Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 19. Juni 2018 - A 11 K 13255/17

bei uns veröffentlicht am19.06.2018

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der nach eigenen Angaben am ... 1996 geborene Kläger ist angeblich gambischer Staatsangehöriger. Er reiste eigenen Angaben zufolge am 10.05.2015 in das Bundesgebiet ein. Am 23.06.2015 beantragte er die Gewährung von Asyl.
Mit Bescheid vom 26.11.2015 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 12 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet. Mit Beschluss vom 25.02.2018 - A 13 K 5914/15 - lehnte das Verwaltungsgericht Stuttgart den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab. Eine Überstellung des Klägers nach Italien erfolgte nicht.
Mit Schreiben vom 14.02.2017 wurde der Kläger zur persönlichen Anhörung am 06.03.2017 geladen. Diese Ladung wurde dem Kläger am 17.02.2017 unter der zuletzt bekannten Anschrift durch Postzustellungsurkunde zugestellt. Der Kläger ist zur Anhörung am 06.03.2017 nicht erschienen.
Mit Bescheid vom 24.07.2017 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das Asylverfahren ein und stellte weiter fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen. Dem Kläger wurde mit einer Ausreisefrist von einer Woche die Abschiebung nach Gambia angedroht. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Am 09.08.2017 hat der Kläger Klage erhoben.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 24.07.2017 aufzuheben;
hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie verweist auf den Inhalt des angefochtenen Bescheids.
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Mit Schriftsatz vom 16.05.2018 legte der Kläger eine psychotherapeutische Stellungnahme der Psychologischen Psychotherapeutin B vom 15.06.2018 vor.
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In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger vorgetragen, er habe in Gambia keine Schule besucht. Ein paar Monate lang habe er in einem Kfz-Betrieb ein Praktikum gemacht. Zusammen mit seinen Eltern habe er in N gewohnt. Bei diesem Ort handele es sich um ein kleines Dorf. Als er ca. fünf Jahre alt gewesen sei, sei er mit seiner Mutter und seinen drei Geschwistern nach K umgezogen. Seine drei Geschwister seien jünger als er und lebten nach wie vor bei seiner Mutter in K. In Gambia sei er nicht politisch aktiv gewesen und auch nicht festgenommen worden. Gambia habe er im April 2014 verlassen. Mit einer Fähre sei er nach Senegal gefahren und von dort aus über Mali, Burkina Faso, Niger, Libyen, Italien und die Schweiz nach Deutschland gelangt. In Italien und in der Schweiz habe er keinen Asylantrag gestellt. Zum Ausreisegrund befragt trug der Kläger vor, seine Eltern hätten sich immer gestritten. Sein Vater habe insgesamt vier Frauen gehabt. Die letzte Ehefrau seines Vaters habe kein gutes Verhältnis zu seiner Mutter gehabt. Sein Vater habe die Kinder nicht in die Schule geschickt. Er habe von seinem Vater keine Aufmerksamkeit erlangt. Sein Vater habe seine Mutter eines Tages mit einer Stange geschlagen. Seine Mutter habe daraufhin geblutet und sei bewusstlos gewesen. Er selbst sei von seinem Vater bei diesem Vorfall weggestoßen worden, sei gefallen und habe sich am Kopf verletzt. Er und seine Mutter seien dann ins Krankenhaus gebracht worden. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus sei seine Mutter nicht zu seinem Vater zurückgekehrt, sondern sei mit den Kindern nach K gezogen, wo ein Bruder seiner Mutter lebe. Dort hätten sie in dessen Haus gelebt. Dieser Onkel habe ihnen gesagt, sie müssten sich so verhalten, wie er es von ihnen verlange. Eines Tages habe er in das Zimmer des Onkels kommen müssen. Dort habe der Onkel ihm gesagt, er solle sich ausziehen. Daraufhin habe der Onkel ihn aufs Bett gedrängt und ihn anal vergewaltigt. Als er geschrien habe, sei er geohrfeigt worden. Bei dieser Vergewaltigung habe sein Onkel Kochöl auf seinen Hintern geschüttet. Als sein Onkel fertig gewesen sei, habe dieser ihm gedroht, er dürfe anderen hiervon nichts erzählen. Aufgrund dieser Drohung habe er seiner Mutter nichts mitgeteilt. Diese Vorfälle hätten sich mehrmals wiederholt. Als er dann eines Tages seiner Mutter von den Misshandlungen erzählt habe, habe diese ihm mitgeteilt, sie wisse hiervon, es gebe hierzu aber keine Alternative, da sie keine andere Wohnung finde. Nach dieser Unterhaltung sei er auf seine Mutter wütend gewesen und habe dann ein paar Monate bei einem Freund in K gewohnt. Mit diesem Freund zusammen habe er Gambia verlassen. Einmal in der Woche sei er in Therapie bei Frau B, die in Hannover wohne. In Hannover halte er sich oft mehrere Wochen lang auf. Mit Frau B spreche er über die Geschehnisse in seinem Heimatland und über sein Befinden. Ihr habe er auch von den erlittenen Vergewaltigungen in Gambia erzählt. Wenn er nicht einschlafen könne, nehme er Schlaftabletten, andere Tabletten nehme er nicht.
14 
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die zur Sache gehörende Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
15 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten über die Sache verhandeln und entscheiden, da sie ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 102 Abs. 2 VwGO).
16 
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dies ist im angefochtenen Bescheid ausführlich und zutreffend dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird deshalb auf den angegriffenen Bescheid verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Weiter wird Bezug genommen auf den Beschluss des Gerichts vom 7. Dezember 2017 - A 11 K 13256/17 -; die dortigen Ausführungen halten einer erneuten Prüfung stand.
17 
Ergänzend ist lediglich auszuführen:
18 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt.
19 
Im Hinblick auf die humanitären Bedingungen in Gambia bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Abschiebung des Klägers dorthin eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, so dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht vorliegt.
20 
Der Kläger hat auch im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand keinen Anspruch auf Feststellung, dass in seiner Person ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.
21 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Bestimmung fragt nicht danach, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird; die Regelung stellt vielmehr lediglich auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - BVerwGE 99, 324).
22 
Auch die drohende Verschlimmerung einer Krankheit wegen ihrer nur unzureichenden medizinischen Behandlung im Zielstaat der Abschiebung kann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1997 - 9 C 58/96 - BVerwGE 105, 383; Urt. v. 27.04.1998 - 9 C 13/97 - NVwZ 1998, 973 und Urt. v. 21.09.1999 - 9 C 8/99 - NVwZ 2000, 206). Von einer Verschlimmerung ist auszugehen, wenn eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands droht; konkret ist diese Gefahr, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat eintreten würde (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1997 - 9 C 58/96 - a.a.O. und Urt. v. 29.07.1999 - 9 C 2/99 - juris -). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung einer Krankheit anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 20.09.2006 - 13 A 1740/05.A - InfAuslR 2006, 487). Ob die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt oder mitbedingt ist, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.07.1999 - 9 C 2/99 - a.a.O.). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation im Zielstaat zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.2002 - 1 C 1/02 - DVBl 2003, 463 und Beschl. v. 29.04.2002 - 1 B 59/02 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 60; VGH Kassel, Urt. v. 24.06.2003 - 7 UE 3606/99.A - AuAS 2004, 20). Die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland ist in die gerichtliche Prognose, ob bei Rückkehr eine Gefahr für Leib oder Leben besteht, mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 01.10.2001 - 1 B 185/01 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 51). An die Qualität und Dichte der Gesundheitsversorgung im Abschiebungszielland einschließlich Kostenbeteiligung des Betroffenen können allerdings keine der hiesigen Gesundheitsversorgung entsprechenden Anforderungen gestellt werden (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 06.09.2004 - 18 B 2661/03 - AuAS 2005, 31). Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 14.06.2005 - 11 A 4518/02.A - AuAS 2005, 189 und Beschl. v. 27.01.2015 - 13 A 1201/12.A - juris -).
23 
Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in der Person des Klägers nicht vor.
24 
Soweit die Psychologische Psychotherapeutin B in ihrer psychotherapeutischen Stellungnahme vom 15.06.2018 eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und eine dissoziative Fugue diagnostiziert hat, ist das Gericht nicht davon überzeugt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass diese Erkrankungen beim Kläger vorliegen.
25 
Fraglich ist bereits, ob die Psychologische Psychotherapeutin B befähigt ist, eine posttraumatische Belastungsstörung zu diagnostizieren. Denn für eine sichere Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung ist eine umfangreiche klinische Erfahrung einschließlich spezieller Kenntnisse in Psychotraumatologie erforderlich (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl. S. 748; Gierlichs, Deutsches Ärzteblatt 2002, 403). Zwar müssen Psychologische Psychotherapeuten auf der Grundlage eines abgeschlossenen Studiums der Psychologie, das das Fach Klinische Psychologie einschließt, die mindestens dreijährige Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten gemäß § 5 PsychThG abgeleistet und die entsprechende Approbation (§ 2 PsychThG) erhalten haben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie hierdurch regelmäßig die erforderliche klinische Erfahrung vermittelt erhalten haben. Selbst wenn aber Psychologischen Psychotherapeuten zugestanden wird, eine posttraumatische Belastungsstörung zu diagnostizieren (so VGH München, Beschl. v. 28.07.2015 - 13a ZB 15.30073 - juris - und Beschl. v. 11.08.2016 - 20 ZB 16.30110 - NVwZ-RR 2017, 75; OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2008 - 8 A 3053/08.A - InfAuslR 2009, 173; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.09.2016 - OVG 3 N 24.15 - juris -), so kann der psychotherapeutischen Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 15.06.2018 keine wesentliche Bedeutung zukommen, weil es sich um Äußerungen der Therapeutin des Klägers handelt. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung auf Frage des Gerichts vorgetragen, er sei in therapeutischer Behandlung bei der Psychotherapeutin B (Netzwerk für Flüchtlinge in Niedersachsen e.V.). Ein Therapeut muss aber grundsätzlich von dem vom Patienten geklagten Leiden nebst der Vorgeschichte als wahr ausgehen und will diesem auftragsgemäß helfen, möglichst ihn heilen. Demgemäß fehlt ihm die für eine Begutachtung notwendige Distanz zum Patienten; er tritt diesem nicht mit der erforderlichen notwendigen kritischen Betrachtung gegenüber (vgl. OVG Münster, Urt. v. 20.09.2006 - 13 A 1740/05.A - juris - und Beschl. v. 10.01.2007 - 13 A 1138/04.A - juris -). Im Übrigen muss die psychotherapeutische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 15.06.2018 im Hinblick auf die diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) wegen schwerer Qualitätsmängel außer Betracht bleiben.
26 
Bei der PTBS handelt es sich um ein innerpsychisches Erlebnis, das sich einer Erhebung äußerlich objektiver Befundtatsachen weitgehend entzieht. Es kommt deshalb in besonderem Maße auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebnisses und der zugrunde liegenden faktischen äußeren Erlebnistatsachen an, was wiederum angesichts der Komplexität und Schwierigkeit des Krankheitsbildes eine eingehende Befassung des Arztes mit dem Patienten erfordert. Regelmäßig sind tragfähige Aussagen zur Traumatisierung erst nach mehreren Sitzungen über eine längere Zeit möglich. Auch bedarf es unter anderem einer gründlichen Anamnese, einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Betreffenden hinsichtlich des das Trauma auslösenden Ereignisses, einer alternativen Hypothesenbildung sowie einer schlüssigen und nachvollziehbaren Herleitung des im Übrigen genau zu definierenden Krankheitsbildes (vgl. Treiber, ZAR 2002, 282 ff; Loesel/Bender, Asylpraxis Band 7 S. 175 ff). Nach der von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen „Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD 10)“ entsteht die posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1) als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (traumatisierendes Ereignis, sog. A-Kriterium). Somit ist für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung der Nachweis eines traumatischen Ereignisses Voraussetzung. Es gibt keine posttraumatische Belastungsstörung ohne Trauma und auch beim Vorliegen aller Symptome einer PTBS kann eine solche nur diagnostiziert werden, wenn auch ein entsprechendes Trauma vorhanden war. Aus den Symptomen kann nicht rückgeschlossen werden, dass ein Trauma stattgefunden hat (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl., S. 752; Steller in: Sonderheft für Gerhard Schäfer, NJW-Beilage 2002, S. 69, 71; Ebert/Kindt, VBlBW 2004, 41; OVG Magdeburg, Beschl. v. 01.12.2014 - 2 M 119/14 - juris -; VGH München, Beschl. v. 28.09.2006 - 19 CE 06.2690 - juris -; VG Stuttgart, Urt. v. 14.01.2008 - A 11 K 4941/07 - InfAuslR 2008, 323). Da die fachärztlichen Gutachten auf den Angaben des Betroffenen beruhen, bedarf es insoweit der Prüfung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Betroffenen (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 02.05.2000 - 11 S 1963/99 - InfAuslR 2000, 435; OVG Bautzen, Beschl. v. 21.01.2014 - 3 B 476/13 - juris -; OVG Magdeburg, Beschl. v. 01.12.2014 - 2 M 119/14 - juris -). Die Feststellung des behaupteten traumatisierenden Ereignisses ist Gegenstand der gerichtlichen Sachverhaltswürdigung und unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. VGH München, Beschl. v. 17.10.2012 - 9 ZB 10.30390 - AuAS 2013, 9 und Beschl. v. 04.11.2016 - 9 ZB 16.30468 - juris -; OVG Münster, Beschl. v. 27.07.2007 - 13 A 2745/04.A - Inf-AuslR 2007, 408).
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Die Psychotherapeutin B führte in ihrer Stellungnahme vom 15.06.2018 zum A-Kriterium lediglich aus, der Kläger sei Opfer und Zeuge von häuslicher Gewalt im Kindesalter gewesen. Mit dieser unsubstantiierten Angabe ist ein Trauma jedoch nicht dargelegt. Es erstaunt, dass Frau B die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung behaupteten Vergewaltigungen nicht als traumatisierende Ereignisse angeführt hat. Das Gericht ist unabhängig hiervon auch nicht davon überzeugt, dass die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geschilderten Vergewaltigungen der Wahrheit entsprechen. Denn insoweit handelt es sich um ein erheblich gesteigertes Vorbringen. Der Kläger hat am 23.06.2015 in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Er hat es jedoch nicht für notwendig erachtet, während des Asylverfahrens seine Vorfluchtgründe darzulegen. Zu dem ihm unstreitig mitgeteilten Anhörungstermin beim Bundesamt ist der Kläger nicht erschienen. Auch in der Folgezeit sah sich der Kläger nicht veranlasst, das Vorfluchtgeschehen schriftlich zu schildern. Entsprechendes gilt für das Gerichtsverfahren. Erst zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung legte der Kläger die psychotherapeutische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 15.06.2018 vor. Gegen die Glaubhaftigkeit der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung behaupteten Vergewaltigungen spricht zudem, dass er in der mündlichen Verhandlung mehrmals geltend gemacht hat, der Psychotherapeutin B gleichfalls von den Vergewaltigungen erzählt zu haben. In der nur fragmentarischen Anamnese, die in der psychotherapeutischen Stellungnahme vom 15.06.2018 enthalten ist, tauchen die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten Vergewaltigungen jedoch mit keinem Wort auf.
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Die psychotherapeutische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 15.06.2018 entbehrt weiter einer Abklärung, ob die vom Kläger geschilderten Erlebnisse zur häuslichen Gewalt im Kindesalter auf wirklich Erlebtem beruhen. Fehlt es somit am Nachweis eines traumatisierenden Ereignisses, ist das Symptomspektrum einer PTBS nicht ausgefüllt.
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Im Übrigen genügt die psychotherapeutische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 15.06.2018 nicht den Anforderungen, die an eine psychotherapeutische Stellungnahme gestellt werden.
30 
Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes der PTBS sowie seiner vielfältigen Symptome muss ein fachärztliches Attest/psychotherapeutische Stellungnahme gewissen Mindestanforderungen genügen. Aus diesem Attest oder dieser Stellungnahme muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt/Therapeut seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher/therapeutischer Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest oder die Stellungnahme Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.09.2007 - 10 C 8/07 - BVerwGE 129, 251 und Beschl. v. 26.07.2012 - 10 B 21/12 - juris -). Genügen vorgelegte ärztliche oder psychologische Stellungnahmen den dargelegten Anforderungen nicht, sind sie nicht geeignet, eine gerichtliche Beweiserhebung zu veranlassen und erst recht nicht, das Bestehen der Erkrankung sowie daraus resultierende Folgen zu belegen (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 18.11.2014 - A 3 S 264/14, n.v.).
31 
Diesen Anforderungen wird die psychotherapeutische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 15.06.2018 nicht gerecht. Der Kläger hat erst mehr als ein Jahr nach seiner Einreise in das Bundesgebiet um psychologische Hilfe nachgesucht. Trotz dieser erheblichen Zeitspanne fehlen in der psychotherapeutischen Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 15.06.2018 Angaben darüber, weshalb der Kläger die Symptome nicht schon früher vorgetragen hat. Hinzu kommt, dass die geltend gemachten Erlebnisse des Klägers in Gambia bereits viele Jahre zurückliegen. Die Latenz von Symptomen einer PTBS zu dem traumaauslösenden Ereignis beträgt aber nach den Kriterien der ICD-10 F 43.1 grundsätzlich wenige Wochen bis 6 Monate. Für eine qualifizierte Bescheinigung wäre ein Eingehen auch auf diesen Gesichtspunkt erforderlich gewesen. Weiter wird in der psychotherapeutischen Stellungnahme nicht erörtert, ob die vom Kläger geltend gemachten Symptome nicht auch andere Ursachen als eine posttraumatische Belastungsstörung haben können (alternative Hypothesenbildung, z.B. Anpassungs- oder Angststörung) und ob sie Ausdruck von Aggravation und Simulation sind.
32 
Im Übrigen ist bei den in der psychotherapeutischen Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 15.06.2018 zu Grunde gelegten Symptomen - Schwitzen, Herzklopfen, Atemnot, Schlaflosigkeit - nicht zu erkennen, wie hierdurch auch bei fehlender Behandlungsmöglichkeit wesentliche oder lebensbedrohliche Gesundheitsbeeinträchtigungen hervorgerufen werden können (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Auch bei Depressionen treten nicht zwangsläufig erhebliche Gefahren für Leib oder Leben ein, wenn die Behandlung nicht durchgeführt wird. Gleiches gilt für eine posttraumatische Belastungsstörung; auch diese stellt im Hinblick auf die Regelungen in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG für sich gesehen keine lebensbedrohliche oder ähnlich schwerwiegende Erkrankung dar, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründet (vgl. BT-Drucks. 18/7538 S. 18; Zeitler, HTK-AuslR / § 60 AufenthG / zu Abs. 7 Satz 1 bis 4, Stand: 18.11.2016, Rn. 26; VGH München, Beschl. v. 06.11.2017 - 11 ZB 17.31463 - juris - und Beschl. v. 20.11.2017 - 11 ZB 17.31318 - juris -; OVG Bautzen, Urt. v. 20.04.2018 - 2 A 811/13.A – juris -).
33 
Soweit die Psychotherapeutin B in ihrer Stellungnahme vom 15.06.2018 zudem eine Dissoziative Fugue diagnostiziert, ist das Gericht gleichfalls nicht vom Vorliegen dieser Krankheit überzeugt. Die Dissoziative Fugue setzt nach DSM - IV (F44.1) u.a. die Unfähigkeit voraus, sich an seine Vergangenheit zu erinnern (A-Kriterium). Hiervon kann beim Kläger nach dem Eindruck, den er in der mündlichen Verhandlung hinterlassen hat, keine Rede sein. Der Kläger konnte alle Fragen des Gerichts, die sich auch mit der Vergangenheit in Gambia befassten, ohne Zeitverzögerung beantworten; Anhaltspunkte zu einer fehlenden Erinnerung an die Vergangenheit waren zu keinem Zeitpunkt erkennbar.
34 
Eine eventuell erforderliche medizinische Behandlung in Gambia ist für den Kläger auch finanziell erreichbar. Die medizinische Versorgung in den staatlichen Krankenhäusern kostet zwischen 0,30 EUR und 1 EUR pro Konsultation; vorhandene Medikamente sind für die Patienten kostenlos (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 30.05.2012 an VG Berlin). Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnislage vermag das Gericht nicht zu erkennen, dass der Kläger die gegenwärtig eingenommenen Medikamente (Schlaftabletten) in Gambia nicht erhalten wird, zumal es sich beim Kläger um eine arbeitsfähige Person handelt, der eine Arbeitsaufnahme in Gambia zumutbar ist.
35 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

Gründe

 
15 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens von Beteiligten über die Sache verhandeln und entscheiden, da sie ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 102 Abs. 2 VwGO).
16 
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dies ist im angefochtenen Bescheid ausführlich und zutreffend dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird deshalb auf den angegriffenen Bescheid verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Weiter wird Bezug genommen auf den Beschluss des Gerichts vom 7. Dezember 2017 - A 11 K 13256/17 -; die dortigen Ausführungen halten einer erneuten Prüfung stand.
17 
Ergänzend ist lediglich auszuführen:
18 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt.
19 
Im Hinblick auf die humanitären Bedingungen in Gambia bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Abschiebung des Klägers dorthin eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, so dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht vorliegt.
20 
Der Kläger hat auch im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand keinen Anspruch auf Feststellung, dass in seiner Person ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.
21 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Bestimmung fragt nicht danach, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird; die Regelung stellt vielmehr lediglich auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - BVerwGE 99, 324).
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Auch die drohende Verschlimmerung einer Krankheit wegen ihrer nur unzureichenden medizinischen Behandlung im Zielstaat der Abschiebung kann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1997 - 9 C 58/96 - BVerwGE 105, 383; Urt. v. 27.04.1998 - 9 C 13/97 - NVwZ 1998, 973 und Urt. v. 21.09.1999 - 9 C 8/99 - NVwZ 2000, 206). Von einer Verschlimmerung ist auszugehen, wenn eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands droht; konkret ist diese Gefahr, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat eintreten würde (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1997 - 9 C 58/96 - a.a.O. und Urt. v. 29.07.1999 - 9 C 2/99 - juris -). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung einer Krankheit anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 20.09.2006 - 13 A 1740/05.A - InfAuslR 2006, 487). Ob die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt oder mitbedingt ist, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.07.1999 - 9 C 2/99 - a.a.O.). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation im Zielstaat zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.2002 - 1 C 1/02 - DVBl 2003, 463 und Beschl. v. 29.04.2002 - 1 B 59/02 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 60; VGH Kassel, Urt. v. 24.06.2003 - 7 UE 3606/99.A - AuAS 2004, 20). Die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland ist in die gerichtliche Prognose, ob bei Rückkehr eine Gefahr für Leib oder Leben besteht, mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 01.10.2001 - 1 B 185/01 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 51). An die Qualität und Dichte der Gesundheitsversorgung im Abschiebungszielland einschließlich Kostenbeteiligung des Betroffenen können allerdings keine der hiesigen Gesundheitsversorgung entsprechenden Anforderungen gestellt werden (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 06.09.2004 - 18 B 2661/03 - AuAS 2005, 31). Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 14.06.2005 - 11 A 4518/02.A - AuAS 2005, 189 und Beschl. v. 27.01.2015 - 13 A 1201/12.A - juris -).
23 
Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in der Person des Klägers nicht vor.
24 
Soweit die Psychologische Psychotherapeutin B in ihrer psychotherapeutischen Stellungnahme vom 15.06.2018 eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und eine dissoziative Fugue diagnostiziert hat, ist das Gericht nicht davon überzeugt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass diese Erkrankungen beim Kläger vorliegen.
25 
Fraglich ist bereits, ob die Psychologische Psychotherapeutin B befähigt ist, eine posttraumatische Belastungsstörung zu diagnostizieren. Denn für eine sichere Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung ist eine umfangreiche klinische Erfahrung einschließlich spezieller Kenntnisse in Psychotraumatologie erforderlich (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl. S. 748; Gierlichs, Deutsches Ärzteblatt 2002, 403). Zwar müssen Psychologische Psychotherapeuten auf der Grundlage eines abgeschlossenen Studiums der Psychologie, das das Fach Klinische Psychologie einschließt, die mindestens dreijährige Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten gemäß § 5 PsychThG abgeleistet und die entsprechende Approbation (§ 2 PsychThG) erhalten haben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie hierdurch regelmäßig die erforderliche klinische Erfahrung vermittelt erhalten haben. Selbst wenn aber Psychologischen Psychotherapeuten zugestanden wird, eine posttraumatische Belastungsstörung zu diagnostizieren (so VGH München, Beschl. v. 28.07.2015 - 13a ZB 15.30073 - juris - und Beschl. v. 11.08.2016 - 20 ZB 16.30110 - NVwZ-RR 2017, 75; OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2008 - 8 A 3053/08.A - InfAuslR 2009, 173; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.09.2016 - OVG 3 N 24.15 - juris -), so kann der psychotherapeutischen Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 15.06.2018 keine wesentliche Bedeutung zukommen, weil es sich um Äußerungen der Therapeutin des Klägers handelt. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung auf Frage des Gerichts vorgetragen, er sei in therapeutischer Behandlung bei der Psychotherapeutin B (Netzwerk für Flüchtlinge in Niedersachsen e.V.). Ein Therapeut muss aber grundsätzlich von dem vom Patienten geklagten Leiden nebst der Vorgeschichte als wahr ausgehen und will diesem auftragsgemäß helfen, möglichst ihn heilen. Demgemäß fehlt ihm die für eine Begutachtung notwendige Distanz zum Patienten; er tritt diesem nicht mit der erforderlichen notwendigen kritischen Betrachtung gegenüber (vgl. OVG Münster, Urt. v. 20.09.2006 - 13 A 1740/05.A - juris - und Beschl. v. 10.01.2007 - 13 A 1138/04.A - juris -). Im Übrigen muss die psychotherapeutische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 15.06.2018 im Hinblick auf die diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) wegen schwerer Qualitätsmängel außer Betracht bleiben.
26 
Bei der PTBS handelt es sich um ein innerpsychisches Erlebnis, das sich einer Erhebung äußerlich objektiver Befundtatsachen weitgehend entzieht. Es kommt deshalb in besonderem Maße auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebnisses und der zugrunde liegenden faktischen äußeren Erlebnistatsachen an, was wiederum angesichts der Komplexität und Schwierigkeit des Krankheitsbildes eine eingehende Befassung des Arztes mit dem Patienten erfordert. Regelmäßig sind tragfähige Aussagen zur Traumatisierung erst nach mehreren Sitzungen über eine längere Zeit möglich. Auch bedarf es unter anderem einer gründlichen Anamnese, einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Betreffenden hinsichtlich des das Trauma auslösenden Ereignisses, einer alternativen Hypothesenbildung sowie einer schlüssigen und nachvollziehbaren Herleitung des im Übrigen genau zu definierenden Krankheitsbildes (vgl. Treiber, ZAR 2002, 282 ff; Loesel/Bender, Asylpraxis Band 7 S. 175 ff). Nach der von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen „Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD 10)“ entsteht die posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1) als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (traumatisierendes Ereignis, sog. A-Kriterium). Somit ist für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung der Nachweis eines traumatischen Ereignisses Voraussetzung. Es gibt keine posttraumatische Belastungsstörung ohne Trauma und auch beim Vorliegen aller Symptome einer PTBS kann eine solche nur diagnostiziert werden, wenn auch ein entsprechendes Trauma vorhanden war. Aus den Symptomen kann nicht rückgeschlossen werden, dass ein Trauma stattgefunden hat (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl., S. 752; Steller in: Sonderheft für Gerhard Schäfer, NJW-Beilage 2002, S. 69, 71; Ebert/Kindt, VBlBW 2004, 41; OVG Magdeburg, Beschl. v. 01.12.2014 - 2 M 119/14 - juris -; VGH München, Beschl. v. 28.09.2006 - 19 CE 06.2690 - juris -; VG Stuttgart, Urt. v. 14.01.2008 - A 11 K 4941/07 - InfAuslR 2008, 323). Da die fachärztlichen Gutachten auf den Angaben des Betroffenen beruhen, bedarf es insoweit der Prüfung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Betroffenen (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 02.05.2000 - 11 S 1963/99 - InfAuslR 2000, 435; OVG Bautzen, Beschl. v. 21.01.2014 - 3 B 476/13 - juris -; OVG Magdeburg, Beschl. v. 01.12.2014 - 2 M 119/14 - juris -). Die Feststellung des behaupteten traumatisierenden Ereignisses ist Gegenstand der gerichtlichen Sachverhaltswürdigung und unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. VGH München, Beschl. v. 17.10.2012 - 9 ZB 10.30390 - AuAS 2013, 9 und Beschl. v. 04.11.2016 - 9 ZB 16.30468 - juris -; OVG Münster, Beschl. v. 27.07.2007 - 13 A 2745/04.A - Inf-AuslR 2007, 408).
27 
Die Psychotherapeutin B führte in ihrer Stellungnahme vom 15.06.2018 zum A-Kriterium lediglich aus, der Kläger sei Opfer und Zeuge von häuslicher Gewalt im Kindesalter gewesen. Mit dieser unsubstantiierten Angabe ist ein Trauma jedoch nicht dargelegt. Es erstaunt, dass Frau B die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung behaupteten Vergewaltigungen nicht als traumatisierende Ereignisse angeführt hat. Das Gericht ist unabhängig hiervon auch nicht davon überzeugt, dass die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geschilderten Vergewaltigungen der Wahrheit entsprechen. Denn insoweit handelt es sich um ein erheblich gesteigertes Vorbringen. Der Kläger hat am 23.06.2015 in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Er hat es jedoch nicht für notwendig erachtet, während des Asylverfahrens seine Vorfluchtgründe darzulegen. Zu dem ihm unstreitig mitgeteilten Anhörungstermin beim Bundesamt ist der Kläger nicht erschienen. Auch in der Folgezeit sah sich der Kläger nicht veranlasst, das Vorfluchtgeschehen schriftlich zu schildern. Entsprechendes gilt für das Gerichtsverfahren. Erst zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung legte der Kläger die psychotherapeutische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 15.06.2018 vor. Gegen die Glaubhaftigkeit der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung behaupteten Vergewaltigungen spricht zudem, dass er in der mündlichen Verhandlung mehrmals geltend gemacht hat, der Psychotherapeutin B gleichfalls von den Vergewaltigungen erzählt zu haben. In der nur fragmentarischen Anamnese, die in der psychotherapeutischen Stellungnahme vom 15.06.2018 enthalten ist, tauchen die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten Vergewaltigungen jedoch mit keinem Wort auf.
28 
Die psychotherapeutische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 15.06.2018 entbehrt weiter einer Abklärung, ob die vom Kläger geschilderten Erlebnisse zur häuslichen Gewalt im Kindesalter auf wirklich Erlebtem beruhen. Fehlt es somit am Nachweis eines traumatisierenden Ereignisses, ist das Symptomspektrum einer PTBS nicht ausgefüllt.
29 
Im Übrigen genügt die psychotherapeutische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 15.06.2018 nicht den Anforderungen, die an eine psychotherapeutische Stellungnahme gestellt werden.
30 
Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes der PTBS sowie seiner vielfältigen Symptome muss ein fachärztliches Attest/psychotherapeutische Stellungnahme gewissen Mindestanforderungen genügen. Aus diesem Attest oder dieser Stellungnahme muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt/Therapeut seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher/therapeutischer Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest oder die Stellungnahme Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.09.2007 - 10 C 8/07 - BVerwGE 129, 251 und Beschl. v. 26.07.2012 - 10 B 21/12 - juris -). Genügen vorgelegte ärztliche oder psychologische Stellungnahmen den dargelegten Anforderungen nicht, sind sie nicht geeignet, eine gerichtliche Beweiserhebung zu veranlassen und erst recht nicht, das Bestehen der Erkrankung sowie daraus resultierende Folgen zu belegen (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 18.11.2014 - A 3 S 264/14, n.v.).
31 
Diesen Anforderungen wird die psychotherapeutische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 15.06.2018 nicht gerecht. Der Kläger hat erst mehr als ein Jahr nach seiner Einreise in das Bundesgebiet um psychologische Hilfe nachgesucht. Trotz dieser erheblichen Zeitspanne fehlen in der psychotherapeutischen Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 15.06.2018 Angaben darüber, weshalb der Kläger die Symptome nicht schon früher vorgetragen hat. Hinzu kommt, dass die geltend gemachten Erlebnisse des Klägers in Gambia bereits viele Jahre zurückliegen. Die Latenz von Symptomen einer PTBS zu dem traumaauslösenden Ereignis beträgt aber nach den Kriterien der ICD-10 F 43.1 grundsätzlich wenige Wochen bis 6 Monate. Für eine qualifizierte Bescheinigung wäre ein Eingehen auch auf diesen Gesichtspunkt erforderlich gewesen. Weiter wird in der psychotherapeutischen Stellungnahme nicht erörtert, ob die vom Kläger geltend gemachten Symptome nicht auch andere Ursachen als eine posttraumatische Belastungsstörung haben können (alternative Hypothesenbildung, z.B. Anpassungs- oder Angststörung) und ob sie Ausdruck von Aggravation und Simulation sind.
32 
Im Übrigen ist bei den in der psychotherapeutischen Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 15.06.2018 zu Grunde gelegten Symptomen - Schwitzen, Herzklopfen, Atemnot, Schlaflosigkeit - nicht zu erkennen, wie hierdurch auch bei fehlender Behandlungsmöglichkeit wesentliche oder lebensbedrohliche Gesundheitsbeeinträchtigungen hervorgerufen werden können (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Auch bei Depressionen treten nicht zwangsläufig erhebliche Gefahren für Leib oder Leben ein, wenn die Behandlung nicht durchgeführt wird. Gleiches gilt für eine posttraumatische Belastungsstörung; auch diese stellt im Hinblick auf die Regelungen in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG für sich gesehen keine lebensbedrohliche oder ähnlich schwerwiegende Erkrankung dar, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründet (vgl. BT-Drucks. 18/7538 S. 18; Zeitler, HTK-AuslR / § 60 AufenthG / zu Abs. 7 Satz 1 bis 4, Stand: 18.11.2016, Rn. 26; VGH München, Beschl. v. 06.11.2017 - 11 ZB 17.31463 - juris - und Beschl. v. 20.11.2017 - 11 ZB 17.31318 - juris -; OVG Bautzen, Urt. v. 20.04.2018 - 2 A 811/13.A – juris -).
33 
Soweit die Psychotherapeutin B in ihrer Stellungnahme vom 15.06.2018 zudem eine Dissoziative Fugue diagnostiziert, ist das Gericht gleichfalls nicht vom Vorliegen dieser Krankheit überzeugt. Die Dissoziative Fugue setzt nach DSM - IV (F44.1) u.a. die Unfähigkeit voraus, sich an seine Vergangenheit zu erinnern (A-Kriterium). Hiervon kann beim Kläger nach dem Eindruck, den er in der mündlichen Verhandlung hinterlassen hat, keine Rede sein. Der Kläger konnte alle Fragen des Gerichts, die sich auch mit der Vergangenheit in Gambia befassten, ohne Zeitverzögerung beantworten; Anhaltspunkte zu einer fehlenden Erinnerung an die Vergangenheit waren zu keinem Zeitpunkt erkennbar.
34 
Eine eventuell erforderliche medizinische Behandlung in Gambia ist für den Kläger auch finanziell erreichbar. Die medizinische Versorgung in den staatlichen Krankenhäusern kostet zwischen 0,30 EUR und 1 EUR pro Konsultation; vorhandene Medikamente sind für die Patienten kostenlos (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 30.05.2012 an VG Berlin). Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnislage vermag das Gericht nicht zu erkennen, dass der Kläger die gegenwärtig eingenommenen Medikamente (Schlaftabletten) in Gambia nicht erhalten wird, zumal es sich beim Kläger um eine arbeitsfähige Person handelt, der eine Arbeitsaufnahme in Gambia zumutbar ist.
35 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

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Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 19. Juni 2018 - A 11 K 13255/17 zitiert 9 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

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(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 77 Entscheidung des Gerichts


(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefä

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 108


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 102


(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende di

Psychotherapeutengesetz - PsychThG 2020 | § 2 Erteilung der Approbation


(1) Die Approbation als Psychotherapeutin oder Psychotherapeut ist auf Antrag zu erteilen, wenn die antragstellende Person 1. das Studium, das Voraussetzung für die Erteilung einer Approbation als Psychotherapeutin oder Psychotherapeut ist, erfolgrei

Psychotherapeutengesetz - PsychThG 2020 | § 5 Rücknahme, Widerruf und Ruhen


(1) Die Approbation ist zurückzunehmen, wenn bei ihrer Erteilung die Voraussetzung des § 2 Absatz 1 Nummer 1 nicht vorgelegen hat. Die Approbation kann zurückgenommen werden, wenn bei ihrer Erteilung die Voraussetzung des § 2 Absatz 1 Nummer 2 oder N

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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 06. Nov. 2017 - 11 ZB 17.31463

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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 20. Nov. 2017 - 11 ZB 17.31318

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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 11. Aug. 2016 - 20 ZB 16.30110

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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 28. Juli 2015 - 13a ZB 15.30073

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Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung geg

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 27. Jan. 2015 - 13 A 1201/12.A

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Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 21. März 2012 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 01. Dez. 2014 - 2 M 119/14

bei uns veröffentlicht am 01.12.2014

Gründe 1 I. Die gemäß § 146 Abs. 4 VwGO zulässige Beschwerde der Antragsteller hat Erfolg. 2 Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, dass ihre Ausreise aufgrund inlandsbezogener Vollstreckungshind

Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 14. Jan. 2008 - A 11 K 4941/07

bei uns veröffentlicht am 14.01.2008

Tenor Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass bei der Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 07.09.2007 wird aufgehoben, soweit

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(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 21. März 2012 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Die Approbation ist zurückzunehmen, wenn bei ihrer Erteilung die Voraussetzung des § 2 Absatz 1 Nummer 1 nicht vorgelegen hat. Die Approbation kann zurückgenommen werden, wenn bei ihrer Erteilung die Voraussetzung des § 2 Absatz 1 Nummer 2 oder Nummer 3 nicht vorgelegen hat. Im Übrigen bleiben die dem § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften unberührt.

(2) Die Approbation ist zu widerrufen, wenn nachträglich

1.
die Voraussetzung nach § 2 Absatz 1 Nummer 2 wegfällt oder
2.
dauerhaft die Voraussetzung nach § 2 Absatz 1 Nummer 3 wegfällt.
Im Übrigen bleiben die dem § 49 des Verwaltungsverfahrensgesetzes entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften unberührt.

(3) Das Ruhen der Approbation kann angeordnet werden, wenn

1.
gegen die betreffende Person wegen des Verdachts einer Straftat, aus der sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergeben würde, ein Strafverfahren eingeleitet worden ist,
2.
die gesundheitliche Eignung zur Ausübung des Berufs voraussichtlich nur vorübergehend wegfällt,
3.
Zweifel an der gesundheitlichen Eignung der betreffenden Person bestehen, die Person sich aber weigert, sich einer von der zuständigen Behörde angeordneten amts- oder fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen,
4.
sich erweist, dass die betreffende Person nicht über die für die Ausübung des Berufs erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt oder
5.
sich ergibt, dass die betreffende Person nicht ausreichend gegen die sich aus ihrer Berufsausübung ergebenden Haftpflichtgefahren versichert ist, sofern kraft Landesrechts oder kraft Standesrechts eine Pflicht zur Versicherung besteht.
Die Anordnung des Ruhens der Erlaubnis ist aufzuheben, sobald die Voraussetzung für die Anordnung nicht mehr vorliegt.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend für Personen mit einer Erlaubnis zur vorübergehenden Berufsausübung oder einer Erlaubnis zur partiellen Berufsausübung.

(1) Die Approbation als Psychotherapeutin oder Psychotherapeut ist auf Antrag zu erteilen, wenn die antragstellende Person

1.
das Studium, das Voraussetzung für die Erteilung einer Approbation als Psychotherapeutin oder Psychotherapeut ist, erfolgreich absolviert hat und die psychotherapeutische Prüfung nach § 10 bestanden hat,
2.
sich nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergibt,
3.
nicht in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung des Berufs ungeeignet ist und
4.
über die für die Ausübung des Berufs erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt.

(2) Soll die Erteilung der Approbation abgelehnt werden, weil mindestens eine der in Absatz 1 Nummer 2 oder Nummer 3 genannten Voraussetzungen nicht vorliegt, so ist die antragstellende Person oder ihre gesetzliche Vertreterin oder ihr gesetzlicher Vertreter vor der Entscheidung zu hören.

(3) Ist gegen die antragstellende Person wegen des Verdachts einer Straftat, aus der sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergeben kann, ein Strafverfahren eingeleitet, so kann die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung der Approbation ausgesetzt werden, bis das Strafverfahren beendet ist.

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 10. Dezember 2014 ist unbegründet.

Das Urteil weicht nicht von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ab. Eine Divergenz im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem sein Urteil tragenden Obersatz von einem Obersatz des höheren Gerichts abgewichen ist (BVerwG, B.v. 19.8.1997 - 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328).

Der Kläger rügt, die Ansicht des Verwaltungsgerichts, die Anforderungen an das substantiierte Vorbringen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) seien auch auf die Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode zu übertragen, stehe im Widerspruch zum Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 21. März 2014 (13a ZB 13.30292). Dort sei ausgeführt, dass das Substantiierungserfordernis überspannt sei, wenn die hohen Anforderungen an die Diagnose bei PTBS auf diejenigen der Depression übertragen würden.

Vorliegend ist das Verwaltungsgericht zum Ergebnis gelangt, dass die vom Kläger vorgelegte psychologische Stellungnahme eines Diplom-Psychologen den im Einzelnen genannten Anforderungen an die Substantiierung seines Vorbringens nicht genüge. In erster Linie stützt sich das Verwaltungsgericht dabei darauf, dass die Stellungnahme von einem Diplom-Psychologen ausgestellt sei und nicht von einem Facharzt für psychische Erkrankungen (UA S. 9 f.). Aufgrund der Eigenart des geltend gemachten Krankheitsbildes bestünden entsprechende Anforderungen an ärztliches Vorgehen und Diagnostik, die nur von Fachärzten für Psychiatrie oder für Psychotherapeutische Medizin erfüllt werden könnten. „Diplom-Psychologe“ dürfe sich nennen, wer ein Psychologiestudium an einer Universität absolviert habe. Der Beruf des Psychologen sei kein Heilberuf; mangels Approbation dürfe der Psychologe nicht eigenverantwortlich heilberuflich am Menschen tätig werden. Der Diplom-Psychologe sei nicht als Facharzt approbiert, daher fehle ihm die fachliche ärztliche Kompetenz, so komplizierte Diagnosen psychischer Erkrankungen zu stellen.

Mit diesen Ausführungen wird kein Obersatz aufgestellt, welcher der vom Kläger zitierten Rechtsprechung des Senats widersprechen würde. Dort war die Erkrankung von einer Fachärztin für Neurologie und Nervenheilkunde diagnostiziert worden, die eine PTBS und eine „depressive Störung mittelgradiger Ausprägung“ bescheinigt hatte. Dementsprechend war auch der Beweisantrag auf das Vorliegen einer Depression und einer PTBS gerichtet. Bei der Ablehnung des Beweisantrags hat sich das Verwaltungsgericht im dortigen Fall allein auf die PTBS gestützt und ihn nach den Anforderungen an einen substantiierten Vortrag für dieses Krankheitsbild gewürdigt. Mit der Depression hat es sich überhaupt nicht befasst. Vorliegend hingegen hat das Verwaltungsgericht im Einklang mit dem Beweisantrag die attestierte depressive Episode zugrunde gelegt und insbesondere darauf hingewiesen, dass die Stellungnahme im Gegensatz zur vorgelegten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs nicht von einem diagnoseberechtigten (Fach-)Arzt, sondern von einem Diplom-Psychologen ausgestellt sei. Damit weicht das Verwaltungsgericht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, weil die Ausgangslage eine andere ist.

Aus den gleichen Gründen scheidet auch der vom Kläger weiter geltend gemachte Verfahrensmangel der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO).

Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Der Kläger muss die Möglichkeit haben, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (BVerfG, B.v. 21.4.1982 - 2 BvR 810/81 - BVerfGE 60, 305/310). Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch in Erwägung zu ziehen (BVerfG, B.v. 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133/146 = DVBl 1992, 1215; BayVerfGH, E.v. 13.3.1981 - Vf. 93-VI-78 - BayVBl 1981, 529). Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, B.v. 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133/146; B.v. 23.7.2003 - 2 BvR 624/01 - NVwZ-RR 2004, 3). Für den substantiierten Tatsachenvortrag und die schlüssige Darlegung seines Schicksals ist der Kläger selbst verantwortlich (BVerwG, B.v. 28.12.1999 - 9 B 467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51).

Der Kläger rügt, die Ablehnung des Beweisantrags sei rechtswidrig, weil die Gleichsetzung des Krankheitsbilds einer posttraumatischen Belastungsstörung mit dem einer mittelgradigen depressiven Episode hinsichtlich der an die Diagnose zu stellenden Anforderungen nicht haltbar sei. Wie bereits erläutert, hat sich das Verwaltungsgericht explizit mit dem Substantiierungserfordernis einer psychischen Krankheit befasst. Die Auffassung, dass die vorgelegte Stellungnahme eines Diplom-Psychologen nicht dem Substantiierungserfordernis eines Beweisantrags entspricht, ist nicht zu beanstanden. Insbesondere verweist das Verwaltungsgericht zu Recht darauf, dass sie nicht von einem Arzt, sondern von einem Diplom-Psychologen erstellt ist. Dieser ist nicht zur Diagnostik befugt, wie sich aus dem Gesetz über die Berufsausübung, die Berufsvertretungen und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker sowie der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Heilberufe-Kammergesetz - HKaG) ergibt. Danach gehört die Tätigkeit eines Psychologen nicht zu den Heilberufen. Das ist erst der Fall, wenn ein Psychologe zusätzlich die mindestens dreijährige Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten gem. § 5 Psychotherapeutengesetz (PsychThG) abgeleistet und die entsprechende Approbation (§ 2 PsychThG) erhalten hat (siehe hierzu auch OVG NRW, B.v. 19.12.2008 - 8 A 3053/08.A - AuAS 2009, 82). Erst der approbierte Psychologe hat das Recht und trägt die Verantwortung sowohl für die Erstellung von Diagnosen als auch für seine Entscheidung über eine Psychotherapie und ihre Durchführung (Stellungnahme des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen - bpd - zur Tätigkeit des Diplom-Psychologen als Sachverständiger im Sozialgerichtsverfahren, abrufbar unter www.b...-v....org/b...html).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

Tenor

I.

Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 8. April 2016 wird zugelassen, soweit damit die Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG abgewiesen wurde.

II.

Im Übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung verworfen.

III.

Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S., M., für das Zulassungsverfahren und das anschließende Berufungsverfahren bewilligt, soweit die Berufung zugelassen wurde. Im Übrigen wird der Prozesskostenhilfeantrag abgelehnt.

IV.

Die Kostenentscheidung bleibt der Berufungsentscheidung vorbehalten.

Gründe

1. Soweit der Zulassungsantrag sich auf die Klageabweisung hinsichtlich der im Hauptantrag begehrten Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG bezieht, war er zu verwerfen, da insoweit eine § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügende Darlegung der Zulassungsgründe nicht erfolgt ist. Denn der geltend gemachte Zulassungsgrund einer dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht gerecht werdenden Ablehnung der gestellten Beweisanträge betrifft allein die mit dem Hilfsantrag begehrte Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes.

2. Im Übrigen ist der Zulassungsantrag jedoch zulässig und begründet.

Die rechtlich fehlerhafte Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags stellt nicht immer einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs dar, sondern erst dann, wenn die Nichtberücksichtigung im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (Berlit in GK-AsylVfG, 52. Ergänzungslieferung April 1998, § 78 Rn. 665 m. w. N.). Ein solcher qualifizierter Rechtsverstoß liegt hier vor, da das Attest bzw. der psychologische Bericht des Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten H. S. vom 18. Januar 2016 die vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 11. September 2007 (Az. 10 C 8/07, BVerwGE 129, 251, Rn. 15 und Leitsatz 1) aufgestellten Anforderungen an ein fachärztliches Attest inhaltlich erfüllt.

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der psychologische Bericht des Dipl.-Psych. S. nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden konnte, dass es sich bei ihm nicht um einen Arzt, sondern um einen Psychologischen Psychotherapeuten handelt. Denn aus der ausschließlichen Erwähnung eines „fachärztlichen“ Attestes in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts folgt nicht, dass damit die gutachterliche Stellungnahme eines Psychologischen Psychotherapeuten zur Substantiierung eines Sachverständigen-Beweisantrags schlechthin ungeeignet wäre. Dies ergibt sich einerseits aus der vom Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung vorgenommenen Einschränkung, dass „regelmäßig“ die Vorlage eines fachärztlichen Attestes erforderlich sei. Der Senat geht ebenso wie das OVG NRW (vgl. u. a. B.v. 19.12.2008, Az. 8 A 3053/08.A, InfAuslR 2009, 173 - 174) davon aus, dass auch Psychologische Psychotherapeuten aufgrund ihrer Ausbildung (vgl. § 5 Psychotherapeutengesetz - PsychThG) und ihrer fachlichen Qualifikation befähigt sind, psychische Erkrankungen wie auch posttraumatische Belastungsstörungen zu diagnostizieren (ebenso VG München, U.v. 28.7.2015 - M 2 K 14.31070 - juris, U.v. 14.2.2014 - M 21 K 11.30993 - juris; VG Augsburg, U.v. 21.6.2013 - Au 7 K 13.30077 - juris). Der psychologische Bericht vom 18. Januar 2016 enthält sowohl die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderlichen Pflichtangaben zur Beschreibung des Krankheitsbildes, zur Dauer und Häufigkeit der Behandlung und (obwohl unter der alleinigen Zwischenüberschrift des gesamten zweiseitigen Berichts „Anamnese“ aufgeführt) Aussagen über die Bestätigung der durch Anamnese des Betroffenen geschilderten Beschwerden durch die Diagnose des Behandelnden. Auch die als „Soll-Anforderungen“ vom Bundesverwaltungsgericht formulierten Angaben über Schwere der Krankheit und Behandlungsbedürftigkeit liegen vor. Allenfalls die Angaben über den Behandlungsverlauf sind etwas knapp geraten, als insoweit nur ausgeführt wird, dass das Verhältnis zur Belastung krankheitsbedingt massiv gestört sei. Da die sonstigen Angaben aber komplett vorhanden sind und der psychologische Bericht insgesamt ein anschauliches Bild über das Krankheitsbild wiedergibt, sind die Mindestanforderungen gewahrt.

Die Beweisanträge auf Einvernahme des Dipl.-Psych. S. (wofür nach der zutreffenden Rechtsprechung des VGH BW, B.v. 9.7.2012, Az. A 9 S 1359/12, AuAS 2012, 211, Leitsatz 1 und Rn. 14, die gleichen Grundsätze wie nach dem Urteil des BVerwG vom 11.9.2007 gelten) sowie auf Einholung eines Sachverständigengutachtens konnten auch nicht wegen eines unauflöslich widersprüchlichen Verfolgungsvortrags abgelehnt werden. Nach dieser Rechtsprechung greift das Gebot, ordnungsgemäß gestellten Beweisanträgen nachzugehen dann ausnahmsweise nicht, wenn das das Asylbegehren stützende Vorbringen in sich so unschlüssig und widersprüchlich ist, dass ein sachliches Substrat für eine Beweiserhebung zu einzelnen Elementen des Vorbringens fehlt (vgl. zum Ganzen Berlit in GK-AsylVfG, 52. Ergänzungslieferung, April 1998, § 78 Rn. 364 m. w. N.). Denn im vorliegenden Fall deckt sich der Kernbereich des Vorbringens des Klägers beim Bundesamt wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht mit seinen Angaben bei diversen Ärzten und Psychologen, die er wegen seiner psychischen Beschwerden aufgesucht hat. Nur in Randbereichen finden sich hier Widersprüche, deren Ursache in der jeweiligen Situation durchaus auch durch unzureichende Übersetzung gesetzt worden sein kann. Unauflösliche Widersprüche liegen aber nicht vor.

Dementsprechend liegen, soweit dem Antrag auf Zulassung der Berufung stattzugeben war, auch die Voraussetzungen für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung nach § 166 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO vor.

Wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung bleibt diese der Entscheidung über die Berufung vorbehalten (vgl. zum Ganzen Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 30. Ergänzungslieferung Februar 2016, § 124a, Rn. 136 m. w. N.).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG, § 152 VwGO.

Gründe

1

I. Die gemäß § 146 Abs. 4 VwGO zulässige Beschwerde der Antragsteller hat Erfolg.

2

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, dass ihre Ausreise aufgrund inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse infolge einer Erkrankung des Antragstellers zu 1 unmöglich sei. Es sei nicht davon auszugehen, dass bei diesem eine Reiseunfähigkeit vorliege. Die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen seien unzureichend. Die Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie D. enthalte weder eine Anamnese noch eine nachvollziehbare Diagnose. Die Bescheinigungen der Psychologinnen S. und K. seien zwar ausführlicher, beruhten aber nur auf den Angaben des Antragstellers zu 1, so dass die Schlussfolgerung, eine vorgetäuschte Diagnose könne ausgeschlossen werden, nicht überzeuge. Auch werde nicht darauf eingegangen, ob die vom Antragsteller zu 1 geschilderten Symptome in Zusammenhang mit der Einnahme von Medikamenten oder Halluzinogenen stünden. Auffällig sei, dass die vom Antragsteller zu 1 geäußerten Kriegserlebnisse im Rahmen der Anhörungen vor dem Bundesamt nicht geschildert worden seien. Zudem falle auf, dass sich der Antragsteller zu 1 erst nach Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen in psychiatrische Behandlung begeben habe, obwohl er sich bereits seit 2010 in Deutschland aufhalte. Die Bescheinigungen zögen auch keinerlei Alternativursachen in Betracht, obwohl dies angesichts der geschilderten Ängste des Antragstellers zu 1 naheliegend sei. Als Alternativursache komme ein schweres Entwurzelungssyndrom in Betracht. Dies werde weder erwähnt noch im Rahmen einer Differentialdiagnose diskutiert. Die psychologischen Stellungnahmen seien ersichtlich darauf angelegt, dem Antragsteller zu 1 zum beantragten Abschiebungsschutz zu verhelfen. Die äußerst kurzen Stellungnahmen der Amtsärztinnen S. und M. enthielten keinerlei medizinische Substanz. Es werde nicht einmal erläutert, um was für eine psychische Erkrankung es sich handeln soll, die beim Antragsteller zu 1 bestehe. Es sei auch nicht ersichtlich, dass dieser aufgrund einer akuten und schwerwiegenden Erkrankung an posttraumatischer Belastungsstörung dringend auf ärztliche Behandlung gerade in Deutschland angewiesen sei. Ziehe man in Betracht, dass bei einer Rückkehr des Antragstellers zu 1 in seine Heimat sowohl die Sprachbarriere, die einer aussichtsreichen Heilung psychischer Probleme in Deutschland entgegenstehe, als auch die soziale Isolation entfielen, sei von zusätzlichen Erschwernissen durch die Verneinung von Abschiebungshindernissen nicht auszugehen. Aufgrund der aufgezeigten Mängel sei auch nicht davon auszugehen, dass eine akute Suizidalität mit Eigen- und Fremdgefährdung bei einer Abschiebung des Antragstellers zu 1 bestehe. Möglichen Gefährdungen sei durch geeignete Vorkehrungen und Modalitäten bei der Abschiebung zu begegnen. Der Antragsgegner habe für sichere Abschiebemodalitäten und eine Begleitung durch Fachpersonal (Arzt/Sanitäter) Sorge zu tragen. Ebenso sei nach Eintreffen des Rücktransports in der Heimat des Antragstellers zu 1 durch vorherige Kontaktaufnahme mit den Heimatbehörden dessen nahtlose ärztliche und psychologische Begleitung und Versorgung sicherzustellen und eine Zurverfügungstellung von Medikamenten zu veranlassen. Dadurch werde der dem Antragsteller zu 1 bescheinigten Suizidgefahr im Rahmen der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen mit angemessenen Mitteln begegnet. Hinzu komme, dass eine Rückführung in die Heimat gerade zu einer Besserung der Gesamtsymptomatik führen könne: Die auch für seelisch Gesunde – zumal nach langjährigen Auslandsaufenthalt – bestehende starke Belastung einer drohenden Abschiebung entfalle nach dem Vollzug, was dafür spreche, dieses schwierige Phase nicht hinauszuzögern, sondern abzukürzen.

3

Dieser Würdigung durch das Verwaltungsgericht tritt die Beschwerde mit Erfolg entgegen.

4

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sogenannte Sicherungsanordnung). Anordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Für den Anordnungsanspruch einer Sicherungsanordnung genügt dabei die Glaubhaftmachung von Tatsachen, aus denen sich zumindest ergibt, dass der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen ist; ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht, wenn eine vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten materiellen Anspruchs zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dringlich ist (Beschl. d. Senats v. 20.06.2011 – 2 M 38/11 –, Juris RdNr. 8 m.w.N.).

5

Diese Voraussetzungen für den Erlass der von den Antragstellern begehrten einstweiligen Anordnung sind erfüllt. Es besteht die Gefahr, dass die vom Antragsgegner in Aussicht genommene Abschiebung der Antragsteller ohne eine vorherige gutachtliche Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen die Verwirklichung eines ihnen in der Hauptsache möglicherweise zustehenden Anspruchs auf weitere Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vereitelt.

6

1. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist offen, ob durch die Abschiebung eine wesentliche Verschlechterung der beim Antragsteller zu 1 nach den vorliegenden ärztlichen bzw. psychologischen Stellungnahmen vorhandenen psychischen Erkrankung eintreten und sich dadurch die auf dieser Krankheit beruhende (latente) Selbstmordgefahr in einer Weise erhöhen wird, dass eine Abschiebung nicht verantwortet werden kann.

7

Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 20.06.2011 – 2 M 38/11 – a.a.O. RdNr. 5) kann auch eine bestehende psychische Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG in zwei Fallgruppen begründen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange der Ausländer wegen Erkrankung transportunfähig ist, d. h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens" wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet; dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Es geht also nicht nur darum, während des eigentlichen Abschiebevorgangs selbstschädigende Handlungen eines aufgrund einer psychischen Erkrankung suizidgefährdeten Ausländers zu verhindern; eine Abschiebung hat vielmehr auch dann zu unterbleiben, wenn sich durch den Abschiebevorgang die psychische Erkrankung (wieder) verschlimmert, eine latent bestehende Suizidalität akut wird und deshalb die Gefahr besteht, dass der Ausländer unmittelbar vor oder nach der Abschiebung sich selbst tötet. Von einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis ist auch dann auszugehen, wenn sich die Erkrankung des Ausländers gerade aufgrund der zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland wesentlich verschlechtert, und nicht nur, wenn ein Suizid während der Abschiebung droht (BayVGH, Beschl. v. 23.10.2007 – 24 CE 07.484 –, Juris RdNr. 21). Die Frage, ob Maßnahmen bei der Gestaltung der Abschiebung – wie ärztliche Hilfe und Flugbegleitung – ausreichen, um der auf einer psychischen Erkrankung beruhenden ernsthaften Suizidgefahr wirksam zu begegnen, lässt sich erst aufgrund einer möglichst fundierten und genauen Erfassung des Krankheitsbildes und der sich daraus ergebenden Gefahren beantworten; eine abstrakte oder pauschale Zusicherung von Vorkehrungen wird dem gebotenen Schutz aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht gerecht (OVG NW, Beschl. v. 09.05.2007 – 19 B 352/07 –, Juris RdNr. 7).

8

Macht ein Ausländer eine solche Reiseunfähigkeit geltend oder ergeben sich sonst konkrete Hinweise darauf, ist die für die Aussetzung der Abschiebung zuständige Ausländerbehörde verpflichtet, den aufgeworfenen Tatsachenfragen, zu deren Beantwortung im Regelfall medizinische Sachkunde erforderlich ist, im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA nachzugehen, wobei der Ausländer zur Mitwirkung verpflichtet ist (§ 82 AufenthG). Kann die Reiseunfähigkeit trotz Vorliegens ärztlicher oder psychologischer Fachberichte nicht als erwiesen angesehen werden, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass für die Ausländerbehörde kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht. Sie bleibt nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA verpflichtet, den Sachverhalt selbst weiter aufzuklären, wenn und soweit sich aus den ärztlichen oder psychologischen Äußerungen, dem Vortrag des Ausländers oder aus sonstigen Erkenntnisquellen ausreichende Indizien für eine Reiseunfähigkeit ergeben. Ist das der Fall, wird regelmäßig eine amtsärztliche Untersuchung oder die Einholung einer ergänzenden (fach-)ärztlichen Stellungnahme oder eines (fach-)ärztlichen Gutachtens angezeigt sein, da der Ausländerbehörde und auch den Verwaltungsgerichten die erforderliche medizinische Sachkunde zur Beurteilung einer mit der Abschiebung einhergehenden Gesundheitsgefahr und auch der Frage fehlen dürfte, mit welchen Vorkehrungen diese Gefahr ausgeschlossen oder gemindert werden könnte (vgl. VGH BW, Beschl. v. 06.02.2008 – 11 S 2439/07 –, Juris RdNr. 9).

9

Im Fall des Antragstellers zu 1 ist ein solcher weiterer Aufklärungsbedarf gegeben. Die vorliegenden ärztlichen und psychologischen Stellungnahmen gehen zwar davon aus, dass der Antragsteller zu 1 an einer psychischen Erkrankung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSB) leidet und im Falle einer Abschiebung eine erhöhte Suizidgefahr besteht. Ob dies zutrifft, ist jedoch auch im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht erhobenen Einwände zweifelhaft. Die Problematik muss daher erst in einem ergänzenden fachärztlichen Gutachten abschließend geklärt werden.

10

Die Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie D. von der (…)-Praxis GmbH vom 12.03.2014 (GA Bl. 30) diagnostiziert bei dem Antragsteller zu 1 zwar eine posttraumatische Belastungsstörung, lässt aber nicht erkennen, auf Grund welcher Befundtatsachen die angesprochene Diagnose gestellt wurde, und legt auch nicht dar, welche Folgen sich aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Damit erfüllt sie die Anforderungen nicht, die nach der Rechtsprechung des Senats an die Glaubhaftmachung einer Krankheit als rechtliches Abschiebungshindernis zu stellen sind (vgl. Beschl. v. 08.02.2012 – 2 M 29/12 –, Juris RdNr. 11).

11

Die psychologischen Stellungnahmen der Psychologin S. vom 20.03.2013 (GA Bl. 35 – 36) sowie der Psychologin K. und des Systemischen Therapeuten D. vom Psychosozialen Zentrum für Migrantinnen und Migranten in Sachsen-Anhalt vom 21.05.2014 (GA Bl. 89 – 93) diagnostizieren bei dem Antragsteller zu 1 eine posttraumatische Belastungsstörung in Komorbidität mit einer mittelschweren Depression. Eine vorgetäuschte Diagnose schließen sie aus. Eine Abschiebungsankündigung bzw. eine Rückkehr in den Kosovo werde mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar psychische Dekompensation(en) und suizidale Verhaltensweisen zur Folge haben. Auch ein erweiterter Suizid erscheine möglich. Aus psychologisch-therapeutischer Sicht wäre eine Abschiebungsandrohung bzw. eine Rückkehr mit einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zur Stimulation einer Selbstgefährdung des Antragstellers zu 1 verbunden. In der Stellungnahme vom 21.05.2014 wird darüber hinaus ausführlich dargestellt, auf welcher Grundlage die Diagnose gestellt wurde. Mit dem Antragsteller zu 1 seien seit dem 01.02.2013 insgesamt zehn Gespräche zur Diagnostik, Stabilisierung und unmittelbaren Krisenintervention geführt worden. Befund und Spontanangaben werden ausführlich wiedergegeben. Auf dieser Grundlage wird sowohl die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung in Komorbidität mit einer mittelschweren Depression gestellt als auch die Behandlungsbedürftigkeit beurteilt. Diese Stellungnahmen enthalten zwar ernst zu nehmende Hinweise auf eine mögliche Suizidgefahr bei einer Abschiebung des Antragstellers zu 1 in den Kosovo. Sie sind jedoch auch gewichtigen Einwänden ausgesetzt. Zunächst enthält insbesondere die zuletzt vorgelegte psychologische Stellungnahme vom 21.05.2014 keinen überzeugenden Nachweis eines Traumas. Voraussetzung für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung ist jedoch der Nachweis eines traumatischen Ereignisses (vgl. Ebert/Kindt, Die posttraumatische Belastungsstörung im Rahmen von Asylverfahren, VBlBW 2004, 41 <42>; Gierlichs u.a., Grenzen und Möglichkeiten klinischer Gutachten im Ausländerrecht, ZAR 2005, 158 <161>). Da die einschlägigen fachärztlichen bzw. psychologischen Gutachten wesentlich auf den Angaben des Betroffenen beruhen, bedarf es insoweit der Prüfung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Betroffenen (VGH BW, Beschl. v. 02.05.2000 – 11 S 1963/99 –, Juris RdNr. 7; SächsOVG, Beschl. v. 21.01.2014 – 3 B 476/13 –, Juris RdNr. 5; Middeke, Posttraumatisierte Flüchtlinge im Asyl- und Abschiebungsprozess, DVBl. 2005, 150 <151>). Von Bedeutung für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit ist dabei der Umstand, dass bestimmte Ereignisse, die im Rahmen der klinischen Begutachtung als traumatisierend dargestellt werden, bei der vorherigen Anhörung vor dem Bundesamt nicht angegeben wurden. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt, die schon längere Zeit zurückliegen, ist eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (SächsOVG, Beschl. v. 21.01.2014 – 3 B 476/13 – a.a.O. RdNr. 5 unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 11.09.2007 – BVerwG 10 C 8.07 –, Juris RdNr. 15). Nach diesen Grundsätzen ist die Stellungnahme vom 21.05.2014 dem fachlichen Einwand ausgesetzt, dass nicht klar wird, worin das die posttraumatische Belastungsstörung auslösende Trauma liegen soll. Im Rahmen der Biographischen Anamnese werden Ereignisse aus dem Jahr 1999 nach Ausbruch des Kosovokrieges geschildert, aber auch zeitlich nachfolgende Bedrohungen und Misshandlungen in Serbien, Übergriffe von albanisch sprechenden Männern nach der Rückkehr der Antragsteller in das Kosovo sowie eine Bedrohung des Sohnes des Antragstellers zu 1 mit einer Pistole durch Nachbarn. Soweit die Ereignisse während des Kosovokrieges im Jahr 1999 als maßgeblich für das Trauma anzusehen sein sollten, wäre zu begründen, warum diese Umstände nicht schon während der Anhörung des Antragstellers zu 1 am 29.03.2010 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgetragen wurden. Begründungsbedürftig ist ferner der Umstand, dass der Antragsteller zu 1 das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung erst im Jahr 2013 geltend gemacht hat, obwohl er bereits seit dem Jahr 2010 aus seiner Heimat ausgereist ist. Ein weiterer Mangel der Stellungnahme vom 21.05.2014 liegt darin, dass nicht explizit angegeben wird, nach welchen Kriterien eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde (vgl. dazu Ebert/Kindt, a.a.O. S. 42). Schließlich stellt sich noch die Frage, ob die beim Antragsteller zu 1 festgestellten Symptome nicht auch andere Ursachen als eine posttraumatische Belastungsstörung haben können, etwa die unkontrollierte Einnahme von Medikamenten und Halluzinogenen oder ein schweres Entwurzelungssyndrom.

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Die Stellungnahmen der Amtsärztin S. vom 08.07.2013 und 10.03.2014 sowie der Amtsärztin M. vom 29.04.2014 und 20.05.2014 lassen ebenfalls keine abschließende Beurteilung der hier relevanten Fragestellung zu. In dem amtsärztlichen Gutachten zur Beurteilung der Flug- und Reisefähigkeit des Antragstellers zu 1 vom 08.07.2013 (GA Bl. 50) heißt es, dieser leide an einer psychischen Erkrankung, die akut exazerbiert sei. Zum jetzigen Zeitpunkt bestehe die akute Gefahr eines Suizids bzw. erweiterten Suizids. In der Stellungnahme vom 10.03.2014 (GA Bl. 49) heißt es, die Reisefähigkeit im weiteren Sinne sei aufgrund der psychischen Erkrankung des Antragstellers zu 1 nicht gegeben. In der Stellungnahme vom 29.04.2014 (GA Bl. 62) wird ausgeführt, es könnten keine wesentlichen Veränderungen der gesundheitlichen Situation des Antragstellers zu 1 festgestellt werden. Er habe weiterhin eine unbändige Angst vor der Abschiebung in sein Heimatland. Er reagiere damit, im Abschiebungsfall sich und seine Familie umzubringen. Die Flug- und Reisetauglichkeit sei nach wie vor unsicher, da in keiner Weise abzuschätzen sei, ob der Antragsteller zu 1 seine Drohungen wahr mache. In der Stellungnahme vom 20.05.2014 (GA Bl. 61) wird ergänzend ausgeführt, bei der Vorstellung im Gesundheitsamt habe der Antragsteller zu 1 überzeugend den Eindruck gemacht, dass er im Falle einer Abschiebung sich und seiner Familie etwas antun werde. Es bestehe eine bedingte Flug- und Reisefähigkeit. Bedingung sei die Minderung der Eigen- und Fremdgefährdung. Die sei durch Verzicht auf eine vorherige Ankündigung des Abschiebetages und eine fachärztliche Begleitung während des Fluges zu gewährleisten. In diesen Stellungnahmen wird weder angegeben, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände die fachliche Beurteilung erfolgt ist, noch enthalten sie eine nachvollziehbare medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes oder eine nachvollziehbare Darlegung der Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Die in der Stellungnahme vom 20.05.2014 vertretene Annahme, eine hinreichende Minderung der Eigen- und Fremdgefährdung könne durch Verzicht auf eine vorherige Ankündigung des Abschiebetages und Gewährleistung einer fachärztlichen Begleitung während des Fluges sichergestellt werden, wird nicht näher begründet und stellt sich als reine Spekulation dar. Zur Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen sind diese amtsärztlichen Stellungnahmen ungeeignet.

13

Vor diesem Hintergrund liegen zwar Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller zu 1 unter einer posttraumatische Belastungsstörung leidet und eine Abschiebung zu einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führt. Es verbleiben jedoch Zweifel. Bei dieser Sachlage kann über das Vorliegen des geltend gemachten Duldungsgrundes ohne fachärztliches Gutachten zur Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen nicht entschieden werden. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist damit offen, so dass ein Anordnungsanspruch gegeben ist.

14

2. Auch die Antragstellerin zu 2 und die Antragsteller zu 3 – 6 haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Eine rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG kann sich aus inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen ergeben, zu denen auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa mit Blick auf Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind. Der Schutz des Art. 6 GG umfasst die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben. Sich hieraus ergebende schutzwürdige Belange können einer (zwangsweisen) Beendigung des Aufenthalts des Ausländers dann entgegen stehen, wenn es ihm nicht zuzumuten ist, seine tatsächlichen Bindungen zu berechtigterweise im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (Beschl. d. Senats v. 14.08.2014 – 2 L 115/13 – m.w.N.). Derartige schutzwürdige Belange liegen im Fall der Antragstellerin zu 2 und der Antragsteller zu 3 – 6 vor. Aufgrund der oben dargestellten Umstände besteht bei dem Antragsteller zu 1 möglicherweise ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis. Die übrigen Familienmitglieder können daher einstweilen eine gewünschte familiäre Lebensgemeinschaft im gemeinsamen Heimatland nicht führen. Eine alleinige auch nur kurzfristige Rückkehr ohne Begleitung durch den Antragsteller zu 1 in das Kosovo ist ihnen ebenfalls nicht zuzumuten.

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3. Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Der Antragsgegner beabsichtigt, die Antragsteller ohne vorherige Einholung eines fachärztlichen Gutachtens zur Suizidgefahr abzuschieben. Die vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten Duldungsanspruchs ist daher zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dringlich. Denn der Duldungsanspruch erlischt ebenso wie die Aussetzung selbst (vgl. § 60a Abs. 5 Satz 1 AufenthG) mit der Ausreise (vgl. VGH BW, Beschl. v. 06.02.2008 – 11 S 2439/07 – a.a.O. RdNr. 14). Er würde durch die Abschiebung daher vereitelt. Zudem ist eine Abschiebung ohne vorherige fachärztliche Begutachtung der damit nach den vorliegenden Erkenntnissen möglicherweise einhergehenden gesundheitlichen Risiken mit der staatlichen Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren.

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II. Den Antragstellern ist auch die beantragte Prozesskostenhilfe zu gewähren, weil sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint und aus den vorstehend ausgeführten Gründen hinreichende Erfolgsaussichten zu bejahen sind (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).

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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

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VI. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des beschließenden Senats, im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes den halben Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG je Antragsteller festzusetzen, soweit Streitgegenstand – wie hier – die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung ist.


Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass bei der Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 07.09.2007 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Die Klägerin ist türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Sie reiste am 08.12.2002 in das Bundesgebiet ein. Am 09.01.2003 beantragte Sie die Gewährung von Asyl.
Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 19.03.2003 wurde der Asylantrag abgelehnt und festgestellt, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen, sowie mit einer Ausreisefrist von einem Monat die Abschiebung angedroht. Die hierauf eingelegten Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (vgl. VG Stuttgart, Urt. v. 25.10.2005 - A 15 K 10904/03 - und VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.04.2006 - A 12 S 1096/05 -).
Mit Schriftsatz vom 10.05.2007 stellte die Klägerin einen Asylfolgeantrag und brachte zur Begründung vor, ihr Gesundheitszustand habe sich erheblich verschlimmert. Aufgrund ihres Gesundheitszustandes bestehe im Falle einer Abschiebung in die Türkei eine Gefahr für Leib und Leben. In der Türkei habe sie in massiver Weise Verfolgung und menschenrechtswidrige Behandlung erlitten; hierdurch sei sie in ihrer psychischen Integrität erheblich verletzt und traumatisiert worden. Gleichzeitig legte die Klägerin ein ärztliches Attest der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie - Psychotherapie Dr. Beier-Fügel vom 12.06.2006, ein Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 sowie ein Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 12.04.2007 vor.
Mit Bescheid vom 07.09.2007 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 19.03.2003 bezüglich der Feststellung zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 VwVfG seien nicht erfüllt. Die vorgelegten ärztlichen Gutachten und Atteste könnten die Feststellungen im Urteil des VG Stuttgart vom 25.10.2005 nicht erschüttern. Bei den vorgelegten ärztlichen Gutachten und Attesten handele es sich um fachpsychiatrische Aussagen über den gegenwärtigen Gesundheitszustand der Klägerin und nicht um belastbare, verlässliche Analysen der Erlebnisse der Klägerin in der Türkei. Die Aussagen der Klägerin seien von den ärztlichen Gutachtern keiner nachvollziehbaren wissenschaftlichen Bewertung unterzogen worden. Am Wahrheitsgehalt des gesteigerten Sachvortrags der Klägerin bestünden Zweifel, da sie bereits im Erstasylverfahren trotz eingehender psychiatrischer Untersuchung die erlittene Vergewaltigung nicht erwähnt habe. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG liege nicht vor. Die Klägerin könne auf die zur Behandlung ihres Krankheitsbildes in der Türkei zur Verfügung stehenden medizinischen Möglichkeiten verwiesen werden.
Am 17.09.2007 hat die Klägerin Klage erhoben.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 07.09.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Sie verweist auf die angefochtene Entscheidung.
11 
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die zur Sache gehörenden Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
12 
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit er dem entgegensteht.
13 
Allerdings ist das Bundesamt aufgrund des gestellten Asylfolgeantrags nicht gemäß § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG verpflichtet gewesen, das Verfahren im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wieder aufzugreifen. Insoweit steht dem Begehren der Klägerin ersichtlich § 51 Abs. 3 VwVfG entgegen, da das Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 den Prozessbevollmächtigten der Klägerin bereits am 16.01.2007 vorgelegen hat und in diesem Gutachten aufgrund umfassender Anamnese eine posttraumatische Belastungsstörung aufgrund erlittener Vergewaltigung der Klägerin diagnostiziert wurde. In diesem Gutachten wurde auch dargelegt, dass Belastungen jeglicher Art (und damit auch eine Rückkehr/Abschiebung der Klägerin in die Türkei) zu einer Gefährdung der Klägerin mit Dekompensation im Sinne einer Symptomverstärkung und Suizidalität führen werden. Spätestens mit Zugang dieses Gutachtens hatten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Sinne des § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG Kenntnis von dem nunmehr in Anspruch genommenen Wiederaufgreifensgrund. Sie hätten ihn demnach binnen drei Monaten geltend machen müssen. Tatsächlich ist der Asylfolgeantrag erst am 11.05.2007 beim Bundesamt eingegangen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass dem Asylfolgeantrag ein weiteres Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychologie Reutlingen vom 23.04.2007 beigefügt war. Denn dieses Gutachten vertieft nur das Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007, beinhaltet jedoch keine darüber hinausgehenden, substantiell neuen Tatsachen.
14 
Die Klägerin hat aber unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG einen Anspruch darauf, dass das Bundesamt eine positive Feststellung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG trifft. Denn jenseits des § 71 AsylVfG, der nur den Asylantrag im Sinne von § 13 AsylVfG betrifft, kann sich aus §§ 51 Abs. 5, 48, 49 VwVfG und einer in deren Rahmen i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 und 2 GG gebotenen Ermessensreduzierung auf Null das Wiederaufgreifen des abgeschlossenen früheren Verwaltungsverfahrens, die Aufhebung des unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakts und eine neue Sachentscheidung zu § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG dann ergeben, wenn tatsächlich Abschiebungsverbote vorliegen; auf die Frage, wann diese geltend gemacht worden sind, kommt es wegen des materiellen Schutzgehalts der Grundrechte nicht an (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.06.2000, DVBl. 2000, 179; BVerwG, Urteil vom 07.09.1999, InfAuslR 2000, 16 und Urteil vom 21.03.2000, NVwZ 2000, 940; VGH Baden-Württ., Beschluss vom 04.01.2000, NVwZ-RR 2000, 261). Einer Feststellung des geltend gemachten Abschiebungsverbots durch das Bundesamt steht auch nicht die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung über die negative Feststellung des Bundesamts im Asylerstverfahren entgegen. Das Bundesamt ist nicht gehindert, einen rechtskräftig abgesprochenen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten zu erfüllen, wenn es erkennt, dass der Anspruch tatsächlich besteht und das rechtskräftige Urteil unzutreffend ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.12.1992, BVerwGE 91, 256; Urteil vom 27.01.1994, BVerwGE 95, 86 und Urteil vom 07.09.1999, NVwZ 2000, 204). Ob eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegt, ist somit ohne Rücksicht auf die Versagung asylrechtlichen Verfolgungsschutzes und ohne Bindung an etwa vorliegende rechtskräftige Gerichtsentscheidungen zu beurteilen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.12.1996, InfAuslR 1997, 284 und Urteil vom 30.03.1999, DVBl. 1999, 1213).
15 
Die Beklagte ist für den Anspruch der Klägerin auch passiv legitimiert. Das Bundesamt ist zur Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG auch bei solchen Folgeanträgen zuständig, die nach § 71 Abs. 1 AsylVfG nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führen (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.09.1999, NVwZ 2000, 204; Beschluss vom 23.11.1999, NVwZ 2000, 941 und Urteil vom 21.03.2000, NVwZ 2000, 940). Schließlich ist das Verwaltungsgericht im Hinblick auf § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG auch befugt und verpflichtet, in der Sache durch zu entscheiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.02.1998, NVwZ 1998, 861).
16 
Bei der Klägerin liegt ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vor. Das dem Bundesamt eingeräumte Ermessen auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf die Feststellung dieses Abschiebungsverbots ist deshalb auf Null reduziert (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 04.01.2000, NVwZ-RR 2000, 261). Selbst wenn eine Ermessensreduzierung auf Null eine extreme individuelle Gefahr voraussetzen sollte (vgl. BVerwG, Urt. vom 20.10.2004, BVerwGE 122, 103), ist die Beklagte vorliegend zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vorliegt, da sich die Klägerin krankheitsbedingt bei einer Rückkehr in die Türkei in einer extremen individuellen Gefahrensituation befinden würde.
17 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Bestimmung fragt nicht danach, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird; die Regelung stellt vielmehr lediglich auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995, NVwZ 1996, 199). Eine Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt jedoch nicht in Betracht, wenn die geltend gemachten Gefahren nicht landesweit drohen und der Ausländer sich ihnen durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995 aaO.). Ein Ausländer kann schon dann auf einen alternativen Landesteil verwiesen werden, wenn ihm dort konkrete Gefahren i. S. d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen; sonstige Mindestanforderungen an die Qualität und Verfolgungssicherheit des Aufenthalts in der Ausweichregion bestehen nicht (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. vom 22.07.1998 - A 6 S 3421/96 - juris -). Die Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit muss mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehen. Die besondere Schwere eines drohenden Eingriffs ist im Rahmen der gebotenen qualifizierenden Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung, Abwägung und zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts vermittels des Kriteriums, ob die Wahrscheinlichkeit der Rechtsgutverletzung beachtlich ist, zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995 aaO. und Urt. vom 05.07.1994, InfAuslR 1995, 24). Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn die für den Eintritt der Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 18.07.2001, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 46).
18 
Auch die drohende Verschlimmerung einer Krankheit wegen ihrer nur unzureichenden medizinischen Behandlung im Zielstaat der Abschiebung kann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.11.1997, BVerwGE 105, 383 = NVwZ 1998, 524; Urt. vom 27.04.1998, NVwZ 1998, 973 und Urt. vom 21.09.1999, NVwZ 2000, 206). Von einer Verschlimmerung ist auszugehen, wenn eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands droht; konkret ist diese Gefahr, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat eintreten würde (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.11.1997 aaO und Urt. vom 29.07.1999 - 9 C 2/99 - Juris -). Ob die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt oder mitbedingt ist, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Urt. vom 29.07.1999 aaO). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation im Zielstaat zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2002, NVwZ-Beilage I 2003, 53 = DVBl 2003, 463 und Beschluss vom 29.04.2003, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 60; VGH Kassel, Urteil vom 24.06.2003, AuAS 2004, 20). Die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland ist in die gerichtliche Prognose, ob bei Rückkehr eine Gefahr für Leib oder Leben besteht, mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 01.10.2001, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 51).
19 
Nach diesen Kriterien steht der Klägerin ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei zu. Die Klägerin leidet ausweislich der von ihr vorgelegten Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 an einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F 43.1) und (so die Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen) an einer schweren Depression ohne psychotische Symptome (ICD-10: F 32.2).
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Bei der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) handelt es sich um ein komplexes psychisches Krankheitsbild. Die posttraumatische Belastungsstörung entsteht als eine verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde und mit starker Furcht und Hilflosigkeit einhergeht. Typische Merkmale der PTBS sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (sog. Intrusionen), die so weit gehen können, dass der Körper das schlimme Ereignis noch einmal wie in der Ursprungssituation nacherlebt (flashbacks). Weitere Merkmale sind das andauernde Gefühl von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit, Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber und Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Hinzu tritt gewöhnlich ein Zustand vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung und eine übermäßige Schreckhaftigkeit und Schlaflosigkeit. Angst und Depressionen sind häufig mit den vorstehend genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert, und Suizidgedanken sind nicht selten. Die PTBS kann zu einer Beeinträchtigung des Erinnerungs- und Wiedergabevermögens und zu Konzentrationsschwierigkeiten führen, zu Schweigsamkeit aus Scham, Angst vor Erinnerung, Apathie (vgl. zum Vorstehenden Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Auflage, Seite 750 ff.; Loesel/Bender, Asylpraxis Band 7 S. 175 ff.; Koch, Asylpraxis Band 9 S. 61 ff.; Haenel, Asylpraxis Band 9, S. 111 ff., Marx, InfAuslR 2000, 357 ff; Treiber, ZAR 2002, 282 ff.; Middeke, DVBl. 2004, 150 ff.). Die posttraumatische Belastungsstörung ist in der Auflistung aller Krankheiten durch die Weltgesundheitsorganisation unter F 43.1 der ICD 10 enthalten (vgl. Dilling u.a., Internationale Klassifikation psychischer Störungen, 3. Auflage, S. 121).
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In der internationalen Klassifikation sind Traumata definiert als kurz oder lang anhaltende Ereignisse oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem Betroffenen tiefgreifende Verzweiflung auslösen werden (vgl. Koch in: Asylpraxis, Band 9, Seite 61, 69ff). Man unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen traumatischen Ereignissen in Folge von Unfällen oder Katastrophen und willentlich durch Menschen verursachten Traumata (z. B. Folter, Misshandlung, Vergewaltigung und Kriegserlebnisse). Da es sich bei der PTBS um ein innerpsychisches Erlebnis handelt, das sich einer Erhebung äußerlich objektiver Befundtatsachen weitgehend entzieht, kommt es in besonderem Maße auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebnisses und der zugrunde liegende faktischen äußeren Erlebnistatsachen an, was wiederum angesichts der Komplexität und Schwierigkeit des Krankheitsbildes eine eingehende Befassung des Arztes mit dem Patienten erfordert. Regelmäßig sind tragfähige Aussagen zur Traumatisierung erst nach mehreren Sitzungen über eine längere Zeit möglich. Auch bedarf es unter anderem einer gründlichen Anamnese sowie einer schlüssigen und nachvollziehbaren Herleitung des im Übrigen genau zu definierenden Krankheitsbildes (vgl. Treiber a.a.O.; Loesel/Bender a.a.O.). Es gibt keine PTBS ohne Trauma und auch beim Vorliegen aller Symptome einer PTBS kann eine solche nur diagnostiziert werden, wenn auch ein entsprechendes Trauma vorhanden war. Aus den Symptomen kann nicht rückgeschlossen werden, dass ein Trauma stattgefunden hat (vgl. Venzlaff/Foerster a.a.O. S. 752; Steller in Sonderheft für Gerhard Schäfer, NJW-Beilage 2002, S. 69, 71; Ebert/Kindt, VBlBW 2004, 41 f.; a.A. Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321).
22 
Nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. K (Michael-Balint-Klinik) und Dr. N (Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen) erbrachten ihre eigenen Untersuchungen der Klägerin die sichere Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die für diese Krankheit nach ICD-10: F 43.1 erforderlichen diagnostischen Kriterien seien erfüllt. An der Richtigkeit dieser Ausführungen hegt das Gericht keine Zweifel. Die Feststellungen in dem Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und im Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 sind eindeutig, in sich widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Die Gutachter haben andere differentialdiagnostische Erwägungen angestellt, diese jedoch verworfen. Aus beiden Gutachten geht eindeutig hervor, auf welcher Grundlage die Sachverständigen ihre Diagnose gestellt haben und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Die Gutachten geben auch Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf. Für diese psychotraumatologischen Fachfragen gibt es keine eigene Sachkunde der Behörde oder des Gerichts (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.05.2006, NVwZ 2007, 345 und Urt. v. 11.09.2007 - 10 C 8/07 - juris -). Soweit das Bundesamt das Vorliegen der fachärztlich diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung verneint, weil es das Vorhandensein eines traumatisierenden Ereignisses als nicht hinreichend belegt ansieht, fehlt ihm für diese Aussage ohne Einholung eines eigenen medizinischen Sachverständigengutachtens die notwendige Sachkunde.
23 
Das Bundesamt ist erkennbar auch der Auffassung, bei den medizinischen Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 fehle die inhaltliche Analyse der erhobenen Aussagen der Klägerin in Bezug auf das Vorliegen und den Ausprägungsgrad von Glaubhaftigkeitsmerkmalen (Konstanz- und Motivationsanalyse, Fehlerquellen- und Kompetenzanalyse). Dieses Vorbringen deutet darauf hin, dass das Bundesamt den Unterschied zwischen aussagepsychologischen und klinischen Gutachten nicht kennt. Aussagepsychologische Gutachten äußern sich zu Aussagen über ein Geschehen. Die aussagepsychologische Begutachtung wurde entwickelt, um mit Hilfe der Inhaltsanalyse einer Aussage und unter Berücksichtigung der Entstehungsgenese, der Kompetenz und der Motivation des Untersuchten sowie mit Hilfe des Vergleichs verschiedener Aussagen einer Person zu unterschiedlichen Zeiten (Konstanzanalyse) die Frage zu klären, inwieweit die Schilderungen glaubhaft und zuverlässig sind. Klinische Gutachten äußern sich hingegen zu der Frage, ob jemand gesund oder krank ist und dazu, welche Erkrankungen gegebenenfalls vorliegen. Forensische aussagepsychologische Gutachten liegen aber außerhalb des Kompetenzbereichs eines Facharztes oder Psychotherapeuten. Klinische Gutachten oder Stellungnahmen zu Fragen nach bestehenden psychischen Traumafolgen analysieren Aussagen nicht anhand der Kriterien der Aussagepsychologie. Diese Kriterien (Konstanzanalyse, Aussageentstehung und Aussageentwicklung oder Motivationsanalyse) gehören deshalb nicht in den Rahmen eines klinischen Gutachtens. Klinische Gutachten können allenfalls wesentliche Anhaltspunkte enthalten, die für oder gegen den Erlebnisbezug von Aussagen zur traumatischen Vorgeschichte sprechen (vgl. zum Ganzen Venzlaff/Foerster a.a.O. S. 752; Gierlichs u.a., ZAR 2005, 158 ff; Wenk-Ansohn u.a., Anforderungen an Gutachten, Einzelentscheiderbrief 8 und 9/2002, 3; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 322). Unabhängig hiervon haben sich die Gutachter Dr. K und Dr. N mit der Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Klägerin nachhaltig beschäftigt. Eine Simulation und Aggravation wurde von beiden Gutachtern überzeugend ausgeschlossen.
24 
Da nach dem Vorgenannten weder mit psychiatrisch-psychotherapeutischen Mitteln noch mit Hilfe der Psychopathologie sicher erschlossen werden kann, ob tatsächlich ein traumatisches Ereignis stattgefunden hat und wie dieses geartet war, muss das behauptete traumatisierende Ereignis zur Überzeugung des Gerichts stattgefunden haben (ebenso VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.10.2006, VBlBW 2007, 116; vgl. aber auch BVerwG, Beschl. v. 18.07.2001, DVBl 2002, 53: Glaubhaftigkeitsprüfung unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen bei Traumatisierung). Dies ist vorliegend der Fall. Aufgrund der Einvernahme der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und aufgrund der ausführlich wiedergegebenen Anamnesen in den Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 ist das Gericht der Überzeugung, dass die Klägerin tatsächlich im März 2002 von einem Angehörigen türkischer Sicherheitskräfte vergewaltigt wurde. Sie hat dieses Ereignis mit hinreichenden Realkennzeichen bei der Anamneseerhebung durch die Michael-Balint-Klinik geschildert. Außerdem hatte sie bereits im Erstasylverfahren vorgetragen, seit März 2002 Probleme in der Türkei gehabt zu haben; dieses Datum korrespondiert mit den Angaben der Klägerin im Asylfolgeverfahren, wonach sie im März 2002 die Vergewaltigung durch einen türkischen Polizisten erlitten habe. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Klägerin die Vergewaltigung erst nach dem Erstasylverfahren benannt hat. Aus der psychotraumatologischen Forschung ist bekannt, dass traumatische Erinnerungen eher fragmentarischen Charakter haben und dass gerade bei traumatisierten Personen charakteristische Gedächtnisstörungen krankheitsbedingt die Regel sind. Hinzu kommt, dass traumatisierte Menschen oft jene Ereignisse verschweigen, die als besonders schmerzhaft erlebt wurden oder die stark schambesetzt sind. Dieses Vermeidungsverhalten ist Teil des Krankheitsbildes und nur bedingt willentlich beeinflussbar (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Auflage, Seite 752; Hinckeldey/Fischer, Psychotraumatologie der Gedächtnisleistung; Birck, Traumatisierte Flüchtlinge sowie in ZAR 2002, 28 ff.; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 322; Mehari, Koch, Bittenbinder, Wirtgen, Haenel, Hüther in: Asylpraxis, Band 9 Seite 17 ff.; ebenso OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -). Bei traumatisierten Personen können somit die bei der Glaubhaftigkeitsprüfung relevanten Kriterien wie Detailreichtum, Farbigkeit der Darstellung, logische Kohärenz, Homogenität, innere Widerspruchsfreiheit und Konstanz der Aussage nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden (vgl. Treiber, ZAR 2002, 282; Middeke, DVBl. 2004, 150, 151; Marx, InfAuslR 2003, 21, 23; Koch in: Asylpraxis Band 9, Seite 61ff, 88). Deshalb wird im Hinblick auf die Schilderung des Traumageschehens bei einem traumatisierten Asylbewerber ein qualifizierter Beweisnotstand angenommen, der zu einer Herabsetzung der Anforderungen an die Schlüssigkeit des tatsächlichen Vorbringens und damit auch an den Nachweis eines Verfolgungsgeschehens führt (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 10.05.2002 - 10 A 11457/01 -; OVG Münster, Beschl. v. 07.01.1998, AuAS 1998, 105; OVG Weimar, Urt. v. 25.09.2003, NVwZ-RR 2004, 455 und Urt. v. 18.03.2005, Asylmagazin 7-8/2005, 34; OVG Greifswald, Urt. v. 13.04.2000, AuAS 2000, 221).
25 
Wegen der Eigentümlichkeit, dass die Traumatisierten oft erst im Rahmen einer bereits greifenden therapeutischen Bemühung in der Lage sind, über das Geschehene Auskunft zu geben, kann in der äußerlichen Widersprüchlichkeit von Angaben kein ausschlaggebendes Moment ausgemacht werden, das der Annahme des der Feststellung der posttraumatischen Belastungsstörung zugrunde liegenden Traumas entgegensteht (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33). Der Glaubhaftigkeit der von der Klägerin im Asylfolgeverfahren dargelegten erlittenen Vergewaltigung im März 2002 steht deshalb nicht entgegen, dass sie sich weder bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt am 14.01.2003 noch bei den Begutachtungen durch das Klinikum Weissenhof und durch die psychologische Beratungsstelle Stuttgart in der Lage gesehen hat, die in der Türkei erlebte Erniedrigung zu berichten. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin glaubhaft dargelegt, dass sie aus Angst, ihr vor der Tür wartender Ehemann könne ihre Angaben mithören, keine Aussagen im Klinikum Weissenhof und in der psychologischen Beratungsstelle Stuttgart zu der erlittenen Vergewaltigung gemacht hat. Auch in der mündlichen Verhandlung war die tief sitzende Furcht der Klägerin mit Händen greifbar, ihre Angaben im Sitzungssaal könnten von dem im Wartebereich aufhältigen Ehemann mitgehört werden. Bei der Anamneseerhebung durch Dr. N in der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen hinderte ein intrusives, flashback-artiges Wiedererleben der Vergewaltigung die Klägerin daran, über das konkrete Vergewaltigungsgeschehen zu sprechen; die Klägerin war über mehr als 15 Minuten nicht zu beruhigen und verbal nicht mehr zu erreichen. Eine notfallmäßige Klinikaufnahme zur Krisenintervention wurde vom Gutachter in Erwägung gezogen. Auch der persönliche Eindruck, den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, hat bestätigt, dass sie nur unter Aufbietung aller ihrer Kräfte und unter Tränen und Weinanfällen zu Andeutungen über den erlittenen sexuellen Missbrauch in der Lage ist.
26 
Im Übrigen müsste auch dem Bundesamt bekannt sein, dass das Selbstbild der von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen aus der Türkei (gleiches gilt aber auch für Frauen aus dem Irak, aus Bosnien und aus dem Kosovo) geprägt ist vom Gedanken des Entehrtseins und deren Gefühlswelt von Scham, Wertlosigkeit, Selbstverurteilung und Schuld erfüllt ist. Um in der sozialen Gemeinschaft weiter existieren zu können und aus Angst davor, vom Ehemann verstoßen zu werden, entschließen sich die meisten dieser Frauen, über die erlebten sexuellen Übergriffe durch Sicherheitskräfte nicht zu sprechen. Angaben über sexualisierte Gewalt stellen vor dem Hintergrund islamisch geprägter Traditionen nicht nur für die betroffene Frau, sondern auch für deren Ehemann und die gesamte Familie eine neuerliche Entehrung dar. Deshalb kommen Aussagen zu sexualisierten Gewalterfahrungen bei muslimischen Frauen erst unter größtem Druck, wenn beispielsweise die Abschiebung unmittelbar droht, zustande (vgl. zum Ganzen Haenel/Wenk-Ansohn, Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren, S. 160 ff.; Birck, ZAR 2002, 28, 31; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 323).
27 
Gegen die Richtigkeit der in den Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 gestellten Diagnose posttraumatische Belastungsstörung spricht auch nicht das späte Auftreten der von der Klägerin geschilderten Krankheitssymptome. Entgegen der vom Bundesamt häufig vertretenen Auffassung tritt die posttraumatische Belastungsstörung nicht regelmäßig innerhalb von sechs Monaten nach dem traumatischen Ereignis auf. Diese Zeitspanne wird in der ICD-10 für F 43.1 nur als häufigste Latenz angegeben. In der (ausführlicheren) DSM-IV wird ausdrücklich auf eine PTBS mit verzögertem Beginn hingewiesen. Nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen können traumabedingte Störungen einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen auch mit jahrelanger bis zum Teil jahrzehntelanger Latenz auftreten (vgl. Gierlichs, Asylmagazin 7-8/2003, 53 sowie in ANA-ZAR 5/2007, 33 m.w.N.). In der ergänzenden Stellungnahme an das Gericht vom 11.01.2008 hat auch Dr. N, der anerkanntermaßen ein ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet der Psychotraumatologie ist, dargelegt, dass der Ausbruch der Symptome der PTBS von vielfältigen Umgebungsfaktoren abhängen kann, die beispielsweise eine Kompensation ermöglichen oder Verdrängung/Verleugnung des Traumas erforderlich machen können.
28 
Nach dem Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 ist bei einer erzwungenen Rückkehr der Klägerin in die Türkei aufgrund der Retraumatisierung mit Dekompensation mit massivster Verschlechterung der psychischen Erkrankung mit akuter Lebensgefährdung zu rechnen. Den ärztlichen Feststellungen zufolge leidet die Klägerin an Einschlaf- und Durchschlafstörungen, unter Gedankenkreisen und Grübeln und unter einem kompletten Libidoverlust; weiter traten bei den Explorationen Hitzewallungen, Kopfschmerzen, Schwindel und brennende Hände „wie Feuer“ auf. Schließlich wird in den Gutachten über massive Lebensunlust, Todessehnsucht und über vier Suizidversuche berichtet. Diese ärztlichen Feststellungen sind klar, eindeutig und überzeugend. Im Übrigen handelt es sich bei der Einschätzung des Krankheitsverlaufs und der gesundheitlichen Folgen wiederum um medizinische Fachfragen, für die es keine eigene Sachkunde der Behörde oder des Gerichts gibt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.05.2006, NVwZ 2007, 345).
29 
Unter dem Begriff der „Retraumatisierung“ wird die durch äußere Ursachen oder Bedingungen, die dem zugrundeliegenden traumatischen Erlebnis gleichen, ähneln oder auch nur Anklänge daran haben, ausgelöste Reaktualisierung der inneren Bilder des traumatischen Erlebens in der Vorstellung und den körperlichen Reaktionen des Betroffenen verstanden, die mit der vollen oder gesteigerten Entfaltung des Symptombildes der ursprünglichen traumatischen Reaktion auf der körperlichen, psychischen und sozialen Ebene einhergeht (vgl. Marx, InfAuslR 2000, 357, 360 m.w.N.). Die Folge davon kann eine akute Dekompensation wie z. B. schwere depressive Reaktion, psychotische Dekompensation, suizidale Handlung und anderes sein und zu einer dauerhaften Verschlimmerung oder Chronifizierung des posttraumatischen Krankheitsprozesses führen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -).
30 
Bereits diese konkrete Gefahr der Retraumatisierung begründet ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (ebenso VGH München, Urt. v. 20.10.1999 - 23 B 98.30524; VGH Kassel, Urt. v. 26.02.2007 - 4 UE 1125/05.A - juris -; OVG Koblenz, Urt. v. 09.02.2007 - 10 A 10952/06.OVG - ; OVG Schleswig, Beschl. v. 28.09.2006 - 4 LB/06 -; OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris - und Urt. v. 12.09.2007 - 8 LB 210/05 - juris -). Die Gefahr der Retraumatisierung lässt sich nicht auf den eigentlichen Ort eingrenzen, an dem die Verletzungshandlung erfolgte, denn auch andere Orte und Personen im Heimatland, die dem zugrundeliegenden traumatischen Erlebnis gleichen, ähneln oder auch nur Anklänge daran haben, führen zu einer Reaktualisierung der inneren Bilder des traumatischen Erlebens in der Vorstellung und den körperlichen Reaktionen des Betroffenen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.02.2005 - 11 LB 121/04 und Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/ 05 - juris -), so dass im Falle der Klägerin die Gefahr der Retraumatisierung konkret und landesweit gegeben ist.
31 
Diese konkrete und landesweite Gefahr im Falle einer Abschiebung in die Türkei ist durch eine mögliche medikamentöse Behandlung im Zielstaat der Abschiebung nicht zu verhindern (vgl. Gierlichs/Wenk-Ansohn, ZAR 2005, 405, 408; Gierlichs u.a., ZAR 2005, 158, 163). Der erheblichen Gesundheits- und Lebensgefahr für die Klägerin kann auch nicht dadurch wirksam begegnet werden, dass sie sich unverzüglich nach der Rückkehr in ihr Heimatland in psychologische oder psychiatrische Behandlung begibt. Denn Menschen mit traumatogenen Störungen können in einer Umgebung, die Intrusionen stimuliert und kein Vermeidungsverhalten erlaubt, nicht behandelt werden (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl., S. 753). Nach fachwissenschaftlichen Erkenntnissen ist eine erfolgreiche Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen nur in einer sicheren Umgebung und bei Schutz vor weiterer Traumaeinwirkung möglich (vgl. Stellungnahme der wissenschaftlichen Fachgesellschaften, veröffentlicht in: http://www.aerzteblatt.de/v4/plus/down.asp ? typ=PDF&id=1166 ; Koch in: Asylpraxis Band 9 S. 61, 78; Gierlichs/Wenk-Ansohn, ZAR 2005, 405, 408; Gierlichs, ZAR 2006, 277, 279; Bittenbinder in: Asylpraxis Band 9, S. 35, 54 ff.; Graessner u.a., Die Spuren von Folter, S. 77 ff.; ebenso OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33; OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -).
32 
Unabhängig hiervon wird die Klägerin vor dem Hintergrund der bei ihr bestehenden schweren Erkrankung und der schon heute gezeigten extremen Destabilisierung nicht in der Lage sein, in der Türkei im Anschluss an ihre Abschiebung und die damit für sie zwangsläufig verbundene Verschlimmerung ihres Gesundheitszustandes die für sie alsdann noch umso dringlicher gebotene medizinische Hilfe zu erfahren, zumal die hier vorliegende Traumatisierung durch Vergewaltigung einen Fall mit einer besonders ungünstigen Prognose, nämlich den Fall des sog. „man made disaster“ (vgl. Koch in: Asylpraxis Band 9 Seite 71) darstellt. Denn unabhängig von der Frage, ob posttraumatische Belastungsstörungen in der Türkei behandelbar sind und ob die Klägerin eine solche Behandlung unter finanziellen Gesichtspunkten erreichen könnte, gilt im vorliegenden Fall, dass die Klägerin nach ihrer Rückkehr aufgrund ihres Rückzugsverhaltens, ihrer Depressivität und ihrer Ängste nicht in der Lage sein wird, eine solche Behandlung aus eigener Kraft oder durch entsprechende Einwirkungen durch Verwandte mittels deren Hilfestellung anzutreten. Für die Klägerin besteht somit bei einer Rückkehr in die Türkei ungeachtet der vom Bundesamt behaupteten Behandlungsmöglichkeiten die ganz konkrete Gefahr eines psychischen Zusammenbruchs, wenn nicht gar des Suizids, und damit eine extreme individuelle Gefahrensituation.
33 
Steht danach zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Krankheitszustand der Klägerin im Falle einer Abschiebung in ihr Herkunftsland alsbald nach ihrer Rückkehr wesentlich bzw. angesichts ihrer erheblichen Suizidalität sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde, so steht ihr ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei zu. Die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird nicht durch § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG gesperrt. Angesichts des vielfältigen Symptombildes der posttraumatischen Belastungsstörung kann nicht angenommen werden, dass diesbezüglich ein Bedürfnis nach einer ausländerpolitischen Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG besteht (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 18.07.2006 - 1 C 16/05 - Juris -). Im Übrigen ist inzwischen allgemein anerkannt, dass die an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankten Personen, deren Erkrankung auf willentlich durch Menschen verursachte Traumata beruht, nicht Teil einer Bevölkerungsgruppe sind (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 16.02.2004, Asylmagazin 6/2004, 30; OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33 und Urt. v. 09.02.2007 - 10 A 10952/06.OVG- ; VGH Kassel, Beschl. v. 09.01.2006 - 7 ZU 1831/05.A -).
34 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, § 83 b AsylVfG.

Gründe

 
12 
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit er dem entgegensteht.
13 
Allerdings ist das Bundesamt aufgrund des gestellten Asylfolgeantrags nicht gemäß § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG verpflichtet gewesen, das Verfahren im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wieder aufzugreifen. Insoweit steht dem Begehren der Klägerin ersichtlich § 51 Abs. 3 VwVfG entgegen, da das Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 den Prozessbevollmächtigten der Klägerin bereits am 16.01.2007 vorgelegen hat und in diesem Gutachten aufgrund umfassender Anamnese eine posttraumatische Belastungsstörung aufgrund erlittener Vergewaltigung der Klägerin diagnostiziert wurde. In diesem Gutachten wurde auch dargelegt, dass Belastungen jeglicher Art (und damit auch eine Rückkehr/Abschiebung der Klägerin in die Türkei) zu einer Gefährdung der Klägerin mit Dekompensation im Sinne einer Symptomverstärkung und Suizidalität führen werden. Spätestens mit Zugang dieses Gutachtens hatten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Sinne des § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG Kenntnis von dem nunmehr in Anspruch genommenen Wiederaufgreifensgrund. Sie hätten ihn demnach binnen drei Monaten geltend machen müssen. Tatsächlich ist der Asylfolgeantrag erst am 11.05.2007 beim Bundesamt eingegangen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass dem Asylfolgeantrag ein weiteres Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychologie Reutlingen vom 23.04.2007 beigefügt war. Denn dieses Gutachten vertieft nur das Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007, beinhaltet jedoch keine darüber hinausgehenden, substantiell neuen Tatsachen.
14 
Die Klägerin hat aber unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG einen Anspruch darauf, dass das Bundesamt eine positive Feststellung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG trifft. Denn jenseits des § 71 AsylVfG, der nur den Asylantrag im Sinne von § 13 AsylVfG betrifft, kann sich aus §§ 51 Abs. 5, 48, 49 VwVfG und einer in deren Rahmen i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 und 2 GG gebotenen Ermessensreduzierung auf Null das Wiederaufgreifen des abgeschlossenen früheren Verwaltungsverfahrens, die Aufhebung des unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakts und eine neue Sachentscheidung zu § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG dann ergeben, wenn tatsächlich Abschiebungsverbote vorliegen; auf die Frage, wann diese geltend gemacht worden sind, kommt es wegen des materiellen Schutzgehalts der Grundrechte nicht an (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.06.2000, DVBl. 2000, 179; BVerwG, Urteil vom 07.09.1999, InfAuslR 2000, 16 und Urteil vom 21.03.2000, NVwZ 2000, 940; VGH Baden-Württ., Beschluss vom 04.01.2000, NVwZ-RR 2000, 261). Einer Feststellung des geltend gemachten Abschiebungsverbots durch das Bundesamt steht auch nicht die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung über die negative Feststellung des Bundesamts im Asylerstverfahren entgegen. Das Bundesamt ist nicht gehindert, einen rechtskräftig abgesprochenen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten zu erfüllen, wenn es erkennt, dass der Anspruch tatsächlich besteht und das rechtskräftige Urteil unzutreffend ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.12.1992, BVerwGE 91, 256; Urteil vom 27.01.1994, BVerwGE 95, 86 und Urteil vom 07.09.1999, NVwZ 2000, 204). Ob eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegt, ist somit ohne Rücksicht auf die Versagung asylrechtlichen Verfolgungsschutzes und ohne Bindung an etwa vorliegende rechtskräftige Gerichtsentscheidungen zu beurteilen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.12.1996, InfAuslR 1997, 284 und Urteil vom 30.03.1999, DVBl. 1999, 1213).
15 
Die Beklagte ist für den Anspruch der Klägerin auch passiv legitimiert. Das Bundesamt ist zur Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG auch bei solchen Folgeanträgen zuständig, die nach § 71 Abs. 1 AsylVfG nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führen (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.09.1999, NVwZ 2000, 204; Beschluss vom 23.11.1999, NVwZ 2000, 941 und Urteil vom 21.03.2000, NVwZ 2000, 940). Schließlich ist das Verwaltungsgericht im Hinblick auf § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG auch befugt und verpflichtet, in der Sache durch zu entscheiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.02.1998, NVwZ 1998, 861).
16 
Bei der Klägerin liegt ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vor. Das dem Bundesamt eingeräumte Ermessen auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf die Feststellung dieses Abschiebungsverbots ist deshalb auf Null reduziert (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 04.01.2000, NVwZ-RR 2000, 261). Selbst wenn eine Ermessensreduzierung auf Null eine extreme individuelle Gefahr voraussetzen sollte (vgl. BVerwG, Urt. vom 20.10.2004, BVerwGE 122, 103), ist die Beklagte vorliegend zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vorliegt, da sich die Klägerin krankheitsbedingt bei einer Rückkehr in die Türkei in einer extremen individuellen Gefahrensituation befinden würde.
17 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Bestimmung fragt nicht danach, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird; die Regelung stellt vielmehr lediglich auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995, NVwZ 1996, 199). Eine Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt jedoch nicht in Betracht, wenn die geltend gemachten Gefahren nicht landesweit drohen und der Ausländer sich ihnen durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995 aaO.). Ein Ausländer kann schon dann auf einen alternativen Landesteil verwiesen werden, wenn ihm dort konkrete Gefahren i. S. d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen; sonstige Mindestanforderungen an die Qualität und Verfolgungssicherheit des Aufenthalts in der Ausweichregion bestehen nicht (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. vom 22.07.1998 - A 6 S 3421/96 - juris -). Die Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit muss mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehen. Die besondere Schwere eines drohenden Eingriffs ist im Rahmen der gebotenen qualifizierenden Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung, Abwägung und zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts vermittels des Kriteriums, ob die Wahrscheinlichkeit der Rechtsgutverletzung beachtlich ist, zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995 aaO. und Urt. vom 05.07.1994, InfAuslR 1995, 24). Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn die für den Eintritt der Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 18.07.2001, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 46).
18 
Auch die drohende Verschlimmerung einer Krankheit wegen ihrer nur unzureichenden medizinischen Behandlung im Zielstaat der Abschiebung kann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.11.1997, BVerwGE 105, 383 = NVwZ 1998, 524; Urt. vom 27.04.1998, NVwZ 1998, 973 und Urt. vom 21.09.1999, NVwZ 2000, 206). Von einer Verschlimmerung ist auszugehen, wenn eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands droht; konkret ist diese Gefahr, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat eintreten würde (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.11.1997 aaO und Urt. vom 29.07.1999 - 9 C 2/99 - Juris -). Ob die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt oder mitbedingt ist, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Urt. vom 29.07.1999 aaO). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation im Zielstaat zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2002, NVwZ-Beilage I 2003, 53 = DVBl 2003, 463 und Beschluss vom 29.04.2003, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 60; VGH Kassel, Urteil vom 24.06.2003, AuAS 2004, 20). Die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland ist in die gerichtliche Prognose, ob bei Rückkehr eine Gefahr für Leib oder Leben besteht, mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 01.10.2001, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 51).
19 
Nach diesen Kriterien steht der Klägerin ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei zu. Die Klägerin leidet ausweislich der von ihr vorgelegten Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 an einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F 43.1) und (so die Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen) an einer schweren Depression ohne psychotische Symptome (ICD-10: F 32.2).
20 
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) handelt es sich um ein komplexes psychisches Krankheitsbild. Die posttraumatische Belastungsstörung entsteht als eine verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde und mit starker Furcht und Hilflosigkeit einhergeht. Typische Merkmale der PTBS sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (sog. Intrusionen), die so weit gehen können, dass der Körper das schlimme Ereignis noch einmal wie in der Ursprungssituation nacherlebt (flashbacks). Weitere Merkmale sind das andauernde Gefühl von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit, Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber und Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Hinzu tritt gewöhnlich ein Zustand vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung und eine übermäßige Schreckhaftigkeit und Schlaflosigkeit. Angst und Depressionen sind häufig mit den vorstehend genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert, und Suizidgedanken sind nicht selten. Die PTBS kann zu einer Beeinträchtigung des Erinnerungs- und Wiedergabevermögens und zu Konzentrationsschwierigkeiten führen, zu Schweigsamkeit aus Scham, Angst vor Erinnerung, Apathie (vgl. zum Vorstehenden Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Auflage, Seite 750 ff.; Loesel/Bender, Asylpraxis Band 7 S. 175 ff.; Koch, Asylpraxis Band 9 S. 61 ff.; Haenel, Asylpraxis Band 9, S. 111 ff., Marx, InfAuslR 2000, 357 ff; Treiber, ZAR 2002, 282 ff.; Middeke, DVBl. 2004, 150 ff.). Die posttraumatische Belastungsstörung ist in der Auflistung aller Krankheiten durch die Weltgesundheitsorganisation unter F 43.1 der ICD 10 enthalten (vgl. Dilling u.a., Internationale Klassifikation psychischer Störungen, 3. Auflage, S. 121).
21 
In der internationalen Klassifikation sind Traumata definiert als kurz oder lang anhaltende Ereignisse oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem Betroffenen tiefgreifende Verzweiflung auslösen werden (vgl. Koch in: Asylpraxis, Band 9, Seite 61, 69ff). Man unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen traumatischen Ereignissen in Folge von Unfällen oder Katastrophen und willentlich durch Menschen verursachten Traumata (z. B. Folter, Misshandlung, Vergewaltigung und Kriegserlebnisse). Da es sich bei der PTBS um ein innerpsychisches Erlebnis handelt, das sich einer Erhebung äußerlich objektiver Befundtatsachen weitgehend entzieht, kommt es in besonderem Maße auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebnisses und der zugrunde liegende faktischen äußeren Erlebnistatsachen an, was wiederum angesichts der Komplexität und Schwierigkeit des Krankheitsbildes eine eingehende Befassung des Arztes mit dem Patienten erfordert. Regelmäßig sind tragfähige Aussagen zur Traumatisierung erst nach mehreren Sitzungen über eine längere Zeit möglich. Auch bedarf es unter anderem einer gründlichen Anamnese sowie einer schlüssigen und nachvollziehbaren Herleitung des im Übrigen genau zu definierenden Krankheitsbildes (vgl. Treiber a.a.O.; Loesel/Bender a.a.O.). Es gibt keine PTBS ohne Trauma und auch beim Vorliegen aller Symptome einer PTBS kann eine solche nur diagnostiziert werden, wenn auch ein entsprechendes Trauma vorhanden war. Aus den Symptomen kann nicht rückgeschlossen werden, dass ein Trauma stattgefunden hat (vgl. Venzlaff/Foerster a.a.O. S. 752; Steller in Sonderheft für Gerhard Schäfer, NJW-Beilage 2002, S. 69, 71; Ebert/Kindt, VBlBW 2004, 41 f.; a.A. Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321).
22 
Nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. K (Michael-Balint-Klinik) und Dr. N (Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen) erbrachten ihre eigenen Untersuchungen der Klägerin die sichere Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die für diese Krankheit nach ICD-10: F 43.1 erforderlichen diagnostischen Kriterien seien erfüllt. An der Richtigkeit dieser Ausführungen hegt das Gericht keine Zweifel. Die Feststellungen in dem Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und im Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 sind eindeutig, in sich widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Die Gutachter haben andere differentialdiagnostische Erwägungen angestellt, diese jedoch verworfen. Aus beiden Gutachten geht eindeutig hervor, auf welcher Grundlage die Sachverständigen ihre Diagnose gestellt haben und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Die Gutachten geben auch Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf. Für diese psychotraumatologischen Fachfragen gibt es keine eigene Sachkunde der Behörde oder des Gerichts (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.05.2006, NVwZ 2007, 345 und Urt. v. 11.09.2007 - 10 C 8/07 - juris -). Soweit das Bundesamt das Vorliegen der fachärztlich diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung verneint, weil es das Vorhandensein eines traumatisierenden Ereignisses als nicht hinreichend belegt ansieht, fehlt ihm für diese Aussage ohne Einholung eines eigenen medizinischen Sachverständigengutachtens die notwendige Sachkunde.
23 
Das Bundesamt ist erkennbar auch der Auffassung, bei den medizinischen Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 fehle die inhaltliche Analyse der erhobenen Aussagen der Klägerin in Bezug auf das Vorliegen und den Ausprägungsgrad von Glaubhaftigkeitsmerkmalen (Konstanz- und Motivationsanalyse, Fehlerquellen- und Kompetenzanalyse). Dieses Vorbringen deutet darauf hin, dass das Bundesamt den Unterschied zwischen aussagepsychologischen und klinischen Gutachten nicht kennt. Aussagepsychologische Gutachten äußern sich zu Aussagen über ein Geschehen. Die aussagepsychologische Begutachtung wurde entwickelt, um mit Hilfe der Inhaltsanalyse einer Aussage und unter Berücksichtigung der Entstehungsgenese, der Kompetenz und der Motivation des Untersuchten sowie mit Hilfe des Vergleichs verschiedener Aussagen einer Person zu unterschiedlichen Zeiten (Konstanzanalyse) die Frage zu klären, inwieweit die Schilderungen glaubhaft und zuverlässig sind. Klinische Gutachten äußern sich hingegen zu der Frage, ob jemand gesund oder krank ist und dazu, welche Erkrankungen gegebenenfalls vorliegen. Forensische aussagepsychologische Gutachten liegen aber außerhalb des Kompetenzbereichs eines Facharztes oder Psychotherapeuten. Klinische Gutachten oder Stellungnahmen zu Fragen nach bestehenden psychischen Traumafolgen analysieren Aussagen nicht anhand der Kriterien der Aussagepsychologie. Diese Kriterien (Konstanzanalyse, Aussageentstehung und Aussageentwicklung oder Motivationsanalyse) gehören deshalb nicht in den Rahmen eines klinischen Gutachtens. Klinische Gutachten können allenfalls wesentliche Anhaltspunkte enthalten, die für oder gegen den Erlebnisbezug von Aussagen zur traumatischen Vorgeschichte sprechen (vgl. zum Ganzen Venzlaff/Foerster a.a.O. S. 752; Gierlichs u.a., ZAR 2005, 158 ff; Wenk-Ansohn u.a., Anforderungen an Gutachten, Einzelentscheiderbrief 8 und 9/2002, 3; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 322). Unabhängig hiervon haben sich die Gutachter Dr. K und Dr. N mit der Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Klägerin nachhaltig beschäftigt. Eine Simulation und Aggravation wurde von beiden Gutachtern überzeugend ausgeschlossen.
24 
Da nach dem Vorgenannten weder mit psychiatrisch-psychotherapeutischen Mitteln noch mit Hilfe der Psychopathologie sicher erschlossen werden kann, ob tatsächlich ein traumatisches Ereignis stattgefunden hat und wie dieses geartet war, muss das behauptete traumatisierende Ereignis zur Überzeugung des Gerichts stattgefunden haben (ebenso VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.10.2006, VBlBW 2007, 116; vgl. aber auch BVerwG, Beschl. v. 18.07.2001, DVBl 2002, 53: Glaubhaftigkeitsprüfung unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen bei Traumatisierung). Dies ist vorliegend der Fall. Aufgrund der Einvernahme der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und aufgrund der ausführlich wiedergegebenen Anamnesen in den Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 ist das Gericht der Überzeugung, dass die Klägerin tatsächlich im März 2002 von einem Angehörigen türkischer Sicherheitskräfte vergewaltigt wurde. Sie hat dieses Ereignis mit hinreichenden Realkennzeichen bei der Anamneseerhebung durch die Michael-Balint-Klinik geschildert. Außerdem hatte sie bereits im Erstasylverfahren vorgetragen, seit März 2002 Probleme in der Türkei gehabt zu haben; dieses Datum korrespondiert mit den Angaben der Klägerin im Asylfolgeverfahren, wonach sie im März 2002 die Vergewaltigung durch einen türkischen Polizisten erlitten habe. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Klägerin die Vergewaltigung erst nach dem Erstasylverfahren benannt hat. Aus der psychotraumatologischen Forschung ist bekannt, dass traumatische Erinnerungen eher fragmentarischen Charakter haben und dass gerade bei traumatisierten Personen charakteristische Gedächtnisstörungen krankheitsbedingt die Regel sind. Hinzu kommt, dass traumatisierte Menschen oft jene Ereignisse verschweigen, die als besonders schmerzhaft erlebt wurden oder die stark schambesetzt sind. Dieses Vermeidungsverhalten ist Teil des Krankheitsbildes und nur bedingt willentlich beeinflussbar (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Auflage, Seite 752; Hinckeldey/Fischer, Psychotraumatologie der Gedächtnisleistung; Birck, Traumatisierte Flüchtlinge sowie in ZAR 2002, 28 ff.; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 322; Mehari, Koch, Bittenbinder, Wirtgen, Haenel, Hüther in: Asylpraxis, Band 9 Seite 17 ff.; ebenso OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -). Bei traumatisierten Personen können somit die bei der Glaubhaftigkeitsprüfung relevanten Kriterien wie Detailreichtum, Farbigkeit der Darstellung, logische Kohärenz, Homogenität, innere Widerspruchsfreiheit und Konstanz der Aussage nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden (vgl. Treiber, ZAR 2002, 282; Middeke, DVBl. 2004, 150, 151; Marx, InfAuslR 2003, 21, 23; Koch in: Asylpraxis Band 9, Seite 61ff, 88). Deshalb wird im Hinblick auf die Schilderung des Traumageschehens bei einem traumatisierten Asylbewerber ein qualifizierter Beweisnotstand angenommen, der zu einer Herabsetzung der Anforderungen an die Schlüssigkeit des tatsächlichen Vorbringens und damit auch an den Nachweis eines Verfolgungsgeschehens führt (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 10.05.2002 - 10 A 11457/01 -; OVG Münster, Beschl. v. 07.01.1998, AuAS 1998, 105; OVG Weimar, Urt. v. 25.09.2003, NVwZ-RR 2004, 455 und Urt. v. 18.03.2005, Asylmagazin 7-8/2005, 34; OVG Greifswald, Urt. v. 13.04.2000, AuAS 2000, 221).
25 
Wegen der Eigentümlichkeit, dass die Traumatisierten oft erst im Rahmen einer bereits greifenden therapeutischen Bemühung in der Lage sind, über das Geschehene Auskunft zu geben, kann in der äußerlichen Widersprüchlichkeit von Angaben kein ausschlaggebendes Moment ausgemacht werden, das der Annahme des der Feststellung der posttraumatischen Belastungsstörung zugrunde liegenden Traumas entgegensteht (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33). Der Glaubhaftigkeit der von der Klägerin im Asylfolgeverfahren dargelegten erlittenen Vergewaltigung im März 2002 steht deshalb nicht entgegen, dass sie sich weder bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt am 14.01.2003 noch bei den Begutachtungen durch das Klinikum Weissenhof und durch die psychologische Beratungsstelle Stuttgart in der Lage gesehen hat, die in der Türkei erlebte Erniedrigung zu berichten. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin glaubhaft dargelegt, dass sie aus Angst, ihr vor der Tür wartender Ehemann könne ihre Angaben mithören, keine Aussagen im Klinikum Weissenhof und in der psychologischen Beratungsstelle Stuttgart zu der erlittenen Vergewaltigung gemacht hat. Auch in der mündlichen Verhandlung war die tief sitzende Furcht der Klägerin mit Händen greifbar, ihre Angaben im Sitzungssaal könnten von dem im Wartebereich aufhältigen Ehemann mitgehört werden. Bei der Anamneseerhebung durch Dr. N in der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen hinderte ein intrusives, flashback-artiges Wiedererleben der Vergewaltigung die Klägerin daran, über das konkrete Vergewaltigungsgeschehen zu sprechen; die Klägerin war über mehr als 15 Minuten nicht zu beruhigen und verbal nicht mehr zu erreichen. Eine notfallmäßige Klinikaufnahme zur Krisenintervention wurde vom Gutachter in Erwägung gezogen. Auch der persönliche Eindruck, den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, hat bestätigt, dass sie nur unter Aufbietung aller ihrer Kräfte und unter Tränen und Weinanfällen zu Andeutungen über den erlittenen sexuellen Missbrauch in der Lage ist.
26 
Im Übrigen müsste auch dem Bundesamt bekannt sein, dass das Selbstbild der von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen aus der Türkei (gleiches gilt aber auch für Frauen aus dem Irak, aus Bosnien und aus dem Kosovo) geprägt ist vom Gedanken des Entehrtseins und deren Gefühlswelt von Scham, Wertlosigkeit, Selbstverurteilung und Schuld erfüllt ist. Um in der sozialen Gemeinschaft weiter existieren zu können und aus Angst davor, vom Ehemann verstoßen zu werden, entschließen sich die meisten dieser Frauen, über die erlebten sexuellen Übergriffe durch Sicherheitskräfte nicht zu sprechen. Angaben über sexualisierte Gewalt stellen vor dem Hintergrund islamisch geprägter Traditionen nicht nur für die betroffene Frau, sondern auch für deren Ehemann und die gesamte Familie eine neuerliche Entehrung dar. Deshalb kommen Aussagen zu sexualisierten Gewalterfahrungen bei muslimischen Frauen erst unter größtem Druck, wenn beispielsweise die Abschiebung unmittelbar droht, zustande (vgl. zum Ganzen Haenel/Wenk-Ansohn, Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren, S. 160 ff.; Birck, ZAR 2002, 28, 31; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 323).
27 
Gegen die Richtigkeit der in den Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 gestellten Diagnose posttraumatische Belastungsstörung spricht auch nicht das späte Auftreten der von der Klägerin geschilderten Krankheitssymptome. Entgegen der vom Bundesamt häufig vertretenen Auffassung tritt die posttraumatische Belastungsstörung nicht regelmäßig innerhalb von sechs Monaten nach dem traumatischen Ereignis auf. Diese Zeitspanne wird in der ICD-10 für F 43.1 nur als häufigste Latenz angegeben. In der (ausführlicheren) DSM-IV wird ausdrücklich auf eine PTBS mit verzögertem Beginn hingewiesen. Nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen können traumabedingte Störungen einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen auch mit jahrelanger bis zum Teil jahrzehntelanger Latenz auftreten (vgl. Gierlichs, Asylmagazin 7-8/2003, 53 sowie in ANA-ZAR 5/2007, 33 m.w.N.). In der ergänzenden Stellungnahme an das Gericht vom 11.01.2008 hat auch Dr. N, der anerkanntermaßen ein ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet der Psychotraumatologie ist, dargelegt, dass der Ausbruch der Symptome der PTBS von vielfältigen Umgebungsfaktoren abhängen kann, die beispielsweise eine Kompensation ermöglichen oder Verdrängung/Verleugnung des Traumas erforderlich machen können.
28 
Nach dem Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 ist bei einer erzwungenen Rückkehr der Klägerin in die Türkei aufgrund der Retraumatisierung mit Dekompensation mit massivster Verschlechterung der psychischen Erkrankung mit akuter Lebensgefährdung zu rechnen. Den ärztlichen Feststellungen zufolge leidet die Klägerin an Einschlaf- und Durchschlafstörungen, unter Gedankenkreisen und Grübeln und unter einem kompletten Libidoverlust; weiter traten bei den Explorationen Hitzewallungen, Kopfschmerzen, Schwindel und brennende Hände „wie Feuer“ auf. Schließlich wird in den Gutachten über massive Lebensunlust, Todessehnsucht und über vier Suizidversuche berichtet. Diese ärztlichen Feststellungen sind klar, eindeutig und überzeugend. Im Übrigen handelt es sich bei der Einschätzung des Krankheitsverlaufs und der gesundheitlichen Folgen wiederum um medizinische Fachfragen, für die es keine eigene Sachkunde der Behörde oder des Gerichts gibt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.05.2006, NVwZ 2007, 345).
29 
Unter dem Begriff der „Retraumatisierung“ wird die durch äußere Ursachen oder Bedingungen, die dem zugrundeliegenden traumatischen Erlebnis gleichen, ähneln oder auch nur Anklänge daran haben, ausgelöste Reaktualisierung der inneren Bilder des traumatischen Erlebens in der Vorstellung und den körperlichen Reaktionen des Betroffenen verstanden, die mit der vollen oder gesteigerten Entfaltung des Symptombildes der ursprünglichen traumatischen Reaktion auf der körperlichen, psychischen und sozialen Ebene einhergeht (vgl. Marx, InfAuslR 2000, 357, 360 m.w.N.). Die Folge davon kann eine akute Dekompensation wie z. B. schwere depressive Reaktion, psychotische Dekompensation, suizidale Handlung und anderes sein und zu einer dauerhaften Verschlimmerung oder Chronifizierung des posttraumatischen Krankheitsprozesses führen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -).
30 
Bereits diese konkrete Gefahr der Retraumatisierung begründet ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (ebenso VGH München, Urt. v. 20.10.1999 - 23 B 98.30524; VGH Kassel, Urt. v. 26.02.2007 - 4 UE 1125/05.A - juris -; OVG Koblenz, Urt. v. 09.02.2007 - 10 A 10952/06.OVG - ; OVG Schleswig, Beschl. v. 28.09.2006 - 4 LB/06 -; OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris - und Urt. v. 12.09.2007 - 8 LB 210/05 - juris -). Die Gefahr der Retraumatisierung lässt sich nicht auf den eigentlichen Ort eingrenzen, an dem die Verletzungshandlung erfolgte, denn auch andere Orte und Personen im Heimatland, die dem zugrundeliegenden traumatischen Erlebnis gleichen, ähneln oder auch nur Anklänge daran haben, führen zu einer Reaktualisierung der inneren Bilder des traumatischen Erlebens in der Vorstellung und den körperlichen Reaktionen des Betroffenen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.02.2005 - 11 LB 121/04 und Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/ 05 - juris -), so dass im Falle der Klägerin die Gefahr der Retraumatisierung konkret und landesweit gegeben ist.
31 
Diese konkrete und landesweite Gefahr im Falle einer Abschiebung in die Türkei ist durch eine mögliche medikamentöse Behandlung im Zielstaat der Abschiebung nicht zu verhindern (vgl. Gierlichs/Wenk-Ansohn, ZAR 2005, 405, 408; Gierlichs u.a., ZAR 2005, 158, 163). Der erheblichen Gesundheits- und Lebensgefahr für die Klägerin kann auch nicht dadurch wirksam begegnet werden, dass sie sich unverzüglich nach der Rückkehr in ihr Heimatland in psychologische oder psychiatrische Behandlung begibt. Denn Menschen mit traumatogenen Störungen können in einer Umgebung, die Intrusionen stimuliert und kein Vermeidungsverhalten erlaubt, nicht behandelt werden (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl., S. 753). Nach fachwissenschaftlichen Erkenntnissen ist eine erfolgreiche Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen nur in einer sicheren Umgebung und bei Schutz vor weiterer Traumaeinwirkung möglich (vgl. Stellungnahme der wissenschaftlichen Fachgesellschaften, veröffentlicht in: http://www.aerzteblatt.de/v4/plus/down.asp ? typ=PDF&id=1166 ; Koch in: Asylpraxis Band 9 S. 61, 78; Gierlichs/Wenk-Ansohn, ZAR 2005, 405, 408; Gierlichs, ZAR 2006, 277, 279; Bittenbinder in: Asylpraxis Band 9, S. 35, 54 ff.; Graessner u.a., Die Spuren von Folter, S. 77 ff.; ebenso OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33; OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -).
32 
Unabhängig hiervon wird die Klägerin vor dem Hintergrund der bei ihr bestehenden schweren Erkrankung und der schon heute gezeigten extremen Destabilisierung nicht in der Lage sein, in der Türkei im Anschluss an ihre Abschiebung und die damit für sie zwangsläufig verbundene Verschlimmerung ihres Gesundheitszustandes die für sie alsdann noch umso dringlicher gebotene medizinische Hilfe zu erfahren, zumal die hier vorliegende Traumatisierung durch Vergewaltigung einen Fall mit einer besonders ungünstigen Prognose, nämlich den Fall des sog. „man made disaster“ (vgl. Koch in: Asylpraxis Band 9 Seite 71) darstellt. Denn unabhängig von der Frage, ob posttraumatische Belastungsstörungen in der Türkei behandelbar sind und ob die Klägerin eine solche Behandlung unter finanziellen Gesichtspunkten erreichen könnte, gilt im vorliegenden Fall, dass die Klägerin nach ihrer Rückkehr aufgrund ihres Rückzugsverhaltens, ihrer Depressivität und ihrer Ängste nicht in der Lage sein wird, eine solche Behandlung aus eigener Kraft oder durch entsprechende Einwirkungen durch Verwandte mittels deren Hilfestellung anzutreten. Für die Klägerin besteht somit bei einer Rückkehr in die Türkei ungeachtet der vom Bundesamt behaupteten Behandlungsmöglichkeiten die ganz konkrete Gefahr eines psychischen Zusammenbruchs, wenn nicht gar des Suizids, und damit eine extreme individuelle Gefahrensituation.
33 
Steht danach zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Krankheitszustand der Klägerin im Falle einer Abschiebung in ihr Herkunftsland alsbald nach ihrer Rückkehr wesentlich bzw. angesichts ihrer erheblichen Suizidalität sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde, so steht ihr ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei zu. Die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird nicht durch § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG gesperrt. Angesichts des vielfältigen Symptombildes der posttraumatischen Belastungsstörung kann nicht angenommen werden, dass diesbezüglich ein Bedürfnis nach einer ausländerpolitischen Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG besteht (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 18.07.2006 - 1 C 16/05 - Juris -). Im Übrigen ist inzwischen allgemein anerkannt, dass die an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankten Personen, deren Erkrankung auf willentlich durch Menschen verursachte Traumata beruht, nicht Teil einer Bevölkerungsgruppe sind (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 16.02.2004, Asylmagazin 6/2004, 30; OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33 und Urt. v. 09.02.2007 - 10 A 10952/06.OVG- ; VGH Kassel, Beschl. v. 09.01.2006 - 7 ZU 1831/05.A -).
34 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, § 83 b AsylVfG.

Gründe

1

I. Die gemäß § 146 Abs. 4 VwGO zulässige Beschwerde der Antragsteller hat Erfolg.

2

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, dass ihre Ausreise aufgrund inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse infolge einer Erkrankung des Antragstellers zu 1 unmöglich sei. Es sei nicht davon auszugehen, dass bei diesem eine Reiseunfähigkeit vorliege. Die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen seien unzureichend. Die Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie D. enthalte weder eine Anamnese noch eine nachvollziehbare Diagnose. Die Bescheinigungen der Psychologinnen S. und K. seien zwar ausführlicher, beruhten aber nur auf den Angaben des Antragstellers zu 1, so dass die Schlussfolgerung, eine vorgetäuschte Diagnose könne ausgeschlossen werden, nicht überzeuge. Auch werde nicht darauf eingegangen, ob die vom Antragsteller zu 1 geschilderten Symptome in Zusammenhang mit der Einnahme von Medikamenten oder Halluzinogenen stünden. Auffällig sei, dass die vom Antragsteller zu 1 geäußerten Kriegserlebnisse im Rahmen der Anhörungen vor dem Bundesamt nicht geschildert worden seien. Zudem falle auf, dass sich der Antragsteller zu 1 erst nach Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen in psychiatrische Behandlung begeben habe, obwohl er sich bereits seit 2010 in Deutschland aufhalte. Die Bescheinigungen zögen auch keinerlei Alternativursachen in Betracht, obwohl dies angesichts der geschilderten Ängste des Antragstellers zu 1 naheliegend sei. Als Alternativursache komme ein schweres Entwurzelungssyndrom in Betracht. Dies werde weder erwähnt noch im Rahmen einer Differentialdiagnose diskutiert. Die psychologischen Stellungnahmen seien ersichtlich darauf angelegt, dem Antragsteller zu 1 zum beantragten Abschiebungsschutz zu verhelfen. Die äußerst kurzen Stellungnahmen der Amtsärztinnen S. und M. enthielten keinerlei medizinische Substanz. Es werde nicht einmal erläutert, um was für eine psychische Erkrankung es sich handeln soll, die beim Antragsteller zu 1 bestehe. Es sei auch nicht ersichtlich, dass dieser aufgrund einer akuten und schwerwiegenden Erkrankung an posttraumatischer Belastungsstörung dringend auf ärztliche Behandlung gerade in Deutschland angewiesen sei. Ziehe man in Betracht, dass bei einer Rückkehr des Antragstellers zu 1 in seine Heimat sowohl die Sprachbarriere, die einer aussichtsreichen Heilung psychischer Probleme in Deutschland entgegenstehe, als auch die soziale Isolation entfielen, sei von zusätzlichen Erschwernissen durch die Verneinung von Abschiebungshindernissen nicht auszugehen. Aufgrund der aufgezeigten Mängel sei auch nicht davon auszugehen, dass eine akute Suizidalität mit Eigen- und Fremdgefährdung bei einer Abschiebung des Antragstellers zu 1 bestehe. Möglichen Gefährdungen sei durch geeignete Vorkehrungen und Modalitäten bei der Abschiebung zu begegnen. Der Antragsgegner habe für sichere Abschiebemodalitäten und eine Begleitung durch Fachpersonal (Arzt/Sanitäter) Sorge zu tragen. Ebenso sei nach Eintreffen des Rücktransports in der Heimat des Antragstellers zu 1 durch vorherige Kontaktaufnahme mit den Heimatbehörden dessen nahtlose ärztliche und psychologische Begleitung und Versorgung sicherzustellen und eine Zurverfügungstellung von Medikamenten zu veranlassen. Dadurch werde der dem Antragsteller zu 1 bescheinigten Suizidgefahr im Rahmen der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen mit angemessenen Mitteln begegnet. Hinzu komme, dass eine Rückführung in die Heimat gerade zu einer Besserung der Gesamtsymptomatik führen könne: Die auch für seelisch Gesunde – zumal nach langjährigen Auslandsaufenthalt – bestehende starke Belastung einer drohenden Abschiebung entfalle nach dem Vollzug, was dafür spreche, dieses schwierige Phase nicht hinauszuzögern, sondern abzukürzen.

3

Dieser Würdigung durch das Verwaltungsgericht tritt die Beschwerde mit Erfolg entgegen.

4

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sogenannte Sicherungsanordnung). Anordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Für den Anordnungsanspruch einer Sicherungsanordnung genügt dabei die Glaubhaftmachung von Tatsachen, aus denen sich zumindest ergibt, dass der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen ist; ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht, wenn eine vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten materiellen Anspruchs zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dringlich ist (Beschl. d. Senats v. 20.06.2011 – 2 M 38/11 –, Juris RdNr. 8 m.w.N.).

5

Diese Voraussetzungen für den Erlass der von den Antragstellern begehrten einstweiligen Anordnung sind erfüllt. Es besteht die Gefahr, dass die vom Antragsgegner in Aussicht genommene Abschiebung der Antragsteller ohne eine vorherige gutachtliche Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen die Verwirklichung eines ihnen in der Hauptsache möglicherweise zustehenden Anspruchs auf weitere Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vereitelt.

6

1. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist offen, ob durch die Abschiebung eine wesentliche Verschlechterung der beim Antragsteller zu 1 nach den vorliegenden ärztlichen bzw. psychologischen Stellungnahmen vorhandenen psychischen Erkrankung eintreten und sich dadurch die auf dieser Krankheit beruhende (latente) Selbstmordgefahr in einer Weise erhöhen wird, dass eine Abschiebung nicht verantwortet werden kann.

7

Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 20.06.2011 – 2 M 38/11 – a.a.O. RdNr. 5) kann auch eine bestehende psychische Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG in zwei Fallgruppen begründen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange der Ausländer wegen Erkrankung transportunfähig ist, d. h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens" wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet; dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Es geht also nicht nur darum, während des eigentlichen Abschiebevorgangs selbstschädigende Handlungen eines aufgrund einer psychischen Erkrankung suizidgefährdeten Ausländers zu verhindern; eine Abschiebung hat vielmehr auch dann zu unterbleiben, wenn sich durch den Abschiebevorgang die psychische Erkrankung (wieder) verschlimmert, eine latent bestehende Suizidalität akut wird und deshalb die Gefahr besteht, dass der Ausländer unmittelbar vor oder nach der Abschiebung sich selbst tötet. Von einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis ist auch dann auszugehen, wenn sich die Erkrankung des Ausländers gerade aufgrund der zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland wesentlich verschlechtert, und nicht nur, wenn ein Suizid während der Abschiebung droht (BayVGH, Beschl. v. 23.10.2007 – 24 CE 07.484 –, Juris RdNr. 21). Die Frage, ob Maßnahmen bei der Gestaltung der Abschiebung – wie ärztliche Hilfe und Flugbegleitung – ausreichen, um der auf einer psychischen Erkrankung beruhenden ernsthaften Suizidgefahr wirksam zu begegnen, lässt sich erst aufgrund einer möglichst fundierten und genauen Erfassung des Krankheitsbildes und der sich daraus ergebenden Gefahren beantworten; eine abstrakte oder pauschale Zusicherung von Vorkehrungen wird dem gebotenen Schutz aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht gerecht (OVG NW, Beschl. v. 09.05.2007 – 19 B 352/07 –, Juris RdNr. 7).

8

Macht ein Ausländer eine solche Reiseunfähigkeit geltend oder ergeben sich sonst konkrete Hinweise darauf, ist die für die Aussetzung der Abschiebung zuständige Ausländerbehörde verpflichtet, den aufgeworfenen Tatsachenfragen, zu deren Beantwortung im Regelfall medizinische Sachkunde erforderlich ist, im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA nachzugehen, wobei der Ausländer zur Mitwirkung verpflichtet ist (§ 82 AufenthG). Kann die Reiseunfähigkeit trotz Vorliegens ärztlicher oder psychologischer Fachberichte nicht als erwiesen angesehen werden, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass für die Ausländerbehörde kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht. Sie bleibt nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA verpflichtet, den Sachverhalt selbst weiter aufzuklären, wenn und soweit sich aus den ärztlichen oder psychologischen Äußerungen, dem Vortrag des Ausländers oder aus sonstigen Erkenntnisquellen ausreichende Indizien für eine Reiseunfähigkeit ergeben. Ist das der Fall, wird regelmäßig eine amtsärztliche Untersuchung oder die Einholung einer ergänzenden (fach-)ärztlichen Stellungnahme oder eines (fach-)ärztlichen Gutachtens angezeigt sein, da der Ausländerbehörde und auch den Verwaltungsgerichten die erforderliche medizinische Sachkunde zur Beurteilung einer mit der Abschiebung einhergehenden Gesundheitsgefahr und auch der Frage fehlen dürfte, mit welchen Vorkehrungen diese Gefahr ausgeschlossen oder gemindert werden könnte (vgl. VGH BW, Beschl. v. 06.02.2008 – 11 S 2439/07 –, Juris RdNr. 9).

9

Im Fall des Antragstellers zu 1 ist ein solcher weiterer Aufklärungsbedarf gegeben. Die vorliegenden ärztlichen und psychologischen Stellungnahmen gehen zwar davon aus, dass der Antragsteller zu 1 an einer psychischen Erkrankung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSB) leidet und im Falle einer Abschiebung eine erhöhte Suizidgefahr besteht. Ob dies zutrifft, ist jedoch auch im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht erhobenen Einwände zweifelhaft. Die Problematik muss daher erst in einem ergänzenden fachärztlichen Gutachten abschließend geklärt werden.

10

Die Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie D. von der (…)-Praxis GmbH vom 12.03.2014 (GA Bl. 30) diagnostiziert bei dem Antragsteller zu 1 zwar eine posttraumatische Belastungsstörung, lässt aber nicht erkennen, auf Grund welcher Befundtatsachen die angesprochene Diagnose gestellt wurde, und legt auch nicht dar, welche Folgen sich aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Damit erfüllt sie die Anforderungen nicht, die nach der Rechtsprechung des Senats an die Glaubhaftmachung einer Krankheit als rechtliches Abschiebungshindernis zu stellen sind (vgl. Beschl. v. 08.02.2012 – 2 M 29/12 –, Juris RdNr. 11).

11

Die psychologischen Stellungnahmen der Psychologin S. vom 20.03.2013 (GA Bl. 35 – 36) sowie der Psychologin K. und des Systemischen Therapeuten D. vom Psychosozialen Zentrum für Migrantinnen und Migranten in Sachsen-Anhalt vom 21.05.2014 (GA Bl. 89 – 93) diagnostizieren bei dem Antragsteller zu 1 eine posttraumatische Belastungsstörung in Komorbidität mit einer mittelschweren Depression. Eine vorgetäuschte Diagnose schließen sie aus. Eine Abschiebungsankündigung bzw. eine Rückkehr in den Kosovo werde mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar psychische Dekompensation(en) und suizidale Verhaltensweisen zur Folge haben. Auch ein erweiterter Suizid erscheine möglich. Aus psychologisch-therapeutischer Sicht wäre eine Abschiebungsandrohung bzw. eine Rückkehr mit einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zur Stimulation einer Selbstgefährdung des Antragstellers zu 1 verbunden. In der Stellungnahme vom 21.05.2014 wird darüber hinaus ausführlich dargestellt, auf welcher Grundlage die Diagnose gestellt wurde. Mit dem Antragsteller zu 1 seien seit dem 01.02.2013 insgesamt zehn Gespräche zur Diagnostik, Stabilisierung und unmittelbaren Krisenintervention geführt worden. Befund und Spontanangaben werden ausführlich wiedergegeben. Auf dieser Grundlage wird sowohl die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung in Komorbidität mit einer mittelschweren Depression gestellt als auch die Behandlungsbedürftigkeit beurteilt. Diese Stellungnahmen enthalten zwar ernst zu nehmende Hinweise auf eine mögliche Suizidgefahr bei einer Abschiebung des Antragstellers zu 1 in den Kosovo. Sie sind jedoch auch gewichtigen Einwänden ausgesetzt. Zunächst enthält insbesondere die zuletzt vorgelegte psychologische Stellungnahme vom 21.05.2014 keinen überzeugenden Nachweis eines Traumas. Voraussetzung für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung ist jedoch der Nachweis eines traumatischen Ereignisses (vgl. Ebert/Kindt, Die posttraumatische Belastungsstörung im Rahmen von Asylverfahren, VBlBW 2004, 41 <42>; Gierlichs u.a., Grenzen und Möglichkeiten klinischer Gutachten im Ausländerrecht, ZAR 2005, 158 <161>). Da die einschlägigen fachärztlichen bzw. psychologischen Gutachten wesentlich auf den Angaben des Betroffenen beruhen, bedarf es insoweit der Prüfung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Betroffenen (VGH BW, Beschl. v. 02.05.2000 – 11 S 1963/99 –, Juris RdNr. 7; SächsOVG, Beschl. v. 21.01.2014 – 3 B 476/13 –, Juris RdNr. 5; Middeke, Posttraumatisierte Flüchtlinge im Asyl- und Abschiebungsprozess, DVBl. 2005, 150 <151>). Von Bedeutung für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit ist dabei der Umstand, dass bestimmte Ereignisse, die im Rahmen der klinischen Begutachtung als traumatisierend dargestellt werden, bei der vorherigen Anhörung vor dem Bundesamt nicht angegeben wurden. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt, die schon längere Zeit zurückliegen, ist eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (SächsOVG, Beschl. v. 21.01.2014 – 3 B 476/13 – a.a.O. RdNr. 5 unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 11.09.2007 – BVerwG 10 C 8.07 –, Juris RdNr. 15). Nach diesen Grundsätzen ist die Stellungnahme vom 21.05.2014 dem fachlichen Einwand ausgesetzt, dass nicht klar wird, worin das die posttraumatische Belastungsstörung auslösende Trauma liegen soll. Im Rahmen der Biographischen Anamnese werden Ereignisse aus dem Jahr 1999 nach Ausbruch des Kosovokrieges geschildert, aber auch zeitlich nachfolgende Bedrohungen und Misshandlungen in Serbien, Übergriffe von albanisch sprechenden Männern nach der Rückkehr der Antragsteller in das Kosovo sowie eine Bedrohung des Sohnes des Antragstellers zu 1 mit einer Pistole durch Nachbarn. Soweit die Ereignisse während des Kosovokrieges im Jahr 1999 als maßgeblich für das Trauma anzusehen sein sollten, wäre zu begründen, warum diese Umstände nicht schon während der Anhörung des Antragstellers zu 1 am 29.03.2010 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgetragen wurden. Begründungsbedürftig ist ferner der Umstand, dass der Antragsteller zu 1 das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung erst im Jahr 2013 geltend gemacht hat, obwohl er bereits seit dem Jahr 2010 aus seiner Heimat ausgereist ist. Ein weiterer Mangel der Stellungnahme vom 21.05.2014 liegt darin, dass nicht explizit angegeben wird, nach welchen Kriterien eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde (vgl. dazu Ebert/Kindt, a.a.O. S. 42). Schließlich stellt sich noch die Frage, ob die beim Antragsteller zu 1 festgestellten Symptome nicht auch andere Ursachen als eine posttraumatische Belastungsstörung haben können, etwa die unkontrollierte Einnahme von Medikamenten und Halluzinogenen oder ein schweres Entwurzelungssyndrom.

12

Die Stellungnahmen der Amtsärztin S. vom 08.07.2013 und 10.03.2014 sowie der Amtsärztin M. vom 29.04.2014 und 20.05.2014 lassen ebenfalls keine abschließende Beurteilung der hier relevanten Fragestellung zu. In dem amtsärztlichen Gutachten zur Beurteilung der Flug- und Reisefähigkeit des Antragstellers zu 1 vom 08.07.2013 (GA Bl. 50) heißt es, dieser leide an einer psychischen Erkrankung, die akut exazerbiert sei. Zum jetzigen Zeitpunkt bestehe die akute Gefahr eines Suizids bzw. erweiterten Suizids. In der Stellungnahme vom 10.03.2014 (GA Bl. 49) heißt es, die Reisefähigkeit im weiteren Sinne sei aufgrund der psychischen Erkrankung des Antragstellers zu 1 nicht gegeben. In der Stellungnahme vom 29.04.2014 (GA Bl. 62) wird ausgeführt, es könnten keine wesentlichen Veränderungen der gesundheitlichen Situation des Antragstellers zu 1 festgestellt werden. Er habe weiterhin eine unbändige Angst vor der Abschiebung in sein Heimatland. Er reagiere damit, im Abschiebungsfall sich und seine Familie umzubringen. Die Flug- und Reisetauglichkeit sei nach wie vor unsicher, da in keiner Weise abzuschätzen sei, ob der Antragsteller zu 1 seine Drohungen wahr mache. In der Stellungnahme vom 20.05.2014 (GA Bl. 61) wird ergänzend ausgeführt, bei der Vorstellung im Gesundheitsamt habe der Antragsteller zu 1 überzeugend den Eindruck gemacht, dass er im Falle einer Abschiebung sich und seiner Familie etwas antun werde. Es bestehe eine bedingte Flug- und Reisefähigkeit. Bedingung sei die Minderung der Eigen- und Fremdgefährdung. Die sei durch Verzicht auf eine vorherige Ankündigung des Abschiebetages und eine fachärztliche Begleitung während des Fluges zu gewährleisten. In diesen Stellungnahmen wird weder angegeben, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände die fachliche Beurteilung erfolgt ist, noch enthalten sie eine nachvollziehbare medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes oder eine nachvollziehbare Darlegung der Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Die in der Stellungnahme vom 20.05.2014 vertretene Annahme, eine hinreichende Minderung der Eigen- und Fremdgefährdung könne durch Verzicht auf eine vorherige Ankündigung des Abschiebetages und Gewährleistung einer fachärztlichen Begleitung während des Fluges sichergestellt werden, wird nicht näher begründet und stellt sich als reine Spekulation dar. Zur Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen sind diese amtsärztlichen Stellungnahmen ungeeignet.

13

Vor diesem Hintergrund liegen zwar Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller zu 1 unter einer posttraumatische Belastungsstörung leidet und eine Abschiebung zu einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führt. Es verbleiben jedoch Zweifel. Bei dieser Sachlage kann über das Vorliegen des geltend gemachten Duldungsgrundes ohne fachärztliches Gutachten zur Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen nicht entschieden werden. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist damit offen, so dass ein Anordnungsanspruch gegeben ist.

14

2. Auch die Antragstellerin zu 2 und die Antragsteller zu 3 – 6 haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Eine rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG kann sich aus inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen ergeben, zu denen auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa mit Blick auf Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind. Der Schutz des Art. 6 GG umfasst die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben. Sich hieraus ergebende schutzwürdige Belange können einer (zwangsweisen) Beendigung des Aufenthalts des Ausländers dann entgegen stehen, wenn es ihm nicht zuzumuten ist, seine tatsächlichen Bindungen zu berechtigterweise im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (Beschl. d. Senats v. 14.08.2014 – 2 L 115/13 – m.w.N.). Derartige schutzwürdige Belange liegen im Fall der Antragstellerin zu 2 und der Antragsteller zu 3 – 6 vor. Aufgrund der oben dargestellten Umstände besteht bei dem Antragsteller zu 1 möglicherweise ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis. Die übrigen Familienmitglieder können daher einstweilen eine gewünschte familiäre Lebensgemeinschaft im gemeinsamen Heimatland nicht führen. Eine alleinige auch nur kurzfristige Rückkehr ohne Begleitung durch den Antragsteller zu 1 in das Kosovo ist ihnen ebenfalls nicht zuzumuten.

15

3. Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Der Antragsgegner beabsichtigt, die Antragsteller ohne vorherige Einholung eines fachärztlichen Gutachtens zur Suizidgefahr abzuschieben. Die vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten Duldungsanspruchs ist daher zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dringlich. Denn der Duldungsanspruch erlischt ebenso wie die Aussetzung selbst (vgl. § 60a Abs. 5 Satz 1 AufenthG) mit der Ausreise (vgl. VGH BW, Beschl. v. 06.02.2008 – 11 S 2439/07 – a.a.O. RdNr. 14). Er würde durch die Abschiebung daher vereitelt. Zudem ist eine Abschiebung ohne vorherige fachärztliche Begutachtung der damit nach den vorliegenden Erkenntnissen möglicherweise einhergehenden gesundheitlichen Risiken mit der staatlichen Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren.

16

II. Den Antragstellern ist auch die beantragte Prozesskostenhilfe zu gewähren, weil sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint und aus den vorstehend ausgeführten Gründen hinreichende Erfolgsaussichten zu bejahen sind (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).

17

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

18

VI. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des beschließenden Senats, im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes den halben Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG je Antragsteller festzusetzen, soweit Streitgegenstand – wie hier – die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung ist.


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I. Der Kläger ist seinen Angaben zufolge Staatsangehöriger Sierra Leones. Er begehrt im asylrechtlichen Folgeverfahren die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses festzustellen. Das Verwaltungsgericht wies die Asylklage mit Urteil vom 24. August 2016 in der Sache ab. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel des Klägers. Er macht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend.

II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) wegen verfahrensfehlerhafter Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags liegt nicht vor.

Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, B. v. 30.1.1985 - 1 BvR 393/84 - BVerfGE 69, 141/144 = NJW 1986, 833; BVerfG, B. v. 18.6.1993 - 2 BvR 1815/92 - NVwZ 1994, 60 = BayVBl 1993, 562; BayVerfGH, E. v. 26.4.2005 - Vf. 97-VI-04 - VerfGH 58, 108 = BayVBl 2005, 721). Das rechtliche Gehör ist versagt, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch aber nur, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sach-fremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Von einer willkürlichen Missdeutung kann insbesondere nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG, B. v. 22.5.2015 - 1 BvR 2291/13 - juris Rn. 5 m. w. N.).

Gemessen daran liegt in der Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 24. August 2016 gestellten Beweisantrags, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen,

„zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer depressiven Episode, derzeit leichtgradig, und einer generalisierenden Angststörung leidet, der Kläger psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung bedarf und sich sein Gesundheitszustand bei Abbruch der Behandlung wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde“,

keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

Ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 24. August 2016 hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag mit folgender Begründung abgelehnt:

„Hinsichtlich der für die Person des Klägers geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ist der Beweisantrag rechtlich nicht erheblich. Die im Rahmen des Verfahrens vorgelegten therapeutischen und ärztlichen Äußerungen zu den Anknüpfungstatsachen für das Krankheitsbild einer PTBS sind nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts unglaubwürdig. Hinsichtlich des für die Person des Klägers weiter geltend gemachten ‚depressiven Episode‘ und ‚Angststörung‘ werden die vorgelegten Diagnosen als wahr unterstellt.“

1. Soweit es das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung betrifft, hat das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass der Klägervortrag den aus der Rechtsprechung (u. a. BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 = juris Rn. 15) folgenden Anforderungen an die Substantiierung zum Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung, die sich - wie hier - auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland stützt und deren Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen werden, nicht genügt und seine Rechtsauffassung umfassend und nachvollziehbar begründet. Danach beruhten die vom Kläger vorgelegten therapeutischen Berichte und fachärztlichen Atteste hinsichtlich der darin zugrunde gelegten Auslösekriterien auf einem unglaubhaften Vortrag des Klägers und damit auf unzureichenden tatsächlichen Grundlagen. Diese Bewertung durch das Verwaltungsgericht ist nicht zu beanstanden.

a) Das Verwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass eine posttraumatische Belastungsstörung nur aufgrund eines traumatisierenden Ereignisses entstehen kann (vgl. ICD-10: F.43.1, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision: „ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“).

b) Weiter trifft es zu, dass die nach dem Diagnoseklassifikationssystem ICD-10 erstellten Befunde von Refugio vom 7. August 2014 und vom 18. Juli 2016 sowie des Bezirksklinikums Niederbayern vom 25. Februar 2014 als „Auslösekriterium“ bzw. schwerwiegende Traumatisierung die Tötung des Vaters, die Entführung des Klägers durch Rebellen bzw. die Erschießung des Bruders des Klägers bei der Rekrutierung zum Kindersoldaten zugrunde legen und dass die darin genannten tatsächlichen Grundlagen (zur behaupteten Erschießung des Bruders vgl. nachfolgend Buchst. c, Doppelbuchst. dd), bereits vom Verwaltungsgericht Regensburg (U. v. 29.11.2012 - RN 5 K 12.30096) als unglaubhaft angesehen wurden. Das ärztliche Attest des Klinikums der Universität München vom 12. Juli 2016 benennt dagegen das auslösende Ereignis nicht.

c) Hiervon ausgehend beruht der vom Verwaltungsgericht gezogene Schluss, es fehle an der tatsächlichen Grundlage eines traumatisierenden Ereignisses, aufgrund derer die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gerechtfertigt sei, auf einer nachvollziehbaren, insbesondere willkürfreien und sachlichen Grundlage, von der sich das Verwaltungsgericht eine eigene Überzeugung gebildet hat.

aa) Die Bewertung der tatsächlichen Grundlagen durch das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren folgt zwar der Bewertung des Verwaltungsgerichts Regensburg aus dem Urteil vom 29. November 2012. Dieses hatte sich im Rahmen des Erstverfahrens im rechtskräftigen Urteil vom 29. November 2012 umfänglich mit den vom Kläger geschilderten Geschehnissen auseinandergesetzt, die auch Auslöser der im Erstverfahren wie im gegenständlichen Verfahren geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung sein sollen, sowie umfassend und nachvollziehbar begründet, weshalb es den klägerischen Vortrag „in höchstem Maße“ für „unsubstantiiert“, „oberflächlich“, „lebensfremd“ und „widersprüchlich“ erachtet. Nicht zutreffend ist aber, dass das Verwaltungsgericht die Bewertung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Regensburg im Erstverfahren lediglich ungeprüft übernommen habe. Es hat vielmehr das vom Kläger im Erstverfahren geschilderte Geschehen dargestellt, das im gegenständlichen Verfahren nicht vertieft oder ergänzt wurde, sich mit diesem auseinandergesetzt und weiter ausgeführt, es sei nicht zu erkennen, dass von der Bewertung des Verwaltungsgerichts Regensburg abzuweichen sei. Damit bringt das Verwaltungsgericht aber zum Ausdruck, dass es sich die Bewertung des Verwaltungsgerichts Regensburg auch für den gegenständlichen Fall zu Eigen macht, nicht dass es dessen Bewertung lediglich (ungeprüft) übernimmt.

bb) Soweit der Kläger weiter bemängelt, das Verwaltungsgericht habe den Kläger zu den Ereignissen in Sierra Leone nicht weiter befragt, verhilft auch dies dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg.

Angesichts der konkreten Umstände bestand für das Verwaltungsgericht keine Veranlassung, den Kläger zu den im Erstverfahren vorgetragenen Ereignissen in Sierra Leone zu befragen. Insbesondere hat der Kläger im Folgeverfahren weder gegenüber dem Bundesamt noch in der Klagebegründung andere oder ergänzende Angaben zu den behaupteten traumatisierenden Geschehnissen in Sierra Leone vorgetragen, die eine vom Urteil des Verwaltungsgericht Regensburg abweichende Bewertung nahegelegt hätten. Davon abgesehen hatte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 24. August 2016 Gelegenheit und angesichts der Feststellungen im Erstverfahren aber auch im Bundesamtsbescheid vom 15. Mai 2014 triftige Gründe, die in seiner Sphäre liegenden behaupteten Geschehnisse in Sierra Leone von sich aus nachvollziehbar und widerspruchsfrei zu schildern.

cc) Eine weitergehende Aufklärung zur Richtigkeit des Klägervorbringens musste sich dem Verwaltungsgericht auch nicht auf Grundlage der vorgelegten Befundberichte und fachärztlichen Atteste aufdrängen.

Zwar gehen die Befundberichte von Refugio vom 7. August 2014 und vom 18. Juli 2016 auch auf die Auslösekriterien ein. Die vom Kläger geschilderten und in der Zeit weit zurückliegenden Geschehnisse, die das Auslösekriterium erfüllen sollen, wie etwa das „Miterleben der diversen Morde in der Zeit mit den Rebellen“, insbesondere „die Entführung durch die Rebellen“ und die „Situation um die berichtete Enthauptung seines Vaters“, werden aber allein den geschilderten Symptomen und der Verhaltensbeobachtung gegenübergestellt. Ihre äußere, objektive Ereignisseite bleibt in den Befundberichten im Allgemeinen, wird also weder hinreichend konkret beschrieben noch sorgfältig oder kritisch hinterfragt. Dies ist bei der Begutachtung einer posttraumatischen Belastungsstörung wohl auch nicht zu leisten (vgl. Befundbericht v. 18.7.2016 S. 5: „Bei der Diagnoseerstellung von posttraumatischen Störungen ermöglicht die Symptomatologie des psychopathologischen Befunds generell keine Rekonstruktion der objektiven Seite der traumatisierenden Ereignisse“). Dass das behauptete traumatisierende Ereignis tatsächlich stattgefunden hat, muss vielmehr vom Schutzsuchenden gegenüber dem Tatrichter und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden (vgl. BayVGH, B. v. 17.10.2012 - 9 ZB 10.30390 - juris Rn. 8). Die in den o.g. Befundberichten auf die Symptomatik gestützte Beurteilung zu den Angaben über die geschilderten Vorgänge lässt aus den genannten Gründen keine andere Bewertung zu. Im Befundbericht vom 7. August 2014 werden als Auslösekriterien „das Miterleben der diversen Morde in der Zeit mit den Rebellen“ und „die Situation um die berichtete Enthauptung seines Vaters“ genannt, wenngleich die genauen Umstände zu Letzterem unklar bleiben würden; eine nähere Begründung für die gleichwohl getroffene Annahme, „Den gewaltsamen Verlust des Vaters sehen wir allerdings als gesichert an“, wird nicht gegeben. Im Befundbericht vom 18. Juli 2016 wird als Auslösekriterium zunächst die Ermordung des Vaters gesehen, jedoch auch die Erlebnisse bei den Rebellen. Letzteres erfülle danach „eindeutig das Traumakriterium A“ (Befundbericht v. 18.7.2016, S. 5); die objektive Seite dieser Erlebnisse wird allerdings nicht aufgeklärt. Obschon „aufgrund einiger Ungenauigkeiten und Widersprüche nicht sicher gesagt werden kann, dass/ob alle geschilderten Erlebnisse so stattgefunden haben“ (vgl. Befundbericht v. 7.8.2014, S. 9; ebs. Befundbericht v. 18.7.2016, S. 6), wird im Befundbericht vom 18. Juli 2016 der Schluss gezogen, dass die beobachtete Symptomatik weiterhin überzeuge, insbesondere weil aufgrund der physiologischen Reaktionen bzw. Veränderungen des Klägers bei der Schilderung seiner Lebensgeschichte und insbesondere der traumatischen Erfahrungen keine Anhaltspunkte dafür gesehen würden, dass der Kläger „in diesen Punkten“ seine Biografie simuliere. Eine Auseinandersetzung etwa mit den vom Verwaltungsgericht Regensburg festgestellten Widersprüchen des klägerischen Vortrags findet nicht statt, obschon Refugio jedenfalls dessen Beschluss vom 27. März 2012 (Az. RN 5 S 12.30095) und die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg vom 29. November 2012 vorlagen und bekannt waren (vgl. Befundbericht v. 7.8.2014, S. 2 sowie Befundbericht v. 18.7.2016, S. 2). Insgesamt fällt auf, dass das vom Kläger geschilderte Geschehen vage und im Allgemeinen bleibt; der Inhalt der festgestellten Ungenauigkeiten und Widersprüche sowie deren Bezug zu den gleichwohl zugrunde gelegten traumatisierenden Ereignissen wird nicht erläutert. Vonseiten des Klägers sind die in seine Sphäre fallenden behaupteten objektiven Ereignisse, also Ereignisse, die „fast bei jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würden“ (vgl. ICD-10: F43.1), auch in den behördlichen und gerichtlichen Verfahren nach wie vor nicht schlüssig und widerspruchsfrei dargestellt worden, obwohl angesichts der tatrichterlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. November 2012 aber auch der Begründung des Bundesamtsbescheids vom 29. April 2014 Anlass dazu bestand. Insbesondere hat der Kläger im Folgeverfahren, die offen zu Tage tretenden Widersprüche seines Vortrags aus dem Erstverfahren nicht ausgeräumt.

dd) Der Einwand, das Verwaltungsgericht habe den klägerischen Vortrag zur Erschießung des Bruders bei der Rekrutierung zum Kindersoldaten für unglaubhaft gehalten, weil der Kläger die Frage zur Anzahl seiner Geschwister nicht richtig beantwortet habe, was dieser aber richtig gestellt habe, führt nicht zur Zulassung der Berufung.

Das Verwaltungsgericht hat diesen Umstand aus gutem Grund erfragt und in den Entscheidungsgründen aufgeführt. Das erstmals und soweit ersichtlich auch einmalig behauptete traumatisierende Ereignis, wonach der Bruder des Klägers bei der Rekrutierung zum Kindersoldaten erschossen worden sei (vgl. ärztliche Bestätigung des Bezirksklinikums Niederbayern v. 25.2.2014), hatte der Kläger weder bei der Anhörung im Erstverfahren noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg vom 29. November 2012 erwähnt. In der Niederschrift zur Erstanhörung wurden auch nur ein Bruder und eine Schwester vermerkt, die der Kläger zuletzt zu Hause gesehen habe. Die auf entsprechenden Vorhalt des Verwaltungsgerichts in der mündlichen Verhandlung vom 24. August 2016 gegebene Antwort des Klägers, „Ich habe nicht gewusst, dass ich bereits tote Geschwister auch angeben soll“, hat das Verwaltungsgericht in der Gesamtschau und aus nachvollziehbaren Gründen für unglaubhaft gehalten. So hatte der Kläger bei seiner Anhörung im Erstverfahren von der Verhaftung vieler Jungen durch die Rebellen berichtet, aber nichts zu einem Bruder erwähnt, der von diesen erschossen worden sein soll.

Hiervon abgesehen hat das Verwaltungsgericht die behauptete Verschleppung des Klägers durch Rebellen aber auch deshalb für unglaubhaft erachtet, weil der Kläger bereits im Asylerstverfahren widersprüchliche Angaben zur behaupteten Verschleppung durch Rebellen gemacht hatte (bei der Anhörung v. 18.1.2012 auf Frage wie lange der Kläger insgesamt bei den Rebellen gewesen sei: „Zehn Tage lang, dann bin ich entkommen“, in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg v. 29. November 2012: „Ich wurde während des Krieges längere Zeit gefangen gehalten“ und „Sie (Anm.: die Rebellen) haben mich damals mehrmals gefangen genommen und ich bin immer wieder abgehauen und dann auch immer wieder zur Schule gegangen“).

d) Das Vorbringen, grundsätzlich gelte auch für den medizinischen Bereich, dass ein Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nur dann unzulässig sei, wenn ein unsubstantiierter „Ausforschungs-“ Beweisantrag vorliege und für die zugrundeliegende Tatsachenbehauptung nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spreche, führt nicht zur Zulassung der Berufung.

aa) Ob sich ein derartiger allgemeiner Rechtssatz aus der u. a. in Bezug genommenen Zulassungsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. März 2006 (Az. 1 B 91.05 - NVwZ 2007, 346) entnehmen lässt, erscheint fraglich, kann aber dahinstehen. Jedenfalls hat das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsauffassung im Revisionsverfahren präzisiert und klargestellt, dass zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung zum Gegenstand hat, angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests gehört und ausgeführt, welche Anforderungen an die Substantiierung zu stellen sind (BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251; vgl. auch BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 17.00 - juris Rn. 15 f.). Hiervon geht auch das Verwaltungsgericht aus (vgl. UA S. 11). Soweit das Verwaltungsgericht auf die seiner Auffassung nach unzureichenden tatsächlichen Grundlagen zur Frage des Vorliegens eines traumatisierenden Ereignisses abstellt, hat es die Anforderungen an die Darlegungspflicht des Klägers nicht überspannt. Insbesondere erfordert die nachvollziehbare Schilderung von in der Sphäre des Klägers liegenden Ereignissen keine kostenauslösende oder umfängliche gutachtliche Stellungnahme. Vielmehr sind die Beteiligten auch in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess verpflichtet, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.1999 - 9 C 36.98 - BVerwGE 109, 174). Insoweit obliegt es dem Kläger, die behaupteten Geschehnisse, die bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung zum Entstehen gebracht haben sollen, jedenfalls in Grundzügen unter Angabe von Einzelheiten schlüssig und widerspruchsfrei zu schildern (vgl. BayVGH, B. v. 17.10.2012 - 9 ZB 10.30390 - juris Rn. 8). Hiervon ausgehend greift auch der Beweisantrag, ein Sachverständigengutachten darüber einzuholen, dass beim Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt, zu kurz, weil ein solches Gutachten die objektive Seite des Ereignisses nicht klärt.

bb) Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag des Klägers abgelehnt, weil es die Anknüpfungstatsachen für das Krankheitsbild einer posttraumatischen Belastungsstörung nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung für nicht gegeben erachtete. Das Verwaltungsgericht hat den vorgelegten Bescheinigungen auch nicht per se deren hinreichende Qualität abgesprochen; es hat vielmehr die vom Kläger geschilderten und den Befunden zugrunde gelegten traumatisierenden Erlebnisse im Hinblick auf deren objektive Seite mit einer nachvollziehbaren Begründung als unglaubhaft gewertet.

Dass das Vorliegen eines traumatischen Ereignisses zwingende Voraussetzung für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung ist, wurde zutreffend bereits im Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. November 2012 zum Erstverfahren festgestellt (nachfolgend BayVGH, B. v. 6.2.2013 - 9 ZB 13.30032), findet seine Bestätigung aber auch in den Befundberichten von Refugio vom 7. August 2014 und vom 18. Juli 2016, wonach die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht nur eine spezifische Symptomatik, sondern auch ein traumatisches Lebensereignis als Auslöser für die Symptomatik zwingend erfordere und die Symptomatologie des psychopathologischen Befunds generell keine Rekonstruktion der objektiven Seite der traumatisierenden Ereignisse ermögliche (vgl. Befundbericht v. 7.8.2014, S. 5 bzw. Befundbericht v. 18.7.2016, S. 5).

e) Aus der in Bezug genommenen Zulassungsentscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (B. v. 8.1.2016 - 13a ZB 15.30245 - nicht veröffentlicht) folgt nichts anderes. Diese Entscheidung betrifft nicht die an die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gestellten Anforderungen (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 17.07 - juris Rn. 15 f.), sondern die Übertragung dieser Anforderungen an die Diagnose einer Depression.

2. Soweit es die geltend gemachte (leichtgradige) depressive Störung und Angststörung beim Kläger betrifft, hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag abgelehnt, weil es die vorgelegten Diagnosen als wahr unterstellt hat. Auch dies ist nicht zu beanstanden.

Das Absehen von einer Beweiserhebung wegen „Wahrunterstellung“ (im Sinn von Dahinstehenlassen von behaupteten Tatsachen) ist im Verwaltungsprozess dort zulässig, wo der Sache nach ein Verzicht auf die Beweiserhebung wegen Unerheblichkeit der vorgetragenen Tatsachen vorliegt (vgl. BVerwG, U. v. 17.1.1990 - 9 C 39.89 - NVwZ-RR 1990, 510). So liegt es hier. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die nachgewiesenen Erkrankungen einer depressiven Störung (leichtgradig) und einer Angststörung nicht derart schwerwiegende Krankheitsbilder darstellten, dass im Fall der Rückkehr nach Sierra Leone auch ohne deren fortlaufende Behandlung eine erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten sei. Diese Bewertung stützt sich auf die fachärztliche Äußerung des Klinikums der Universität München vom 12. Juli 2016, wonach der Kläger „klar von Suizidalität distanziert“ sei und den Befundbericht von Refugio vom 18. Juli 2016, wonach der Kläger aus medizinischen Gründen derzeit keine Medikation in Bezug auf die Angststörung erhalte. Ohne dass es vorliegend darauf ankommt, findet diese Bewertung ihre rechtliche Grundlage in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Danach liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Nach § 83 b AsylVfG werden Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) nicht erhoben.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Zur Begründung des Zulassungsantrags lassen die Kläger vortragen, die Klägerin zu 2 sei – wovon auch das Verwaltungsgericht ausgegangen sei – psychisch schwer erkrankt, was mit aussagekräftigen Attesten dokumentiert sei. In diesem Zusammenhang stelle sich die Frage der Behandlungsmöglichkeiten in Tschetschenien bzw. in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens. Nach Auskünften der Schweizerischen Flüchtlingshilfe sei die Behandlung für posttraumatische Belastungsstörungen nicht ausreichend gewährleistet. Auch ein Ausweichen auf eine Behandlung außerhalb Tschetscheniens sei praktisch nicht möglich, insbesondere nicht für nicht finanzkräftige Personen.

Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, die ausschließlich im Hinblick auf ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG wegen der Erkrankung der Klägerin zu 2 geltend gemacht wird, ist damit nicht hinreichend dargelegt. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der ab 17. März 2016 geltenden Fassung (BGBl S. 390) nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Aufgrund der häufigen Geltendmachung schwer diagnostizier- und überprüfbarer Erkrankungen psychischer Art (z.B. posttraumatische Belastungsstörungen) als Abschiebungshindernis wollte der Gesetzgeber mit der Präzisierung in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG klarstellen, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben darstellen (BT-Drs. 18/7538, S. 18). Eine solche schwerwiegende Erkrankung kann nach der Gesetzesbegründung bei posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) regelmäßig nicht angenommen werden. In Fällen einer PTBS sei die Abschiebung grundsätzlich möglich, es sei denn, sie würde zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führen (BT-Drs. 18/7538 a.a.O.).

Somit könnte ein Abschiebungshindernis wegen einer PTBS der Klägerin zu 2 allenfalls in einem besonders gelagerten Ausnahmefall angenommen werden. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hätte es daher Ausführungen dazu bedurft, dass ein solcher Ausnahmefall hier vorliegt. Das geht jedoch aus der Antragsbegründung vom 9. Oktober 2017, die sich nicht mit der schon bei Erlass des Ablehnungsbescheids des Bundesamts vom 6. April 2017 geltenden Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und der dabei zu berücksichtigenden Intention des Gesetzgebers auseinandersetzt, nicht hervor. Das wäre jedoch für die Darlegung einer entscheidungserheblichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung erforderlich gewesen.

Im Übrigen hat die bereits im Mai 2013 eingereiste Klägerin zu 2 eine PTBS erstmals im Februar des Jahres 2015 geltend gemacht. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, bedarf es in der Regel auch einer Begründung in dem gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG vorzulegenden qualifizierten Attest, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8.07 – BVerwGE 129, 251 Rn. 15). Ausführungen hierzu enthält jedoch weder das vorgelegte Attest vom 3. Februar 2015 noch die beim Verwaltungsgericht Augsburg eingereichte psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme vom 21. April 2017.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Berufungszulassungsgründe nicht vorliegen oder nicht hinreichend dargelegt sind (vgl. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG).

1. Die Auslegung des Berufungszulassungsantrags vom 21. September 2017 ergibt, dass die Kläger einen Verfahrensmangel in Form einer Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO geltend machen möchten, da das Verwaltungsgericht ihren in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag abgelehnt hat.

Soweit die Kläger rügen, das Verwaltungsgericht habe über ihre Gegenvorstellung gegen die Ablehnung des Beweisantrags nicht durch Beschluss entschieden, stellt dies keinen Verfahrensmangel dar. Beschlüsse über die Ablehnung von Beweisanträgen können nach § 146 Abs. 2 VwGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Eine Gegenvorstellung ist im Prozessrecht nicht vorgesehen, sondern stellt eine Anregung dar, eine nicht mit Rechtsmitteln angreifbare gerichtliche Entscheidung im Rahmen der Selbstkontrolle nochmals zu prüfen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Vorb § 124 Rn. 9). Ein förmlicher Beschluss über eine in der mündlichen Verhandlung erhobene Gegenvorstellung ist deshalb nicht erforderlich (vgl. Kopp/Schenke a.a.O. Rn. 9). Das Verwaltungsgericht hat in den Urteilsgründen auch zum Ausdruck gebracht, aus welchen Gründen es der Gegenvorstellung nicht folgt.

2. Die Ablehnung von Beweisanträgen i.S.v. § 86 Abs. 2 VwGO verstößt gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 10.8.2015 – 5 B 48.15 – juris Rn.10 m.w.N.). Das rechtliche Gehör ist aber nur versagt, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch nur dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Von einer willkürlichen Missdeutung kann insbesondere nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG, B.v. 22.5.2015 – 1 BvR 2291/13 – juris Rn. 5 m.w.N.; vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2016 – 9 ZB 16.30468 – juris Rn. 4).

Das bezeichnete Beweismittel muss dabei geeignet sein, für den entsprechenden Umstand Beweis zu erbringen (Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 86 Rn. 27). Bei einem Beweisantrag zur Vernehmung eines sachverständigen Zeugen muss in nachvollziehbarer Weise dargelegt werden, weshalb die betreffende Person Kenntnis von der in ihr Wissen gestellten Tatsache haben kann und welche rechtlich erheblichen Bekundungen über ihre konkreten Wahrnehmungen zu erwarten sind (vgl. BVerwG, B.v. 27.3.2000 – 9 B 518/99 – InfAuslR 2000, 412 = juris Rn. 11).

Die Ablehnung eines Beweisantrags ist insbesondere auch dann zulässig, wenn das Klagevorbringen keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet (vgl. BVerwG, B.v. 26.10.1989 – 9 B 405.89 – InfAuslR 1990, 38 = juris Rn. 8; Geiger in Eyermann, VwGO, § 86 Rn. 38).

Ist die Begründung der Ablehnung eines unbedingten Beweisantrags prozessordnungswidrig und wird sie erst in den schriftlichen Urteilsgründen durch eine prozessordnungsgemäße Begründung ersetzt, ist eine Gehörsrüge nur dann schlüssig erhoben, wenn dargelegt wird, wie der Betreffende sich auf die erst durch das Urteil bekannt gewordenen prozessordnungsgemäßen Ablehnungsgründe erklärt hätte (vgl. HessVGH, B.v. 14.2.2002 – 9 ZU 1249/98.A - juris; OVG NW, B.v. 25.4.2002 – 8 A 1530/02.A – AuAS 2002, 212; BVerwG, B.v. 13.9.1977 – V CB 68.74 – Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 20).

3. Hiervon ausgehend ist die Gehörsrüge nicht begründet. Zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger zu 2 unter einer schweren Erkrankung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung und einem Verdacht auf atypischen Autismus leide und bei Abbruch des engmaschigen und tragenden Therapiebündnisses eine drastische Gesundheitsverschlechterung zu erwarten sei, beantragten die Kläger in der mündlichen Verhandlung den Leitenden Oberarzt Dr. H... und die Diplom-Pädagogin M. P... als Sachverständige zu hören. Das Verwaltungsgericht legte den Beweisantrag dahingehend aus, dass die Einvernahme der beiden Personen als sachverständige Zeugen beantragt sei und lehnte ihn mit der Begründung ab, es sei nicht hinreichend dargelegt, dass die als sachverständige Zeugen benannten Personen etwas anderes aussagen könnten als sie schon in den schriftlichen Arztbriefen und Bescheinigungen ausgeführt hätten. Darüber hinaus sei nicht dargelegt, dass der Leitende Oberarzt den Kläger zu 2 selbst medizinisch betreut habe und die Sozialpädagogin habe keinen ärztlichen Status.

Soweit die Kläger beantragt haben, Frau Diplom-Pädagogin M. P... als sachverständige Zeugin zu medizinischen Fragen zu hören, hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag ohne Rechtsfehler abgelehnt, da es einer Diplom-Pädagogin an medizinischem Sachverstand fehlt und sie daher kein geeignetes Beweismittel für medizinische Fragestellungen ist.

Auch den Antrag auf Einvernahme des Leitenden Oberarztes Dr. H... hat das Verwaltungsgericht nicht in willkürlicher Weise abgelehnt.

Aufgrund der ärztlichen Bescheinigungen vom „14.0.2016“, 22. Juni 2017 und 19. Juli 2017 steht fest, dass Dr. H... von der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung und dem Verdacht auf einen atypischen Autismus bei dem Kläger zu 2 ausgegangen ist. Auch das Bundesamt hat seinem Bescheid vom 24. Mai 2017 zugrunde gelegt, dass eine solche Gesundheitsstörung vorliegt, die durch die Bombeneinschläge in der Schule des Klägers zu 2 und im Wohnhaus der Kläger hervorgerufen worden sei. Die Einvernahme des Dr. H... zu der Frage, ob beim Kläger zu 2 eine solche Gesundheitsstörung vorliegt, ist daher nicht erforderlich.

Hinsichtlich der Frage, ob es sich bei der diagnostizierten Gesundheitsstörung des Klägers zu 2 um eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung handelt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Präzisierung in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der ab 17. März 2016 geltenden Fassung (BGBl I S. 390) klarstellen wollte, dass aufgrund der häufigen Geltendmachung schwer diagnostizier- und überprüfbarer Erkrankungen psychischer Art (z.B. posttraumatische Belastungsstörungen) als Abschiebungshindernis nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben darstellen (BT-Drs. 18/7538, S. 18). Eine solche schwerwiegende Erkrankung kann nach der Gesetzesbegründung bei posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) regelmäßig nicht angenommen werden. In Fällen einer PTBS sei die Abschiebung grundsätzlich möglich, es sei denn, sie würde zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führen (BT-Drs. 18/7538 a.a.O.). Somit könnte ein Abschiebungshindernis wegen der diagnostizierten PTBS des Klägers zu 2 allenfalls in einem besonders gelagerten Ausnahmefall angenommen werden (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2017 – 11 ZB 17.31463).

Mit den aktuellen ärztlichen Bescheinigungen des Dr. H... vom 22. Juni 2017 und 19. Juli 2017 wird ausgeführt, dass nicht absehbar sei, ob und in welchem Umfang es durch die Rückkehr ins Heimatland zu einer erneuten Verunsicherung und psychischen Erschütterung des Klägers zu 2 kommen werde, eine Retraumatisierung sei aber nicht auszuschließen. Es würde sehr wahrscheinlich negative Auswirkungen haben, wenn die Rückkehr unvermittelt und unvorbereitet geschehen würde.

Die Kläger haben demgegenüber nicht hinreichend dargelegt und es musste sich dem Verwaltungsgericht auch nicht aufdrängen, dass es sich beim Kläger zu 2 um einen besonders gelagerten Ausnahmefall handeln könnte, bei dem durch den Abbruch der Behandlung der PTBS in Deutschland und Rückkehr in die Ukraine eine wesentliche Gesundheitsgefährdung i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG eintreten werde. Den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen lässt sich die Gefahr einer so massiven Gesundheitsverschlechterung nicht entnehmen. Dass Dr. H... entsprechende Wahrnehmungen gemacht hat, die in den von ihm unterzeichneten ärztlichen Bescheinigungen, die ausdrücklich zur Vorlage beim Amt bestimmt waren, keinen Niederschlag gefunden haben, ist nicht ersichtlich.

Rechtlich vertretbar ist das Verwaltungsgericht daher zu dem Ergebnis gekommen, dass die Einvernahme des Dr. H ... nicht geboten war.

4. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass die Ablehnung des Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung nicht prozessordnungsgemäß begründet worden ist, könnte die Gehörsrüge keinen Erfolg haben. In den Urteilsgründen hat das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Beweiserhebung ausgeführt, dass die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 VwGO schon nicht hinreichend substantiiert dargelegt und die Beweismittel verspätet angegeben worden seien. Damit setzt sich die Antragsbegründung auch nicht ansatzweise auseinander und legt nicht dar, wie die Kläger auf diese erst durch das Urteil bekannt gewordenen Ablehnungsgründe in der mündlichen Verhandlung reagiert hätten.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass psychische Erkrankungen auch im Heimatland der Kläger grundsätzlich behandelbar sind und die den Kläger zu 2 derzeit behandelnden Ärzte davon ausgehen, dass mit einer Vorbereitung auf die Rückkehr, die Folgen gemildert werden können. Es ist daher Sache der Klägerin zu 1 als Erziehungsberechtigter, dafür Sorge zu tragen, dass der Kläger zu 2 auf die Rückkehr angemessen vorbereitet wird.

5. Eine Divergenz im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Vorschrift (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2004 – 6 PB 15/03 – NVwZ 2004, 889/890) mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz oder einem verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz von einem in der Rechtsprechung der genannten übergeordneten Gerichte aufgestellten Rechts- oder Tatsachensatz oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abweicht und die Entscheidung darauf beruht (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 32. Erg.lfg. Oktober 2016, § 124 Rn. 42; Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 73 m.w.N.). Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 – 2 B 52/14 – juris Rn. 5). Es genügt nicht, wenn in der angegriffenen Entscheidung ein in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellter Grundsatz lediglich übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewandt worden ist (BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 6 B 35/16 – juris Rn. 12 m.w.N.; Happ, a.a.O.; Rudisile, a.a.O.). Der Antragsbegründung kann schon kein Rechtssatz entnommen werden, den das Verwaltungsgericht aufgestellt haben soll und der von einem Rechtssatz der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte abweicht, sondern es wird nur die inhaltliche Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils kritisiert. Dies kann aber nicht zur Zulassung der Berufung führen.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

7. Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 21. März 2012 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Die Approbation ist zurückzunehmen, wenn bei ihrer Erteilung die Voraussetzung des § 2 Absatz 1 Nummer 1 nicht vorgelegen hat. Die Approbation kann zurückgenommen werden, wenn bei ihrer Erteilung die Voraussetzung des § 2 Absatz 1 Nummer 2 oder Nummer 3 nicht vorgelegen hat. Im Übrigen bleiben die dem § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften unberührt.

(2) Die Approbation ist zu widerrufen, wenn nachträglich

1.
die Voraussetzung nach § 2 Absatz 1 Nummer 2 wegfällt oder
2.
dauerhaft die Voraussetzung nach § 2 Absatz 1 Nummer 3 wegfällt.
Im Übrigen bleiben die dem § 49 des Verwaltungsverfahrensgesetzes entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften unberührt.

(3) Das Ruhen der Approbation kann angeordnet werden, wenn

1.
gegen die betreffende Person wegen des Verdachts einer Straftat, aus der sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergeben würde, ein Strafverfahren eingeleitet worden ist,
2.
die gesundheitliche Eignung zur Ausübung des Berufs voraussichtlich nur vorübergehend wegfällt,
3.
Zweifel an der gesundheitlichen Eignung der betreffenden Person bestehen, die Person sich aber weigert, sich einer von der zuständigen Behörde angeordneten amts- oder fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen,
4.
sich erweist, dass die betreffende Person nicht über die für die Ausübung des Berufs erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt oder
5.
sich ergibt, dass die betreffende Person nicht ausreichend gegen die sich aus ihrer Berufsausübung ergebenden Haftpflichtgefahren versichert ist, sofern kraft Landesrechts oder kraft Standesrechts eine Pflicht zur Versicherung besteht.
Die Anordnung des Ruhens der Erlaubnis ist aufzuheben, sobald die Voraussetzung für die Anordnung nicht mehr vorliegt.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend für Personen mit einer Erlaubnis zur vorübergehenden Berufsausübung oder einer Erlaubnis zur partiellen Berufsausübung.

(1) Die Approbation als Psychotherapeutin oder Psychotherapeut ist auf Antrag zu erteilen, wenn die antragstellende Person

1.
das Studium, das Voraussetzung für die Erteilung einer Approbation als Psychotherapeutin oder Psychotherapeut ist, erfolgreich absolviert hat und die psychotherapeutische Prüfung nach § 10 bestanden hat,
2.
sich nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergibt,
3.
nicht in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung des Berufs ungeeignet ist und
4.
über die für die Ausübung des Berufs erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt.

(2) Soll die Erteilung der Approbation abgelehnt werden, weil mindestens eine der in Absatz 1 Nummer 2 oder Nummer 3 genannten Voraussetzungen nicht vorliegt, so ist die antragstellende Person oder ihre gesetzliche Vertreterin oder ihr gesetzlicher Vertreter vor der Entscheidung zu hören.

(3) Ist gegen die antragstellende Person wegen des Verdachts einer Straftat, aus der sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergeben kann, ein Strafverfahren eingeleitet, so kann die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung der Approbation ausgesetzt werden, bis das Strafverfahren beendet ist.

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 10. Dezember 2014 ist unbegründet.

Das Urteil weicht nicht von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ab. Eine Divergenz im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem sein Urteil tragenden Obersatz von einem Obersatz des höheren Gerichts abgewichen ist (BVerwG, B.v. 19.8.1997 - 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328).

Der Kläger rügt, die Ansicht des Verwaltungsgerichts, die Anforderungen an das substantiierte Vorbringen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) seien auch auf die Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode zu übertragen, stehe im Widerspruch zum Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 21. März 2014 (13a ZB 13.30292). Dort sei ausgeführt, dass das Substantiierungserfordernis überspannt sei, wenn die hohen Anforderungen an die Diagnose bei PTBS auf diejenigen der Depression übertragen würden.

Vorliegend ist das Verwaltungsgericht zum Ergebnis gelangt, dass die vom Kläger vorgelegte psychologische Stellungnahme eines Diplom-Psychologen den im Einzelnen genannten Anforderungen an die Substantiierung seines Vorbringens nicht genüge. In erster Linie stützt sich das Verwaltungsgericht dabei darauf, dass die Stellungnahme von einem Diplom-Psychologen ausgestellt sei und nicht von einem Facharzt für psychische Erkrankungen (UA S. 9 f.). Aufgrund der Eigenart des geltend gemachten Krankheitsbildes bestünden entsprechende Anforderungen an ärztliches Vorgehen und Diagnostik, die nur von Fachärzten für Psychiatrie oder für Psychotherapeutische Medizin erfüllt werden könnten. „Diplom-Psychologe“ dürfe sich nennen, wer ein Psychologiestudium an einer Universität absolviert habe. Der Beruf des Psychologen sei kein Heilberuf; mangels Approbation dürfe der Psychologe nicht eigenverantwortlich heilberuflich am Menschen tätig werden. Der Diplom-Psychologe sei nicht als Facharzt approbiert, daher fehle ihm die fachliche ärztliche Kompetenz, so komplizierte Diagnosen psychischer Erkrankungen zu stellen.

Mit diesen Ausführungen wird kein Obersatz aufgestellt, welcher der vom Kläger zitierten Rechtsprechung des Senats widersprechen würde. Dort war die Erkrankung von einer Fachärztin für Neurologie und Nervenheilkunde diagnostiziert worden, die eine PTBS und eine „depressive Störung mittelgradiger Ausprägung“ bescheinigt hatte. Dementsprechend war auch der Beweisantrag auf das Vorliegen einer Depression und einer PTBS gerichtet. Bei der Ablehnung des Beweisantrags hat sich das Verwaltungsgericht im dortigen Fall allein auf die PTBS gestützt und ihn nach den Anforderungen an einen substantiierten Vortrag für dieses Krankheitsbild gewürdigt. Mit der Depression hat es sich überhaupt nicht befasst. Vorliegend hingegen hat das Verwaltungsgericht im Einklang mit dem Beweisantrag die attestierte depressive Episode zugrunde gelegt und insbesondere darauf hingewiesen, dass die Stellungnahme im Gegensatz zur vorgelegten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs nicht von einem diagnoseberechtigten (Fach-)Arzt, sondern von einem Diplom-Psychologen ausgestellt sei. Damit weicht das Verwaltungsgericht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, weil die Ausgangslage eine andere ist.

Aus den gleichen Gründen scheidet auch der vom Kläger weiter geltend gemachte Verfahrensmangel der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO).

Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Der Kläger muss die Möglichkeit haben, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (BVerfG, B.v. 21.4.1982 - 2 BvR 810/81 - BVerfGE 60, 305/310). Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch in Erwägung zu ziehen (BVerfG, B.v. 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133/146 = DVBl 1992, 1215; BayVerfGH, E.v. 13.3.1981 - Vf. 93-VI-78 - BayVBl 1981, 529). Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, B.v. 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133/146; B.v. 23.7.2003 - 2 BvR 624/01 - NVwZ-RR 2004, 3). Für den substantiierten Tatsachenvortrag und die schlüssige Darlegung seines Schicksals ist der Kläger selbst verantwortlich (BVerwG, B.v. 28.12.1999 - 9 B 467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51).

Der Kläger rügt, die Ablehnung des Beweisantrags sei rechtswidrig, weil die Gleichsetzung des Krankheitsbilds einer posttraumatischen Belastungsstörung mit dem einer mittelgradigen depressiven Episode hinsichtlich der an die Diagnose zu stellenden Anforderungen nicht haltbar sei. Wie bereits erläutert, hat sich das Verwaltungsgericht explizit mit dem Substantiierungserfordernis einer psychischen Krankheit befasst. Die Auffassung, dass die vorgelegte Stellungnahme eines Diplom-Psychologen nicht dem Substantiierungserfordernis eines Beweisantrags entspricht, ist nicht zu beanstanden. Insbesondere verweist das Verwaltungsgericht zu Recht darauf, dass sie nicht von einem Arzt, sondern von einem Diplom-Psychologen erstellt ist. Dieser ist nicht zur Diagnostik befugt, wie sich aus dem Gesetz über die Berufsausübung, die Berufsvertretungen und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker sowie der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Heilberufe-Kammergesetz - HKaG) ergibt. Danach gehört die Tätigkeit eines Psychologen nicht zu den Heilberufen. Das ist erst der Fall, wenn ein Psychologe zusätzlich die mindestens dreijährige Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten gem. § 5 Psychotherapeutengesetz (PsychThG) abgeleistet und die entsprechende Approbation (§ 2 PsychThG) erhalten hat (siehe hierzu auch OVG NRW, B.v. 19.12.2008 - 8 A 3053/08.A - AuAS 2009, 82). Erst der approbierte Psychologe hat das Recht und trägt die Verantwortung sowohl für die Erstellung von Diagnosen als auch für seine Entscheidung über eine Psychotherapie und ihre Durchführung (Stellungnahme des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen - bpd - zur Tätigkeit des Diplom-Psychologen als Sachverständiger im Sozialgerichtsverfahren, abrufbar unter www.b...-v....org/b...html).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

Tenor

I.

Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 8. April 2016 wird zugelassen, soweit damit die Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG abgewiesen wurde.

II.

Im Übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung verworfen.

III.

Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S., M., für das Zulassungsverfahren und das anschließende Berufungsverfahren bewilligt, soweit die Berufung zugelassen wurde. Im Übrigen wird der Prozesskostenhilfeantrag abgelehnt.

IV.

Die Kostenentscheidung bleibt der Berufungsentscheidung vorbehalten.

Gründe

1. Soweit der Zulassungsantrag sich auf die Klageabweisung hinsichtlich der im Hauptantrag begehrten Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG bezieht, war er zu verwerfen, da insoweit eine § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügende Darlegung der Zulassungsgründe nicht erfolgt ist. Denn der geltend gemachte Zulassungsgrund einer dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht gerecht werdenden Ablehnung der gestellten Beweisanträge betrifft allein die mit dem Hilfsantrag begehrte Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes.

2. Im Übrigen ist der Zulassungsantrag jedoch zulässig und begründet.

Die rechtlich fehlerhafte Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags stellt nicht immer einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs dar, sondern erst dann, wenn die Nichtberücksichtigung im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (Berlit in GK-AsylVfG, 52. Ergänzungslieferung April 1998, § 78 Rn. 665 m. w. N.). Ein solcher qualifizierter Rechtsverstoß liegt hier vor, da das Attest bzw. der psychologische Bericht des Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten H. S. vom 18. Januar 2016 die vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 11. September 2007 (Az. 10 C 8/07, BVerwGE 129, 251, Rn. 15 und Leitsatz 1) aufgestellten Anforderungen an ein fachärztliches Attest inhaltlich erfüllt.

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der psychologische Bericht des Dipl.-Psych. S. nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden konnte, dass es sich bei ihm nicht um einen Arzt, sondern um einen Psychologischen Psychotherapeuten handelt. Denn aus der ausschließlichen Erwähnung eines „fachärztlichen“ Attestes in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts folgt nicht, dass damit die gutachterliche Stellungnahme eines Psychologischen Psychotherapeuten zur Substantiierung eines Sachverständigen-Beweisantrags schlechthin ungeeignet wäre. Dies ergibt sich einerseits aus der vom Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung vorgenommenen Einschränkung, dass „regelmäßig“ die Vorlage eines fachärztlichen Attestes erforderlich sei. Der Senat geht ebenso wie das OVG NRW (vgl. u. a. B.v. 19.12.2008, Az. 8 A 3053/08.A, InfAuslR 2009, 173 - 174) davon aus, dass auch Psychologische Psychotherapeuten aufgrund ihrer Ausbildung (vgl. § 5 Psychotherapeutengesetz - PsychThG) und ihrer fachlichen Qualifikation befähigt sind, psychische Erkrankungen wie auch posttraumatische Belastungsstörungen zu diagnostizieren (ebenso VG München, U.v. 28.7.2015 - M 2 K 14.31070 - juris, U.v. 14.2.2014 - M 21 K 11.30993 - juris; VG Augsburg, U.v. 21.6.2013 - Au 7 K 13.30077 - juris). Der psychologische Bericht vom 18. Januar 2016 enthält sowohl die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderlichen Pflichtangaben zur Beschreibung des Krankheitsbildes, zur Dauer und Häufigkeit der Behandlung und (obwohl unter der alleinigen Zwischenüberschrift des gesamten zweiseitigen Berichts „Anamnese“ aufgeführt) Aussagen über die Bestätigung der durch Anamnese des Betroffenen geschilderten Beschwerden durch die Diagnose des Behandelnden. Auch die als „Soll-Anforderungen“ vom Bundesverwaltungsgericht formulierten Angaben über Schwere der Krankheit und Behandlungsbedürftigkeit liegen vor. Allenfalls die Angaben über den Behandlungsverlauf sind etwas knapp geraten, als insoweit nur ausgeführt wird, dass das Verhältnis zur Belastung krankheitsbedingt massiv gestört sei. Da die sonstigen Angaben aber komplett vorhanden sind und der psychologische Bericht insgesamt ein anschauliches Bild über das Krankheitsbild wiedergibt, sind die Mindestanforderungen gewahrt.

Die Beweisanträge auf Einvernahme des Dipl.-Psych. S. (wofür nach der zutreffenden Rechtsprechung des VGH BW, B.v. 9.7.2012, Az. A 9 S 1359/12, AuAS 2012, 211, Leitsatz 1 und Rn. 14, die gleichen Grundsätze wie nach dem Urteil des BVerwG vom 11.9.2007 gelten) sowie auf Einholung eines Sachverständigengutachtens konnten auch nicht wegen eines unauflöslich widersprüchlichen Verfolgungsvortrags abgelehnt werden. Nach dieser Rechtsprechung greift das Gebot, ordnungsgemäß gestellten Beweisanträgen nachzugehen dann ausnahmsweise nicht, wenn das das Asylbegehren stützende Vorbringen in sich so unschlüssig und widersprüchlich ist, dass ein sachliches Substrat für eine Beweiserhebung zu einzelnen Elementen des Vorbringens fehlt (vgl. zum Ganzen Berlit in GK-AsylVfG, 52. Ergänzungslieferung, April 1998, § 78 Rn. 364 m. w. N.). Denn im vorliegenden Fall deckt sich der Kernbereich des Vorbringens des Klägers beim Bundesamt wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht mit seinen Angaben bei diversen Ärzten und Psychologen, die er wegen seiner psychischen Beschwerden aufgesucht hat. Nur in Randbereichen finden sich hier Widersprüche, deren Ursache in der jeweiligen Situation durchaus auch durch unzureichende Übersetzung gesetzt worden sein kann. Unauflösliche Widersprüche liegen aber nicht vor.

Dementsprechend liegen, soweit dem Antrag auf Zulassung der Berufung stattzugeben war, auch die Voraussetzungen für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung nach § 166 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO vor.

Wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung bleibt diese der Entscheidung über die Berufung vorbehalten (vgl. zum Ganzen Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 30. Ergänzungslieferung Februar 2016, § 124a, Rn. 136 m. w. N.).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG, § 152 VwGO.

Gründe

1

I. Die gemäß § 146 Abs. 4 VwGO zulässige Beschwerde der Antragsteller hat Erfolg.

2

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, dass ihre Ausreise aufgrund inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse infolge einer Erkrankung des Antragstellers zu 1 unmöglich sei. Es sei nicht davon auszugehen, dass bei diesem eine Reiseunfähigkeit vorliege. Die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen seien unzureichend. Die Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie D. enthalte weder eine Anamnese noch eine nachvollziehbare Diagnose. Die Bescheinigungen der Psychologinnen S. und K. seien zwar ausführlicher, beruhten aber nur auf den Angaben des Antragstellers zu 1, so dass die Schlussfolgerung, eine vorgetäuschte Diagnose könne ausgeschlossen werden, nicht überzeuge. Auch werde nicht darauf eingegangen, ob die vom Antragsteller zu 1 geschilderten Symptome in Zusammenhang mit der Einnahme von Medikamenten oder Halluzinogenen stünden. Auffällig sei, dass die vom Antragsteller zu 1 geäußerten Kriegserlebnisse im Rahmen der Anhörungen vor dem Bundesamt nicht geschildert worden seien. Zudem falle auf, dass sich der Antragsteller zu 1 erst nach Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen in psychiatrische Behandlung begeben habe, obwohl er sich bereits seit 2010 in Deutschland aufhalte. Die Bescheinigungen zögen auch keinerlei Alternativursachen in Betracht, obwohl dies angesichts der geschilderten Ängste des Antragstellers zu 1 naheliegend sei. Als Alternativursache komme ein schweres Entwurzelungssyndrom in Betracht. Dies werde weder erwähnt noch im Rahmen einer Differentialdiagnose diskutiert. Die psychologischen Stellungnahmen seien ersichtlich darauf angelegt, dem Antragsteller zu 1 zum beantragten Abschiebungsschutz zu verhelfen. Die äußerst kurzen Stellungnahmen der Amtsärztinnen S. und M. enthielten keinerlei medizinische Substanz. Es werde nicht einmal erläutert, um was für eine psychische Erkrankung es sich handeln soll, die beim Antragsteller zu 1 bestehe. Es sei auch nicht ersichtlich, dass dieser aufgrund einer akuten und schwerwiegenden Erkrankung an posttraumatischer Belastungsstörung dringend auf ärztliche Behandlung gerade in Deutschland angewiesen sei. Ziehe man in Betracht, dass bei einer Rückkehr des Antragstellers zu 1 in seine Heimat sowohl die Sprachbarriere, die einer aussichtsreichen Heilung psychischer Probleme in Deutschland entgegenstehe, als auch die soziale Isolation entfielen, sei von zusätzlichen Erschwernissen durch die Verneinung von Abschiebungshindernissen nicht auszugehen. Aufgrund der aufgezeigten Mängel sei auch nicht davon auszugehen, dass eine akute Suizidalität mit Eigen- und Fremdgefährdung bei einer Abschiebung des Antragstellers zu 1 bestehe. Möglichen Gefährdungen sei durch geeignete Vorkehrungen und Modalitäten bei der Abschiebung zu begegnen. Der Antragsgegner habe für sichere Abschiebemodalitäten und eine Begleitung durch Fachpersonal (Arzt/Sanitäter) Sorge zu tragen. Ebenso sei nach Eintreffen des Rücktransports in der Heimat des Antragstellers zu 1 durch vorherige Kontaktaufnahme mit den Heimatbehörden dessen nahtlose ärztliche und psychologische Begleitung und Versorgung sicherzustellen und eine Zurverfügungstellung von Medikamenten zu veranlassen. Dadurch werde der dem Antragsteller zu 1 bescheinigten Suizidgefahr im Rahmen der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen mit angemessenen Mitteln begegnet. Hinzu komme, dass eine Rückführung in die Heimat gerade zu einer Besserung der Gesamtsymptomatik führen könne: Die auch für seelisch Gesunde – zumal nach langjährigen Auslandsaufenthalt – bestehende starke Belastung einer drohenden Abschiebung entfalle nach dem Vollzug, was dafür spreche, dieses schwierige Phase nicht hinauszuzögern, sondern abzukürzen.

3

Dieser Würdigung durch das Verwaltungsgericht tritt die Beschwerde mit Erfolg entgegen.

4

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sogenannte Sicherungsanordnung). Anordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Für den Anordnungsanspruch einer Sicherungsanordnung genügt dabei die Glaubhaftmachung von Tatsachen, aus denen sich zumindest ergibt, dass der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen ist; ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht, wenn eine vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten materiellen Anspruchs zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dringlich ist (Beschl. d. Senats v. 20.06.2011 – 2 M 38/11 –, Juris RdNr. 8 m.w.N.).

5

Diese Voraussetzungen für den Erlass der von den Antragstellern begehrten einstweiligen Anordnung sind erfüllt. Es besteht die Gefahr, dass die vom Antragsgegner in Aussicht genommene Abschiebung der Antragsteller ohne eine vorherige gutachtliche Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen die Verwirklichung eines ihnen in der Hauptsache möglicherweise zustehenden Anspruchs auf weitere Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vereitelt.

6

1. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist offen, ob durch die Abschiebung eine wesentliche Verschlechterung der beim Antragsteller zu 1 nach den vorliegenden ärztlichen bzw. psychologischen Stellungnahmen vorhandenen psychischen Erkrankung eintreten und sich dadurch die auf dieser Krankheit beruhende (latente) Selbstmordgefahr in einer Weise erhöhen wird, dass eine Abschiebung nicht verantwortet werden kann.

7

Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 20.06.2011 – 2 M 38/11 – a.a.O. RdNr. 5) kann auch eine bestehende psychische Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG in zwei Fallgruppen begründen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange der Ausländer wegen Erkrankung transportunfähig ist, d. h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens" wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet; dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Es geht also nicht nur darum, während des eigentlichen Abschiebevorgangs selbstschädigende Handlungen eines aufgrund einer psychischen Erkrankung suizidgefährdeten Ausländers zu verhindern; eine Abschiebung hat vielmehr auch dann zu unterbleiben, wenn sich durch den Abschiebevorgang die psychische Erkrankung (wieder) verschlimmert, eine latent bestehende Suizidalität akut wird und deshalb die Gefahr besteht, dass der Ausländer unmittelbar vor oder nach der Abschiebung sich selbst tötet. Von einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis ist auch dann auszugehen, wenn sich die Erkrankung des Ausländers gerade aufgrund der zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland wesentlich verschlechtert, und nicht nur, wenn ein Suizid während der Abschiebung droht (BayVGH, Beschl. v. 23.10.2007 – 24 CE 07.484 –, Juris RdNr. 21). Die Frage, ob Maßnahmen bei der Gestaltung der Abschiebung – wie ärztliche Hilfe und Flugbegleitung – ausreichen, um der auf einer psychischen Erkrankung beruhenden ernsthaften Suizidgefahr wirksam zu begegnen, lässt sich erst aufgrund einer möglichst fundierten und genauen Erfassung des Krankheitsbildes und der sich daraus ergebenden Gefahren beantworten; eine abstrakte oder pauschale Zusicherung von Vorkehrungen wird dem gebotenen Schutz aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht gerecht (OVG NW, Beschl. v. 09.05.2007 – 19 B 352/07 –, Juris RdNr. 7).

8

Macht ein Ausländer eine solche Reiseunfähigkeit geltend oder ergeben sich sonst konkrete Hinweise darauf, ist die für die Aussetzung der Abschiebung zuständige Ausländerbehörde verpflichtet, den aufgeworfenen Tatsachenfragen, zu deren Beantwortung im Regelfall medizinische Sachkunde erforderlich ist, im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA nachzugehen, wobei der Ausländer zur Mitwirkung verpflichtet ist (§ 82 AufenthG). Kann die Reiseunfähigkeit trotz Vorliegens ärztlicher oder psychologischer Fachberichte nicht als erwiesen angesehen werden, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass für die Ausländerbehörde kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht. Sie bleibt nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA verpflichtet, den Sachverhalt selbst weiter aufzuklären, wenn und soweit sich aus den ärztlichen oder psychologischen Äußerungen, dem Vortrag des Ausländers oder aus sonstigen Erkenntnisquellen ausreichende Indizien für eine Reiseunfähigkeit ergeben. Ist das der Fall, wird regelmäßig eine amtsärztliche Untersuchung oder die Einholung einer ergänzenden (fach-)ärztlichen Stellungnahme oder eines (fach-)ärztlichen Gutachtens angezeigt sein, da der Ausländerbehörde und auch den Verwaltungsgerichten die erforderliche medizinische Sachkunde zur Beurteilung einer mit der Abschiebung einhergehenden Gesundheitsgefahr und auch der Frage fehlen dürfte, mit welchen Vorkehrungen diese Gefahr ausgeschlossen oder gemindert werden könnte (vgl. VGH BW, Beschl. v. 06.02.2008 – 11 S 2439/07 –, Juris RdNr. 9).

9

Im Fall des Antragstellers zu 1 ist ein solcher weiterer Aufklärungsbedarf gegeben. Die vorliegenden ärztlichen und psychologischen Stellungnahmen gehen zwar davon aus, dass der Antragsteller zu 1 an einer psychischen Erkrankung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSB) leidet und im Falle einer Abschiebung eine erhöhte Suizidgefahr besteht. Ob dies zutrifft, ist jedoch auch im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht erhobenen Einwände zweifelhaft. Die Problematik muss daher erst in einem ergänzenden fachärztlichen Gutachten abschließend geklärt werden.

10

Die Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie D. von der (…)-Praxis GmbH vom 12.03.2014 (GA Bl. 30) diagnostiziert bei dem Antragsteller zu 1 zwar eine posttraumatische Belastungsstörung, lässt aber nicht erkennen, auf Grund welcher Befundtatsachen die angesprochene Diagnose gestellt wurde, und legt auch nicht dar, welche Folgen sich aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Damit erfüllt sie die Anforderungen nicht, die nach der Rechtsprechung des Senats an die Glaubhaftmachung einer Krankheit als rechtliches Abschiebungshindernis zu stellen sind (vgl. Beschl. v. 08.02.2012 – 2 M 29/12 –, Juris RdNr. 11).

11

Die psychologischen Stellungnahmen der Psychologin S. vom 20.03.2013 (GA Bl. 35 – 36) sowie der Psychologin K. und des Systemischen Therapeuten D. vom Psychosozialen Zentrum für Migrantinnen und Migranten in Sachsen-Anhalt vom 21.05.2014 (GA Bl. 89 – 93) diagnostizieren bei dem Antragsteller zu 1 eine posttraumatische Belastungsstörung in Komorbidität mit einer mittelschweren Depression. Eine vorgetäuschte Diagnose schließen sie aus. Eine Abschiebungsankündigung bzw. eine Rückkehr in den Kosovo werde mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar psychische Dekompensation(en) und suizidale Verhaltensweisen zur Folge haben. Auch ein erweiterter Suizid erscheine möglich. Aus psychologisch-therapeutischer Sicht wäre eine Abschiebungsandrohung bzw. eine Rückkehr mit einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zur Stimulation einer Selbstgefährdung des Antragstellers zu 1 verbunden. In der Stellungnahme vom 21.05.2014 wird darüber hinaus ausführlich dargestellt, auf welcher Grundlage die Diagnose gestellt wurde. Mit dem Antragsteller zu 1 seien seit dem 01.02.2013 insgesamt zehn Gespräche zur Diagnostik, Stabilisierung und unmittelbaren Krisenintervention geführt worden. Befund und Spontanangaben werden ausführlich wiedergegeben. Auf dieser Grundlage wird sowohl die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung in Komorbidität mit einer mittelschweren Depression gestellt als auch die Behandlungsbedürftigkeit beurteilt. Diese Stellungnahmen enthalten zwar ernst zu nehmende Hinweise auf eine mögliche Suizidgefahr bei einer Abschiebung des Antragstellers zu 1 in den Kosovo. Sie sind jedoch auch gewichtigen Einwänden ausgesetzt. Zunächst enthält insbesondere die zuletzt vorgelegte psychologische Stellungnahme vom 21.05.2014 keinen überzeugenden Nachweis eines Traumas. Voraussetzung für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung ist jedoch der Nachweis eines traumatischen Ereignisses (vgl. Ebert/Kindt, Die posttraumatische Belastungsstörung im Rahmen von Asylverfahren, VBlBW 2004, 41 <42>; Gierlichs u.a., Grenzen und Möglichkeiten klinischer Gutachten im Ausländerrecht, ZAR 2005, 158 <161>). Da die einschlägigen fachärztlichen bzw. psychologischen Gutachten wesentlich auf den Angaben des Betroffenen beruhen, bedarf es insoweit der Prüfung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Betroffenen (VGH BW, Beschl. v. 02.05.2000 – 11 S 1963/99 –, Juris RdNr. 7; SächsOVG, Beschl. v. 21.01.2014 – 3 B 476/13 –, Juris RdNr. 5; Middeke, Posttraumatisierte Flüchtlinge im Asyl- und Abschiebungsprozess, DVBl. 2005, 150 <151>). Von Bedeutung für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit ist dabei der Umstand, dass bestimmte Ereignisse, die im Rahmen der klinischen Begutachtung als traumatisierend dargestellt werden, bei der vorherigen Anhörung vor dem Bundesamt nicht angegeben wurden. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt, die schon längere Zeit zurückliegen, ist eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (SächsOVG, Beschl. v. 21.01.2014 – 3 B 476/13 – a.a.O. RdNr. 5 unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 11.09.2007 – BVerwG 10 C 8.07 –, Juris RdNr. 15). Nach diesen Grundsätzen ist die Stellungnahme vom 21.05.2014 dem fachlichen Einwand ausgesetzt, dass nicht klar wird, worin das die posttraumatische Belastungsstörung auslösende Trauma liegen soll. Im Rahmen der Biographischen Anamnese werden Ereignisse aus dem Jahr 1999 nach Ausbruch des Kosovokrieges geschildert, aber auch zeitlich nachfolgende Bedrohungen und Misshandlungen in Serbien, Übergriffe von albanisch sprechenden Männern nach der Rückkehr der Antragsteller in das Kosovo sowie eine Bedrohung des Sohnes des Antragstellers zu 1 mit einer Pistole durch Nachbarn. Soweit die Ereignisse während des Kosovokrieges im Jahr 1999 als maßgeblich für das Trauma anzusehen sein sollten, wäre zu begründen, warum diese Umstände nicht schon während der Anhörung des Antragstellers zu 1 am 29.03.2010 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgetragen wurden. Begründungsbedürftig ist ferner der Umstand, dass der Antragsteller zu 1 das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung erst im Jahr 2013 geltend gemacht hat, obwohl er bereits seit dem Jahr 2010 aus seiner Heimat ausgereist ist. Ein weiterer Mangel der Stellungnahme vom 21.05.2014 liegt darin, dass nicht explizit angegeben wird, nach welchen Kriterien eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde (vgl. dazu Ebert/Kindt, a.a.O. S. 42). Schließlich stellt sich noch die Frage, ob die beim Antragsteller zu 1 festgestellten Symptome nicht auch andere Ursachen als eine posttraumatische Belastungsstörung haben können, etwa die unkontrollierte Einnahme von Medikamenten und Halluzinogenen oder ein schweres Entwurzelungssyndrom.

12

Die Stellungnahmen der Amtsärztin S. vom 08.07.2013 und 10.03.2014 sowie der Amtsärztin M. vom 29.04.2014 und 20.05.2014 lassen ebenfalls keine abschließende Beurteilung der hier relevanten Fragestellung zu. In dem amtsärztlichen Gutachten zur Beurteilung der Flug- und Reisefähigkeit des Antragstellers zu 1 vom 08.07.2013 (GA Bl. 50) heißt es, dieser leide an einer psychischen Erkrankung, die akut exazerbiert sei. Zum jetzigen Zeitpunkt bestehe die akute Gefahr eines Suizids bzw. erweiterten Suizids. In der Stellungnahme vom 10.03.2014 (GA Bl. 49) heißt es, die Reisefähigkeit im weiteren Sinne sei aufgrund der psychischen Erkrankung des Antragstellers zu 1 nicht gegeben. In der Stellungnahme vom 29.04.2014 (GA Bl. 62) wird ausgeführt, es könnten keine wesentlichen Veränderungen der gesundheitlichen Situation des Antragstellers zu 1 festgestellt werden. Er habe weiterhin eine unbändige Angst vor der Abschiebung in sein Heimatland. Er reagiere damit, im Abschiebungsfall sich und seine Familie umzubringen. Die Flug- und Reisetauglichkeit sei nach wie vor unsicher, da in keiner Weise abzuschätzen sei, ob der Antragsteller zu 1 seine Drohungen wahr mache. In der Stellungnahme vom 20.05.2014 (GA Bl. 61) wird ergänzend ausgeführt, bei der Vorstellung im Gesundheitsamt habe der Antragsteller zu 1 überzeugend den Eindruck gemacht, dass er im Falle einer Abschiebung sich und seiner Familie etwas antun werde. Es bestehe eine bedingte Flug- und Reisefähigkeit. Bedingung sei die Minderung der Eigen- und Fremdgefährdung. Die sei durch Verzicht auf eine vorherige Ankündigung des Abschiebetages und eine fachärztliche Begleitung während des Fluges zu gewährleisten. In diesen Stellungnahmen wird weder angegeben, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände die fachliche Beurteilung erfolgt ist, noch enthalten sie eine nachvollziehbare medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes oder eine nachvollziehbare Darlegung der Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Die in der Stellungnahme vom 20.05.2014 vertretene Annahme, eine hinreichende Minderung der Eigen- und Fremdgefährdung könne durch Verzicht auf eine vorherige Ankündigung des Abschiebetages und Gewährleistung einer fachärztlichen Begleitung während des Fluges sichergestellt werden, wird nicht näher begründet und stellt sich als reine Spekulation dar. Zur Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen sind diese amtsärztlichen Stellungnahmen ungeeignet.

13

Vor diesem Hintergrund liegen zwar Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller zu 1 unter einer posttraumatische Belastungsstörung leidet und eine Abschiebung zu einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führt. Es verbleiben jedoch Zweifel. Bei dieser Sachlage kann über das Vorliegen des geltend gemachten Duldungsgrundes ohne fachärztliches Gutachten zur Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen nicht entschieden werden. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist damit offen, so dass ein Anordnungsanspruch gegeben ist.

14

2. Auch die Antragstellerin zu 2 und die Antragsteller zu 3 – 6 haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Eine rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG kann sich aus inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen ergeben, zu denen auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa mit Blick auf Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind. Der Schutz des Art. 6 GG umfasst die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben. Sich hieraus ergebende schutzwürdige Belange können einer (zwangsweisen) Beendigung des Aufenthalts des Ausländers dann entgegen stehen, wenn es ihm nicht zuzumuten ist, seine tatsächlichen Bindungen zu berechtigterweise im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (Beschl. d. Senats v. 14.08.2014 – 2 L 115/13 – m.w.N.). Derartige schutzwürdige Belange liegen im Fall der Antragstellerin zu 2 und der Antragsteller zu 3 – 6 vor. Aufgrund der oben dargestellten Umstände besteht bei dem Antragsteller zu 1 möglicherweise ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis. Die übrigen Familienmitglieder können daher einstweilen eine gewünschte familiäre Lebensgemeinschaft im gemeinsamen Heimatland nicht führen. Eine alleinige auch nur kurzfristige Rückkehr ohne Begleitung durch den Antragsteller zu 1 in das Kosovo ist ihnen ebenfalls nicht zuzumuten.

15

3. Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Der Antragsgegner beabsichtigt, die Antragsteller ohne vorherige Einholung eines fachärztlichen Gutachtens zur Suizidgefahr abzuschieben. Die vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten Duldungsanspruchs ist daher zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dringlich. Denn der Duldungsanspruch erlischt ebenso wie die Aussetzung selbst (vgl. § 60a Abs. 5 Satz 1 AufenthG) mit der Ausreise (vgl. VGH BW, Beschl. v. 06.02.2008 – 11 S 2439/07 – a.a.O. RdNr. 14). Er würde durch die Abschiebung daher vereitelt. Zudem ist eine Abschiebung ohne vorherige fachärztliche Begutachtung der damit nach den vorliegenden Erkenntnissen möglicherweise einhergehenden gesundheitlichen Risiken mit der staatlichen Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren.

16

II. Den Antragstellern ist auch die beantragte Prozesskostenhilfe zu gewähren, weil sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint und aus den vorstehend ausgeführten Gründen hinreichende Erfolgsaussichten zu bejahen sind (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).

17

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

18

VI. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des beschließenden Senats, im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes den halben Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG je Antragsteller festzusetzen, soweit Streitgegenstand – wie hier – die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung ist.


Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass bei der Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 07.09.2007 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Die Klägerin ist türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Sie reiste am 08.12.2002 in das Bundesgebiet ein. Am 09.01.2003 beantragte Sie die Gewährung von Asyl.
Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 19.03.2003 wurde der Asylantrag abgelehnt und festgestellt, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen, sowie mit einer Ausreisefrist von einem Monat die Abschiebung angedroht. Die hierauf eingelegten Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (vgl. VG Stuttgart, Urt. v. 25.10.2005 - A 15 K 10904/03 - und VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.04.2006 - A 12 S 1096/05 -).
Mit Schriftsatz vom 10.05.2007 stellte die Klägerin einen Asylfolgeantrag und brachte zur Begründung vor, ihr Gesundheitszustand habe sich erheblich verschlimmert. Aufgrund ihres Gesundheitszustandes bestehe im Falle einer Abschiebung in die Türkei eine Gefahr für Leib und Leben. In der Türkei habe sie in massiver Weise Verfolgung und menschenrechtswidrige Behandlung erlitten; hierdurch sei sie in ihrer psychischen Integrität erheblich verletzt und traumatisiert worden. Gleichzeitig legte die Klägerin ein ärztliches Attest der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie - Psychotherapie Dr. Beier-Fügel vom 12.06.2006, ein Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 sowie ein Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 12.04.2007 vor.
Mit Bescheid vom 07.09.2007 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 19.03.2003 bezüglich der Feststellung zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 VwVfG seien nicht erfüllt. Die vorgelegten ärztlichen Gutachten und Atteste könnten die Feststellungen im Urteil des VG Stuttgart vom 25.10.2005 nicht erschüttern. Bei den vorgelegten ärztlichen Gutachten und Attesten handele es sich um fachpsychiatrische Aussagen über den gegenwärtigen Gesundheitszustand der Klägerin und nicht um belastbare, verlässliche Analysen der Erlebnisse der Klägerin in der Türkei. Die Aussagen der Klägerin seien von den ärztlichen Gutachtern keiner nachvollziehbaren wissenschaftlichen Bewertung unterzogen worden. Am Wahrheitsgehalt des gesteigerten Sachvortrags der Klägerin bestünden Zweifel, da sie bereits im Erstasylverfahren trotz eingehender psychiatrischer Untersuchung die erlittene Vergewaltigung nicht erwähnt habe. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG liege nicht vor. Die Klägerin könne auf die zur Behandlung ihres Krankheitsbildes in der Türkei zur Verfügung stehenden medizinischen Möglichkeiten verwiesen werden.
Am 17.09.2007 hat die Klägerin Klage erhoben.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 07.09.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10 
Sie verweist auf die angefochtene Entscheidung.
11 
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die zur Sache gehörenden Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
12 
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit er dem entgegensteht.
13 
Allerdings ist das Bundesamt aufgrund des gestellten Asylfolgeantrags nicht gemäß § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG verpflichtet gewesen, das Verfahren im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wieder aufzugreifen. Insoweit steht dem Begehren der Klägerin ersichtlich § 51 Abs. 3 VwVfG entgegen, da das Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 den Prozessbevollmächtigten der Klägerin bereits am 16.01.2007 vorgelegen hat und in diesem Gutachten aufgrund umfassender Anamnese eine posttraumatische Belastungsstörung aufgrund erlittener Vergewaltigung der Klägerin diagnostiziert wurde. In diesem Gutachten wurde auch dargelegt, dass Belastungen jeglicher Art (und damit auch eine Rückkehr/Abschiebung der Klägerin in die Türkei) zu einer Gefährdung der Klägerin mit Dekompensation im Sinne einer Symptomverstärkung und Suizidalität führen werden. Spätestens mit Zugang dieses Gutachtens hatten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Sinne des § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG Kenntnis von dem nunmehr in Anspruch genommenen Wiederaufgreifensgrund. Sie hätten ihn demnach binnen drei Monaten geltend machen müssen. Tatsächlich ist der Asylfolgeantrag erst am 11.05.2007 beim Bundesamt eingegangen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass dem Asylfolgeantrag ein weiteres Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychologie Reutlingen vom 23.04.2007 beigefügt war. Denn dieses Gutachten vertieft nur das Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007, beinhaltet jedoch keine darüber hinausgehenden, substantiell neuen Tatsachen.
14 
Die Klägerin hat aber unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG einen Anspruch darauf, dass das Bundesamt eine positive Feststellung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG trifft. Denn jenseits des § 71 AsylVfG, der nur den Asylantrag im Sinne von § 13 AsylVfG betrifft, kann sich aus §§ 51 Abs. 5, 48, 49 VwVfG und einer in deren Rahmen i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 und 2 GG gebotenen Ermessensreduzierung auf Null das Wiederaufgreifen des abgeschlossenen früheren Verwaltungsverfahrens, die Aufhebung des unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakts und eine neue Sachentscheidung zu § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG dann ergeben, wenn tatsächlich Abschiebungsverbote vorliegen; auf die Frage, wann diese geltend gemacht worden sind, kommt es wegen des materiellen Schutzgehalts der Grundrechte nicht an (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.06.2000, DVBl. 2000, 179; BVerwG, Urteil vom 07.09.1999, InfAuslR 2000, 16 und Urteil vom 21.03.2000, NVwZ 2000, 940; VGH Baden-Württ., Beschluss vom 04.01.2000, NVwZ-RR 2000, 261). Einer Feststellung des geltend gemachten Abschiebungsverbots durch das Bundesamt steht auch nicht die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung über die negative Feststellung des Bundesamts im Asylerstverfahren entgegen. Das Bundesamt ist nicht gehindert, einen rechtskräftig abgesprochenen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten zu erfüllen, wenn es erkennt, dass der Anspruch tatsächlich besteht und das rechtskräftige Urteil unzutreffend ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.12.1992, BVerwGE 91, 256; Urteil vom 27.01.1994, BVerwGE 95, 86 und Urteil vom 07.09.1999, NVwZ 2000, 204). Ob eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegt, ist somit ohne Rücksicht auf die Versagung asylrechtlichen Verfolgungsschutzes und ohne Bindung an etwa vorliegende rechtskräftige Gerichtsentscheidungen zu beurteilen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.12.1996, InfAuslR 1997, 284 und Urteil vom 30.03.1999, DVBl. 1999, 1213).
15 
Die Beklagte ist für den Anspruch der Klägerin auch passiv legitimiert. Das Bundesamt ist zur Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG auch bei solchen Folgeanträgen zuständig, die nach § 71 Abs. 1 AsylVfG nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führen (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.09.1999, NVwZ 2000, 204; Beschluss vom 23.11.1999, NVwZ 2000, 941 und Urteil vom 21.03.2000, NVwZ 2000, 940). Schließlich ist das Verwaltungsgericht im Hinblick auf § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG auch befugt und verpflichtet, in der Sache durch zu entscheiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.02.1998, NVwZ 1998, 861).
16 
Bei der Klägerin liegt ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vor. Das dem Bundesamt eingeräumte Ermessen auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf die Feststellung dieses Abschiebungsverbots ist deshalb auf Null reduziert (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 04.01.2000, NVwZ-RR 2000, 261). Selbst wenn eine Ermessensreduzierung auf Null eine extreme individuelle Gefahr voraussetzen sollte (vgl. BVerwG, Urt. vom 20.10.2004, BVerwGE 122, 103), ist die Beklagte vorliegend zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vorliegt, da sich die Klägerin krankheitsbedingt bei einer Rückkehr in die Türkei in einer extremen individuellen Gefahrensituation befinden würde.
17 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Bestimmung fragt nicht danach, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird; die Regelung stellt vielmehr lediglich auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995, NVwZ 1996, 199). Eine Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt jedoch nicht in Betracht, wenn die geltend gemachten Gefahren nicht landesweit drohen und der Ausländer sich ihnen durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995 aaO.). Ein Ausländer kann schon dann auf einen alternativen Landesteil verwiesen werden, wenn ihm dort konkrete Gefahren i. S. d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen; sonstige Mindestanforderungen an die Qualität und Verfolgungssicherheit des Aufenthalts in der Ausweichregion bestehen nicht (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. vom 22.07.1998 - A 6 S 3421/96 - juris -). Die Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit muss mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehen. Die besondere Schwere eines drohenden Eingriffs ist im Rahmen der gebotenen qualifizierenden Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung, Abwägung und zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts vermittels des Kriteriums, ob die Wahrscheinlichkeit der Rechtsgutverletzung beachtlich ist, zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995 aaO. und Urt. vom 05.07.1994, InfAuslR 1995, 24). Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn die für den Eintritt der Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 18.07.2001, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 46).
18 
Auch die drohende Verschlimmerung einer Krankheit wegen ihrer nur unzureichenden medizinischen Behandlung im Zielstaat der Abschiebung kann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.11.1997, BVerwGE 105, 383 = NVwZ 1998, 524; Urt. vom 27.04.1998, NVwZ 1998, 973 und Urt. vom 21.09.1999, NVwZ 2000, 206). Von einer Verschlimmerung ist auszugehen, wenn eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands droht; konkret ist diese Gefahr, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat eintreten würde (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.11.1997 aaO und Urt. vom 29.07.1999 - 9 C 2/99 - Juris -). Ob die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt oder mitbedingt ist, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Urt. vom 29.07.1999 aaO). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation im Zielstaat zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2002, NVwZ-Beilage I 2003, 53 = DVBl 2003, 463 und Beschluss vom 29.04.2003, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 60; VGH Kassel, Urteil vom 24.06.2003, AuAS 2004, 20). Die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland ist in die gerichtliche Prognose, ob bei Rückkehr eine Gefahr für Leib oder Leben besteht, mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 01.10.2001, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 51).
19 
Nach diesen Kriterien steht der Klägerin ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei zu. Die Klägerin leidet ausweislich der von ihr vorgelegten Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 an einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F 43.1) und (so die Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen) an einer schweren Depression ohne psychotische Symptome (ICD-10: F 32.2).
20 
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) handelt es sich um ein komplexes psychisches Krankheitsbild. Die posttraumatische Belastungsstörung entsteht als eine verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde und mit starker Furcht und Hilflosigkeit einhergeht. Typische Merkmale der PTBS sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (sog. Intrusionen), die so weit gehen können, dass der Körper das schlimme Ereignis noch einmal wie in der Ursprungssituation nacherlebt (flashbacks). Weitere Merkmale sind das andauernde Gefühl von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit, Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber und Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Hinzu tritt gewöhnlich ein Zustand vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung und eine übermäßige Schreckhaftigkeit und Schlaflosigkeit. Angst und Depressionen sind häufig mit den vorstehend genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert, und Suizidgedanken sind nicht selten. Die PTBS kann zu einer Beeinträchtigung des Erinnerungs- und Wiedergabevermögens und zu Konzentrationsschwierigkeiten führen, zu Schweigsamkeit aus Scham, Angst vor Erinnerung, Apathie (vgl. zum Vorstehenden Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Auflage, Seite 750 ff.; Loesel/Bender, Asylpraxis Band 7 S. 175 ff.; Koch, Asylpraxis Band 9 S. 61 ff.; Haenel, Asylpraxis Band 9, S. 111 ff., Marx, InfAuslR 2000, 357 ff; Treiber, ZAR 2002, 282 ff.; Middeke, DVBl. 2004, 150 ff.). Die posttraumatische Belastungsstörung ist in der Auflistung aller Krankheiten durch die Weltgesundheitsorganisation unter F 43.1 der ICD 10 enthalten (vgl. Dilling u.a., Internationale Klassifikation psychischer Störungen, 3. Auflage, S. 121).
21 
In der internationalen Klassifikation sind Traumata definiert als kurz oder lang anhaltende Ereignisse oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem Betroffenen tiefgreifende Verzweiflung auslösen werden (vgl. Koch in: Asylpraxis, Band 9, Seite 61, 69ff). Man unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen traumatischen Ereignissen in Folge von Unfällen oder Katastrophen und willentlich durch Menschen verursachten Traumata (z. B. Folter, Misshandlung, Vergewaltigung und Kriegserlebnisse). Da es sich bei der PTBS um ein innerpsychisches Erlebnis handelt, das sich einer Erhebung äußerlich objektiver Befundtatsachen weitgehend entzieht, kommt es in besonderem Maße auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebnisses und der zugrunde liegende faktischen äußeren Erlebnistatsachen an, was wiederum angesichts der Komplexität und Schwierigkeit des Krankheitsbildes eine eingehende Befassung des Arztes mit dem Patienten erfordert. Regelmäßig sind tragfähige Aussagen zur Traumatisierung erst nach mehreren Sitzungen über eine längere Zeit möglich. Auch bedarf es unter anderem einer gründlichen Anamnese sowie einer schlüssigen und nachvollziehbaren Herleitung des im Übrigen genau zu definierenden Krankheitsbildes (vgl. Treiber a.a.O.; Loesel/Bender a.a.O.). Es gibt keine PTBS ohne Trauma und auch beim Vorliegen aller Symptome einer PTBS kann eine solche nur diagnostiziert werden, wenn auch ein entsprechendes Trauma vorhanden war. Aus den Symptomen kann nicht rückgeschlossen werden, dass ein Trauma stattgefunden hat (vgl. Venzlaff/Foerster a.a.O. S. 752; Steller in Sonderheft für Gerhard Schäfer, NJW-Beilage 2002, S. 69, 71; Ebert/Kindt, VBlBW 2004, 41 f.; a.A. Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321).
22 
Nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. K (Michael-Balint-Klinik) und Dr. N (Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen) erbrachten ihre eigenen Untersuchungen der Klägerin die sichere Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die für diese Krankheit nach ICD-10: F 43.1 erforderlichen diagnostischen Kriterien seien erfüllt. An der Richtigkeit dieser Ausführungen hegt das Gericht keine Zweifel. Die Feststellungen in dem Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und im Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 sind eindeutig, in sich widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Die Gutachter haben andere differentialdiagnostische Erwägungen angestellt, diese jedoch verworfen. Aus beiden Gutachten geht eindeutig hervor, auf welcher Grundlage die Sachverständigen ihre Diagnose gestellt haben und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Die Gutachten geben auch Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf. Für diese psychotraumatologischen Fachfragen gibt es keine eigene Sachkunde der Behörde oder des Gerichts (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.05.2006, NVwZ 2007, 345 und Urt. v. 11.09.2007 - 10 C 8/07 - juris -). Soweit das Bundesamt das Vorliegen der fachärztlich diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung verneint, weil es das Vorhandensein eines traumatisierenden Ereignisses als nicht hinreichend belegt ansieht, fehlt ihm für diese Aussage ohne Einholung eines eigenen medizinischen Sachverständigengutachtens die notwendige Sachkunde.
23 
Das Bundesamt ist erkennbar auch der Auffassung, bei den medizinischen Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 fehle die inhaltliche Analyse der erhobenen Aussagen der Klägerin in Bezug auf das Vorliegen und den Ausprägungsgrad von Glaubhaftigkeitsmerkmalen (Konstanz- und Motivationsanalyse, Fehlerquellen- und Kompetenzanalyse). Dieses Vorbringen deutet darauf hin, dass das Bundesamt den Unterschied zwischen aussagepsychologischen und klinischen Gutachten nicht kennt. Aussagepsychologische Gutachten äußern sich zu Aussagen über ein Geschehen. Die aussagepsychologische Begutachtung wurde entwickelt, um mit Hilfe der Inhaltsanalyse einer Aussage und unter Berücksichtigung der Entstehungsgenese, der Kompetenz und der Motivation des Untersuchten sowie mit Hilfe des Vergleichs verschiedener Aussagen einer Person zu unterschiedlichen Zeiten (Konstanzanalyse) die Frage zu klären, inwieweit die Schilderungen glaubhaft und zuverlässig sind. Klinische Gutachten äußern sich hingegen zu der Frage, ob jemand gesund oder krank ist und dazu, welche Erkrankungen gegebenenfalls vorliegen. Forensische aussagepsychologische Gutachten liegen aber außerhalb des Kompetenzbereichs eines Facharztes oder Psychotherapeuten. Klinische Gutachten oder Stellungnahmen zu Fragen nach bestehenden psychischen Traumafolgen analysieren Aussagen nicht anhand der Kriterien der Aussagepsychologie. Diese Kriterien (Konstanzanalyse, Aussageentstehung und Aussageentwicklung oder Motivationsanalyse) gehören deshalb nicht in den Rahmen eines klinischen Gutachtens. Klinische Gutachten können allenfalls wesentliche Anhaltspunkte enthalten, die für oder gegen den Erlebnisbezug von Aussagen zur traumatischen Vorgeschichte sprechen (vgl. zum Ganzen Venzlaff/Foerster a.a.O. S. 752; Gierlichs u.a., ZAR 2005, 158 ff; Wenk-Ansohn u.a., Anforderungen an Gutachten, Einzelentscheiderbrief 8 und 9/2002, 3; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 322). Unabhängig hiervon haben sich die Gutachter Dr. K und Dr. N mit der Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Klägerin nachhaltig beschäftigt. Eine Simulation und Aggravation wurde von beiden Gutachtern überzeugend ausgeschlossen.
24 
Da nach dem Vorgenannten weder mit psychiatrisch-psychotherapeutischen Mitteln noch mit Hilfe der Psychopathologie sicher erschlossen werden kann, ob tatsächlich ein traumatisches Ereignis stattgefunden hat und wie dieses geartet war, muss das behauptete traumatisierende Ereignis zur Überzeugung des Gerichts stattgefunden haben (ebenso VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.10.2006, VBlBW 2007, 116; vgl. aber auch BVerwG, Beschl. v. 18.07.2001, DVBl 2002, 53: Glaubhaftigkeitsprüfung unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen bei Traumatisierung). Dies ist vorliegend der Fall. Aufgrund der Einvernahme der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und aufgrund der ausführlich wiedergegebenen Anamnesen in den Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 ist das Gericht der Überzeugung, dass die Klägerin tatsächlich im März 2002 von einem Angehörigen türkischer Sicherheitskräfte vergewaltigt wurde. Sie hat dieses Ereignis mit hinreichenden Realkennzeichen bei der Anamneseerhebung durch die Michael-Balint-Klinik geschildert. Außerdem hatte sie bereits im Erstasylverfahren vorgetragen, seit März 2002 Probleme in der Türkei gehabt zu haben; dieses Datum korrespondiert mit den Angaben der Klägerin im Asylfolgeverfahren, wonach sie im März 2002 die Vergewaltigung durch einen türkischen Polizisten erlitten habe. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Klägerin die Vergewaltigung erst nach dem Erstasylverfahren benannt hat. Aus der psychotraumatologischen Forschung ist bekannt, dass traumatische Erinnerungen eher fragmentarischen Charakter haben und dass gerade bei traumatisierten Personen charakteristische Gedächtnisstörungen krankheitsbedingt die Regel sind. Hinzu kommt, dass traumatisierte Menschen oft jene Ereignisse verschweigen, die als besonders schmerzhaft erlebt wurden oder die stark schambesetzt sind. Dieses Vermeidungsverhalten ist Teil des Krankheitsbildes und nur bedingt willentlich beeinflussbar (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Auflage, Seite 752; Hinckeldey/Fischer, Psychotraumatologie der Gedächtnisleistung; Birck, Traumatisierte Flüchtlinge sowie in ZAR 2002, 28 ff.; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 322; Mehari, Koch, Bittenbinder, Wirtgen, Haenel, Hüther in: Asylpraxis, Band 9 Seite 17 ff.; ebenso OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -). Bei traumatisierten Personen können somit die bei der Glaubhaftigkeitsprüfung relevanten Kriterien wie Detailreichtum, Farbigkeit der Darstellung, logische Kohärenz, Homogenität, innere Widerspruchsfreiheit und Konstanz der Aussage nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden (vgl. Treiber, ZAR 2002, 282; Middeke, DVBl. 2004, 150, 151; Marx, InfAuslR 2003, 21, 23; Koch in: Asylpraxis Band 9, Seite 61ff, 88). Deshalb wird im Hinblick auf die Schilderung des Traumageschehens bei einem traumatisierten Asylbewerber ein qualifizierter Beweisnotstand angenommen, der zu einer Herabsetzung der Anforderungen an die Schlüssigkeit des tatsächlichen Vorbringens und damit auch an den Nachweis eines Verfolgungsgeschehens führt (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 10.05.2002 - 10 A 11457/01 -; OVG Münster, Beschl. v. 07.01.1998, AuAS 1998, 105; OVG Weimar, Urt. v. 25.09.2003, NVwZ-RR 2004, 455 und Urt. v. 18.03.2005, Asylmagazin 7-8/2005, 34; OVG Greifswald, Urt. v. 13.04.2000, AuAS 2000, 221).
25 
Wegen der Eigentümlichkeit, dass die Traumatisierten oft erst im Rahmen einer bereits greifenden therapeutischen Bemühung in der Lage sind, über das Geschehene Auskunft zu geben, kann in der äußerlichen Widersprüchlichkeit von Angaben kein ausschlaggebendes Moment ausgemacht werden, das der Annahme des der Feststellung der posttraumatischen Belastungsstörung zugrunde liegenden Traumas entgegensteht (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33). Der Glaubhaftigkeit der von der Klägerin im Asylfolgeverfahren dargelegten erlittenen Vergewaltigung im März 2002 steht deshalb nicht entgegen, dass sie sich weder bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt am 14.01.2003 noch bei den Begutachtungen durch das Klinikum Weissenhof und durch die psychologische Beratungsstelle Stuttgart in der Lage gesehen hat, die in der Türkei erlebte Erniedrigung zu berichten. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin glaubhaft dargelegt, dass sie aus Angst, ihr vor der Tür wartender Ehemann könne ihre Angaben mithören, keine Aussagen im Klinikum Weissenhof und in der psychologischen Beratungsstelle Stuttgart zu der erlittenen Vergewaltigung gemacht hat. Auch in der mündlichen Verhandlung war die tief sitzende Furcht der Klägerin mit Händen greifbar, ihre Angaben im Sitzungssaal könnten von dem im Wartebereich aufhältigen Ehemann mitgehört werden. Bei der Anamneseerhebung durch Dr. N in der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen hinderte ein intrusives, flashback-artiges Wiedererleben der Vergewaltigung die Klägerin daran, über das konkrete Vergewaltigungsgeschehen zu sprechen; die Klägerin war über mehr als 15 Minuten nicht zu beruhigen und verbal nicht mehr zu erreichen. Eine notfallmäßige Klinikaufnahme zur Krisenintervention wurde vom Gutachter in Erwägung gezogen. Auch der persönliche Eindruck, den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, hat bestätigt, dass sie nur unter Aufbietung aller ihrer Kräfte und unter Tränen und Weinanfällen zu Andeutungen über den erlittenen sexuellen Missbrauch in der Lage ist.
26 
Im Übrigen müsste auch dem Bundesamt bekannt sein, dass das Selbstbild der von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen aus der Türkei (gleiches gilt aber auch für Frauen aus dem Irak, aus Bosnien und aus dem Kosovo) geprägt ist vom Gedanken des Entehrtseins und deren Gefühlswelt von Scham, Wertlosigkeit, Selbstverurteilung und Schuld erfüllt ist. Um in der sozialen Gemeinschaft weiter existieren zu können und aus Angst davor, vom Ehemann verstoßen zu werden, entschließen sich die meisten dieser Frauen, über die erlebten sexuellen Übergriffe durch Sicherheitskräfte nicht zu sprechen. Angaben über sexualisierte Gewalt stellen vor dem Hintergrund islamisch geprägter Traditionen nicht nur für die betroffene Frau, sondern auch für deren Ehemann und die gesamte Familie eine neuerliche Entehrung dar. Deshalb kommen Aussagen zu sexualisierten Gewalterfahrungen bei muslimischen Frauen erst unter größtem Druck, wenn beispielsweise die Abschiebung unmittelbar droht, zustande (vgl. zum Ganzen Haenel/Wenk-Ansohn, Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren, S. 160 ff.; Birck, ZAR 2002, 28, 31; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 323).
27 
Gegen die Richtigkeit der in den Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 gestellten Diagnose posttraumatische Belastungsstörung spricht auch nicht das späte Auftreten der von der Klägerin geschilderten Krankheitssymptome. Entgegen der vom Bundesamt häufig vertretenen Auffassung tritt die posttraumatische Belastungsstörung nicht regelmäßig innerhalb von sechs Monaten nach dem traumatischen Ereignis auf. Diese Zeitspanne wird in der ICD-10 für F 43.1 nur als häufigste Latenz angegeben. In der (ausführlicheren) DSM-IV wird ausdrücklich auf eine PTBS mit verzögertem Beginn hingewiesen. Nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen können traumabedingte Störungen einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen auch mit jahrelanger bis zum Teil jahrzehntelanger Latenz auftreten (vgl. Gierlichs, Asylmagazin 7-8/2003, 53 sowie in ANA-ZAR 5/2007, 33 m.w.N.). In der ergänzenden Stellungnahme an das Gericht vom 11.01.2008 hat auch Dr. N, der anerkanntermaßen ein ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet der Psychotraumatologie ist, dargelegt, dass der Ausbruch der Symptome der PTBS von vielfältigen Umgebungsfaktoren abhängen kann, die beispielsweise eine Kompensation ermöglichen oder Verdrängung/Verleugnung des Traumas erforderlich machen können.
28 
Nach dem Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 ist bei einer erzwungenen Rückkehr der Klägerin in die Türkei aufgrund der Retraumatisierung mit Dekompensation mit massivster Verschlechterung der psychischen Erkrankung mit akuter Lebensgefährdung zu rechnen. Den ärztlichen Feststellungen zufolge leidet die Klägerin an Einschlaf- und Durchschlafstörungen, unter Gedankenkreisen und Grübeln und unter einem kompletten Libidoverlust; weiter traten bei den Explorationen Hitzewallungen, Kopfschmerzen, Schwindel und brennende Hände „wie Feuer“ auf. Schließlich wird in den Gutachten über massive Lebensunlust, Todessehnsucht und über vier Suizidversuche berichtet. Diese ärztlichen Feststellungen sind klar, eindeutig und überzeugend. Im Übrigen handelt es sich bei der Einschätzung des Krankheitsverlaufs und der gesundheitlichen Folgen wiederum um medizinische Fachfragen, für die es keine eigene Sachkunde der Behörde oder des Gerichts gibt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.05.2006, NVwZ 2007, 345).
29 
Unter dem Begriff der „Retraumatisierung“ wird die durch äußere Ursachen oder Bedingungen, die dem zugrundeliegenden traumatischen Erlebnis gleichen, ähneln oder auch nur Anklänge daran haben, ausgelöste Reaktualisierung der inneren Bilder des traumatischen Erlebens in der Vorstellung und den körperlichen Reaktionen des Betroffenen verstanden, die mit der vollen oder gesteigerten Entfaltung des Symptombildes der ursprünglichen traumatischen Reaktion auf der körperlichen, psychischen und sozialen Ebene einhergeht (vgl. Marx, InfAuslR 2000, 357, 360 m.w.N.). Die Folge davon kann eine akute Dekompensation wie z. B. schwere depressive Reaktion, psychotische Dekompensation, suizidale Handlung und anderes sein und zu einer dauerhaften Verschlimmerung oder Chronifizierung des posttraumatischen Krankheitsprozesses führen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -).
30 
Bereits diese konkrete Gefahr der Retraumatisierung begründet ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (ebenso VGH München, Urt. v. 20.10.1999 - 23 B 98.30524; VGH Kassel, Urt. v. 26.02.2007 - 4 UE 1125/05.A - juris -; OVG Koblenz, Urt. v. 09.02.2007 - 10 A 10952/06.OVG - ; OVG Schleswig, Beschl. v. 28.09.2006 - 4 LB/06 -; OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris - und Urt. v. 12.09.2007 - 8 LB 210/05 - juris -). Die Gefahr der Retraumatisierung lässt sich nicht auf den eigentlichen Ort eingrenzen, an dem die Verletzungshandlung erfolgte, denn auch andere Orte und Personen im Heimatland, die dem zugrundeliegenden traumatischen Erlebnis gleichen, ähneln oder auch nur Anklänge daran haben, führen zu einer Reaktualisierung der inneren Bilder des traumatischen Erlebens in der Vorstellung und den körperlichen Reaktionen des Betroffenen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.02.2005 - 11 LB 121/04 und Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/ 05 - juris -), so dass im Falle der Klägerin die Gefahr der Retraumatisierung konkret und landesweit gegeben ist.
31 
Diese konkrete und landesweite Gefahr im Falle einer Abschiebung in die Türkei ist durch eine mögliche medikamentöse Behandlung im Zielstaat der Abschiebung nicht zu verhindern (vgl. Gierlichs/Wenk-Ansohn, ZAR 2005, 405, 408; Gierlichs u.a., ZAR 2005, 158, 163). Der erheblichen Gesundheits- und Lebensgefahr für die Klägerin kann auch nicht dadurch wirksam begegnet werden, dass sie sich unverzüglich nach der Rückkehr in ihr Heimatland in psychologische oder psychiatrische Behandlung begibt. Denn Menschen mit traumatogenen Störungen können in einer Umgebung, die Intrusionen stimuliert und kein Vermeidungsverhalten erlaubt, nicht behandelt werden (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl., S. 753). Nach fachwissenschaftlichen Erkenntnissen ist eine erfolgreiche Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen nur in einer sicheren Umgebung und bei Schutz vor weiterer Traumaeinwirkung möglich (vgl. Stellungnahme der wissenschaftlichen Fachgesellschaften, veröffentlicht in: http://www.aerzteblatt.de/v4/plus/down.asp ? typ=PDF&id=1166 ; Koch in: Asylpraxis Band 9 S. 61, 78; Gierlichs/Wenk-Ansohn, ZAR 2005, 405, 408; Gierlichs, ZAR 2006, 277, 279; Bittenbinder in: Asylpraxis Band 9, S. 35, 54 ff.; Graessner u.a., Die Spuren von Folter, S. 77 ff.; ebenso OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33; OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -).
32 
Unabhängig hiervon wird die Klägerin vor dem Hintergrund der bei ihr bestehenden schweren Erkrankung und der schon heute gezeigten extremen Destabilisierung nicht in der Lage sein, in der Türkei im Anschluss an ihre Abschiebung und die damit für sie zwangsläufig verbundene Verschlimmerung ihres Gesundheitszustandes die für sie alsdann noch umso dringlicher gebotene medizinische Hilfe zu erfahren, zumal die hier vorliegende Traumatisierung durch Vergewaltigung einen Fall mit einer besonders ungünstigen Prognose, nämlich den Fall des sog. „man made disaster“ (vgl. Koch in: Asylpraxis Band 9 Seite 71) darstellt. Denn unabhängig von der Frage, ob posttraumatische Belastungsstörungen in der Türkei behandelbar sind und ob die Klägerin eine solche Behandlung unter finanziellen Gesichtspunkten erreichen könnte, gilt im vorliegenden Fall, dass die Klägerin nach ihrer Rückkehr aufgrund ihres Rückzugsverhaltens, ihrer Depressivität und ihrer Ängste nicht in der Lage sein wird, eine solche Behandlung aus eigener Kraft oder durch entsprechende Einwirkungen durch Verwandte mittels deren Hilfestellung anzutreten. Für die Klägerin besteht somit bei einer Rückkehr in die Türkei ungeachtet der vom Bundesamt behaupteten Behandlungsmöglichkeiten die ganz konkrete Gefahr eines psychischen Zusammenbruchs, wenn nicht gar des Suizids, und damit eine extreme individuelle Gefahrensituation.
33 
Steht danach zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Krankheitszustand der Klägerin im Falle einer Abschiebung in ihr Herkunftsland alsbald nach ihrer Rückkehr wesentlich bzw. angesichts ihrer erheblichen Suizidalität sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde, so steht ihr ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei zu. Die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird nicht durch § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG gesperrt. Angesichts des vielfältigen Symptombildes der posttraumatischen Belastungsstörung kann nicht angenommen werden, dass diesbezüglich ein Bedürfnis nach einer ausländerpolitischen Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG besteht (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 18.07.2006 - 1 C 16/05 - Juris -). Im Übrigen ist inzwischen allgemein anerkannt, dass die an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankten Personen, deren Erkrankung auf willentlich durch Menschen verursachte Traumata beruht, nicht Teil einer Bevölkerungsgruppe sind (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 16.02.2004, Asylmagazin 6/2004, 30; OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33 und Urt. v. 09.02.2007 - 10 A 10952/06.OVG- ; VGH Kassel, Beschl. v. 09.01.2006 - 7 ZU 1831/05.A -).
34 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, § 83 b AsylVfG.

Gründe

 
12 
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit er dem entgegensteht.
13 
Allerdings ist das Bundesamt aufgrund des gestellten Asylfolgeantrags nicht gemäß § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG verpflichtet gewesen, das Verfahren im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wieder aufzugreifen. Insoweit steht dem Begehren der Klägerin ersichtlich § 51 Abs. 3 VwVfG entgegen, da das Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 den Prozessbevollmächtigten der Klägerin bereits am 16.01.2007 vorgelegen hat und in diesem Gutachten aufgrund umfassender Anamnese eine posttraumatische Belastungsstörung aufgrund erlittener Vergewaltigung der Klägerin diagnostiziert wurde. In diesem Gutachten wurde auch dargelegt, dass Belastungen jeglicher Art (und damit auch eine Rückkehr/Abschiebung der Klägerin in die Türkei) zu einer Gefährdung der Klägerin mit Dekompensation im Sinne einer Symptomverstärkung und Suizidalität führen werden. Spätestens mit Zugang dieses Gutachtens hatten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Sinne des § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG Kenntnis von dem nunmehr in Anspruch genommenen Wiederaufgreifensgrund. Sie hätten ihn demnach binnen drei Monaten geltend machen müssen. Tatsächlich ist der Asylfolgeantrag erst am 11.05.2007 beim Bundesamt eingegangen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass dem Asylfolgeantrag ein weiteres Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychologie Reutlingen vom 23.04.2007 beigefügt war. Denn dieses Gutachten vertieft nur das Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007, beinhaltet jedoch keine darüber hinausgehenden, substantiell neuen Tatsachen.
14 
Die Klägerin hat aber unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG einen Anspruch darauf, dass das Bundesamt eine positive Feststellung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG trifft. Denn jenseits des § 71 AsylVfG, der nur den Asylantrag im Sinne von § 13 AsylVfG betrifft, kann sich aus §§ 51 Abs. 5, 48, 49 VwVfG und einer in deren Rahmen i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 und 2 GG gebotenen Ermessensreduzierung auf Null das Wiederaufgreifen des abgeschlossenen früheren Verwaltungsverfahrens, die Aufhebung des unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakts und eine neue Sachentscheidung zu § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG dann ergeben, wenn tatsächlich Abschiebungsverbote vorliegen; auf die Frage, wann diese geltend gemacht worden sind, kommt es wegen des materiellen Schutzgehalts der Grundrechte nicht an (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.06.2000, DVBl. 2000, 179; BVerwG, Urteil vom 07.09.1999, InfAuslR 2000, 16 und Urteil vom 21.03.2000, NVwZ 2000, 940; VGH Baden-Württ., Beschluss vom 04.01.2000, NVwZ-RR 2000, 261). Einer Feststellung des geltend gemachten Abschiebungsverbots durch das Bundesamt steht auch nicht die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung über die negative Feststellung des Bundesamts im Asylerstverfahren entgegen. Das Bundesamt ist nicht gehindert, einen rechtskräftig abgesprochenen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten zu erfüllen, wenn es erkennt, dass der Anspruch tatsächlich besteht und das rechtskräftige Urteil unzutreffend ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.12.1992, BVerwGE 91, 256; Urteil vom 27.01.1994, BVerwGE 95, 86 und Urteil vom 07.09.1999, NVwZ 2000, 204). Ob eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegt, ist somit ohne Rücksicht auf die Versagung asylrechtlichen Verfolgungsschutzes und ohne Bindung an etwa vorliegende rechtskräftige Gerichtsentscheidungen zu beurteilen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.12.1996, InfAuslR 1997, 284 und Urteil vom 30.03.1999, DVBl. 1999, 1213).
15 
Die Beklagte ist für den Anspruch der Klägerin auch passiv legitimiert. Das Bundesamt ist zur Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG auch bei solchen Folgeanträgen zuständig, die nach § 71 Abs. 1 AsylVfG nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führen (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.09.1999, NVwZ 2000, 204; Beschluss vom 23.11.1999, NVwZ 2000, 941 und Urteil vom 21.03.2000, NVwZ 2000, 940). Schließlich ist das Verwaltungsgericht im Hinblick auf § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG auch befugt und verpflichtet, in der Sache durch zu entscheiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.02.1998, NVwZ 1998, 861).
16 
Bei der Klägerin liegt ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vor. Das dem Bundesamt eingeräumte Ermessen auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf die Feststellung dieses Abschiebungsverbots ist deshalb auf Null reduziert (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 04.01.2000, NVwZ-RR 2000, 261). Selbst wenn eine Ermessensreduzierung auf Null eine extreme individuelle Gefahr voraussetzen sollte (vgl. BVerwG, Urt. vom 20.10.2004, BVerwGE 122, 103), ist die Beklagte vorliegend zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vorliegt, da sich die Klägerin krankheitsbedingt bei einer Rückkehr in die Türkei in einer extremen individuellen Gefahrensituation befinden würde.
17 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Bestimmung fragt nicht danach, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird; die Regelung stellt vielmehr lediglich auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995, NVwZ 1996, 199). Eine Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt jedoch nicht in Betracht, wenn die geltend gemachten Gefahren nicht landesweit drohen und der Ausländer sich ihnen durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995 aaO.). Ein Ausländer kann schon dann auf einen alternativen Landesteil verwiesen werden, wenn ihm dort konkrete Gefahren i. S. d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen; sonstige Mindestanforderungen an die Qualität und Verfolgungssicherheit des Aufenthalts in der Ausweichregion bestehen nicht (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. vom 22.07.1998 - A 6 S 3421/96 - juris -). Die Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit muss mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehen. Die besondere Schwere eines drohenden Eingriffs ist im Rahmen der gebotenen qualifizierenden Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung, Abwägung und zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts vermittels des Kriteriums, ob die Wahrscheinlichkeit der Rechtsgutverletzung beachtlich ist, zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995 aaO. und Urt. vom 05.07.1994, InfAuslR 1995, 24). Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn die für den Eintritt der Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 18.07.2001, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 46).
18 
Auch die drohende Verschlimmerung einer Krankheit wegen ihrer nur unzureichenden medizinischen Behandlung im Zielstaat der Abschiebung kann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.11.1997, BVerwGE 105, 383 = NVwZ 1998, 524; Urt. vom 27.04.1998, NVwZ 1998, 973 und Urt. vom 21.09.1999, NVwZ 2000, 206). Von einer Verschlimmerung ist auszugehen, wenn eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands droht; konkret ist diese Gefahr, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat eintreten würde (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.11.1997 aaO und Urt. vom 29.07.1999 - 9 C 2/99 - Juris -). Ob die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt oder mitbedingt ist, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Urt. vom 29.07.1999 aaO). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation im Zielstaat zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2002, NVwZ-Beilage I 2003, 53 = DVBl 2003, 463 und Beschluss vom 29.04.2003, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 60; VGH Kassel, Urteil vom 24.06.2003, AuAS 2004, 20). Die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland ist in die gerichtliche Prognose, ob bei Rückkehr eine Gefahr für Leib oder Leben besteht, mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 01.10.2001, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 51).
19 
Nach diesen Kriterien steht der Klägerin ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei zu. Die Klägerin leidet ausweislich der von ihr vorgelegten Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 an einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F 43.1) und (so die Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen) an einer schweren Depression ohne psychotische Symptome (ICD-10: F 32.2).
20 
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) handelt es sich um ein komplexes psychisches Krankheitsbild. Die posttraumatische Belastungsstörung entsteht als eine verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde und mit starker Furcht und Hilflosigkeit einhergeht. Typische Merkmale der PTBS sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (sog. Intrusionen), die so weit gehen können, dass der Körper das schlimme Ereignis noch einmal wie in der Ursprungssituation nacherlebt (flashbacks). Weitere Merkmale sind das andauernde Gefühl von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit, Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber und Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Hinzu tritt gewöhnlich ein Zustand vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung und eine übermäßige Schreckhaftigkeit und Schlaflosigkeit. Angst und Depressionen sind häufig mit den vorstehend genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert, und Suizidgedanken sind nicht selten. Die PTBS kann zu einer Beeinträchtigung des Erinnerungs- und Wiedergabevermögens und zu Konzentrationsschwierigkeiten führen, zu Schweigsamkeit aus Scham, Angst vor Erinnerung, Apathie (vgl. zum Vorstehenden Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Auflage, Seite 750 ff.; Loesel/Bender, Asylpraxis Band 7 S. 175 ff.; Koch, Asylpraxis Band 9 S. 61 ff.; Haenel, Asylpraxis Band 9, S. 111 ff., Marx, InfAuslR 2000, 357 ff; Treiber, ZAR 2002, 282 ff.; Middeke, DVBl. 2004, 150 ff.). Die posttraumatische Belastungsstörung ist in der Auflistung aller Krankheiten durch die Weltgesundheitsorganisation unter F 43.1 der ICD 10 enthalten (vgl. Dilling u.a., Internationale Klassifikation psychischer Störungen, 3. Auflage, S. 121).
21 
In der internationalen Klassifikation sind Traumata definiert als kurz oder lang anhaltende Ereignisse oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem Betroffenen tiefgreifende Verzweiflung auslösen werden (vgl. Koch in: Asylpraxis, Band 9, Seite 61, 69ff). Man unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen traumatischen Ereignissen in Folge von Unfällen oder Katastrophen und willentlich durch Menschen verursachten Traumata (z. B. Folter, Misshandlung, Vergewaltigung und Kriegserlebnisse). Da es sich bei der PTBS um ein innerpsychisches Erlebnis handelt, das sich einer Erhebung äußerlich objektiver Befundtatsachen weitgehend entzieht, kommt es in besonderem Maße auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebnisses und der zugrunde liegende faktischen äußeren Erlebnistatsachen an, was wiederum angesichts der Komplexität und Schwierigkeit des Krankheitsbildes eine eingehende Befassung des Arztes mit dem Patienten erfordert. Regelmäßig sind tragfähige Aussagen zur Traumatisierung erst nach mehreren Sitzungen über eine längere Zeit möglich. Auch bedarf es unter anderem einer gründlichen Anamnese sowie einer schlüssigen und nachvollziehbaren Herleitung des im Übrigen genau zu definierenden Krankheitsbildes (vgl. Treiber a.a.O.; Loesel/Bender a.a.O.). Es gibt keine PTBS ohne Trauma und auch beim Vorliegen aller Symptome einer PTBS kann eine solche nur diagnostiziert werden, wenn auch ein entsprechendes Trauma vorhanden war. Aus den Symptomen kann nicht rückgeschlossen werden, dass ein Trauma stattgefunden hat (vgl. Venzlaff/Foerster a.a.O. S. 752; Steller in Sonderheft für Gerhard Schäfer, NJW-Beilage 2002, S. 69, 71; Ebert/Kindt, VBlBW 2004, 41 f.; a.A. Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321).
22 
Nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. K (Michael-Balint-Klinik) und Dr. N (Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen) erbrachten ihre eigenen Untersuchungen der Klägerin die sichere Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die für diese Krankheit nach ICD-10: F 43.1 erforderlichen diagnostischen Kriterien seien erfüllt. An der Richtigkeit dieser Ausführungen hegt das Gericht keine Zweifel. Die Feststellungen in dem Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und im Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 sind eindeutig, in sich widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Die Gutachter haben andere differentialdiagnostische Erwägungen angestellt, diese jedoch verworfen. Aus beiden Gutachten geht eindeutig hervor, auf welcher Grundlage die Sachverständigen ihre Diagnose gestellt haben und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Die Gutachten geben auch Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf. Für diese psychotraumatologischen Fachfragen gibt es keine eigene Sachkunde der Behörde oder des Gerichts (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.05.2006, NVwZ 2007, 345 und Urt. v. 11.09.2007 - 10 C 8/07 - juris -). Soweit das Bundesamt das Vorliegen der fachärztlich diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung verneint, weil es das Vorhandensein eines traumatisierenden Ereignisses als nicht hinreichend belegt ansieht, fehlt ihm für diese Aussage ohne Einholung eines eigenen medizinischen Sachverständigengutachtens die notwendige Sachkunde.
23 
Das Bundesamt ist erkennbar auch der Auffassung, bei den medizinischen Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 fehle die inhaltliche Analyse der erhobenen Aussagen der Klägerin in Bezug auf das Vorliegen und den Ausprägungsgrad von Glaubhaftigkeitsmerkmalen (Konstanz- und Motivationsanalyse, Fehlerquellen- und Kompetenzanalyse). Dieses Vorbringen deutet darauf hin, dass das Bundesamt den Unterschied zwischen aussagepsychologischen und klinischen Gutachten nicht kennt. Aussagepsychologische Gutachten äußern sich zu Aussagen über ein Geschehen. Die aussagepsychologische Begutachtung wurde entwickelt, um mit Hilfe der Inhaltsanalyse einer Aussage und unter Berücksichtigung der Entstehungsgenese, der Kompetenz und der Motivation des Untersuchten sowie mit Hilfe des Vergleichs verschiedener Aussagen einer Person zu unterschiedlichen Zeiten (Konstanzanalyse) die Frage zu klären, inwieweit die Schilderungen glaubhaft und zuverlässig sind. Klinische Gutachten äußern sich hingegen zu der Frage, ob jemand gesund oder krank ist und dazu, welche Erkrankungen gegebenenfalls vorliegen. Forensische aussagepsychologische Gutachten liegen aber außerhalb des Kompetenzbereichs eines Facharztes oder Psychotherapeuten. Klinische Gutachten oder Stellungnahmen zu Fragen nach bestehenden psychischen Traumafolgen analysieren Aussagen nicht anhand der Kriterien der Aussagepsychologie. Diese Kriterien (Konstanzanalyse, Aussageentstehung und Aussageentwicklung oder Motivationsanalyse) gehören deshalb nicht in den Rahmen eines klinischen Gutachtens. Klinische Gutachten können allenfalls wesentliche Anhaltspunkte enthalten, die für oder gegen den Erlebnisbezug von Aussagen zur traumatischen Vorgeschichte sprechen (vgl. zum Ganzen Venzlaff/Foerster a.a.O. S. 752; Gierlichs u.a., ZAR 2005, 158 ff; Wenk-Ansohn u.a., Anforderungen an Gutachten, Einzelentscheiderbrief 8 und 9/2002, 3; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 322). Unabhängig hiervon haben sich die Gutachter Dr. K und Dr. N mit der Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Klägerin nachhaltig beschäftigt. Eine Simulation und Aggravation wurde von beiden Gutachtern überzeugend ausgeschlossen.
24 
Da nach dem Vorgenannten weder mit psychiatrisch-psychotherapeutischen Mitteln noch mit Hilfe der Psychopathologie sicher erschlossen werden kann, ob tatsächlich ein traumatisches Ereignis stattgefunden hat und wie dieses geartet war, muss das behauptete traumatisierende Ereignis zur Überzeugung des Gerichts stattgefunden haben (ebenso VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.10.2006, VBlBW 2007, 116; vgl. aber auch BVerwG, Beschl. v. 18.07.2001, DVBl 2002, 53: Glaubhaftigkeitsprüfung unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen bei Traumatisierung). Dies ist vorliegend der Fall. Aufgrund der Einvernahme der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und aufgrund der ausführlich wiedergegebenen Anamnesen in den Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 ist das Gericht der Überzeugung, dass die Klägerin tatsächlich im März 2002 von einem Angehörigen türkischer Sicherheitskräfte vergewaltigt wurde. Sie hat dieses Ereignis mit hinreichenden Realkennzeichen bei der Anamneseerhebung durch die Michael-Balint-Klinik geschildert. Außerdem hatte sie bereits im Erstasylverfahren vorgetragen, seit März 2002 Probleme in der Türkei gehabt zu haben; dieses Datum korrespondiert mit den Angaben der Klägerin im Asylfolgeverfahren, wonach sie im März 2002 die Vergewaltigung durch einen türkischen Polizisten erlitten habe. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Klägerin die Vergewaltigung erst nach dem Erstasylverfahren benannt hat. Aus der psychotraumatologischen Forschung ist bekannt, dass traumatische Erinnerungen eher fragmentarischen Charakter haben und dass gerade bei traumatisierten Personen charakteristische Gedächtnisstörungen krankheitsbedingt die Regel sind. Hinzu kommt, dass traumatisierte Menschen oft jene Ereignisse verschweigen, die als besonders schmerzhaft erlebt wurden oder die stark schambesetzt sind. Dieses Vermeidungsverhalten ist Teil des Krankheitsbildes und nur bedingt willentlich beeinflussbar (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Auflage, Seite 752; Hinckeldey/Fischer, Psychotraumatologie der Gedächtnisleistung; Birck, Traumatisierte Flüchtlinge sowie in ZAR 2002, 28 ff.; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 322; Mehari, Koch, Bittenbinder, Wirtgen, Haenel, Hüther in: Asylpraxis, Band 9 Seite 17 ff.; ebenso OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -). Bei traumatisierten Personen können somit die bei der Glaubhaftigkeitsprüfung relevanten Kriterien wie Detailreichtum, Farbigkeit der Darstellung, logische Kohärenz, Homogenität, innere Widerspruchsfreiheit und Konstanz der Aussage nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden (vgl. Treiber, ZAR 2002, 282; Middeke, DVBl. 2004, 150, 151; Marx, InfAuslR 2003, 21, 23; Koch in: Asylpraxis Band 9, Seite 61ff, 88). Deshalb wird im Hinblick auf die Schilderung des Traumageschehens bei einem traumatisierten Asylbewerber ein qualifizierter Beweisnotstand angenommen, der zu einer Herabsetzung der Anforderungen an die Schlüssigkeit des tatsächlichen Vorbringens und damit auch an den Nachweis eines Verfolgungsgeschehens führt (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 10.05.2002 - 10 A 11457/01 -; OVG Münster, Beschl. v. 07.01.1998, AuAS 1998, 105; OVG Weimar, Urt. v. 25.09.2003, NVwZ-RR 2004, 455 und Urt. v. 18.03.2005, Asylmagazin 7-8/2005, 34; OVG Greifswald, Urt. v. 13.04.2000, AuAS 2000, 221).
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Wegen der Eigentümlichkeit, dass die Traumatisierten oft erst im Rahmen einer bereits greifenden therapeutischen Bemühung in der Lage sind, über das Geschehene Auskunft zu geben, kann in der äußerlichen Widersprüchlichkeit von Angaben kein ausschlaggebendes Moment ausgemacht werden, das der Annahme des der Feststellung der posttraumatischen Belastungsstörung zugrunde liegenden Traumas entgegensteht (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33). Der Glaubhaftigkeit der von der Klägerin im Asylfolgeverfahren dargelegten erlittenen Vergewaltigung im März 2002 steht deshalb nicht entgegen, dass sie sich weder bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt am 14.01.2003 noch bei den Begutachtungen durch das Klinikum Weissenhof und durch die psychologische Beratungsstelle Stuttgart in der Lage gesehen hat, die in der Türkei erlebte Erniedrigung zu berichten. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin glaubhaft dargelegt, dass sie aus Angst, ihr vor der Tür wartender Ehemann könne ihre Angaben mithören, keine Aussagen im Klinikum Weissenhof und in der psychologischen Beratungsstelle Stuttgart zu der erlittenen Vergewaltigung gemacht hat. Auch in der mündlichen Verhandlung war die tief sitzende Furcht der Klägerin mit Händen greifbar, ihre Angaben im Sitzungssaal könnten von dem im Wartebereich aufhältigen Ehemann mitgehört werden. Bei der Anamneseerhebung durch Dr. N in der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen hinderte ein intrusives, flashback-artiges Wiedererleben der Vergewaltigung die Klägerin daran, über das konkrete Vergewaltigungsgeschehen zu sprechen; die Klägerin war über mehr als 15 Minuten nicht zu beruhigen und verbal nicht mehr zu erreichen. Eine notfallmäßige Klinikaufnahme zur Krisenintervention wurde vom Gutachter in Erwägung gezogen. Auch der persönliche Eindruck, den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, hat bestätigt, dass sie nur unter Aufbietung aller ihrer Kräfte und unter Tränen und Weinanfällen zu Andeutungen über den erlittenen sexuellen Missbrauch in der Lage ist.
26 
Im Übrigen müsste auch dem Bundesamt bekannt sein, dass das Selbstbild der von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen aus der Türkei (gleiches gilt aber auch für Frauen aus dem Irak, aus Bosnien und aus dem Kosovo) geprägt ist vom Gedanken des Entehrtseins und deren Gefühlswelt von Scham, Wertlosigkeit, Selbstverurteilung und Schuld erfüllt ist. Um in der sozialen Gemeinschaft weiter existieren zu können und aus Angst davor, vom Ehemann verstoßen zu werden, entschließen sich die meisten dieser Frauen, über die erlebten sexuellen Übergriffe durch Sicherheitskräfte nicht zu sprechen. Angaben über sexualisierte Gewalt stellen vor dem Hintergrund islamisch geprägter Traditionen nicht nur für die betroffene Frau, sondern auch für deren Ehemann und die gesamte Familie eine neuerliche Entehrung dar. Deshalb kommen Aussagen zu sexualisierten Gewalterfahrungen bei muslimischen Frauen erst unter größtem Druck, wenn beispielsweise die Abschiebung unmittelbar droht, zustande (vgl. zum Ganzen Haenel/Wenk-Ansohn, Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren, S. 160 ff.; Birck, ZAR 2002, 28, 31; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 323).
27 
Gegen die Richtigkeit der in den Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 gestellten Diagnose posttraumatische Belastungsstörung spricht auch nicht das späte Auftreten der von der Klägerin geschilderten Krankheitssymptome. Entgegen der vom Bundesamt häufig vertretenen Auffassung tritt die posttraumatische Belastungsstörung nicht regelmäßig innerhalb von sechs Monaten nach dem traumatischen Ereignis auf. Diese Zeitspanne wird in der ICD-10 für F 43.1 nur als häufigste Latenz angegeben. In der (ausführlicheren) DSM-IV wird ausdrücklich auf eine PTBS mit verzögertem Beginn hingewiesen. Nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen können traumabedingte Störungen einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen auch mit jahrelanger bis zum Teil jahrzehntelanger Latenz auftreten (vgl. Gierlichs, Asylmagazin 7-8/2003, 53 sowie in ANA-ZAR 5/2007, 33 m.w.N.). In der ergänzenden Stellungnahme an das Gericht vom 11.01.2008 hat auch Dr. N, der anerkanntermaßen ein ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet der Psychotraumatologie ist, dargelegt, dass der Ausbruch der Symptome der PTBS von vielfältigen Umgebungsfaktoren abhängen kann, die beispielsweise eine Kompensation ermöglichen oder Verdrängung/Verleugnung des Traumas erforderlich machen können.
28 
Nach dem Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 ist bei einer erzwungenen Rückkehr der Klägerin in die Türkei aufgrund der Retraumatisierung mit Dekompensation mit massivster Verschlechterung der psychischen Erkrankung mit akuter Lebensgefährdung zu rechnen. Den ärztlichen Feststellungen zufolge leidet die Klägerin an Einschlaf- und Durchschlafstörungen, unter Gedankenkreisen und Grübeln und unter einem kompletten Libidoverlust; weiter traten bei den Explorationen Hitzewallungen, Kopfschmerzen, Schwindel und brennende Hände „wie Feuer“ auf. Schließlich wird in den Gutachten über massive Lebensunlust, Todessehnsucht und über vier Suizidversuche berichtet. Diese ärztlichen Feststellungen sind klar, eindeutig und überzeugend. Im Übrigen handelt es sich bei der Einschätzung des Krankheitsverlaufs und der gesundheitlichen Folgen wiederum um medizinische Fachfragen, für die es keine eigene Sachkunde der Behörde oder des Gerichts gibt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.05.2006, NVwZ 2007, 345).
29 
Unter dem Begriff der „Retraumatisierung“ wird die durch äußere Ursachen oder Bedingungen, die dem zugrundeliegenden traumatischen Erlebnis gleichen, ähneln oder auch nur Anklänge daran haben, ausgelöste Reaktualisierung der inneren Bilder des traumatischen Erlebens in der Vorstellung und den körperlichen Reaktionen des Betroffenen verstanden, die mit der vollen oder gesteigerten Entfaltung des Symptombildes der ursprünglichen traumatischen Reaktion auf der körperlichen, psychischen und sozialen Ebene einhergeht (vgl. Marx, InfAuslR 2000, 357, 360 m.w.N.). Die Folge davon kann eine akute Dekompensation wie z. B. schwere depressive Reaktion, psychotische Dekompensation, suizidale Handlung und anderes sein und zu einer dauerhaften Verschlimmerung oder Chronifizierung des posttraumatischen Krankheitsprozesses führen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -).
30 
Bereits diese konkrete Gefahr der Retraumatisierung begründet ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (ebenso VGH München, Urt. v. 20.10.1999 - 23 B 98.30524; VGH Kassel, Urt. v. 26.02.2007 - 4 UE 1125/05.A - juris -; OVG Koblenz, Urt. v. 09.02.2007 - 10 A 10952/06.OVG - ; OVG Schleswig, Beschl. v. 28.09.2006 - 4 LB/06 -; OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris - und Urt. v. 12.09.2007 - 8 LB 210/05 - juris -). Die Gefahr der Retraumatisierung lässt sich nicht auf den eigentlichen Ort eingrenzen, an dem die Verletzungshandlung erfolgte, denn auch andere Orte und Personen im Heimatland, die dem zugrundeliegenden traumatischen Erlebnis gleichen, ähneln oder auch nur Anklänge daran haben, führen zu einer Reaktualisierung der inneren Bilder des traumatischen Erlebens in der Vorstellung und den körperlichen Reaktionen des Betroffenen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.02.2005 - 11 LB 121/04 und Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/ 05 - juris -), so dass im Falle der Klägerin die Gefahr der Retraumatisierung konkret und landesweit gegeben ist.
31 
Diese konkrete und landesweite Gefahr im Falle einer Abschiebung in die Türkei ist durch eine mögliche medikamentöse Behandlung im Zielstaat der Abschiebung nicht zu verhindern (vgl. Gierlichs/Wenk-Ansohn, ZAR 2005, 405, 408; Gierlichs u.a., ZAR 2005, 158, 163). Der erheblichen Gesundheits- und Lebensgefahr für die Klägerin kann auch nicht dadurch wirksam begegnet werden, dass sie sich unverzüglich nach der Rückkehr in ihr Heimatland in psychologische oder psychiatrische Behandlung begibt. Denn Menschen mit traumatogenen Störungen können in einer Umgebung, die Intrusionen stimuliert und kein Vermeidungsverhalten erlaubt, nicht behandelt werden (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl., S. 753). Nach fachwissenschaftlichen Erkenntnissen ist eine erfolgreiche Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen nur in einer sicheren Umgebung und bei Schutz vor weiterer Traumaeinwirkung möglich (vgl. Stellungnahme der wissenschaftlichen Fachgesellschaften, veröffentlicht in: http://www.aerzteblatt.de/v4/plus/down.asp ? typ=PDF&id=1166 ; Koch in: Asylpraxis Band 9 S. 61, 78; Gierlichs/Wenk-Ansohn, ZAR 2005, 405, 408; Gierlichs, ZAR 2006, 277, 279; Bittenbinder in: Asylpraxis Band 9, S. 35, 54 ff.; Graessner u.a., Die Spuren von Folter, S. 77 ff.; ebenso OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33; OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -).
32 
Unabhängig hiervon wird die Klägerin vor dem Hintergrund der bei ihr bestehenden schweren Erkrankung und der schon heute gezeigten extremen Destabilisierung nicht in der Lage sein, in der Türkei im Anschluss an ihre Abschiebung und die damit für sie zwangsläufig verbundene Verschlimmerung ihres Gesundheitszustandes die für sie alsdann noch umso dringlicher gebotene medizinische Hilfe zu erfahren, zumal die hier vorliegende Traumatisierung durch Vergewaltigung einen Fall mit einer besonders ungünstigen Prognose, nämlich den Fall des sog. „man made disaster“ (vgl. Koch in: Asylpraxis Band 9 Seite 71) darstellt. Denn unabhängig von der Frage, ob posttraumatische Belastungsstörungen in der Türkei behandelbar sind und ob die Klägerin eine solche Behandlung unter finanziellen Gesichtspunkten erreichen könnte, gilt im vorliegenden Fall, dass die Klägerin nach ihrer Rückkehr aufgrund ihres Rückzugsverhaltens, ihrer Depressivität und ihrer Ängste nicht in der Lage sein wird, eine solche Behandlung aus eigener Kraft oder durch entsprechende Einwirkungen durch Verwandte mittels deren Hilfestellung anzutreten. Für die Klägerin besteht somit bei einer Rückkehr in die Türkei ungeachtet der vom Bundesamt behaupteten Behandlungsmöglichkeiten die ganz konkrete Gefahr eines psychischen Zusammenbruchs, wenn nicht gar des Suizids, und damit eine extreme individuelle Gefahrensituation.
33 
Steht danach zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Krankheitszustand der Klägerin im Falle einer Abschiebung in ihr Herkunftsland alsbald nach ihrer Rückkehr wesentlich bzw. angesichts ihrer erheblichen Suizidalität sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde, so steht ihr ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei zu. Die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird nicht durch § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG gesperrt. Angesichts des vielfältigen Symptombildes der posttraumatischen Belastungsstörung kann nicht angenommen werden, dass diesbezüglich ein Bedürfnis nach einer ausländerpolitischen Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG besteht (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 18.07.2006 - 1 C 16/05 - Juris -). Im Übrigen ist inzwischen allgemein anerkannt, dass die an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankten Personen, deren Erkrankung auf willentlich durch Menschen verursachte Traumata beruht, nicht Teil einer Bevölkerungsgruppe sind (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 16.02.2004, Asylmagazin 6/2004, 30; OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33 und Urt. v. 09.02.2007 - 10 A 10952/06.OVG- ; VGH Kassel, Beschl. v. 09.01.2006 - 7 ZU 1831/05.A -).
34 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, § 83 b AsylVfG.

Gründe

1

I. Die gemäß § 146 Abs. 4 VwGO zulässige Beschwerde der Antragsteller hat Erfolg.

2

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, dass ihre Ausreise aufgrund inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse infolge einer Erkrankung des Antragstellers zu 1 unmöglich sei. Es sei nicht davon auszugehen, dass bei diesem eine Reiseunfähigkeit vorliege. Die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen seien unzureichend. Die Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie D. enthalte weder eine Anamnese noch eine nachvollziehbare Diagnose. Die Bescheinigungen der Psychologinnen S. und K. seien zwar ausführlicher, beruhten aber nur auf den Angaben des Antragstellers zu 1, so dass die Schlussfolgerung, eine vorgetäuschte Diagnose könne ausgeschlossen werden, nicht überzeuge. Auch werde nicht darauf eingegangen, ob die vom Antragsteller zu 1 geschilderten Symptome in Zusammenhang mit der Einnahme von Medikamenten oder Halluzinogenen stünden. Auffällig sei, dass die vom Antragsteller zu 1 geäußerten Kriegserlebnisse im Rahmen der Anhörungen vor dem Bundesamt nicht geschildert worden seien. Zudem falle auf, dass sich der Antragsteller zu 1 erst nach Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen in psychiatrische Behandlung begeben habe, obwohl er sich bereits seit 2010 in Deutschland aufhalte. Die Bescheinigungen zögen auch keinerlei Alternativursachen in Betracht, obwohl dies angesichts der geschilderten Ängste des Antragstellers zu 1 naheliegend sei. Als Alternativursache komme ein schweres Entwurzelungssyndrom in Betracht. Dies werde weder erwähnt noch im Rahmen einer Differentialdiagnose diskutiert. Die psychologischen Stellungnahmen seien ersichtlich darauf angelegt, dem Antragsteller zu 1 zum beantragten Abschiebungsschutz zu verhelfen. Die äußerst kurzen Stellungnahmen der Amtsärztinnen S. und M. enthielten keinerlei medizinische Substanz. Es werde nicht einmal erläutert, um was für eine psychische Erkrankung es sich handeln soll, die beim Antragsteller zu 1 bestehe. Es sei auch nicht ersichtlich, dass dieser aufgrund einer akuten und schwerwiegenden Erkrankung an posttraumatischer Belastungsstörung dringend auf ärztliche Behandlung gerade in Deutschland angewiesen sei. Ziehe man in Betracht, dass bei einer Rückkehr des Antragstellers zu 1 in seine Heimat sowohl die Sprachbarriere, die einer aussichtsreichen Heilung psychischer Probleme in Deutschland entgegenstehe, als auch die soziale Isolation entfielen, sei von zusätzlichen Erschwernissen durch die Verneinung von Abschiebungshindernissen nicht auszugehen. Aufgrund der aufgezeigten Mängel sei auch nicht davon auszugehen, dass eine akute Suizidalität mit Eigen- und Fremdgefährdung bei einer Abschiebung des Antragstellers zu 1 bestehe. Möglichen Gefährdungen sei durch geeignete Vorkehrungen und Modalitäten bei der Abschiebung zu begegnen. Der Antragsgegner habe für sichere Abschiebemodalitäten und eine Begleitung durch Fachpersonal (Arzt/Sanitäter) Sorge zu tragen. Ebenso sei nach Eintreffen des Rücktransports in der Heimat des Antragstellers zu 1 durch vorherige Kontaktaufnahme mit den Heimatbehörden dessen nahtlose ärztliche und psychologische Begleitung und Versorgung sicherzustellen und eine Zurverfügungstellung von Medikamenten zu veranlassen. Dadurch werde der dem Antragsteller zu 1 bescheinigten Suizidgefahr im Rahmen der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen mit angemessenen Mitteln begegnet. Hinzu komme, dass eine Rückführung in die Heimat gerade zu einer Besserung der Gesamtsymptomatik führen könne: Die auch für seelisch Gesunde – zumal nach langjährigen Auslandsaufenthalt – bestehende starke Belastung einer drohenden Abschiebung entfalle nach dem Vollzug, was dafür spreche, dieses schwierige Phase nicht hinauszuzögern, sondern abzukürzen.

3

Dieser Würdigung durch das Verwaltungsgericht tritt die Beschwerde mit Erfolg entgegen.

4

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sogenannte Sicherungsanordnung). Anordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Für den Anordnungsanspruch einer Sicherungsanordnung genügt dabei die Glaubhaftmachung von Tatsachen, aus denen sich zumindest ergibt, dass der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen ist; ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht, wenn eine vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten materiellen Anspruchs zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dringlich ist (Beschl. d. Senats v. 20.06.2011 – 2 M 38/11 –, Juris RdNr. 8 m.w.N.).

5

Diese Voraussetzungen für den Erlass der von den Antragstellern begehrten einstweiligen Anordnung sind erfüllt. Es besteht die Gefahr, dass die vom Antragsgegner in Aussicht genommene Abschiebung der Antragsteller ohne eine vorherige gutachtliche Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen die Verwirklichung eines ihnen in der Hauptsache möglicherweise zustehenden Anspruchs auf weitere Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vereitelt.

6

1. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist offen, ob durch die Abschiebung eine wesentliche Verschlechterung der beim Antragsteller zu 1 nach den vorliegenden ärztlichen bzw. psychologischen Stellungnahmen vorhandenen psychischen Erkrankung eintreten und sich dadurch die auf dieser Krankheit beruhende (latente) Selbstmordgefahr in einer Weise erhöhen wird, dass eine Abschiebung nicht verantwortet werden kann.

7

Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 20.06.2011 – 2 M 38/11 – a.a.O. RdNr. 5) kann auch eine bestehende psychische Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG in zwei Fallgruppen begründen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange der Ausländer wegen Erkrankung transportunfähig ist, d. h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens" wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet; dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Es geht also nicht nur darum, während des eigentlichen Abschiebevorgangs selbstschädigende Handlungen eines aufgrund einer psychischen Erkrankung suizidgefährdeten Ausländers zu verhindern; eine Abschiebung hat vielmehr auch dann zu unterbleiben, wenn sich durch den Abschiebevorgang die psychische Erkrankung (wieder) verschlimmert, eine latent bestehende Suizidalität akut wird und deshalb die Gefahr besteht, dass der Ausländer unmittelbar vor oder nach der Abschiebung sich selbst tötet. Von einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis ist auch dann auszugehen, wenn sich die Erkrankung des Ausländers gerade aufgrund der zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland wesentlich verschlechtert, und nicht nur, wenn ein Suizid während der Abschiebung droht (BayVGH, Beschl. v. 23.10.2007 – 24 CE 07.484 –, Juris RdNr. 21). Die Frage, ob Maßnahmen bei der Gestaltung der Abschiebung – wie ärztliche Hilfe und Flugbegleitung – ausreichen, um der auf einer psychischen Erkrankung beruhenden ernsthaften Suizidgefahr wirksam zu begegnen, lässt sich erst aufgrund einer möglichst fundierten und genauen Erfassung des Krankheitsbildes und der sich daraus ergebenden Gefahren beantworten; eine abstrakte oder pauschale Zusicherung von Vorkehrungen wird dem gebotenen Schutz aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht gerecht (OVG NW, Beschl. v. 09.05.2007 – 19 B 352/07 –, Juris RdNr. 7).

8

Macht ein Ausländer eine solche Reiseunfähigkeit geltend oder ergeben sich sonst konkrete Hinweise darauf, ist die für die Aussetzung der Abschiebung zuständige Ausländerbehörde verpflichtet, den aufgeworfenen Tatsachenfragen, zu deren Beantwortung im Regelfall medizinische Sachkunde erforderlich ist, im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA nachzugehen, wobei der Ausländer zur Mitwirkung verpflichtet ist (§ 82 AufenthG). Kann die Reiseunfähigkeit trotz Vorliegens ärztlicher oder psychologischer Fachberichte nicht als erwiesen angesehen werden, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass für die Ausländerbehörde kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht. Sie bleibt nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA verpflichtet, den Sachverhalt selbst weiter aufzuklären, wenn und soweit sich aus den ärztlichen oder psychologischen Äußerungen, dem Vortrag des Ausländers oder aus sonstigen Erkenntnisquellen ausreichende Indizien für eine Reiseunfähigkeit ergeben. Ist das der Fall, wird regelmäßig eine amtsärztliche Untersuchung oder die Einholung einer ergänzenden (fach-)ärztlichen Stellungnahme oder eines (fach-)ärztlichen Gutachtens angezeigt sein, da der Ausländerbehörde und auch den Verwaltungsgerichten die erforderliche medizinische Sachkunde zur Beurteilung einer mit der Abschiebung einhergehenden Gesundheitsgefahr und auch der Frage fehlen dürfte, mit welchen Vorkehrungen diese Gefahr ausgeschlossen oder gemindert werden könnte (vgl. VGH BW, Beschl. v. 06.02.2008 – 11 S 2439/07 –, Juris RdNr. 9).

9

Im Fall des Antragstellers zu 1 ist ein solcher weiterer Aufklärungsbedarf gegeben. Die vorliegenden ärztlichen und psychologischen Stellungnahmen gehen zwar davon aus, dass der Antragsteller zu 1 an einer psychischen Erkrankung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSB) leidet und im Falle einer Abschiebung eine erhöhte Suizidgefahr besteht. Ob dies zutrifft, ist jedoch auch im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht erhobenen Einwände zweifelhaft. Die Problematik muss daher erst in einem ergänzenden fachärztlichen Gutachten abschließend geklärt werden.

10

Die Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie D. von der (…)-Praxis GmbH vom 12.03.2014 (GA Bl. 30) diagnostiziert bei dem Antragsteller zu 1 zwar eine posttraumatische Belastungsstörung, lässt aber nicht erkennen, auf Grund welcher Befundtatsachen die angesprochene Diagnose gestellt wurde, und legt auch nicht dar, welche Folgen sich aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Damit erfüllt sie die Anforderungen nicht, die nach der Rechtsprechung des Senats an die Glaubhaftmachung einer Krankheit als rechtliches Abschiebungshindernis zu stellen sind (vgl. Beschl. v. 08.02.2012 – 2 M 29/12 –, Juris RdNr. 11).

11

Die psychologischen Stellungnahmen der Psychologin S. vom 20.03.2013 (GA Bl. 35 – 36) sowie der Psychologin K. und des Systemischen Therapeuten D. vom Psychosozialen Zentrum für Migrantinnen und Migranten in Sachsen-Anhalt vom 21.05.2014 (GA Bl. 89 – 93) diagnostizieren bei dem Antragsteller zu 1 eine posttraumatische Belastungsstörung in Komorbidität mit einer mittelschweren Depression. Eine vorgetäuschte Diagnose schließen sie aus. Eine Abschiebungsankündigung bzw. eine Rückkehr in den Kosovo werde mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar psychische Dekompensation(en) und suizidale Verhaltensweisen zur Folge haben. Auch ein erweiterter Suizid erscheine möglich. Aus psychologisch-therapeutischer Sicht wäre eine Abschiebungsandrohung bzw. eine Rückkehr mit einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zur Stimulation einer Selbstgefährdung des Antragstellers zu 1 verbunden. In der Stellungnahme vom 21.05.2014 wird darüber hinaus ausführlich dargestellt, auf welcher Grundlage die Diagnose gestellt wurde. Mit dem Antragsteller zu 1 seien seit dem 01.02.2013 insgesamt zehn Gespräche zur Diagnostik, Stabilisierung und unmittelbaren Krisenintervention geführt worden. Befund und Spontanangaben werden ausführlich wiedergegeben. Auf dieser Grundlage wird sowohl die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung in Komorbidität mit einer mittelschweren Depression gestellt als auch die Behandlungsbedürftigkeit beurteilt. Diese Stellungnahmen enthalten zwar ernst zu nehmende Hinweise auf eine mögliche Suizidgefahr bei einer Abschiebung des Antragstellers zu 1 in den Kosovo. Sie sind jedoch auch gewichtigen Einwänden ausgesetzt. Zunächst enthält insbesondere die zuletzt vorgelegte psychologische Stellungnahme vom 21.05.2014 keinen überzeugenden Nachweis eines Traumas. Voraussetzung für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung ist jedoch der Nachweis eines traumatischen Ereignisses (vgl. Ebert/Kindt, Die posttraumatische Belastungsstörung im Rahmen von Asylverfahren, VBlBW 2004, 41 <42>; Gierlichs u.a., Grenzen und Möglichkeiten klinischer Gutachten im Ausländerrecht, ZAR 2005, 158 <161>). Da die einschlägigen fachärztlichen bzw. psychologischen Gutachten wesentlich auf den Angaben des Betroffenen beruhen, bedarf es insoweit der Prüfung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Betroffenen (VGH BW, Beschl. v. 02.05.2000 – 11 S 1963/99 –, Juris RdNr. 7; SächsOVG, Beschl. v. 21.01.2014 – 3 B 476/13 –, Juris RdNr. 5; Middeke, Posttraumatisierte Flüchtlinge im Asyl- und Abschiebungsprozess, DVBl. 2005, 150 <151>). Von Bedeutung für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit ist dabei der Umstand, dass bestimmte Ereignisse, die im Rahmen der klinischen Begutachtung als traumatisierend dargestellt werden, bei der vorherigen Anhörung vor dem Bundesamt nicht angegeben wurden. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt, die schon längere Zeit zurückliegen, ist eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (SächsOVG, Beschl. v. 21.01.2014 – 3 B 476/13 – a.a.O. RdNr. 5 unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 11.09.2007 – BVerwG 10 C 8.07 –, Juris RdNr. 15). Nach diesen Grundsätzen ist die Stellungnahme vom 21.05.2014 dem fachlichen Einwand ausgesetzt, dass nicht klar wird, worin das die posttraumatische Belastungsstörung auslösende Trauma liegen soll. Im Rahmen der Biographischen Anamnese werden Ereignisse aus dem Jahr 1999 nach Ausbruch des Kosovokrieges geschildert, aber auch zeitlich nachfolgende Bedrohungen und Misshandlungen in Serbien, Übergriffe von albanisch sprechenden Männern nach der Rückkehr der Antragsteller in das Kosovo sowie eine Bedrohung des Sohnes des Antragstellers zu 1 mit einer Pistole durch Nachbarn. Soweit die Ereignisse während des Kosovokrieges im Jahr 1999 als maßgeblich für das Trauma anzusehen sein sollten, wäre zu begründen, warum diese Umstände nicht schon während der Anhörung des Antragstellers zu 1 am 29.03.2010 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgetragen wurden. Begründungsbedürftig ist ferner der Umstand, dass der Antragsteller zu 1 das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung erst im Jahr 2013 geltend gemacht hat, obwohl er bereits seit dem Jahr 2010 aus seiner Heimat ausgereist ist. Ein weiterer Mangel der Stellungnahme vom 21.05.2014 liegt darin, dass nicht explizit angegeben wird, nach welchen Kriterien eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde (vgl. dazu Ebert/Kindt, a.a.O. S. 42). Schließlich stellt sich noch die Frage, ob die beim Antragsteller zu 1 festgestellten Symptome nicht auch andere Ursachen als eine posttraumatische Belastungsstörung haben können, etwa die unkontrollierte Einnahme von Medikamenten und Halluzinogenen oder ein schweres Entwurzelungssyndrom.

12

Die Stellungnahmen der Amtsärztin S. vom 08.07.2013 und 10.03.2014 sowie der Amtsärztin M. vom 29.04.2014 und 20.05.2014 lassen ebenfalls keine abschließende Beurteilung der hier relevanten Fragestellung zu. In dem amtsärztlichen Gutachten zur Beurteilung der Flug- und Reisefähigkeit des Antragstellers zu 1 vom 08.07.2013 (GA Bl. 50) heißt es, dieser leide an einer psychischen Erkrankung, die akut exazerbiert sei. Zum jetzigen Zeitpunkt bestehe die akute Gefahr eines Suizids bzw. erweiterten Suizids. In der Stellungnahme vom 10.03.2014 (GA Bl. 49) heißt es, die Reisefähigkeit im weiteren Sinne sei aufgrund der psychischen Erkrankung des Antragstellers zu 1 nicht gegeben. In der Stellungnahme vom 29.04.2014 (GA Bl. 62) wird ausgeführt, es könnten keine wesentlichen Veränderungen der gesundheitlichen Situation des Antragstellers zu 1 festgestellt werden. Er habe weiterhin eine unbändige Angst vor der Abschiebung in sein Heimatland. Er reagiere damit, im Abschiebungsfall sich und seine Familie umzubringen. Die Flug- und Reisetauglichkeit sei nach wie vor unsicher, da in keiner Weise abzuschätzen sei, ob der Antragsteller zu 1 seine Drohungen wahr mache. In der Stellungnahme vom 20.05.2014 (GA Bl. 61) wird ergänzend ausgeführt, bei der Vorstellung im Gesundheitsamt habe der Antragsteller zu 1 überzeugend den Eindruck gemacht, dass er im Falle einer Abschiebung sich und seiner Familie etwas antun werde. Es bestehe eine bedingte Flug- und Reisefähigkeit. Bedingung sei die Minderung der Eigen- und Fremdgefährdung. Die sei durch Verzicht auf eine vorherige Ankündigung des Abschiebetages und eine fachärztliche Begleitung während des Fluges zu gewährleisten. In diesen Stellungnahmen wird weder angegeben, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände die fachliche Beurteilung erfolgt ist, noch enthalten sie eine nachvollziehbare medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes oder eine nachvollziehbare Darlegung der Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Die in der Stellungnahme vom 20.05.2014 vertretene Annahme, eine hinreichende Minderung der Eigen- und Fremdgefährdung könne durch Verzicht auf eine vorherige Ankündigung des Abschiebetages und Gewährleistung einer fachärztlichen Begleitung während des Fluges sichergestellt werden, wird nicht näher begründet und stellt sich als reine Spekulation dar. Zur Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen sind diese amtsärztlichen Stellungnahmen ungeeignet.

13

Vor diesem Hintergrund liegen zwar Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller zu 1 unter einer posttraumatische Belastungsstörung leidet und eine Abschiebung zu einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führt. Es verbleiben jedoch Zweifel. Bei dieser Sachlage kann über das Vorliegen des geltend gemachten Duldungsgrundes ohne fachärztliches Gutachten zur Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen nicht entschieden werden. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist damit offen, so dass ein Anordnungsanspruch gegeben ist.

14

2. Auch die Antragstellerin zu 2 und die Antragsteller zu 3 – 6 haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Eine rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG kann sich aus inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen ergeben, zu denen auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa mit Blick auf Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind. Der Schutz des Art. 6 GG umfasst die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben. Sich hieraus ergebende schutzwürdige Belange können einer (zwangsweisen) Beendigung des Aufenthalts des Ausländers dann entgegen stehen, wenn es ihm nicht zuzumuten ist, seine tatsächlichen Bindungen zu berechtigterweise im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (Beschl. d. Senats v. 14.08.2014 – 2 L 115/13 – m.w.N.). Derartige schutzwürdige Belange liegen im Fall der Antragstellerin zu 2 und der Antragsteller zu 3 – 6 vor. Aufgrund der oben dargestellten Umstände besteht bei dem Antragsteller zu 1 möglicherweise ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis. Die übrigen Familienmitglieder können daher einstweilen eine gewünschte familiäre Lebensgemeinschaft im gemeinsamen Heimatland nicht führen. Eine alleinige auch nur kurzfristige Rückkehr ohne Begleitung durch den Antragsteller zu 1 in das Kosovo ist ihnen ebenfalls nicht zuzumuten.

15

3. Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Der Antragsgegner beabsichtigt, die Antragsteller ohne vorherige Einholung eines fachärztlichen Gutachtens zur Suizidgefahr abzuschieben. Die vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten Duldungsanspruchs ist daher zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dringlich. Denn der Duldungsanspruch erlischt ebenso wie die Aussetzung selbst (vgl. § 60a Abs. 5 Satz 1 AufenthG) mit der Ausreise (vgl. VGH BW, Beschl. v. 06.02.2008 – 11 S 2439/07 – a.a.O. RdNr. 14). Er würde durch die Abschiebung daher vereitelt. Zudem ist eine Abschiebung ohne vorherige fachärztliche Begutachtung der damit nach den vorliegenden Erkenntnissen möglicherweise einhergehenden gesundheitlichen Risiken mit der staatlichen Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren.

16

II. Den Antragstellern ist auch die beantragte Prozesskostenhilfe zu gewähren, weil sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint und aus den vorstehend ausgeführten Gründen hinreichende Erfolgsaussichten zu bejahen sind (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).

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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

18

VI. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des beschließenden Senats, im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes den halben Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG je Antragsteller festzusetzen, soweit Streitgegenstand – wie hier – die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung ist.


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I. Der Kläger ist seinen Angaben zufolge Staatsangehöriger Sierra Leones. Er begehrt im asylrechtlichen Folgeverfahren die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses festzustellen. Das Verwaltungsgericht wies die Asylklage mit Urteil vom 24. August 2016 in der Sache ab. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel des Klägers. Er macht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend.

II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) wegen verfahrensfehlerhafter Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags liegt nicht vor.

Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, B. v. 30.1.1985 - 1 BvR 393/84 - BVerfGE 69, 141/144 = NJW 1986, 833; BVerfG, B. v. 18.6.1993 - 2 BvR 1815/92 - NVwZ 1994, 60 = BayVBl 1993, 562; BayVerfGH, E. v. 26.4.2005 - Vf. 97-VI-04 - VerfGH 58, 108 = BayVBl 2005, 721). Das rechtliche Gehör ist versagt, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch aber nur, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sach-fremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Von einer willkürlichen Missdeutung kann insbesondere nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG, B. v. 22.5.2015 - 1 BvR 2291/13 - juris Rn. 5 m. w. N.).

Gemessen daran liegt in der Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 24. August 2016 gestellten Beweisantrags, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen,

„zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer depressiven Episode, derzeit leichtgradig, und einer generalisierenden Angststörung leidet, der Kläger psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung bedarf und sich sein Gesundheitszustand bei Abbruch der Behandlung wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde“,

keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

Ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 24. August 2016 hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag mit folgender Begründung abgelehnt:

„Hinsichtlich der für die Person des Klägers geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ist der Beweisantrag rechtlich nicht erheblich. Die im Rahmen des Verfahrens vorgelegten therapeutischen und ärztlichen Äußerungen zu den Anknüpfungstatsachen für das Krankheitsbild einer PTBS sind nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts unglaubwürdig. Hinsichtlich des für die Person des Klägers weiter geltend gemachten ‚depressiven Episode‘ und ‚Angststörung‘ werden die vorgelegten Diagnosen als wahr unterstellt.“

1. Soweit es das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung betrifft, hat das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass der Klägervortrag den aus der Rechtsprechung (u. a. BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 = juris Rn. 15) folgenden Anforderungen an die Substantiierung zum Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung, die sich - wie hier - auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland stützt und deren Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen werden, nicht genügt und seine Rechtsauffassung umfassend und nachvollziehbar begründet. Danach beruhten die vom Kläger vorgelegten therapeutischen Berichte und fachärztlichen Atteste hinsichtlich der darin zugrunde gelegten Auslösekriterien auf einem unglaubhaften Vortrag des Klägers und damit auf unzureichenden tatsächlichen Grundlagen. Diese Bewertung durch das Verwaltungsgericht ist nicht zu beanstanden.

a) Das Verwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass eine posttraumatische Belastungsstörung nur aufgrund eines traumatisierenden Ereignisses entstehen kann (vgl. ICD-10: F.43.1, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision: „ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“).

b) Weiter trifft es zu, dass die nach dem Diagnoseklassifikationssystem ICD-10 erstellten Befunde von Refugio vom 7. August 2014 und vom 18. Juli 2016 sowie des Bezirksklinikums Niederbayern vom 25. Februar 2014 als „Auslösekriterium“ bzw. schwerwiegende Traumatisierung die Tötung des Vaters, die Entführung des Klägers durch Rebellen bzw. die Erschießung des Bruders des Klägers bei der Rekrutierung zum Kindersoldaten zugrunde legen und dass die darin genannten tatsächlichen Grundlagen (zur behaupteten Erschießung des Bruders vgl. nachfolgend Buchst. c, Doppelbuchst. dd), bereits vom Verwaltungsgericht Regensburg (U. v. 29.11.2012 - RN 5 K 12.30096) als unglaubhaft angesehen wurden. Das ärztliche Attest des Klinikums der Universität München vom 12. Juli 2016 benennt dagegen das auslösende Ereignis nicht.

c) Hiervon ausgehend beruht der vom Verwaltungsgericht gezogene Schluss, es fehle an der tatsächlichen Grundlage eines traumatisierenden Ereignisses, aufgrund derer die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gerechtfertigt sei, auf einer nachvollziehbaren, insbesondere willkürfreien und sachlichen Grundlage, von der sich das Verwaltungsgericht eine eigene Überzeugung gebildet hat.

aa) Die Bewertung der tatsächlichen Grundlagen durch das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren folgt zwar der Bewertung des Verwaltungsgerichts Regensburg aus dem Urteil vom 29. November 2012. Dieses hatte sich im Rahmen des Erstverfahrens im rechtskräftigen Urteil vom 29. November 2012 umfänglich mit den vom Kläger geschilderten Geschehnissen auseinandergesetzt, die auch Auslöser der im Erstverfahren wie im gegenständlichen Verfahren geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung sein sollen, sowie umfassend und nachvollziehbar begründet, weshalb es den klägerischen Vortrag „in höchstem Maße“ für „unsubstantiiert“, „oberflächlich“, „lebensfremd“ und „widersprüchlich“ erachtet. Nicht zutreffend ist aber, dass das Verwaltungsgericht die Bewertung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Regensburg im Erstverfahren lediglich ungeprüft übernommen habe. Es hat vielmehr das vom Kläger im Erstverfahren geschilderte Geschehen dargestellt, das im gegenständlichen Verfahren nicht vertieft oder ergänzt wurde, sich mit diesem auseinandergesetzt und weiter ausgeführt, es sei nicht zu erkennen, dass von der Bewertung des Verwaltungsgerichts Regensburg abzuweichen sei. Damit bringt das Verwaltungsgericht aber zum Ausdruck, dass es sich die Bewertung des Verwaltungsgerichts Regensburg auch für den gegenständlichen Fall zu Eigen macht, nicht dass es dessen Bewertung lediglich (ungeprüft) übernimmt.

bb) Soweit der Kläger weiter bemängelt, das Verwaltungsgericht habe den Kläger zu den Ereignissen in Sierra Leone nicht weiter befragt, verhilft auch dies dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg.

Angesichts der konkreten Umstände bestand für das Verwaltungsgericht keine Veranlassung, den Kläger zu den im Erstverfahren vorgetragenen Ereignissen in Sierra Leone zu befragen. Insbesondere hat der Kläger im Folgeverfahren weder gegenüber dem Bundesamt noch in der Klagebegründung andere oder ergänzende Angaben zu den behaupteten traumatisierenden Geschehnissen in Sierra Leone vorgetragen, die eine vom Urteil des Verwaltungsgericht Regensburg abweichende Bewertung nahegelegt hätten. Davon abgesehen hatte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 24. August 2016 Gelegenheit und angesichts der Feststellungen im Erstverfahren aber auch im Bundesamtsbescheid vom 15. Mai 2014 triftige Gründe, die in seiner Sphäre liegenden behaupteten Geschehnisse in Sierra Leone von sich aus nachvollziehbar und widerspruchsfrei zu schildern.

cc) Eine weitergehende Aufklärung zur Richtigkeit des Klägervorbringens musste sich dem Verwaltungsgericht auch nicht auf Grundlage der vorgelegten Befundberichte und fachärztlichen Atteste aufdrängen.

Zwar gehen die Befundberichte von Refugio vom 7. August 2014 und vom 18. Juli 2016 auch auf die Auslösekriterien ein. Die vom Kläger geschilderten und in der Zeit weit zurückliegenden Geschehnisse, die das Auslösekriterium erfüllen sollen, wie etwa das „Miterleben der diversen Morde in der Zeit mit den Rebellen“, insbesondere „die Entführung durch die Rebellen“ und die „Situation um die berichtete Enthauptung seines Vaters“, werden aber allein den geschilderten Symptomen und der Verhaltensbeobachtung gegenübergestellt. Ihre äußere, objektive Ereignisseite bleibt in den Befundberichten im Allgemeinen, wird also weder hinreichend konkret beschrieben noch sorgfältig oder kritisch hinterfragt. Dies ist bei der Begutachtung einer posttraumatischen Belastungsstörung wohl auch nicht zu leisten (vgl. Befundbericht v. 18.7.2016 S. 5: „Bei der Diagnoseerstellung von posttraumatischen Störungen ermöglicht die Symptomatologie des psychopathologischen Befunds generell keine Rekonstruktion der objektiven Seite der traumatisierenden Ereignisse“). Dass das behauptete traumatisierende Ereignis tatsächlich stattgefunden hat, muss vielmehr vom Schutzsuchenden gegenüber dem Tatrichter und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden (vgl. BayVGH, B. v. 17.10.2012 - 9 ZB 10.30390 - juris Rn. 8). Die in den o.g. Befundberichten auf die Symptomatik gestützte Beurteilung zu den Angaben über die geschilderten Vorgänge lässt aus den genannten Gründen keine andere Bewertung zu. Im Befundbericht vom 7. August 2014 werden als Auslösekriterien „das Miterleben der diversen Morde in der Zeit mit den Rebellen“ und „die Situation um die berichtete Enthauptung seines Vaters“ genannt, wenngleich die genauen Umstände zu Letzterem unklar bleiben würden; eine nähere Begründung für die gleichwohl getroffene Annahme, „Den gewaltsamen Verlust des Vaters sehen wir allerdings als gesichert an“, wird nicht gegeben. Im Befundbericht vom 18. Juli 2016 wird als Auslösekriterium zunächst die Ermordung des Vaters gesehen, jedoch auch die Erlebnisse bei den Rebellen. Letzteres erfülle danach „eindeutig das Traumakriterium A“ (Befundbericht v. 18.7.2016, S. 5); die objektive Seite dieser Erlebnisse wird allerdings nicht aufgeklärt. Obschon „aufgrund einiger Ungenauigkeiten und Widersprüche nicht sicher gesagt werden kann, dass/ob alle geschilderten Erlebnisse so stattgefunden haben“ (vgl. Befundbericht v. 7.8.2014, S. 9; ebs. Befundbericht v. 18.7.2016, S. 6), wird im Befundbericht vom 18. Juli 2016 der Schluss gezogen, dass die beobachtete Symptomatik weiterhin überzeuge, insbesondere weil aufgrund der physiologischen Reaktionen bzw. Veränderungen des Klägers bei der Schilderung seiner Lebensgeschichte und insbesondere der traumatischen Erfahrungen keine Anhaltspunkte dafür gesehen würden, dass der Kläger „in diesen Punkten“ seine Biografie simuliere. Eine Auseinandersetzung etwa mit den vom Verwaltungsgericht Regensburg festgestellten Widersprüchen des klägerischen Vortrags findet nicht statt, obschon Refugio jedenfalls dessen Beschluss vom 27. März 2012 (Az. RN 5 S 12.30095) und die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg vom 29. November 2012 vorlagen und bekannt waren (vgl. Befundbericht v. 7.8.2014, S. 2 sowie Befundbericht v. 18.7.2016, S. 2). Insgesamt fällt auf, dass das vom Kläger geschilderte Geschehen vage und im Allgemeinen bleibt; der Inhalt der festgestellten Ungenauigkeiten und Widersprüche sowie deren Bezug zu den gleichwohl zugrunde gelegten traumatisierenden Ereignissen wird nicht erläutert. Vonseiten des Klägers sind die in seine Sphäre fallenden behaupteten objektiven Ereignisse, also Ereignisse, die „fast bei jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würden“ (vgl. ICD-10: F43.1), auch in den behördlichen und gerichtlichen Verfahren nach wie vor nicht schlüssig und widerspruchsfrei dargestellt worden, obwohl angesichts der tatrichterlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. November 2012 aber auch der Begründung des Bundesamtsbescheids vom 29. April 2014 Anlass dazu bestand. Insbesondere hat der Kläger im Folgeverfahren, die offen zu Tage tretenden Widersprüche seines Vortrags aus dem Erstverfahren nicht ausgeräumt.

dd) Der Einwand, das Verwaltungsgericht habe den klägerischen Vortrag zur Erschießung des Bruders bei der Rekrutierung zum Kindersoldaten für unglaubhaft gehalten, weil der Kläger die Frage zur Anzahl seiner Geschwister nicht richtig beantwortet habe, was dieser aber richtig gestellt habe, führt nicht zur Zulassung der Berufung.

Das Verwaltungsgericht hat diesen Umstand aus gutem Grund erfragt und in den Entscheidungsgründen aufgeführt. Das erstmals und soweit ersichtlich auch einmalig behauptete traumatisierende Ereignis, wonach der Bruder des Klägers bei der Rekrutierung zum Kindersoldaten erschossen worden sei (vgl. ärztliche Bestätigung des Bezirksklinikums Niederbayern v. 25.2.2014), hatte der Kläger weder bei der Anhörung im Erstverfahren noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg vom 29. November 2012 erwähnt. In der Niederschrift zur Erstanhörung wurden auch nur ein Bruder und eine Schwester vermerkt, die der Kläger zuletzt zu Hause gesehen habe. Die auf entsprechenden Vorhalt des Verwaltungsgerichts in der mündlichen Verhandlung vom 24. August 2016 gegebene Antwort des Klägers, „Ich habe nicht gewusst, dass ich bereits tote Geschwister auch angeben soll“, hat das Verwaltungsgericht in der Gesamtschau und aus nachvollziehbaren Gründen für unglaubhaft gehalten. So hatte der Kläger bei seiner Anhörung im Erstverfahren von der Verhaftung vieler Jungen durch die Rebellen berichtet, aber nichts zu einem Bruder erwähnt, der von diesen erschossen worden sein soll.

Hiervon abgesehen hat das Verwaltungsgericht die behauptete Verschleppung des Klägers durch Rebellen aber auch deshalb für unglaubhaft erachtet, weil der Kläger bereits im Asylerstverfahren widersprüchliche Angaben zur behaupteten Verschleppung durch Rebellen gemacht hatte (bei der Anhörung v. 18.1.2012 auf Frage wie lange der Kläger insgesamt bei den Rebellen gewesen sei: „Zehn Tage lang, dann bin ich entkommen“, in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg v. 29. November 2012: „Ich wurde während des Krieges längere Zeit gefangen gehalten“ und „Sie (Anm.: die Rebellen) haben mich damals mehrmals gefangen genommen und ich bin immer wieder abgehauen und dann auch immer wieder zur Schule gegangen“).

d) Das Vorbringen, grundsätzlich gelte auch für den medizinischen Bereich, dass ein Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nur dann unzulässig sei, wenn ein unsubstantiierter „Ausforschungs-“ Beweisantrag vorliege und für die zugrundeliegende Tatsachenbehauptung nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spreche, führt nicht zur Zulassung der Berufung.

aa) Ob sich ein derartiger allgemeiner Rechtssatz aus der u. a. in Bezug genommenen Zulassungsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. März 2006 (Az. 1 B 91.05 - NVwZ 2007, 346) entnehmen lässt, erscheint fraglich, kann aber dahinstehen. Jedenfalls hat das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsauffassung im Revisionsverfahren präzisiert und klargestellt, dass zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung zum Gegenstand hat, angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests gehört und ausgeführt, welche Anforderungen an die Substantiierung zu stellen sind (BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251; vgl. auch BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 17.00 - juris Rn. 15 f.). Hiervon geht auch das Verwaltungsgericht aus (vgl. UA S. 11). Soweit das Verwaltungsgericht auf die seiner Auffassung nach unzureichenden tatsächlichen Grundlagen zur Frage des Vorliegens eines traumatisierenden Ereignisses abstellt, hat es die Anforderungen an die Darlegungspflicht des Klägers nicht überspannt. Insbesondere erfordert die nachvollziehbare Schilderung von in der Sphäre des Klägers liegenden Ereignissen keine kostenauslösende oder umfängliche gutachtliche Stellungnahme. Vielmehr sind die Beteiligten auch in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess verpflichtet, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.1999 - 9 C 36.98 - BVerwGE 109, 174). Insoweit obliegt es dem Kläger, die behaupteten Geschehnisse, die bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung zum Entstehen gebracht haben sollen, jedenfalls in Grundzügen unter Angabe von Einzelheiten schlüssig und widerspruchsfrei zu schildern (vgl. BayVGH, B. v. 17.10.2012 - 9 ZB 10.30390 - juris Rn. 8). Hiervon ausgehend greift auch der Beweisantrag, ein Sachverständigengutachten darüber einzuholen, dass beim Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt, zu kurz, weil ein solches Gutachten die objektive Seite des Ereignisses nicht klärt.

bb) Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag des Klägers abgelehnt, weil es die Anknüpfungstatsachen für das Krankheitsbild einer posttraumatischen Belastungsstörung nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung für nicht gegeben erachtete. Das Verwaltungsgericht hat den vorgelegten Bescheinigungen auch nicht per se deren hinreichende Qualität abgesprochen; es hat vielmehr die vom Kläger geschilderten und den Befunden zugrunde gelegten traumatisierenden Erlebnisse im Hinblick auf deren objektive Seite mit einer nachvollziehbaren Begründung als unglaubhaft gewertet.

Dass das Vorliegen eines traumatischen Ereignisses zwingende Voraussetzung für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung ist, wurde zutreffend bereits im Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. November 2012 zum Erstverfahren festgestellt (nachfolgend BayVGH, B. v. 6.2.2013 - 9 ZB 13.30032), findet seine Bestätigung aber auch in den Befundberichten von Refugio vom 7. August 2014 und vom 18. Juli 2016, wonach die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht nur eine spezifische Symptomatik, sondern auch ein traumatisches Lebensereignis als Auslöser für die Symptomatik zwingend erfordere und die Symptomatologie des psychopathologischen Befunds generell keine Rekonstruktion der objektiven Seite der traumatisierenden Ereignisse ermögliche (vgl. Befundbericht v. 7.8.2014, S. 5 bzw. Befundbericht v. 18.7.2016, S. 5).

e) Aus der in Bezug genommenen Zulassungsentscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (B. v. 8.1.2016 - 13a ZB 15.30245 - nicht veröffentlicht) folgt nichts anderes. Diese Entscheidung betrifft nicht die an die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gestellten Anforderungen (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 17.07 - juris Rn. 15 f.), sondern die Übertragung dieser Anforderungen an die Diagnose einer Depression.

2. Soweit es die geltend gemachte (leichtgradige) depressive Störung und Angststörung beim Kläger betrifft, hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag abgelehnt, weil es die vorgelegten Diagnosen als wahr unterstellt hat. Auch dies ist nicht zu beanstanden.

Das Absehen von einer Beweiserhebung wegen „Wahrunterstellung“ (im Sinn von Dahinstehenlassen von behaupteten Tatsachen) ist im Verwaltungsprozess dort zulässig, wo der Sache nach ein Verzicht auf die Beweiserhebung wegen Unerheblichkeit der vorgetragenen Tatsachen vorliegt (vgl. BVerwG, U. v. 17.1.1990 - 9 C 39.89 - NVwZ-RR 1990, 510). So liegt es hier. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die nachgewiesenen Erkrankungen einer depressiven Störung (leichtgradig) und einer Angststörung nicht derart schwerwiegende Krankheitsbilder darstellten, dass im Fall der Rückkehr nach Sierra Leone auch ohne deren fortlaufende Behandlung eine erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten sei. Diese Bewertung stützt sich auf die fachärztliche Äußerung des Klinikums der Universität München vom 12. Juli 2016, wonach der Kläger „klar von Suizidalität distanziert“ sei und den Befundbericht von Refugio vom 18. Juli 2016, wonach der Kläger aus medizinischen Gründen derzeit keine Medikation in Bezug auf die Angststörung erhalte. Ohne dass es vorliegend darauf ankommt, findet diese Bewertung ihre rechtliche Grundlage in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Danach liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Nach § 83 b AsylVfG werden Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) nicht erhoben.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Zur Begründung des Zulassungsantrags lassen die Kläger vortragen, die Klägerin zu 2 sei – wovon auch das Verwaltungsgericht ausgegangen sei – psychisch schwer erkrankt, was mit aussagekräftigen Attesten dokumentiert sei. In diesem Zusammenhang stelle sich die Frage der Behandlungsmöglichkeiten in Tschetschenien bzw. in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens. Nach Auskünften der Schweizerischen Flüchtlingshilfe sei die Behandlung für posttraumatische Belastungsstörungen nicht ausreichend gewährleistet. Auch ein Ausweichen auf eine Behandlung außerhalb Tschetscheniens sei praktisch nicht möglich, insbesondere nicht für nicht finanzkräftige Personen.

Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, die ausschließlich im Hinblick auf ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG wegen der Erkrankung der Klägerin zu 2 geltend gemacht wird, ist damit nicht hinreichend dargelegt. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der ab 17. März 2016 geltenden Fassung (BGBl S. 390) nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Aufgrund der häufigen Geltendmachung schwer diagnostizier- und überprüfbarer Erkrankungen psychischer Art (z.B. posttraumatische Belastungsstörungen) als Abschiebungshindernis wollte der Gesetzgeber mit der Präzisierung in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG klarstellen, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben darstellen (BT-Drs. 18/7538, S. 18). Eine solche schwerwiegende Erkrankung kann nach der Gesetzesbegründung bei posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) regelmäßig nicht angenommen werden. In Fällen einer PTBS sei die Abschiebung grundsätzlich möglich, es sei denn, sie würde zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führen (BT-Drs. 18/7538 a.a.O.).

Somit könnte ein Abschiebungshindernis wegen einer PTBS der Klägerin zu 2 allenfalls in einem besonders gelagerten Ausnahmefall angenommen werden. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hätte es daher Ausführungen dazu bedurft, dass ein solcher Ausnahmefall hier vorliegt. Das geht jedoch aus der Antragsbegründung vom 9. Oktober 2017, die sich nicht mit der schon bei Erlass des Ablehnungsbescheids des Bundesamts vom 6. April 2017 geltenden Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und der dabei zu berücksichtigenden Intention des Gesetzgebers auseinandersetzt, nicht hervor. Das wäre jedoch für die Darlegung einer entscheidungserheblichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung erforderlich gewesen.

Im Übrigen hat die bereits im Mai 2013 eingereiste Klägerin zu 2 eine PTBS erstmals im Februar des Jahres 2015 geltend gemacht. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, bedarf es in der Regel auch einer Begründung in dem gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG vorzulegenden qualifizierten Attest, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8.07 – BVerwGE 129, 251 Rn. 15). Ausführungen hierzu enthält jedoch weder das vorgelegte Attest vom 3. Februar 2015 noch die beim Verwaltungsgericht Augsburg eingereichte psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme vom 21. April 2017.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Berufungszulassungsgründe nicht vorliegen oder nicht hinreichend dargelegt sind (vgl. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG).

1. Die Auslegung des Berufungszulassungsantrags vom 21. September 2017 ergibt, dass die Kläger einen Verfahrensmangel in Form einer Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO geltend machen möchten, da das Verwaltungsgericht ihren in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag abgelehnt hat.

Soweit die Kläger rügen, das Verwaltungsgericht habe über ihre Gegenvorstellung gegen die Ablehnung des Beweisantrags nicht durch Beschluss entschieden, stellt dies keinen Verfahrensmangel dar. Beschlüsse über die Ablehnung von Beweisanträgen können nach § 146 Abs. 2 VwGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Eine Gegenvorstellung ist im Prozessrecht nicht vorgesehen, sondern stellt eine Anregung dar, eine nicht mit Rechtsmitteln angreifbare gerichtliche Entscheidung im Rahmen der Selbstkontrolle nochmals zu prüfen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Vorb § 124 Rn. 9). Ein förmlicher Beschluss über eine in der mündlichen Verhandlung erhobene Gegenvorstellung ist deshalb nicht erforderlich (vgl. Kopp/Schenke a.a.O. Rn. 9). Das Verwaltungsgericht hat in den Urteilsgründen auch zum Ausdruck gebracht, aus welchen Gründen es der Gegenvorstellung nicht folgt.

2. Die Ablehnung von Beweisanträgen i.S.v. § 86 Abs. 2 VwGO verstößt gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 10.8.2015 – 5 B 48.15 – juris Rn.10 m.w.N.). Das rechtliche Gehör ist aber nur versagt, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch nur dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Von einer willkürlichen Missdeutung kann insbesondere nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG, B.v. 22.5.2015 – 1 BvR 2291/13 – juris Rn. 5 m.w.N.; vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2016 – 9 ZB 16.30468 – juris Rn. 4).

Das bezeichnete Beweismittel muss dabei geeignet sein, für den entsprechenden Umstand Beweis zu erbringen (Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 86 Rn. 27). Bei einem Beweisantrag zur Vernehmung eines sachverständigen Zeugen muss in nachvollziehbarer Weise dargelegt werden, weshalb die betreffende Person Kenntnis von der in ihr Wissen gestellten Tatsache haben kann und welche rechtlich erheblichen Bekundungen über ihre konkreten Wahrnehmungen zu erwarten sind (vgl. BVerwG, B.v. 27.3.2000 – 9 B 518/99 – InfAuslR 2000, 412 = juris Rn. 11).

Die Ablehnung eines Beweisantrags ist insbesondere auch dann zulässig, wenn das Klagevorbringen keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet (vgl. BVerwG, B.v. 26.10.1989 – 9 B 405.89 – InfAuslR 1990, 38 = juris Rn. 8; Geiger in Eyermann, VwGO, § 86 Rn. 38).

Ist die Begründung der Ablehnung eines unbedingten Beweisantrags prozessordnungswidrig und wird sie erst in den schriftlichen Urteilsgründen durch eine prozessordnungsgemäße Begründung ersetzt, ist eine Gehörsrüge nur dann schlüssig erhoben, wenn dargelegt wird, wie der Betreffende sich auf die erst durch das Urteil bekannt gewordenen prozessordnungsgemäßen Ablehnungsgründe erklärt hätte (vgl. HessVGH, B.v. 14.2.2002 – 9 ZU 1249/98.A - juris; OVG NW, B.v. 25.4.2002 – 8 A 1530/02.A – AuAS 2002, 212; BVerwG, B.v. 13.9.1977 – V CB 68.74 – Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 20).

3. Hiervon ausgehend ist die Gehörsrüge nicht begründet. Zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger zu 2 unter einer schweren Erkrankung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung und einem Verdacht auf atypischen Autismus leide und bei Abbruch des engmaschigen und tragenden Therapiebündnisses eine drastische Gesundheitsverschlechterung zu erwarten sei, beantragten die Kläger in der mündlichen Verhandlung den Leitenden Oberarzt Dr. H... und die Diplom-Pädagogin M. P... als Sachverständige zu hören. Das Verwaltungsgericht legte den Beweisantrag dahingehend aus, dass die Einvernahme der beiden Personen als sachverständige Zeugen beantragt sei und lehnte ihn mit der Begründung ab, es sei nicht hinreichend dargelegt, dass die als sachverständige Zeugen benannten Personen etwas anderes aussagen könnten als sie schon in den schriftlichen Arztbriefen und Bescheinigungen ausgeführt hätten. Darüber hinaus sei nicht dargelegt, dass der Leitende Oberarzt den Kläger zu 2 selbst medizinisch betreut habe und die Sozialpädagogin habe keinen ärztlichen Status.

Soweit die Kläger beantragt haben, Frau Diplom-Pädagogin M. P... als sachverständige Zeugin zu medizinischen Fragen zu hören, hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag ohne Rechtsfehler abgelehnt, da es einer Diplom-Pädagogin an medizinischem Sachverstand fehlt und sie daher kein geeignetes Beweismittel für medizinische Fragestellungen ist.

Auch den Antrag auf Einvernahme des Leitenden Oberarztes Dr. H... hat das Verwaltungsgericht nicht in willkürlicher Weise abgelehnt.

Aufgrund der ärztlichen Bescheinigungen vom „14.0.2016“, 22. Juni 2017 und 19. Juli 2017 steht fest, dass Dr. H... von der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung und dem Verdacht auf einen atypischen Autismus bei dem Kläger zu 2 ausgegangen ist. Auch das Bundesamt hat seinem Bescheid vom 24. Mai 2017 zugrunde gelegt, dass eine solche Gesundheitsstörung vorliegt, die durch die Bombeneinschläge in der Schule des Klägers zu 2 und im Wohnhaus der Kläger hervorgerufen worden sei. Die Einvernahme des Dr. H... zu der Frage, ob beim Kläger zu 2 eine solche Gesundheitsstörung vorliegt, ist daher nicht erforderlich.

Hinsichtlich der Frage, ob es sich bei der diagnostizierten Gesundheitsstörung des Klägers zu 2 um eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung handelt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Präzisierung in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der ab 17. März 2016 geltenden Fassung (BGBl I S. 390) klarstellen wollte, dass aufgrund der häufigen Geltendmachung schwer diagnostizier- und überprüfbarer Erkrankungen psychischer Art (z.B. posttraumatische Belastungsstörungen) als Abschiebungshindernis nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben darstellen (BT-Drs. 18/7538, S. 18). Eine solche schwerwiegende Erkrankung kann nach der Gesetzesbegründung bei posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) regelmäßig nicht angenommen werden. In Fällen einer PTBS sei die Abschiebung grundsätzlich möglich, es sei denn, sie würde zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führen (BT-Drs. 18/7538 a.a.O.). Somit könnte ein Abschiebungshindernis wegen der diagnostizierten PTBS des Klägers zu 2 allenfalls in einem besonders gelagerten Ausnahmefall angenommen werden (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2017 – 11 ZB 17.31463).

Mit den aktuellen ärztlichen Bescheinigungen des Dr. H... vom 22. Juni 2017 und 19. Juli 2017 wird ausgeführt, dass nicht absehbar sei, ob und in welchem Umfang es durch die Rückkehr ins Heimatland zu einer erneuten Verunsicherung und psychischen Erschütterung des Klägers zu 2 kommen werde, eine Retraumatisierung sei aber nicht auszuschließen. Es würde sehr wahrscheinlich negative Auswirkungen haben, wenn die Rückkehr unvermittelt und unvorbereitet geschehen würde.

Die Kläger haben demgegenüber nicht hinreichend dargelegt und es musste sich dem Verwaltungsgericht auch nicht aufdrängen, dass es sich beim Kläger zu 2 um einen besonders gelagerten Ausnahmefall handeln könnte, bei dem durch den Abbruch der Behandlung der PTBS in Deutschland und Rückkehr in die Ukraine eine wesentliche Gesundheitsgefährdung i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG eintreten werde. Den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen lässt sich die Gefahr einer so massiven Gesundheitsverschlechterung nicht entnehmen. Dass Dr. H... entsprechende Wahrnehmungen gemacht hat, die in den von ihm unterzeichneten ärztlichen Bescheinigungen, die ausdrücklich zur Vorlage beim Amt bestimmt waren, keinen Niederschlag gefunden haben, ist nicht ersichtlich.

Rechtlich vertretbar ist das Verwaltungsgericht daher zu dem Ergebnis gekommen, dass die Einvernahme des Dr. H ... nicht geboten war.

4. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass die Ablehnung des Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung nicht prozessordnungsgemäß begründet worden ist, könnte die Gehörsrüge keinen Erfolg haben. In den Urteilsgründen hat das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Beweiserhebung ausgeführt, dass die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 VwGO schon nicht hinreichend substantiiert dargelegt und die Beweismittel verspätet angegeben worden seien. Damit setzt sich die Antragsbegründung auch nicht ansatzweise auseinander und legt nicht dar, wie die Kläger auf diese erst durch das Urteil bekannt gewordenen Ablehnungsgründe in der mündlichen Verhandlung reagiert hätten.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass psychische Erkrankungen auch im Heimatland der Kläger grundsätzlich behandelbar sind und die den Kläger zu 2 derzeit behandelnden Ärzte davon ausgehen, dass mit einer Vorbereitung auf die Rückkehr, die Folgen gemildert werden können. Es ist daher Sache der Klägerin zu 1 als Erziehungsberechtigter, dafür Sorge zu tragen, dass der Kläger zu 2 auf die Rückkehr angemessen vorbereitet wird.

5. Eine Divergenz im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Vorschrift (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2004 – 6 PB 15/03 – NVwZ 2004, 889/890) mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz oder einem verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz von einem in der Rechtsprechung der genannten übergeordneten Gerichte aufgestellten Rechts- oder Tatsachensatz oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abweicht und die Entscheidung darauf beruht (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 32. Erg.lfg. Oktober 2016, § 124 Rn. 42; Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 73 m.w.N.). Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 – 2 B 52/14 – juris Rn. 5). Es genügt nicht, wenn in der angegriffenen Entscheidung ein in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellter Grundsatz lediglich übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewandt worden ist (BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 6 B 35/16 – juris Rn. 12 m.w.N.; Happ, a.a.O.; Rudisile, a.a.O.). Der Antragsbegründung kann schon kein Rechtssatz entnommen werden, den das Verwaltungsgericht aufgestellt haben soll und der von einem Rechtssatz der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte abweicht, sondern es wird nur die inhaltliche Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils kritisiert. Dies kann aber nicht zur Zulassung der Berufung führen.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

7. Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.