Gericht

Verwaltungsgericht Würzburg

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

I.

Der Kläger wendet sich gegen das endgültige Nichtbestehen der Bachelorprüfung und begehrt Nachteilsausgleich in Form eines (weiteren) Verlängerungssemesters aufgrund einer ADHS-Erkrankung.

1. Der Kläger studiert seit dem Wintersemester 2009/2010 den Studiengang Wirtschaftswissenschaft mit dem Abschluss Bachelor of Science an der beklagten Universität.

Mit Bescheid vom 16. April 2013 wurde dem Kläger das erstmalige Nichtbestehen der Bachelorprüfung sowie das erstmalige Nichtbestehen der Bachelorthesis mitgeteilt.

Mit Datum vom 14. Oktober 2013 beantragte der Kläger über die Kontakt- und Informationsstelle für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung der Beklagten (im Folgenden: KIS) die Gewährung eines Nachteilsausgleichs in Form einer Studienzeitverlängerung um zwei Semester, den auch die KIS in ihrer Stellungnahme auf dem Antragsformular empfahl.

Mit Bescheid vom 18. Oktober 2013 wurde dem Kläger das endgültige Nichtbestehen der Bachelorprüfung mitgeteilt, da der Kläger von den erforderlichen 180 ECTS-Punkten nur 160 ECTS-Punkte nachgewiesen habe und die bereits als Wiederholung abgelegte Bachelorthesis nicht fristgerecht eingereicht sowie keinen Antrag auf Verlängerung der Bearbeitungszeit gestellt habe; eine weitere Wiederholung der Bachelorthesis sei nach § 21 Abs. 13 Satz 5 i.V.m. § 8 Abs. 2 Satz 2 der für den Kläger einschlägigen Allgemeinen Studien- und Prüfungsordnung für die Bachelor- (6-semestrig) und Masterstudiengänge (4-semestrig) der Beklagten vom 28. September 2007 in der Fassung der Änderungssatzung vom 11. Juli 2011 (im Folgenden ASPO 2007) nicht möglich.

Mit Schreiben vom 25. Oktober 2013 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. Oktober 2013 und verwies auf seinen Antrag auf Nachteilsausgleich vom 14. Oktober 2013 und ein ärztliches Attest, wonach sich der Kläger aufgrund eines bestehenden ADHS-Syndroms seit Jahren in ärztlicher Behandlung befinde und an Konzentrationsstörungen leide sowie Probleme habe, sich zu strukturieren und zu organisieren.

Mit Bescheid vom 21. November 2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass der Prüfungsausschuss für den Bachelorstudiengang Wirtschaftswissenschaft aufgrund des eingereichten Attestes und des Antrags der KIS beschlossen habe, dem Kläger ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und unter Zurückstellung erheblicher Bedenken die Frist für den Erwerb der für den Abschluss des Bachelorstudiums noch fehlenden 20 ECTS-Punkte um ein weiteres Fachsemester gem. § 8 Abs. 7 ASPO 2007 zu verlängern.

Laut (unbestrittenem) Klägervorbringen beantragte der Kläger mit Schreiben vom 10. April 2014 – dessen Verbleib zwar ungeklärt, aber dessen Zugang bei der Beklagten durch ein unterschriebenes Empfangsbekenntnis vom 14. April 2014 belegt ist – die Gewährung eines weiteren Verlängerungssemesters. Eine ausdrückliche Verbescheidung dieses Antrags durch die Beklagte erfolgte nicht, jedoch gestatte die Beklagte dem Kläger faktisch die Ablegung weiterer Prüfungen im Sommersemester 2014, die jedoch alle erfolglos blieben.

2. Mit Bescheid vom 21. Oktober 2014 stellte die Beklagte das endgültige Nichtbestehen der Bachelorprüfung für das Studienfach Wirtschaftswissenschaft mit dem Abschluss Bachelor of Science fest, da der Kläger auch nach Ablauf des bewilligten Verlängerungssemesters nur 175 ECTS-Punkte der erforderlichen 180 ECTS-Punkte habe nachweisen können.

Mit Schriftsatz vom 6. November 2014 ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Widerspruch gegen den Bescheid vom 21. Oktober 2014 einlegen und zur Begründung im Wesentlichen ausführen: Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Beklagte mit Bescheid vom 18. Oktober 2013 entgegen der fachmännischen Empfehlung der KIS lediglich eine Fristverlängerung um ein Semester als Nachteilsausgleich gewährt habe. Aufgrund der Empfehlung der KIS habe der Kläger davon ausgehen können, dass ihm eine Fristverlängerung von zwei Semestern gewährt werden würde. Mit Schreiben vom 10. April 2014 habe der Kläger daher eine weitere Fristverlängerung um ein zusätzliches Semester beantragt, auf dieses Schreiben jedoch keine Reaktion erhalten. Dies habe den Kläger in eine schwere Krise gestürzt, weswegen ihm ein Lernen oder aktives Handeln nicht möglich gewesen sei.

3. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2016, dem Kläger zugestellt am 15. Februar 2016, wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger gehe hinsichtlich der Funktion der KIS von falschen Voraussetzungen aus. Die KIS habe die Aufgabe, zur Verbesserung der Studiensituation von behinderten und chronisch kranken Studierenden beizutragen. Sie sei dabei für die Studierenden beratend tätig und gebe für die Prüfungsausschüsse Empfehlungen hinsichtlich der Gewährung von Nachteilsausgleichen ab. Über die tatsächliche Gewährung eines Nachteilsausgleichs entscheide jedoch nicht die KIS, sondern ausschließlich der jeweilige Prüfungsausschuss. Dieser habe die Empfehlung der KIS geprüft und in seine Entscheidung miteinbezogen. Im Übrigen sei dem Kläger das Sommersemester 2014 faktisch als weiteres Semester zugebilligt worden; dem Antrag des Klägers vom 10. April 2014 sei damit – wenn auch ohne ausdrückliche Verbescheidung – tatsächlich entsprochen worden.

Darüber hinaus sei die Beklagte dem Kläger auch mit der Einräumung der nicht vorgesehenen zweiten Wiederholungsmöglichkeit der Bachelorarbeit bereits über Gebühr entgegengekommen. Vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Chancengleichheit sei ein weiteres Entgegenkommen nicht veranlasst.

Hinsichtlich der ADHS-Erkrankung des Klägers handle es sich um ein nicht ausgleichsfähiges Dauerleiden, das als persönlichkeitsbedingte Eigenschaft die Leistungsfähigkeit des Prüflings präge. Die Folgen eines solchen Dauerleidens bestimmten deshalb im Gegensatz zu sonstigen krankheitsbedingten Leistungsminderungen das normale Leistungsbild des Prüflings. Sie seien daher zur Beurteilung der Befähigung bedeutsam, die durch die Prüfung festzustellen sei. Der in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte prüfungsrechtliche Grundsatz der Chancengleichheit lasse es nach ständiger Rechtsprechung nicht zu, eine von den Auswirkungen eines derartigen Dauerleidens betroffene Prüfungsleistung insofern unberücksichtigt zu lassen, als dem Prüfling wiederholte Vorteile in Form von Studienzeitverlängerungen gewährt würden.

II.

Hiergegen ließ der Kläger mit Schriftsatz vom 15. März 2016, bei Gericht am gleichen Tag eingegangen, Klage erheben.

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte (weitere) Studienzeitverlängerung sei § 8 Abs. 7 Satz 1 ASPO 2007, wonach der Prüfungsausschuss auf Antrag eine Nachfrist gewähre, wenn ein Prüfling aus wichtigem Grund eine der Fristen aus Abs. 2, 4 bis 6 überschreite. Beim Kläger bestehe aufgrund seiner ADHS-Erkrankung ein derartiger wichtiger Grund im Sinne der Regelung. Sofern sich die Beklagte nunmehr auf die angebliche Rechtsposition zurück ziehe, wonach sie bei Dauerleiden zu keiner Fristverlängerung verpflichtet sei, sei diese Rechtsauffassung einerseits unzutreffend und andererseits im Widerspruch stehend zu den Informationen, die die Beklagte auf ihrer Homepage in der Broschüre mit dem Titel „Nachteilsausgleich – Informationen für Studierende mit Behinderungen und chronischer Erkrankung“ veröffentliche.

Die Vorgehensweise der Beklagten gegenüber dem Kläger habe bei diesem wiederholt zu massiver Verunsicherung geführt, weil Anträge des Klägers nicht oder nicht ausdrücklich verbeschieden worden seien. Auch sei nicht begründet worden, weshalb der Prüfungsausschuss von der Empfehlung der KIS abgewichen sei. Diese über weite Strecken bestehende Ungewissheit des Klägers habe bei diesem gerade in Verbindung mit seiner chronischen Erkrankung dazu geführt, dass er aufgrund fehlender Klarheit über die von ihm beantragten Fristverlängerungen diese nicht in dem erforderlichen Umfang habe nutzen können, und sich geradezu kontraproduktiv auf den Kläger ausgewirkt, was zwei ärztliche Atteste bestätigten. Damit habe der gewährte Nachteilsausgleich seinen vorgesehenen Zweck völlig verfehlt und sei faktisch ins Leere gegangen.

Der Kläger lässt beantragen,

  • 1.Der Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 5. Februar 2016 wird aufgehoben.

  • 2.Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger auf seinen Antrag vom 10. April 2014 im Wege des Nachteilsausgleichs ein weiteres Verlängerungssemester zu gewähren.

Hilfsweise wird beantragt,

Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers vom 10. April 2014 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Entgegen der Auffassung des Klägers sei ein Rechtsgrund für einen weiteren Nachteilsausgleich in Form einer Studienzeitverlängerung um ein Semester nicht ersichtlich.

Laut eigenem Bekunden des Klägers sei seine Beeinträchtigung aufgrund ADHS bereits im Kindesalter festgestellt worden. Es sei daher nicht nachvollziehbar, warum der Kläger nicht bereits zu Beginn oder während seines Studiums die Beklagte hierüber in Kenntnis gesetzt habe, sondern erstmalig nahezu zeitgleich mit Versenden des Bescheids über das endgültige Nichtbestehen der Bachelorprüfung. Dies sei für die Gewährung von Nachteilsausgleichs jedoch verspätet. Der Prüfungsausschuss hätte einen Nachteilsausgleich daher bereits aus formellen Gründen ablehnen können.

Entgegen der Darstellung des Klägers habe die Beklagte die Rechtsposition, keine Fristverlängerung bei Dauerleiden zu gewähren, zu keinem Zeitpunkt vertreten und auch nicht danach gehandelt. Dass dem Kläger ein Verlängerungssemester gewährt worden und dabei auch die Möglichkeit eingeräumt worden sei, die Bachelorthesis in der gesetzlich nicht vorgesehenen zweiten Wiederholung abzulegen, spreche für die Kulanz der Beklagten. Tatsächlich sei die Beklagte nach der einschlägigen Rechtsprechung nicht verpflichtet, bei vorliegendem Dauerleiden einen Nachteilsausgleich zu gewähren. Danach könnten nur solche dauerhaften Beeinträchtigungen einen Nachteilsausgleich rechtfertigen, die lediglich den Nachweis einer uneingeschränkt vorhandenen Befähigung erschwerten und die in dem in der Prüfung angestrebten Beruf oder der weiteren Berufsausbildung durch Hilfsmittel ausgeglichen werden könnten. Dauerleiden, die als persönlichkeitsbedingte Eigenschaft die Leistungsfähigkeit des Prüflings dauerhaft prägten, rechtfertigten keine Studienzeitverlängerung im Wege des Nachteilsausgleichs. Die vom Kläger dargestellte Stressempfindlichkeit aufgrund ADHS zähle nicht zu den ausgleichsfähigen Beeinträchtigungen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte mit der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 29. November 2017 sowie der beigezogen Behörden- und Widerspruchsakte Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 5. Februar 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung eines (weiteren) Verlängerungssemesters, § 113 Abs. 5 VwGO.

1. Der Kläger kann die Gewährung eines Nachteilsausgleichs in Form einer (weiteren) Studienzeitverlängerung um ein Semester aufgrund seiner Erkrankung an ADHS nicht aus § 8 Abs. 7 ASPO 2007 beanspruchen.

Eine ADHS-Erkrankung rechtfertigt als nicht ausgleichsfähiges Dauerleiden keinen Nachteilsausgleich und stellt daher keinen „wichtigen Grund“ i.S.d. Vorschrift dar.

Bei der Frage, ob einem Prüfling aufgrund einer Behinderung oder dauerhaften Erkrankung ein Nachteilsausgleich zu gewähren ist, ist zu differenzieren zwischen der Beeinträchtigung, eine vorhandene geistige Leistungsfähigkeit nachzuweisen, d.h. technisch umsetzen zu können, und der Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit selbst.

Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich kommt nur im ersten Fall in Betracht. Bei Beeinträchtigungen, die nicht die geprüfte Befähigung selbst betreffen, sondern lediglich den Nachweis der vorhandenen Befähigung erschweren und die in der Prüfung sowie in einem angestrebten Beruf durch Hilfsmittel ausgeglichen werden können, gebieten der in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz der Chancengleichheit und das Grundrecht auf freie Berufswahl nach Art. 12 GG es, dem Betroffenen durch Einräumung besonderer Prüfungsbedingungen zu ermöglichen, sein wahres Leistungsvermögen unter Beweis zu stellen (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage 2014, Rn. 259).

Nicht ausgleichsfähig sind dagegen nach ständiger höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung Dauerleiden, die als persönlichkeitsbedingte Eigenschaften die geistige Leistungsfähigkeit des Prüflings dauerhaft prägen (BVerwG, B.v. 13.12.1985 – 7 B 210.85 – juris; VGH München, B.v. 28.1.2011 – 7 ZB 10.2236 – juris; VGH Mannheim, B.v. 29.4.2016 – 9 S 582/16 – juris; OVG Thüringen, B.v. 17.5.2010 – 1 EO 854/10 – juris; OVG Schleswig-Hollstein, U.v. 19.8.2002 – 3 M 41/02 – juris). Ihre Folgen bestimmen im Gegensatz zu sonstigen krankheitsbedingten Leistungsminderungen das normale und reguläre Leistungsbild des Prüflings. Schlägt sich eine durch ein Dauerleiden bedingte generelle Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit im Prüfungsergebnis negativ nieder, so wird der Aussagewert des Ergebnisses nicht verfälscht, sondern der Sache nach bekräftigt. Die dauerhafte krankheitsbedingte Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit ist dann Mitbestandteil des durch die Prüfung zu belegenden Leistungsbildes. Denn sie ist für Art und Umfang der Befähigung des Prüflings und damit letztlich auch für seine Eignung zu dem Beruf, die in der Prüfung festgestellt werden soll, von Bedeutung. Der in Art. 3 GG verankerte Grundsatz der Chancengleichheit aller Prüflinge verbietet es daher, durch Dauerleiden bedingte Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit durch Einräumung von Prüfungserleichterungen auszugleichen.

Vor diesem Hintergrund kann dem Kläger aufgrund seiner ADHS-Erkrankung kein Nachteilsausgleich gewährt werden. ADHS im Erwachsenenalter stellt ein nicht ausgleichsfähiges Dauerleiden dar (VG Freiburg, B.v. 30.8.2007 – 2 K 1667/07 – juris; VG Arnsberg, B.v. 19.9.2014 – 9 L 899/14 – juris; VG Berlin, U.v. 20.9.2017 – 12 K 488.169). Wie der Kläger vorträgt, führt die Erkrankung dazu, dass er bereits bei normalen Alltagsanforderungen ein Gefühl der Überlastung und Überforderung empfindet und seine Fähigkeit zu Konzentration, Selbstorganisation und -motivation sowie sein Durchhaltevermögen stark einschränkt ist. Die Krankheit erschwert ihm damit nicht nur die Darstellung einer im Kopf erarbeiteten Prüfungsleistung, sondern beeinträchtigt ihn infolge der geringeren Konzentrationsfähigkeit, erhöhten Ablenkbarkeit und Schwierigkeiten bei der Informationsverarbeitung bei der gedanklichen Erarbeitung der Aufgabenlösung selbst. Sie prägt damit dauerhaft die geistige Leistungsfähigkeit des Klägers und bestimmt dessen normales Leistungsbild. Die Schwierigkeiten, die der Kläger infolge seiner Erkrankung gerade unter zeitlichem Druck bei der Ordnung und Fokussierung seiner Gedanken, der Filterung der Informationen und der Konzentration auf die relevante Aufgabenstellung hat, lassen sich auch nicht durch Hilfsmittel kompensieren und werden sich voraussichtlich im späteren beruflichen Alltag nicht wesentlich anders als im Rahmen des Studiums niederschlagen.

2. Das Klagebegehren lässt sich auch nicht auf § 26 Abs. 2 ASPO 2007 stützen. Danach ist, wer wegen länger andauernder Krankheit oder wegen länger andauernder oder ständiger Behinderung nicht in der Lage ist, die erwarteten Studien- und Prüfungsleistungen zu erbringen, berechtigt, diese Leistungen nach der in § 8 Abs. 2 Satz 3 ASPO 2007 dafür vorgesehen Frist abzulegen.

Die Anwendung dieser Vorschrift hat sich ebenfalls am Grundrecht der Berufsfreiheit der Prüflinge nach Art. 12 GG und an dem das Prüfungsrecht beherrschenden Grundsatz der Chancengleichheit aller Prüflinge zu orientieren und ist daher verfassungskonform so auszulegen, dass ein Anspruch auf Fristverlängerung nur besteht, soweit dies zur Herstellung der Chancengleichheit notwendig ist, was bei ADHS – wie ausgeführt – nicht der Fall ist.

Im Übrigen scheitert die Anwendung der Norm wohl bereits daran, dass es sich bei ADHS um keine „länger andauernde Krankheit“, sondern um ein dauerhaftes Leiden handelt. Zudem setzt die Norm nach ihrem Sinn und Zweck voraus, dass der Erkrankte die betreffenden Prüfungsleistungen nicht bereits innerhalb der vorgegebenen Fristen (erfolglos) abgelegt hat, sondern vor Prüfungsbeginn einen Antrag auf Fristverlängerung gestellt hat. Denn es widerspräche dem Grundsatz der Chancengleichheit, einem Prüfling der sich der Prüfung in der Hoffnung stellt, trotz seiner für ihn erkennbar fehlenden oder erheblich eingeschränkten Prüfungsfähigkeit zu bestehen, im Falle des Misslingens einen zusätzlichen Prüfungsversuch zu gewähren (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage 2014, Rn. 265).

3. Entgegen der Auffassung des Klägers begründen auch die Informationen der Beklagten in der Broschüre „Nachteilsausgleich – Informationen für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung“ (Stand Juli 2013)“ keinen Vertrauenstatbestand dahingehend, dass ihm aufgrund seiner Erkrankung an ADHS ein Nachteilsausgleich zu gewähren wäre.

In der Broschüre, die u.a. Informationen zur Umsetzung eines Nachteilsausgleichs, Beispiele möglicher Nachteilsausgleiche und Ausführungen zum Nachteilsausgleich bei psychischer Erkrankung beinhaltet, wird zwar nicht auf die für eine Nachteilsausgleichsgewährung entscheidende Differenzierung eingegangen, ob eine Beeinträchtigung die geistige Leistungsfähigkeit selbst oder nur deren Nachweis erschwert. Dies wäre zwar sinnvoll um Missverständnissen über den grundsätzlichen Anwendungsbereich eines Nachteilsausgleichs vorzubeugen. Jedoch werden in der Broschüre – worauf auf Seite 12 ausdrücklich hingewiesen wird – keinerlei allgemeinverbindliche Aussagen über bei einzelnen Erkrankungen zu gewährende Prüfungsmodifikationen getroffen. Auf Seite 6 wird zudem darauf hingewiesen, dass ein Nachteilsausgleich nach bereits erfolgter Absolvierung von Prüfungen ausgeschlossen ist. Ein Vertrauensschutz für die Gewährung einer Studienzeitverlängerung zugunsten des Klägers lässt sich aus den Angaben der Broschüre daher nicht ableiten.

4. Nach alledem kann der Kläger aufgrund seiner ADHS-Erkrankung kein (weiteres) Verlängerungssemester beanspruchen. Die ihm von der Beklagten bereits gewährte Studienzeitverlängerung um ein Semester mit Bescheid vom 21. November 2013 erweist sich mit Blick auf die Chancengleichheit zugunsten der konkurrierenden Mitprüflinge als nicht gerechtfertigte Erleichterung des Studiums und damit als rechtswidrige Bevorteilung des Klägers. Angesichts dessen ist es unerheblich, ob dieser „Nachteilsausgleich“ infolge einer Verunsicherung des Klägers durch das weitere Verhalten der Beklagten faktisch ins Leere gelaufen ist, wie der Kläger vorträgt. Ebenso unerheblich ist, dass die KIS in ihrer Stellungnahme zu dem Nachteilsausgleichsantrag eine Studienzeitverlängerung um zwei Semester empfohlen hat.

Die im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung des endgültigen Nichtbestehens der Bachelorprüfung ist damit zu Recht erfolgt. Der Bescheid ist materiell rechtmäßig; für eine formelle Rechtswidrigkeit sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.

Die Klage war daher abzuweisen.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 12


(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im

Zivilprozessordnung - ZPO | § 711 Abwendungsbefugnis


In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt e

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Verwaltungsgericht Arnsberg Beschluss, 19. Sept. 2014 - 9 L 899/14

bei uns veröffentlicht am 19.09.2014

Tenor Der Antrag wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt 1 G r ü n d e : 2I. 3Der                                       geborene Antragsteller ist seit dem Wintersemester 2

Verwaltungsgericht Freiburg Beschluss, 30. Aug. 2007 - 2 K 1667/07

bei uns veröffentlicht am 30.08.2007

Tenor Der Antrag des Antragstellers wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt. Gründe   1  Der Antrag, mit d

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(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Tenor

Der Antrag des Antragstellers wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der Antrag, mit dem der Antragsteller unter Berufung auf eine bei ihm diagnostizierte Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) die Verpflichtung des Antragsgegners begehrt, ihm für den am 4. September 2007 beginnenden schriftlichen Teil des Ersten juristischen Staatsexamens eine Schreibzeitverlängerung um eine Stunde je Klausur zu gewähren, hat keinen Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO), dass einerseits ein Anspruch glaubhaft gemacht wird, dessen vorläufiger Sicherung die begehrte Anordnung dienen soll (Anordnungsanspruch), und dass andererseits die Gründe glaubhaft gemacht werden, die eine gerichtliche Eilentscheidung erforderlich machen (Anordnungsgrund).
Gemessen an diesen Anforderungen ist der vorliegende Antrag unbegründet.
Zwar hat der Antragsteller einen Anordnungsgrund infolge Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht. Ohne eine vorläufige Regelung wäre er praktisch rechtlos gestellt, da der schriftliche Teil der Ersten juristischen Staatsprüfung, zu der der Antragsteller im Rahmen eines Notenverbesserungsversuch zugelassen worden ist, bereits am 4. September 2007 beginnt.
Der Antragsteller hat jedoch nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass er gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 JAPrO 1993 einen Anspruch darauf hat, dass das Landesjustizprüfungsamt für ihn die Bearbeitungszeit der Klausuren angemessen verlängert. Der insbesondere für eine - wie vorliegend gegebene - Hauptsachevorwegnahme erforderliche hohe Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg im Klageverfahren ist zu verneinen. Vielmehr erscheint die Entscheidung des Antragsgegners, dem Antragsteller die beantragte Schreibzeitverlängerung nicht zu gewähren, rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
Der Antragsteller erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Gewährung einer Schreibzeitverlängerung. Gemäß § 12 Abs. 1 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen (i.d.F. v. 7.5.1993 - JAPrO 1993 -) , der vorliegend gemäß § 62 Abs. 1 JAPrO 2002 Anwendung findet, kann das Landesjustizprüfungsamt bei Behinderungen, die die Schreibfähigkeit beeinträchtigen, auf schriftlichen Antrag (u.a.) die Bearbeitungszeit angemessen verlängern. Die Beeinträchtigung ist darzulegen und durch amtsärztliches Zeugnis, das die für die Beurteilung nötigen medizinischen Befundtatsachen enthält, nachzuweisen.
Der Antragsteller macht insoweit geltend, dass er unter einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS/ADS) im Erwachsenenalter leide, die dazu führe, dass er äußerst leicht ablenkbar und nur sehr eingeschränkt konzentrationsfähig sei. Er müsse lange Sachverhalte überdurchschnittlich oft durchlesen. Das häufige unwillkürliche Abschweifen seiner Gedanken hindere ihn an einer zügigen, aufmerksamen Bearbeitung der Klausur. Das Erfassen des Sachverhalts und das Gliedern der Lösung nähmen überdurchschnittlich viel Zeit in Anspruch. Durch die hohe Ablenkbarkeit und Reizoffenheit führe jede noch so kleine Störung während der Prüfung zu einer Unterbrechung der Klausurbearbeitung. Frau Dr. ..., Gesundheitsamt des Landratsamts ..., führt in ihrem amtsärztlichen Zeugnis vom 6. August 2007 aus, an der Diagnose eines ADHS im Erwachsenenalter bestehe kein Zweifel. Infolge des Aufmerksamkeitsdefizits sei davon auszugehen, dass der Antragsteller sowohl behindert sei bei der Aufnahme der Prüfungsaufgabe als auch bei der Denkarbeit der ersten Phase wie auch in der zweiten Phase der Niederschrift. Die erforderliche Schreibzeitverlängerung werde auf eine Stunde eingeschätzt, weil nicht nur die Niederschrift, sondern die ganze Aufgabenbearbeitung durch die Störung beeinträchtigt sei.
Damit hat der Antragsteller jedoch eine die Schreibfähigkeit beeinträchtigende Behinderung im Sinne des § 12 Abs. 1 S. 2 JAPrO 1993 nicht glaubhaft gemacht. Denn § 12 Abs. 1 S. 2 JAPrO 1993 erfasst neben aktuellen, vorübergehenden Beeinträchtigungen der rein mechanischen Darstellungsfähigkeit - wie einem gebrochenen Arm - nur solche dauerhaften Behinderungen, die lediglich den Nachweis einer uneingeschränkt vorhandenen Befähigung erschweren und die in dem mit der Prüfung angestrebten Beruf oder der (weiteren) Berufsausbildung durch Hilfsmittel ausgeglichen werden können. Dauerleiden, die als persönlichkeitsbedingte Eigenschaften die Leistungsfähigkeit des Prüflings dauerhaft prägen, rechtfertigen dagegen keine Arbeitszeitverlängerung im Wege des Nachteilsausgleichs (vgl. zur Unterscheidung Niehues, Schul- und Prüfungsrecht Band 2, Rn. 120 ff.; BVerwG, Beschl. v. 13.12.1985 - 7 B 210/85 -, in Juris; Urt. v. 30.8.1977 - 7 C 50.76 -, in Juris; Hess. VGH, Beschl. v. 3.1.2006 - 8 TG 3292/05 -, in Juris; OVG Schleswig, Beschl. v. 19.8.2002 - 3 M 41/02 -, SPE n.F. 600 Nr. 18).
Um ein solches Dauerleiden aber handelt es sich bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung des Antragstellers. Denn infolge der dauerhaften Reizüberflutung und seiner mangelnden Fähigkeit zur Filterung von Informationen hat der Antragsteller, wie er ausführt, Schwierigkeiten bei der vollständigen Erfassung der Aufgabenstellung, bei der Entwicklung und Gliederung seiner Klausurlösung und bei der Fokussierung seiner Aufmerksamkeit auf die Klausur; diese vom Antragsteller geschilderte Symptomatik deckt sich mit den in den Klassifikationen ICD-10 und DSM-IV genannten Symptomen für die Diagnostik einer AD(H)S. Erschwert ist dem Antragsteller folglich nicht nur die schriftliche Fixierung einer im Kopf erarbeiteten Falllösung; vielmehr ist er infolge seiner deutlich geringeren Konzentrationsfähigkeit, seiner erhöhten Ablenkbarkeit und den Schwierigkeiten bei der Informationsverarbeitung gerade auch bei der gedanklichen Erarbeitung der Klausurlösung selbst beeinträchtigt. Dies ergibt sich auch aus dem amtsärztlichen Gutachten von Frau Dr. ..., in dem diese ausführt, dass der Antragsteller „auch bei der Denkarbeit der ersten Phase“ behindert sei; „nicht nur die Niederschrift, sondern die ganze Aufgabenbearbeitung“ sei „durch die Störung beeinträchtigt“.
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Gerade die Fähigkeit, einen Sachverhalt aufzunehmen und zu verstehen sowie den Fall in angemessener Zeit einer plausibel begründeten Lösung zuzuführen, aber stellt die eigentliche juristische Leistung dar, die im Rahmen des schriftlichen juristischen Staatsexamens bewertet werden soll (Hess. VGH, Beschl. v. 3.1.2006 - 8 TG 3292/05 -, in Juris). Der Antragsteller kann in diesem Zusammenhang auch nicht damit gehört werden, er sei durchaus in der Lage, den Sachverhalt zu durchdringen und zu lösen, brauche hierfür jedoch krankheitsbedingt mehr Zeit. Denn gerade bei juristischen Prüfungen soll auch die - für die spätere berufliche Praxis wichtige - Fähigkeit des Prüflings, unter Zeitdruck einen gegebenen juristischen Fall zu bearbeiten, bewertet werden; dass dem zeitlichen Moment im Rahmen von Prüfungen große Bedeutung zukommt, wird im Übrigen nicht zuletzt daraus deutlich, dass die Aussage, bei längerer Bearbeitungszeit bessere Ergebnisse zu erzielen, auf praktisch jeden Prüfling zutreffen dürfte.
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Die ADHS stellt sich nach alldem als eine persönlichkeitsbedingte generelle Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Antragstellers dar, die in den Examensklausuren angelegten juristischen Fragestellungen in der vorgegebenen Zeit zu durchdringen und überzeugenden Lösungen zuzuführen. Eine derartige Leistungsminderung bestimmt sein „normales“ Leistungsbild mit der Konsequenz, dass, soweit sich die durch die ADHS bedingten Leistungsschwächen im Prüfungsergebnis niederschlagen, dessen Aussagewert gerade nicht verfälscht wird.
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Insoweit trägt auch der vom Antragsteller herangezogene Vergleich der ADHS mit Legasthenie, bei deren Vorliegen mehrere Obergerichte in der Tat einen Anspruch des Prüflings auf Kompensation durch Schreibzeitverlängerung festgestellt haben (Hess. VGH, Beschl. v. 3.1.2006 - 8 TG 3292/05 -, in Juris; OVG Schleswig, Beschl. v. 19.8.2002 - 3 M 41/02 -, SPE n.F. 600 Nr. 18; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.9.2000 - 9 S 1607/00 -, in Juris), nicht. Denn bei der Legasthenie handelt es sich wenn auch nicht um eine typische mechanische Beeinträchtigung des Schreibvorgangs, so doch um eine Beeinträchtigung, die sich in langsamerer Lesegeschwindigkeit sowie einer erschwerten handschriftlichen Darlegung des gefundenen Ergebnisses und somit in einer mangelnden technischen Fähigkeit zur Darstellung des eigenen Wissens erschöpft (vgl. Hess. VGH, aaO.; VGH Bad.-Württ., aaO.; OVG Schleswig, aaO.). Da im Rahmen juristischer Examina - anders als etwa bei der Ausbildung zur Sekretärin - die rein technische Lese- und Schreibtätigkeit außerhalb der durch die Prüfung zu ermittelnden juristischen Leistungsfähigkeit, einen Sachverhalt aufzunehmen und in gegebener Zeit einer plausiblen Lösung zuzuführen, liegt und letztere durch die Legasthenie nicht beeinträchtigt wird, mag es in der Tat naheliegen, die aus der Legasthenie resultierenden Schwierigkeiten bei der technischen Umsetzung der Leistungsfähigkeit im juristischen Staatsexamen durch Schreibzeitverlängerung zu kompensieren (so Hess. VGH, aaO.). Die ADHS dagegen erschöpft sich, wie gesehen, aber gerade nicht in einer Beeinträchtigung der Lese- und Schreibtätigkeit als technischem Vorgang.
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Dieser strukturelle Unterschied in der Einordnung von Legasthenie und ADHS wird auch deutlich bei der - vor Berücksichtigung der Behinderung im Rahmen der Prüfung anzustellenden (vgl. Niehues, aaO., Rn. 122, m.w.N.; OVG Schleswig, Beschl. v. 2.10.2003 - 9 B 85/02 -, in Juris) - Kontrollüberlegung, inwieweit eine Kompensationsmöglichkeit der Behinderung im späteren Berufleben besteht. Während die aus der Legasthenie resultierenden Behinderungen nämlich überwiegend durch den Einsatz von Hilfsmitteln - etwa von Leseprogrammen bzw. Spracherkennungs- und Diktierprogrammen am PC oder von Diktiergeräten - ausgeglichen werden können, lassen sich die zentralen Schwierigkeiten, die der Antragsteller infolge seiner Erkrankung gerade unter zeitlichem Druck bei der Ordnung und Fokussierung seiner Gedanken, der Filterung von Informationen und der Konzentration auf die relevante - juristische - Fragestellung hat, durch Hilfsmittel nicht kompensieren. Vielmehr wird sein ADHS-Leiden sich im späteren beruflichen Alltag nicht wesentlich anders als im Rahmen des Staatexamens niederschlagen.
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Nichts anderes ergibt sich schließlich aus dem Verweis des Antragstellers auf die Nachfolgervorschrift des § 12 Abs. 1 S. 2 JAPrO 1993, nämlich § 13 Abs. 7 S. 1 JAPrO 2002. Die Kammer sieht bereits nicht, inwieweit der geänderte Wortlaut - „prüfungsunabhängige Beeinträchtigungen eines Kandidaten, die die Anfertigung der Aufsichtsarbeiten erschweren“ anstatt „Behinderungen, die die Schreibfähigkeit beeinträchtigen“ - zu einer substantiellen Änderung im Hinblick auf den Umfang der zu kompensierenden Behinderungen führen sollte. Vielmehr hatte der VGH Baden-Württemberg bereits auf der Grundlage von § 12 Abs. 1 JAPrO 1993 entschieden, dass nicht nur rein mechanische Beeinträchtigungen zu kompensieren sind, sondern auch solche, die, wie etwa Legasthenie, die technische Fähigkeit zur Darstellung des eigenen Wissens beeinträchtigen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.9.2000 - 9 S 1607/00 -, in Juris), so dass Überwiegendes dafür spricht, der Gesetzgeber habe die bereits geltende Rechtlage lediglich klarer formulieren wollen. Abgesehen davon ergäbe sich auch für den Fall, dass die Neuregelung eine gewisse Ausweitung der zu kompensierenden Beeinträchtigungen mit sich bringen sollte, eine Ungleichbehandlung des Antragstellers gegenüber den in derselben Prüfungskampagne nach neuem Recht teilnehmenden Prüflingen - ungeachtet der Frage, ob sich der Antragsteller insoweit überhaupt auf eine Ungleichbehandlung berufen könnte - schon deshalb nicht, weil eine Kompensierung seiner ADHS durch Schreibzeitverlängerung auch nach neuer Rechtslage nicht möglich wäre. Denn gemäß § 13 Abs. 7 S. 1 2. HS JAPrO 2002 darf auf den Nachweis von Fähigkeiten, die zum Leistungsbild der abgenommenen Prüfung gehören, nicht verzichtet werden; hieraus wird deutlich, dass jedenfalls Beeinträchtigungen, die - wie die ADHS - die zeitgerechte intellektuelle Bewältigung des Prüfungsstoffs erschweren, nach wie vor nicht auszugleichen sind.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass mit dem Verfahren das Hauptsacheverfahren weitgehend vorweggenommen wird, erscheint der volle Auffangstreitwert i.H.v. 5.000 EUR angemessen.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt


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(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.