Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 13. Mai 2014 - 4 K 13.934

bei uns veröffentlicht am13.05.2014

Gericht

Verwaltungsgericht Würzburg

Tenor

I.

Der Bescheid des Landratsamts A. vom 24. Mai 2013 wird aufgehoben.

II.

Der Beklagte und die Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen.

III.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Tatbestand

Die Kläger wenden sich als Eigentümer des mit einer Doppelhaushälfte bebauten Grundstücks Fl.Nr. ...55/65 der Gemarkung S., U-straße ..., gegen die der Beigeladenen mit Bescheid vom 14. Mai 2013 erteilte Baugenehmigung zur Errichtung einer Doppelhaushälfte mit Garage und Wintergarten für das Anwesen Fl.Nr. ...55/31 der Gemarkung S., Uhlandstraße 1a (Baugrundstück).

1. Das Grundstück der Kläger und das westlich angrenzende Baugrundstück der Beigeladenen befinden sich im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans „Ü. III“ der Marktgemeinde S., in Kraft getreten am 10. September 1971, in einer als Reines Wohngebiet ausgewiesenen Fläche. Nördlich der Grundstücke verläuft in Ost-Westrichtung die Uhlandstraße. Das Baugrundstück und das Grundstück der Kläger wurden in der Vergangenheit - im Zusammenhang mit der Errichtung des Wohnhauses der Kläger im Jahr 2006 - in Nord-Süd-Richtung aufgeteilt. Die Baugenehmigung für die Doppelhaushälfte der Kläger vom 6. April 2006 enthielt eine Befreiung wegen Überschreitung der Baugrenze.

Nach Ziffer 3 der weiteren Festsetzungen des Bebauungsplans „Ü. III“ sind bei „Doppelhäusern und Gruppenbauweise (…) die zusammenhängenden Gebäude im Querschnitt genau aneinander anzugleichen und in der Gestaltung aufeinander abzustimmen“. Gemäß einer zeichnerischen Festsetzung („o“) ist auf den bezeichneten Grundstücken die offene Bauweise festgesetzt. Gemäß Ziffer 6 der weiteren Festsetzungen beträgt die „zulässige Bebauungstiefe = max. 12,00 m entsprechend § 23 Baunutzungsverordnung (soweit keine rückwärtige Baugrenze oder Baulinie festgesetzt ist)“. Weiterhin setzt der Bebauungsplan eine vordere Baulinie und eine hintere Baugrenze fest.

2. Mit Bauantrag vom 6. Februar 2013, eingegangen beim Landratsamt A. am 4. März 2013, beantragte die Beigeladene die Baugenehmigung für die Errichtung eines Zweifamilienhauses als Doppelhaushälfte mit Garage und Wintergarten. Die dem Antrag beigefügten und in der Bauakte als „überholt“ gekennzeichneten Pläne mit Plandatum „Februar 2013“ sehen eine nördliche (straßenseitige) wie auch eine südliche (gartenseitige) Außenwand der Doppelhaushälfte vor, die in Verlängerung der nördlichen bzw. südlichen Außenwand der vorhandenen Doppelhaushälfte der Kläger verläuft und hier die Baulinie bzw. die Baugrenze überschreitet. Im Erdgeschoss ist an der gemeinsamen Grundstücksgrenze ein „Wintergarten“ aufgeplant, der mit einer Tiefe von 3,99 m und einer Breite von 4,50 m über die südliche Außenwand hinausragt. Ansonsten ist die östliche Abschlusswand mit einer Länge von 12 m deckungsgleich mit der westlichen Abschlusswand des Wohnhauses der Kläger. An der westlichen Außenwand befindet sich im Obergeschoss ein 87 cm vorspringender Erker mit einer Länge von 4,50 m. Diese Eingabepläne weisen die Unterschrift der Kläger auf, liegen aber nicht der streitgegenständlichen Baugenehmigung zugrunde. Die weiteren in der Bauakte enthaltenen Eingabepläne, ebenfalls mit Datum „Februar 2013“, die keine Nachbarunterschriften aufweisen, sehen an der westlichen Gebäudeseite keinen Erker vor. Dieser wurde offensichtlich auf Schreiben der Bauaufsichtsbehörde vom 4. April 2013 zurückgenommen. Stattdessen enthalten die Pläne nun an der südlichen Fassade, westlich des „Wintergartens“, einen ca. 3,00 m breiten, bis zur westlichen Außenwand reichenden und um 1,50 m Richtung Süden vorspringenden Erker mit einer Höhe von 6,20 m. Mit dem Bauantrag wurden Befreiungen beantragt für die Überschreitung der Baugrenze und der Baulinie.

Mit Bescheid vom 14. Mai 2013 erteilte das Landratsamt A. der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung, der die „Baupläne vom Februar 2013“ zugrunde liegen (Ziff. 2 des Tenors der Baugenehmigung). Mit Genehmigungsvermerk sind die Pläne versehen, die keine Nachbarunterschrift aufweisen. Erteilt wurde eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans wegen Überbau der südlichen Baugrenze um ca. 60 m² (Ziffer 2 der „Befreiungen/Abweichungen“) sowie wegen Nichteinhaltung der Baulinie. Von den gemäß Art. 6 BayBO erforderlichen Abstandsflächen zum Grundstück Fl.Nr. ...55/65 wurde gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO eine Abweichung zugelassen, da die notwendige Abstandsfläche nicht vorhanden sei (Ziffer 3 der „Befreiungen/Abweichungen“). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften, welche im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen seien, entgegenstünden, so dass die Baugenehmigung habe erteilt werden können.

Die Kläger haben keine Ausfertigung der Baugenehmigung erhalten.

Am 9. September 2013 machten die Kläger das Landratsamt A. darauf aufmerksam, dass planabweichend gebaut werde. Daraufhin stellte dieses mit Bescheid vom 11. September 2013 den Bau des Wintergartens und des Erkers mit der Begründung ein, dass die Decke des Wintergartens als massive Betondecke ausgeführt und der Betonsockel der Decke Obergeschoss auf die Decke des Wintergartens verlängert worden sei, um hier einen über die gesamte Fassade verlaufenden Erker aufzunehmen. Gegen den vg. Bescheid ließ die Beigeladene Klage erheben (W 4 K 13.1010) sowie einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage stellen (W 4 S 13.1011), der mit Beschluss der Kammer vom 25. Oktober 2013 abgelehnt wurde. Die Klage W 4 K 13.1010 wurde nach Klagerücknahme durch Beschluss der Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2014 eingestellt.

3. Gegen die Baugenehmigung vom 14. Mai 2013 erhoben die Kläger am 16. September 2013 Klage mit dem Antrag,

den Bescheid des Landratsamts A. vom 14. Mai 2013 aufzuheben.

Am gleichen Tag stellten die Kläger bei Gericht den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen (W 4 S 13.935). Zur Begründung des Antrags wie auch der Klage trugen sie vor: Als am 7. September 2013 die Decke über dem Erdgeschoss betoniert worden sei, hätten sie erstmals Zweifel bekommen, ob die Bauausführung den von ihnen unterschriebenen Plänen entspreche, da insbesondere die Bebauung ca. 1,5 m Richtung Süden erweitert worden sei und der Wintergarten eine massive Betondecke erhalte. Als sie schließlich nach einigem Hinhalten von der Beigeladenen Einblick in die Baumappe erhalten hätten, hätten sie erkennen können, dass diese eine ihnen unbekannte, aber genehmigte Planung mit einem ca. 1,5 m tiefen und ca. 3 m langen Erker neben dem Wintergarten enthielt. Die von ihnen unterschriebenen Pläne seien als „überholt“ gekennzeichnet gewesen. Als sich am nächsten Tag anhand der an der Baustelle vorhandenen Baupläne gezeigt habe, dass sich der Erker über die gesamte Fassadenlänge erstrecken solle, hätten sie die Bauaufsicht eingeschaltet, die sodann einen Baustopp für den Wintergarten und den Erker ausgesprochen habe. Trotz ihrer Proteste sei an der von der ursprünglichen Planung abweichenden Bauausführung zügig weitergearbeitet worden, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Die genehmigte Bauausführung verletzte sowohl die Regelung über die Beteiligung des Nachbarn am Baugenehmigungsverfahren (Art. 66 BayBO) als auch das öffentlich-rechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Die Änderungen gegenüber der von ihnen zugestimmten Planung seien nicht von untergeordneter Bedeutung. Der Bau des Erkers neben dem Wintergarten zerstöre das Bild eines Gebäudes als Doppelhaushälfte. Die zweite Doppelhaushälfte gehe, da sie dieses Element nicht besitze, unter. Die Anbauten nähmen die Hälfte der Fassadenfläche ein, sie seien zwei Fremdkörper, die aus dem Bild herausragten. Dies werde durch die Größe der Anbauten noch verstärkt. Beide zusätzliche Baukörper, angeklebt an die Fassade, passten sich weder an die zweite Doppelhaushälfte noch an die anderen Nachbargebäude an.

4. Das Landratsamt A. stellte für den Beklagten den Antrag, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wurde vorgetragen: Da sich das Bauvorhaben der auf dem Grundstück Fl.Nr. ...55/65 bestehenden Doppelhaushälfte anpasse, hätten von der Baugrenze und der Baulinie Befreiungen erteilt werden können. Durch die Gewährung der einzelnen Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans würden die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt. Da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB erfüllt seien und keine Anhaltspunkte für eine Verletzung drittschützender Festsetzungen vorlägen, hätten die Befreiungen hinsichtlich der Baulinie und der Baugrenze erteilt werden können. Die den Wintergarten betreffende Abweichung von der Abstandsfläche zum Grundstück der Kläger habe zugelassen werden können, da öffentliche Belange auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen nicht beeinträchtigt würden, die Kläger die Baupläne vorbehaltlos unterschrieben hätten und eine ausreichende Belichtung, Belüftung, Besonnung sowie der Wohnfrieden gewahrt werde. Der von der ursprünglichen Planung abweichende Erker befinde sich auf der von den Klägern abgewandten Seite; er habe ohne (nochmalige) Nachbarbeteiligung genehmigt werden können, da augenscheinlich die Abstandsflächen eingehalten würden und der Vorbau mit einer Tiefe von lediglich 1,50 m und einer Entfernung von 4,20 m zur Grundstücksgrenze das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletze. Entgegen der Meinung der Kläger sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für das Vorliegen eines Doppelhauses nicht erforderlich, dass beide Hälften absolut gleichförmig und deckungsgleich errichtet würden. Das Hervortreten des Wintergartens und des Erkers störe hier die bauliche Einheit des ansonsten völlig deckungsgleichen Doppelhauses nicht. Es werde auf einen Bezugsfall auf den Grundstücken Fl.Nrn. ...55/32 und ...55/33 verwiesen.

5. Der Bevollmächtigte der Beigeladenen beantragte für die Beigeladene,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wurde vorgetragen: Von dem Erkeranbau gingen keine nachbarrechtlichen Beeinträchtigungen aus. Abstandsflächenrechtlich ausschlaggebende Außenwände würden hierdurch nicht verändert. Die Kläger hätten diesen Erker akzeptiert und unterzeichnet. Der Wintergarten entspreche ebenfalls den erteilten Genehmigungen. Der Bau des Erkers störe nicht das Bild eines Gebäudes als Doppelhaushälfte, zumal er auf der Gartenseite für Außenstehende nicht sichtbar sei. Ein Verstoß gegen Art. 66 BayBO könne nicht Grundlage für einen Baustopp sein. Hierzu werde auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts München vom 3. Dezember 2012 unter dem Az. M 8 SN 12.4641 verwiesen.

6. Mit Beschluss vom 24. September 2013 (W 4 S 13.935) ordnete die Kammer die aufschiebende Wirkung der Klage vom 16. September 2013 gegen den Bescheid des Landratsamts A. vom 14. Mai 2013 an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beigeladenen wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof München mit Beschluss vom 13. Februar 2014 zurück (9 CS 13.2143). Wegen der Begründung wird auf die vg. Beschlüsse verwiesen.

In der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2014 wurde die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Wegen des Ablaufs der mündlichen Verhandlung im Übrigen wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

1. Die Klage ist zulässig. Den Klägern fehlt insbesondere nicht deshalb das Rechtsschutzbedürfnis, weil sie den ihnen von der Beigeladenen vorgelegten Plansatz unterschrieben haben. Hierzu hat die Kammer im Beschluss vom 24. September 2013 im Verfahren W 4 S 13.935 ausgeführt:

„Zwar gilt die Nachbarunterschrift auf den Bauvorlagen gemäß Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BayBO als Zustimmung. Mit der Zustimmung verzichtet der Nachbar auf Einwendungen, die ihm aufgrund von auch seine Rechte schützenden Vorschriften gegen das Vorhaben zustehen können. Eine trotz Unterschrift erhobene Klage wäre mangels Klagebefugnis unzulässig, weil der Nachbar nicht mehr geltend machen kann, durch die Baugenehmigung möglicherweise in eigenen Rechten verletzt zu sein. Allerdings ist Gegenstand der Nachbarunterschrift das konkrete Vorhaben. Sie wird hinfällig, wenn neue Pläne zugrunde gelegt werden (Molodovsky in Koch/Molodovsky/Famers, BayBO, 109. Erg.Lief. Juni 2013, Art. 66 RdNr. 179). Bei einer Änderung des Vorhabens - auch während des Genehmigungsverfahrens - ist grundsätzlich eine neue Nachbarbeteiligung erforderlich. Änderungspläne, insbesondere Tekturpläne sind ebenfalls dem Nachbarn zur Unterschrift vorzulegen, denn die Nachbarunterschrift gilt nur für die Bauvorlagen, auf denen sie geleistet wurde (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO 112. Erg.Lief. Mai 2013, Art. 66 RdNr. 114). Nur wenn die Änderungen aus nachbarlicher Sicht offensichtlich unerheblich sind und die Bauaufsichtsbehörde deshalb annehmen darf, dass die Zustimmung durch die Änderung nicht in Frage gestellt wird, ist eine neue Beteiligung entbehrlich (Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 66 RdNr. 19). Dies ist allgemein nur dann der Fall, wenn durch die Änderung des Vorhabens nur eine Verbesserung, zumindest aber keine Verschlechterung in Bezug auf die rechtlich geschützten nachbarlichen Interessen eintritt, so wenn die Gebäudehöhe reduziert wird oder es sich um Dachgauben oder Oberlichte handelt (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 66 RdNr. 114 m. w. N. zur Rspr.).

Unter Beachtung der vg. Grundsätze wäre hier eine erneute Nachbarbeteiligung erforderlich gewesen. Denn es wird bei einer Verlängerung der Außenwand um ca. 1,50 m nicht nur die Fassade geringfügig umgestaltet (vgl. hierzu Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 66, RdNr. 114 unter Hinweis auf BayVGH, U. v. 12.12.1978 - 261 I 74), sondern es wird sowohl die Frage der Einhaltung der Abstandsflächen als auch die der Festsetzungen des Bebauungsplans über die Zulässigkeit von Doppelhäusern (Ziffer 3 der weiteren Festsetzungen) und der zulässigen Bebauungstiefe (Ziffer 6 der weiteren Festsetzungen) neu aufgeworfen.“

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat diese rechtliche Bewertung der Kammer bestätigt und hierzu im Beschluss vom 24. September 2013 im Beschwerdeverfahren 9 CS 13.2143 folgende Ausführungen gemacht, denen sich die Kammer vollinhaltlich anschließt:

„Die weitere Rüge der Beigeladenen, die Antragsteller hätten sich ihres Rechts, gegen die erteilte Baugenehmigung gerichtlich vorzugehen, durch die von ihnen geleistete Unterschrift auf den Planungsunterlagen begeben, mithin kein Rechtsschutzinteresse (mehr), greift ebenfalls nicht durch. Denn es müssen, um eine rechtswirksame Zustimmung des bzw. der Nachbarn annehmen zu können, die mit der Unterschrift der Nachbarn versehenen Bauvorlagen mit der erteilten Baugenehmigung übereinstimmen, d. h. die Bauvorlagen müssen so genehmigt worden sein, wie sie dem Nachbarn zur Unterschrift vorgelegt worden waren (Dirnberger in: Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 149). Die Unterschrift deckt insbesondere nicht spätere Anträge auf Tektur- oder Änderungsgenehmigungen. Bei den Nachbarn belastenden Änderungen der Bauvorlagen ist er vom Bauherrn, der Gemeinde oder der Behörde erneut zu beteiligen (Dirnberger in: Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 150). Daran fehlt es hier. Denn die ursprünglichen, von den Antragstellern unterschriebenen Baupläne sind mittels eines roten Stempelaufdrucks ausdrücklich als „überholt“ gekennzeichnet und liegen damit der am 14. Mai 2013 erteilten Baugenehmigung ersichtlich nicht zugrunde. Die mit einem entsprechenden behördlichen Genehmigungsvermerk versehenen - und nicht als Tektur bezeichneten - Planunterlagen, auf die die Baugenehmigung Bezug nimmt, sind dagegen nicht von den Antragstellern unterzeichnet worden. Diese Pläne enthalten auch - jedenfalls bezüglich des geplanten Erkers - eine die Antragsteller als Nachbarn betreffende, nicht nur geringfügige Änderung: Denn der Erker wurde nicht nur in seinen Ausmaßen verändert, sondern auch von der westlichen, den Antragstellern abgewandten Seite des Bauvorhabens der Beigeladenen auf dessen südliche Fassadenseite verlagert. Dadurch wird jedenfalls - wovon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeht - die nach den weiteren Festsetzungen des Bebauungsplans einheitlich zu gestaltende Fassade des entstehenden Doppelhauses deutlich verändert, ohne dass es im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes noch darauf ankommt, ob eventuell auch weitere Rechte der Antragsteller verletzt sein könnten.“

2. Die Klage ist begründet.

Denn die Baugenehmigung des Landratsamts A. vom 14. Mai 2013 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Bescheid war deshalb aufzuheben.

Der Nachbar eines Bauvorhabens kann eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn es das Vorhaben an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.

2.1. Zwar kann die Rüge formeller Mängel der Baugenehmigung, nämlich eines Verstoßes gegen Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BayBO - wie die Bevollmächtigten der Beigeladenen zutreffend ausführen - der Klage nicht zum Erfolg verhelfen.

Da auch bei einer Änderung des Vorhabens die Durchführung einer Nachbarbeteiligung erforderlich ist (s. o.), ist der Bescheid vom 14. Mai 2013 zwar wegen Verstoßes gegen Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BayBO formell rechtswidrig. Eine Verletzung dieser die Nachbarn reflexartig begünstigenden Verfahrensvorschrift führt sogar bei einer vollständig fehlenden oder fehlerhaften Beteiligung des Nachbarn entgegen Art. 66 BayBO nicht zum Erfolg des Nachbarrechtsbehelfs (BayVGH, B. v. 29.11.2010 - 9 CS 10.2197 - juris; VG Würzburg, U. v. 6.12.2012 - W 5 K 11.514 - juris; VG München, B. v. 3.12.2012 - M 8 SN 12.4641 - juris; Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, 114. Erg.Lief. 2013, Art. 66 Rn. 208, 294, 295). Maßgeblich für die Frage einer Rechtsverletzung ist ausschließlich das materielle Recht (BayVGH, B. v. 2.2.2001 - 26 ZS 00.2347 - juris; Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 66 Rn. 35). Im Übrigen kann dieser Verfahrensfehler regelmäßig dadurch geheilt werden, dass der Nachbar im Klageverfahren Gelegenheit zur Äußerung erhält, vgl. Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG (vgl. Schwarzer/König, BayBO, Art. 66 Rn. 35; Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 209).

2.2. Allerdings verletzt die streitgegenständliche Baugenehmigung zulasten der Kläger materiell-rechtliche bauplanungsrechtliche Vorschriften mit drittschützender Wirkung.

Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind.

Nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO hat die Bauaufsichtsbehörde im vereinfachten Verfahren die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB zu prüfen.

2.2.1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens der Beigeladenen richtet sich - mit Ausnahme der erteilten Befreiungen für die Überschreitung der (hinteren) Baugrenze und der (vorderen) Baulinie, die nach § 31 Abs. 2 BauGB zu beurteilen sind - nach § 30 Abs. 1 BauGB i. V. m. den Festsetzungen des qualifizierten Bebauungsplans „Ü. III“ (künftig: Bebauungsplan) des Marktes S.

Das streitgegenständliche Vorhaben widerspricht aber den Festsetzungen des Bebauungsplans der Marktgemeinde S., wenn dieser in Ziffer 3 der weiteren Festsetzungen vorgibt, dass bei „Doppelhäusern (…) die zusammenhängenden Gebäude im Querschnitt genau aneinander anzugleichen und in der Gestaltung aufeinander abzustimmen“ sind (ohne dass hierfür vom Beklagten eine Befreiung erteilt worden wäre). Im Einzelnen:

Nach dem Bebauungsplan ist auf den bezeichneten Grundstücken - auch für das Baugrundstück - gemäß der zeichnerischen Festsetzung „o“ die offene Bauweise festgesetzt. Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 der BauNVO 1968 werden in der offenen Bauweise die Gebäude mit seitlichem Grenzabstand (Bauwich) als Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen mit einer Länge von höchstens 50 m errichtet. Mithin sind auf dem Baugrundstück wie auch auf dem Grundstück der Kläger (auch) Doppelhäuser bzw. Doppelhaushälften zulässig.

Bei den beiden an der Grundstücksgrenze zusammentreffenden Häusern handelt es sich auch um ein Doppelhaus i. S. d. § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO 1968. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U. v. 24.2.2000 - 4 C 12/98 - juris), der sich die Kammer anschließt, ist ein Doppelhaus jede bauliche Anlage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden. Nicht erforderlich ist, dass die Doppelhaushälften gleichzeitig oder deckungsgleich errichtet werden. Das Erfordernis einer baulichen Einheit im Sinne eines Gesamtbaukörpers schließt auch nicht aus, dass die ein Doppelhaus bildenden Gebäude an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zueinander versetzt oder gestaffelt aneinander gebaut werden. Das Erfordernis der baulichen Einheit ist nur erfüllt, wenn die beiden Gebäude in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise, insbesondere unter Verzicht auf wechselseitige Grenzabstände, aneinander gebaut werden. Insoweit ist die planerische Festsetzung von Doppelhäusern in der offenen Bauweise nachbarschützend. Kein Doppelhaus entsteht, wenn ein Gebäude gegen das andere so stark versetzt wird, dass es den Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung überschreitet, den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt und dadurch einen neuen Bodennutzungskonflikt auslöst. In welchem Umfang die beiden ein Doppelhaus bildenden Haushälften an der Grenze zusammengebaut werden müssen, lässt sich weder abstrakt-generell noch mathematisch-prozentual festlegen. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Der Bauherr der zuerst gebauten Haushälfte trägt grundsätzlich das Risiko, dass die spätere Bebauung die bestehenden Baugrenzen stärker ausnutzt, als er es getan hat. Allerdings muss sich der Bau an der Grenzstellung des früheren orientieren und in eine „harmonische Beziehung“ zu diesem treten („maßstabsbildende Vorbelastung“). Im Einzelfall kann das für den späteren Bau bedeuten, dass er die überbaubaren Grundstücksflächen nicht voll ausschöpfen darf. Die Unterschiede in der Bautiefe sind im vorliegenden Fall aus Sicht der Kammer nach der durchgeführten summarischen Prüfung nicht so groß, dass sie einen harmonischen Gesamtbaukörper nicht zuließen und deshalb nicht mehr allgemein von einem Doppelhaus gesprochen werden könnte.

Allerdings setzt hier der Bebauungsplan nicht nur ein „Doppelhaus“ in dem vg. großzügigen Sinn fest, sondern verlangt - was vom Beklagten verkannt wurde - in Ziffer 3 seiner weiteren Festsetzungen, dass bei „Doppelhäuser (…) die zusammenhängenden Gebäude im Querschnitt genau aneinander anzugleichen und in der Gestaltung aufeinander abzustimmen“ sind. Die zusammenhängenden Gebäude der Kläger und der Beigeladenen wurden - so wie sie mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung genehmigt wurden - aber gerade nicht „im Querschnitt genau aneinander an(geglichen)“. Denn die vorgenannte Festsetzung lässt sich nach dem klaren Wortlaut („genau“) nur so verstehen, dass eine vollständige Deckungsgleichheit hinsichtlich Firsthöhe und Tiefe der Doppelhaushälften bestehen muss. Letzteres ist hier aber eindeutig nicht gegeben, wenn ein eingeschossiger Anbau (von der Beigeladenen und der Bauaufsichtsbehörde als „Wintergarten“ bezeichnet) mit einer Tiefe von 3,99 m und einer Breite von 4,50 m sowie ein Anbau im Obergeschoss (mit einer Höhe von 6,20 m gemessen ab Geländeniveau), hier der ca. 3,00 m breite Erker, um 1,50 m über die südliche Außenwand hinausragt. Hiervon ist (zunächst) auch die Baugenehmigungsbehörde ausgegangen, wenn im „Bearbeitungsblatt Vorprüfung“ (Bl. 21 der Bauakte) vermerkt wird, dass der „Wintergarten nicht deckungsgleich“ sei und „DH (…) im Querschnitt genau aneinander anzugleichen“ seien. Warum dann aber nicht der Bauantrag abgelehnt oder die Prüfung einer Befreiung - nach Vorlage eines Befreiungsantrags - von der vg. Festsetzung erwogen wurde, stattdessen eine (ebenfalls nicht beantragte) Abweichung von der Nichteinhaltung der Abstandsflächenvorschriften für den Wintergarten zum Grundstück der Kläger erteilt wurde, lässt sich der Behördenakte nicht entnehmen bzw. ist für die Kammer nicht nachvollziehbar. Festzuhalten bleibt, dass das genehmigte Bauvorhaben jedenfalls zu Ziffer 3 der weiteren Festsetzungen des Bebauungsplans im Widerspruch steht.

2.2.2. Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern oder die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

Allerdings wurde hier eine Befreiung von Ziffer 3 der weiteren Festsetzungen des Bebauungsplans, wonach bei „Doppelhäusern (…) die zusammenhängenden Gebäude im Querschnitt genau aneinander anzugleichen und in der Gestaltung aufeinander abzustimmen“ sind, durch die Beigeladene unter Verstoß gegen Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO weder beantragt noch durch das Landratsamt A. genehmigt.

Nach der vg. Vorschrift ist u. a. die Zulassung von Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans gesondert schriftlich zu beantragen und dieser Antrag zu begründen. Dies ist hier nicht erfolgt, denn die Beigeladene hat zuletzt - ausweislich der Bauantragsunterlagen (vgl. Antrag auf isolierte Befreiung, Bl. 11 der Bauakte) - lediglich für die Überschreitung der Baugrenze und der Baulinie eine Befreiung beantragt. Das Antragserfordernis in Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO hat aber nur verfahrensrechtliche Bedeutung (vgl. Molodovsky in Molodovsky/Famers/Kraus, BayBO, 111. Erg.Lief. 2013, Art. 63 Rn. 55d). Wird eine erforderlich Abweichung bzw. Befreiung nicht beantragt und infolge dessen nicht erteilt, ist die Baugenehmigung zwar formell rechtswidrig (Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiss, Die neue Bayerische Bauordnung, 58. Erg.Lief. 2014, Art. 59 Rn. 39), eine Verletzung der Verfahrensvorschrift des Art. 63 Abs. 2 BayBO ist jedoch nicht nachbarschützend (vgl. Dirnberger in Simon/Busse, Art. 66 Rn. 291), so dass die Nachbarklage nicht mit Erfolg hierauf gestützt werden kann.

Wurde allerdings eine Befreiung nicht ausdrücklich ausgesprochen und weicht die Baugenehmigung - wie hier - von einer Festsetzung des Bebauungsplans ab, ohne dass die Befreiungsvoraussetzungen gegeben sind und auch das Befreiungsermessen nicht ausgeübt wurde, hat dies die materielle Rechtswidrigkeit des Vorhabens zur Folge (Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 31 Rn. 49; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 111. Erg.Lief. 2013, § 31 Rn. 67). In einem solchen Fall kann der Nachbar Rechtsschutz unter Berücksichtigung der Interessenbewertung des § 31 Abs. 2 BauGB beanspruchen, wobei dieser Schutz nicht hinter dem aus § 31 Abs. 2 BauGB zurückbleiben darf (BVerwG, U. v. 6.10.1989 - 4 C 14.87 - NJW 1990, 1192; Dirnberger in Simon/Busse, Art. 66 Rn. 386; Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiss, Art. 66 Rn. 429). Ist nämlich eine Befreiung tatsächlich nicht erteilt worden, kommt eine Verletzung von Rechten des Nachbarn durch einen Verstoß gegen die Befreiungsvorschrift nicht in Betracht. Drittschutz aus § 31 Abs. 2 BauGB wegen nicht hinreichender Rücksichtnahme auf die Interessen des Nachbarn kann nämlich nur in Anspruch genommen werden, wenn eine Befreiung tatsächlich erteilt worden ist. Hat die Baugenehmigungsbehörde aber ein Bauvorhaben ohne die erforderliche Befreiung genehmigt, so können Rechte des Nachbarn nicht durch die - nicht existierende - Befreiung, sondern nur durch die Baugenehmigung selbst verletzt sein (BVerwG, a. a. O.). Wird eine Baugenehmigung ohne die erforderliche Befreiung erteilt, ist das Vorhaben nachbarrechtswidrig, wenn es auch bei Erteilung der Befreiung nachbarrechtswidrig wäre (Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, Art. 31 Rn. 64).

2.2.3. Hinsichtlich des Nachbarschutzes bei Befreiungen von Festsetzungen des Bebauungsplans - und damit auch entsprechend bei nichterteilten aber erforderlichen Befreiungen - muss unterschieden werden, ob die Vorschrift, von der befreit wird, ihrerseits unmittelbar nachbarschützend ist oder nicht (vgl. BVerwG, a. a. O.). Im ersten Fall führt das Fehlen einer der objektiven Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB für die Gewährung einer Befreiung zu einer Verletzung von Nachbarrechten, da ein Verstoß gegen eine unmittelbar nachbarschützende Vorschrift vorliegt, von deren Anwendung nicht im Befreiungswege hätte abgesehen werden dürfen. Weicht ein Bauvorhaben von einer aus sich heraus drittschützenden Festsetzung des Bebauungsplans ab, hat der Dritte einen Rechtsanspruch auf Einhaltung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB (vgl. BVerwG, B. v. 8.7.1998 - B 64/98 - juris). Auf den Rechtsbehelf des Nachbarn hin ist in vollem Umfang nachzuprüfen, ob die objektiven Voraussetzungen für eine Befreiung vorliegen (Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB - BauNVO, 6. Aufl. 2010, § 29 Rn. 59 ff.).Im zweiten Fall fehlt es an einer solchen Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift aufgrund unzutreffender Annahme der Befreiungsvoraussetzungen. Nachbarschutz kommt hier nur im Rahmen des Rücksichtnahmegebots in Betracht (BVerwG, U. v. 19.9.1986 - 4 C 8/84 - juris). Grundsätzlich vermitteln Bebauungsplanfestsetzungen keinen allgemeinen auf Plangewährleistung gerichteten Anspruch. Die nachbarschützende Wirkung ist für jede einzelne Festsetzung zu überprüfen und durch Auslegung des jeweiligen Bebauungsplans sowie der Begründung zu ermitteln.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze können sich die Kläger auf den weitreichenden Nachbarschutz wegen einer Befreiung von aus sich heraus nachbarschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans berufen. Denn zum einen sind die Befreiungsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB hier nicht gegeben (2.2.4) und zum anderen erweist sich die Festsetzung, von der eine Befreiung hätte erteilt werden müssen, als drittschützend (2.2.5.). Im Einzelnen:

2.2.4 Vorliegend würden durch eine Befreiung wohl bereits Grundzüge der Planung berührt. Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Dies setzt die Feststellung der Grundzüge der Planung voraus sowie die Feststellung, ob diese in bestimmter Weise vom Vorhaben berührt werden (BVerwG, U. v. 18.11.2010 - 4 C 10/09 - NVwZ 2011, 748; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, § 31 Rn. 35). Die Grundzüge der Planung bilden die den Festsetzungen des Bebauungsplans zugrunde liegende und in ihnen zum Ausdruck kommende planerische Konzeption. Dabei kommt es darauf an, ob die fragliche Festsetzung Bestandteil eines Planungskonzepts ist, das das gesamte Plangebiet quasi wie ein roter Faden durchzieht, so dass eine Abweichung zu weit reichenden Folgen führen würde (Jäde/Dirnberger/Weiß, § 31 BauGB Rn. 14 m. w. N. zur Rspr.). Es scheiden daher im Allgemeinen Abweichungen von Festsetzungen aus, die die Grundkonzeption des Bebauungsplans berühren, also vor allem den Gebietscharakter nach der Art der baulichen Nutzung (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, § 31 Rn. 36). Eine Wahrung der Grundzüge der Planung kann dagegen angenommen werden, wenn die Festsetzung, von der abgewichen werden soll, entweder gewissermaßen „zufällig“ erfolgt ist oder aber doch - wird von ihr abgewichen - der damit verbundene Eingriff in das Planungsgefüge eingegrenzt, also quasi „isoliert“ werden kann (Jäde/Dirnberger/Weiß, § 31 BauGB Rn. 14). Hier spricht einiges dafür, dass die Ziffer 3 der weiteren Festsetzungen nicht „zufällig“ erfolgt ist. Letztlich kann dies aber offenbleiben.

Denn es fehlt jedenfalls an den tatbestandlichen Befreiungsvoraussetzungen deshalb, weil kein Befreiungsgrund i. S. v. § 31 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BauGB vorliegt. Eine Befreiungsmöglichkeit aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit (Nr. 1) ist erkennbar genauso wenig gegeben wie der, dass die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde (Nr. 3). Als Befreiungsgrund käme damit allenfalls die Regelung des § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB in Betracht, wonach befreit werden kann, wenn die Abweichung städtebaulich vertretbar ist. Städtebaulich vertretbar sind im Regelfall alle Vorhaben, die i. S. d. Anforderungen des § 1 Abs. 6 und Abs. 7 BauGB mit der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung i. S. d. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB vereinbar sind. Eingeschränkt wird diese - tatbestandlich weit gefasste und die Gefahr unkontrolliert beliebiger Entscheidung in sich tragende - Befreiungsmöglichkeit durch das Kriterium der Atypik. Eine Befreiung wegen städtebaulicher Vertretbarkeit muss sich auf eine bodenrechtliche Sonderlage des jeweiligen Grundstücks stützen und kann nicht unter Berufung auf Gründe gewährt werden, die für jedes oder nahezu jedes Grundstück im Planbereich nahezu gleichermaßen zutreffen (BVerwG, B. v. 8.5.1989 - 4 B 78.89 - juris; Jäde/Dirnberger/Weiss, § 31 BauGB Rn. 22). Vorliegend ist eine solche bodenrechtliche Sonderlage - wie auch die in der Gerichts- und in den Behördenakten vorhandenen Licht- und Luftbilder bestätigt haben - nicht ersichtlich, zumal weder im Bauantrag selbst noch im gerichtlichen Verfahren Anhaltspunkte für eine atypische Grundstückssituation im Besonderen noch für einen Befreiungsgrund im Allgemeinen vorgebracht wurden.

Schließlich wäre eine Befreiung auch mit dem drittschützenden Gebot der Würdigung nachbarlicher Interessen nicht vereinbar. Denn die Festsetzung in Ziffer 3 des Bebauungsplans „Ü. III“ ist drittschützend (s. u. unter 2.2.5.).

2.2.5. Nach einer umfassenden Prüfung der Sach- und Rechtslage im Hauptsacheverfahren geht die Kammer von einer nachbarschützenden Funktion der Festsetzung in Ziffer 3 des Bebauungsplans aus. Denn die Festsetzung, dass die zusammenhängenden Gebäude im „Querschnitt genau aneinander anzugleichen sind“ setzt einen wechselseitigen Verzicht auf seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grundstücksgrenze voraus. Dieser Verzicht bindet - wie das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 24. Februar 2000 (4 C 12/98 - juris) entschieden hat - die benachbarten Grundeigentümer bauplanungsrechtlich in ein Verhältnis des gegenseitigen Interessenausgleichs ein. Die bessere Ausnutzung des Grundstücks wird „erkauft“ durch den Verlust seitlicher Grenzabstände an der gemeinsamen Grenze, die Freiflächen schaffen und dem Wohnfrieden dienen. Diese enge Wechselbeziehung, die jeden Grundeigentümer zugleich begünstigt und belastet, ist Ausdruck einer planungsrechtlichen Konzeption. Sie ist aus städtebaulichen Gründen gewollt und begründet ein nachbarliches Austauschverhältnis, das nicht einseitig aufgehoben oder aus dem Gleichgewicht gebracht werden darf. Insoweit ist die planerische Festsetzung von Doppelhäusern in der offenen Bauweise nachbarschützend. Wenn der Satzungsgeber - wie hier - einen Versatz zwischen den beiden Doppelhaushälften vollständig ausschließt, also eine genaue Angleichung des Querschnitts verlangt und damit ein Hervorstehen eines Gebäudeteils auf der einen Seite des grenzständigen Doppelhauses verhindern will und hiervon ein Nachbar abweicht, spricht vieles dafür, dass dann das nachbarliche Austauschverhältnis einseitig aufgehoben wird. Dies gilt erst recht, wenn die eine Doppelhaushälfte - bei ansonsten gleichem Querschnitt - deutlich nach „hinten“ erweitert wird und zwar sowohl im Erdgeschoss, nämlich durch den Wintergarten um 4 m, als auch im Obergeschoss, hier durch den Erker um immerhin noch 1,50 m.

2.2.6. Soweit der Beigeladenenbevollmächtigte im Rahmen des Beschwerdeverfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes wie auch des Hauptsacheverfahrens einwendet, der Bebauungsplan sei funktionslos geworden, kann dem nicht gefolgt werden. Hierzu hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Beschluss vom 13. Februar 2014 (9 CS 13.2143) Folgendes ausgeführt:

„Soweit die Beigeladene im Beschwerdeverfahren vorträgt, eine Verletzung der Antragsteller in sich aus dem Bebauungsplan ergebenden, nachbarschützenden Rechten scheide schon deshalb aus, weil dieser, wie die tatsächliche äußere Gestaltung der bereits vorhandenen Bauten zeige, weitgehend funktionslos geworden sei, verhilft dies ihrer Beschwerde nicht zum Erfolg. Nach ständiger Rechtsprechung sowohl des Bundesverwaltungsgerichts als auch des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BVerwG, U. v. 18.11.2004 - 4 CN 11/03 - m. w. N.; BayVGH, B. v. 25.9.2013 - 15 ZB 11.2302 - m. w. N.) kann ein Bebauungsplan funktionslos werden, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich so verändert hat, dass ein Planvollzug auf unüberschaubare Zeit ausgeschlossen erscheint. Bloße Zweifel an der Verwirklichungsfähigkeit des Plans reichen für die Annahme eines unüberwindlichen Hindernisses indes nicht aus. Ein Bebauungsplan tritt wegen nachträglicher Funktionslosigkeit nur dann außer Kraft, wenn offenkundig ist, dass er als Instrument für die Steuerung der städtebaulichen Entwicklung nicht mehr tauglich ist.

Gemessen daran belegen weder die von der Beigeladenen als Anlage A 2 zum Schriftsatz vom 30. September 2013 vorgelegte Ablichtung aus Google maps noch die Fotoaufnahmen der U.straße und Umgebung (Anlage A 3) diese Behauptung. Der - undeutliche - Ausdruck aus Google maps lässt schon die vorhandenen Bautiefen nicht mit der gebotenen Zuverlässigkeit erkennen, dies gilt erst recht für die äußere Gestaltung der bestehenden Bauten - etwa das Vorhandensein von Erkern oder die nach Ziffer 3 der weiteren Festsetzungen des Bebauungsplans erforderliche Angleichung von Doppelhäusern. Die vorgelegten Fotos zeigen lediglich im Hinblick auf die aufgenommene Örtlichkeit nicht bezeichnete einzelne Bauten, die betreffend die Gesamtbebauung und deren Gestaltung ebenfalls keine substantiierte Einschätzung ermöglichen. Soweit die Beigeladene im Übrigen zur diesbezüglichen Glaubhaftmachung die Einholung der Baugenehmigungen und Befreiungen für den Bebauungsplanbereich „Ü.“, zu übergeben durch das Landratsamt A., sowie die Einholung einer eidesstattlichen Versicherung einer (namentlich benannten) Beamtin fordert, gingen derartige gerichtliche Ermittlungen über die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens notwendige und ausreichende, lediglich summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage deutlich hinaus und sind schon aus diesem Grund nicht geboten.“

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an, zumal der Beklagte wie auch die Beigeladene insoweit im Hauptsacheverfahren nicht wesentlich Neues vorgebracht haben. Soweit der Beklagte auf einen Bezugsfall auf den Grundstücken FlNrn. ...55/32 und ...55/33 verweist, kann dies zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn der Umstand, dass in einem einzigen Fall im Plangebiet von der Ziffer 3 der weiteren Festsetzungen des Bebauungsplans abgewichen wurde, kann erkennbar nicht dazu führen, dass ein Planvollzug auf unüberschaubare Zeit ausgeschlossen erscheint und der Bebauungsplan nicht mehr verwirklicht werden könnte.

3. Als Unterlegene haben der Beklagte und die Beigeladene die Kosten des Verfahrens zu gleichen Teilen zu tragen. Eine Kostenbeteiligung der Beigeladenen war veranlasst, weil sich diese durch Antragstellung am Kostenrisiko beteiligt hat (§ 162 Abs. 3 i. V. m. § 154 Abs. 1 und 3 VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 13. Mai 2014 - 4 K 13.934

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Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 13. Mai 2014 - 4 K 13.934 zitiert 12 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Baugesetzbuch - BBauG | § 1 Aufgabe, Begriff und Grundsätze der Bauleitplanung


(1) Aufgabe der Bauleitplanung ist es, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde nach Maßgabe dieses Gesetzbuchs vorzubereiten und zu leiten. (2) Bauleitpläne sind der Flächennutzungsplan (vorbereitender Bauleitplan) und d

Baugesetzbuch - BBauG | § 31 Ausnahmen und Befreiungen


(1) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind. (2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüg

Baugesetzbuch - BBauG | § 30 Zulässigkeit von Vorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans


(1) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsfl

Baugesetzbuch - BBauG | § 29 Begriff des Vorhabens; Geltung von Rechtsvorschriften


(1) Für Vorhaben, die die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von baulichen Anlagen zum Inhalt haben, und für Aufschüttungen und Abgrabungen größeren Umfangs sowie für Ausschachtungen, Ablagerungen einschließlich Lagerstätten gelten die §§ 30

Baunutzungsverordnung - BauNVO | § 23 Überbaubare Grundstücksfläche


(1) Die überbaubaren Grundstücksflächen können durch die Festsetzung von Baulinien, Baugrenzen oder Bebauungstiefen bestimmt werden. § 16 Absatz 5 ist entsprechend anzuwenden. (2) Ist eine Baulinie festgesetzt, so muss auf dieser Linie gebaut wer

Baunutzungsverordnung - BauNVO | § 22 Bauweise


(1) Im Bebauungsplan kann die Bauweise als offene oder geschlossene Bauweise festgesetzt werden. (2) In der offenen Bauweise werden die Gebäude mit seitlichem Grenzabstand als Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen errichtet. Die Länge der i

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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 13. Feb. 2014 - 9 CS 13.2143

bei uns veröffentlicht am 13.02.2014

Tenor I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen. II. Die Beigeladene hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750 Euro festgesetzt. Gründe

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 18. Nov. 2010 - 4 C 10/09

bei uns veröffentlicht am 18.11.2010

Tatbestand 1 Die Klägerin ist eine als eingetragener Verein organisierte Pfarrgemeinde der Syrisch-Orthodoxen Kirche. Im Jahre 1994 beantragte sie die Erteilung einer Ba

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(1) Die überbaubaren Grundstücksflächen können durch die Festsetzung von Baulinien, Baugrenzen oder Bebauungstiefen bestimmt werden. § 16 Absatz 5 ist entsprechend anzuwenden.

(2) Ist eine Baulinie festgesetzt, so muss auf dieser Linie gebaut werden. Ein Vor- oder Zurücktreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß kann zugelassen werden. Im Bebauungsplan können weitere nach Art und Umfang bestimmte Ausnahmen vorgesehen werden.

(3) Ist eine Baugrenze festgesetzt, so dürfen Gebäude und Gebäudeteile diese nicht überschreiten. Ein Vortreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß kann zugelassen werden. Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend.

(4) Ist eine Bebauungstiefe festgesetzt, so gilt Absatz 3 entsprechend. Die Bebauungstiefe ist von der tatsächlichen Straßengrenze ab zu ermitteln, sofern im Bebauungsplan nichts anderes festgesetzt ist.

(5) Wenn im Bebauungsplan nichts anderes festgesetzt ist, können auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen Nebenanlagen im Sinne des § 14 zugelassen werden. Das Gleiche gilt für bauliche Anlagen, soweit sie nach Landesrecht in den Abstandsflächen zulässig sind oder zugelassen werden können.

(1) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind.

(2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und

1.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, des Bedarfs an Anlagen für soziale Zwecke und des Bedarfs an einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien, die Befreiung erfordern oder
2.
die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder
3.
die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

(3) In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Die Beigeladene hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller wenden sich als Eigentümer des Grundstücks Fl. Nr. 4155/65 der Gemarkung S., U.-straße 1, ... eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Zweifamilienhauses als Doppelhaushälfte mit Garage und Wintergarten auf dem Nachbargrundstück Fl. Nr. 4155/31. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des am 10. September 1971 in Kraft getretenen Bebauungsplans „Ü. (im Folgenden: Bebauungsplan). Nach Ziffer 3 der weiteren Festsetzungen des Bebauungsplans sind bei „Doppelhäusern und Gruppenbauweise (…) die zusammenhängenden Gebäude im Querschnitt genau einander anzugleichen und in der Gestaltung auf einander abzustimmen“. Gemäß einer zeichnerischen Festsetzung („o“) ist auf den bezeichneten Grundstücken die offene Bauweise festgesetzt. Gemäß Ziffer 4 der weiteren Festsetzungen beträgt die „zulässige Bebauungstiefe = maximal 12,00 m entsprechend § 23 BauNVO (soweit keine rückwärtige Baugrenze oder Baulinie festgesetzt ist)“. Weiterhin setzt der Bebauungsplan eine vordere Baulinie und eine hintere Baugrenze fest.

Mit Bescheid vom 14. Mai 2013 erteilte das Landratsamt der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung auf der Grundlage der „Baupläne vom Februar 2013“. Die bei den Akten befindlichen, mit einem entsprechenden Genehmigungsvermerk versehenen Pläne weisen keine Nachbarunterschrift auf und sehen an der südlichen Fassade, westlich des Wintergartens, einen ca. 3 m breiten, 1,50 m vorspringenden und 6,20 m hohen Erker vor. In den Akten finden sich daneben weitere Eingabepläne, ebenfalls vom Februar 2013, die farbig als „überholt“ gekennzeichnet sind, Nachbarunterschriften - unter anderem der Antragsteller - aufweisen und einen Erker an der westlichen Außenwand mit einer Länge von 4,50 m und einer Tiefe von 87 cm vorsehen.

Dem Antrag der Antragsteller - die keine Ausfertigung der Baugenehmigung erhalten haben -, die aufschiebende Wirkung ihrer gegen die Baugenehmigung erhobenen Klage anzuordnen, gab das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 24. September 2013 statt. Die Erfolgsaussichten ihrer Anfechtungsklage seien nach summarischer Prüfung anhand der Akten als offen anzusehen, weil das streitgegenständliche Vorhaben möglicherweise den planungsrechtlichen Vorgaben in den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspreche. Zweifel bestünden insbesondere hinsichtlich der - insoweit wohl nachbarschützenden - geforderten Angleichung und abzustimmenden Gestaltung von Doppelhäusern untereinander (von dieser Festsetzung habe die Beigeladene auch keine Befreiung beantragt), bezüglich der Bebauungstiefe und im Hinblick auf die Frage, ob es sich bei dem geplanten Anbau des Wintergartens tatsächlich um einen solchen handle. Im Übrigen sei fraglich, ob das nachbarliche Gebot der Rücksichtnahme durch eine etwaige Nichteinhaltung von Abstandsflächen verletzt sei. Bei dieser Sach- und Rechtslage, die eine umfassende Prüfung im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens erfordere, überwiege das Interesse der Antragsteller, von der Schaffung vollendeter Tatsachen verschont zu bleiben, dasjenige der Beigeladenen an einer baldigen Ausführung ihres Bauvorhabens.

Die Beigeladene hat gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt, mit dem Antrag,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die sofortige Vollziehung des Baugenehmigungsbescheids anzuordnen,

hilfsweise,

die aufschiebende Wirkung nur für die im südlichen Anbau errichteten Anbauten „Erker“ und „Wintergarten“ wiederherzustellen, im Übrigen (den Antrag auf) die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage zurückzuweisen.

Den Antragstellern fehlten im vorliegenden Verfahren sowohl Antragsbefugnis als auch Rechtsschutzbedürfnis, denn zum einen sei der Bebauungsplan, wie die Gestaltung der Umgebungsbebauung zeige, weitgehend funktionslos geworden, zum anderen hätten sie mit ihrer Unterschrift ihr Einverständnis jedenfalls mit dem geplanten Wintergarten erklärt. Hinsichtlich des Erkers, der aufgrund abstandsrechtlicher Bedenken, die eine Tekturplanung erforderlich gemacht hätten, auf die südliche Seite zu verlegen gewesen sei, handle es sich um ein Bauwerk von untergeordneter Bedeutung. Im Übrigen sei auch ein entsprechender Befreiungsantrag gestellt worden.

Die Antragsteller verteidigen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts und beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsgegner hat im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 14. Mai 2013 anzuordnen, zu Recht stattgegeben, weil diese Genehmigung nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung möglicherweise gegen nachbarschützende Rechtsvorschriften verstößt, die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind. Bei dieser Sach- und Rechtslage fällt die anzustellende Interessenabwägung zu Ungunsten der Beigeladenen aus. Die allein zu prüfenden Beschwerdegründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.

1. Soweit die Beigeladene im Beschwerdeverfahren vorträgt, eine Verletzung der Antragsteller in sich aus dem Bebauungsplan ergebenden, nachbarschützenden Rechten scheide schon deshalb aus, weil dieser, wie die tatsächliche äußere Gestaltung der bereits vorhandenen Bauten zeige, weitgehend funktionslos geworden sei, verhilft dies ihrer Beschwerde nicht zum Erfolg. Nach ständiger Rechtsprechung sowohl des Bundesverwaltungsgerichts als auch des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BVerwG, U. v. 18.11.2004 - 4 CN 11/03 - m. w. N.; BayVGH, B. v. 25.9.2013 - 15 ZB 11.2302 - m. w. N.) kann ein Bebauungsplan funktionslos werden, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich so verändert hat, dass ein Planvollzug auf unüberschaubare Zeit ausgeschlossen erscheint. Bloße Zweifel an der Verwirklichungsfähigkeit des Plans reichen für die Annahme eines unüberwindlichen Hindernisses indes nicht aus. Ein Bebauungsplan tritt wegen nachträglicher Funktionslosigkeit nur dann außer Kraft, wenn offenkundig ist, dass er als Instrument für die Steuerung der städtebaulichen Entwicklung nicht mehr tauglich ist.

Gemessen daran belegen weder die von der Beigeladenen als Anlage A 2 zum Schriftsatz vom 30. September 2013 vorgelegte Ablichtung aus Google maps noch die Fotoaufnahmen der U.-straße und Umgebung (Anlage A 3) diese Behauptung. Der - undeutliche - Ausdruck aus Google maps lässt schon die vorhandenen Bautiefen nicht mit der gebotenen Zuverlässigkeit erkennen, dies gilt erst recht für die äußere Gestaltung der bestehenden Bauten - etwa das Vorhandensein von Erkern oder die nach Ziffer 3 der weiteren Festsetzungen des Bebauungsplans erforderliche Angleichung von Doppelhäusern. Die vorgelegten Fotos zeigen lediglich im Hinblick auf die aufgenommene Örtlichkeit nicht bezeichnete einzelne Bauten, die betreffend die Gesamtbebauung und deren Gestaltung ebenfalls keine substantiierte Einschätzung ermöglichen. Soweit die Beigeladene im Übrigen zur diesbezüglichen Glaubhaftmachung die Einholung der Baugenehmigungen und Befreiungen für den Bebauungsplanbereich „Ü.“, zu übergeben durch das Landratsamt Aschaffenburg, sowie die Einholung einer eidesstattlichen Versicherung einer (namentlich benannten) Beamtin fordert, gingen derartige gerichtliche Ermittlungen über die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens notwendige und ausreichende, lediglich summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage deutlich hinaus und sind schon aus diesem Grund nicht geboten.

2. Die weitere Rüge der Beigeladenen, die Antragsteller hätten sich ihres Rechts, gegen die erteilte Baugenehmigung gerichtlich vorzugehen, durch die von ihnen geleistete Unterschrift auf den Planungsunterlagen begeben, mithin kein Rechtsschutzinteresse (mehr), greift ebenfalls nicht durch. Denn es müssen, um eine rechtswirksame Zustimmung des bzw. der Nachbarn annehmen zu können, die mit der Unterschrift der Nachbarn versehenen Bauvorlagen mit der erteilten Baugenehmigung übereinstimmen, d. h. die Bauvorlagen müssen so genehmigt worden sein, wie sie dem Nachbarn zur Unterschrift vorgelegt worden waren (Dirnberger in: Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 149). Die Unterschrift deckt insbesondere nicht spätere Anträge auf Tektur- oder Änderungsgenehmigungen. Bei den Nachbarn belastenden Änderungen der Bauvorlagen ist er vom Bauherrn, der Gemeinde oder der Behörde erneut zu beteiligen (Dirnberger in: Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 150). Daran fehlt es hier. Denn die ursprünglichen, von den Antragstellern unterschriebenen Baupläne sind mittels eines roten Stempelaufdrucks ausdrücklich als „überholt“ gekennzeichnet und liegen damit der am 14. Mai 2013 erteilten Baugenehmigung ersichtlich nicht zugrunde. Die mit einem entsprechenden behördlichen Genehmigungsvermerk versehenen - und nicht als Tektur bezeichneten - Planunterlagen, auf die die Baugenehmigung Bezug nimmt, sind dagegen nicht von den Antragstellern unterzeichnet worden. Diese Pläne enthalten auch - jedenfalls bezüglich des geplanten Erkers - eine die Antragsteller als Nachbarn betreffende, nicht nur geringfügige Änderung: Denn der Erker wurde nicht nur in seinen Ausmaßen verändert, sondern auch von der westlichen, den Antragstellern abgewandten Seite des Bauvorhabens der Beigeladenen auf dessen südliche Fassadenseite verlagert. Dadurch wird jedenfalls - wovon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeht - die nach den weiteren Festsetzungen des Bebauungsplans einheitlich zu gestaltende Fassade des entstehenden Doppelhauses deutlich verändert, ohne dass es im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes noch darauf ankommt, ob eventuell auch weitere Rechte der Antragsteller verletzt sein könnten. Soweit die Beigeladene in diesem Zusammenhang geltend macht, sie habe einen Befreiungsantrag gestellt, bezieht sich dieser von ihr mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2013 vorgelegte und auch bei den Akten befindliche Antrag auf den früheren, noch in westlicher Richtung geplanten Erker; im Übrigen wurde eine entsprechende ausdrückliche Befreiung mit der Baugenehmigung vom 14. Mai 2013 nicht erteilt.

3. Der Hinweis der Beigeladenen schließlich, die Antragsteller seien im vorläufigen Rechtsschutzverfahren auch deshalb nicht schutzwürdig, weil sie bezüglich der von ihnen errichteten Doppelhaushälfte selbst in den Genuss von Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans gekommen seien, verhilft der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. Die von der Beigeladenen „exemplarisch“ gemachten Angaben zu „Dachneigung, Trempel, Maigauben und Versetzung der Baulinie“ legen nicht hinreichend substantiiert dar, in welchem Verhältnis diese zu der von ihr geplanten Gestaltung des Doppelhauses stehen bzw. diese beeinflussen sollten. Im Übrigen stellt der früher errichtete Grenzbau (hier der Antragsteller) insoweit und in gewissem Rahmen eine „Vorbelastung“ für den geplanten Grenzbau (hier der Beigeladenen) dar, als das nachfolgende Bauvorhaben in eine „harmonische Beziehung“ zu diesem treten muss (vgl. dazu auch BVerwG, U. v. 24.2.2000 - 4 C 12/98).

4. Angesichts der offenen Erfolgsaussichten der von den Antragstellern erhobenen Klage ist die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Abwägung, das Interesse der Antragsteller, von der Schaffung vollendeter Tatsachen verschont zu bleiben, überwiege das Interesse der Beigeladenen am Vollzug ihrer Baugenehmigung, nicht zu beanstanden. Die weder begründete noch belegte Behauptung der Beigeladenen, eine derartige Gefahr der Schaffung vollendeter Tatsachen bestehe nicht, ändert daran nichts.

5. Der im Beschwerdeverfahren hilfsweise gestellte Antrag der Beigeladenen, die aufschiebende Wirkung nur für die im südlichen Anbau errichteten Anbauten „Erker“ und „Wintergarten“ wiederherzustellen und den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Übrigen zurückzuweisen, ist ebenfalls nicht begründet. Zwar kann unter Umständen eine lediglich teilweise Stattgabe des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage aus sachlichen oder räumlichen Gründen geboten sein. Räumliche Beschränkungen wie die hier beantragten sind angezeigt, wenn sich die Rechtswidrigkeit einer Baugenehmigung nur auf bestimmte abtrennbare Bauteile, wie etwa eine Grenzgarage, einen Balkon oder Nebenanlagen bezieht (Schmidt in Eyermann, VwGO, 13. Auflage, § 80 Rn. 87). Es ist jedoch nicht ersichtlich und von der Beigeladenen auch nicht dargelegt, wie im vorliegenden Fall der Bau des Erkers bzw. des Wintergartens, die beide räumlich mit dem Bau des gesamten Hauses unmittelbar verbunden sind, isoliert eingestellt werden könnte.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind.

(2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und

1.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, des Bedarfs an Anlagen für soziale Zwecke und des Bedarfs an einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien, die Befreiung erfordern oder
2.
die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder
3.
die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

(3) In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.

(1) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält, ist ein Vorhaben zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.

(2) Im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach § 12 ist ein Vorhaben zulässig, wenn es dem Bebauungsplan nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.

(3) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht erfüllt (einfacher Bebauungsplan), richtet sich die Zulässigkeit von Vorhaben im Übrigen nach § 34 oder § 35.

(1) Im Bebauungsplan kann die Bauweise als offene oder geschlossene Bauweise festgesetzt werden.

(2) In der offenen Bauweise werden die Gebäude mit seitlichem Grenzabstand als Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen errichtet. Die Länge der in Satz 1 bezeichneten Hausformen darf höchstens 50 m betragen. Im Bebauungsplan können Flächen festgesetzt werden, auf denen nur Einzelhäuser, nur Doppelhäuser, nur Hausgruppen oder nur zwei dieser Hausformen zulässig sind.

(3) In der geschlossenen Bauweise werden die Gebäude ohne seitlichen Grenzabstand errichtet, es sei denn, dass die vorhandene Bebauung eine Abweichung erfordert.

(4) Im Bebauungsplan kann eine von Absatz 1 abweichende Bauweise festgesetzt werden. Dabei kann auch festgesetzt werden, inwieweit an die vorderen, rückwärtigen und seitlichen Grundstücksgrenzen herangebaut werden darf oder muss.

(1) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind.

(2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und

1.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, des Bedarfs an Anlagen für soziale Zwecke und des Bedarfs an einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien, die Befreiung erfordern oder
2.
die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder
3.
die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

(3) In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist eine als eingetragener Verein organisierte Pfarrgemeinde der Syrisch-Orthodoxen Kirche. Im Jahre 1994 beantragte sie die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer "Syrisch-Orthodoxen Kirche mit Mausoleum" sowie eines "Gemeindezentrums". In der Bauzeichnung für das Untergeschoss der Kirche war eine "Krypta" mit zehn Grabkammern eingezeichnet.

2

Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich eines Bebauungsplans der Beigeladenen zu 1, der das gesamte Plangebiet als Industriegebiet (GI) festsetzt. In den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans sind "Ausnahmen nach § 9 Abs. 3 BauNVO und Nebenanlagen nach § 14 BauNVO" zugelassen.

3

Die Beklagte erteilte der Klägerin die beantragte Baugenehmigung für das Kirchengebäude und das Gemeindezentrum. Hinsichtlich der Krypta lehnte sie den Antrag unter Hinweis auf das versagte gemeindliche Einvernehmen der Beigeladenen zu 1 ab. Die Klägerin erhob Widerspruch gegen die Ablehnung, ließ dann aber in der Bauzeichnung ihres Bauantrags die Zweckbestimmung "Krypta" durch "Abstellraum" ersetzen und die Grabkammern streichen. Die Beklagte hob daraufhin den ablehnenden Teil des Genehmigungsbescheides auf. Die Kirche ist mittlerweile errichtet und wird von der Klägerin als solche genutzt.

4

Im Jahre 2005 beantragte die Klägerin, im betreffenden Raum im Untergeschoss der Kirche eine Krypta "als privaten Bestattungsplatz ausdrücklich ausschließlich für verstorbene Geistliche" ihrer Kirche zu genehmigen. Entsprechend der ursprünglichen Planung ist der Einbau von zehn Grabkammern in Wandnischen vorgesehen, die nach Beisetzung durch dicht verfugte Stahlbetonplatten zur Raumseite hin verschlossen und mit beschrifteten Marmorverkleidungen versehen werden sollen. Die Krypta soll nur von außen zugänglich sein.

5

Das Gesundheitsamt beim Landratsamt Heilbronn stimmte der Krypta aus hygienischer Sicht unter Auflagen zu. Die Beigeladene zu 1 versagte wiederum das gemeindliche Einvernehmen. Die Beklagte lehnte den Bauantrag ab, der hiergegen gerichtete Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.

6

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Baugenehmigung für den Einbau einer Krypta im Untergeschoss der Kirche unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

7

Auf die Berufung der Beklagten und der Beigeladenen zu 1 hat der Verwaltungsgerichtshof die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Klage insgesamt abgewiesen; die Berufung der Klägerin hat er zurückgewiesen. Die Umwandlung des betreffenden Abstellraums in eine Krypta sei eine genehmigungspflichtige, aber nicht genehmigungsfähige Nutzungsänderung. Sie sei bauplanungsrechtlich unzulässig, weil sie den Festsetzungen des qualifizierten Bebauungsplans widerspreche. Zwar handle es sich bei der Krypta um eine - städtebaulich gegenüber der Kirche eigenständig zu würdigende - Anlage für kirchliche Zwecke im Sinne des Ausnahmekatalogs des § 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO. Sie sei jedoch wegen Unverträglichkeit mit dem Charakter eines Industriegebiets unzulässig. Das Ermessen für eine ausnahmsweise Zulassung nach § 31 Abs. 1 BauGB sei deshalb entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht eröffnet. Eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB komme ebenfalls nicht in Betracht. Es spreche alles dafür, dass die private Bestattungsanlage schon die Grundzüge der Planung berühre, die auf ein typisches, die gewerbliche Nutzungsbreite voll ausschöpfendes Industriegebiet ohne konfliktträchtige Ausnahmenutzungen gerichtet gewesen sei. Jedenfalls fehle es aber an Befreiungsgründen. Insbesondere erforderten es Gründe des Wohls der Allgemeinheit nicht, die Krypta trotz ihrer bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit an der vorgesehenen Stelle zu errichten. Dies gelte auch im Lichte der Art. 4 und Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV. Das Bedürfnis, über eine Krypta in der eigenen Kirche zu verfügen, sei nicht zwingender Bestandteil der Religionsausübung der Klägerin. Der durch die Ablehnung unterhalb dieser Schwelle angesiedelte Eingriff in die Religionsausübungsfreiheit sei durch den Achtungsanspruch der Verstorbenen und das Recht der Angehörigen und Trauernden auf ein würdevolles Gedenken gerechtfertigt, das im Industriegebiet weder nach seiner Typik noch nach seiner Eigenart gewährleistet sei. Eine diskriminierende Ungleichbehandlung im Verhältnis zur katholischen Kirche sei ebenfalls nicht zu erkennen.

8

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Revision gegen die vorinstanzlichen Urteile und macht eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2 und Art. 3 Abs. 1 GG sowie ihrer Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 ff. WRV geltend.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Berufungsurteil verstößt gegen Bundesrecht.

10

Die Einrichtung einer Krypta im Untergeschoss des Kirchengebäudes der Klägerin ist eine Nutzungsänderung im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB, deren bauplanungsrechtliche Zulässigkeit an §§ 30 ff. BauGB zu messen ist (1). Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass diese Nutzungsänderung im Industriegebiet nicht im Wege einer Ausnahme gemäß § 31 Abs. 1 BauGB zugelassen werden kann, weil sie mit dem typischen Charakter eines Industriegebiets unvereinbar ist, steht im Einklang mit Bundesrecht (2). Bundesrechtswidrig sind demgegenüber die Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Auffassung gestützt hat, dass die Krypta auch nicht im Wege einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB genehmigt werden könne (3). Da die Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichtshofs für eine abschließende Prüfung der Befreiungsvoraussetzungen nicht ausreichen, war die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (4).

11

1. Die beantragte Nutzung des Abstellraums im Untergeschoss des Kirchengebäudes der Klägerin als Krypta ist eine vom Vorhabenbegriff des § 29 Abs. 1 BauGB umfasste, mit geringfügigen baulichen Änderungen verbundene Nutzungsänderung.

12

Eine Nutzungsänderung liegt vor, wenn durch die Verwirklichung eines Vorhabens die einer genehmigten Nutzung eigene Variationsbreite verlassen wird und durch die Aufnahme dieser veränderten Nutzung bodenrechtliche Belange neu berührt werden können, so dass sich die Genehmigungsfrage unter bodenrechtlichem Aspekt neu stellt (Urteil vom 18. Mai 1990 - BVerwG 4 C 49.89 - NVwZ 1991, 264 m.w.N.; Beschlüsse vom 14. April 2000 - BVerwG 4 B 28.00 - juris Rn. 6 und vom 7. November 2002 - BVerwG 4 B 64.02 - BRS 66 Nr. 70 S. 327). Die Variationsbreite der bisherigen Nutzung wird auch dann überschritten, wenn das bisher charakteristische Nutzungsspektrum durch die Änderung erweitert wird (Urteil vom 27. August 1998 - BVerwG 4 C 5.98 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 190 S. 64). So liegen die Dinge hier. Die Nutzung als Begräbnisstätte ist heute für eine Kirche nicht mehr charakteristisch. Im vorliegenden Fall wurde die Krypta zudem von der im Jahre 1994 erteilten Baugenehmigung für die Errichtung der Kirche ausdrücklich ausgenommen und sollte - auf Anregung des Regierungspräsidiums Stuttgart letztlich auch aus der Sicht der Klägerin - einem Nachtrags-Baugenehmigungsverfahren vorbehalten bleiben.

13

Vorhaben im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB und damit Gegenstand der bauplanungsrechtlichen Prüfung ist jedoch nicht - wie vom Verwaltungsgerichtshof angenommen - die Krypta als selbständige "Hauptanlage", sondern die Änderung von einer Kirche mit Abstellraum zu einer Kirche mit Krypta als Gesamtvorhaben. Geht es um die Änderung einer Nutzung, dürfen die bauliche Anlage und ihre Nutzung nicht getrennt beurteilt werden; sie bilden eine Einheit (Urteil vom 15. November 1974 - BVerwG 4 C 32.71 - BVerwGE 47, 185 <188>). Soll nicht die Nutzung der baulichen Anlage insgesamt, sondern - wie hier - lediglich eines bestimmten Teils der Anlage geändert werden, kann die bauplanungsrechtliche Prüfung hierauf nur beschränkt werden, wenn der betroffene Anlagenteil auch ein selbständiges Vorhaben sein könnte; er muss von dem Vorhaben im Übrigen abtrennbar sein (Urteil vom 17. Juni 1993 - BVerwG 4 C 17.91 - BRS 55 Nr. 72 S. 204). Daran fehlt es hier. Der streitgegenständliche, unter dem Altar gelegene Raum ist untrennbar mit der Kirche im Übrigen verbunden. Nur weil dies so ist, möchte die Klägerin in der Krypta ihre Gemeindepriester beisetzen. Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, dass nach den Glaubensvorstellungen der Klägerin die Verpflichtung besteht, syrisch-orthodoxe Priester in einem geweihten kirchlichen Bestattungsraum beizusetzen (UA S. 17 und 27). Kirche und Krypta stehen deshalb als Gesamtvorhaben zur bauplanungsrechtlichen Prüfung.

14

Die Nutzungsänderung ist auch städtebaulich relevant, weil durch die Aufnahme der neuen Nutzung bodenrechtliche Belange neu berührt werden können (Urteil vom 18. Mai 1990 - BVerwG 4 C 49.89 - a.a.O.). Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, dass das Trauern und Gedenken nicht nur im Innern der Kirche unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, sondern auch außerhalb des Kirchengebäudes bemerkbar sein werde. Wie sich aus den Äußerungen der Klägerin im Baugenehmigungsverfahren sowie aus den von ihr in Bezug genommenen externen Stellungnahmen zum Ritual des Totengedenkens ergebe, solle das Gedenken feierlich zelebriert werden; die Toten sollen mit gelegentlichen Feiern geehrt werden. Zudem sei es Brauch der syrisch-orthodoxen Christen, nach jedem samstäglichen Abendgottesdienst vor den Priestergruften Gedenkgebete zu zelebrieren und an bestimmten Sonntagen und an hohen kirchlichen Feiertagen die Gottesdienste mit einer feierlichen Prozession in die Krypta abzuschließen. Bereits diese Feststellungen rechtfertigen die Annahme, dass durch die beantragte Nutzungsänderung bodenrechtliche Belange neu berührt werden können, auch wenn der Verwaltungsgerichtshof Quantität und Dauer dieser "externen" Traueraktivitäten nicht näher beschrieben und sie "letztlich" selbst nicht für ausschlaggebend gehalten, sondern entscheidend auf die funktionsmäßige städtebauliche Qualität der Krypta als Begräbnisstätte abgestellt hat (UA S. 22).

15

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, dass eine Kirche mit Krypta zwar grundsätzlich unter die im Industriegebiet gemäß § 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ausnahmsweise zulassungsfähigen Anlagen für kirchliche Zwecke fällt, eine Ausnahme vorliegend aber wegen Unverträglichkeit dieser Nutzung mit dem typischen Charakter eines Industriegebiets nicht erteilt werden kann. Dagegen gibt es aus bundesrechtlicher Sicht nichts zu erinnern.

16

Das Kirchengrundstück liegt nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans, der hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung für das gesamte Plangebiet ein Industriegebiet (GI) gemäß § 9 BauNVO festsetzt. Bedenken gegen die Wirksamkeit des Bebauungsplans hat der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen vermocht. Anhaltspunkte dafür haben sich auch im Revisionsverfahren nicht ergeben. Maßstab für die Zulässigkeit des Vorhabens ist deshalb grundsätzlich § 30 Abs. 1 BauGB. Im Industriegebiet ist eine Kirche mit Krypta nicht gemäß § 9 Abs. 2 BauNVO allgemein zulässig. Zu Recht konzentriert der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung deshalb zunächst auf die Frage, ob die beantragte Nutzungsänderung im Wege einer Ausnahme gemäß § 31 Abs. 1 BauGB zugelassen werden kann.

17

a) Im Einklang mit Bundesrecht geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass das Vorhaben eine Anlage für kirchliche Zwecke im Sinne des § 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ist. Unter diesen Begriff fallen Anlagen, die unmittelbar kirchlich-religiösen Zwecken dienen, wie insbesondere ein dem Gottesdienst dienendes Kirchengebäude. Die von der Klägerin errichtete Kirche erfüllt diese Voraussetzungen. Die Krypta ist - wie bereits dargelegt - untrennbar mit der Kirche verbunden. Sie ist nicht nur ein privater Bestattungsplatz im Sinne des § 9 BestattG, sondern, weil sie der Bestattung von Gemeindepriestern dienen soll, die nach der Glaubensvorstellung der Klägerin nur in einem geweihten kirchlichen Raum beigesetzt werden dürfen, selbst Anlage für kirchliche Zwecke.

18

b) In Übereinstimmung mit Bundesrecht geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass die ausnahmsweise Zulassungsfähigkeit der beantragten Nutzungsänderung aber am ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der Gebietsverträglichkeit scheitert.

19

Die Prüfung der Gebietsverträglichkeit rechtfertigt sich aus dem typisierenden Ansatz der Baugebietsvorschriften der Baunutzungsverordnung. Der Verordnungsgeber will durch die Zuordnung von Nutzungen zu den näher bezeichneten Baugebieten die vielfältigen und oft gegenläufigen Ansprüche an die Bodennutzung zu einem schonenden Ausgleich im Sinne überlegter Städtebaupolitik bringen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die vom Verordnungsgeber dem jeweiligen Baugebiet zugewiesene allgemeine Zweckbestimmung den Charakter des Gebiets eingrenzend bestimmt (Urteil vom 21. März 2002 - BVerwG 4 C 1.02 - BVerwGE 116, 155 <158>; Beschluss vom 28. Februar 2008 - BVerwG 4 B 60.07 - Buchholz 406.12 § 4 BauNVO Nr. 19 Rn. 6, jeweils m.w.N.). Zu Recht geht der Verwaltungsgerichtshof deshalb davon aus, dass die Gebietsverträglichkeit eine für die in einem Baugebiet allgemein zulässigen und erst recht für die ausnahmsweise zulassungsfähigen Nutzungsarten ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung ist, der eine typisierende Betrachtungsweise zugrunde liegt und die der Einzelfallprüfung auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 BauNVO vorgelagert ist.

20

Industriegebiete dienen gemäß § 9 Abs. 1 BauNVO ausschließlich der Unterbringung von Gewerbebetrieben, und zwar vorwiegend solcher Betriebe, die in anderen Baugebieten unzulässig sind. Gewerbegebiete dienen gemäß § 8 Abs. 1 BauNVO der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben. Die Unterbringung erheblich störender Betriebe ist deshalb dem Industriegebiet vorbehalten und zugleich dessen Hauptzweck.

21

Von maßgeblicher Bedeutung für die Frage, welche Vorhaben mit dieser allgemeinen Zweckbestimmung des Industriegebiets unverträglich sind, sind die Anforderungen des jeweiligen Vorhabens an ein Gebiet, die Auswirkungen des Vorhabens auf ein Gebiet und die Erfüllung des spezifischen Gebietsbedarfs (Urteil vom 21. März 2002 a.a.O.). Da Industriegebiete der einzige Baugebietstyp der Baunutzungsverordnung sind, in dem erheblich störende Gewerbebetriebe untergebracht werden können, sind die in § 9 Abs. 3 BauNVO bezeichneten Nutzungsarten nur dann ohne Weiteres gebietsverträglich, wenn sie nicht störempfindlich sind und deshalb mit dem Hauptzweck des Industriegebiets nicht in Konflikt geraten können. Diese Voraussetzung erfüllt eine Kirche - mit oder ohne Krypta - bei typisierender Betrachtung nicht (vgl. auch Beschluss vom 20. Dezember 2005 - BVerwG 4 B 71.05 - Buchholz 406.12 § 8 BauNVO Nr. 21). Eine auf störunempfindliche Anlagen beschränkte ausnahmsweise Zulassungsfähigkeit von "Anlagen für kirchliche Zwecke" im Sinne des § 9 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO führt auch nicht dazu, dass dieses Tatbestandsmerkmal leer liefe. Das gilt bereits deshalb, weil nicht alle Anlagen für kirchliche Zwecke in gleicher Weise störempfindlich sind (vgl. etwa die Beispiele bei Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Band V, Stand: Juni 2010, Rn. 82 zu § 4 BauNVO). Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen auch eine störempfindliche Nutzung gebietsverträglich sein kann, etwa weil sie einem aus dem Gebiet stammenden Bedarf folgt, kann offen bleiben, weil weder seitens der Verfahrensbeteiligten geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich ist, dass hier derartige die Gebietsverträglichkeit begründende Umstände gegeben sein könnten.

22

3. Bundesrechtswidrig sind jedoch die Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Annahme gestützt hat, das Vorhaben könne auch nicht im Wege einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB genehmigt werden.

23

Ob die Umwandlung des Abstellraums in eine Krypta die Grundzüge der Planung berührt, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht abschließend entschieden. Nach seiner Auffassung fehlt jedenfalls ein Befreiungsgrund. Auch Gründe des Wohls der Allgemeinheit erforderten es nicht, dass die Krypta trotz ihrer bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit an der vorgesehenen Stelle eingerichtet werde. Das gelte auch bei Bewertung der Grabstättennutzung im Licht der Art. 4 und 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV (UA S. 25). Die Bestattung der Gemeindepriester in der Hauskirche sei kein zwingender Bestandteil der Religionsausübung (UA S. 27). Der verbleibende Eingriff in die Religionsausübungsfreiheit sei gerechtfertigt. Die Krypta erfordere ein Umfeld der Ruhe und Andacht. Dieses Umfeld sei in dem Industriegebiet weder nach seiner Typik noch nach seiner Eigenart gewährleistet. Zudem befinde sich die Krypta nur wenige Meter von der Grenze zum östlichen Nachbargrundstück und nur ca. 17 m von der dortigen großen Produktionshalle entfernt. Diese Situation widerspreche der Würde der in solchem Umfeld bestatteten Toten in hohem Maße. Insofern werde der Achtungsanspruch der Verstorbenen verletzt, der sich nachwirkend aus Art. 1 Abs. 1 GG ergebe. Darüber hinaus werde bei objektiver Betrachtung auch das durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Recht der Angehörigen und Trauernden auf ein würdevolles Gedenken beeinträchtigt. Diese verfassungsimmanente Schranke setze sich gegenüber der Beeinträchtigung der Religionsausübungsfreiheit durch und sei auch verhältnismäßig. Dabei sei besonders zu berücksichtigen, dass die Krypta keinesfalls nur am vorgesehenen Ort, sondern (zusammen mit der Kirche) an anderer geeigneter Stelle errichtet werden könnte oder damals hätte errichtet werden können. Das Planungsrecht biete zahlreiche Möglichkeiten, um städtebaulich die Grundlagen für eine pietätvolle Begräbnisstätte zu schaffen (UA S. 28 f.).

24

Mit diesen Erwägungen kann das Vorliegen eines Befreiungsgrundes nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB nicht verneint werden.

25

a) Gründe des Wohls der Allgemeinheit beschränken sich nicht auf spezifisch bodenrechtliche Belange, sondern erfassen alles, was gemeinhin unter öffentlichen Belangen oder öffentlichen Interessen zu verstehen ist, wie sie beispielhaft etwa in § 1 Abs. 5 und 6 BauGB aufgelistet sind (vgl. Urteil vom 9. Juni 1978 - BVerwG 4 C 54.75 - BVerwGE 56, 71 <76>). Vom Wortlaut des § 1 Abs. 6 Nr. 6 BauGB erfasst werden die Erfordernisse für Gottesdienst und Seelsorge zwar nur, soweit sie von Kirchen und Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts festgestellt werden. Die in den Glaubensvorstellungen wurzelnden Belange privatrechtlich organisierter Kirchen und Religionsgesellschaften sind jedoch ebenfalls als öffentliche Belange zu berücksichtigen, sei es als kulturelle Bedürfnisse der Bevölkerung im Sinne des § 1 Abs. 6 Nr. 3 BauGB oder als ein in dem nicht abschließenden Katalog des § 1 Abs. 6 BauGB nicht ausdrücklich erwähnter Belang (VGH München, Urteil vom 29. August 1996 - 26 N 95.2983 - VGH n.F. 49, 182 <186> = NVwZ 1997, 1016 <1017 f.> m.w.N.). Das gilt jedenfalls, wenn die betreffende Kirchengemeinde - wie dies bei der Klägerin der Fall sein dürfte - eine nicht unbedeutende Zahl von Mitgliedern hat.

26

b) Gründe des Wohls der Allgemeinheit erfordern eine Befreiung im Sinne des § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB nicht erst dann, wenn den Belangen der Allgemeinheit auf eine andere Weise als durch eine Befreiung nicht entsprochen werden könnte, sondern bereits dann, wenn es zur Wahrnehmung des jeweiligen öffentlichen Interesses "vernünftigerweise geboten" ist, mit Hilfe der Befreiung das Vorhaben an der vorgesehenen Stelle zu verwirklichen. Dass die Befreiung dem Gemeinwohl nur irgendwie nützlich oder dienlich ist, reicht demgegenüber nicht aus (Urteil vom 9. Juni 1978 a.a.O.; Beschluss vom 6. März 1996 - BVerwG 4 B 184.95 - Buchholz 406.11 § 31 BauGB Nr. 35). Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls. Dabei kann es auch auf - nach objektiven Kriterien zu beurteilende - Fragen der Zumutbarkeit ankommen (Urteil vom 9. Juni 1978 a.a.O. S. 77).

27

Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, dass das Bedürfnis der Klägerin, ihre verstorbenen Gemeindepriester in der eigenen Kirche beisetzen zu können, kein zwingender Bestandteil ihrer Religionsausübung ist. Nach ihrer Begräbnisregel sei es zwar verboten, syrisch-orthodoxe Priester zusammen mit den Gemeindeangehörigen auf normalen Friedhöfen zu bestatten. Es bestehe die Verpflichtung, diesen Personenkreis in einem geweihten kirchlichen Bestattungsraum beizusetzen. Die Beisetzung müsse jedoch nicht zwingend in der "Hauskirche" erfolgen (UA S. 27).

28

Diese Feststellungen stehen der Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB nicht entgegen. Gründe des Wohls der Allgemeinheit erfordern die Zulassung der Krypta auch, wenn Alternativen zur Beisetzung in der eigenen Kirche an sich in Betracht kommen, der Klägerin aber unter den gegebenen Umständen nicht zugemutet werden können. Dass die Klägerin theoretisch an anderer Stelle eine Kirche mit Krypta neu errichten könnte, genügt nicht. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs kann eine Befreiung auch nicht mit dem Argument verweigert werden, dass es planungsrechtlich bereits bei Errichtung der Kirche möglich gewesen wäre, an anderer geeigneter Stelle die Grundlagen für eine pietätvolle Begräbnisstätte zu schaffen. Maßgebend für die Zumutbarkeit ist vielmehr, ob der Klägerin tatsächlich zu nicht unangemessenen Bedingungen ein besser geeignetes Grundstück für die Errichtung einer Kirche mit Krypta auf dem Gebiet der Beklagten zur Verfügung gestanden hätte oder, wenn dies nicht der Fall war, ob sie sich bewusst auf die Errichtung einer Kirche ohne Krypta eingelassen hat. Feststellungen hierzu hat der Verwaltungsgerichtshof nicht getroffen. Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin ein besser geeignetes Grundstück zur Verfügung gestanden hätte, sind jedenfalls nach Aktenlage nicht ersichtlich. Ausweislich der Verwaltungsvorgänge hat das Regierungspräsidium selbst angeregt, dass über die Zulässigkeit einer Krypta im Rahmen eines Nachtragsbaugesuchs entschieden wird. Ausgehend hiervon dürfte der Klägerin nicht entgegengehalten werden können, dass sie den Anspruch auf eine Krypta nicht bereits vor Errichtung der Kirche gerichtlich geltend gemacht hat. Mangels tatsächlicher Feststellungen kann der Senat hierüber jedoch nicht abschließend entscheiden. Eine Bestattung der Gemeindepriester in einem niederländischen Kloster kann der Klägerin wegen der großen Entfernung von fast 500 km jedenfalls nicht zugemutet werden. Auch der Verwaltungsgerichtshof hat diesen Einwand "gut nachvollziehen" können (UA S. 27). Er hat ihn jedoch nicht - wie es geboten gewesen wäre - im Rahmen des "Erforderns" als für eine Befreiung sprechenden Umstand gewürdigt.

29

Die Annahme eines Befreiungsgrundes gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB scheitert auch nicht daran, dass die Krypta - wie der Verwaltungsgerichtshof anführt - an der vorgesehenen Stelle "bauplanungsrechtlich unzulässig" sei (UA S. 25). Richtig ist zwar, dass die Krypta weder allgemein zulässig ist noch im Wege einer Ausnahme zugelassen werden kann und - so ist zu ergänzen - wohl auch bereits die Kirche am betreffenden Standort nicht hätte genehmigt werden dürfen. Dies stellt jedoch kein Hindernis für die Erteilung einer Befreiung dar, sondern eröffnet im Gegenteil erst den Anwendungsbereich des § 31 Abs. 2 BauGB.

30

Schließlich darf bei der einzelfallbezogenen Prüfung des Befreiungsgrundes nicht unberücksichtigt bleiben, dass hier eine Nutzungserweiterung in Frage steht, die zwar bei typisierender Betrachtung gebietsunverträglich ist, aber "vernünftigerweise" an ein vorhandenes Kirchengebäude anknüpft, das aufgrund bestandskräftiger Baugenehmigung im genehmigten Umfang formal legal weitergenutzt werden darf. Das gilt umso mehr, wenn die bestandsgeschützte Kirchennutzung - wie hier - im Einvernehmen mit der Gemeinde genehmigt wurde, die Gemeinde also gewissermaßen selbst den Keim für "vernünftigerweise gebotene" Nutzungserweiterungen gelegt hat. Ob die sich aus der Würde der Toten und der Trauernden ergebenden städtebaulichen Anforderungen an eine Begräbnisstätte der Befreiung entgegen stehen, ist keine Frage des Befreiungsgrundes, sondern der weiteren Voraussetzung, dass die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein muss.

31

4. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Ob die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht ausdrücklich geprüft. Auch mit den dargelegten grundrechtlichen Erwägungen verfehlt er die nach § 31 Abs. 2 BauGB anzulegenden Prüfungsmaßstäbe. Für eine eigene abschließende Beurteilung dieser Frage durch den Senat fehlt es an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen (a). Nicht abschließend entschieden hat der Verwaltungsgerichtshof, ob die Grundzüge der Planung berührt werden. Auch der Senat ist hierzu nicht in der Lage (b).

32

a) Der Verwaltungsgerichtshof verfehlt die gemäß § 31 Abs. 2 BauGB anzulegenden Maßstäbe, soweit er der Religionsausübungsfreiheit der Klägerin den Achtungsanspruch der Toten und das Recht der Angehörigen und Trauernden auf ein würdevolles Gedenken abstrakt gegenübergestellt und hierbei maßgebend auf die Typik und die Eigenart des Industriegebiets abgestellt hat, anstatt die Vereinbarkeit der Abweichung mit den öffentlichen Belangen anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu prüfen.

33

Geboten ist eine Betrachtung, die die bisherige Situation (hier: Kirche ohne Krypta) dem durch die Abweichung zu ermöglichenden Gesamtvorhaben (hier: Kirche mit Krypta) gegenüberstellt und die Vereinbarkeit des sich daraus ergebenden Unterschieds mit öffentlichen Belangen untersucht. Welche Umstände als öffentliche Belange im Sinne von § 31 Abs. 2 BauGB eine Befreiung ausschließen, lässt sich nicht generell beantworten. In Betracht kommen insbesondere die in § 1 Abs. 5 und 6 BauGB genannten öffentlichen Belange (vgl. Urteil vom 9. Juni 1978 - BVerwG 4 C 54.75 - BVerwGE 56, 71 <78>), auch solche, die nicht in der gemeindlichen Planungskonzeption ihren Niederschlag gefunden haben (Roeser, in: Berliner Kommentar, 3. Aufl., Stand: August 2010, Rn. 17 zu § 31; vgl. auch Urteil vom 19. September 2002 - BVerwG 4 C 13.01 - BVerwGE 117, 50 <54>). Ist die Befreiung mit einem öffentlichen Belang in beachtlicher Weise unvereinbar, so vermag sich der die Befreiung rechtfertigende Gemeinwohlgrund im Sinne des § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB nicht durchzusetzen (Urteil vom 9. Juni 1978 a.a.O. S. 77 f.). Da der Plan gerade unter den Nachbarn einen Ausgleich von Nutzungsinteressen zum Inhalt hat, muss ferner darauf abgehoben werden, ob in den durch den Bebauungsplan bewirkten nachbarlichen Interessenausgleich erheblich störend eingegriffen wird (Beschluss vom 6. März 1996 - BVerwG 4 B 184.95 - Buchholz 406.11 § 31 BauGB Nr. 35). Maßgebend sind stets die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls (Urteil vom 9. Juni 1978 a.a.O. S. 77).

34

Diesen bauplanungsrechtlichen Anforderungen werden die verfassungsrechtlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofs auch der Sache nach nicht in jeder Hinsicht gerecht. Zutreffend ist zwar, dass auch der Achtungsanspruch der Verstorbenen und das Recht der Angehörigen und Trauernden auf ein würdevolles Gedenken als öffentliche Belange im Sinne des § 31 Abs. 2 BauGB in Betracht kommen, wobei offen bleiben kann, ob der Verwaltungsgerichtshof mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG die richtige grundrechtliche Anknüpfung gewählt hat. Mit den abstrakten Erwägungen, dass eine Krypta ein städtebauliches Umfeld der Ruhe und Andacht erfordere, um der Totenruhe und der Würde der Toten Rechnung zu tragen, und dass dieses Umfeld in einem Industriegebiet weder nach seiner Typik noch nach seiner Eigenart gewährleistet sei, ferner, dass "bei objektiver Betrachtung" das Recht der Angehörigen und Trauernden auf ein würdevolles Gedenken beeinträchtigt werde, lässt sich die Versagung einer Befreiung nicht begründen. Maßgebend ist, ob im konkreten Einzelfall ausnahmsweise auch eine Begräbnisstätte in einem Industriegebiet den sich aus der Würde der Toten und der Trauernden ergebenden städtebaulichen Anforderungen genügt. Soweit der Verwaltungsgerichtshof auch die konkreten örtlichen Verhältnisse in den Blick genommen und darauf abgehoben hat, dass sich die Krypta nur wenige Meter von der Grenze zum östlichen Nachbargrundstück und nur ca. 17 m von der dortigen großen Produktionshalle entfernt befinde, in der auch im Schichtbetrieb gearbeitet werde und teilweise auch Lkw-Verkehr im Grenzbereich stattfinde, was in hohem Maße der Würde der in solchem Umfeld bestatteten Toten widerspreche (UA S. 28), fehlen jedenfalls Feststellungen dazu, inwieweit dieser Belang durch die Geschäftigkeit und Betriebsamkeit der industriellen Umgebung konkret beeinträchtigt werden kann, obwohl die Krypta in dem gegenüber der Außenwelt abgeschirmten Kircheninnern gelegen ist. Ähnliches gilt, soweit der Verwaltungsgerichtshof "bei objektiver Betrachtung" auch das Recht der Angehörigen und Trauernden auf ein würdevolles Gedenken beeinträchtigt sieht. Insoweit ist zudem zu berücksichtigen, dass die Beisetzung in einem geweihten Kirchenraum nach den Glaubensvorstellungen nicht nur der Syrisch-Orthodoxen Kirche eine besonders würdevolle Form der Bestattung ist.

35

Es fehlen auch Feststellungen, inwieweit durch die Zulassung der Abweichung nachbarliche Interessen konkret betroffen werden können, etwa, ob und gegebenenfalls in welcher Intensität gewerbliche Nutzungen in der Umgebung der Kirche durch die Krypta mit Nutzungseinschränkungen rechnen müssen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass mögliche Nutzungskonflikte bereits mit der Errichtung und Nutzung der Kirche entstanden sein dürften. Allein auf die Feststellung, dass das Trauern und Gedenken auch außerhalb des Kirchengebäudes "bemerkbar" sein werde (UA S. 21), kann die Ablehnung einer Befreiung nicht gestützt werden, weil dies auch auf die in einer Kirche ohne Krypta abgehaltenen Beerdigungs- und Trauergottesdienste zutrifft.

36

b) Mit der Formulierung, es spreche alles dafür, dass die private Bestattungsstätte die Grundzüge der Planung berühre, hat der Verwaltungsgerichtshof zwar deutlich gemacht, dass er dieser Auffassung zuneigt. Tragend festgelegt hat er sich insoweit aber nicht. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen lässt sich derzeit auch hierzu Abschließendes nicht sagen.

37

Ob die Grundzüge der Planung berührt sind, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwider läuft. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung in der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist (Urteil vom 9. Juni 1978 a.a.O.; Beschlüsse vom 5. März 1999 - BVerwG 4 B 5.99 - Buchholz 406.11 § 31 BauGB Nr. 39 S. 2 und vom 19. Mai 2004 - BVerwG 4 B 35.04 - BRS 67 Nr. 83). Die Beantwortung der Frage, ob Grundzüge der Planung berührt werden, setzt einerseits die Feststellung voraus, was zum planerischen Grundkonzept gehört und andererseits die Feststellung, ob dieses planerische Grundkonzept gerade durch die in Frage stehende Befreiung berührt wird (vgl. Söfker, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Band II, Stand: Juni 2010, Rn. 35 zu § 31 BauGB).

38

Zur ersten Frage hat der Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass die Planung - zum maßgeblichen Zeitpunkt des Planerlasses im Jahr 1970, aber auch nach der tatsächlichen Bebauung - auf ein typisches, die gewerbliche Nutzungsbreite voll ausschöpfendes Industriegebiet ohne konfliktträchtige Ausnahmenutzungen gerichtet gewesen sei (UA S. 25). Weder die Festsetzungen noch die Begründung des Bebauungsplans enthielten Hinweise für die Absicht des Plangebers, das Baugebiet in einer vom Regelfall des § 9 Abs. 1 BauGB abweichenden Weise auszugestalten. Auch die seither verwirklichten Gewerbebetriebe in der näheren und weiteren Umgebung der Kirche ließen eine geradezu "klassische" Industriegebietsnutzung erkennen (UA S. 24), die vorhandenen Betriebe im Bebauungsplangebiet entsprächen der Nutzungsstruktur eines normtypischen Industriegebiets geradezu beispielhaft (UA S. 21). Diese Feststellungen haben zwar Tatsachen (§ 137 Abs. 2 VwGO) sowie die Auslegung des Bebauungsplans als Teil des nicht revisiblen Landesrechts (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) zum Gegenstand. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber mehrere für die Grundzüge der Planung bedeutsame Umstände außer Acht gelassen. Soweit er auf den Zeitpunkt des Planerlasses im Jahr 1970 abstellt, hat er unberücksichtigt gelassen, dass die Plangeberin in Ziffer 1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans (konfliktträchtige) Ausnahmenutzungen gemäß § 9 Abs. 3 BauNVO ausdrücklich zugelassen hat. Auch wenn diese Festsetzung nicht über das hinausgeht, was gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9 Abs. 3 BauNVO auch ohne sie gegolten hätte, bedarf es der Prüfung, welche Bedeutung dem Umstand, dass sich die Gemeinde gleichwohl zu einer ausdrücklichen Regelung veranlasst gesehen hat, bei der Bestimmung der Planungskonzeption beizumessen ist. Soweit der Verwaltungsgerichtshof auch auf die tatsächliche Bebauung im Industriegebiet abgestellt hat, hätte er nicht unberücksichtigt lassen dürfen, dass nicht nur Gewerbebetriebe verwirklicht wurden, sondern im Einvernehmen mit der Beigeladenen zu 1 auch die Kirche der Klägerin. Das ist ein Umstand, dem eine starke Indizwirkung für eine auch gegenüber konfliktträchtigen Ausnahmenutzungen offene Planungskonzeption zukommen kann.

39

Zu der weiteren Frage, ob die planerische Grundkonzeption durch die Befreiung berührt würde, hat der Verwaltungsgerichtshof keine Feststellungen getroffen. Verlässliche Rückschlüsse lassen auch die in anderem Zusammenhang getroffenen Feststellungen nicht zu. Diese Feststellungen wird der Verwaltungsgerichtshof nachzuholen haben, falls es für seine Entscheidung hierauf ankommt. Weil eine planerische Grundkonzeption durch ein Vorhaben nicht mehr berührt werden kann, wenn der mit der Planung verfolgte Interessenausgleich bereits durch die bisherige tatsächliche Entwicklung im Baugebiet nachhaltig gestört ist (zutreffend VGH München, Urteil vom 9. August 2007 - 25 B 05.1337 - juris Rn. 41; nachfolgend Beschluss vom 28. April 2008 - BVerwG 4 B 16.08 -), wird er sich hierbei auch mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob die Grundzüge der Planung bereits durch die Errichtung und Nutzung der Kirche nachhaltig gestört sind und deshalb durch das Hinzutreten der Krypta nicht mehr in einer ins Gewicht fallenden Weise berührt werden können.

(1) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind.

(2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und

1.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, des Bedarfs an Anlagen für soziale Zwecke und des Bedarfs an einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien, die Befreiung erfordern oder
2.
die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder
3.
die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

(3) In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.

(1) Aufgabe der Bauleitplanung ist es, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde nach Maßgabe dieses Gesetzbuchs vorzubereiten und zu leiten.

(2) Bauleitpläne sind der Flächennutzungsplan (vorbereitender Bauleitplan) und der Bebauungsplan (verbindlicher Bauleitplan).

(3) Die Gemeinden haben die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist; die Aufstellung kann insbesondere bei der Ausweisung von Flächen für den Wohnungsbau in Betracht kommen. Auf die Aufstellung von Bauleitplänen und städtebaulichen Satzungen besteht kein Anspruch; ein Anspruch kann auch nicht durch Vertrag begründet werden.

(4) Die Bauleitpläne sind den Zielen der Raumordnung anzupassen.

(5) Die Bauleitpläne sollen eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung, die die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Einklang bringt, und eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung gewährleisten. Sie sollen dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln sowie den Klimaschutz und die Klimaanpassung, insbesondere auch in der Stadtentwicklung, zu fördern, sowie die städtebauliche Gestalt und das Orts- und Landschaftsbild baukulturell zu erhalten und zu entwickeln. Hierzu soll die städtebauliche Entwicklung vorrangig durch Maßnahmen der Innenentwicklung erfolgen.

(6) Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.
die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung,
2.
die Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere auch von Familien mit mehreren Kindern, die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen, die Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung und die Anforderungen kostensparenden Bauens sowie die Bevölkerungsentwicklung,
3.
die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere die Bedürfnisse der Familien, der jungen, alten und behinderten Menschen, unterschiedliche Auswirkungen auf Frauen und Männer sowie die Belange des Bildungswesens und von Sport, Freizeit und Erholung,
4.
die Erhaltung, Erneuerung, Fortentwicklung, Anpassung und der Umbau vorhandener Ortsteile sowie die Erhaltung und Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche,
5.
die Belange der Baukultur, des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege, die erhaltenswerten Ortsteile, Straßen und Plätze von geschichtlicher, künstlerischer oder städtebaulicher Bedeutung und die Gestaltung des Orts- und Landschaftsbildes,
6.
die von den Kirchen und Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts festgestellten Erfordernisse für Gottesdienst und Seelsorge,
7.
die Belange des Umweltschutzes, einschließlich des Naturschutzes und der Landschaftspflege, insbesondere
a)
die Auswirkungen auf Tiere, Pflanzen, Fläche, Boden, Wasser, Luft, Klima und das Wirkungsgefüge zwischen ihnen sowie die Landschaft und die biologische Vielfalt,
b)
die Erhaltungsziele und der Schutzzweck der Natura 2000-Gebiete im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes,
c)
umweltbezogene Auswirkungen auf den Menschen und seine Gesundheit sowie die Bevölkerung insgesamt,
d)
umweltbezogene Auswirkungen auf Kulturgüter und sonstige Sachgüter,
e)
die Vermeidung von Emissionen sowie der sachgerechte Umgang mit Abfällen und Abwässern,
f)
die Nutzung erneuerbarer Energien sowie die sparsame und effiziente Nutzung von Energie,
g)
die Darstellungen von Landschaftsplänen sowie von sonstigen Plänen, insbesondere des Wasser-, Abfall- und Immissionsschutzrechts,
h)
die Erhaltung der bestmöglichen Luftqualität in Gebieten, in denen die durch Rechtsverordnung zur Erfüllung von Rechtsakten der Europäischen Union festgelegten Immissionsgrenzwerte nicht überschritten werden,
i)
die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Belangen des Umweltschutzes nach den Buchstaben a bis d,
j)
unbeschadet des § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, die Auswirkungen, die aufgrund der Anfälligkeit der nach dem Bebauungsplan zulässigen Vorhaben für schwere Unfälle oder Katastrophen zu erwarten sind, auf die Belange nach den Buchstaben a bis d und i,
8.
die Belange
a)
der Wirtschaft, auch ihrer mittelständischen Struktur im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung,
b)
der Land- und Forstwirtschaft,
c)
der Erhaltung, Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen,
d)
des Post- und Telekommunikationswesens, insbesondere des Mobilfunkausbaus,
e)
der Versorgung, insbesondere mit Energie und Wasser, einschließlich der Versorgungssicherheit,
f)
der Sicherung von Rohstoffvorkommen,
9.
die Belange des Personen- und Güterverkehrs und der Mobilität der Bevölkerung, auch im Hinblick auf die Entwicklungen beim Betrieb von Kraftfahrzeugen, etwa der Elektromobilität, einschließlich des öffentlichen Personennahverkehrs und des nicht motorisierten Verkehrs, unter besonderer Berücksichtigung einer auf Vermeidung und Verringerung von Verkehr ausgerichteten städtebaulichen Entwicklung,
10.
die Belange der Verteidigung und des Zivilschutzes sowie der zivilen Anschlussnutzung von Militärliegenschaften,
11.
die Ergebnisse eines von der Gemeinde beschlossenen städtebaulichen Entwicklungskonzeptes oder einer von ihr beschlossenen sonstigen städtebaulichen Planung,
12.
die Belange des Küsten- oder Hochwasserschutzes und der Hochwasservorsorge, insbesondere die Vermeidung und Verringerung von Hochwasserschäden,
13.
die Belange von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden und ihrer Unterbringung,
14.
die ausreichende Versorgung mit Grün- und Freiflächen.

(7) Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen.

(8) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs über die Aufstellung von Bauleitplänen gelten auch für ihre Änderung, Ergänzung und Aufhebung.

(1) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans können solche Ausnahmen zugelassen werden, die in dem Bebauungsplan nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind.

(2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und

1.
Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung, des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, des Bedarfs an Anlagen für soziale Zwecke und des Bedarfs an einem zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien, die Befreiung erfordern oder
2.
die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder
3.
die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde
und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

(3) In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von Satz 1 kann nur bis zum Ende der Geltungsdauer der Rechtsverordnung nach § 201a Gebrauch gemacht werden. Die Befristung in Satz 2 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Die Beigeladene hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller wenden sich als Eigentümer des Grundstücks Fl. Nr. 4155/65 der Gemarkung S., U.-straße 1, ... eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Zweifamilienhauses als Doppelhaushälfte mit Garage und Wintergarten auf dem Nachbargrundstück Fl. Nr. 4155/31. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des am 10. September 1971 in Kraft getretenen Bebauungsplans „Ü. (im Folgenden: Bebauungsplan). Nach Ziffer 3 der weiteren Festsetzungen des Bebauungsplans sind bei „Doppelhäusern und Gruppenbauweise (…) die zusammenhängenden Gebäude im Querschnitt genau einander anzugleichen und in der Gestaltung auf einander abzustimmen“. Gemäß einer zeichnerischen Festsetzung („o“) ist auf den bezeichneten Grundstücken die offene Bauweise festgesetzt. Gemäß Ziffer 4 der weiteren Festsetzungen beträgt die „zulässige Bebauungstiefe = maximal 12,00 m entsprechend § 23 BauNVO (soweit keine rückwärtige Baugrenze oder Baulinie festgesetzt ist)“. Weiterhin setzt der Bebauungsplan eine vordere Baulinie und eine hintere Baugrenze fest.

Mit Bescheid vom 14. Mai 2013 erteilte das Landratsamt der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung auf der Grundlage der „Baupläne vom Februar 2013“. Die bei den Akten befindlichen, mit einem entsprechenden Genehmigungsvermerk versehenen Pläne weisen keine Nachbarunterschrift auf und sehen an der südlichen Fassade, westlich des Wintergartens, einen ca. 3 m breiten, 1,50 m vorspringenden und 6,20 m hohen Erker vor. In den Akten finden sich daneben weitere Eingabepläne, ebenfalls vom Februar 2013, die farbig als „überholt“ gekennzeichnet sind, Nachbarunterschriften - unter anderem der Antragsteller - aufweisen und einen Erker an der westlichen Außenwand mit einer Länge von 4,50 m und einer Tiefe von 87 cm vorsehen.

Dem Antrag der Antragsteller - die keine Ausfertigung der Baugenehmigung erhalten haben -, die aufschiebende Wirkung ihrer gegen die Baugenehmigung erhobenen Klage anzuordnen, gab das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 24. September 2013 statt. Die Erfolgsaussichten ihrer Anfechtungsklage seien nach summarischer Prüfung anhand der Akten als offen anzusehen, weil das streitgegenständliche Vorhaben möglicherweise den planungsrechtlichen Vorgaben in den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspreche. Zweifel bestünden insbesondere hinsichtlich der - insoweit wohl nachbarschützenden - geforderten Angleichung und abzustimmenden Gestaltung von Doppelhäusern untereinander (von dieser Festsetzung habe die Beigeladene auch keine Befreiung beantragt), bezüglich der Bebauungstiefe und im Hinblick auf die Frage, ob es sich bei dem geplanten Anbau des Wintergartens tatsächlich um einen solchen handle. Im Übrigen sei fraglich, ob das nachbarliche Gebot der Rücksichtnahme durch eine etwaige Nichteinhaltung von Abstandsflächen verletzt sei. Bei dieser Sach- und Rechtslage, die eine umfassende Prüfung im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens erfordere, überwiege das Interesse der Antragsteller, von der Schaffung vollendeter Tatsachen verschont zu bleiben, dasjenige der Beigeladenen an einer baldigen Ausführung ihres Bauvorhabens.

Die Beigeladene hat gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt, mit dem Antrag,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die sofortige Vollziehung des Baugenehmigungsbescheids anzuordnen,

hilfsweise,

die aufschiebende Wirkung nur für die im südlichen Anbau errichteten Anbauten „Erker“ und „Wintergarten“ wiederherzustellen, im Übrigen (den Antrag auf) die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage zurückzuweisen.

Den Antragstellern fehlten im vorliegenden Verfahren sowohl Antragsbefugnis als auch Rechtsschutzbedürfnis, denn zum einen sei der Bebauungsplan, wie die Gestaltung der Umgebungsbebauung zeige, weitgehend funktionslos geworden, zum anderen hätten sie mit ihrer Unterschrift ihr Einverständnis jedenfalls mit dem geplanten Wintergarten erklärt. Hinsichtlich des Erkers, der aufgrund abstandsrechtlicher Bedenken, die eine Tekturplanung erforderlich gemacht hätten, auf die südliche Seite zu verlegen gewesen sei, handle es sich um ein Bauwerk von untergeordneter Bedeutung. Im Übrigen sei auch ein entsprechender Befreiungsantrag gestellt worden.

Die Antragsteller verteidigen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts und beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsgegner hat im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 14. Mai 2013 anzuordnen, zu Recht stattgegeben, weil diese Genehmigung nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung möglicherweise gegen nachbarschützende Rechtsvorschriften verstößt, die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind. Bei dieser Sach- und Rechtslage fällt die anzustellende Interessenabwägung zu Ungunsten der Beigeladenen aus. Die allein zu prüfenden Beschwerdegründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.

1. Soweit die Beigeladene im Beschwerdeverfahren vorträgt, eine Verletzung der Antragsteller in sich aus dem Bebauungsplan ergebenden, nachbarschützenden Rechten scheide schon deshalb aus, weil dieser, wie die tatsächliche äußere Gestaltung der bereits vorhandenen Bauten zeige, weitgehend funktionslos geworden sei, verhilft dies ihrer Beschwerde nicht zum Erfolg. Nach ständiger Rechtsprechung sowohl des Bundesverwaltungsgerichts als auch des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BVerwG, U. v. 18.11.2004 - 4 CN 11/03 - m. w. N.; BayVGH, B. v. 25.9.2013 - 15 ZB 11.2302 - m. w. N.) kann ein Bebauungsplan funktionslos werden, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich so verändert hat, dass ein Planvollzug auf unüberschaubare Zeit ausgeschlossen erscheint. Bloße Zweifel an der Verwirklichungsfähigkeit des Plans reichen für die Annahme eines unüberwindlichen Hindernisses indes nicht aus. Ein Bebauungsplan tritt wegen nachträglicher Funktionslosigkeit nur dann außer Kraft, wenn offenkundig ist, dass er als Instrument für die Steuerung der städtebaulichen Entwicklung nicht mehr tauglich ist.

Gemessen daran belegen weder die von der Beigeladenen als Anlage A 2 zum Schriftsatz vom 30. September 2013 vorgelegte Ablichtung aus Google maps noch die Fotoaufnahmen der U.-straße und Umgebung (Anlage A 3) diese Behauptung. Der - undeutliche - Ausdruck aus Google maps lässt schon die vorhandenen Bautiefen nicht mit der gebotenen Zuverlässigkeit erkennen, dies gilt erst recht für die äußere Gestaltung der bestehenden Bauten - etwa das Vorhandensein von Erkern oder die nach Ziffer 3 der weiteren Festsetzungen des Bebauungsplans erforderliche Angleichung von Doppelhäusern. Die vorgelegten Fotos zeigen lediglich im Hinblick auf die aufgenommene Örtlichkeit nicht bezeichnete einzelne Bauten, die betreffend die Gesamtbebauung und deren Gestaltung ebenfalls keine substantiierte Einschätzung ermöglichen. Soweit die Beigeladene im Übrigen zur diesbezüglichen Glaubhaftmachung die Einholung der Baugenehmigungen und Befreiungen für den Bebauungsplanbereich „Ü.“, zu übergeben durch das Landratsamt Aschaffenburg, sowie die Einholung einer eidesstattlichen Versicherung einer (namentlich benannten) Beamtin fordert, gingen derartige gerichtliche Ermittlungen über die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens notwendige und ausreichende, lediglich summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage deutlich hinaus und sind schon aus diesem Grund nicht geboten.

2. Die weitere Rüge der Beigeladenen, die Antragsteller hätten sich ihres Rechts, gegen die erteilte Baugenehmigung gerichtlich vorzugehen, durch die von ihnen geleistete Unterschrift auf den Planungsunterlagen begeben, mithin kein Rechtsschutzinteresse (mehr), greift ebenfalls nicht durch. Denn es müssen, um eine rechtswirksame Zustimmung des bzw. der Nachbarn annehmen zu können, die mit der Unterschrift der Nachbarn versehenen Bauvorlagen mit der erteilten Baugenehmigung übereinstimmen, d. h. die Bauvorlagen müssen so genehmigt worden sein, wie sie dem Nachbarn zur Unterschrift vorgelegt worden waren (Dirnberger in: Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 149). Die Unterschrift deckt insbesondere nicht spätere Anträge auf Tektur- oder Änderungsgenehmigungen. Bei den Nachbarn belastenden Änderungen der Bauvorlagen ist er vom Bauherrn, der Gemeinde oder der Behörde erneut zu beteiligen (Dirnberger in: Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 150). Daran fehlt es hier. Denn die ursprünglichen, von den Antragstellern unterschriebenen Baupläne sind mittels eines roten Stempelaufdrucks ausdrücklich als „überholt“ gekennzeichnet und liegen damit der am 14. Mai 2013 erteilten Baugenehmigung ersichtlich nicht zugrunde. Die mit einem entsprechenden behördlichen Genehmigungsvermerk versehenen - und nicht als Tektur bezeichneten - Planunterlagen, auf die die Baugenehmigung Bezug nimmt, sind dagegen nicht von den Antragstellern unterzeichnet worden. Diese Pläne enthalten auch - jedenfalls bezüglich des geplanten Erkers - eine die Antragsteller als Nachbarn betreffende, nicht nur geringfügige Änderung: Denn der Erker wurde nicht nur in seinen Ausmaßen verändert, sondern auch von der westlichen, den Antragstellern abgewandten Seite des Bauvorhabens der Beigeladenen auf dessen südliche Fassadenseite verlagert. Dadurch wird jedenfalls - wovon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeht - die nach den weiteren Festsetzungen des Bebauungsplans einheitlich zu gestaltende Fassade des entstehenden Doppelhauses deutlich verändert, ohne dass es im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes noch darauf ankommt, ob eventuell auch weitere Rechte der Antragsteller verletzt sein könnten. Soweit die Beigeladene in diesem Zusammenhang geltend macht, sie habe einen Befreiungsantrag gestellt, bezieht sich dieser von ihr mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2013 vorgelegte und auch bei den Akten befindliche Antrag auf den früheren, noch in westlicher Richtung geplanten Erker; im Übrigen wurde eine entsprechende ausdrückliche Befreiung mit der Baugenehmigung vom 14. Mai 2013 nicht erteilt.

3. Der Hinweis der Beigeladenen schließlich, die Antragsteller seien im vorläufigen Rechtsschutzverfahren auch deshalb nicht schutzwürdig, weil sie bezüglich der von ihnen errichteten Doppelhaushälfte selbst in den Genuss von Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans gekommen seien, verhilft der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. Die von der Beigeladenen „exemplarisch“ gemachten Angaben zu „Dachneigung, Trempel, Maigauben und Versetzung der Baulinie“ legen nicht hinreichend substantiiert dar, in welchem Verhältnis diese zu der von ihr geplanten Gestaltung des Doppelhauses stehen bzw. diese beeinflussen sollten. Im Übrigen stellt der früher errichtete Grenzbau (hier der Antragsteller) insoweit und in gewissem Rahmen eine „Vorbelastung“ für den geplanten Grenzbau (hier der Beigeladenen) dar, als das nachfolgende Bauvorhaben in eine „harmonische Beziehung“ zu diesem treten muss (vgl. dazu auch BVerwG, U. v. 24.2.2000 - 4 C 12/98).

4. Angesichts der offenen Erfolgsaussichten der von den Antragstellern erhobenen Klage ist die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Abwägung, das Interesse der Antragsteller, von der Schaffung vollendeter Tatsachen verschont zu bleiben, überwiege das Interesse der Beigeladenen am Vollzug ihrer Baugenehmigung, nicht zu beanstanden. Die weder begründete noch belegte Behauptung der Beigeladenen, eine derartige Gefahr der Schaffung vollendeter Tatsachen bestehe nicht, ändert daran nichts.

5. Der im Beschwerdeverfahren hilfsweise gestellte Antrag der Beigeladenen, die aufschiebende Wirkung nur für die im südlichen Anbau errichteten Anbauten „Erker“ und „Wintergarten“ wiederherzustellen und den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Übrigen zurückzuweisen, ist ebenfalls nicht begründet. Zwar kann unter Umständen eine lediglich teilweise Stattgabe des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage aus sachlichen oder räumlichen Gründen geboten sein. Räumliche Beschränkungen wie die hier beantragten sind angezeigt, wenn sich die Rechtswidrigkeit einer Baugenehmigung nur auf bestimmte abtrennbare Bauteile, wie etwa eine Grenzgarage, einen Balkon oder Nebenanlagen bezieht (Schmidt in Eyermann, VwGO, 13. Auflage, § 80 Rn. 87). Es ist jedoch nicht ersichtlich und von der Beigeladenen auch nicht dargelegt, wie im vorliegenden Fall der Bau des Erkers bzw. des Wintergartens, die beide räumlich mit dem Bau des gesamten Hauses unmittelbar verbunden sind, isoliert eingestellt werden könnte.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.