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Die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung des Beklagten ist auch im Übrigen zulässig. Sie kann aber keinen Erfolg haben. Denn das Verwaltungsgericht hat der zulässigen Anfechtungsklage der Klägerin zu Recht stattgegeben. Der Abwasserabgabenbescheid des Landratsamts Rastatt vom 23.10.2002 (in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 13.5.2003) ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin auch in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Ausgangspunkt für die rechtliche Beurteilung ist § 4 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über Abgaben für das Einleiten von Abwasser in Gewässer (Abwasserabgabengesetz - AbwAG
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hier anzuwenden i.d.F. d. Bek. v. 3.11.94 (BGBl. I S. 3370) sein, zuletzt geändert durch Art. 19 EuroUmstG v. 9.9.2001, BGBl. I S. 2331). Das 5. Gesetz zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes vom 9.12.2004, BGBl. I S. 3332, das zu seiner Neufassung vom 18.1.2005, BGBl I S. 114, geführt hat, findet hier keine Anwendung und hat im Übrigen auch keine Änderung des § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG gebracht.
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Nach der genannten Bestimmung ist dann, wenn das aus einem Gewässer unmittelbar entnommene Wasser vor seinem Gebrauch bereits eine Schädlichkeit nach § 3 Abs. 1 AbwAG (Vorbelastung) aufweist, auf Antrag des Abgabepflichtigen die Vorbelastung für die in § 3 Abs. 1 AbwAG genannten Schadstoffe und Schadstoffgruppen zu schätzen und ihm die geschätzte Vorbelastung nicht zuzurechnen. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung sind hier erfüllt.
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Unstreitig hat die Klägerin, die unmittelbar Wasser aus einem für den Anwendungsbereich des Gesetzes maßgeblichen Gewässer (dazu § 1 AbwAG, § 1 Abs. 1 WHG) entnimmt, einen Antrag auf Schätzung und Nichtzurechnen der Vorbelastung bei der zuständigen Behörde gestellt. Sie hat auch einen Anspruch auf einen Abzug von Schadeinheiten bei der Berechnung (vgl. dazu §§ 4 und 6 AbwAG) der Abwasserabgabe.
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Nicht im Streit ist zwischen den Beteiligten, dass die Klägerin aus einem Gewässer für betriebliche Zwecke Wasser entnimmt, das eine Vorbelastung aufweist. Ferner nicht im Streit ist der Umfang der Vorbelastung und deren rechnerischer Ansatz bei den Schadstoffeinheiten.
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Entgegen der Ansicht des beklagten Landes und mit dem Verwaltungsgericht ist die Bestimmung des § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG bereits ihrem Wortlaut nach eindeutig und trägt in ihrem Regelungszusammenhang auch die Folgerung, dass eine Vorbelastung auch dann zu berücksichtigen ist, wenn sie den Schwellenwert (Anlage 3 zu § 3 Abs. 1 Satz 2 AbwAG) nicht erreicht.
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Allerdings ist die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Wortlaut sei nur „vordergründig“ eindeutig, wohl in sich widersprüchlich, denn Eindeutigkeit kennzeichnet eigentlich einen „festes“ Begriffsverständnis. Wenn dann aus dem Zweck der Norm und auch aus dem Verursacherprinzip und Art. 3 GG eine andere als dem Wortlaut nach mögliche Anwendung hergeleitet wird, betrifft dies die Recht- bzw. Verfassungsmäßigkeit der Norm. Die dahinter stehende Erwägung, die Bezugnahme auf den Absatz 1 des § 3 AbwAG umfasse nicht die Regelung in dessen Satz 2, ist danach nicht Wortlautauslegung sondern eine so genannte systematische, d.h. nach dem Regelungszusammenhang, bzw. nach dem Zweck der gesetzlichen Regelung (sog. teleologische Auslegung). Ob es einer solchen Auslegung nach Sinn und Zweck oder nach dem Zusammenhang bedarf, erscheint zunächst fraglich, da nach Ansicht des Senats bereits das grammatische Verständnis die Annahme eines eindeutigen Wortlauts in § 4 Abs. 3 AbwAG belegt. Er verdeutlicht, dass jegliche Vorbelastung - und nicht nur eine solche, die den genannten Schwellenwert erreicht - zu berücksichtigen ist.
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Die „Vorbelastung“ ist in § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG als gesetzliche Begriffsbestimmung festgelegt und zwar als „Schädlichkeit nach § 3 Abs. 1 (Vorbelastung)“. Die Schädlichkeit nach § 3 Abs. 1 AbwAG wird dabei unter Zugrundelegen der oxidierbaren Stoffe, des Phosphors usw. nach der Anlage zu diesem Gesetz in Schadeinheiten bestimmt. § 3 Abs. 1 Satz 2 AbwAG normiert nicht den Grad der Schädlichkeit (mit der Folge einer denkbaren Auswirkung auch auf § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG), sondern regelt seinem eindeutigen Wortlaut nach lediglich, dass eine „Bewertung der Schädlichkeit“ entfällt, wenn u.a. die Schadstoffkonzentration die in der Anlage angegebenen Schwellenwerte nicht überschreitet. Vom Wortlaut her hat diese Bestimmung keinen Einfluss auf § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG, denn sie beschränkt sich auf das „Verfahren“, wenn sie die Fälle in Blick nimmt, in denen eine „Bewertung“ entfallen solle. Mit diesem Inhalt steht § 3 Abs. 1 Satz 2 AbwAG auch mit § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG in keiner Beziehung, da letztere im Falle der Vorbelastung eine „Schätzung“ und nicht eine Bewertung vorsieht (so auch Köhler, AbwAG, 1999, § 4 RdNr. 76). Bereits dem Wortsinn nach, aber auch aus dem Regelungszusammenhang heraus ist die vom Beklagten angenommene Bindung der „Vorbelastung“ an ihre „Bewertung“ im Gesetz nicht angelegt. § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG eröffnet - ungeachtet einer Bewertung - die Pflicht zur Schätzung („ist zu schätzen“), wenn eine „Vorbelastung“ des entnommenen Wassers - mithin der Fall des § 3 Abs. 1 Satz 1 AbwAG - gegeben ist.
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Der Hinweis, § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG verweise auf § 3 Abs. 1 AbwAG insgesamt mit der Folge, dass auch auf die Bestimmung über den Schwellenwert nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AbwAG (und die Anlage dazu) verwiesen werde (so der Beklagte unter Hinweis auf VG Düsseldorf, Urteil vom 23.1.1997 - 8 K 7697/95 - und den dieses Urteil betreffenden Beschluss des OVG NRW vom 4.5.1999 - 9 A 1742/97), trifft demnach zwar hinsichtlich der Bezugnahme, nicht indes hinsichtlich deren Umfang zu. Nach dem Wortlaut der Bestimmung wird erkennbar nur auf die „Schädlichkeit“ in Abs. 1 des § 3 AbwAG abgehoben, die sich aus dessen Satz 1 allein ergibt. Die Bestimmung und der Begriff „Schädlichkeit“ werden durch § 3 Abs. 1 Satz 2 AbwAG nicht berührt, der lediglich bestimmt, dass jene nicht bewertet wird, begrifflich und grammatisch die „Schädlichkeit“ also als bereits gegeben voraussetzt (in diesem Sinn, wenn auch im Ergebnis anders Köhler, a.a.O., RdNr. 80 a.E.: Vom Wortlaut und vom Verursacherprinzip her ist jedwede Vorbelastung dem Einleiter nicht zuzurechnen).
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Ist dem Wortlaut, jedenfalls aber auch dem Regelungszusammenhang zu entnehmen, dass die Vorbelastung zu schätzen und sie demnach dann auch dem Abgabepflichtigen nicht zuzurechnen ist, so ist die weitere Auslegung - wie sie das Verwaltungsgericht vorgenommen hat - an sich nur dann erforderlich, wenn sich der gesetzlichen Regelung des Abwasserabgabengesetzes insgesamt eine der Rechtsauffassung des beklagten Landes entsprechende Auslegung entnehmen lässt. Dies ist indes nicht der Fall. Denn die genannten gesetzlichen Regelungen bieten für den Ansatz, es komme der Abzug der Vorbelastung lediglich unter dem Vorbehalt in Betracht, dass diese die maßgeblichen Schwellenwerte überschreitet, keinen Anhalt.
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Zwar wäre mit Blick auf den Schwellenwert und dessen Bedeutung für die Abgabenbelastung an dessen Einbeziehung in die Beurteilung der Vorbelastung zu denken (so ausdrücklich Köhler a.a.O. RdNrn. 77 ff.). Die Regelung zu den Schwellenwerten (Anlage zu § 3) kann im Zusammenhang mit der Abgabepflicht zu sehen sein und dort als Ausdruck einer pauschalen Nichtberücksichtigung von geringfügigen Vorbelastungen gelten. Aber auch dann stellt sich die Bestimmung in § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG allenfalls als Ausnahme eines solchen dem Gesetz möglicherweise zu entnehmenden „Grundsatzes“ dar, die es verbietet, diese pauschale (Nicht-)Berücksichtigung als auch bei ihr angelegt zu sehen (so aber Köhler, a.a.O. RdNr. 80, der von „spiegelbildlicher“ Einbeziehung spricht, andererseits aber den Ausnahmecharakter von § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG nicht verkennt.).
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Etwas Abweichendes folgt auch nicht aus Sinn und Zweck des § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG, der im Zusammenhang mit dem Zweck des Gesetzes insgesamt zu sehen ist. Dieses zielt auf die Verminderung der vom Einleiter verursachten Verschmutzung der Gewässer (vgl. dazu etwa Berendes, Abwasserabgabengesetz, 3. Auflage, S. 84 unten). Ob man den Abzug der Vorbelastung deshalb als geboten ansieht, weil er nicht auf einer Ursache für die Verschmutzung beruht (zum Verursacherprinzip § 1 Abs. 1 AbwAG) , oder (so Berendes a.a.O.) § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG als gesetzliche Ausnahme von diesem Grundsatz beurteilt, ist ohne Belang (vgl. auch Köhler, AbwAG, 1999, § 4 RdNrn. 73 m.w.N.). Jedenfalls ist dem Abwasserabgabengesetz die weitgehende Umsetzung des Verursacherprinzips zu entnehmen, dem eine Berücksichtigung der Vorbelastung ungeachtet eines Schwellenwerts uneingeschränkt gerecht wird (so auch BayVGH, Urteil vom 30.4.1998, NVwZ-RR 1999, 530 m.w.N.).
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Auch dem Willen des Gesetzgebers, dem im Rahmen der historische Auslegung Bedeutung zukommen kann, lässt sich nicht entnehmen, dass die Zurechnung der Vorbelastung unter dem vom Beklagten geltend gemachten Vorbehalt steht. Der BayVGH (a.a.O.) verweist insoweit zutreffend auf die Stellungnahme der Bundesregierung zum Vierten Gesetz zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes. Dort findet sich der Hinweis auf die Möglichkeit einer „Klarstellung dahingehend, dass auch eine Vorbelastung abgezogen werden kann, die die Schwellenwerte nicht überschreitet“ (BT-Drs. 12/4272, S. 8); ein Änderungsbedarf wird gerade in Abrede gestellt.
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Mag man dem auf der Grundlage des AbwAG 76 geführten Meinungsstreit über eine An- und Verrechnung in Anbetracht der neueren Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 1 AbwAG keine Bedeutung mehr beimessen (dazu Köhler a.a.O. RdNr. 80 aE), so zeigt doch der Umstand, dass der Gesetzgeber eine „Klarstellung“ mit der jeweiligen Neufassung der Bestimmung nicht verbunden hat, obgleich die durchaus entsprechende „Problematik“ einer Vorbelastungszurechnung seit langem unterschiedlich gehandhabt wird, dass ihm der Regelungszusammenhang, wie er oben aufgezeigt ist, nach wie vor ausreichend erscheint. Dem Hinweis des Beklagten darauf, dass „zumindest seit der Neufassung des § 3 Abs. 1 AbwAG im Jahre 1988“ davon auszugehen sei, ein Vorabzug komme nur in Betracht, wenn die in Anlage zu § 3 AbwAG beschriebenen Schwellenwerte überschritten seien, ist demnach nicht zu folgen.
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Der Senat verkennt nicht, dass sich für die unterschiedlichen Ansätze der Beteiligten mit Blick auf die Abwasserabgabenbelastung durchaus sachgerechte praktische Gründe ergeben (vgl. dazu Berendes und Köhler, jeweils a.a.O.), und dem Gesichtspunkt der Abgabengerechtigkeit daher die Bedeutung, die ihm das Verwaltungsgericht zuerkannt hat, nicht von vornherein zukommen muss. Dies bedarf indes in Anbetracht des aufgezeigten Verständnisses von § 4 Abs. 3 AbwAG keiner weiteren Entscheidung. Da die rechnerische Richtigkeit des Ansatzes einer Vorbelastung für das Jahr 2001 zwischen den Beteiligten nicht im Streit ist, ist der angefochtene Abgabenbescheid in dieser Höhe rechtswidrig.
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Die Revision ist zuzulassen. Denn die Rechtssache gibt dem Bundesverwaltungsgericht Gelegenheit, die Frage nach der namentlich in der landesrechtlichen Vollzugspraxis, aber auch in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich beurteilten Anrechnung einer Vorbelastung zu klären; sie hat demnach grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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