Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 02. März 2018 - A 11 K 8875/16

bei uns veröffentlicht am02.03.2018

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der nach eigenen Angaben am ... 1985 geborene Kläger ist angeblich syrischer Staatsangehöriger. Er reiste eigenen Angaben zufolge am 30.09.2015 in das Bundesgebiet ein. Am 12.07.2016 beantragte er die Gewährung von Asyl. Bei der Anhörung im Rahmen der Vorprüfung in Sigmaringen am 12.08.2016 trug der Kläger vor, bis zu seiner Ausreise aus Syrien habe er im Dorf K in der Provinz Hasaka gelebt. Die Grundschule habe er 6 Jahre besucht. Danach habe er den Beruf als Konditor gelernt. Von 2004 bis 2006 habe er Wehrdienst geleistet. Am 15.01.2011 sei er in den Libanon gezogen, wo er 2 Jahre lang in einer Bäckerei gearbeitet habe. Am 27./28. März 2014 habe er Syrien erneut verlassen und sei zu seiner Mutter und seinem Bruder in Sulaimaniya im Irak gezogen, wo er sich ca. 1 Jahr und 6 Monate aufgehalten habe. Dort habe er sich legal mit einem Ausweis aufgehalten. Sein Bruder und seine Mutter seien im Irak als Angestellte in einer Konditorei tätig. Im Jahr 2009 habe es im Irak einen Zwischenfall mit einem Araber und dessen Sohn gegeben. Nachdem er den kleinen Sohn des Arabers gestupst habe, habe der Araber ihm gedroht, ihn umzubringen. Er habe dem Araber auch 80.000 syrische Lira gezahlt, um ihn in Ruhe zu lassen. Dieser habe ihn dennoch weiter bedroht. Zusammen mit einem weiteren Bruder sei er am 30.09.2015 nach Deutschland gereist. Anschließend hätten sie sich noch ca. 4 Monate in der Schweiz aufgehalten. Dort hätten sie auch einen Asylantrag gestellt. Aus der Schweiz seien sie am 27.01.2016 nach Deutschland erneut eingereist.
Mit Bescheid vom 05.12.2016 wurde dem Kläger vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt und im Übrigen der Asylantrag abgelehnt.
Am 12.12.2016 hat der Kläger Klage erhoben.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihm den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen und Ziffer 2 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 05.12.2016 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf den Inhalt des angefochtenen Bescheids.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die zur Sache gehörende Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
10 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten über die Sache verhandeln und entscheiden, da sie ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 102 Abs. 2 VwGO).
11 
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.
12 
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr. 1) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 2a), oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Nr. 2b).
13 
Als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Die Maßnahmen im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen; sie müssen aber in ihrer Gesamtheit eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG entspricht (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67).
14 
Nach § 3a Abs. 2 AsylG können als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG u.a. gelten die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt (Nr. 1), gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden (Nr. 2), unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (Nr. 3), Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung (Nr. 4), Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Nr. 5) und Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind (Nr. 6).
15 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
16 
Der Charakter einer Verfolgungshandlung erfordert, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach § 3a AsylG geschützten Rechtsguts selbst zielt (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67).
17 
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht aller festgestellten Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.11.1991 - 9 C 118/90 - BVerwGE 89, 162 und Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67).
18 
Bei einer Verfolgung, die sich gegen eine Gruppe von Menschen richtet, zielt die Verfolgung auf jeden Angehörigen der Gruppe, so dass in aller Regel jeder Angehörige der Gruppe als vom Verfolgungsgeschehen in seiner Person betroffen anzusehen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.06.1995 - 9 C 294/94 - InfAuslR 1995, 422). Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms - eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.07.1994 - 9 C 158/94 - BVerwGE 96, 200 und Urt. v. 18.07.2006 - 1 C 15/05 - BVerwGE 126, 243). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11/08 - NVwZ 2009, 1237). Die Verfolgungshandlungen müssen im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.04.1996 - 9 C 170/95 - BVerwGE 101, 123; Urt. v. 18.07.2006 - 1 C 15/05 - BVerwGE 126, 243 und Urt. v. 01.02.2007 - 1 C 24/06 - NVwZ 2007, 590). Bei der Frage, ob Verfolgungshandlungen das Kriterium der Verfolgungsdichte erfüllen, muss die gesamte Zahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden; weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen festgestellt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11/08 - NVwZ 2009, 1237). Alle gleich gearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.07.2006 - 1 C 15/05 - BVerwGE 126, 243; Urt. v. 01.02.2007 - 1 C 24/06 - NVwZ 2007, 590 und Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11/08 - NVwZ 2009, 1237). Dabei ist ausreichend, die ungefähre Größenordnung der Verfolgungsschläge zu ermitteln und sie in Beziehung zur Gesamtgruppe der von Verfolgung Betroffenen zu setzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.04.1996 - 9 C 170/95 - BVerwGE 101, 123). Bei unübersichtlicher Tatsachenlage und nur bruchstückhaften Informationen darf auch aus einer Vielzahl vorliegender Einzelinformationen eine zusammenfassende Bewertung des ungefähren Umfangs der asylerheblichen Verfolgungsschläge und der Größe der verfolgten Gruppe vorgenommen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11/08 - NVwZ 2009, 1237). Diese für die Asylanerkennung entwickelten Maßstäbe für die Gruppenverfolgung gelten auch für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11/08 - NVwZ 2009, 1237).
19 
Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU). Zwar bleibt der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden i.S.d. Art. 15 RL 2011/95/EU erlitten hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377). Hat ein Antragsteller indes bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten, für den streitet die widerlegbare tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urt. v. 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u. a., Abdulla-, NVwZ 2010, 505). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5/09 - a.a.O.). Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5/09 - a.a.O.). Maßgebend ist, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.11.2011 - 10 B 32/11 - juris -; VGH Mannheim, Urt. v. 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 - juris -).
20 
Ob ein Verfolgungsgrund zu bejahen ist, ist in einem eigenen Prüfungsschritt zu ermitteln und beurteilt sich nach den Vorgaben des § 3b AsylG. Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
21 
Nach § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
22 
Es ist Sache des Antragstellers, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Hierzu gehört, dass der Antragsteller zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.03.1983 - 9 C 68/81 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 44; Urt. v. 24.03.1987 - 9 C 321/85 - NVwZ 1987, 701 und Beschl. v. 19.03.1991 - 9 B 56/91 - NVwZ-RR 1991). Ein im Laufe des Verfahrens sich widersprechendes oder sich steigerndes Vorbringen spricht gegen die Glaubhaftigkeit des Vortrags des Antragstellers; ändert der Antragsteller in einem späteren Vortrag sein früheres Vorbringen, so muss er überzeugende Gründe darlegen, weshalb sein früheres Vorbringen falsch gewesen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.11.1985 - 9 C 26/85 - juris -; Urt. v. 23.02.1988 - 9 C 32/87 - DVBl 1988, 653 und Beschl. v. 21.07.1989 - 9 B 239/89 - NVwZ 1990, 171; BVerfG, Beschl. v. 29.11.1990 - 2 BvR 1095/90 - InfAuslR 1991, 94; Berlit/Dörig/Storey, Glaubhaftigkeitsprüfung bei Asylklagen aufgrund religiöser Konversion oder Homosexualität, ZAR 2016, 281 ff.).
23 
Die Gefahr einer Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG kann schließlich nur festgestellt werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit - und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit - des von dem Antragsteller behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.04.1985 - 9 C 109/84 - BVerwGE 71, 180 und Urt. v. 12.11.1985 - 9 C 26/85 - InfAuslR 1986, 79).
24 
In Anwendung dieser rechtlichen Vorgaben ist dem Kläger nicht aus individuellen Verfolgungsgründen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Denn er war zum Zeitpunkt seiner Ausreise keiner anlassgeprägten Einzelverfolgung ausgesetzt, weshalb ihm die Privilegierung aus Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nicht zu Gute kommt.
25 
Der Kläger hat sein Heimatland wegen der allgemein schwierigen, bürgerkriegsbedingten Situation verlassen und wegen der Befürchtung, zum Wehrdienst eingezogen zu werden. Diese Befürchtung hatte sich bis zur Ausreise jedoch nicht konkretisiert. Sonstige individuelle Vorverfolgungsgründe sind nicht vorgetragen. Der Kläger schildert damit eine Gefahrenlage, der die Bevölkerung in Syrien allgemein ausgesetzt ist und die gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG die Zuerkennung des subsidiären Schutzstaates rechtfertigt.
26 
Auch aus den Ereignissen, die nach Verlassen Syriens eingetreten sind, folgt keine begründete Furcht vor Verfolgung.
27 
(1) Es gibt keine hinreichenden Erkenntnisse dazu, dass der syrische Staat einem rückkehrenden Asylbewerber wegen seines Asylantrags und Auslandsaufenthaltes oder auch wegen illegalen Verlassens des Landes eine gegnerische politische Überzeugung zuschreibt (ebenso OVG Schleswig, Urt. v. 23.11.2016 - 3 LB 17/16 - juris -; VGH München, Urt. v. 12.12.2016 - 21 B 16.30371 - juris -; OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16.OVG. - juris -; OVG Saarlouis, Urt. v. 18.05.2017 - 2 A 176/17 - juris -; OVG Münster, Urt. v. 21.02.2017 - 14 A 2316/16.A - juris -; VGH Mannheim, Urt. v. 09.08.2017 - A 11 S 710/17 - juris -; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.09.2017 - 2 LB 750/17 - juris -; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 22.11.2017 - 3 B 12.17 - juris -).
28 
Unstreitig sind Rückkehrer am Flughafen von Damaskus intensiven Kontrollen ausgesetzt. Zweifelhaft ist, ob bei Rückkehr nach Syrien eine Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a AsylG in Form einer Befragung mit der konkreten Gefahr einer Verhaftung und/oder einer schwerwiegenden Misshandlung bis hin zur Folter und willkürlichen Tötung beachtlich wahrscheinlich droht (verneinend OVG Münster, Urt. v. 21.02.2017 - 14 A 2316/16 - juris -). Dies kann vorliegend aber offen bleiben. Denn vor derartigen Maßnahmen genießt der Kläger bereits Schutz nach § 4 AsylG.
29 
Selbst wenn man die beachtliche Wahrscheinlichkeit von Handlungen i.S.d. § 3a AsylG bei Rückkehr bejahte, fehlt es für die Annahme politischer Verfolgung an der nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 3b AsylG.
30 
Das Gericht kann nach Auswertung der Erkenntnismittel keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür erkennen, dass der syrische Staat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Rückkehrer wegen ihrer illegalen Ausreise und/oder der Asylantragstellung und/oder dem längeren Aufenthalt im westlichen Ausland eine abweichende politische Gesinnung zuschreiben wird. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass bis Ende 2015 von den rund 22 Millionen zuvor in Syrien lebenden Menschen bereits rund 4,9 Millionen, mithin knapp ein Viertel der gesamten Bevölkerung, aus dem Land geflohen sind (vgl. OVG Saarlouis, Urt. v. 02.02.2017 - 2 A 515/16 - in juris Rn. 23). Angesichts dessen muss auch dem syrischen Staat gegenwärtig sein, dass die ganz überwiegende Mehrzahl der aus Syrien geflohenen syrischen Staatsangehörigen das Land aufgrund der unmittelbaren bzw. mittelbaren Folgen des Bürgerkrieges verlassen hat und nicht wegen einer drohenden Gefahr politischer Verfolgung.
31 
Zwar behauptet der UNHCR in seinem Länderleitfaden für Syrien vom Februar 2017 (UNHCR 4/2017), sein Bericht belege eine politische Verfolgung durch staatliche Kräfte bei Rückkehr nach Syrien (vgl. Seite 30 unter 5. mit Fußn. 146). Belastbare Erkenntnisse, dass die syrischen Sicherheitsbehörden dem Grunde nach den syrischen Rückkehrern eine oppositionelle Haltung zuschreiben, sind dem Bericht jedoch nicht zu entnehmen. Zum einen beruhen die vom UNHCR 4/2017 wiedergegebenen Einschätzungen nur auf Berichten/ Wertungen einzelner Personen und dabei wiederum vor allem auf „Hörensagen“, nicht aber auf zurechenbaren Äußerungen von Personen, die aus eigener Erfahrung Mitteilung über verschiedene Einzelfälle machen können; Referenzfälle liegen somit nicht vor. So wird - unter Hinweis auf das Immigration and Refugee Board of Canada (IRB Canada v. 19.01.2016) - eine emeritierte Professorin für Anthropologie und erzwungener Migration an der Oxford Universität, vormals Leiterin des Refugee Studies Centre in Oxford erwähnt, die ihre Einschätzung wiedergibt, aber keine konkreten Fälle benennt. Auch der Executive Direktor des Syria Justice and Accountability Center benennt keine konkreten, nachprüfbaren Einzelfälle, sondern teilt seine Bewertung der Lage mit, wobei er einerseits darauf hinweist, ein rückkehrender Asylantragsteller gelte als regierungsfeindlich, was als Zuschreibung eines Verfolgungsgrundes zu bewerten wäre, andererseits aber auch ausführt, Rückkehrer würden gefoltert, weil der Staat über andere Asylbewerber/Oppositionelle Informationen gewinnen wolle - was auf ein lediglich wahllos routiniertes Zugreifen mit dem Ziel, möglicherweise verwertbaren Informationen über regimegegnerische Bestrebungen überhaupt erst zu erlangen („fischen“) weist und als solches keine auf einen Verfolgungsgrund „gerichtete“ Maßnahme darstellen würde. Die dritte genannte Quelle, ein Gastwissenschaftler des Kings College London, der Spezialist für Syrien sei und Sachverständigenaussagen in Asylverfahren von Syrern in Großbritannien gemacht haben soll, trägt die Folgerung des UNHCR schon deswegen nicht, weil diese Quelle lediglich erklärt hat, ein rückkehrender Asylbewerber könne festgenommen werden, dies geschehe aber nicht automatisch; einige Regierungsmitarbeiter betrachteten Rückkehrer als Regierungskritiker, andere Regierungsmitarbeiter würden dagegen anerkennen, dass es auch andere Gründe gebe, das Land zu verlassen (vgl. Fußnote 146). Bei dem vom IRB Canada (v. 19.01.2016) unter Nr. 3 geschilderten Fall eines aus Australien rückkehrenden Asylbewerbers handelt es sich um eine Sondersituation, weil dieser wegen des mitgeführten Geldes in den Verdacht eines Revolutionsfinanciers gekommen war (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16.OVG - in juris Rn. 91)
32 
Der Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH v. 21.03.2017, Syrien: Rückkehr) sind ebenfalls keine konkreten individualisierbaren Einzelfälle zur Behandlung von Rückkehrern zu entnehmen. Sie verweist vielmehr ihrerseits u.a. auf das IRB Canada (v. 19.01.2016).
33 
Ein erhebliches Indiz dafür, dass Rückkehrer vom syrischen Staat nicht ohne weiteres als Regimegegner eingeschätzt werden, ergibt sich für das Gericht aus der genannten Stellungnahme des IRB Canada unter Nr. 1 „Overwiew“, wonach Hunderttausende Flüchtlinge aus den Anrainerstaaten jedes Jahr nach Syrien einreisen, um dort persönliche Angelegenheiten zu regeln, meistens um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in die benachbarten Länder zurückkehren. Eine solche umfangreiche Reisetätigkeit zeigt, dass die in die benachbarten Ländern Geflohenen trotz des (extrem) repressiven Charakters des syrischen Staates davon ausgehen, im Rahmen der Grenzübergänge zu Syrien keiner gravierenden Gefährdung ausgesetzt zu sein (vgl. OVG Münster, Urt. 21.02.2017 - 14 A 2316/16.A - in juris Rn. 53, VGH München, Urt. v. 12.12.2016 - 21 B 16.30371 - in juris Rn. 78; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.09.2017 - 2 LB 750/17 - in juris Rn. 48).
34 
Den Verfassungsschutzberichten (vgl. Zitate bei OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - in juris Rn. 121) lässt sich eine systematische Beobachtung aller mittlerweile im Bundesgebiet lebenden Syrer ebenfalls nicht entnehmen. Ihre Beobachtung gilt in erster Linie oppositionellen Tätigkeiten. Eine umfassende Beobachtung wäre angesichts der großen Zahl hier aufhältiger Personen aus Syrien schon faktisch ausgeschlossen (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - a.a.O.).
35 
Sollten Rückkehrer unter Drangsalierungen bis hin zur Folter befragt werden, so würde es sich um ein willkürliches, von keiner irgendwie gearteten Gerichtetheit bestimmtes Verhalten der in rechtsfreien Räumen agierenden verschiedenen Sicherheitskräfte handeln, möglicherweise auch um ein wahllos-routiniertes Fischen nach Informationen, wodurch Hinweise auf einen konkreten Verdacht überhaupt erst gewonnen werden sollen, aufgrund derer sodann eine Zuschreibung von Verfolgungsgründen erfolgen könnte (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - A 10922/16 - in juris Rn. 121; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.09.2017 - 2 LB 750/17 - in juris Rn. 52; OVG Saarlouis, Urt. v. 11.03.2017 - 2 A 215/17 - juris). Auch das Auswärtige Amt (Ad-hoc-Bericht v. 17.02.2012) hat auf willkürliche Verhaftungen und darauf hingewiesen, dass die Sicherheitskräfte im Zuge der Bekämpfung der Opposition von dem syrischen Regime eine „carte blanche“ erhalten hätten, jeder agiere für sich im rechtsfreien Raum.
36 
Dieses willkürlich-wahllose Verhalten bei etwaigen Rückkehrer-Befragungen wird auch durch den UNHCR-Bericht 4/2017 selbst deutlich. So heißt es dort, dass Personen „ohne bestimmten Grund entsprechend der weit verbreiteten Willkür und des Machtmissbrauchs durch Sicherheitsbeamte inhaftiert und misshandelt“ werden (Seite 6), das System sei „äußerst unvorhersehbar“, es seien „alle Personen“ einem Misshandlungsrisiko durch Grenzbehörden ausgesetzt (Fußnote 32).
37 
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH v. 21.03.2017, Syrien: Rückkehr) spricht in ihrer Stellungnahme ebenfalls von „Willkür“ (vgl. Überschrift Punkt 5.2) und weist unter Bezugnahme auf ai (Between Prison and the Grave, v. 05.11.2015) auf den verbreiteten Opportunismus der syrischen Sicherheitsbeamten hin, die entweder aus Profitgier oder aus persönlicher Rache Menschen verhaften und verschwinden lassen. Der Verweis auf die Möglichkeit, sich mit Hilfe von Bestechung zu arrangieren (nach UNHCR-Bericht 4/2017 Fußnote 9 steht Syrien im Korruptionswahrnehmungsindex an 173. Stelle von 176 untersuchten Ländern), bestätigt die Annahme rein willkürlichen/wahllosen Verhaltens.
38 
Erfolgen etwaige Übergriffe aber unterschiedslos, so geschehen sie letztlich wahllos, mithin ohne Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.04.2017 - 1 B 63.17 - juris -, OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris -, OVG Saarlouis, Urt. v. 11.03.2017 - 2 A 215/17 - juris -).
39 
(2) Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung aus einem der Gründe des § 3 AsylG ergibt sich auch nicht aus der sunnitischen Religionszugehörigkeit.
40 
Zwar geht der UNHCR (UNHCR 4/2017, Fußnote 26) davon aus, dass bei Sunniten ein höheres Misshandlungsrisiko bestehe. Zureichende konkrete Fälle sind auch insoweit nicht benannt. Da mehr als drei Viertel der syrischen Bevölkerung sunnitischen Glaubens ist, liegt es fern, dass die sunnitische Religionszugehörigkeit bei der Rückkehr nach Syrien relevante Bedeutung haben könnte (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 09.08.2017 - A 11 S 710/17 - juris -).
41 
(3) Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung aus einem der Gründe des § 3 AsylG ergibt sich weiter nicht aus der - nach eigenen Angaben - Herkunft aus der Provinz Hasaka.
42 
Zwar führt der UNHCR (UNHCR 4/2017) im Rahmen der von ihm genannten, aus seiner Sicht Flüchtlingsschutz begründenden Risikoprofile auch die Herkunft aus regierungsfeindlichen Gebieten auf („Personen mit Wohnort oder Herkunftsort in Gebieten, die sich derzeit oder vormals unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen befinden bzw. befanden“, Seite 15.). Zum einen aber spricht die Lebenserfahrung dafür, dass diejenigen, die vor den Auseinandersetzungen in ihrer Region in das Ausland geflohen sind, sich also dem Konflikt gerade entzogen haben, auch aus Sicht des syrischen Regimes nicht als Bedrohung aufgefasst werden (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - in juris Rn. 160 ff.). Zum andern gibt es keine verlässlichen und belastbaren Informationen, dass syrischen Staatsangehörigen bei der Einreise gerade wegen ihrer Herkunft eine flüchtlingsrelevante Verfolgung drohen könnte, weil man ihnen pauschal eine Gegnerschaft zum syrischen Regime unterstellen würde (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 09.08.2017 - A 11 S 710/17 - juris -).
43 
(4) Eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgung droht auch nicht unter dem Aspekt der Wehrdienstentziehung.
44 
Die an eine Wehrdienstentziehung geknüpften Sanktionen, selbst wenn sie von totalitären Staaten ausgehen, stellen nur dann eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung dar, wenn sie nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dienen, sondern darüber hinaus den Betroffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen sollen (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.12.1988 - 9 C 22/88 - BVerwGE 81, 41; Urt. v. 25.06.1991 - 9 C 131/90 - NVwZ 1992, 274 und Beschl. v. 02.06.2017 - 1 B 108/17 - juris -).
45 
Dabei ist davon auszugehen, dass die sich im Ausland befindlichen männlichen syrischen Staatsangehörigen im rekrutierungsfähigen Alter, die ohne Genehmigung der Militärbehörden Syrien verlassen haben, eine Personengruppe darstellen, die von Gruppenverfolgung erfasst sein kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.06.1995 - 9 C 294/94 - InfAuslR 1995, 422).
46 
In Syrien besteht grundsätzlich für alle syrischen Männer Militärdienstpflicht. Die Registrierung erfolgt im Alter von 18 Jahren. Es werden zwischenzeitlich aber auch jüngere eingezogen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, vom 23. März 2017). Die Wehrpflicht dauerte in der Vergangenheit bis zum Alter von 42 Jahren. Auch diese Altersgrenze wird mittlerweile überschritten (SFH vom 23.03.2017). Gediente Wehrpflichtige müssen nach Beendigung des Wehrdienstes als Reservisten mit ihrer Einberufung rechnen (Auswärtiges Amt, Auskunft v. 02.01.2017 an VG Düsseldorf). Es besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten (SFH vom 23.03.2017).
47 
Jegliche Arten einer Wehrdienstentziehung stehen unter Strafandrohung. Entziehung durch Verlassen des Wohnortes ohne Angabe der Adresse führt zur Geldbuße oder drei Monaten bis zwei Jahren Haft (SFH vom 23.03.2017). Bei Wehrdienstentziehung in Friedenszeiten droht Haft zwischen ein und sechs Monaten, in Kriegszeiten bis zu fünf Jahren. Für Desertion drohen fünf Jahre Haft. Wer als Deserteur das Land verlässt, muss mit Haft zwischen fünf und zehn Jahren rechnen. Wer im Angesicht des Feindes desertiert/zum Feind überläuft, dem droht die Todesstrafe (AA v. 02.01.2017 an VG Düsseldorf).
48 
Zudem ist die Ausreisemöglichkeit von Wehrdienstpflichtigen eingeschränkt. Bereits seit Ausbruch des Krieges verlangen syrische Behörden bei einer Ausreise von Männern im Alter zwischen 18 und 42 Jahren eine Bewilligung der Armee. Seit Oktober 2014 besteht darüber hinaus für zwischen 1985 und 1991 geborene Männern ein generelles Ausreiseverbot (SFH v. 23.03.2017).
49 
Seit Herbst 2014 hat das syrische Regime die Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten und die Suche nach Wehrdienstentziehern und Deserteuren intensiviert und dieses Vorgehen seit Januar 2016 nochmals gesteigert. Es erfolgen örtliche Generalmobilmachungen und intensive Razzien im öffentlichen und privaten Bereich. An den Checkpoints der syrischen Armee gibt es Listen mit Namen von einzuziehenden Reservisten/erstmals wehrdienstpflichtiger junger Männer, die bei Aufgreifen verhaftet werden (SFH v. 23.03.2017).
50 
(a) Die im Ausland aufhältigen männlichen syrischen Staatsangehörigen, die - wie eigenen Angaben zufolge auch der Kläger - ohne Genehmigung der Militärbehörden Syrien verlassen haben, laufen Gefahr, bei Rückkehr nach Syrien wegen Wehrdienstentziehung bestraft und/oder der Armee zugeführt zu werden; denn bei Einreise dieser wehrpflichtigen syrischen Staatsangehörigen über staatlich kontrollierte Flughäfen - in Betracht kommt in erster Linie Damaskus - wird über Datenbanken und Kontrolllisten abgeglichen, ob der Betreffende der Wehrüberwachung unterliegt (AA v. 02.01.2017 an VG Düsseldorf).
51 
(aa) Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die zu erwartende Maßnahme des syrischen Regimes die Intensität einer Verfolgungshandlung erreicht.
52 
Die den wehrpflichtigen syrischen Staatsangehörigen bei hypothetischer Rückkehr bevorstehende Heranziehung zum Wehrdienst ist Ausfluss einer allgemeinen staatsbürgerlichen Pflicht, die grundsätzlich auch totalitäre Staaten von ihren Staatsbürgern einfordern können (vgl. OVG Münster, Urt. v. 04.05.2017 - 14 A 2023/16 - in juris Rn. 49, OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - in juris Rn. 140). Auch der Umstand, dass sog. Zwangsrekrutierungen erfolgen (SFH v. 23.03.2017), ist in einer kriegerischen Auseinandersetzung, in der der Staat auf eine Vielzahl von Soldaten angewiesen ist, als solche keine Verfolgungshandlung, vielmehr in der Staatenpraxis üblich. Dass die Ausbildungszeit oft nur kurz ist (DOI v. 01.02.2017 an VGH Kassel) und die Betreffenden häufig unverzüglich an die Front geschickt werden (UNHCR 4/2017), ist durch militärische Notwendigkeiten bedingt, da die Streitkräfte des syrischen Regimes in weiten Teilen des Landes im Kampfeinsatz sind (DOI v. 01.02.2017 an VGH Kassel) und kann daher einer Verfolgungshandlung nicht gleichgestellt werden.
53 
Sollte es zur Strafverfolgung kommen, stellen die oben genannten Strafrahmen als solche eine von ihrer Höhe nicht zu beanstandende ordnungsrechtliche Sanktion für die Verletzung einer alle Staatsbürger gleichermaßen treffenden Pflicht dar. Zureichende Anhaltspunkte, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit darüberhinausgehende Drangsalierungen bis hin zur Folter beachtlich wahrscheinlich sind, liegen nicht vor. Insoweit fehlen für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Referenzfälle (Verfolgungsschläge). Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass das syrische Regime den bestehenden Konflikt für sich entscheiden will und daher einen erheblichen Bedarf an einsatzbereiten Soldaten hat. Sowohl aus der Stellungnahme des UNHCR 4/2017 als auch aus der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (v. 23.03.2017) ergibt sich übereinstimmend, dass die staatliche syrische Armee seit Ausbruch des Bürgerkrieges 2011 aufgrund der großen Zahl der Flüchtlinge deutlich verringert worden ist. Während sie ursprünglich über 300.000 Militärangehörige verfügt haben soll, sollen es im November 2016 nur noch ca. 50.000 Soldaten (SFH v. 23.03.2017) sein. Der syrische Staat ist mithin dringend darauf angewiesen, diese Lücken zu schließen. Entsprechend versucht die Regierung, mit Amnestien und Erhöhung des Soldes Anreize für den Eintritt in den Militärdienst zu schaffen und rekrutiert auch jenseits der offiziellen Altersgrenzen (SFH v. 23.03.2017). Unter den ins Ausland Geflohenen befindet sich bekanntermaßen eine große Anzahl Wehrpflichtiger. Würde das syrische Regime dem Grunde nach diejenigen, die es vorgezogen haben, sich nicht an Kampfeinsätzen zu beteiligen, einer menschenrechtswidrigen Behandlung bis hin zur Folter aussetzen, würde es sein eigenes Potential nicht unerheblich schmälern (vgl. OVG Saarlouis, Urt. v. 06.06.2017 - 2 A 283/17 - juris -; OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16. - juris -; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.09.2017 - 2 LB 750/17 - juris -).
54 
Eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungshandlung einer menschenrechtswidrigen Behandlung bis hin zur Folter lässt sich auch nicht den Ausführungen des DOI (v. 07.11.2016 an OVG Schleswig, wonach bei Wehrdienstentziehung eine harte Strafe bis hin zu Folter und Tod drohe), der Dt. Botschaft Beirut (v. 03.02.2016, wonach im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst Fälle von Haft oder dauerndem Verschwinden bekannt geworden seien) und der SFH (v. 28.03.2015, wonach es bei ergriffenen Wehrdienstverweigerern in der Haft zu Folter komme) entnehmen. Zum einen fehlen belastbare Angaben (Referenzfälle), um in Anbetracht der hypothetisch großen Rückkehrwelle den Maßstab der Gruppenverfolgung ausfüllen zu können. Zum anderen bleiben die Einschätzungen im Allgemeinen und setzen sich insbesondere nicht mit dem gegenläufigen Interesse des syrischen Regimes an einer Aufstockung seiner Soldaten auseinander. Im Übrigen spricht auch der UNHCR in UNHCR 4/2017 (Seite 23 bei Fußnote 113) lediglich vom „Risiko“ einer menschenrechtswidrigen Behandlung.
55 
(bb) Selbst wenn Verfolgungshandlungen als beachtlich wahrscheinlich angesehen werden, fehlt es an der Anknüpfung an einem Verfolgungsgrund, hier einer an die Wehrdienstentziehung anknüpfenden vermuteten politischen Opposition zum syrischen Regime.
56 
Die syrische Armee rekrutiert grundsätzlich unabhängig von ethnischen oder religiösen Hintergründen (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee v. 28.03.2015). Bei der Einberufung, die auf Grundlage des Kriegsrechts innerhalb weniger Tage erfolgen kann, wird zudem keine Unterscheidung zwischen Anhängern bzw. Unterstützern des Regimes und potentiellen Oppositionellen gemacht (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2014). Dies zeigt sich daran, dass bei Kapitulationsverhandlungen über Gebiete, die von der Opposition besetzt waren, verlangt wird, dass die jungen Männer der Region in die syrische Armee eintreten (SFH v. 23.03.2017).
57 
Zudem ist davon auszugehen, dass die Furcht Wehrpflichtiger vor den Gefahren eines Kriegseinsatzes ein mächtiges unpolitisches Motiv für eine Flucht darstellt, gerade auch in Anbetracht der erbitterten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den zahlreichen beteiligten Mächten/Gruppierungen in Syrien. Dies muss bei lebensnaher Betrachtung aber auch den syrischen Behörden vor Augen stehen (vgl. OVG Münster, Urt. v. 04.05.2017 - 14 A 2023/16 - in juris Rn.61 ff.; OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - in juris Rn. 159; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.09.2017 - 2 LB 750/17 - in juris Rn. 64). Gegen die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Falle einer Wehrdienstentziehung spricht zudem das erhebliche Mobilisierungsinteresse der syrischen Armee, was sich daran zeigt, dass das ursprünglich geltende wehrpflichtige Alter inzwischen erhöht wurde. Unter den fast 5 Millionen Flüchtlingen, die Syrien bis Ende 2015 verlassen haben, befinden sich ersichtlich hunderttausende junger Männer, die noch nicht einberufen worden sind. Hinsichtlich dieses Personenkreises dürfte es dem syrischen Staat vornehmlich darum gehen, die Betroffenen umgehend seiner personell ausgezehrten Armee zuzuführen.
58 
Sollte es entgegen den vorigen Ausführungen dennoch zu erheblichen Misshandlungen bei einer Rückkehr nach Syrien kommen, ließe sich hieraus ein Verfolgungsgrund noch nicht ableiten. Dass Misshandlungen bis hin zur Folter angesichts der seit Jahrzehnten in Syrien herrschenden Brutalität und Willkür nicht bereits für sich auf einen Verfolgungsgrund hindeuten, wurde bereits oben ausgeführt. Die Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System seinem Volk auferlegt, vermögen für sich allein nicht bereits eine politische Verfolgung zu begründen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.05.1983 - 9 C 36.83 - BVerwGE 67, 184; OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - in juris Rn. 152). Bei der gebotenen rationalen/plausiblen Betrachtung spricht Überwiegendes dafür, dass der Maßnahme - ausgehend von dem Ziel, wieder eine umfassende Gebietsherrschaft zu erlangen - die Absicht des syrischen Regimes zugrunde läge, Wehrdienstentziehung im Interesse der Aufrechterhaltung der militärischen Streitmacht umgehend und deutlich zu bekämpfen (vgl. OVG Münster, Urt. v. 04.05.2017 - 14 A 2023/16 - in juris Rnr. 58). Bei der Umsetzung dieser Absicht weisen die Erkenntnisquellen erneut auf ein schon weiter oben beschriebenes willkürlich-wahlloses und damit ohne Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund erfolgendes Verhalten der Sicherheitskräfte/der syrischen Armee hin. So wird berichtet, dass die Bestrafung häufig von der Position und dem Rang des Betreffenden, aber auch dem Bedarf an der Front abhängen (SFH v. 23.03.2017). Weiter wird ausgeführt, dass einige der Verhafteten zwar zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen würden, andere aber lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt würden (SFH v. 28.03.2015). Den Erkenntnismitteln ist weiter zu entnehmen, dass sich die Betroffenen durch Geldzahlungen nach wie vor von ihrer Verpflichtung freikaufen können (SFH v. 23.03.2017) und dass das System der Grenzbeamten kaum einschätzbar und willkürlich ist (SFH v. 21.03.2017).
59 
Die besondere Intensität eventuell drohender Verfolgungshandlungen vermag angesichts des seit jeher stark repressiven Charakters des syrischen Staates die Gerichtetheit der drohenden Maßnahmen auf einen Verfolgungsgrund nicht zu indizieren. Auch der totalitäre Charakter eines Regimes als solcher lässt noch nicht den Rückschluss auf eine automatisch gegen die Überzeugung Andersdenkender gerichtete Motivation bei Maßnahmen zur Durchsetzung staatlicher Ziele, insbesondere zur zwangsweisen Durchsetzung eines Wehrdienstes zu, weil derartige Maßnahmen zu den Belastungen aller Herrschaftsunterworfenen gehören, vor denen das Asylrecht nicht bewahren kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.08.1986 - 9 C 322/85 - DVBl 1987, 47, in juris Rn 15).
60 
Der Kläger kann demnach eine Flüchtlingszuerkennung unter Hinweis auf eine Wehrdienstentziehung nicht begehren.
61 
(b) Der Kläger kann sich auch nicht auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG berufen. Danach kann die „Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen“, eine Verfolgungshandlung sein. § 3 Abs. 2 AsylG wiederum erfasst Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
62 
Nicht ausreichend für die Anwendung dieser Vorschrift ist, dass das „Militär“ als solches Verbrechen im Sinne der Vorschrift begeht. Der um Flüchtlingsschutz Nachsuchende muss vielmehr mit hinreichender Plausibilität darlegen, dass (gerade) seine Militäreinheit Einsätze unter Umständen durchgeführt hat oder durchführen wird, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen und dass er sich bei der Ausübung seiner Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müsste, wobei logistische und sonstige Unterstützertätigkeiten ausreichend wären (vgl. EuGH, Urt. v. 26.02.2015 - C -472/13 - NVwZ 2015, 575). Derartige Umstände hat der Kläger jedoch nicht vorgetragen.
63 
(5) Auch eine umfassende Gesamtwürdigung aller oben aufgezeigten möglicherweise eine Verfolgungsgefahr begründenden Umstände führt jedenfalls nicht zur Flüchtlingszuerkennung; denn auch bei dieser Gesamtabwägung muss nach der Überzeugungsbildung durch das Gericht bei lebensnaher Betrachtung dem syrischen Regime vor Augen stehen, dass der Kläger kein tatsächlicher/vermeintlicher Oppositioneller, sondern lediglich ein vor den Bürgerkriegswirren und dessen Konflikten Geflohener ist. Vor diesem Hintergrund vermag das Gericht auch nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu erkennen, dass eine Bestrafung des Klägers wegen Wehrdienstentziehung angesichts des erheblichen Rekrutierungsinteresses an einen Verfolgungsgrund anknüpft. Da bei (hypothetisch) Zurückkehrenden einschl. Wehrdienstentziehern willkürliche Anwendung von Misshandlungen ggfls. einschl. Folter nicht mit der gebotenen Sicherheit ausgeschlossen werden kann, besteht ein Anspruch auf Schutz nach § 4 AsylG. Dieser ist gewährt worden.
64 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

Gründe

 
10 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten über die Sache verhandeln und entscheiden, da sie ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 102 Abs. 2 VwGO).
11 
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.
12 
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr. 1) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 2a), oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Nr. 2b).
13 
Als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Die Maßnahmen im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen; sie müssen aber in ihrer Gesamtheit eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG entspricht (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67).
14 
Nach § 3a Abs. 2 AsylG können als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG u.a. gelten die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt (Nr. 1), gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden (Nr. 2), unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (Nr. 3), Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung (Nr. 4), Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Nr. 5) und Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind (Nr. 6).
15 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
16 
Der Charakter einer Verfolgungshandlung erfordert, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach § 3a AsylG geschützten Rechtsguts selbst zielt (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67).
17 
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht aller festgestellten Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.11.1991 - 9 C 118/90 - BVerwGE 89, 162 und Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67).
18 
Bei einer Verfolgung, die sich gegen eine Gruppe von Menschen richtet, zielt die Verfolgung auf jeden Angehörigen der Gruppe, so dass in aller Regel jeder Angehörige der Gruppe als vom Verfolgungsgeschehen in seiner Person betroffen anzusehen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.06.1995 - 9 C 294/94 - InfAuslR 1995, 422). Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms - eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.07.1994 - 9 C 158/94 - BVerwGE 96, 200 und Urt. v. 18.07.2006 - 1 C 15/05 - BVerwGE 126, 243). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11/08 - NVwZ 2009, 1237). Die Verfolgungshandlungen müssen im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.04.1996 - 9 C 170/95 - BVerwGE 101, 123; Urt. v. 18.07.2006 - 1 C 15/05 - BVerwGE 126, 243 und Urt. v. 01.02.2007 - 1 C 24/06 - NVwZ 2007, 590). Bei der Frage, ob Verfolgungshandlungen das Kriterium der Verfolgungsdichte erfüllen, muss die gesamte Zahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden; weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen festgestellt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11/08 - NVwZ 2009, 1237). Alle gleich gearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.07.2006 - 1 C 15/05 - BVerwGE 126, 243; Urt. v. 01.02.2007 - 1 C 24/06 - NVwZ 2007, 590 und Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11/08 - NVwZ 2009, 1237). Dabei ist ausreichend, die ungefähre Größenordnung der Verfolgungsschläge zu ermitteln und sie in Beziehung zur Gesamtgruppe der von Verfolgung Betroffenen zu setzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.04.1996 - 9 C 170/95 - BVerwGE 101, 123). Bei unübersichtlicher Tatsachenlage und nur bruchstückhaften Informationen darf auch aus einer Vielzahl vorliegender Einzelinformationen eine zusammenfassende Bewertung des ungefähren Umfangs der asylerheblichen Verfolgungsschläge und der Größe der verfolgten Gruppe vorgenommen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11/08 - NVwZ 2009, 1237). Diese für die Asylanerkennung entwickelten Maßstäbe für die Gruppenverfolgung gelten auch für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11/08 - NVwZ 2009, 1237).
19 
Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU). Zwar bleibt der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden i.S.d. Art. 15 RL 2011/95/EU erlitten hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377). Hat ein Antragsteller indes bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten, für den streitet die widerlegbare tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urt. v. 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u. a., Abdulla-, NVwZ 2010, 505). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5/09 - a.a.O.). Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5/09 - a.a.O.). Maßgebend ist, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.11.2011 - 10 B 32/11 - juris -; VGH Mannheim, Urt. v. 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 - juris -).
20 
Ob ein Verfolgungsgrund zu bejahen ist, ist in einem eigenen Prüfungsschritt zu ermitteln und beurteilt sich nach den Vorgaben des § 3b AsylG. Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
21 
Nach § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
22 
Es ist Sache des Antragstellers, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Hierzu gehört, dass der Antragsteller zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.03.1983 - 9 C 68/81 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 44; Urt. v. 24.03.1987 - 9 C 321/85 - NVwZ 1987, 701 und Beschl. v. 19.03.1991 - 9 B 56/91 - NVwZ-RR 1991). Ein im Laufe des Verfahrens sich widersprechendes oder sich steigerndes Vorbringen spricht gegen die Glaubhaftigkeit des Vortrags des Antragstellers; ändert der Antragsteller in einem späteren Vortrag sein früheres Vorbringen, so muss er überzeugende Gründe darlegen, weshalb sein früheres Vorbringen falsch gewesen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.11.1985 - 9 C 26/85 - juris -; Urt. v. 23.02.1988 - 9 C 32/87 - DVBl 1988, 653 und Beschl. v. 21.07.1989 - 9 B 239/89 - NVwZ 1990, 171; BVerfG, Beschl. v. 29.11.1990 - 2 BvR 1095/90 - InfAuslR 1991, 94; Berlit/Dörig/Storey, Glaubhaftigkeitsprüfung bei Asylklagen aufgrund religiöser Konversion oder Homosexualität, ZAR 2016, 281 ff.).
23 
Die Gefahr einer Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG kann schließlich nur festgestellt werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit - und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit - des von dem Antragsteller behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.04.1985 - 9 C 109/84 - BVerwGE 71, 180 und Urt. v. 12.11.1985 - 9 C 26/85 - InfAuslR 1986, 79).
24 
In Anwendung dieser rechtlichen Vorgaben ist dem Kläger nicht aus individuellen Verfolgungsgründen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Denn er war zum Zeitpunkt seiner Ausreise keiner anlassgeprägten Einzelverfolgung ausgesetzt, weshalb ihm die Privilegierung aus Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nicht zu Gute kommt.
25 
Der Kläger hat sein Heimatland wegen der allgemein schwierigen, bürgerkriegsbedingten Situation verlassen und wegen der Befürchtung, zum Wehrdienst eingezogen zu werden. Diese Befürchtung hatte sich bis zur Ausreise jedoch nicht konkretisiert. Sonstige individuelle Vorverfolgungsgründe sind nicht vorgetragen. Der Kläger schildert damit eine Gefahrenlage, der die Bevölkerung in Syrien allgemein ausgesetzt ist und die gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG die Zuerkennung des subsidiären Schutzstaates rechtfertigt.
26 
Auch aus den Ereignissen, die nach Verlassen Syriens eingetreten sind, folgt keine begründete Furcht vor Verfolgung.
27 
(1) Es gibt keine hinreichenden Erkenntnisse dazu, dass der syrische Staat einem rückkehrenden Asylbewerber wegen seines Asylantrags und Auslandsaufenthaltes oder auch wegen illegalen Verlassens des Landes eine gegnerische politische Überzeugung zuschreibt (ebenso OVG Schleswig, Urt. v. 23.11.2016 - 3 LB 17/16 - juris -; VGH München, Urt. v. 12.12.2016 - 21 B 16.30371 - juris -; OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16.OVG. - juris -; OVG Saarlouis, Urt. v. 18.05.2017 - 2 A 176/17 - juris -; OVG Münster, Urt. v. 21.02.2017 - 14 A 2316/16.A - juris -; VGH Mannheim, Urt. v. 09.08.2017 - A 11 S 710/17 - juris -; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.09.2017 - 2 LB 750/17 - juris -; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 22.11.2017 - 3 B 12.17 - juris -).
28 
Unstreitig sind Rückkehrer am Flughafen von Damaskus intensiven Kontrollen ausgesetzt. Zweifelhaft ist, ob bei Rückkehr nach Syrien eine Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a AsylG in Form einer Befragung mit der konkreten Gefahr einer Verhaftung und/oder einer schwerwiegenden Misshandlung bis hin zur Folter und willkürlichen Tötung beachtlich wahrscheinlich droht (verneinend OVG Münster, Urt. v. 21.02.2017 - 14 A 2316/16 - juris -). Dies kann vorliegend aber offen bleiben. Denn vor derartigen Maßnahmen genießt der Kläger bereits Schutz nach § 4 AsylG.
29 
Selbst wenn man die beachtliche Wahrscheinlichkeit von Handlungen i.S.d. § 3a AsylG bei Rückkehr bejahte, fehlt es für die Annahme politischer Verfolgung an der nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 3b AsylG.
30 
Das Gericht kann nach Auswertung der Erkenntnismittel keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür erkennen, dass der syrische Staat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Rückkehrer wegen ihrer illegalen Ausreise und/oder der Asylantragstellung und/oder dem längeren Aufenthalt im westlichen Ausland eine abweichende politische Gesinnung zuschreiben wird. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass bis Ende 2015 von den rund 22 Millionen zuvor in Syrien lebenden Menschen bereits rund 4,9 Millionen, mithin knapp ein Viertel der gesamten Bevölkerung, aus dem Land geflohen sind (vgl. OVG Saarlouis, Urt. v. 02.02.2017 - 2 A 515/16 - in juris Rn. 23). Angesichts dessen muss auch dem syrischen Staat gegenwärtig sein, dass die ganz überwiegende Mehrzahl der aus Syrien geflohenen syrischen Staatsangehörigen das Land aufgrund der unmittelbaren bzw. mittelbaren Folgen des Bürgerkrieges verlassen hat und nicht wegen einer drohenden Gefahr politischer Verfolgung.
31 
Zwar behauptet der UNHCR in seinem Länderleitfaden für Syrien vom Februar 2017 (UNHCR 4/2017), sein Bericht belege eine politische Verfolgung durch staatliche Kräfte bei Rückkehr nach Syrien (vgl. Seite 30 unter 5. mit Fußn. 146). Belastbare Erkenntnisse, dass die syrischen Sicherheitsbehörden dem Grunde nach den syrischen Rückkehrern eine oppositionelle Haltung zuschreiben, sind dem Bericht jedoch nicht zu entnehmen. Zum einen beruhen die vom UNHCR 4/2017 wiedergegebenen Einschätzungen nur auf Berichten/ Wertungen einzelner Personen und dabei wiederum vor allem auf „Hörensagen“, nicht aber auf zurechenbaren Äußerungen von Personen, die aus eigener Erfahrung Mitteilung über verschiedene Einzelfälle machen können; Referenzfälle liegen somit nicht vor. So wird - unter Hinweis auf das Immigration and Refugee Board of Canada (IRB Canada v. 19.01.2016) - eine emeritierte Professorin für Anthropologie und erzwungener Migration an der Oxford Universität, vormals Leiterin des Refugee Studies Centre in Oxford erwähnt, die ihre Einschätzung wiedergibt, aber keine konkreten Fälle benennt. Auch der Executive Direktor des Syria Justice and Accountability Center benennt keine konkreten, nachprüfbaren Einzelfälle, sondern teilt seine Bewertung der Lage mit, wobei er einerseits darauf hinweist, ein rückkehrender Asylantragsteller gelte als regierungsfeindlich, was als Zuschreibung eines Verfolgungsgrundes zu bewerten wäre, andererseits aber auch ausführt, Rückkehrer würden gefoltert, weil der Staat über andere Asylbewerber/Oppositionelle Informationen gewinnen wolle - was auf ein lediglich wahllos routiniertes Zugreifen mit dem Ziel, möglicherweise verwertbaren Informationen über regimegegnerische Bestrebungen überhaupt erst zu erlangen („fischen“) weist und als solches keine auf einen Verfolgungsgrund „gerichtete“ Maßnahme darstellen würde. Die dritte genannte Quelle, ein Gastwissenschaftler des Kings College London, der Spezialist für Syrien sei und Sachverständigenaussagen in Asylverfahren von Syrern in Großbritannien gemacht haben soll, trägt die Folgerung des UNHCR schon deswegen nicht, weil diese Quelle lediglich erklärt hat, ein rückkehrender Asylbewerber könne festgenommen werden, dies geschehe aber nicht automatisch; einige Regierungsmitarbeiter betrachteten Rückkehrer als Regierungskritiker, andere Regierungsmitarbeiter würden dagegen anerkennen, dass es auch andere Gründe gebe, das Land zu verlassen (vgl. Fußnote 146). Bei dem vom IRB Canada (v. 19.01.2016) unter Nr. 3 geschilderten Fall eines aus Australien rückkehrenden Asylbewerbers handelt es sich um eine Sondersituation, weil dieser wegen des mitgeführten Geldes in den Verdacht eines Revolutionsfinanciers gekommen war (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16.OVG - in juris Rn. 91)
32 
Der Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH v. 21.03.2017, Syrien: Rückkehr) sind ebenfalls keine konkreten individualisierbaren Einzelfälle zur Behandlung von Rückkehrern zu entnehmen. Sie verweist vielmehr ihrerseits u.a. auf das IRB Canada (v. 19.01.2016).
33 
Ein erhebliches Indiz dafür, dass Rückkehrer vom syrischen Staat nicht ohne weiteres als Regimegegner eingeschätzt werden, ergibt sich für das Gericht aus der genannten Stellungnahme des IRB Canada unter Nr. 1 „Overwiew“, wonach Hunderttausende Flüchtlinge aus den Anrainerstaaten jedes Jahr nach Syrien einreisen, um dort persönliche Angelegenheiten zu regeln, meistens um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in die benachbarten Länder zurückkehren. Eine solche umfangreiche Reisetätigkeit zeigt, dass die in die benachbarten Ländern Geflohenen trotz des (extrem) repressiven Charakters des syrischen Staates davon ausgehen, im Rahmen der Grenzübergänge zu Syrien keiner gravierenden Gefährdung ausgesetzt zu sein (vgl. OVG Münster, Urt. 21.02.2017 - 14 A 2316/16.A - in juris Rn. 53, VGH München, Urt. v. 12.12.2016 - 21 B 16.30371 - in juris Rn. 78; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.09.2017 - 2 LB 750/17 - in juris Rn. 48).
34 
Den Verfassungsschutzberichten (vgl. Zitate bei OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - in juris Rn. 121) lässt sich eine systematische Beobachtung aller mittlerweile im Bundesgebiet lebenden Syrer ebenfalls nicht entnehmen. Ihre Beobachtung gilt in erster Linie oppositionellen Tätigkeiten. Eine umfassende Beobachtung wäre angesichts der großen Zahl hier aufhältiger Personen aus Syrien schon faktisch ausgeschlossen (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - a.a.O.).
35 
Sollten Rückkehrer unter Drangsalierungen bis hin zur Folter befragt werden, so würde es sich um ein willkürliches, von keiner irgendwie gearteten Gerichtetheit bestimmtes Verhalten der in rechtsfreien Räumen agierenden verschiedenen Sicherheitskräfte handeln, möglicherweise auch um ein wahllos-routiniertes Fischen nach Informationen, wodurch Hinweise auf einen konkreten Verdacht überhaupt erst gewonnen werden sollen, aufgrund derer sodann eine Zuschreibung von Verfolgungsgründen erfolgen könnte (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - A 10922/16 - in juris Rn. 121; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.09.2017 - 2 LB 750/17 - in juris Rn. 52; OVG Saarlouis, Urt. v. 11.03.2017 - 2 A 215/17 - juris). Auch das Auswärtige Amt (Ad-hoc-Bericht v. 17.02.2012) hat auf willkürliche Verhaftungen und darauf hingewiesen, dass die Sicherheitskräfte im Zuge der Bekämpfung der Opposition von dem syrischen Regime eine „carte blanche“ erhalten hätten, jeder agiere für sich im rechtsfreien Raum.
36 
Dieses willkürlich-wahllose Verhalten bei etwaigen Rückkehrer-Befragungen wird auch durch den UNHCR-Bericht 4/2017 selbst deutlich. So heißt es dort, dass Personen „ohne bestimmten Grund entsprechend der weit verbreiteten Willkür und des Machtmissbrauchs durch Sicherheitsbeamte inhaftiert und misshandelt“ werden (Seite 6), das System sei „äußerst unvorhersehbar“, es seien „alle Personen“ einem Misshandlungsrisiko durch Grenzbehörden ausgesetzt (Fußnote 32).
37 
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH v. 21.03.2017, Syrien: Rückkehr) spricht in ihrer Stellungnahme ebenfalls von „Willkür“ (vgl. Überschrift Punkt 5.2) und weist unter Bezugnahme auf ai (Between Prison and the Grave, v. 05.11.2015) auf den verbreiteten Opportunismus der syrischen Sicherheitsbeamten hin, die entweder aus Profitgier oder aus persönlicher Rache Menschen verhaften und verschwinden lassen. Der Verweis auf die Möglichkeit, sich mit Hilfe von Bestechung zu arrangieren (nach UNHCR-Bericht 4/2017 Fußnote 9 steht Syrien im Korruptionswahrnehmungsindex an 173. Stelle von 176 untersuchten Ländern), bestätigt die Annahme rein willkürlichen/wahllosen Verhaltens.
38 
Erfolgen etwaige Übergriffe aber unterschiedslos, so geschehen sie letztlich wahllos, mithin ohne Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.04.2017 - 1 B 63.17 - juris -, OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris -, OVG Saarlouis, Urt. v. 11.03.2017 - 2 A 215/17 - juris -).
39 
(2) Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung aus einem der Gründe des § 3 AsylG ergibt sich auch nicht aus der sunnitischen Religionszugehörigkeit.
40 
Zwar geht der UNHCR (UNHCR 4/2017, Fußnote 26) davon aus, dass bei Sunniten ein höheres Misshandlungsrisiko bestehe. Zureichende konkrete Fälle sind auch insoweit nicht benannt. Da mehr als drei Viertel der syrischen Bevölkerung sunnitischen Glaubens ist, liegt es fern, dass die sunnitische Religionszugehörigkeit bei der Rückkehr nach Syrien relevante Bedeutung haben könnte (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 09.08.2017 - A 11 S 710/17 - juris -).
41 
(3) Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung aus einem der Gründe des § 3 AsylG ergibt sich weiter nicht aus der - nach eigenen Angaben - Herkunft aus der Provinz Hasaka.
42 
Zwar führt der UNHCR (UNHCR 4/2017) im Rahmen der von ihm genannten, aus seiner Sicht Flüchtlingsschutz begründenden Risikoprofile auch die Herkunft aus regierungsfeindlichen Gebieten auf („Personen mit Wohnort oder Herkunftsort in Gebieten, die sich derzeit oder vormals unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen befinden bzw. befanden“, Seite 15.). Zum einen aber spricht die Lebenserfahrung dafür, dass diejenigen, die vor den Auseinandersetzungen in ihrer Region in das Ausland geflohen sind, sich also dem Konflikt gerade entzogen haben, auch aus Sicht des syrischen Regimes nicht als Bedrohung aufgefasst werden (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - in juris Rn. 160 ff.). Zum andern gibt es keine verlässlichen und belastbaren Informationen, dass syrischen Staatsangehörigen bei der Einreise gerade wegen ihrer Herkunft eine flüchtlingsrelevante Verfolgung drohen könnte, weil man ihnen pauschal eine Gegnerschaft zum syrischen Regime unterstellen würde (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 09.08.2017 - A 11 S 710/17 - juris -).
43 
(4) Eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgung droht auch nicht unter dem Aspekt der Wehrdienstentziehung.
44 
Die an eine Wehrdienstentziehung geknüpften Sanktionen, selbst wenn sie von totalitären Staaten ausgehen, stellen nur dann eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung dar, wenn sie nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dienen, sondern darüber hinaus den Betroffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen sollen (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.12.1988 - 9 C 22/88 - BVerwGE 81, 41; Urt. v. 25.06.1991 - 9 C 131/90 - NVwZ 1992, 274 und Beschl. v. 02.06.2017 - 1 B 108/17 - juris -).
45 
Dabei ist davon auszugehen, dass die sich im Ausland befindlichen männlichen syrischen Staatsangehörigen im rekrutierungsfähigen Alter, die ohne Genehmigung der Militärbehörden Syrien verlassen haben, eine Personengruppe darstellen, die von Gruppenverfolgung erfasst sein kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.06.1995 - 9 C 294/94 - InfAuslR 1995, 422).
46 
In Syrien besteht grundsätzlich für alle syrischen Männer Militärdienstpflicht. Die Registrierung erfolgt im Alter von 18 Jahren. Es werden zwischenzeitlich aber auch jüngere eingezogen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, vom 23. März 2017). Die Wehrpflicht dauerte in der Vergangenheit bis zum Alter von 42 Jahren. Auch diese Altersgrenze wird mittlerweile überschritten (SFH vom 23.03.2017). Gediente Wehrpflichtige müssen nach Beendigung des Wehrdienstes als Reservisten mit ihrer Einberufung rechnen (Auswärtiges Amt, Auskunft v. 02.01.2017 an VG Düsseldorf). Es besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten (SFH vom 23.03.2017).
47 
Jegliche Arten einer Wehrdienstentziehung stehen unter Strafandrohung. Entziehung durch Verlassen des Wohnortes ohne Angabe der Adresse führt zur Geldbuße oder drei Monaten bis zwei Jahren Haft (SFH vom 23.03.2017). Bei Wehrdienstentziehung in Friedenszeiten droht Haft zwischen ein und sechs Monaten, in Kriegszeiten bis zu fünf Jahren. Für Desertion drohen fünf Jahre Haft. Wer als Deserteur das Land verlässt, muss mit Haft zwischen fünf und zehn Jahren rechnen. Wer im Angesicht des Feindes desertiert/zum Feind überläuft, dem droht die Todesstrafe (AA v. 02.01.2017 an VG Düsseldorf).
48 
Zudem ist die Ausreisemöglichkeit von Wehrdienstpflichtigen eingeschränkt. Bereits seit Ausbruch des Krieges verlangen syrische Behörden bei einer Ausreise von Männern im Alter zwischen 18 und 42 Jahren eine Bewilligung der Armee. Seit Oktober 2014 besteht darüber hinaus für zwischen 1985 und 1991 geborene Männern ein generelles Ausreiseverbot (SFH v. 23.03.2017).
49 
Seit Herbst 2014 hat das syrische Regime die Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten und die Suche nach Wehrdienstentziehern und Deserteuren intensiviert und dieses Vorgehen seit Januar 2016 nochmals gesteigert. Es erfolgen örtliche Generalmobilmachungen und intensive Razzien im öffentlichen und privaten Bereich. An den Checkpoints der syrischen Armee gibt es Listen mit Namen von einzuziehenden Reservisten/erstmals wehrdienstpflichtiger junger Männer, die bei Aufgreifen verhaftet werden (SFH v. 23.03.2017).
50 
(a) Die im Ausland aufhältigen männlichen syrischen Staatsangehörigen, die - wie eigenen Angaben zufolge auch der Kläger - ohne Genehmigung der Militärbehörden Syrien verlassen haben, laufen Gefahr, bei Rückkehr nach Syrien wegen Wehrdienstentziehung bestraft und/oder der Armee zugeführt zu werden; denn bei Einreise dieser wehrpflichtigen syrischen Staatsangehörigen über staatlich kontrollierte Flughäfen - in Betracht kommt in erster Linie Damaskus - wird über Datenbanken und Kontrolllisten abgeglichen, ob der Betreffende der Wehrüberwachung unterliegt (AA v. 02.01.2017 an VG Düsseldorf).
51 
(aa) Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die zu erwartende Maßnahme des syrischen Regimes die Intensität einer Verfolgungshandlung erreicht.
52 
Die den wehrpflichtigen syrischen Staatsangehörigen bei hypothetischer Rückkehr bevorstehende Heranziehung zum Wehrdienst ist Ausfluss einer allgemeinen staatsbürgerlichen Pflicht, die grundsätzlich auch totalitäre Staaten von ihren Staatsbürgern einfordern können (vgl. OVG Münster, Urt. v. 04.05.2017 - 14 A 2023/16 - in juris Rn. 49, OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - in juris Rn. 140). Auch der Umstand, dass sog. Zwangsrekrutierungen erfolgen (SFH v. 23.03.2017), ist in einer kriegerischen Auseinandersetzung, in der der Staat auf eine Vielzahl von Soldaten angewiesen ist, als solche keine Verfolgungshandlung, vielmehr in der Staatenpraxis üblich. Dass die Ausbildungszeit oft nur kurz ist (DOI v. 01.02.2017 an VGH Kassel) und die Betreffenden häufig unverzüglich an die Front geschickt werden (UNHCR 4/2017), ist durch militärische Notwendigkeiten bedingt, da die Streitkräfte des syrischen Regimes in weiten Teilen des Landes im Kampfeinsatz sind (DOI v. 01.02.2017 an VGH Kassel) und kann daher einer Verfolgungshandlung nicht gleichgestellt werden.
53 
Sollte es zur Strafverfolgung kommen, stellen die oben genannten Strafrahmen als solche eine von ihrer Höhe nicht zu beanstandende ordnungsrechtliche Sanktion für die Verletzung einer alle Staatsbürger gleichermaßen treffenden Pflicht dar. Zureichende Anhaltspunkte, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit darüberhinausgehende Drangsalierungen bis hin zur Folter beachtlich wahrscheinlich sind, liegen nicht vor. Insoweit fehlen für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Referenzfälle (Verfolgungsschläge). Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass das syrische Regime den bestehenden Konflikt für sich entscheiden will und daher einen erheblichen Bedarf an einsatzbereiten Soldaten hat. Sowohl aus der Stellungnahme des UNHCR 4/2017 als auch aus der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (v. 23.03.2017) ergibt sich übereinstimmend, dass die staatliche syrische Armee seit Ausbruch des Bürgerkrieges 2011 aufgrund der großen Zahl der Flüchtlinge deutlich verringert worden ist. Während sie ursprünglich über 300.000 Militärangehörige verfügt haben soll, sollen es im November 2016 nur noch ca. 50.000 Soldaten (SFH v. 23.03.2017) sein. Der syrische Staat ist mithin dringend darauf angewiesen, diese Lücken zu schließen. Entsprechend versucht die Regierung, mit Amnestien und Erhöhung des Soldes Anreize für den Eintritt in den Militärdienst zu schaffen und rekrutiert auch jenseits der offiziellen Altersgrenzen (SFH v. 23.03.2017). Unter den ins Ausland Geflohenen befindet sich bekanntermaßen eine große Anzahl Wehrpflichtiger. Würde das syrische Regime dem Grunde nach diejenigen, die es vorgezogen haben, sich nicht an Kampfeinsätzen zu beteiligen, einer menschenrechtswidrigen Behandlung bis hin zur Folter aussetzen, würde es sein eigenes Potential nicht unerheblich schmälern (vgl. OVG Saarlouis, Urt. v. 06.06.2017 - 2 A 283/17 - juris -; OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16. - juris -; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.09.2017 - 2 LB 750/17 - juris -).
54 
Eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungshandlung einer menschenrechtswidrigen Behandlung bis hin zur Folter lässt sich auch nicht den Ausführungen des DOI (v. 07.11.2016 an OVG Schleswig, wonach bei Wehrdienstentziehung eine harte Strafe bis hin zu Folter und Tod drohe), der Dt. Botschaft Beirut (v. 03.02.2016, wonach im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst Fälle von Haft oder dauerndem Verschwinden bekannt geworden seien) und der SFH (v. 28.03.2015, wonach es bei ergriffenen Wehrdienstverweigerern in der Haft zu Folter komme) entnehmen. Zum einen fehlen belastbare Angaben (Referenzfälle), um in Anbetracht der hypothetisch großen Rückkehrwelle den Maßstab der Gruppenverfolgung ausfüllen zu können. Zum anderen bleiben die Einschätzungen im Allgemeinen und setzen sich insbesondere nicht mit dem gegenläufigen Interesse des syrischen Regimes an einer Aufstockung seiner Soldaten auseinander. Im Übrigen spricht auch der UNHCR in UNHCR 4/2017 (Seite 23 bei Fußnote 113) lediglich vom „Risiko“ einer menschenrechtswidrigen Behandlung.
55 
(bb) Selbst wenn Verfolgungshandlungen als beachtlich wahrscheinlich angesehen werden, fehlt es an der Anknüpfung an einem Verfolgungsgrund, hier einer an die Wehrdienstentziehung anknüpfenden vermuteten politischen Opposition zum syrischen Regime.
56 
Die syrische Armee rekrutiert grundsätzlich unabhängig von ethnischen oder religiösen Hintergründen (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee v. 28.03.2015). Bei der Einberufung, die auf Grundlage des Kriegsrechts innerhalb weniger Tage erfolgen kann, wird zudem keine Unterscheidung zwischen Anhängern bzw. Unterstützern des Regimes und potentiellen Oppositionellen gemacht (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee vom 30.07.2014). Dies zeigt sich daran, dass bei Kapitulationsverhandlungen über Gebiete, die von der Opposition besetzt waren, verlangt wird, dass die jungen Männer der Region in die syrische Armee eintreten (SFH v. 23.03.2017).
57 
Zudem ist davon auszugehen, dass die Furcht Wehrpflichtiger vor den Gefahren eines Kriegseinsatzes ein mächtiges unpolitisches Motiv für eine Flucht darstellt, gerade auch in Anbetracht der erbitterten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den zahlreichen beteiligten Mächten/Gruppierungen in Syrien. Dies muss bei lebensnaher Betrachtung aber auch den syrischen Behörden vor Augen stehen (vgl. OVG Münster, Urt. v. 04.05.2017 - 14 A 2023/16 - in juris Rn.61 ff.; OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - in juris Rn. 159; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.09.2017 - 2 LB 750/17 - in juris Rn. 64). Gegen die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Falle einer Wehrdienstentziehung spricht zudem das erhebliche Mobilisierungsinteresse der syrischen Armee, was sich daran zeigt, dass das ursprünglich geltende wehrpflichtige Alter inzwischen erhöht wurde. Unter den fast 5 Millionen Flüchtlingen, die Syrien bis Ende 2015 verlassen haben, befinden sich ersichtlich hunderttausende junger Männer, die noch nicht einberufen worden sind. Hinsichtlich dieses Personenkreises dürfte es dem syrischen Staat vornehmlich darum gehen, die Betroffenen umgehend seiner personell ausgezehrten Armee zuzuführen.
58 
Sollte es entgegen den vorigen Ausführungen dennoch zu erheblichen Misshandlungen bei einer Rückkehr nach Syrien kommen, ließe sich hieraus ein Verfolgungsgrund noch nicht ableiten. Dass Misshandlungen bis hin zur Folter angesichts der seit Jahrzehnten in Syrien herrschenden Brutalität und Willkür nicht bereits für sich auf einen Verfolgungsgrund hindeuten, wurde bereits oben ausgeführt. Die Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System seinem Volk auferlegt, vermögen für sich allein nicht bereits eine politische Verfolgung zu begründen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.05.1983 - 9 C 36.83 - BVerwGE 67, 184; OVG Koblenz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - in juris Rn. 152). Bei der gebotenen rationalen/plausiblen Betrachtung spricht Überwiegendes dafür, dass der Maßnahme - ausgehend von dem Ziel, wieder eine umfassende Gebietsherrschaft zu erlangen - die Absicht des syrischen Regimes zugrunde läge, Wehrdienstentziehung im Interesse der Aufrechterhaltung der militärischen Streitmacht umgehend und deutlich zu bekämpfen (vgl. OVG Münster, Urt. v. 04.05.2017 - 14 A 2023/16 - in juris Rnr. 58). Bei der Umsetzung dieser Absicht weisen die Erkenntnisquellen erneut auf ein schon weiter oben beschriebenes willkürlich-wahlloses und damit ohne Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund erfolgendes Verhalten der Sicherheitskräfte/der syrischen Armee hin. So wird berichtet, dass die Bestrafung häufig von der Position und dem Rang des Betreffenden, aber auch dem Bedarf an der Front abhängen (SFH v. 23.03.2017). Weiter wird ausgeführt, dass einige der Verhafteten zwar zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen würden, andere aber lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt würden (SFH v. 28.03.2015). Den Erkenntnismitteln ist weiter zu entnehmen, dass sich die Betroffenen durch Geldzahlungen nach wie vor von ihrer Verpflichtung freikaufen können (SFH v. 23.03.2017) und dass das System der Grenzbeamten kaum einschätzbar und willkürlich ist (SFH v. 21.03.2017).
59 
Die besondere Intensität eventuell drohender Verfolgungshandlungen vermag angesichts des seit jeher stark repressiven Charakters des syrischen Staates die Gerichtetheit der drohenden Maßnahmen auf einen Verfolgungsgrund nicht zu indizieren. Auch der totalitäre Charakter eines Regimes als solcher lässt noch nicht den Rückschluss auf eine automatisch gegen die Überzeugung Andersdenkender gerichtete Motivation bei Maßnahmen zur Durchsetzung staatlicher Ziele, insbesondere zur zwangsweisen Durchsetzung eines Wehrdienstes zu, weil derartige Maßnahmen zu den Belastungen aller Herrschaftsunterworfenen gehören, vor denen das Asylrecht nicht bewahren kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.08.1986 - 9 C 322/85 - DVBl 1987, 47, in juris Rn 15).
60 
Der Kläger kann demnach eine Flüchtlingszuerkennung unter Hinweis auf eine Wehrdienstentziehung nicht begehren.
61 
(b) Der Kläger kann sich auch nicht auf § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG berufen. Danach kann die „Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen“, eine Verfolgungshandlung sein. § 3 Abs. 2 AsylG wiederum erfasst Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
62 
Nicht ausreichend für die Anwendung dieser Vorschrift ist, dass das „Militär“ als solches Verbrechen im Sinne der Vorschrift begeht. Der um Flüchtlingsschutz Nachsuchende muss vielmehr mit hinreichender Plausibilität darlegen, dass (gerade) seine Militäreinheit Einsätze unter Umständen durchgeführt hat oder durchführen wird, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen und dass er sich bei der Ausübung seiner Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müsste, wobei logistische und sonstige Unterstützertätigkeiten ausreichend wären (vgl. EuGH, Urt. v. 26.02.2015 - C -472/13 - NVwZ 2015, 575). Derartige Umstände hat der Kläger jedoch nicht vorgetragen.
63 
(5) Auch eine umfassende Gesamtwürdigung aller oben aufgezeigten möglicherweise eine Verfolgungsgefahr begründenden Umstände führt jedenfalls nicht zur Flüchtlingszuerkennung; denn auch bei dieser Gesamtabwägung muss nach der Überzeugungsbildung durch das Gericht bei lebensnaher Betrachtung dem syrischen Regime vor Augen stehen, dass der Kläger kein tatsächlicher/vermeintlicher Oppositioneller, sondern lediglich ein vor den Bürgerkriegswirren und dessen Konflikten Geflohener ist. Vor diesem Hintergrund vermag das Gericht auch nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu erkennen, dass eine Bestrafung des Klägers wegen Wehrdienstentziehung angesichts des erheblichen Rekrutierungsinteresses an einen Verfolgungsgrund anknüpft. Da bei (hypothetisch) Zurückkehrenden einschl. Wehrdienstentziehern willkürliche Anwendung von Misshandlungen ggfls. einschl. Folter nicht mit der gebotenen Sicherheit ausgeschlossen werden kann, besteht ein Anspruch auf Schutz nach § 4 AsylG. Dieser ist gewährt worden.
64 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 02. März 2018 - A 11 K 8875/16

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 02. März 2018 - A 11 K 8875/16

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 02. März 2018 - A 11 K 8875/16 zitiert 9 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 4 Subsidiärer Schutz


(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: 1. die Verhängung oder Vollstreckung der To

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 102


(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende di

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3a Verfolgungshandlungen


(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3b Verfolgungsgründe


(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen: 1. der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;2. der Begrif

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3c Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann


Die Verfolgung kann ausgehen von 1. dem Staat,2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließl

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3d Akteure, die Schutz bieten können


(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden 1. vom Staat oder2. von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,sofern sie willens und in d

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 02. März 2018 - A 11 K 8875/16 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 02. März 2018 - A 11 K 8875/16 zitiert 6 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 12. Dez. 2016 - 21 B 16.30371

bei uns veröffentlicht am 12.12.2016

Tenor I. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Juli 2016 wird aufgehoben, soweit der Klage stattgegeben wurde. Die Klage wird insgesamt abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in be

Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 16. Dez. 2016 - 1 A 10922/16

bei uns veröffentlicht am 16.12.2016

weitere Fundstellen ... Diese Entscheidung wird zitiert Tenor Unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 16. Juni 2016 wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Kläger; Gericht

Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 23. Nov. 2016 - 3 LB 17/16

bei uns veröffentlicht am 23.11.2016

Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 04. August 2016 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Ger

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 27. Aug. 2014 - A 11 S 1128/14

bei uns veröffentlicht am 27.08.2014

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. April 2014 - A 12 K 2210/13 - wird zurückgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.Die Revision wird nicht zugelassen.

Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 23. Nov. 2011 - 10 B 32/11

bei uns veröffentlicht am 23.11.2011

Gründe 1 Die auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat Erfolg. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 27. Apr. 2010 - 10 C 5/09

bei uns veröffentlicht am 27.04.2010

Tatbestand 1 Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.

Referenzen

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.

2

Der 1972 geborene Kläger wurde im November 2004 in M. aufgegriffen und beantragte daraufhin Asyl. Zur Begründung gab der Kläger an, er habe sich am bewaffneten Kampf der PKK beteiligt. Im Juni 1991 sei er festgenommen und einen Monat lang von türkischen Sicherheitskräften unter Folter verhört worden. Nach seiner Verurteilung zu zwölfeinhalb Jahren Haft sei er bis Dezember 2000 weiter im Gefängnis gewesen und dann vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Anschließend habe er sich erneut der PKK angeschlossen. Später habe er an deren politischer Linie gezweifelt und sich im Juli 2004 von der PKK getrennt. In der Türkei sei sein Leben trotz des Reuegesetzes gefährdet gewesen, da er keinen Wehrdienst abgeleistet und deswegen gesucht worden sei. Zudem hätten die Sicherheitskräfte erfahren, dass er sich nach seiner Entlassung aus der Haft wieder der PKK angeschlossen habe.

3

Der Kläger hat dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) unter anderem die Kopie eines Urteils des Staatssicherheitsgerichts D. vom 24. Januar 1992 übergeben, wonach er u.a. wegen "Mitgliedschaft in der illegalen Organisation PKK" gemäß § 168/2 tStGB zu einer Haftstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist. Das Auswärtige Amt bestätigte die Echtheit der Urkunden und teilte mit, dass nach dem Kläger in der Türkei wegen Mitgliedschaft in der PKK gefahndet werde. Sein Bruder habe ausgesagt, dass der Kläger sich nach der Entlassung aus der Strafhaft wieder der PKK angeschlossen habe. Außerdem sei bekannt, dass er sich in einem Ausbildungscamp im Iran aufgehalten habe. Würde er wegen Mitgliedschaft in der PKK zu einer Haftstrafe verurteilt, würde zusätzlich die auf Bewährung ausgesetzte Reststrafe vollstreckt werden.

4

Mit Bescheid vom 28. Juli 2005 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Der Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG offensichtlich unbegründet, da der Kläger eine schwere nichtpolitische Straftat begangen und den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt habe. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.

5

Im Klageverfahren hat der Kläger seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter nicht weiter verfolgt. Mit Urteil vom 22. November 2005 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Flüchtlingsanerkennung des Klägers verpflichtet. Im Berufungsverfahren hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt, der Kläger sei im Bundesgebiet für die Nachfolgeorganisation der PKK, den KONGRA-GEL aktiv und habe im Januar 2005 an einer Aktivistenversammlung in N. teilgenommen. Er habe im Jahr 2006 als Leiter des KONGRA-GEL in Offenbach fungiert und ab diesem Zeitpunkt eine Kontrollfunktion innerhalb des KONGRA-GEL in A. ausgeübt. Der Kläger hat das bestritten.

6

Mit Urteil vom 21. Oktober 2008 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger nach Rückkehr in die Türkei gemäß § 314 Abs. 2 tStGB 2005 zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests widerrufen würde. Auch wenn dies politische Verfolgung darstellen sollte, stünde § 3 Abs. 2 AsylVfG der Flüchtlingsanerkennung entgegen. Die terroristischen Taten der PKK seien als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen, stellten schwere nichtpolitische Straftaten dar und stünden in Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Der Kläger habe sich daran zumindest "in sonstiger Weise" beteiligt. Selbst wenn für das Vorliegen von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG von dem Ausländer weiterhin eine Gefahr ausgehen müsse, sei das beim Kläger der Fall. Denn er habe sich weder äußerlich von der PKK abgewandt noch innerlich von seiner früheren Verstrickung in den Terror gelöst. Dahinstehen könne, ob § 3 Abs. 2 AsylVfG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetze, denn der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung bedeute keine unbillige Härte für den Kläger.

7

Abschiebungshindernisse lägen nicht vor. Die Todesstrafe sei in der Türkei vollständig abgeschafft. Wegen der dem Kläger in der Türkei drohenden langjährigen Haftstrafe sei ausgeschlossen, dass er im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG einer erheblichen individuellen Gefahr ausgesetzt sei. Ein Abschiebungsverbot ergebe sich auch nicht aus § 60 Abs. 2 AufenthG und § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Zwar greife zugunsten des Klägers, der im Anschluss an seine Festnahme im Juni 1991 Folter erlitten habe, die Beweiserleichterung des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Dennoch sprächen aufgrund der Angaben des Auswärtigen Amtes sowie türkischer Menschenrechtsorganisationen stichhaltige Gründe dagegen, dass er bis zum Abschluss des Strafverfahrens Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten habe. Misshandlungen durch türkische Sicherheitskräfte lägen ganz überwiegend Fälle zugrunde, in denen sich der Betroffene nicht offiziell in Gewahrsam befunden habe; das wäre beim Kläger jedoch der Fall. Angesichts bereits vorhandener Beweise bestünde auch keine Notwendigkeit, durch Folter ein Geständnis zu erzwingen. Schließlich lebten in seiner Heimat zahlreiche Personen, die sich seiner annehmen und ihm bereits bei seiner Ankunft anwaltlichen Beistand verschaffen könnten. Zudem würden die PKK oder andere prokurdische Organisationen das Schicksal des Klägers verfolgen und etwaige Übergriffe auf seine Person publik machen. Ein Schutz durch "Herstellen von Öffentlichkeit" lasse sich zwar nicht während der gesamten Dauer der Strafhaft gewährleisten. Aber auch für diese Zeitspanne sprächen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger, der in einem Gefängnis des Typs F untergebracht würde, Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein würde, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen könnten. Dahinstehen könne, ob das auch für unter dieser Schwelle liegende Maßnahmen gelte, denn derartige Umstände stünden einer Abschiebung des Klägers in die Türkei als Unterzeichnerstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 3 EMRK stehe bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat dessen eigene Verantwortung für die Einhaltung der Konventionsrechte im Vordergrund. Eine Mitverantwortung des abschiebenden Landes bestehe nur, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohten und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht rechtzeitig zu erreichen sei. Diese Voraussetzungen lägen angesichts der Verhältnisse in der Türkei nicht vor. Da sich Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG an Art. 3 EMRK orientiere, beanspruchten diese Grundsätze auch im Rahmen des § 60 Abs. 2 AufenthG Geltung. Stünden im Herkunftsland ausreichende und effektive Möglichkeiten zur Abwehr drohender Gefahren zur Verfügung, benötige der Betreffende keinen internationalen Schutz. Auch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG greife nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision - beschränkt auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 2 AufenthG - zugelassen.

8

Mit der Revision rügt der Kläger vor allem eine Verletzung des § 60 Abs. 2 AufenthG. Das Berufungsgericht habe im Rahmen seiner Beweiswürdigung die Quellen selektiv ausgewertet und zu Lasten des Klägers ohne Aufklärung unterstellt, dass seine Familie einen Rechtsanwalt besorgen könne und die Nachfolgeorganisationen der PKK für ihn Öffentlichkeitsarbeit machen würden. Angesichts der umfassenden Geltung des Art. 3 EMRK reiche die Erkenntnislage nicht aus, um ein Abschiebungshindernis auszuschließen. Insofern werde auch eine Gehörsverletzung gerügt, denn wenn das Gericht zu erkennen gegeben hätte, dass es aus tatsächlichen Gründen für den Kläger keine Gefahr einer Misshandlung sehe, hätte der Kläger dazu weiter vorgetragen und Beweisanträge gestellt. Schließlich sei die Auslegung der in Art. 17 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Ausschlussgründe ungeklärt.

9

Innerhalb der bis einschließlich 4. Juni 2009 verlängerten Revisionsbegründungsfrist ist der Begründungsschriftsatz nicht vollständig per Fax eingegangen. Die Bevollmächtigte des Klägers hat Wiedereinsetzung beantragt und zur Begründung Probleme bei der Faxübertragung geltend gemacht.

10

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen des Berufungsgerichts seien einer Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen. Nicht ersichtlich sei, warum der Kläger angesichts der tatsächlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht den Schutz seines Heimatlandes durch Anrufung türkischer Gerichte bzw. eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Anspruch nehmen könne.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision hat Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), da er bei der Prüfung des in § 60 Abs. 2 AufenthG enthaltenen Abschiebungsverbots diejenigen erniedrigenden Behandlungsmaßnahmen übergangen hat, die keine irreparablen oder sonst schweren körperlichen und seelischen Folgen hinterlassen. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder in positiver noch in negativer Hinsicht abschließend selbst entscheiden. Daher ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

1. Die Revision ist zulässig. Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren, da seine Prozessbevollmächtigte ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Diese durfte nach mehreren nur teilweise erfolgreichen Versuchen einer Faxübertragung infolge der fernmündlich erteilten unrichtigen Auskunft des Gerichtspförtners, es seien alle Seiten angekommen, davon ausgehen, dass der Revisionsbegründungsschriftsatz innerhalb der Frist vollständig eingegangen sei.

13

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die unionsrechtlich vorgezeichneten Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG. Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Beschränkung der Revisionszulassung auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen Streitgegenstand bzw. selbständigen Streitgegenstandsteil (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 ). Die Revisionszulassung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (vgl. Urteil vom 1. April 1976 - BVerwG 2 C 39.73 - BVerwGE 50, 292 <295>; BGH, Urteil vom 21. September 2006 - I ZR 2/04 - NJW-RR 2007, 182 <183>).

14

Für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens, das auf Feststellung der Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zielt, ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz am 15. Oktober 2008 abzustellen. Deshalb sind die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) von Bedeutung, die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten und die Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - berücksichtigen.

15

3. Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz ergänzten Abschiebungsverbot, das bereits in § 53 Abs. 1 AuslG 1990 und § 53 Abs. 4 AuslG 1990 i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685 - EMRK) enthalten war, wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 EMRK orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM(2001) 510 endgültig S. 6, 30).

16

Die Vorschriften zum subsidiären Schutz sind im Aufenthaltsgesetz insoweit "überschießend" umgesetzt worden, als die in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Varianten des ernsthaften Schadens in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet worden sind. Denn die in Art. 17 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe greifen nach nationalem Recht gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erst auf einer nachgelagerten Ebene als Versagungsgründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Daher kommt es entgegen der Annahme der Revision auf die Interpretation der Ausschlussgründe gemäß Art. 17 der Richtlinie im vorliegenden Fall nicht an.

17

Bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG ist der während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83 S. 389 - GR-Charta) als verbindlicher Teil des primären Unionsrechts (Art. 6 Abs. 1 EUV) zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Die Vorschrift gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch diese Bestimmung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen.

18

a) Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Prüfung des § 60 Abs. 2 AufenthG in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der Kläger vor seiner Ausreise in der Türkei gefoltert worden ist. Dennoch hat das Berufungsgericht seiner Prognose den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und nicht den sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab hinreichender Sicherheit zugrunde gelegt. Es hat aber zugunsten des Klägers die in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltene Beweiserleichterung angewendet (UA Rn. 90). Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

19

Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

20

Diese Vorschrift greift sowohl bei der Entscheidung über die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für einen Vorverfolgten (bzw. von Verfolgung unmittelbar Bedrohten) als auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes zugunsten desjenigen, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war. In beiden Varianten des internationalen Schutzes privilegiert sie den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Das ergibt sich neben dem Wortlaut auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Denn die Bundesrepublik Deutschland konnte sich mit ihrem Vorschlag, zwischen den unterschiedlichen Prognosemaßstäben der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der hinreichenden Sicherheit zu differenzieren, nicht durchsetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Asyl" vom 25. September 2002, Ratsdokument 12199/02 S. 8 f.). Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind.

21

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 - BVerfGE 54, 341 <360 f.>; dem folgend Urteil vom 31. März 1981 - BVerwG 9 C 237.80 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; stRspr). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 <101 ff.>), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (Urteil vom 27. April 1982 - BVerwG 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 <252>). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - a.a.O. S. 99). Diese zum Asylgrundrecht entwickelte Rechtsprechung (zusammenfassend Urteile vom 25. September 1984 - BVerwG 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169 <170 f.> und vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.>) wurde auf den Flüchtlingsschutz (Abschiebungsschutz aus politischen Gründen) gemäß § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (Urteil vom 3. November 1992 - BVerwG 9 C 21.92 - BVerwGE 91, 150 <154 f.>), nicht jedoch auf die Abschiebungsverbote des § 53 AuslG 1990 übertragen (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <330> zu § 53 Abs. 6 AuslG und vom 4. Juni 1996 - BVerwG 9 C 134.95 - InfAuslR 1996, 289 zu § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK).

22

Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Zum einen wird ihr Anwendungsbereich über den Flüchtlingsschutz hinaus auf alle Tatbestände des unionsrechtlich geregelten subsidiären Schutzes ausgeweitet. Sie erfasst demzufolge auch das im vorliegenden Fall zu prüfende Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG. Zum anderen bleibt der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 84 ff. zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung). Der in dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 stRspr).

23

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. Rn. 128 m.w.N.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung (mehr).

24

b) Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger während der Strafhaft erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein wird, den Maßstab des § 60 Abs. 2 AufenthG auf diejenigen tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen verengt, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen können, zur Verursachung bleibender Schäden geeignet oder aus sonstigen Gründen als gravierend anzusehen sind (UA Rn. 106). Erniedrigende Behandlungsmaßnahmen im Sinne des Art. 3 EMRK, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen, hat es bei der Prognoseerstellung ausdrücklich nicht geprüft (UA Rn. 111). Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof die eigene Verantwortung der Türkei als Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention betont und daraus gefolgert, dass sich der Kläger darauf verweisen lassen müsse, seine Rechte gegen diese Arten von Konventionsverletzungen in der Türkei und von der Türkei aus selbst zu verfolgen (UA Rn. 112). Diese Annahme verletzt Bundesrecht.

25

Die Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG hat sich nach den unionsrechtlichen Vorgaben - wie oben bereits ausgeführt - an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zu orientieren. Dieser betont in seinen Entscheidungen zur Verantwortlichkeit eines Vertragsstaates für die mittelbaren Folgen einer Abschiebung, wenn dem Betroffenen im Zielstaat Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, immer wieder den absoluten und ausnahmslosen Schutz des Art. 3 EMRK (EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering - NJW 1990, 2183 ; vom 15. November 1996 - Nr. 70/1995/576/662, Chahal - NVwZ 1997, 1093 und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. ). Damit erweist es sich als unvereinbar, den Schutzbereich des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG zu verengen, und bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat der Konvention erniedrigende Behandlungsmaßnahmen von vornherein auszunehmen, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen. Sonst käme Rechtsschutz durch türkische Gerichte oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu spät und könnte eine bereits eingetretene Rechtsverletzung nicht ungeschehen machen. Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG gilt mithin uneingeschränkt auch bei der Abschiebung in einen Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention.

26

Der Verwaltungsgerichtshof beruft sich für seine Auffassung zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 (nunmehr: § 60 Abs. 5 AufenthG) i.V.m. Art. 3 EMRK. Der damals für die Feststellung von Abschiebungshindernissen durch das Bundesamt zuständige 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat entschieden, dass eine Mitverantwortung des abschiebenden Vertragsstaates, den menschenrechtlichen Mindeststandard in einem anderen Signatarstaat als Zielstaat der Abschiebung zu wahren, nur dann besteht, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (Urteil vom 7. Dezember 2004 - BVerwG 1 C 14.04 - BVerwGE 122, 271 <277>). Dieser Rechtssatz schränkt jedoch nicht den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ein. Vielmehr werden - insbesondere mit Blick auf die von dem damaligen Kläger angeführten Haftbedingungen in der Türkei - nur Maßnahmen erfasst, die erst durch Zeitablauf oder Wiederholung in den Tatbestand einer erniedrigenden Behandlung und damit den Schutzbereich des Art. 3 EMRK hineinwachsen. Nur in derartigen Fällen kann der Betroffene auf Rechtsschutz im Abschiebezielstaat oder durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verwiesen werden.

27

4. Das Berufungsgericht hat die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG geprüft und aus tatsächlichen Gründen abgelehnt (UA Rn. 86 f.). Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.

28

5. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder zugunsten noch zulasten des Klägers abschließend entscheiden. Die Sache ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Damit bedarf es keiner Entscheidung über die Gehörsrüge. Der Senat bemerkt aber dazu, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht gegen das Verbot einer Überraschungsentscheidung verstoßen hat. Denn grundsätzlich ist ein Gericht nicht verpflichtet, die abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern (Beschlüsse vom 21. Januar 2000 - BVerwG 9 B 614.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 46 und vom 26. November 2001 - BVerwG 1 B 347.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52; stRspr). Etwas anderes gilt nur dann, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. Urteil vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235). Dafür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich, da der Kläger selbst in der Berufungsbegründung zur Gefahr der Folter in der Türkei vorgetragen hatte.

29

Der Verwaltungsgerichtshof wird in dem neuen Berufungsverfahren die Prognose, ob die konkrete Gefahr besteht, dass der Kläger in der Türkei der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen wird, auf aktueller tatsächlicher Grundlage erneut stellen müssen. Dabei besteht auch Gelegenheit, dem Vorbringen des Klägers weiter nachzugehen, dass die ihn belastende Aussage seines Bruders die Gefahr von Folter nicht ausschließe. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände im Rahmen der tatsächlichen Feststellung, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG widerlegt ist, kann das Berufungsgericht auch der Tatsache Bedeutung beimessen, dass die Türkei als Abschiebezielstaat ein Vertragsstaat der Konvention ist, der sich verpflichtet hat, die darin garantierten Rechte und Grundsätze zu achten. Die Berücksichtigung dieses Umstands im Rahmen der Prognose entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (Entscheidungen vom 7. Oktober 2004 - Nr. 33743/03, Dragan - NVwZ 2005, 1043 <1045> und vom 15. Dezember 2009 - Nr. 43212/05, Kaplan - ) und ist durch Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG mit dem darin enthaltenen Kriterium ausreichender Schutzgewährleistung abgedeckt.

Gründe

1

Die auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat Erfolg. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils an das Berufungsgericht zurück.

2

Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht seiner Begründungspflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Frage einer fortbestehenden Verfolgungsgefahr des Klägers in Tschetschenien und dem Fehlen einer zumutbaren internen Fluchtalternative in anderen Teilen der Russischen Föderation nicht in der gebotenen Weise nachgekommen ist. Hierzu macht sie geltend, das Berufungsgericht habe sich in den Entscheidungsgründen nicht mit der abweichenden Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte auseinandergesetzt, auf die sich der am Verfahren beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten ausdrücklich berufen habe. Dieser hat im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 6. April 2011 unter Bezugnahme auf im Einzelnen nach Aktenzeichen und Entscheidungsdatum spezifizierte Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte darauf hingewiesen, dass Tschetschenen bei einer Rückkehr nach Tschetschenien hinreichend sicher seien bzw. im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG stichhaltige Gründe dagegen sprächen, dass ihnen Verfolgung oder sonstiger ernsthafter Schaden drohe, soweit sie keine besonderen Gefährdungsfaktoren aufwiesen. Außerdem hat er geltend gemacht, dass Tschetschenen nach allgemeiner Spruchpraxis selbst bei Annahme einer weiter andauernden Verfolgungsgefahr in Tschetschenien zumindest eine inländische Ausweichmöglichkeit bzw. im Sinne von Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG interner Schutz in den übrigen Gebieten der Russischen Föderation zustehe.

3

Mit den in diesen obergerichtlichen Entscheidungen vertretenen Auffassungen setzt sich das Berufungsgericht inhaltlich nicht auseinander. Es erwähnt in seiner Entscheidung zwar eine der vom Bundesbeauftragten angeführten Entscheidungen als Beleg für eine von seiner eigenen Einschätzung abweichende Auffassung zur aktuellen Lage in Tschetschenien, ohne jedoch weiter auf das Vorbringen des Bundesbeauftragten einzugehen und sich mit der abweichenden tatsächlichen und rechtlichen Würdigung der anderen Oberverwaltungsgerichte zur Lage in Tschetschenien und dem Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative näher zu befassen. Das lässt angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles nur den Schluss zu, dass es dieses Vorbringen nicht in Erwägung gezogen hat. Das Berufungsgericht führt zur Begründung seiner Entscheidung zwar auch neuere Erkenntnismittel an, die den vom Bundesbeauftragten angeführten Entscheidungen der anderen Oberverwaltungsgerichte nicht vorlagen. Diesen entnimmt das Berufungsgericht aber keine grundlegende Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, sondern verweist ausdrücklich darauf, dass seine aktuelle Lageeinschätzung älteren - von den anderen Oberverwaltungsgerichten bei ihren Entscheidungen mitberücksichtigten - Erkenntnissen entspreche (UA S. 11) und deshalb "weiterhin" für die in Tschetschenien lebenden Personen eine tatsächliche Gefahr bestehe (UA S. 12). Bei dieser Sachlage verletzt das Berufungsgericht mit seiner Entscheidung den Anspruch der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs; darin liegt zugleich ein formeller Begründungsmangel im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO.

4

Zwar ist die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gebotene Auseinandersetzung mit der abweichenden Würdigung verallgemeinerungsfähiger Tatsachen im Asylrechtsstreit durch andere Oberverwaltungsgerichte grundsätzlich Teil der dem materiellen Recht zuzuordnenden Sachverhalts- und Beweiswürdigung, so dass eine fehlende Auseinandersetzung mit abweichender obergerichtlicher Rechtsprechung als solche in aller Regel nicht als Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügt werden kann (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 1. März 2006 - BVerwG 1 B 85.05 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 324 und - BVerwG 1 B 86.05). Etwas anderes muss jedoch dann gelten, wenn sich ein Beteiligter - wie hier - einzelne tatrichterliche Feststellungen eines Oberverwaltungsgerichts als Parteivortrag zu eigen macht und es sich dabei um ein zentrales und entscheidungserhebliches Vorbringen handelt. Geht das Berufungsgericht hierauf in den Urteilsgründen nicht ein und lässt sich auch sonst aus dem gesamten Begründungszusammenhang nicht erkennen, dass und in welcher Weise es diesen Vortrag zur Kenntnis genommen und erwogen hat, liegt in der unterlassenen Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung eines anderen Oberverwaltungsgerichts ausnahmsweise auch ein rügefähiger Verfahrensmangel (vgl. in diesem Sinne schon Beschluss vom 21. Mai 2003 - BVerwG 1 B 298.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 270).

5

Auf diesen Verfahrensmangel kann sich jedenfalls in der vorliegenden prozessualen Konstellation auch die Beklagte berufen. Denn sie ist der Berufung des Klägers entgegengetreten und hat sich damit das in die gleiche Richtung zielende Vorbringen des Beteiligten zumindest konkludent zu eigen gemacht.

6

Wie die Beschwerde zutreffend darlegt, kann die Entscheidung auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Auseinandersetzung mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte zu einer anderen Entscheidung hinsichtlich der vom Bundesbeauftragten angesprochenen Frage der Gefährdung in Tschetschenien und des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative gelangt wäre. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben sich insbesondere keine Anhaltspunkte für ein besonderes Gefährdungspotential des Klägers, bei dessen Vorliegen auch andere Oberverwaltungsgerichte eine Gefährdung bzw. das Fehlen einer inländischen Fluchtalternative annehmen.

7

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht auch zu berücksichtigen haben, dass beim Flüchtlingsschutz allein die Gefahr krimineller Übergriffe ohne Anknüpfung an einen flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgrund keine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG bedeutet. Auch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde.

8

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. April 2014 - A 12 K 2210/13 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der am xx.xx.1983 geborene Kläger ist Staatsangehöriger von Pakistan. Er kam nach seinen Angaben am 08.02.2012 mit dem Schiff in die Bundesrepublik Deutschland und stellte am 27.02.2012 einen Asylantrag. Zur Begründung machte er geltend: Er habe in Pakistan Probleme gehabt, weil er mit Christen in die Kirche gegangen sei und Christ habe werden wollen. Weiter legte er Informationsmaterial und eine Bescheinigung der Gemeinschaft Entschiedener Christen in H. vom 11.05.2013 und eine Bescheinigung von xxx in H. vom 07.05.2013 vor. Wegen weiterer Einzelheiten seines Vorbringens verweist der Senat auf die Niederschrift seiner Anhörung durch das Bundesamt vom 15.05.2013.
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 20.06.2013 den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte die Abschiebung nach Pakistan an.
Am 28.06.2013 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart und berief sich darauf, dass er zwischenzeitlich getauft worden sei. Er legte eine Taufkarte vom 02.06.2013, eine Mitgliedskarte des Bundes Freikirchlicher Pfingstgemeinden vom 28.05.2013, weiteres Informationsmaterial der Gemeinschaft Entschiedener Christen und Informationsmaterial des Immigration and Refugee Board of Canada vom 20.09.2013 vor.
Nach den im Tatbestand des angegriffenen Urteils enthaltenen Feststellungen antwortete der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die Fragen des Gerichts, welche Gründe es für ihn gegeben habe, zum Christentum überzutreten und sich taufen zu lassen: Jesus sei wegen ihrer Sünden vom Kreuz gestiegen. Die Muslime hätten kein Opfer gegeben. Er habe die christliche Religion kennengelernt und wisse jetzt alles. Gott habe sich für sie geopfert. Er selbst sei nicht Christ geworden, weil er sich davon Vorteile versprochen habe. Auf die Frage, welche konkreten Gründe er gehabt habe, nach Deutschland zu kommen, antwortete er: In Pakistan sei er drei- bis viermal in der Kirche gewesen. Die Familie habe das nicht gerne gesehen, auch seine Nachbarn nicht. Seine christlichen Freunde hätten gemeint, er solle lieber in ein christliches Land gehen. Ein christlicher Freund habe einen Schlepper gekannt. Später berichtigte der Kläger: Das Geld sei erst bezahlt worden, nachdem es ihm gelungen sei, nach Deutschland zu kommen. Er habe mit dem Freund Cricket gespielt. Sie seien gemeinsam in die Kirche gegangen. Es habe sich um seine - des Klägers - Ersparnisse gehandelt.
Auf Fragen und Vorhalte seines Prozessbevollmächtigten gab der Kläger weiter an: In Pakistan hätten sie ihm gesagt, er sei jetzt ein Nicht-Gläubiger. Er sei geschlagen und bedroht worden. Sie hätten gesagt, es sei besser, ihn zu töten. Geschlagen worden sei er im achten bzw. neunten Monat des Jahres 2012 (gemeint 2011). Er sei unterwegs zum Gottesdienst gewesen. Sie hätten ihn angehalten und gesagt, sie würden ihn schlagen, ihm Fußtritte geben und ihn umbringen. Einmal sei er geschlagen worden. Deswegen sei er dreimal genäht worden. Er sei zu einem Arzt gegangen, einem Dr. N. in seiner Ortschaft. Seine ganze Familie sei gegen ihn. Er habe keine Verbindung mehr mit der Familie. Zu seiner Taufe führte er aus: Dr. S. habe ihn unterrichtet. Er komme einmal in der Woche am Donnerstagnachmittag. X. sei eine Kirche; es gebe um 18:00 Uhr dort Gottesdienst. Dann tränken sie Tee. Samstags um 11:00 Uhr gebe es einen gemeinsamen Gottesdienst mit allen Personen.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers führte aus, der Kläger sei als Moslem in Pakistan mit der christlichen Gemeinde in Berührung gekommen. Die Kontakte seien über einen Freund hergestellt worden. Er sei vom christlichen Glauben fasziniert gewesen, nachdem er drei- bis viermal in der Kirche gewesen sei. Er habe dann Probleme mit der Familie bekommen. Aus seiner Sicht sei die Situation für ihn in Pakistan gefährlich. Es habe bei ihm schon in Pakistan eine Festlegung auf das Christentum gegeben. Ein Verzicht auf die Religionsausübung sei nicht Gegenstand von Überlegungen gewesen. Er gehöre der Gemeinschaft Entschiedener Christen in H. an und wolle den Glauben mit allen teilen. Er wollte den Glauben auch in Pakistan weiterleben. Die Abwendung vom muslimischen Glauben sei aus der Sicht der Hitzköpfe verwerflich. Es stelle sich die Frage, ob der Staat hinreichende Schritte unternehme, den Kläger ggf. zu schützen. Aus staatlichen Verfolgungsmaßnahmen könne man schließen, dass der Staat nicht Garant für den Schutz sein könne.
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
Mit Urteil vom 10.04.2014 wies das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet ab und führte zur Begründung aus: Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen nicht vor. Der Kläger habe das Gericht nicht davon überzeugen können, dass er das von ihm geschilderte Schicksal tatsächlich erlitten habe. Denn der Vortrag enthalte wesentliche Ungereimtheiten und widerspreche zum Teil erheblich der allgemeinen Lebenserfahrung. So seien schon die Angaben des Klägers, warum er sich dem Christentum zugewandt habe und schließlich habe taufen lassen, ausgesprochen vage. Bei der Anhörung habe er hierzu nur angegeben, in der Cricketmannschaft seien auch Christen gewesen. Mit ihnen sei er zusammen in die Kirche gegangen. Man habe ihm gesagt, Jesus Christus habe den Leuten die Augen gegeben, er habe die Verstorbenen wieder lebendig gemacht. Daraufhin sei sein Glaube an die christliche Religion sehr stark gewesen. In der mündlichen Verhandlung habe er hierzu auch nicht viel mehr gesagt. Auf die Frage, welche Gründe es für ihn gegeben habe, zum Christentum überzutreten und sich taufen zu lassen, habe er gesagt: Jesus sei wegen ihrer Sünden vom Kreuz gestiegen. Die Muslime hätten kein Opfer gegeben. Er habe die christliche Religion kennengelernt und wisse jetzt alles. Gott habe sich für sie geopfert. Er selbst sei nicht Christ geworden, weil er sich davon Vorteile versprochen habe. Auffallend sei dabei gewesen, dass er bei der Anhörung und auch in der mündlichen Verhandlung zuerst angegeben habe, in Pakistan sei er drei- bis viermal in die Kirche gegangen, im weiteren Verlauf der Anhörung habe er dann gesagt, er sei fünfmal in der Kirche gewesen. Bei einer so geringen Anzahl von Kirchenbesuchen sei davon auszugehen, dass man sich an diese Anzahl besser erinnere, zumal wenn sie zu einem so wesentlichen Schritt führe, wie den Übertritt zu einer anderen Religion. Nicht verständlich seien die Angaben des Klägers zu dem Arzt, zu dem er nach seinen Angaben gegangen sei, nachdem er geschlagen worden sei. Hierzu habe er bei der Anhörung durch das Bundesamt angegeben, er habe Dr. S. geheißen, mehr wisse er nicht; er glaube, er sei in der Rxxx Rxxx in Lahore. In der mündlichen Verhandlung habe er dagegen gesagt, es habe sich um einen Dr. N. in seiner Ortschaft gehandelt. Es widerspreche auch jeder Lebenserfahrung, dass der Kläger trotz der Bedeutung seines Schritts weder gewusst habe, wann er angefangen habe, in Pakistan in die christliche Kirche zu gehen, noch wann sich der Vorfall abgespielt habe, bei dem er geschlagen worden sei. Die Angaben bei der Anhörung hierzu seien äußerst vage gewesen, nämlich "irgendwann im Jahr 2011" bzw. "das sei 2011" gewesen. Wenn sich ein so bedeutsames Ereignis tatsächlich abgespielt gehabt hätte, hätte der Kläger in der Lage sein müssen, dies zeitlich erheblich konkreter einzuordnen. Weiter widerspreche es jeglicher Lebenserfahrung, dass jemand nach wenigen Kirchenbesuchen, auch wenn er einmal geschlagen worden sei, von seinen christlichen Freunden den Rat erhalte, sofort in ein christliches Land zu gehen, und dies auch sofort tue. Immerhin seien 1,6 % der pakistanischen Bevölkerung Christen. Auch sei es dem Kläger wirtschaftlich gut gegangen. Bei der Anhörung habe er insoweit angegeben, er habe gut gearbeitet und habe das Geld gespart, das er für die Ausreise ausgegeben habe. Es könne weiter nicht festgestellt werden, dass für den Kläger allein wegen seiner Zugehörigkeit zu den Christen in Pakistan eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe. Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan deshalb darüber hinausgehend Gefahr drohe, weil er die Religion gewechselt habe und sich dort als Christ betätigen wolle, seien nicht ersichtlich. Auch sei nicht festzustellen, dass dem Kläger Gefahren im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylVfG oder § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG drohten.
Auf den vom Kläger fristgerecht gestellten Antrag ließ der Senat durch Beschluss vom 11.06.2014 die Berufung insoweit zu, als er die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt und lehnte im Übrigen den Antrag ab.
10 
Am 23.06.2014 hat der Kläger die Berufung unter Stellung eines Antrags begründet. Er führt aus: Das Verwaltungsgericht habe sich auf den Standpunkt gestellt, trotz feststellbarer Verfolgungshandlungen gegen Christen und ungeachtet der Frage, ob der pakistanische Staat im Hinblick auf die Verfolgung von Christen durch nichtstaatliche Akteure tatsächlich gänzlich schutzwillig und schutzfähig sei, hätten die Verfolgungsmaßnahmen nicht ein solches Ausmaß erreicht, dass die strengen Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung angenommen werden könnten; es sei keine hinreichende Verfolgungsdichte feststellbar.
11 
Dieser Auffassung könne nicht gefolgt werden. Nach neueren Erkenntnismitteln habe die Bedrohungslage der Christen in Pakistan jüngst eine neue, noch nicht dagewesene Qualität erreicht. Bereits im Juni 2013 habe der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seinem Urteil bezüglich der Ahmadi in Pakistan von einer prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen in Pakistan gesprochen. Diese Lage habe sich weiter verschlechtert. Vor diesem Hintergrund drohe der Gruppe der Christen in Pakistan, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansähen, ihren Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung. Der Schutz religiöser Minderheiten sei in der Verfassung festgeschrieben, auch gebe es Quoten für ihre Vertretung in staatlicher Beschäftigung und politischer Vertretung. Ungeachtet dieser Gesetzeslage seien die als solche erkennbaren Christen in Pakistan aber Diskriminierungen ausgesetzt. Diskriminierungen im wirtschaftlichen Bereich, im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt seien verbreitet. Christliche Gemeinden und Institutionen seien Opfer von Landraub durch muslimische Geschäftsleute. Auch der Besitz von geflohenen christlichen Privatpersonen werde von den muslimischen Anwohnern in Besitz genommen. Diskriminierungen und Übergriffe gingen aber nicht nur von privaten Akteuren aus. Es werde von einem Trend zu entschädigungslosen Beschlagnahmen christlicher Friedhöfe und von dem Abriss einer katholischen Einrichtung in Lahore auf Anweisung der örtlichen Regierung im Januar 2012 berichtet. Insbesondere hätten Christen in Pakistan aber schwer unter dem Blasphemiegesetz zu leiden. Zwar gelte das Blasphemiegesetz dem Wortlaut nach unterschiedslos für alle Pakistani. Religiöse Minderheiten seien jedoch besonders betroffen. Zwar sei ein nach dem Blasphemiegesetz verhängtes Todesurteil noch nie vollstreckt worden, allein der Vorwurf der Blasphemie könne jedoch ausreichen, um die soziale Existenz des Beschuldigten und seiner Nachbarn zu zerstören. Ansätze, die darauf abzielten, einen Missbrauch des Blasphemiegesetzes zu verhindern, seien fehlgeschlagen. Ein beträchtlicher Anteil islamischer Kleriker in Pakistan rufe zu Gewalt und Diskriminierung gegen Christen auf. Sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten sei es üblich, über die Lautsprecher von Moscheen dazu zu mobilisieren, gegen religiöse Minderheiten vorzugehen. Ein Vorwurf gegen ein Mitglied der Minderheit genüge, damit sämtliche Angehörige der Minderheit in der betreffenden Gegend als Schuldige betrachtet würden, die bestraft werden müssten. Die National Commission for Justice and Peace habe 2012 elf gezielte Tötungen an Christen registriert. Die Asian Human Rights Commission schätze die Zahl der christlichen Mädchen, die jedes Jahr entführt, vergewaltigt und zwangskonvertiert würden, auf etwa 700.
12 
Die genannten Vorfälle seien Eingriffe in die Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit der Betroffenen. Sie seien als unmenschliche und erniedrigende Behandlung zu begreifen. Sofern sie die Betroffenen unter Druck setzten, auf die Praktizierung ihres Glaubens zu verzichten oder diese einzuschränken, lägen Eingriffe in die Religionsfreiheit vor. Angesichts der Häufigkeit der Vorfälle in jüngster Zeit und der Vielzahl von Personen, die bei einem einzigen Überfall auf eine Kirche oder ein Viertel betroffen seien, oder etwa bei dem Vorwurf der Blasphemie gegen einen Christen betroffen werden könnten, handele es sich nicht mehr nur um vereinzelte, individuelle Übergriffe oder eine Vielzahl einzelner Übergriffe. Vielmehr sei jeder als solcher erkennbare Christ in Pakistan wegen seiner Religion der aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit, also einem realen Risiko ausgesetzt. In die Würdigung einzustellen seien hierbei nicht allein die Anzahl der wegen Blasphemie erfolgten Anklagen und Verurteilungen und die Summe der von den Gewaltübergriffen durch Privatpersonen betroffenen Opfer, sondern auch die nicht quantifizierbare Zahl an Christen, die Opfer von Diskriminierung im alltäglichen Bereich, etwa bei der Arbeit, würden.
13 
Akteure im Sinne von § 3d Abs. 1 AsylVfG seien in Pakistan nicht willens und in der Lage, Schutz gemäß § 3d Abs. 2 AsylVfG zu bieten. Zahlreiche Quellen berichteten, dass der Staat beim Schutz religiöser Minderheiten vor Angriffen in den verschiedenen Landesteilen versage. Die Polizei sehe bei Übergriffen von Privatpersonen auf Christen lediglich untätig zu und biete keinen Schutz, es werde keine effektive Strafverfolgung der Angreifer betrieben. Es bestehe keine innerstaatliche Fluchtalternative.
14 
Das Verwaltungsgericht habe auch eine nähere Prüfung unterlassen, ob all diese Tatsachen eine systematische, einer Gruppenverfolgung gleichkommende Diskriminierung darstellten. Alle Quellen wiesen auf eine systematische Diskriminierung der Christen hin, die in ihren Folgen einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung gleichkomme.
15 
Was die individuelle Situation des Klägers betreffe, habe das Verwaltungsgericht nicht bezweifelt, dass er im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zur bezeichneten Gruppe der Christen in Pakistan gehöre. Der Kläger habe vorgetragen, dass es nach seinem Glaubensverständnis für ihn identitätsbestimmend sei, seinen Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, und dass ein Verzicht auf die Religionsausübung für ihn auch in Pakistan nicht in Betracht komme, sondern er seinen Glauben mit allen teilen wolle. Das Verwaltungsgericht sei davon ausgegangen, dass der Kläger in Deutschland nach intensivem Taufunterricht die Taufe empfangen habe und am christlichen Leben teilnehme, namentlich durch den Besuch von Gottesdiensten und die Teilnahme an donnerstäglichen Unterweisungen. Zwar seien im pakistanischen Strafgesetzbuch Apostasie, Konversion und Missionierung für Christen nicht unter Strafe gestellt. Der Islam sei jedoch Staatsreligion. Nach islamischem Recht stehe Konversion vom Islam weg unter Todesstrafe. Nach einer im April 2010 in Pakistan durchgeführten Umfrage befürworteten 76 % der Befragten die Todesstrafe für die Abwendung vom Islam. Für Christen, die vom Islam zum Christentum konvertierten und deren Konversion bekannt werde, sei die Situation kritischer als für geborene Christen. In ihrer Familie stießen sie oft auf Unverständnis und würden von ihr bedroht und verstoßen, es werde sogar versucht sie umzubringen, weil der Abfall Schande und Verrat für die ganze Familie sei. Als Konvertierte bekannte Christen seien Opfer schwerer Diskriminierungen, etwa am Arbeitsplatz oder durch Behörden. Dies führe dazu, dass die Konversion zu einer Minderheitenreligion in Pakistan häufig verheimlicht werde. Amnesty International berichte von einem Mord an einem 18-jährigen Mädchen in Pakistan, das von seinem Bruder erschossen worden sei, weil es sich zum Christentum bekannt gehabt habe. Im Mai 2013 sei ein 16-jähriger Junge verschwunden, der vom Islam zum Christentum konvertiert gewesen sei. Zudem würden Konvertiten, die sich vom Islam abgewandt hätten, unmittelbar von staatlicher Seite diskriminiert. Kinder eines muslimischen Ehepaars, das vom Islam weg konvertiere, würden als unrechtmäßig betrachtet, sodass der Staat das Sorgerecht für sie übernehmen könne. Da es nahezu ausnahmslos zu schweren Diskriminierungen und Verletzungen von Menschenrechten komme, sei die Verfolgungsdichte so hoch, dass von einer Gruppenverfolgung auszugehen sei. Es mangele an einer Schutzbereitschaft von Akteuren im Sinn von § 3d AsylVfG. Die unmittelbare Diskriminierung von staatlicher Seite im Hinblick auf die Kinder von konvertierten Ehepaaren verstärke die Annahme, dass der pakistanische Staat nicht nur nicht in der Lage, sondern auch nicht willens sei, Konvertiten Schutz zu bieten. Somit bestehe für Konvertiten erst recht keine innerstaatliche Fluchtalternative. Selbst bei einem Wohnortwechsel, verbunden mit dem Versuch, sich in der neuen Umgebung als geborener Christ auszugeben, bestehe wenig Aussicht, dass die Konversion geheim gehalten werden könne. Auch der Kläger, dessen Zuwendung zum Christentum vor seiner Ausreise in seinem Heimatort bekannt geworden sei, habe keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, die sich geschlossen gegen ihn gestellt habe.
16 
Der Kläger beantragt,
17 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. April 2014 - A 12 K 2210/13 - zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 2 ihres Bescheids vom 20.06.2013 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
18 
Die Beklagte tritt der Berufung aus den Gründen des angegriffenen Urteils entgegen.
19 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung zu seinen individuellen Verfolgungsgründen unter Hinzuziehung eines Dolmetschers angehört. Insoweit wird auf die Niederschrift verwiesen.
20 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Dem Senat liegen die Behördenakten der Beklagten sowie die Akten des Verwaltungsgerichts vor.

Entscheidungsgründe

 
21 
Die zulässige, unter Stellung eines Antrags rechtzeitig und formgerecht begründete Berufung bleibt ohne Erfolg.
22 
Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
23 
I. Nach § 3 Abs. 4 AsylVfG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylVfG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
24 
Nach § 3a Abs. 1 AsylVfG (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU - QRL) gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 AsylVfG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 2 QRL) können als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 unter anderem die folgenden Handlungen gelten: 1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, 2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, 3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, 4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, 5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 AsylVfG (vgl. Art. 12 Abs. 2 QRL) fallen, 6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Nach § 3a Abs. 3 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 3 QRL) muss dabei zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
25 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylVfG (vgl. Art. 6 QRL) ausgehen von 1. dem Staat, 2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder 3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG (vgl. Art. 7 QRL) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
26 
Der Charakter einer Verfolgungshandlung erfordert, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach § 3a AsylVfG (Art. 9 QRL) geschützten Rechtsguts selbst zielt (vgl. BVerwG, Urteile vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - NVwZ 2009, 982, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936).
27 
Der für die Beurteilung zugrunde zu legende Prognosemaßstab ist der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die relevanten Rechtsgutsverletzungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 lit. d) QRL abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 v.H. für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (so BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - NVwZ 1992, 582, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936). Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z. B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (vgl. zum kausalen und zeitlichen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 - NVwZ 1991, 384).
28 
Für die Beurteilung sind alle Akte zu berücksichtigen und einzustellen, denen der Ausländer ausgesetzt gewesen war oder die ihm gedroht hatten, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL gelten können.
29 
Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen bzw. verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen bestehen regelmäßig aus solchen, die in der Vergangenheit wie auch aus solchen, die in der Gegenwart liegen. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben muss (BVerwG, Urteile vom 20.11.1990 - 9 C 74.90 - NVwZ 1991, 382, und - 9 C 72.90 - NVwZ 1991, 384).
30 
Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religionszugehörigkeit anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - NVwZ 1995, 175) - ferner eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines der in § 3b AsylVfG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. Urteil vom 05.07.1994 - a.a.O.).
31 
Für die Gruppenverfolgung (wie auch für jede Individualverfolgung) gilt weiter, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss (vgl. § 3e AsylVfG, Art. 8 QRL).
32 
Diese ursprünglich zum Asylgrundrecht für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze können prinzipiell auf die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragen werden, wie sie nunmehr durch § 3c Nr. 3 AsylVfG (vgl. Art. 6 lit. c) QRL) ausdrücklich als flüchtlingsrechtlich relevant geregelt ist.
33 
Ob Verfolgungshandlungen das Kriterium der Verfolgungsdichte erfüllen, ist von den Tatsachengerichten aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 3c Nr. 1 und 2 AsylVfG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 3b AsylVfG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann. Diese Maßstäbe haben auch bei der Anwendung der Richtlinie 2011/95/EU Gültigkeit (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 - NVwZ 2009, 1237)
34 
Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob bereits Vorverfolgung oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylVfG (vgl. Art. 15 QRL) vorliegt (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 u.a. - InfAuslR 2010, 188; BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. Art. 4 Abs. 4 QRL); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 - InfAuslR 2010,188). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51). Die nach Art. 4 Abs. 4 QRL maßgebenden stichhaltigen Gründe, die gegen eine erneute Verfolgung sprechen, können bei richtigem Verständnis der Norm letztlich keine anderen Gründe sein als die, die im Rahmen der „Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchst. e) und f) QRL maßgebend sind. Dafür spricht, dass der EuGH diese Grundsätze in einen Kontext mit der „Wegfall der Umstände-Klausel“ gestellt hat. Nur wenn die Faktoren, welche die Furcht des Flüchtlings begründeten, dauerhaft beseitigt sind, die Veränderung der Umstände also erheblich und nicht nur vorübergehend ist, wird die Beweiskraft der Vorverfolgung entkräftet. Würden im Blick auf ein bestimmtes Herkunftsland statusrechtliche Entscheidungen wegen veränderter Umstände aufgehoben, ist es gerechtfertigt, dem Vorverfolgten im Asylverfahren die Umstände, welche die geänderte Einschätzung der Verfolgungssituation als stichhaltige Gründe leiten, entgegenzuhalten. In diesem Fall bleibt ihm dann die Möglichkeit, unter Hinweis auf besondere, seine Person betreffende Umstände nach Maßgabe des allgemeinen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes erneut eine ihn treffende Verfolgung geltend zu machen.
35 
II. Dem Kläger ist zunächst nicht aus individuellen Verfolgungsgründen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
36 
Der Senat konnte insbesondere aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung und des in ihr gewonnenen Eindrucks von der Person des Klägers nicht die erforderliche volle Überzeugung davon gewinnen, dass die vom Kläger behaupteten Vorfluchtgründe, namentlich dass er allein wegen mehrerer Kirchenbesuche in erheblichem Maße körperlich misshandelt wurde, der Wahrheit entsprechen.
37 
Der Kläger hatte ausweislich der ihm rückübersetzten und von ihm ausdrücklich bestätigten Niederschrift des Bundesamts vom 15.05.2013 im Verwaltungsverfahren ausgeführt, dass in seiner Gegend „moslemische Jungs“ gewesen seien, die ihm gesagt hätten, er solle nicht in die christliche Kirche gehen; sie hätten ihm Prügel angedroht. Einige Tage später habe man ihn auf dem Weg in die Kirche angehalten und ihm auf den Kopf gehauen. Es seien 10 bis 12 Leute aus seinem Stadtbezirk gewesen. In der mündlichen Verhandlung hat er gegenüber dem Senat hingegen behauptet, es seien seine beiden älteren Brüder, seine Cousins und Nachbarn gewesen, die ihn angehalten und geschlagen hätten. Eine plausible Erklärung auf den ihm vorgehaltenen Widerspruch konnte der Kläger dem Senat nicht unterbreiten. Dieser Widerspruch ist aus der Sicht des Senats von so großem Gewicht, dass er den von ihm behaupteten und seiner Schilderung nach wesentlichen Fluchtgrund dem Kläger nicht zu glauben vermag. Sicherlich können auch Nachbarn als „Leute aus seinem Stadtbezirk“ verstanden werden, dann aber ist es völlig fernliegend, wenn er, falls sich der Vorfall überhaupt so abgespielt hätte, nicht die Beteiligung engster Familienangehöriger beim Bundesamt erwähnt hätte. Denn es stellt eine ganz andere Qualität der eigenen Betroffenheit dar, wenn die Übergriffe von der eigenen Familie ausgehen. Der Vollständigkeit halber weist der Senat auch darauf hin, dass die Schilderung des Vorfalls auffallend blass geblieben ist und insbesondere eine plausible Darstellung vermissen ließ, wie es ihm gelungen sein soll, bei einer Überzahl von 10 bis 12 Leuten zu fliehen, wie er in der mündlichen Verhandlung behauptet hatte. Nicht nachzuvollziehen ist für den Senat auch, dass der Kläger gegenüber dem Bundesamt nicht sagen konnte, wo sich genau die Praxis des von ihm aufgesuchten Arztes befindet, sondern nur Vermutungen angestellt hatte, obwohl es „sein“ Arzt im eigenen Stadtviertel gewesen sein soll. Sowohl bei der Anhörung durch das Bundesamt wie auch in der mündlichen Verhandlung ist aus der Sicht des Senats nicht deutlich geworden, weshalb der Kläger sofort nach einem ersten Vorfall das Land unter Aufwendung erheblicher finanzieller Mittel verlassen hat und als alleinstehender junger Mann nicht vielmehr erst einmal sein engeres soziales und familiäres Umfeld aufgegeben und in eine andere Stadt gegangen ist. Der bloße Einwand, dass in Pakistan überall Moslems lebten und er sich sicher gewesen sei, dass sie ihn auch dort umgebracht hätten, ist nicht ohne weiteres plausibel, wenn die Gefährdung doch von einem engsten sozialen und familiären Umfeld ausgegangen sein soll, das ihn sehr gut gekannt hätte. Weshalb in einer anderen Stadt hätte veröffentlicht werden sollen, dass er Christ bzw. getauft worden sei, erschließt sich dem Senat nicht. Auch seine Erläuterung, dass er erst hier erfahren haben will, dass man, um Christ zu werden, getauft werden muss, ist nicht nachvollziehbar, wenn er in Pakistan bereits gewusst haben will, dass er Christ werden wolle, weshalb auch die behaupteten engeren Kontakte zu einer christlichen Kirche in Pakistan, über die er zudem auffallend wenig berichten konnte, generell infrage stehen.
38 
Nach der Schilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hatte er seit etwa sechs Jahren Kontakt zu einem Mitspieler christlichen Glaubens mit Namen Zxxx im Cricketclub. Schon beim Bundesamt wie auch beim Verwaltungsgericht blieb der Kläger eine nachvollziehbare Erklärung dafür schuldig, weshalb er erst im Jahre 2011 von Zxxx angesprochen und aufgefordert worden sein will, mit in die Kirche zu gehen, und dieses nicht schon viel früher geschehen sein soll. Er hatte lediglich angegeben, dass sie erst im Jahre 2011 starke Freunde geworden seien, ohne dieses aber näher zu erläutern. Auch in der mündlichen Verhandlung fehlte eine schlüssige Antwort auf entsprechende Fragen des Senats. Bemerkenswert ist zudem, dass der Kläger bei der Anhörung durch das Bundesamt mehrfach davon gesprochen hatte, dass verschiedene „Jungs“ christlichen Glaubens aus dem Club, die enge Freunde von ihm gewesen seien, ihn angesprochen und aufgefordert hätten, in die Kirche zu gehen, während in der mündlichen Verhandlung davon auch nicht mehr im Ansatz die Rede war, sondern nur noch von Zxxx. Die Freunde sollen nach den beim Bundesamt gemachten Angaben auch die Ausreise gemeinsam organisiert haben, wovon der Kläger in der mündlichen Verhandlung ebenfalls nicht mehr gesprochen hatte. Schließlich kann angesichts grundlegender Widersprüche und Unzulänglichkeiten nicht übersehen werden und muss auch jedenfalls in der Gesamtschau zum Nachteil des Klägers gewertet werden, dass er beim Bundesamt den Namen des Freundes mit „Axxx“ angegeben hatte. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass es sich um einen Übertragungsfehler gehandelt haben könnte, sieht der Senat nicht. Denn zum einen ist die Ähnlichkeit beider Namen nicht sehr groß, zum anderen wurde die Niederschrift rückübersetzt, ohne dass der Kläger insoweit eine Berichtigung angebracht hätte; auch in der Folgezeit nach Erhalt einer Protokollabschrift ist solches nicht geschehen. Bemerkenswert ist auch, dass der Kläger beim Bundesamt nicht näher eingrenzen konnte, wann er im Jahre 2011 mit den Besuchen in der Kirche begonnen hatte, während er beim Verwaltungsgericht den Vorfall immerhin nunmehr auf den achten oder neunten Monat 2012 (gemeint 2011) relativ präzise datieren konnte. In der mündlichen Verhandlung will er nunmehr mit den Besuchen im neunten Monat begonnen haben, während sich der Vorfall im zehnten Monat abgespielt haben soll. Das wiederum passt offensichtlich nicht zu seinem Vorbringen, er sei nach dem Vorfall nicht mehr zur Familie gegangen, sondern zu Zxxx, bei dem er noch 20 bis 25 Tage geblieben sei bis er mit dem Zug von Lahore nach Quetta gefahren sei, während er beim Bundesamt angegeben hatte, am 23.12.2011 (nicht wie im Protokoll offensichtlich irrtümlich ausgeführt 2012) von Lahore mit dem Zug nach Quetta gefahren zu sein.
39 
III. Dem Kläger kann die Flüchtlingseigenschaft auch nicht allein deshalb zuerkannt werden, weil er inzwischen Christ ist und im Falle der Rückkehr seinen Glauben aktiv auch in der Öffentlichkeit praktizieren wird. Der Senat geht in diesem Zusammenhang nach den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass er als getaufter Christ seinem Glauben innerlich verbunden ist und es zu den von ihm als verbindlich verstanden Glaubensinhalten gehört, regelmäßig an den Gottesdiensten seiner Gemeinde teilzunehmen und sich an der Gemeindearbeit zu beteiligen.
40 
Christen in Pakistan droht nach den im Verfahren vom Senat zugrunde gelegten und ausgewerteten Erkenntnismitteln nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wegen ihres Glaubens und ihrer – auch öffentlichen – Glaubensbetätigung einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL ausgesetzt zu sein.
41 
Der Senat geht davon aus, dass in Pakistan mindestens 3 Millionen Christen leben (vgl. AA Lagebericht vom 08.04.2014, S. 6 und 16 – im Folgenden Lagebericht; vgl. aber auch Home Office, Pakistan, Country of Origin Information Report vom 09.10.2013, Ziffer 19.178 – im Folgenden COI – wonach laut einiger Quellen die Zahl in Wirklichkeit das Doppelte betragen soll). Nach der Rechtslage bestehen - anders als bei der religiösen Minderheit der Ahmadis – keine wesentlichen unmittelbaren Diskriminierungen der Christen in Pakistan (vgl. etwa Lagebericht, S. 13 f.; BAA, Bericht zur Fact Finding Mission, Pakistan, Juni 2013, S. 38 ff. und 51 ff. – im Folgenden BAA). Eine Ausnahme besteht insoweit, als der Premierminister sowie der Präsident Muslim sein muss, was teilweise als schlechtes Signal an die Bevölkerung beschrieben wird, dass die Minderheiten auch minderwertig seien (vgl. BAA, S. 51). Allerdings wirkt sich die sog. Blasphemiegesetzgebung auch bei der christlichen Minderheit faktisch zu ihrem Nachteil aus, zumal diese – nicht anders als bei anderen Minderheiten, aber auch bei der Mehrheitsbevölkerung – in erheblichem Maße aus eigensüchtigen Motiven und Gründen von den Anzeigeerstattern missbraucht wird (vgl. ausführlich auch BAA, S. 48 ff.; COI, Ziffer 19.33. ff.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Angehörigen religiöser Minderheiten in Pakistan, 10.10.2012, S. 6 f. – im Folgenden UNHCR; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2013, S. 27 ff und 101 ff. – im Folgenden HRCP).
42 
Der Senat hat sich zu den Blasphemiegesetzen in seinem den Beteiligten im Einzelnen bekannten Urteil vom 12.06.2013 (A 11 S 757/13 - juris) ausführlich geäußert, auf das zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird (vgl. dort Rn. 68 ff.). Wesentlich neue Aspekte haben sich insoweit zwischenzeitlich nicht ergeben. Betroffen sind davon allerdings in erster Linie nicht Angehörige der christlichen Minderheit. Dokumentiert sind zwei nicht rechtskräftige Todesurteile gegen eine christliche Frau und ein christliches Mädchen, ohne dass nähere Umstände hierzu bekannt geworden sind (vgl. etwa Human Rights Watch World Report 2014, S. 367 f. – im Folgenden HRWWR). Im Jahre 2012 kam es zu insgesamt 113 Anklagen (gegenüber 79 im Jahre 2011), davon 12 gegen Christen (Lagebericht, S. 14; vgl. auch HRCP, S. 33 f., die von geringfügig höheren Zahlen ausgeht). Im Jahre 2013 wurden insgesamt gegen 68 Personen Verfahren eingeleitet, darunter gegen 14 Christen; es wurden insgesamt mindestens 16 oder 17 Personen zum Tode und 19 oder 20 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, davon eine Verurteilung eines Christen zu lebenslanger Freiheitsstrafe und zwei Freisprüche von Christen (vgl. US Commission of International Religious Annual Report 2014, S. 76 – Im Folgenden USCIRF I; HRWWR, S. 367; HRCP, S. 33 ff.; vgl. zu weiteren Verurteilungen eines britischen Staatsangehörigen und einer pakistanischen Christin im Jahre 2014 Briefing Notes vom 27.01.2014 und 31.03.2014).
43 
Die Religionsausübung der christlichen Minderheit wird grundsätzlich staatlicherseits nicht eingeschränkt oder behindert. Für das Jahr 2012 wurde allerdings berichtet, dass auch staatliche Stellen sich an der Zerstörung christlicher Einrichtungen beteiligt hätten (vgl. US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2012, S. 126 – Im Folgenden USCIRF II). Vergleichbare Vorkommnisse werden für das Jahr 2013 in den zahlreichen Erkenntnismitteln an keiner Stelle mehr erwähnt (vgl. USCRIF I, S. 75 ff. und US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2013, S. 123 – im Folgenden USCRIF IV).
44 
Die wesentlichen Probleme, mit denen religiöse Minderheiten konfrontiert sind, sind die Auswirkungen der zunehmenden interkonfessionellen Gewaltakte von nicht-staatlicher Seite und Diskriminierungen im gesellschaftlichen Leben (vgl. hierzu schon ausführlich Senatsurteil vom 12.06.2013 – A 11 S 757/13). Allerdings ist festzustellen, dass sich diese Gewalttaten bislang überwiegend gar nicht gegen Christen, sondern gegen Angehörige der schiitischen Minderheit richten (vgl. BAA, S. 19 f und 47 f.; Lagebericht, S. 16; HRWWR, S. 367; USCIRF I, S. 75). Für das Jahr 2013 wurden insgesamt 658 Tote und 1195 Verletzte gezählt (vgl. Lagebericht S. 16), die gegen religiöse Minderheiten gerichteten interkonfessionellen Gewaltakten zum Opfer gefallen sind, während es sich im Jahre 2012 „nur“ um 507 Tote und 577 Verletzte gehandelt hatte (vgl. COI, Ziffer 19.233). Was die christliche Minderheit betrifft, sind besonders hervorzuheben ein Anschlag auf die anglikanische Allerheiligen-Kirche in Peshawar am 22.09.2013, durch den wohl etwa 100 Personen getötet und über 150 zum Teil schwer verletzt wurden (vgl. Lagebericht, S. 16, und USCIRF I, S. 76). Im März und April attackierte eine aufgehetzte Menschenmenge christliche Siedlungen bzw. Dörfer; bei den Attacken wurden über 100 Häuser zerstört, ohne dass aber Menschenleben zu beklagen waren (vgl. USCIRF I, S. 76; vgl. auch BAA, S. 42 f.; vgl. auch HRCP, S. 94 - zu weiteren – allerdings vereinzelten – Übergriffen auf Kirchen S. 94), wobei auch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Vorfall im März 2013 von langer Hand vorbereitet worden war. Im Wesentlichen alle verwerteten Erkenntnismittel sind sich in diesem Zusammenhang einig, dass staatliche Sicherheits- und Strafverfolgungsorgane hierbei den erforderlichen Schutz nur lückenhaft gewähren oder jedenfalls viel zu spät eingreifen, wobei dieses oftmals nicht allein darauf zurückzuführen ist, dass diese Organe überfordert wären, sondern auch auf einer offensichtlich mangelnden Bereitschaft beruht, effektiven Schutz zu gewähren (vgl. etwa BAA, S. 19 ff. und 42 ff.; HRWWR, S. 367; UNHCR, S. 1 f.; vgl. zu unzureichenden Schutzmaßnahmen schon Departement of State‘s International Religious Freedom Report for 2012, Stichwort „Government Inaction“ – Im Folgenden USCIRF III). Allerdings ist auch festzuhalten, dass es fundierte Berichte gibt, dass Polizeiorgane bei dem Versuch, den gebotenen Schutz zu gewähren, ernsthafte Verletzung erlitten haben (vgl. BAA, S. 43; vgl. auch S. 46 zu Schutzmaßnahmen bei Prozessionen). Immerhin haben die Sicherheitsorgane nach gewalttätigen Übergriffen auch Ausgangssperren zum Schutze der Minderheiten und gegenüber muslimischen Klerikern Verbote verhängt, die Stadt zu betreten, um zu verhindern, dass diese zur Gewalt aufstacheln und Hassreden halten (vgl. HRCP S. 76). Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang abschließend, dass es nach dem Angriff am 22.09.2013 in Lahore und Islamabad bemerkenswerte zivilgesellschaftliche Solidaritätsaktionen zugunsten der Christen gab, indem um mehrere Kirchen Menschenketten gebildet wurden (HRCP, S. 94).
45 
Selbst wenn man bei der gebotenen qualitativen Bewertung (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - NVwZ 2011, 56, vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 - NVwZ-RR 2014, 487) berücksichtigt, dass derartige Gewaltakte teilweise nicht vorhergesehen werden und die Angehörigen der religiösen Minderheiten gewissermaßen aus heiterem Himmel treffen können, was es ihnen dann aber unmöglich macht, ihnen auszuweichen, so genügen selbst die für das Jahr 2013 festgestellten Opferzahlen, die nach den verwerteten Erkenntnismitteln überwiegend nicht die christliche Minderheit betreffen, bei weitem nicht, um die Annahme zu rechtfertigen, jeder Angehörige dieser mindestens drei Millionen zählenden Minderheit müsse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, in einer noch überschaubaren Zeit Opfer derartiger Leib oder Leben betreffenden Akte zu werden. Daran ändern nichts die etwa vom Auswärtigen Amt im Lagebericht vom 08.04.2014 (S. 16) getroffene Feststellung, dass nach den Ereignissen des Jahres 2013 die Bedrohungslage der christlichen Minderheit in Pakistan eine neue Qualität habe, und die Tatsache, dass die Human Rights Commission of Pakistan davon spricht, dass das Jahr 2013 eines der schwärzesten für die christlichen Gemeinden in Pakistan gewesen sei (HRCP, S. 92). Auch UNHCR ist bislang der Auffassung gewesen, dass eine generelle, vom Einzelfall unabhängige Gefährdung nicht besteht (UNHCR, S. 8). Selbst die Organisation „Open Doors“ (Länderprofile Pakistan), die insgesamt ein durchaus düsteres Bild vermittelt, das aber in den anderen Erkenntnismitteln keine unmittelbare Entsprechung findet, geht davon aus, dass die christlichen Gemeinden sich nach wie vor ungehindert auch mit Öffentlichkeitsbezug versammeln und arbeiten können, auch wenn mitunter die Kirchen von bezahlten Wachleuten geschützt werden. Der Senat kann daher offen lassen, ob der pakistanische Staat den durch Art. 7 Abs. 2 QRL geforderten effektiven Schutz gewährleistet, was aber nach den verwerteten Erkenntnismitteln eher zu verneinen sein dürfte.
46 
Dass es nach wie vor ein reges, wenn auch nicht ungefährliches religiöses Leben der christlichen Minderheit auch mit unmittelbarem Öffentlichkeitsbezug in Pakistan gibt, wird beispielhaft illustriert durch die – auch neueren – Berichte, die auf der Website http://www.kirche-in-not.de/tag/pakistan erschienen sind und weiter erscheinen. Dass tatsächlich der christliche Glaube in nennenswertem Umfang in Pakistan gelebt und aktiv praktiziert wird, lässt sich auch unschwer daraus ablesen, dass die Kirchen in erheblichem Umfang Schulen und andere Bildungseinrichtungen betreiben (vgl. missio, Länderberichte Religionsfreiheit: Pakistan, 2012, S. 18 – im Folgenden missio; Deutschlandradio Kultur vom 13.01. und 11.02.2014; vgl. auch den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Ausdruck des Internetauftritts der FGA-Church Pakistan). Auch ist darauf hinzuweisen, dass die Erzdiözesen Karachi und Lahore seit langer Zeit größere Krankhäuser betreiben und auch seit 2009 eigene Fernsehsender unterhalten (Wikipedia, Roman Catholic Archdiocese of Lahore Stand 28.03.2014; Wikipedia, Roman Catholic Archdiocese of Karachi Stand 28.03.2014).
47 
Die gesellschaftliche und soziale Lage der christlichen Minderheit wird übereinstimmend als durchaus prekär und durch vielfältige Diskriminierungen geprägt beschrieben. Gleichwohl ist das Bild zwiespältig. Die festzustellende Marginalisierung und Diskriminierung beruht dabei keineswegs allein oder ganz überwiegend auf dem christlichen Glauben, sondern hat auch eine wesentliche Wurzel in dem noch nachwirkenden und überkommenen Kastenwesen, weil die Christen zum größten Teil Nachkommen von Hindus sind, die der Kaste der Unberührbaren angehörten (vgl. BAA, S. 52; COI, Ziffer 19.198 und 19.204). Dies hat zur Folge, dass die überwiegende Zahl der Christen der Unterschicht zuzurechnen ist und unter der Armutsgrenze lebt, was im Übrigen auch für andere Minderheiten gilt, und die Rate von Analphabetentum sehr groß ist (vgl. Lagebericht, S. 13 f.; BAA, S. 50 ff.; Immigration und Refugee Board of Canada, Pakistan: Religious conversions, including treatment of converts and forced conversions (2009 – 2012), Ziff. 1 – im Folgenden Canada). Diese Stellung wiederum macht eine wesentliche Ursache dafür aus, dass junge christliche Frauen und Mädchen in besonderem Maße das Opfer von unfreiwilligen Bekehrungen und Verheiratungen nach Entführungen werden (vgl. COI, Ziffer 19.188 und 19.198; UNHCR, S. 7; HRCP, S. 95 f.), wobei auch hier ein wirklich effektiver Schutz durch die pakistanischen Sicherheitsorgane nicht gewährt wird, auch wenn in der Nationalversammlung und auf der staatlichen Führungsebene das Problem gesehen und über Abhilfe diskutiert wird (vgl. Canada Ziff. 1). Allerdings berichtet die Pakistanische Menschenrechtsorganisation für das Jahr 2013 durchaus von erheblich weniger erfolgreichen oder versuchten zwangsweisen Konversionen bzw. Verheiratungen (vgl. HRCP, S. 91). Bei alledem darf letztlich aber zudem nicht die Tatsache ausgeblendet werden, dass Entführungen, Zwangsverheiratungen und Vergewaltigungen von (jungen) Frauen in Pakistan ein durchaus gesamtgesellschaftliches Phänomen und Problem darstellen, das weit über die christliche Minderheit hinausreicht (vgl. COI, Ziff. 23.156 ff.; Lagebericht, S. 19 und 21). Die Christen arbeiten überwiegend in der Landwirtschaft, der Steinbearbeitungs-, Glas-, Teppich- und Fischereiindustrie, für die auch Elemente von Zwangsarbeit festgestellt wurden, gegen die die staatlichen Stellen trotz entsprechender Verbotsgesetze nicht effektiv vorgehen (vgl. UNHCR, S. 8). Die Diskriminierung der christlichen Minderheit findet aber auch hier nicht in erster Linie im staatlichen Sektor statt, in dem allenfalls in Bezug auf höhere Positionen eine signifikante Unterrepräsentierung festzustellen ist (vgl. BAA, S. 51; vgl. zum Bildungswesen und diskriminierenden Bildungsinhalten bzw. zum obligatorischen islamischen Religionsunterricht USCIRF III, Stichwort „Governments Practice“). Die staatliche Seite versucht durchaus, gesellschaftlichen Diskriminierungen entgegen zu arbeiten (vgl. BAA, S. 41 und 52). An einer konsequenten, geschweige denn erfolgreichen auf den nicht-staatlichen Bereich bezogenen Antidiskriminierungspolitik mangelt es zwar. Ein solches Unterlassen stellt jedoch keine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 (hier v.a. lit. b, c und d) QRL dar, wenn man überhaupt in einem Unterlassen eine relevante Verfolgungshandlung sehen will (vgl. zum Problem grundsätzlich Marx, Handbuch zu Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., § 11 Rn. 2 ff.), weshalb schon deshalb auch aus einer Gesamtschau aller negativen Faktoren (einschließlich der festgestellten Übergriffe auf Leib und Leben sowie vereinzelter menschenrechtlich fragwürdiger Verfahren wegen eines behaupteten Verstoßes gegen einzelne Bestimmungen der Blasphemiegesetzgebung) keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL abgeleitet werden kann. Denn nur in einer finalen und systematischen Vorenthaltung des staatlichen Schutzes zur Vermeidung erheblicher Menschenrechtsverletzungen kann überhaupt ein zurechenbares und daher flüchtlingsrechtlich relevantes Verhalten erblickt werden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - NVwZ 2009, 984), was jedoch aus den verwerteten Erkenntnismitteln nicht hinreichend deutlich zutage tritt. Geht man hingegen davon aus, dass in einem Unterlassen generell keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 QRL liegen kann und verortet man die Problemstellung (nur) bei der Frage, welche Anforderungen an das nach Art. 7 Abs. 2 QRL geforderte nationale Schutzsystem zu stellen sind, so führt dies zu keiner anderen Sicht der Dinge. Zwar finden sich in einer Vielzahl von Menschrechtspakten ausdrückliche Diskriminierungsverbote (vgl. etwa Art. 2 AEM; Art. 14 EMRK; Art. 26 IPbpR), die mittlerweile zu einem allgemeinen völkergewohnheitsrechtlichen Diskriminierungsverbot erstarkt sein dürften (vgl. Marx, a.a.O., § 16 Rn 45), das auch Art. 9 Abs. 2 QRL zugrunde liegt, das aber grundsätzlich in erster Linie an staatliche Akteure gerichtet ist. Es existiert jedoch keine allgemeine, auch flüchtlingsrechtlich relevante Verpflichtung, Diskriminierungen durch nicht-staatliche Akteure umfassend zu unterbinden und mit allen Mitteln effektiv zu bekämpfen. Ein auch solche Handlungen, die unterhalb der Schwelle von Eingriffen in Leib, Leben oder persönlicher Freiheit liegen, unterbindendes Schutzsystem wird durch Art. 7 Abs. 2 QRL nicht gefordert. Soweit etwa Art. 7 IPwskR das Recht der Arbeitnehmer auf gleiches Entgelt für gleichwertige oder auf gleiche Möglichkeiten auf beruflichen Aufstieg anerkennt und damit auch nicht-staatliche Akteure im Blick hat, handelt es sich nicht um ein Instrumentarium, das bedingungslos grundlegende menschenrechtliche Standards umschreibt, die flüchtlingsrechtlich eine Verpflichtung zu einer umfassenden Antidiskriminierungspolitik auslöst und daher Grundlage eines umfassenden flüchtlingsrechtlich relevanten menschenrechtlichen Schutzstandards sein könnte. Dies gilt namentlich dann, wenn - wie dargelegt - die allgemeine sozio-ökonomische Lage der christlichen Minderheit gar nicht monokausal auf ihre Religionszugehörigkeit zurückgeführt werden kann.
48 
Das vom Kläger angesprochene „land grabbing“ privater Akteure ist ein in Pakistan weit verbreitetes Phänomen und richtet sich nicht spezifisch gegen die christliche Minderheit, sondern betrifft auch andere Bewohner des Landes, die sich aufgrund ländlicher feudaler oder sonstiger ubiquitärer mafiöser Strukturen in einer unterlegenen Position befinden und bei denen nicht selten effektiver staatlicher Schutz ausfällt (vgl. COI, Ziff. 35.01; HRCP, S. 253).
49 
Ungeachtet dessen vermag der Senat den zahlreichen verwerteten Erkenntnismitteln auch keinen tragfähigen Ansatz für eine Feststellung zu entnehmen, dass die Lage der christlichen Minderheit generell betrachtet durch eine schwere Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL gekennzeichnet wäre.
50 
Etwas anderes gilt auch nicht allgemein und generell betrachtet für den Personenkreis der vom Islam zum Christentum Konvertierten.
51 
Zunächst ist davon auszugehen, dass die pakistanische Rechtsordnung den Vorgang der Konversion nicht untersagt oder gar strafrechtlich bewertet (vgl. Lagebericht, S. 14). Versuche, die Rechtslage zu Lasten der Konvertiten zu verändern, sind sogar gescheitert und aufgegeben worden (vgl. COI, Ziff. 19.66). Allerdings kann hier die bereits erwähnte Blasphemie-Gesetzgebung zum Einfallstor für Verfolgungen und Diskriminierungen werden, wenn es um die Beurteilung von Äußerungen und Verhaltensweisen im Kontext einer Konversion geht (vgl. missio, S. 13 und 17; Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014, S. 3). Dass aber in signifikantem Umfang der hier zu beurteilende Personenkreis betroffen sein könnte, lässt sich den vielfältigen Erkenntnismitteln nicht entnehmen, obwohl in ihnen eine unübersehbare Fülle von Einzelinformationen verarbeitet wurden. Auch missio benennt in diesem Kontext keine konkreten Einzelfälle, sondern weist nur auf die Möglichkeit hin. Für die staatliche Ebene wird allerdings berichtet, dass ein Neueintrag der christlichen Religion in den Personalausweisen bzw. Pässen nicht möglich ist, jedenfalls faktisch nicht vorgenommen wird (Canada, Ziffer 3). Zwar wird auch berichtet, dass im Falle einer Konversion beider Ehegatten die Kinder der Konvertierten als „illegitim“ eingestuft werden und der Staat die Kinder sogar in Obhut nehmen kann. Dazu wird aber in den zahlreichen Erkenntnismitteln, die sehr ausführlich über Konversion berichten, insbesondere auch in den spezifisch christlichen bzw. kirchlichen Erkenntnismitteln kein einziger Fall benannt, geschweige denn nachvollziehbar dokumentiert.
52 
Die Probleme liegen wiederum in erster Linie in der gesellschaftlichen Sphäre. Denn nicht unerhebliche Teile der pakistanischen Gesellschaft stehen den religiösen Minderheiten ablehnend, wenn nicht gar feindselig gegenüber. Umso mehr wird dann eine Konversion weg vom Islam missbilligt, was zu hohen Befürwortungsraten für die Verhängung der Todesstrafe führt (vgl. COI, Ziff. 19.67). Wie bereits dargelegt, hat sich diese gesellschaftliche Stimmung aber nicht in entsprechenden erfolgreichen Gesetzesvorhaben niedergeschlagen. Teilweise stößt eine Konversion in der eigenen Familie des Konvertiten auf strikte Ablehnung, was dazu führen kann, dass der Betreffende aus der Familie verstoßen wird. Vereinzelt ist es hier auch zu körperlichen Übergriffen bis zu Tötungen gekommen (vgl. Canada, Ziff. 1 und 3). Den verwerteten Erkenntnismitteln nach kann es sich aber nicht um eine weiter verbreitete oder gar allgegenwärtige Erscheinung handeln.
53 
Die Folgen der gesellschaftlichen und innerfamiliären Ablehnung und Missbilligung gehen dahin, dass Konvertiten es teilweise, jedoch nicht generell, bewusst vermeiden, die Konversion an die Öffentlichkeit zu tragen, und daher ggf. auch den Wohnort wechseln, um nicht in ihrem bisherigen Wohnumfeld aufzufallen, um dann andernorts gewissermaßen als „unbeschriebenes Blatt“ als Christ auftreten und diesen Glauben mit den oben beschriebenen Einschränkungen leben zu können (vgl. etwa Open Doors, Länderprofile Pakistan). Das bedingt aber andererseits, dass es verlässliche Zahlen über die Konversionen vom Islam weg nicht geben kann. Auch wenn angesichts der geschilderten Haltung der Mehrheitsgesellschaft davon auszugehen sein wird, dass die Zahl der erfolgten Lösungen vom Islam oder Konversionen weg vom Islam nicht sehr groß sein wird, so fehlt es doch gegenwärtig an ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass nach Maßgabe der für die Annahme einer Gruppenverfolgung zugrunde zu legenden Prognosemaßstäbe jeder pakistanische Staatsangehörige, der sich vom Islam löst, unterschiedslos ein reales Risiko läuft, von einer schweren Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. a) oder lit. b) QRL betroffen zu sein. Der Senat sieht sich in dieser Einschätzung durch den Bericht von Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014 und die dort geschilderte Haltung und Einschätzung eines ehemaligen Muslim bestätigt, die deutlich machen, dass Konversion bzw. auch nur Abkehr vom Islam möglich ist, tatsächlich stattfindet und keineswegs mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt. Im konkreten Einzelfall mag aufgrund individueller Umstände eine andere Beurteilung erforderlich werden. Unabhängig hiervon sieht der Senat keine durchgreifenden Hindernisse für eine Person in der Lage des Klägers, im Falle von unmittelbaren Anfeindungen und Übergriffen im persönlichen Umfeld seinen Wohnort zu wechseln (vgl. Art. 8 QRL), wie dieses nach den verwerteten Erkenntnismitteln immer wieder geschieht, um ein Leben als Christ führen zu können (vgl. Lagebericht, S. 24; Open Doors, Länderprofile Pakistan; Home Office, Country Information and Guidance, Pakistan: Religious freedom, 2014, Ziff. 2.4.16 f.). Aufgrund besonderer Umstände mag auch hier im Einzelfall etwas anderes gelten. Diese sind jedoch in der Person des Klägers nicht erkennbar geworden. Zwar hat er behauptet, als Cricketspieler in Lahore bekannt zu sein. Dass dieses landesweit der Fall gewesen sein könnte, erschließt sich dem Senat nicht. Denn solches wurde vom Kläger schon nicht nachvollziehbar und substantiiert behauptet. Ungeachtet dessen ist seine Person an keiner Stelle im Internet im Kontext des Cricketsports in Pakistan zu finden, worauf der Kläger in der mündlichen Verhandlung hingewiesen wurde.
54 
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO und 83b AsylVfG. Gründe dafür, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
21 
Die zulässige, unter Stellung eines Antrags rechtzeitig und formgerecht begründete Berufung bleibt ohne Erfolg.
22 
Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
23 
I. Nach § 3 Abs. 4 AsylVfG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylVfG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
24 
Nach § 3a Abs. 1 AsylVfG (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU - QRL) gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 AsylVfG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 2 QRL) können als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 unter anderem die folgenden Handlungen gelten: 1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, 2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, 3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, 4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, 5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 AsylVfG (vgl. Art. 12 Abs. 2 QRL) fallen, 6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Nach § 3a Abs. 3 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 3 QRL) muss dabei zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
25 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylVfG (vgl. Art. 6 QRL) ausgehen von 1. dem Staat, 2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder 3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG (vgl. Art. 7 QRL) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
26 
Der Charakter einer Verfolgungshandlung erfordert, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach § 3a AsylVfG (Art. 9 QRL) geschützten Rechtsguts selbst zielt (vgl. BVerwG, Urteile vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - NVwZ 2009, 982, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936).
27 
Der für die Beurteilung zugrunde zu legende Prognosemaßstab ist der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die relevanten Rechtsgutsverletzungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 lit. d) QRL abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 v.H. für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (so BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - NVwZ 1992, 582, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936). Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z. B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (vgl. zum kausalen und zeitlichen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 - NVwZ 1991, 384).
28 
Für die Beurteilung sind alle Akte zu berücksichtigen und einzustellen, denen der Ausländer ausgesetzt gewesen war oder die ihm gedroht hatten, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL gelten können.
29 
Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen bzw. verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen bestehen regelmäßig aus solchen, die in der Vergangenheit wie auch aus solchen, die in der Gegenwart liegen. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben muss (BVerwG, Urteile vom 20.11.1990 - 9 C 74.90 - NVwZ 1991, 382, und - 9 C 72.90 - NVwZ 1991, 384).
30 
Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religionszugehörigkeit anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - NVwZ 1995, 175) - ferner eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines der in § 3b AsylVfG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. Urteil vom 05.07.1994 - a.a.O.).
31 
Für die Gruppenverfolgung (wie auch für jede Individualverfolgung) gilt weiter, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss (vgl. § 3e AsylVfG, Art. 8 QRL).
32 
Diese ursprünglich zum Asylgrundrecht für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze können prinzipiell auf die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragen werden, wie sie nunmehr durch § 3c Nr. 3 AsylVfG (vgl. Art. 6 lit. c) QRL) ausdrücklich als flüchtlingsrechtlich relevant geregelt ist.
33 
Ob Verfolgungshandlungen das Kriterium der Verfolgungsdichte erfüllen, ist von den Tatsachengerichten aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 3c Nr. 1 und 2 AsylVfG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 3b AsylVfG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann. Diese Maßstäbe haben auch bei der Anwendung der Richtlinie 2011/95/EU Gültigkeit (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 - NVwZ 2009, 1237)
34 
Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob bereits Vorverfolgung oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylVfG (vgl. Art. 15 QRL) vorliegt (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 u.a. - InfAuslR 2010, 188; BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. Art. 4 Abs. 4 QRL); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 - InfAuslR 2010,188). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51). Die nach Art. 4 Abs. 4 QRL maßgebenden stichhaltigen Gründe, die gegen eine erneute Verfolgung sprechen, können bei richtigem Verständnis der Norm letztlich keine anderen Gründe sein als die, die im Rahmen der „Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchst. e) und f) QRL maßgebend sind. Dafür spricht, dass der EuGH diese Grundsätze in einen Kontext mit der „Wegfall der Umstände-Klausel“ gestellt hat. Nur wenn die Faktoren, welche die Furcht des Flüchtlings begründeten, dauerhaft beseitigt sind, die Veränderung der Umstände also erheblich und nicht nur vorübergehend ist, wird die Beweiskraft der Vorverfolgung entkräftet. Würden im Blick auf ein bestimmtes Herkunftsland statusrechtliche Entscheidungen wegen veränderter Umstände aufgehoben, ist es gerechtfertigt, dem Vorverfolgten im Asylverfahren die Umstände, welche die geänderte Einschätzung der Verfolgungssituation als stichhaltige Gründe leiten, entgegenzuhalten. In diesem Fall bleibt ihm dann die Möglichkeit, unter Hinweis auf besondere, seine Person betreffende Umstände nach Maßgabe des allgemeinen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes erneut eine ihn treffende Verfolgung geltend zu machen.
35 
II. Dem Kläger ist zunächst nicht aus individuellen Verfolgungsgründen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
36 
Der Senat konnte insbesondere aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung und des in ihr gewonnenen Eindrucks von der Person des Klägers nicht die erforderliche volle Überzeugung davon gewinnen, dass die vom Kläger behaupteten Vorfluchtgründe, namentlich dass er allein wegen mehrerer Kirchenbesuche in erheblichem Maße körperlich misshandelt wurde, der Wahrheit entsprechen.
37 
Der Kläger hatte ausweislich der ihm rückübersetzten und von ihm ausdrücklich bestätigten Niederschrift des Bundesamts vom 15.05.2013 im Verwaltungsverfahren ausgeführt, dass in seiner Gegend „moslemische Jungs“ gewesen seien, die ihm gesagt hätten, er solle nicht in die christliche Kirche gehen; sie hätten ihm Prügel angedroht. Einige Tage später habe man ihn auf dem Weg in die Kirche angehalten und ihm auf den Kopf gehauen. Es seien 10 bis 12 Leute aus seinem Stadtbezirk gewesen. In der mündlichen Verhandlung hat er gegenüber dem Senat hingegen behauptet, es seien seine beiden älteren Brüder, seine Cousins und Nachbarn gewesen, die ihn angehalten und geschlagen hätten. Eine plausible Erklärung auf den ihm vorgehaltenen Widerspruch konnte der Kläger dem Senat nicht unterbreiten. Dieser Widerspruch ist aus der Sicht des Senats von so großem Gewicht, dass er den von ihm behaupteten und seiner Schilderung nach wesentlichen Fluchtgrund dem Kläger nicht zu glauben vermag. Sicherlich können auch Nachbarn als „Leute aus seinem Stadtbezirk“ verstanden werden, dann aber ist es völlig fernliegend, wenn er, falls sich der Vorfall überhaupt so abgespielt hätte, nicht die Beteiligung engster Familienangehöriger beim Bundesamt erwähnt hätte. Denn es stellt eine ganz andere Qualität der eigenen Betroffenheit dar, wenn die Übergriffe von der eigenen Familie ausgehen. Der Vollständigkeit halber weist der Senat auch darauf hin, dass die Schilderung des Vorfalls auffallend blass geblieben ist und insbesondere eine plausible Darstellung vermissen ließ, wie es ihm gelungen sein soll, bei einer Überzahl von 10 bis 12 Leuten zu fliehen, wie er in der mündlichen Verhandlung behauptet hatte. Nicht nachzuvollziehen ist für den Senat auch, dass der Kläger gegenüber dem Bundesamt nicht sagen konnte, wo sich genau die Praxis des von ihm aufgesuchten Arztes befindet, sondern nur Vermutungen angestellt hatte, obwohl es „sein“ Arzt im eigenen Stadtviertel gewesen sein soll. Sowohl bei der Anhörung durch das Bundesamt wie auch in der mündlichen Verhandlung ist aus der Sicht des Senats nicht deutlich geworden, weshalb der Kläger sofort nach einem ersten Vorfall das Land unter Aufwendung erheblicher finanzieller Mittel verlassen hat und als alleinstehender junger Mann nicht vielmehr erst einmal sein engeres soziales und familiäres Umfeld aufgegeben und in eine andere Stadt gegangen ist. Der bloße Einwand, dass in Pakistan überall Moslems lebten und er sich sicher gewesen sei, dass sie ihn auch dort umgebracht hätten, ist nicht ohne weiteres plausibel, wenn die Gefährdung doch von einem engsten sozialen und familiären Umfeld ausgegangen sein soll, das ihn sehr gut gekannt hätte. Weshalb in einer anderen Stadt hätte veröffentlicht werden sollen, dass er Christ bzw. getauft worden sei, erschließt sich dem Senat nicht. Auch seine Erläuterung, dass er erst hier erfahren haben will, dass man, um Christ zu werden, getauft werden muss, ist nicht nachvollziehbar, wenn er in Pakistan bereits gewusst haben will, dass er Christ werden wolle, weshalb auch die behaupteten engeren Kontakte zu einer christlichen Kirche in Pakistan, über die er zudem auffallend wenig berichten konnte, generell infrage stehen.
38 
Nach der Schilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hatte er seit etwa sechs Jahren Kontakt zu einem Mitspieler christlichen Glaubens mit Namen Zxxx im Cricketclub. Schon beim Bundesamt wie auch beim Verwaltungsgericht blieb der Kläger eine nachvollziehbare Erklärung dafür schuldig, weshalb er erst im Jahre 2011 von Zxxx angesprochen und aufgefordert worden sein will, mit in die Kirche zu gehen, und dieses nicht schon viel früher geschehen sein soll. Er hatte lediglich angegeben, dass sie erst im Jahre 2011 starke Freunde geworden seien, ohne dieses aber näher zu erläutern. Auch in der mündlichen Verhandlung fehlte eine schlüssige Antwort auf entsprechende Fragen des Senats. Bemerkenswert ist zudem, dass der Kläger bei der Anhörung durch das Bundesamt mehrfach davon gesprochen hatte, dass verschiedene „Jungs“ christlichen Glaubens aus dem Club, die enge Freunde von ihm gewesen seien, ihn angesprochen und aufgefordert hätten, in die Kirche zu gehen, während in der mündlichen Verhandlung davon auch nicht mehr im Ansatz die Rede war, sondern nur noch von Zxxx. Die Freunde sollen nach den beim Bundesamt gemachten Angaben auch die Ausreise gemeinsam organisiert haben, wovon der Kläger in der mündlichen Verhandlung ebenfalls nicht mehr gesprochen hatte. Schließlich kann angesichts grundlegender Widersprüche und Unzulänglichkeiten nicht übersehen werden und muss auch jedenfalls in der Gesamtschau zum Nachteil des Klägers gewertet werden, dass er beim Bundesamt den Namen des Freundes mit „Axxx“ angegeben hatte. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass es sich um einen Übertragungsfehler gehandelt haben könnte, sieht der Senat nicht. Denn zum einen ist die Ähnlichkeit beider Namen nicht sehr groß, zum anderen wurde die Niederschrift rückübersetzt, ohne dass der Kläger insoweit eine Berichtigung angebracht hätte; auch in der Folgezeit nach Erhalt einer Protokollabschrift ist solches nicht geschehen. Bemerkenswert ist auch, dass der Kläger beim Bundesamt nicht näher eingrenzen konnte, wann er im Jahre 2011 mit den Besuchen in der Kirche begonnen hatte, während er beim Verwaltungsgericht den Vorfall immerhin nunmehr auf den achten oder neunten Monat 2012 (gemeint 2011) relativ präzise datieren konnte. In der mündlichen Verhandlung will er nunmehr mit den Besuchen im neunten Monat begonnen haben, während sich der Vorfall im zehnten Monat abgespielt haben soll. Das wiederum passt offensichtlich nicht zu seinem Vorbringen, er sei nach dem Vorfall nicht mehr zur Familie gegangen, sondern zu Zxxx, bei dem er noch 20 bis 25 Tage geblieben sei bis er mit dem Zug von Lahore nach Quetta gefahren sei, während er beim Bundesamt angegeben hatte, am 23.12.2011 (nicht wie im Protokoll offensichtlich irrtümlich ausgeführt 2012) von Lahore mit dem Zug nach Quetta gefahren zu sein.
39 
III. Dem Kläger kann die Flüchtlingseigenschaft auch nicht allein deshalb zuerkannt werden, weil er inzwischen Christ ist und im Falle der Rückkehr seinen Glauben aktiv auch in der Öffentlichkeit praktizieren wird. Der Senat geht in diesem Zusammenhang nach den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass er als getaufter Christ seinem Glauben innerlich verbunden ist und es zu den von ihm als verbindlich verstanden Glaubensinhalten gehört, regelmäßig an den Gottesdiensten seiner Gemeinde teilzunehmen und sich an der Gemeindearbeit zu beteiligen.
40 
Christen in Pakistan droht nach den im Verfahren vom Senat zugrunde gelegten und ausgewerteten Erkenntnismitteln nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wegen ihres Glaubens und ihrer – auch öffentlichen – Glaubensbetätigung einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL ausgesetzt zu sein.
41 
Der Senat geht davon aus, dass in Pakistan mindestens 3 Millionen Christen leben (vgl. AA Lagebericht vom 08.04.2014, S. 6 und 16 – im Folgenden Lagebericht; vgl. aber auch Home Office, Pakistan, Country of Origin Information Report vom 09.10.2013, Ziffer 19.178 – im Folgenden COI – wonach laut einiger Quellen die Zahl in Wirklichkeit das Doppelte betragen soll). Nach der Rechtslage bestehen - anders als bei der religiösen Minderheit der Ahmadis – keine wesentlichen unmittelbaren Diskriminierungen der Christen in Pakistan (vgl. etwa Lagebericht, S. 13 f.; BAA, Bericht zur Fact Finding Mission, Pakistan, Juni 2013, S. 38 ff. und 51 ff. – im Folgenden BAA). Eine Ausnahme besteht insoweit, als der Premierminister sowie der Präsident Muslim sein muss, was teilweise als schlechtes Signal an die Bevölkerung beschrieben wird, dass die Minderheiten auch minderwertig seien (vgl. BAA, S. 51). Allerdings wirkt sich die sog. Blasphemiegesetzgebung auch bei der christlichen Minderheit faktisch zu ihrem Nachteil aus, zumal diese – nicht anders als bei anderen Minderheiten, aber auch bei der Mehrheitsbevölkerung – in erheblichem Maße aus eigensüchtigen Motiven und Gründen von den Anzeigeerstattern missbraucht wird (vgl. ausführlich auch BAA, S. 48 ff.; COI, Ziffer 19.33. ff.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Angehörigen religiöser Minderheiten in Pakistan, 10.10.2012, S. 6 f. – im Folgenden UNHCR; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2013, S. 27 ff und 101 ff. – im Folgenden HRCP).
42 
Der Senat hat sich zu den Blasphemiegesetzen in seinem den Beteiligten im Einzelnen bekannten Urteil vom 12.06.2013 (A 11 S 757/13 - juris) ausführlich geäußert, auf das zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird (vgl. dort Rn. 68 ff.). Wesentlich neue Aspekte haben sich insoweit zwischenzeitlich nicht ergeben. Betroffen sind davon allerdings in erster Linie nicht Angehörige der christlichen Minderheit. Dokumentiert sind zwei nicht rechtskräftige Todesurteile gegen eine christliche Frau und ein christliches Mädchen, ohne dass nähere Umstände hierzu bekannt geworden sind (vgl. etwa Human Rights Watch World Report 2014, S. 367 f. – im Folgenden HRWWR). Im Jahre 2012 kam es zu insgesamt 113 Anklagen (gegenüber 79 im Jahre 2011), davon 12 gegen Christen (Lagebericht, S. 14; vgl. auch HRCP, S. 33 f., die von geringfügig höheren Zahlen ausgeht). Im Jahre 2013 wurden insgesamt gegen 68 Personen Verfahren eingeleitet, darunter gegen 14 Christen; es wurden insgesamt mindestens 16 oder 17 Personen zum Tode und 19 oder 20 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, davon eine Verurteilung eines Christen zu lebenslanger Freiheitsstrafe und zwei Freisprüche von Christen (vgl. US Commission of International Religious Annual Report 2014, S. 76 – Im Folgenden USCIRF I; HRWWR, S. 367; HRCP, S. 33 ff.; vgl. zu weiteren Verurteilungen eines britischen Staatsangehörigen und einer pakistanischen Christin im Jahre 2014 Briefing Notes vom 27.01.2014 und 31.03.2014).
43 
Die Religionsausübung der christlichen Minderheit wird grundsätzlich staatlicherseits nicht eingeschränkt oder behindert. Für das Jahr 2012 wurde allerdings berichtet, dass auch staatliche Stellen sich an der Zerstörung christlicher Einrichtungen beteiligt hätten (vgl. US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2012, S. 126 – Im Folgenden USCIRF II). Vergleichbare Vorkommnisse werden für das Jahr 2013 in den zahlreichen Erkenntnismitteln an keiner Stelle mehr erwähnt (vgl. USCRIF I, S. 75 ff. und US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2013, S. 123 – im Folgenden USCRIF IV).
44 
Die wesentlichen Probleme, mit denen religiöse Minderheiten konfrontiert sind, sind die Auswirkungen der zunehmenden interkonfessionellen Gewaltakte von nicht-staatlicher Seite und Diskriminierungen im gesellschaftlichen Leben (vgl. hierzu schon ausführlich Senatsurteil vom 12.06.2013 – A 11 S 757/13). Allerdings ist festzustellen, dass sich diese Gewalttaten bislang überwiegend gar nicht gegen Christen, sondern gegen Angehörige der schiitischen Minderheit richten (vgl. BAA, S. 19 f und 47 f.; Lagebericht, S. 16; HRWWR, S. 367; USCIRF I, S. 75). Für das Jahr 2013 wurden insgesamt 658 Tote und 1195 Verletzte gezählt (vgl. Lagebericht S. 16), die gegen religiöse Minderheiten gerichteten interkonfessionellen Gewaltakten zum Opfer gefallen sind, während es sich im Jahre 2012 „nur“ um 507 Tote und 577 Verletzte gehandelt hatte (vgl. COI, Ziffer 19.233). Was die christliche Minderheit betrifft, sind besonders hervorzuheben ein Anschlag auf die anglikanische Allerheiligen-Kirche in Peshawar am 22.09.2013, durch den wohl etwa 100 Personen getötet und über 150 zum Teil schwer verletzt wurden (vgl. Lagebericht, S. 16, und USCIRF I, S. 76). Im März und April attackierte eine aufgehetzte Menschenmenge christliche Siedlungen bzw. Dörfer; bei den Attacken wurden über 100 Häuser zerstört, ohne dass aber Menschenleben zu beklagen waren (vgl. USCIRF I, S. 76; vgl. auch BAA, S. 42 f.; vgl. auch HRCP, S. 94 - zu weiteren – allerdings vereinzelten – Übergriffen auf Kirchen S. 94), wobei auch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Vorfall im März 2013 von langer Hand vorbereitet worden war. Im Wesentlichen alle verwerteten Erkenntnismittel sind sich in diesem Zusammenhang einig, dass staatliche Sicherheits- und Strafverfolgungsorgane hierbei den erforderlichen Schutz nur lückenhaft gewähren oder jedenfalls viel zu spät eingreifen, wobei dieses oftmals nicht allein darauf zurückzuführen ist, dass diese Organe überfordert wären, sondern auch auf einer offensichtlich mangelnden Bereitschaft beruht, effektiven Schutz zu gewähren (vgl. etwa BAA, S. 19 ff. und 42 ff.; HRWWR, S. 367; UNHCR, S. 1 f.; vgl. zu unzureichenden Schutzmaßnahmen schon Departement of State‘s International Religious Freedom Report for 2012, Stichwort „Government Inaction“ – Im Folgenden USCIRF III). Allerdings ist auch festzuhalten, dass es fundierte Berichte gibt, dass Polizeiorgane bei dem Versuch, den gebotenen Schutz zu gewähren, ernsthafte Verletzung erlitten haben (vgl. BAA, S. 43; vgl. auch S. 46 zu Schutzmaßnahmen bei Prozessionen). Immerhin haben die Sicherheitsorgane nach gewalttätigen Übergriffen auch Ausgangssperren zum Schutze der Minderheiten und gegenüber muslimischen Klerikern Verbote verhängt, die Stadt zu betreten, um zu verhindern, dass diese zur Gewalt aufstacheln und Hassreden halten (vgl. HRCP S. 76). Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang abschließend, dass es nach dem Angriff am 22.09.2013 in Lahore und Islamabad bemerkenswerte zivilgesellschaftliche Solidaritätsaktionen zugunsten der Christen gab, indem um mehrere Kirchen Menschenketten gebildet wurden (HRCP, S. 94).
45 
Selbst wenn man bei der gebotenen qualitativen Bewertung (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - NVwZ 2011, 56, vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 - NVwZ-RR 2014, 487) berücksichtigt, dass derartige Gewaltakte teilweise nicht vorhergesehen werden und die Angehörigen der religiösen Minderheiten gewissermaßen aus heiterem Himmel treffen können, was es ihnen dann aber unmöglich macht, ihnen auszuweichen, so genügen selbst die für das Jahr 2013 festgestellten Opferzahlen, die nach den verwerteten Erkenntnismitteln überwiegend nicht die christliche Minderheit betreffen, bei weitem nicht, um die Annahme zu rechtfertigen, jeder Angehörige dieser mindestens drei Millionen zählenden Minderheit müsse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, in einer noch überschaubaren Zeit Opfer derartiger Leib oder Leben betreffenden Akte zu werden. Daran ändern nichts die etwa vom Auswärtigen Amt im Lagebericht vom 08.04.2014 (S. 16) getroffene Feststellung, dass nach den Ereignissen des Jahres 2013 die Bedrohungslage der christlichen Minderheit in Pakistan eine neue Qualität habe, und die Tatsache, dass die Human Rights Commission of Pakistan davon spricht, dass das Jahr 2013 eines der schwärzesten für die christlichen Gemeinden in Pakistan gewesen sei (HRCP, S. 92). Auch UNHCR ist bislang der Auffassung gewesen, dass eine generelle, vom Einzelfall unabhängige Gefährdung nicht besteht (UNHCR, S. 8). Selbst die Organisation „Open Doors“ (Länderprofile Pakistan), die insgesamt ein durchaus düsteres Bild vermittelt, das aber in den anderen Erkenntnismitteln keine unmittelbare Entsprechung findet, geht davon aus, dass die christlichen Gemeinden sich nach wie vor ungehindert auch mit Öffentlichkeitsbezug versammeln und arbeiten können, auch wenn mitunter die Kirchen von bezahlten Wachleuten geschützt werden. Der Senat kann daher offen lassen, ob der pakistanische Staat den durch Art. 7 Abs. 2 QRL geforderten effektiven Schutz gewährleistet, was aber nach den verwerteten Erkenntnismitteln eher zu verneinen sein dürfte.
46 
Dass es nach wie vor ein reges, wenn auch nicht ungefährliches religiöses Leben der christlichen Minderheit auch mit unmittelbarem Öffentlichkeitsbezug in Pakistan gibt, wird beispielhaft illustriert durch die – auch neueren – Berichte, die auf der Website http://www.kirche-in-not.de/tag/pakistan erschienen sind und weiter erscheinen. Dass tatsächlich der christliche Glaube in nennenswertem Umfang in Pakistan gelebt und aktiv praktiziert wird, lässt sich auch unschwer daraus ablesen, dass die Kirchen in erheblichem Umfang Schulen und andere Bildungseinrichtungen betreiben (vgl. missio, Länderberichte Religionsfreiheit: Pakistan, 2012, S. 18 – im Folgenden missio; Deutschlandradio Kultur vom 13.01. und 11.02.2014; vgl. auch den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Ausdruck des Internetauftritts der FGA-Church Pakistan). Auch ist darauf hinzuweisen, dass die Erzdiözesen Karachi und Lahore seit langer Zeit größere Krankhäuser betreiben und auch seit 2009 eigene Fernsehsender unterhalten (Wikipedia, Roman Catholic Archdiocese of Lahore Stand 28.03.2014; Wikipedia, Roman Catholic Archdiocese of Karachi Stand 28.03.2014).
47 
Die gesellschaftliche und soziale Lage der christlichen Minderheit wird übereinstimmend als durchaus prekär und durch vielfältige Diskriminierungen geprägt beschrieben. Gleichwohl ist das Bild zwiespältig. Die festzustellende Marginalisierung und Diskriminierung beruht dabei keineswegs allein oder ganz überwiegend auf dem christlichen Glauben, sondern hat auch eine wesentliche Wurzel in dem noch nachwirkenden und überkommenen Kastenwesen, weil die Christen zum größten Teil Nachkommen von Hindus sind, die der Kaste der Unberührbaren angehörten (vgl. BAA, S. 52; COI, Ziffer 19.198 und 19.204). Dies hat zur Folge, dass die überwiegende Zahl der Christen der Unterschicht zuzurechnen ist und unter der Armutsgrenze lebt, was im Übrigen auch für andere Minderheiten gilt, und die Rate von Analphabetentum sehr groß ist (vgl. Lagebericht, S. 13 f.; BAA, S. 50 ff.; Immigration und Refugee Board of Canada, Pakistan: Religious conversions, including treatment of converts and forced conversions (2009 – 2012), Ziff. 1 – im Folgenden Canada). Diese Stellung wiederum macht eine wesentliche Ursache dafür aus, dass junge christliche Frauen und Mädchen in besonderem Maße das Opfer von unfreiwilligen Bekehrungen und Verheiratungen nach Entführungen werden (vgl. COI, Ziffer 19.188 und 19.198; UNHCR, S. 7; HRCP, S. 95 f.), wobei auch hier ein wirklich effektiver Schutz durch die pakistanischen Sicherheitsorgane nicht gewährt wird, auch wenn in der Nationalversammlung und auf der staatlichen Führungsebene das Problem gesehen und über Abhilfe diskutiert wird (vgl. Canada Ziff. 1). Allerdings berichtet die Pakistanische Menschenrechtsorganisation für das Jahr 2013 durchaus von erheblich weniger erfolgreichen oder versuchten zwangsweisen Konversionen bzw. Verheiratungen (vgl. HRCP, S. 91). Bei alledem darf letztlich aber zudem nicht die Tatsache ausgeblendet werden, dass Entführungen, Zwangsverheiratungen und Vergewaltigungen von (jungen) Frauen in Pakistan ein durchaus gesamtgesellschaftliches Phänomen und Problem darstellen, das weit über die christliche Minderheit hinausreicht (vgl. COI, Ziff. 23.156 ff.; Lagebericht, S. 19 und 21). Die Christen arbeiten überwiegend in der Landwirtschaft, der Steinbearbeitungs-, Glas-, Teppich- und Fischereiindustrie, für die auch Elemente von Zwangsarbeit festgestellt wurden, gegen die die staatlichen Stellen trotz entsprechender Verbotsgesetze nicht effektiv vorgehen (vgl. UNHCR, S. 8). Die Diskriminierung der christlichen Minderheit findet aber auch hier nicht in erster Linie im staatlichen Sektor statt, in dem allenfalls in Bezug auf höhere Positionen eine signifikante Unterrepräsentierung festzustellen ist (vgl. BAA, S. 51; vgl. zum Bildungswesen und diskriminierenden Bildungsinhalten bzw. zum obligatorischen islamischen Religionsunterricht USCIRF III, Stichwort „Governments Practice“). Die staatliche Seite versucht durchaus, gesellschaftlichen Diskriminierungen entgegen zu arbeiten (vgl. BAA, S. 41 und 52). An einer konsequenten, geschweige denn erfolgreichen auf den nicht-staatlichen Bereich bezogenen Antidiskriminierungspolitik mangelt es zwar. Ein solches Unterlassen stellt jedoch keine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 (hier v.a. lit. b, c und d) QRL dar, wenn man überhaupt in einem Unterlassen eine relevante Verfolgungshandlung sehen will (vgl. zum Problem grundsätzlich Marx, Handbuch zu Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., § 11 Rn. 2 ff.), weshalb schon deshalb auch aus einer Gesamtschau aller negativen Faktoren (einschließlich der festgestellten Übergriffe auf Leib und Leben sowie vereinzelter menschenrechtlich fragwürdiger Verfahren wegen eines behaupteten Verstoßes gegen einzelne Bestimmungen der Blasphemiegesetzgebung) keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL abgeleitet werden kann. Denn nur in einer finalen und systematischen Vorenthaltung des staatlichen Schutzes zur Vermeidung erheblicher Menschenrechtsverletzungen kann überhaupt ein zurechenbares und daher flüchtlingsrechtlich relevantes Verhalten erblickt werden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - NVwZ 2009, 984), was jedoch aus den verwerteten Erkenntnismitteln nicht hinreichend deutlich zutage tritt. Geht man hingegen davon aus, dass in einem Unterlassen generell keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 QRL liegen kann und verortet man die Problemstellung (nur) bei der Frage, welche Anforderungen an das nach Art. 7 Abs. 2 QRL geforderte nationale Schutzsystem zu stellen sind, so führt dies zu keiner anderen Sicht der Dinge. Zwar finden sich in einer Vielzahl von Menschrechtspakten ausdrückliche Diskriminierungsverbote (vgl. etwa Art. 2 AEM; Art. 14 EMRK; Art. 26 IPbpR), die mittlerweile zu einem allgemeinen völkergewohnheitsrechtlichen Diskriminierungsverbot erstarkt sein dürften (vgl. Marx, a.a.O., § 16 Rn 45), das auch Art. 9 Abs. 2 QRL zugrunde liegt, das aber grundsätzlich in erster Linie an staatliche Akteure gerichtet ist. Es existiert jedoch keine allgemeine, auch flüchtlingsrechtlich relevante Verpflichtung, Diskriminierungen durch nicht-staatliche Akteure umfassend zu unterbinden und mit allen Mitteln effektiv zu bekämpfen. Ein auch solche Handlungen, die unterhalb der Schwelle von Eingriffen in Leib, Leben oder persönlicher Freiheit liegen, unterbindendes Schutzsystem wird durch Art. 7 Abs. 2 QRL nicht gefordert. Soweit etwa Art. 7 IPwskR das Recht der Arbeitnehmer auf gleiches Entgelt für gleichwertige oder auf gleiche Möglichkeiten auf beruflichen Aufstieg anerkennt und damit auch nicht-staatliche Akteure im Blick hat, handelt es sich nicht um ein Instrumentarium, das bedingungslos grundlegende menschenrechtliche Standards umschreibt, die flüchtlingsrechtlich eine Verpflichtung zu einer umfassenden Antidiskriminierungspolitik auslöst und daher Grundlage eines umfassenden flüchtlingsrechtlich relevanten menschenrechtlichen Schutzstandards sein könnte. Dies gilt namentlich dann, wenn - wie dargelegt - die allgemeine sozio-ökonomische Lage der christlichen Minderheit gar nicht monokausal auf ihre Religionszugehörigkeit zurückgeführt werden kann.
48 
Das vom Kläger angesprochene „land grabbing“ privater Akteure ist ein in Pakistan weit verbreitetes Phänomen und richtet sich nicht spezifisch gegen die christliche Minderheit, sondern betrifft auch andere Bewohner des Landes, die sich aufgrund ländlicher feudaler oder sonstiger ubiquitärer mafiöser Strukturen in einer unterlegenen Position befinden und bei denen nicht selten effektiver staatlicher Schutz ausfällt (vgl. COI, Ziff. 35.01; HRCP, S. 253).
49 
Ungeachtet dessen vermag der Senat den zahlreichen verwerteten Erkenntnismitteln auch keinen tragfähigen Ansatz für eine Feststellung zu entnehmen, dass die Lage der christlichen Minderheit generell betrachtet durch eine schwere Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL gekennzeichnet wäre.
50 
Etwas anderes gilt auch nicht allgemein und generell betrachtet für den Personenkreis der vom Islam zum Christentum Konvertierten.
51 
Zunächst ist davon auszugehen, dass die pakistanische Rechtsordnung den Vorgang der Konversion nicht untersagt oder gar strafrechtlich bewertet (vgl. Lagebericht, S. 14). Versuche, die Rechtslage zu Lasten der Konvertiten zu verändern, sind sogar gescheitert und aufgegeben worden (vgl. COI, Ziff. 19.66). Allerdings kann hier die bereits erwähnte Blasphemie-Gesetzgebung zum Einfallstor für Verfolgungen und Diskriminierungen werden, wenn es um die Beurteilung von Äußerungen und Verhaltensweisen im Kontext einer Konversion geht (vgl. missio, S. 13 und 17; Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014, S. 3). Dass aber in signifikantem Umfang der hier zu beurteilende Personenkreis betroffen sein könnte, lässt sich den vielfältigen Erkenntnismitteln nicht entnehmen, obwohl in ihnen eine unübersehbare Fülle von Einzelinformationen verarbeitet wurden. Auch missio benennt in diesem Kontext keine konkreten Einzelfälle, sondern weist nur auf die Möglichkeit hin. Für die staatliche Ebene wird allerdings berichtet, dass ein Neueintrag der christlichen Religion in den Personalausweisen bzw. Pässen nicht möglich ist, jedenfalls faktisch nicht vorgenommen wird (Canada, Ziffer 3). Zwar wird auch berichtet, dass im Falle einer Konversion beider Ehegatten die Kinder der Konvertierten als „illegitim“ eingestuft werden und der Staat die Kinder sogar in Obhut nehmen kann. Dazu wird aber in den zahlreichen Erkenntnismitteln, die sehr ausführlich über Konversion berichten, insbesondere auch in den spezifisch christlichen bzw. kirchlichen Erkenntnismitteln kein einziger Fall benannt, geschweige denn nachvollziehbar dokumentiert.
52 
Die Probleme liegen wiederum in erster Linie in der gesellschaftlichen Sphäre. Denn nicht unerhebliche Teile der pakistanischen Gesellschaft stehen den religiösen Minderheiten ablehnend, wenn nicht gar feindselig gegenüber. Umso mehr wird dann eine Konversion weg vom Islam missbilligt, was zu hohen Befürwortungsraten für die Verhängung der Todesstrafe führt (vgl. COI, Ziff. 19.67). Wie bereits dargelegt, hat sich diese gesellschaftliche Stimmung aber nicht in entsprechenden erfolgreichen Gesetzesvorhaben niedergeschlagen. Teilweise stößt eine Konversion in der eigenen Familie des Konvertiten auf strikte Ablehnung, was dazu führen kann, dass der Betreffende aus der Familie verstoßen wird. Vereinzelt ist es hier auch zu körperlichen Übergriffen bis zu Tötungen gekommen (vgl. Canada, Ziff. 1 und 3). Den verwerteten Erkenntnismitteln nach kann es sich aber nicht um eine weiter verbreitete oder gar allgegenwärtige Erscheinung handeln.
53 
Die Folgen der gesellschaftlichen und innerfamiliären Ablehnung und Missbilligung gehen dahin, dass Konvertiten es teilweise, jedoch nicht generell, bewusst vermeiden, die Konversion an die Öffentlichkeit zu tragen, und daher ggf. auch den Wohnort wechseln, um nicht in ihrem bisherigen Wohnumfeld aufzufallen, um dann andernorts gewissermaßen als „unbeschriebenes Blatt“ als Christ auftreten und diesen Glauben mit den oben beschriebenen Einschränkungen leben zu können (vgl. etwa Open Doors, Länderprofile Pakistan). Das bedingt aber andererseits, dass es verlässliche Zahlen über die Konversionen vom Islam weg nicht geben kann. Auch wenn angesichts der geschilderten Haltung der Mehrheitsgesellschaft davon auszugehen sein wird, dass die Zahl der erfolgten Lösungen vom Islam oder Konversionen weg vom Islam nicht sehr groß sein wird, so fehlt es doch gegenwärtig an ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass nach Maßgabe der für die Annahme einer Gruppenverfolgung zugrunde zu legenden Prognosemaßstäbe jeder pakistanische Staatsangehörige, der sich vom Islam löst, unterschiedslos ein reales Risiko läuft, von einer schweren Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. a) oder lit. b) QRL betroffen zu sein. Der Senat sieht sich in dieser Einschätzung durch den Bericht von Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014 und die dort geschilderte Haltung und Einschätzung eines ehemaligen Muslim bestätigt, die deutlich machen, dass Konversion bzw. auch nur Abkehr vom Islam möglich ist, tatsächlich stattfindet und keineswegs mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt. Im konkreten Einzelfall mag aufgrund individueller Umstände eine andere Beurteilung erforderlich werden. Unabhängig hiervon sieht der Senat keine durchgreifenden Hindernisse für eine Person in der Lage des Klägers, im Falle von unmittelbaren Anfeindungen und Übergriffen im persönlichen Umfeld seinen Wohnort zu wechseln (vgl. Art. 8 QRL), wie dieses nach den verwerteten Erkenntnismitteln immer wieder geschieht, um ein Leben als Christ führen zu können (vgl. Lagebericht, S. 24; Open Doors, Länderprofile Pakistan; Home Office, Country Information and Guidance, Pakistan: Religious freedom, 2014, Ziff. 2.4.16 f.). Aufgrund besonderer Umstände mag auch hier im Einzelfall etwas anderes gelten. Diese sind jedoch in der Person des Klägers nicht erkennbar geworden. Zwar hat er behauptet, als Cricketspieler in Lahore bekannt zu sein. Dass dieses landesweit der Fall gewesen sein könnte, erschließt sich dem Senat nicht. Denn solches wurde vom Kläger schon nicht nachvollziehbar und substantiiert behauptet. Ungeachtet dessen ist seine Person an keiner Stelle im Internet im Kontext des Cricketsports in Pakistan zu finden, worauf der Kläger in der mündlichen Verhandlung hingewiesen wurde.
54 
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO und 83b AsylVfG. Gründe dafür, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO).

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 04. August 2016 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beklagte wendet sich im Berufungsverfahren gegen die der Klägerin vom Verwaltungsgericht zuerkannte Eigenschaft eines Flüchtlings im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG.

2

Die Klägerin ist syrische Staatsangehörige, arabischer Volkszugehörigkeit und islamischen Glaubens. Eigenen Angaben zufolge reiste sie am 1. Oktober 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik ein und stellte am 27. April 2016 einen Asylantrag.

3

Die persönliche Anhörung erfolgte am 27. April 2016.

4

Das Bundesamt hat der Klägerin mit Bescheid vom 13. Mai 2016 den subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG zuerkannt (Nr. 1) und den Asylantrag im Übrigen abgelehnt (Nr. 2).

5

Die Klägerin hat gegen die Ablehnung ihres Antrages auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft am 23. Juni 2016 Klage erhoben.

6

Zur Begründung hat sie vorgetragen, sie sei gemeinsam mit ihrem Ehemann, einem Stabsfeldwebel der Syrischen Armee, aus Syrien im April 2013 geflohen. Zum Nachweis der Armeezugehörigkeit werde eine beglaubigte Übersetzung des Militärführerscheins für Unteroffiziere vorgelegt. Der Ehemann sei im Januar 2013 desertiert und mit ihr und den minderjährigen Kindern in die Türkei ausgereist. Nicht bloß ihrem Ehemann, sondern auch ihr, der Klägerin, drohe bei einer Rückkehr nach Syrien die zu erwartende obligatorische Rückkehrerbefragung durch syrische Sicherheitskräfte; mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit sei sie einer menschenrechtswidrigen Behandlung bis hin zur Folter ausgesetzt. Unabhängig hiervon habe sie bereits aufgrund des illegalen Verlassens ihres Heimatlandes, der Asylantragstellung und dem längeren Auslandsaufenthalt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen der damit einhergehenden vermuteten regimekritischen Haltung mit massiver Bedrohung und Verfolgung zu rechnen. Deshalb sei ihr die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Dass den von ihr aufgezeigten Umständen asylrechtliche Relevanz beigemessen werde, sei mittlerweile in der verwaltungsgerichtlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt.

7

Die Klägerin hat beantragt,

8

den Bescheid der Beklagten vom 13. Mai 2016 in Ziffer 2 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen.

9

Die Beklagte hat beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Sie sei aus Furcht vor dem in Syrien herrschenden Bürgerkrieg und somit aus Gründen, die ihre persönliche Sicherheit beträfen, ausgereist, nicht hingegen wegen Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Verfolger. Die von ihr geäußerte Befürchtung, ihr Auslandsaufenthalt könne zu einer Verfolgung führen, lasse keine andere Bewertung zu. Der syrische Staat stelle seit Januar 2015 Pässe in großer Stückzahl aus und ermögliche damit die Ausreise aktiv.

12

Das Verwaltungsgericht hat nach Anhörung der Beteiligten hierzu durch Gerichtsbescheid vom 4. August 2016 die Beklagte verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen und den angefochtenen Bescheid insoweit aufgehoben.

13

Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die Klägerin vorverfolgt aus Syrien ausgereist sei, denn ihr stünden beachtliche, den Schutzstatus des § 3 Abs. 1 AsylG auslösende Nachfluchtgründe zur Seite. Mit Blick auf die Erkenntnismittel und die aktuelle Situation in Syrien sei im Einklang mit der mittlerweile ganz überwiegenden Rechtsprechung davon auszugehen, dass der Klägerin bei einer Rückkehr in ihre Heimat ungeachtet individuell geltend gemachter Gründe und deren Glaubhaftigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung drohe. Es sei anzunehmen, dass der syrische Staat gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfungspunkt und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System ansehe, die das Gebot der Loyalität gegenüber diesem verletze. Ein solches Verhalten werde - ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen - vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst. Zumindest Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und damit auch aus Deutschland hätten in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ihre tatsächliche oder wohl zumeist nur vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen. An der im Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg (Urt. v. 06.07.2016, - RN 11 K 16.30889 -) dargestellten Lage in Syrien und der gewonnenen asylrechtlichen Einschätzung habe sich nichts verändert.

14

Auch die steigende Zahl an Flüchtlingen aus Syrien habe nicht zur Folge, dass der einzelne sich im westlichen Ausland aufhaltende Flüchtling aufgrund dieses Massenphänomens nicht mehr als potentieller politischer Gegner des Regimes angesehen werde. Vielmehr sei mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass rückkehrende Asylbewerber politisch verfolgt werden würden, weil die syrische Regierung den Bürgerkrieg als eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung ansehe. Unter den derzeitigen Umständen werde jeder sich im westlichen Ausland aufhaltende Syrer im Falle seiner Rückkehr als möglicher Oppositioneller angesehen.

15

Nach den aktuellen „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (4. aktualisierte Fassung vom November 2015) sei von einer „immer schwierigeren Sicherheits- und Menschenrechtslage und humanitären Situation in Syrien“ auszugehen. Aufgrund einer weiterhin fehlenden politischen Lösung begrüße der UNHCR die Tatsache, dass viele Regierungen Maßnahmen ergriffen hätten, um die zwangsweise Rückführung von syrischen Staatsangehörigen oder Personen mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in Syrien auszusetzen, einschließlich solcher Personen, deren Asylanträge abgelehnt worden seien. Nach Einschätzung des UNHCR sei es wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllten, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK hätten. Die Einschätzung, dass sich die Lage in Syrien im Vergleich zu den Jahren 2012/2013 weiter verschlechtert habe, werde von dem Gericht geteilt.

16

Auch der Annahme der Beklagten, die vermehrte Ausstellung syrischer Pässe spreche gegen die Annahme staatlicher Verfolgung syrischer Rückkehrer und Rückkehrerinnen, sei nicht zu folgen. Nach Angaben von Pro Asyl verfolge das syrische Regime auch ökonomische Interessen. An der Ausstellung von ca. 800.000 Pässen verdiene es ca. 470 Mio. Euro (Pressemitteilung v. 08.06.2016). Auch nach der vom Verwaltungsgericht Regensburg zitierten Einschätzung des Auswärtigen Amtes sei zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen syrischen Staatshaushalt zugutekämen.

17

Der Klägerin stehe schließlich keine sichere, innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne von § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG zur Verfügung; denn es bestehe nur die Möglichkeit einer Einreise über den von syrischen Regierungskräften kontrollierten Flughafen von Damaskus.

18

Die Flüchtlingsanerkennung scheide auch nicht aus anderen Gründen aus, so dass die beachtliche Wahrscheinlichkeit bestehe, dass der Klägerin bei einer Rückkehr nach Syrien politische Verfolgung drohe, weil sie die vermutete Systemfeindlichkeit im Rahmen einer Befragung durch die syrischen Sicherheitsbehörden nicht werde widerlegen können.

19

Mit der mit Beschluss des Senats vom 27. September 2016 zugelassenen Berufung verfolgt die Beklagte die Abweisung der Klage unter Abänderung des Gerichtsbescheides vom 4. August 2016.

20

Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, es gebe keine gesicherten Anhaltspunkte dafür, dass abgeschobenen Rückkehrern grundsätzlich ungeachtet besonderer persönlicher Umstände oppositionelle Tätigkeit unterstellt werde und die Befragungen und damit teilweise auch einhergehenden Misshandlungen in Anknüpfung an ein asylrechtliches Merkmal erfolgten. Aus den bislang aufgrund der Auskunftslage zur Verfügung stehenden Einzelfällen könne ungeachtet des Unrechtsgehalts dieses staatlichen Handelns keine Motivation des syrischen Staates abgeleitet werden. Eine vorherige Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien deshalb für sich allein kein Grund für Verhaftung oder Repressalien. Dass Rückkehrer generell der Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt seien, begründe daher lediglich einen Anspruch auf Abschiebungsschutz. Auch aus der vom Verwaltungsgericht zitierten Rechtsprechung ließen sich keine belastbaren Erkenntnisse für das Vorliegen einer asylrechtlich erheblichen Gefahr einer politischen Verfolgung herleiten. Der syrische Staat habe weder Veranlassung noch entsprechende Ressourcen, alle zurückgeführten unpolitischen Asylbewerber ohne erkennbaren individuellen Grund in asylrechtlich relevantem Maße zu verfolgen. Auch die massenhafte Ausstellung von Pässen spreche gegen die Auffassung, dass Rückkehrern wegen eines Auslandsaufenthalts eine regimekritische Gesinnung unterstellt werde.

21

Die Beklagte beantragt,

22

den Gerichtsbescheid, Az. 12 A 222/16, vom 4. August 2016 des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts zu ändern und die Klage abzuweisen.

23

Die Klägerin beantragt,

24

die Berufung zurückzuweisen.

25

Dass die gegenwärtige Lage in Syrien vom Verwaltungsgericht zutreffend dargestellt und gewürdigt worden sei, ergebe sich auch aus weiteren Länderberichten. Die eingeholten Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes und des Deutschen Orient-Instituts seien hingegen nicht geeignet, die Annahmen des Verwaltungsgerichts zu widerlegen. Im Übrigen sei sie, die Klägerin, vorverfolgt ausgereist. Ihr Ehemann sei Unteroffizier bei der syrischen Armee gewesen und habe in einer Abteilung gearbeitet, die sich mit der Ermordung des Libanesen R. beschäftigt habe. 2012 sei ihr Ehemann, als er an der Front habe kämpfen sollen, desertiert und mit seiner Familie im August von Damaskus zunächst nach Latakia geflohen und von dort aus weiter nach Idlib. Aufgrund der Desertation würde ihr, der Klägerin, mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der Rückkehr nach Syrien Verfolgung drohen.

26

Der Senat hat mit Beschluss vom 27. September 2017 Beweis erhoben zu der Frage, ob unverfolgt ausgereiste Rückkehrer wegen einer vermuteten oppositionellen Haltung Befragungen seitens des syrischen Staates ausgesetzt sind und, sollte dies der Fall sein, wie hoch die Gefahr einzuschätzen ist, dass sie deshalb Verfolgungsmaßnahmen seitens des syrischen Staates ausgesetzt sein werden durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Auswärtigen Amtes und des Deutschen Orient-Instituts. Wegen des Inhalts der Gutachten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten (Bl. 114 f., 118f.).

27

Die Klägerin ist im Rahmen der mündlichen Verhandlung informatorisch zu den von ihr geltend gemachten Verfolgungsgründen angehört worden. Wegen der von ihr hierzu geltend gemachten Angaben wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2016 (Gerichtsakten Bl. 152ff ) Bezug genommen.

28

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie auf die Gerichtsakten.

Entscheidungsgründe

29

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat in dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts vom 4. August 2016 war daher abzuändern und die Klage abzuweisen.

30

Nach § 3 Abs. 1 AsylG (zitiert nach der hier anwendbaren Variante) ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich 1. aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe 2. außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Gemäß § 3 Abs. 4, 1. Halbsatz AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.

31

§ 3a Abs. 1 Satz 1 AsylG definiert den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Begriff der Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention als dauerhafte oder systematische schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte (vgl. Marx, AsylVfG-Komm., 8. Aufl., § 3a Rn. 3); in Absatz 2 werden besondere Beispiele für das Vorliegen einer Verfolgungshandlung bezeichnet. § 3b Abs. 1 AsylG beschreibt abschließend die maßgeblichen Verfolgungsgründe. Zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen, § 3a Abs. 3 AsylG. Wer eine ihm geltende Verfolgungshandlung (§ 3a) sowie den Wegfall nationalen Schutzes (§ 3c - § 3e) darlegen kann, wird als Flüchtling anerkannt, wenn die Verfolgung auf einem oder mehreren der in § 3b Abs. 1 bezeichneten Verfolgungsgründen beruht. Kann die Anknüpfung der Verfolgung an einen Verfolgungsgrund nicht dargelegt werden, besteht nach Maßgabe der entsprechenden Voraussetzungen Anspruch auf subsidiären Schutz (§ 4 Abs. 1) (Marx, a.a.O., § 3a Rn. 50).

32

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anhand des inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, ob eine spezifische Zielrichtung vorliegt, die Wirkung mithin wegen eines geschützten Merkmals erfolgt (BVerfGE 80, 315, 335; BVerfGE 81, 142, 151; Marx, a.a.O., § 3 a, Rn. 54). Danach wohnt dem Begriff der Verfolgung ein finales Element inne, da nur dem auf bestimmte Merkmale einzelner Personen oder Personengruppen zielenden Zugriff erhebliche Wirkung zukommt. Das Kriterium „erkennbare Gerichtetheit der Maßnahme“ und das Erfordernis, dass die Verfolgung an geschützte Merkmale anknüpfen muss, verdeutlichen, dass es auf die in der Maßnahme objektiv erkennbar werdende Anknüpfung ankommt (Marx, a.a.O., Rn. 54).

33

Dabei ist es für die Annahme von Verfolgung nicht erforderlich, dass von politischer Verfolgung Betroffene entweder tatsächlich oder nach der Überzeugung des verfolgenden Staates selbst Träger eines verfolgungsverursachenden Merkmals sind. Politische Verfolgung kann auch dann vorliegen, wenn der oder die Betroffene lediglich der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist (BVerfG, Kammerbeschluss v. 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, juris Rn. 5). In diesem Sinne sieht § 3b Abs. 2 AsylG vor, dass es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich ist, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden. Dafür, dass die Verfolger einen Verfolgungsgrund unterstellen, müssen jedoch Umstände ermittelt werden (vgl. Marx, a.a.O., § 3b Rn. 78).

34

Nach der im Rahmen der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung der Klägerin ist der Senat davon überzeugt, dass diese unverfolgt ihr Heimatland Syrien verlassen hat. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung genügt der Asylbewerber seiner ihm obliegenden Mitwirkungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO nur dann, wenn er drohende oder bereits erlittene politische Verfolgung in „schlüssiger“ Form vorträgt. Hierzu ist erforderlich, dass er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildert, aus dem sich - als wahr unterstellt - ergibt, dass er bei verständiger Würdigung politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu gewärtigen hat. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen (ständ. Rspr. BVerwG, Urt. v. 24.11.1981 - BVerwG 9 C 251.81 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 31; v. 22.03.1983 - BVerwG 9 C 68.81 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 44; Beschl. v. 26.10.1989 - 9 B 405/89 -, juris, Rn. 8; Beschl. v. 15.08.2003 - 1 B 107/03, 1 PKH 21 PKH 28/03 -, juris Rn. 5). Diese Anforderungen erfüllt die Klägerin nicht. Sie hat erstmals in der im Rahmen des Berufungsverfahrens durchgeführten persönlichen Anhörung ausgeführt, ihr Ehemann sei nach Erhalt eines Einsatzbefehls aus der syrischen Armee desertiert und habe mit ihr und den gemeinsamen Kindern Damaskus zunächst in Richtung Latakia verlassen. In Idlib sei er, nachdem er sich als Deserteur offenbart gehabt habe und von einer bewaffneten Person als Mitglied des Ausschusses zur Aufklärung der Ermordung des früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri erkannt worden sei, von der Al-Nusra-Front mitgenommen und ca. vierzehn Tage festgehalten worden. Familienangehörige ihres Ehemannes seien ebenfalls festgenommen worden, um den Aufenthaltsort ihres Mannes sowie dessen Familie ausfindig zu machen. Sie selbst seien weiter in die Türkei geflüchtet, von wo sie als einzige weiter nach Deutschland geflüchtet sei. Dieses Vorbringen genügt nicht den Anforderungen an einen schlüssigen, in sich widerspruchsfreien Vortrag. Der Asylbewerber ist gehalten, sich bereits bei der Antragstellung vor dem Bundesamt für Flüchtlinge und Migration über die Tatsachen zu erklären, die seine Furcht vor politischer Verfolgung begründen (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.06.1991 - 9 C 131/90 -, juris Rn. 9). Die Klägerin hat bei ihrer Anhörung bei der Beklagten erklärt, sie sei mit ihrer Familie aus Furcht vor dem Bürgerkrieg geflohen. Sie hat trotz gezielter Nachfragen des Senats in der mündlichen Verhandlung nicht zu erklären vermocht, warum sie die 50 Minuten währende Anhörung bei der Beklagten nicht dazu genutzt hat, sich über ihr im Rahmen des anhängigen gerichtlichen Verfahrens erstmalig vorgetragenes individuelles Fluchtschicksal zu erklären. Auch, wenn es dem Asylbewerber grundsätzlich unbenommen bleibt, sein Verfolgungsschicksal später, das heißt in dem sich anschließenden (Gerichts-)Verfahren, zu ergänzen und zu konkretisieren, muss das Kerngeschehen grundsätzlich - wie ausgeführt - bereits bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Flüchtlinge und Migration in sich stimmig und widerspruchsfrei geschildert werden. Daran mangelt es hier. Die Klägerin hat ihr Vorbringen gegenüber demjenigen vor dem Bundesamt erheblich verändert und dann deutlich gesteigert. An dieser Einschätzung vermag auch der Umstand nichts zu verändern, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Klagebegründung (kurze) Ausführungen zu der Desertation ihres Ehemannes und der anschließenden Flucht der Familie durch und aus Syrien gemacht hat. Denn auch insoweit handelt es sich bereits um gesteigertes Vorbingen gegenüber der erstmaligen Anhörung. Hinzu kommt, dass die Klägerin ihr schriftsätzlich vorgetragenes und ihr mündliches Vorbringen im Berufungsvorbringen weiter gesteigert hat. Sie hat zu keinem Zeitpunkt des Asylverfahrens einen in sich stimmigen widerspruchsfreien Vortrag zu Protokoll erklärt. Vielmehr sind die von der Klägerin vorgebrachten mündlichen Schilderungen zu ihrem Verfolgungsschicksal nicht von persönlichem Erleben getragen. Dies schlussfolgert der Senat insbesondere aus den vage gebliebenen, insgesamt konstruiert wirkenden Angaben zu den Umständen der Flucht aus Latakia und der anschließenden Festnahme des Ehemannes nahe der Stadt Idlib. Welche Motivation hinter der Festnahme gestanden haben soll, bleibt völlig unklar. Auch das vorangegangene Fluchtgeschehen von Latakia nach Idlib mittels eines Lkw, auf dessen Ladefläche der Ehemann der Klägerin versteckt worden sein soll, bleibt in den Schilderungen der Klägerin detailarm und von Zufällen getragen, die ein reales Erleben als eher fernliegend erscheinen lassen. Ebenso bleibt es widersprüchlich, dass der Ehemann nach seiner Desertation und dem Weggang nach Latakia offenbar noch weitere acht Monate bei der Militärpolizei gearbeitet und im Wechsel eine Woche in Damaskus und eine Woche in Latakia gearbeitet haben will. Die Entfernung zwischen beiden Städten beträgt rund 330 km einfache Wegstrecke (Luftlinie gut 227 km).

35

Hätten sich die geschilderten Geschehnisse tatsächlich so zugetragen, bleibt umso mehr unverständlich, warum die Klägerin, die auch persönlich bedroht worden sein will, hierzu keinerlei Ausführungen bei ihrer persönlichen Anhörung bei der Beklagten gemacht hat. Weder Nachfragen des Senats in der mündlichen Verhandlung noch solche im Rahmen der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Flüchtlinge und Migration haben es vermocht, Widersprüche aufzulösen und das vorgetragene Verfolgungsschicksal in sich stimmiger zu machen. Im Gegenteil: Dass die Klägerin nach Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung vor dem Senat ihre informatorische Anhörung dahingehend ergänzt hat, sie sei - obwohl sie bekundet hat, in Syrien keiner Vernehmung ausgesetzt gewesen zu sein - bei der Anhörung vor dem Bundesamt an Vernehmungen in Syrien erinnert gewesen und habe Angst bekommen, ist nicht ansatzweise glaubhaft. Hinzu kommt, dass sie, die zudem keiner politischen Vereinigung angehört und sich auch nicht politisch engagiert hat, auch auf Nachfrage nicht zu erklären vermocht hat, warum sie die Frage nach ihrer Befürchtung bei einer Rückkehr in ihre Heimat dahingehend beantwortet hat, sie befürchte eine Bestrafung, weil die ausgereisten Syrer als Verräter gelten würden. Es hätte vielmehr nahe gelegen, bei einem von realem Erleben getragenen Geschehen von sich aus das Verfolgungsschicksal vom Beginn der Asylantragstellung an nachvollziehbar zu schildern.

36

Bei einer derartigen Sachlage war der Senat im Übrigen nicht gehalten, den Sachverhalt weiter aufzuklären und etwa Beweis darüber zu erheben, ob die in Kopie und Übersetzung zu den Gerichtsakten gelangten Dokumente (Unteroffizierausweis und Militärführerschein für Unteroffiziere) echte Urkunden der syrischen Armee darstellen und ob es sich bei der dort abgebildeten Person tatsächlich um den Ehemann der Klägerin handelt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts findet die Pflicht der Gerichte zur Aufklärung des Sachverhalts ihre Grenze dort, wo das Klagevorbringen des Klägers keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet. Ein solcher tatsächlicher Anlass besteht im Prozess wegen Anerkennung als Asylberechtigter dann nicht, wenn der Kläger unter Verletzung der ihn treffenden Mitwirkungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz VwGO seine guten Gründe für eine ihm drohende politische Verfolgung nicht in schlüssiger Form vorträgt (BVerwG, Beschl. v. 26.10.1989, a.a.O., Rn. 8; Beschl. v. 26.11.2007 - 5 B 172/07 - , juris Rn. 3).

37

Hat die Klägerin danach ihr Heimatland unverfolgt verlassen, besteht nach der gegenwärtigen Erkenntnislage keine hinreichende Grundlage für die Annahme, dass der totalitäre syrische Staat jeden Rückkehrer pauschal unter eine Art Generalverdacht stellt, der Opposition anzugehören (in diesem Sinne etwa Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschl. v. 27.01.2014 - 3 A 917/13.Z.A -, juris Rn. 7; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschl. v. 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, juris Rn. 8). In diesem Sinne sind auch die vom Verwaltungsgericht angestellten Erwägungen, die sich im Wesentlichen auf Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe sowie auf die vom Verwaltungsgericht Regensburg herangezogenen „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (November 2015, Asyldokumentation Nr. 598b) beziehen, nicht geeignet konkrete Anhaltspunkte für eine - pauschal alle Rückkehrer betreffende - Rückkehrgefährdung anzunehmen. Nach den Erwägungen des UNHCR kann aus Syrien ausgereisten syrischen Staatsangehörigen Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die diesen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt wird, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliert, aus denen die Betroffenen stammen. Diese Einschätzung ist jedoch nicht ausreichend für die Annahme, allen aus Syrien ausgereisten Flüchtlingen würde mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Wiedereinreise asylrelevante Verfolgung drohen.

38

Bei Zugrundelegung der oben genannten Maßstäbe fehlt es vielmehr an einer Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund jedenfalls insoweit, als dass sich die Klägerin darauf beruft, sie hätte aufgrund ihrer illegalen Ausreise, der Stellung des Asylantrages und des längeren Aufenthaltes im Bundesgebiet mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit asylrelevanter Verfolgung seitens des syrischen Staates zu rechnen. Aufgrund der im Rahmen der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung der Klägerin geht der Senat davon aus, dass diese unverfolgt ausgereist ist, so dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die Beurteilung der Verfolgungsgefahr der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 25/10 -, juris Rn. 23).

39

Beachtlich ist die Wahrscheinlichkeit, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für die Annahme einer Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Tatsachen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Ausländers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Ob das der Fall ist, beurteilt sich nicht aufgrund einer quantitativen, sondern aufgrund einer qualifizierenden Betrachtungsweise. Eine theoretische Möglichkeit, dass sich eine Gefahr realisiert, reicht allerdings nicht aus (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162 (169) m.w.N.; Urt. v. 05.07.1994 - 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 391 (393); Beschl. v. 31.03.1998 - 9 B 843.97 -, juris; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, juris Rn. 25).

40

Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage ist zur Überzeugung des Senats nicht davon auszugehen, dass die Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen seitens des syrischen Staates bei einer Rückkehr in ihr Heimatland zu rechnen hätte. Die Klägerin hat sich in Syrien nicht politisch betätigt, so dass es an dem Vorliegen eines Verfolgungsgrundes - in Betracht käme ersichtlich nur derjenige nach § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG - fehlt. Sie ist vielmehr wegen des herrschenden Bürgerkrieges und den sich daraus für sich und ihre Familie ergebenden Folgen ausgereist. Der Senat geht davon aus, dass angesichts der erheblichen Zahl der insbesondere im vergangenen Jahr aus Syrien ausgereisten Menschen (knapp 430.000 Flüchtlinge, vgl. ZEIT ONLINE vom 08.06.2016, Asyldokumentation Nr. 599c, und Mediendienst-Integration, Stand: 01.08.2016, Asyldokumentation Nr. 599e) auch dem syrischen Staat bekannt sein dürfte, dass - wie die Klägerin - die weit überwiegende Anzahl der Flüchtenden aus Angst vor dem Bürgerkrieg und den daraus resultierenden Folgen ihr Heimatland verlassen haben. Allein die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der Auslandsaufenthalt stellen daher keine Anzeichen für politische Gegnerschaft zum syrischen Regime dar (so auch Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 06.10.2016 - 14 A 1852/16.A -, juris Rn. 18). Diese Einschätzung deckt sich mit der gegenwärtig vorliegenden Auskunftslage, wonach auf Ebene der Bundesregierung keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass Rückkehrer allein aufgrund ihres vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sind. Ebenfalls liegen keine Erkenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien vor (Auswärtiges Amt, Auskunft an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht vom 07.11.2016, Asyldokumentation Nr. 602). In Übereinstimmung hiermit steht eine Auskunft des Deutschen Orient-Instituts (vom 08.11.2016 an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht, Asyldokumentation Nr. 603), wonach die syrische Regierung, nachdem in beinahe allen Landesteilen im Frühjahr 2011 Proteste und Unruhen ausgebrochen waren, die Kontrolle über größere Teile des Staatsgebiets verloren hat. Danach werden im Osten nach wie vor weiter besiedelte Gebietsteile durch den sogenannten Islamischen Staat kontrolliert. Die Grenzregionen zu Jordanien und der Türkei werden von verschiedenen oppositionellen Rebellengruppen beherrscht; der mehrheitlich kurdische Teil Syriens, besonders im Norden und Nordosten, hat sich selbst zu föderalen Provinzen erklärt. Die Gebiete zwischen den größten Städten im Westen des Landes (vor allem Damaskus und Umland, Hama, Homs, Aleppo und mit Abstrichen auch Latakia) werden durch verschiedene Gruppierungen oder die Regierung kontrolliert. Die Grenzziehung zwischen diesen Zonen unterliegt einer stetigen Veränderung der Frontverläufe und Kontrolle. Befragungen oder Verfolgung durch die syrische Regierung sind also derzeit zunächst nicht in allen Landesteilen realistisch.

41

Diese Auskunft, die sich weiterhin mit der Ausreisegenehmigung und der Einziehung zum Wehrdienst für männliche Staatsangehörige im Alter zwischen 18 und 42 Jahren einschließlich der drohenden Konsequenzen für Deserteure beschäftigt sowie mit der besonderen Gruppe der in Syrien wohnhaften Kurden, bestätigt im Kern die Einschätzung, dass jedenfalls keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien, die nicht im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten stehen wie etwa Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger, Übergriffe oder gar Sanktionen zu erleiden haben. Befragungen sind danach bei einer Wiedereinreise über Damaskus zwar nicht unrealistisch; es ist aber wegen der in der Auskunft hervorgehobenen Personengruppen der Deserteure und Kurden jedenfalls nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass mit einer eventuellen Befragung negative Konsequenzen für diejenigen potentiell Betroffenen zu befürchten sind, die lediglich aufgrund des Bürgerkrieges ihr Heimatland verlassen haben. Dies entspricht auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeitet (so bereits die Auskunft der Botschaft Beirut, Referat 313 vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Asyldokumentation Nr. 598e).

42

Somit hat die Beklagte der Klägerin zu Recht (nur) subsidiären Schutz gewährt.

43

Die Nebenentscheidungen ergeben sich im Kostenpunkt aus §§ 154 Abs. 1 i. v. m. § 83b AsylG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

44

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 132 Abs. 2 VwGO).


Tenor

I. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Juli 2016 wird aufgehoben, soweit der Klage stattgegeben wurde.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten über den ihm zugestandenen subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen kann.

Der Kläger ist ein am … 1997 in Damaskus geborener Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien arabischer Volkszugehörigkeit muslimischen Glaubens (Sunnit). Er reiste seinen Angaben zufolge am 31. Januar 2016 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 17. Februar 2016 einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 1. Juni 2016 äußerte er sich im Wesentlichen wie folgt:

„Bis zu seiner Ausreise aus Syrien habe er in Damaskus, Stadtteil …, gelebt. Unter dieser Adresse leben noch heute seine Eltern. Auch zwei Schwestern hielten sich noch in Syrien auf. Am 5. Januar 2016 habe er Syrien verlassen und sei über den Libanon, Türkei und die Balkanroute über Österreich nach Deutschland gereist. In der Türkei sei er ca. 10 Tage lang legal gewesen. In seiner Heimat habe er 9 Jahre lang die Mittelschule besucht, habe aber keinen Abschluss gemacht. Er habe Frisör gelernt und in dem Beruf gearbeitet. Wehrdienst habe er nicht geleistet. Er sei nicht Mitglied einer nichtstaatlichen bewaffneten Gruppierung oder einer politischen Partei gewesen. Augenzeuge oder Opfer von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder von Übergriffen (Folter, Vergewaltigungen oder anderen Misshandlungen) durch kämpfende Einheiten auf die Zivilbevölkerung sei er nicht gewesen. Er habe auf seinem Weg nach Deutschland und in Deutschland weder Kenntnis von Personen erlangt, die er als Unterstützer oder Mitglieder von extremistischen oder terroristischen Organisationen eingeschätzt habe, noch von Personen, von denen er habe annehmen müssen, dass sie für einen Nachrichtendienst arbeiten. Er habe Syrien verlassen, weil dort Krieg herrsche. Ein Arbeiten sei dort nicht möglich. Zudem strebe er in Deutschland eine Ausbildung als Frisör an und möchte einen guten Lebensunterhalt bestreiten. Er oder seine Familie seien in Syrien nicht persönlich bedroht oder verletzt worden. Er habe sein Militärheft vorgelegt. Jeder Mann im wehrdienstfähigen Alter bekomme automatisch dieses Militärheft. Er habe nicht zur syrischen Armee einberufen werden sollen. In Syrien gebe es ein Gesetz, wonach bei nur einem Sohn in der Familie eine Einberufung nicht stattfinde (eine Übersetzung des Dolmetschers aus dem Militärheft ergab unter Bezugnahme auf die gesetzliche Regelung, dass der Kläger keinen Militärdienst leisten müsse). Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er nichts. Er habe den Wunsch nach Abschluss seines Verfahrens seine Eltern aus Syrien nachreisen zu lassen. Ein Mitglied seiner Familie sei schon als Gastarbeiter in Deutschland, deshalb sei es auch ein Wunsch seiner Eltern gewesen, dass er als Arbeiter nach Deutschland kommen könne.

“Das Bundesamt erkannte den Kläger mit Bescheid vom 13. Juni 2016 als subsidiär Schutzberechtigten an und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 15. Juli 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen und die Klage im Übrigen (Asylanerkennung) abgewiesen. Zur Begründung der zusprechenden Entscheidung wird im Wesentlichen ausgeführt: Der syrische Staat betrachte gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System, die das Gebot der Loyalität ihm gegenüber verletze. Ein solches Verhalten werde - ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen - vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst. Zumindest Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und damit auch aus Deutschland hätten in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ihre tatsächliche oder wohl zumeist nur vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinn des § 3a AsylG zu rechnen.

2. Die Beklagte begründet die vom Senat mit Beschluss vom 21. September 2016 zugelassene Berufung wie folgt:

„Es begegne Zweifeln, die Verfolgungsgefahr zumeist aus einem allgemeinen „Abschöpfungsinteresse“ hinsichtlich Erkenntnissen zur Exilopposition ableiten zu wollen. Gegen die Annahme, dass bei jedem Rückkehrer eine Regimegegnerschaft vermutet werde, spreche die mittlerweile sehr hohe und weiter zunehmende Zahl der Flüchtlinge. Der syrische Staat dürfte weder Veranlassung noch Ressourcen haben, gegen jeden Rückkehrer vorzugehen. Die hohe Anzahl an ausgegebenen syrischen Reisepässen spreche ebenfalls dagegen, dass jedem Rückkehrer eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt werde. Dem entspreche es, dass sich ein erheblicher Teil der syrischen Asylbewerber für den Fall einer Rückkehr nicht vor Verfolgung in Anknüpfung an Verfolgungsgründe nach § 3b AsylG fürchte, sondern ausschließlich vor Kriegsgefahren und Kriegsfolgen. Diese Erkenntnis habe das Bundesamt aus mehr als 130.000 in diesem Jahr durchgeführten Anhörungen gewonnen. Der Kläger sei ohne Vorverfolgung ausgereist und habe Syrien wohl legal verlassen. Es liege beim Kläger auch keine Risikoerhöhung wegen Militärpflichtigkeit vor, weil insoweit die „Einziger-Sohn-Regelung“ gelte und die Mutter des Klägers älter als 50 Jahre sei, so dass eine jährliche Bestätigung der Regelung im Wehrdienstheft nicht erforderlich sei.

“Die Beklagte beantragt,

in Abänderung des Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Juli 2016 die Klage abzuweisen, soweit ihr stattgegeben wurde.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Vor dem Hintergrund, dass der Kläger einen Asylantrag gestellt habe, sich längere Zeit im westlichen Ausland aufgehalten habe und zudem noch ein möglicher Verdacht auf Wehrdienstentziehung im Raum stehe, müsse man nach Auswertung der verschiedenen Auskünfte zu dem Ergebnis kommen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Haft und Folter von den syrischen Sicherheitskräften zu befürchten hätte. Zwar könne man nicht für jeden Fall eines zurückkehrenden Syrers die Anwendung von Folter und Haft mit Sicherheit feststellen, sie seien aber auch nicht mit der notwendigen Sicherheit auszuschließen. Unter solchen Umständen würde ein vernünftiger Mensch in der Lage des Klägers das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen.

Die Landesanwaltschaft Bayern äußert sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses unter anderem wie folgt:

Die erforderliche Verknüpfung zwischen schädigender Handlung und Verfolgungsgrund sei beim Kläger nicht gegeben. Die Annahme sei wenig plausibel und letztlich lebensfremd, dass aus dem westlichen Ausland zurückkehrende Syrer bei der in diesem Fall obligatorischen Befragung von den syrischen Sicherheitskräften allein wegen der Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositionelle betrachtet würden.

3. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht Regensburg hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 15. Juli 2016 zu Unrecht teilweise stattgegeben. Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt mit Bescheid vom 13. Juni 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). § 3 Abs. 4 AsylG gibt dem Kläger in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen darauf gerichteten Anspruch, denn er ist kein Flüchtling im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer - soweit hier von Interesse - Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 - Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen lagen beim Kläger im Zeitpunkt seiner Ausreise aus der Arabischen Republik Syrien nicht vor (1.), noch ergeben sie sich aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem der Kläger sein Herkunftsland verlassen hat (2.)

1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinn des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergeben, hat der Kläger weder bei der Anhörung durch das Bundesamt noch im Rahmen der Berufungsverhandlung geltend gemacht.

2. Der Kläger kann für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nichts daraus für sich ableiten, dass gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen kann, die eingetreten sind, nachdem er sein Herkunftsland verlassen hat. Ein solcher Nachfluchtgrund besteht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht allein deshalb, weil der Kläger aus Syrien ausgereist ist, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt und sich seitdem hier aufgehalten hat. Diese Umstände rechtfertigen nicht die begründete Furcht, dass syrische staatliche Stellen den Kläger bei einer Rückkehr in die Arabische Republik Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle als Oppositionellen betrachten und ihn deshalb wegen einer ihm unterstellten politischen Überzeugung verfolgen.

2.1 Davon wäre nur dann auszugehen, wenn dem Kläger bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die „verständige Würdigung aller Umstände“ hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Klägers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - juris Rn. 37 und zu Art. 16a GG U.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - juris Rn. 17).

2.2 Nach diesem Maßstab und nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle wegen seines Asylantrags und des damit verbundenen Aufenthalts in Deutschland eine politische Verfolgung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (2.2.1). Auch das im Grundsatz eine Militärdienstpflichtigkeit begründende Alter des legal ausgereisten (2.2.2) Klägers (19 Jahre) führt nicht beachtlich wahrscheinlich zu einer staatlichen Verfolgung, da der Kläger nach der in Syrien in die Praxis umgesetzten „Einziger-Sohn-Regelung“ endgültig vom Militärdienst freigestellt wurde. Aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte fehlt es damit beim Kläger für die Unterstellung einer illoyalen und oppositionellen Haltung - anders als bei Wehrpflichtigen und Reservisten - am Anknüpfungspunkt der Ausreise trotz Militärdienstpflichtigkeit (2.2.3).

Bei der zusammenfassenden Bewertung aller Umstände haben die gegen eine Verfolgungsgefahr sprechenden Gründe größeres Gewicht als die dafür sprechenden Gründe. Diese Erkenntnis beruht auf Folgendem:

2.2.1 Eine Auswertung der in beiden Rechtszügen beigezogenen Erkenntnismittel zeigt, dass das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten ist. Der syrische Staat setzt deshalb alles daran, seine Macht zu erhalten und geht in seinem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor.

Zu den Zielen der syrischen Regierung führt Gerlach in „Was in Syrien geschieht - Essay“ vom 19. Februar 2016 (http: …www.bpb.de/apuz/221168/was-in-syrien-geschieht?p=all) aus:

„Das erklärte Ziel des syrischen Regimes, das sich für den rechtmäßigen Vertreter des Staates hält, ist die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik, also gewissermaßen in den Grenzen von 2011. … Wichtiger noch: das Fortbestehen der Machtarchitektur ohne einschneidende Veränderung, die in einer Entmachtung des Präsidenten Assad oder in der Auflösung jenes Machtkomplexes der drei um den Präsidenten gruppierten Clans Assad, Makhlouf und Shalish bestehen könnte. Diesen Kriegszielen ordnete das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele unter - und zu ihrer Verteidigung nahm es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung, sondern auch massive eigene Verluste in Kauf.“

Einem „Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012)“ des Auswärtigen Amts vom 17. Februar 2012 ist zu entnehmen:

„Das syrische Regime setzt im Kampf gegen die syrische Opposition die Armee und Sicherheitskräfte gezielt gegen zivile Siedlungsgebiete ein. …

Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Es gibt vier große Sicherheitsdienste, die unabhängig voneinander alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie sich gegenseitig kontrollieren: Allgemeine Sicherheit, Politische Sicherheit, Militärische Sicherheit und die Sicherheit der Luftwaffe. … Die Befugnisse der Sicherheitsdienste unterliegen keinen definierten Beschränkungen. Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhörzentralen, bei denen es sich um rechtsfreie Räume handelt. …

Syrische Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen und die Neuordnung Syriens nach demokratischen, pluralistischen und rechtsstaatlichen Prinzipien anstreben, werden durch das Regime massiv unterdrückt. …

Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränken sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“ (enforced disappearance), tätlichen Angegriffen (z. B. der Karikaturist A. F. und der Oppositionspolitiker R. S.), Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte (z. B. das Kind H. al-K., der Aktivist C. M.) und Mordanschlägen (z.B. der kurdische Oppositionelle M. D.) belegt. Einige Oppositionelle sind daher in den Untergrund gegangen …; viele andere haben Syrien verlassen. …

Menschenrechtsverteidiger schätzen die Zahl der Verhafteten und Verschwundenen auf insgesamt über 40.000. … Willkürliche Verhaftungen sind in Syrien gegenwärtig sehr häufig und gehen von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen (sog. Shabbiha) aus. …

Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). …

Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. …

Es muss davon ausgegangen werden, dass exilpolitische Tätigkeiten den syrischen Sicherheitsdiensten bekannt werden. Auch ist nicht auszuschließen, dass syrische Familien in Deutschland von den Sicherheitsdiensten als Druckmittel gegenüber noch in Syrien lebenden Verwandten (oder umgekehrt) missbraucht werden. …

Obwohl die syrische Verfassung (Art. 28) und das syrische Strafrecht Folter verbieten und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, wenden Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt an. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko. …Gegenwärtig kann sich das Individuum de facto in keiner Weise gegenüber staatlichen Willkürakten zur Wehr setzen. Vieles deutet darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art ´carte blanche´ erhalten haben. …

Es kommt seit Beginn der Unruhen regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen durch die Sicherheitsdienste, Rechtsmittel dagegen existieren nicht. Vor allem im Gewahrsam der außerhalb jeder Kontrolle agierenden Geheimdienste kommt es zu Drohungen und körperlichen Misshandlungen sowie zu ungeklärten Todesfällen. …

Fälle von Verschwindenlassen haben seit März 2011 erheblich zugenommen“ (Namen sind im Original vollständig wiedergegeben).

Der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe „Syrien: Umsetzung der Amnestien“ vom 14. April 2015 (https: …www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150414-syr-amnestien.0.pdf) kann entnommen werden:

„Human Rights Watch kritisierte im Januar 2015, dass trotz der Amnestie noch eine Vielzahl Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger, Medienschaffende sowie Personen, die humanitäre Hilfe geleistet haben, inhaftiert oder in Untersuchungshaft sind. …

In vielen Fällen werden vor allem Aktivisten, Anwälte und Menschenrechtsaktivisten von den Geheimdiensten wochen- und monatelang ohne Verfahren festgehalten. …

Die Anzahl der seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 verhafteten Personen ist umstritten. Das Violations Documentation Center, eine lokale Monitoring Gruppe, ging im Juli 2014 davon aus, dass 40.853 Personen in Haft sind. Der ehemalige UN-Sondergesandte für Syrien, Lakhdar Brahimi, ging von zwischen 50.000 und 100.000 Inhaftierten des syrischen Regimes aus. Der UN High Commissioner for Human Rights, Zeid Ra'ad Al Hussein, weist auf Schätzungen zwischen zehntausenden und hunderttausenden Inhaftierten hin. Das Syrian Observatory for Human Rights schätzt, dass 200.000 Personen in syrischen Gefängnissen sitzen. …

Dass die Haftbedingungen schlecht sind und in den Gefängnissen gefoltert wird, ist seit langem dokumentiert, auch bereits vor dem Konflikt. Folter ist insbesondere in der ersten Zeit der Haft üblich, um an Informationen zu kommen, die Häftlinge einzuschüchtern und um Schuldeingeständnisse zu erzwingen. Folter und die schlechten Haftbedingungen führen zu Todesfällen. …

Viele friedliche Aktivisten, die aufgrund des Anti-Terrorismus-Gesetzes verurteilt worden sind und von der Amnestie hätten profitieren sollen, blieben weiterhin in Haft.“

Die vierte aktualisierte Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015 (https: …www.ecoi.net/file_upload/1930_1455006006_syr-112015.pdf) äußert sich in Fußnummer 74 u.a. wie folgt:

„Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die man für einen Regierungsgegner hält, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen einschließlich der Kinder der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder zur Vergeltung der Aktivitäten bzw. des Loyalitätsbruchs der gesuchten Person oder zwecks Einholung von Informationen über ihren Aufenthaltsort oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen anzuerkennen.”

Die Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada (Immigration and Refugee Board of Canada) verweist in einem Bericht (Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19. Januar 2016, S. 4 - zitiert nach der in das Verfahren eingeführten Übersetzung in die deutsche Sprache) auf folgende Erkenntnisse von Amnesty International (Between Prison and the Grave, Enforced Disappearances in Syria, November 2015), Human Rights Watch (Syria, World Report 2015: Events of 2014, 29.1.2015) und OHCHR (Open Wounds: Torture and Ill-Treatment in the Syrian Arab Republic, 14.4.2014) hin:

„Laut AI hat die in Syrien stationierte Kontrollgruppe Syrian Network for Human Rights über 58.000 Fälle von Zivilisten dokumentiert, die zwischen März 2011 und August 2015 durch die syrische Regierung ´zwangsweise´ verschwunden sind, und am 30. August 2015 immer noch als vermisst gelten (AI, Nov. 2015, 7). Des Weiteren vermerkt dieselbe Quelle, dass alle vier Truppengattungen der syrischen Sicherheitskräfte, bestehend aus dem militärischen Geheimdienst, dem Geheimdienst der Luftwaffe, dem politischen Sicherheitsdienst und dem allgemeinen Geheimdienst (auch Staatsicherheit genannt), Personen zwangsweise verschwinden lassen würden und dass es überall im Land Gefangenenlager gebe (ebd.). AI erklärt, dass diese Gefangenen ´außerhalb des gesetzlichen Schutzes gestellt werden, und dass ihnen die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder ein faires Gerichtsverfahren verwehrt wird´; dass Gefangene in überfüllten Behausungen gehalten und regelmäßig einem Katalog der Folter ausgesetzt werden´(ebd., 8). Human Rights Watch und der UNHCR berichten über die weit verbreitete Anwendung des Verschwindenlassens, der Inhaftierung und Folter durch syrische Behörden (UN, 14. Apr. 2014, 1; Human Rights Watch, 29. Jan. 2015, 2 - 3).“

Nach den im Amnesty Report 2016 vom 2. März 2016 (http: …www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien) festgehaltenen Erkenntnissen von Amnesty International hat sich an dieser Lage nichts zum Guten geändert. Dem Report ist u.a. zu entnehmen:

„Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben „verschwunden“. Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. …

Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. …

10.000 Personen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterrorgericht oder vor militärischen Feldgerichten.“

2.2.2 Trotz des Umstands, dass die syrischen Machthaber um des Erhalts ihrer infolge der militärischen Auseinandersetzung bedrohten Herrschaft willen mit äußerster Härte gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle vorgehen, ist es zur Überzeugung des Senats nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger allein wegen seiner Ausreise, seines Asylantrags und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositioneller betrachtet wird und deshalb Verfolgungshandlungen im Sinn des § 3a Abs. 1 AsylG zu befürchten hat (so auch OVG SH, U.v. 23.11.2016 - 3 LB 17.16 - juris; OVG NW, B.v. 6.10.2016 - 14 A 1852/16.A - juris; a.A. OVG Sachsen-Anhalt, U.v. 18.7.2012 - 3 L 147.12 - juris).

2.2.2.1 Es ist davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder einer anderen staatlichen Kontrollstelle im Rahmen einer strengen Einreisekontrolle durch verschiedene Geheimdienste über seinen Auslandsaufenthalt und den Grund seiner Abschiebung befragt wird. Die Sicherheitsbeamten werden dabei auch Einblick in die Computerdatenbanken nehmen, um zu prüfen, ob der Kläger von den Behörden gesucht wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Sicherheitskräfte eine „carte blanche“ haben, um zu tun, was immer sie tun wollen, wenn sie jemanden aus irgendeinem Grund verdächtigen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Trier vom 12.10.2016 zur Ausreisekontrolle).

2.2.2.2 Zu den Folgen, die sich im Rahmen einer solchen Überprüfung für einen abgelehnten Asylbewerber ergeben, ist die Auskunftslage nicht einheitlich.

a) Die Ermittlungsabteilung (Research Directorate) der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde hat dazu verschiedene sachkundige Personen befragt. Ein emeritierter Professor für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford (emeritus Professor of anthropology and forced migration at Oxford University, telefonische Befragung am 11.12.2015) äußerte sich dahingehend, ein abgelehnter Asylbewerber werde höchstwahrscheinlich festgenommen und inhaftiert; groß sei die Wahrscheinlichkeit, dass solche Personen gefoltert würden, um eine Aussage zu erhalten, aus welchem Grund sie geflohen seien.

Der Vorstand der Nichtregierungsorganisation „Syrisches Zentrum für Justiz und Rechenschaftspflicht“ (Executive Director „Syria Justice and Accountability Center“, telefonische Befragung am 14.12.2015) sagte, ein abgelehnter Asylbewerber werde auf jeden Fall festgenommen und inhaftiert. Ihm würde vorgeworfen, im Ausland falsche Informationen verbreitet zu haben, und er würde wie ein Oppositioneller behandelt. Er würde einer Folter unterworfen, wobei die Behörden versuchen würden, Informationen über andere abgelehnte Asylbewerber oder Oppositionelle zu bekommen. Der abgelehnte Asylbewerber riskiere, zu Tode gefoltert zu werden oder gefoltert zu werden und dann für eine sehr lange Zeit in Haft genommen zu werden.

Ein leitender auf Syrien spezialisierter Gast-Forschungsbeauftragter am King´s College London (Visiting Senior Research Fellow, telefonische Befragung am 15.12.2015) bekundete gegenüber der kanadischen Behörde, es bestünde die Möglichkeit, dass ein abgelehnter Asylbewerber wegen eines Asylantrags im Ausland festgenommen und inhaftiert werden könnte. Er war aber des Weiteren der Meinung, dass das nicht „automatisch“ der Fall sei. Die mehr traditionsbewussten syrischen Beamten seien der Überzeugung, dass alle Asylbewerber Regierungsgegner seien, und somit einer Festnahme, Inhaftierung und Folter unterworfen werden könnten. Es gebe aber auch Beamte, die verstünden, dass manche Leute vielleicht aus wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen hätten. Nichts sei „automatisch“ oder vorhersehbar. Allerdings habe der Konflikt wahrscheinlich das Misstrauen der Beamten erhöht (vgl. zum Ganzen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6 f.).

Die kanadische Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde zitiert in diesem Zusammenhang zudem aus den „Länderberichten über die Handhabung der Menschenrechte für 2014“ des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten (US Department of State´s „Country Reports on Human Rights Practices for 2014“). Danach seien Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl gesucht haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt. Das Gesetz sehe die Strafverfolgung jeglicher Person vor, die in einem anderen Land Zuflucht suche, um der Strafe in Syrien zu entfliehen. Das Regime nehme routinemäßig Dissidenten und ehemalige Staatsbürger mit unbekannter politischer Zugehörigkeit fest, die versucht hätten, nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbst auferlegten Exils in das Land zurückzukehren.

b) Demgegenüber beantwortete die Deutsche Botschaft Beirut (Referat 313) eine Anfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Rückkehrgefährdung unter dem 3. Februar 2016 dahin, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten. Allerdings seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden seien oder dauerhaft verschwunden seien. Das stehe überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite.

Die Frage des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts, ob unverfolgt ausgereiste Asylbewerber bei Rückkehr nach Syrien Befragungen seitens des syrischen Staates ausgesetzt seien und - bejahendenfalls - wie hoch die Gefahr einzuschätzen sei, dass sie deshalb Verfolgungsmaßnahmen seitens des syrischen Staats ausgesetzt werden, beantwortete das Auswärtige Amt mit Auskunft vom 7. November 2016 wie folgt: Das Amt habe keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien. Es lägen keine Erkenntnisse vor, dass diese Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien.

Der UNHCR ist für den Fall einer Einzelfallprüfung von Asylanträgen syrischer Asylbewerber der Ansicht, dass Personen mit einem oder mehreren der in den Erwägungen des UNHCR angeführten Risikoprofile „wahrscheinlich“ internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention benötigen. Unter ein solches Risikoprofil fallen nach Auffassung des UNHCR unter anderem „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder politischer Oppositionsparteien; Aufständische, Aktivisten und sonstige Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen werden; Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen bzw. Personen, die als Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen angesehen werden; Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte; Mitglieder der Regierung und der Baath-Partei, die ihre Ämter niedergelegt haben; Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern sowie andere Personen, die mit tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern in Verbindung gebracht werden; Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben“ (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 25 f.).

2.2.2.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht fest, dass die gegen eine Verfolgung des Klägers sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen die dafür sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kann nicht von einem bei jedem Rückkehrer bestehenden in gleicher Weise realen Risiko von Misshandlung und Folter ausgegangen werden. Der Senat ist vielmehr davon überzeugt, dass die syrischen Sicherheitskräfte bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vorgehen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen.

a) Dabei bleibt nicht außer Betracht, dass der um seine Existenz kämpfende syrische Staat und dessen Machthaber ihre Ziele, nämlich die Wiederherstellung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium Syriens sowie der Machterhalt zugunsten des Präsidenten Assad und der um ihn gruppierten Clans mit größter Härte und menschenrechtswidrigen Mitteln verfolgen. In dieses Bild scheinen sich die Äußerungen der von der Ermittlungsabteilung der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde befragten sachkundigen Personen einzufügen. Gegen deren Annahme, abgelehnte Asylbewerber würden (allein) wegen des Asylantrags im Ausland „auf jeden Fall“ bzw. „höchstwahrscheinlich“ oder möglicherweise festgenommen, inhaftiert und gefoltert, spricht aber neben der Tatsache, dass die Bewertungen der sachkundigen Personen nicht näher konkretisiert sind, Folgendes:

Die im angefochtenen Gerichtsbescheid in Bezug genommenen (GA S. 7), in einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. Februar 2012 (3 L 147/12) beschriebenen Fälle von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, sind nicht geeignet, eine allein auf die Asylantragstellung zurückzuführende politische Verfolgung zu belegen. Im Gegenteil, die insoweit ausweislich des vorbezeichneten Urteils von Amnesty International („Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012) und von dem kurdischen Informationsdienst „KURDWATCH“ dokumentierten neun Fälle zeigen, dass Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte nicht allein durch die Asylantragstellung, sondern durch hinzutretende Umstände ausgelöst wurden. Dazu in der Reihenfolge der Fälle wie sie im Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. Februar 2012 angeführt sind:

– Der syrische Kurde B. K. hatte in Zypern erfolglos Asyl beantragt und wurde im Juni 2009 bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Damaskus festgenommen und vier Monate ohne Kontakt zur Außenwelt von den Geheimdiensten inhaftiert und offenbar misshandelt und gefoltert. Hier trat zum Asylantrag hinzu, dass B. K. nach den Erkenntnissen von amnesty international bereits Anfang 2005 als Jugendlicher für zweieinhalb Monate u.a. in der Haftanstalt der „Palästinensischen Abteilung“ beim Militärischen Geheimdienst in Haft war. Er war damit bereits vor seiner Ausreise in das Blickfeld der syrischen Dienste geraten.

– Der syrische Kurde K. K. wurde nach abgelehntem Asylantrag am 1. September 2009 nach Syrien abgeschoben. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr wurde er bei der Vorsprache beim Geheimdienst festgenommen und drei Wochen lang ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert, verhört und eigenen Angaben zufolge gefoltert und misshandelt. Im Rahmen seiner Verhöre wurden ihm auch Angaben aus seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgehalten (KURDWATCH, Meldung vom 29.08.2010). Gegen Herrn K. wurde Anklage wegen „Verbreitung falscher Informationen im Ausland“ gemäß § 287 des syrischen Strafgesetzbuches vor dem Militärgericht erhoben. Allerdings, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt lässt das unerwähnt, war Gegenstand des geheimdienstlichen Verhörs auch die Teilnahme des Verhafteten an einer Kundgebung gegen das Rückübernahmeabkommen zwischen Deutschland und der Arabischen Republik Syrien. Nach Angaben des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien hat der Rechtsanwalt des Herrn K. mitgeteilt, dass sich die nachfolgende Anklage auf den Vorwurf gestützt habe, Herr K. habe in Deutschland an dieser Kundgebung teilgenommen. Ein Monitoring durch den Verbindungsbeamten (der Deutschen Botschaft) bestätigte, dass Herr K. der Aussage seines Anwaltes entsprechend wegen der Teilnahme an einer Kundgebung in Deutschland verurteilt wurde (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded Group und aktuelle Situation, April 2011, S. 11 f.).

– Der syrische Kurde A. al-K. H. wurde im August 2010 aus Norwegen abgeschoben und bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Damaskus festgenommen. Hier tritt hinzu, dass es sich bei Herrn A. al-K. H. um den stellvertretenden Direktor des Vereins syrischer Kurden in Norwegen handelte, einer Nichtregierungsorganisation, die auf die Situation der kurdischen Minderheit in Syrien aufmerksam macht. Er war zwei Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt beim Geheimdienst in Damaskus inhaftiert. Berichten zufolge soll er bei der Haftentlassung aufgefordert worden sein, sich beim Geheimdienst in Aleppo zu melden, was ihn zur Flucht aus Syrien veranlasste.

– Nach einem von KURDWATCH dokumentierten Fall hatte die Ausländerbehörde Essen am 27. Juli 2010 eine sechsköpfige (kurdische) Familie nach Damaskus abschieben lassen. H. H. und K. H. wurden bei der Ankunft am Flughafen Damaskus von syrischen Sicherheitskräften festgenommen. In diesem Fall kommt hinzu, dass die beiden festgenommen wurden, weil sie in Deutschland straffällig geworden waren. Der Aussage des H. H. zufolge wurde er an drei unterschiedlichen Orten festgehalten. Begründet wurde seine Festnahme damit, dass er in Deutschland wegen Diebstahls verurteilt worden sei und diese Strafe noch in Syrien ableisten müsse. Tatsächlich, so H. H., sei die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Darüber hinaus sei ihm, ebenfalls unter Verweis auf seine aus Deutschland stammenden Akten, zu Unrecht Drogenabhängigkeit vorgeworfen worden.

– Der staatenlose Kurde D. A. wurde nach seiner Abschiebung aus Dänemark am 15. November 2010 auf dem Flughafen Damaskus verhaftet. Herr A. war in Dänemark politisch aktiv.

– Mitglieder des Direktorats für politische Sicherheit in Syrien hatten am 4. Dezember 2010 Herrn D. Y. M. vorgeladen und festgenommen. Nach seiner Abschiebung aus Zypern im Juni 2010 hatte er am Flughafen Damaskus seinen Pass abgeben müssen. Es folgten mehrere Verhöre durch verschiedene Geheimdienste. In diesem Fall tritt hervor, dass der Betroffene in Zypern gemeinsam mit anderen kurdischen Flüchtlingen gegen seine Abschiebung demonstriert und an einem mehrtätigen Hungerstreik teilgenommen hatte.

– Die Ausländerbehörde Hildesheim hatte am 1. Februar 2011 die registrierten Staatenlosen B. N. und seinen Sohn A. N. nach Syrien abschieben lassen. Beide wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in Damaskus festgenommen und der Auswanderungs- und Passbehörde überstellt. Herrn A. N. wurde vorgeworfen, unrichtige Angaben zu seinem Alter gemacht zu haben. Er wurde bei der Auswanderungs- und Passbehörde festgehalten, wo er auf eine Identitätsbescheinigung aus Al-Hassake warten musste. Sein Vater, Herr B. N, wurde zunächst dem Direktorat für politische Sicherheit vorgeführt und dort verhört. Er wurde am 13. Februar 2011, sein Sohn am 3. März 2011 freigelassen. Unabhängig davon, dass es sich bei den Betroffenen um registrierte Staatenlose handelte, tritt hier die Problematik der Identitätsfeststellung in den Vordergrund.

– Am 8. Februar 2011 wurde Herr A. A. von Dänemark über Wien nach Syrien abgeschoben. Obgleich dem Königreich Dänemark zuvor die Rücknahme des Herrn A. zugesichert worden war, erhielt er am Flughafen Damaskus die Information, er könne nicht einreisen, da es sich bei ihm nicht um einen syrischen Staatsangehörigen handele. Entweder, er verlasse das Land oder er werde inhaftiert, bis seine Identität geklärt sei. Die drei dänischen Beamten, die Herrn A. begleiteten, hielten daraufhin Rücksprache mit der dänischen Botschaft und erhielten die Anweisung, noch am selben Tag mit Herrn A. nach Kopenhagen zurückzufliegen. In diesem Moment wurde Herr A. von einem Geheimdienstmitarbeiter erkannt, der einen Beitrag des kurdischen Senders Roj-TV gesehen hatte, in dem der Kurde im September 2010 als Sprecher von Hungerstreikenden aufgetreten war. Der Geheimdienstmitarbeiter nahm Herrn A. mit in sein Büro und warf ihm vor, im Ausland falsche Informationen über Syrien verbreitet zu haben. Herr A. leugnete das und behauptete, es handele sich bei ihm um eine andere Person, es sei doch gerade festgestellt worden, dass er kein syrischer Staatangehöriger sei. Daraufhin, so Herr A. gegenüber KURDWATCH, sei er von dem Geheimdienstmitarbeiter massiv mit Kabeln auf den Rücken geschlagen und gezwungen worden, ein Papier zu unterschreiben, dass er nicht wieder nach Syrien einreisen werde. Schließlich wurde er entlassen und flog noch am selben Tag mit den dänischen Beamten nach Kopenhagen zurück. Es ist auch in diesem Fall ohne Weiteres erkennbar, dass Anlass für die angebliche Misshandlung nicht (allein) ein Asylantrag des abgeschobenen Syrers war.

– Im Fall des Herrn K. H., der im Zuge seiner Abschiebung aus Deutschland am 13. April 2011 am Flughafen Damaskus festgenommen wurde, ergab sich das Interesse des syrischen militärischen Nachrichtendienstes an der Person des Abgeschobenen aus dessen exilpolitischen Aktivitäten, zu denen er im Verlauf einer einwöchigen Haft verhört wurde.

In die gleiche Richtung weisen auch zwei Fallbeispiele der kanadischen Immigrations- und Flüchtlingsbehörde im Zusammenhang mit der Behandlung von abgelehnten Asylbewerbern. So soll ein syrischer Mann, der in Australien ohne Erfolg Asyl beantragt hatte, bei seiner Rückkehr im August 2015 von syrischen Regierungsbeamten am Flughafen Damaskus „ausgesondert“ worden sein, „weil er von Al-Harra in der Provinz Daraa stammte. … Den Berichten zufolge beschuldigten ihn syrische Beamte, ein ´Finanzier der Revolution´ zu sein, als sie Bargeld bei ihm fanden, das ihm von der australischen Regierung für seine Rückkehr gegeben worden war; sie ´folterten´ ihn 20 Tage lang, dazu gehörten Schläge in das Gesicht, auf den Rücken und die Brust …“. Des Weiteren verweist die kanadische Behörde auf eine Stellungnahme von Human Rights Watch vom November 2013. Danach sollen laut dem UNHCR etwa 35 Palästinenser aus Syrien, die während des syrischen Konflikts nach Ägypten geflohen waren, nach Syrien zurückgeschickt worden sein; einige wurden bei Ankunft am Flughafen festgenommen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6).

b) Es gibt keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die Eingriffsschwelle der syrischen Stellen bei künftigen Abschiebungen wesentlich niedriger wäre und sie Rückkehrer unabhängig von signifikanten gefahrerhöhenden Merkmalen oder Umständen allein wegen der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland in flüchtlingsrechtlich relevanter Weise verfolgen.

Insoweit führt die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht weiter, der syrische Staat sei infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den längeren Aufenthalt im Ausland zum Anlass für Verfolgungsmaßnahmen nehme. Dabei ist nicht nachvollziehbar belegt, dass die syrischen Sicherheitskräfte nunmehr - anders als bis zum Abschiebestopp im Jahr 2011 - allein die Asylantragstellung in Deutschland als Hinweis auf eine oppositionelle Haltung betrachten würden. Solches ergibt sich auch nicht aus dem Verweis des Verwaltungsgerichts auf eine Zuspitzung der Situation in Syrien und einen Überlebenskampf des Assad-Regimes. Eine derartige Zuspitzung ist schon mit Blick auf die allgemein bekannte Tatsache zweifelhaft, dass sich die militärische Lage aufgrund der seit dem 30. September 2015 massiven militärischen Unterstützung durch die Russische Föderation zugunsten des syrischen Staates, wenn auch nicht entspannt, so doch jedenfalls verbessert hat. Unabhängig davon ließe sich eine Zuspitzung der Situation in Syrien auch dahin interpretieren, dass die syrischen Machthaber zunehmend auf den Zuspruch des ihnen zugeneigten Teils der Bevölkerung angewiesen sind und aus diesem Grund Verfolgungsmaßnahmen im Grundsatz nicht auf einem derart niedrigen Verdachtsniveau ansetzen wie vom Verwaltungsgericht angenommen.

Gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts spricht im Übrigen auch, dass laut Schätzungen der Vereinten Nationen und der Regierungen der Länder, die Flüchtlinge aufgenommen haben, jedes Jahr Hunderttausende von Flüchtlingen nach Syrien reisen; meistens um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in benachbarte Länder einreisen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsausschuss von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen vom 19.1.2016; SYR105361.E, S. 2 unter Verweis auf den Norwegischen Flüchtlingsrat und des Internationale Rettungskomitee). Eine solch umfangreiche Reisetätigkeit zeigt, dass die in den benachbarten Ländern lebenden syrischen Flüchtlinge trotz des (extrem) repressiven Charakters des syrischen Staates davon ausgehen, im Rahmen der auch an den übrigen Grenzübergängen zu Syrien strengen Grenzkontrollen (vgl. dazu Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f) keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt zu sein. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, erfolglose Asylbewerber aus dem westlichen Ausland würden - im Gegensatz zu den in die Anrainerstaaten Syriens Geflüchteten - deshalb (unterschiedslos) als Oppositionelle betrachtet, weil die syrische Regierung eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land für den Ursprung des Bürgerkriegs verantwortlich mache, ist eine bloße Vermutung, die sich angesichts der hohen Zahl in das westliche Ausland geflüchteter Syrer auch nicht nachvollziehbar aus dem Charakter des syrischen Staates ableiten lässt.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, wenn der Deutschen Botschaft Beirut einerseits keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten, ihr aber andererseits Fälle bekannt sind, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden sind oder dauerhaft verschwunden sind und das jedoch überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst steht. Ebenso ist der Hinweis der Botschaft plausibel, das entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3.2.2016).

Diese Auskunft erhält dadurch besonderes Gewicht, dass der UNHCR in seinen „Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (4. aktualisierte Fassung November 2015) davon ausgeht, im Rahmen einer Einzelfallprüfung benötigten syrische Asylbewerber wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn sie einem oder mehreren der in den Erwägungen angeführten Risikoprofile zuzuordnen seien. Unter ein solches Risikoprofil sollen nach dem Inhalt der Erwägungen etwa Personen fallen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen. Der UNHCR führt dazu verschiedene Beispiele an wie etwa Wehrdienstverweigerer, Aufständische oder Aktivisten. Personen, die im westlichen Ausland einen Asylantrag gestellt haben, werden demgegenüber nicht genannt. Dabei handelt es sich ersichtlich nicht um eine Nachlässigkeit, denn der UNHCR betrachtet die von ihm erstellten Risikoprofile als Grundlage für eine „Einzelfallprüfung“. Eine solche wäre aber, wie auch die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts deutlich macht, nicht erforderlich, wenn bereits die Asylantragstellung genügte, einen Asylbewerber dem Risikoprofil „Oppositioneller“ zuzuschlagen.

c) Der Länderbericht des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten für das Jahr 2014, den die kanadische Immigrations- und Flüchtlingsbehörde zitiert (s.o. Nr. 2.2.2.2 a)), rechtfertigt keine andere Bewertung. Zwar sollen danach Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl beantragt haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt sein. Allerdings ist dem Bericht in diesem Zusammenhang auch zu entnehmen, dass die Strafverfolgung nur für solche Personen vorgesehen ist, die in einem anderen Land Zuflucht suchen, um sich der Strafe in Syrien zu entziehen. Ebenso wenig führt hier die Feststellung des amerikanischen Auswärtigen Amts weiter, das Regime nehme routinemäßig nach Jahren oder sogar Jahrzehnten zurückkehrende Dissidenten und ehemalige Staatsbürger mit unbekannter politischer Zugehörigkeit fest. Der Kläger zählt nicht zu diesem Personenkreis; er ist kein Dissident und besitzt nach wie vor die syrische Staatsbürgerschaft.

d) Der vom Verwaltungsgericht hervorgehobene Umstand, dass die syrischen Geheimdienste die im Ausland lebenden syrischen Staatsangehörigen (angeblich) umfassend beobachten, trägt zur Beurteilung nichts Wesentliches bei. Er bestätigt den repressiven Charakter des syrischen Staates, hat aber für die Beurteilung der Rückkehrgefährdung vor dem Hintergrund der übrigen Erkenntnisse kein besonderes Gewicht.

2.2.3 Es kann dahinstehen, ob eine nach syrischem Recht illegale Ausreise im Falle einer Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte auslöst. Der Kläger hat Syrien nicht illegal verlassen. Er hat seinem Vorbringen in der Berufungsverhandlung zufolge in Syrien ein Visum erhalten, das ihn berechtigte, vom Libanon aus in die Türkei zu reisen. Sodann ist er mit einem Personenkraftwagen über einen (regulären) Grenzübergang von Syrien in den Libanon eingereist.

Der angebliche Verlust des Reisepasses während der Überfahrt nach Griechenland rechtfertigt nicht die Annahme, dass im Falle einer Rückkehr des Klägers die legale Ausreise nicht nachweisbar dokumentiert ist. Die syrischen Behörden erfassen im Rahmen der Grenzkontrolle die Ausreisedaten in ihrem elektronischen Datensystem, wo sie bei der Einreise abgerufen werden können (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen vom 19.1.2016 SYR105361.E, S. 8 unter Verweis auf eine telefonische Befragung des Vorstands des „Syrischen Zentrums für Justiz und Rechenschaftspflicht“ am 14.12.2015). In Anbetracht der umfassenden syrischen Grenzkontrollen ist zur Überzeugung des Senats die Einlassung des Klägers nicht glaubhaft, dass er bei der Einreise in den Libanon nur von den libanesischen Grenzbeamten kontrolliert worden sei. Die Erkenntnisquellen gehen übereinstimmend von strengen syrischen Grenzkontrollen aus. So muss insbesondere an den Grenzübergangsstellen der Landesgrenzen vom Libanon und von Syrien die Person aus dem Auto steigen und zum Einwanderungsbüro (immigration office) gehen. Dort nimmt der Beamte die Dokumente des Einreisenden und führt am Computer eine Überprüfung durch (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 3).

2.2.4 Es ist zur Überzeugung des Senats auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger von seiten der syrischen Sicherheitskräfte bei der Einreise über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle deshalb in Anknüpfung an eine ihm (unterstellte) oppositionelle Gesinnung eine menschenrechtswidrige Behandlung droht, weil der Kläger in einem Alter ist (19 Jahre), das ihn im Grundsatz der Militärdienstpflichtigkeit unterwirft. Der Kläger ist gemäß dem Eintrag in seinem Militärdienstbuch nach der „Einziger-Sohn-Regelung“ endgültig vom Militärdienst befreit, weil er der einzige Sohn der Familie ist und seine Mutter nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung älter als 50 Jahre alt ist. Nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung wird diese „Einziger-Sohn-Regelung“ von den syrischen staatlichen Stellen im Wesentlichen beachtet.

2.2.4.1 Das System der allgemeinen Wehrpflicht beruht auf folgenden Grundsätzen: In Syrien besteht allgemeine Wehrpflicht ab 18 Jahren bis zum Alter von 42 Jahren. Männer, die 18 Jahre alt werden, müssen sich zur Generalrekrutierungsstelle begeben (Befragung, Foto, Bluttest). Danach wird ihnen ein Militärdienstbuch ausgehändigt. Bei Beginn des Militärdienstes müssen bei der Generalrekrutierungsstelle die zivilen Ausweise und das Militärdienstbuch abgegeben werden und der Betreffende erhält umgehend den Militärdienstausweis bevor er zu seiner Einheit entsandt wird. Wenn der Dienst absolviert ist, bekommt man „Entlassungspapiere“, die man bei der Generalrekrutierungsstelle abgibt und erhält den zivilen Ausweis und das Militärbuch - versehen mit dem Stempel, dass der Militärdienst geleistet und die Person entlassen wurde (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada - Antworten auf Informationsanfragen v. 13. 8.2014, SYR104921.E, S.5).

Im August 2014 erließ Präsident Assad die Gesetzesverordnung Nr. 33, die einige Artikel der Verordnung Nr. 30 aus dem Jahr 2007 zum obligatorischen Militärdienst ersetzt. Dabei wurde unter anderem die Regel angepasst, dass der einzige Sohn der Familie vom Militärdienst befreit werden kann (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 5 f.). Die Freistellung wird im „Militärbüchlein“ festgehalten. Bis die Mutter 50 Jahre alt ist, muss die Freistellung jährlich neu beantragt werden. Danach gilt die Freistellung für immer (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 1; Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR104921.E vom 13.8.2014, S. 2 f).

Dementsprechend ist in dem vom Kläger dem Bundesamt vorgelegten Militärdienstbuch auf Seite 10 unter Bezugnahme auf die gesetzliche Regelung vermerkt, dass der Antragsteller keinen Militärdienst leisten muss (vgl. Anhörungsniederschrift vom 1.6.2016, Bl. 69 der Bundesamtsakte).

2.2.4.2 Der Senat ist davon überzeugt, dass diese Freistellung vom Militärdienst von den syrischen staatlichen Stellen auch vor dem Hintergrund des Charakters des um seine Existenz kämpfenden Staates (s.o. 2.2.1) im Wesentlichen beachtet wird. Diese Beurteilung beruht insbesondere auf Folgendem:

„Seit Herbst 2014 ergriff das syrische Regime verschiedene Maßnahmen, um die durch Desertion und Verluste dezimierte syrische Armee zu stärken. Seither kommt es zu großflächiger Mobilisierung von Reservisten, Verhaftungswellen von Deserteuren und Männern, die sich bis dahin dem Militärdienst entzogen haben. Zudem ergriff das syrische Regime neue Maßnahmen, um gegen Desertion und Wehrdienstentziehung anzukämpfen“ (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 2f. unter Verweis auf Washington Post, Desperate for soldiers, Assad´s government imposes harsh recruitment measures, 28.12.2014). „Zusätzlich zur Mobilisierung der Reservisten intensivierte das Regime die Suche nach … jungen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen haben. Es wurden mobile Checkpoints errichtet und die Sicherheitsdienste führten anhand von Listen, die auch an Checkpoints und an der Grenze genutzt werden, Razzien durch. … Bereits in den ersten sieben Monaten des Jahres 2014 dokumentiert das Syrian Network for Human Rights über 5.400 Verhaftungen von wehrdienstpflichtigen jungen Männern (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 3 unter Verweis auf Danish Immigration Service, Syria, Military Service, Mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG, 26.2.2015, S.10).

„Im Herbst 2014 erließ das Regime verschiedene Maßnahmen, um die Ausreise wehrdienstpflichtiger Männer zu verhindern. Bereits seit dem Ausbruch des Krieges verlangen die syrischen Behörden bei der Ausreise von Männern, die zwischen 18 und 42 Jahre alt sind, eine offizielle Beglaubigung des Militärs, dass sie vom Dienst freigestellt sind“ (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 4 unter Verweis auf Institute for the Study of War, The Assad Regime Under Stress: Conscription and Protest among Alawite and Minority Populations in Syria, 15.12.2014).

„Quellen geben an, dass die Sicherheitskontrollen, die von Grenzbeamten am internationalen Flughafen von Damaskus und anderen Eingangshäfen durchgeführt werden, beinhalten zu überprüfen, ob der Rückkehrer seinen Wehrdienst abgeleistet hat. Mehrere Quellen berichten, dass Männer im wehrpflichtigen Alter besonders gefährdet seien, von den Sicherheitskräften am Flughafen und anderen Eingangshäfen misshandelt zu werden (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada - Antworten auf Informationsanfragen v. 19.1.2016, SYR105361.E, S. 8f. m.w.N.).

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe beruft sich schließlich in einer Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20. Oktober 2015 zu Syrien: „Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“ auf den Bericht des Dänischen Einwanderungsdienstes (Danish Immigration Service), der im September 2015 eine nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes verlässliche Studie zum Militärdienst veröffentlicht hat (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3. Februar 2016). Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass prinzipiell die Freistellung als Einzelsohn noch gilt. Verschiedene Quellen weisen jedoch darauf hin, dass die Umsetzung „nicht immer“ gewährleistet ist. Insgesamt betrachtet ergibt sich das Bild, das die Freistellung als „einziger Sohn“ zwar je nach Situation willkürlich gehandhabt wird, sie aber im Prinzip umgesetzt wird. (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 1 und 3f.).

2.2.4.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht zur Überzeugung des Senats fest, dass dem endgültig vom Militärdienst freigestellten Kläger bei der Einreise über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von seiten der staatlichen Sicherheitskräfte in Anknüpfung an eine ihm (unterstellte) oppositionelle Gesinnung Verfolgung droht.

Das erklärte Ziel des syrischen Regimes ist unter Fortbestehen der Machtarchitektur die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik. Diesen Kriegszielen hat das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele untergeordnet - und zu ihrer Verteidigung hat es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung in Kauf genommen, sondern auch massive eigene Verluste (s.o. 2.2.1, Gerlach, „Was in Syrien geschieht - Essay“ v. 19. 2.2016). Die erheblichen Verluste auf Seiten des syrischen Militärs führten dazu, dass im Verlaufe des Krieges die Mobilisierungsmaßnahmen in die syrische Armee für Rekruten und Reservisten erheblich intensiviert wurden. Dabei sind bei von Sicherheitsdiensten aufgegriffenen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen hatten, auch Fälle von Folter dokumentiert worden. Die Ausreise von militärdienstpflichtigen Personen wurde durch verschiedene Maßnahmen (z.B. Ausreiseerlaubnis) erschwert.

Insoweit wird deutlich, dass das Interesse des syrischen Regimes an einer jederzeit möglichen Einberufung seiner militärdienstpflichtigen Staatsbürger zur Weiterverfolgung seiner Kriegsziele und damit letztlich für die Wiederherstellung und den Erhalt seiner Macht von entscheidender Bedeutung ist. Im Zusammenwirken mit dem Charakter des bedingungslos zur Erreichung seiner Ziele agierenden syrischen Regimes unter weitverbreitetem Einsatz von menschenrechtswidrigen Mitteln, wie insbesondere Folter, ist davon auszugehen, dass das syrische Regime Personen, die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, regelmäßig eine illoyale, politisch oppositionelle Haltung unterstellt. Denn diese Personen haben sich trotz des das Regime in seiner Existenz bedrohenden Krieges nicht für einen Militäreinsatz bereitgehalten und so aus der Sicht der Machthaber ein Verhalten gezeigt, das dessen drängenden militärischen Bedürfnissen zuwiderläuft (vgl. zu einem Reservisten: Urteil des Senats vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30372 - juris).

Dieser Personengruppe (Wehrpflichtiger, Reservist), die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, gehört der Kläger aber weder an, noch besteht Anlass zu der Annahme, dass ihn die syrischen Behörden bei Rückkehr entsprechend einem Militärdienstverweigerer behandeln und ihm dementsprechend eine oppositionelle Gesinnung unterstellen.

Das syrische Regime hat zwar zur Stärkung seiner Armee seine Maßnahmen gegen wehrdienstpflichtige Männer verschärft, der Kläger ist jedoch aufgrund seiner Freistellung, die im Militärbuch dokumentiert ist, nicht wehrdienstpflichtig und wegen der weiterhin geltenden und auch in die Praxis umgesetzten „Einziger-Sohn-Regelung“ damit aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte zur Verwirklichung der Kriegsziele durch Militäreinsatz nicht geeignet. Er war aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte nicht verpflichtet, sich für einen möglichen Militär- und Kriegseinsatz im Inland zur Verfügung zu halten, so dass bei seiner Rückkehr im Rahmen der obligatorischen Einreisekontrollen am Flughafen Damaskus oder einer anderen staatlichen Kontrollstelle die syrischen Sicherheitskräfte keinen Anknüpfungspunkt dafür haben, dem Kläger eine oppositionelle Gesinnung wegen seiner Flucht ins Ausland, um einen Militäreinsatz zu vermeiden, zu unterstellen.

Den vereinzelt angegebenen Fällen, dass vom Militärdienst freigestellten Einzelsöhnen an Checkpoints vermehrt die Einziehung angedroht worden sei, um Bestechungsgelder zu erpressen, bzw. es in Syrien grundsätzlich keine Garantie gebe, dass Gesetze respektiert würden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 4), kann eine Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Persönlichkeitsmerkmale nicht entnommen werden.

Darin fügt sich ein, dass der Kläger bei seiner Anhörung durch das Bundesamt auf die Frage, was er bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte, antwortete: „Es passiert nichts.“

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 1, § 711 ZPO.

5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Tenor

I. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Juli 2016 wird aufgehoben, soweit der Klage stattgegeben wurde.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten über den ihm zugestandenen subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen kann.

Der Kläger ist ein am … 1997 in Damaskus geborener Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien arabischer Volkszugehörigkeit muslimischen Glaubens (Sunnit). Er reiste seinen Angaben zufolge am 31. Januar 2016 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 17. Februar 2016 einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 1. Juni 2016 äußerte er sich im Wesentlichen wie folgt:

„Bis zu seiner Ausreise aus Syrien habe er in Damaskus, Stadtteil …, gelebt. Unter dieser Adresse leben noch heute seine Eltern. Auch zwei Schwestern hielten sich noch in Syrien auf. Am 5. Januar 2016 habe er Syrien verlassen und sei über den Libanon, Türkei und die Balkanroute über Österreich nach Deutschland gereist. In der Türkei sei er ca. 10 Tage lang legal gewesen. In seiner Heimat habe er 9 Jahre lang die Mittelschule besucht, habe aber keinen Abschluss gemacht. Er habe Frisör gelernt und in dem Beruf gearbeitet. Wehrdienst habe er nicht geleistet. Er sei nicht Mitglied einer nichtstaatlichen bewaffneten Gruppierung oder einer politischen Partei gewesen. Augenzeuge oder Opfer von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder von Übergriffen (Folter, Vergewaltigungen oder anderen Misshandlungen) durch kämpfende Einheiten auf die Zivilbevölkerung sei er nicht gewesen. Er habe auf seinem Weg nach Deutschland und in Deutschland weder Kenntnis von Personen erlangt, die er als Unterstützer oder Mitglieder von extremistischen oder terroristischen Organisationen eingeschätzt habe, noch von Personen, von denen er habe annehmen müssen, dass sie für einen Nachrichtendienst arbeiten. Er habe Syrien verlassen, weil dort Krieg herrsche. Ein Arbeiten sei dort nicht möglich. Zudem strebe er in Deutschland eine Ausbildung als Frisör an und möchte einen guten Lebensunterhalt bestreiten. Er oder seine Familie seien in Syrien nicht persönlich bedroht oder verletzt worden. Er habe sein Militärheft vorgelegt. Jeder Mann im wehrdienstfähigen Alter bekomme automatisch dieses Militärheft. Er habe nicht zur syrischen Armee einberufen werden sollen. In Syrien gebe es ein Gesetz, wonach bei nur einem Sohn in der Familie eine Einberufung nicht stattfinde (eine Übersetzung des Dolmetschers aus dem Militärheft ergab unter Bezugnahme auf die gesetzliche Regelung, dass der Kläger keinen Militärdienst leisten müsse). Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er nichts. Er habe den Wunsch nach Abschluss seines Verfahrens seine Eltern aus Syrien nachreisen zu lassen. Ein Mitglied seiner Familie sei schon als Gastarbeiter in Deutschland, deshalb sei es auch ein Wunsch seiner Eltern gewesen, dass er als Arbeiter nach Deutschland kommen könne.

“Das Bundesamt erkannte den Kläger mit Bescheid vom 13. Juni 2016 als subsidiär Schutzberechtigten an und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 15. Juli 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen und die Klage im Übrigen (Asylanerkennung) abgewiesen. Zur Begründung der zusprechenden Entscheidung wird im Wesentlichen ausgeführt: Der syrische Staat betrachte gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System, die das Gebot der Loyalität ihm gegenüber verletze. Ein solches Verhalten werde - ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen - vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst. Zumindest Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und damit auch aus Deutschland hätten in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ihre tatsächliche oder wohl zumeist nur vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinn des § 3a AsylG zu rechnen.

2. Die Beklagte begründet die vom Senat mit Beschluss vom 21. September 2016 zugelassene Berufung wie folgt:

„Es begegne Zweifeln, die Verfolgungsgefahr zumeist aus einem allgemeinen „Abschöpfungsinteresse“ hinsichtlich Erkenntnissen zur Exilopposition ableiten zu wollen. Gegen die Annahme, dass bei jedem Rückkehrer eine Regimegegnerschaft vermutet werde, spreche die mittlerweile sehr hohe und weiter zunehmende Zahl der Flüchtlinge. Der syrische Staat dürfte weder Veranlassung noch Ressourcen haben, gegen jeden Rückkehrer vorzugehen. Die hohe Anzahl an ausgegebenen syrischen Reisepässen spreche ebenfalls dagegen, dass jedem Rückkehrer eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt werde. Dem entspreche es, dass sich ein erheblicher Teil der syrischen Asylbewerber für den Fall einer Rückkehr nicht vor Verfolgung in Anknüpfung an Verfolgungsgründe nach § 3b AsylG fürchte, sondern ausschließlich vor Kriegsgefahren und Kriegsfolgen. Diese Erkenntnis habe das Bundesamt aus mehr als 130.000 in diesem Jahr durchgeführten Anhörungen gewonnen. Der Kläger sei ohne Vorverfolgung ausgereist und habe Syrien wohl legal verlassen. Es liege beim Kläger auch keine Risikoerhöhung wegen Militärpflichtigkeit vor, weil insoweit die „Einziger-Sohn-Regelung“ gelte und die Mutter des Klägers älter als 50 Jahre sei, so dass eine jährliche Bestätigung der Regelung im Wehrdienstheft nicht erforderlich sei.

“Die Beklagte beantragt,

in Abänderung des Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Juli 2016 die Klage abzuweisen, soweit ihr stattgegeben wurde.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Vor dem Hintergrund, dass der Kläger einen Asylantrag gestellt habe, sich längere Zeit im westlichen Ausland aufgehalten habe und zudem noch ein möglicher Verdacht auf Wehrdienstentziehung im Raum stehe, müsse man nach Auswertung der verschiedenen Auskünfte zu dem Ergebnis kommen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Haft und Folter von den syrischen Sicherheitskräften zu befürchten hätte. Zwar könne man nicht für jeden Fall eines zurückkehrenden Syrers die Anwendung von Folter und Haft mit Sicherheit feststellen, sie seien aber auch nicht mit der notwendigen Sicherheit auszuschließen. Unter solchen Umständen würde ein vernünftiger Mensch in der Lage des Klägers das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen.

Die Landesanwaltschaft Bayern äußert sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses unter anderem wie folgt:

Die erforderliche Verknüpfung zwischen schädigender Handlung und Verfolgungsgrund sei beim Kläger nicht gegeben. Die Annahme sei wenig plausibel und letztlich lebensfremd, dass aus dem westlichen Ausland zurückkehrende Syrer bei der in diesem Fall obligatorischen Befragung von den syrischen Sicherheitskräften allein wegen der Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositionelle betrachtet würden.

3. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht Regensburg hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 15. Juli 2016 zu Unrecht teilweise stattgegeben. Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt mit Bescheid vom 13. Juni 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). § 3 Abs. 4 AsylG gibt dem Kläger in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen darauf gerichteten Anspruch, denn er ist kein Flüchtling im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer - soweit hier von Interesse - Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 - Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen lagen beim Kläger im Zeitpunkt seiner Ausreise aus der Arabischen Republik Syrien nicht vor (1.), noch ergeben sie sich aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem der Kläger sein Herkunftsland verlassen hat (2.)

1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinn des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergeben, hat der Kläger weder bei der Anhörung durch das Bundesamt noch im Rahmen der Berufungsverhandlung geltend gemacht.

2. Der Kläger kann für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nichts daraus für sich ableiten, dass gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen kann, die eingetreten sind, nachdem er sein Herkunftsland verlassen hat. Ein solcher Nachfluchtgrund besteht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht allein deshalb, weil der Kläger aus Syrien ausgereist ist, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt und sich seitdem hier aufgehalten hat. Diese Umstände rechtfertigen nicht die begründete Furcht, dass syrische staatliche Stellen den Kläger bei einer Rückkehr in die Arabische Republik Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle als Oppositionellen betrachten und ihn deshalb wegen einer ihm unterstellten politischen Überzeugung verfolgen.

2.1 Davon wäre nur dann auszugehen, wenn dem Kläger bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die „verständige Würdigung aller Umstände“ hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Klägers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - juris Rn. 37 und zu Art. 16a GG U.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - juris Rn. 17).

2.2 Nach diesem Maßstab und nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle wegen seines Asylantrags und des damit verbundenen Aufenthalts in Deutschland eine politische Verfolgung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (2.2.1). Auch das im Grundsatz eine Militärdienstpflichtigkeit begründende Alter des legal ausgereisten (2.2.2) Klägers (19 Jahre) führt nicht beachtlich wahrscheinlich zu einer staatlichen Verfolgung, da der Kläger nach der in Syrien in die Praxis umgesetzten „Einziger-Sohn-Regelung“ endgültig vom Militärdienst freigestellt wurde. Aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte fehlt es damit beim Kläger für die Unterstellung einer illoyalen und oppositionellen Haltung - anders als bei Wehrpflichtigen und Reservisten - am Anknüpfungspunkt der Ausreise trotz Militärdienstpflichtigkeit (2.2.3).

Bei der zusammenfassenden Bewertung aller Umstände haben die gegen eine Verfolgungsgefahr sprechenden Gründe größeres Gewicht als die dafür sprechenden Gründe. Diese Erkenntnis beruht auf Folgendem:

2.2.1 Eine Auswertung der in beiden Rechtszügen beigezogenen Erkenntnismittel zeigt, dass das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten ist. Der syrische Staat setzt deshalb alles daran, seine Macht zu erhalten und geht in seinem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor.

Zu den Zielen der syrischen Regierung führt Gerlach in „Was in Syrien geschieht - Essay“ vom 19. Februar 2016 (http: …www.bpb.de/apuz/221168/was-in-syrien-geschieht?p=all) aus:

„Das erklärte Ziel des syrischen Regimes, das sich für den rechtmäßigen Vertreter des Staates hält, ist die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik, also gewissermaßen in den Grenzen von 2011. … Wichtiger noch: das Fortbestehen der Machtarchitektur ohne einschneidende Veränderung, die in einer Entmachtung des Präsidenten Assad oder in der Auflösung jenes Machtkomplexes der drei um den Präsidenten gruppierten Clans Assad, Makhlouf und Shalish bestehen könnte. Diesen Kriegszielen ordnete das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele unter - und zu ihrer Verteidigung nahm es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung, sondern auch massive eigene Verluste in Kauf.“

Einem „Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012)“ des Auswärtigen Amts vom 17. Februar 2012 ist zu entnehmen:

„Das syrische Regime setzt im Kampf gegen die syrische Opposition die Armee und Sicherheitskräfte gezielt gegen zivile Siedlungsgebiete ein. …

Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Es gibt vier große Sicherheitsdienste, die unabhängig voneinander alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie sich gegenseitig kontrollieren: Allgemeine Sicherheit, Politische Sicherheit, Militärische Sicherheit und die Sicherheit der Luftwaffe. … Die Befugnisse der Sicherheitsdienste unterliegen keinen definierten Beschränkungen. Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhörzentralen, bei denen es sich um rechtsfreie Räume handelt. …

Syrische Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen und die Neuordnung Syriens nach demokratischen, pluralistischen und rechtsstaatlichen Prinzipien anstreben, werden durch das Regime massiv unterdrückt. …

Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränken sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“ (enforced disappearance), tätlichen Angegriffen (z. B. der Karikaturist A. F. und der Oppositionspolitiker R. S.), Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte (z. B. das Kind H. al-K., der Aktivist C. M.) und Mordanschlägen (z.B. der kurdische Oppositionelle M. D.) belegt. Einige Oppositionelle sind daher in den Untergrund gegangen …; viele andere haben Syrien verlassen. …

Menschenrechtsverteidiger schätzen die Zahl der Verhafteten und Verschwundenen auf insgesamt über 40.000. … Willkürliche Verhaftungen sind in Syrien gegenwärtig sehr häufig und gehen von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen (sog. Shabbiha) aus. …

Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). …

Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. …

Es muss davon ausgegangen werden, dass exilpolitische Tätigkeiten den syrischen Sicherheitsdiensten bekannt werden. Auch ist nicht auszuschließen, dass syrische Familien in Deutschland von den Sicherheitsdiensten als Druckmittel gegenüber noch in Syrien lebenden Verwandten (oder umgekehrt) missbraucht werden. …

Obwohl die syrische Verfassung (Art. 28) und das syrische Strafrecht Folter verbieten und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, wenden Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt an. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko. …Gegenwärtig kann sich das Individuum de facto in keiner Weise gegenüber staatlichen Willkürakten zur Wehr setzen. Vieles deutet darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art ´carte blanche´ erhalten haben. …

Es kommt seit Beginn der Unruhen regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen durch die Sicherheitsdienste, Rechtsmittel dagegen existieren nicht. Vor allem im Gewahrsam der außerhalb jeder Kontrolle agierenden Geheimdienste kommt es zu Drohungen und körperlichen Misshandlungen sowie zu ungeklärten Todesfällen. …

Fälle von Verschwindenlassen haben seit März 2011 erheblich zugenommen“ (Namen sind im Original vollständig wiedergegeben).

Der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe „Syrien: Umsetzung der Amnestien“ vom 14. April 2015 (https: …www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150414-syr-amnestien.0.pdf) kann entnommen werden:

„Human Rights Watch kritisierte im Januar 2015, dass trotz der Amnestie noch eine Vielzahl Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger, Medienschaffende sowie Personen, die humanitäre Hilfe geleistet haben, inhaftiert oder in Untersuchungshaft sind. …

In vielen Fällen werden vor allem Aktivisten, Anwälte und Menschenrechtsaktivisten von den Geheimdiensten wochen- und monatelang ohne Verfahren festgehalten. …

Die Anzahl der seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 verhafteten Personen ist umstritten. Das Violations Documentation Center, eine lokale Monitoring Gruppe, ging im Juli 2014 davon aus, dass 40.853 Personen in Haft sind. Der ehemalige UN-Sondergesandte für Syrien, Lakhdar Brahimi, ging von zwischen 50.000 und 100.000 Inhaftierten des syrischen Regimes aus. Der UN High Commissioner for Human Rights, Zeid Ra'ad Al Hussein, weist auf Schätzungen zwischen zehntausenden und hunderttausenden Inhaftierten hin. Das Syrian Observatory for Human Rights schätzt, dass 200.000 Personen in syrischen Gefängnissen sitzen. …

Dass die Haftbedingungen schlecht sind und in den Gefängnissen gefoltert wird, ist seit langem dokumentiert, auch bereits vor dem Konflikt. Folter ist insbesondere in der ersten Zeit der Haft üblich, um an Informationen zu kommen, die Häftlinge einzuschüchtern und um Schuldeingeständnisse zu erzwingen. Folter und die schlechten Haftbedingungen führen zu Todesfällen. …

Viele friedliche Aktivisten, die aufgrund des Anti-Terrorismus-Gesetzes verurteilt worden sind und von der Amnestie hätten profitieren sollen, blieben weiterhin in Haft.“

Die vierte aktualisierte Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015 (https: …www.ecoi.net/file_upload/1930_1455006006_syr-112015.pdf) äußert sich in Fußnummer 74 u.a. wie folgt:

„Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die man für einen Regierungsgegner hält, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen einschließlich der Kinder der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder zur Vergeltung der Aktivitäten bzw. des Loyalitätsbruchs der gesuchten Person oder zwecks Einholung von Informationen über ihren Aufenthaltsort oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen anzuerkennen.”

Die Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada (Immigration and Refugee Board of Canada) verweist in einem Bericht (Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19. Januar 2016, S. 4 - zitiert nach der in das Verfahren eingeführten Übersetzung in die deutsche Sprache) auf folgende Erkenntnisse von Amnesty International (Between Prison and the Grave, Enforced Disappearances in Syria, November 2015), Human Rights Watch (Syria, World Report 2015: Events of 2014, 29.1.2015) und OHCHR (Open Wounds: Torture and Ill-Treatment in the Syrian Arab Republic, 14.4.2014) hin:

„Laut AI hat die in Syrien stationierte Kontrollgruppe Syrian Network for Human Rights über 58.000 Fälle von Zivilisten dokumentiert, die zwischen März 2011 und August 2015 durch die syrische Regierung ´zwangsweise´ verschwunden sind, und am 30. August 2015 immer noch als vermisst gelten (AI, Nov. 2015, 7). Des Weiteren vermerkt dieselbe Quelle, dass alle vier Truppengattungen der syrischen Sicherheitskräfte, bestehend aus dem militärischen Geheimdienst, dem Geheimdienst der Luftwaffe, dem politischen Sicherheitsdienst und dem allgemeinen Geheimdienst (auch Staatsicherheit genannt), Personen zwangsweise verschwinden lassen würden und dass es überall im Land Gefangenenlager gebe (ebd.). AI erklärt, dass diese Gefangenen ´außerhalb des gesetzlichen Schutzes gestellt werden, und dass ihnen die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder ein faires Gerichtsverfahren verwehrt wird´; dass Gefangene in überfüllten Behausungen gehalten und regelmäßig einem Katalog der Folter ausgesetzt werden´(ebd., 8). Human Rights Watch und der UNHCR berichten über die weit verbreitete Anwendung des Verschwindenlassens, der Inhaftierung und Folter durch syrische Behörden (UN, 14. Apr. 2014, 1; Human Rights Watch, 29. Jan. 2015, 2 - 3).“

Nach den im Amnesty Report 2016 vom 2. März 2016 (http: …www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien) festgehaltenen Erkenntnissen von Amnesty International hat sich an dieser Lage nichts zum Guten geändert. Dem Report ist u.a. zu entnehmen:

„Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben „verschwunden“. Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. …

Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. …

10.000 Personen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterrorgericht oder vor militärischen Feldgerichten.“

2.2.2 Trotz des Umstands, dass die syrischen Machthaber um des Erhalts ihrer infolge der militärischen Auseinandersetzung bedrohten Herrschaft willen mit äußerster Härte gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle vorgehen, ist es zur Überzeugung des Senats nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger allein wegen seiner Ausreise, seines Asylantrags und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositioneller betrachtet wird und deshalb Verfolgungshandlungen im Sinn des § 3a Abs. 1 AsylG zu befürchten hat (so auch OVG SH, U.v. 23.11.2016 - 3 LB 17.16 - juris; OVG NW, B.v. 6.10.2016 - 14 A 1852/16.A - juris; a.A. OVG Sachsen-Anhalt, U.v. 18.7.2012 - 3 L 147.12 - juris).

2.2.2.1 Es ist davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder einer anderen staatlichen Kontrollstelle im Rahmen einer strengen Einreisekontrolle durch verschiedene Geheimdienste über seinen Auslandsaufenthalt und den Grund seiner Abschiebung befragt wird. Die Sicherheitsbeamten werden dabei auch Einblick in die Computerdatenbanken nehmen, um zu prüfen, ob der Kläger von den Behörden gesucht wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Sicherheitskräfte eine „carte blanche“ haben, um zu tun, was immer sie tun wollen, wenn sie jemanden aus irgendeinem Grund verdächtigen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Trier vom 12.10.2016 zur Ausreisekontrolle).

2.2.2.2 Zu den Folgen, die sich im Rahmen einer solchen Überprüfung für einen abgelehnten Asylbewerber ergeben, ist die Auskunftslage nicht einheitlich.

a) Die Ermittlungsabteilung (Research Directorate) der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde hat dazu verschiedene sachkundige Personen befragt. Ein emeritierter Professor für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford (emeritus Professor of anthropology and forced migration at Oxford University, telefonische Befragung am 11.12.2015) äußerte sich dahingehend, ein abgelehnter Asylbewerber werde höchstwahrscheinlich festgenommen und inhaftiert; groß sei die Wahrscheinlichkeit, dass solche Personen gefoltert würden, um eine Aussage zu erhalten, aus welchem Grund sie geflohen seien.

Der Vorstand der Nichtregierungsorganisation „Syrisches Zentrum für Justiz und Rechenschaftspflicht“ (Executive Director „Syria Justice and Accountability Center“, telefonische Befragung am 14.12.2015) sagte, ein abgelehnter Asylbewerber werde auf jeden Fall festgenommen und inhaftiert. Ihm würde vorgeworfen, im Ausland falsche Informationen verbreitet zu haben, und er würde wie ein Oppositioneller behandelt. Er würde einer Folter unterworfen, wobei die Behörden versuchen würden, Informationen über andere abgelehnte Asylbewerber oder Oppositionelle zu bekommen. Der abgelehnte Asylbewerber riskiere, zu Tode gefoltert zu werden oder gefoltert zu werden und dann für eine sehr lange Zeit in Haft genommen zu werden.

Ein leitender auf Syrien spezialisierter Gast-Forschungsbeauftragter am King´s College London (Visiting Senior Research Fellow, telefonische Befragung am 15.12.2015) bekundete gegenüber der kanadischen Behörde, es bestünde die Möglichkeit, dass ein abgelehnter Asylbewerber wegen eines Asylantrags im Ausland festgenommen und inhaftiert werden könnte. Er war aber des Weiteren der Meinung, dass das nicht „automatisch“ der Fall sei. Die mehr traditionsbewussten syrischen Beamten seien der Überzeugung, dass alle Asylbewerber Regierungsgegner seien, und somit einer Festnahme, Inhaftierung und Folter unterworfen werden könnten. Es gebe aber auch Beamte, die verstünden, dass manche Leute vielleicht aus wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen hätten. Nichts sei „automatisch“ oder vorhersehbar. Allerdings habe der Konflikt wahrscheinlich das Misstrauen der Beamten erhöht (vgl. zum Ganzen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6 f.).

Die kanadische Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde zitiert in diesem Zusammenhang zudem aus den „Länderberichten über die Handhabung der Menschenrechte für 2014“ des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten (US Department of State´s „Country Reports on Human Rights Practices for 2014“). Danach seien Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl gesucht haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt. Das Gesetz sehe die Strafverfolgung jeglicher Person vor, die in einem anderen Land Zuflucht suche, um der Strafe in Syrien zu entfliehen. Das Regime nehme routinemäßig Dissidenten und ehemalige Staatsbürger mit unbekannter politischer Zugehörigkeit fest, die versucht hätten, nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbst auferlegten Exils in das Land zurückzukehren.

b) Demgegenüber beantwortete die Deutsche Botschaft Beirut (Referat 313) eine Anfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Rückkehrgefährdung unter dem 3. Februar 2016 dahin, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten. Allerdings seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden seien oder dauerhaft verschwunden seien. Das stehe überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite.

Die Frage des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts, ob unverfolgt ausgereiste Asylbewerber bei Rückkehr nach Syrien Befragungen seitens des syrischen Staates ausgesetzt seien und - bejahendenfalls - wie hoch die Gefahr einzuschätzen sei, dass sie deshalb Verfolgungsmaßnahmen seitens des syrischen Staats ausgesetzt werden, beantwortete das Auswärtige Amt mit Auskunft vom 7. November 2016 wie folgt: Das Amt habe keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien. Es lägen keine Erkenntnisse vor, dass diese Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien.

Der UNHCR ist für den Fall einer Einzelfallprüfung von Asylanträgen syrischer Asylbewerber der Ansicht, dass Personen mit einem oder mehreren der in den Erwägungen des UNHCR angeführten Risikoprofile „wahrscheinlich“ internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention benötigen. Unter ein solches Risikoprofil fallen nach Auffassung des UNHCR unter anderem „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder politischer Oppositionsparteien; Aufständische, Aktivisten und sonstige Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen werden; Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen bzw. Personen, die als Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen angesehen werden; Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte; Mitglieder der Regierung und der Baath-Partei, die ihre Ämter niedergelegt haben; Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern sowie andere Personen, die mit tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern in Verbindung gebracht werden; Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben“ (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 25 f.).

2.2.2.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht fest, dass die gegen eine Verfolgung des Klägers sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen die dafür sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kann nicht von einem bei jedem Rückkehrer bestehenden in gleicher Weise realen Risiko von Misshandlung und Folter ausgegangen werden. Der Senat ist vielmehr davon überzeugt, dass die syrischen Sicherheitskräfte bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vorgehen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen.

a) Dabei bleibt nicht außer Betracht, dass der um seine Existenz kämpfende syrische Staat und dessen Machthaber ihre Ziele, nämlich die Wiederherstellung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium Syriens sowie der Machterhalt zugunsten des Präsidenten Assad und der um ihn gruppierten Clans mit größter Härte und menschenrechtswidrigen Mitteln verfolgen. In dieses Bild scheinen sich die Äußerungen der von der Ermittlungsabteilung der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde befragten sachkundigen Personen einzufügen. Gegen deren Annahme, abgelehnte Asylbewerber würden (allein) wegen des Asylantrags im Ausland „auf jeden Fall“ bzw. „höchstwahrscheinlich“ oder möglicherweise festgenommen, inhaftiert und gefoltert, spricht aber neben der Tatsache, dass die Bewertungen der sachkundigen Personen nicht näher konkretisiert sind, Folgendes:

Die im angefochtenen Gerichtsbescheid in Bezug genommenen (GA S. 7), in einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. Februar 2012 (3 L 147/12) beschriebenen Fälle von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, sind nicht geeignet, eine allein auf die Asylantragstellung zurückzuführende politische Verfolgung zu belegen. Im Gegenteil, die insoweit ausweislich des vorbezeichneten Urteils von Amnesty International („Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012) und von dem kurdischen Informationsdienst „KURDWATCH“ dokumentierten neun Fälle zeigen, dass Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte nicht allein durch die Asylantragstellung, sondern durch hinzutretende Umstände ausgelöst wurden. Dazu in der Reihenfolge der Fälle wie sie im Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. Februar 2012 angeführt sind:

– Der syrische Kurde B. K. hatte in Zypern erfolglos Asyl beantragt und wurde im Juni 2009 bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Damaskus festgenommen und vier Monate ohne Kontakt zur Außenwelt von den Geheimdiensten inhaftiert und offenbar misshandelt und gefoltert. Hier trat zum Asylantrag hinzu, dass B. K. nach den Erkenntnissen von amnesty international bereits Anfang 2005 als Jugendlicher für zweieinhalb Monate u.a. in der Haftanstalt der „Palästinensischen Abteilung“ beim Militärischen Geheimdienst in Haft war. Er war damit bereits vor seiner Ausreise in das Blickfeld der syrischen Dienste geraten.

– Der syrische Kurde K. K. wurde nach abgelehntem Asylantrag am 1. September 2009 nach Syrien abgeschoben. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr wurde er bei der Vorsprache beim Geheimdienst festgenommen und drei Wochen lang ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert, verhört und eigenen Angaben zufolge gefoltert und misshandelt. Im Rahmen seiner Verhöre wurden ihm auch Angaben aus seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgehalten (KURDWATCH, Meldung vom 29.08.2010). Gegen Herrn K. wurde Anklage wegen „Verbreitung falscher Informationen im Ausland“ gemäß § 287 des syrischen Strafgesetzbuches vor dem Militärgericht erhoben. Allerdings, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt lässt das unerwähnt, war Gegenstand des geheimdienstlichen Verhörs auch die Teilnahme des Verhafteten an einer Kundgebung gegen das Rückübernahmeabkommen zwischen Deutschland und der Arabischen Republik Syrien. Nach Angaben des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien hat der Rechtsanwalt des Herrn K. mitgeteilt, dass sich die nachfolgende Anklage auf den Vorwurf gestützt habe, Herr K. habe in Deutschland an dieser Kundgebung teilgenommen. Ein Monitoring durch den Verbindungsbeamten (der Deutschen Botschaft) bestätigte, dass Herr K. der Aussage seines Anwaltes entsprechend wegen der Teilnahme an einer Kundgebung in Deutschland verurteilt wurde (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded Group und aktuelle Situation, April 2011, S. 11 f.).

– Der syrische Kurde A. al-K. H. wurde im August 2010 aus Norwegen abgeschoben und bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Damaskus festgenommen. Hier tritt hinzu, dass es sich bei Herrn A. al-K. H. um den stellvertretenden Direktor des Vereins syrischer Kurden in Norwegen handelte, einer Nichtregierungsorganisation, die auf die Situation der kurdischen Minderheit in Syrien aufmerksam macht. Er war zwei Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt beim Geheimdienst in Damaskus inhaftiert. Berichten zufolge soll er bei der Haftentlassung aufgefordert worden sein, sich beim Geheimdienst in Aleppo zu melden, was ihn zur Flucht aus Syrien veranlasste.

– Nach einem von KURDWATCH dokumentierten Fall hatte die Ausländerbehörde Essen am 27. Juli 2010 eine sechsköpfige (kurdische) Familie nach Damaskus abschieben lassen. H. H. und K. H. wurden bei der Ankunft am Flughafen Damaskus von syrischen Sicherheitskräften festgenommen. In diesem Fall kommt hinzu, dass die beiden festgenommen wurden, weil sie in Deutschland straffällig geworden waren. Der Aussage des H. H. zufolge wurde er an drei unterschiedlichen Orten festgehalten. Begründet wurde seine Festnahme damit, dass er in Deutschland wegen Diebstahls verurteilt worden sei und diese Strafe noch in Syrien ableisten müsse. Tatsächlich, so H. H., sei die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Darüber hinaus sei ihm, ebenfalls unter Verweis auf seine aus Deutschland stammenden Akten, zu Unrecht Drogenabhängigkeit vorgeworfen worden.

– Der staatenlose Kurde D. A. wurde nach seiner Abschiebung aus Dänemark am 15. November 2010 auf dem Flughafen Damaskus verhaftet. Herr A. war in Dänemark politisch aktiv.

– Mitglieder des Direktorats für politische Sicherheit in Syrien hatten am 4. Dezember 2010 Herrn D. Y. M. vorgeladen und festgenommen. Nach seiner Abschiebung aus Zypern im Juni 2010 hatte er am Flughafen Damaskus seinen Pass abgeben müssen. Es folgten mehrere Verhöre durch verschiedene Geheimdienste. In diesem Fall tritt hervor, dass der Betroffene in Zypern gemeinsam mit anderen kurdischen Flüchtlingen gegen seine Abschiebung demonstriert und an einem mehrtätigen Hungerstreik teilgenommen hatte.

– Die Ausländerbehörde Hildesheim hatte am 1. Februar 2011 die registrierten Staatenlosen B. N. und seinen Sohn A. N. nach Syrien abschieben lassen. Beide wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in Damaskus festgenommen und der Auswanderungs- und Passbehörde überstellt. Herrn A. N. wurde vorgeworfen, unrichtige Angaben zu seinem Alter gemacht zu haben. Er wurde bei der Auswanderungs- und Passbehörde festgehalten, wo er auf eine Identitätsbescheinigung aus Al-Hassake warten musste. Sein Vater, Herr B. N, wurde zunächst dem Direktorat für politische Sicherheit vorgeführt und dort verhört. Er wurde am 13. Februar 2011, sein Sohn am 3. März 2011 freigelassen. Unabhängig davon, dass es sich bei den Betroffenen um registrierte Staatenlose handelte, tritt hier die Problematik der Identitätsfeststellung in den Vordergrund.

– Am 8. Februar 2011 wurde Herr A. A. von Dänemark über Wien nach Syrien abgeschoben. Obgleich dem Königreich Dänemark zuvor die Rücknahme des Herrn A. zugesichert worden war, erhielt er am Flughafen Damaskus die Information, er könne nicht einreisen, da es sich bei ihm nicht um einen syrischen Staatsangehörigen handele. Entweder, er verlasse das Land oder er werde inhaftiert, bis seine Identität geklärt sei. Die drei dänischen Beamten, die Herrn A. begleiteten, hielten daraufhin Rücksprache mit der dänischen Botschaft und erhielten die Anweisung, noch am selben Tag mit Herrn A. nach Kopenhagen zurückzufliegen. In diesem Moment wurde Herr A. von einem Geheimdienstmitarbeiter erkannt, der einen Beitrag des kurdischen Senders Roj-TV gesehen hatte, in dem der Kurde im September 2010 als Sprecher von Hungerstreikenden aufgetreten war. Der Geheimdienstmitarbeiter nahm Herrn A. mit in sein Büro und warf ihm vor, im Ausland falsche Informationen über Syrien verbreitet zu haben. Herr A. leugnete das und behauptete, es handele sich bei ihm um eine andere Person, es sei doch gerade festgestellt worden, dass er kein syrischer Staatangehöriger sei. Daraufhin, so Herr A. gegenüber KURDWATCH, sei er von dem Geheimdienstmitarbeiter massiv mit Kabeln auf den Rücken geschlagen und gezwungen worden, ein Papier zu unterschreiben, dass er nicht wieder nach Syrien einreisen werde. Schließlich wurde er entlassen und flog noch am selben Tag mit den dänischen Beamten nach Kopenhagen zurück. Es ist auch in diesem Fall ohne Weiteres erkennbar, dass Anlass für die angebliche Misshandlung nicht (allein) ein Asylantrag des abgeschobenen Syrers war.

– Im Fall des Herrn K. H., der im Zuge seiner Abschiebung aus Deutschland am 13. April 2011 am Flughafen Damaskus festgenommen wurde, ergab sich das Interesse des syrischen militärischen Nachrichtendienstes an der Person des Abgeschobenen aus dessen exilpolitischen Aktivitäten, zu denen er im Verlauf einer einwöchigen Haft verhört wurde.

In die gleiche Richtung weisen auch zwei Fallbeispiele der kanadischen Immigrations- und Flüchtlingsbehörde im Zusammenhang mit der Behandlung von abgelehnten Asylbewerbern. So soll ein syrischer Mann, der in Australien ohne Erfolg Asyl beantragt hatte, bei seiner Rückkehr im August 2015 von syrischen Regierungsbeamten am Flughafen Damaskus „ausgesondert“ worden sein, „weil er von Al-Harra in der Provinz Daraa stammte. … Den Berichten zufolge beschuldigten ihn syrische Beamte, ein ´Finanzier der Revolution´ zu sein, als sie Bargeld bei ihm fanden, das ihm von der australischen Regierung für seine Rückkehr gegeben worden war; sie ´folterten´ ihn 20 Tage lang, dazu gehörten Schläge in das Gesicht, auf den Rücken und die Brust …“. Des Weiteren verweist die kanadische Behörde auf eine Stellungnahme von Human Rights Watch vom November 2013. Danach sollen laut dem UNHCR etwa 35 Palästinenser aus Syrien, die während des syrischen Konflikts nach Ägypten geflohen waren, nach Syrien zurückgeschickt worden sein; einige wurden bei Ankunft am Flughafen festgenommen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6).

b) Es gibt keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die Eingriffsschwelle der syrischen Stellen bei künftigen Abschiebungen wesentlich niedriger wäre und sie Rückkehrer unabhängig von signifikanten gefahrerhöhenden Merkmalen oder Umständen allein wegen der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland in flüchtlingsrechtlich relevanter Weise verfolgen.

Insoweit führt die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht weiter, der syrische Staat sei infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den längeren Aufenthalt im Ausland zum Anlass für Verfolgungsmaßnahmen nehme. Dabei ist nicht nachvollziehbar belegt, dass die syrischen Sicherheitskräfte nunmehr - anders als bis zum Abschiebestopp im Jahr 2011 - allein die Asylantragstellung in Deutschland als Hinweis auf eine oppositionelle Haltung betrachten würden. Solches ergibt sich auch nicht aus dem Verweis des Verwaltungsgerichts auf eine Zuspitzung der Situation in Syrien und einen Überlebenskampf des Assad-Regimes. Eine derartige Zuspitzung ist schon mit Blick auf die allgemein bekannte Tatsache zweifelhaft, dass sich die militärische Lage aufgrund der seit dem 30. September 2015 massiven militärischen Unterstützung durch die Russische Föderation zugunsten des syrischen Staates, wenn auch nicht entspannt, so doch jedenfalls verbessert hat. Unabhängig davon ließe sich eine Zuspitzung der Situation in Syrien auch dahin interpretieren, dass die syrischen Machthaber zunehmend auf den Zuspruch des ihnen zugeneigten Teils der Bevölkerung angewiesen sind und aus diesem Grund Verfolgungsmaßnahmen im Grundsatz nicht auf einem derart niedrigen Verdachtsniveau ansetzen wie vom Verwaltungsgericht angenommen.

Gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts spricht im Übrigen auch, dass laut Schätzungen der Vereinten Nationen und der Regierungen der Länder, die Flüchtlinge aufgenommen haben, jedes Jahr Hunderttausende von Flüchtlingen nach Syrien reisen; meistens um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in benachbarte Länder einreisen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsausschuss von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen vom 19.1.2016; SYR105361.E, S. 2 unter Verweis auf den Norwegischen Flüchtlingsrat und des Internationale Rettungskomitee). Eine solch umfangreiche Reisetätigkeit zeigt, dass die in den benachbarten Ländern lebenden syrischen Flüchtlinge trotz des (extrem) repressiven Charakters des syrischen Staates davon ausgehen, im Rahmen der auch an den übrigen Grenzübergängen zu Syrien strengen Grenzkontrollen (vgl. dazu Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f) keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt zu sein. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, erfolglose Asylbewerber aus dem westlichen Ausland würden - im Gegensatz zu den in die Anrainerstaaten Syriens Geflüchteten - deshalb (unterschiedslos) als Oppositionelle betrachtet, weil die syrische Regierung eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land für den Ursprung des Bürgerkriegs verantwortlich mache, ist eine bloße Vermutung, die sich angesichts der hohen Zahl in das westliche Ausland geflüchteter Syrer auch nicht nachvollziehbar aus dem Charakter des syrischen Staates ableiten lässt.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, wenn der Deutschen Botschaft Beirut einerseits keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten, ihr aber andererseits Fälle bekannt sind, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden sind oder dauerhaft verschwunden sind und das jedoch überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst steht. Ebenso ist der Hinweis der Botschaft plausibel, das entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3.2.2016).

Diese Auskunft erhält dadurch besonderes Gewicht, dass der UNHCR in seinen „Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (4. aktualisierte Fassung November 2015) davon ausgeht, im Rahmen einer Einzelfallprüfung benötigten syrische Asylbewerber wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn sie einem oder mehreren der in den Erwägungen angeführten Risikoprofile zuzuordnen seien. Unter ein solches Risikoprofil sollen nach dem Inhalt der Erwägungen etwa Personen fallen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen. Der UNHCR führt dazu verschiedene Beispiele an wie etwa Wehrdienstverweigerer, Aufständische oder Aktivisten. Personen, die im westlichen Ausland einen Asylantrag gestellt haben, werden demgegenüber nicht genannt. Dabei handelt es sich ersichtlich nicht um eine Nachlässigkeit, denn der UNHCR betrachtet die von ihm erstellten Risikoprofile als Grundlage für eine „Einzelfallprüfung“. Eine solche wäre aber, wie auch die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts deutlich macht, nicht erforderlich, wenn bereits die Asylantragstellung genügte, einen Asylbewerber dem Risikoprofil „Oppositioneller“ zuzuschlagen.

c) Der Länderbericht des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten für das Jahr 2014, den die kanadische Immigrations- und Flüchtlingsbehörde zitiert (s.o. Nr. 2.2.2.2 a)), rechtfertigt keine andere Bewertung. Zwar sollen danach Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl beantragt haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt sein. Allerdings ist dem Bericht in diesem Zusammenhang auch zu entnehmen, dass die Strafverfolgung nur für solche Personen vorgesehen ist, die in einem anderen Land Zuflucht suchen, um sich der Strafe in Syrien zu entziehen. Ebenso wenig führt hier die Feststellung des amerikanischen Auswärtigen Amts weiter, das Regime nehme routinemäßig nach Jahren oder sogar Jahrzehnten zurückkehrende Dissidenten und ehemalige Staatsbürger mit unbekannter politischer Zugehörigkeit fest. Der Kläger zählt nicht zu diesem Personenkreis; er ist kein Dissident und besitzt nach wie vor die syrische Staatsbürgerschaft.

d) Der vom Verwaltungsgericht hervorgehobene Umstand, dass die syrischen Geheimdienste die im Ausland lebenden syrischen Staatsangehörigen (angeblich) umfassend beobachten, trägt zur Beurteilung nichts Wesentliches bei. Er bestätigt den repressiven Charakter des syrischen Staates, hat aber für die Beurteilung der Rückkehrgefährdung vor dem Hintergrund der übrigen Erkenntnisse kein besonderes Gewicht.

2.2.3 Es kann dahinstehen, ob eine nach syrischem Recht illegale Ausreise im Falle einer Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte auslöst. Der Kläger hat Syrien nicht illegal verlassen. Er hat seinem Vorbringen in der Berufungsverhandlung zufolge in Syrien ein Visum erhalten, das ihn berechtigte, vom Libanon aus in die Türkei zu reisen. Sodann ist er mit einem Personenkraftwagen über einen (regulären) Grenzübergang von Syrien in den Libanon eingereist.

Der angebliche Verlust des Reisepasses während der Überfahrt nach Griechenland rechtfertigt nicht die Annahme, dass im Falle einer Rückkehr des Klägers die legale Ausreise nicht nachweisbar dokumentiert ist. Die syrischen Behörden erfassen im Rahmen der Grenzkontrolle die Ausreisedaten in ihrem elektronischen Datensystem, wo sie bei der Einreise abgerufen werden können (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen vom 19.1.2016 SYR105361.E, S. 8 unter Verweis auf eine telefonische Befragung des Vorstands des „Syrischen Zentrums für Justiz und Rechenschaftspflicht“ am 14.12.2015). In Anbetracht der umfassenden syrischen Grenzkontrollen ist zur Überzeugung des Senats die Einlassung des Klägers nicht glaubhaft, dass er bei der Einreise in den Libanon nur von den libanesischen Grenzbeamten kontrolliert worden sei. Die Erkenntnisquellen gehen übereinstimmend von strengen syrischen Grenzkontrollen aus. So muss insbesondere an den Grenzübergangsstellen der Landesgrenzen vom Libanon und von Syrien die Person aus dem Auto steigen und zum Einwanderungsbüro (immigration office) gehen. Dort nimmt der Beamte die Dokumente des Einreisenden und führt am Computer eine Überprüfung durch (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 3).

2.2.4 Es ist zur Überzeugung des Senats auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger von seiten der syrischen Sicherheitskräfte bei der Einreise über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle deshalb in Anknüpfung an eine ihm (unterstellte) oppositionelle Gesinnung eine menschenrechtswidrige Behandlung droht, weil der Kläger in einem Alter ist (19 Jahre), das ihn im Grundsatz der Militärdienstpflichtigkeit unterwirft. Der Kläger ist gemäß dem Eintrag in seinem Militärdienstbuch nach der „Einziger-Sohn-Regelung“ endgültig vom Militärdienst befreit, weil er der einzige Sohn der Familie ist und seine Mutter nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung älter als 50 Jahre alt ist. Nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung wird diese „Einziger-Sohn-Regelung“ von den syrischen staatlichen Stellen im Wesentlichen beachtet.

2.2.4.1 Das System der allgemeinen Wehrpflicht beruht auf folgenden Grundsätzen: In Syrien besteht allgemeine Wehrpflicht ab 18 Jahren bis zum Alter von 42 Jahren. Männer, die 18 Jahre alt werden, müssen sich zur Generalrekrutierungsstelle begeben (Befragung, Foto, Bluttest). Danach wird ihnen ein Militärdienstbuch ausgehändigt. Bei Beginn des Militärdienstes müssen bei der Generalrekrutierungsstelle die zivilen Ausweise und das Militärdienstbuch abgegeben werden und der Betreffende erhält umgehend den Militärdienstausweis bevor er zu seiner Einheit entsandt wird. Wenn der Dienst absolviert ist, bekommt man „Entlassungspapiere“, die man bei der Generalrekrutierungsstelle abgibt und erhält den zivilen Ausweis und das Militärbuch - versehen mit dem Stempel, dass der Militärdienst geleistet und die Person entlassen wurde (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada - Antworten auf Informationsanfragen v. 13. 8.2014, SYR104921.E, S.5).

Im August 2014 erließ Präsident Assad die Gesetzesverordnung Nr. 33, die einige Artikel der Verordnung Nr. 30 aus dem Jahr 2007 zum obligatorischen Militärdienst ersetzt. Dabei wurde unter anderem die Regel angepasst, dass der einzige Sohn der Familie vom Militärdienst befreit werden kann (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 5 f.). Die Freistellung wird im „Militärbüchlein“ festgehalten. Bis die Mutter 50 Jahre alt ist, muss die Freistellung jährlich neu beantragt werden. Danach gilt die Freistellung für immer (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 1; Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR104921.E vom 13.8.2014, S. 2 f).

Dementsprechend ist in dem vom Kläger dem Bundesamt vorgelegten Militärdienstbuch auf Seite 10 unter Bezugnahme auf die gesetzliche Regelung vermerkt, dass der Antragsteller keinen Militärdienst leisten muss (vgl. Anhörungsniederschrift vom 1.6.2016, Bl. 69 der Bundesamtsakte).

2.2.4.2 Der Senat ist davon überzeugt, dass diese Freistellung vom Militärdienst von den syrischen staatlichen Stellen auch vor dem Hintergrund des Charakters des um seine Existenz kämpfenden Staates (s.o. 2.2.1) im Wesentlichen beachtet wird. Diese Beurteilung beruht insbesondere auf Folgendem:

„Seit Herbst 2014 ergriff das syrische Regime verschiedene Maßnahmen, um die durch Desertion und Verluste dezimierte syrische Armee zu stärken. Seither kommt es zu großflächiger Mobilisierung von Reservisten, Verhaftungswellen von Deserteuren und Männern, die sich bis dahin dem Militärdienst entzogen haben. Zudem ergriff das syrische Regime neue Maßnahmen, um gegen Desertion und Wehrdienstentziehung anzukämpfen“ (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 2f. unter Verweis auf Washington Post, Desperate for soldiers, Assad´s government imposes harsh recruitment measures, 28.12.2014). „Zusätzlich zur Mobilisierung der Reservisten intensivierte das Regime die Suche nach … jungen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen haben. Es wurden mobile Checkpoints errichtet und die Sicherheitsdienste führten anhand von Listen, die auch an Checkpoints und an der Grenze genutzt werden, Razzien durch. … Bereits in den ersten sieben Monaten des Jahres 2014 dokumentiert das Syrian Network for Human Rights über 5.400 Verhaftungen von wehrdienstpflichtigen jungen Männern (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 3 unter Verweis auf Danish Immigration Service, Syria, Military Service, Mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG, 26.2.2015, S.10).

„Im Herbst 2014 erließ das Regime verschiedene Maßnahmen, um die Ausreise wehrdienstpflichtiger Männer zu verhindern. Bereits seit dem Ausbruch des Krieges verlangen die syrischen Behörden bei der Ausreise von Männern, die zwischen 18 und 42 Jahre alt sind, eine offizielle Beglaubigung des Militärs, dass sie vom Dienst freigestellt sind“ (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 4 unter Verweis auf Institute for the Study of War, The Assad Regime Under Stress: Conscription and Protest among Alawite and Minority Populations in Syria, 15.12.2014).

„Quellen geben an, dass die Sicherheitskontrollen, die von Grenzbeamten am internationalen Flughafen von Damaskus und anderen Eingangshäfen durchgeführt werden, beinhalten zu überprüfen, ob der Rückkehrer seinen Wehrdienst abgeleistet hat. Mehrere Quellen berichten, dass Männer im wehrpflichtigen Alter besonders gefährdet seien, von den Sicherheitskräften am Flughafen und anderen Eingangshäfen misshandelt zu werden (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada - Antworten auf Informationsanfragen v. 19.1.2016, SYR105361.E, S. 8f. m.w.N.).

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe beruft sich schließlich in einer Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20. Oktober 2015 zu Syrien: „Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“ auf den Bericht des Dänischen Einwanderungsdienstes (Danish Immigration Service), der im September 2015 eine nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes verlässliche Studie zum Militärdienst veröffentlicht hat (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3. Februar 2016). Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass prinzipiell die Freistellung als Einzelsohn noch gilt. Verschiedene Quellen weisen jedoch darauf hin, dass die Umsetzung „nicht immer“ gewährleistet ist. Insgesamt betrachtet ergibt sich das Bild, das die Freistellung als „einziger Sohn“ zwar je nach Situation willkürlich gehandhabt wird, sie aber im Prinzip umgesetzt wird. (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 1 und 3f.).

2.2.4.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht zur Überzeugung des Senats fest, dass dem endgültig vom Militärdienst freigestellten Kläger bei der Einreise über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von seiten der staatlichen Sicherheitskräfte in Anknüpfung an eine ihm (unterstellte) oppositionelle Gesinnung Verfolgung droht.

Das erklärte Ziel des syrischen Regimes ist unter Fortbestehen der Machtarchitektur die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik. Diesen Kriegszielen hat das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele untergeordnet - und zu ihrer Verteidigung hat es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung in Kauf genommen, sondern auch massive eigene Verluste (s.o. 2.2.1, Gerlach, „Was in Syrien geschieht - Essay“ v. 19. 2.2016). Die erheblichen Verluste auf Seiten des syrischen Militärs führten dazu, dass im Verlaufe des Krieges die Mobilisierungsmaßnahmen in die syrische Armee für Rekruten und Reservisten erheblich intensiviert wurden. Dabei sind bei von Sicherheitsdiensten aufgegriffenen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen hatten, auch Fälle von Folter dokumentiert worden. Die Ausreise von militärdienstpflichtigen Personen wurde durch verschiedene Maßnahmen (z.B. Ausreiseerlaubnis) erschwert.

Insoweit wird deutlich, dass das Interesse des syrischen Regimes an einer jederzeit möglichen Einberufung seiner militärdienstpflichtigen Staatsbürger zur Weiterverfolgung seiner Kriegsziele und damit letztlich für die Wiederherstellung und den Erhalt seiner Macht von entscheidender Bedeutung ist. Im Zusammenwirken mit dem Charakter des bedingungslos zur Erreichung seiner Ziele agierenden syrischen Regimes unter weitverbreitetem Einsatz von menschenrechtswidrigen Mitteln, wie insbesondere Folter, ist davon auszugehen, dass das syrische Regime Personen, die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, regelmäßig eine illoyale, politisch oppositionelle Haltung unterstellt. Denn diese Personen haben sich trotz des das Regime in seiner Existenz bedrohenden Krieges nicht für einen Militäreinsatz bereitgehalten und so aus der Sicht der Machthaber ein Verhalten gezeigt, das dessen drängenden militärischen Bedürfnissen zuwiderläuft (vgl. zu einem Reservisten: Urteil des Senats vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30372 - juris).

Dieser Personengruppe (Wehrpflichtiger, Reservist), die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, gehört der Kläger aber weder an, noch besteht Anlass zu der Annahme, dass ihn die syrischen Behörden bei Rückkehr entsprechend einem Militärdienstverweigerer behandeln und ihm dementsprechend eine oppositionelle Gesinnung unterstellen.

Das syrische Regime hat zwar zur Stärkung seiner Armee seine Maßnahmen gegen wehrdienstpflichtige Männer verschärft, der Kläger ist jedoch aufgrund seiner Freistellung, die im Militärbuch dokumentiert ist, nicht wehrdienstpflichtig und wegen der weiterhin geltenden und auch in die Praxis umgesetzten „Einziger-Sohn-Regelung“ damit aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte zur Verwirklichung der Kriegsziele durch Militäreinsatz nicht geeignet. Er war aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte nicht verpflichtet, sich für einen möglichen Militär- und Kriegseinsatz im Inland zur Verfügung zu halten, so dass bei seiner Rückkehr im Rahmen der obligatorischen Einreisekontrollen am Flughafen Damaskus oder einer anderen staatlichen Kontrollstelle die syrischen Sicherheitskräfte keinen Anknüpfungspunkt dafür haben, dem Kläger eine oppositionelle Gesinnung wegen seiner Flucht ins Ausland, um einen Militäreinsatz zu vermeiden, zu unterstellen.

Den vereinzelt angegebenen Fällen, dass vom Militärdienst freigestellten Einzelsöhnen an Checkpoints vermehrt die Einziehung angedroht worden sei, um Bestechungsgelder zu erpressen, bzw. es in Syrien grundsätzlich keine Garantie gebe, dass Gesetze respektiert würden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 4), kann eine Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Persönlichkeitsmerkmale nicht entnommen werden.

Darin fügt sich ein, dass der Kläger bei seiner Anhörung durch das Bundesamt auf die Frage, was er bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte, antwortete: „Es passiert nichts.“

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 1, § 711 ZPO.

5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

weitere Fundstellen einblendenweitere Fundstellen ...

Diese Entscheidung wird zitiert ausblendenDiese Entscheidung wird zitiert


Tenor

Unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 16. Juni 2016 wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Kläger; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Der am … 1993 geborene Kläger, ein syrische Staatsangehöriger arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit, reiste eigenen Angaben zufolge am 22. Januar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag.

3

Zur Begründung machte er geltend, Syrien wegen des Krieges und aus Angst vor dem Verhungern verlassen zu haben. A… in der Provinz Homs, wo er gelebt habe, sei mal vom Regime und mal von bewaffneten Milizen übernommen worden. Es sei gefährlich gewesen zwischen den Fronten. Es habe ständig die Gefahr bestanden, von einer Seite gefangen genommen zu werden. Im Jahr 2013 seien Verwandte bei einer Straßenkontrolle mitgenommen worden. Sie seien nicht wiedergekommen; wahrscheinlich seien sie getötet worden. Zudem habe er Angst gehabt, vom Militär mitgenommen und als Soldat eingesetzt zu werden. Offiziell einberufen worden sei er noch nicht. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er, eingezogen oder inhaftiert zu werden, weil er vor dem Wehrdienst geflohen sei.

4

Mit Bescheid vom 12. April 2016 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu. Im Übrigen lehnte es den Asylantrag mit der Begründung ab, dass der Kläger kein Flüchtling im Sinne des § 3 Asylgesetz (AsylG) sei.

5

Das Verwaltungsgericht Trier hat auf die hiergegen erhobene Klage die Beklagte mit Urteil vom 16. Juni 2016 – 1 K 1520/16.TR – unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen. Mit Blick auf die Erkenntnismittel, insbesondere die aktuelle Situation in Syrien, sei davon auszugehen, dass dem Kläger für den Fall der Rückkehr nach dort ungeachtet individuell geltend gemachter Gründe und deren Glaubhaftigkeit politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe. Auf der Grundlage der auch aus der aktuellen Berichterstattung gewonnenen Erkenntnislage sei beachtlich wahrscheinlich, dass im Falle der Rückkehr wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt die Festnahme und damit verbunden die Gefahr von Folter drohe, weil davon auszugehen sei, dass einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachgegangen werde.

6

Mit Beschluss vom 15. September 2016 – 1 A 10658/16.OVG – hat der Senat auf Antrag der Beklagten die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Am 30. September 2016 hat die Beklagte die Berufung begründet.

7

Sie macht geltend, dass Flüchtlingen aus Syrien im Falle ihrer Rückkehr dorthin nicht allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung drohe.

8

Die Beklagte beantragt,

9

unter Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen.

10

Der Kläger beantragt,

11

die Berufung zurückzuweisen.

12

Zur Begründung nimmt er Bezug auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend macht er geltend, dass die von der Beklagten vertretene Auffassung, Rückkehrer nach Syrien unterlägen zwar allgemein der Gefahr der Folterung oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, dem liege jedoch keine unterstellte Regimegegnerschaft zugrunde, lebensfremd sei. Verhaftungen und Folterungen dienten keinem Selbstzweck, sondern der Unterdrückung jeglicher Regimegegnerschaft. Sie richteten sich immer gegen Personen, die der Regimegegnerschaft verdächtigt würden, wofür in Syrien indessen bereits derartige Nichtigkeiten genügten, dass dies aus Sicht eines in einem rechtsstaatlichen System lebenden Betrachters als willkürlich erscheinen möge. Demgemäß genüge auch bereits ein Auslandsaufenthalt für den Verdacht oppositioneller Haltung oder Tätigkeit. Dies gelte umso mehr, da sich das syrische Regime seit Jahren im Kampf um das eigene Überleben befinde. In individueller Hinsicht wirke in seinem Falle gefahrerhöhend, dass er aus der Rebellenhochburg Homs stamme und sich im wehrfähigen Alter befinde. Hinzu komme noch, dass sein 1990 geborener Bruder – dem die Beklagte im Übrigen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt habe – bereits eine Einberufung zum Militärdienst erhalten, aber nicht befolgt habe, was nochmals zu einer Gefahrerhöhung auch für den Kläger führe.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten und die Verwaltungsakten der Beklagten betreffend den Kläger (Az. 6513645-475) und dessen Bruder (Az. 6513662-475), jeweils 1 Heft, Bezug genommen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

14

Entscheidungsgründe

15

Die Berufung ist zulässig und begründet.

16

Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

17

1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK –, BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.

18

a. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK –, BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist. Gleiches gilt nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG für eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

19

Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können gemäß § 3a Abs. 2 AsylG unter anderem gelten die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung sowie die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen gemäß § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde.

20

b. Die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung und Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe werden in § 3b Abs. 1 AsylG näher umschrieben.

21

Gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 1 AsylG umfasst der Begriff der Rasse insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe.

22

Als Religion im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG definiert § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sowie sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

23

Der Verfolgungsgrund der Nationalität umfasst gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 3 AsylG über die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen hinaus insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird.

24

Eine soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist insbesondere dann gegeben, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 AsylG).

25

Den Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung definiert § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG als das Vertreten einer Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft; unerheblich ist, ob der Ausländer aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

26

§ 3b Abs. 2 AsylG stellt schließlich ergänzend fest, dass es für die Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, nicht darauf ankommt, ob er die zur Verfolgung führenden Merkmale tatsächlich aufweist. Ausreichend ist bereits, dass diese ihm von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

27

c. Was den notwendigen Zusammenhang zwischen den in §§ 3 Abs. 1 und 3 b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen angeht, stellt § 3a Abs. 3 AsylG nochmals klar, dass insoweit eine Verknüpfung bestehen muss.

28

d. § 3c AsylG legt fest, von wem Verfolgung ausgehen kann: Über den Staat (Nr. 1) und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), hinaus können dies nach § 3c Nr. 3 AsylG auch nichtstaatliche Akteure sein, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

29

e. Eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheidet nach § 3e Abs. 1 AsylG dann aus, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

30

f. Ob eine Verfolgung der vorstehend näher beschriebenen Art droht, d. h. der Ausländer sich im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylGaus begründeter Furcht vor einer solchen Verfolgung außerhalb des Herkunftslandes befindet, ist anhand einer Verfolgungsprognose zu beurteilen, die auf der Grundlage einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat (BVerwG, Urteil vom 6. März 1990 – 9 C 14.89 –, BVerwGE 85, 12, juris, m. w. N.).

31

aa. Dabei ist es Aufgabe des Schutzsuchenden, von sich aus unter genauer Angabe von Einzelheiten den der Prognose zugrunde zu legenden, aus seiner Sicht die Verfolgungsgefahr begründenden Lebenssachverhalt zu schildern (§ 25 Abs. 1 AsylG).

32

Das Gericht muss sich sodann, um die behaupteten, möglicherweise eine Verfolgungsgefahr begründenden Tatsachen seiner Entscheidung als gegeben zugrunde legen zu können, nach § 108 Abs.1 Satz 1 VwGO die volle Überzeugung von deren Wahrheit – und nicht nur von deren Wahrscheinlichkeit – verschaffen. Zwar gilt hierbei der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind. Zudem ist die besondere Beweisnot des nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsprozessrechts mit der materiellen Beweislast hinsichtlich der guten Gründe für seine Verfolgungsfurcht beschwerten Schutzsuchenden zu berücksichtigen, dem häufig die üblichen Beweismittel fehlen. Insbesondere können in der Regel unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts legt den Tatsachengerichten insoweit nahe, den eigenen Erklärungen des Schutzsuchenden größere Bedeutung beizumessen, als dies meist sonst in der Prozesspraxis bei Bekundungen einer Partei der Fall ist, und den Beweiswert seiner Aussage im Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu. Zur Anerkennung kann schon allein sein Tatsachenvortrag führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne "glaubhaft" sind, dass sich das Tatsachengericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann. Dem Klagebegehren darf jedenfalls nicht mit der Begründung der Erfolg versagt werden, dass neben der Einlassung des Schutzsuchenden keine Beweismittel zur Verfügung stehen. Der Richter ist aus Rechtsgründen schon allgemein nicht daran gehindert, eine Parteibehauptung ohne Beweisaufnahme als wahr anzusehen; das gilt für das Asylverfahren mit seinen typischen Schwierigkeiten, für das individuelle Schicksal des Antragstellers auf andere Beweismittel zurückzugreifen, in besonderem Maße. Einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO wird der Richter hierdurch jedoch nicht enthoben. Das Fehlen von Beweismitteln mag die Meinungsbildung des Tatsachengerichts erschweren, entbindet es aber nicht davon, sich eine feste Überzeugung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu bilden. Dies muss – wenn nicht anders möglich – in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Schutzsuchenden glaubt (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 – 9 C 109/84 –, BVerwGE 71, 180, juris, m. w. N.).

33

bb. Die Prognose in Bezug auf eine bei Rückkehr in den Heimatstaat drohende Verfolgung hat nach Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes – ABl. EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl. EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24 – einheitlich anhand des Maßstabs der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ zu erfolgen (vgl. dazu im einzelnen BVerwG, Urteile vom 1. Juni 2011 – 10 C 25/10 –, BVerwGE 140, 22, und vom 1. März 2012 – 10 C 7/11 –, beide in juris, m. w. N.).

34

(1) Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Beschluss vom 7. Februar 2008 – 10 C 33/07 –, juris, m. w. N.) eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer "quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 Prozent Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert.

35

(2) Von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohender politischer Verfolgung muss das Gericht – wie auch bereits von der Wahrheit des der Prognose zugrunde zu legenden Lebenssachverhalts – die volle richterliche Überzeugung gewonnen haben (BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 – 9 C 109/84 –, BVerwGE 71, 180, juris, m. w. N.).

36

(3) Eine Beweiserleichterung gilt für Vorverfolgte. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder unmittelbar von Verfolgung bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist; etwas anderes soll nur dann gelten, wenn stichhaltige Gründe gegen eine erneute derartige Bedrohung sprechen. Für denjenigen, der bereits Verfolgung erlitten hat, streitet also die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit entlastet, darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Die aus der Vorverfolgung resultierende Vermutung kann allerdings widerlegt werden. Erforderlich ist hierfür, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, BVerwGE 136, 388, juris, m. w. N.).

37

2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze droht dem Kläger im Falle einer – ungeachtet des ihm mit Bescheid vom 12. April 2016 zuerkannten subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) und des hieraus resultierenden Abschiebungsverbots (§ 60 Abs. 2 AufenthG) – hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien nach Überzeugung des Senats dort nicht beachtlich wahrscheinlich Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.

38

a. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinne des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergäbe, hat der Kläger weder gegenüber dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht.

39

b. Eine begründete Furcht vor Verfolgung ergibt sich auch nicht aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem der Kläger Syrien verlassen hat (sog. Nachfluchtgründe, § 28 Abs. 1a AsylG).

40

aa. Das Verwaltungsgericht hat eine entsprechende Gefährdung ausschließlich unter Hinweis darauf bejaht, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Syrien bereits allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich die Festnahme und damit verbunden die Gefahr von Folter drohe, womit seitens der syrischen Behörden einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachgegangen werde.

41

Damit folgt das Verwaltungsgericht der Rechtsprechung der überwiegenden Zahl der bislang mit dieser Frage befassten Gerichte (vgl. OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, VGH BW, Beschlüsse vom 19. Juni 2013 – A 11 S 927/13 – und vom 29. Oktober 2013 – A 11 S 2046/13 –, HessVGH, Beschluss vom 27. Januar 2014 – 3 A 917/13.Z.A –, sowie eine Vielzahl erstinstanzlicher Entscheidungen, zuletzt etwa VG Köln, Urteil vom 25. Oktober 2016 – 20 K 2890/16.A –, VG Münster, Urteil vom 13. Oktober 2016 – 8 K 2127/16.A –, VG Schleswig, Urteil vom 6. Oktober 2016 – 12 A 651/16 –, m. w. N.; a. A.: in ständiger Rechtsprechung OVG NRW, zuletzt mit Beschlüssen vom 5. September 2010 – 14 A 1802/16.A – und vom 6. Oktober 2016 – 14 A 1852/16.A –, jeweils m. w. N., OVG SH, Urteil vom 23. November 2016 – 3 LB 17/16 –, VG Potsdam, Urteil vom 3. Dezember 2013 – 6 K 3592/13.A –, VG Düsseldorf, Urteil vom 12. Juli 2016 – 5 K 5853/16.A – und vom 11. Oktober 2016 – 2 K 9062/16.A –, alle in juris, sowie BayVGH, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 ZB 16.30338 u. a. –, Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht).

42

Dem vermag sich der Senat indessen nicht anzuschließen.

43

Zwar trifft es zu, dass mangels Referenzfällen – wegen der eskalierenden Lage finden Abschiebungen bereits seit Jahren nicht mehr statt (vgl. dazu auch die entsprechende Empfehlung des Bundesministeriums des Innern an die Länderinnenverwaltungen vom 28. April 2011, Az. M I 3 – 125 242 SYR/O) – die Prognose, ob im Falle einer hypothetischen Abschiebung nach Syrien dort aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht, notwendigerweise aufgrund einer wertenden Gesamtschau aller Umstände zu erfolgen hat.

44

Demgemäß begründen die eine entsprechende Verfolgungsgefahr bejahenden Gerichte ihre Prognosen jeweils mit einer ganzen Reihe von Einzelfaktoren. Hierzu gehören insbesondere (vgl. exemplarisch etwa OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, juris) die Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungsstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, die umfassende Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, die Eskalation der innenpolitischen Situation seit März 2011 und der Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Beginn des Jahres 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition unterstützen. Auch hiergegen ist systematisch nichts zu erinnern.

45

Der erkennende Senat gelangt allerdings im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände zu einem abweichenden Ergebnis im Hinblick auf die allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt bestehende Verfolgungsgefahr.

46

Bei der Bewertung, ob die im Einzelfall festgestellten Umstände eine die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG rechtfertigende Verfolgungsgefahr begründen, ist rechtlich zwischen zwei Fragestellungen zu unterscheiden, nämlich dem beachtlich wahrscheinlichen Drohen einer Verfolgungshandlung gemäß § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a AsylG als solcher und deren ebenfalls beachtlich wahrscheinlicher Verknüpfung (§ 3a Abs. 3 AsylG) mit Verfolgungsgründen im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG.

47

(1) Danach kann für die hier allein streitgegenständliche Frage der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG letztlich offen bleiben, ob dem Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien dort überhaupt beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgungshandlung i. S. d. § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a AsylG dergestalt droht, einer Befragung unterzogen zu werden, mit der die konkrete Gefahr einer Verhaftung und/oder einer schwerwiegenden Misshandlung bis hin zur Folter und willkürlichen Tötung einhergeht.

48

Zweifel hieran könnten sich im gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats möglicherweise aus dem Umstand ergeben, dass Ende 2015 von den rund 22 Millionen zuvor in Syrien lebenden Menschen bereits rund 4,9 Millionen, mithin knapp ein Viertel der gesamten Bevölkerung, aus dem Land geflohen waren (UNHCR, Global Trends – Forced Displacement in 2015,

49

http://www.unhcr.org/statistics/unhcrstats/576408cd7/unhcr-global-trends-2015.html).

50

Dass es sich hierbei mehrheitlich nicht um Oppositionelle handelt, sondern um Bürgerkriegsflüchtlinge, muss bereits nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch den syrischen Behörden bekannt sein. Dass dem tatsächlich so ist, wird überdies durch eine Äußerung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad Ende 2015 in einem Interview im tschechischen Fernsehen bestätigt, wonach es sich bei der Mehrheit der syrischen Flüchtlinge um „gute Syrer“ handele, es aber „natürlich … eine Unterwanderung durch Terroristen“ gebe

51

(http://www.n-tv.de/politik/Assad-lobt-Putins-Eingreifen-in-Syrien-article16478486.html).

52

In diese Richtung deutet auch eine Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das BAMF zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Syrien vom 3. Februar 2016. Danach liegen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse dazu vor, dass ausschließlich aufgrund des vorangegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erwarten haben. Zwar seien Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien; diese stünden allerdings überwiegend im Zusammenhang mit oppositionellen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten und Menschenrechtsverteidigern) oder im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Wehrdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeiteten.

53

Andererseits ergeben sich bereits aus der zitierten Äußerung des syrischen Präsidenten aber auch deutliche Hinweise darauf, dass die syrischen Sicherheitsbehörden alle Rückkehrer schon deshalb jedenfalls einer eingehenden Befragung unterziehen werden, damit sie einschätzen können, ob Verdachtsmomente für terroristische Aktivitäten – oder möglicherweise auch nur für eine regimegegnerische Haltung des Betroffenen oder für Kenntnisse über oppositionelle Aktivitäten Dritter – gegeben sind. Die mit derartigen Befragungen ausweislich zahlreicher bis zum Jahr 2011 dokumentierter Referenzfälle (vgl. beispielsweise OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, und OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2012 – 14 A 2708/10.A –, beide in juris, jeweils m. w. N.) jedenfalls in der Vergangenheit verbunden gewesenen weiteren Risiken einer Verhaftung und/oder von Misshandlungen vom Schweregrad des § 3a AsylG können auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen massenhaften Ausreise jedenfalls nicht hinreichend verlässlich ausgeschlossen werden.

54

Letztlich bedarf diese Frage hier aber keiner abschließenden Klärung, weil eine entsprechende Verfolgungsgefahr jedenfalls nicht aus einem der Verfolgungsgründe des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG gegeben wäre.

55

(2) Die dem Senat vorliegenden Erkenntnisse reichen nicht aus, um seine Überzeugung von einer beachtlich wahrscheinlichen Verknüpfung einer möglicherweise allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt drohenden Verfolgungshandlung mit Verfolgungsgründen im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a Abs. 3 AsylG zu begründen; weiterreichende taugliche Erkenntnismittel sind weder von den Beteiligten aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich.

56

Eine entsprechende beachtlich wahrscheinliche Gefährdung des Klägers im Sinne des § 3 AsylG würde voraussetzen, dass ihm ein entsprechendes Merkmal von den syrischen Behörden zumindestzugeschrieben wird (§ 3b Abs. 2 AsylG). Dies deckt sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der politisch Verfolgte weder tatsächlich noch nach der Überzeugung des verfolgenden Staates selbst Träger eines verfolgungsverursachenden Merkmals sein müssen, sondern politische Verfolgung auch dann vorliegen kann, wenn der oder die Betroffene lediglich der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits politischer Verfolgung unterliegt (BVerfG, Beschluss vom 22. November 1996 – 2 BvR 1753/96 –, juris).

57

Dafür, dass die syrischen Sicherheitsbehörden in diesem Sinne letztlich jeden Rückkehrer, der Syrien illegal verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich längere Zeit im Ausland aufgehalten hat, ohne weitere Anhaltspunkte der Opposition zurechnen, gibt es keine zureichenden tatsächlichen Erkenntnisse. Im Gegenteil erscheint dies lebensfremd, da angesichts von fast 5 Millionen Flüchtlingen auch dem syrischen Staat – wie bereits dargelegt – bekannt ist, dass der Großteil der Ausgereisten das Land nicht als Ausdruck politischer Gegnerschaft zum Regime, sondern aus Angst vor dem Bürgerkrieg verlassen hat (so auch in ständiger Rechtsprechung OVG NRW, vgl. zuletzt Beschlüsse vom 6. Oktober 2010 – 14 A 1852/16.A – und vom 5. September 2016 – 14 A 1802/16.A – m. w. N., OVG SH, Urteil vom 23. November 2016 – 3 LB 17/16 –, VG Potsdam, Urteil vom 3. Dezember 2013 – 6 K 3592/13.A –, und VG Düsseldorf, Urteil vom 11. Oktober 2016 – 2 K 9062/16-A –, alle in juris).

58

Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisse (a) zur Behandlung von Personen, die bis zum Abschiebestopp im Jahre 2011 nach Syrien abgeschoben worden sind, (b) zur umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, (c) zur Eskalation der innenpolitischen Situation seit März 2011 und (d) zum Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Beginn des Jahres 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.

59

(a) (aa) Das Auswärtige Amt hat in seinem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010 zur Behandlung von Rückkehrern (S. 19 f.) mitgeteilt, dass zurückgeführte Personen bei ihrer Einreise in der Regel zunächst durch die Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt und den Grund ihrer Abschiebung befragt würden. Diese Befragungen könnten sich (zwar) über mehrere Stunden hinziehen, in der Regel werde dann jedoch die Einreise ohne weitere Schwierigkeiten gestattet; in manchen Fällen werde der Betroffene für die folgenden Tage nochmals zum Verhör einbestellt. (Lediglich) in Einzelfällen würden Personen für die Dauer einer Identitätsprüfung durch die Einreisebehörden festgehalten; dies dauere in der Regel nicht länger als zwei Wochen. Im Jahr 2009 seien – bei insgesamt 40 in 2009 und dem ersten Quartal 2010 von Deutschland nach Syrien im Rahmen des Anfang 2009 in Kraft getretenen Rückübernahmeabkommens zurückgeführten Personen – in drei Fällen Inhaftierungen unmittelbar bzw. kurz nach der Rückführung bekanntgeworden. In einem Fall könne bestätigt werden, dass eine Inhaftierung über die übliche Befragung durch syrische Behörden nach der Ankunft hinausgegangen sei. Der Betroffene sei unter dem Vorwurf verhaftet worden, in Deutschland Asyl beantragt und „im Ausland bewusst falsche Nachrichten verbreitet zu haben, die das Ansehen des Staates herabzusetzen geeignet sind“. Später sei der auf Kaution freigelassene und sodann ausgereiste Mann in Abwesenheit wegen „Verbreitung bewusst falscher Tatsachen im Ausland, die das Ansehen des Staates herabzusetzen geeignet sind“ zu einer Haftstrafe von 4 Monaten sowie einer Geldstrafe von 80 SYP (1,17 €) verurteilt worden. Eigenen – nicht verifizierbaren – Angaben zufolge sei der Betroffene während seiner Haft durch syrische Behördenmitarbeiter körperlich misshandelt worden.

60

Für die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Syrien bereits allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich aufgrund einer von den syrischen Behörden vermuteten regimefeindlichen Einstellung die Festnahme und Folter drohe, kann den Feststellungen des Lageberichts letztlich nichts entnommen werden.

61

Fraglich erscheint bereits, ob für die im Rahmen der Verfolgungsprognose hypothetisch zu unterstellende Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat überhaupt von einer Abschiebung auszugehen ist. In diesem Fall müsste der Betroffene ja – um überhaupt abgeschoben werden zu können – nach bestandskräftigem Abschluss des Erstverfahrens zur Ausreise verpflichtet sein. Dann aber stellte sich die Frage, ob eine durch den Umstand, dass der Schutzsuchende nicht dieser rechtlichen Verpflichtung folgend freiwillig ausreist, sondern es auf eine Abschiebung ankommen lässt, bewirkte Gefahrerhöhung nicht entsprechend den Grundsätzen für missbräuchlich geschaffene Nachfluchtgründe (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2008 – 10 C 27/07 –, BVerwGE 133, 31, juris) im Rahmen des § 3 AsylG außer Betracht zu bleiben hat. Letztlich kann dies allerdings dahinstehen, da sich aus dem o. a. Lagebericht auch für den hypothetisch unterstellten Fall einer Abschiebung nach Syrien keine zureichenden Anhaltspunkte für eine beachtlich wahrscheinlich drohende politische Verfolgung Gefährdung ergeben.

62

Auf der Grundlage einer Gesamtzahl von rund 40 zurückgeführten Personen wird von insgesamt drei Inhaftierungen berichtet. Da nach dem Lagebericht derartige Inhaftierungen zum Zweck einer Identitätsprüfung durch die Einreisebehörden erfolgen können, und in einem der drei berichteten Fälle eine Anklage und Verurteilung wegen Verbreitung falscher, das Ansehen des Staates herabsetzenden Aussagen erfolgt ist, ergibt sich hieraus letztlich bereits keine beachtlich wahrscheinliche Gefährdung von Personen, die derartige Äußerungen im Ausland jedenfalls nicht bekanntermaßen, insbesondere im Rahmen ihrer Asylantragstellung, getätigt haben, überhaupt mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 3 i. V. m. § 3a AsylG überzogen zu werden. Dies gilt umso mehr, als Rückkehrer aus der Bundesrepublik Deutschland, die – wie der Kläger – ihr Asylbegehren nicht mit einer Verfolgung durch den syrischen Staat, sondern lediglich mit dem in Syrien herrschenden Bürgerkrieg und dessen Folgen begründet haben, dies auch noch zusätzlich durch Vorlage der Anhörungsniederschrift sowie des Bescheides des Bundesamtes und ggfls. der hierauf ergangenen verwaltungsgerichtlichen Urteile belegen können.

63

Erst recht lassen sich dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27. September 2010 keine Hinweise auf die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Verfolgung aus einem der in § 3 AsylG genannten Verfolgungsgründe entnehmen.

64

(bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt seinem Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 – zugrunde gelegten Dokumentationen von amnesty international „Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012

65

(https://www.amnesty.de/downloads/download-menschenrechtskrise-syrien-erfordert-abschiebungsstopp)

66

und des kurdischen Informationsdienstes KURDWATCH

67

(http://www.kurdwatch.org/?cid=1&z=en)

68

betreffend die Festnahme von Rückkehrern in insgesamt 9 Fällen im Zeitraum von Juni 2009 bis zum 13. April 2011. In jedem dieser Fälle bestehen nämlich besondere Einzelfallumstände, die als eigenständige Erklärung für die Verhaftung bei der Rückkehr nach Syrien dienen können. In einem Fall war der Betroffene bereits 2005 in Syrien in Haft gewesen. In einem anderen Fall – wohl dem, über den auch bereits das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht vom 27. September 2010 berichtet hat – wurden dem Asylbewerber offenbar konkrete Angaben bei seiner Anhörung durch das Bundesamt vorgehalten. Die weiteren Festnahmen erklären sich durch das Engagement als stellvertretender Direktor eines Vereins syrischer Kurden, der auf die Situation der Kurden in Syrien aufmerksam macht, eine den syrischen Behörden bekannt gewordene Straffälligkeit wegen Diebstahls in Deutschland, falsche Altersangaben im Pass und diverse exilpolitische Aktivitäten wie die Teilnahme an Hungerstreiks und das Berichten hierüber.

69

(cc) Ganz abgesehen davon wäre aber auch selbst eine – nach der Überzeugung des Senats nicht gegebene – beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung in Bezug auf bis zum Jahre 2011 nach Syrien abgeschobene abgelehnte Asylbewerber nur ein schwaches Indiz für eine entsprechende Gefährdung bei heutiger fiktiver Rückkehr allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt.

70

Bis 2011 gibt es keine Hinweise auf eine größere Anzahl von Flüchtlingen aus Syrien, die im Ausland um politisches Asyl nachgesucht haben; im Gegenteil war Syrien Ende des Jahres 2011 mit 755.400 aufgenommenen Flüchtlingen hinter Pakistan und dem Iran und noch vor der Bundesrepublik Deutschland das drittstärkste Aufnahmeland weltweit (UNHCR, Global Trends 2011 – A Year of Crises,

71

http://www.unhcr.org/statistics/country/4fd6f87f9/unhcr-global-trends-2011.html).

72

Angesichts des Nichtvorliegens von Gründen für eine massenhafte Flucht aus Syrien bis dahin mag es für die syrischen Sicherheitsbehörden damals nach der Lebenserfahrung nahegelegen haben, unter denjenigen, welche gleichwohl im Ausland Asyl beantragt hatten, einen beachtlichen Prozentsatz an dem syrischen System kritisch oder sogar feindlich gegenüber stehenden Personen zu vermuten. Diese Vermutung rechtfertigt sich indessen nicht mehr, nachdem zeitlich zusammentreffend mit der ab Januar 2012 eskalierenden Gewaltanwendung in Syrien (siehe dazu näher Auswärtiges Amt, Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 17. September 2012) im Verlauf von 4 Jahren rund 5 Millionen Menschen aus Syrien geflohen sind; vgl. UNHCR, Global Trends 2012 – Displacement, The New 21st Century Challenge, Global Trends 2013 – Wars’s Human Cost, Global Trends 2014 – World at War, und Global Trends 2015 – Forced Displacement in 2015,

73

http://www.unhcr.org/statistics/country/51bacb0f9/unhcr-global-trends-2012.html,

74

http://www.unhcr.org/statistics/country/5399a14f9/unhcr-global-trends-2013.html,

75

http://www.unhcr.org/statistics/country/556725e69/unhcr-global-trends-2014.html

76

http://www.unhcr.org/statistics/unhcrstats/576408cd7/unhcr-global-trends-2015.html).

77

Dass es sich bei den Geflohenen größtenteils nicht um Oppositionelle handelt, sondern um Bürgerkriegsflüchtlinge, ist – wie bereits eingangs dargelegt – auch den syrischen Behörden bekannt.

78

(dd) Erheblich lebensnäher als die Annahme, dass die syrischen Behörden allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt generell das Vorhandensein einer gegen das derzeitige politische System gerichteten Einstellung vermuten und aufgrund dessen gegen den Betroffenen vorgesehen, erscheint es nach alledem, dass mittels der scharfen Einreisekontrollen mit den zurückkehrenden Flüchtlingen ins Land einsickernde Terroristen und Regimegegner aus der Masse der Flüchtlinge herausgefiltert werden sollen. Möglicherweise mag es auch darum gehen, im Einzelfall vorhandene Wahrnehmungen oder Kenntnisse die Tätigkeit der Exilopposition betreffend „abzuschöpfen“, wobei jedoch auch insoweit angesichts von Millionen im Ausland lebender Flüchtlinge nicht davon ausgegangen werden kann, dass die syrischen Sicherheitsbehörden bei jedem oder auch nur bei einer großen Zahl von Rückkehrern derartiges Wissen vermuten.

79

Insgesamt kann sonach nicht festgestellt werden, dass die Gefahr, bei einer fiktiven Rückkehr nach Syrien festgenommen und unter Anwendung von Folter verhört zu werden, an dem Betroffenen vom syrischen Staat zumindest im Sinne des § 3b Abs. 2 AsylG zugeschriebene Merkmale nach den §§ 3 Abs. 1, 3b Abs.1 AsylG anknüpfen würde. Dafür, dass der syrische Staat bei heutiger Rückkehr in unpolitischen erfolglosen Asylbewerbern mehr sehen würde, als bloß potentielle Gegner und bloß potentielle Informationsquellen zur Exilszene, auf die er sodann möglicherweise wahllos-routinemäßig zugreift, um unter Umständen Hinweise auf Terroristen oder Oppositionelle zu gewinnen, lässt sich jedenfalls aus den Erkenntnissen zur Behandlung von Personen, die bis 2011 nach Syrien abgeschoben worden sind, nichts herleiten.

80

(ee) Eine andere Bewertung insoweit legen schließlich auch nicht Berichte jüngeren Datums über die Behandlung von Rückkehrern aus nichteuropäischen Ländern nahe.

81

So führt das US State Department in seinem Menschenrechtsbericht vom 13. April 2016

82

(http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm)

83

unter Section 2d zum Thema „Emigration and Repatriation“ zwar aus, dass Personen, welche erfolglos in anderen Ländern um Asyl nachgesucht hätten, strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt seien

84

(„On their return to the country, both persons who unsuccessfully sought asylum in other countries and those who had previous connections with the Syrian Muslim Brotherhood faced prosecution.“),

85

erläutert dies jedoch im Folgesatz dahingehend, dass das Gesetz die Verfolgung von Personen vorsehe, welche im Ausland Schutz gesucht hätten, um sich einer Strafe in Syrien zu entziehen

86

(„The law provides for the prosecution of any person who attempts to seek refuge in another country to evade penalty in Syria.“).

87

Für das Vorliegen eines derartigen Falles bestehen hier keinerlei Anhaltspunkte.

88

Des Weiteren heißt es im Bericht des State Departments, dass die syrischen Behörden routinemäßig Dissidenten und ehemalige Bürger ohne bekannte politische Zugehörigkeit verhaftet hätten, welche nach Jahren oder gar Jahrzehnten selbstauferlegten Exils nach Syrien zurückgekehrt seien

89

(„The government routinely arrested dissidents and former citizens with no known political affiliation who attempted to return to the country after years or even decades of self-imposed exile.“).

90

Insoweit ist dem Bericht indessen bereits nichts dazu entnehmen, ob es sich nach der Dauer der Festnahme und den Umständen der Vernehmung um eine Verfolgungsmaßnahme im Sinne des §§ 3 und 3a AsylG gehandelt hat. Unabhängig davon lässt sich aber auch jedenfalls in Bezug auf die Personen ohne bekannten politischen Hintergrund kein Verfolgungsgrund nach § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG feststellen, da die Festnahme dem Bericht zufolge im bereits umschriebenen Sinne wahllos-routinemäßig („routinely“) erfolgt.

91

Das Immigration and Refugee Board of Canada verweist in seinem Jahresbericht Syrien 2015 vom 19. Januar 2016 (Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion [2014-December 2015],

92

http://www.ecoi.net/local_link/320204/445626_en.html),

93

unter Ziffer 3 „Treatment of Failed Refugee Claimants“ auf einen Fernsehbericht von ABC vom 1. Oktober 2015, dem zufolge ein aus Australien zurückkehrender Asylbewerber nach eigenen Angaben 20 Tage lang festgehalten und durch Schläge misshandelt worden sei. Man habe ihm vorgehalten, aus der Provinz Daara, in der der Bürgerkrieg begonnen habe, zu stammen, und – unter Hinweis auf einen von ihm mitgeführten Geldbetrag – ein Finanzier der Revolution zu sein. Über weitergehende und bestätigende Informationen zu diesem Fall verfüge man nicht. Die dieser Berichterstattung zufolge gegen den Rückkehrer erhobenen Vorwürfe gehen indessen über den bloßen Umstand der illegalen Ausreise und erfolglosen Asylantragstellung im Ausland hinaus.

94

Im Weiteren enthält der Jahresbericht sodann zwar Einschätzungen verschiedener namentlich nicht genannter Personen, u. a. eines emeritierten Professors für Anthropologie und Vertreibung der Universität Oxford und eines „Executive Director of the Syria Justice and Accountability Center“, denen zufolge zurückkehrende erfolglose Asylbewerber mit Festnahme und Haft sowie mit Folter zu rechnen hätten, um den Grund für ihre Ausreise zu erfahren oder Informationen über andere Asylbewerber oder die Opposition erlangen. Konkrete Tatsachen, aus denen diese Einschätzungen abgeleitet werden könnten, werden indessen nicht genannt. Damit fehlte es insoweit selbst dann, wenn man diese Einschätzungen ohne nähere Überprüfung als zutreffend unterstellen wollte, jedenfalls an einem zureichenden Beleg für die Annahme, dass die drohenden Übergriffe regelmäßig durch einen den Betroffenen seitens der syrischen Behörden zumindest zugeschriebenen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3 AsylG motiviert wären und nicht bloß ein wahllos-routinemäßiges „Fischen“ nach möglicherweise verwertbaren Informationen über regimegegnerische Bestrebungen darstellten, wofür wie bereits ausgeführt die Lebenserfahrung spricht.

95

(b) Tragfähige Anhaltspunkte für eine im Fall der Abschiebung nach Syrien dort allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandsaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich drohende politische Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG ergeben sich auch nicht aus den vorliegenden Erkenntnissen zurumfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die syrischen Geheimdienste.

96

(aa) Zur Intensität und Zielrichtung der Beobachtung führt das Bundesministerium des Innern im Verfassungsschutzbericht 2015

97

(https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/verfassungsschutzberichte/vsbericht-2015)

98

auf Seite 263 f. aus:

99

„Die syrischen Nachrichtendienste verfügen ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen. Ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen sowohl islamistische und islamistisch-terroristische Gruppierungen als auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen.

100

Bei anhaltenden unkontrollierten Einreisen syrischer Staatsangehöriger in die EU ist auch mit weiteren Ausforschungsaktivitäten syrischer Nachrichtendienste zu rechnen.“

101

(bb) Ausweislich des Verfassungsschutzberichts 2015 (Seite 82) des rheinland-pfälzischen Ministeriums des Innern und für Sport

102

(https://mdi.rlp.de/fileadmin/isim/Unsere_Themen/Sicherheit/Verfassungsschutz/Dokumente/Verfassungsschutzb_2015_komp_web_neu.pdf)

103

„forcieren“ die Geheimdienste aus den Staaten des Nahen Ostens und aus Nordafrika „ihre Aktivitäten gegen Regimegegner und Oppositionelle in der Bundesrepublik Deutschland“.

104

(cc) Das sächsische Staatsministerium des Innern stellt in seinem Verfassungsschutzbericht 2015

105

(http://www.verfassungsschutz.sachsen.de/download/VSB_2015_INTERNET_05_25.pdf)

106

auf Seite 236 fest:

107

„Arabische und nordafrikanische Nachrichtendienste führen in Deutschland in erster Linie Maßnahmen gegen hier lebende Oppositionelle aus ihren Heimatländern durch. Die politischen Veränderungen der letzten Jahre im arabischen und nordafrikanischen Raum haben daran nichts geändert. Damit dürften die in Sachsen lebenden Einwanderer und Flüchtlinge aus den einschlägigen Krisenregionen nach wie vor als Ziel der jeweiligen Nachrichtendienste gelten, insbesondere, wenn sie sich oppositionell betätigt haben.

108

Insbesondere die syrischen Nachrichtendienste dürften starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg haben. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden.“

109

110

(dd) Im Verfassungsschutzbericht 2015 des hamburgischen Landesamtes für Verfassungsschutz

111

(http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/6306408/2016-06-13-bis-pm-verfassungsschutzbericht-2015/)

112

heißt es auf Seite 215:

113

„Verschiedene Nachrichtendienste des Mittleren und Nahen Ostens sowie Afrikas sind in Deutschland und zum Teil auch in Hamburg aktiv. Ein besonderes Interesse haben diese Dienste an oppositionellen Gruppierungen, die als Bedrohung für das eigene Regime angesehen werden. Ein weiterer Schwerpunkt war der Bereich der Proliferation ...

114

...

115

Die Nachrichtendienste dieser und weiterer Länder versuchen zudem die jeweiligen Oppositionsgruppen zu überwachen. Dazu werden beispielsweise Hinweisgeber gewonnen oder Informanten in die Gruppen eingeschleust.“

116

(ee) Der Bericht 2015 „Verfassungsschutz in Hessen“ des dortigen Ministeriums des Innern und für Sport

117

(https://lfv.hessen.de/sites/lfv.hessen.de/files/content-downloads/LfV_Bericht-2015final_screen.pdf)

118

stellt auf Seite 162 zu Flüchtlingen aus Syrien fest:

119

„Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Nachrichtendienste dieser Länder nach wie vor existent sind. Daher gilt für die in Deutschland ankommenden Flüchtlinge: Wer sich im Heimatland gegen das Regime engagierte, gerät eventuell auch in Deutschland in das Visier fremder Nachrichtendienste. Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat können ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert sind, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.“

120

(ff) Die nachrichtendienstlichen Aktivitäten richten sich mithin nach übereinstimmender Einschätzung der genannten Dienste in erster Linie gegen Regimegegner und Oppositionelle bzw. Gruppierungen von solchen.

121

Von einer systematischen Beobachtung aller in Deutschland lebenden Syrer ist auch nicht nur andeutungsweise die Rede; angesichts der hohen Flüchtlingszahlen in den letzten Jahren, insbesondere im Jahr 2015, erscheint eine solche auch bereits rein faktisch gar nicht möglich. Soweit eben aus diesem Umstand gefolgert wird, dass Personen, die illegal aus Syrien ausgereist sind, sich längere Zeit im westlichen Ausland aufgehalten und dort um internationalen Schutz nachgesucht haben, seitens der syrischen Behörden allein schon aufgrund deren lückenhafter Erkenntnislage mit hoher Wahrscheinlichkeit verdachtsunabhängig Befragungen und Inhaftierungen unterzogen würden, um die Motive der Ausreise und etwaigen Verbindungen zu oppositionellen Gruppierungen in Erfahrung zu bringen (VG Trier, Urteil vom 7. Oktober 2016 – 1 K 5093/16.TR –, juris), vermag dies den Senat zumindest nicht von einer beachtlich wahrscheinlich drohenden Gefahr politischer Verfolgung zu überzeugen. Ob eine derartige Befragung oder Inhaftierung angesichts der zwischenzeitlichen massenhaften Flucht der syrischen Bevölkerung vor dem Bürgerkrieg überhaupt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, kann dabei dahinstehen. Wie bereits ausgeführt wäre eine entsprechende Verfolgungsgefahr jedenfalls nicht aus einem der Verfolgungsgründe des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG gegeben, sondern mangels zureichender anderer Erkenntnisse als bloßer wahllos-routinemäßiger Zugriff aufpotentielle Gegner und bloß potentielle Informationsquellen zur Exilszene zu werten, mit dem möglicherweise einen konkreten Verdacht begründende Hinweise, aufgrund derer sodann eine „Zuschreibung“ von Merkmalen im Sinne des § 3b Abs. 2 AsylG erfolgen könnte, erst gewonnen werden sollen.

122

(c) Überzeugende Anhaltspunkte für eine erfolglosen Asylbewerbern bei ihrer Rückkehr nach Syrien allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich drohenden politische Verfolgung ergeben sich auch nicht aus der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 bis hin zum offenen Bürgerkrieg (vgl. zur Entwicklung der innenpolitischen Situation umfänglich OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 12 –, juris, Rn. 45 bis 76 ).

123

Aus dem Umstand, dass der syrische Staat als eine der in den Bürgerkrieg involvierten Parteien mit brutaler Härte gegen seine tatsächlichen und scheinbaren Gegner im Landesinnern vorgeht und dabei offensichtlich – etwa beim Einsatz von tausenden von Fassbomben über Oppositionsgebieten seit dem Jahr 2012 – Opfer unter der Zivilbevölkerung zumindest billigend in Kauf nimmt (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das BAMF zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Syrien vom 3. Februar 2016), lassen sich keine zwingenden Schlüsse auf ein beachtlich wahrscheinlich drohendes politisch motiviertes Vorgehen im Sinne des § 3 AsylG gegen aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrende Bürgerkriegsflüchtlinge ziehen.

124

Gegen eine quasi routinemäßige Einstufung dieser Personengruppe als aus der Sicht des Regimes zu bekämpfende mutmaßliche Regimegegner oder Oppositionelle spricht bereits nach der Lebenserfahrung der – wie dargelegt auch den syrischen Machthabern geläufige – Gesichtspunkt, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg außer Landes geflohen sind, regelmäßig keine Bedrohung des in Syrien zeitweilig um sein politisches und physisches Überleben kämpfenden Regimes darstellen, sondern aus Angst um ihr Leben und ihre Gesundheit dem Konflikt gerade aus dem Weg gegangen sind. Bereits von daher ist auch die teilweise (VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 – RO 11 K 16.30707 –, und VG Stuttgart, Urteil vom 15. März 2013 – A 7 K 2987/12 –, beide in juris) vertretene Auffassung, dass der syrische Staat Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit einer von außen organisierten und finanzierten Verschwörung gegen das Land zurechnen werde, letztlich nicht mehr als eine bloße Mutmaßung.

125

(d) Des Weiteren ergeben sich auch aus den Erkenntnissen zum Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Anfang 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen, keine tragfähigen Anhaltspunkte für die Annahme einer bei Rückkehr nach Syrien allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und einem längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich drohenden politischen Verfolgung.

126

Das Auswärtige Amt beschreibt bereits in seinem Ad hoc-Bericht vom 17. Februar 2012 eine massive Unterdrückung der syrischen Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen. Seit März habe es eine präzedenzlose Verhaftungswelle gegeben, mit der das Regime gegen die Protestbewegung vorgehe. Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränkten sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Es seien vielmehr zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“, tätlichen Angriffen, Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitskräfte und Mordanschlägen belegt.

127

Diese Umstände haben sich offensichtlich bis in das Jahr 2016 hinein nicht geändert.

128

Die Menschenrechtsorganisation amnesty international geht auch in ihrem Bericht „It breaks the human – torture, disease and death in Syria's prisons“ vom 18. August 2016

129

(https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/),

130

Ziffer 4.2: „Profiles of people targeted“, davon aus, dass für jedermann, der als oppositionell wahrgenommen werden könnte, die Gefahr bestehe, willkürlich inhaftiert oder „verschwinden gelassen“ zu werden und in der Haft Folter, andere Misshandlung und möglicherweise auch den Tod zu erleiden. Die Gründe hierfür variierten und könnten auch friedlichen Aktivismus wie die Tätigkeit als Menschenrechtsverteidiger, Journalist oder sonstiger Medienschaffender, die Versorgung der notleidenden Zivilbevölkerung mit humanitärer oder medizinischer Hilfe und die Organisation und Teilnahme an Pro-Reform-Demonstrationen umfassen. Zur Verhaftung könne auch bereits führen, dass ein Verwandter von den Sicherheitskräften gesucht oder man durch einen Denunzianten gemeldet werde – einschließlich von Meldungen, welche durch finanziellen Profit oder persönlichen Groll motiviert seien.

131

Indessen lässt auch der Umstand, dass die syrische Regierung im Inland tatsächliche und vermeintliche Regimegegner und Oppositionelle massiv und in menschenrechtswidriger Weise unterdrückt, keinen hinreichend tragfähigen Schluss auf eine beachtlich wahrscheinliche politische Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG von aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrenden Bürgerkriegsflüchtlingen allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und einem längeren Auslandsaufenthalt zu.

132

Insoweit spricht nämlich – wie bereits hinsichtlich der Eskalation der innenpolitischen Situation bis hin zum Bürgerkrieg festgestellt – ebenfalls die Lebenserfahrung dafür, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg in das Ausland geflohen sind, auch in den Augen der syrischen Machthaber in aller Regel keine Bedrohung des Regimes darstellen, sondern dem Konflikt vielmehr gerade aus dem Weg gegangen sind.

133

bb. Dem Kläger droht im Falle seiner unterstellten Rückkehr nach Syrien auch nicht aus sonstigen Gründen beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

134

(1) Dies gilt zum einen in Bezug auf eine mögliche Wehrdienstentziehung, welche der 1993 geborene Kläger – ebenso wie sein Bruder – begangen haben könnte, indem er Syrien ohne die für alle männlichen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis 42 Jahren erforderliche Ausreisegenehmigung (vgl. hierzu Auskunft des Deutschen Orient-Institutes an das OVG Schleswig-Holstein vom 8. November 2016 – 3 LB 17/16 –) verlassen hat.

135

(a) In Syrien besteht für männliche Staatsangehörige eine Militärdienstpflicht. Die Registrierung für den Militärdienst erfolgt im Alter von 18 Jahren; die Wehrpflicht dauert bis zum Alter von 42 Jahren (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, vom 30. Juli 2014, Seite 1,

136

https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/syrien-rekrutierung-durch-die-syrische-armee.pdf).

137

Die Möglichkeit eines Ersatzdienstes besteht nicht. Wehrdienstverweigerung wird nach dem Military Penal Code geahndet. Nach Artikel 68 wird mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft, wer sich der Einberufung entzieht. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlässt und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion sieht Artikel 101 fünf Jahre Haft vor bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre; Desertion im Angesicht des Feindes wird gemäß Artikel 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, vom 30. Juli 2014, a. a. O., Seite 3)

138

(b) Danach bestünde für den Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien zwar die Gefahr, wegen Wehrdienstentziehung bestraft und zwangsweise von der syrischen Armee eingezogen zu werden. Dabei könnte es sich – was hier letztlich keiner abschließenden Klärung bedarf – angesichts dessen, dass der Militärdienst in der syrischen Armee möglicherweise Verbrechen oder Handlungen im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde, auch um eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG handeln.

139

Es bestehen jedoch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die dem Kläger drohenden Maßnahmen aus einem der in § 3 AsylG genannten Gründe – konkret: wegen einer als der Wehrdienstentziehung zugrunde liegend vermuteten politischen Opposition zum Regime – ergehen würden.

140

Was die drohende Heranziehung zum Wehrdienst angeht, fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten für eine entsprechende Selektion anhand der in § 3 AsylG genannten Kriterien; vielmehr rekrutiert die syrische Armee prinzipiell alle Männer unabhängig vom ethnischen und religiösen Hintergrund (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, Seite 2,

141

https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150328-syr-mobilisierung.pdf).

142

Eine mögliche Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung kann zwar vom Grundsatz her auch politische Verfolgung sein, da es für den Flüchtlingsschutz nicht allein darauf ankommen kann, mit welchen Mitteln der Staat vorgeht, sondern vielmehr entscheidend ist, welches Ziel hinter seinen Maßnahmen steht (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1983 – 9 C 36/83 –, BVerwGE 67, 184, juris). Von einer derartigen politischen Motiviertheit wäre dann auszugehen, wenn dem Kläger wegen seiner Wehrdienstentziehung in Syrien beachtlich wahrscheinlich eine an seine politische Überzeugung anknüpfende härtere Bestrafung als sonst üblich – ein sogenannter Politmalus (BVerfG, Beschluss vom 29. April 2009 – 2 BvR 78/08 –, juris, m. w. N.) – drohen würde. Hierfür liegen indessen keine zureichenden Anhaltspunkte vor.

143

Das syrische Regime hat bereits seit Beginn des Bürgerkrieges die Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten intensiviert. Seit Herbst 2014 kommt es angesichts einer erheblichen Dezimierung der syrischen Armee durch Desertion und Verluste in großem Umfang zur Mobilisierung von Reservisten sowie zur Verhaftung von Deserteuren und Männern, die sich bislang dem Wehrdienst entzogen haben (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, a. a. O., Seite 1 ff.; Washington Post, Desperate for soldiers, Assad’s government imposes harsh recruitment measures, 28. Dezember 2014,

144

www.washingtonpost.com/world/middle_east/desperate-forsoldiers-assads-government-imposes-harsh-recruitment-measures/2014/12/28/62f99194-6d1d-4bd6-a862-b3ab46c6b33b_story.html.

145

vgl. auch etwa – zur Verweigerung der Entlassung in der Armee dienender Wehrpflichtiger – ntv: „Verlangen unsere Entlassung“ – In Assads Armee wächst der Unmut, vom 24. November 2015,

146

http://www.n-tv.de/politik/In-Assads-Armee-waechst-der-Unmut-article16418356.html).

147

Deserteure und Personen, die sich dem Militärdienst entzogen haben, werden inhaftiert und verurteilt. In der Haft kommt es zu Folter, und Menschenrechtsorganisationen berichten über Exekutionen von Deserteuren. Einige der Verhafteten werden vom Militärgericht zu Haftstrafen verurteilt, bevor sie eingezogen werden, andere werden verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt (Schweizer Flüchtlingshilfe, Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, a. a. O., Seite 1 ff.).

148

Im Juli 2015 hat der syrische Staatspräsident Assad als weitere Maßnahme zur personellen Verstärkung der syrischen Armee eine Generalamnestie für Deserteure und Wehrdienstverweigerer erlassen. Ins Ausland geflohene Soldaten hatten sich dazu binnen zwei Monaten bei den Behörden zu melden, Deserteure, die sich in Syrien aufhalten, innerhalb eines Monats. Eine Frist für Wehrdienstverweigerer wurde nicht genannt (Zeit online vom 26. Juli 2015: Assad gehen die Soldaten aus,

149

http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-07/syrien-baschar-al-assad-buergerkrieg-armee-unterstuetzung).

150

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände bestehen letztlich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass Personen, die sich während des Bürgerkrieges dem Wehrdienst entweder in Syrien selbst oder durch Flucht ins Ausland entzogen haben, bei ihrer Ergreifung allein aufgrund dieser Wehrdienstentziehung beachtlich wahrscheinlich eine regimegegnerische Haltung unterstellt würde und sie aus diesem Grunde eine über die gesetzlich vorgesehene Bestrafung für Wehrdienstentzug hinausgehende Verfolgung zu befürchten hätten.

151

Die üblicherweise drohende Verhaftung als solche bewegt sich im Rahmen der nach dem Military Penal Code vorgesehenen Strafandrohung.

152

Dass es in der Haft der Berichterstattung der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 28. März 2015 zufolge auch zu Folter kommt, stellt zwar für die hiervon Betroffenen eine Verfolgungsmaßnahme im Sinne des § 3 AsylG dar. Es fehlt jedoch an zureichenden Anhaltspunkten dafür, dass diese wegen eines der in § 3 AsylG genannten Merkmale – konkret: der politischen Überzeugung des Betroffenen –erfolgt. Zwar kann es sich bereits bei der Folter als solcher um ein Indiz für den politischen Charakter der Maßnahme handeln. Allerdings bedarf es insoweit regelmäßig der Heranziehung weiterer objektiver Kriterien, die einen Rückschluss auf die subjektive Verfolgungsmotivation gestatten. Derartige objektive Kriterien sind vor allem die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Heimatstaat des Betroffenen, insbesondere die Eigenart des Staats, sein möglicherweise totalitärer Charakter, die Radikalität seiner Ziele und die zu seiner Verwirklichung eingesetzten Mittel, das Maß an geforderter und durchgesetzter Unterwerfung des einzelnen und die Behandlung von Minderheiten. Maßgeblich ist stets, ob der Staat seine Bürger in den genannten persönlichen Merkmalen zu disziplinieren, sie ihretwegen niederzuhalten oder im schlimmsten Fall zu vernichten sucht oder ob er lediglich seine Herrschaftsstruktur aufrechterhalten will und dabei die Überzeugungen seiner Staatsbürger unbehelligt lässt. Die Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System seiner Bevölkerung auferlegt, vermögen für sich allein eine politische Verfolgung nicht zu begründen (vgl. zum Ganzen Urteil vom 17. Mai 1983 – 9 C 36/83 –, BVerwGE 67, 195 m. w. N.).

153

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist vorliegend nichts hinreichendes dafür ersichtlich, dass die berichtete Folter im Falle der Wehrdienstentziehung – welche für sich genommen bereits zu einer Schutzberechtigung gemäß § 4 AsylG führt – gerade aus einem der besonderen Gründe des § 3 AsylG geschähe.

154

Syrien verfügt zwar über eine formal rechtsstaatliche Verfassung, ist aber aufgrund des seit 1963 bestehenden Ausnahmezustandes in der Praxis bereits seit Jahrzehnten ein von Sicherheitsapparaten und Militär geprägtes autoritäres Regime. Die Sicherheitsdienste waren schon vor Beginn der Unruhen im Jahre 2011 und des nachfolgenden Bürgerkrieges weder parlamentarischen noch gerichtlichen Kontrollmechanismen unterworfen und verantwortlich für willkürliche Verhaftungen, Folter und Isolationshaft. Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste wenden systematisch Gewalt an. Möglichkeiten einer effektiven strafrechtlichen Verfolgung von Folter und anderen kriminellen Handlungen durch Sicherheitskräfte bestehen nicht; Personen, die sich über die Behandlung durch Sicherheitskräfte beschweren, laufen vielmehr Gefahr, dafür strafrechtlich belangt zu werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27. September 2010). Angesichts der sonach in Syrien generell herrschenden Brutalität und Willkür von Sicherheits- und Justizvollzugsorganen stellt die Anwendung von Folter als solche jedenfalls kein gewichtiges Indiz für die politische Motiviertheit einer Verfolgung wegen Wehrdienstentziehung dar.

155

Die Fälle von Exekutionen während der Haft, über die die Schweizer Flüchtlingshilfe (a. a. O.) berichtet, beziehen sich auf Deserteure. In Bezug auf diesen Personenkreis handelt es sich durchaus um einen deutlichen Anhaltspunkt für eine über die bloße Strafverfolgung hinausgehende Gerichtetheit. Für diejenigen, die sich lediglich einer Einberufung entzogen haben – wofür ja auch bereits das Gesetz eine wesentliche mildere Strafe als für Desertion vorsieht – ergibt sich insoweit hingegen ebenfalls kein gewichtiges Indiz für einen Politmalus.

156

Gegen die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Falle bloßer Wehrdienstentziehung spricht überdies das erhebliche Mobilisierungsinteresse der syrischen Armee. Bei insgesamt fast 5 Millionen Flüchtlingen, die Syrien verlassen haben, dürften sich angesichts des hohen Anteils von Männern im Allgemeinen und jungen Männern im Besonderen (FAZ net, Das sind Deutschlands Flüchtlinge, vom 21. Oktober 2015

157

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/deutschlands-fluechtlinge-in-grafiken-13867210.html)

158

bereits nach der Lebenserfahrung Hunderttausende junger Männer befinden, die noch nicht einberufen worden sind. Jedenfalls hinsichtlich dieses Personenkreises dürfte es dem syrischen Staat vor allem darum gehen, die Betroffenen schnellstmöglich seiner notleidenden Armee zuzuführen. In diese Richtung deutet bereits der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 28. März 2015 (a. a. O.), wonach zwar einige der Verhafteten zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen, andere indessen lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt werden. Hinzu kommt die im Juli 2015 erlassene Generalamnestie, welche über Wehrdienstverweigerer hinaus sogar auch Deserteure erfasst hat.

159

Im Übrigen ist den syrischen Machthabern, wie schon dargelegt, bekannt, dass die Flucht aus Syrien – und damit auch die Flucht vor der Einberufung durch die Armee – in aller Regel nicht durch politische Gegnerschaft zum syrischen Staat motiviert ist, sondern durch Angst vor dem Krieg.

160

(2) Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Klägers aus einem der Gründe des § 3 AsylG ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass er eigenen Angaben zufolge vor seiner Ausreise in derProvinz Homs gelebt hat.

161

Zwar erfasst der UNHCR (Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung, November 2015, Seite 25 f.,

162

https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1455006006_syr-112015.pdf)

163

im Rahmen der von ihm als das Erfordernis internationalen Flüchtlingsschutzes indizierend erstellten Risikoprofile auch Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben. Hierzu führt er erläuternd aus (Seite 12 f.):

164

„Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist.“

165

Vorliegend kann indessen letztlich dahinstehen, ob die Stadt A... oder der Bauernhof der Familie des Klägers, auf den sich diese den Angaben des Klägers (vgl. Anhörungsprotokoll vom 5. April 2016, Seite 35 ff, 38 der Verwaltungsakte) zufolge zurückgezogen hat, um den Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, in einer vermeintlich regierungsfeindlichen Zone im obigen Sinne gelegen sind.

166

Selbst in diesem Falle wäre zwar unter Zugrundelegung der UNHCR-Erwägungen die Herkunft des Klägers aus einem bestimmten Gebiet in den Augen der syrischen Sicherheitskräfte möglicherweise ein gewisser Anhaltspunkt für eine oppositionelle Einstellung.

167

Letztlich spricht indessen aber auch insoweit die Lebenserfahrung dafür, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg in das Ausland geflohen sind, auch in den Augen der syrischen Machthaber in aller Regel keine Bedrohung des Regimes darstellen, sondern dem Konflikt vielmehr gerade aus dem Weg gegangen sind.

168

cc. Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus einer umfassenden Gesamtwürdigung aller vorliegend möglicherweise eine Verfolgungsgefahr begründenden Umstände.

169

Auch dann, wenn man die illegale Ausreise, die Asylantragstellung, den längerfristigen Auslandsaufenthalt, die Wehrdienstentziehung des Klägers und seines Bruders sowie die regionale Herkunft des Klägers aus der Perspektive des syrischen Staates als möglichem Verfolger gleichzeitig wertend in den Blick nimmt, so erscheinen dessen Interessen letztlich allein insoweit berührt, als der Kläger zum einen selbst als Oppositioneller eine Gefahr für das Regime darstellen könnte und zum anderen durch seine Wehrdienstentziehung dazu beigetragen hat, die Schlagkraft der syrischen Armee gegen ihre übrigen Gegner zu beeinträchtigen.

170

Da indessen wie bereits dargestellt die Lebenserfahrung auch aus Sicht der syrischen Behörden dafür spricht, dass der Kläger kein dem Regime möglicherweise gefährlicher Oppositioneller ist, sondern dem Konflikt durch seine Ausreise gerade hat aus dem Wege gehen wollen, fehlt es insoweit bei umfassender Abwägung an ausreichenden Anhaltspunkten jedenfalls für eine Überzeugungsbildung durch den Senat dahingehend, dass dem Kläger bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien beachtlich wahrscheinlich Verfolgungsmaßnahmen wegen seiner politischen Überzeugung drohen. Diese Einschätzung vermögen auch nicht die dem Kläger möglicherweise wegen Wehrdienstentziehung drohenden Sanktionen zu ändern. Das Sanktionsinteresse des syrischen Regimes dürfte zumindest gegenüber denjenigen, die nicht aus der Armee desertiert sind, sondern sich lediglich dem Wehrdienst entzogen haben, hinter dem Interesse an der dringend benötigten Verstärkung der Armee durch Rekrutierung neuer Soldaten zurückbleiben. Insoweit könnte dem Kläger im Falle seiner fiktiven Rückkehr nach Syrien zwar möglicherweise eine strafrechtliche Sanktion und wohl auch beachtlich wahrscheinlich eine Einberufung drohen; in Bezug auf eine politisch motivierte weitergehende Verfolgung fehlt es jedoch ebenfalls an Anhaltspunkten, welche die Prognose einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit tragen könnten.

171

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 83b AsylG; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr.10 ZPO.

172

Gründe, aus denen gemäß § 132 Abs. 2 VwGO die Revision zuzulassen wäre, liegen nicht vor. Bei der Frage, ob abgelehnten Asylbewerbern im Falle einer Rückkehr nach Syrien dort bereits allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich Verfolgung wegen einer vermuteten Einstellung gegen das dort herrschende Regime droht, handelt es sich – anders als in dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 2016 (2 BvR 31/14) zugrunde liegenden Fall – um eine Tatsachenfrage, wohingegen die Revision die Überprüfung eines Urteils ausschließlich in rechtlicher Hinsicht zum Gegenstand hat (§ 137 Abs. 1 und 2 VwGO).

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

weitere Fundstellen einblendenweitere Fundstellen ...

Diese Entscheidung wird zitiert ausblendenDiese Entscheidung wird zitiert


Tenor

Unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 16. Juni 2016 wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Kläger; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Der am … 1993 geborene Kläger, ein syrische Staatsangehöriger arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit, reiste eigenen Angaben zufolge am 22. Januar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag.

3

Zur Begründung machte er geltend, Syrien wegen des Krieges und aus Angst vor dem Verhungern verlassen zu haben. A… in der Provinz Homs, wo er gelebt habe, sei mal vom Regime und mal von bewaffneten Milizen übernommen worden. Es sei gefährlich gewesen zwischen den Fronten. Es habe ständig die Gefahr bestanden, von einer Seite gefangen genommen zu werden. Im Jahr 2013 seien Verwandte bei einer Straßenkontrolle mitgenommen worden. Sie seien nicht wiedergekommen; wahrscheinlich seien sie getötet worden. Zudem habe er Angst gehabt, vom Militär mitgenommen und als Soldat eingesetzt zu werden. Offiziell einberufen worden sei er noch nicht. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er, eingezogen oder inhaftiert zu werden, weil er vor dem Wehrdienst geflohen sei.

4

Mit Bescheid vom 12. April 2016 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu. Im Übrigen lehnte es den Asylantrag mit der Begründung ab, dass der Kläger kein Flüchtling im Sinne des § 3 Asylgesetz (AsylG) sei.

5

Das Verwaltungsgericht Trier hat auf die hiergegen erhobene Klage die Beklagte mit Urteil vom 16. Juni 2016 – 1 K 1520/16.TR – unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen. Mit Blick auf die Erkenntnismittel, insbesondere die aktuelle Situation in Syrien, sei davon auszugehen, dass dem Kläger für den Fall der Rückkehr nach dort ungeachtet individuell geltend gemachter Gründe und deren Glaubhaftigkeit politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe. Auf der Grundlage der auch aus der aktuellen Berichterstattung gewonnenen Erkenntnislage sei beachtlich wahrscheinlich, dass im Falle der Rückkehr wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt die Festnahme und damit verbunden die Gefahr von Folter drohe, weil davon auszugehen sei, dass einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachgegangen werde.

6

Mit Beschluss vom 15. September 2016 – 1 A 10658/16.OVG – hat der Senat auf Antrag der Beklagten die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Am 30. September 2016 hat die Beklagte die Berufung begründet.

7

Sie macht geltend, dass Flüchtlingen aus Syrien im Falle ihrer Rückkehr dorthin nicht allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung drohe.

8

Die Beklagte beantragt,

9

unter Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen.

10

Der Kläger beantragt,

11

die Berufung zurückzuweisen.

12

Zur Begründung nimmt er Bezug auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend macht er geltend, dass die von der Beklagten vertretene Auffassung, Rückkehrer nach Syrien unterlägen zwar allgemein der Gefahr der Folterung oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, dem liege jedoch keine unterstellte Regimegegnerschaft zugrunde, lebensfremd sei. Verhaftungen und Folterungen dienten keinem Selbstzweck, sondern der Unterdrückung jeglicher Regimegegnerschaft. Sie richteten sich immer gegen Personen, die der Regimegegnerschaft verdächtigt würden, wofür in Syrien indessen bereits derartige Nichtigkeiten genügten, dass dies aus Sicht eines in einem rechtsstaatlichen System lebenden Betrachters als willkürlich erscheinen möge. Demgemäß genüge auch bereits ein Auslandsaufenthalt für den Verdacht oppositioneller Haltung oder Tätigkeit. Dies gelte umso mehr, da sich das syrische Regime seit Jahren im Kampf um das eigene Überleben befinde. In individueller Hinsicht wirke in seinem Falle gefahrerhöhend, dass er aus der Rebellenhochburg Homs stamme und sich im wehrfähigen Alter befinde. Hinzu komme noch, dass sein 1990 geborener Bruder – dem die Beklagte im Übrigen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt habe – bereits eine Einberufung zum Militärdienst erhalten, aber nicht befolgt habe, was nochmals zu einer Gefahrerhöhung auch für den Kläger führe.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten und die Verwaltungsakten der Beklagten betreffend den Kläger (Az. 6513645-475) und dessen Bruder (Az. 6513662-475), jeweils 1 Heft, Bezug genommen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

14

Entscheidungsgründe

15

Die Berufung ist zulässig und begründet.

16

Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

17

1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK –, BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.

18

a. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK –, BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist. Gleiches gilt nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG für eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

19

Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können gemäß § 3a Abs. 2 AsylG unter anderem gelten die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung sowie die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen gemäß § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde.

20

b. Die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung und Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe werden in § 3b Abs. 1 AsylG näher umschrieben.

21

Gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 1 AsylG umfasst der Begriff der Rasse insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe.

22

Als Religion im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG definiert § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sowie sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

23

Der Verfolgungsgrund der Nationalität umfasst gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 3 AsylG über die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen hinaus insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird.

24

Eine soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist insbesondere dann gegeben, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 AsylG).

25

Den Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung definiert § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG als das Vertreten einer Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft; unerheblich ist, ob der Ausländer aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

26

§ 3b Abs. 2 AsylG stellt schließlich ergänzend fest, dass es für die Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, nicht darauf ankommt, ob er die zur Verfolgung führenden Merkmale tatsächlich aufweist. Ausreichend ist bereits, dass diese ihm von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

27

c. Was den notwendigen Zusammenhang zwischen den in §§ 3 Abs. 1 und 3 b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen angeht, stellt § 3a Abs. 3 AsylG nochmals klar, dass insoweit eine Verknüpfung bestehen muss.

28

d. § 3c AsylG legt fest, von wem Verfolgung ausgehen kann: Über den Staat (Nr. 1) und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), hinaus können dies nach § 3c Nr. 3 AsylG auch nichtstaatliche Akteure sein, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

29

e. Eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheidet nach § 3e Abs. 1 AsylG dann aus, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

30

f. Ob eine Verfolgung der vorstehend näher beschriebenen Art droht, d. h. der Ausländer sich im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylGaus begründeter Furcht vor einer solchen Verfolgung außerhalb des Herkunftslandes befindet, ist anhand einer Verfolgungsprognose zu beurteilen, die auf der Grundlage einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat (BVerwG, Urteil vom 6. März 1990 – 9 C 14.89 –, BVerwGE 85, 12, juris, m. w. N.).

31

aa. Dabei ist es Aufgabe des Schutzsuchenden, von sich aus unter genauer Angabe von Einzelheiten den der Prognose zugrunde zu legenden, aus seiner Sicht die Verfolgungsgefahr begründenden Lebenssachverhalt zu schildern (§ 25 Abs. 1 AsylG).

32

Das Gericht muss sich sodann, um die behaupteten, möglicherweise eine Verfolgungsgefahr begründenden Tatsachen seiner Entscheidung als gegeben zugrunde legen zu können, nach § 108 Abs.1 Satz 1 VwGO die volle Überzeugung von deren Wahrheit – und nicht nur von deren Wahrscheinlichkeit – verschaffen. Zwar gilt hierbei der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind. Zudem ist die besondere Beweisnot des nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsprozessrechts mit der materiellen Beweislast hinsichtlich der guten Gründe für seine Verfolgungsfurcht beschwerten Schutzsuchenden zu berücksichtigen, dem häufig die üblichen Beweismittel fehlen. Insbesondere können in der Regel unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts legt den Tatsachengerichten insoweit nahe, den eigenen Erklärungen des Schutzsuchenden größere Bedeutung beizumessen, als dies meist sonst in der Prozesspraxis bei Bekundungen einer Partei der Fall ist, und den Beweiswert seiner Aussage im Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu. Zur Anerkennung kann schon allein sein Tatsachenvortrag führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne "glaubhaft" sind, dass sich das Tatsachengericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann. Dem Klagebegehren darf jedenfalls nicht mit der Begründung der Erfolg versagt werden, dass neben der Einlassung des Schutzsuchenden keine Beweismittel zur Verfügung stehen. Der Richter ist aus Rechtsgründen schon allgemein nicht daran gehindert, eine Parteibehauptung ohne Beweisaufnahme als wahr anzusehen; das gilt für das Asylverfahren mit seinen typischen Schwierigkeiten, für das individuelle Schicksal des Antragstellers auf andere Beweismittel zurückzugreifen, in besonderem Maße. Einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO wird der Richter hierdurch jedoch nicht enthoben. Das Fehlen von Beweismitteln mag die Meinungsbildung des Tatsachengerichts erschweren, entbindet es aber nicht davon, sich eine feste Überzeugung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu bilden. Dies muss – wenn nicht anders möglich – in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Schutzsuchenden glaubt (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 – 9 C 109/84 –, BVerwGE 71, 180, juris, m. w. N.).

33

bb. Die Prognose in Bezug auf eine bei Rückkehr in den Heimatstaat drohende Verfolgung hat nach Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes – ABl. EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl. EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24 – einheitlich anhand des Maßstabs der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ zu erfolgen (vgl. dazu im einzelnen BVerwG, Urteile vom 1. Juni 2011 – 10 C 25/10 –, BVerwGE 140, 22, und vom 1. März 2012 – 10 C 7/11 –, beide in juris, m. w. N.).

34

(1) Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Beschluss vom 7. Februar 2008 – 10 C 33/07 –, juris, m. w. N.) eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer "quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 Prozent Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert.

35

(2) Von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohender politischer Verfolgung muss das Gericht – wie auch bereits von der Wahrheit des der Prognose zugrunde zu legenden Lebenssachverhalts – die volle richterliche Überzeugung gewonnen haben (BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 – 9 C 109/84 –, BVerwGE 71, 180, juris, m. w. N.).

36

(3) Eine Beweiserleichterung gilt für Vorverfolgte. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder unmittelbar von Verfolgung bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist; etwas anderes soll nur dann gelten, wenn stichhaltige Gründe gegen eine erneute derartige Bedrohung sprechen. Für denjenigen, der bereits Verfolgung erlitten hat, streitet also die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit entlastet, darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Die aus der Vorverfolgung resultierende Vermutung kann allerdings widerlegt werden. Erforderlich ist hierfür, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, BVerwGE 136, 388, juris, m. w. N.).

37

2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze droht dem Kläger im Falle einer – ungeachtet des ihm mit Bescheid vom 12. April 2016 zuerkannten subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) und des hieraus resultierenden Abschiebungsverbots (§ 60 Abs. 2 AufenthG) – hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien nach Überzeugung des Senats dort nicht beachtlich wahrscheinlich Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.

38

a. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinne des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergäbe, hat der Kläger weder gegenüber dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht.

39

b. Eine begründete Furcht vor Verfolgung ergibt sich auch nicht aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem der Kläger Syrien verlassen hat (sog. Nachfluchtgründe, § 28 Abs. 1a AsylG).

40

aa. Das Verwaltungsgericht hat eine entsprechende Gefährdung ausschließlich unter Hinweis darauf bejaht, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Syrien bereits allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich die Festnahme und damit verbunden die Gefahr von Folter drohe, womit seitens der syrischen Behörden einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachgegangen werde.

41

Damit folgt das Verwaltungsgericht der Rechtsprechung der überwiegenden Zahl der bislang mit dieser Frage befassten Gerichte (vgl. OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, VGH BW, Beschlüsse vom 19. Juni 2013 – A 11 S 927/13 – und vom 29. Oktober 2013 – A 11 S 2046/13 –, HessVGH, Beschluss vom 27. Januar 2014 – 3 A 917/13.Z.A –, sowie eine Vielzahl erstinstanzlicher Entscheidungen, zuletzt etwa VG Köln, Urteil vom 25. Oktober 2016 – 20 K 2890/16.A –, VG Münster, Urteil vom 13. Oktober 2016 – 8 K 2127/16.A –, VG Schleswig, Urteil vom 6. Oktober 2016 – 12 A 651/16 –, m. w. N.; a. A.: in ständiger Rechtsprechung OVG NRW, zuletzt mit Beschlüssen vom 5. September 2010 – 14 A 1802/16.A – und vom 6. Oktober 2016 – 14 A 1852/16.A –, jeweils m. w. N., OVG SH, Urteil vom 23. November 2016 – 3 LB 17/16 –, VG Potsdam, Urteil vom 3. Dezember 2013 – 6 K 3592/13.A –, VG Düsseldorf, Urteil vom 12. Juli 2016 – 5 K 5853/16.A – und vom 11. Oktober 2016 – 2 K 9062/16.A –, alle in juris, sowie BayVGH, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 ZB 16.30338 u. a. –, Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht).

42

Dem vermag sich der Senat indessen nicht anzuschließen.

43

Zwar trifft es zu, dass mangels Referenzfällen – wegen der eskalierenden Lage finden Abschiebungen bereits seit Jahren nicht mehr statt (vgl. dazu auch die entsprechende Empfehlung des Bundesministeriums des Innern an die Länderinnenverwaltungen vom 28. April 2011, Az. M I 3 – 125 242 SYR/O) – die Prognose, ob im Falle einer hypothetischen Abschiebung nach Syrien dort aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht, notwendigerweise aufgrund einer wertenden Gesamtschau aller Umstände zu erfolgen hat.

44

Demgemäß begründen die eine entsprechende Verfolgungsgefahr bejahenden Gerichte ihre Prognosen jeweils mit einer ganzen Reihe von Einzelfaktoren. Hierzu gehören insbesondere (vgl. exemplarisch etwa OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, juris) die Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungsstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, die umfassende Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, die Eskalation der innenpolitischen Situation seit März 2011 und der Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Beginn des Jahres 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition unterstützen. Auch hiergegen ist systematisch nichts zu erinnern.

45

Der erkennende Senat gelangt allerdings im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände zu einem abweichenden Ergebnis im Hinblick auf die allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt bestehende Verfolgungsgefahr.

46

Bei der Bewertung, ob die im Einzelfall festgestellten Umstände eine die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG rechtfertigende Verfolgungsgefahr begründen, ist rechtlich zwischen zwei Fragestellungen zu unterscheiden, nämlich dem beachtlich wahrscheinlichen Drohen einer Verfolgungshandlung gemäß § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a AsylG als solcher und deren ebenfalls beachtlich wahrscheinlicher Verknüpfung (§ 3a Abs. 3 AsylG) mit Verfolgungsgründen im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG.

47

(1) Danach kann für die hier allein streitgegenständliche Frage der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG letztlich offen bleiben, ob dem Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien dort überhaupt beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgungshandlung i. S. d. § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a AsylG dergestalt droht, einer Befragung unterzogen zu werden, mit der die konkrete Gefahr einer Verhaftung und/oder einer schwerwiegenden Misshandlung bis hin zur Folter und willkürlichen Tötung einhergeht.

48

Zweifel hieran könnten sich im gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats möglicherweise aus dem Umstand ergeben, dass Ende 2015 von den rund 22 Millionen zuvor in Syrien lebenden Menschen bereits rund 4,9 Millionen, mithin knapp ein Viertel der gesamten Bevölkerung, aus dem Land geflohen waren (UNHCR, Global Trends – Forced Displacement in 2015,

49

http://www.unhcr.org/statistics/unhcrstats/576408cd7/unhcr-global-trends-2015.html).

50

Dass es sich hierbei mehrheitlich nicht um Oppositionelle handelt, sondern um Bürgerkriegsflüchtlinge, muss bereits nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch den syrischen Behörden bekannt sein. Dass dem tatsächlich so ist, wird überdies durch eine Äußerung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad Ende 2015 in einem Interview im tschechischen Fernsehen bestätigt, wonach es sich bei der Mehrheit der syrischen Flüchtlinge um „gute Syrer“ handele, es aber „natürlich … eine Unterwanderung durch Terroristen“ gebe

51

(http://www.n-tv.de/politik/Assad-lobt-Putins-Eingreifen-in-Syrien-article16478486.html).

52

In diese Richtung deutet auch eine Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das BAMF zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Syrien vom 3. Februar 2016. Danach liegen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse dazu vor, dass ausschließlich aufgrund des vorangegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erwarten haben. Zwar seien Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien; diese stünden allerdings überwiegend im Zusammenhang mit oppositionellen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten und Menschenrechtsverteidigern) oder im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Wehrdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeiteten.

53

Andererseits ergeben sich bereits aus der zitierten Äußerung des syrischen Präsidenten aber auch deutliche Hinweise darauf, dass die syrischen Sicherheitsbehörden alle Rückkehrer schon deshalb jedenfalls einer eingehenden Befragung unterziehen werden, damit sie einschätzen können, ob Verdachtsmomente für terroristische Aktivitäten – oder möglicherweise auch nur für eine regimegegnerische Haltung des Betroffenen oder für Kenntnisse über oppositionelle Aktivitäten Dritter – gegeben sind. Die mit derartigen Befragungen ausweislich zahlreicher bis zum Jahr 2011 dokumentierter Referenzfälle (vgl. beispielsweise OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, und OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2012 – 14 A 2708/10.A –, beide in juris, jeweils m. w. N.) jedenfalls in der Vergangenheit verbunden gewesenen weiteren Risiken einer Verhaftung und/oder von Misshandlungen vom Schweregrad des § 3a AsylG können auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen massenhaften Ausreise jedenfalls nicht hinreichend verlässlich ausgeschlossen werden.

54

Letztlich bedarf diese Frage hier aber keiner abschließenden Klärung, weil eine entsprechende Verfolgungsgefahr jedenfalls nicht aus einem der Verfolgungsgründe des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG gegeben wäre.

55

(2) Die dem Senat vorliegenden Erkenntnisse reichen nicht aus, um seine Überzeugung von einer beachtlich wahrscheinlichen Verknüpfung einer möglicherweise allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt drohenden Verfolgungshandlung mit Verfolgungsgründen im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a Abs. 3 AsylG zu begründen; weiterreichende taugliche Erkenntnismittel sind weder von den Beteiligten aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich.

56

Eine entsprechende beachtlich wahrscheinliche Gefährdung des Klägers im Sinne des § 3 AsylG würde voraussetzen, dass ihm ein entsprechendes Merkmal von den syrischen Behörden zumindestzugeschrieben wird (§ 3b Abs. 2 AsylG). Dies deckt sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der politisch Verfolgte weder tatsächlich noch nach der Überzeugung des verfolgenden Staates selbst Träger eines verfolgungsverursachenden Merkmals sein müssen, sondern politische Verfolgung auch dann vorliegen kann, wenn der oder die Betroffene lediglich der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits politischer Verfolgung unterliegt (BVerfG, Beschluss vom 22. November 1996 – 2 BvR 1753/96 –, juris).

57

Dafür, dass die syrischen Sicherheitsbehörden in diesem Sinne letztlich jeden Rückkehrer, der Syrien illegal verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich längere Zeit im Ausland aufgehalten hat, ohne weitere Anhaltspunkte der Opposition zurechnen, gibt es keine zureichenden tatsächlichen Erkenntnisse. Im Gegenteil erscheint dies lebensfremd, da angesichts von fast 5 Millionen Flüchtlingen auch dem syrischen Staat – wie bereits dargelegt – bekannt ist, dass der Großteil der Ausgereisten das Land nicht als Ausdruck politischer Gegnerschaft zum Regime, sondern aus Angst vor dem Bürgerkrieg verlassen hat (so auch in ständiger Rechtsprechung OVG NRW, vgl. zuletzt Beschlüsse vom 6. Oktober 2010 – 14 A 1852/16.A – und vom 5. September 2016 – 14 A 1802/16.A – m. w. N., OVG SH, Urteil vom 23. November 2016 – 3 LB 17/16 –, VG Potsdam, Urteil vom 3. Dezember 2013 – 6 K 3592/13.A –, und VG Düsseldorf, Urteil vom 11. Oktober 2016 – 2 K 9062/16-A –, alle in juris).

58

Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisse (a) zur Behandlung von Personen, die bis zum Abschiebestopp im Jahre 2011 nach Syrien abgeschoben worden sind, (b) zur umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, (c) zur Eskalation der innenpolitischen Situation seit März 2011 und (d) zum Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Beginn des Jahres 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.

59

(a) (aa) Das Auswärtige Amt hat in seinem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010 zur Behandlung von Rückkehrern (S. 19 f.) mitgeteilt, dass zurückgeführte Personen bei ihrer Einreise in der Regel zunächst durch die Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt und den Grund ihrer Abschiebung befragt würden. Diese Befragungen könnten sich (zwar) über mehrere Stunden hinziehen, in der Regel werde dann jedoch die Einreise ohne weitere Schwierigkeiten gestattet; in manchen Fällen werde der Betroffene für die folgenden Tage nochmals zum Verhör einbestellt. (Lediglich) in Einzelfällen würden Personen für die Dauer einer Identitätsprüfung durch die Einreisebehörden festgehalten; dies dauere in der Regel nicht länger als zwei Wochen. Im Jahr 2009 seien – bei insgesamt 40 in 2009 und dem ersten Quartal 2010 von Deutschland nach Syrien im Rahmen des Anfang 2009 in Kraft getretenen Rückübernahmeabkommens zurückgeführten Personen – in drei Fällen Inhaftierungen unmittelbar bzw. kurz nach der Rückführung bekanntgeworden. In einem Fall könne bestätigt werden, dass eine Inhaftierung über die übliche Befragung durch syrische Behörden nach der Ankunft hinausgegangen sei. Der Betroffene sei unter dem Vorwurf verhaftet worden, in Deutschland Asyl beantragt und „im Ausland bewusst falsche Nachrichten verbreitet zu haben, die das Ansehen des Staates herabzusetzen geeignet sind“. Später sei der auf Kaution freigelassene und sodann ausgereiste Mann in Abwesenheit wegen „Verbreitung bewusst falscher Tatsachen im Ausland, die das Ansehen des Staates herabzusetzen geeignet sind“ zu einer Haftstrafe von 4 Monaten sowie einer Geldstrafe von 80 SYP (1,17 €) verurteilt worden. Eigenen – nicht verifizierbaren – Angaben zufolge sei der Betroffene während seiner Haft durch syrische Behördenmitarbeiter körperlich misshandelt worden.

60

Für die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Syrien bereits allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich aufgrund einer von den syrischen Behörden vermuteten regimefeindlichen Einstellung die Festnahme und Folter drohe, kann den Feststellungen des Lageberichts letztlich nichts entnommen werden.

61

Fraglich erscheint bereits, ob für die im Rahmen der Verfolgungsprognose hypothetisch zu unterstellende Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat überhaupt von einer Abschiebung auszugehen ist. In diesem Fall müsste der Betroffene ja – um überhaupt abgeschoben werden zu können – nach bestandskräftigem Abschluss des Erstverfahrens zur Ausreise verpflichtet sein. Dann aber stellte sich die Frage, ob eine durch den Umstand, dass der Schutzsuchende nicht dieser rechtlichen Verpflichtung folgend freiwillig ausreist, sondern es auf eine Abschiebung ankommen lässt, bewirkte Gefahrerhöhung nicht entsprechend den Grundsätzen für missbräuchlich geschaffene Nachfluchtgründe (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2008 – 10 C 27/07 –, BVerwGE 133, 31, juris) im Rahmen des § 3 AsylG außer Betracht zu bleiben hat. Letztlich kann dies allerdings dahinstehen, da sich aus dem o. a. Lagebericht auch für den hypothetisch unterstellten Fall einer Abschiebung nach Syrien keine zureichenden Anhaltspunkte für eine beachtlich wahrscheinlich drohende politische Verfolgung Gefährdung ergeben.

62

Auf der Grundlage einer Gesamtzahl von rund 40 zurückgeführten Personen wird von insgesamt drei Inhaftierungen berichtet. Da nach dem Lagebericht derartige Inhaftierungen zum Zweck einer Identitätsprüfung durch die Einreisebehörden erfolgen können, und in einem der drei berichteten Fälle eine Anklage und Verurteilung wegen Verbreitung falscher, das Ansehen des Staates herabsetzenden Aussagen erfolgt ist, ergibt sich hieraus letztlich bereits keine beachtlich wahrscheinliche Gefährdung von Personen, die derartige Äußerungen im Ausland jedenfalls nicht bekanntermaßen, insbesondere im Rahmen ihrer Asylantragstellung, getätigt haben, überhaupt mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 3 i. V. m. § 3a AsylG überzogen zu werden. Dies gilt umso mehr, als Rückkehrer aus der Bundesrepublik Deutschland, die – wie der Kläger – ihr Asylbegehren nicht mit einer Verfolgung durch den syrischen Staat, sondern lediglich mit dem in Syrien herrschenden Bürgerkrieg und dessen Folgen begründet haben, dies auch noch zusätzlich durch Vorlage der Anhörungsniederschrift sowie des Bescheides des Bundesamtes und ggfls. der hierauf ergangenen verwaltungsgerichtlichen Urteile belegen können.

63

Erst recht lassen sich dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27. September 2010 keine Hinweise auf die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Verfolgung aus einem der in § 3 AsylG genannten Verfolgungsgründe entnehmen.

64

(bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt seinem Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 – zugrunde gelegten Dokumentationen von amnesty international „Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012

65

(https://www.amnesty.de/downloads/download-menschenrechtskrise-syrien-erfordert-abschiebungsstopp)

66

und des kurdischen Informationsdienstes KURDWATCH

67

(http://www.kurdwatch.org/?cid=1&z=en)

68

betreffend die Festnahme von Rückkehrern in insgesamt 9 Fällen im Zeitraum von Juni 2009 bis zum 13. April 2011. In jedem dieser Fälle bestehen nämlich besondere Einzelfallumstände, die als eigenständige Erklärung für die Verhaftung bei der Rückkehr nach Syrien dienen können. In einem Fall war der Betroffene bereits 2005 in Syrien in Haft gewesen. In einem anderen Fall – wohl dem, über den auch bereits das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht vom 27. September 2010 berichtet hat – wurden dem Asylbewerber offenbar konkrete Angaben bei seiner Anhörung durch das Bundesamt vorgehalten. Die weiteren Festnahmen erklären sich durch das Engagement als stellvertretender Direktor eines Vereins syrischer Kurden, der auf die Situation der Kurden in Syrien aufmerksam macht, eine den syrischen Behörden bekannt gewordene Straffälligkeit wegen Diebstahls in Deutschland, falsche Altersangaben im Pass und diverse exilpolitische Aktivitäten wie die Teilnahme an Hungerstreiks und das Berichten hierüber.

69

(cc) Ganz abgesehen davon wäre aber auch selbst eine – nach der Überzeugung des Senats nicht gegebene – beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung in Bezug auf bis zum Jahre 2011 nach Syrien abgeschobene abgelehnte Asylbewerber nur ein schwaches Indiz für eine entsprechende Gefährdung bei heutiger fiktiver Rückkehr allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt.

70

Bis 2011 gibt es keine Hinweise auf eine größere Anzahl von Flüchtlingen aus Syrien, die im Ausland um politisches Asyl nachgesucht haben; im Gegenteil war Syrien Ende des Jahres 2011 mit 755.400 aufgenommenen Flüchtlingen hinter Pakistan und dem Iran und noch vor der Bundesrepublik Deutschland das drittstärkste Aufnahmeland weltweit (UNHCR, Global Trends 2011 – A Year of Crises,

71

http://www.unhcr.org/statistics/country/4fd6f87f9/unhcr-global-trends-2011.html).

72

Angesichts des Nichtvorliegens von Gründen für eine massenhafte Flucht aus Syrien bis dahin mag es für die syrischen Sicherheitsbehörden damals nach der Lebenserfahrung nahegelegen haben, unter denjenigen, welche gleichwohl im Ausland Asyl beantragt hatten, einen beachtlichen Prozentsatz an dem syrischen System kritisch oder sogar feindlich gegenüber stehenden Personen zu vermuten. Diese Vermutung rechtfertigt sich indessen nicht mehr, nachdem zeitlich zusammentreffend mit der ab Januar 2012 eskalierenden Gewaltanwendung in Syrien (siehe dazu näher Auswärtiges Amt, Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 17. September 2012) im Verlauf von 4 Jahren rund 5 Millionen Menschen aus Syrien geflohen sind; vgl. UNHCR, Global Trends 2012 – Displacement, The New 21st Century Challenge, Global Trends 2013 – Wars’s Human Cost, Global Trends 2014 – World at War, und Global Trends 2015 – Forced Displacement in 2015,

73

http://www.unhcr.org/statistics/country/51bacb0f9/unhcr-global-trends-2012.html,

74

http://www.unhcr.org/statistics/country/5399a14f9/unhcr-global-trends-2013.html,

75

http://www.unhcr.org/statistics/country/556725e69/unhcr-global-trends-2014.html

76

http://www.unhcr.org/statistics/unhcrstats/576408cd7/unhcr-global-trends-2015.html).

77

Dass es sich bei den Geflohenen größtenteils nicht um Oppositionelle handelt, sondern um Bürgerkriegsflüchtlinge, ist – wie bereits eingangs dargelegt – auch den syrischen Behörden bekannt.

78

(dd) Erheblich lebensnäher als die Annahme, dass die syrischen Behörden allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt generell das Vorhandensein einer gegen das derzeitige politische System gerichteten Einstellung vermuten und aufgrund dessen gegen den Betroffenen vorgesehen, erscheint es nach alledem, dass mittels der scharfen Einreisekontrollen mit den zurückkehrenden Flüchtlingen ins Land einsickernde Terroristen und Regimegegner aus der Masse der Flüchtlinge herausgefiltert werden sollen. Möglicherweise mag es auch darum gehen, im Einzelfall vorhandene Wahrnehmungen oder Kenntnisse die Tätigkeit der Exilopposition betreffend „abzuschöpfen“, wobei jedoch auch insoweit angesichts von Millionen im Ausland lebender Flüchtlinge nicht davon ausgegangen werden kann, dass die syrischen Sicherheitsbehörden bei jedem oder auch nur bei einer großen Zahl von Rückkehrern derartiges Wissen vermuten.

79

Insgesamt kann sonach nicht festgestellt werden, dass die Gefahr, bei einer fiktiven Rückkehr nach Syrien festgenommen und unter Anwendung von Folter verhört zu werden, an dem Betroffenen vom syrischen Staat zumindest im Sinne des § 3b Abs. 2 AsylG zugeschriebene Merkmale nach den §§ 3 Abs. 1, 3b Abs.1 AsylG anknüpfen würde. Dafür, dass der syrische Staat bei heutiger Rückkehr in unpolitischen erfolglosen Asylbewerbern mehr sehen würde, als bloß potentielle Gegner und bloß potentielle Informationsquellen zur Exilszene, auf die er sodann möglicherweise wahllos-routinemäßig zugreift, um unter Umständen Hinweise auf Terroristen oder Oppositionelle zu gewinnen, lässt sich jedenfalls aus den Erkenntnissen zur Behandlung von Personen, die bis 2011 nach Syrien abgeschoben worden sind, nichts herleiten.

80

(ee) Eine andere Bewertung insoweit legen schließlich auch nicht Berichte jüngeren Datums über die Behandlung von Rückkehrern aus nichteuropäischen Ländern nahe.

81

So führt das US State Department in seinem Menschenrechtsbericht vom 13. April 2016

82

(http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm)

83

unter Section 2d zum Thema „Emigration and Repatriation“ zwar aus, dass Personen, welche erfolglos in anderen Ländern um Asyl nachgesucht hätten, strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt seien

84

(„On their return to the country, both persons who unsuccessfully sought asylum in other countries and those who had previous connections with the Syrian Muslim Brotherhood faced prosecution.“),

85

erläutert dies jedoch im Folgesatz dahingehend, dass das Gesetz die Verfolgung von Personen vorsehe, welche im Ausland Schutz gesucht hätten, um sich einer Strafe in Syrien zu entziehen

86

(„The law provides for the prosecution of any person who attempts to seek refuge in another country to evade penalty in Syria.“).

87

Für das Vorliegen eines derartigen Falles bestehen hier keinerlei Anhaltspunkte.

88

Des Weiteren heißt es im Bericht des State Departments, dass die syrischen Behörden routinemäßig Dissidenten und ehemalige Bürger ohne bekannte politische Zugehörigkeit verhaftet hätten, welche nach Jahren oder gar Jahrzehnten selbstauferlegten Exils nach Syrien zurückgekehrt seien

89

(„The government routinely arrested dissidents and former citizens with no known political affiliation who attempted to return to the country after years or even decades of self-imposed exile.“).

90

Insoweit ist dem Bericht indessen bereits nichts dazu entnehmen, ob es sich nach der Dauer der Festnahme und den Umständen der Vernehmung um eine Verfolgungsmaßnahme im Sinne des §§ 3 und 3a AsylG gehandelt hat. Unabhängig davon lässt sich aber auch jedenfalls in Bezug auf die Personen ohne bekannten politischen Hintergrund kein Verfolgungsgrund nach § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG feststellen, da die Festnahme dem Bericht zufolge im bereits umschriebenen Sinne wahllos-routinemäßig („routinely“) erfolgt.

91

Das Immigration and Refugee Board of Canada verweist in seinem Jahresbericht Syrien 2015 vom 19. Januar 2016 (Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion [2014-December 2015],

92

http://www.ecoi.net/local_link/320204/445626_en.html),

93

unter Ziffer 3 „Treatment of Failed Refugee Claimants“ auf einen Fernsehbericht von ABC vom 1. Oktober 2015, dem zufolge ein aus Australien zurückkehrender Asylbewerber nach eigenen Angaben 20 Tage lang festgehalten und durch Schläge misshandelt worden sei. Man habe ihm vorgehalten, aus der Provinz Daara, in der der Bürgerkrieg begonnen habe, zu stammen, und – unter Hinweis auf einen von ihm mitgeführten Geldbetrag – ein Finanzier der Revolution zu sein. Über weitergehende und bestätigende Informationen zu diesem Fall verfüge man nicht. Die dieser Berichterstattung zufolge gegen den Rückkehrer erhobenen Vorwürfe gehen indessen über den bloßen Umstand der illegalen Ausreise und erfolglosen Asylantragstellung im Ausland hinaus.

94

Im Weiteren enthält der Jahresbericht sodann zwar Einschätzungen verschiedener namentlich nicht genannter Personen, u. a. eines emeritierten Professors für Anthropologie und Vertreibung der Universität Oxford und eines „Executive Director of the Syria Justice and Accountability Center“, denen zufolge zurückkehrende erfolglose Asylbewerber mit Festnahme und Haft sowie mit Folter zu rechnen hätten, um den Grund für ihre Ausreise zu erfahren oder Informationen über andere Asylbewerber oder die Opposition erlangen. Konkrete Tatsachen, aus denen diese Einschätzungen abgeleitet werden könnten, werden indessen nicht genannt. Damit fehlte es insoweit selbst dann, wenn man diese Einschätzungen ohne nähere Überprüfung als zutreffend unterstellen wollte, jedenfalls an einem zureichenden Beleg für die Annahme, dass die drohenden Übergriffe regelmäßig durch einen den Betroffenen seitens der syrischen Behörden zumindest zugeschriebenen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3 AsylG motiviert wären und nicht bloß ein wahllos-routinemäßiges „Fischen“ nach möglicherweise verwertbaren Informationen über regimegegnerische Bestrebungen darstellten, wofür wie bereits ausgeführt die Lebenserfahrung spricht.

95

(b) Tragfähige Anhaltspunkte für eine im Fall der Abschiebung nach Syrien dort allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandsaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich drohende politische Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG ergeben sich auch nicht aus den vorliegenden Erkenntnissen zurumfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die syrischen Geheimdienste.

96

(aa) Zur Intensität und Zielrichtung der Beobachtung führt das Bundesministerium des Innern im Verfassungsschutzbericht 2015

97

(https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/verfassungsschutzberichte/vsbericht-2015)

98

auf Seite 263 f. aus:

99

„Die syrischen Nachrichtendienste verfügen ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen. Ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen sowohl islamistische und islamistisch-terroristische Gruppierungen als auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen.

100

Bei anhaltenden unkontrollierten Einreisen syrischer Staatsangehöriger in die EU ist auch mit weiteren Ausforschungsaktivitäten syrischer Nachrichtendienste zu rechnen.“

101

(bb) Ausweislich des Verfassungsschutzberichts 2015 (Seite 82) des rheinland-pfälzischen Ministeriums des Innern und für Sport

102

(https://mdi.rlp.de/fileadmin/isim/Unsere_Themen/Sicherheit/Verfassungsschutz/Dokumente/Verfassungsschutzb_2015_komp_web_neu.pdf)

103

„forcieren“ die Geheimdienste aus den Staaten des Nahen Ostens und aus Nordafrika „ihre Aktivitäten gegen Regimegegner und Oppositionelle in der Bundesrepublik Deutschland“.

104

(cc) Das sächsische Staatsministerium des Innern stellt in seinem Verfassungsschutzbericht 2015

105

(http://www.verfassungsschutz.sachsen.de/download/VSB_2015_INTERNET_05_25.pdf)

106

auf Seite 236 fest:

107

„Arabische und nordafrikanische Nachrichtendienste führen in Deutschland in erster Linie Maßnahmen gegen hier lebende Oppositionelle aus ihren Heimatländern durch. Die politischen Veränderungen der letzten Jahre im arabischen und nordafrikanischen Raum haben daran nichts geändert. Damit dürften die in Sachsen lebenden Einwanderer und Flüchtlinge aus den einschlägigen Krisenregionen nach wie vor als Ziel der jeweiligen Nachrichtendienste gelten, insbesondere, wenn sie sich oppositionell betätigt haben.

108

Insbesondere die syrischen Nachrichtendienste dürften starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg haben. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden.“

109

110

(dd) Im Verfassungsschutzbericht 2015 des hamburgischen Landesamtes für Verfassungsschutz

111

(http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/6306408/2016-06-13-bis-pm-verfassungsschutzbericht-2015/)

112

heißt es auf Seite 215:

113

„Verschiedene Nachrichtendienste des Mittleren und Nahen Ostens sowie Afrikas sind in Deutschland und zum Teil auch in Hamburg aktiv. Ein besonderes Interesse haben diese Dienste an oppositionellen Gruppierungen, die als Bedrohung für das eigene Regime angesehen werden. Ein weiterer Schwerpunkt war der Bereich der Proliferation ...

114

...

115

Die Nachrichtendienste dieser und weiterer Länder versuchen zudem die jeweiligen Oppositionsgruppen zu überwachen. Dazu werden beispielsweise Hinweisgeber gewonnen oder Informanten in die Gruppen eingeschleust.“

116

(ee) Der Bericht 2015 „Verfassungsschutz in Hessen“ des dortigen Ministeriums des Innern und für Sport

117

(https://lfv.hessen.de/sites/lfv.hessen.de/files/content-downloads/LfV_Bericht-2015final_screen.pdf)

118

stellt auf Seite 162 zu Flüchtlingen aus Syrien fest:

119

„Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Nachrichtendienste dieser Länder nach wie vor existent sind. Daher gilt für die in Deutschland ankommenden Flüchtlinge: Wer sich im Heimatland gegen das Regime engagierte, gerät eventuell auch in Deutschland in das Visier fremder Nachrichtendienste. Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat können ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert sind, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.“

120

(ff) Die nachrichtendienstlichen Aktivitäten richten sich mithin nach übereinstimmender Einschätzung der genannten Dienste in erster Linie gegen Regimegegner und Oppositionelle bzw. Gruppierungen von solchen.

121

Von einer systematischen Beobachtung aller in Deutschland lebenden Syrer ist auch nicht nur andeutungsweise die Rede; angesichts der hohen Flüchtlingszahlen in den letzten Jahren, insbesondere im Jahr 2015, erscheint eine solche auch bereits rein faktisch gar nicht möglich. Soweit eben aus diesem Umstand gefolgert wird, dass Personen, die illegal aus Syrien ausgereist sind, sich längere Zeit im westlichen Ausland aufgehalten und dort um internationalen Schutz nachgesucht haben, seitens der syrischen Behörden allein schon aufgrund deren lückenhafter Erkenntnislage mit hoher Wahrscheinlichkeit verdachtsunabhängig Befragungen und Inhaftierungen unterzogen würden, um die Motive der Ausreise und etwaigen Verbindungen zu oppositionellen Gruppierungen in Erfahrung zu bringen (VG Trier, Urteil vom 7. Oktober 2016 – 1 K 5093/16.TR –, juris), vermag dies den Senat zumindest nicht von einer beachtlich wahrscheinlich drohenden Gefahr politischer Verfolgung zu überzeugen. Ob eine derartige Befragung oder Inhaftierung angesichts der zwischenzeitlichen massenhaften Flucht der syrischen Bevölkerung vor dem Bürgerkrieg überhaupt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, kann dabei dahinstehen. Wie bereits ausgeführt wäre eine entsprechende Verfolgungsgefahr jedenfalls nicht aus einem der Verfolgungsgründe des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG gegeben, sondern mangels zureichender anderer Erkenntnisse als bloßer wahllos-routinemäßiger Zugriff aufpotentielle Gegner und bloß potentielle Informationsquellen zur Exilszene zu werten, mit dem möglicherweise einen konkreten Verdacht begründende Hinweise, aufgrund derer sodann eine „Zuschreibung“ von Merkmalen im Sinne des § 3b Abs. 2 AsylG erfolgen könnte, erst gewonnen werden sollen.

122

(c) Überzeugende Anhaltspunkte für eine erfolglosen Asylbewerbern bei ihrer Rückkehr nach Syrien allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich drohenden politische Verfolgung ergeben sich auch nicht aus der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 bis hin zum offenen Bürgerkrieg (vgl. zur Entwicklung der innenpolitischen Situation umfänglich OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 12 –, juris, Rn. 45 bis 76 ).

123

Aus dem Umstand, dass der syrische Staat als eine der in den Bürgerkrieg involvierten Parteien mit brutaler Härte gegen seine tatsächlichen und scheinbaren Gegner im Landesinnern vorgeht und dabei offensichtlich – etwa beim Einsatz von tausenden von Fassbomben über Oppositionsgebieten seit dem Jahr 2012 – Opfer unter der Zivilbevölkerung zumindest billigend in Kauf nimmt (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das BAMF zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Syrien vom 3. Februar 2016), lassen sich keine zwingenden Schlüsse auf ein beachtlich wahrscheinlich drohendes politisch motiviertes Vorgehen im Sinne des § 3 AsylG gegen aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrende Bürgerkriegsflüchtlinge ziehen.

124

Gegen eine quasi routinemäßige Einstufung dieser Personengruppe als aus der Sicht des Regimes zu bekämpfende mutmaßliche Regimegegner oder Oppositionelle spricht bereits nach der Lebenserfahrung der – wie dargelegt auch den syrischen Machthabern geläufige – Gesichtspunkt, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg außer Landes geflohen sind, regelmäßig keine Bedrohung des in Syrien zeitweilig um sein politisches und physisches Überleben kämpfenden Regimes darstellen, sondern aus Angst um ihr Leben und ihre Gesundheit dem Konflikt gerade aus dem Weg gegangen sind. Bereits von daher ist auch die teilweise (VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 – RO 11 K 16.30707 –, und VG Stuttgart, Urteil vom 15. März 2013 – A 7 K 2987/12 –, beide in juris) vertretene Auffassung, dass der syrische Staat Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit einer von außen organisierten und finanzierten Verschwörung gegen das Land zurechnen werde, letztlich nicht mehr als eine bloße Mutmaßung.

125

(d) Des Weiteren ergeben sich auch aus den Erkenntnissen zum Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Anfang 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen, keine tragfähigen Anhaltspunkte für die Annahme einer bei Rückkehr nach Syrien allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und einem längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich drohenden politischen Verfolgung.

126

Das Auswärtige Amt beschreibt bereits in seinem Ad hoc-Bericht vom 17. Februar 2012 eine massive Unterdrückung der syrischen Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen. Seit März habe es eine präzedenzlose Verhaftungswelle gegeben, mit der das Regime gegen die Protestbewegung vorgehe. Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränkten sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Es seien vielmehr zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“, tätlichen Angriffen, Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitskräfte und Mordanschlägen belegt.

127

Diese Umstände haben sich offensichtlich bis in das Jahr 2016 hinein nicht geändert.

128

Die Menschenrechtsorganisation amnesty international geht auch in ihrem Bericht „It breaks the human – torture, disease and death in Syria's prisons“ vom 18. August 2016

129

(https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/),

130

Ziffer 4.2: „Profiles of people targeted“, davon aus, dass für jedermann, der als oppositionell wahrgenommen werden könnte, die Gefahr bestehe, willkürlich inhaftiert oder „verschwinden gelassen“ zu werden und in der Haft Folter, andere Misshandlung und möglicherweise auch den Tod zu erleiden. Die Gründe hierfür variierten und könnten auch friedlichen Aktivismus wie die Tätigkeit als Menschenrechtsverteidiger, Journalist oder sonstiger Medienschaffender, die Versorgung der notleidenden Zivilbevölkerung mit humanitärer oder medizinischer Hilfe und die Organisation und Teilnahme an Pro-Reform-Demonstrationen umfassen. Zur Verhaftung könne auch bereits führen, dass ein Verwandter von den Sicherheitskräften gesucht oder man durch einen Denunzianten gemeldet werde – einschließlich von Meldungen, welche durch finanziellen Profit oder persönlichen Groll motiviert seien.

131

Indessen lässt auch der Umstand, dass die syrische Regierung im Inland tatsächliche und vermeintliche Regimegegner und Oppositionelle massiv und in menschenrechtswidriger Weise unterdrückt, keinen hinreichend tragfähigen Schluss auf eine beachtlich wahrscheinliche politische Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG von aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrenden Bürgerkriegsflüchtlingen allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und einem längeren Auslandsaufenthalt zu.

132

Insoweit spricht nämlich – wie bereits hinsichtlich der Eskalation der innenpolitischen Situation bis hin zum Bürgerkrieg festgestellt – ebenfalls die Lebenserfahrung dafür, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg in das Ausland geflohen sind, auch in den Augen der syrischen Machthaber in aller Regel keine Bedrohung des Regimes darstellen, sondern dem Konflikt vielmehr gerade aus dem Weg gegangen sind.

133

bb. Dem Kläger droht im Falle seiner unterstellten Rückkehr nach Syrien auch nicht aus sonstigen Gründen beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

134

(1) Dies gilt zum einen in Bezug auf eine mögliche Wehrdienstentziehung, welche der 1993 geborene Kläger – ebenso wie sein Bruder – begangen haben könnte, indem er Syrien ohne die für alle männlichen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis 42 Jahren erforderliche Ausreisegenehmigung (vgl. hierzu Auskunft des Deutschen Orient-Institutes an das OVG Schleswig-Holstein vom 8. November 2016 – 3 LB 17/16 –) verlassen hat.

135

(a) In Syrien besteht für männliche Staatsangehörige eine Militärdienstpflicht. Die Registrierung für den Militärdienst erfolgt im Alter von 18 Jahren; die Wehrpflicht dauert bis zum Alter von 42 Jahren (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, vom 30. Juli 2014, Seite 1,

136

https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/syrien-rekrutierung-durch-die-syrische-armee.pdf).

137

Die Möglichkeit eines Ersatzdienstes besteht nicht. Wehrdienstverweigerung wird nach dem Military Penal Code geahndet. Nach Artikel 68 wird mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft, wer sich der Einberufung entzieht. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlässt und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion sieht Artikel 101 fünf Jahre Haft vor bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre; Desertion im Angesicht des Feindes wird gemäß Artikel 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, vom 30. Juli 2014, a. a. O., Seite 3)

138

(b) Danach bestünde für den Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien zwar die Gefahr, wegen Wehrdienstentziehung bestraft und zwangsweise von der syrischen Armee eingezogen zu werden. Dabei könnte es sich – was hier letztlich keiner abschließenden Klärung bedarf – angesichts dessen, dass der Militärdienst in der syrischen Armee möglicherweise Verbrechen oder Handlungen im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde, auch um eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG handeln.

139

Es bestehen jedoch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die dem Kläger drohenden Maßnahmen aus einem der in § 3 AsylG genannten Gründe – konkret: wegen einer als der Wehrdienstentziehung zugrunde liegend vermuteten politischen Opposition zum Regime – ergehen würden.

140

Was die drohende Heranziehung zum Wehrdienst angeht, fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten für eine entsprechende Selektion anhand der in § 3 AsylG genannten Kriterien; vielmehr rekrutiert die syrische Armee prinzipiell alle Männer unabhängig vom ethnischen und religiösen Hintergrund (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, Seite 2,

141

https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150328-syr-mobilisierung.pdf).

142

Eine mögliche Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung kann zwar vom Grundsatz her auch politische Verfolgung sein, da es für den Flüchtlingsschutz nicht allein darauf ankommen kann, mit welchen Mitteln der Staat vorgeht, sondern vielmehr entscheidend ist, welches Ziel hinter seinen Maßnahmen steht (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1983 – 9 C 36/83 –, BVerwGE 67, 184, juris). Von einer derartigen politischen Motiviertheit wäre dann auszugehen, wenn dem Kläger wegen seiner Wehrdienstentziehung in Syrien beachtlich wahrscheinlich eine an seine politische Überzeugung anknüpfende härtere Bestrafung als sonst üblich – ein sogenannter Politmalus (BVerfG, Beschluss vom 29. April 2009 – 2 BvR 78/08 –, juris, m. w. N.) – drohen würde. Hierfür liegen indessen keine zureichenden Anhaltspunkte vor.

143

Das syrische Regime hat bereits seit Beginn des Bürgerkrieges die Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten intensiviert. Seit Herbst 2014 kommt es angesichts einer erheblichen Dezimierung der syrischen Armee durch Desertion und Verluste in großem Umfang zur Mobilisierung von Reservisten sowie zur Verhaftung von Deserteuren und Männern, die sich bislang dem Wehrdienst entzogen haben (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, a. a. O., Seite 1 ff.; Washington Post, Desperate for soldiers, Assad’s government imposes harsh recruitment measures, 28. Dezember 2014,

144

www.washingtonpost.com/world/middle_east/desperate-forsoldiers-assads-government-imposes-harsh-recruitment-measures/2014/12/28/62f99194-6d1d-4bd6-a862-b3ab46c6b33b_story.html.

145

vgl. auch etwa – zur Verweigerung der Entlassung in der Armee dienender Wehrpflichtiger – ntv: „Verlangen unsere Entlassung“ – In Assads Armee wächst der Unmut, vom 24. November 2015,

146

http://www.n-tv.de/politik/In-Assads-Armee-waechst-der-Unmut-article16418356.html).

147

Deserteure und Personen, die sich dem Militärdienst entzogen haben, werden inhaftiert und verurteilt. In der Haft kommt es zu Folter, und Menschenrechtsorganisationen berichten über Exekutionen von Deserteuren. Einige der Verhafteten werden vom Militärgericht zu Haftstrafen verurteilt, bevor sie eingezogen werden, andere werden verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt (Schweizer Flüchtlingshilfe, Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, a. a. O., Seite 1 ff.).

148

Im Juli 2015 hat der syrische Staatspräsident Assad als weitere Maßnahme zur personellen Verstärkung der syrischen Armee eine Generalamnestie für Deserteure und Wehrdienstverweigerer erlassen. Ins Ausland geflohene Soldaten hatten sich dazu binnen zwei Monaten bei den Behörden zu melden, Deserteure, die sich in Syrien aufhalten, innerhalb eines Monats. Eine Frist für Wehrdienstverweigerer wurde nicht genannt (Zeit online vom 26. Juli 2015: Assad gehen die Soldaten aus,

149

http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-07/syrien-baschar-al-assad-buergerkrieg-armee-unterstuetzung).

150

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände bestehen letztlich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass Personen, die sich während des Bürgerkrieges dem Wehrdienst entweder in Syrien selbst oder durch Flucht ins Ausland entzogen haben, bei ihrer Ergreifung allein aufgrund dieser Wehrdienstentziehung beachtlich wahrscheinlich eine regimegegnerische Haltung unterstellt würde und sie aus diesem Grunde eine über die gesetzlich vorgesehene Bestrafung für Wehrdienstentzug hinausgehende Verfolgung zu befürchten hätten.

151

Die üblicherweise drohende Verhaftung als solche bewegt sich im Rahmen der nach dem Military Penal Code vorgesehenen Strafandrohung.

152

Dass es in der Haft der Berichterstattung der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 28. März 2015 zufolge auch zu Folter kommt, stellt zwar für die hiervon Betroffenen eine Verfolgungsmaßnahme im Sinne des § 3 AsylG dar. Es fehlt jedoch an zureichenden Anhaltspunkten dafür, dass diese wegen eines der in § 3 AsylG genannten Merkmale – konkret: der politischen Überzeugung des Betroffenen –erfolgt. Zwar kann es sich bereits bei der Folter als solcher um ein Indiz für den politischen Charakter der Maßnahme handeln. Allerdings bedarf es insoweit regelmäßig der Heranziehung weiterer objektiver Kriterien, die einen Rückschluss auf die subjektive Verfolgungsmotivation gestatten. Derartige objektive Kriterien sind vor allem die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Heimatstaat des Betroffenen, insbesondere die Eigenart des Staats, sein möglicherweise totalitärer Charakter, die Radikalität seiner Ziele und die zu seiner Verwirklichung eingesetzten Mittel, das Maß an geforderter und durchgesetzter Unterwerfung des einzelnen und die Behandlung von Minderheiten. Maßgeblich ist stets, ob der Staat seine Bürger in den genannten persönlichen Merkmalen zu disziplinieren, sie ihretwegen niederzuhalten oder im schlimmsten Fall zu vernichten sucht oder ob er lediglich seine Herrschaftsstruktur aufrechterhalten will und dabei die Überzeugungen seiner Staatsbürger unbehelligt lässt. Die Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System seiner Bevölkerung auferlegt, vermögen für sich allein eine politische Verfolgung nicht zu begründen (vgl. zum Ganzen Urteil vom 17. Mai 1983 – 9 C 36/83 –, BVerwGE 67, 195 m. w. N.).

153

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist vorliegend nichts hinreichendes dafür ersichtlich, dass die berichtete Folter im Falle der Wehrdienstentziehung – welche für sich genommen bereits zu einer Schutzberechtigung gemäß § 4 AsylG führt – gerade aus einem der besonderen Gründe des § 3 AsylG geschähe.

154

Syrien verfügt zwar über eine formal rechtsstaatliche Verfassung, ist aber aufgrund des seit 1963 bestehenden Ausnahmezustandes in der Praxis bereits seit Jahrzehnten ein von Sicherheitsapparaten und Militär geprägtes autoritäres Regime. Die Sicherheitsdienste waren schon vor Beginn der Unruhen im Jahre 2011 und des nachfolgenden Bürgerkrieges weder parlamentarischen noch gerichtlichen Kontrollmechanismen unterworfen und verantwortlich für willkürliche Verhaftungen, Folter und Isolationshaft. Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste wenden systematisch Gewalt an. Möglichkeiten einer effektiven strafrechtlichen Verfolgung von Folter und anderen kriminellen Handlungen durch Sicherheitskräfte bestehen nicht; Personen, die sich über die Behandlung durch Sicherheitskräfte beschweren, laufen vielmehr Gefahr, dafür strafrechtlich belangt zu werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27. September 2010). Angesichts der sonach in Syrien generell herrschenden Brutalität und Willkür von Sicherheits- und Justizvollzugsorganen stellt die Anwendung von Folter als solche jedenfalls kein gewichtiges Indiz für die politische Motiviertheit einer Verfolgung wegen Wehrdienstentziehung dar.

155

Die Fälle von Exekutionen während der Haft, über die die Schweizer Flüchtlingshilfe (a. a. O.) berichtet, beziehen sich auf Deserteure. In Bezug auf diesen Personenkreis handelt es sich durchaus um einen deutlichen Anhaltspunkt für eine über die bloße Strafverfolgung hinausgehende Gerichtetheit. Für diejenigen, die sich lediglich einer Einberufung entzogen haben – wofür ja auch bereits das Gesetz eine wesentliche mildere Strafe als für Desertion vorsieht – ergibt sich insoweit hingegen ebenfalls kein gewichtiges Indiz für einen Politmalus.

156

Gegen die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Falle bloßer Wehrdienstentziehung spricht überdies das erhebliche Mobilisierungsinteresse der syrischen Armee. Bei insgesamt fast 5 Millionen Flüchtlingen, die Syrien verlassen haben, dürften sich angesichts des hohen Anteils von Männern im Allgemeinen und jungen Männern im Besonderen (FAZ net, Das sind Deutschlands Flüchtlinge, vom 21. Oktober 2015

157

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/deutschlands-fluechtlinge-in-grafiken-13867210.html)

158

bereits nach der Lebenserfahrung Hunderttausende junger Männer befinden, die noch nicht einberufen worden sind. Jedenfalls hinsichtlich dieses Personenkreises dürfte es dem syrischen Staat vor allem darum gehen, die Betroffenen schnellstmöglich seiner notleidenden Armee zuzuführen. In diese Richtung deutet bereits der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 28. März 2015 (a. a. O.), wonach zwar einige der Verhafteten zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen, andere indessen lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt werden. Hinzu kommt die im Juli 2015 erlassene Generalamnestie, welche über Wehrdienstverweigerer hinaus sogar auch Deserteure erfasst hat.

159

Im Übrigen ist den syrischen Machthabern, wie schon dargelegt, bekannt, dass die Flucht aus Syrien – und damit auch die Flucht vor der Einberufung durch die Armee – in aller Regel nicht durch politische Gegnerschaft zum syrischen Staat motiviert ist, sondern durch Angst vor dem Krieg.

160

(2) Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Klägers aus einem der Gründe des § 3 AsylG ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass er eigenen Angaben zufolge vor seiner Ausreise in derProvinz Homs gelebt hat.

161

Zwar erfasst der UNHCR (Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung, November 2015, Seite 25 f.,

162

https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1455006006_syr-112015.pdf)

163

im Rahmen der von ihm als das Erfordernis internationalen Flüchtlingsschutzes indizierend erstellten Risikoprofile auch Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben. Hierzu führt er erläuternd aus (Seite 12 f.):

164

„Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist.“

165

Vorliegend kann indessen letztlich dahinstehen, ob die Stadt A... oder der Bauernhof der Familie des Klägers, auf den sich diese den Angaben des Klägers (vgl. Anhörungsprotokoll vom 5. April 2016, Seite 35 ff, 38 der Verwaltungsakte) zufolge zurückgezogen hat, um den Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, in einer vermeintlich regierungsfeindlichen Zone im obigen Sinne gelegen sind.

166

Selbst in diesem Falle wäre zwar unter Zugrundelegung der UNHCR-Erwägungen die Herkunft des Klägers aus einem bestimmten Gebiet in den Augen der syrischen Sicherheitskräfte möglicherweise ein gewisser Anhaltspunkt für eine oppositionelle Einstellung.

167

Letztlich spricht indessen aber auch insoweit die Lebenserfahrung dafür, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg in das Ausland geflohen sind, auch in den Augen der syrischen Machthaber in aller Regel keine Bedrohung des Regimes darstellen, sondern dem Konflikt vielmehr gerade aus dem Weg gegangen sind.

168

cc. Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus einer umfassenden Gesamtwürdigung aller vorliegend möglicherweise eine Verfolgungsgefahr begründenden Umstände.

169

Auch dann, wenn man die illegale Ausreise, die Asylantragstellung, den längerfristigen Auslandsaufenthalt, die Wehrdienstentziehung des Klägers und seines Bruders sowie die regionale Herkunft des Klägers aus der Perspektive des syrischen Staates als möglichem Verfolger gleichzeitig wertend in den Blick nimmt, so erscheinen dessen Interessen letztlich allein insoweit berührt, als der Kläger zum einen selbst als Oppositioneller eine Gefahr für das Regime darstellen könnte und zum anderen durch seine Wehrdienstentziehung dazu beigetragen hat, die Schlagkraft der syrischen Armee gegen ihre übrigen Gegner zu beeinträchtigen.

170

Da indessen wie bereits dargestellt die Lebenserfahrung auch aus Sicht der syrischen Behörden dafür spricht, dass der Kläger kein dem Regime möglicherweise gefährlicher Oppositioneller ist, sondern dem Konflikt durch seine Ausreise gerade hat aus dem Wege gehen wollen, fehlt es insoweit bei umfassender Abwägung an ausreichenden Anhaltspunkten jedenfalls für eine Überzeugungsbildung durch den Senat dahingehend, dass dem Kläger bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien beachtlich wahrscheinlich Verfolgungsmaßnahmen wegen seiner politischen Überzeugung drohen. Diese Einschätzung vermögen auch nicht die dem Kläger möglicherweise wegen Wehrdienstentziehung drohenden Sanktionen zu ändern. Das Sanktionsinteresse des syrischen Regimes dürfte zumindest gegenüber denjenigen, die nicht aus der Armee desertiert sind, sondern sich lediglich dem Wehrdienst entzogen haben, hinter dem Interesse an der dringend benötigten Verstärkung der Armee durch Rekrutierung neuer Soldaten zurückbleiben. Insoweit könnte dem Kläger im Falle seiner fiktiven Rückkehr nach Syrien zwar möglicherweise eine strafrechtliche Sanktion und wohl auch beachtlich wahrscheinlich eine Einberufung drohen; in Bezug auf eine politisch motivierte weitergehende Verfolgung fehlt es jedoch ebenfalls an Anhaltspunkten, welche die Prognose einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit tragen könnten.

171

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 83b AsylG; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr.10 ZPO.

172

Gründe, aus denen gemäß § 132 Abs. 2 VwGO die Revision zuzulassen wäre, liegen nicht vor. Bei der Frage, ob abgelehnten Asylbewerbern im Falle einer Rückkehr nach Syrien dort bereits allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich Verfolgung wegen einer vermuteten Einstellung gegen das dort herrschende Regime droht, handelt es sich – anders als in dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 2016 (2 BvR 31/14) zugrunde liegenden Fall – um eine Tatsachenfrage, wohingegen die Revision die Überprüfung eines Urteils ausschließlich in rechtlicher Hinsicht zum Gegenstand hat (§ 137 Abs. 1 und 2 VwGO).

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.

2

Der 1972 geborene Kläger wurde im November 2004 in M. aufgegriffen und beantragte daraufhin Asyl. Zur Begründung gab der Kläger an, er habe sich am bewaffneten Kampf der PKK beteiligt. Im Juni 1991 sei er festgenommen und einen Monat lang von türkischen Sicherheitskräften unter Folter verhört worden. Nach seiner Verurteilung zu zwölfeinhalb Jahren Haft sei er bis Dezember 2000 weiter im Gefängnis gewesen und dann vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Anschließend habe er sich erneut der PKK angeschlossen. Später habe er an deren politischer Linie gezweifelt und sich im Juli 2004 von der PKK getrennt. In der Türkei sei sein Leben trotz des Reuegesetzes gefährdet gewesen, da er keinen Wehrdienst abgeleistet und deswegen gesucht worden sei. Zudem hätten die Sicherheitskräfte erfahren, dass er sich nach seiner Entlassung aus der Haft wieder der PKK angeschlossen habe.

3

Der Kläger hat dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) unter anderem die Kopie eines Urteils des Staatssicherheitsgerichts D. vom 24. Januar 1992 übergeben, wonach er u.a. wegen "Mitgliedschaft in der illegalen Organisation PKK" gemäß § 168/2 tStGB zu einer Haftstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist. Das Auswärtige Amt bestätigte die Echtheit der Urkunden und teilte mit, dass nach dem Kläger in der Türkei wegen Mitgliedschaft in der PKK gefahndet werde. Sein Bruder habe ausgesagt, dass der Kläger sich nach der Entlassung aus der Strafhaft wieder der PKK angeschlossen habe. Außerdem sei bekannt, dass er sich in einem Ausbildungscamp im Iran aufgehalten habe. Würde er wegen Mitgliedschaft in der PKK zu einer Haftstrafe verurteilt, würde zusätzlich die auf Bewährung ausgesetzte Reststrafe vollstreckt werden.

4

Mit Bescheid vom 28. Juli 2005 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Der Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG offensichtlich unbegründet, da der Kläger eine schwere nichtpolitische Straftat begangen und den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt habe. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.

5

Im Klageverfahren hat der Kläger seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter nicht weiter verfolgt. Mit Urteil vom 22. November 2005 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Flüchtlingsanerkennung des Klägers verpflichtet. Im Berufungsverfahren hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt, der Kläger sei im Bundesgebiet für die Nachfolgeorganisation der PKK, den KONGRA-GEL aktiv und habe im Januar 2005 an einer Aktivistenversammlung in N. teilgenommen. Er habe im Jahr 2006 als Leiter des KONGRA-GEL in Offenbach fungiert und ab diesem Zeitpunkt eine Kontrollfunktion innerhalb des KONGRA-GEL in A. ausgeübt. Der Kläger hat das bestritten.

6

Mit Urteil vom 21. Oktober 2008 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger nach Rückkehr in die Türkei gemäß § 314 Abs. 2 tStGB 2005 zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests widerrufen würde. Auch wenn dies politische Verfolgung darstellen sollte, stünde § 3 Abs. 2 AsylVfG der Flüchtlingsanerkennung entgegen. Die terroristischen Taten der PKK seien als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen, stellten schwere nichtpolitische Straftaten dar und stünden in Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Der Kläger habe sich daran zumindest "in sonstiger Weise" beteiligt. Selbst wenn für das Vorliegen von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG von dem Ausländer weiterhin eine Gefahr ausgehen müsse, sei das beim Kläger der Fall. Denn er habe sich weder äußerlich von der PKK abgewandt noch innerlich von seiner früheren Verstrickung in den Terror gelöst. Dahinstehen könne, ob § 3 Abs. 2 AsylVfG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetze, denn der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung bedeute keine unbillige Härte für den Kläger.

7

Abschiebungshindernisse lägen nicht vor. Die Todesstrafe sei in der Türkei vollständig abgeschafft. Wegen der dem Kläger in der Türkei drohenden langjährigen Haftstrafe sei ausgeschlossen, dass er im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG einer erheblichen individuellen Gefahr ausgesetzt sei. Ein Abschiebungsverbot ergebe sich auch nicht aus § 60 Abs. 2 AufenthG und § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Zwar greife zugunsten des Klägers, der im Anschluss an seine Festnahme im Juni 1991 Folter erlitten habe, die Beweiserleichterung des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Dennoch sprächen aufgrund der Angaben des Auswärtigen Amtes sowie türkischer Menschenrechtsorganisationen stichhaltige Gründe dagegen, dass er bis zum Abschluss des Strafverfahrens Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten habe. Misshandlungen durch türkische Sicherheitskräfte lägen ganz überwiegend Fälle zugrunde, in denen sich der Betroffene nicht offiziell in Gewahrsam befunden habe; das wäre beim Kläger jedoch der Fall. Angesichts bereits vorhandener Beweise bestünde auch keine Notwendigkeit, durch Folter ein Geständnis zu erzwingen. Schließlich lebten in seiner Heimat zahlreiche Personen, die sich seiner annehmen und ihm bereits bei seiner Ankunft anwaltlichen Beistand verschaffen könnten. Zudem würden die PKK oder andere prokurdische Organisationen das Schicksal des Klägers verfolgen und etwaige Übergriffe auf seine Person publik machen. Ein Schutz durch "Herstellen von Öffentlichkeit" lasse sich zwar nicht während der gesamten Dauer der Strafhaft gewährleisten. Aber auch für diese Zeitspanne sprächen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger, der in einem Gefängnis des Typs F untergebracht würde, Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein würde, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen könnten. Dahinstehen könne, ob das auch für unter dieser Schwelle liegende Maßnahmen gelte, denn derartige Umstände stünden einer Abschiebung des Klägers in die Türkei als Unterzeichnerstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 3 EMRK stehe bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat dessen eigene Verantwortung für die Einhaltung der Konventionsrechte im Vordergrund. Eine Mitverantwortung des abschiebenden Landes bestehe nur, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohten und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht rechtzeitig zu erreichen sei. Diese Voraussetzungen lägen angesichts der Verhältnisse in der Türkei nicht vor. Da sich Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG an Art. 3 EMRK orientiere, beanspruchten diese Grundsätze auch im Rahmen des § 60 Abs. 2 AufenthG Geltung. Stünden im Herkunftsland ausreichende und effektive Möglichkeiten zur Abwehr drohender Gefahren zur Verfügung, benötige der Betreffende keinen internationalen Schutz. Auch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG greife nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision - beschränkt auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 2 AufenthG - zugelassen.

8

Mit der Revision rügt der Kläger vor allem eine Verletzung des § 60 Abs. 2 AufenthG. Das Berufungsgericht habe im Rahmen seiner Beweiswürdigung die Quellen selektiv ausgewertet und zu Lasten des Klägers ohne Aufklärung unterstellt, dass seine Familie einen Rechtsanwalt besorgen könne und die Nachfolgeorganisationen der PKK für ihn Öffentlichkeitsarbeit machen würden. Angesichts der umfassenden Geltung des Art. 3 EMRK reiche die Erkenntnislage nicht aus, um ein Abschiebungshindernis auszuschließen. Insofern werde auch eine Gehörsverletzung gerügt, denn wenn das Gericht zu erkennen gegeben hätte, dass es aus tatsächlichen Gründen für den Kläger keine Gefahr einer Misshandlung sehe, hätte der Kläger dazu weiter vorgetragen und Beweisanträge gestellt. Schließlich sei die Auslegung der in Art. 17 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Ausschlussgründe ungeklärt.

9

Innerhalb der bis einschließlich 4. Juni 2009 verlängerten Revisionsbegründungsfrist ist der Begründungsschriftsatz nicht vollständig per Fax eingegangen. Die Bevollmächtigte des Klägers hat Wiedereinsetzung beantragt und zur Begründung Probleme bei der Faxübertragung geltend gemacht.

10

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen des Berufungsgerichts seien einer Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen. Nicht ersichtlich sei, warum der Kläger angesichts der tatsächlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht den Schutz seines Heimatlandes durch Anrufung türkischer Gerichte bzw. eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Anspruch nehmen könne.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision hat Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), da er bei der Prüfung des in § 60 Abs. 2 AufenthG enthaltenen Abschiebungsverbots diejenigen erniedrigenden Behandlungsmaßnahmen übergangen hat, die keine irreparablen oder sonst schweren körperlichen und seelischen Folgen hinterlassen. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder in positiver noch in negativer Hinsicht abschließend selbst entscheiden. Daher ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

1. Die Revision ist zulässig. Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren, da seine Prozessbevollmächtigte ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Diese durfte nach mehreren nur teilweise erfolgreichen Versuchen einer Faxübertragung infolge der fernmündlich erteilten unrichtigen Auskunft des Gerichtspförtners, es seien alle Seiten angekommen, davon ausgehen, dass der Revisionsbegründungsschriftsatz innerhalb der Frist vollständig eingegangen sei.

13

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die unionsrechtlich vorgezeichneten Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG. Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Beschränkung der Revisionszulassung auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen Streitgegenstand bzw. selbständigen Streitgegenstandsteil (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 ). Die Revisionszulassung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (vgl. Urteil vom 1. April 1976 - BVerwG 2 C 39.73 - BVerwGE 50, 292 <295>; BGH, Urteil vom 21. September 2006 - I ZR 2/04 - NJW-RR 2007, 182 <183>).

14

Für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens, das auf Feststellung der Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zielt, ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz am 15. Oktober 2008 abzustellen. Deshalb sind die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) von Bedeutung, die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten und die Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - berücksichtigen.

15

3. Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz ergänzten Abschiebungsverbot, das bereits in § 53 Abs. 1 AuslG 1990 und § 53 Abs. 4 AuslG 1990 i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685 - EMRK) enthalten war, wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 EMRK orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM(2001) 510 endgültig S. 6, 30).

16

Die Vorschriften zum subsidiären Schutz sind im Aufenthaltsgesetz insoweit "überschießend" umgesetzt worden, als die in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Varianten des ernsthaften Schadens in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet worden sind. Denn die in Art. 17 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe greifen nach nationalem Recht gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erst auf einer nachgelagerten Ebene als Versagungsgründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Daher kommt es entgegen der Annahme der Revision auf die Interpretation der Ausschlussgründe gemäß Art. 17 der Richtlinie im vorliegenden Fall nicht an.

17

Bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG ist der während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83 S. 389 - GR-Charta) als verbindlicher Teil des primären Unionsrechts (Art. 6 Abs. 1 EUV) zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Die Vorschrift gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch diese Bestimmung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen.

18

a) Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Prüfung des § 60 Abs. 2 AufenthG in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der Kläger vor seiner Ausreise in der Türkei gefoltert worden ist. Dennoch hat das Berufungsgericht seiner Prognose den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und nicht den sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab hinreichender Sicherheit zugrunde gelegt. Es hat aber zugunsten des Klägers die in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltene Beweiserleichterung angewendet (UA Rn. 90). Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

19

Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

20

Diese Vorschrift greift sowohl bei der Entscheidung über die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für einen Vorverfolgten (bzw. von Verfolgung unmittelbar Bedrohten) als auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes zugunsten desjenigen, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war. In beiden Varianten des internationalen Schutzes privilegiert sie den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Das ergibt sich neben dem Wortlaut auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Denn die Bundesrepublik Deutschland konnte sich mit ihrem Vorschlag, zwischen den unterschiedlichen Prognosemaßstäben der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der hinreichenden Sicherheit zu differenzieren, nicht durchsetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Asyl" vom 25. September 2002, Ratsdokument 12199/02 S. 8 f.). Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind.

21

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 - BVerfGE 54, 341 <360 f.>; dem folgend Urteil vom 31. März 1981 - BVerwG 9 C 237.80 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; stRspr). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 <101 ff.>), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (Urteil vom 27. April 1982 - BVerwG 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 <252>). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - a.a.O. S. 99). Diese zum Asylgrundrecht entwickelte Rechtsprechung (zusammenfassend Urteile vom 25. September 1984 - BVerwG 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169 <170 f.> und vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.>) wurde auf den Flüchtlingsschutz (Abschiebungsschutz aus politischen Gründen) gemäß § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (Urteil vom 3. November 1992 - BVerwG 9 C 21.92 - BVerwGE 91, 150 <154 f.>), nicht jedoch auf die Abschiebungsverbote des § 53 AuslG 1990 übertragen (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <330> zu § 53 Abs. 6 AuslG und vom 4. Juni 1996 - BVerwG 9 C 134.95 - InfAuslR 1996, 289 zu § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK).

22

Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Zum einen wird ihr Anwendungsbereich über den Flüchtlingsschutz hinaus auf alle Tatbestände des unionsrechtlich geregelten subsidiären Schutzes ausgeweitet. Sie erfasst demzufolge auch das im vorliegenden Fall zu prüfende Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG. Zum anderen bleibt der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 84 ff. zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung). Der in dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 stRspr).

23

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. Rn. 128 m.w.N.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung (mehr).

24

b) Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger während der Strafhaft erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein wird, den Maßstab des § 60 Abs. 2 AufenthG auf diejenigen tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen verengt, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen können, zur Verursachung bleibender Schäden geeignet oder aus sonstigen Gründen als gravierend anzusehen sind (UA Rn. 106). Erniedrigende Behandlungsmaßnahmen im Sinne des Art. 3 EMRK, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen, hat es bei der Prognoseerstellung ausdrücklich nicht geprüft (UA Rn. 111). Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof die eigene Verantwortung der Türkei als Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention betont und daraus gefolgert, dass sich der Kläger darauf verweisen lassen müsse, seine Rechte gegen diese Arten von Konventionsverletzungen in der Türkei und von der Türkei aus selbst zu verfolgen (UA Rn. 112). Diese Annahme verletzt Bundesrecht.

25

Die Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG hat sich nach den unionsrechtlichen Vorgaben - wie oben bereits ausgeführt - an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zu orientieren. Dieser betont in seinen Entscheidungen zur Verantwortlichkeit eines Vertragsstaates für die mittelbaren Folgen einer Abschiebung, wenn dem Betroffenen im Zielstaat Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, immer wieder den absoluten und ausnahmslosen Schutz des Art. 3 EMRK (EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering - NJW 1990, 2183 ; vom 15. November 1996 - Nr. 70/1995/576/662, Chahal - NVwZ 1997, 1093 und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. ). Damit erweist es sich als unvereinbar, den Schutzbereich des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG zu verengen, und bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat der Konvention erniedrigende Behandlungsmaßnahmen von vornherein auszunehmen, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen. Sonst käme Rechtsschutz durch türkische Gerichte oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu spät und könnte eine bereits eingetretene Rechtsverletzung nicht ungeschehen machen. Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG gilt mithin uneingeschränkt auch bei der Abschiebung in einen Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention.

26

Der Verwaltungsgerichtshof beruft sich für seine Auffassung zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 (nunmehr: § 60 Abs. 5 AufenthG) i.V.m. Art. 3 EMRK. Der damals für die Feststellung von Abschiebungshindernissen durch das Bundesamt zuständige 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat entschieden, dass eine Mitverantwortung des abschiebenden Vertragsstaates, den menschenrechtlichen Mindeststandard in einem anderen Signatarstaat als Zielstaat der Abschiebung zu wahren, nur dann besteht, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (Urteil vom 7. Dezember 2004 - BVerwG 1 C 14.04 - BVerwGE 122, 271 <277>). Dieser Rechtssatz schränkt jedoch nicht den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ein. Vielmehr werden - insbesondere mit Blick auf die von dem damaligen Kläger angeführten Haftbedingungen in der Türkei - nur Maßnahmen erfasst, die erst durch Zeitablauf oder Wiederholung in den Tatbestand einer erniedrigenden Behandlung und damit den Schutzbereich des Art. 3 EMRK hineinwachsen. Nur in derartigen Fällen kann der Betroffene auf Rechtsschutz im Abschiebezielstaat oder durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verwiesen werden.

27

4. Das Berufungsgericht hat die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG geprüft und aus tatsächlichen Gründen abgelehnt (UA Rn. 86 f.). Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.

28

5. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder zugunsten noch zulasten des Klägers abschließend entscheiden. Die Sache ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Damit bedarf es keiner Entscheidung über die Gehörsrüge. Der Senat bemerkt aber dazu, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht gegen das Verbot einer Überraschungsentscheidung verstoßen hat. Denn grundsätzlich ist ein Gericht nicht verpflichtet, die abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern (Beschlüsse vom 21. Januar 2000 - BVerwG 9 B 614.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 46 und vom 26. November 2001 - BVerwG 1 B 347.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52; stRspr). Etwas anderes gilt nur dann, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. Urteil vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235). Dafür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich, da der Kläger selbst in der Berufungsbegründung zur Gefahr der Folter in der Türkei vorgetragen hatte.

29

Der Verwaltungsgerichtshof wird in dem neuen Berufungsverfahren die Prognose, ob die konkrete Gefahr besteht, dass der Kläger in der Türkei der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen wird, auf aktueller tatsächlicher Grundlage erneut stellen müssen. Dabei besteht auch Gelegenheit, dem Vorbringen des Klägers weiter nachzugehen, dass die ihn belastende Aussage seines Bruders die Gefahr von Folter nicht ausschließe. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände im Rahmen der tatsächlichen Feststellung, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG widerlegt ist, kann das Berufungsgericht auch der Tatsache Bedeutung beimessen, dass die Türkei als Abschiebezielstaat ein Vertragsstaat der Konvention ist, der sich verpflichtet hat, die darin garantierten Rechte und Grundsätze zu achten. Die Berücksichtigung dieses Umstands im Rahmen der Prognose entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (Entscheidungen vom 7. Oktober 2004 - Nr. 33743/03, Dragan - NVwZ 2005, 1043 <1045> und vom 15. Dezember 2009 - Nr. 43212/05, Kaplan - ) und ist durch Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG mit dem darin enthaltenen Kriterium ausreichender Schutzgewährleistung abgedeckt.

Gründe

1

Die auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat Erfolg. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils an das Berufungsgericht zurück.

2

Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht seiner Begründungspflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Frage einer fortbestehenden Verfolgungsgefahr des Klägers in Tschetschenien und dem Fehlen einer zumutbaren internen Fluchtalternative in anderen Teilen der Russischen Föderation nicht in der gebotenen Weise nachgekommen ist. Hierzu macht sie geltend, das Berufungsgericht habe sich in den Entscheidungsgründen nicht mit der abweichenden Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte auseinandergesetzt, auf die sich der am Verfahren beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten ausdrücklich berufen habe. Dieser hat im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 6. April 2011 unter Bezugnahme auf im Einzelnen nach Aktenzeichen und Entscheidungsdatum spezifizierte Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte darauf hingewiesen, dass Tschetschenen bei einer Rückkehr nach Tschetschenien hinreichend sicher seien bzw. im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG stichhaltige Gründe dagegen sprächen, dass ihnen Verfolgung oder sonstiger ernsthafter Schaden drohe, soweit sie keine besonderen Gefährdungsfaktoren aufwiesen. Außerdem hat er geltend gemacht, dass Tschetschenen nach allgemeiner Spruchpraxis selbst bei Annahme einer weiter andauernden Verfolgungsgefahr in Tschetschenien zumindest eine inländische Ausweichmöglichkeit bzw. im Sinne von Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG interner Schutz in den übrigen Gebieten der Russischen Föderation zustehe.

3

Mit den in diesen obergerichtlichen Entscheidungen vertretenen Auffassungen setzt sich das Berufungsgericht inhaltlich nicht auseinander. Es erwähnt in seiner Entscheidung zwar eine der vom Bundesbeauftragten angeführten Entscheidungen als Beleg für eine von seiner eigenen Einschätzung abweichende Auffassung zur aktuellen Lage in Tschetschenien, ohne jedoch weiter auf das Vorbringen des Bundesbeauftragten einzugehen und sich mit der abweichenden tatsächlichen und rechtlichen Würdigung der anderen Oberverwaltungsgerichte zur Lage in Tschetschenien und dem Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative näher zu befassen. Das lässt angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles nur den Schluss zu, dass es dieses Vorbringen nicht in Erwägung gezogen hat. Das Berufungsgericht führt zur Begründung seiner Entscheidung zwar auch neuere Erkenntnismittel an, die den vom Bundesbeauftragten angeführten Entscheidungen der anderen Oberverwaltungsgerichte nicht vorlagen. Diesen entnimmt das Berufungsgericht aber keine grundlegende Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, sondern verweist ausdrücklich darauf, dass seine aktuelle Lageeinschätzung älteren - von den anderen Oberverwaltungsgerichten bei ihren Entscheidungen mitberücksichtigten - Erkenntnissen entspreche (UA S. 11) und deshalb "weiterhin" für die in Tschetschenien lebenden Personen eine tatsächliche Gefahr bestehe (UA S. 12). Bei dieser Sachlage verletzt das Berufungsgericht mit seiner Entscheidung den Anspruch der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs; darin liegt zugleich ein formeller Begründungsmangel im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO.

4

Zwar ist die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gebotene Auseinandersetzung mit der abweichenden Würdigung verallgemeinerungsfähiger Tatsachen im Asylrechtsstreit durch andere Oberverwaltungsgerichte grundsätzlich Teil der dem materiellen Recht zuzuordnenden Sachverhalts- und Beweiswürdigung, so dass eine fehlende Auseinandersetzung mit abweichender obergerichtlicher Rechtsprechung als solche in aller Regel nicht als Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügt werden kann (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 1. März 2006 - BVerwG 1 B 85.05 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 324 und - BVerwG 1 B 86.05). Etwas anderes muss jedoch dann gelten, wenn sich ein Beteiligter - wie hier - einzelne tatrichterliche Feststellungen eines Oberverwaltungsgerichts als Parteivortrag zu eigen macht und es sich dabei um ein zentrales und entscheidungserhebliches Vorbringen handelt. Geht das Berufungsgericht hierauf in den Urteilsgründen nicht ein und lässt sich auch sonst aus dem gesamten Begründungszusammenhang nicht erkennen, dass und in welcher Weise es diesen Vortrag zur Kenntnis genommen und erwogen hat, liegt in der unterlassenen Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung eines anderen Oberverwaltungsgerichts ausnahmsweise auch ein rügefähiger Verfahrensmangel (vgl. in diesem Sinne schon Beschluss vom 21. Mai 2003 - BVerwG 1 B 298.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 270).

5

Auf diesen Verfahrensmangel kann sich jedenfalls in der vorliegenden prozessualen Konstellation auch die Beklagte berufen. Denn sie ist der Berufung des Klägers entgegengetreten und hat sich damit das in die gleiche Richtung zielende Vorbringen des Beteiligten zumindest konkludent zu eigen gemacht.

6

Wie die Beschwerde zutreffend darlegt, kann die Entscheidung auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Auseinandersetzung mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte zu einer anderen Entscheidung hinsichtlich der vom Bundesbeauftragten angesprochenen Frage der Gefährdung in Tschetschenien und des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative gelangt wäre. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben sich insbesondere keine Anhaltspunkte für ein besonderes Gefährdungspotential des Klägers, bei dessen Vorliegen auch andere Oberverwaltungsgerichte eine Gefährdung bzw. das Fehlen einer inländischen Fluchtalternative annehmen.

7

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht auch zu berücksichtigen haben, dass beim Flüchtlingsschutz allein die Gefahr krimineller Übergriffe ohne Anknüpfung an einen flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgrund keine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG bedeutet. Auch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde.

8

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. April 2014 - A 12 K 2210/13 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der am xx.xx.1983 geborene Kläger ist Staatsangehöriger von Pakistan. Er kam nach seinen Angaben am 08.02.2012 mit dem Schiff in die Bundesrepublik Deutschland und stellte am 27.02.2012 einen Asylantrag. Zur Begründung machte er geltend: Er habe in Pakistan Probleme gehabt, weil er mit Christen in die Kirche gegangen sei und Christ habe werden wollen. Weiter legte er Informationsmaterial und eine Bescheinigung der Gemeinschaft Entschiedener Christen in H. vom 11.05.2013 und eine Bescheinigung von xxx in H. vom 07.05.2013 vor. Wegen weiterer Einzelheiten seines Vorbringens verweist der Senat auf die Niederschrift seiner Anhörung durch das Bundesamt vom 15.05.2013.
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 20.06.2013 den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte die Abschiebung nach Pakistan an.
Am 28.06.2013 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart und berief sich darauf, dass er zwischenzeitlich getauft worden sei. Er legte eine Taufkarte vom 02.06.2013, eine Mitgliedskarte des Bundes Freikirchlicher Pfingstgemeinden vom 28.05.2013, weiteres Informationsmaterial der Gemeinschaft Entschiedener Christen und Informationsmaterial des Immigration and Refugee Board of Canada vom 20.09.2013 vor.
Nach den im Tatbestand des angegriffenen Urteils enthaltenen Feststellungen antwortete der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die Fragen des Gerichts, welche Gründe es für ihn gegeben habe, zum Christentum überzutreten und sich taufen zu lassen: Jesus sei wegen ihrer Sünden vom Kreuz gestiegen. Die Muslime hätten kein Opfer gegeben. Er habe die christliche Religion kennengelernt und wisse jetzt alles. Gott habe sich für sie geopfert. Er selbst sei nicht Christ geworden, weil er sich davon Vorteile versprochen habe. Auf die Frage, welche konkreten Gründe er gehabt habe, nach Deutschland zu kommen, antwortete er: In Pakistan sei er drei- bis viermal in der Kirche gewesen. Die Familie habe das nicht gerne gesehen, auch seine Nachbarn nicht. Seine christlichen Freunde hätten gemeint, er solle lieber in ein christliches Land gehen. Ein christlicher Freund habe einen Schlepper gekannt. Später berichtigte der Kläger: Das Geld sei erst bezahlt worden, nachdem es ihm gelungen sei, nach Deutschland zu kommen. Er habe mit dem Freund Cricket gespielt. Sie seien gemeinsam in die Kirche gegangen. Es habe sich um seine - des Klägers - Ersparnisse gehandelt.
Auf Fragen und Vorhalte seines Prozessbevollmächtigten gab der Kläger weiter an: In Pakistan hätten sie ihm gesagt, er sei jetzt ein Nicht-Gläubiger. Er sei geschlagen und bedroht worden. Sie hätten gesagt, es sei besser, ihn zu töten. Geschlagen worden sei er im achten bzw. neunten Monat des Jahres 2012 (gemeint 2011). Er sei unterwegs zum Gottesdienst gewesen. Sie hätten ihn angehalten und gesagt, sie würden ihn schlagen, ihm Fußtritte geben und ihn umbringen. Einmal sei er geschlagen worden. Deswegen sei er dreimal genäht worden. Er sei zu einem Arzt gegangen, einem Dr. N. in seiner Ortschaft. Seine ganze Familie sei gegen ihn. Er habe keine Verbindung mehr mit der Familie. Zu seiner Taufe führte er aus: Dr. S. habe ihn unterrichtet. Er komme einmal in der Woche am Donnerstagnachmittag. X. sei eine Kirche; es gebe um 18:00 Uhr dort Gottesdienst. Dann tränken sie Tee. Samstags um 11:00 Uhr gebe es einen gemeinsamen Gottesdienst mit allen Personen.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers führte aus, der Kläger sei als Moslem in Pakistan mit der christlichen Gemeinde in Berührung gekommen. Die Kontakte seien über einen Freund hergestellt worden. Er sei vom christlichen Glauben fasziniert gewesen, nachdem er drei- bis viermal in der Kirche gewesen sei. Er habe dann Probleme mit der Familie bekommen. Aus seiner Sicht sei die Situation für ihn in Pakistan gefährlich. Es habe bei ihm schon in Pakistan eine Festlegung auf das Christentum gegeben. Ein Verzicht auf die Religionsausübung sei nicht Gegenstand von Überlegungen gewesen. Er gehöre der Gemeinschaft Entschiedener Christen in H. an und wolle den Glauben mit allen teilen. Er wollte den Glauben auch in Pakistan weiterleben. Die Abwendung vom muslimischen Glauben sei aus der Sicht der Hitzköpfe verwerflich. Es stelle sich die Frage, ob der Staat hinreichende Schritte unternehme, den Kläger ggf. zu schützen. Aus staatlichen Verfolgungsmaßnahmen könne man schließen, dass der Staat nicht Garant für den Schutz sein könne.
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
Mit Urteil vom 10.04.2014 wies das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet ab und führte zur Begründung aus: Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen nicht vor. Der Kläger habe das Gericht nicht davon überzeugen können, dass er das von ihm geschilderte Schicksal tatsächlich erlitten habe. Denn der Vortrag enthalte wesentliche Ungereimtheiten und widerspreche zum Teil erheblich der allgemeinen Lebenserfahrung. So seien schon die Angaben des Klägers, warum er sich dem Christentum zugewandt habe und schließlich habe taufen lassen, ausgesprochen vage. Bei der Anhörung habe er hierzu nur angegeben, in der Cricketmannschaft seien auch Christen gewesen. Mit ihnen sei er zusammen in die Kirche gegangen. Man habe ihm gesagt, Jesus Christus habe den Leuten die Augen gegeben, er habe die Verstorbenen wieder lebendig gemacht. Daraufhin sei sein Glaube an die christliche Religion sehr stark gewesen. In der mündlichen Verhandlung habe er hierzu auch nicht viel mehr gesagt. Auf die Frage, welche Gründe es für ihn gegeben habe, zum Christentum überzutreten und sich taufen zu lassen, habe er gesagt: Jesus sei wegen ihrer Sünden vom Kreuz gestiegen. Die Muslime hätten kein Opfer gegeben. Er habe die christliche Religion kennengelernt und wisse jetzt alles. Gott habe sich für sie geopfert. Er selbst sei nicht Christ geworden, weil er sich davon Vorteile versprochen habe. Auffallend sei dabei gewesen, dass er bei der Anhörung und auch in der mündlichen Verhandlung zuerst angegeben habe, in Pakistan sei er drei- bis viermal in die Kirche gegangen, im weiteren Verlauf der Anhörung habe er dann gesagt, er sei fünfmal in der Kirche gewesen. Bei einer so geringen Anzahl von Kirchenbesuchen sei davon auszugehen, dass man sich an diese Anzahl besser erinnere, zumal wenn sie zu einem so wesentlichen Schritt führe, wie den Übertritt zu einer anderen Religion. Nicht verständlich seien die Angaben des Klägers zu dem Arzt, zu dem er nach seinen Angaben gegangen sei, nachdem er geschlagen worden sei. Hierzu habe er bei der Anhörung durch das Bundesamt angegeben, er habe Dr. S. geheißen, mehr wisse er nicht; er glaube, er sei in der Rxxx Rxxx in Lahore. In der mündlichen Verhandlung habe er dagegen gesagt, es habe sich um einen Dr. N. in seiner Ortschaft gehandelt. Es widerspreche auch jeder Lebenserfahrung, dass der Kläger trotz der Bedeutung seines Schritts weder gewusst habe, wann er angefangen habe, in Pakistan in die christliche Kirche zu gehen, noch wann sich der Vorfall abgespielt habe, bei dem er geschlagen worden sei. Die Angaben bei der Anhörung hierzu seien äußerst vage gewesen, nämlich "irgendwann im Jahr 2011" bzw. "das sei 2011" gewesen. Wenn sich ein so bedeutsames Ereignis tatsächlich abgespielt gehabt hätte, hätte der Kläger in der Lage sein müssen, dies zeitlich erheblich konkreter einzuordnen. Weiter widerspreche es jeglicher Lebenserfahrung, dass jemand nach wenigen Kirchenbesuchen, auch wenn er einmal geschlagen worden sei, von seinen christlichen Freunden den Rat erhalte, sofort in ein christliches Land zu gehen, und dies auch sofort tue. Immerhin seien 1,6 % der pakistanischen Bevölkerung Christen. Auch sei es dem Kläger wirtschaftlich gut gegangen. Bei der Anhörung habe er insoweit angegeben, er habe gut gearbeitet und habe das Geld gespart, das er für die Ausreise ausgegeben habe. Es könne weiter nicht festgestellt werden, dass für den Kläger allein wegen seiner Zugehörigkeit zu den Christen in Pakistan eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe. Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Pakistan deshalb darüber hinausgehend Gefahr drohe, weil er die Religion gewechselt habe und sich dort als Christ betätigen wolle, seien nicht ersichtlich. Auch sei nicht festzustellen, dass dem Kläger Gefahren im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylVfG oder § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG drohten.
Auf den vom Kläger fristgerecht gestellten Antrag ließ der Senat durch Beschluss vom 11.06.2014 die Berufung insoweit zu, als er die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt und lehnte im Übrigen den Antrag ab.
10 
Am 23.06.2014 hat der Kläger die Berufung unter Stellung eines Antrags begründet. Er führt aus: Das Verwaltungsgericht habe sich auf den Standpunkt gestellt, trotz feststellbarer Verfolgungshandlungen gegen Christen und ungeachtet der Frage, ob der pakistanische Staat im Hinblick auf die Verfolgung von Christen durch nichtstaatliche Akteure tatsächlich gänzlich schutzwillig und schutzfähig sei, hätten die Verfolgungsmaßnahmen nicht ein solches Ausmaß erreicht, dass die strengen Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung angenommen werden könnten; es sei keine hinreichende Verfolgungsdichte feststellbar.
11 
Dieser Auffassung könne nicht gefolgt werden. Nach neueren Erkenntnismitteln habe die Bedrohungslage der Christen in Pakistan jüngst eine neue, noch nicht dagewesene Qualität erreicht. Bereits im Juni 2013 habe der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seinem Urteil bezüglich der Ahmadi in Pakistan von einer prekären, durch Marginalisierung und Armut geprägten und sich zunehmend verschlechternden Lage der Christen in Pakistan gesprochen. Diese Lage habe sich weiter verschlechtert. Vor diesem Hintergrund drohe der Gruppe der Christen in Pakistan, die es nach ihrem Glaubensverständnis für sich als identitätsbestimmend ansähen, ihren Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung. Der Schutz religiöser Minderheiten sei in der Verfassung festgeschrieben, auch gebe es Quoten für ihre Vertretung in staatlicher Beschäftigung und politischer Vertretung. Ungeachtet dieser Gesetzeslage seien die als solche erkennbaren Christen in Pakistan aber Diskriminierungen ausgesetzt. Diskriminierungen im wirtschaftlichen Bereich, im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt seien verbreitet. Christliche Gemeinden und Institutionen seien Opfer von Landraub durch muslimische Geschäftsleute. Auch der Besitz von geflohenen christlichen Privatpersonen werde von den muslimischen Anwohnern in Besitz genommen. Diskriminierungen und Übergriffe gingen aber nicht nur von privaten Akteuren aus. Es werde von einem Trend zu entschädigungslosen Beschlagnahmen christlicher Friedhöfe und von dem Abriss einer katholischen Einrichtung in Lahore auf Anweisung der örtlichen Regierung im Januar 2012 berichtet. Insbesondere hätten Christen in Pakistan aber schwer unter dem Blasphemiegesetz zu leiden. Zwar gelte das Blasphemiegesetz dem Wortlaut nach unterschiedslos für alle Pakistani. Religiöse Minderheiten seien jedoch besonders betroffen. Zwar sei ein nach dem Blasphemiegesetz verhängtes Todesurteil noch nie vollstreckt worden, allein der Vorwurf der Blasphemie könne jedoch ausreichen, um die soziale Existenz des Beschuldigten und seiner Nachbarn zu zerstören. Ansätze, die darauf abzielten, einen Missbrauch des Blasphemiegesetzes zu verhindern, seien fehlgeschlagen. Ein beträchtlicher Anteil islamischer Kleriker in Pakistan rufe zu Gewalt und Diskriminierung gegen Christen auf. Sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten sei es üblich, über die Lautsprecher von Moscheen dazu zu mobilisieren, gegen religiöse Minderheiten vorzugehen. Ein Vorwurf gegen ein Mitglied der Minderheit genüge, damit sämtliche Angehörige der Minderheit in der betreffenden Gegend als Schuldige betrachtet würden, die bestraft werden müssten. Die National Commission for Justice and Peace habe 2012 elf gezielte Tötungen an Christen registriert. Die Asian Human Rights Commission schätze die Zahl der christlichen Mädchen, die jedes Jahr entführt, vergewaltigt und zwangskonvertiert würden, auf etwa 700.
12 
Die genannten Vorfälle seien Eingriffe in die Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit der Betroffenen. Sie seien als unmenschliche und erniedrigende Behandlung zu begreifen. Sofern sie die Betroffenen unter Druck setzten, auf die Praktizierung ihres Glaubens zu verzichten oder diese einzuschränken, lägen Eingriffe in die Religionsfreiheit vor. Angesichts der Häufigkeit der Vorfälle in jüngster Zeit und der Vielzahl von Personen, die bei einem einzigen Überfall auf eine Kirche oder ein Viertel betroffen seien, oder etwa bei dem Vorwurf der Blasphemie gegen einen Christen betroffen werden könnten, handele es sich nicht mehr nur um vereinzelte, individuelle Übergriffe oder eine Vielzahl einzelner Übergriffe. Vielmehr sei jeder als solcher erkennbare Christ in Pakistan wegen seiner Religion der aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit, also einem realen Risiko ausgesetzt. In die Würdigung einzustellen seien hierbei nicht allein die Anzahl der wegen Blasphemie erfolgten Anklagen und Verurteilungen und die Summe der von den Gewaltübergriffen durch Privatpersonen betroffenen Opfer, sondern auch die nicht quantifizierbare Zahl an Christen, die Opfer von Diskriminierung im alltäglichen Bereich, etwa bei der Arbeit, würden.
13 
Akteure im Sinne von § 3d Abs. 1 AsylVfG seien in Pakistan nicht willens und in der Lage, Schutz gemäß § 3d Abs. 2 AsylVfG zu bieten. Zahlreiche Quellen berichteten, dass der Staat beim Schutz religiöser Minderheiten vor Angriffen in den verschiedenen Landesteilen versage. Die Polizei sehe bei Übergriffen von Privatpersonen auf Christen lediglich untätig zu und biete keinen Schutz, es werde keine effektive Strafverfolgung der Angreifer betrieben. Es bestehe keine innerstaatliche Fluchtalternative.
14 
Das Verwaltungsgericht habe auch eine nähere Prüfung unterlassen, ob all diese Tatsachen eine systematische, einer Gruppenverfolgung gleichkommende Diskriminierung darstellten. Alle Quellen wiesen auf eine systematische Diskriminierung der Christen hin, die in ihren Folgen einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung gleichkomme.
15 
Was die individuelle Situation des Klägers betreffe, habe das Verwaltungsgericht nicht bezweifelt, dass er im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zur bezeichneten Gruppe der Christen in Pakistan gehöre. Der Kläger habe vorgetragen, dass es nach seinem Glaubensverständnis für ihn identitätsbestimmend sei, seinen Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und ihn in diese zu tragen, und dass ein Verzicht auf die Religionsausübung für ihn auch in Pakistan nicht in Betracht komme, sondern er seinen Glauben mit allen teilen wolle. Das Verwaltungsgericht sei davon ausgegangen, dass der Kläger in Deutschland nach intensivem Taufunterricht die Taufe empfangen habe und am christlichen Leben teilnehme, namentlich durch den Besuch von Gottesdiensten und die Teilnahme an donnerstäglichen Unterweisungen. Zwar seien im pakistanischen Strafgesetzbuch Apostasie, Konversion und Missionierung für Christen nicht unter Strafe gestellt. Der Islam sei jedoch Staatsreligion. Nach islamischem Recht stehe Konversion vom Islam weg unter Todesstrafe. Nach einer im April 2010 in Pakistan durchgeführten Umfrage befürworteten 76 % der Befragten die Todesstrafe für die Abwendung vom Islam. Für Christen, die vom Islam zum Christentum konvertierten und deren Konversion bekannt werde, sei die Situation kritischer als für geborene Christen. In ihrer Familie stießen sie oft auf Unverständnis und würden von ihr bedroht und verstoßen, es werde sogar versucht sie umzubringen, weil der Abfall Schande und Verrat für die ganze Familie sei. Als Konvertierte bekannte Christen seien Opfer schwerer Diskriminierungen, etwa am Arbeitsplatz oder durch Behörden. Dies führe dazu, dass die Konversion zu einer Minderheitenreligion in Pakistan häufig verheimlicht werde. Amnesty International berichte von einem Mord an einem 18-jährigen Mädchen in Pakistan, das von seinem Bruder erschossen worden sei, weil es sich zum Christentum bekannt gehabt habe. Im Mai 2013 sei ein 16-jähriger Junge verschwunden, der vom Islam zum Christentum konvertiert gewesen sei. Zudem würden Konvertiten, die sich vom Islam abgewandt hätten, unmittelbar von staatlicher Seite diskriminiert. Kinder eines muslimischen Ehepaars, das vom Islam weg konvertiere, würden als unrechtmäßig betrachtet, sodass der Staat das Sorgerecht für sie übernehmen könne. Da es nahezu ausnahmslos zu schweren Diskriminierungen und Verletzungen von Menschenrechten komme, sei die Verfolgungsdichte so hoch, dass von einer Gruppenverfolgung auszugehen sei. Es mangele an einer Schutzbereitschaft von Akteuren im Sinn von § 3d AsylVfG. Die unmittelbare Diskriminierung von staatlicher Seite im Hinblick auf die Kinder von konvertierten Ehepaaren verstärke die Annahme, dass der pakistanische Staat nicht nur nicht in der Lage, sondern auch nicht willens sei, Konvertiten Schutz zu bieten. Somit bestehe für Konvertiten erst recht keine innerstaatliche Fluchtalternative. Selbst bei einem Wohnortwechsel, verbunden mit dem Versuch, sich in der neuen Umgebung als geborener Christ auszugeben, bestehe wenig Aussicht, dass die Konversion geheim gehalten werden könne. Auch der Kläger, dessen Zuwendung zum Christentum vor seiner Ausreise in seinem Heimatort bekannt geworden sei, habe keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, die sich geschlossen gegen ihn gestellt habe.
16 
Der Kläger beantragt,
17 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. April 2014 - A 12 K 2210/13 - zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 2 ihres Bescheids vom 20.06.2013 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
18 
Die Beklagte tritt der Berufung aus den Gründen des angegriffenen Urteils entgegen.
19 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung zu seinen individuellen Verfolgungsgründen unter Hinzuziehung eines Dolmetschers angehört. Insoweit wird auf die Niederschrift verwiesen.
20 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Dem Senat liegen die Behördenakten der Beklagten sowie die Akten des Verwaltungsgerichts vor.

Entscheidungsgründe

 
21 
Die zulässige, unter Stellung eines Antrags rechtzeitig und formgerecht begründete Berufung bleibt ohne Erfolg.
22 
Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
23 
I. Nach § 3 Abs. 4 AsylVfG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylVfG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
24 
Nach § 3a Abs. 1 AsylVfG (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU - QRL) gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 AsylVfG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 2 QRL) können als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 unter anderem die folgenden Handlungen gelten: 1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, 2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, 3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, 4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, 5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 AsylVfG (vgl. Art. 12 Abs. 2 QRL) fallen, 6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Nach § 3a Abs. 3 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 3 QRL) muss dabei zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
25 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylVfG (vgl. Art. 6 QRL) ausgehen von 1. dem Staat, 2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder 3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG (vgl. Art. 7 QRL) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
26 
Der Charakter einer Verfolgungshandlung erfordert, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach § 3a AsylVfG (Art. 9 QRL) geschützten Rechtsguts selbst zielt (vgl. BVerwG, Urteile vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - NVwZ 2009, 982, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936).
27 
Der für die Beurteilung zugrunde zu legende Prognosemaßstab ist der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die relevanten Rechtsgutsverletzungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 lit. d) QRL abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 v.H. für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (so BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - NVwZ 1992, 582, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936). Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z. B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (vgl. zum kausalen und zeitlichen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 - NVwZ 1991, 384).
28 
Für die Beurteilung sind alle Akte zu berücksichtigen und einzustellen, denen der Ausländer ausgesetzt gewesen war oder die ihm gedroht hatten, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL gelten können.
29 
Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen bzw. verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen bestehen regelmäßig aus solchen, die in der Vergangenheit wie auch aus solchen, die in der Gegenwart liegen. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben muss (BVerwG, Urteile vom 20.11.1990 - 9 C 74.90 - NVwZ 1991, 382, und - 9 C 72.90 - NVwZ 1991, 384).
30 
Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religionszugehörigkeit anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - NVwZ 1995, 175) - ferner eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines der in § 3b AsylVfG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. Urteil vom 05.07.1994 - a.a.O.).
31 
Für die Gruppenverfolgung (wie auch für jede Individualverfolgung) gilt weiter, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss (vgl. § 3e AsylVfG, Art. 8 QRL).
32 
Diese ursprünglich zum Asylgrundrecht für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze können prinzipiell auf die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragen werden, wie sie nunmehr durch § 3c Nr. 3 AsylVfG (vgl. Art. 6 lit. c) QRL) ausdrücklich als flüchtlingsrechtlich relevant geregelt ist.
33 
Ob Verfolgungshandlungen das Kriterium der Verfolgungsdichte erfüllen, ist von den Tatsachengerichten aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 3c Nr. 1 und 2 AsylVfG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 3b AsylVfG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann. Diese Maßstäbe haben auch bei der Anwendung der Richtlinie 2011/95/EU Gültigkeit (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 - NVwZ 2009, 1237)
34 
Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob bereits Vorverfolgung oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylVfG (vgl. Art. 15 QRL) vorliegt (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 u.a. - InfAuslR 2010, 188; BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. Art. 4 Abs. 4 QRL); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 - InfAuslR 2010,188). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51). Die nach Art. 4 Abs. 4 QRL maßgebenden stichhaltigen Gründe, die gegen eine erneute Verfolgung sprechen, können bei richtigem Verständnis der Norm letztlich keine anderen Gründe sein als die, die im Rahmen der „Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchst. e) und f) QRL maßgebend sind. Dafür spricht, dass der EuGH diese Grundsätze in einen Kontext mit der „Wegfall der Umstände-Klausel“ gestellt hat. Nur wenn die Faktoren, welche die Furcht des Flüchtlings begründeten, dauerhaft beseitigt sind, die Veränderung der Umstände also erheblich und nicht nur vorübergehend ist, wird die Beweiskraft der Vorverfolgung entkräftet. Würden im Blick auf ein bestimmtes Herkunftsland statusrechtliche Entscheidungen wegen veränderter Umstände aufgehoben, ist es gerechtfertigt, dem Vorverfolgten im Asylverfahren die Umstände, welche die geänderte Einschätzung der Verfolgungssituation als stichhaltige Gründe leiten, entgegenzuhalten. In diesem Fall bleibt ihm dann die Möglichkeit, unter Hinweis auf besondere, seine Person betreffende Umstände nach Maßgabe des allgemeinen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes erneut eine ihn treffende Verfolgung geltend zu machen.
35 
II. Dem Kläger ist zunächst nicht aus individuellen Verfolgungsgründen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
36 
Der Senat konnte insbesondere aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung und des in ihr gewonnenen Eindrucks von der Person des Klägers nicht die erforderliche volle Überzeugung davon gewinnen, dass die vom Kläger behaupteten Vorfluchtgründe, namentlich dass er allein wegen mehrerer Kirchenbesuche in erheblichem Maße körperlich misshandelt wurde, der Wahrheit entsprechen.
37 
Der Kläger hatte ausweislich der ihm rückübersetzten und von ihm ausdrücklich bestätigten Niederschrift des Bundesamts vom 15.05.2013 im Verwaltungsverfahren ausgeführt, dass in seiner Gegend „moslemische Jungs“ gewesen seien, die ihm gesagt hätten, er solle nicht in die christliche Kirche gehen; sie hätten ihm Prügel angedroht. Einige Tage später habe man ihn auf dem Weg in die Kirche angehalten und ihm auf den Kopf gehauen. Es seien 10 bis 12 Leute aus seinem Stadtbezirk gewesen. In der mündlichen Verhandlung hat er gegenüber dem Senat hingegen behauptet, es seien seine beiden älteren Brüder, seine Cousins und Nachbarn gewesen, die ihn angehalten und geschlagen hätten. Eine plausible Erklärung auf den ihm vorgehaltenen Widerspruch konnte der Kläger dem Senat nicht unterbreiten. Dieser Widerspruch ist aus der Sicht des Senats von so großem Gewicht, dass er den von ihm behaupteten und seiner Schilderung nach wesentlichen Fluchtgrund dem Kläger nicht zu glauben vermag. Sicherlich können auch Nachbarn als „Leute aus seinem Stadtbezirk“ verstanden werden, dann aber ist es völlig fernliegend, wenn er, falls sich der Vorfall überhaupt so abgespielt hätte, nicht die Beteiligung engster Familienangehöriger beim Bundesamt erwähnt hätte. Denn es stellt eine ganz andere Qualität der eigenen Betroffenheit dar, wenn die Übergriffe von der eigenen Familie ausgehen. Der Vollständigkeit halber weist der Senat auch darauf hin, dass die Schilderung des Vorfalls auffallend blass geblieben ist und insbesondere eine plausible Darstellung vermissen ließ, wie es ihm gelungen sein soll, bei einer Überzahl von 10 bis 12 Leuten zu fliehen, wie er in der mündlichen Verhandlung behauptet hatte. Nicht nachzuvollziehen ist für den Senat auch, dass der Kläger gegenüber dem Bundesamt nicht sagen konnte, wo sich genau die Praxis des von ihm aufgesuchten Arztes befindet, sondern nur Vermutungen angestellt hatte, obwohl es „sein“ Arzt im eigenen Stadtviertel gewesen sein soll. Sowohl bei der Anhörung durch das Bundesamt wie auch in der mündlichen Verhandlung ist aus der Sicht des Senats nicht deutlich geworden, weshalb der Kläger sofort nach einem ersten Vorfall das Land unter Aufwendung erheblicher finanzieller Mittel verlassen hat und als alleinstehender junger Mann nicht vielmehr erst einmal sein engeres soziales und familiäres Umfeld aufgegeben und in eine andere Stadt gegangen ist. Der bloße Einwand, dass in Pakistan überall Moslems lebten und er sich sicher gewesen sei, dass sie ihn auch dort umgebracht hätten, ist nicht ohne weiteres plausibel, wenn die Gefährdung doch von einem engsten sozialen und familiären Umfeld ausgegangen sein soll, das ihn sehr gut gekannt hätte. Weshalb in einer anderen Stadt hätte veröffentlicht werden sollen, dass er Christ bzw. getauft worden sei, erschließt sich dem Senat nicht. Auch seine Erläuterung, dass er erst hier erfahren haben will, dass man, um Christ zu werden, getauft werden muss, ist nicht nachvollziehbar, wenn er in Pakistan bereits gewusst haben will, dass er Christ werden wolle, weshalb auch die behaupteten engeren Kontakte zu einer christlichen Kirche in Pakistan, über die er zudem auffallend wenig berichten konnte, generell infrage stehen.
38 
Nach der Schilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hatte er seit etwa sechs Jahren Kontakt zu einem Mitspieler christlichen Glaubens mit Namen Zxxx im Cricketclub. Schon beim Bundesamt wie auch beim Verwaltungsgericht blieb der Kläger eine nachvollziehbare Erklärung dafür schuldig, weshalb er erst im Jahre 2011 von Zxxx angesprochen und aufgefordert worden sein will, mit in die Kirche zu gehen, und dieses nicht schon viel früher geschehen sein soll. Er hatte lediglich angegeben, dass sie erst im Jahre 2011 starke Freunde geworden seien, ohne dieses aber näher zu erläutern. Auch in der mündlichen Verhandlung fehlte eine schlüssige Antwort auf entsprechende Fragen des Senats. Bemerkenswert ist zudem, dass der Kläger bei der Anhörung durch das Bundesamt mehrfach davon gesprochen hatte, dass verschiedene „Jungs“ christlichen Glaubens aus dem Club, die enge Freunde von ihm gewesen seien, ihn angesprochen und aufgefordert hätten, in die Kirche zu gehen, während in der mündlichen Verhandlung davon auch nicht mehr im Ansatz die Rede war, sondern nur noch von Zxxx. Die Freunde sollen nach den beim Bundesamt gemachten Angaben auch die Ausreise gemeinsam organisiert haben, wovon der Kläger in der mündlichen Verhandlung ebenfalls nicht mehr gesprochen hatte. Schließlich kann angesichts grundlegender Widersprüche und Unzulänglichkeiten nicht übersehen werden und muss auch jedenfalls in der Gesamtschau zum Nachteil des Klägers gewertet werden, dass er beim Bundesamt den Namen des Freundes mit „Axxx“ angegeben hatte. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass es sich um einen Übertragungsfehler gehandelt haben könnte, sieht der Senat nicht. Denn zum einen ist die Ähnlichkeit beider Namen nicht sehr groß, zum anderen wurde die Niederschrift rückübersetzt, ohne dass der Kläger insoweit eine Berichtigung angebracht hätte; auch in der Folgezeit nach Erhalt einer Protokollabschrift ist solches nicht geschehen. Bemerkenswert ist auch, dass der Kläger beim Bundesamt nicht näher eingrenzen konnte, wann er im Jahre 2011 mit den Besuchen in der Kirche begonnen hatte, während er beim Verwaltungsgericht den Vorfall immerhin nunmehr auf den achten oder neunten Monat 2012 (gemeint 2011) relativ präzise datieren konnte. In der mündlichen Verhandlung will er nunmehr mit den Besuchen im neunten Monat begonnen haben, während sich der Vorfall im zehnten Monat abgespielt haben soll. Das wiederum passt offensichtlich nicht zu seinem Vorbringen, er sei nach dem Vorfall nicht mehr zur Familie gegangen, sondern zu Zxxx, bei dem er noch 20 bis 25 Tage geblieben sei bis er mit dem Zug von Lahore nach Quetta gefahren sei, während er beim Bundesamt angegeben hatte, am 23.12.2011 (nicht wie im Protokoll offensichtlich irrtümlich ausgeführt 2012) von Lahore mit dem Zug nach Quetta gefahren zu sein.
39 
III. Dem Kläger kann die Flüchtlingseigenschaft auch nicht allein deshalb zuerkannt werden, weil er inzwischen Christ ist und im Falle der Rückkehr seinen Glauben aktiv auch in der Öffentlichkeit praktizieren wird. Der Senat geht in diesem Zusammenhang nach den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass er als getaufter Christ seinem Glauben innerlich verbunden ist und es zu den von ihm als verbindlich verstanden Glaubensinhalten gehört, regelmäßig an den Gottesdiensten seiner Gemeinde teilzunehmen und sich an der Gemeindearbeit zu beteiligen.
40 
Christen in Pakistan droht nach den im Verfahren vom Senat zugrunde gelegten und ausgewerteten Erkenntnismitteln nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wegen ihres Glaubens und ihrer – auch öffentlichen – Glaubensbetätigung einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL ausgesetzt zu sein.
41 
Der Senat geht davon aus, dass in Pakistan mindestens 3 Millionen Christen leben (vgl. AA Lagebericht vom 08.04.2014, S. 6 und 16 – im Folgenden Lagebericht; vgl. aber auch Home Office, Pakistan, Country of Origin Information Report vom 09.10.2013, Ziffer 19.178 – im Folgenden COI – wonach laut einiger Quellen die Zahl in Wirklichkeit das Doppelte betragen soll). Nach der Rechtslage bestehen - anders als bei der religiösen Minderheit der Ahmadis – keine wesentlichen unmittelbaren Diskriminierungen der Christen in Pakistan (vgl. etwa Lagebericht, S. 13 f.; BAA, Bericht zur Fact Finding Mission, Pakistan, Juni 2013, S. 38 ff. und 51 ff. – im Folgenden BAA). Eine Ausnahme besteht insoweit, als der Premierminister sowie der Präsident Muslim sein muss, was teilweise als schlechtes Signal an die Bevölkerung beschrieben wird, dass die Minderheiten auch minderwertig seien (vgl. BAA, S. 51). Allerdings wirkt sich die sog. Blasphemiegesetzgebung auch bei der christlichen Minderheit faktisch zu ihrem Nachteil aus, zumal diese – nicht anders als bei anderen Minderheiten, aber auch bei der Mehrheitsbevölkerung – in erheblichem Maße aus eigensüchtigen Motiven und Gründen von den Anzeigeerstattern missbraucht wird (vgl. ausführlich auch BAA, S. 48 ff.; COI, Ziffer 19.33. ff.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Angehörigen religiöser Minderheiten in Pakistan, 10.10.2012, S. 6 f. – im Folgenden UNHCR; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2013, S. 27 ff und 101 ff. – im Folgenden HRCP).
42 
Der Senat hat sich zu den Blasphemiegesetzen in seinem den Beteiligten im Einzelnen bekannten Urteil vom 12.06.2013 (A 11 S 757/13 - juris) ausführlich geäußert, auf das zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird (vgl. dort Rn. 68 ff.). Wesentlich neue Aspekte haben sich insoweit zwischenzeitlich nicht ergeben. Betroffen sind davon allerdings in erster Linie nicht Angehörige der christlichen Minderheit. Dokumentiert sind zwei nicht rechtskräftige Todesurteile gegen eine christliche Frau und ein christliches Mädchen, ohne dass nähere Umstände hierzu bekannt geworden sind (vgl. etwa Human Rights Watch World Report 2014, S. 367 f. – im Folgenden HRWWR). Im Jahre 2012 kam es zu insgesamt 113 Anklagen (gegenüber 79 im Jahre 2011), davon 12 gegen Christen (Lagebericht, S. 14; vgl. auch HRCP, S. 33 f., die von geringfügig höheren Zahlen ausgeht). Im Jahre 2013 wurden insgesamt gegen 68 Personen Verfahren eingeleitet, darunter gegen 14 Christen; es wurden insgesamt mindestens 16 oder 17 Personen zum Tode und 19 oder 20 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, davon eine Verurteilung eines Christen zu lebenslanger Freiheitsstrafe und zwei Freisprüche von Christen (vgl. US Commission of International Religious Annual Report 2014, S. 76 – Im Folgenden USCIRF I; HRWWR, S. 367; HRCP, S. 33 ff.; vgl. zu weiteren Verurteilungen eines britischen Staatsangehörigen und einer pakistanischen Christin im Jahre 2014 Briefing Notes vom 27.01.2014 und 31.03.2014).
43 
Die Religionsausübung der christlichen Minderheit wird grundsätzlich staatlicherseits nicht eingeschränkt oder behindert. Für das Jahr 2012 wurde allerdings berichtet, dass auch staatliche Stellen sich an der Zerstörung christlicher Einrichtungen beteiligt hätten (vgl. US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2012, S. 126 – Im Folgenden USCIRF II). Vergleichbare Vorkommnisse werden für das Jahr 2013 in den zahlreichen Erkenntnismitteln an keiner Stelle mehr erwähnt (vgl. USCRIF I, S. 75 ff. und US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2013, S. 123 – im Folgenden USCRIF IV).
44 
Die wesentlichen Probleme, mit denen religiöse Minderheiten konfrontiert sind, sind die Auswirkungen der zunehmenden interkonfessionellen Gewaltakte von nicht-staatlicher Seite und Diskriminierungen im gesellschaftlichen Leben (vgl. hierzu schon ausführlich Senatsurteil vom 12.06.2013 – A 11 S 757/13). Allerdings ist festzustellen, dass sich diese Gewalttaten bislang überwiegend gar nicht gegen Christen, sondern gegen Angehörige der schiitischen Minderheit richten (vgl. BAA, S. 19 f und 47 f.; Lagebericht, S. 16; HRWWR, S. 367; USCIRF I, S. 75). Für das Jahr 2013 wurden insgesamt 658 Tote und 1195 Verletzte gezählt (vgl. Lagebericht S. 16), die gegen religiöse Minderheiten gerichteten interkonfessionellen Gewaltakten zum Opfer gefallen sind, während es sich im Jahre 2012 „nur“ um 507 Tote und 577 Verletzte gehandelt hatte (vgl. COI, Ziffer 19.233). Was die christliche Minderheit betrifft, sind besonders hervorzuheben ein Anschlag auf die anglikanische Allerheiligen-Kirche in Peshawar am 22.09.2013, durch den wohl etwa 100 Personen getötet und über 150 zum Teil schwer verletzt wurden (vgl. Lagebericht, S. 16, und USCIRF I, S. 76). Im März und April attackierte eine aufgehetzte Menschenmenge christliche Siedlungen bzw. Dörfer; bei den Attacken wurden über 100 Häuser zerstört, ohne dass aber Menschenleben zu beklagen waren (vgl. USCIRF I, S. 76; vgl. auch BAA, S. 42 f.; vgl. auch HRCP, S. 94 - zu weiteren – allerdings vereinzelten – Übergriffen auf Kirchen S. 94), wobei auch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Vorfall im März 2013 von langer Hand vorbereitet worden war. Im Wesentlichen alle verwerteten Erkenntnismittel sind sich in diesem Zusammenhang einig, dass staatliche Sicherheits- und Strafverfolgungsorgane hierbei den erforderlichen Schutz nur lückenhaft gewähren oder jedenfalls viel zu spät eingreifen, wobei dieses oftmals nicht allein darauf zurückzuführen ist, dass diese Organe überfordert wären, sondern auch auf einer offensichtlich mangelnden Bereitschaft beruht, effektiven Schutz zu gewähren (vgl. etwa BAA, S. 19 ff. und 42 ff.; HRWWR, S. 367; UNHCR, S. 1 f.; vgl. zu unzureichenden Schutzmaßnahmen schon Departement of State‘s International Religious Freedom Report for 2012, Stichwort „Government Inaction“ – Im Folgenden USCIRF III). Allerdings ist auch festzuhalten, dass es fundierte Berichte gibt, dass Polizeiorgane bei dem Versuch, den gebotenen Schutz zu gewähren, ernsthafte Verletzung erlitten haben (vgl. BAA, S. 43; vgl. auch S. 46 zu Schutzmaßnahmen bei Prozessionen). Immerhin haben die Sicherheitsorgane nach gewalttätigen Übergriffen auch Ausgangssperren zum Schutze der Minderheiten und gegenüber muslimischen Klerikern Verbote verhängt, die Stadt zu betreten, um zu verhindern, dass diese zur Gewalt aufstacheln und Hassreden halten (vgl. HRCP S. 76). Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang abschließend, dass es nach dem Angriff am 22.09.2013 in Lahore und Islamabad bemerkenswerte zivilgesellschaftliche Solidaritätsaktionen zugunsten der Christen gab, indem um mehrere Kirchen Menschenketten gebildet wurden (HRCP, S. 94).
45 
Selbst wenn man bei der gebotenen qualitativen Bewertung (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - NVwZ 2011, 56, vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 - NVwZ-RR 2014, 487) berücksichtigt, dass derartige Gewaltakte teilweise nicht vorhergesehen werden und die Angehörigen der religiösen Minderheiten gewissermaßen aus heiterem Himmel treffen können, was es ihnen dann aber unmöglich macht, ihnen auszuweichen, so genügen selbst die für das Jahr 2013 festgestellten Opferzahlen, die nach den verwerteten Erkenntnismitteln überwiegend nicht die christliche Minderheit betreffen, bei weitem nicht, um die Annahme zu rechtfertigen, jeder Angehörige dieser mindestens drei Millionen zählenden Minderheit müsse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, in einer noch überschaubaren Zeit Opfer derartiger Leib oder Leben betreffenden Akte zu werden. Daran ändern nichts die etwa vom Auswärtigen Amt im Lagebericht vom 08.04.2014 (S. 16) getroffene Feststellung, dass nach den Ereignissen des Jahres 2013 die Bedrohungslage der christlichen Minderheit in Pakistan eine neue Qualität habe, und die Tatsache, dass die Human Rights Commission of Pakistan davon spricht, dass das Jahr 2013 eines der schwärzesten für die christlichen Gemeinden in Pakistan gewesen sei (HRCP, S. 92). Auch UNHCR ist bislang der Auffassung gewesen, dass eine generelle, vom Einzelfall unabhängige Gefährdung nicht besteht (UNHCR, S. 8). Selbst die Organisation „Open Doors“ (Länderprofile Pakistan), die insgesamt ein durchaus düsteres Bild vermittelt, das aber in den anderen Erkenntnismitteln keine unmittelbare Entsprechung findet, geht davon aus, dass die christlichen Gemeinden sich nach wie vor ungehindert auch mit Öffentlichkeitsbezug versammeln und arbeiten können, auch wenn mitunter die Kirchen von bezahlten Wachleuten geschützt werden. Der Senat kann daher offen lassen, ob der pakistanische Staat den durch Art. 7 Abs. 2 QRL geforderten effektiven Schutz gewährleistet, was aber nach den verwerteten Erkenntnismitteln eher zu verneinen sein dürfte.
46 
Dass es nach wie vor ein reges, wenn auch nicht ungefährliches religiöses Leben der christlichen Minderheit auch mit unmittelbarem Öffentlichkeitsbezug in Pakistan gibt, wird beispielhaft illustriert durch die – auch neueren – Berichte, die auf der Website http://www.kirche-in-not.de/tag/pakistan erschienen sind und weiter erscheinen. Dass tatsächlich der christliche Glaube in nennenswertem Umfang in Pakistan gelebt und aktiv praktiziert wird, lässt sich auch unschwer daraus ablesen, dass die Kirchen in erheblichem Umfang Schulen und andere Bildungseinrichtungen betreiben (vgl. missio, Länderberichte Religionsfreiheit: Pakistan, 2012, S. 18 – im Folgenden missio; Deutschlandradio Kultur vom 13.01. und 11.02.2014; vgl. auch den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Ausdruck des Internetauftritts der FGA-Church Pakistan). Auch ist darauf hinzuweisen, dass die Erzdiözesen Karachi und Lahore seit langer Zeit größere Krankhäuser betreiben und auch seit 2009 eigene Fernsehsender unterhalten (Wikipedia, Roman Catholic Archdiocese of Lahore Stand 28.03.2014; Wikipedia, Roman Catholic Archdiocese of Karachi Stand 28.03.2014).
47 
Die gesellschaftliche und soziale Lage der christlichen Minderheit wird übereinstimmend als durchaus prekär und durch vielfältige Diskriminierungen geprägt beschrieben. Gleichwohl ist das Bild zwiespältig. Die festzustellende Marginalisierung und Diskriminierung beruht dabei keineswegs allein oder ganz überwiegend auf dem christlichen Glauben, sondern hat auch eine wesentliche Wurzel in dem noch nachwirkenden und überkommenen Kastenwesen, weil die Christen zum größten Teil Nachkommen von Hindus sind, die der Kaste der Unberührbaren angehörten (vgl. BAA, S. 52; COI, Ziffer 19.198 und 19.204). Dies hat zur Folge, dass die überwiegende Zahl der Christen der Unterschicht zuzurechnen ist und unter der Armutsgrenze lebt, was im Übrigen auch für andere Minderheiten gilt, und die Rate von Analphabetentum sehr groß ist (vgl. Lagebericht, S. 13 f.; BAA, S. 50 ff.; Immigration und Refugee Board of Canada, Pakistan: Religious conversions, including treatment of converts and forced conversions (2009 – 2012), Ziff. 1 – im Folgenden Canada). Diese Stellung wiederum macht eine wesentliche Ursache dafür aus, dass junge christliche Frauen und Mädchen in besonderem Maße das Opfer von unfreiwilligen Bekehrungen und Verheiratungen nach Entführungen werden (vgl. COI, Ziffer 19.188 und 19.198; UNHCR, S. 7; HRCP, S. 95 f.), wobei auch hier ein wirklich effektiver Schutz durch die pakistanischen Sicherheitsorgane nicht gewährt wird, auch wenn in der Nationalversammlung und auf der staatlichen Führungsebene das Problem gesehen und über Abhilfe diskutiert wird (vgl. Canada Ziff. 1). Allerdings berichtet die Pakistanische Menschenrechtsorganisation für das Jahr 2013 durchaus von erheblich weniger erfolgreichen oder versuchten zwangsweisen Konversionen bzw. Verheiratungen (vgl. HRCP, S. 91). Bei alledem darf letztlich aber zudem nicht die Tatsache ausgeblendet werden, dass Entführungen, Zwangsverheiratungen und Vergewaltigungen von (jungen) Frauen in Pakistan ein durchaus gesamtgesellschaftliches Phänomen und Problem darstellen, das weit über die christliche Minderheit hinausreicht (vgl. COI, Ziff. 23.156 ff.; Lagebericht, S. 19 und 21). Die Christen arbeiten überwiegend in der Landwirtschaft, der Steinbearbeitungs-, Glas-, Teppich- und Fischereiindustrie, für die auch Elemente von Zwangsarbeit festgestellt wurden, gegen die die staatlichen Stellen trotz entsprechender Verbotsgesetze nicht effektiv vorgehen (vgl. UNHCR, S. 8). Die Diskriminierung der christlichen Minderheit findet aber auch hier nicht in erster Linie im staatlichen Sektor statt, in dem allenfalls in Bezug auf höhere Positionen eine signifikante Unterrepräsentierung festzustellen ist (vgl. BAA, S. 51; vgl. zum Bildungswesen und diskriminierenden Bildungsinhalten bzw. zum obligatorischen islamischen Religionsunterricht USCIRF III, Stichwort „Governments Practice“). Die staatliche Seite versucht durchaus, gesellschaftlichen Diskriminierungen entgegen zu arbeiten (vgl. BAA, S. 41 und 52). An einer konsequenten, geschweige denn erfolgreichen auf den nicht-staatlichen Bereich bezogenen Antidiskriminierungspolitik mangelt es zwar. Ein solches Unterlassen stellt jedoch keine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 (hier v.a. lit. b, c und d) QRL dar, wenn man überhaupt in einem Unterlassen eine relevante Verfolgungshandlung sehen will (vgl. zum Problem grundsätzlich Marx, Handbuch zu Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., § 11 Rn. 2 ff.), weshalb schon deshalb auch aus einer Gesamtschau aller negativen Faktoren (einschließlich der festgestellten Übergriffe auf Leib und Leben sowie vereinzelter menschenrechtlich fragwürdiger Verfahren wegen eines behaupteten Verstoßes gegen einzelne Bestimmungen der Blasphemiegesetzgebung) keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL abgeleitet werden kann. Denn nur in einer finalen und systematischen Vorenthaltung des staatlichen Schutzes zur Vermeidung erheblicher Menschenrechtsverletzungen kann überhaupt ein zurechenbares und daher flüchtlingsrechtlich relevantes Verhalten erblickt werden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - NVwZ 2009, 984), was jedoch aus den verwerteten Erkenntnismitteln nicht hinreichend deutlich zutage tritt. Geht man hingegen davon aus, dass in einem Unterlassen generell keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 QRL liegen kann und verortet man die Problemstellung (nur) bei der Frage, welche Anforderungen an das nach Art. 7 Abs. 2 QRL geforderte nationale Schutzsystem zu stellen sind, so führt dies zu keiner anderen Sicht der Dinge. Zwar finden sich in einer Vielzahl von Menschrechtspakten ausdrückliche Diskriminierungsverbote (vgl. etwa Art. 2 AEM; Art. 14 EMRK; Art. 26 IPbpR), die mittlerweile zu einem allgemeinen völkergewohnheitsrechtlichen Diskriminierungsverbot erstarkt sein dürften (vgl. Marx, a.a.O., § 16 Rn 45), das auch Art. 9 Abs. 2 QRL zugrunde liegt, das aber grundsätzlich in erster Linie an staatliche Akteure gerichtet ist. Es existiert jedoch keine allgemeine, auch flüchtlingsrechtlich relevante Verpflichtung, Diskriminierungen durch nicht-staatliche Akteure umfassend zu unterbinden und mit allen Mitteln effektiv zu bekämpfen. Ein auch solche Handlungen, die unterhalb der Schwelle von Eingriffen in Leib, Leben oder persönlicher Freiheit liegen, unterbindendes Schutzsystem wird durch Art. 7 Abs. 2 QRL nicht gefordert. Soweit etwa Art. 7 IPwskR das Recht der Arbeitnehmer auf gleiches Entgelt für gleichwertige oder auf gleiche Möglichkeiten auf beruflichen Aufstieg anerkennt und damit auch nicht-staatliche Akteure im Blick hat, handelt es sich nicht um ein Instrumentarium, das bedingungslos grundlegende menschenrechtliche Standards umschreibt, die flüchtlingsrechtlich eine Verpflichtung zu einer umfassenden Antidiskriminierungspolitik auslöst und daher Grundlage eines umfassenden flüchtlingsrechtlich relevanten menschenrechtlichen Schutzstandards sein könnte. Dies gilt namentlich dann, wenn - wie dargelegt - die allgemeine sozio-ökonomische Lage der christlichen Minderheit gar nicht monokausal auf ihre Religionszugehörigkeit zurückgeführt werden kann.
48 
Das vom Kläger angesprochene „land grabbing“ privater Akteure ist ein in Pakistan weit verbreitetes Phänomen und richtet sich nicht spezifisch gegen die christliche Minderheit, sondern betrifft auch andere Bewohner des Landes, die sich aufgrund ländlicher feudaler oder sonstiger ubiquitärer mafiöser Strukturen in einer unterlegenen Position befinden und bei denen nicht selten effektiver staatlicher Schutz ausfällt (vgl. COI, Ziff. 35.01; HRCP, S. 253).
49 
Ungeachtet dessen vermag der Senat den zahlreichen verwerteten Erkenntnismitteln auch keinen tragfähigen Ansatz für eine Feststellung zu entnehmen, dass die Lage der christlichen Minderheit generell betrachtet durch eine schwere Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL gekennzeichnet wäre.
50 
Etwas anderes gilt auch nicht allgemein und generell betrachtet für den Personenkreis der vom Islam zum Christentum Konvertierten.
51 
Zunächst ist davon auszugehen, dass die pakistanische Rechtsordnung den Vorgang der Konversion nicht untersagt oder gar strafrechtlich bewertet (vgl. Lagebericht, S. 14). Versuche, die Rechtslage zu Lasten der Konvertiten zu verändern, sind sogar gescheitert und aufgegeben worden (vgl. COI, Ziff. 19.66). Allerdings kann hier die bereits erwähnte Blasphemie-Gesetzgebung zum Einfallstor für Verfolgungen und Diskriminierungen werden, wenn es um die Beurteilung von Äußerungen und Verhaltensweisen im Kontext einer Konversion geht (vgl. missio, S. 13 und 17; Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014, S. 3). Dass aber in signifikantem Umfang der hier zu beurteilende Personenkreis betroffen sein könnte, lässt sich den vielfältigen Erkenntnismitteln nicht entnehmen, obwohl in ihnen eine unübersehbare Fülle von Einzelinformationen verarbeitet wurden. Auch missio benennt in diesem Kontext keine konkreten Einzelfälle, sondern weist nur auf die Möglichkeit hin. Für die staatliche Ebene wird allerdings berichtet, dass ein Neueintrag der christlichen Religion in den Personalausweisen bzw. Pässen nicht möglich ist, jedenfalls faktisch nicht vorgenommen wird (Canada, Ziffer 3). Zwar wird auch berichtet, dass im Falle einer Konversion beider Ehegatten die Kinder der Konvertierten als „illegitim“ eingestuft werden und der Staat die Kinder sogar in Obhut nehmen kann. Dazu wird aber in den zahlreichen Erkenntnismitteln, die sehr ausführlich über Konversion berichten, insbesondere auch in den spezifisch christlichen bzw. kirchlichen Erkenntnismitteln kein einziger Fall benannt, geschweige denn nachvollziehbar dokumentiert.
52 
Die Probleme liegen wiederum in erster Linie in der gesellschaftlichen Sphäre. Denn nicht unerhebliche Teile der pakistanischen Gesellschaft stehen den religiösen Minderheiten ablehnend, wenn nicht gar feindselig gegenüber. Umso mehr wird dann eine Konversion weg vom Islam missbilligt, was zu hohen Befürwortungsraten für die Verhängung der Todesstrafe führt (vgl. COI, Ziff. 19.67). Wie bereits dargelegt, hat sich diese gesellschaftliche Stimmung aber nicht in entsprechenden erfolgreichen Gesetzesvorhaben niedergeschlagen. Teilweise stößt eine Konversion in der eigenen Familie des Konvertiten auf strikte Ablehnung, was dazu führen kann, dass der Betreffende aus der Familie verstoßen wird. Vereinzelt ist es hier auch zu körperlichen Übergriffen bis zu Tötungen gekommen (vgl. Canada, Ziff. 1 und 3). Den verwerteten Erkenntnismitteln nach kann es sich aber nicht um eine weiter verbreitete oder gar allgegenwärtige Erscheinung handeln.
53 
Die Folgen der gesellschaftlichen und innerfamiliären Ablehnung und Missbilligung gehen dahin, dass Konvertiten es teilweise, jedoch nicht generell, bewusst vermeiden, die Konversion an die Öffentlichkeit zu tragen, und daher ggf. auch den Wohnort wechseln, um nicht in ihrem bisherigen Wohnumfeld aufzufallen, um dann andernorts gewissermaßen als „unbeschriebenes Blatt“ als Christ auftreten und diesen Glauben mit den oben beschriebenen Einschränkungen leben zu können (vgl. etwa Open Doors, Länderprofile Pakistan). Das bedingt aber andererseits, dass es verlässliche Zahlen über die Konversionen vom Islam weg nicht geben kann. Auch wenn angesichts der geschilderten Haltung der Mehrheitsgesellschaft davon auszugehen sein wird, dass die Zahl der erfolgten Lösungen vom Islam oder Konversionen weg vom Islam nicht sehr groß sein wird, so fehlt es doch gegenwärtig an ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass nach Maßgabe der für die Annahme einer Gruppenverfolgung zugrunde zu legenden Prognosemaßstäbe jeder pakistanische Staatsangehörige, der sich vom Islam löst, unterschiedslos ein reales Risiko läuft, von einer schweren Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. a) oder lit. b) QRL betroffen zu sein. Der Senat sieht sich in dieser Einschätzung durch den Bericht von Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014 und die dort geschilderte Haltung und Einschätzung eines ehemaligen Muslim bestätigt, die deutlich machen, dass Konversion bzw. auch nur Abkehr vom Islam möglich ist, tatsächlich stattfindet und keineswegs mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt. Im konkreten Einzelfall mag aufgrund individueller Umstände eine andere Beurteilung erforderlich werden. Unabhängig hiervon sieht der Senat keine durchgreifenden Hindernisse für eine Person in der Lage des Klägers, im Falle von unmittelbaren Anfeindungen und Übergriffen im persönlichen Umfeld seinen Wohnort zu wechseln (vgl. Art. 8 QRL), wie dieses nach den verwerteten Erkenntnismitteln immer wieder geschieht, um ein Leben als Christ führen zu können (vgl. Lagebericht, S. 24; Open Doors, Länderprofile Pakistan; Home Office, Country Information and Guidance, Pakistan: Religious freedom, 2014, Ziff. 2.4.16 f.). Aufgrund besonderer Umstände mag auch hier im Einzelfall etwas anderes gelten. Diese sind jedoch in der Person des Klägers nicht erkennbar geworden. Zwar hat er behauptet, als Cricketspieler in Lahore bekannt zu sein. Dass dieses landesweit der Fall gewesen sein könnte, erschließt sich dem Senat nicht. Denn solches wurde vom Kläger schon nicht nachvollziehbar und substantiiert behauptet. Ungeachtet dessen ist seine Person an keiner Stelle im Internet im Kontext des Cricketsports in Pakistan zu finden, worauf der Kläger in der mündlichen Verhandlung hingewiesen wurde.
54 
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO und 83b AsylVfG. Gründe dafür, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
21 
Die zulässige, unter Stellung eines Antrags rechtzeitig und formgerecht begründete Berufung bleibt ohne Erfolg.
22 
Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
23 
I. Nach § 3 Abs. 4 AsylVfG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylVfG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
24 
Nach § 3a Abs. 1 AsylVfG (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU - QRL) gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 AsylVfG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 2 QRL) können als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 unter anderem die folgenden Handlungen gelten: 1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, 2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, 3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, 4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, 5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 AsylVfG (vgl. Art. 12 Abs. 2 QRL) fallen, 6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Nach § 3a Abs. 3 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 3 QRL) muss dabei zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
25 
Die Verfolgung kann nach § 3c AsylVfG (vgl. Art. 6 QRL) ausgehen von 1. dem Staat, 2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder 3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG (vgl. Art. 7 QRL) Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
26 
Der Charakter einer Verfolgungshandlung erfordert, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach § 3a AsylVfG (Art. 9 QRL) geschützten Rechtsguts selbst zielt (vgl. BVerwG, Urteile vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - NVwZ 2009, 982, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936).
27 
Der für die Beurteilung zugrunde zu legende Prognosemaßstab ist der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die relevanten Rechtsgutsverletzungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 lit. d) QRL abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 v.H. für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (so BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - NVwZ 1992, 582, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936). Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z. B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (vgl. zum kausalen und zeitlichen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 - NVwZ 1991, 384).
28 
Für die Beurteilung sind alle Akte zu berücksichtigen und einzustellen, denen der Ausländer ausgesetzt gewesen war oder die ihm gedroht hatten, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL gelten können.
29 
Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen bzw. verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen bestehen regelmäßig aus solchen, die in der Vergangenheit wie auch aus solchen, die in der Gegenwart liegen. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein „voller Beweis“ nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben muss (BVerwG, Urteile vom 20.11.1990 - 9 C 74.90 - NVwZ 1991, 382, und - 9 C 72.90 - NVwZ 1991, 384).
30 
Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religionszugehörigkeit anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 - NVwZ 1995, 175) - ferner eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines der in § 3b AsylVfG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. Urteil vom 05.07.1994 - a.a.O.).
31 
Für die Gruppenverfolgung (wie auch für jede Individualverfolgung) gilt weiter, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss (vgl. § 3e AsylVfG, Art. 8 QRL).
32 
Diese ursprünglich zum Asylgrundrecht für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze können prinzipiell auf die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragen werden, wie sie nunmehr durch § 3c Nr. 3 AsylVfG (vgl. Art. 6 lit. c) QRL) ausdrücklich als flüchtlingsrechtlich relevant geregelt ist.
33 
Ob Verfolgungshandlungen das Kriterium der Verfolgungsdichte erfüllen, ist von den Tatsachengerichten aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 3c Nr. 1 und 2 AsylVfG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 3b AsylVfG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann. Diese Maßstäbe haben auch bei der Anwendung der Richtlinie 2011/95/EU Gültigkeit (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 - NVwZ 2009, 1237)
34 
Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob bereits Vorverfolgung oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylVfG (vgl. Art. 15 QRL) vorliegt (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 u.a. - InfAuslR 2010, 188; BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. Art. 4 Abs. 4 QRL); es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt (vgl. EuGH, Urteil vom 02.03.2010 - C-175/08 - InfAuslR 2010,188). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 2011, 51). Die nach Art. 4 Abs. 4 QRL maßgebenden stichhaltigen Gründe, die gegen eine erneute Verfolgung sprechen, können bei richtigem Verständnis der Norm letztlich keine anderen Gründe sein als die, die im Rahmen der „Wegfall der Umstände-Klausel“ des Art. 11 Abs. 1 Buchst. e) und f) QRL maßgebend sind. Dafür spricht, dass der EuGH diese Grundsätze in einen Kontext mit der „Wegfall der Umstände-Klausel“ gestellt hat. Nur wenn die Faktoren, welche die Furcht des Flüchtlings begründeten, dauerhaft beseitigt sind, die Veränderung der Umstände also erheblich und nicht nur vorübergehend ist, wird die Beweiskraft der Vorverfolgung entkräftet. Würden im Blick auf ein bestimmtes Herkunftsland statusrechtliche Entscheidungen wegen veränderter Umstände aufgehoben, ist es gerechtfertigt, dem Vorverfolgten im Asylverfahren die Umstände, welche die geänderte Einschätzung der Verfolgungssituation als stichhaltige Gründe leiten, entgegenzuhalten. In diesem Fall bleibt ihm dann die Möglichkeit, unter Hinweis auf besondere, seine Person betreffende Umstände nach Maßgabe des allgemeinen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes erneut eine ihn treffende Verfolgung geltend zu machen.
35 
II. Dem Kläger ist zunächst nicht aus individuellen Verfolgungsgründen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
36 
Der Senat konnte insbesondere aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung und des in ihr gewonnenen Eindrucks von der Person des Klägers nicht die erforderliche volle Überzeugung davon gewinnen, dass die vom Kläger behaupteten Vorfluchtgründe, namentlich dass er allein wegen mehrerer Kirchenbesuche in erheblichem Maße körperlich misshandelt wurde, der Wahrheit entsprechen.
37 
Der Kläger hatte ausweislich der ihm rückübersetzten und von ihm ausdrücklich bestätigten Niederschrift des Bundesamts vom 15.05.2013 im Verwaltungsverfahren ausgeführt, dass in seiner Gegend „moslemische Jungs“ gewesen seien, die ihm gesagt hätten, er solle nicht in die christliche Kirche gehen; sie hätten ihm Prügel angedroht. Einige Tage später habe man ihn auf dem Weg in die Kirche angehalten und ihm auf den Kopf gehauen. Es seien 10 bis 12 Leute aus seinem Stadtbezirk gewesen. In der mündlichen Verhandlung hat er gegenüber dem Senat hingegen behauptet, es seien seine beiden älteren Brüder, seine Cousins und Nachbarn gewesen, die ihn angehalten und geschlagen hätten. Eine plausible Erklärung auf den ihm vorgehaltenen Widerspruch konnte der Kläger dem Senat nicht unterbreiten. Dieser Widerspruch ist aus der Sicht des Senats von so großem Gewicht, dass er den von ihm behaupteten und seiner Schilderung nach wesentlichen Fluchtgrund dem Kläger nicht zu glauben vermag. Sicherlich können auch Nachbarn als „Leute aus seinem Stadtbezirk“ verstanden werden, dann aber ist es völlig fernliegend, wenn er, falls sich der Vorfall überhaupt so abgespielt hätte, nicht die Beteiligung engster Familienangehöriger beim Bundesamt erwähnt hätte. Denn es stellt eine ganz andere Qualität der eigenen Betroffenheit dar, wenn die Übergriffe von der eigenen Familie ausgehen. Der Vollständigkeit halber weist der Senat auch darauf hin, dass die Schilderung des Vorfalls auffallend blass geblieben ist und insbesondere eine plausible Darstellung vermissen ließ, wie es ihm gelungen sein soll, bei einer Überzahl von 10 bis 12 Leuten zu fliehen, wie er in der mündlichen Verhandlung behauptet hatte. Nicht nachzuvollziehen ist für den Senat auch, dass der Kläger gegenüber dem Bundesamt nicht sagen konnte, wo sich genau die Praxis des von ihm aufgesuchten Arztes befindet, sondern nur Vermutungen angestellt hatte, obwohl es „sein“ Arzt im eigenen Stadtviertel gewesen sein soll. Sowohl bei der Anhörung durch das Bundesamt wie auch in der mündlichen Verhandlung ist aus der Sicht des Senats nicht deutlich geworden, weshalb der Kläger sofort nach einem ersten Vorfall das Land unter Aufwendung erheblicher finanzieller Mittel verlassen hat und als alleinstehender junger Mann nicht vielmehr erst einmal sein engeres soziales und familiäres Umfeld aufgegeben und in eine andere Stadt gegangen ist. Der bloße Einwand, dass in Pakistan überall Moslems lebten und er sich sicher gewesen sei, dass sie ihn auch dort umgebracht hätten, ist nicht ohne weiteres plausibel, wenn die Gefährdung doch von einem engsten sozialen und familiären Umfeld ausgegangen sein soll, das ihn sehr gut gekannt hätte. Weshalb in einer anderen Stadt hätte veröffentlicht werden sollen, dass er Christ bzw. getauft worden sei, erschließt sich dem Senat nicht. Auch seine Erläuterung, dass er erst hier erfahren haben will, dass man, um Christ zu werden, getauft werden muss, ist nicht nachvollziehbar, wenn er in Pakistan bereits gewusst haben will, dass er Christ werden wolle, weshalb auch die behaupteten engeren Kontakte zu einer christlichen Kirche in Pakistan, über die er zudem auffallend wenig berichten konnte, generell infrage stehen.
38 
Nach der Schilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hatte er seit etwa sechs Jahren Kontakt zu einem Mitspieler christlichen Glaubens mit Namen Zxxx im Cricketclub. Schon beim Bundesamt wie auch beim Verwaltungsgericht blieb der Kläger eine nachvollziehbare Erklärung dafür schuldig, weshalb er erst im Jahre 2011 von Zxxx angesprochen und aufgefordert worden sein will, mit in die Kirche zu gehen, und dieses nicht schon viel früher geschehen sein soll. Er hatte lediglich angegeben, dass sie erst im Jahre 2011 starke Freunde geworden seien, ohne dieses aber näher zu erläutern. Auch in der mündlichen Verhandlung fehlte eine schlüssige Antwort auf entsprechende Fragen des Senats. Bemerkenswert ist zudem, dass der Kläger bei der Anhörung durch das Bundesamt mehrfach davon gesprochen hatte, dass verschiedene „Jungs“ christlichen Glaubens aus dem Club, die enge Freunde von ihm gewesen seien, ihn angesprochen und aufgefordert hätten, in die Kirche zu gehen, während in der mündlichen Verhandlung davon auch nicht mehr im Ansatz die Rede war, sondern nur noch von Zxxx. Die Freunde sollen nach den beim Bundesamt gemachten Angaben auch die Ausreise gemeinsam organisiert haben, wovon der Kläger in der mündlichen Verhandlung ebenfalls nicht mehr gesprochen hatte. Schließlich kann angesichts grundlegender Widersprüche und Unzulänglichkeiten nicht übersehen werden und muss auch jedenfalls in der Gesamtschau zum Nachteil des Klägers gewertet werden, dass er beim Bundesamt den Namen des Freundes mit „Axxx“ angegeben hatte. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass es sich um einen Übertragungsfehler gehandelt haben könnte, sieht der Senat nicht. Denn zum einen ist die Ähnlichkeit beider Namen nicht sehr groß, zum anderen wurde die Niederschrift rückübersetzt, ohne dass der Kläger insoweit eine Berichtigung angebracht hätte; auch in der Folgezeit nach Erhalt einer Protokollabschrift ist solches nicht geschehen. Bemerkenswert ist auch, dass der Kläger beim Bundesamt nicht näher eingrenzen konnte, wann er im Jahre 2011 mit den Besuchen in der Kirche begonnen hatte, während er beim Verwaltungsgericht den Vorfall immerhin nunmehr auf den achten oder neunten Monat 2012 (gemeint 2011) relativ präzise datieren konnte. In der mündlichen Verhandlung will er nunmehr mit den Besuchen im neunten Monat begonnen haben, während sich der Vorfall im zehnten Monat abgespielt haben soll. Das wiederum passt offensichtlich nicht zu seinem Vorbringen, er sei nach dem Vorfall nicht mehr zur Familie gegangen, sondern zu Zxxx, bei dem er noch 20 bis 25 Tage geblieben sei bis er mit dem Zug von Lahore nach Quetta gefahren sei, während er beim Bundesamt angegeben hatte, am 23.12.2011 (nicht wie im Protokoll offensichtlich irrtümlich ausgeführt 2012) von Lahore mit dem Zug nach Quetta gefahren zu sein.
39 
III. Dem Kläger kann die Flüchtlingseigenschaft auch nicht allein deshalb zuerkannt werden, weil er inzwischen Christ ist und im Falle der Rückkehr seinen Glauben aktiv auch in der Öffentlichkeit praktizieren wird. Der Senat geht in diesem Zusammenhang nach den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass er als getaufter Christ seinem Glauben innerlich verbunden ist und es zu den von ihm als verbindlich verstanden Glaubensinhalten gehört, regelmäßig an den Gottesdiensten seiner Gemeinde teilzunehmen und sich an der Gemeindearbeit zu beteiligen.
40 
Christen in Pakistan droht nach den im Verfahren vom Senat zugrunde gelegten und ausgewerteten Erkenntnismitteln nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wegen ihres Glaubens und ihrer – auch öffentlichen – Glaubensbetätigung einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 QRL ausgesetzt zu sein.
41 
Der Senat geht davon aus, dass in Pakistan mindestens 3 Millionen Christen leben (vgl. AA Lagebericht vom 08.04.2014, S. 6 und 16 – im Folgenden Lagebericht; vgl. aber auch Home Office, Pakistan, Country of Origin Information Report vom 09.10.2013, Ziffer 19.178 – im Folgenden COI – wonach laut einiger Quellen die Zahl in Wirklichkeit das Doppelte betragen soll). Nach der Rechtslage bestehen - anders als bei der religiösen Minderheit der Ahmadis – keine wesentlichen unmittelbaren Diskriminierungen der Christen in Pakistan (vgl. etwa Lagebericht, S. 13 f.; BAA, Bericht zur Fact Finding Mission, Pakistan, Juni 2013, S. 38 ff. und 51 ff. – im Folgenden BAA). Eine Ausnahme besteht insoweit, als der Premierminister sowie der Präsident Muslim sein muss, was teilweise als schlechtes Signal an die Bevölkerung beschrieben wird, dass die Minderheiten auch minderwertig seien (vgl. BAA, S. 51). Allerdings wirkt sich die sog. Blasphemiegesetzgebung auch bei der christlichen Minderheit faktisch zu ihrem Nachteil aus, zumal diese – nicht anders als bei anderen Minderheiten, aber auch bei der Mehrheitsbevölkerung – in erheblichem Maße aus eigensüchtigen Motiven und Gründen von den Anzeigeerstattern missbraucht wird (vgl. ausführlich auch BAA, S. 48 ff.; COI, Ziffer 19.33. ff.; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Angehörigen religiöser Minderheiten in Pakistan, 10.10.2012, S. 6 f. – im Folgenden UNHCR; Human Rights Commission of Pakistan, State of Human Rights in 2013, S. 27 ff und 101 ff. – im Folgenden HRCP).
42 
Der Senat hat sich zu den Blasphemiegesetzen in seinem den Beteiligten im Einzelnen bekannten Urteil vom 12.06.2013 (A 11 S 757/13 - juris) ausführlich geäußert, auf das zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird (vgl. dort Rn. 68 ff.). Wesentlich neue Aspekte haben sich insoweit zwischenzeitlich nicht ergeben. Betroffen sind davon allerdings in erster Linie nicht Angehörige der christlichen Minderheit. Dokumentiert sind zwei nicht rechtskräftige Todesurteile gegen eine christliche Frau und ein christliches Mädchen, ohne dass nähere Umstände hierzu bekannt geworden sind (vgl. etwa Human Rights Watch World Report 2014, S. 367 f. – im Folgenden HRWWR). Im Jahre 2012 kam es zu insgesamt 113 Anklagen (gegenüber 79 im Jahre 2011), davon 12 gegen Christen (Lagebericht, S. 14; vgl. auch HRCP, S. 33 f., die von geringfügig höheren Zahlen ausgeht). Im Jahre 2013 wurden insgesamt gegen 68 Personen Verfahren eingeleitet, darunter gegen 14 Christen; es wurden insgesamt mindestens 16 oder 17 Personen zum Tode und 19 oder 20 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, davon eine Verurteilung eines Christen zu lebenslanger Freiheitsstrafe und zwei Freisprüche von Christen (vgl. US Commission of International Religious Annual Report 2014, S. 76 – Im Folgenden USCIRF I; HRWWR, S. 367; HRCP, S. 33 ff.; vgl. zu weiteren Verurteilungen eines britischen Staatsangehörigen und einer pakistanischen Christin im Jahre 2014 Briefing Notes vom 27.01.2014 und 31.03.2014).
43 
Die Religionsausübung der christlichen Minderheit wird grundsätzlich staatlicherseits nicht eingeschränkt oder behindert. Für das Jahr 2012 wurde allerdings berichtet, dass auch staatliche Stellen sich an der Zerstörung christlicher Einrichtungen beteiligt hätten (vgl. US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2012, S. 126 – Im Folgenden USCIRF II). Vergleichbare Vorkommnisse werden für das Jahr 2013 in den zahlreichen Erkenntnismitteln an keiner Stelle mehr erwähnt (vgl. USCRIF I, S. 75 ff. und US Commission of International Religious Freedom Annual Report 2013, S. 123 – im Folgenden USCRIF IV).
44 
Die wesentlichen Probleme, mit denen religiöse Minderheiten konfrontiert sind, sind die Auswirkungen der zunehmenden interkonfessionellen Gewaltakte von nicht-staatlicher Seite und Diskriminierungen im gesellschaftlichen Leben (vgl. hierzu schon ausführlich Senatsurteil vom 12.06.2013 – A 11 S 757/13). Allerdings ist festzustellen, dass sich diese Gewalttaten bislang überwiegend gar nicht gegen Christen, sondern gegen Angehörige der schiitischen Minderheit richten (vgl. BAA, S. 19 f und 47 f.; Lagebericht, S. 16; HRWWR, S. 367; USCIRF I, S. 75). Für das Jahr 2013 wurden insgesamt 658 Tote und 1195 Verletzte gezählt (vgl. Lagebericht S. 16), die gegen religiöse Minderheiten gerichteten interkonfessionellen Gewaltakten zum Opfer gefallen sind, während es sich im Jahre 2012 „nur“ um 507 Tote und 577 Verletzte gehandelt hatte (vgl. COI, Ziffer 19.233). Was die christliche Minderheit betrifft, sind besonders hervorzuheben ein Anschlag auf die anglikanische Allerheiligen-Kirche in Peshawar am 22.09.2013, durch den wohl etwa 100 Personen getötet und über 150 zum Teil schwer verletzt wurden (vgl. Lagebericht, S. 16, und USCIRF I, S. 76). Im März und April attackierte eine aufgehetzte Menschenmenge christliche Siedlungen bzw. Dörfer; bei den Attacken wurden über 100 Häuser zerstört, ohne dass aber Menschenleben zu beklagen waren (vgl. USCIRF I, S. 76; vgl. auch BAA, S. 42 f.; vgl. auch HRCP, S. 94 - zu weiteren – allerdings vereinzelten – Übergriffen auf Kirchen S. 94), wobei auch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Vorfall im März 2013 von langer Hand vorbereitet worden war. Im Wesentlichen alle verwerteten Erkenntnismittel sind sich in diesem Zusammenhang einig, dass staatliche Sicherheits- und Strafverfolgungsorgane hierbei den erforderlichen Schutz nur lückenhaft gewähren oder jedenfalls viel zu spät eingreifen, wobei dieses oftmals nicht allein darauf zurückzuführen ist, dass diese Organe überfordert wären, sondern auch auf einer offensichtlich mangelnden Bereitschaft beruht, effektiven Schutz zu gewähren (vgl. etwa BAA, S. 19 ff. und 42 ff.; HRWWR, S. 367; UNHCR, S. 1 f.; vgl. zu unzureichenden Schutzmaßnahmen schon Departement of State‘s International Religious Freedom Report for 2012, Stichwort „Government Inaction“ – Im Folgenden USCIRF III). Allerdings ist auch festzuhalten, dass es fundierte Berichte gibt, dass Polizeiorgane bei dem Versuch, den gebotenen Schutz zu gewähren, ernsthafte Verletzung erlitten haben (vgl. BAA, S. 43; vgl. auch S. 46 zu Schutzmaßnahmen bei Prozessionen). Immerhin haben die Sicherheitsorgane nach gewalttätigen Übergriffen auch Ausgangssperren zum Schutze der Minderheiten und gegenüber muslimischen Klerikern Verbote verhängt, die Stadt zu betreten, um zu verhindern, dass diese zur Gewalt aufstacheln und Hassreden halten (vgl. HRCP S. 76). Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang abschließend, dass es nach dem Angriff am 22.09.2013 in Lahore und Islamabad bemerkenswerte zivilgesellschaftliche Solidaritätsaktionen zugunsten der Christen gab, indem um mehrere Kirchen Menschenketten gebildet wurden (HRCP, S. 94).
45 
Selbst wenn man bei der gebotenen qualitativen Bewertung (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - NVwZ 2011, 56, vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454 und vom 13.02.2014 - 10 C 6.13 - NVwZ-RR 2014, 487) berücksichtigt, dass derartige Gewaltakte teilweise nicht vorhergesehen werden und die Angehörigen der religiösen Minderheiten gewissermaßen aus heiterem Himmel treffen können, was es ihnen dann aber unmöglich macht, ihnen auszuweichen, so genügen selbst die für das Jahr 2013 festgestellten Opferzahlen, die nach den verwerteten Erkenntnismitteln überwiegend nicht die christliche Minderheit betreffen, bei weitem nicht, um die Annahme zu rechtfertigen, jeder Angehörige dieser mindestens drei Millionen zählenden Minderheit müsse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, in einer noch überschaubaren Zeit Opfer derartiger Leib oder Leben betreffenden Akte zu werden. Daran ändern nichts die etwa vom Auswärtigen Amt im Lagebericht vom 08.04.2014 (S. 16) getroffene Feststellung, dass nach den Ereignissen des Jahres 2013 die Bedrohungslage der christlichen Minderheit in Pakistan eine neue Qualität habe, und die Tatsache, dass die Human Rights Commission of Pakistan davon spricht, dass das Jahr 2013 eines der schwärzesten für die christlichen Gemeinden in Pakistan gewesen sei (HRCP, S. 92). Auch UNHCR ist bislang der Auffassung gewesen, dass eine generelle, vom Einzelfall unabhängige Gefährdung nicht besteht (UNHCR, S. 8). Selbst die Organisation „Open Doors“ (Länderprofile Pakistan), die insgesamt ein durchaus düsteres Bild vermittelt, das aber in den anderen Erkenntnismitteln keine unmittelbare Entsprechung findet, geht davon aus, dass die christlichen Gemeinden sich nach wie vor ungehindert auch mit Öffentlichkeitsbezug versammeln und arbeiten können, auch wenn mitunter die Kirchen von bezahlten Wachleuten geschützt werden. Der Senat kann daher offen lassen, ob der pakistanische Staat den durch Art. 7 Abs. 2 QRL geforderten effektiven Schutz gewährleistet, was aber nach den verwerteten Erkenntnismitteln eher zu verneinen sein dürfte.
46 
Dass es nach wie vor ein reges, wenn auch nicht ungefährliches religiöses Leben der christlichen Minderheit auch mit unmittelbarem Öffentlichkeitsbezug in Pakistan gibt, wird beispielhaft illustriert durch die – auch neueren – Berichte, die auf der Website http://www.kirche-in-not.de/tag/pakistan erschienen sind und weiter erscheinen. Dass tatsächlich der christliche Glaube in nennenswertem Umfang in Pakistan gelebt und aktiv praktiziert wird, lässt sich auch unschwer daraus ablesen, dass die Kirchen in erheblichem Umfang Schulen und andere Bildungseinrichtungen betreiben (vgl. missio, Länderberichte Religionsfreiheit: Pakistan, 2012, S. 18 – im Folgenden missio; Deutschlandradio Kultur vom 13.01. und 11.02.2014; vgl. auch den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Ausdruck des Internetauftritts der FGA-Church Pakistan). Auch ist darauf hinzuweisen, dass die Erzdiözesen Karachi und Lahore seit langer Zeit größere Krankhäuser betreiben und auch seit 2009 eigene Fernsehsender unterhalten (Wikipedia, Roman Catholic Archdiocese of Lahore Stand 28.03.2014; Wikipedia, Roman Catholic Archdiocese of Karachi Stand 28.03.2014).
47 
Die gesellschaftliche und soziale Lage der christlichen Minderheit wird übereinstimmend als durchaus prekär und durch vielfältige Diskriminierungen geprägt beschrieben. Gleichwohl ist das Bild zwiespältig. Die festzustellende Marginalisierung und Diskriminierung beruht dabei keineswegs allein oder ganz überwiegend auf dem christlichen Glauben, sondern hat auch eine wesentliche Wurzel in dem noch nachwirkenden und überkommenen Kastenwesen, weil die Christen zum größten Teil Nachkommen von Hindus sind, die der Kaste der Unberührbaren angehörten (vgl. BAA, S. 52; COI, Ziffer 19.198 und 19.204). Dies hat zur Folge, dass die überwiegende Zahl der Christen der Unterschicht zuzurechnen ist und unter der Armutsgrenze lebt, was im Übrigen auch für andere Minderheiten gilt, und die Rate von Analphabetentum sehr groß ist (vgl. Lagebericht, S. 13 f.; BAA, S. 50 ff.; Immigration und Refugee Board of Canada, Pakistan: Religious conversions, including treatment of converts and forced conversions (2009 – 2012), Ziff. 1 – im Folgenden Canada). Diese Stellung wiederum macht eine wesentliche Ursache dafür aus, dass junge christliche Frauen und Mädchen in besonderem Maße das Opfer von unfreiwilligen Bekehrungen und Verheiratungen nach Entführungen werden (vgl. COI, Ziffer 19.188 und 19.198; UNHCR, S. 7; HRCP, S. 95 f.), wobei auch hier ein wirklich effektiver Schutz durch die pakistanischen Sicherheitsorgane nicht gewährt wird, auch wenn in der Nationalversammlung und auf der staatlichen Führungsebene das Problem gesehen und über Abhilfe diskutiert wird (vgl. Canada Ziff. 1). Allerdings berichtet die Pakistanische Menschenrechtsorganisation für das Jahr 2013 durchaus von erheblich weniger erfolgreichen oder versuchten zwangsweisen Konversionen bzw. Verheiratungen (vgl. HRCP, S. 91). Bei alledem darf letztlich aber zudem nicht die Tatsache ausgeblendet werden, dass Entführungen, Zwangsverheiratungen und Vergewaltigungen von (jungen) Frauen in Pakistan ein durchaus gesamtgesellschaftliches Phänomen und Problem darstellen, das weit über die christliche Minderheit hinausreicht (vgl. COI, Ziff. 23.156 ff.; Lagebericht, S. 19 und 21). Die Christen arbeiten überwiegend in der Landwirtschaft, der Steinbearbeitungs-, Glas-, Teppich- und Fischereiindustrie, für die auch Elemente von Zwangsarbeit festgestellt wurden, gegen die die staatlichen Stellen trotz entsprechender Verbotsgesetze nicht effektiv vorgehen (vgl. UNHCR, S. 8). Die Diskriminierung der christlichen Minderheit findet aber auch hier nicht in erster Linie im staatlichen Sektor statt, in dem allenfalls in Bezug auf höhere Positionen eine signifikante Unterrepräsentierung festzustellen ist (vgl. BAA, S. 51; vgl. zum Bildungswesen und diskriminierenden Bildungsinhalten bzw. zum obligatorischen islamischen Religionsunterricht USCIRF III, Stichwort „Governments Practice“). Die staatliche Seite versucht durchaus, gesellschaftlichen Diskriminierungen entgegen zu arbeiten (vgl. BAA, S. 41 und 52). An einer konsequenten, geschweige denn erfolgreichen auf den nicht-staatlichen Bereich bezogenen Antidiskriminierungspolitik mangelt es zwar. Ein solches Unterlassen stellt jedoch keine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 (hier v.a. lit. b, c und d) QRL dar, wenn man überhaupt in einem Unterlassen eine relevante Verfolgungshandlung sehen will (vgl. zum Problem grundsätzlich Marx, Handbuch zu Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., § 11 Rn. 2 ff.), weshalb schon deshalb auch aus einer Gesamtschau aller negativen Faktoren (einschließlich der festgestellten Übergriffe auf Leib und Leben sowie vereinzelter menschenrechtlich fragwürdiger Verfahren wegen eines behaupteten Verstoßes gegen einzelne Bestimmungen der Blasphemiegesetzgebung) keine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b) QRL abgeleitet werden kann. Denn nur in einer finalen und systematischen Vorenthaltung des staatlichen Schutzes zur Vermeidung erheblicher Menschenrechtsverletzungen kann überhaupt ein zurechenbares und daher flüchtlingsrechtlich relevantes Verhalten erblickt werden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - NVwZ 2009, 984), was jedoch aus den verwerteten Erkenntnismitteln nicht hinreichend deutlich zutage tritt. Geht man hingegen davon aus, dass in einem Unterlassen generell keine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 QRL liegen kann und verortet man die Problemstellung (nur) bei der Frage, welche Anforderungen an das nach Art. 7 Abs. 2 QRL geforderte nationale Schutzsystem zu stellen sind, so führt dies zu keiner anderen Sicht der Dinge. Zwar finden sich in einer Vielzahl von Menschrechtspakten ausdrückliche Diskriminierungsverbote (vgl. etwa Art. 2 AEM; Art. 14 EMRK; Art. 26 IPbpR), die mittlerweile zu einem allgemeinen völkergewohnheitsrechtlichen Diskriminierungsverbot erstarkt sein dürften (vgl. Marx, a.a.O., § 16 Rn 45), das auch Art. 9 Abs. 2 QRL zugrunde liegt, das aber grundsätzlich in erster Linie an staatliche Akteure gerichtet ist. Es existiert jedoch keine allgemeine, auch flüchtlingsrechtlich relevante Verpflichtung, Diskriminierungen durch nicht-staatliche Akteure umfassend zu unterbinden und mit allen Mitteln effektiv zu bekämpfen. Ein auch solche Handlungen, die unterhalb der Schwelle von Eingriffen in Leib, Leben oder persönlicher Freiheit liegen, unterbindendes Schutzsystem wird durch Art. 7 Abs. 2 QRL nicht gefordert. Soweit etwa Art. 7 IPwskR das Recht der Arbeitnehmer auf gleiches Entgelt für gleichwertige oder auf gleiche Möglichkeiten auf beruflichen Aufstieg anerkennt und damit auch nicht-staatliche Akteure im Blick hat, handelt es sich nicht um ein Instrumentarium, das bedingungslos grundlegende menschenrechtliche Standards umschreibt, die flüchtlingsrechtlich eine Verpflichtung zu einer umfassenden Antidiskriminierungspolitik auslöst und daher Grundlage eines umfassenden flüchtlingsrechtlich relevanten menschenrechtlichen Schutzstandards sein könnte. Dies gilt namentlich dann, wenn - wie dargelegt - die allgemeine sozio-ökonomische Lage der christlichen Minderheit gar nicht monokausal auf ihre Religionszugehörigkeit zurückgeführt werden kann.
48 
Das vom Kläger angesprochene „land grabbing“ privater Akteure ist ein in Pakistan weit verbreitetes Phänomen und richtet sich nicht spezifisch gegen die christliche Minderheit, sondern betrifft auch andere Bewohner des Landes, die sich aufgrund ländlicher feudaler oder sonstiger ubiquitärer mafiöser Strukturen in einer unterlegenen Position befinden und bei denen nicht selten effektiver staatlicher Schutz ausfällt (vgl. COI, Ziff. 35.01; HRCP, S. 253).
49 
Ungeachtet dessen vermag der Senat den zahlreichen verwerteten Erkenntnismitteln auch keinen tragfähigen Ansatz für eine Feststellung zu entnehmen, dass die Lage der christlichen Minderheit generell betrachtet durch eine schwere Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL gekennzeichnet wäre.
50 
Etwas anderes gilt auch nicht allgemein und generell betrachtet für den Personenkreis der vom Islam zum Christentum Konvertierten.
51 
Zunächst ist davon auszugehen, dass die pakistanische Rechtsordnung den Vorgang der Konversion nicht untersagt oder gar strafrechtlich bewertet (vgl. Lagebericht, S. 14). Versuche, die Rechtslage zu Lasten der Konvertiten zu verändern, sind sogar gescheitert und aufgegeben worden (vgl. COI, Ziff. 19.66). Allerdings kann hier die bereits erwähnte Blasphemie-Gesetzgebung zum Einfallstor für Verfolgungen und Diskriminierungen werden, wenn es um die Beurteilung von Äußerungen und Verhaltensweisen im Kontext einer Konversion geht (vgl. missio, S. 13 und 17; Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014, S. 3). Dass aber in signifikantem Umfang der hier zu beurteilende Personenkreis betroffen sein könnte, lässt sich den vielfältigen Erkenntnismitteln nicht entnehmen, obwohl in ihnen eine unübersehbare Fülle von Einzelinformationen verarbeitet wurden. Auch missio benennt in diesem Kontext keine konkreten Einzelfälle, sondern weist nur auf die Möglichkeit hin. Für die staatliche Ebene wird allerdings berichtet, dass ein Neueintrag der christlichen Religion in den Personalausweisen bzw. Pässen nicht möglich ist, jedenfalls faktisch nicht vorgenommen wird (Canada, Ziffer 3). Zwar wird auch berichtet, dass im Falle einer Konversion beider Ehegatten die Kinder der Konvertierten als „illegitim“ eingestuft werden und der Staat die Kinder sogar in Obhut nehmen kann. Dazu wird aber in den zahlreichen Erkenntnismitteln, die sehr ausführlich über Konversion berichten, insbesondere auch in den spezifisch christlichen bzw. kirchlichen Erkenntnismitteln kein einziger Fall benannt, geschweige denn nachvollziehbar dokumentiert.
52 
Die Probleme liegen wiederum in erster Linie in der gesellschaftlichen Sphäre. Denn nicht unerhebliche Teile der pakistanischen Gesellschaft stehen den religiösen Minderheiten ablehnend, wenn nicht gar feindselig gegenüber. Umso mehr wird dann eine Konversion weg vom Islam missbilligt, was zu hohen Befürwortungsraten für die Verhängung der Todesstrafe führt (vgl. COI, Ziff. 19.67). Wie bereits dargelegt, hat sich diese gesellschaftliche Stimmung aber nicht in entsprechenden erfolgreichen Gesetzesvorhaben niedergeschlagen. Teilweise stößt eine Konversion in der eigenen Familie des Konvertiten auf strikte Ablehnung, was dazu führen kann, dass der Betreffende aus der Familie verstoßen wird. Vereinzelt ist es hier auch zu körperlichen Übergriffen bis zu Tötungen gekommen (vgl. Canada, Ziff. 1 und 3). Den verwerteten Erkenntnismitteln nach kann es sich aber nicht um eine weiter verbreitete oder gar allgegenwärtige Erscheinung handeln.
53 
Die Folgen der gesellschaftlichen und innerfamiliären Ablehnung und Missbilligung gehen dahin, dass Konvertiten es teilweise, jedoch nicht generell, bewusst vermeiden, die Konversion an die Öffentlichkeit zu tragen, und daher ggf. auch den Wohnort wechseln, um nicht in ihrem bisherigen Wohnumfeld aufzufallen, um dann andernorts gewissermaßen als „unbeschriebenes Blatt“ als Christ auftreten und diesen Glauben mit den oben beschriebenen Einschränkungen leben zu können (vgl. etwa Open Doors, Länderprofile Pakistan). Das bedingt aber andererseits, dass es verlässliche Zahlen über die Konversionen vom Islam weg nicht geben kann. Auch wenn angesichts der geschilderten Haltung der Mehrheitsgesellschaft davon auszugehen sein wird, dass die Zahl der erfolgten Lösungen vom Islam oder Konversionen weg vom Islam nicht sehr groß sein wird, so fehlt es doch gegenwärtig an ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass nach Maßgabe der für die Annahme einer Gruppenverfolgung zugrunde zu legenden Prognosemaßstäbe jeder pakistanische Staatsangehörige, der sich vom Islam löst, unterschiedslos ein reales Risiko läuft, von einer schweren Menschenrechtsverletzung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 lit. a) oder lit. b) QRL betroffen zu sein. Der Senat sieht sich in dieser Einschätzung durch den Bericht von Deutschlandradio Kultur vom 11.02.2014 und die dort geschilderte Haltung und Einschätzung eines ehemaligen Muslim bestätigt, die deutlich machen, dass Konversion bzw. auch nur Abkehr vom Islam möglich ist, tatsächlich stattfindet und keineswegs mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt. Im konkreten Einzelfall mag aufgrund individueller Umstände eine andere Beurteilung erforderlich werden. Unabhängig hiervon sieht der Senat keine durchgreifenden Hindernisse für eine Person in der Lage des Klägers, im Falle von unmittelbaren Anfeindungen und Übergriffen im persönlichen Umfeld seinen Wohnort zu wechseln (vgl. Art. 8 QRL), wie dieses nach den verwerteten Erkenntnismitteln immer wieder geschieht, um ein Leben als Christ führen zu können (vgl. Lagebericht, S. 24; Open Doors, Länderprofile Pakistan; Home Office, Country Information and Guidance, Pakistan: Religious freedom, 2014, Ziff. 2.4.16 f.). Aufgrund besonderer Umstände mag auch hier im Einzelfall etwas anderes gelten. Diese sind jedoch in der Person des Klägers nicht erkennbar geworden. Zwar hat er behauptet, als Cricketspieler in Lahore bekannt zu sein. Dass dieses landesweit der Fall gewesen sein könnte, erschließt sich dem Senat nicht. Denn solches wurde vom Kläger schon nicht nachvollziehbar und substantiiert behauptet. Ungeachtet dessen ist seine Person an keiner Stelle im Internet im Kontext des Cricketsports in Pakistan zu finden, worauf der Kläger in der mündlichen Verhandlung hingewiesen wurde.
54 
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO und 83b AsylVfG. Gründe dafür, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO).

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 04. August 2016 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beklagte wendet sich im Berufungsverfahren gegen die der Klägerin vom Verwaltungsgericht zuerkannte Eigenschaft eines Flüchtlings im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG.

2

Die Klägerin ist syrische Staatsangehörige, arabischer Volkszugehörigkeit und islamischen Glaubens. Eigenen Angaben zufolge reiste sie am 1. Oktober 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik ein und stellte am 27. April 2016 einen Asylantrag.

3

Die persönliche Anhörung erfolgte am 27. April 2016.

4

Das Bundesamt hat der Klägerin mit Bescheid vom 13. Mai 2016 den subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 AsylG zuerkannt (Nr. 1) und den Asylantrag im Übrigen abgelehnt (Nr. 2).

5

Die Klägerin hat gegen die Ablehnung ihres Antrages auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft am 23. Juni 2016 Klage erhoben.

6

Zur Begründung hat sie vorgetragen, sie sei gemeinsam mit ihrem Ehemann, einem Stabsfeldwebel der Syrischen Armee, aus Syrien im April 2013 geflohen. Zum Nachweis der Armeezugehörigkeit werde eine beglaubigte Übersetzung des Militärführerscheins für Unteroffiziere vorgelegt. Der Ehemann sei im Januar 2013 desertiert und mit ihr und den minderjährigen Kindern in die Türkei ausgereist. Nicht bloß ihrem Ehemann, sondern auch ihr, der Klägerin, drohe bei einer Rückkehr nach Syrien die zu erwartende obligatorische Rückkehrerbefragung durch syrische Sicherheitskräfte; mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit sei sie einer menschenrechtswidrigen Behandlung bis hin zur Folter ausgesetzt. Unabhängig hiervon habe sie bereits aufgrund des illegalen Verlassens ihres Heimatlandes, der Asylantragstellung und dem längeren Auslandsaufenthalt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen der damit einhergehenden vermuteten regimekritischen Haltung mit massiver Bedrohung und Verfolgung zu rechnen. Deshalb sei ihr die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Dass den von ihr aufgezeigten Umständen asylrechtliche Relevanz beigemessen werde, sei mittlerweile in der verwaltungsgerichtlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt.

7

Die Klägerin hat beantragt,

8

den Bescheid der Beklagten vom 13. Mai 2016 in Ziffer 2 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen.

9

Die Beklagte hat beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Sie sei aus Furcht vor dem in Syrien herrschenden Bürgerkrieg und somit aus Gründen, die ihre persönliche Sicherheit beträfen, ausgereist, nicht hingegen wegen Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Verfolger. Die von ihr geäußerte Befürchtung, ihr Auslandsaufenthalt könne zu einer Verfolgung führen, lasse keine andere Bewertung zu. Der syrische Staat stelle seit Januar 2015 Pässe in großer Stückzahl aus und ermögliche damit die Ausreise aktiv.

12

Das Verwaltungsgericht hat nach Anhörung der Beteiligten hierzu durch Gerichtsbescheid vom 4. August 2016 die Beklagte verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen und den angefochtenen Bescheid insoweit aufgehoben.

13

Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die Klägerin vorverfolgt aus Syrien ausgereist sei, denn ihr stünden beachtliche, den Schutzstatus des § 3 Abs. 1 AsylG auslösende Nachfluchtgründe zur Seite. Mit Blick auf die Erkenntnismittel und die aktuelle Situation in Syrien sei im Einklang mit der mittlerweile ganz überwiegenden Rechtsprechung davon auszugehen, dass der Klägerin bei einer Rückkehr in ihre Heimat ungeachtet individuell geltend gemachter Gründe und deren Glaubhaftigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung drohe. Es sei anzunehmen, dass der syrische Staat gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfungspunkt und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System ansehe, die das Gebot der Loyalität gegenüber diesem verletze. Ein solches Verhalten werde - ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen - vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst. Zumindest Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und damit auch aus Deutschland hätten in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ihre tatsächliche oder wohl zumeist nur vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen. An der im Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg (Urt. v. 06.07.2016, - RN 11 K 16.30889 -) dargestellten Lage in Syrien und der gewonnenen asylrechtlichen Einschätzung habe sich nichts verändert.

14

Auch die steigende Zahl an Flüchtlingen aus Syrien habe nicht zur Folge, dass der einzelne sich im westlichen Ausland aufhaltende Flüchtling aufgrund dieses Massenphänomens nicht mehr als potentieller politischer Gegner des Regimes angesehen werde. Vielmehr sei mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass rückkehrende Asylbewerber politisch verfolgt werden würden, weil die syrische Regierung den Bürgerkrieg als eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung ansehe. Unter den derzeitigen Umständen werde jeder sich im westlichen Ausland aufhaltende Syrer im Falle seiner Rückkehr als möglicher Oppositioneller angesehen.

15

Nach den aktuellen „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (4. aktualisierte Fassung vom November 2015) sei von einer „immer schwierigeren Sicherheits- und Menschenrechtslage und humanitären Situation in Syrien“ auszugehen. Aufgrund einer weiterhin fehlenden politischen Lösung begrüße der UNHCR die Tatsache, dass viele Regierungen Maßnahmen ergriffen hätten, um die zwangsweise Rückführung von syrischen Staatsangehörigen oder Personen mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in Syrien auszusetzen, einschließlich solcher Personen, deren Asylanträge abgelehnt worden seien. Nach Einschätzung des UNHCR sei es wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllten, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK hätten. Die Einschätzung, dass sich die Lage in Syrien im Vergleich zu den Jahren 2012/2013 weiter verschlechtert habe, werde von dem Gericht geteilt.

16

Auch der Annahme der Beklagten, die vermehrte Ausstellung syrischer Pässe spreche gegen die Annahme staatlicher Verfolgung syrischer Rückkehrer und Rückkehrerinnen, sei nicht zu folgen. Nach Angaben von Pro Asyl verfolge das syrische Regime auch ökonomische Interessen. An der Ausstellung von ca. 800.000 Pässen verdiene es ca. 470 Mio. Euro (Pressemitteilung v. 08.06.2016). Auch nach der vom Verwaltungsgericht Regensburg zitierten Einschätzung des Auswärtigen Amtes sei zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen syrischen Staatshaushalt zugutekämen.

17

Der Klägerin stehe schließlich keine sichere, innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne von § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG zur Verfügung; denn es bestehe nur die Möglichkeit einer Einreise über den von syrischen Regierungskräften kontrollierten Flughafen von Damaskus.

18

Die Flüchtlingsanerkennung scheide auch nicht aus anderen Gründen aus, so dass die beachtliche Wahrscheinlichkeit bestehe, dass der Klägerin bei einer Rückkehr nach Syrien politische Verfolgung drohe, weil sie die vermutete Systemfeindlichkeit im Rahmen einer Befragung durch die syrischen Sicherheitsbehörden nicht werde widerlegen können.

19

Mit der mit Beschluss des Senats vom 27. September 2016 zugelassenen Berufung verfolgt die Beklagte die Abweisung der Klage unter Abänderung des Gerichtsbescheides vom 4. August 2016.

20

Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, es gebe keine gesicherten Anhaltspunkte dafür, dass abgeschobenen Rückkehrern grundsätzlich ungeachtet besonderer persönlicher Umstände oppositionelle Tätigkeit unterstellt werde und die Befragungen und damit teilweise auch einhergehenden Misshandlungen in Anknüpfung an ein asylrechtliches Merkmal erfolgten. Aus den bislang aufgrund der Auskunftslage zur Verfügung stehenden Einzelfällen könne ungeachtet des Unrechtsgehalts dieses staatlichen Handelns keine Motivation des syrischen Staates abgeleitet werden. Eine vorherige Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien deshalb für sich allein kein Grund für Verhaftung oder Repressalien. Dass Rückkehrer generell der Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt seien, begründe daher lediglich einen Anspruch auf Abschiebungsschutz. Auch aus der vom Verwaltungsgericht zitierten Rechtsprechung ließen sich keine belastbaren Erkenntnisse für das Vorliegen einer asylrechtlich erheblichen Gefahr einer politischen Verfolgung herleiten. Der syrische Staat habe weder Veranlassung noch entsprechende Ressourcen, alle zurückgeführten unpolitischen Asylbewerber ohne erkennbaren individuellen Grund in asylrechtlich relevantem Maße zu verfolgen. Auch die massenhafte Ausstellung von Pässen spreche gegen die Auffassung, dass Rückkehrern wegen eines Auslandsaufenthalts eine regimekritische Gesinnung unterstellt werde.

21

Die Beklagte beantragt,

22

den Gerichtsbescheid, Az. 12 A 222/16, vom 4. August 2016 des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts zu ändern und die Klage abzuweisen.

23

Die Klägerin beantragt,

24

die Berufung zurückzuweisen.

25

Dass die gegenwärtige Lage in Syrien vom Verwaltungsgericht zutreffend dargestellt und gewürdigt worden sei, ergebe sich auch aus weiteren Länderberichten. Die eingeholten Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes und des Deutschen Orient-Instituts seien hingegen nicht geeignet, die Annahmen des Verwaltungsgerichts zu widerlegen. Im Übrigen sei sie, die Klägerin, vorverfolgt ausgereist. Ihr Ehemann sei Unteroffizier bei der syrischen Armee gewesen und habe in einer Abteilung gearbeitet, die sich mit der Ermordung des Libanesen R. beschäftigt habe. 2012 sei ihr Ehemann, als er an der Front habe kämpfen sollen, desertiert und mit seiner Familie im August von Damaskus zunächst nach Latakia geflohen und von dort aus weiter nach Idlib. Aufgrund der Desertation würde ihr, der Klägerin, mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der Rückkehr nach Syrien Verfolgung drohen.

26

Der Senat hat mit Beschluss vom 27. September 2017 Beweis erhoben zu der Frage, ob unverfolgt ausgereiste Rückkehrer wegen einer vermuteten oppositionellen Haltung Befragungen seitens des syrischen Staates ausgesetzt sind und, sollte dies der Fall sein, wie hoch die Gefahr einzuschätzen ist, dass sie deshalb Verfolgungsmaßnahmen seitens des syrischen Staates ausgesetzt sein werden durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Auswärtigen Amtes und des Deutschen Orient-Instituts. Wegen des Inhalts der Gutachten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten (Bl. 114 f., 118f.).

27

Die Klägerin ist im Rahmen der mündlichen Verhandlung informatorisch zu den von ihr geltend gemachten Verfolgungsgründen angehört worden. Wegen der von ihr hierzu geltend gemachten Angaben wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2016 (Gerichtsakten Bl. 152ff ) Bezug genommen.

28

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie auf die Gerichtsakten.

Entscheidungsgründe

29

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat in dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts vom 4. August 2016 war daher abzuändern und die Klage abzuweisen.

30

Nach § 3 Abs. 1 AsylG (zitiert nach der hier anwendbaren Variante) ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich 1. aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe 2. außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Gemäß § 3 Abs. 4, 1. Halbsatz AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.

31

§ 3a Abs. 1 Satz 1 AsylG definiert den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Begriff der Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention als dauerhafte oder systematische schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte (vgl. Marx, AsylVfG-Komm., 8. Aufl., § 3a Rn. 3); in Absatz 2 werden besondere Beispiele für das Vorliegen einer Verfolgungshandlung bezeichnet. § 3b Abs. 1 AsylG beschreibt abschließend die maßgeblichen Verfolgungsgründe. Zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen, § 3a Abs. 3 AsylG. Wer eine ihm geltende Verfolgungshandlung (§ 3a) sowie den Wegfall nationalen Schutzes (§ 3c - § 3e) darlegen kann, wird als Flüchtling anerkannt, wenn die Verfolgung auf einem oder mehreren der in § 3b Abs. 1 bezeichneten Verfolgungsgründen beruht. Kann die Anknüpfung der Verfolgung an einen Verfolgungsgrund nicht dargelegt werden, besteht nach Maßgabe der entsprechenden Voraussetzungen Anspruch auf subsidiären Schutz (§ 4 Abs. 1) (Marx, a.a.O., § 3a Rn. 50).

32

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anhand des inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, ob eine spezifische Zielrichtung vorliegt, die Wirkung mithin wegen eines geschützten Merkmals erfolgt (BVerfGE 80, 315, 335; BVerfGE 81, 142, 151; Marx, a.a.O., § 3 a, Rn. 54). Danach wohnt dem Begriff der Verfolgung ein finales Element inne, da nur dem auf bestimmte Merkmale einzelner Personen oder Personengruppen zielenden Zugriff erhebliche Wirkung zukommt. Das Kriterium „erkennbare Gerichtetheit der Maßnahme“ und das Erfordernis, dass die Verfolgung an geschützte Merkmale anknüpfen muss, verdeutlichen, dass es auf die in der Maßnahme objektiv erkennbar werdende Anknüpfung ankommt (Marx, a.a.O., Rn. 54).

33

Dabei ist es für die Annahme von Verfolgung nicht erforderlich, dass von politischer Verfolgung Betroffene entweder tatsächlich oder nach der Überzeugung des verfolgenden Staates selbst Träger eines verfolgungsverursachenden Merkmals sind. Politische Verfolgung kann auch dann vorliegen, wenn der oder die Betroffene lediglich der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist (BVerfG, Kammerbeschluss v. 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, juris Rn. 5). In diesem Sinne sieht § 3b Abs. 2 AsylG vor, dass es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich ist, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden. Dafür, dass die Verfolger einen Verfolgungsgrund unterstellen, müssen jedoch Umstände ermittelt werden (vgl. Marx, a.a.O., § 3b Rn. 78).

34

Nach der im Rahmen der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung der Klägerin ist der Senat davon überzeugt, dass diese unverfolgt ihr Heimatland Syrien verlassen hat. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung genügt der Asylbewerber seiner ihm obliegenden Mitwirkungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO nur dann, wenn er drohende oder bereits erlittene politische Verfolgung in „schlüssiger“ Form vorträgt. Hierzu ist erforderlich, dass er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildert, aus dem sich - als wahr unterstellt - ergibt, dass er bei verständiger Würdigung politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu gewärtigen hat. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen (ständ. Rspr. BVerwG, Urt. v. 24.11.1981 - BVerwG 9 C 251.81 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 31; v. 22.03.1983 - BVerwG 9 C 68.81 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 44; Beschl. v. 26.10.1989 - 9 B 405/89 -, juris, Rn. 8; Beschl. v. 15.08.2003 - 1 B 107/03, 1 PKH 21 PKH 28/03 -, juris Rn. 5). Diese Anforderungen erfüllt die Klägerin nicht. Sie hat erstmals in der im Rahmen des Berufungsverfahrens durchgeführten persönlichen Anhörung ausgeführt, ihr Ehemann sei nach Erhalt eines Einsatzbefehls aus der syrischen Armee desertiert und habe mit ihr und den gemeinsamen Kindern Damaskus zunächst in Richtung Latakia verlassen. In Idlib sei er, nachdem er sich als Deserteur offenbart gehabt habe und von einer bewaffneten Person als Mitglied des Ausschusses zur Aufklärung der Ermordung des früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri erkannt worden sei, von der Al-Nusra-Front mitgenommen und ca. vierzehn Tage festgehalten worden. Familienangehörige ihres Ehemannes seien ebenfalls festgenommen worden, um den Aufenthaltsort ihres Mannes sowie dessen Familie ausfindig zu machen. Sie selbst seien weiter in die Türkei geflüchtet, von wo sie als einzige weiter nach Deutschland geflüchtet sei. Dieses Vorbringen genügt nicht den Anforderungen an einen schlüssigen, in sich widerspruchsfreien Vortrag. Der Asylbewerber ist gehalten, sich bereits bei der Antragstellung vor dem Bundesamt für Flüchtlinge und Migration über die Tatsachen zu erklären, die seine Furcht vor politischer Verfolgung begründen (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.06.1991 - 9 C 131/90 -, juris Rn. 9). Die Klägerin hat bei ihrer Anhörung bei der Beklagten erklärt, sie sei mit ihrer Familie aus Furcht vor dem Bürgerkrieg geflohen. Sie hat trotz gezielter Nachfragen des Senats in der mündlichen Verhandlung nicht zu erklären vermocht, warum sie die 50 Minuten währende Anhörung bei der Beklagten nicht dazu genutzt hat, sich über ihr im Rahmen des anhängigen gerichtlichen Verfahrens erstmalig vorgetragenes individuelles Fluchtschicksal zu erklären. Auch, wenn es dem Asylbewerber grundsätzlich unbenommen bleibt, sein Verfolgungsschicksal später, das heißt in dem sich anschließenden (Gerichts-)Verfahren, zu ergänzen und zu konkretisieren, muss das Kerngeschehen grundsätzlich - wie ausgeführt - bereits bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Flüchtlinge und Migration in sich stimmig und widerspruchsfrei geschildert werden. Daran mangelt es hier. Die Klägerin hat ihr Vorbringen gegenüber demjenigen vor dem Bundesamt erheblich verändert und dann deutlich gesteigert. An dieser Einschätzung vermag auch der Umstand nichts zu verändern, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Klagebegründung (kurze) Ausführungen zu der Desertation ihres Ehemannes und der anschließenden Flucht der Familie durch und aus Syrien gemacht hat. Denn auch insoweit handelt es sich bereits um gesteigertes Vorbingen gegenüber der erstmaligen Anhörung. Hinzu kommt, dass die Klägerin ihr schriftsätzlich vorgetragenes und ihr mündliches Vorbringen im Berufungsvorbringen weiter gesteigert hat. Sie hat zu keinem Zeitpunkt des Asylverfahrens einen in sich stimmigen widerspruchsfreien Vortrag zu Protokoll erklärt. Vielmehr sind die von der Klägerin vorgebrachten mündlichen Schilderungen zu ihrem Verfolgungsschicksal nicht von persönlichem Erleben getragen. Dies schlussfolgert der Senat insbesondere aus den vage gebliebenen, insgesamt konstruiert wirkenden Angaben zu den Umständen der Flucht aus Latakia und der anschließenden Festnahme des Ehemannes nahe der Stadt Idlib. Welche Motivation hinter der Festnahme gestanden haben soll, bleibt völlig unklar. Auch das vorangegangene Fluchtgeschehen von Latakia nach Idlib mittels eines Lkw, auf dessen Ladefläche der Ehemann der Klägerin versteckt worden sein soll, bleibt in den Schilderungen der Klägerin detailarm und von Zufällen getragen, die ein reales Erleben als eher fernliegend erscheinen lassen. Ebenso bleibt es widersprüchlich, dass der Ehemann nach seiner Desertation und dem Weggang nach Latakia offenbar noch weitere acht Monate bei der Militärpolizei gearbeitet und im Wechsel eine Woche in Damaskus und eine Woche in Latakia gearbeitet haben will. Die Entfernung zwischen beiden Städten beträgt rund 330 km einfache Wegstrecke (Luftlinie gut 227 km).

35

Hätten sich die geschilderten Geschehnisse tatsächlich so zugetragen, bleibt umso mehr unverständlich, warum die Klägerin, die auch persönlich bedroht worden sein will, hierzu keinerlei Ausführungen bei ihrer persönlichen Anhörung bei der Beklagten gemacht hat. Weder Nachfragen des Senats in der mündlichen Verhandlung noch solche im Rahmen der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Flüchtlinge und Migration haben es vermocht, Widersprüche aufzulösen und das vorgetragene Verfolgungsschicksal in sich stimmiger zu machen. Im Gegenteil: Dass die Klägerin nach Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung vor dem Senat ihre informatorische Anhörung dahingehend ergänzt hat, sie sei - obwohl sie bekundet hat, in Syrien keiner Vernehmung ausgesetzt gewesen zu sein - bei der Anhörung vor dem Bundesamt an Vernehmungen in Syrien erinnert gewesen und habe Angst bekommen, ist nicht ansatzweise glaubhaft. Hinzu kommt, dass sie, die zudem keiner politischen Vereinigung angehört und sich auch nicht politisch engagiert hat, auch auf Nachfrage nicht zu erklären vermocht hat, warum sie die Frage nach ihrer Befürchtung bei einer Rückkehr in ihre Heimat dahingehend beantwortet hat, sie befürchte eine Bestrafung, weil die ausgereisten Syrer als Verräter gelten würden. Es hätte vielmehr nahe gelegen, bei einem von realem Erleben getragenen Geschehen von sich aus das Verfolgungsschicksal vom Beginn der Asylantragstellung an nachvollziehbar zu schildern.

36

Bei einer derartigen Sachlage war der Senat im Übrigen nicht gehalten, den Sachverhalt weiter aufzuklären und etwa Beweis darüber zu erheben, ob die in Kopie und Übersetzung zu den Gerichtsakten gelangten Dokumente (Unteroffizierausweis und Militärführerschein für Unteroffiziere) echte Urkunden der syrischen Armee darstellen und ob es sich bei der dort abgebildeten Person tatsächlich um den Ehemann der Klägerin handelt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts findet die Pflicht der Gerichte zur Aufklärung des Sachverhalts ihre Grenze dort, wo das Klagevorbringen des Klägers keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet. Ein solcher tatsächlicher Anlass besteht im Prozess wegen Anerkennung als Asylberechtigter dann nicht, wenn der Kläger unter Verletzung der ihn treffenden Mitwirkungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz VwGO seine guten Gründe für eine ihm drohende politische Verfolgung nicht in schlüssiger Form vorträgt (BVerwG, Beschl. v. 26.10.1989, a.a.O., Rn. 8; Beschl. v. 26.11.2007 - 5 B 172/07 - , juris Rn. 3).

37

Hat die Klägerin danach ihr Heimatland unverfolgt verlassen, besteht nach der gegenwärtigen Erkenntnislage keine hinreichende Grundlage für die Annahme, dass der totalitäre syrische Staat jeden Rückkehrer pauschal unter eine Art Generalverdacht stellt, der Opposition anzugehören (in diesem Sinne etwa Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschl. v. 27.01.2014 - 3 A 917/13.Z.A -, juris Rn. 7; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschl. v. 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, juris Rn. 8). In diesem Sinne sind auch die vom Verwaltungsgericht angestellten Erwägungen, die sich im Wesentlichen auf Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe sowie auf die vom Verwaltungsgericht Regensburg herangezogenen „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (November 2015, Asyldokumentation Nr. 598b) beziehen, nicht geeignet konkrete Anhaltspunkte für eine - pauschal alle Rückkehrer betreffende - Rückkehrgefährdung anzunehmen. Nach den Erwägungen des UNHCR kann aus Syrien ausgereisten syrischen Staatsangehörigen Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die diesen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt wird, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliert, aus denen die Betroffenen stammen. Diese Einschätzung ist jedoch nicht ausreichend für die Annahme, allen aus Syrien ausgereisten Flüchtlingen würde mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Wiedereinreise asylrelevante Verfolgung drohen.

38

Bei Zugrundelegung der oben genannten Maßstäbe fehlt es vielmehr an einer Verknüpfung zwischen Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund jedenfalls insoweit, als dass sich die Klägerin darauf beruft, sie hätte aufgrund ihrer illegalen Ausreise, der Stellung des Asylantrages und des längeren Aufenthaltes im Bundesgebiet mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit asylrelevanter Verfolgung seitens des syrischen Staates zu rechnen. Aufgrund der im Rahmen der mündlichen Verhandlung durchgeführten informatorischen Anhörung der Klägerin geht der Senat davon aus, dass diese unverfolgt ausgereist ist, so dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die Beurteilung der Verfolgungsgefahr der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 25/10 -, juris Rn. 23).

39

Beachtlich ist die Wahrscheinlichkeit, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für die Annahme einer Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Tatsachen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Ausländers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Ob das der Fall ist, beurteilt sich nicht aufgrund einer quantitativen, sondern aufgrund einer qualifizierenden Betrachtungsweise. Eine theoretische Möglichkeit, dass sich eine Gefahr realisiert, reicht allerdings nicht aus (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162 (169) m.w.N.; Urt. v. 05.07.1994 - 9 C 1.94 -, NVwZ 1995, 391 (393); Beschl. v. 31.03.1998 - 9 B 843.97 -, juris; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, juris Rn. 25).

40

Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage ist zur Überzeugung des Senats nicht davon auszugehen, dass die Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen seitens des syrischen Staates bei einer Rückkehr in ihr Heimatland zu rechnen hätte. Die Klägerin hat sich in Syrien nicht politisch betätigt, so dass es an dem Vorliegen eines Verfolgungsgrundes - in Betracht käme ersichtlich nur derjenige nach § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG - fehlt. Sie ist vielmehr wegen des herrschenden Bürgerkrieges und den sich daraus für sich und ihre Familie ergebenden Folgen ausgereist. Der Senat geht davon aus, dass angesichts der erheblichen Zahl der insbesondere im vergangenen Jahr aus Syrien ausgereisten Menschen (knapp 430.000 Flüchtlinge, vgl. ZEIT ONLINE vom 08.06.2016, Asyldokumentation Nr. 599c, und Mediendienst-Integration, Stand: 01.08.2016, Asyldokumentation Nr. 599e) auch dem syrischen Staat bekannt sein dürfte, dass - wie die Klägerin - die weit überwiegende Anzahl der Flüchtenden aus Angst vor dem Bürgerkrieg und den daraus resultierenden Folgen ihr Heimatland verlassen haben. Allein die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der Auslandsaufenthalt stellen daher keine Anzeichen für politische Gegnerschaft zum syrischen Regime dar (so auch Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 06.10.2016 - 14 A 1852/16.A -, juris Rn. 18). Diese Einschätzung deckt sich mit der gegenwärtig vorliegenden Auskunftslage, wonach auf Ebene der Bundesregierung keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass Rückkehrer allein aufgrund ihres vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sind. Ebenfalls liegen keine Erkenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien vor (Auswärtiges Amt, Auskunft an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht vom 07.11.2016, Asyldokumentation Nr. 602). In Übereinstimmung hiermit steht eine Auskunft des Deutschen Orient-Instituts (vom 08.11.2016 an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht, Asyldokumentation Nr. 603), wonach die syrische Regierung, nachdem in beinahe allen Landesteilen im Frühjahr 2011 Proteste und Unruhen ausgebrochen waren, die Kontrolle über größere Teile des Staatsgebiets verloren hat. Danach werden im Osten nach wie vor weiter besiedelte Gebietsteile durch den sogenannten Islamischen Staat kontrolliert. Die Grenzregionen zu Jordanien und der Türkei werden von verschiedenen oppositionellen Rebellengruppen beherrscht; der mehrheitlich kurdische Teil Syriens, besonders im Norden und Nordosten, hat sich selbst zu föderalen Provinzen erklärt. Die Gebiete zwischen den größten Städten im Westen des Landes (vor allem Damaskus und Umland, Hama, Homs, Aleppo und mit Abstrichen auch Latakia) werden durch verschiedene Gruppierungen oder die Regierung kontrolliert. Die Grenzziehung zwischen diesen Zonen unterliegt einer stetigen Veränderung der Frontverläufe und Kontrolle. Befragungen oder Verfolgung durch die syrische Regierung sind also derzeit zunächst nicht in allen Landesteilen realistisch.

41

Diese Auskunft, die sich weiterhin mit der Ausreisegenehmigung und der Einziehung zum Wehrdienst für männliche Staatsangehörige im Alter zwischen 18 und 42 Jahren einschließlich der drohenden Konsequenzen für Deserteure beschäftigt sowie mit der besonderen Gruppe der in Syrien wohnhaften Kurden, bestätigt im Kern die Einschätzung, dass jedenfalls keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien, die nicht im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten stehen wie etwa Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger, Übergriffe oder gar Sanktionen zu erleiden haben. Befragungen sind danach bei einer Wiedereinreise über Damaskus zwar nicht unrealistisch; es ist aber wegen der in der Auskunft hervorgehobenen Personengruppen der Deserteure und Kurden jedenfalls nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass mit einer eventuellen Befragung negative Konsequenzen für diejenigen potentiell Betroffenen zu befürchten sind, die lediglich aufgrund des Bürgerkrieges ihr Heimatland verlassen haben. Dies entspricht auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeitet (so bereits die Auskunft der Botschaft Beirut, Referat 313 vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Asyldokumentation Nr. 598e).

42

Somit hat die Beklagte der Klägerin zu Recht (nur) subsidiären Schutz gewährt.

43

Die Nebenentscheidungen ergeben sich im Kostenpunkt aus §§ 154 Abs. 1 i. v. m. § 83b AsylG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

44

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 132 Abs. 2 VwGO).


Tenor

I. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Juli 2016 wird aufgehoben, soweit der Klage stattgegeben wurde.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten über den ihm zugestandenen subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen kann.

Der Kläger ist ein am … 1997 in Damaskus geborener Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien arabischer Volkszugehörigkeit muslimischen Glaubens (Sunnit). Er reiste seinen Angaben zufolge am 31. Januar 2016 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 17. Februar 2016 einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 1. Juni 2016 äußerte er sich im Wesentlichen wie folgt:

„Bis zu seiner Ausreise aus Syrien habe er in Damaskus, Stadtteil …, gelebt. Unter dieser Adresse leben noch heute seine Eltern. Auch zwei Schwestern hielten sich noch in Syrien auf. Am 5. Januar 2016 habe er Syrien verlassen und sei über den Libanon, Türkei und die Balkanroute über Österreich nach Deutschland gereist. In der Türkei sei er ca. 10 Tage lang legal gewesen. In seiner Heimat habe er 9 Jahre lang die Mittelschule besucht, habe aber keinen Abschluss gemacht. Er habe Frisör gelernt und in dem Beruf gearbeitet. Wehrdienst habe er nicht geleistet. Er sei nicht Mitglied einer nichtstaatlichen bewaffneten Gruppierung oder einer politischen Partei gewesen. Augenzeuge oder Opfer von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder von Übergriffen (Folter, Vergewaltigungen oder anderen Misshandlungen) durch kämpfende Einheiten auf die Zivilbevölkerung sei er nicht gewesen. Er habe auf seinem Weg nach Deutschland und in Deutschland weder Kenntnis von Personen erlangt, die er als Unterstützer oder Mitglieder von extremistischen oder terroristischen Organisationen eingeschätzt habe, noch von Personen, von denen er habe annehmen müssen, dass sie für einen Nachrichtendienst arbeiten. Er habe Syrien verlassen, weil dort Krieg herrsche. Ein Arbeiten sei dort nicht möglich. Zudem strebe er in Deutschland eine Ausbildung als Frisör an und möchte einen guten Lebensunterhalt bestreiten. Er oder seine Familie seien in Syrien nicht persönlich bedroht oder verletzt worden. Er habe sein Militärheft vorgelegt. Jeder Mann im wehrdienstfähigen Alter bekomme automatisch dieses Militärheft. Er habe nicht zur syrischen Armee einberufen werden sollen. In Syrien gebe es ein Gesetz, wonach bei nur einem Sohn in der Familie eine Einberufung nicht stattfinde (eine Übersetzung des Dolmetschers aus dem Militärheft ergab unter Bezugnahme auf die gesetzliche Regelung, dass der Kläger keinen Militärdienst leisten müsse). Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er nichts. Er habe den Wunsch nach Abschluss seines Verfahrens seine Eltern aus Syrien nachreisen zu lassen. Ein Mitglied seiner Familie sei schon als Gastarbeiter in Deutschland, deshalb sei es auch ein Wunsch seiner Eltern gewesen, dass er als Arbeiter nach Deutschland kommen könne.

“Das Bundesamt erkannte den Kläger mit Bescheid vom 13. Juni 2016 als subsidiär Schutzberechtigten an und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 15. Juli 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen und die Klage im Übrigen (Asylanerkennung) abgewiesen. Zur Begründung der zusprechenden Entscheidung wird im Wesentlichen ausgeführt: Der syrische Staat betrachte gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System, die das Gebot der Loyalität ihm gegenüber verletze. Ein solches Verhalten werde - ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen - vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst. Zumindest Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und damit auch aus Deutschland hätten in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ihre tatsächliche oder wohl zumeist nur vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinn des § 3a AsylG zu rechnen.

2. Die Beklagte begründet die vom Senat mit Beschluss vom 21. September 2016 zugelassene Berufung wie folgt:

„Es begegne Zweifeln, die Verfolgungsgefahr zumeist aus einem allgemeinen „Abschöpfungsinteresse“ hinsichtlich Erkenntnissen zur Exilopposition ableiten zu wollen. Gegen die Annahme, dass bei jedem Rückkehrer eine Regimegegnerschaft vermutet werde, spreche die mittlerweile sehr hohe und weiter zunehmende Zahl der Flüchtlinge. Der syrische Staat dürfte weder Veranlassung noch Ressourcen haben, gegen jeden Rückkehrer vorzugehen. Die hohe Anzahl an ausgegebenen syrischen Reisepässen spreche ebenfalls dagegen, dass jedem Rückkehrer eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt werde. Dem entspreche es, dass sich ein erheblicher Teil der syrischen Asylbewerber für den Fall einer Rückkehr nicht vor Verfolgung in Anknüpfung an Verfolgungsgründe nach § 3b AsylG fürchte, sondern ausschließlich vor Kriegsgefahren und Kriegsfolgen. Diese Erkenntnis habe das Bundesamt aus mehr als 130.000 in diesem Jahr durchgeführten Anhörungen gewonnen. Der Kläger sei ohne Vorverfolgung ausgereist und habe Syrien wohl legal verlassen. Es liege beim Kläger auch keine Risikoerhöhung wegen Militärpflichtigkeit vor, weil insoweit die „Einziger-Sohn-Regelung“ gelte und die Mutter des Klägers älter als 50 Jahre sei, so dass eine jährliche Bestätigung der Regelung im Wehrdienstheft nicht erforderlich sei.

“Die Beklagte beantragt,

in Abänderung des Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Juli 2016 die Klage abzuweisen, soweit ihr stattgegeben wurde.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Vor dem Hintergrund, dass der Kläger einen Asylantrag gestellt habe, sich längere Zeit im westlichen Ausland aufgehalten habe und zudem noch ein möglicher Verdacht auf Wehrdienstentziehung im Raum stehe, müsse man nach Auswertung der verschiedenen Auskünfte zu dem Ergebnis kommen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Haft und Folter von den syrischen Sicherheitskräften zu befürchten hätte. Zwar könne man nicht für jeden Fall eines zurückkehrenden Syrers die Anwendung von Folter und Haft mit Sicherheit feststellen, sie seien aber auch nicht mit der notwendigen Sicherheit auszuschließen. Unter solchen Umständen würde ein vernünftiger Mensch in der Lage des Klägers das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen.

Die Landesanwaltschaft Bayern äußert sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses unter anderem wie folgt:

Die erforderliche Verknüpfung zwischen schädigender Handlung und Verfolgungsgrund sei beim Kläger nicht gegeben. Die Annahme sei wenig plausibel und letztlich lebensfremd, dass aus dem westlichen Ausland zurückkehrende Syrer bei der in diesem Fall obligatorischen Befragung von den syrischen Sicherheitskräften allein wegen der Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositionelle betrachtet würden.

3. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht Regensburg hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 15. Juli 2016 zu Unrecht teilweise stattgegeben. Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt mit Bescheid vom 13. Juni 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). § 3 Abs. 4 AsylG gibt dem Kläger in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen darauf gerichteten Anspruch, denn er ist kein Flüchtling im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer - soweit hier von Interesse - Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 - Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen lagen beim Kläger im Zeitpunkt seiner Ausreise aus der Arabischen Republik Syrien nicht vor (1.), noch ergeben sie sich aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem der Kläger sein Herkunftsland verlassen hat (2.)

1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinn des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergeben, hat der Kläger weder bei der Anhörung durch das Bundesamt noch im Rahmen der Berufungsverhandlung geltend gemacht.

2. Der Kläger kann für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nichts daraus für sich ableiten, dass gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen kann, die eingetreten sind, nachdem er sein Herkunftsland verlassen hat. Ein solcher Nachfluchtgrund besteht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht allein deshalb, weil der Kläger aus Syrien ausgereist ist, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt und sich seitdem hier aufgehalten hat. Diese Umstände rechtfertigen nicht die begründete Furcht, dass syrische staatliche Stellen den Kläger bei einer Rückkehr in die Arabische Republik Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle als Oppositionellen betrachten und ihn deshalb wegen einer ihm unterstellten politischen Überzeugung verfolgen.

2.1 Davon wäre nur dann auszugehen, wenn dem Kläger bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die „verständige Würdigung aller Umstände“ hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Klägers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - juris Rn. 37 und zu Art. 16a GG U.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - juris Rn. 17).

2.2 Nach diesem Maßstab und nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle wegen seines Asylantrags und des damit verbundenen Aufenthalts in Deutschland eine politische Verfolgung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (2.2.1). Auch das im Grundsatz eine Militärdienstpflichtigkeit begründende Alter des legal ausgereisten (2.2.2) Klägers (19 Jahre) führt nicht beachtlich wahrscheinlich zu einer staatlichen Verfolgung, da der Kläger nach der in Syrien in die Praxis umgesetzten „Einziger-Sohn-Regelung“ endgültig vom Militärdienst freigestellt wurde. Aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte fehlt es damit beim Kläger für die Unterstellung einer illoyalen und oppositionellen Haltung - anders als bei Wehrpflichtigen und Reservisten - am Anknüpfungspunkt der Ausreise trotz Militärdienstpflichtigkeit (2.2.3).

Bei der zusammenfassenden Bewertung aller Umstände haben die gegen eine Verfolgungsgefahr sprechenden Gründe größeres Gewicht als die dafür sprechenden Gründe. Diese Erkenntnis beruht auf Folgendem:

2.2.1 Eine Auswertung der in beiden Rechtszügen beigezogenen Erkenntnismittel zeigt, dass das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten ist. Der syrische Staat setzt deshalb alles daran, seine Macht zu erhalten und geht in seinem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor.

Zu den Zielen der syrischen Regierung führt Gerlach in „Was in Syrien geschieht - Essay“ vom 19. Februar 2016 (http: …www.bpb.de/apuz/221168/was-in-syrien-geschieht?p=all) aus:

„Das erklärte Ziel des syrischen Regimes, das sich für den rechtmäßigen Vertreter des Staates hält, ist die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik, also gewissermaßen in den Grenzen von 2011. … Wichtiger noch: das Fortbestehen der Machtarchitektur ohne einschneidende Veränderung, die in einer Entmachtung des Präsidenten Assad oder in der Auflösung jenes Machtkomplexes der drei um den Präsidenten gruppierten Clans Assad, Makhlouf und Shalish bestehen könnte. Diesen Kriegszielen ordnete das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele unter - und zu ihrer Verteidigung nahm es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung, sondern auch massive eigene Verluste in Kauf.“

Einem „Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012)“ des Auswärtigen Amts vom 17. Februar 2012 ist zu entnehmen:

„Das syrische Regime setzt im Kampf gegen die syrische Opposition die Armee und Sicherheitskräfte gezielt gegen zivile Siedlungsgebiete ein. …

Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Es gibt vier große Sicherheitsdienste, die unabhängig voneinander alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie sich gegenseitig kontrollieren: Allgemeine Sicherheit, Politische Sicherheit, Militärische Sicherheit und die Sicherheit der Luftwaffe. … Die Befugnisse der Sicherheitsdienste unterliegen keinen definierten Beschränkungen. Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhörzentralen, bei denen es sich um rechtsfreie Räume handelt. …

Syrische Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen und die Neuordnung Syriens nach demokratischen, pluralistischen und rechtsstaatlichen Prinzipien anstreben, werden durch das Regime massiv unterdrückt. …

Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränken sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“ (enforced disappearance), tätlichen Angegriffen (z. B. der Karikaturist A. F. und der Oppositionspolitiker R. S.), Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte (z. B. das Kind H. al-K., der Aktivist C. M.) und Mordanschlägen (z.B. der kurdische Oppositionelle M. D.) belegt. Einige Oppositionelle sind daher in den Untergrund gegangen …; viele andere haben Syrien verlassen. …

Menschenrechtsverteidiger schätzen die Zahl der Verhafteten und Verschwundenen auf insgesamt über 40.000. … Willkürliche Verhaftungen sind in Syrien gegenwärtig sehr häufig und gehen von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen (sog. Shabbiha) aus. …

Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). …

Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. …

Es muss davon ausgegangen werden, dass exilpolitische Tätigkeiten den syrischen Sicherheitsdiensten bekannt werden. Auch ist nicht auszuschließen, dass syrische Familien in Deutschland von den Sicherheitsdiensten als Druckmittel gegenüber noch in Syrien lebenden Verwandten (oder umgekehrt) missbraucht werden. …

Obwohl die syrische Verfassung (Art. 28) und das syrische Strafrecht Folter verbieten und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, wenden Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt an. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko. …Gegenwärtig kann sich das Individuum de facto in keiner Weise gegenüber staatlichen Willkürakten zur Wehr setzen. Vieles deutet darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art ´carte blanche´ erhalten haben. …

Es kommt seit Beginn der Unruhen regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen durch die Sicherheitsdienste, Rechtsmittel dagegen existieren nicht. Vor allem im Gewahrsam der außerhalb jeder Kontrolle agierenden Geheimdienste kommt es zu Drohungen und körperlichen Misshandlungen sowie zu ungeklärten Todesfällen. …

Fälle von Verschwindenlassen haben seit März 2011 erheblich zugenommen“ (Namen sind im Original vollständig wiedergegeben).

Der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe „Syrien: Umsetzung der Amnestien“ vom 14. April 2015 (https: …www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150414-syr-amnestien.0.pdf) kann entnommen werden:

„Human Rights Watch kritisierte im Januar 2015, dass trotz der Amnestie noch eine Vielzahl Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger, Medienschaffende sowie Personen, die humanitäre Hilfe geleistet haben, inhaftiert oder in Untersuchungshaft sind. …

In vielen Fällen werden vor allem Aktivisten, Anwälte und Menschenrechtsaktivisten von den Geheimdiensten wochen- und monatelang ohne Verfahren festgehalten. …

Die Anzahl der seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 verhafteten Personen ist umstritten. Das Violations Documentation Center, eine lokale Monitoring Gruppe, ging im Juli 2014 davon aus, dass 40.853 Personen in Haft sind. Der ehemalige UN-Sondergesandte für Syrien, Lakhdar Brahimi, ging von zwischen 50.000 und 100.000 Inhaftierten des syrischen Regimes aus. Der UN High Commissioner for Human Rights, Zeid Ra'ad Al Hussein, weist auf Schätzungen zwischen zehntausenden und hunderttausenden Inhaftierten hin. Das Syrian Observatory for Human Rights schätzt, dass 200.000 Personen in syrischen Gefängnissen sitzen. …

Dass die Haftbedingungen schlecht sind und in den Gefängnissen gefoltert wird, ist seit langem dokumentiert, auch bereits vor dem Konflikt. Folter ist insbesondere in der ersten Zeit der Haft üblich, um an Informationen zu kommen, die Häftlinge einzuschüchtern und um Schuldeingeständnisse zu erzwingen. Folter und die schlechten Haftbedingungen führen zu Todesfällen. …

Viele friedliche Aktivisten, die aufgrund des Anti-Terrorismus-Gesetzes verurteilt worden sind und von der Amnestie hätten profitieren sollen, blieben weiterhin in Haft.“

Die vierte aktualisierte Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015 (https: …www.ecoi.net/file_upload/1930_1455006006_syr-112015.pdf) äußert sich in Fußnummer 74 u.a. wie folgt:

„Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die man für einen Regierungsgegner hält, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen einschließlich der Kinder der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder zur Vergeltung der Aktivitäten bzw. des Loyalitätsbruchs der gesuchten Person oder zwecks Einholung von Informationen über ihren Aufenthaltsort oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen anzuerkennen.”

Die Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada (Immigration and Refugee Board of Canada) verweist in einem Bericht (Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19. Januar 2016, S. 4 - zitiert nach der in das Verfahren eingeführten Übersetzung in die deutsche Sprache) auf folgende Erkenntnisse von Amnesty International (Between Prison and the Grave, Enforced Disappearances in Syria, November 2015), Human Rights Watch (Syria, World Report 2015: Events of 2014, 29.1.2015) und OHCHR (Open Wounds: Torture and Ill-Treatment in the Syrian Arab Republic, 14.4.2014) hin:

„Laut AI hat die in Syrien stationierte Kontrollgruppe Syrian Network for Human Rights über 58.000 Fälle von Zivilisten dokumentiert, die zwischen März 2011 und August 2015 durch die syrische Regierung ´zwangsweise´ verschwunden sind, und am 30. August 2015 immer noch als vermisst gelten (AI, Nov. 2015, 7). Des Weiteren vermerkt dieselbe Quelle, dass alle vier Truppengattungen der syrischen Sicherheitskräfte, bestehend aus dem militärischen Geheimdienst, dem Geheimdienst der Luftwaffe, dem politischen Sicherheitsdienst und dem allgemeinen Geheimdienst (auch Staatsicherheit genannt), Personen zwangsweise verschwinden lassen würden und dass es überall im Land Gefangenenlager gebe (ebd.). AI erklärt, dass diese Gefangenen ´außerhalb des gesetzlichen Schutzes gestellt werden, und dass ihnen die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder ein faires Gerichtsverfahren verwehrt wird´; dass Gefangene in überfüllten Behausungen gehalten und regelmäßig einem Katalog der Folter ausgesetzt werden´(ebd., 8). Human Rights Watch und der UNHCR berichten über die weit verbreitete Anwendung des Verschwindenlassens, der Inhaftierung und Folter durch syrische Behörden (UN, 14. Apr. 2014, 1; Human Rights Watch, 29. Jan. 2015, 2 - 3).“

Nach den im Amnesty Report 2016 vom 2. März 2016 (http: …www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien) festgehaltenen Erkenntnissen von Amnesty International hat sich an dieser Lage nichts zum Guten geändert. Dem Report ist u.a. zu entnehmen:

„Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben „verschwunden“. Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. …

Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. …

10.000 Personen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterrorgericht oder vor militärischen Feldgerichten.“

2.2.2 Trotz des Umstands, dass die syrischen Machthaber um des Erhalts ihrer infolge der militärischen Auseinandersetzung bedrohten Herrschaft willen mit äußerster Härte gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle vorgehen, ist es zur Überzeugung des Senats nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger allein wegen seiner Ausreise, seines Asylantrags und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositioneller betrachtet wird und deshalb Verfolgungshandlungen im Sinn des § 3a Abs. 1 AsylG zu befürchten hat (so auch OVG SH, U.v. 23.11.2016 - 3 LB 17.16 - juris; OVG NW, B.v. 6.10.2016 - 14 A 1852/16.A - juris; a.A. OVG Sachsen-Anhalt, U.v. 18.7.2012 - 3 L 147.12 - juris).

2.2.2.1 Es ist davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder einer anderen staatlichen Kontrollstelle im Rahmen einer strengen Einreisekontrolle durch verschiedene Geheimdienste über seinen Auslandsaufenthalt und den Grund seiner Abschiebung befragt wird. Die Sicherheitsbeamten werden dabei auch Einblick in die Computerdatenbanken nehmen, um zu prüfen, ob der Kläger von den Behörden gesucht wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Sicherheitskräfte eine „carte blanche“ haben, um zu tun, was immer sie tun wollen, wenn sie jemanden aus irgendeinem Grund verdächtigen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Trier vom 12.10.2016 zur Ausreisekontrolle).

2.2.2.2 Zu den Folgen, die sich im Rahmen einer solchen Überprüfung für einen abgelehnten Asylbewerber ergeben, ist die Auskunftslage nicht einheitlich.

a) Die Ermittlungsabteilung (Research Directorate) der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde hat dazu verschiedene sachkundige Personen befragt. Ein emeritierter Professor für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford (emeritus Professor of anthropology and forced migration at Oxford University, telefonische Befragung am 11.12.2015) äußerte sich dahingehend, ein abgelehnter Asylbewerber werde höchstwahrscheinlich festgenommen und inhaftiert; groß sei die Wahrscheinlichkeit, dass solche Personen gefoltert würden, um eine Aussage zu erhalten, aus welchem Grund sie geflohen seien.

Der Vorstand der Nichtregierungsorganisation „Syrisches Zentrum für Justiz und Rechenschaftspflicht“ (Executive Director „Syria Justice and Accountability Center“, telefonische Befragung am 14.12.2015) sagte, ein abgelehnter Asylbewerber werde auf jeden Fall festgenommen und inhaftiert. Ihm würde vorgeworfen, im Ausland falsche Informationen verbreitet zu haben, und er würde wie ein Oppositioneller behandelt. Er würde einer Folter unterworfen, wobei die Behörden versuchen würden, Informationen über andere abgelehnte Asylbewerber oder Oppositionelle zu bekommen. Der abgelehnte Asylbewerber riskiere, zu Tode gefoltert zu werden oder gefoltert zu werden und dann für eine sehr lange Zeit in Haft genommen zu werden.

Ein leitender auf Syrien spezialisierter Gast-Forschungsbeauftragter am King´s College London (Visiting Senior Research Fellow, telefonische Befragung am 15.12.2015) bekundete gegenüber der kanadischen Behörde, es bestünde die Möglichkeit, dass ein abgelehnter Asylbewerber wegen eines Asylantrags im Ausland festgenommen und inhaftiert werden könnte. Er war aber des Weiteren der Meinung, dass das nicht „automatisch“ der Fall sei. Die mehr traditionsbewussten syrischen Beamten seien der Überzeugung, dass alle Asylbewerber Regierungsgegner seien, und somit einer Festnahme, Inhaftierung und Folter unterworfen werden könnten. Es gebe aber auch Beamte, die verstünden, dass manche Leute vielleicht aus wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen hätten. Nichts sei „automatisch“ oder vorhersehbar. Allerdings habe der Konflikt wahrscheinlich das Misstrauen der Beamten erhöht (vgl. zum Ganzen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6 f.).

Die kanadische Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde zitiert in diesem Zusammenhang zudem aus den „Länderberichten über die Handhabung der Menschenrechte für 2014“ des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten (US Department of State´s „Country Reports on Human Rights Practices for 2014“). Danach seien Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl gesucht haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt. Das Gesetz sehe die Strafverfolgung jeglicher Person vor, die in einem anderen Land Zuflucht suche, um der Strafe in Syrien zu entfliehen. Das Regime nehme routinemäßig Dissidenten und ehemalige Staatsbürger mit unbekannter politischer Zugehörigkeit fest, die versucht hätten, nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbst auferlegten Exils in das Land zurückzukehren.

b) Demgegenüber beantwortete die Deutsche Botschaft Beirut (Referat 313) eine Anfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Rückkehrgefährdung unter dem 3. Februar 2016 dahin, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten. Allerdings seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden seien oder dauerhaft verschwunden seien. Das stehe überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite.

Die Frage des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts, ob unverfolgt ausgereiste Asylbewerber bei Rückkehr nach Syrien Befragungen seitens des syrischen Staates ausgesetzt seien und - bejahendenfalls - wie hoch die Gefahr einzuschätzen sei, dass sie deshalb Verfolgungsmaßnahmen seitens des syrischen Staats ausgesetzt werden, beantwortete das Auswärtige Amt mit Auskunft vom 7. November 2016 wie folgt: Das Amt habe keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien. Es lägen keine Erkenntnisse vor, dass diese Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien.

Der UNHCR ist für den Fall einer Einzelfallprüfung von Asylanträgen syrischer Asylbewerber der Ansicht, dass Personen mit einem oder mehreren der in den Erwägungen des UNHCR angeführten Risikoprofile „wahrscheinlich“ internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention benötigen. Unter ein solches Risikoprofil fallen nach Auffassung des UNHCR unter anderem „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder politischer Oppositionsparteien; Aufständische, Aktivisten und sonstige Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen werden; Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen bzw. Personen, die als Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen angesehen werden; Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte; Mitglieder der Regierung und der Baath-Partei, die ihre Ämter niedergelegt haben; Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern sowie andere Personen, die mit tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern in Verbindung gebracht werden; Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben“ (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 25 f.).

2.2.2.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht fest, dass die gegen eine Verfolgung des Klägers sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen die dafür sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kann nicht von einem bei jedem Rückkehrer bestehenden in gleicher Weise realen Risiko von Misshandlung und Folter ausgegangen werden. Der Senat ist vielmehr davon überzeugt, dass die syrischen Sicherheitskräfte bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vorgehen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen.

a) Dabei bleibt nicht außer Betracht, dass der um seine Existenz kämpfende syrische Staat und dessen Machthaber ihre Ziele, nämlich die Wiederherstellung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium Syriens sowie der Machterhalt zugunsten des Präsidenten Assad und der um ihn gruppierten Clans mit größter Härte und menschenrechtswidrigen Mitteln verfolgen. In dieses Bild scheinen sich die Äußerungen der von der Ermittlungsabteilung der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde befragten sachkundigen Personen einzufügen. Gegen deren Annahme, abgelehnte Asylbewerber würden (allein) wegen des Asylantrags im Ausland „auf jeden Fall“ bzw. „höchstwahrscheinlich“ oder möglicherweise festgenommen, inhaftiert und gefoltert, spricht aber neben der Tatsache, dass die Bewertungen der sachkundigen Personen nicht näher konkretisiert sind, Folgendes:

Die im angefochtenen Gerichtsbescheid in Bezug genommenen (GA S. 7), in einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. Februar 2012 (3 L 147/12) beschriebenen Fälle von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, sind nicht geeignet, eine allein auf die Asylantragstellung zurückzuführende politische Verfolgung zu belegen. Im Gegenteil, die insoweit ausweislich des vorbezeichneten Urteils von Amnesty International („Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012) und von dem kurdischen Informationsdienst „KURDWATCH“ dokumentierten neun Fälle zeigen, dass Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte nicht allein durch die Asylantragstellung, sondern durch hinzutretende Umstände ausgelöst wurden. Dazu in der Reihenfolge der Fälle wie sie im Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. Februar 2012 angeführt sind:

– Der syrische Kurde B. K. hatte in Zypern erfolglos Asyl beantragt und wurde im Juni 2009 bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Damaskus festgenommen und vier Monate ohne Kontakt zur Außenwelt von den Geheimdiensten inhaftiert und offenbar misshandelt und gefoltert. Hier trat zum Asylantrag hinzu, dass B. K. nach den Erkenntnissen von amnesty international bereits Anfang 2005 als Jugendlicher für zweieinhalb Monate u.a. in der Haftanstalt der „Palästinensischen Abteilung“ beim Militärischen Geheimdienst in Haft war. Er war damit bereits vor seiner Ausreise in das Blickfeld der syrischen Dienste geraten.

– Der syrische Kurde K. K. wurde nach abgelehntem Asylantrag am 1. September 2009 nach Syrien abgeschoben. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr wurde er bei der Vorsprache beim Geheimdienst festgenommen und drei Wochen lang ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert, verhört und eigenen Angaben zufolge gefoltert und misshandelt. Im Rahmen seiner Verhöre wurden ihm auch Angaben aus seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgehalten (KURDWATCH, Meldung vom 29.08.2010). Gegen Herrn K. wurde Anklage wegen „Verbreitung falscher Informationen im Ausland“ gemäß § 287 des syrischen Strafgesetzbuches vor dem Militärgericht erhoben. Allerdings, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt lässt das unerwähnt, war Gegenstand des geheimdienstlichen Verhörs auch die Teilnahme des Verhafteten an einer Kundgebung gegen das Rückübernahmeabkommen zwischen Deutschland und der Arabischen Republik Syrien. Nach Angaben des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien hat der Rechtsanwalt des Herrn K. mitgeteilt, dass sich die nachfolgende Anklage auf den Vorwurf gestützt habe, Herr K. habe in Deutschland an dieser Kundgebung teilgenommen. Ein Monitoring durch den Verbindungsbeamten (der Deutschen Botschaft) bestätigte, dass Herr K. der Aussage seines Anwaltes entsprechend wegen der Teilnahme an einer Kundgebung in Deutschland verurteilt wurde (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded Group und aktuelle Situation, April 2011, S. 11 f.).

– Der syrische Kurde A. al-K. H. wurde im August 2010 aus Norwegen abgeschoben und bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Damaskus festgenommen. Hier tritt hinzu, dass es sich bei Herrn A. al-K. H. um den stellvertretenden Direktor des Vereins syrischer Kurden in Norwegen handelte, einer Nichtregierungsorganisation, die auf die Situation der kurdischen Minderheit in Syrien aufmerksam macht. Er war zwei Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt beim Geheimdienst in Damaskus inhaftiert. Berichten zufolge soll er bei der Haftentlassung aufgefordert worden sein, sich beim Geheimdienst in Aleppo zu melden, was ihn zur Flucht aus Syrien veranlasste.

– Nach einem von KURDWATCH dokumentierten Fall hatte die Ausländerbehörde Essen am 27. Juli 2010 eine sechsköpfige (kurdische) Familie nach Damaskus abschieben lassen. H. H. und K. H. wurden bei der Ankunft am Flughafen Damaskus von syrischen Sicherheitskräften festgenommen. In diesem Fall kommt hinzu, dass die beiden festgenommen wurden, weil sie in Deutschland straffällig geworden waren. Der Aussage des H. H. zufolge wurde er an drei unterschiedlichen Orten festgehalten. Begründet wurde seine Festnahme damit, dass er in Deutschland wegen Diebstahls verurteilt worden sei und diese Strafe noch in Syrien ableisten müsse. Tatsächlich, so H. H., sei die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Darüber hinaus sei ihm, ebenfalls unter Verweis auf seine aus Deutschland stammenden Akten, zu Unrecht Drogenabhängigkeit vorgeworfen worden.

– Der staatenlose Kurde D. A. wurde nach seiner Abschiebung aus Dänemark am 15. November 2010 auf dem Flughafen Damaskus verhaftet. Herr A. war in Dänemark politisch aktiv.

– Mitglieder des Direktorats für politische Sicherheit in Syrien hatten am 4. Dezember 2010 Herrn D. Y. M. vorgeladen und festgenommen. Nach seiner Abschiebung aus Zypern im Juni 2010 hatte er am Flughafen Damaskus seinen Pass abgeben müssen. Es folgten mehrere Verhöre durch verschiedene Geheimdienste. In diesem Fall tritt hervor, dass der Betroffene in Zypern gemeinsam mit anderen kurdischen Flüchtlingen gegen seine Abschiebung demonstriert und an einem mehrtätigen Hungerstreik teilgenommen hatte.

– Die Ausländerbehörde Hildesheim hatte am 1. Februar 2011 die registrierten Staatenlosen B. N. und seinen Sohn A. N. nach Syrien abschieben lassen. Beide wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in Damaskus festgenommen und der Auswanderungs- und Passbehörde überstellt. Herrn A. N. wurde vorgeworfen, unrichtige Angaben zu seinem Alter gemacht zu haben. Er wurde bei der Auswanderungs- und Passbehörde festgehalten, wo er auf eine Identitätsbescheinigung aus Al-Hassake warten musste. Sein Vater, Herr B. N, wurde zunächst dem Direktorat für politische Sicherheit vorgeführt und dort verhört. Er wurde am 13. Februar 2011, sein Sohn am 3. März 2011 freigelassen. Unabhängig davon, dass es sich bei den Betroffenen um registrierte Staatenlose handelte, tritt hier die Problematik der Identitätsfeststellung in den Vordergrund.

– Am 8. Februar 2011 wurde Herr A. A. von Dänemark über Wien nach Syrien abgeschoben. Obgleich dem Königreich Dänemark zuvor die Rücknahme des Herrn A. zugesichert worden war, erhielt er am Flughafen Damaskus die Information, er könne nicht einreisen, da es sich bei ihm nicht um einen syrischen Staatsangehörigen handele. Entweder, er verlasse das Land oder er werde inhaftiert, bis seine Identität geklärt sei. Die drei dänischen Beamten, die Herrn A. begleiteten, hielten daraufhin Rücksprache mit der dänischen Botschaft und erhielten die Anweisung, noch am selben Tag mit Herrn A. nach Kopenhagen zurückzufliegen. In diesem Moment wurde Herr A. von einem Geheimdienstmitarbeiter erkannt, der einen Beitrag des kurdischen Senders Roj-TV gesehen hatte, in dem der Kurde im September 2010 als Sprecher von Hungerstreikenden aufgetreten war. Der Geheimdienstmitarbeiter nahm Herrn A. mit in sein Büro und warf ihm vor, im Ausland falsche Informationen über Syrien verbreitet zu haben. Herr A. leugnete das und behauptete, es handele sich bei ihm um eine andere Person, es sei doch gerade festgestellt worden, dass er kein syrischer Staatangehöriger sei. Daraufhin, so Herr A. gegenüber KURDWATCH, sei er von dem Geheimdienstmitarbeiter massiv mit Kabeln auf den Rücken geschlagen und gezwungen worden, ein Papier zu unterschreiben, dass er nicht wieder nach Syrien einreisen werde. Schließlich wurde er entlassen und flog noch am selben Tag mit den dänischen Beamten nach Kopenhagen zurück. Es ist auch in diesem Fall ohne Weiteres erkennbar, dass Anlass für die angebliche Misshandlung nicht (allein) ein Asylantrag des abgeschobenen Syrers war.

– Im Fall des Herrn K. H., der im Zuge seiner Abschiebung aus Deutschland am 13. April 2011 am Flughafen Damaskus festgenommen wurde, ergab sich das Interesse des syrischen militärischen Nachrichtendienstes an der Person des Abgeschobenen aus dessen exilpolitischen Aktivitäten, zu denen er im Verlauf einer einwöchigen Haft verhört wurde.

In die gleiche Richtung weisen auch zwei Fallbeispiele der kanadischen Immigrations- und Flüchtlingsbehörde im Zusammenhang mit der Behandlung von abgelehnten Asylbewerbern. So soll ein syrischer Mann, der in Australien ohne Erfolg Asyl beantragt hatte, bei seiner Rückkehr im August 2015 von syrischen Regierungsbeamten am Flughafen Damaskus „ausgesondert“ worden sein, „weil er von Al-Harra in der Provinz Daraa stammte. … Den Berichten zufolge beschuldigten ihn syrische Beamte, ein ´Finanzier der Revolution´ zu sein, als sie Bargeld bei ihm fanden, das ihm von der australischen Regierung für seine Rückkehr gegeben worden war; sie ´folterten´ ihn 20 Tage lang, dazu gehörten Schläge in das Gesicht, auf den Rücken und die Brust …“. Des Weiteren verweist die kanadische Behörde auf eine Stellungnahme von Human Rights Watch vom November 2013. Danach sollen laut dem UNHCR etwa 35 Palästinenser aus Syrien, die während des syrischen Konflikts nach Ägypten geflohen waren, nach Syrien zurückgeschickt worden sein; einige wurden bei Ankunft am Flughafen festgenommen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6).

b) Es gibt keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die Eingriffsschwelle der syrischen Stellen bei künftigen Abschiebungen wesentlich niedriger wäre und sie Rückkehrer unabhängig von signifikanten gefahrerhöhenden Merkmalen oder Umständen allein wegen der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland in flüchtlingsrechtlich relevanter Weise verfolgen.

Insoweit führt die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht weiter, der syrische Staat sei infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den längeren Aufenthalt im Ausland zum Anlass für Verfolgungsmaßnahmen nehme. Dabei ist nicht nachvollziehbar belegt, dass die syrischen Sicherheitskräfte nunmehr - anders als bis zum Abschiebestopp im Jahr 2011 - allein die Asylantragstellung in Deutschland als Hinweis auf eine oppositionelle Haltung betrachten würden. Solches ergibt sich auch nicht aus dem Verweis des Verwaltungsgerichts auf eine Zuspitzung der Situation in Syrien und einen Überlebenskampf des Assad-Regimes. Eine derartige Zuspitzung ist schon mit Blick auf die allgemein bekannte Tatsache zweifelhaft, dass sich die militärische Lage aufgrund der seit dem 30. September 2015 massiven militärischen Unterstützung durch die Russische Föderation zugunsten des syrischen Staates, wenn auch nicht entspannt, so doch jedenfalls verbessert hat. Unabhängig davon ließe sich eine Zuspitzung der Situation in Syrien auch dahin interpretieren, dass die syrischen Machthaber zunehmend auf den Zuspruch des ihnen zugeneigten Teils der Bevölkerung angewiesen sind und aus diesem Grund Verfolgungsmaßnahmen im Grundsatz nicht auf einem derart niedrigen Verdachtsniveau ansetzen wie vom Verwaltungsgericht angenommen.

Gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts spricht im Übrigen auch, dass laut Schätzungen der Vereinten Nationen und der Regierungen der Länder, die Flüchtlinge aufgenommen haben, jedes Jahr Hunderttausende von Flüchtlingen nach Syrien reisen; meistens um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in benachbarte Länder einreisen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsausschuss von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen vom 19.1.2016; SYR105361.E, S. 2 unter Verweis auf den Norwegischen Flüchtlingsrat und des Internationale Rettungskomitee). Eine solch umfangreiche Reisetätigkeit zeigt, dass die in den benachbarten Ländern lebenden syrischen Flüchtlinge trotz des (extrem) repressiven Charakters des syrischen Staates davon ausgehen, im Rahmen der auch an den übrigen Grenzübergängen zu Syrien strengen Grenzkontrollen (vgl. dazu Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f) keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt zu sein. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, erfolglose Asylbewerber aus dem westlichen Ausland würden - im Gegensatz zu den in die Anrainerstaaten Syriens Geflüchteten - deshalb (unterschiedslos) als Oppositionelle betrachtet, weil die syrische Regierung eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land für den Ursprung des Bürgerkriegs verantwortlich mache, ist eine bloße Vermutung, die sich angesichts der hohen Zahl in das westliche Ausland geflüchteter Syrer auch nicht nachvollziehbar aus dem Charakter des syrischen Staates ableiten lässt.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, wenn der Deutschen Botschaft Beirut einerseits keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten, ihr aber andererseits Fälle bekannt sind, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden sind oder dauerhaft verschwunden sind und das jedoch überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst steht. Ebenso ist der Hinweis der Botschaft plausibel, das entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3.2.2016).

Diese Auskunft erhält dadurch besonderes Gewicht, dass der UNHCR in seinen „Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (4. aktualisierte Fassung November 2015) davon ausgeht, im Rahmen einer Einzelfallprüfung benötigten syrische Asylbewerber wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn sie einem oder mehreren der in den Erwägungen angeführten Risikoprofile zuzuordnen seien. Unter ein solches Risikoprofil sollen nach dem Inhalt der Erwägungen etwa Personen fallen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen. Der UNHCR führt dazu verschiedene Beispiele an wie etwa Wehrdienstverweigerer, Aufständische oder Aktivisten. Personen, die im westlichen Ausland einen Asylantrag gestellt haben, werden demgegenüber nicht genannt. Dabei handelt es sich ersichtlich nicht um eine Nachlässigkeit, denn der UNHCR betrachtet die von ihm erstellten Risikoprofile als Grundlage für eine „Einzelfallprüfung“. Eine solche wäre aber, wie auch die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts deutlich macht, nicht erforderlich, wenn bereits die Asylantragstellung genügte, einen Asylbewerber dem Risikoprofil „Oppositioneller“ zuzuschlagen.

c) Der Länderbericht des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten für das Jahr 2014, den die kanadische Immigrations- und Flüchtlingsbehörde zitiert (s.o. Nr. 2.2.2.2 a)), rechtfertigt keine andere Bewertung. Zwar sollen danach Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl beantragt haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt sein. Allerdings ist dem Bericht in diesem Zusammenhang auch zu entnehmen, dass die Strafverfolgung nur für solche Personen vorgesehen ist, die in einem anderen Land Zuflucht suchen, um sich der Strafe in Syrien zu entziehen. Ebenso wenig führt hier die Feststellung des amerikanischen Auswärtigen Amts weiter, das Regime nehme routinemäßig nach Jahren oder sogar Jahrzehnten zurückkehrende Dissidenten und ehemalige Staatsbürger mit unbekannter politischer Zugehörigkeit fest. Der Kläger zählt nicht zu diesem Personenkreis; er ist kein Dissident und besitzt nach wie vor die syrische Staatsbürgerschaft.

d) Der vom Verwaltungsgericht hervorgehobene Umstand, dass die syrischen Geheimdienste die im Ausland lebenden syrischen Staatsangehörigen (angeblich) umfassend beobachten, trägt zur Beurteilung nichts Wesentliches bei. Er bestätigt den repressiven Charakter des syrischen Staates, hat aber für die Beurteilung der Rückkehrgefährdung vor dem Hintergrund der übrigen Erkenntnisse kein besonderes Gewicht.

2.2.3 Es kann dahinstehen, ob eine nach syrischem Recht illegale Ausreise im Falle einer Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte auslöst. Der Kläger hat Syrien nicht illegal verlassen. Er hat seinem Vorbringen in der Berufungsverhandlung zufolge in Syrien ein Visum erhalten, das ihn berechtigte, vom Libanon aus in die Türkei zu reisen. Sodann ist er mit einem Personenkraftwagen über einen (regulären) Grenzübergang von Syrien in den Libanon eingereist.

Der angebliche Verlust des Reisepasses während der Überfahrt nach Griechenland rechtfertigt nicht die Annahme, dass im Falle einer Rückkehr des Klägers die legale Ausreise nicht nachweisbar dokumentiert ist. Die syrischen Behörden erfassen im Rahmen der Grenzkontrolle die Ausreisedaten in ihrem elektronischen Datensystem, wo sie bei der Einreise abgerufen werden können (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen vom 19.1.2016 SYR105361.E, S. 8 unter Verweis auf eine telefonische Befragung des Vorstands des „Syrischen Zentrums für Justiz und Rechenschaftspflicht“ am 14.12.2015). In Anbetracht der umfassenden syrischen Grenzkontrollen ist zur Überzeugung des Senats die Einlassung des Klägers nicht glaubhaft, dass er bei der Einreise in den Libanon nur von den libanesischen Grenzbeamten kontrolliert worden sei. Die Erkenntnisquellen gehen übereinstimmend von strengen syrischen Grenzkontrollen aus. So muss insbesondere an den Grenzübergangsstellen der Landesgrenzen vom Libanon und von Syrien die Person aus dem Auto steigen und zum Einwanderungsbüro (immigration office) gehen. Dort nimmt der Beamte die Dokumente des Einreisenden und führt am Computer eine Überprüfung durch (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 3).

2.2.4 Es ist zur Überzeugung des Senats auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger von seiten der syrischen Sicherheitskräfte bei der Einreise über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle deshalb in Anknüpfung an eine ihm (unterstellte) oppositionelle Gesinnung eine menschenrechtswidrige Behandlung droht, weil der Kläger in einem Alter ist (19 Jahre), das ihn im Grundsatz der Militärdienstpflichtigkeit unterwirft. Der Kläger ist gemäß dem Eintrag in seinem Militärdienstbuch nach der „Einziger-Sohn-Regelung“ endgültig vom Militärdienst befreit, weil er der einzige Sohn der Familie ist und seine Mutter nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung älter als 50 Jahre alt ist. Nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung wird diese „Einziger-Sohn-Regelung“ von den syrischen staatlichen Stellen im Wesentlichen beachtet.

2.2.4.1 Das System der allgemeinen Wehrpflicht beruht auf folgenden Grundsätzen: In Syrien besteht allgemeine Wehrpflicht ab 18 Jahren bis zum Alter von 42 Jahren. Männer, die 18 Jahre alt werden, müssen sich zur Generalrekrutierungsstelle begeben (Befragung, Foto, Bluttest). Danach wird ihnen ein Militärdienstbuch ausgehändigt. Bei Beginn des Militärdienstes müssen bei der Generalrekrutierungsstelle die zivilen Ausweise und das Militärdienstbuch abgegeben werden und der Betreffende erhält umgehend den Militärdienstausweis bevor er zu seiner Einheit entsandt wird. Wenn der Dienst absolviert ist, bekommt man „Entlassungspapiere“, die man bei der Generalrekrutierungsstelle abgibt und erhält den zivilen Ausweis und das Militärbuch - versehen mit dem Stempel, dass der Militärdienst geleistet und die Person entlassen wurde (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada - Antworten auf Informationsanfragen v. 13. 8.2014, SYR104921.E, S.5).

Im August 2014 erließ Präsident Assad die Gesetzesverordnung Nr. 33, die einige Artikel der Verordnung Nr. 30 aus dem Jahr 2007 zum obligatorischen Militärdienst ersetzt. Dabei wurde unter anderem die Regel angepasst, dass der einzige Sohn der Familie vom Militärdienst befreit werden kann (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 5 f.). Die Freistellung wird im „Militärbüchlein“ festgehalten. Bis die Mutter 50 Jahre alt ist, muss die Freistellung jährlich neu beantragt werden. Danach gilt die Freistellung für immer (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 1; Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR104921.E vom 13.8.2014, S. 2 f).

Dementsprechend ist in dem vom Kläger dem Bundesamt vorgelegten Militärdienstbuch auf Seite 10 unter Bezugnahme auf die gesetzliche Regelung vermerkt, dass der Antragsteller keinen Militärdienst leisten muss (vgl. Anhörungsniederschrift vom 1.6.2016, Bl. 69 der Bundesamtsakte).

2.2.4.2 Der Senat ist davon überzeugt, dass diese Freistellung vom Militärdienst von den syrischen staatlichen Stellen auch vor dem Hintergrund des Charakters des um seine Existenz kämpfenden Staates (s.o. 2.2.1) im Wesentlichen beachtet wird. Diese Beurteilung beruht insbesondere auf Folgendem:

„Seit Herbst 2014 ergriff das syrische Regime verschiedene Maßnahmen, um die durch Desertion und Verluste dezimierte syrische Armee zu stärken. Seither kommt es zu großflächiger Mobilisierung von Reservisten, Verhaftungswellen von Deserteuren und Männern, die sich bis dahin dem Militärdienst entzogen haben. Zudem ergriff das syrische Regime neue Maßnahmen, um gegen Desertion und Wehrdienstentziehung anzukämpfen“ (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 2f. unter Verweis auf Washington Post, Desperate for soldiers, Assad´s government imposes harsh recruitment measures, 28.12.2014). „Zusätzlich zur Mobilisierung der Reservisten intensivierte das Regime die Suche nach … jungen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen haben. Es wurden mobile Checkpoints errichtet und die Sicherheitsdienste führten anhand von Listen, die auch an Checkpoints und an der Grenze genutzt werden, Razzien durch. … Bereits in den ersten sieben Monaten des Jahres 2014 dokumentiert das Syrian Network for Human Rights über 5.400 Verhaftungen von wehrdienstpflichtigen jungen Männern (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 3 unter Verweis auf Danish Immigration Service, Syria, Military Service, Mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG, 26.2.2015, S.10).

„Im Herbst 2014 erließ das Regime verschiedene Maßnahmen, um die Ausreise wehrdienstpflichtiger Männer zu verhindern. Bereits seit dem Ausbruch des Krieges verlangen die syrischen Behörden bei der Ausreise von Männern, die zwischen 18 und 42 Jahre alt sind, eine offizielle Beglaubigung des Militärs, dass sie vom Dienst freigestellt sind“ (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 4 unter Verweis auf Institute for the Study of War, The Assad Regime Under Stress: Conscription and Protest among Alawite and Minority Populations in Syria, 15.12.2014).

„Quellen geben an, dass die Sicherheitskontrollen, die von Grenzbeamten am internationalen Flughafen von Damaskus und anderen Eingangshäfen durchgeführt werden, beinhalten zu überprüfen, ob der Rückkehrer seinen Wehrdienst abgeleistet hat. Mehrere Quellen berichten, dass Männer im wehrpflichtigen Alter besonders gefährdet seien, von den Sicherheitskräften am Flughafen und anderen Eingangshäfen misshandelt zu werden (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada - Antworten auf Informationsanfragen v. 19.1.2016, SYR105361.E, S. 8f. m.w.N.).

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe beruft sich schließlich in einer Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20. Oktober 2015 zu Syrien: „Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“ auf den Bericht des Dänischen Einwanderungsdienstes (Danish Immigration Service), der im September 2015 eine nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes verlässliche Studie zum Militärdienst veröffentlicht hat (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3. Februar 2016). Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass prinzipiell die Freistellung als Einzelsohn noch gilt. Verschiedene Quellen weisen jedoch darauf hin, dass die Umsetzung „nicht immer“ gewährleistet ist. Insgesamt betrachtet ergibt sich das Bild, das die Freistellung als „einziger Sohn“ zwar je nach Situation willkürlich gehandhabt wird, sie aber im Prinzip umgesetzt wird. (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 1 und 3f.).

2.2.4.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht zur Überzeugung des Senats fest, dass dem endgültig vom Militärdienst freigestellten Kläger bei der Einreise über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von seiten der staatlichen Sicherheitskräfte in Anknüpfung an eine ihm (unterstellte) oppositionelle Gesinnung Verfolgung droht.

Das erklärte Ziel des syrischen Regimes ist unter Fortbestehen der Machtarchitektur die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik. Diesen Kriegszielen hat das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele untergeordnet - und zu ihrer Verteidigung hat es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung in Kauf genommen, sondern auch massive eigene Verluste (s.o. 2.2.1, Gerlach, „Was in Syrien geschieht - Essay“ v. 19. 2.2016). Die erheblichen Verluste auf Seiten des syrischen Militärs führten dazu, dass im Verlaufe des Krieges die Mobilisierungsmaßnahmen in die syrische Armee für Rekruten und Reservisten erheblich intensiviert wurden. Dabei sind bei von Sicherheitsdiensten aufgegriffenen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen hatten, auch Fälle von Folter dokumentiert worden. Die Ausreise von militärdienstpflichtigen Personen wurde durch verschiedene Maßnahmen (z.B. Ausreiseerlaubnis) erschwert.

Insoweit wird deutlich, dass das Interesse des syrischen Regimes an einer jederzeit möglichen Einberufung seiner militärdienstpflichtigen Staatsbürger zur Weiterverfolgung seiner Kriegsziele und damit letztlich für die Wiederherstellung und den Erhalt seiner Macht von entscheidender Bedeutung ist. Im Zusammenwirken mit dem Charakter des bedingungslos zur Erreichung seiner Ziele agierenden syrischen Regimes unter weitverbreitetem Einsatz von menschenrechtswidrigen Mitteln, wie insbesondere Folter, ist davon auszugehen, dass das syrische Regime Personen, die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, regelmäßig eine illoyale, politisch oppositionelle Haltung unterstellt. Denn diese Personen haben sich trotz des das Regime in seiner Existenz bedrohenden Krieges nicht für einen Militäreinsatz bereitgehalten und so aus der Sicht der Machthaber ein Verhalten gezeigt, das dessen drängenden militärischen Bedürfnissen zuwiderläuft (vgl. zu einem Reservisten: Urteil des Senats vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30372 - juris).

Dieser Personengruppe (Wehrpflichtiger, Reservist), die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, gehört der Kläger aber weder an, noch besteht Anlass zu der Annahme, dass ihn die syrischen Behörden bei Rückkehr entsprechend einem Militärdienstverweigerer behandeln und ihm dementsprechend eine oppositionelle Gesinnung unterstellen.

Das syrische Regime hat zwar zur Stärkung seiner Armee seine Maßnahmen gegen wehrdienstpflichtige Männer verschärft, der Kläger ist jedoch aufgrund seiner Freistellung, die im Militärbuch dokumentiert ist, nicht wehrdienstpflichtig und wegen der weiterhin geltenden und auch in die Praxis umgesetzten „Einziger-Sohn-Regelung“ damit aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte zur Verwirklichung der Kriegsziele durch Militäreinsatz nicht geeignet. Er war aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte nicht verpflichtet, sich für einen möglichen Militär- und Kriegseinsatz im Inland zur Verfügung zu halten, so dass bei seiner Rückkehr im Rahmen der obligatorischen Einreisekontrollen am Flughafen Damaskus oder einer anderen staatlichen Kontrollstelle die syrischen Sicherheitskräfte keinen Anknüpfungspunkt dafür haben, dem Kläger eine oppositionelle Gesinnung wegen seiner Flucht ins Ausland, um einen Militäreinsatz zu vermeiden, zu unterstellen.

Den vereinzelt angegebenen Fällen, dass vom Militärdienst freigestellten Einzelsöhnen an Checkpoints vermehrt die Einziehung angedroht worden sei, um Bestechungsgelder zu erpressen, bzw. es in Syrien grundsätzlich keine Garantie gebe, dass Gesetze respektiert würden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 4), kann eine Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Persönlichkeitsmerkmale nicht entnommen werden.

Darin fügt sich ein, dass der Kläger bei seiner Anhörung durch das Bundesamt auf die Frage, was er bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte, antwortete: „Es passiert nichts.“

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 1, § 711 ZPO.

5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Tenor

I. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Juli 2016 wird aufgehoben, soweit der Klage stattgegeben wurde.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten über den ihm zugestandenen subsidiären Schutz hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen kann.

Der Kläger ist ein am … 1997 in Damaskus geborener Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien arabischer Volkszugehörigkeit muslimischen Glaubens (Sunnit). Er reiste seinen Angaben zufolge am 31. Januar 2016 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 17. Februar 2016 einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 1. Juni 2016 äußerte er sich im Wesentlichen wie folgt:

„Bis zu seiner Ausreise aus Syrien habe er in Damaskus, Stadtteil …, gelebt. Unter dieser Adresse leben noch heute seine Eltern. Auch zwei Schwestern hielten sich noch in Syrien auf. Am 5. Januar 2016 habe er Syrien verlassen und sei über den Libanon, Türkei und die Balkanroute über Österreich nach Deutschland gereist. In der Türkei sei er ca. 10 Tage lang legal gewesen. In seiner Heimat habe er 9 Jahre lang die Mittelschule besucht, habe aber keinen Abschluss gemacht. Er habe Frisör gelernt und in dem Beruf gearbeitet. Wehrdienst habe er nicht geleistet. Er sei nicht Mitglied einer nichtstaatlichen bewaffneten Gruppierung oder einer politischen Partei gewesen. Augenzeuge oder Opfer von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder von Übergriffen (Folter, Vergewaltigungen oder anderen Misshandlungen) durch kämpfende Einheiten auf die Zivilbevölkerung sei er nicht gewesen. Er habe auf seinem Weg nach Deutschland und in Deutschland weder Kenntnis von Personen erlangt, die er als Unterstützer oder Mitglieder von extremistischen oder terroristischen Organisationen eingeschätzt habe, noch von Personen, von denen er habe annehmen müssen, dass sie für einen Nachrichtendienst arbeiten. Er habe Syrien verlassen, weil dort Krieg herrsche. Ein Arbeiten sei dort nicht möglich. Zudem strebe er in Deutschland eine Ausbildung als Frisör an und möchte einen guten Lebensunterhalt bestreiten. Er oder seine Familie seien in Syrien nicht persönlich bedroht oder verletzt worden. Er habe sein Militärheft vorgelegt. Jeder Mann im wehrdienstfähigen Alter bekomme automatisch dieses Militärheft. Er habe nicht zur syrischen Armee einberufen werden sollen. In Syrien gebe es ein Gesetz, wonach bei nur einem Sohn in der Familie eine Einberufung nicht stattfinde (eine Übersetzung des Dolmetschers aus dem Militärheft ergab unter Bezugnahme auf die gesetzliche Regelung, dass der Kläger keinen Militärdienst leisten müsse). Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er nichts. Er habe den Wunsch nach Abschluss seines Verfahrens seine Eltern aus Syrien nachreisen zu lassen. Ein Mitglied seiner Familie sei schon als Gastarbeiter in Deutschland, deshalb sei es auch ein Wunsch seiner Eltern gewesen, dass er als Arbeiter nach Deutschland kommen könne.

“Das Bundesamt erkannte den Kläger mit Bescheid vom 13. Juni 2016 als subsidiär Schutzberechtigten an und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.

Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 15. Juli 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen und die Klage im Übrigen (Asylanerkennung) abgewiesen. Zur Begründung der zusprechenden Entscheidung wird im Wesentlichen ausgeführt: Der syrische Staat betrachte gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System, die das Gebot der Loyalität ihm gegenüber verletze. Ein solches Verhalten werde - ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung des Einzelnen - vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst. Zumindest Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und damit auch aus Deutschland hätten in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ihre tatsächliche oder wohl zumeist nur vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinn des § 3a AsylG zu rechnen.

2. Die Beklagte begründet die vom Senat mit Beschluss vom 21. September 2016 zugelassene Berufung wie folgt:

„Es begegne Zweifeln, die Verfolgungsgefahr zumeist aus einem allgemeinen „Abschöpfungsinteresse“ hinsichtlich Erkenntnissen zur Exilopposition ableiten zu wollen. Gegen die Annahme, dass bei jedem Rückkehrer eine Regimegegnerschaft vermutet werde, spreche die mittlerweile sehr hohe und weiter zunehmende Zahl der Flüchtlinge. Der syrische Staat dürfte weder Veranlassung noch Ressourcen haben, gegen jeden Rückkehrer vorzugehen. Die hohe Anzahl an ausgegebenen syrischen Reisepässen spreche ebenfalls dagegen, dass jedem Rückkehrer eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt werde. Dem entspreche es, dass sich ein erheblicher Teil der syrischen Asylbewerber für den Fall einer Rückkehr nicht vor Verfolgung in Anknüpfung an Verfolgungsgründe nach § 3b AsylG fürchte, sondern ausschließlich vor Kriegsgefahren und Kriegsfolgen. Diese Erkenntnis habe das Bundesamt aus mehr als 130.000 in diesem Jahr durchgeführten Anhörungen gewonnen. Der Kläger sei ohne Vorverfolgung ausgereist und habe Syrien wohl legal verlassen. Es liege beim Kläger auch keine Risikoerhöhung wegen Militärpflichtigkeit vor, weil insoweit die „Einziger-Sohn-Regelung“ gelte und die Mutter des Klägers älter als 50 Jahre sei, so dass eine jährliche Bestätigung der Regelung im Wehrdienstheft nicht erforderlich sei.

“Die Beklagte beantragt,

in Abänderung des Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Juli 2016 die Klage abzuweisen, soweit ihr stattgegeben wurde.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Vor dem Hintergrund, dass der Kläger einen Asylantrag gestellt habe, sich längere Zeit im westlichen Ausland aufgehalten habe und zudem noch ein möglicher Verdacht auf Wehrdienstentziehung im Raum stehe, müsse man nach Auswertung der verschiedenen Auskünfte zu dem Ergebnis kommen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Haft und Folter von den syrischen Sicherheitskräften zu befürchten hätte. Zwar könne man nicht für jeden Fall eines zurückkehrenden Syrers die Anwendung von Folter und Haft mit Sicherheit feststellen, sie seien aber auch nicht mit der notwendigen Sicherheit auszuschließen. Unter solchen Umständen würde ein vernünftiger Mensch in der Lage des Klägers das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen.

Die Landesanwaltschaft Bayern äußert sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses unter anderem wie folgt:

Die erforderliche Verknüpfung zwischen schädigender Handlung und Verfolgungsgrund sei beim Kläger nicht gegeben. Die Annahme sei wenig plausibel und letztlich lebensfremd, dass aus dem westlichen Ausland zurückkehrende Syrer bei der in diesem Fall obligatorischen Befragung von den syrischen Sicherheitskräften allein wegen der Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositionelle betrachtet würden.

3. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht Regensburg hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 15. Juli 2016 zu Unrecht teilweise stattgegeben. Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt mit Bescheid vom 13. Juni 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). § 3 Abs. 4 AsylG gibt dem Kläger in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen darauf gerichteten Anspruch, denn er ist kein Flüchtling im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer - soweit hier von Interesse - Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 - Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen lagen beim Kläger im Zeitpunkt seiner Ausreise aus der Arabischen Republik Syrien nicht vor (1.), noch ergeben sie sich aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem der Kläger sein Herkunftsland verlassen hat (2.)

1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinn des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergeben, hat der Kläger weder bei der Anhörung durch das Bundesamt noch im Rahmen der Berufungsverhandlung geltend gemacht.

2. Der Kläger kann für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nichts daraus für sich ableiten, dass gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen kann, die eingetreten sind, nachdem er sein Herkunftsland verlassen hat. Ein solcher Nachfluchtgrund besteht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht allein deshalb, weil der Kläger aus Syrien ausgereist ist, in der Bundesrepublik Deutschland Asyl beantragt und sich seitdem hier aufgehalten hat. Diese Umstände rechtfertigen nicht die begründete Furcht, dass syrische staatliche Stellen den Kläger bei einer Rückkehr in die Arabische Republik Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle als Oppositionellen betrachten und ihn deshalb wegen einer ihm unterstellten politischen Überzeugung verfolgen.

2.1 Davon wäre nur dann auszugehen, wenn dem Kläger bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die „verständige Würdigung aller Umstände“ hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Klägers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Klägers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 - 10 C 33.07 - juris Rn. 37 und zu Art. 16a GG U.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - juris Rn. 17).

2.2 Nach diesem Maßstab und nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle wegen seines Asylantrags und des damit verbundenen Aufenthalts in Deutschland eine politische Verfolgung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (2.2.1). Auch das im Grundsatz eine Militärdienstpflichtigkeit begründende Alter des legal ausgereisten (2.2.2) Klägers (19 Jahre) führt nicht beachtlich wahrscheinlich zu einer staatlichen Verfolgung, da der Kläger nach der in Syrien in die Praxis umgesetzten „Einziger-Sohn-Regelung“ endgültig vom Militärdienst freigestellt wurde. Aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte fehlt es damit beim Kläger für die Unterstellung einer illoyalen und oppositionellen Haltung - anders als bei Wehrpflichtigen und Reservisten - am Anknüpfungspunkt der Ausreise trotz Militärdienstpflichtigkeit (2.2.3).

Bei der zusammenfassenden Bewertung aller Umstände haben die gegen eine Verfolgungsgefahr sprechenden Gründe größeres Gewicht als die dafür sprechenden Gründe. Diese Erkenntnis beruht auf Folgendem:

2.2.1 Eine Auswertung der in beiden Rechtszügen beigezogenen Erkenntnismittel zeigt, dass das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten ist. Der syrische Staat setzt deshalb alles daran, seine Macht zu erhalten und geht in seinem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor.

Zu den Zielen der syrischen Regierung führt Gerlach in „Was in Syrien geschieht - Essay“ vom 19. Februar 2016 (http: …www.bpb.de/apuz/221168/was-in-syrien-geschieht?p=all) aus:

„Das erklärte Ziel des syrischen Regimes, das sich für den rechtmäßigen Vertreter des Staates hält, ist die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik, also gewissermaßen in den Grenzen von 2011. … Wichtiger noch: das Fortbestehen der Machtarchitektur ohne einschneidende Veränderung, die in einer Entmachtung des Präsidenten Assad oder in der Auflösung jenes Machtkomplexes der drei um den Präsidenten gruppierten Clans Assad, Makhlouf und Shalish bestehen könnte. Diesen Kriegszielen ordnete das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele unter - und zu ihrer Verteidigung nahm es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung, sondern auch massive eigene Verluste in Kauf.“

Einem „Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012)“ des Auswärtigen Amts vom 17. Februar 2012 ist zu entnehmen:

„Das syrische Regime setzt im Kampf gegen die syrische Opposition die Armee und Sicherheitskräfte gezielt gegen zivile Siedlungsgebiete ein. …

Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Es gibt vier große Sicherheitsdienste, die unabhängig voneinander alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie sich gegenseitig kontrollieren: Allgemeine Sicherheit, Politische Sicherheit, Militärische Sicherheit und die Sicherheit der Luftwaffe. … Die Befugnisse der Sicherheitsdienste unterliegen keinen definierten Beschränkungen. Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhörzentralen, bei denen es sich um rechtsfreie Räume handelt. …

Syrische Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen und die Neuordnung Syriens nach demokratischen, pluralistischen und rechtsstaatlichen Prinzipien anstreben, werden durch das Regime massiv unterdrückt. …

Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränken sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“ (enforced disappearance), tätlichen Angegriffen (z. B. der Karikaturist A. F. und der Oppositionspolitiker R. S.), Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte (z. B. das Kind H. al-K., der Aktivist C. M.) und Mordanschlägen (z.B. der kurdische Oppositionelle M. D.) belegt. Einige Oppositionelle sind daher in den Untergrund gegangen …; viele andere haben Syrien verlassen. …

Menschenrechtsverteidiger schätzen die Zahl der Verhafteten und Verschwundenen auf insgesamt über 40.000. … Willkürliche Verhaftungen sind in Syrien gegenwärtig sehr häufig und gehen von Polizei, Geheimdiensten und staatlich organisierten Milizen (sog. Shabbiha) aus. …

Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). …

Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. …

Es muss davon ausgegangen werden, dass exilpolitische Tätigkeiten den syrischen Sicherheitsdiensten bekannt werden. Auch ist nicht auszuschließen, dass syrische Familien in Deutschland von den Sicherheitsdiensten als Druckmittel gegenüber noch in Syrien lebenden Verwandten (oder umgekehrt) missbraucht werden. …

Obwohl die syrische Verfassung (Art. 28) und das syrische Strafrecht Folter verbieten und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, wenden Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt an. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko. …Gegenwärtig kann sich das Individuum de facto in keiner Weise gegenüber staatlichen Willkürakten zur Wehr setzen. Vieles deutet darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art ´carte blanche´ erhalten haben. …

Es kommt seit Beginn der Unruhen regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen durch die Sicherheitsdienste, Rechtsmittel dagegen existieren nicht. Vor allem im Gewahrsam der außerhalb jeder Kontrolle agierenden Geheimdienste kommt es zu Drohungen und körperlichen Misshandlungen sowie zu ungeklärten Todesfällen. …

Fälle von Verschwindenlassen haben seit März 2011 erheblich zugenommen“ (Namen sind im Original vollständig wiedergegeben).

Der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe „Syrien: Umsetzung der Amnestien“ vom 14. April 2015 (https: …www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150414-syr-amnestien.0.pdf) kann entnommen werden:

„Human Rights Watch kritisierte im Januar 2015, dass trotz der Amnestie noch eine Vielzahl Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger, Medienschaffende sowie Personen, die humanitäre Hilfe geleistet haben, inhaftiert oder in Untersuchungshaft sind. …

In vielen Fällen werden vor allem Aktivisten, Anwälte und Menschenrechtsaktivisten von den Geheimdiensten wochen- und monatelang ohne Verfahren festgehalten. …

Die Anzahl der seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 verhafteten Personen ist umstritten. Das Violations Documentation Center, eine lokale Monitoring Gruppe, ging im Juli 2014 davon aus, dass 40.853 Personen in Haft sind. Der ehemalige UN-Sondergesandte für Syrien, Lakhdar Brahimi, ging von zwischen 50.000 und 100.000 Inhaftierten des syrischen Regimes aus. Der UN High Commissioner for Human Rights, Zeid Ra'ad Al Hussein, weist auf Schätzungen zwischen zehntausenden und hunderttausenden Inhaftierten hin. Das Syrian Observatory for Human Rights schätzt, dass 200.000 Personen in syrischen Gefängnissen sitzen. …

Dass die Haftbedingungen schlecht sind und in den Gefängnissen gefoltert wird, ist seit langem dokumentiert, auch bereits vor dem Konflikt. Folter ist insbesondere in der ersten Zeit der Haft üblich, um an Informationen zu kommen, die Häftlinge einzuschüchtern und um Schuldeingeständnisse zu erzwingen. Folter und die schlechten Haftbedingungen führen zu Todesfällen. …

Viele friedliche Aktivisten, die aufgrund des Anti-Terrorismus-Gesetzes verurteilt worden sind und von der Amnestie hätten profitieren sollen, blieben weiterhin in Haft.“

Die vierte aktualisierte Fassung der „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015 (https: …www.ecoi.net/file_upload/1930_1455006006_syr-112015.pdf) äußert sich in Fußnummer 74 u.a. wie folgt:

„Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die man für einen Regierungsgegner hält, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen einschließlich der Kinder der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder zur Vergeltung der Aktivitäten bzw. des Loyalitätsbruchs der gesuchten Person oder zwecks Einholung von Informationen über ihren Aufenthaltsort oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen anzuerkennen.”

Die Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada (Immigration and Refugee Board of Canada) verweist in einem Bericht (Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19. Januar 2016, S. 4 - zitiert nach der in das Verfahren eingeführten Übersetzung in die deutsche Sprache) auf folgende Erkenntnisse von Amnesty International (Between Prison and the Grave, Enforced Disappearances in Syria, November 2015), Human Rights Watch (Syria, World Report 2015: Events of 2014, 29.1.2015) und OHCHR (Open Wounds: Torture and Ill-Treatment in the Syrian Arab Republic, 14.4.2014) hin:

„Laut AI hat die in Syrien stationierte Kontrollgruppe Syrian Network for Human Rights über 58.000 Fälle von Zivilisten dokumentiert, die zwischen März 2011 und August 2015 durch die syrische Regierung ´zwangsweise´ verschwunden sind, und am 30. August 2015 immer noch als vermisst gelten (AI, Nov. 2015, 7). Des Weiteren vermerkt dieselbe Quelle, dass alle vier Truppengattungen der syrischen Sicherheitskräfte, bestehend aus dem militärischen Geheimdienst, dem Geheimdienst der Luftwaffe, dem politischen Sicherheitsdienst und dem allgemeinen Geheimdienst (auch Staatsicherheit genannt), Personen zwangsweise verschwinden lassen würden und dass es überall im Land Gefangenenlager gebe (ebd.). AI erklärt, dass diese Gefangenen ´außerhalb des gesetzlichen Schutzes gestellt werden, und dass ihnen die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder ein faires Gerichtsverfahren verwehrt wird´; dass Gefangene in überfüllten Behausungen gehalten und regelmäßig einem Katalog der Folter ausgesetzt werden´(ebd., 8). Human Rights Watch und der UNHCR berichten über die weit verbreitete Anwendung des Verschwindenlassens, der Inhaftierung und Folter durch syrische Behörden (UN, 14. Apr. 2014, 1; Human Rights Watch, 29. Jan. 2015, 2 - 3).“

Nach den im Amnesty Report 2016 vom 2. März 2016 (http: …www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien) festgehaltenen Erkenntnissen von Amnesty International hat sich an dieser Lage nichts zum Guten geändert. Dem Report ist u.a. zu entnehmen:

„Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben „verschwunden“. Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. …

Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. …

10.000 Personen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterrorgericht oder vor militärischen Feldgerichten.“

2.2.2 Trotz des Umstands, dass die syrischen Machthaber um des Erhalts ihrer infolge der militärischen Auseinandersetzung bedrohten Herrschaft willen mit äußerster Härte gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle vorgehen, ist es zur Überzeugung des Senats nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger allein wegen seiner Ausreise, seines Asylantrags und des Aufenthalts in Deutschland als Oppositioneller betrachtet wird und deshalb Verfolgungshandlungen im Sinn des § 3a Abs. 1 AsylG zu befürchten hat (so auch OVG SH, U.v. 23.11.2016 - 3 LB 17.16 - juris; OVG NW, B.v. 6.10.2016 - 14 A 1852/16.A - juris; a.A. OVG Sachsen-Anhalt, U.v. 18.7.2012 - 3 L 147.12 - juris).

2.2.2.1 Es ist davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder einer anderen staatlichen Kontrollstelle im Rahmen einer strengen Einreisekontrolle durch verschiedene Geheimdienste über seinen Auslandsaufenthalt und den Grund seiner Abschiebung befragt wird. Die Sicherheitsbeamten werden dabei auch Einblick in die Computerdatenbanken nehmen, um zu prüfen, ob der Kläger von den Behörden gesucht wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Sicherheitskräfte eine „carte blanche“ haben, um zu tun, was immer sie tun wollen, wenn sie jemanden aus irgendeinem Grund verdächtigen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Trier vom 12.10.2016 zur Ausreisekontrolle).

2.2.2.2 Zu den Folgen, die sich im Rahmen einer solchen Überprüfung für einen abgelehnten Asylbewerber ergeben, ist die Auskunftslage nicht einheitlich.

a) Die Ermittlungsabteilung (Research Directorate) der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde hat dazu verschiedene sachkundige Personen befragt. Ein emeritierter Professor für Anthropologie und Zwangsmigration der Universität Oxford (emeritus Professor of anthropology and forced migration at Oxford University, telefonische Befragung am 11.12.2015) äußerte sich dahingehend, ein abgelehnter Asylbewerber werde höchstwahrscheinlich festgenommen und inhaftiert; groß sei die Wahrscheinlichkeit, dass solche Personen gefoltert würden, um eine Aussage zu erhalten, aus welchem Grund sie geflohen seien.

Der Vorstand der Nichtregierungsorganisation „Syrisches Zentrum für Justiz und Rechenschaftspflicht“ (Executive Director „Syria Justice and Accountability Center“, telefonische Befragung am 14.12.2015) sagte, ein abgelehnter Asylbewerber werde auf jeden Fall festgenommen und inhaftiert. Ihm würde vorgeworfen, im Ausland falsche Informationen verbreitet zu haben, und er würde wie ein Oppositioneller behandelt. Er würde einer Folter unterworfen, wobei die Behörden versuchen würden, Informationen über andere abgelehnte Asylbewerber oder Oppositionelle zu bekommen. Der abgelehnte Asylbewerber riskiere, zu Tode gefoltert zu werden oder gefoltert zu werden und dann für eine sehr lange Zeit in Haft genommen zu werden.

Ein leitender auf Syrien spezialisierter Gast-Forschungsbeauftragter am King´s College London (Visiting Senior Research Fellow, telefonische Befragung am 15.12.2015) bekundete gegenüber der kanadischen Behörde, es bestünde die Möglichkeit, dass ein abgelehnter Asylbewerber wegen eines Asylantrags im Ausland festgenommen und inhaftiert werden könnte. Er war aber des Weiteren der Meinung, dass das nicht „automatisch“ der Fall sei. Die mehr traditionsbewussten syrischen Beamten seien der Überzeugung, dass alle Asylbewerber Regierungsgegner seien, und somit einer Festnahme, Inhaftierung und Folter unterworfen werden könnten. Es gebe aber auch Beamte, die verstünden, dass manche Leute vielleicht aus wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen hätten. Nichts sei „automatisch“ oder vorhersehbar. Allerdings habe der Konflikt wahrscheinlich das Misstrauen der Beamten erhöht (vgl. zum Ganzen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6 f.).

Die kanadische Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde zitiert in diesem Zusammenhang zudem aus den „Länderberichten über die Handhabung der Menschenrechte für 2014“ des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten (US Department of State´s „Country Reports on Human Rights Practices for 2014“). Danach seien Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl gesucht haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt. Das Gesetz sehe die Strafverfolgung jeglicher Person vor, die in einem anderen Land Zuflucht suche, um der Strafe in Syrien zu entfliehen. Das Regime nehme routinemäßig Dissidenten und ehemalige Staatsbürger mit unbekannter politischer Zugehörigkeit fest, die versucht hätten, nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbst auferlegten Exils in das Land zurückzukehren.

b) Demgegenüber beantwortete die Deutsche Botschaft Beirut (Referat 313) eine Anfrage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zur Rückkehrgefährdung unter dem 3. Februar 2016 dahin, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten. Allerdings seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden seien oder dauerhaft verschwunden seien. Das stehe überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite.

Die Frage des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts, ob unverfolgt ausgereiste Asylbewerber bei Rückkehr nach Syrien Befragungen seitens des syrischen Staates ausgesetzt seien und - bejahendenfalls - wie hoch die Gefahr einzuschätzen sei, dass sie deshalb Verfolgungsmaßnahmen seitens des syrischen Staats ausgesetzt werden, beantwortete das Auswärtige Amt mit Auskunft vom 7. November 2016 wie folgt: Das Amt habe keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien. Es lägen keine Erkenntnisse vor, dass diese Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien.

Der UNHCR ist für den Fall einer Einzelfallprüfung von Asylanträgen syrischer Asylbewerber der Ansicht, dass Personen mit einem oder mehreren der in den Erwägungen des UNHCR angeführten Risikoprofile „wahrscheinlich“ internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention benötigen. Unter ein solches Risikoprofil fallen nach Auffassung des UNHCR unter anderem „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder politischer Oppositionsparteien; Aufständische, Aktivisten und sonstige Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen werden; Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen bzw. Personen, die als Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen angesehen werden; Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte; Mitglieder der Regierung und der Baath-Partei, die ihre Ämter niedergelegt haben; Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern sowie andere Personen, die mit tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern in Verbindung gebracht werden; Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben“ (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 25 f.).

2.2.2.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht fest, dass die gegen eine Verfolgung des Klägers sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen die dafür sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kann nicht von einem bei jedem Rückkehrer bestehenden in gleicher Weise realen Risiko von Misshandlung und Folter ausgegangen werden. Der Senat ist vielmehr davon überzeugt, dass die syrischen Sicherheitskräfte bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vorgehen und erst zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen.

a) Dabei bleibt nicht außer Betracht, dass der um seine Existenz kämpfende syrische Staat und dessen Machthaber ihre Ziele, nämlich die Wiederherstellung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium Syriens sowie der Machterhalt zugunsten des Präsidenten Assad und der um ihn gruppierten Clans mit größter Härte und menschenrechtswidrigen Mitteln verfolgen. In dieses Bild scheinen sich die Äußerungen der von der Ermittlungsabteilung der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde befragten sachkundigen Personen einzufügen. Gegen deren Annahme, abgelehnte Asylbewerber würden (allein) wegen des Asylantrags im Ausland „auf jeden Fall“ bzw. „höchstwahrscheinlich“ oder möglicherweise festgenommen, inhaftiert und gefoltert, spricht aber neben der Tatsache, dass die Bewertungen der sachkundigen Personen nicht näher konkretisiert sind, Folgendes:

Die im angefochtenen Gerichtsbescheid in Bezug genommenen (GA S. 7), in einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. Februar 2012 (3 L 147/12) beschriebenen Fälle von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, sind nicht geeignet, eine allein auf die Asylantragstellung zurückzuführende politische Verfolgung zu belegen. Im Gegenteil, die insoweit ausweislich des vorbezeichneten Urteils von Amnesty International („Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012) und von dem kurdischen Informationsdienst „KURDWATCH“ dokumentierten neun Fälle zeigen, dass Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte nicht allein durch die Asylantragstellung, sondern durch hinzutretende Umstände ausgelöst wurden. Dazu in der Reihenfolge der Fälle wie sie im Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. Februar 2012 angeführt sind:

– Der syrische Kurde B. K. hatte in Zypern erfolglos Asyl beantragt und wurde im Juni 2009 bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Damaskus festgenommen und vier Monate ohne Kontakt zur Außenwelt von den Geheimdiensten inhaftiert und offenbar misshandelt und gefoltert. Hier trat zum Asylantrag hinzu, dass B. K. nach den Erkenntnissen von amnesty international bereits Anfang 2005 als Jugendlicher für zweieinhalb Monate u.a. in der Haftanstalt der „Palästinensischen Abteilung“ beim Militärischen Geheimdienst in Haft war. Er war damit bereits vor seiner Ausreise in das Blickfeld der syrischen Dienste geraten.

– Der syrische Kurde K. K. wurde nach abgelehntem Asylantrag am 1. September 2009 nach Syrien abgeschoben. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr wurde er bei der Vorsprache beim Geheimdienst festgenommen und drei Wochen lang ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert, verhört und eigenen Angaben zufolge gefoltert und misshandelt. Im Rahmen seiner Verhöre wurden ihm auch Angaben aus seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgehalten (KURDWATCH, Meldung vom 29.08.2010). Gegen Herrn K. wurde Anklage wegen „Verbreitung falscher Informationen im Ausland“ gemäß § 287 des syrischen Strafgesetzbuches vor dem Militärgericht erhoben. Allerdings, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt lässt das unerwähnt, war Gegenstand des geheimdienstlichen Verhörs auch die Teilnahme des Verhafteten an einer Kundgebung gegen das Rückübernahmeabkommen zwischen Deutschland und der Arabischen Republik Syrien. Nach Angaben des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien hat der Rechtsanwalt des Herrn K. mitgeteilt, dass sich die nachfolgende Anklage auf den Vorwurf gestützt habe, Herr K. habe in Deutschland an dieser Kundgebung teilgenommen. Ein Monitoring durch den Verbindungsbeamten (der Deutschen Botschaft) bestätigte, dass Herr K. der Aussage seines Anwaltes entsprechend wegen der Teilnahme an einer Kundgebung in Deutschland verurteilt wurde (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded Group und aktuelle Situation, April 2011, S. 11 f.).

– Der syrische Kurde A. al-K. H. wurde im August 2010 aus Norwegen abgeschoben und bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Damaskus festgenommen. Hier tritt hinzu, dass es sich bei Herrn A. al-K. H. um den stellvertretenden Direktor des Vereins syrischer Kurden in Norwegen handelte, einer Nichtregierungsorganisation, die auf die Situation der kurdischen Minderheit in Syrien aufmerksam macht. Er war zwei Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt beim Geheimdienst in Damaskus inhaftiert. Berichten zufolge soll er bei der Haftentlassung aufgefordert worden sein, sich beim Geheimdienst in Aleppo zu melden, was ihn zur Flucht aus Syrien veranlasste.

– Nach einem von KURDWATCH dokumentierten Fall hatte die Ausländerbehörde Essen am 27. Juli 2010 eine sechsköpfige (kurdische) Familie nach Damaskus abschieben lassen. H. H. und K. H. wurden bei der Ankunft am Flughafen Damaskus von syrischen Sicherheitskräften festgenommen. In diesem Fall kommt hinzu, dass die beiden festgenommen wurden, weil sie in Deutschland straffällig geworden waren. Der Aussage des H. H. zufolge wurde er an drei unterschiedlichen Orten festgehalten. Begründet wurde seine Festnahme damit, dass er in Deutschland wegen Diebstahls verurteilt worden sei und diese Strafe noch in Syrien ableisten müsse. Tatsächlich, so H. H., sei die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Darüber hinaus sei ihm, ebenfalls unter Verweis auf seine aus Deutschland stammenden Akten, zu Unrecht Drogenabhängigkeit vorgeworfen worden.

– Der staatenlose Kurde D. A. wurde nach seiner Abschiebung aus Dänemark am 15. November 2010 auf dem Flughafen Damaskus verhaftet. Herr A. war in Dänemark politisch aktiv.

– Mitglieder des Direktorats für politische Sicherheit in Syrien hatten am 4. Dezember 2010 Herrn D. Y. M. vorgeladen und festgenommen. Nach seiner Abschiebung aus Zypern im Juni 2010 hatte er am Flughafen Damaskus seinen Pass abgeben müssen. Es folgten mehrere Verhöre durch verschiedene Geheimdienste. In diesem Fall tritt hervor, dass der Betroffene in Zypern gemeinsam mit anderen kurdischen Flüchtlingen gegen seine Abschiebung demonstriert und an einem mehrtätigen Hungerstreik teilgenommen hatte.

– Die Ausländerbehörde Hildesheim hatte am 1. Februar 2011 die registrierten Staatenlosen B. N. und seinen Sohn A. N. nach Syrien abschieben lassen. Beide wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in Damaskus festgenommen und der Auswanderungs- und Passbehörde überstellt. Herrn A. N. wurde vorgeworfen, unrichtige Angaben zu seinem Alter gemacht zu haben. Er wurde bei der Auswanderungs- und Passbehörde festgehalten, wo er auf eine Identitätsbescheinigung aus Al-Hassake warten musste. Sein Vater, Herr B. N, wurde zunächst dem Direktorat für politische Sicherheit vorgeführt und dort verhört. Er wurde am 13. Februar 2011, sein Sohn am 3. März 2011 freigelassen. Unabhängig davon, dass es sich bei den Betroffenen um registrierte Staatenlose handelte, tritt hier die Problematik der Identitätsfeststellung in den Vordergrund.

– Am 8. Februar 2011 wurde Herr A. A. von Dänemark über Wien nach Syrien abgeschoben. Obgleich dem Königreich Dänemark zuvor die Rücknahme des Herrn A. zugesichert worden war, erhielt er am Flughafen Damaskus die Information, er könne nicht einreisen, da es sich bei ihm nicht um einen syrischen Staatsangehörigen handele. Entweder, er verlasse das Land oder er werde inhaftiert, bis seine Identität geklärt sei. Die drei dänischen Beamten, die Herrn A. begleiteten, hielten daraufhin Rücksprache mit der dänischen Botschaft und erhielten die Anweisung, noch am selben Tag mit Herrn A. nach Kopenhagen zurückzufliegen. In diesem Moment wurde Herr A. von einem Geheimdienstmitarbeiter erkannt, der einen Beitrag des kurdischen Senders Roj-TV gesehen hatte, in dem der Kurde im September 2010 als Sprecher von Hungerstreikenden aufgetreten war. Der Geheimdienstmitarbeiter nahm Herrn A. mit in sein Büro und warf ihm vor, im Ausland falsche Informationen über Syrien verbreitet zu haben. Herr A. leugnete das und behauptete, es handele sich bei ihm um eine andere Person, es sei doch gerade festgestellt worden, dass er kein syrischer Staatangehöriger sei. Daraufhin, so Herr A. gegenüber KURDWATCH, sei er von dem Geheimdienstmitarbeiter massiv mit Kabeln auf den Rücken geschlagen und gezwungen worden, ein Papier zu unterschreiben, dass er nicht wieder nach Syrien einreisen werde. Schließlich wurde er entlassen und flog noch am selben Tag mit den dänischen Beamten nach Kopenhagen zurück. Es ist auch in diesem Fall ohne Weiteres erkennbar, dass Anlass für die angebliche Misshandlung nicht (allein) ein Asylantrag des abgeschobenen Syrers war.

– Im Fall des Herrn K. H., der im Zuge seiner Abschiebung aus Deutschland am 13. April 2011 am Flughafen Damaskus festgenommen wurde, ergab sich das Interesse des syrischen militärischen Nachrichtendienstes an der Person des Abgeschobenen aus dessen exilpolitischen Aktivitäten, zu denen er im Verlauf einer einwöchigen Haft verhört wurde.

In die gleiche Richtung weisen auch zwei Fallbeispiele der kanadischen Immigrations- und Flüchtlingsbehörde im Zusammenhang mit der Behandlung von abgelehnten Asylbewerbern. So soll ein syrischer Mann, der in Australien ohne Erfolg Asyl beantragt hatte, bei seiner Rückkehr im August 2015 von syrischen Regierungsbeamten am Flughafen Damaskus „ausgesondert“ worden sein, „weil er von Al-Harra in der Provinz Daraa stammte. … Den Berichten zufolge beschuldigten ihn syrische Beamte, ein ´Finanzier der Revolution´ zu sein, als sie Bargeld bei ihm fanden, das ihm von der australischen Regierung für seine Rückkehr gegeben worden war; sie ´folterten´ ihn 20 Tage lang, dazu gehörten Schläge in das Gesicht, auf den Rücken und die Brust …“. Des Weiteren verweist die kanadische Behörde auf eine Stellungnahme von Human Rights Watch vom November 2013. Danach sollen laut dem UNHCR etwa 35 Palästinenser aus Syrien, die während des syrischen Konflikts nach Ägypten geflohen waren, nach Syrien zurückgeschickt worden sein; einige wurden bei Ankunft am Flughafen festgenommen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 6).

b) Es gibt keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die Eingriffsschwelle der syrischen Stellen bei künftigen Abschiebungen wesentlich niedriger wäre und sie Rückkehrer unabhängig von signifikanten gefahrerhöhenden Merkmalen oder Umständen allein wegen der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland in flüchtlingsrechtlich relevanter Weise verfolgen.

Insoweit führt die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht weiter, der syrische Staat sei infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den längeren Aufenthalt im Ausland zum Anlass für Verfolgungsmaßnahmen nehme. Dabei ist nicht nachvollziehbar belegt, dass die syrischen Sicherheitskräfte nunmehr - anders als bis zum Abschiebestopp im Jahr 2011 - allein die Asylantragstellung in Deutschland als Hinweis auf eine oppositionelle Haltung betrachten würden. Solches ergibt sich auch nicht aus dem Verweis des Verwaltungsgerichts auf eine Zuspitzung der Situation in Syrien und einen Überlebenskampf des Assad-Regimes. Eine derartige Zuspitzung ist schon mit Blick auf die allgemein bekannte Tatsache zweifelhaft, dass sich die militärische Lage aufgrund der seit dem 30. September 2015 massiven militärischen Unterstützung durch die Russische Föderation zugunsten des syrischen Staates, wenn auch nicht entspannt, so doch jedenfalls verbessert hat. Unabhängig davon ließe sich eine Zuspitzung der Situation in Syrien auch dahin interpretieren, dass die syrischen Machthaber zunehmend auf den Zuspruch des ihnen zugeneigten Teils der Bevölkerung angewiesen sind und aus diesem Grund Verfolgungsmaßnahmen im Grundsatz nicht auf einem derart niedrigen Verdachtsniveau ansetzen wie vom Verwaltungsgericht angenommen.

Gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts spricht im Übrigen auch, dass laut Schätzungen der Vereinten Nationen und der Regierungen der Länder, die Flüchtlinge aufgenommen haben, jedes Jahr Hunderttausende von Flüchtlingen nach Syrien reisen; meistens um nach ihrem Hab und Gut zu schauen, Dokumente einzuholen oder zu erneuern oder um Familienmitgliedern und Freunden lebenswichtige Hilfe zu geben, bevor sie wieder in benachbarte Länder einreisen (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsausschuss von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen vom 19.1.2016; SYR105361.E, S. 2 unter Verweis auf den Norwegischen Flüchtlingsrat und des Internationale Rettungskomitee). Eine solch umfangreiche Reisetätigkeit zeigt, dass die in den benachbarten Ländern lebenden syrischen Flüchtlinge trotz des (extrem) repressiven Charakters des syrischen Staates davon ausgehen, im Rahmen der auch an den übrigen Grenzübergängen zu Syrien strengen Grenzkontrollen (vgl. dazu Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 2 f) keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt zu sein. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, erfolglose Asylbewerber aus dem westlichen Ausland würden - im Gegensatz zu den in die Anrainerstaaten Syriens Geflüchteten - deshalb (unterschiedslos) als Oppositionelle betrachtet, weil die syrische Regierung eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land für den Ursprung des Bürgerkriegs verantwortlich mache, ist eine bloße Vermutung, die sich angesichts der hohen Zahl in das westliche Ausland geflüchteter Syrer auch nicht nachvollziehbar aus dem Charakter des syrischen Staates ableiten lässt.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, wenn der Deutschen Botschaft Beirut einerseits keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten, ihr aber andererseits Fälle bekannt sind, bei denen Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert worden sind oder dauerhaft verschwunden sind und das jedoch überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst steht. Ebenso ist der Hinweis der Botschaft plausibel, das entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3.2.2016).

Diese Auskunft erhält dadurch besonderes Gewicht, dass der UNHCR in seinen „Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (4. aktualisierte Fassung November 2015) davon ausgeht, im Rahmen einer Einzelfallprüfung benötigten syrische Asylbewerber wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn sie einem oder mehreren der in den Erwägungen angeführten Risikoprofile zuzuordnen seien. Unter ein solches Risikoprofil sollen nach dem Inhalt der Erwägungen etwa Personen fallen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen. Der UNHCR führt dazu verschiedene Beispiele an wie etwa Wehrdienstverweigerer, Aufständische oder Aktivisten. Personen, die im westlichen Ausland einen Asylantrag gestellt haben, werden demgegenüber nicht genannt. Dabei handelt es sich ersichtlich nicht um eine Nachlässigkeit, denn der UNHCR betrachtet die von ihm erstellten Risikoprofile als Grundlage für eine „Einzelfallprüfung“. Eine solche wäre aber, wie auch die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts deutlich macht, nicht erforderlich, wenn bereits die Asylantragstellung genügte, einen Asylbewerber dem Risikoprofil „Oppositioneller“ zuzuschlagen.

c) Der Länderbericht des Auswärtigen Amts der Vereinigten Staaten für das Jahr 2014, den die kanadische Immigrations- und Flüchtlingsbehörde zitiert (s.o. Nr. 2.2.2.2 a)), rechtfertigt keine andere Bewertung. Zwar sollen danach Syrer, die im Ausland erfolglos Asyl beantragt haben, bei ihrer Rückkehr der Strafverfolgung ausgesetzt sein. Allerdings ist dem Bericht in diesem Zusammenhang auch zu entnehmen, dass die Strafverfolgung nur für solche Personen vorgesehen ist, die in einem anderen Land Zuflucht suchen, um sich der Strafe in Syrien zu entziehen. Ebenso wenig führt hier die Feststellung des amerikanischen Auswärtigen Amts weiter, das Regime nehme routinemäßig nach Jahren oder sogar Jahrzehnten zurückkehrende Dissidenten und ehemalige Staatsbürger mit unbekannter politischer Zugehörigkeit fest. Der Kläger zählt nicht zu diesem Personenkreis; er ist kein Dissident und besitzt nach wie vor die syrische Staatsbürgerschaft.

d) Der vom Verwaltungsgericht hervorgehobene Umstand, dass die syrischen Geheimdienste die im Ausland lebenden syrischen Staatsangehörigen (angeblich) umfassend beobachten, trägt zur Beurteilung nichts Wesentliches bei. Er bestätigt den repressiven Charakter des syrischen Staates, hat aber für die Beurteilung der Rückkehrgefährdung vor dem Hintergrund der übrigen Erkenntnisse kein besonderes Gewicht.

2.2.3 Es kann dahinstehen, ob eine nach syrischem Recht illegale Ausreise im Falle einer Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen der syrischen Sicherheitskräfte auslöst. Der Kläger hat Syrien nicht illegal verlassen. Er hat seinem Vorbringen in der Berufungsverhandlung zufolge in Syrien ein Visum erhalten, das ihn berechtigte, vom Libanon aus in die Türkei zu reisen. Sodann ist er mit einem Personenkraftwagen über einen (regulären) Grenzübergang von Syrien in den Libanon eingereist.

Der angebliche Verlust des Reisepasses während der Überfahrt nach Griechenland rechtfertigt nicht die Annahme, dass im Falle einer Rückkehr des Klägers die legale Ausreise nicht nachweisbar dokumentiert ist. Die syrischen Behörden erfassen im Rahmen der Grenzkontrolle die Ausreisedaten in ihrem elektronischen Datensystem, wo sie bei der Einreise abgerufen werden können (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen vom 19.1.2016 SYR105361.E, S. 8 unter Verweis auf eine telefonische Befragung des Vorstands des „Syrischen Zentrums für Justiz und Rechenschaftspflicht“ am 14.12.2015). In Anbetracht der umfassenden syrischen Grenzkontrollen ist zur Überzeugung des Senats die Einlassung des Klägers nicht glaubhaft, dass er bei der Einreise in den Libanon nur von den libanesischen Grenzbeamten kontrolliert worden sei. Die Erkenntnisquellen gehen übereinstimmend von strengen syrischen Grenzkontrollen aus. So muss insbesondere an den Grenzübergangsstellen der Landesgrenzen vom Libanon und von Syrien die Person aus dem Auto steigen und zum Einwanderungsbüro (immigration office) gehen. Dort nimmt der Beamte die Dokumente des Einreisenden und führt am Computer eine Überprüfung durch (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E vom 19.1.2016, S. 3).

2.2.4 Es ist zur Überzeugung des Senats auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger von seiten der syrischen Sicherheitskräfte bei der Einreise über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle deshalb in Anknüpfung an eine ihm (unterstellte) oppositionelle Gesinnung eine menschenrechtswidrige Behandlung droht, weil der Kläger in einem Alter ist (19 Jahre), das ihn im Grundsatz der Militärdienstpflichtigkeit unterwirft. Der Kläger ist gemäß dem Eintrag in seinem Militärdienstbuch nach der „Einziger-Sohn-Regelung“ endgültig vom Militärdienst befreit, weil er der einzige Sohn der Familie ist und seine Mutter nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung älter als 50 Jahre alt ist. Nach der Erkenntnislage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung wird diese „Einziger-Sohn-Regelung“ von den syrischen staatlichen Stellen im Wesentlichen beachtet.

2.2.4.1 Das System der allgemeinen Wehrpflicht beruht auf folgenden Grundsätzen: In Syrien besteht allgemeine Wehrpflicht ab 18 Jahren bis zum Alter von 42 Jahren. Männer, die 18 Jahre alt werden, müssen sich zur Generalrekrutierungsstelle begeben (Befragung, Foto, Bluttest). Danach wird ihnen ein Militärdienstbuch ausgehändigt. Bei Beginn des Militärdienstes müssen bei der Generalrekrutierungsstelle die zivilen Ausweise und das Militärdienstbuch abgegeben werden und der Betreffende erhält umgehend den Militärdienstausweis bevor er zu seiner Einheit entsandt wird. Wenn der Dienst absolviert ist, bekommt man „Entlassungspapiere“, die man bei der Generalrekrutierungsstelle abgibt und erhält den zivilen Ausweis und das Militärbuch - versehen mit dem Stempel, dass der Militärdienst geleistet und die Person entlassen wurde (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada - Antworten auf Informationsanfragen v. 13. 8.2014, SYR104921.E, S.5).

Im August 2014 erließ Präsident Assad die Gesetzesverordnung Nr. 33, die einige Artikel der Verordnung Nr. 30 aus dem Jahr 2007 zum obligatorischen Militärdienst ersetzt. Dabei wurde unter anderem die Regel angepasst, dass der einzige Sohn der Familie vom Militärdienst befreit werden kann (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 5 f.). Die Freistellung wird im „Militärbüchlein“ festgehalten. Bis die Mutter 50 Jahre alt ist, muss die Freistellung jährlich neu beantragt werden. Danach gilt die Freistellung für immer (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 1; Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR104921.E vom 13.8.2014, S. 2 f).

Dementsprechend ist in dem vom Kläger dem Bundesamt vorgelegten Militärdienstbuch auf Seite 10 unter Bezugnahme auf die gesetzliche Regelung vermerkt, dass der Antragsteller keinen Militärdienst leisten muss (vgl. Anhörungsniederschrift vom 1.6.2016, Bl. 69 der Bundesamtsakte).

2.2.4.2 Der Senat ist davon überzeugt, dass diese Freistellung vom Militärdienst von den syrischen staatlichen Stellen auch vor dem Hintergrund des Charakters des um seine Existenz kämpfenden Staates (s.o. 2.2.1) im Wesentlichen beachtet wird. Diese Beurteilung beruht insbesondere auf Folgendem:

„Seit Herbst 2014 ergriff das syrische Regime verschiedene Maßnahmen, um die durch Desertion und Verluste dezimierte syrische Armee zu stärken. Seither kommt es zu großflächiger Mobilisierung von Reservisten, Verhaftungswellen von Deserteuren und Männern, die sich bis dahin dem Militärdienst entzogen haben. Zudem ergriff das syrische Regime neue Maßnahmen, um gegen Desertion und Wehrdienstentziehung anzukämpfen“ (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 2f. unter Verweis auf Washington Post, Desperate for soldiers, Assad´s government imposes harsh recruitment measures, 28.12.2014). „Zusätzlich zur Mobilisierung der Reservisten intensivierte das Regime die Suche nach … jungen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen haben. Es wurden mobile Checkpoints errichtet und die Sicherheitsdienste führten anhand von Listen, die auch an Checkpoints und an der Grenze genutzt werden, Razzien durch. … Bereits in den ersten sieben Monaten des Jahres 2014 dokumentiert das Syrian Network for Human Rights über 5.400 Verhaftungen von wehrdienstpflichtigen jungen Männern (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 3 unter Verweis auf Danish Immigration Service, Syria, Military Service, Mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG, 26.2.2015, S.10).

„Im Herbst 2014 erließ das Regime verschiedene Maßnahmen, um die Ausreise wehrdienstpflichtiger Männer zu verhindern. Bereits seit dem Ausbruch des Krieges verlangen die syrischen Behörden bei der Ausreise von Männern, die zwischen 18 und 42 Jahre alt sind, eine offizielle Beglaubigung des Militärs, dass sie vom Dienst freigestellt sind“ (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 4 unter Verweis auf Institute for the Study of War, The Assad Regime Under Stress: Conscription and Protest among Alawite and Minority Populations in Syria, 15.12.2014).

„Quellen geben an, dass die Sicherheitskontrollen, die von Grenzbeamten am internationalen Flughafen von Damaskus und anderen Eingangshäfen durchgeführt werden, beinhalten zu überprüfen, ob der Rückkehrer seinen Wehrdienst abgeleistet hat. Mehrere Quellen berichten, dass Männer im wehrpflichtigen Alter besonders gefährdet seien, von den Sicherheitskräften am Flughafen und anderen Eingangshäfen misshandelt zu werden (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada - Antworten auf Informationsanfragen v. 19.1.2016, SYR105361.E, S. 8f. m.w.N.).

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe beruft sich schließlich in einer Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20. Oktober 2015 zu Syrien: „Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“ auf den Bericht des Dänischen Einwanderungsdienstes (Danish Immigration Service), der im September 2015 eine nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes verlässliche Studie zum Militärdienst veröffentlicht hat (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3. Februar 2016). Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass prinzipiell die Freistellung als Einzelsohn noch gilt. Verschiedene Quellen weisen jedoch darauf hin, dass die Umsetzung „nicht immer“ gewährleistet ist. Insgesamt betrachtet ergibt sich das Bild, das die Freistellung als „einziger Sohn“ zwar je nach Situation willkürlich gehandhabt wird, sie aber im Prinzip umgesetzt wird. (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 1 und 3f.).

2.2.4.3 Aufgrund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände steht zur Überzeugung des Senats fest, dass dem endgültig vom Militärdienst freigestellten Kläger bei der Einreise über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von seiten der staatlichen Sicherheitskräfte in Anknüpfung an eine ihm (unterstellte) oppositionelle Gesinnung Verfolgung droht.

Das erklärte Ziel des syrischen Regimes ist unter Fortbestehen der Machtarchitektur die Wiedererrichtung eines Herrschaftsmonopols auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik. Diesen Kriegszielen hat das Regime in den vergangenen fünf Jahren alle anderen Sekundärziele untergeordnet - und zu ihrer Verteidigung hat es nicht nur zehntausende Tote unter der Zivilbevölkerung in Kauf genommen, sondern auch massive eigene Verluste (s.o. 2.2.1, Gerlach, „Was in Syrien geschieht - Essay“ v. 19. 2.2016). Die erheblichen Verluste auf Seiten des syrischen Militärs führten dazu, dass im Verlaufe des Krieges die Mobilisierungsmaßnahmen in die syrische Armee für Rekruten und Reservisten erheblich intensiviert wurden. Dabei sind bei von Sicherheitsdiensten aufgegriffenen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen hatten, auch Fälle von Folter dokumentiert worden. Die Ausreise von militärdienstpflichtigen Personen wurde durch verschiedene Maßnahmen (z.B. Ausreiseerlaubnis) erschwert.

Insoweit wird deutlich, dass das Interesse des syrischen Regimes an einer jederzeit möglichen Einberufung seiner militärdienstpflichtigen Staatsbürger zur Weiterverfolgung seiner Kriegsziele und damit letztlich für die Wiederherstellung und den Erhalt seiner Macht von entscheidender Bedeutung ist. Im Zusammenwirken mit dem Charakter des bedingungslos zur Erreichung seiner Ziele agierenden syrischen Regimes unter weitverbreitetem Einsatz von menschenrechtswidrigen Mitteln, wie insbesondere Folter, ist davon auszugehen, dass das syrische Regime Personen, die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, regelmäßig eine illoyale, politisch oppositionelle Haltung unterstellt. Denn diese Personen haben sich trotz des das Regime in seiner Existenz bedrohenden Krieges nicht für einen Militäreinsatz bereitgehalten und so aus der Sicht der Machthaber ein Verhalten gezeigt, das dessen drängenden militärischen Bedürfnissen zuwiderläuft (vgl. zu einem Reservisten: Urteil des Senats vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30372 - juris).

Dieser Personengruppe (Wehrpflichtiger, Reservist), die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, gehört der Kläger aber weder an, noch besteht Anlass zu der Annahme, dass ihn die syrischen Behörden bei Rückkehr entsprechend einem Militärdienstverweigerer behandeln und ihm dementsprechend eine oppositionelle Gesinnung unterstellen.

Das syrische Regime hat zwar zur Stärkung seiner Armee seine Maßnahmen gegen wehrdienstpflichtige Männer verschärft, der Kläger ist jedoch aufgrund seiner Freistellung, die im Militärbuch dokumentiert ist, nicht wehrdienstpflichtig und wegen der weiterhin geltenden und auch in die Praxis umgesetzten „Einziger-Sohn-Regelung“ damit aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte zur Verwirklichung der Kriegsziele durch Militäreinsatz nicht geeignet. Er war aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte nicht verpflichtet, sich für einen möglichen Militär- und Kriegseinsatz im Inland zur Verfügung zu halten, so dass bei seiner Rückkehr im Rahmen der obligatorischen Einreisekontrollen am Flughafen Damaskus oder einer anderen staatlichen Kontrollstelle die syrischen Sicherheitskräfte keinen Anknüpfungspunkt dafür haben, dem Kläger eine oppositionelle Gesinnung wegen seiner Flucht ins Ausland, um einen Militäreinsatz zu vermeiden, zu unterstellen.

Den vereinzelt angegebenen Fällen, dass vom Militärdienst freigestellten Einzelsöhnen an Checkpoints vermehrt die Einziehung angedroht worden sei, um Bestechungsgelder zu erpressen, bzw. es in Syrien grundsätzlich keine Garantie gebe, dass Gesetze respektiert würden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 4), kann eine Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Persönlichkeitsmerkmale nicht entnommen werden.

Darin fügt sich ein, dass der Kläger bei seiner Anhörung durch das Bundesamt auf die Frage, was er bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte, antwortete: „Es passiert nichts.“

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 1, § 711 ZPO.

5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

weitere Fundstellen einblendenweitere Fundstellen ...

Diese Entscheidung wird zitiert ausblendenDiese Entscheidung wird zitiert


Tenor

Unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 16. Juni 2016 wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Kläger; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Der am … 1993 geborene Kläger, ein syrische Staatsangehöriger arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit, reiste eigenen Angaben zufolge am 22. Januar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag.

3

Zur Begründung machte er geltend, Syrien wegen des Krieges und aus Angst vor dem Verhungern verlassen zu haben. A… in der Provinz Homs, wo er gelebt habe, sei mal vom Regime und mal von bewaffneten Milizen übernommen worden. Es sei gefährlich gewesen zwischen den Fronten. Es habe ständig die Gefahr bestanden, von einer Seite gefangen genommen zu werden. Im Jahr 2013 seien Verwandte bei einer Straßenkontrolle mitgenommen worden. Sie seien nicht wiedergekommen; wahrscheinlich seien sie getötet worden. Zudem habe er Angst gehabt, vom Militär mitgenommen und als Soldat eingesetzt zu werden. Offiziell einberufen worden sei er noch nicht. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er, eingezogen oder inhaftiert zu werden, weil er vor dem Wehrdienst geflohen sei.

4

Mit Bescheid vom 12. April 2016 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu. Im Übrigen lehnte es den Asylantrag mit der Begründung ab, dass der Kläger kein Flüchtling im Sinne des § 3 Asylgesetz (AsylG) sei.

5

Das Verwaltungsgericht Trier hat auf die hiergegen erhobene Klage die Beklagte mit Urteil vom 16. Juni 2016 – 1 K 1520/16.TR – unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen. Mit Blick auf die Erkenntnismittel, insbesondere die aktuelle Situation in Syrien, sei davon auszugehen, dass dem Kläger für den Fall der Rückkehr nach dort ungeachtet individuell geltend gemachter Gründe und deren Glaubhaftigkeit politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe. Auf der Grundlage der auch aus der aktuellen Berichterstattung gewonnenen Erkenntnislage sei beachtlich wahrscheinlich, dass im Falle der Rückkehr wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt die Festnahme und damit verbunden die Gefahr von Folter drohe, weil davon auszugehen sei, dass einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachgegangen werde.

6

Mit Beschluss vom 15. September 2016 – 1 A 10658/16.OVG – hat der Senat auf Antrag der Beklagten die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Am 30. September 2016 hat die Beklagte die Berufung begründet.

7

Sie macht geltend, dass Flüchtlingen aus Syrien im Falle ihrer Rückkehr dorthin nicht allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung drohe.

8

Die Beklagte beantragt,

9

unter Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen.

10

Der Kläger beantragt,

11

die Berufung zurückzuweisen.

12

Zur Begründung nimmt er Bezug auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend macht er geltend, dass die von der Beklagten vertretene Auffassung, Rückkehrer nach Syrien unterlägen zwar allgemein der Gefahr der Folterung oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, dem liege jedoch keine unterstellte Regimegegnerschaft zugrunde, lebensfremd sei. Verhaftungen und Folterungen dienten keinem Selbstzweck, sondern der Unterdrückung jeglicher Regimegegnerschaft. Sie richteten sich immer gegen Personen, die der Regimegegnerschaft verdächtigt würden, wofür in Syrien indessen bereits derartige Nichtigkeiten genügten, dass dies aus Sicht eines in einem rechtsstaatlichen System lebenden Betrachters als willkürlich erscheinen möge. Demgemäß genüge auch bereits ein Auslandsaufenthalt für den Verdacht oppositioneller Haltung oder Tätigkeit. Dies gelte umso mehr, da sich das syrische Regime seit Jahren im Kampf um das eigene Überleben befinde. In individueller Hinsicht wirke in seinem Falle gefahrerhöhend, dass er aus der Rebellenhochburg Homs stamme und sich im wehrfähigen Alter befinde. Hinzu komme noch, dass sein 1990 geborener Bruder – dem die Beklagte im Übrigen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt habe – bereits eine Einberufung zum Militärdienst erhalten, aber nicht befolgt habe, was nochmals zu einer Gefahrerhöhung auch für den Kläger führe.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten und die Verwaltungsakten der Beklagten betreffend den Kläger (Az. 6513645-475) und dessen Bruder (Az. 6513662-475), jeweils 1 Heft, Bezug genommen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

14

Entscheidungsgründe

15

Die Berufung ist zulässig und begründet.

16

Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

17

1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK –, BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.

18

a. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK –, BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist. Gleiches gilt nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG für eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

19

Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können gemäß § 3a Abs. 2 AsylG unter anderem gelten die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung sowie die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen gemäß § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde.

20

b. Die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung und Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe werden in § 3b Abs. 1 AsylG näher umschrieben.

21

Gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 1 AsylG umfasst der Begriff der Rasse insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe.

22

Als Religion im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG definiert § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sowie sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

23

Der Verfolgungsgrund der Nationalität umfasst gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 3 AsylG über die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen hinaus insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird.

24

Eine soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist insbesondere dann gegeben, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 AsylG).

25

Den Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung definiert § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG als das Vertreten einer Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft; unerheblich ist, ob der Ausländer aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

26

§ 3b Abs. 2 AsylG stellt schließlich ergänzend fest, dass es für die Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, nicht darauf ankommt, ob er die zur Verfolgung führenden Merkmale tatsächlich aufweist. Ausreichend ist bereits, dass diese ihm von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

27

c. Was den notwendigen Zusammenhang zwischen den in §§ 3 Abs. 1 und 3 b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen angeht, stellt § 3a Abs. 3 AsylG nochmals klar, dass insoweit eine Verknüpfung bestehen muss.

28

d. § 3c AsylG legt fest, von wem Verfolgung ausgehen kann: Über den Staat (Nr. 1) und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), hinaus können dies nach § 3c Nr. 3 AsylG auch nichtstaatliche Akteure sein, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

29

e. Eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheidet nach § 3e Abs. 1 AsylG dann aus, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

30

f. Ob eine Verfolgung der vorstehend näher beschriebenen Art droht, d. h. der Ausländer sich im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylGaus begründeter Furcht vor einer solchen Verfolgung außerhalb des Herkunftslandes befindet, ist anhand einer Verfolgungsprognose zu beurteilen, die auf der Grundlage einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat (BVerwG, Urteil vom 6. März 1990 – 9 C 14.89 –, BVerwGE 85, 12, juris, m. w. N.).

31

aa. Dabei ist es Aufgabe des Schutzsuchenden, von sich aus unter genauer Angabe von Einzelheiten den der Prognose zugrunde zu legenden, aus seiner Sicht die Verfolgungsgefahr begründenden Lebenssachverhalt zu schildern (§ 25 Abs. 1 AsylG).

32

Das Gericht muss sich sodann, um die behaupteten, möglicherweise eine Verfolgungsgefahr begründenden Tatsachen seiner Entscheidung als gegeben zugrunde legen zu können, nach § 108 Abs.1 Satz 1 VwGO die volle Überzeugung von deren Wahrheit – und nicht nur von deren Wahrscheinlichkeit – verschaffen. Zwar gilt hierbei der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind. Zudem ist die besondere Beweisnot des nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsprozessrechts mit der materiellen Beweislast hinsichtlich der guten Gründe für seine Verfolgungsfurcht beschwerten Schutzsuchenden zu berücksichtigen, dem häufig die üblichen Beweismittel fehlen. Insbesondere können in der Regel unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts legt den Tatsachengerichten insoweit nahe, den eigenen Erklärungen des Schutzsuchenden größere Bedeutung beizumessen, als dies meist sonst in der Prozesspraxis bei Bekundungen einer Partei der Fall ist, und den Beweiswert seiner Aussage im Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu. Zur Anerkennung kann schon allein sein Tatsachenvortrag führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne "glaubhaft" sind, dass sich das Tatsachengericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann. Dem Klagebegehren darf jedenfalls nicht mit der Begründung der Erfolg versagt werden, dass neben der Einlassung des Schutzsuchenden keine Beweismittel zur Verfügung stehen. Der Richter ist aus Rechtsgründen schon allgemein nicht daran gehindert, eine Parteibehauptung ohne Beweisaufnahme als wahr anzusehen; das gilt für das Asylverfahren mit seinen typischen Schwierigkeiten, für das individuelle Schicksal des Antragstellers auf andere Beweismittel zurückzugreifen, in besonderem Maße. Einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO wird der Richter hierdurch jedoch nicht enthoben. Das Fehlen von Beweismitteln mag die Meinungsbildung des Tatsachengerichts erschweren, entbindet es aber nicht davon, sich eine feste Überzeugung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu bilden. Dies muss – wenn nicht anders möglich – in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Schutzsuchenden glaubt (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 – 9 C 109/84 –, BVerwGE 71, 180, juris, m. w. N.).

33

bb. Die Prognose in Bezug auf eine bei Rückkehr in den Heimatstaat drohende Verfolgung hat nach Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes – ABl. EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl. EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24 – einheitlich anhand des Maßstabs der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ zu erfolgen (vgl. dazu im einzelnen BVerwG, Urteile vom 1. Juni 2011 – 10 C 25/10 –, BVerwGE 140, 22, und vom 1. März 2012 – 10 C 7/11 –, beide in juris, m. w. N.).

34

(1) Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Beschluss vom 7. Februar 2008 – 10 C 33/07 –, juris, m. w. N.) eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer "quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 Prozent Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert.

35

(2) Von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohender politischer Verfolgung muss das Gericht – wie auch bereits von der Wahrheit des der Prognose zugrunde zu legenden Lebenssachverhalts – die volle richterliche Überzeugung gewonnen haben (BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 – 9 C 109/84 –, BVerwGE 71, 180, juris, m. w. N.).

36

(3) Eine Beweiserleichterung gilt für Vorverfolgte. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder unmittelbar von Verfolgung bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist; etwas anderes soll nur dann gelten, wenn stichhaltige Gründe gegen eine erneute derartige Bedrohung sprechen. Für denjenigen, der bereits Verfolgung erlitten hat, streitet also die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit entlastet, darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Die aus der Vorverfolgung resultierende Vermutung kann allerdings widerlegt werden. Erforderlich ist hierfür, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, BVerwGE 136, 388, juris, m. w. N.).

37

2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze droht dem Kläger im Falle einer – ungeachtet des ihm mit Bescheid vom 12. April 2016 zuerkannten subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) und des hieraus resultierenden Abschiebungsverbots (§ 60 Abs. 2 AufenthG) – hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien nach Überzeugung des Senats dort nicht beachtlich wahrscheinlich Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.

38

a. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinne des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergäbe, hat der Kläger weder gegenüber dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht.

39

b. Eine begründete Furcht vor Verfolgung ergibt sich auch nicht aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem der Kläger Syrien verlassen hat (sog. Nachfluchtgründe, § 28 Abs. 1a AsylG).

40

aa. Das Verwaltungsgericht hat eine entsprechende Gefährdung ausschließlich unter Hinweis darauf bejaht, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Syrien bereits allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich die Festnahme und damit verbunden die Gefahr von Folter drohe, womit seitens der syrischen Behörden einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachgegangen werde.

41

Damit folgt das Verwaltungsgericht der Rechtsprechung der überwiegenden Zahl der bislang mit dieser Frage befassten Gerichte (vgl. OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, VGH BW, Beschlüsse vom 19. Juni 2013 – A 11 S 927/13 – und vom 29. Oktober 2013 – A 11 S 2046/13 –, HessVGH, Beschluss vom 27. Januar 2014 – 3 A 917/13.Z.A –, sowie eine Vielzahl erstinstanzlicher Entscheidungen, zuletzt etwa VG Köln, Urteil vom 25. Oktober 2016 – 20 K 2890/16.A –, VG Münster, Urteil vom 13. Oktober 2016 – 8 K 2127/16.A –, VG Schleswig, Urteil vom 6. Oktober 2016 – 12 A 651/16 –, m. w. N.; a. A.: in ständiger Rechtsprechung OVG NRW, zuletzt mit Beschlüssen vom 5. September 2010 – 14 A 1802/16.A – und vom 6. Oktober 2016 – 14 A 1852/16.A –, jeweils m. w. N., OVG SH, Urteil vom 23. November 2016 – 3 LB 17/16 –, VG Potsdam, Urteil vom 3. Dezember 2013 – 6 K 3592/13.A –, VG Düsseldorf, Urteil vom 12. Juli 2016 – 5 K 5853/16.A – und vom 11. Oktober 2016 – 2 K 9062/16.A –, alle in juris, sowie BayVGH, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 ZB 16.30338 u. a. –, Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht).

42

Dem vermag sich der Senat indessen nicht anzuschließen.

43

Zwar trifft es zu, dass mangels Referenzfällen – wegen der eskalierenden Lage finden Abschiebungen bereits seit Jahren nicht mehr statt (vgl. dazu auch die entsprechende Empfehlung des Bundesministeriums des Innern an die Länderinnenverwaltungen vom 28. April 2011, Az. M I 3 – 125 242 SYR/O) – die Prognose, ob im Falle einer hypothetischen Abschiebung nach Syrien dort aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht, notwendigerweise aufgrund einer wertenden Gesamtschau aller Umstände zu erfolgen hat.

44

Demgemäß begründen die eine entsprechende Verfolgungsgefahr bejahenden Gerichte ihre Prognosen jeweils mit einer ganzen Reihe von Einzelfaktoren. Hierzu gehören insbesondere (vgl. exemplarisch etwa OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, juris) die Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungsstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, die umfassende Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, die Eskalation der innenpolitischen Situation seit März 2011 und der Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Beginn des Jahres 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition unterstützen. Auch hiergegen ist systematisch nichts zu erinnern.

45

Der erkennende Senat gelangt allerdings im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände zu einem abweichenden Ergebnis im Hinblick auf die allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt bestehende Verfolgungsgefahr.

46

Bei der Bewertung, ob die im Einzelfall festgestellten Umstände eine die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG rechtfertigende Verfolgungsgefahr begründen, ist rechtlich zwischen zwei Fragestellungen zu unterscheiden, nämlich dem beachtlich wahrscheinlichen Drohen einer Verfolgungshandlung gemäß § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a AsylG als solcher und deren ebenfalls beachtlich wahrscheinlicher Verknüpfung (§ 3a Abs. 3 AsylG) mit Verfolgungsgründen im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG.

47

(1) Danach kann für die hier allein streitgegenständliche Frage der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG letztlich offen bleiben, ob dem Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien dort überhaupt beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgungshandlung i. S. d. § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a AsylG dergestalt droht, einer Befragung unterzogen zu werden, mit der die konkrete Gefahr einer Verhaftung und/oder einer schwerwiegenden Misshandlung bis hin zur Folter und willkürlichen Tötung einhergeht.

48

Zweifel hieran könnten sich im gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats möglicherweise aus dem Umstand ergeben, dass Ende 2015 von den rund 22 Millionen zuvor in Syrien lebenden Menschen bereits rund 4,9 Millionen, mithin knapp ein Viertel der gesamten Bevölkerung, aus dem Land geflohen waren (UNHCR, Global Trends – Forced Displacement in 2015,

49

http://www.unhcr.org/statistics/unhcrstats/576408cd7/unhcr-global-trends-2015.html).

50

Dass es sich hierbei mehrheitlich nicht um Oppositionelle handelt, sondern um Bürgerkriegsflüchtlinge, muss bereits nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch den syrischen Behörden bekannt sein. Dass dem tatsächlich so ist, wird überdies durch eine Äußerung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad Ende 2015 in einem Interview im tschechischen Fernsehen bestätigt, wonach es sich bei der Mehrheit der syrischen Flüchtlinge um „gute Syrer“ handele, es aber „natürlich … eine Unterwanderung durch Terroristen“ gebe

51

(http://www.n-tv.de/politik/Assad-lobt-Putins-Eingreifen-in-Syrien-article16478486.html).

52

In diese Richtung deutet auch eine Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das BAMF zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Syrien vom 3. Februar 2016. Danach liegen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse dazu vor, dass ausschließlich aufgrund des vorangegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erwarten haben. Zwar seien Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien; diese stünden allerdings überwiegend im Zusammenhang mit oppositionellen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten und Menschenrechtsverteidigern) oder im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Wehrdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeiteten.

53

Andererseits ergeben sich bereits aus der zitierten Äußerung des syrischen Präsidenten aber auch deutliche Hinweise darauf, dass die syrischen Sicherheitsbehörden alle Rückkehrer schon deshalb jedenfalls einer eingehenden Befragung unterziehen werden, damit sie einschätzen können, ob Verdachtsmomente für terroristische Aktivitäten – oder möglicherweise auch nur für eine regimegegnerische Haltung des Betroffenen oder für Kenntnisse über oppositionelle Aktivitäten Dritter – gegeben sind. Die mit derartigen Befragungen ausweislich zahlreicher bis zum Jahr 2011 dokumentierter Referenzfälle (vgl. beispielsweise OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, und OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2012 – 14 A 2708/10.A –, beide in juris, jeweils m. w. N.) jedenfalls in der Vergangenheit verbunden gewesenen weiteren Risiken einer Verhaftung und/oder von Misshandlungen vom Schweregrad des § 3a AsylG können auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen massenhaften Ausreise jedenfalls nicht hinreichend verlässlich ausgeschlossen werden.

54

Letztlich bedarf diese Frage hier aber keiner abschließenden Klärung, weil eine entsprechende Verfolgungsgefahr jedenfalls nicht aus einem der Verfolgungsgründe des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG gegeben wäre.

55

(2) Die dem Senat vorliegenden Erkenntnisse reichen nicht aus, um seine Überzeugung von einer beachtlich wahrscheinlichen Verknüpfung einer möglicherweise allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt drohenden Verfolgungshandlung mit Verfolgungsgründen im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a Abs. 3 AsylG zu begründen; weiterreichende taugliche Erkenntnismittel sind weder von den Beteiligten aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich.

56

Eine entsprechende beachtlich wahrscheinliche Gefährdung des Klägers im Sinne des § 3 AsylG würde voraussetzen, dass ihm ein entsprechendes Merkmal von den syrischen Behörden zumindestzugeschrieben wird (§ 3b Abs. 2 AsylG). Dies deckt sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der politisch Verfolgte weder tatsächlich noch nach der Überzeugung des verfolgenden Staates selbst Träger eines verfolgungsverursachenden Merkmals sein müssen, sondern politische Verfolgung auch dann vorliegen kann, wenn der oder die Betroffene lediglich der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits politischer Verfolgung unterliegt (BVerfG, Beschluss vom 22. November 1996 – 2 BvR 1753/96 –, juris).

57

Dafür, dass die syrischen Sicherheitsbehörden in diesem Sinne letztlich jeden Rückkehrer, der Syrien illegal verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich längere Zeit im Ausland aufgehalten hat, ohne weitere Anhaltspunkte der Opposition zurechnen, gibt es keine zureichenden tatsächlichen Erkenntnisse. Im Gegenteil erscheint dies lebensfremd, da angesichts von fast 5 Millionen Flüchtlingen auch dem syrischen Staat – wie bereits dargelegt – bekannt ist, dass der Großteil der Ausgereisten das Land nicht als Ausdruck politischer Gegnerschaft zum Regime, sondern aus Angst vor dem Bürgerkrieg verlassen hat (so auch in ständiger Rechtsprechung OVG NRW, vgl. zuletzt Beschlüsse vom 6. Oktober 2010 – 14 A 1852/16.A – und vom 5. September 2016 – 14 A 1802/16.A – m. w. N., OVG SH, Urteil vom 23. November 2016 – 3 LB 17/16 –, VG Potsdam, Urteil vom 3. Dezember 2013 – 6 K 3592/13.A –, und VG Düsseldorf, Urteil vom 11. Oktober 2016 – 2 K 9062/16-A –, alle in juris).

58

Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisse (a) zur Behandlung von Personen, die bis zum Abschiebestopp im Jahre 2011 nach Syrien abgeschoben worden sind, (b) zur umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, (c) zur Eskalation der innenpolitischen Situation seit März 2011 und (d) zum Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Beginn des Jahres 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.

59

(a) (aa) Das Auswärtige Amt hat in seinem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010 zur Behandlung von Rückkehrern (S. 19 f.) mitgeteilt, dass zurückgeführte Personen bei ihrer Einreise in der Regel zunächst durch die Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt und den Grund ihrer Abschiebung befragt würden. Diese Befragungen könnten sich (zwar) über mehrere Stunden hinziehen, in der Regel werde dann jedoch die Einreise ohne weitere Schwierigkeiten gestattet; in manchen Fällen werde der Betroffene für die folgenden Tage nochmals zum Verhör einbestellt. (Lediglich) in Einzelfällen würden Personen für die Dauer einer Identitätsprüfung durch die Einreisebehörden festgehalten; dies dauere in der Regel nicht länger als zwei Wochen. Im Jahr 2009 seien – bei insgesamt 40 in 2009 und dem ersten Quartal 2010 von Deutschland nach Syrien im Rahmen des Anfang 2009 in Kraft getretenen Rückübernahmeabkommens zurückgeführten Personen – in drei Fällen Inhaftierungen unmittelbar bzw. kurz nach der Rückführung bekanntgeworden. In einem Fall könne bestätigt werden, dass eine Inhaftierung über die übliche Befragung durch syrische Behörden nach der Ankunft hinausgegangen sei. Der Betroffene sei unter dem Vorwurf verhaftet worden, in Deutschland Asyl beantragt und „im Ausland bewusst falsche Nachrichten verbreitet zu haben, die das Ansehen des Staates herabzusetzen geeignet sind“. Später sei der auf Kaution freigelassene und sodann ausgereiste Mann in Abwesenheit wegen „Verbreitung bewusst falscher Tatsachen im Ausland, die das Ansehen des Staates herabzusetzen geeignet sind“ zu einer Haftstrafe von 4 Monaten sowie einer Geldstrafe von 80 SYP (1,17 €) verurteilt worden. Eigenen – nicht verifizierbaren – Angaben zufolge sei der Betroffene während seiner Haft durch syrische Behördenmitarbeiter körperlich misshandelt worden.

60

Für die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Syrien bereits allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich aufgrund einer von den syrischen Behörden vermuteten regimefeindlichen Einstellung die Festnahme und Folter drohe, kann den Feststellungen des Lageberichts letztlich nichts entnommen werden.

61

Fraglich erscheint bereits, ob für die im Rahmen der Verfolgungsprognose hypothetisch zu unterstellende Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat überhaupt von einer Abschiebung auszugehen ist. In diesem Fall müsste der Betroffene ja – um überhaupt abgeschoben werden zu können – nach bestandskräftigem Abschluss des Erstverfahrens zur Ausreise verpflichtet sein. Dann aber stellte sich die Frage, ob eine durch den Umstand, dass der Schutzsuchende nicht dieser rechtlichen Verpflichtung folgend freiwillig ausreist, sondern es auf eine Abschiebung ankommen lässt, bewirkte Gefahrerhöhung nicht entsprechend den Grundsätzen für missbräuchlich geschaffene Nachfluchtgründe (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2008 – 10 C 27/07 –, BVerwGE 133, 31, juris) im Rahmen des § 3 AsylG außer Betracht zu bleiben hat. Letztlich kann dies allerdings dahinstehen, da sich aus dem o. a. Lagebericht auch für den hypothetisch unterstellten Fall einer Abschiebung nach Syrien keine zureichenden Anhaltspunkte für eine beachtlich wahrscheinlich drohende politische Verfolgung Gefährdung ergeben.

62

Auf der Grundlage einer Gesamtzahl von rund 40 zurückgeführten Personen wird von insgesamt drei Inhaftierungen berichtet. Da nach dem Lagebericht derartige Inhaftierungen zum Zweck einer Identitätsprüfung durch die Einreisebehörden erfolgen können, und in einem der drei berichteten Fälle eine Anklage und Verurteilung wegen Verbreitung falscher, das Ansehen des Staates herabsetzenden Aussagen erfolgt ist, ergibt sich hieraus letztlich bereits keine beachtlich wahrscheinliche Gefährdung von Personen, die derartige Äußerungen im Ausland jedenfalls nicht bekanntermaßen, insbesondere im Rahmen ihrer Asylantragstellung, getätigt haben, überhaupt mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 3 i. V. m. § 3a AsylG überzogen zu werden. Dies gilt umso mehr, als Rückkehrer aus der Bundesrepublik Deutschland, die – wie der Kläger – ihr Asylbegehren nicht mit einer Verfolgung durch den syrischen Staat, sondern lediglich mit dem in Syrien herrschenden Bürgerkrieg und dessen Folgen begründet haben, dies auch noch zusätzlich durch Vorlage der Anhörungsniederschrift sowie des Bescheides des Bundesamtes und ggfls. der hierauf ergangenen verwaltungsgerichtlichen Urteile belegen können.

63

Erst recht lassen sich dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27. September 2010 keine Hinweise auf die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Verfolgung aus einem der in § 3 AsylG genannten Verfolgungsgründe entnehmen.

64

(bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt seinem Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 – zugrunde gelegten Dokumentationen von amnesty international „Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012

65

(https://www.amnesty.de/downloads/download-menschenrechtskrise-syrien-erfordert-abschiebungsstopp)

66

und des kurdischen Informationsdienstes KURDWATCH

67

(http://www.kurdwatch.org/?cid=1&z=en)

68

betreffend die Festnahme von Rückkehrern in insgesamt 9 Fällen im Zeitraum von Juni 2009 bis zum 13. April 2011. In jedem dieser Fälle bestehen nämlich besondere Einzelfallumstände, die als eigenständige Erklärung für die Verhaftung bei der Rückkehr nach Syrien dienen können. In einem Fall war der Betroffene bereits 2005 in Syrien in Haft gewesen. In einem anderen Fall – wohl dem, über den auch bereits das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht vom 27. September 2010 berichtet hat – wurden dem Asylbewerber offenbar konkrete Angaben bei seiner Anhörung durch das Bundesamt vorgehalten. Die weiteren Festnahmen erklären sich durch das Engagement als stellvertretender Direktor eines Vereins syrischer Kurden, der auf die Situation der Kurden in Syrien aufmerksam macht, eine den syrischen Behörden bekannt gewordene Straffälligkeit wegen Diebstahls in Deutschland, falsche Altersangaben im Pass und diverse exilpolitische Aktivitäten wie die Teilnahme an Hungerstreiks und das Berichten hierüber.

69

(cc) Ganz abgesehen davon wäre aber auch selbst eine – nach der Überzeugung des Senats nicht gegebene – beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung in Bezug auf bis zum Jahre 2011 nach Syrien abgeschobene abgelehnte Asylbewerber nur ein schwaches Indiz für eine entsprechende Gefährdung bei heutiger fiktiver Rückkehr allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt.

70

Bis 2011 gibt es keine Hinweise auf eine größere Anzahl von Flüchtlingen aus Syrien, die im Ausland um politisches Asyl nachgesucht haben; im Gegenteil war Syrien Ende des Jahres 2011 mit 755.400 aufgenommenen Flüchtlingen hinter Pakistan und dem Iran und noch vor der Bundesrepublik Deutschland das drittstärkste Aufnahmeland weltweit (UNHCR, Global Trends 2011 – A Year of Crises,

71

http://www.unhcr.org/statistics/country/4fd6f87f9/unhcr-global-trends-2011.html).

72

Angesichts des Nichtvorliegens von Gründen für eine massenhafte Flucht aus Syrien bis dahin mag es für die syrischen Sicherheitsbehörden damals nach der Lebenserfahrung nahegelegen haben, unter denjenigen, welche gleichwohl im Ausland Asyl beantragt hatten, einen beachtlichen Prozentsatz an dem syrischen System kritisch oder sogar feindlich gegenüber stehenden Personen zu vermuten. Diese Vermutung rechtfertigt sich indessen nicht mehr, nachdem zeitlich zusammentreffend mit der ab Januar 2012 eskalierenden Gewaltanwendung in Syrien (siehe dazu näher Auswärtiges Amt, Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 17. September 2012) im Verlauf von 4 Jahren rund 5 Millionen Menschen aus Syrien geflohen sind; vgl. UNHCR, Global Trends 2012 – Displacement, The New 21st Century Challenge, Global Trends 2013 – Wars’s Human Cost, Global Trends 2014 – World at War, und Global Trends 2015 – Forced Displacement in 2015,

73

http://www.unhcr.org/statistics/country/51bacb0f9/unhcr-global-trends-2012.html,

74

http://www.unhcr.org/statistics/country/5399a14f9/unhcr-global-trends-2013.html,

75

http://www.unhcr.org/statistics/country/556725e69/unhcr-global-trends-2014.html

76

http://www.unhcr.org/statistics/unhcrstats/576408cd7/unhcr-global-trends-2015.html).

77

Dass es sich bei den Geflohenen größtenteils nicht um Oppositionelle handelt, sondern um Bürgerkriegsflüchtlinge, ist – wie bereits eingangs dargelegt – auch den syrischen Behörden bekannt.

78

(dd) Erheblich lebensnäher als die Annahme, dass die syrischen Behörden allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt generell das Vorhandensein einer gegen das derzeitige politische System gerichteten Einstellung vermuten und aufgrund dessen gegen den Betroffenen vorgesehen, erscheint es nach alledem, dass mittels der scharfen Einreisekontrollen mit den zurückkehrenden Flüchtlingen ins Land einsickernde Terroristen und Regimegegner aus der Masse der Flüchtlinge herausgefiltert werden sollen. Möglicherweise mag es auch darum gehen, im Einzelfall vorhandene Wahrnehmungen oder Kenntnisse die Tätigkeit der Exilopposition betreffend „abzuschöpfen“, wobei jedoch auch insoweit angesichts von Millionen im Ausland lebender Flüchtlinge nicht davon ausgegangen werden kann, dass die syrischen Sicherheitsbehörden bei jedem oder auch nur bei einer großen Zahl von Rückkehrern derartiges Wissen vermuten.

79

Insgesamt kann sonach nicht festgestellt werden, dass die Gefahr, bei einer fiktiven Rückkehr nach Syrien festgenommen und unter Anwendung von Folter verhört zu werden, an dem Betroffenen vom syrischen Staat zumindest im Sinne des § 3b Abs. 2 AsylG zugeschriebene Merkmale nach den §§ 3 Abs. 1, 3b Abs.1 AsylG anknüpfen würde. Dafür, dass der syrische Staat bei heutiger Rückkehr in unpolitischen erfolglosen Asylbewerbern mehr sehen würde, als bloß potentielle Gegner und bloß potentielle Informationsquellen zur Exilszene, auf die er sodann möglicherweise wahllos-routinemäßig zugreift, um unter Umständen Hinweise auf Terroristen oder Oppositionelle zu gewinnen, lässt sich jedenfalls aus den Erkenntnissen zur Behandlung von Personen, die bis 2011 nach Syrien abgeschoben worden sind, nichts herleiten.

80

(ee) Eine andere Bewertung insoweit legen schließlich auch nicht Berichte jüngeren Datums über die Behandlung von Rückkehrern aus nichteuropäischen Ländern nahe.

81

So führt das US State Department in seinem Menschenrechtsbericht vom 13. April 2016

82

(http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm)

83

unter Section 2d zum Thema „Emigration and Repatriation“ zwar aus, dass Personen, welche erfolglos in anderen Ländern um Asyl nachgesucht hätten, strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt seien

84

(„On their return to the country, both persons who unsuccessfully sought asylum in other countries and those who had previous connections with the Syrian Muslim Brotherhood faced prosecution.“),

85

erläutert dies jedoch im Folgesatz dahingehend, dass das Gesetz die Verfolgung von Personen vorsehe, welche im Ausland Schutz gesucht hätten, um sich einer Strafe in Syrien zu entziehen

86

(„The law provides for the prosecution of any person who attempts to seek refuge in another country to evade penalty in Syria.“).

87

Für das Vorliegen eines derartigen Falles bestehen hier keinerlei Anhaltspunkte.

88

Des Weiteren heißt es im Bericht des State Departments, dass die syrischen Behörden routinemäßig Dissidenten und ehemalige Bürger ohne bekannte politische Zugehörigkeit verhaftet hätten, welche nach Jahren oder gar Jahrzehnten selbstauferlegten Exils nach Syrien zurückgekehrt seien

89

(„The government routinely arrested dissidents and former citizens with no known political affiliation who attempted to return to the country after years or even decades of self-imposed exile.“).

90

Insoweit ist dem Bericht indessen bereits nichts dazu entnehmen, ob es sich nach der Dauer der Festnahme und den Umständen der Vernehmung um eine Verfolgungsmaßnahme im Sinne des §§ 3 und 3a AsylG gehandelt hat. Unabhängig davon lässt sich aber auch jedenfalls in Bezug auf die Personen ohne bekannten politischen Hintergrund kein Verfolgungsgrund nach § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG feststellen, da die Festnahme dem Bericht zufolge im bereits umschriebenen Sinne wahllos-routinemäßig („routinely“) erfolgt.

91

Das Immigration and Refugee Board of Canada verweist in seinem Jahresbericht Syrien 2015 vom 19. Januar 2016 (Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion [2014-December 2015],

92

http://www.ecoi.net/local_link/320204/445626_en.html),

93

unter Ziffer 3 „Treatment of Failed Refugee Claimants“ auf einen Fernsehbericht von ABC vom 1. Oktober 2015, dem zufolge ein aus Australien zurückkehrender Asylbewerber nach eigenen Angaben 20 Tage lang festgehalten und durch Schläge misshandelt worden sei. Man habe ihm vorgehalten, aus der Provinz Daara, in der der Bürgerkrieg begonnen habe, zu stammen, und – unter Hinweis auf einen von ihm mitgeführten Geldbetrag – ein Finanzier der Revolution zu sein. Über weitergehende und bestätigende Informationen zu diesem Fall verfüge man nicht. Die dieser Berichterstattung zufolge gegen den Rückkehrer erhobenen Vorwürfe gehen indessen über den bloßen Umstand der illegalen Ausreise und erfolglosen Asylantragstellung im Ausland hinaus.

94

Im Weiteren enthält der Jahresbericht sodann zwar Einschätzungen verschiedener namentlich nicht genannter Personen, u. a. eines emeritierten Professors für Anthropologie und Vertreibung der Universität Oxford und eines „Executive Director of the Syria Justice and Accountability Center“, denen zufolge zurückkehrende erfolglose Asylbewerber mit Festnahme und Haft sowie mit Folter zu rechnen hätten, um den Grund für ihre Ausreise zu erfahren oder Informationen über andere Asylbewerber oder die Opposition erlangen. Konkrete Tatsachen, aus denen diese Einschätzungen abgeleitet werden könnten, werden indessen nicht genannt. Damit fehlte es insoweit selbst dann, wenn man diese Einschätzungen ohne nähere Überprüfung als zutreffend unterstellen wollte, jedenfalls an einem zureichenden Beleg für die Annahme, dass die drohenden Übergriffe regelmäßig durch einen den Betroffenen seitens der syrischen Behörden zumindest zugeschriebenen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3 AsylG motiviert wären und nicht bloß ein wahllos-routinemäßiges „Fischen“ nach möglicherweise verwertbaren Informationen über regimegegnerische Bestrebungen darstellten, wofür wie bereits ausgeführt die Lebenserfahrung spricht.

95

(b) Tragfähige Anhaltspunkte für eine im Fall der Abschiebung nach Syrien dort allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandsaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich drohende politische Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG ergeben sich auch nicht aus den vorliegenden Erkenntnissen zurumfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die syrischen Geheimdienste.

96

(aa) Zur Intensität und Zielrichtung der Beobachtung führt das Bundesministerium des Innern im Verfassungsschutzbericht 2015

97

(https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/verfassungsschutzberichte/vsbericht-2015)

98

auf Seite 263 f. aus:

99

„Die syrischen Nachrichtendienste verfügen ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen. Ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen sowohl islamistische und islamistisch-terroristische Gruppierungen als auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen.

100

Bei anhaltenden unkontrollierten Einreisen syrischer Staatsangehöriger in die EU ist auch mit weiteren Ausforschungsaktivitäten syrischer Nachrichtendienste zu rechnen.“

101

(bb) Ausweislich des Verfassungsschutzberichts 2015 (Seite 82) des rheinland-pfälzischen Ministeriums des Innern und für Sport

102

(https://mdi.rlp.de/fileadmin/isim/Unsere_Themen/Sicherheit/Verfassungsschutz/Dokumente/Verfassungsschutzb_2015_komp_web_neu.pdf)

103

„forcieren“ die Geheimdienste aus den Staaten des Nahen Ostens und aus Nordafrika „ihre Aktivitäten gegen Regimegegner und Oppositionelle in der Bundesrepublik Deutschland“.

104

(cc) Das sächsische Staatsministerium des Innern stellt in seinem Verfassungsschutzbericht 2015

105

(http://www.verfassungsschutz.sachsen.de/download/VSB_2015_INTERNET_05_25.pdf)

106

auf Seite 236 fest:

107

„Arabische und nordafrikanische Nachrichtendienste führen in Deutschland in erster Linie Maßnahmen gegen hier lebende Oppositionelle aus ihren Heimatländern durch. Die politischen Veränderungen der letzten Jahre im arabischen und nordafrikanischen Raum haben daran nichts geändert. Damit dürften die in Sachsen lebenden Einwanderer und Flüchtlinge aus den einschlägigen Krisenregionen nach wie vor als Ziel der jeweiligen Nachrichtendienste gelten, insbesondere, wenn sie sich oppositionell betätigt haben.

108

Insbesondere die syrischen Nachrichtendienste dürften starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg haben. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden.“

109

110

(dd) Im Verfassungsschutzbericht 2015 des hamburgischen Landesamtes für Verfassungsschutz

111

(http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/6306408/2016-06-13-bis-pm-verfassungsschutzbericht-2015/)

112

heißt es auf Seite 215:

113

„Verschiedene Nachrichtendienste des Mittleren und Nahen Ostens sowie Afrikas sind in Deutschland und zum Teil auch in Hamburg aktiv. Ein besonderes Interesse haben diese Dienste an oppositionellen Gruppierungen, die als Bedrohung für das eigene Regime angesehen werden. Ein weiterer Schwerpunkt war der Bereich der Proliferation ...

114

...

115

Die Nachrichtendienste dieser und weiterer Länder versuchen zudem die jeweiligen Oppositionsgruppen zu überwachen. Dazu werden beispielsweise Hinweisgeber gewonnen oder Informanten in die Gruppen eingeschleust.“

116

(ee) Der Bericht 2015 „Verfassungsschutz in Hessen“ des dortigen Ministeriums des Innern und für Sport

117

(https://lfv.hessen.de/sites/lfv.hessen.de/files/content-downloads/LfV_Bericht-2015final_screen.pdf)

118

stellt auf Seite 162 zu Flüchtlingen aus Syrien fest:

119

„Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Nachrichtendienste dieser Länder nach wie vor existent sind. Daher gilt für die in Deutschland ankommenden Flüchtlinge: Wer sich im Heimatland gegen das Regime engagierte, gerät eventuell auch in Deutschland in das Visier fremder Nachrichtendienste. Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat können ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert sind, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.“

120

(ff) Die nachrichtendienstlichen Aktivitäten richten sich mithin nach übereinstimmender Einschätzung der genannten Dienste in erster Linie gegen Regimegegner und Oppositionelle bzw. Gruppierungen von solchen.

121

Von einer systematischen Beobachtung aller in Deutschland lebenden Syrer ist auch nicht nur andeutungsweise die Rede; angesichts der hohen Flüchtlingszahlen in den letzten Jahren, insbesondere im Jahr 2015, erscheint eine solche auch bereits rein faktisch gar nicht möglich. Soweit eben aus diesem Umstand gefolgert wird, dass Personen, die illegal aus Syrien ausgereist sind, sich längere Zeit im westlichen Ausland aufgehalten und dort um internationalen Schutz nachgesucht haben, seitens der syrischen Behörden allein schon aufgrund deren lückenhafter Erkenntnislage mit hoher Wahrscheinlichkeit verdachtsunabhängig Befragungen und Inhaftierungen unterzogen würden, um die Motive der Ausreise und etwaigen Verbindungen zu oppositionellen Gruppierungen in Erfahrung zu bringen (VG Trier, Urteil vom 7. Oktober 2016 – 1 K 5093/16.TR –, juris), vermag dies den Senat zumindest nicht von einer beachtlich wahrscheinlich drohenden Gefahr politischer Verfolgung zu überzeugen. Ob eine derartige Befragung oder Inhaftierung angesichts der zwischenzeitlichen massenhaften Flucht der syrischen Bevölkerung vor dem Bürgerkrieg überhaupt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, kann dabei dahinstehen. Wie bereits ausgeführt wäre eine entsprechende Verfolgungsgefahr jedenfalls nicht aus einem der Verfolgungsgründe des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG gegeben, sondern mangels zureichender anderer Erkenntnisse als bloßer wahllos-routinemäßiger Zugriff aufpotentielle Gegner und bloß potentielle Informationsquellen zur Exilszene zu werten, mit dem möglicherweise einen konkreten Verdacht begründende Hinweise, aufgrund derer sodann eine „Zuschreibung“ von Merkmalen im Sinne des § 3b Abs. 2 AsylG erfolgen könnte, erst gewonnen werden sollen.

122

(c) Überzeugende Anhaltspunkte für eine erfolglosen Asylbewerbern bei ihrer Rückkehr nach Syrien allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich drohenden politische Verfolgung ergeben sich auch nicht aus der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 bis hin zum offenen Bürgerkrieg (vgl. zur Entwicklung der innenpolitischen Situation umfänglich OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 12 –, juris, Rn. 45 bis 76 ).

123

Aus dem Umstand, dass der syrische Staat als eine der in den Bürgerkrieg involvierten Parteien mit brutaler Härte gegen seine tatsächlichen und scheinbaren Gegner im Landesinnern vorgeht und dabei offensichtlich – etwa beim Einsatz von tausenden von Fassbomben über Oppositionsgebieten seit dem Jahr 2012 – Opfer unter der Zivilbevölkerung zumindest billigend in Kauf nimmt (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das BAMF zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Syrien vom 3. Februar 2016), lassen sich keine zwingenden Schlüsse auf ein beachtlich wahrscheinlich drohendes politisch motiviertes Vorgehen im Sinne des § 3 AsylG gegen aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrende Bürgerkriegsflüchtlinge ziehen.

124

Gegen eine quasi routinemäßige Einstufung dieser Personengruppe als aus der Sicht des Regimes zu bekämpfende mutmaßliche Regimegegner oder Oppositionelle spricht bereits nach der Lebenserfahrung der – wie dargelegt auch den syrischen Machthabern geläufige – Gesichtspunkt, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg außer Landes geflohen sind, regelmäßig keine Bedrohung des in Syrien zeitweilig um sein politisches und physisches Überleben kämpfenden Regimes darstellen, sondern aus Angst um ihr Leben und ihre Gesundheit dem Konflikt gerade aus dem Weg gegangen sind. Bereits von daher ist auch die teilweise (VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 – RO 11 K 16.30707 –, und VG Stuttgart, Urteil vom 15. März 2013 – A 7 K 2987/12 –, beide in juris) vertretene Auffassung, dass der syrische Staat Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit einer von außen organisierten und finanzierten Verschwörung gegen das Land zurechnen werde, letztlich nicht mehr als eine bloße Mutmaßung.

125

(d) Des Weiteren ergeben sich auch aus den Erkenntnissen zum Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Anfang 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen, keine tragfähigen Anhaltspunkte für die Annahme einer bei Rückkehr nach Syrien allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und einem längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich drohenden politischen Verfolgung.

126

Das Auswärtige Amt beschreibt bereits in seinem Ad hoc-Bericht vom 17. Februar 2012 eine massive Unterdrückung der syrischen Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen. Seit März habe es eine präzedenzlose Verhaftungswelle gegeben, mit der das Regime gegen die Protestbewegung vorgehe. Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränkten sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Es seien vielmehr zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“, tätlichen Angriffen, Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitskräfte und Mordanschlägen belegt.

127

Diese Umstände haben sich offensichtlich bis in das Jahr 2016 hinein nicht geändert.

128

Die Menschenrechtsorganisation amnesty international geht auch in ihrem Bericht „It breaks the human – torture, disease and death in Syria's prisons“ vom 18. August 2016

129

(https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/),

130

Ziffer 4.2: „Profiles of people targeted“, davon aus, dass für jedermann, der als oppositionell wahrgenommen werden könnte, die Gefahr bestehe, willkürlich inhaftiert oder „verschwinden gelassen“ zu werden und in der Haft Folter, andere Misshandlung und möglicherweise auch den Tod zu erleiden. Die Gründe hierfür variierten und könnten auch friedlichen Aktivismus wie die Tätigkeit als Menschenrechtsverteidiger, Journalist oder sonstiger Medienschaffender, die Versorgung der notleidenden Zivilbevölkerung mit humanitärer oder medizinischer Hilfe und die Organisation und Teilnahme an Pro-Reform-Demonstrationen umfassen. Zur Verhaftung könne auch bereits führen, dass ein Verwandter von den Sicherheitskräften gesucht oder man durch einen Denunzianten gemeldet werde – einschließlich von Meldungen, welche durch finanziellen Profit oder persönlichen Groll motiviert seien.

131

Indessen lässt auch der Umstand, dass die syrische Regierung im Inland tatsächliche und vermeintliche Regimegegner und Oppositionelle massiv und in menschenrechtswidriger Weise unterdrückt, keinen hinreichend tragfähigen Schluss auf eine beachtlich wahrscheinliche politische Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG von aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrenden Bürgerkriegsflüchtlingen allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und einem längeren Auslandsaufenthalt zu.

132

Insoweit spricht nämlich – wie bereits hinsichtlich der Eskalation der innenpolitischen Situation bis hin zum Bürgerkrieg festgestellt – ebenfalls die Lebenserfahrung dafür, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg in das Ausland geflohen sind, auch in den Augen der syrischen Machthaber in aller Regel keine Bedrohung des Regimes darstellen, sondern dem Konflikt vielmehr gerade aus dem Weg gegangen sind.

133

bb. Dem Kläger droht im Falle seiner unterstellten Rückkehr nach Syrien auch nicht aus sonstigen Gründen beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

134

(1) Dies gilt zum einen in Bezug auf eine mögliche Wehrdienstentziehung, welche der 1993 geborene Kläger – ebenso wie sein Bruder – begangen haben könnte, indem er Syrien ohne die für alle männlichen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis 42 Jahren erforderliche Ausreisegenehmigung (vgl. hierzu Auskunft des Deutschen Orient-Institutes an das OVG Schleswig-Holstein vom 8. November 2016 – 3 LB 17/16 –) verlassen hat.

135

(a) In Syrien besteht für männliche Staatsangehörige eine Militärdienstpflicht. Die Registrierung für den Militärdienst erfolgt im Alter von 18 Jahren; die Wehrpflicht dauert bis zum Alter von 42 Jahren (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, vom 30. Juli 2014, Seite 1,

136

https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/syrien-rekrutierung-durch-die-syrische-armee.pdf).

137

Die Möglichkeit eines Ersatzdienstes besteht nicht. Wehrdienstverweigerung wird nach dem Military Penal Code geahndet. Nach Artikel 68 wird mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft, wer sich der Einberufung entzieht. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlässt und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion sieht Artikel 101 fünf Jahre Haft vor bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre; Desertion im Angesicht des Feindes wird gemäß Artikel 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, vom 30. Juli 2014, a. a. O., Seite 3)

138

(b) Danach bestünde für den Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien zwar die Gefahr, wegen Wehrdienstentziehung bestraft und zwangsweise von der syrischen Armee eingezogen zu werden. Dabei könnte es sich – was hier letztlich keiner abschließenden Klärung bedarf – angesichts dessen, dass der Militärdienst in der syrischen Armee möglicherweise Verbrechen oder Handlungen im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde, auch um eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG handeln.

139

Es bestehen jedoch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die dem Kläger drohenden Maßnahmen aus einem der in § 3 AsylG genannten Gründe – konkret: wegen einer als der Wehrdienstentziehung zugrunde liegend vermuteten politischen Opposition zum Regime – ergehen würden.

140

Was die drohende Heranziehung zum Wehrdienst angeht, fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten für eine entsprechende Selektion anhand der in § 3 AsylG genannten Kriterien; vielmehr rekrutiert die syrische Armee prinzipiell alle Männer unabhängig vom ethnischen und religiösen Hintergrund (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, Seite 2,

141

https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150328-syr-mobilisierung.pdf).

142

Eine mögliche Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung kann zwar vom Grundsatz her auch politische Verfolgung sein, da es für den Flüchtlingsschutz nicht allein darauf ankommen kann, mit welchen Mitteln der Staat vorgeht, sondern vielmehr entscheidend ist, welches Ziel hinter seinen Maßnahmen steht (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1983 – 9 C 36/83 –, BVerwGE 67, 184, juris). Von einer derartigen politischen Motiviertheit wäre dann auszugehen, wenn dem Kläger wegen seiner Wehrdienstentziehung in Syrien beachtlich wahrscheinlich eine an seine politische Überzeugung anknüpfende härtere Bestrafung als sonst üblich – ein sogenannter Politmalus (BVerfG, Beschluss vom 29. April 2009 – 2 BvR 78/08 –, juris, m. w. N.) – drohen würde. Hierfür liegen indessen keine zureichenden Anhaltspunkte vor.

143

Das syrische Regime hat bereits seit Beginn des Bürgerkrieges die Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten intensiviert. Seit Herbst 2014 kommt es angesichts einer erheblichen Dezimierung der syrischen Armee durch Desertion und Verluste in großem Umfang zur Mobilisierung von Reservisten sowie zur Verhaftung von Deserteuren und Männern, die sich bislang dem Wehrdienst entzogen haben (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, a. a. O., Seite 1 ff.; Washington Post, Desperate for soldiers, Assad’s government imposes harsh recruitment measures, 28. Dezember 2014,

144

www.washingtonpost.com/world/middle_east/desperate-forsoldiers-assads-government-imposes-harsh-recruitment-measures/2014/12/28/62f99194-6d1d-4bd6-a862-b3ab46c6b33b_story.html.

145

vgl. auch etwa – zur Verweigerung der Entlassung in der Armee dienender Wehrpflichtiger – ntv: „Verlangen unsere Entlassung“ – In Assads Armee wächst der Unmut, vom 24. November 2015,

146

http://www.n-tv.de/politik/In-Assads-Armee-waechst-der-Unmut-article16418356.html).

147

Deserteure und Personen, die sich dem Militärdienst entzogen haben, werden inhaftiert und verurteilt. In der Haft kommt es zu Folter, und Menschenrechtsorganisationen berichten über Exekutionen von Deserteuren. Einige der Verhafteten werden vom Militärgericht zu Haftstrafen verurteilt, bevor sie eingezogen werden, andere werden verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt (Schweizer Flüchtlingshilfe, Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, a. a. O., Seite 1 ff.).

148

Im Juli 2015 hat der syrische Staatspräsident Assad als weitere Maßnahme zur personellen Verstärkung der syrischen Armee eine Generalamnestie für Deserteure und Wehrdienstverweigerer erlassen. Ins Ausland geflohene Soldaten hatten sich dazu binnen zwei Monaten bei den Behörden zu melden, Deserteure, die sich in Syrien aufhalten, innerhalb eines Monats. Eine Frist für Wehrdienstverweigerer wurde nicht genannt (Zeit online vom 26. Juli 2015: Assad gehen die Soldaten aus,

149

http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-07/syrien-baschar-al-assad-buergerkrieg-armee-unterstuetzung).

150

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände bestehen letztlich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass Personen, die sich während des Bürgerkrieges dem Wehrdienst entweder in Syrien selbst oder durch Flucht ins Ausland entzogen haben, bei ihrer Ergreifung allein aufgrund dieser Wehrdienstentziehung beachtlich wahrscheinlich eine regimegegnerische Haltung unterstellt würde und sie aus diesem Grunde eine über die gesetzlich vorgesehene Bestrafung für Wehrdienstentzug hinausgehende Verfolgung zu befürchten hätten.

151

Die üblicherweise drohende Verhaftung als solche bewegt sich im Rahmen der nach dem Military Penal Code vorgesehenen Strafandrohung.

152

Dass es in der Haft der Berichterstattung der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 28. März 2015 zufolge auch zu Folter kommt, stellt zwar für die hiervon Betroffenen eine Verfolgungsmaßnahme im Sinne des § 3 AsylG dar. Es fehlt jedoch an zureichenden Anhaltspunkten dafür, dass diese wegen eines der in § 3 AsylG genannten Merkmale – konkret: der politischen Überzeugung des Betroffenen –erfolgt. Zwar kann es sich bereits bei der Folter als solcher um ein Indiz für den politischen Charakter der Maßnahme handeln. Allerdings bedarf es insoweit regelmäßig der Heranziehung weiterer objektiver Kriterien, die einen Rückschluss auf die subjektive Verfolgungsmotivation gestatten. Derartige objektive Kriterien sind vor allem die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Heimatstaat des Betroffenen, insbesondere die Eigenart des Staats, sein möglicherweise totalitärer Charakter, die Radikalität seiner Ziele und die zu seiner Verwirklichung eingesetzten Mittel, das Maß an geforderter und durchgesetzter Unterwerfung des einzelnen und die Behandlung von Minderheiten. Maßgeblich ist stets, ob der Staat seine Bürger in den genannten persönlichen Merkmalen zu disziplinieren, sie ihretwegen niederzuhalten oder im schlimmsten Fall zu vernichten sucht oder ob er lediglich seine Herrschaftsstruktur aufrechterhalten will und dabei die Überzeugungen seiner Staatsbürger unbehelligt lässt. Die Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System seiner Bevölkerung auferlegt, vermögen für sich allein eine politische Verfolgung nicht zu begründen (vgl. zum Ganzen Urteil vom 17. Mai 1983 – 9 C 36/83 –, BVerwGE 67, 195 m. w. N.).

153

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist vorliegend nichts hinreichendes dafür ersichtlich, dass die berichtete Folter im Falle der Wehrdienstentziehung – welche für sich genommen bereits zu einer Schutzberechtigung gemäß § 4 AsylG führt – gerade aus einem der besonderen Gründe des § 3 AsylG geschähe.

154

Syrien verfügt zwar über eine formal rechtsstaatliche Verfassung, ist aber aufgrund des seit 1963 bestehenden Ausnahmezustandes in der Praxis bereits seit Jahrzehnten ein von Sicherheitsapparaten und Militär geprägtes autoritäres Regime. Die Sicherheitsdienste waren schon vor Beginn der Unruhen im Jahre 2011 und des nachfolgenden Bürgerkrieges weder parlamentarischen noch gerichtlichen Kontrollmechanismen unterworfen und verantwortlich für willkürliche Verhaftungen, Folter und Isolationshaft. Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste wenden systematisch Gewalt an. Möglichkeiten einer effektiven strafrechtlichen Verfolgung von Folter und anderen kriminellen Handlungen durch Sicherheitskräfte bestehen nicht; Personen, die sich über die Behandlung durch Sicherheitskräfte beschweren, laufen vielmehr Gefahr, dafür strafrechtlich belangt zu werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27. September 2010). Angesichts der sonach in Syrien generell herrschenden Brutalität und Willkür von Sicherheits- und Justizvollzugsorganen stellt die Anwendung von Folter als solche jedenfalls kein gewichtiges Indiz für die politische Motiviertheit einer Verfolgung wegen Wehrdienstentziehung dar.

155

Die Fälle von Exekutionen während der Haft, über die die Schweizer Flüchtlingshilfe (a. a. O.) berichtet, beziehen sich auf Deserteure. In Bezug auf diesen Personenkreis handelt es sich durchaus um einen deutlichen Anhaltspunkt für eine über die bloße Strafverfolgung hinausgehende Gerichtetheit. Für diejenigen, die sich lediglich einer Einberufung entzogen haben – wofür ja auch bereits das Gesetz eine wesentliche mildere Strafe als für Desertion vorsieht – ergibt sich insoweit hingegen ebenfalls kein gewichtiges Indiz für einen Politmalus.

156

Gegen die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Falle bloßer Wehrdienstentziehung spricht überdies das erhebliche Mobilisierungsinteresse der syrischen Armee. Bei insgesamt fast 5 Millionen Flüchtlingen, die Syrien verlassen haben, dürften sich angesichts des hohen Anteils von Männern im Allgemeinen und jungen Männern im Besonderen (FAZ net, Das sind Deutschlands Flüchtlinge, vom 21. Oktober 2015

157

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/deutschlands-fluechtlinge-in-grafiken-13867210.html)

158

bereits nach der Lebenserfahrung Hunderttausende junger Männer befinden, die noch nicht einberufen worden sind. Jedenfalls hinsichtlich dieses Personenkreises dürfte es dem syrischen Staat vor allem darum gehen, die Betroffenen schnellstmöglich seiner notleidenden Armee zuzuführen. In diese Richtung deutet bereits der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 28. März 2015 (a. a. O.), wonach zwar einige der Verhafteten zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen, andere indessen lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt werden. Hinzu kommt die im Juli 2015 erlassene Generalamnestie, welche über Wehrdienstverweigerer hinaus sogar auch Deserteure erfasst hat.

159

Im Übrigen ist den syrischen Machthabern, wie schon dargelegt, bekannt, dass die Flucht aus Syrien – und damit auch die Flucht vor der Einberufung durch die Armee – in aller Regel nicht durch politische Gegnerschaft zum syrischen Staat motiviert ist, sondern durch Angst vor dem Krieg.

160

(2) Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Klägers aus einem der Gründe des § 3 AsylG ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass er eigenen Angaben zufolge vor seiner Ausreise in derProvinz Homs gelebt hat.

161

Zwar erfasst der UNHCR (Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung, November 2015, Seite 25 f.,

162

https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1455006006_syr-112015.pdf)

163

im Rahmen der von ihm als das Erfordernis internationalen Flüchtlingsschutzes indizierend erstellten Risikoprofile auch Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben. Hierzu führt er erläuternd aus (Seite 12 f.):

164

„Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist.“

165

Vorliegend kann indessen letztlich dahinstehen, ob die Stadt A... oder der Bauernhof der Familie des Klägers, auf den sich diese den Angaben des Klägers (vgl. Anhörungsprotokoll vom 5. April 2016, Seite 35 ff, 38 der Verwaltungsakte) zufolge zurückgezogen hat, um den Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, in einer vermeintlich regierungsfeindlichen Zone im obigen Sinne gelegen sind.

166

Selbst in diesem Falle wäre zwar unter Zugrundelegung der UNHCR-Erwägungen die Herkunft des Klägers aus einem bestimmten Gebiet in den Augen der syrischen Sicherheitskräfte möglicherweise ein gewisser Anhaltspunkt für eine oppositionelle Einstellung.

167

Letztlich spricht indessen aber auch insoweit die Lebenserfahrung dafür, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg in das Ausland geflohen sind, auch in den Augen der syrischen Machthaber in aller Regel keine Bedrohung des Regimes darstellen, sondern dem Konflikt vielmehr gerade aus dem Weg gegangen sind.

168

cc. Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus einer umfassenden Gesamtwürdigung aller vorliegend möglicherweise eine Verfolgungsgefahr begründenden Umstände.

169

Auch dann, wenn man die illegale Ausreise, die Asylantragstellung, den längerfristigen Auslandsaufenthalt, die Wehrdienstentziehung des Klägers und seines Bruders sowie die regionale Herkunft des Klägers aus der Perspektive des syrischen Staates als möglichem Verfolger gleichzeitig wertend in den Blick nimmt, so erscheinen dessen Interessen letztlich allein insoweit berührt, als der Kläger zum einen selbst als Oppositioneller eine Gefahr für das Regime darstellen könnte und zum anderen durch seine Wehrdienstentziehung dazu beigetragen hat, die Schlagkraft der syrischen Armee gegen ihre übrigen Gegner zu beeinträchtigen.

170

Da indessen wie bereits dargestellt die Lebenserfahrung auch aus Sicht der syrischen Behörden dafür spricht, dass der Kläger kein dem Regime möglicherweise gefährlicher Oppositioneller ist, sondern dem Konflikt durch seine Ausreise gerade hat aus dem Wege gehen wollen, fehlt es insoweit bei umfassender Abwägung an ausreichenden Anhaltspunkten jedenfalls für eine Überzeugungsbildung durch den Senat dahingehend, dass dem Kläger bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien beachtlich wahrscheinlich Verfolgungsmaßnahmen wegen seiner politischen Überzeugung drohen. Diese Einschätzung vermögen auch nicht die dem Kläger möglicherweise wegen Wehrdienstentziehung drohenden Sanktionen zu ändern. Das Sanktionsinteresse des syrischen Regimes dürfte zumindest gegenüber denjenigen, die nicht aus der Armee desertiert sind, sondern sich lediglich dem Wehrdienst entzogen haben, hinter dem Interesse an der dringend benötigten Verstärkung der Armee durch Rekrutierung neuer Soldaten zurückbleiben. Insoweit könnte dem Kläger im Falle seiner fiktiven Rückkehr nach Syrien zwar möglicherweise eine strafrechtliche Sanktion und wohl auch beachtlich wahrscheinlich eine Einberufung drohen; in Bezug auf eine politisch motivierte weitergehende Verfolgung fehlt es jedoch ebenfalls an Anhaltspunkten, welche die Prognose einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit tragen könnten.

171

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 83b AsylG; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr.10 ZPO.

172

Gründe, aus denen gemäß § 132 Abs. 2 VwGO die Revision zuzulassen wäre, liegen nicht vor. Bei der Frage, ob abgelehnten Asylbewerbern im Falle einer Rückkehr nach Syrien dort bereits allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich Verfolgung wegen einer vermuteten Einstellung gegen das dort herrschende Regime droht, handelt es sich – anders als in dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 2016 (2 BvR 31/14) zugrunde liegenden Fall – um eine Tatsachenfrage, wohingegen die Revision die Überprüfung eines Urteils ausschließlich in rechtlicher Hinsicht zum Gegenstand hat (§ 137 Abs. 1 und 2 VwGO).

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

weitere Fundstellen einblendenweitere Fundstellen ...

Diese Entscheidung wird zitiert ausblendenDiese Entscheidung wird zitiert


Tenor

Unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 16. Juni 2016 wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Kläger; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Der am … 1993 geborene Kläger, ein syrische Staatsangehöriger arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit, reiste eigenen Angaben zufolge am 22. Januar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag.

3

Zur Begründung machte er geltend, Syrien wegen des Krieges und aus Angst vor dem Verhungern verlassen zu haben. A… in der Provinz Homs, wo er gelebt habe, sei mal vom Regime und mal von bewaffneten Milizen übernommen worden. Es sei gefährlich gewesen zwischen den Fronten. Es habe ständig die Gefahr bestanden, von einer Seite gefangen genommen zu werden. Im Jahr 2013 seien Verwandte bei einer Straßenkontrolle mitgenommen worden. Sie seien nicht wiedergekommen; wahrscheinlich seien sie getötet worden. Zudem habe er Angst gehabt, vom Militär mitgenommen und als Soldat eingesetzt zu werden. Offiziell einberufen worden sei er noch nicht. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er, eingezogen oder inhaftiert zu werden, weil er vor dem Wehrdienst geflohen sei.

4

Mit Bescheid vom 12. April 2016 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu. Im Übrigen lehnte es den Asylantrag mit der Begründung ab, dass der Kläger kein Flüchtling im Sinne des § 3 Asylgesetz (AsylG) sei.

5

Das Verwaltungsgericht Trier hat auf die hiergegen erhobene Klage die Beklagte mit Urteil vom 16. Juni 2016 – 1 K 1520/16.TR – unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen. Mit Blick auf die Erkenntnismittel, insbesondere die aktuelle Situation in Syrien, sei davon auszugehen, dass dem Kläger für den Fall der Rückkehr nach dort ungeachtet individuell geltend gemachter Gründe und deren Glaubhaftigkeit politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe. Auf der Grundlage der auch aus der aktuellen Berichterstattung gewonnenen Erkenntnislage sei beachtlich wahrscheinlich, dass im Falle der Rückkehr wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt die Festnahme und damit verbunden die Gefahr von Folter drohe, weil davon auszugehen sei, dass einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachgegangen werde.

6

Mit Beschluss vom 15. September 2016 – 1 A 10658/16.OVG – hat der Senat auf Antrag der Beklagten die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Am 30. September 2016 hat die Beklagte die Berufung begründet.

7

Sie macht geltend, dass Flüchtlingen aus Syrien im Falle ihrer Rückkehr dorthin nicht allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung drohe.

8

Die Beklagte beantragt,

9

unter Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen.

10

Der Kläger beantragt,

11

die Berufung zurückzuweisen.

12

Zur Begründung nimmt er Bezug auf das Urteil des Verwaltungsgerichts. Ergänzend macht er geltend, dass die von der Beklagten vertretene Auffassung, Rückkehrer nach Syrien unterlägen zwar allgemein der Gefahr der Folterung oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, dem liege jedoch keine unterstellte Regimegegnerschaft zugrunde, lebensfremd sei. Verhaftungen und Folterungen dienten keinem Selbstzweck, sondern der Unterdrückung jeglicher Regimegegnerschaft. Sie richteten sich immer gegen Personen, die der Regimegegnerschaft verdächtigt würden, wofür in Syrien indessen bereits derartige Nichtigkeiten genügten, dass dies aus Sicht eines in einem rechtsstaatlichen System lebenden Betrachters als willkürlich erscheinen möge. Demgemäß genüge auch bereits ein Auslandsaufenthalt für den Verdacht oppositioneller Haltung oder Tätigkeit. Dies gelte umso mehr, da sich das syrische Regime seit Jahren im Kampf um das eigene Überleben befinde. In individueller Hinsicht wirke in seinem Falle gefahrerhöhend, dass er aus der Rebellenhochburg Homs stamme und sich im wehrfähigen Alter befinde. Hinzu komme noch, dass sein 1990 geborener Bruder – dem die Beklagte im Übrigen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt habe – bereits eine Einberufung zum Militärdienst erhalten, aber nicht befolgt habe, was nochmals zu einer Gefahrerhöhung auch für den Kläger führe.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten und die Verwaltungsakten der Beklagten betreffend den Kläger (Az. 6513645-475) und dessen Bruder (Az. 6513662-475), jeweils 1 Heft, Bezug genommen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

14

Entscheidungsgründe

15

Die Berufung ist zulässig und begründet.

16

Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

17

1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK –, BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.

18

a. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK –, BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist. Gleiches gilt nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG für eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

19

Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können gemäß § 3a Abs. 2 AsylG unter anderem gelten die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung sowie die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen gemäß § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde.

20

b. Die in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung und Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe werden in § 3b Abs. 1 AsylG näher umschrieben.

21

Gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 1 AsylG umfasst der Begriff der Rasse insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe.

22

Als Religion im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG definiert § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sowie sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

23

Der Verfolgungsgrund der Nationalität umfasst gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 3 AsylG über die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen hinaus insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird.

24

Eine soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist insbesondere dann gegeben, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 AsylG).

25

Den Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung definiert § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG als das Vertreten einer Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft; unerheblich ist, ob der Ausländer aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

26

§ 3b Abs. 2 AsylG stellt schließlich ergänzend fest, dass es für die Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, nicht darauf ankommt, ob er die zur Verfolgung führenden Merkmale tatsächlich aufweist. Ausreichend ist bereits, dass diese ihm von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

27

c. Was den notwendigen Zusammenhang zwischen den in §§ 3 Abs. 1 und 3 b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen angeht, stellt § 3a Abs. 3 AsylG nochmals klar, dass insoweit eine Verknüpfung bestehen muss.

28

d. § 3c AsylG legt fest, von wem Verfolgung ausgehen kann: Über den Staat (Nr. 1) und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), hinaus können dies nach § 3c Nr. 3 AsylG auch nichtstaatliche Akteure sein, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

29

e. Eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheidet nach § 3e Abs. 1 AsylG dann aus, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

30

f. Ob eine Verfolgung der vorstehend näher beschriebenen Art droht, d. h. der Ausländer sich im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylGaus begründeter Furcht vor einer solchen Verfolgung außerhalb des Herkunftslandes befindet, ist anhand einer Verfolgungsprognose zu beurteilen, die auf der Grundlage einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat (BVerwG, Urteil vom 6. März 1990 – 9 C 14.89 –, BVerwGE 85, 12, juris, m. w. N.).

31

aa. Dabei ist es Aufgabe des Schutzsuchenden, von sich aus unter genauer Angabe von Einzelheiten den der Prognose zugrunde zu legenden, aus seiner Sicht die Verfolgungsgefahr begründenden Lebenssachverhalt zu schildern (§ 25 Abs. 1 AsylG).

32

Das Gericht muss sich sodann, um die behaupteten, möglicherweise eine Verfolgungsgefahr begründenden Tatsachen seiner Entscheidung als gegeben zugrunde legen zu können, nach § 108 Abs.1 Satz 1 VwGO die volle Überzeugung von deren Wahrheit – und nicht nur von deren Wahrscheinlichkeit – verschaffen. Zwar gilt hierbei der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind. Zudem ist die besondere Beweisnot des nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsprozessrechts mit der materiellen Beweislast hinsichtlich der guten Gründe für seine Verfolgungsfurcht beschwerten Schutzsuchenden zu berücksichtigen, dem häufig die üblichen Beweismittel fehlen. Insbesondere können in der Regel unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts legt den Tatsachengerichten insoweit nahe, den eigenen Erklärungen des Schutzsuchenden größere Bedeutung beizumessen, als dies meist sonst in der Prozesspraxis bei Bekundungen einer Partei der Fall ist, und den Beweiswert seiner Aussage im Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu. Zur Anerkennung kann schon allein sein Tatsachenvortrag führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne "glaubhaft" sind, dass sich das Tatsachengericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann. Dem Klagebegehren darf jedenfalls nicht mit der Begründung der Erfolg versagt werden, dass neben der Einlassung des Schutzsuchenden keine Beweismittel zur Verfügung stehen. Der Richter ist aus Rechtsgründen schon allgemein nicht daran gehindert, eine Parteibehauptung ohne Beweisaufnahme als wahr anzusehen; das gilt für das Asylverfahren mit seinen typischen Schwierigkeiten, für das individuelle Schicksal des Antragstellers auf andere Beweismittel zurückzugreifen, in besonderem Maße. Einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO wird der Richter hierdurch jedoch nicht enthoben. Das Fehlen von Beweismitteln mag die Meinungsbildung des Tatsachengerichts erschweren, entbindet es aber nicht davon, sich eine feste Überzeugung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu bilden. Dies muss – wenn nicht anders möglich – in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Schutzsuchenden glaubt (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 – 9 C 109/84 –, BVerwGE 71, 180, juris, m. w. N.).

33

bb. Die Prognose in Bezug auf eine bei Rückkehr in den Heimatstaat drohende Verfolgung hat nach Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes – ABl. EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl. EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24 – einheitlich anhand des Maßstabs der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ zu erfolgen (vgl. dazu im einzelnen BVerwG, Urteile vom 1. Juni 2011 – 10 C 25/10 –, BVerwGE 140, 22, und vom 1. März 2012 – 10 C 7/11 –, beide in juris, m. w. N.).

34

(1) Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Beschluss vom 7. Februar 2008 – 10 C 33/07 –, juris, m. w. N.) eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer "quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 Prozent Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert.

35

(2) Von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohender politischer Verfolgung muss das Gericht – wie auch bereits von der Wahrheit des der Prognose zugrunde zu legenden Lebenssachverhalts – die volle richterliche Überzeugung gewonnen haben (BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 – 9 C 109/84 –, BVerwGE 71, 180, juris, m. w. N.).

36

(3) Eine Beweiserleichterung gilt für Vorverfolgte. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder unmittelbar von Verfolgung bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist; etwas anderes soll nur dann gelten, wenn stichhaltige Gründe gegen eine erneute derartige Bedrohung sprechen. Für denjenigen, der bereits Verfolgung erlitten hat, streitet also die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit entlastet, darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Die aus der Vorverfolgung resultierende Vermutung kann allerdings widerlegt werden. Erforderlich ist hierfür, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –, BVerwGE 136, 388, juris, m. w. N.).

37

2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze droht dem Kläger im Falle einer – ungeachtet des ihm mit Bescheid vom 12. April 2016 zuerkannten subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) und des hieraus resultierenden Abschiebungsverbots (§ 60 Abs. 2 AufenthG) – hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr nach Syrien nach Überzeugung des Senats dort nicht beachtlich wahrscheinlich Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.

38

a. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinne des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergäbe, hat der Kläger weder gegenüber dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht.

39

b. Eine begründete Furcht vor Verfolgung ergibt sich auch nicht aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem der Kläger Syrien verlassen hat (sog. Nachfluchtgründe, § 28 Abs. 1a AsylG).

40

aa. Das Verwaltungsgericht hat eine entsprechende Gefährdung ausschließlich unter Hinweis darauf bejaht, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Syrien bereits allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich die Festnahme und damit verbunden die Gefahr von Folter drohe, womit seitens der syrischen Behörden einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachgegangen werde.

41

Damit folgt das Verwaltungsgericht der Rechtsprechung der überwiegenden Zahl der bislang mit dieser Frage befassten Gerichte (vgl. OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, VGH BW, Beschlüsse vom 19. Juni 2013 – A 11 S 927/13 – und vom 29. Oktober 2013 – A 11 S 2046/13 –, HessVGH, Beschluss vom 27. Januar 2014 – 3 A 917/13.Z.A –, sowie eine Vielzahl erstinstanzlicher Entscheidungen, zuletzt etwa VG Köln, Urteil vom 25. Oktober 2016 – 20 K 2890/16.A –, VG Münster, Urteil vom 13. Oktober 2016 – 8 K 2127/16.A –, VG Schleswig, Urteil vom 6. Oktober 2016 – 12 A 651/16 –, m. w. N.; a. A.: in ständiger Rechtsprechung OVG NRW, zuletzt mit Beschlüssen vom 5. September 2010 – 14 A 1802/16.A – und vom 6. Oktober 2016 – 14 A 1852/16.A –, jeweils m. w. N., OVG SH, Urteil vom 23. November 2016 – 3 LB 17/16 –, VG Potsdam, Urteil vom 3. Dezember 2013 – 6 K 3592/13.A –, VG Düsseldorf, Urteil vom 12. Juli 2016 – 5 K 5853/16.A – und vom 11. Oktober 2016 – 2 K 9062/16.A –, alle in juris, sowie BayVGH, Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 ZB 16.30338 u. a. –, Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht).

42

Dem vermag sich der Senat indessen nicht anzuschließen.

43

Zwar trifft es zu, dass mangels Referenzfällen – wegen der eskalierenden Lage finden Abschiebungen bereits seit Jahren nicht mehr statt (vgl. dazu auch die entsprechende Empfehlung des Bundesministeriums des Innern an die Länderinnenverwaltungen vom 28. April 2011, Az. M I 3 – 125 242 SYR/O) – die Prognose, ob im Falle einer hypothetischen Abschiebung nach Syrien dort aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht, notwendigerweise aufgrund einer wertenden Gesamtschau aller Umstände zu erfolgen hat.

44

Demgemäß begründen die eine entsprechende Verfolgungsgefahr bejahenden Gerichte ihre Prognosen jeweils mit einer ganzen Reihe von Einzelfaktoren. Hierzu gehören insbesondere (vgl. exemplarisch etwa OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, juris) die Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungsstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, die umfassende Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, die Eskalation der innenpolitischen Situation seit März 2011 und der Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Beginn des Jahres 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition unterstützen. Auch hiergegen ist systematisch nichts zu erinnern.

45

Der erkennende Senat gelangt allerdings im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände zu einem abweichenden Ergebnis im Hinblick auf die allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt bestehende Verfolgungsgefahr.

46

Bei der Bewertung, ob die im Einzelfall festgestellten Umstände eine die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG rechtfertigende Verfolgungsgefahr begründen, ist rechtlich zwischen zwei Fragestellungen zu unterscheiden, nämlich dem beachtlich wahrscheinlichen Drohen einer Verfolgungshandlung gemäß § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a AsylG als solcher und deren ebenfalls beachtlich wahrscheinlicher Verknüpfung (§ 3a Abs. 3 AsylG) mit Verfolgungsgründen im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG.

47

(1) Danach kann für die hier allein streitgegenständliche Frage der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG letztlich offen bleiben, ob dem Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien dort überhaupt beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgungshandlung i. S. d. § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a AsylG dergestalt droht, einer Befragung unterzogen zu werden, mit der die konkrete Gefahr einer Verhaftung und/oder einer schwerwiegenden Misshandlung bis hin zur Folter und willkürlichen Tötung einhergeht.

48

Zweifel hieran könnten sich im gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats möglicherweise aus dem Umstand ergeben, dass Ende 2015 von den rund 22 Millionen zuvor in Syrien lebenden Menschen bereits rund 4,9 Millionen, mithin knapp ein Viertel der gesamten Bevölkerung, aus dem Land geflohen waren (UNHCR, Global Trends – Forced Displacement in 2015,

49

http://www.unhcr.org/statistics/unhcrstats/576408cd7/unhcr-global-trends-2015.html).

50

Dass es sich hierbei mehrheitlich nicht um Oppositionelle handelt, sondern um Bürgerkriegsflüchtlinge, muss bereits nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch den syrischen Behörden bekannt sein. Dass dem tatsächlich so ist, wird überdies durch eine Äußerung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad Ende 2015 in einem Interview im tschechischen Fernsehen bestätigt, wonach es sich bei der Mehrheit der syrischen Flüchtlinge um „gute Syrer“ handele, es aber „natürlich … eine Unterwanderung durch Terroristen“ gebe

51

(http://www.n-tv.de/politik/Assad-lobt-Putins-Eingreifen-in-Syrien-article16478486.html).

52

In diese Richtung deutet auch eine Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das BAMF zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Syrien vom 3. Februar 2016. Danach liegen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse dazu vor, dass ausschließlich aufgrund des vorangegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erwarten haben. Zwar seien Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien; diese stünden allerdings überwiegend im Zusammenhang mit oppositionellen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten und Menschenrechtsverteidigern) oder im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Wehrdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeiteten.

53

Andererseits ergeben sich bereits aus der zitierten Äußerung des syrischen Präsidenten aber auch deutliche Hinweise darauf, dass die syrischen Sicherheitsbehörden alle Rückkehrer schon deshalb jedenfalls einer eingehenden Befragung unterziehen werden, damit sie einschätzen können, ob Verdachtsmomente für terroristische Aktivitäten – oder möglicherweise auch nur für eine regimegegnerische Haltung des Betroffenen oder für Kenntnisse über oppositionelle Aktivitäten Dritter – gegeben sind. Die mit derartigen Befragungen ausweislich zahlreicher bis zum Jahr 2011 dokumentierter Referenzfälle (vgl. beispielsweise OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 –, und OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2012 – 14 A 2708/10.A –, beide in juris, jeweils m. w. N.) jedenfalls in der Vergangenheit verbunden gewesenen weiteren Risiken einer Verhaftung und/oder von Misshandlungen vom Schweregrad des § 3a AsylG können auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen massenhaften Ausreise jedenfalls nicht hinreichend verlässlich ausgeschlossen werden.

54

Letztlich bedarf diese Frage hier aber keiner abschließenden Klärung, weil eine entsprechende Verfolgungsgefahr jedenfalls nicht aus einem der Verfolgungsgründe des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG gegeben wäre.

55

(2) Die dem Senat vorliegenden Erkenntnisse reichen nicht aus, um seine Überzeugung von einer beachtlich wahrscheinlichen Verknüpfung einer möglicherweise allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt drohenden Verfolgungshandlung mit Verfolgungsgründen im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3a Abs. 3 AsylG zu begründen; weiterreichende taugliche Erkenntnismittel sind weder von den Beteiligten aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich.

56

Eine entsprechende beachtlich wahrscheinliche Gefährdung des Klägers im Sinne des § 3 AsylG würde voraussetzen, dass ihm ein entsprechendes Merkmal von den syrischen Behörden zumindestzugeschrieben wird (§ 3b Abs. 2 AsylG). Dies deckt sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der politisch Verfolgte weder tatsächlich noch nach der Überzeugung des verfolgenden Staates selbst Träger eines verfolgungsverursachenden Merkmals sein müssen, sondern politische Verfolgung auch dann vorliegen kann, wenn der oder die Betroffene lediglich der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits politischer Verfolgung unterliegt (BVerfG, Beschluss vom 22. November 1996 – 2 BvR 1753/96 –, juris).

57

Dafür, dass die syrischen Sicherheitsbehörden in diesem Sinne letztlich jeden Rückkehrer, der Syrien illegal verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich längere Zeit im Ausland aufgehalten hat, ohne weitere Anhaltspunkte der Opposition zurechnen, gibt es keine zureichenden tatsächlichen Erkenntnisse. Im Gegenteil erscheint dies lebensfremd, da angesichts von fast 5 Millionen Flüchtlingen auch dem syrischen Staat – wie bereits dargelegt – bekannt ist, dass der Großteil der Ausgereisten das Land nicht als Ausdruck politischer Gegnerschaft zum Regime, sondern aus Angst vor dem Bürgerkrieg verlassen hat (so auch in ständiger Rechtsprechung OVG NRW, vgl. zuletzt Beschlüsse vom 6. Oktober 2010 – 14 A 1852/16.A – und vom 5. September 2016 – 14 A 1802/16.A – m. w. N., OVG SH, Urteil vom 23. November 2016 – 3 LB 17/16 –, VG Potsdam, Urteil vom 3. Dezember 2013 – 6 K 3592/13.A –, und VG Düsseldorf, Urteil vom 11. Oktober 2016 – 2 K 9062/16-A –, alle in juris).

58

Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisse (a) zur Behandlung von Personen, die bis zum Abschiebestopp im Jahre 2011 nach Syrien abgeschoben worden sind, (b) zur umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, (c) zur Eskalation der innenpolitischen Situation seit März 2011 und (d) zum Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Beginn des Jahres 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.

59

(a) (aa) Das Auswärtige Amt hat in seinem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010 zur Behandlung von Rückkehrern (S. 19 f.) mitgeteilt, dass zurückgeführte Personen bei ihrer Einreise in der Regel zunächst durch die Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt und den Grund ihrer Abschiebung befragt würden. Diese Befragungen könnten sich (zwar) über mehrere Stunden hinziehen, in der Regel werde dann jedoch die Einreise ohne weitere Schwierigkeiten gestattet; in manchen Fällen werde der Betroffene für die folgenden Tage nochmals zum Verhör einbestellt. (Lediglich) in Einzelfällen würden Personen für die Dauer einer Identitätsprüfung durch die Einreisebehörden festgehalten; dies dauere in der Regel nicht länger als zwei Wochen. Im Jahr 2009 seien – bei insgesamt 40 in 2009 und dem ersten Quartal 2010 von Deutschland nach Syrien im Rahmen des Anfang 2009 in Kraft getretenen Rückübernahmeabkommens zurückgeführten Personen – in drei Fällen Inhaftierungen unmittelbar bzw. kurz nach der Rückführung bekanntgeworden. In einem Fall könne bestätigt werden, dass eine Inhaftierung über die übliche Befragung durch syrische Behörden nach der Ankunft hinausgegangen sei. Der Betroffene sei unter dem Vorwurf verhaftet worden, in Deutschland Asyl beantragt und „im Ausland bewusst falsche Nachrichten verbreitet zu haben, die das Ansehen des Staates herabzusetzen geeignet sind“. Später sei der auf Kaution freigelassene und sodann ausgereiste Mann in Abwesenheit wegen „Verbreitung bewusst falscher Tatsachen im Ausland, die das Ansehen des Staates herabzusetzen geeignet sind“ zu einer Haftstrafe von 4 Monaten sowie einer Geldstrafe von 80 SYP (1,17 €) verurteilt worden. Eigenen – nicht verifizierbaren – Angaben zufolge sei der Betroffene während seiner Haft durch syrische Behördenmitarbeiter körperlich misshandelt worden.

60

Für die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass dem Kläger im Falle der Rückkehr nach Syrien bereits allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich aufgrund einer von den syrischen Behörden vermuteten regimefeindlichen Einstellung die Festnahme und Folter drohe, kann den Feststellungen des Lageberichts letztlich nichts entnommen werden.

61

Fraglich erscheint bereits, ob für die im Rahmen der Verfolgungsprognose hypothetisch zu unterstellende Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat überhaupt von einer Abschiebung auszugehen ist. In diesem Fall müsste der Betroffene ja – um überhaupt abgeschoben werden zu können – nach bestandskräftigem Abschluss des Erstverfahrens zur Ausreise verpflichtet sein. Dann aber stellte sich die Frage, ob eine durch den Umstand, dass der Schutzsuchende nicht dieser rechtlichen Verpflichtung folgend freiwillig ausreist, sondern es auf eine Abschiebung ankommen lässt, bewirkte Gefahrerhöhung nicht entsprechend den Grundsätzen für missbräuchlich geschaffene Nachfluchtgründe (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2008 – 10 C 27/07 –, BVerwGE 133, 31, juris) im Rahmen des § 3 AsylG außer Betracht zu bleiben hat. Letztlich kann dies allerdings dahinstehen, da sich aus dem o. a. Lagebericht auch für den hypothetisch unterstellten Fall einer Abschiebung nach Syrien keine zureichenden Anhaltspunkte für eine beachtlich wahrscheinlich drohende politische Verfolgung Gefährdung ergeben.

62

Auf der Grundlage einer Gesamtzahl von rund 40 zurückgeführten Personen wird von insgesamt drei Inhaftierungen berichtet. Da nach dem Lagebericht derartige Inhaftierungen zum Zweck einer Identitätsprüfung durch die Einreisebehörden erfolgen können, und in einem der drei berichteten Fälle eine Anklage und Verurteilung wegen Verbreitung falscher, das Ansehen des Staates herabsetzenden Aussagen erfolgt ist, ergibt sich hieraus letztlich bereits keine beachtlich wahrscheinliche Gefährdung von Personen, die derartige Äußerungen im Ausland jedenfalls nicht bekanntermaßen, insbesondere im Rahmen ihrer Asylantragstellung, getätigt haben, überhaupt mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 3 i. V. m. § 3a AsylG überzogen zu werden. Dies gilt umso mehr, als Rückkehrer aus der Bundesrepublik Deutschland, die – wie der Kläger – ihr Asylbegehren nicht mit einer Verfolgung durch den syrischen Staat, sondern lediglich mit dem in Syrien herrschenden Bürgerkrieg und dessen Folgen begründet haben, dies auch noch zusätzlich durch Vorlage der Anhörungsniederschrift sowie des Bescheides des Bundesamtes und ggfls. der hierauf ergangenen verwaltungsgerichtlichen Urteile belegen können.

63

Erst recht lassen sich dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27. September 2010 keine Hinweise auf die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Verfolgung aus einem der in § 3 AsylG genannten Verfolgungsgründe entnehmen.

64

(bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt seinem Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 147/12 – zugrunde gelegten Dokumentationen von amnesty international „Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012

65

(https://www.amnesty.de/downloads/download-menschenrechtskrise-syrien-erfordert-abschiebungsstopp)

66

und des kurdischen Informationsdienstes KURDWATCH

67

(http://www.kurdwatch.org/?cid=1&z=en)

68

betreffend die Festnahme von Rückkehrern in insgesamt 9 Fällen im Zeitraum von Juni 2009 bis zum 13. April 2011. In jedem dieser Fälle bestehen nämlich besondere Einzelfallumstände, die als eigenständige Erklärung für die Verhaftung bei der Rückkehr nach Syrien dienen können. In einem Fall war der Betroffene bereits 2005 in Syrien in Haft gewesen. In einem anderen Fall – wohl dem, über den auch bereits das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht vom 27. September 2010 berichtet hat – wurden dem Asylbewerber offenbar konkrete Angaben bei seiner Anhörung durch das Bundesamt vorgehalten. Die weiteren Festnahmen erklären sich durch das Engagement als stellvertretender Direktor eines Vereins syrischer Kurden, der auf die Situation der Kurden in Syrien aufmerksam macht, eine den syrischen Behörden bekannt gewordene Straffälligkeit wegen Diebstahls in Deutschland, falsche Altersangaben im Pass und diverse exilpolitische Aktivitäten wie die Teilnahme an Hungerstreiks und das Berichten hierüber.

69

(cc) Ganz abgesehen davon wäre aber auch selbst eine – nach der Überzeugung des Senats nicht gegebene – beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung in Bezug auf bis zum Jahre 2011 nach Syrien abgeschobene abgelehnte Asylbewerber nur ein schwaches Indiz für eine entsprechende Gefährdung bei heutiger fiktiver Rückkehr allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt.

70

Bis 2011 gibt es keine Hinweise auf eine größere Anzahl von Flüchtlingen aus Syrien, die im Ausland um politisches Asyl nachgesucht haben; im Gegenteil war Syrien Ende des Jahres 2011 mit 755.400 aufgenommenen Flüchtlingen hinter Pakistan und dem Iran und noch vor der Bundesrepublik Deutschland das drittstärkste Aufnahmeland weltweit (UNHCR, Global Trends 2011 – A Year of Crises,

71

http://www.unhcr.org/statistics/country/4fd6f87f9/unhcr-global-trends-2011.html).

72

Angesichts des Nichtvorliegens von Gründen für eine massenhafte Flucht aus Syrien bis dahin mag es für die syrischen Sicherheitsbehörden damals nach der Lebenserfahrung nahegelegen haben, unter denjenigen, welche gleichwohl im Ausland Asyl beantragt hatten, einen beachtlichen Prozentsatz an dem syrischen System kritisch oder sogar feindlich gegenüber stehenden Personen zu vermuten. Diese Vermutung rechtfertigt sich indessen nicht mehr, nachdem zeitlich zusammentreffend mit der ab Januar 2012 eskalierenden Gewaltanwendung in Syrien (siehe dazu näher Auswärtiges Amt, Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 17. September 2012) im Verlauf von 4 Jahren rund 5 Millionen Menschen aus Syrien geflohen sind; vgl. UNHCR, Global Trends 2012 – Displacement, The New 21st Century Challenge, Global Trends 2013 – Wars’s Human Cost, Global Trends 2014 – World at War, und Global Trends 2015 – Forced Displacement in 2015,

73

http://www.unhcr.org/statistics/country/51bacb0f9/unhcr-global-trends-2012.html,

74

http://www.unhcr.org/statistics/country/5399a14f9/unhcr-global-trends-2013.html,

75

http://www.unhcr.org/statistics/country/556725e69/unhcr-global-trends-2014.html

76

http://www.unhcr.org/statistics/unhcrstats/576408cd7/unhcr-global-trends-2015.html).

77

Dass es sich bei den Geflohenen größtenteils nicht um Oppositionelle handelt, sondern um Bürgerkriegsflüchtlinge, ist – wie bereits eingangs dargelegt – auch den syrischen Behörden bekannt.

78

(dd) Erheblich lebensnäher als die Annahme, dass die syrischen Behörden allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt generell das Vorhandensein einer gegen das derzeitige politische System gerichteten Einstellung vermuten und aufgrund dessen gegen den Betroffenen vorgesehen, erscheint es nach alledem, dass mittels der scharfen Einreisekontrollen mit den zurückkehrenden Flüchtlingen ins Land einsickernde Terroristen und Regimegegner aus der Masse der Flüchtlinge herausgefiltert werden sollen. Möglicherweise mag es auch darum gehen, im Einzelfall vorhandene Wahrnehmungen oder Kenntnisse die Tätigkeit der Exilopposition betreffend „abzuschöpfen“, wobei jedoch auch insoweit angesichts von Millionen im Ausland lebender Flüchtlinge nicht davon ausgegangen werden kann, dass die syrischen Sicherheitsbehörden bei jedem oder auch nur bei einer großen Zahl von Rückkehrern derartiges Wissen vermuten.

79

Insgesamt kann sonach nicht festgestellt werden, dass die Gefahr, bei einer fiktiven Rückkehr nach Syrien festgenommen und unter Anwendung von Folter verhört zu werden, an dem Betroffenen vom syrischen Staat zumindest im Sinne des § 3b Abs. 2 AsylG zugeschriebene Merkmale nach den §§ 3 Abs. 1, 3b Abs.1 AsylG anknüpfen würde. Dafür, dass der syrische Staat bei heutiger Rückkehr in unpolitischen erfolglosen Asylbewerbern mehr sehen würde, als bloß potentielle Gegner und bloß potentielle Informationsquellen zur Exilszene, auf die er sodann möglicherweise wahllos-routinemäßig zugreift, um unter Umständen Hinweise auf Terroristen oder Oppositionelle zu gewinnen, lässt sich jedenfalls aus den Erkenntnissen zur Behandlung von Personen, die bis 2011 nach Syrien abgeschoben worden sind, nichts herleiten.

80

(ee) Eine andere Bewertung insoweit legen schließlich auch nicht Berichte jüngeren Datums über die Behandlung von Rückkehrern aus nichteuropäischen Ländern nahe.

81

So führt das US State Department in seinem Menschenrechtsbericht vom 13. April 2016

82

(http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm)

83

unter Section 2d zum Thema „Emigration and Repatriation“ zwar aus, dass Personen, welche erfolglos in anderen Ländern um Asyl nachgesucht hätten, strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt seien

84

(„On their return to the country, both persons who unsuccessfully sought asylum in other countries and those who had previous connections with the Syrian Muslim Brotherhood faced prosecution.“),

85

erläutert dies jedoch im Folgesatz dahingehend, dass das Gesetz die Verfolgung von Personen vorsehe, welche im Ausland Schutz gesucht hätten, um sich einer Strafe in Syrien zu entziehen

86

(„The law provides for the prosecution of any person who attempts to seek refuge in another country to evade penalty in Syria.“).

87

Für das Vorliegen eines derartigen Falles bestehen hier keinerlei Anhaltspunkte.

88

Des Weiteren heißt es im Bericht des State Departments, dass die syrischen Behörden routinemäßig Dissidenten und ehemalige Bürger ohne bekannte politische Zugehörigkeit verhaftet hätten, welche nach Jahren oder gar Jahrzehnten selbstauferlegten Exils nach Syrien zurückgekehrt seien

89

(„The government routinely arrested dissidents and former citizens with no known political affiliation who attempted to return to the country after years or even decades of self-imposed exile.“).

90

Insoweit ist dem Bericht indessen bereits nichts dazu entnehmen, ob es sich nach der Dauer der Festnahme und den Umständen der Vernehmung um eine Verfolgungsmaßnahme im Sinne des §§ 3 und 3a AsylG gehandelt hat. Unabhängig davon lässt sich aber auch jedenfalls in Bezug auf die Personen ohne bekannten politischen Hintergrund kein Verfolgungsgrund nach § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG feststellen, da die Festnahme dem Bericht zufolge im bereits umschriebenen Sinne wahllos-routinemäßig („routinely“) erfolgt.

91

Das Immigration and Refugee Board of Canada verweist in seinem Jahresbericht Syrien 2015 vom 19. Januar 2016 (Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion [2014-December 2015],

92

http://www.ecoi.net/local_link/320204/445626_en.html),

93

unter Ziffer 3 „Treatment of Failed Refugee Claimants“ auf einen Fernsehbericht von ABC vom 1. Oktober 2015, dem zufolge ein aus Australien zurückkehrender Asylbewerber nach eigenen Angaben 20 Tage lang festgehalten und durch Schläge misshandelt worden sei. Man habe ihm vorgehalten, aus der Provinz Daara, in der der Bürgerkrieg begonnen habe, zu stammen, und – unter Hinweis auf einen von ihm mitgeführten Geldbetrag – ein Finanzier der Revolution zu sein. Über weitergehende und bestätigende Informationen zu diesem Fall verfüge man nicht. Die dieser Berichterstattung zufolge gegen den Rückkehrer erhobenen Vorwürfe gehen indessen über den bloßen Umstand der illegalen Ausreise und erfolglosen Asylantragstellung im Ausland hinaus.

94

Im Weiteren enthält der Jahresbericht sodann zwar Einschätzungen verschiedener namentlich nicht genannter Personen, u. a. eines emeritierten Professors für Anthropologie und Vertreibung der Universität Oxford und eines „Executive Director of the Syria Justice and Accountability Center“, denen zufolge zurückkehrende erfolglose Asylbewerber mit Festnahme und Haft sowie mit Folter zu rechnen hätten, um den Grund für ihre Ausreise zu erfahren oder Informationen über andere Asylbewerber oder die Opposition erlangen. Konkrete Tatsachen, aus denen diese Einschätzungen abgeleitet werden könnten, werden indessen nicht genannt. Damit fehlte es insoweit selbst dann, wenn man diese Einschätzungen ohne nähere Überprüfung als zutreffend unterstellen wollte, jedenfalls an einem zureichenden Beleg für die Annahme, dass die drohenden Übergriffe regelmäßig durch einen den Betroffenen seitens der syrischen Behörden zumindest zugeschriebenen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3 AsylG motiviert wären und nicht bloß ein wahllos-routinemäßiges „Fischen“ nach möglicherweise verwertbaren Informationen über regimegegnerische Bestrebungen darstellten, wofür wie bereits ausgeführt die Lebenserfahrung spricht.

95

(b) Tragfähige Anhaltspunkte für eine im Fall der Abschiebung nach Syrien dort allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandsaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich drohende politische Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG ergeben sich auch nicht aus den vorliegenden Erkenntnissen zurumfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die syrischen Geheimdienste.

96

(aa) Zur Intensität und Zielrichtung der Beobachtung führt das Bundesministerium des Innern im Verfassungsschutzbericht 2015

97

(https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen/verfassungsschutzberichte/vsbericht-2015)

98

auf Seite 263 f. aus:

99

„Die syrischen Nachrichtendienste verfügen ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen. Ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen sowohl islamistische und islamistisch-terroristische Gruppierungen als auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen.

100

Bei anhaltenden unkontrollierten Einreisen syrischer Staatsangehöriger in die EU ist auch mit weiteren Ausforschungsaktivitäten syrischer Nachrichtendienste zu rechnen.“

101

(bb) Ausweislich des Verfassungsschutzberichts 2015 (Seite 82) des rheinland-pfälzischen Ministeriums des Innern und für Sport

102

(https://mdi.rlp.de/fileadmin/isim/Unsere_Themen/Sicherheit/Verfassungsschutz/Dokumente/Verfassungsschutzb_2015_komp_web_neu.pdf)

103

„forcieren“ die Geheimdienste aus den Staaten des Nahen Ostens und aus Nordafrika „ihre Aktivitäten gegen Regimegegner und Oppositionelle in der Bundesrepublik Deutschland“.

104

(cc) Das sächsische Staatsministerium des Innern stellt in seinem Verfassungsschutzbericht 2015

105

(http://www.verfassungsschutz.sachsen.de/download/VSB_2015_INTERNET_05_25.pdf)

106

auf Seite 236 fest:

107

„Arabische und nordafrikanische Nachrichtendienste führen in Deutschland in erster Linie Maßnahmen gegen hier lebende Oppositionelle aus ihren Heimatländern durch. Die politischen Veränderungen der letzten Jahre im arabischen und nordafrikanischen Raum haben daran nichts geändert. Damit dürften die in Sachsen lebenden Einwanderer und Flüchtlinge aus den einschlägigen Krisenregionen nach wie vor als Ziel der jeweiligen Nachrichtendienste gelten, insbesondere, wenn sie sich oppositionell betätigt haben.

108

Insbesondere die syrischen Nachrichtendienste dürften starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg haben. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden.“

109

110

(dd) Im Verfassungsschutzbericht 2015 des hamburgischen Landesamtes für Verfassungsschutz

111

(http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/6306408/2016-06-13-bis-pm-verfassungsschutzbericht-2015/)

112

heißt es auf Seite 215:

113

„Verschiedene Nachrichtendienste des Mittleren und Nahen Ostens sowie Afrikas sind in Deutschland und zum Teil auch in Hamburg aktiv. Ein besonderes Interesse haben diese Dienste an oppositionellen Gruppierungen, die als Bedrohung für das eigene Regime angesehen werden. Ein weiterer Schwerpunkt war der Bereich der Proliferation ...

114

...

115

Die Nachrichtendienste dieser und weiterer Länder versuchen zudem die jeweiligen Oppositionsgruppen zu überwachen. Dazu werden beispielsweise Hinweisgeber gewonnen oder Informanten in die Gruppen eingeschleust.“

116

(ee) Der Bericht 2015 „Verfassungsschutz in Hessen“ des dortigen Ministeriums des Innern und für Sport

117

(https://lfv.hessen.de/sites/lfv.hessen.de/files/content-downloads/LfV_Bericht-2015final_screen.pdf)

118

stellt auf Seite 162 zu Flüchtlingen aus Syrien fest:

119

„Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Nachrichtendienste dieser Länder nach wie vor existent sind. Daher gilt für die in Deutschland ankommenden Flüchtlinge: Wer sich im Heimatland gegen das Regime engagierte, gerät eventuell auch in Deutschland in das Visier fremder Nachrichtendienste. Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat können ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert sind, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.“

120

(ff) Die nachrichtendienstlichen Aktivitäten richten sich mithin nach übereinstimmender Einschätzung der genannten Dienste in erster Linie gegen Regimegegner und Oppositionelle bzw. Gruppierungen von solchen.

121

Von einer systematischen Beobachtung aller in Deutschland lebenden Syrer ist auch nicht nur andeutungsweise die Rede; angesichts der hohen Flüchtlingszahlen in den letzten Jahren, insbesondere im Jahr 2015, erscheint eine solche auch bereits rein faktisch gar nicht möglich. Soweit eben aus diesem Umstand gefolgert wird, dass Personen, die illegal aus Syrien ausgereist sind, sich längere Zeit im westlichen Ausland aufgehalten und dort um internationalen Schutz nachgesucht haben, seitens der syrischen Behörden allein schon aufgrund deren lückenhafter Erkenntnislage mit hoher Wahrscheinlichkeit verdachtsunabhängig Befragungen und Inhaftierungen unterzogen würden, um die Motive der Ausreise und etwaigen Verbindungen zu oppositionellen Gruppierungen in Erfahrung zu bringen (VG Trier, Urteil vom 7. Oktober 2016 – 1 K 5093/16.TR –, juris), vermag dies den Senat zumindest nicht von einer beachtlich wahrscheinlich drohenden Gefahr politischer Verfolgung zu überzeugen. Ob eine derartige Befragung oder Inhaftierung angesichts der zwischenzeitlichen massenhaften Flucht der syrischen Bevölkerung vor dem Bürgerkrieg überhaupt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, kann dabei dahinstehen. Wie bereits ausgeführt wäre eine entsprechende Verfolgungsgefahr jedenfalls nicht aus einem der Verfolgungsgründe des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b AsylG gegeben, sondern mangels zureichender anderer Erkenntnisse als bloßer wahllos-routinemäßiger Zugriff aufpotentielle Gegner und bloß potentielle Informationsquellen zur Exilszene zu werten, mit dem möglicherweise einen konkreten Verdacht begründende Hinweise, aufgrund derer sodann eine „Zuschreibung“ von Merkmalen im Sinne des § 3b Abs. 2 AsylG erfolgen könnte, erst gewonnen werden sollen.

122

(c) Überzeugende Anhaltspunkte für eine erfolglosen Asylbewerbern bei ihrer Rückkehr nach Syrien allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und eines längeren Auslandaufenthaltes beachtlich wahrscheinlich drohenden politische Verfolgung ergeben sich auch nicht aus der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 bis hin zum offenen Bürgerkrieg (vgl. zur Entwicklung der innenpolitischen Situation umfänglich OVG S-A, Urteil vom 18. Juli 2012 – 3 L 12 –, juris, Rn. 45 bis 76 ).

123

Aus dem Umstand, dass der syrische Staat als eine der in den Bürgerkrieg involvierten Parteien mit brutaler Härte gegen seine tatsächlichen und scheinbaren Gegner im Landesinnern vorgeht und dabei offensichtlich – etwa beim Einsatz von tausenden von Fassbomben über Oppositionsgebieten seit dem Jahr 2012 – Opfer unter der Zivilbevölkerung zumindest billigend in Kauf nimmt (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das BAMF zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Syrien vom 3. Februar 2016), lassen sich keine zwingenden Schlüsse auf ein beachtlich wahrscheinlich drohendes politisch motiviertes Vorgehen im Sinne des § 3 AsylG gegen aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrende Bürgerkriegsflüchtlinge ziehen.

124

Gegen eine quasi routinemäßige Einstufung dieser Personengruppe als aus der Sicht des Regimes zu bekämpfende mutmaßliche Regimegegner oder Oppositionelle spricht bereits nach der Lebenserfahrung der – wie dargelegt auch den syrischen Machthabern geläufige – Gesichtspunkt, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg außer Landes geflohen sind, regelmäßig keine Bedrohung des in Syrien zeitweilig um sein politisches und physisches Überleben kämpfenden Regimes darstellen, sondern aus Angst um ihr Leben und ihre Gesundheit dem Konflikt gerade aus dem Weg gegangen sind. Bereits von daher ist auch die teilweise (VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 – RO 11 K 16.30707 –, und VG Stuttgart, Urteil vom 15. März 2013 – A 7 K 2987/12 –, beide in juris) vertretene Auffassung, dass der syrische Staat Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit einer von außen organisierten und finanzierten Verschwörung gegen das Land zurechnen werde, letztlich nicht mehr als eine bloße Mutmaßung.

125

(d) Des Weiteren ergeben sich auch aus den Erkenntnissen zum Umgang der syrischen Behörden mit Personen in Syrien, insbesondere seit Anfang 2012, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen, keine tragfähigen Anhaltspunkte für die Annahme einer bei Rückkehr nach Syrien allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und einem längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich drohenden politischen Verfolgung.

126

Das Auswärtige Amt beschreibt bereits in seinem Ad hoc-Bericht vom 17. Februar 2012 eine massive Unterdrückung der syrischen Oppositionsgruppen, die sich für eine Abschaffung des von Staatspräsident Assad geführten Baath-Regimes einsetzen. Seit März habe es eine präzedenzlose Verhaftungswelle gegeben, mit der das Regime gegen die Protestbewegung vorgehe. Die Risiken politischer Oppositionstätigkeit beschränkten sich nicht auf eine mögliche strafrechtliche Verfolgung. Es seien vielmehr zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“, tätlichen Angriffen, Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitskräfte und Mordanschlägen belegt.

127

Diese Umstände haben sich offensichtlich bis in das Jahr 2016 hinein nicht geändert.

128

Die Menschenrechtsorganisation amnesty international geht auch in ihrem Bericht „It breaks the human – torture, disease and death in Syria's prisons“ vom 18. August 2016

129

(https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/),

130

Ziffer 4.2: „Profiles of people targeted“, davon aus, dass für jedermann, der als oppositionell wahrgenommen werden könnte, die Gefahr bestehe, willkürlich inhaftiert oder „verschwinden gelassen“ zu werden und in der Haft Folter, andere Misshandlung und möglicherweise auch den Tod zu erleiden. Die Gründe hierfür variierten und könnten auch friedlichen Aktivismus wie die Tätigkeit als Menschenrechtsverteidiger, Journalist oder sonstiger Medienschaffender, die Versorgung der notleidenden Zivilbevölkerung mit humanitärer oder medizinischer Hilfe und die Organisation und Teilnahme an Pro-Reform-Demonstrationen umfassen. Zur Verhaftung könne auch bereits führen, dass ein Verwandter von den Sicherheitskräften gesucht oder man durch einen Denunzianten gemeldet werde – einschließlich von Meldungen, welche durch finanziellen Profit oder persönlichen Groll motiviert seien.

131

Indessen lässt auch der Umstand, dass die syrische Regierung im Inland tatsächliche und vermeintliche Regimegegner und Oppositionelle massiv und in menschenrechtswidriger Weise unterdrückt, keinen hinreichend tragfähigen Schluss auf eine beachtlich wahrscheinliche politische Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG von aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrenden Bürgerkriegsflüchtlingen allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und einem längeren Auslandsaufenthalt zu.

132

Insoweit spricht nämlich – wie bereits hinsichtlich der Eskalation der innenpolitischen Situation bis hin zum Bürgerkrieg festgestellt – ebenfalls die Lebenserfahrung dafür, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg in das Ausland geflohen sind, auch in den Augen der syrischen Machthaber in aller Regel keine Bedrohung des Regimes darstellen, sondern dem Konflikt vielmehr gerade aus dem Weg gegangen sind.

133

bb. Dem Kläger droht im Falle seiner unterstellten Rückkehr nach Syrien auch nicht aus sonstigen Gründen beachtlich wahrscheinlich eine Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

134

(1) Dies gilt zum einen in Bezug auf eine mögliche Wehrdienstentziehung, welche der 1993 geborene Kläger – ebenso wie sein Bruder – begangen haben könnte, indem er Syrien ohne die für alle männlichen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis 42 Jahren erforderliche Ausreisegenehmigung (vgl. hierzu Auskunft des Deutschen Orient-Institutes an das OVG Schleswig-Holstein vom 8. November 2016 – 3 LB 17/16 –) verlassen hat.

135

(a) In Syrien besteht für männliche Staatsangehörige eine Militärdienstpflicht. Die Registrierung für den Militärdienst erfolgt im Alter von 18 Jahren; die Wehrpflicht dauert bis zum Alter von 42 Jahren (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, vom 30. Juli 2014, Seite 1,

136

https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/syrien-rekrutierung-durch-die-syrische-armee.pdf).

137

Die Möglichkeit eines Ersatzdienstes besteht nicht. Wehrdienstverweigerung wird nach dem Military Penal Code geahndet. Nach Artikel 68 wird mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft, wer sich der Einberufung entzieht. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlässt und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion sieht Artikel 101 fünf Jahre Haft vor bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre; Desertion im Angesicht des Feindes wird gemäß Artikel 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, vom 30. Juli 2014, a. a. O., Seite 3)

138

(b) Danach bestünde für den Kläger im Falle einer Rückkehr nach Syrien zwar die Gefahr, wegen Wehrdienstentziehung bestraft und zwangsweise von der syrischen Armee eingezogen zu werden. Dabei könnte es sich – was hier letztlich keiner abschließenden Klärung bedarf – angesichts dessen, dass der Militärdienst in der syrischen Armee möglicherweise Verbrechen oder Handlungen im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG umfassen würde, auch um eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG handeln.

139

Es bestehen jedoch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die dem Kläger drohenden Maßnahmen aus einem der in § 3 AsylG genannten Gründe – konkret: wegen einer als der Wehrdienstentziehung zugrunde liegend vermuteten politischen Opposition zum Regime – ergehen würden.

140

Was die drohende Heranziehung zum Wehrdienst angeht, fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten für eine entsprechende Selektion anhand der in § 3 AsylG genannten Kriterien; vielmehr rekrutiert die syrische Armee prinzipiell alle Männer unabhängig vom ethnischen und religiösen Hintergrund (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, Seite 2,

141

https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150328-syr-mobilisierung.pdf).

142

Eine mögliche Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung kann zwar vom Grundsatz her auch politische Verfolgung sein, da es für den Flüchtlingsschutz nicht allein darauf ankommen kann, mit welchen Mitteln der Staat vorgeht, sondern vielmehr entscheidend ist, welches Ziel hinter seinen Maßnahmen steht (BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1983 – 9 C 36/83 –, BVerwGE 67, 184, juris). Von einer derartigen politischen Motiviertheit wäre dann auszugehen, wenn dem Kläger wegen seiner Wehrdienstentziehung in Syrien beachtlich wahrscheinlich eine an seine politische Überzeugung anknüpfende härtere Bestrafung als sonst üblich – ein sogenannter Politmalus (BVerfG, Beschluss vom 29. April 2009 – 2 BvR 78/08 –, juris, m. w. N.) – drohen würde. Hierfür liegen indessen keine zureichenden Anhaltspunkte vor.

143

Das syrische Regime hat bereits seit Beginn des Bürgerkrieges die Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten intensiviert. Seit Herbst 2014 kommt es angesichts einer erheblichen Dezimierung der syrischen Armee durch Desertion und Verluste in großem Umfang zur Mobilisierung von Reservisten sowie zur Verhaftung von Deserteuren und Männern, die sich bislang dem Wehrdienst entzogen haben (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, a. a. O., Seite 1 ff.; Washington Post, Desperate for soldiers, Assad’s government imposes harsh recruitment measures, 28. Dezember 2014,

144

www.washingtonpost.com/world/middle_east/desperate-forsoldiers-assads-government-imposes-harsh-recruitment-measures/2014/12/28/62f99194-6d1d-4bd6-a862-b3ab46c6b33b_story.html.

145

vgl. auch etwa – zur Verweigerung der Entlassung in der Armee dienender Wehrpflichtiger – ntv: „Verlangen unsere Entlassung“ – In Assads Armee wächst der Unmut, vom 24. November 2015,

146

http://www.n-tv.de/politik/In-Assads-Armee-waechst-der-Unmut-article16418356.html).

147

Deserteure und Personen, die sich dem Militärdienst entzogen haben, werden inhaftiert und verurteilt. In der Haft kommt es zu Folter, und Menschenrechtsorganisationen berichten über Exekutionen von Deserteuren. Einige der Verhafteten werden vom Militärgericht zu Haftstrafen verurteilt, bevor sie eingezogen werden, andere werden verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt (Schweizer Flüchtlingshilfe, Mobilisierung in die syrische Armee, vom 28. März 2015, a. a. O., Seite 1 ff.).

148

Im Juli 2015 hat der syrische Staatspräsident Assad als weitere Maßnahme zur personellen Verstärkung der syrischen Armee eine Generalamnestie für Deserteure und Wehrdienstverweigerer erlassen. Ins Ausland geflohene Soldaten hatten sich dazu binnen zwei Monaten bei den Behörden zu melden, Deserteure, die sich in Syrien aufhalten, innerhalb eines Monats. Eine Frist für Wehrdienstverweigerer wurde nicht genannt (Zeit online vom 26. Juli 2015: Assad gehen die Soldaten aus,

149

http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-07/syrien-baschar-al-assad-buergerkrieg-armee-unterstuetzung).

150

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände bestehen letztlich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass Personen, die sich während des Bürgerkrieges dem Wehrdienst entweder in Syrien selbst oder durch Flucht ins Ausland entzogen haben, bei ihrer Ergreifung allein aufgrund dieser Wehrdienstentziehung beachtlich wahrscheinlich eine regimegegnerische Haltung unterstellt würde und sie aus diesem Grunde eine über die gesetzlich vorgesehene Bestrafung für Wehrdienstentzug hinausgehende Verfolgung zu befürchten hätten.

151

Die üblicherweise drohende Verhaftung als solche bewegt sich im Rahmen der nach dem Military Penal Code vorgesehenen Strafandrohung.

152

Dass es in der Haft der Berichterstattung der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 28. März 2015 zufolge auch zu Folter kommt, stellt zwar für die hiervon Betroffenen eine Verfolgungsmaßnahme im Sinne des § 3 AsylG dar. Es fehlt jedoch an zureichenden Anhaltspunkten dafür, dass diese wegen eines der in § 3 AsylG genannten Merkmale – konkret: der politischen Überzeugung des Betroffenen –erfolgt. Zwar kann es sich bereits bei der Folter als solcher um ein Indiz für den politischen Charakter der Maßnahme handeln. Allerdings bedarf es insoweit regelmäßig der Heranziehung weiterer objektiver Kriterien, die einen Rückschluss auf die subjektive Verfolgungsmotivation gestatten. Derartige objektive Kriterien sind vor allem die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Heimatstaat des Betroffenen, insbesondere die Eigenart des Staats, sein möglicherweise totalitärer Charakter, die Radikalität seiner Ziele und die zu seiner Verwirklichung eingesetzten Mittel, das Maß an geforderter und durchgesetzter Unterwerfung des einzelnen und die Behandlung von Minderheiten. Maßgeblich ist stets, ob der Staat seine Bürger in den genannten persönlichen Merkmalen zu disziplinieren, sie ihretwegen niederzuhalten oder im schlimmsten Fall zu vernichten sucht oder ob er lediglich seine Herrschaftsstruktur aufrechterhalten will und dabei die Überzeugungen seiner Staatsbürger unbehelligt lässt. Die Lasten und Beschränkungen, die ein autoritäres System seiner Bevölkerung auferlegt, vermögen für sich allein eine politische Verfolgung nicht zu begründen (vgl. zum Ganzen Urteil vom 17. Mai 1983 – 9 C 36/83 –, BVerwGE 67, 195 m. w. N.).

153

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist vorliegend nichts hinreichendes dafür ersichtlich, dass die berichtete Folter im Falle der Wehrdienstentziehung – welche für sich genommen bereits zu einer Schutzberechtigung gemäß § 4 AsylG führt – gerade aus einem der besonderen Gründe des § 3 AsylG geschähe.

154

Syrien verfügt zwar über eine formal rechtsstaatliche Verfassung, ist aber aufgrund des seit 1963 bestehenden Ausnahmezustandes in der Praxis bereits seit Jahrzehnten ein von Sicherheitsapparaten und Militär geprägtes autoritäres Regime. Die Sicherheitsdienste waren schon vor Beginn der Unruhen im Jahre 2011 und des nachfolgenden Bürgerkrieges weder parlamentarischen noch gerichtlichen Kontrollmechanismen unterworfen und verantwortlich für willkürliche Verhaftungen, Folter und Isolationshaft. Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste wenden systematisch Gewalt an. Möglichkeiten einer effektiven strafrechtlichen Verfolgung von Folter und anderen kriminellen Handlungen durch Sicherheitskräfte bestehen nicht; Personen, die sich über die Behandlung durch Sicherheitskräfte beschweren, laufen vielmehr Gefahr, dafür strafrechtlich belangt zu werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27. September 2010). Angesichts der sonach in Syrien generell herrschenden Brutalität und Willkür von Sicherheits- und Justizvollzugsorganen stellt die Anwendung von Folter als solche jedenfalls kein gewichtiges Indiz für die politische Motiviertheit einer Verfolgung wegen Wehrdienstentziehung dar.

155

Die Fälle von Exekutionen während der Haft, über die die Schweizer Flüchtlingshilfe (a. a. O.) berichtet, beziehen sich auf Deserteure. In Bezug auf diesen Personenkreis handelt es sich durchaus um einen deutlichen Anhaltspunkt für eine über die bloße Strafverfolgung hinausgehende Gerichtetheit. Für diejenigen, die sich lediglich einer Einberufung entzogen haben – wofür ja auch bereits das Gesetz eine wesentliche mildere Strafe als für Desertion vorsieht – ergibt sich insoweit hingegen ebenfalls kein gewichtiges Indiz für einen Politmalus.

156

Gegen die beachtliche Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung im Falle bloßer Wehrdienstentziehung spricht überdies das erhebliche Mobilisierungsinteresse der syrischen Armee. Bei insgesamt fast 5 Millionen Flüchtlingen, die Syrien verlassen haben, dürften sich angesichts des hohen Anteils von Männern im Allgemeinen und jungen Männern im Besonderen (FAZ net, Das sind Deutschlands Flüchtlinge, vom 21. Oktober 2015

157

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/deutschlands-fluechtlinge-in-grafiken-13867210.html)

158

bereits nach der Lebenserfahrung Hunderttausende junger Männer befinden, die noch nicht einberufen worden sind. Jedenfalls hinsichtlich dieses Personenkreises dürfte es dem syrischen Staat vor allem darum gehen, die Betroffenen schnellstmöglich seiner notleidenden Armee zuzuführen. In diese Richtung deutet bereits der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 28. März 2015 (a. a. O.), wonach zwar einige der Verhafteten zu Haftstrafen verurteilt und dann eingezogen, andere indessen lediglich verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt werden. Hinzu kommt die im Juli 2015 erlassene Generalamnestie, welche über Wehrdienstverweigerer hinaus sogar auch Deserteure erfasst hat.

159

Im Übrigen ist den syrischen Machthabern, wie schon dargelegt, bekannt, dass die Flucht aus Syrien – und damit auch die Flucht vor der Einberufung durch die Armee – in aller Regel nicht durch politische Gegnerschaft zum syrischen Staat motiviert ist, sondern durch Angst vor dem Krieg.

160

(2) Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Klägers aus einem der Gründe des § 3 AsylG ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass er eigenen Angaben zufolge vor seiner Ausreise in derProvinz Homs gelebt hat.

161

Zwar erfasst der UNHCR (Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung, November 2015, Seite 25 f.,

162

https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1455006006_syr-112015.pdf)

163

im Rahmen der von ihm als das Erfordernis internationalen Flüchtlingsschutzes indizierend erstellten Risikoprofile auch Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben. Hierzu führt er erläuternd aus (Seite 12 f.):

164

„Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist.“

165

Vorliegend kann indessen letztlich dahinstehen, ob die Stadt A... oder der Bauernhof der Familie des Klägers, auf den sich diese den Angaben des Klägers (vgl. Anhörungsprotokoll vom 5. April 2016, Seite 35 ff, 38 der Verwaltungsakte) zufolge zurückgezogen hat, um den Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, in einer vermeintlich regierungsfeindlichen Zone im obigen Sinne gelegen sind.

166

Selbst in diesem Falle wäre zwar unter Zugrundelegung der UNHCR-Erwägungen die Herkunft des Klägers aus einem bestimmten Gebiet in den Augen der syrischen Sicherheitskräfte möglicherweise ein gewisser Anhaltspunkt für eine oppositionelle Einstellung.

167

Letztlich spricht indessen aber auch insoweit die Lebenserfahrung dafür, dass diejenigen, die vor dem Bürgerkrieg in das Ausland geflohen sind, auch in den Augen der syrischen Machthaber in aller Regel keine Bedrohung des Regimes darstellen, sondern dem Konflikt vielmehr gerade aus dem Weg gegangen sind.

168

cc. Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus einer umfassenden Gesamtwürdigung aller vorliegend möglicherweise eine Verfolgungsgefahr begründenden Umstände.

169

Auch dann, wenn man die illegale Ausreise, die Asylantragstellung, den längerfristigen Auslandsaufenthalt, die Wehrdienstentziehung des Klägers und seines Bruders sowie die regionale Herkunft des Klägers aus der Perspektive des syrischen Staates als möglichem Verfolger gleichzeitig wertend in den Blick nimmt, so erscheinen dessen Interessen letztlich allein insoweit berührt, als der Kläger zum einen selbst als Oppositioneller eine Gefahr für das Regime darstellen könnte und zum anderen durch seine Wehrdienstentziehung dazu beigetragen hat, die Schlagkraft der syrischen Armee gegen ihre übrigen Gegner zu beeinträchtigen.

170

Da indessen wie bereits dargestellt die Lebenserfahrung auch aus Sicht der syrischen Behörden dafür spricht, dass der Kläger kein dem Regime möglicherweise gefährlicher Oppositioneller ist, sondern dem Konflikt durch seine Ausreise gerade hat aus dem Wege gehen wollen, fehlt es insoweit bei umfassender Abwägung an ausreichenden Anhaltspunkten jedenfalls für eine Überzeugungsbildung durch den Senat dahingehend, dass dem Kläger bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien beachtlich wahrscheinlich Verfolgungsmaßnahmen wegen seiner politischen Überzeugung drohen. Diese Einschätzung vermögen auch nicht die dem Kläger möglicherweise wegen Wehrdienstentziehung drohenden Sanktionen zu ändern. Das Sanktionsinteresse des syrischen Regimes dürfte zumindest gegenüber denjenigen, die nicht aus der Armee desertiert sind, sondern sich lediglich dem Wehrdienst entzogen haben, hinter dem Interesse an der dringend benötigten Verstärkung der Armee durch Rekrutierung neuer Soldaten zurückbleiben. Insoweit könnte dem Kläger im Falle seiner fiktiven Rückkehr nach Syrien zwar möglicherweise eine strafrechtliche Sanktion und wohl auch beachtlich wahrscheinlich eine Einberufung drohen; in Bezug auf eine politisch motivierte weitergehende Verfolgung fehlt es jedoch ebenfalls an Anhaltspunkten, welche die Prognose einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit tragen könnten.

171

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 83b AsylG; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr.10 ZPO.

172

Gründe, aus denen gemäß § 132 Abs. 2 VwGO die Revision zuzulassen wäre, liegen nicht vor. Bei der Frage, ob abgelehnten Asylbewerbern im Falle einer Rückkehr nach Syrien dort bereits allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich Verfolgung wegen einer vermuteten Einstellung gegen das dort herrschende Regime droht, handelt es sich – anders als in dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 2016 (2 BvR 31/14) zugrunde liegenden Fall – um eine Tatsachenfrage, wohingegen die Revision die Überprüfung eines Urteils ausschließlich in rechtlicher Hinsicht zum Gegenstand hat (§ 137 Abs. 1 und 2 VwGO).

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.