember 2010 B 8 SO 7/09 R (Sozialrecht 4-3500 § 28 Nr. 6, BSGE 107, 169), seit dem 1. Januar 2004 Sozialhilfeempfänger wie alle gesetzlich Versicherten Zuzahlungen von bis zu 2 % ihres Bruttoeinkommens zu erbringen.
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cc) Dagegen bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Krankenversicherte Bezieher von Arbeitslosengeld II haben zwar monatliche Zuzahlungen zu leisten und Leistungskürzungen des GMG hinzunehmen; das verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum ist dadurch aber nicht unterschritten. Der erkennende Senat nimmt insoweit auf die Rechtsprechung des BSG Bezug, die die durch das GMG geänderten §§ 61, 62 SGB V für verfassungsgemäß hält (Urteil vom 22. April 2008 B 1 KR 10/07 R, BSGE 100, 221; die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil wurde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG-Kammerbeschluss vom 25. März 2010 1 BvR 2220/08). Das BSG hat sich dabei zur Frage, ob das verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum unterschritten sei, auf die Rechtsprechung des BVerfG gestützt. Denn danach ist es dem Gesetzgeber prinzipiell erlaubt, den Versicherten über den Beitrag hinaus zur Entlastung der Krankenkassen und zur Stärkung des Kostenbewusstseins in Form von Zuzahlungen zu bestimmten Leistungen zu beteiligen, soweit dies dem Einzelnen finanziell zugemutet werden kann (BVerfG-Beschluss vom 6. Dezember 2005 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25, unter B.I.2.b; Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, § 31 SGB V Rz 4).
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d) Da auch Empfänger von Sozialleistungen die Zuzahlungen aus den ihnen zur Verfügung gestellten Sozialleistungen bis zur Belastungsgrenze selbst zu erbringen haben, gehören Zuzahlungen i.S. des § 61 SGB V nicht zum einkommensteuerrechtlichen Existenzminimum.
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aa) Wenn nach sozialhilferechtlichen Maßstäben die Krankheitsversorgung nicht zuzahlungsfrei, sondern aus den für die Haushaltsführung zur Verfügung stehenden Geldmitteln zu finanzieren ist, ist es nicht zu beanstanden, dass Empfänger von Leistungen in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung Zuzahlungen zu Krankheitskosten in betragsmäßig geringerem Umfang zu leisten haben als Steuerpflichtige mit einem entsprechend höheren Gesamtbetrag der Einkünfte. Denn auch diese haben bis zu 2 % --bei chronischer Erkrankung 1 %-- der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel für Zuzahlungen zu den Leistungen der Krankenversicherung zu erbringen und werden demnach mit Sozialhilfeempfängern gleich behandelt.
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Eine Zuzahlung mag zwar dann nicht mehr zumutbar sein, wenn dadurch in das verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum eingegriffen werden sollte (BSG-Urteil in BSGE 100, 221, Rz 16). Solange allerdings der tatsächliche Umfang der von den Steuerpflichtigen erbrachten Aufwendungen für die Zuzahlungen der Höhe nach nicht geeignet ist, dieses Existenzminimum zu tangieren, hält der erkennende Senat keine Einschränkung der zumutbaren Belastung von Verfassungs wegen für geboten. Im hier vorliegenden Streitfall der Kläger mit streitigen Aufwendungen in Höhe von 172 € sind angesichts des Gesamtbetrags ihrer Einkünfte keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das einkommensteuerrechtliche Existenzminimum betroffen wäre. Angesichts dessen kann der Senat hier dahinstehen lassen, ob in den Fällen, in denen der Steuerpflichtige Zuzahlungen zu leisten hat und dadurch dessen zu versteuerndes Einkommen den Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG unterschreitet, eine verfassungskonforme Auslegung des § 33 EStG, eine Vorlage an das BVerfG oder eine aus Billigkeitsgründen abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 der Abgabenordnung in Betracht kommt.
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bb) Das einkommensteuerrechtliche Existenzminimum wird zwar noch nicht allein dadurch in einer verfassungsrechtlich hinreichenden Art und Weise berücksichtigt, dass dem Steuerpflichtigen nach Zahlung der Steuer ein ausreichendes Einkommen zur Verfügung bleibt. Denn das einkommensteuerrechtliche Existenzminimum ist für alle Steuerpflichtigen unabhängig von ihrem individuellen Grenzsteuersatz in voller Höhe von der Einkommensteuer freizustellen. Das hat das BVerfG schon in seinem Beschluss zum Familienleistungsausgleich vom 10. November 1998 2 BvL 42/93 (BStBl II 1999, 174, BVerfGE 99, 246) und ebenso im Beschluss zur von Verfassungs wegen gebotenen Berücksichtigung der Kinderbetreuungskosten vom 16. März 2005 2 BvL 7/00 (BVerfGE 112, 268) klargestellt. Dies gilt indessen nur für Aufwendungen, die tatsächlich von Verfassungs wegen auch dem einkommensteuerrechtlichen Existenzminimum zuzuordnen sind, weil die Aufwendungen dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau entsprechen. Die sozialhilferechtliche Krankenversorgung ist allerdings, wie ausgeführt, weil nicht zuzahlungsfrei, gerade nicht Teil des sozialhilferechtlichen Versorgungsniveaus.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
Tenor
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Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. September 2012 4 K 1970/10 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Streitig ist, ob von der Krankenversicherung nicht getragene Krankheitskosten, insbesondere Zuzahlungen, als außergewöhnliche Belastungen von Verfassungs wegen ohne Ansatz einer zumutbaren Belastung einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigen sind.
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Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), zur Einkommensteuer des Streitjahrs (2008) zusammenveranlagte Eheleute, erzielten einen Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 647.587 €. Die Kläger machten die nachstehenden Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen in Höhe von insgesamt 1.249,07 € im Rahmen ihrer Einkommensteuerveranlagung geltend: 237,80 € für zahnärztliche Airflow Zahnreinigung (Ultrasonic-Scaler); 50 € für Zuzahlungen gemäß § 28 Abs. 4 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V); 17,49 € für Laboratoriumsmedizin; 150,69 € für eine Arztrechnung; 250,25 € für einen Zweibettzimmerzuschlag im Klinikum M; 289,26 € an das Klinikum M; 102,52 € an das Klinikum Y; 60 € Zuzahlung für einen stationären Krankenhausaufenthalt; 91,06 € Aufwendungen für Medikamente, davon 15 € Zuzahlungen. Diese von der Krankenversicherung nicht übernommenen Aufwendungen seien --so die Kläger-- zwangsläufig entstanden; sie seien ohne Berücksichtigung einer zumutbaren Belastung von der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer vollständig auszunehmen. Das folge auch aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06 (BVerfGE 120, 125) zum von Verfassungs wegen zwingenden Sonderausgabenabzug der Krankenversicherungsbeiträge und ungeachtet dessen, dass den Klägern auch ohne Berücksichtigung dieser hier streitigen Aufwendungen noch ein zu versteuerndes Einkommen über dem Existenzminimum verbleibe.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) lehnte die Berücksichtigung der Aufwendungen ohne Ansatz der zumutbaren Belastung ab.
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Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen erhobene Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2012, 2205 veröffentlichten Gründen ab.
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Die Kläger rügen mit der Revision die Verletzung materiellen (Verfassungs-)Rechts.
- 6
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Sie beantragen,
1. den Bescheid für 2008 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 19. Mai 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1. Juli 2010 sowie das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 6. September 2012 aufzuheben und
2. die Einkommensteuer der Kläger für 2008 unter mindernder Berücksichtigung der außergewöhnlichen Belastungen der Kläger von 1.249,07 €, hilfsweise jedenfalls in Höhe von 142,49 €, jeweils ohne Anrechnung der sog. zumutbaren Belastung nach § 33 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) festzusetzen.
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Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
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Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat den Beitritt zum Verfahren erklärt (§ 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Entscheidungsgründe
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II.Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die von den Klägern aufgewendeten Krankheitskosten zwar grundsätzlich unter den Tatbestand der außergewöhnlichen Belastungen fallen, sich im Streitfall aber steuerlich nicht auswirken, weil die Aufwendungen die zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 1 und Abs. 3 EStG) nicht überschritten haben. Es ist auch von Verfassungs wegen nicht geboten, hinsichtlich dieser Aufwendungen auf den Ansatz einer zumutbaren Belastung zu verzichten.
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1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird nach § 33 Abs. 1 EStG auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (Abs. 3) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird.
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Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Dementsprechend geht der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Krankheitskosten --ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung-- dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Bei den typischen und unmittelbaren Krankheitskosten wird die Außergewöhnlichkeit letztlich unwiderleglich vermutet und die Zwangsläufigkeit dieser Aufwendungen weder dem Grunde nach (stets aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig) noch der Höhe nach (Angemessenheit und Notwendigkeit im Einzelfall) geprüft (zuletzt Senatsurteil vom 14. April 2015 VI R 89/13, BFHE 249, 483, BStBl II 2015, 703, m.w.N.).
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Nach § 33 Abs. 3 EStG beträgt die zumutbare Belastung in Abhängigkeit vom Gesamtbetrag der Einkünfte der Steuerpflichtigen und in Abhängigkeit davon, ob bei den Steuerpflichtigen der Grundtarif oder das Splittingverfahren zur Anwendung kommt sowie ob mehr oder weniger als drei Kinder zu berücksichtigen sind, zwischen 1 % und 7 % des Gesamtbetrags der Einkünfte.
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2. Nach diesen Grundsätzen ist es zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig, dass die streitbefangenen Zuzahlungen Krankheitskosten darstellen und daher grundsätzlich als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind (offen gelassen im BFH-Urteil vom 18. Juli 2012 X R 41/11, BFHE 238, 103, BStBl II 2012, 821). Die Krankheitskosten sind allerdings nur insoweit als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, als sie den Betrag der nach § 33 Abs. 3 EStG ermittelten zumutbaren Belastung überschreiten. Denn § 33 Abs. 3 EStG differenziert bei der Ermittlung der zumutbaren Belastung nicht zwischen Krankheitskosten und anderen Aufwendungen, die als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind; der Wortlaut ist insoweit eindeutig.
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Soweit die einkommensteuerrechtliche Literatur zur verfassungsrechtlichen Beurteilung des Ansatzes einer zumutbaren Belastung Stellung nimmt, geht eine Auffassung davon aus, dass ein solcher Ansatz verfassungsrechtlich hinnehmbar sei (Blümich/Heger, § 33 EStG Rz 134; Kanzler in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 33 EStG Rz 216; Stöcker in Lademann, EStG, § 33 Rz 257; C.P. Steger, Die außergewöhnliche Belastung im Steuerrecht, Baden-Baden 2008, S. 190 ff.) oder dass dies jedenfalls dann gelte, solange ein verfügbares Einkommen über dem Existenzminimum verbleibe (Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 14. Aufl., § 33 Rz 48; Fuhrmann in Korn, § 33 EStG Rz 57). Soweit die zumutbare Belastung als verfassungswidrig beurteilt wird, wird dies insbesondere damit begründet, dass die zumutbare Belastung dem Prinzip der Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit widerspreche (J. Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, S. 618 f.; Tipke, Steuerrechtsordnung, 2. Aufl., Bd. II, S. 830 f.; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., § 8 Rz 720; L. Karrenbrock/Petrak, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2011, 552; H. Haupt, DStR 2010, 960; Arndt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 33 Rz A 6, B 44) oder dass die Berechnung der zumutbaren Belastung zu im Ergebnis verfassungswidrigen Progressionssprüngen führen könne (Kosfeld, Finanz-Rundschau --FR-- 2009, 366, FR 2012, 969, FR 2013, 359).
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3. Der erkennende Senat ist der Auffassung, dass der Ansatz der zumutbaren Belastung bei Krankheitskosten, auch soweit es um den Abzug von Zuzahlungen geht, von Verfassungs wegen hinzunehmen ist. Die Bemessung des einkommensteuerrechtlich maßgeblichen Existenzminimums richtet sich grundsätzlich nach dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau. Auch Sozialhilfeempfänger haben jedoch Zuzahlungen zu leisten. Daher ist eine Differenzierung zwischen Krankheitskosten und anderen als außergewöhnliche Belastungen abziehbaren Aufwendungen beim Ansatz der zumutbaren Belastung verfassungsrechtlich nicht geboten.
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a) Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Beurteilung, ob eine einkommensteuerrechtliche Regelung Aufwendungen des Steuerpflichtigen aus dem Bereich der privaten Lebensführung hinreichend berücksichtigt, das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums, das aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) abzuleiten ist. Danach hat der Staat das Einkommen des Bürgers insoweit steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie benötigt. Dem Grundgedanken der Subsidiarität, wonach Eigenversorgung Vorrang vor staatlicher Fürsorge hat, entspricht es, dass sich die Bemessung des einkommensteuerrechtlich maßgeblichen Existenzminimums nach dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau richtet. Was der Staat dem Einzelnen voraussetzungslos aus allgemeinen Haushaltsmitteln zur Verfügung zu stellen hat, das darf er ihm nicht durch Besteuerung seines Einkommens entziehen (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 120, 125; vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653; jeweils m.w.N.).
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b) Zu diesem einkommensteuerrechtlich zu verschonenden Existenzminimum gehören grundsätzlich auch die Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Kranken- und Pflegeversorgung. Denn das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums schützt nicht nur das sogenannte sächliche Existenzminimum für Nahrung, Kleidung, Hygiene, Hausrat, Wohnung und Heizung.
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aa) Der erkennende Senat geht dabei entgegen der Auffassung des beigetretenen BMF davon aus, dass Aufwendungen für eine Kranken- und Pflegeversorgung dem Grunde nach nicht nur die Beiträge zur Krankenversicherung, sondern auch den eigentlichen Sachaufwand für eine Krankenversorgung umfassen. Denn auch das BVerfG sieht es als unerheblich an, ob die Kranken- und Pflegeversorgung indirekt über eine Versicherung oder direkt über Versorgungsleistungen sichergestellt werde. Solange der Empfänger entsprechender Sozialleistungen aus den allgemeinen Haushaltsmitteln finanziert werde, sei der entsprechende Aufwand im Einkommensteuerrecht steuerfrei zu stellen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 120, 125, Rz 115).
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bb) Allerdings ist für die Bemessung des existenznotwendigen Aufwands hinsichtlich der Aufwendungen für eine Kranken- und Pflegeversorgung der Höhe nach auf das sozialhilferechtlich gewährleistete Leistungsniveau als eine das Existenzminimum quantifizierende Vergleichsebene abzustellen (so BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 120, 125; vom 25. September 1992 2 BvL 5, 8, 14/91, BVerfGE 87, 153 <171>).
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c) Die hier im Einzelnen streitigen Aufwendungen sind nicht Teil des sozialhilferechtlichen Versorgungsniveaus. Dies gilt --was zwischen den Beteiligten insoweit auch unstreitig ist-- für die von Ärzten durchgeführte Zahnreinigung, für die übrigen Arztrechnungen und für den Zweibettzimmerzuschlag in den Kliniken. Dies gilt aber auch für die von den Klägern darüber hinaus erbrachten Zahlungen, auf die sie in ihrem Hilfsantrag Bezug nehmen und wofür sie die Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung ohne Anrechnung der zumutbaren Belastung begehren. Denn auch Sozialhilfeempfänger müssen seit 2004 Zuzahlungen leisten.
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aa) Nach § 31 Abs. 3 SGB V haben Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, an die abgebende Stelle zu jedem zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordneten Arznei- und Verbandmittel als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 1 SGB V ergebenden Betrag zu leisten, jedoch jeweils nicht mehr als die Kosten des Mittels ("Arzneimittelzuzahlung"; Beck in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 2. Aufl. 2012, § 31 SGB V). Nach § 28 SGB V in der vom 1. April 2007 bis 31. Dezember 2011 geltenden und damit auch hier im Streitjahr anwendbaren Fassung hatten Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet hatten, je Kalendervierteljahr für jede erste Inanspruchnahme eines an der ambulanten ärztlichen, zahnärztlichen oder psychotherapeutischen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringers, die nicht auf Überweisung aus demselben Kalendervierteljahr erfolgt, als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 2 SGB V ergebenden Betrag an den Leistungserbringer zu leisten ("Praxisgebühr"; Fahlbusch in: Schlegel/ Voelzke, a.a.O., § 28 SGB V Rz 82 ff.). Das sind im Fall der Arzneimittelzuzahlung nach § 61 Satz 1 SGB V 10 % des Abgabepreises, mindestens jedoch 5 € und höchstens 10 €, allerdings jeweils nicht mehr als die Kosten des Mittels. Im Fall der Praxisgebühr waren dies 10 € je Kalendervierteljahr. Zuzahlungsverpflichtungen (insgesamt dazu: Albers in: Schlegel/ Voelzke, a.a.O., § 62 SGB V Rz 17) bestehen insbesondere auch für Heilmittel (§ 32 Abs. 2 i.V.m. § 61 Satz 3 SGB V), Hilfsmittel (§ 33 Abs. 8 i.V.m. § 61 Satz 1 SGB V) sowie zur Krankenhausbehandlung (§ 39 Abs. 4 i.V.m. § 61 Satz 2 SGB V). Als Zuzahlungen zu stationären Maßnahmen sind nach § 61 Satz 2 SGB V jeweils je Kalendertag 10 € zu erbringen. Bei Heilmitteln und häuslicher Krankenpflege beträgt nach § 61 Satz 3 SGB V die Zuzahlung 10 % der Kosten sowie 10 € je Verordnung.
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bb) Diese Zuzahlungen nach § 61 SGB V sind bis zur Belastungsgrenze des § 62 SGB V von jedem Versicherten zu erbringen. Die Belastungsgrenze beträgt 2 % der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt (§ 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V); für chronisch Kranke, die wegen derselben schwerwiegenden Krankheit in Dauerbehandlung sind, reduziert sie sich auf 1 %. Dies gilt nach § 62 Abs. 2 Sätze 5 und 6 SGB V in grundsätzlich gleicher Weise auch für Versicherte, die Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) erhalten, sowie für Versicherte, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhalten. Bei Versicherten, die Sozialleistungen nach dem SGB XII oder nach dem SGB II erhalten, sind als Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt für die gesamte Bedarfsgemeinschaft der Regelsatz des Haushaltsvorstands nach der Regelsatzverordnung und die Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II maßgeblich (§ 62 Abs. 2 Sätze 5, 6 SGB V).
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Diese Rechtslage gilt ab Januar 2004. Der Gesetzgeber hat mit dem GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14. November 2003 (BGBl I 2003, 2190) auch die zuvor durch § 62 SGB V in der bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung gegebene Möglichkeit der Befreiung von der Zuzahlungspflicht entfallen lassen (zur Rechtsentwicklung Albers in: Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 62 SGB V Rz 2). Die Zuzahlungen sollen nunmehr aus dem Regelsatz erbracht werden, um im Hinblick auf die Zuzahlungen Sozialhilfeempfänger den Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung gleichzustellen. Im Ergebnis haben damit, so auch das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 16. Dezember 2010 B 8 SO 7/09 R (Sozialrecht 4-3500 § 28 Nr. 6, BSGE 107, 169), seit dem 1. Januar 2004 Sozialhilfeempfänger wie alle gesetzlich Versicherten Zuzahlungen von bis zu 2 % ihres Bruttoeinkommens zu erbringen.
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cc) Dagegen bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Krankenversicherte Bezieher von Arbeitslosengeld II haben zwar monatliche Zuzahlungen zu leisten und Leistungskürzungen des GMG hinzunehmen; das verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum ist dadurch aber nicht unterschritten. Der erkennende Senat nimmt insoweit auf die Rechtsprechung des BSG Bezug, die die geänderten §§ 61, 62 SGB V für verfassungsgemäß hält (Urteil vom 22. April 2008 B 1 KR 10/07 R, BSGE 100, 221; die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil wurde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG-Kammerbeschluss vom 25. März 2010 1 BvR 2220/08). Das BSG hat sich dabei zur Frage, ob das verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum unterschritten sei, auf die Rechtsprechung des BVerfG gestützt. Denn danach ist es dem Gesetzgeber prinzipiell erlaubt, den Versicherten über den Beitrag hinaus zur Entlastung der Krankenkassen und zur Stärkung des Kostenbewusstseins in Form von Zuzahlungen zu bestimmten Leistungen zu beteiligen, soweit dies dem Einzelnen finanziell zugemutet werden kann (BVerfG-Beschluss vom 6. Dezember 2005 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25, unter B.I.2.b; Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl. 2014, § 31 SGB V Rz 4).
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d) Da auch Empfänger von Sozialleistungen die Zuzahlungen aus den ihnen zur Verfügung gestellten Sozialleistungen bis zur Belastungsgrenze selbst zu erbringen haben, gehören Zuzahlungen i.S. des § 61 SGB V nicht zum einkommensteuerrechtlichen Existenzminimum.
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aa) Wenn nach sozialhilferechtlichen Maßstäben die Krankenversorgung nicht zuzahlungsfrei, sondern aus den für die Haushaltsführung zur Verfügung stehenden Geldmitteln zu finanzieren ist, ist es nicht zu beanstanden, dass Empfänger von Leistungen in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung Zuzahlungen zu Krankheitskosten in betragsmäßig geringerem Umfang zu leisten haben als Steuerpflichtige mit einem entsprechend höheren Gesamtbetrag der Einkünfte. Denn auch diese haben bis zu 2 % --bei chronischer Erkrankung 1 %-- der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel für Zuzahlungen zu den Leistungen der Krankenversicherung zu erbringen und werden demnach mit Sozialhilfeempfängern gleich behandelt.
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Eine Zuzahlung mag zwar dann nicht mehr zumutbar sein, wenn dadurch in das verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum eingegriffen werden sollte (BSG-Urteil in BSGE 100, 221, Rz 16). Solange allerdings der tatsächliche Umfang der von den Steuerpflichtigen erbrachten Aufwendungen für die Zuzahlungen der Höhe nach nicht geeignet ist, dieses Existenzminimum zu tangieren, hält der erkennende Senat keine Einschränkung der zumutbaren Belastung von Verfassungs wegen für geboten. Im hier vorliegenden Streitfall der Kläger mit streitigen Aufwendungen in Höhe von 143 € sind angesichts des Gesamtbetrags ihrer Einkünfte keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das einkommensteuerrechtliche Existenzminimum betroffen wäre. Angesichts dessen kann der Senat hier dahinstehen lassen, ob in den Fällen, in denen der Steuerpflichtige Zuzahlungen zu leisten hat und dadurch dessen zu versteuerndes Einkommen den Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG unterschreitet, eine verfassungskonforme Auslegung des § 33 EStG, eine Vorlage an das BVerfG oder eine aus Billigkeitsgründen abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 der Abgabenordnung in Betracht kommt.
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bb) Das einkommensteuerrechtliche Existenzminimum wird zwar noch nicht allein dadurch in einer verfassungsrechtlich hinreichenden Art und Weise berücksichtigt, dass dem Steuerpflichtigen nach Zahlung der Steuer ein ausreichendes Einkommen zur Verfügung bleibt. Denn das einkommensteuerrechtliche Existenzminimum ist für alle Steuerpflichtigen unabhängig von ihrem individuellen Grenzsteuersatz in voller Höhe von der Einkommensteuer freizustellen. Das hat das BVerfG schon in seinem Beschluss zum Familienleistungsausgleich vom 10. November 1998 2 BvL 42/93 (BStBl II 1999, 174, BVerfGE 99, 246) und ebenso im Beschluss zur von Verfassungs wegen gebotenen Berücksichtigung der Kinderbetreuungskosten vom 16. März 2005 2 BvL 7/00 (BVerfGE 112, 268) klargestellt. Dies gilt indessen nur für Aufwendungen, die tatsächlich von Verfassungs wegen auch dem einkommensteuerrechtlichen Existenzminimum zuzuordnen sind, weil die Aufwendungen dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau entsprechen. Die sozialhilferechtliche Krankenversorgung ist allerdings, wie ausgeführt, weil nicht zuzahlungsfrei, gerade nicht Teil des sozialhilferechtlichen Versorgungsniveaus.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.