Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße Beschluss, 07. Aug. 2017 - 5 L 881/17.NW

ECLI:ECLI:DE:VGNEUST:2017:0807.5L881.17.00
bei uns veröffentlicht am07.08.2017

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 27. Juli 2017 gegen die Androhung von Zwangsmitteln in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 27. Juli 2017 wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

2

1. Das Begehren des Antragstellers bedarf zunächst der Auslegung nach § 88 VerwaltungsgerichtsordnungVwGO –. Der Antragsteller begehrt gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 27. Juli 2017 gegen den Bescheid vom 27. Juli 2017, soweit der Antragsteller sich gegen den für sofort vollziehbar erklärten Widerruf der Einweisung vom 8. Juni 2017 zum 27. Juli 2017 sowie die Anordnung der Räumung der Wohnung bis zum 28. Juli 2017 um 12 Uhr wendet. Dagegen hat der Widerspruch gegen die gleichzeitig verfügten Zwangsmittelandrohungen gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 20 Ausführungsgesetz zur Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO – kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung. Statthaft ist insoweit daher der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO.

3

2. Die so verstandenen Anträge sind zulässig, insbesondere ist der Antragsteller als Adressat belastender Verwaltungsakte antragsbefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog.

4

3. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 27. Juli 2017 ist in der Sache aber unbegründet.

5

3.1. Zunächst ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Einweisung vom 8. Juni 2017 zum 27. Juli 2017 sowie der Anordnung der Räumung der Wohnung bis zum 28. Juli 2017 um 12 Uhr formell rechtmäßig. Insbesondere hat die Antragsgegnerin die Anordnung der sofortigen Vollziehung ausreichend nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet. Hierzu hat die Antragsgegnerin ausgeführt, das öffentliche Interesse werde dadurch begründet, dass die Allgemeinheit nicht zur Bereithaltung einer Notunterkunft herangezogen werden könne, wenn der Antragsteller die Unterkunft nicht nutze bzw. seine Obdachlosigkeit aus eigener Kraft abwenden könne. Damit liegt eine auf den konkreten Einzelfall abgestellte, substantiierte und nicht lediglich formelhafte Begründung des besonderen Vollzugsinteresses vor. Ob die von der Antragsgegnerin angeführte Begründung inhaltlich zutreffend ist und die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu rechtfertigen vermag, ist im Rahmen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO unbeachtlich; dies ist erst bei der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vom Gericht eigenständig vorzunehmenden Interessenbewertung zu erörtern (s. z.B. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 3. April 2012 – 1 B 10136/12.OVG –, BauR 2012, 1362).

6

3.2. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Einweisung und der Räumungsanordnung ist auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden.

7

3.2.1. Für das Interesse des Betroffenen, einstweilen nicht dem Vollzug der behördlichen Maßnahmen ausgesetzt zu sein, sind zunächst die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs von Belang. Ein überwiegendes Interesse eines Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel anzunehmen, wenn die im Eilverfahren allein mögliche und gebotene summarische Überprüfung ergibt, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist. Denn an der Vollziehung eines ersichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts kann kein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen. Ist der Verwaltungsakt dagegen offensichtlich rechtmäßig, so überwiegt das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers nur dann, wenn zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts besteht. Kann aufgrund der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Überprüfung nicht festgestellt werden, ob der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig oder offensichtlich rechtswidrig ist, so beschränkt sich die verwaltungsgerichtliche Kontrolle des Sofortvollzuges des Verwaltungsakts auf die Durchführung einer Interessenabwägung, die je nach Fallkonstellation zugunsten des Antragstellers oder des Antragsgegners ausgehen kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 2007 – 2 BvR 695/07 –, NVwZ 2007, 1176).

8

3.2.2. Nach diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Einweisung und der Räumungsverfügung das private Interesse des Antragstellers, diesen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens einstweilen nicht nachkommen zu müssen. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung ergibt sich daraus, dass der angefochtene Widerruf und die Räumungsverfügung offensichtlich rechtmäßig sind und es nicht angezeigt erscheint, mit ihrer Durchsetzung bis zur Bestandskraft abzuwarten.

9

3.2.2.1. Verfahrensrechtliche Bedenken gegen den Widerruf der Einweisung und die Räumungsanordnung bestehen nicht.

10

Es kann zunächst nicht abschließend beurteilt werden, ob die Antragsgegnerin vor Erlass des Bescheids gegen § 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG – i.V.m. § 28 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG – verstoßen hat. Danach ist einem Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in seine Rechte eingreift. Eine entsprechende Anhörung des Antragstellers vor Erlass des Widerrufs der Einweisung und der Räumungsanordnung soll ausweislich des Vermerks des Sachbearbeiters der Antragsgegnerin vom 27. Juli 2017 auf Blatt 19 der Verwaltungsakte unmittelbar vor Erlass des Bescheids stattgefunden haben.

11

Ob die Antragsgegnerin damit dem Anhörungserfordernis des § 1 LVwVfG i.V.m. § 28 Abs. 1 VwVfG - Gründe für ein Absehen von der Anhörungspflicht nach § 1 LVwVfG i.V.m. § 28 Abs. 2 und 3 VwVfG sind nicht ersichtlich – ausreichend nachgekommen ist, kann hier offenbleiben. Jedenfalls ist ein eventueller Anhörungsverstoß inzwischen gemäß § 1 LVwVfG i.V.m. § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG geheilt worden. Denn die erforderliche Anhörung, die bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens möglich ist, ist im vorliegenden Eilverfahren nachgeholt worden. Eine schriftsätzliche Stellungnahme der Behörde im gerichtlichen Aussetzungsverfahren kann eine Nachholung der Anhörung bewirken, wenn sich die Behörde in ihrem Schriftsatz nicht nur auf die Verteidigung der einmal getroffenen Verwaltungsentscheidung beschränkt, sondern eindeutig und klar zu erkennen gibt, dass sie ein etwaiges Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis genommen und gewürdigt hat, aber dennoch bei ihrer erneuten Entscheidung zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Verfügung aufrechterhalten bleibt (vgl. z.B. Bay. VGH, Beschluss vom 8. Oktober 2015 – 15 CS 15.1740 –, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. Februar 2014 – 15 B 69/14 –, NWVBl 2014, 322; OVG Sachsen, Beschluss vom 2. Februar 2012 – F 7 B 278/11 –, juris).

12

Hiervon ausgehend hat die Antragsgegnerin einen eventuellen Anhörungsmangel in ihrer Antragserwiderungsschrift geheilt. Die Antragsgegnerin hat darin zu erkennen gegeben, dass sie das Vorbringen des Antragstellers in dessen Widerspruchsschreiben und Antragsbegründung im Eilverfahren zur Kenntnis genommen und gewürdigt hat, aber dennoch bei der Entscheidung verblieben ist, den Widerruf aufrechtzuerhalten.

13

3.2.2.2. In materieller Hinsicht sind sowohl der Widerruf der Einweisung (a.) als auch die Anordnung der Räumung (b.) offensichtlich rechtmäßig.

14

a. Rechtsgrundlage für den Widerruf der Einweisung ist die Vorschrift des § 1 LVwVfG i.V.m. § 49 Abs. 2 VwVfG. Danach darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, u.a. dann ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft u.a. widerrufen werden, wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat (Nr. 2) oder wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde (Nr. 3).

15

Um eine Räumungsanordnung gegen den Antragsteller erlassen zu können, war hier der Widerruf der bis zum 30. September 2017 befristeten Obdachloseneinweisung des Antragstellers in die Wohnung „…“ erforderlich. Durch die Einweisung eines Obdachlosen in eine gemeindliche Obdachlosenunterkunft entsteht ein öffentlich-rechtliches Gebrauchsüberlassungsverhältnis zwischen dem Obdachlosen und der einweisenden Gemeinde, die entweder Trägerin der Obdachlosenunterkunft ist oder – wie im vorliegenden Verfahren – selbst Wohnraum angemietet hat, den sie dann als Obdachlosenunterkunft zur Verfügung stellt. Will die Obdachlosenbehörde einen Obdachlosen, der aufgrund einer Einweisungsverfügung durch die Gemeinde eine Obdachlosenunterkunft rechtmäßig bezogen hat, aus dieser zwangsweise entfernen, so kann dies nur mittels einer gegen ihn zu erlassenden Räumungsverfügung – gegebenenfalls unter Anordnung des Sofortvollzugs verbunden mit der Androhung der Zwangsräumung – geschehen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. Februar 1996 – 1 S 147/96 –, DVBl 1996, 567). Falls der Obdachlose in die Unterkunft eingewiesen worden und die Einweisung nicht befristet war oder die in einer befristeten Einweisung genannte Frist – wie hier – noch nicht abgelaufen ist, bedarf es zusätzlich des Widerrufs der Einweisungsverfügung (VG Neustadt, Beschluss vom 24. Mai 2017 – 5 L 550/17.NW –).

16

Die Kammer lässt bezüglich des Umstands, dass der Antragsteller trotz Nichterfüllung der Auflagen, Abwesenheiten über einen Tag der Ordnungsbehörde zu melden und den Nachweis der Wohnungssuche zu führen, ausdrücklich offen, ob diese Verstöße einen Widerruf gemäß § 1 LVwVfG i.V.m. § 49 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG rechtfertigen. Jedenfalls sind hier die strengen Voraussetzungen des § 1 LVwVfG i.V.m. § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG gegeben.

17

Dem Antragsteller steht bei summarischer Prüfung kein Anspruch auf weitere Unterbringung in der gemeindlichen Obdachlosenunterkunft auf der sicherheitsrechtlichen Grundlage des § 9 Abs. 1 Satz 1 Polizei- und Ordnungsbehördengesetz
– POG – zur Seite. Danach können u.a. die allgemeinen Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Dementsprechend ist die örtliche Ordnungsbehörde verpflichtet, die unfreiwillige Obdachlosigkeit als Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu verhindern bzw. zu beseitigen, wobei sie diese Aufgabe unter Berücksichtigung aller Umstände nach pflichtgemäßem Ermessen zu erfüllen hat (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24. Februar 1993 – 1 S 279/93 –, VBlBW 1993, 304). Diese Verpflichtung erfüllt die zuständige Polizeibehörde durch die Einweisung des Obdachlosen in eine menschenwürdige Unterkunft.

18

Obdachlosigkeit setzt jedoch nicht nur objektiv das Fehlen einer Wohnmöglichkeit voraus (VG Augsburg, Beschluss vom 2. September 2015 – Au 7 E 15.1126 –, juris m.w.N.). Vielmehr besteht ein Anspruch des Obdachlosen auf sicherheitsrechtliches Einschreiten nur, soweit und solange er die Gefahr nicht selbst aus eigenen Kräften oder mit Hilfe der Sozialleistungsträger in zumutbarer Weise und Zeit beheben kann (vgl. VG Freiburg, Beschluss vom 16. Februar 2017 – 6 K 58/17 –, juris; VG Würzburg, Beschluss vom 7. April 2014 – W 5 E 14.306 – juris; VG Neustadt, Beschluss vom 27. Mai 2005 – 7 L 818/05.NW –). ). Die Selbsthilfe des Betroffenen hat daher stets Vorrang vor sicherheits-, polizei- und ordnungsrechtlichen Maßnahmen (VG Augsburg, Beschluss vom 2. September 2015 – Au 7 E 15.1126 –, juris m.w.N.; Ruder, VBlBW 2017, 1, 6 m.w.N.). Dabei ist darauf abzustellen, ob sich der Betreffende unter Ausschöpfung aller ihm zu Gebote stehenden zumutbaren Eigenmaßnahmen, auch finanzieller Art, selber eine nur vorübergehende und den Mindestanforderungen genügende Bleibe verschaffen kann (vgl. BayVGH, Beschluss vom 10. März 2005 – 4 CS 05.219 –, juris und Beschluss vom 13. Februar 2014 – 4 CS 14.125 –, juris; Ruder, VBlBW 2017, 1, 6, 7). Das wird z.B. in der Rechtsprechung für den Fall erwogen, dass der Betroffene über ein monatliches Einkommen in Höhe von mehr als 1.100 € verfügt und somit in der Lage sein dürfte, sich selbst eine kostengünstige, einfache Unterkunft zu verschaffen (vgl. VG München, Beschluss vom 7. September 2016 – M 22 E 16.1415 –, juris).

19

Hiernach ist der Antragsteller nach summarischer Prüfung zumindest seit einigen Wochen in der Lage, sich selbst aus eigenen Mitteln und in zumutbarer Weise auch kurzfristig eine Unterkunft zu beschaffen. Er arbeitet neuerdings nahezu durchgängig auf Montage und hält sich daher nur sporadisch in der Obdachlosenunterkunft in Germersheim auf. Er verdient nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben der Antragsgegnerin derzeit ca. 1.600 € brutto und ist deshalb inzwischen ohne weiteres in der Lage, eine eigene Wohnung auch kurzfristig anzumieten oder anderweitig, etwa in einem Hotel oder einer Pension unterzukommen (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 10. März 2005 – 4 CS 05.219 –, juris; VG Neustadt, Beschluss vom 29. August 2001 – 7 L 1814/01.NW –). Es kann nicht Aufgabe der Obdachlosenbehörde sein, ihre für vorübergehende Notfälle der Obdachlosigkeit – und nicht zur wohnungsmäßigen Versorgung – bereit gehaltenen Unterkünfte mit Personen zu belegen, die zur Selbsthilfe ohne weiteres in der Lage, aber nicht willens sind (Bay. VGH, Beschluss vom 10. März 2005 – 4 CS 05.219 –, juris).

20

b. Ist damit die Widerrufsverfügung offensichtlich rechtmäßig, so besteht auch kein Rechtsgrund dafür, dass der Antragsteller in der als Obdachlosenunterkunft angemieteten Wohnung weiter verbleiben kann. Insoweit ist die Anordnung der Räumung der Wohnung (Ziffer 2 der Verfügung) auf der Grundlage der §§ 1, 9 POG rechtlich nicht zu beanstanden.

21

3. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 27. Juli 2017 gegen die beiden Zwangsmittelandrohungen ist jedoch begründet.

22

3.1. Im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. i. V. m. Abs. 4 Satz 3 VwGO – den die Kammer im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO entsprechend anwendet (vgl. Gersdorf in: Posser/Wolff/Gersdorf, BeckOK VwGO Stand April 2017, § 80 Rn. 126; Schoch in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2016, § 80 Rn. 303) –, gebotenen Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Zwangsmittelandrohung und dem privaten Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs kann das Gericht die aufschiebende Wirkung grundsätzlich nur anordnen, wenn und soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zwangsmittelandrohung bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn aufgrund einer summarischen Prüfung der Erfolg des Rechtsmittels im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Dies ist hier gegenwärtig der Fall.

23

3.2. In formeller Hinsicht sind die beiden Zwangsmittelandrohungen im Ergebnis allerdings nicht zu beanstanden.

24

3.2.1. Zwar hat die Antragsgegnerin gegen die Vorschrift des § 66 Abs. 6 Satz 1 Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz – LVwVG – verstoßen, wonach die schriftliche Androhung zuzustellen ist. Dies gilt auch dann, wenn sie mit dem zugrunde liegenden Verwaltungsakt verbunden und für ihn – wie hier – keine Zustellung vorgeschrieben ist (§ 66 Abs. 1 Satz 2 LVwVG). Vorliegend hat der Sachbearbeiter der Antragsgegnerin den Bescheid vom 27. Juli 2017 ausweislich des Aktenvermerks auf Blatt 19 der Verwaltungsakte dem in der Behörde anwesenden Antragsteller lediglich persönlich überreicht. Damit wurde aber der Zustellungsmangel gemäß § 1 Landesverwaltungszustellungsgesetz – LVwZG – i.V.m. § 8 Verwaltungszustellungsgesetz – VwZG – geheilt.

25

3.2.2. Eine Anhörung war gemäß § 1 LVwVfG i.V.m. § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG entbehrlich.

26

3.3. Rechtsgrundlage für die Androhung, die Räumung der Wohnung unter Anwendung von unmittelbarem Zwang unter Mithilfe der Polizei durchzuführen, sind die §§ 66 LVwVG i.V.m. 65 LVwVG.

27

Nach § 66 Abs. 1 Satz 3 LVwVG hat die Androhung zur Erfüllung der Verpflichtung eine angemessene Frist zu bestimmen; eine Frist braucht nicht bestimmt zu werden, wenn eine Duldung oder Unterlassung erzwungen werden soll. Die Bestimmung einer Frist dient dazu, den Justizgewährungsanspruch, welcher in der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG – enthalten ist, zu verwirklichen (BVerwG, Urteil vom 2. September 1963 – I C 142.59 –, NJW 1964, 314). Eine Frist ist angemessen, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalles das behördliche Interesse an der Schleunigkeit der Ausführung berücksichtigt und zugleich dem Betroffenen die nach der Lebenserfahrung erforderliche Zeit gibt, seiner Pflicht nachzukommen (vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 24. Januar 2012 – 19 L 1364/11 –, juris; Beckmann/Stollenwerk in: Praxis der Gemeindeverwaltung, Erl. zu § 66 LVwVG). Eine zu kurz bemessene Androhungsfrist setzt nicht zugleich eine angemessene Frist in Lauf; eine unzulängliche Fristsetzung kann deshalb nicht durch Zeitablauf geheilt werden (Troidl in: Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 11. Auflage 2017, § 13 Rn. 3). Die Bestimmung der Vollstreckungsfrist steht im Übrigen im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (vgl. VG München, Beschluss vom 2. Januar 2017 – M 22 S 16.5528 –, juris;

28

Lemke in: Fehling/Kastner, Verwaltungsrecht, 2. Auflage 2010, § 13 VwVG, Rn. 10).

29

Vorliegend hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller in dem Bescheid vom 27. Juli 2017 ohne Darlegung ihrer Ermessenserwägungen aufgegeben, die Wohnung bis spätestens 28. Juli 2017 um 12 Uhr zu räumen. Mit dieser Regelung hat die Antragsgegnerin Fristbeginn und Fristende auf einen Tag nach Bekanntgabe des Bescheids gesetzt und damit eine Fristsetzung vorgenommen, die einer Fristsetzung auf „sofort“ nahekommt.

30

Eine Fristsetzung auf „sofort“ darf im Hinblick auf den Anspruch des Bürgers auf wirksamen Rechtsschutz jedoch nur erfolgen, wenn zum einen die auferlegten Handlungspflichten in der gesetzten Frist auch tatsächlich erfüllt werden können und zum anderen eine sofortige Durchsetzung der Grundverfügung zur Gefahrenabwehr unabweisbar notwendig ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. Mai 2009 – 11 S 1013/09 –, DVBl 2009, 853). Die Voraussetzungen für eine Fristsetzung auf „sofort“ sind somit kaum geringer als die des § 61 Abs. 2 LVwVG, der die Anwendung von Zwangsmitteln auch ohne vorausgehenden Verwaltungsakt ermöglicht, wenn dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig ist. Eine derartige, aus der Natur der Sache folgende Notwendigkeit zur Bemessung der Frist von nur einem Tag ist hier nicht erkennbar.

31

Soweit die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung vom 4. August 2017 darauf hingewiesen hat, die Räumungsfrist sei mündlich bis zum 3. August 2017 verlängert worden, führt dies nicht zur Rechtmäßigkeit der Zwangsmittelandrohung. Die Kammer hält vorliegend eine Räumungsfrist von ca. zwei Wochen für „angemessen“.

32

3.4. Rechtsgrundlage für die Androhung, die Räumung der Wohnung unter Anwendung von unmittelbarem Zwang unter Mithilfe der Polizei durchzuführen, sind die §§ 66 LVwVG i.V.m. 65 LVwVG.

33

Die in der Verfügung vom 27. Juli 2017 ferner enthaltene Zwangsmittelandrohung in Form der Ersatzvornahme – Entfernung der Einrichtungsgegenstände – ist aus den in 3.3. genannten Gründen ebenfalls offensichtlich rechtswidrig. Es ist an der Antragsgegnerin, dem Antragsteller eine neue angemessene Frist zu setzen.

34

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

35

Bei der Bemessung des Streitwerts geht die Kammer auf der Grundlage von den §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz – GKG – vom hälftigen Regelstreitwert für die Grundverfügung aus. Gemäß Ziffer 1.7.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom Juli 2013 bleibt die Androhung von Zwangsmitteln für die Streitwertfestsetzung außer Betracht.

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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn

1.
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint;
2.
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde;
3.
von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll;
4.
die Behörde eine Allgemeinverfügung oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen will;
5.
Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen.

(3) Eine Anhörung unterbleibt, wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht.

(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn

1.
der für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird;
2.
die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird;
3.
die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird;
4.
der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderlich ist, nachträglich gefasst wird;
5.
die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird.

(2) Handlungen nach Absatz 1 können bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.

(3) Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung oder ist die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsaktes unterblieben und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt worden, so gilt die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet. Das für die Wiedereinsetzungsfrist nach § 32 Abs. 2 maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein.

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die zwangsgeldbewehrte und für sofort vollziehbar erklärte Baueinstellungsverfügung der Antragsgegnerin vom 15. Mai 2015. Nach Nr. 1 des Bescheidstenors hat der Antragsteller die Bauarbeiten zur Errichtung des Wohngebäudes auf dem Grundstück FlNr. ... der Gemarkung H. (Baugrundstück) ab sofort einzustellen. Für den Fall, dass die Arbeiten entgegen der Nr. 1 des Bescheids fortgesetzt werden, wurde dem Antragsteller ein Zwangsgeld in Höhe von 2.500 Euro angedroht. Ausweislich der Bescheidsbegründung sei anlässlich einer Ortsbesichtigung festgestellt worden, dass die erforderliche Abstandsfläche (Anm.: der östlichen Außenwand) zum auf der gegenüberliegenden Straßenseite gelegenen Baugrundstück S.-Straße Hs-Nr. ... (FlNr. ...) nicht eingehalten werde. Bis zu einer Entscheidung über einen möglichen Rückbau solle verhindert werden, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden.

Mit Bescheid vom 17. Juni 2014 war dem Antragsteller die bauaufsichtliche Genehmigung zum Neubau eines Wohnhauses mit Garage auf dem Baugrundstück im „vereinfachten Verfahren gemäß Art. 59 BayBO“ erteilt worden. Beantragt wurde u. a. eine „Befreiung von der vorgegebenen Wandhöhe 5,50 m auf (eine) Wandhöhe 5,95 m beim Wohngebäude“; dies betrifft die Wandhöhe zur S.-Straße hin (Anm.: östliche Außenwand). Mit der Baugenehmigung vom 17. Juni 2014 wurde die „beantragte Befreiung von den Festsetzungen des rechtsverbindlichen Bebauungsplans … (statt max. 5,50 m - rd. 6 m)“ nach § 31 Abs. 2 BauGB erteilt. Tatsächlich wurde die östliche Außenwand des Wohngebäudes des Antragstellers 5,98 m hoch errichtet (Anm.: gemessen vom Straßenniveau). (Nur) Hinsichtlich der Grenzgarage wurde auch eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften erteilt. Unter dem Datum 5. Mai 2015 stellte der Antragsteller einen Änderungsantrag für die Erteilung einer Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften hinsichtlich des Wohnhauses gegenüber den östlichen, nördlichen und südlichen Nachbargrundstücken. Über diesen Antrag wurde noch nicht entschieden.

Gegen die Baueinstellungsverfügung vom 15. Mai 2015 ließ der Antragsteller am 15. Juni 2015 Anfechtungsklage erheben. Gleichzeitig beantragte er, die aufschiebende Wirkung seiner Anfechtungsklage betreffend Nr. 1 des Bescheids vom 15. Mai 2015 wiederherzustellen. Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 20. Juli 2015 im Wesentlichen mit der Begründung ab, das Vorhaben des Antragstellers halte die Abstandsflächen an drei Seiten nicht ein. Erscheine im Hinblick auf die Abstandsflächen zu den nördlichen und südlichen Nachbarn aufgrund der von diesen erteilten Nachbarzustimmungen die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO möglich, scheitere derzeit die Herstellung rechtmäßiger Zustände an einer Abstandsflächenübernahme durch die Eigentümerin des (Anm.: östlich des Baugrundstücks, jenseits der S.-Straße liegenden) Grundstücks FlNr. ..., die ihr fehlendes Einverständnis durch ihren bevollmächtigten Ehemann habe erklären lassen. Es sei nicht ersichtlich, dass die Baugenehmigung eine Aussage bezüglich einer umfassenden Prüfung der Abstandsflächen enthalte. In den Gründen des Baugenehmigungsbescheids vom 17. Juni 2014 werde ausdrücklich auf das Verfahren nach Art. 59 BayBO hingewiesen.

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter. Das Vorhaben sei plangemäß ausgeführt worden. Die Wandhöhe der Ostfassade des Wohnhauses sei nach Maßgabe der textlichen Festsetzung Nr. 1.2 des Bebauungsplans mit 5,98 m zu bemessen. Diese Festsetzung wiederhole nicht bloß die Regelung des Art. 6 BayBO, sondern sei eine (eigenständige) Festsetzung. Die Abstandsflächensituation sei insoweit auch Gegenstand eines Antrags auf Befreiung gewesen, vom Prüfungsumfang des Art. 59 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 BayBO erfasst und unter Bezugnahme auf § 31 Abs. 2 BauGB auch erteilt worden. Die Inanspruchnahme der gesamten Straßenfläche für die Abstandsfläche habe die Antragsgegnerin bereits genehmigt, so dass im südlichen Teil der östlichen Außenwand mit einer Außenwandlänge von 4,50 m kein Abstandsflächenproblem bestehe. Im nördlichen Bereich der östlichen Außenwand auf einer Länge von 6 m liege die Abstandsfläche zwar mit einer Tiefe von 45 cm - 50 cm auf dem Nachbargrundstück. Dies sei jedoch eine Fläche, in der durch Dienstbarkeit gesicherte Versorgungsleitungen der Antragsgegnerin liegen würden, so dass sie nicht überbaut werden dürfe. Insoweit seien die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 BayBO gegeben. Dessen ungeachtet hätte die Antragsgegnerin die Einhaltung der Abstandsflächen in vollem Umfang auch dann prüfen müssen, wenn nur eine Befreiung beantragt gewesen wäre. Der Verweis des Verwaltungsgerichts auf Art. 55 Abs. 2 BayBO sei verfehlt, weil angesichts der erteilten Befreiungen kein Fall der präventiven Prüfungsreduktion vorliege und diese Vorschrift keine Anwendung finde, in denen der Bauaufsichtsbehörde - wie hier - ein Fehler unterlaufen sei. Die Antragsgegnerin sei anlässlich des Ortstermins vom 7. Mai 2015 zu Unrecht davon ausgegangen, dass die östliche Außenwand des Wohnhauses vom Urgelände aus zu messen sei, woraus sich eine Abstandsflächenerstreckung von 70 cm - 80 cm auf das Nachbargrundstück errechne (Anm: anstelle der eingeräumten rechnerischen Abstandsflächenerstreckung von ca. 45 cm - 50 cm; vgl. Beschwerdebegründung vom 19.8.2015 S. 9), was aber der textlichen Festsetzung Nr. 1.2 widerspreche. Mit dieser irrigen Rechtsmeinung habe die Antragsgegnerin den Antragsteller aufgefordert, einen Änderungsantrag (Anm.: datiert auf den 5. Mai 2015; vgl. Anlage K2) zu stellen. Dieser, die irrige Rechtsauffassung der Antragsgegnerin berücksichtigende Änderungsantrag sei in der Erwartung einer Befreiung gestellt worden, die die Antragsgegnerin jedoch ausschließlich an die Zustimmung der Nachbarin geknüpft habe. Dies sei rechtsfehlerhaft, weil eine Befreiung im Hinblick auf Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO auch ohne Zustimmung möglich sei. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts überwiege das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Baueinstellungsverfügung nicht die privaten Interessen des Antragstellers, weil die Baumaßnahme weder formell noch materiell rechtswidrig sei. Vielmehr sei zweifelsfrei erkennbar, dass die Klage in der Hauptsache Erfolg haben werde. Hinzu komme, dass die Antragsgegnerin bis heute nicht über ihr angebliches Recht auf Beseitigung entschieden habe, das sie mit der Baueinstellung sichern wolle. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf eine Entscheidung (Anm.: wohl über den ausdrücklich gestellten Änderungsantrag vom 5. Mai 2015) innerhalb angemessener Frist. Die Baueinstellung sei in dieser Phase des Baus unverhältnismäßig. Der Antragsteller sei vor Erlass der Baueinstellungsverfügung nicht angehört worden. Er habe deshalb nicht geltend machen können, dass sich nicht die Eigentümerin des Nachbargrundstücks bei der Antragsgegnerin beschwert habe, sondern deren dinglich nicht berechtigter Ehemann. Hinsichtlich der weiteren Darlegungen des Antragstellers wird auf die umfängliche Beschwerdebegründung verwiesen.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 20. Juli 2015 die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 15. Juni 2015 gegen die Nr. 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 15. Mai 2015 wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Trotz plangemäßer Errichtung des Vorhabens würden die Voraussetzungen des Art. 75 BayBO vorliegen. Das Vorhaben sei materiell rechtswidrig, weil sich die Abstandsfläche über die Mitte der öffentlichen Verkehrsfläche hinaus auf die gesamte Straßenfläche und teilweise sogar auf das gegenüber liegende Grundstück erstrecke, unabhängig davon welcher untere Bezugspunkt für die Bestimmung der Wandhöhe herangezogen werde. Zu Recht sei das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Prüfumfang des Art. 59 BayBO nicht die Prüfung der Abstandsflächen insgesamt enthalten habe. Aus der Tatsache, dass eine Befreiung von der im Bebauungsplan festgesetzten Wandhöhe erteilt und eine beantragte Abweichung für die Westseite (Anm.: für eine Garage an der Nordgrenze) des Grundstücks ausgesprochen worden sei, folge nicht, dass die Antragsgegnerin an allen Seiten die Einhaltung der Abstandsflächen habe prüfen müssen. Die Baueinstellung sei erforderlich gewesen, um die Fertigstellung des Gebäudes zu verhindern, bis geklärt sei, auf welchem Weg rechtmäßige Zustände hergestellt werden könnten.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Behördenakten der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Die vom Antragsteller innerhalb der gesetzlichen Begründungsfrist dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers zu Recht abgelehnt. Die Klage des Antragstellers im Hauptsacheverfahren wird voraussichtlich erfolglos bleiben, so dass das Interesse an der Herstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegenüber dem Vollzugsinteresse an der angefochtenen Baueinstellungsverfügung nachrangig ist.

1. Entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers ist es der Antragsgegnerin als Bauaufsichtsbehörde nicht verwehrt, gegen das Vorhaben nach Art. 75 BayBO vorzugehen. Nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung der Arbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden. Ist eine bauaufsichtliche Genehmigung für ein Vorhaben erteilt, können die Arbeiten gleichwohl eingestellt werden, wenn sich die Genehmigung zu einem materiell-rechtlichen Baurechtsverstoß nicht verhält, einen solchen also nicht in formeller Hinsicht legalisiert. So liegt es hier.

a) Die östliche Außenwand des Wohnhauses des Antragstellers hält gegenüber dem jenseits der S.-Straße liegenden Grundstück FlNr. ... (Nachbargrundstück) die gesetzlichen Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO nicht ein.

aa) Die östliche Außenwand des Wohnhauses des Antragstellers verläuft nach den Bauvorlagen in einem Abstand von 2 m zur Ostgrenze des Baugrundstücks und weist (nach Ansicht des Antragstellers) eine abstandsflächenrelevante Wandhöhe von 5,98 m auf. Die zwischen dem Bau- und dem Nachbargrundstück verlaufende S.-Straße ist in Höhe der beiden Grundstücke zwischen 4,50 m (südlicher Teil) und 3,50 m (nördlicher Teil) breit. Hiervon ausgehend überschreitet die bei einer unterstellten Wandhöhe von 5,98 m gegebene Tiefe der (vollen) Abstandsfläche nicht nur die Straßenmitte (vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO), sondern kommt im nördlichen Teil auch auf dem Nachbargrundstück zu liegen. Ausweislich der Bauvorlagen zur Baugenehmigung vom 17. Juni 2014 wird das Schmalseitenprivileg bereits gegenüber den im Norden und Süden gelegenen Nachbargrundstücken in Anspruch genommen, so dass seine weitere Anwendung nach Osten nicht in Betracht kommt (Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO).

bb) Der Antragsteller kann sich nicht mit Erfolg auf Art. 6 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 Alt. 1 BayBO berufen, soweit die Abstandsfläche des nördlichen Teils der östlichen Außenwand auf das Nachbargrundstück fällt. Danach dürfen sich u. a. Abstandsflächen ganz oder teilweise auf andere Grundstücke erstrecken, wenn rechtlich oder tatsächlich gesichert ist, dass sie nicht überbaut werden. Selbst wenn hier aufgrund von Leitungsrechten oder aus sonstigen Gründen eine nicht überbaubare Grundstücksfläche i. S. d. Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO vorliegen würde, änderte dies nichts an der materiellem Recht widersprechenden und formell auch nicht legalisierten Inanspruchnahme der S.-Straße über deren Mitte hinaus (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO). Davon abgesehen stünde eine ggf. nicht überbaubare Fläche des Nachbargrundstücks FlNr. ... in vollem Umfang diesem Grundstück (Eigentümergrundstück) für eine Abstandsflächenverlagerung zur Verfügung (vgl. Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 4. Auflage 2012, Art. 6 Rn. 61 m. w. N.). Darauf, ob diese nach Ansicht des Antragstellers nicht überbaubare Fläche durch vorhandene bauliche Anlagen bereits abstandsflächenrechtlich in Anspruch genommen ist (vgl. Anlage K11), kommt es mithin nicht an.

b) Mit der Baugenehmigung vom 17. Juni 2014 wurde, anders als der Antragsteller vorträgt, keine Abweichung, Ausnahme oder Befreiung hinsichtlich der vor den Außenwänden des Wohnhauses liegenden Abstandsflächen erteilt.

aa) Nach Nr. 2 des Bescheidstenors der Baugenehmigung vom 17. Juni 2014 wurde die „beantragte Befreiung von den Festsetzungen des rechtsverbindlichen Bebauungsplans ‚W.‘ hinsichtlich der bergseitigen Wandhöhe des Wohnhauses (statt max. 5,50 m - rd. 6 m) zugelassen (§ 31 Abs. 2 BauGB)“.

Diese Befreiung erfolgt von der textlichen Festsetzung Nr. 1.2 des Bebauungsplans. Danach beträgt die Wandhöhe bergseits max. 5,50 m. Die Wandhöhe („Definition gemäß Art. 6 Abs. 3 BayBO“) wird bei Erschließung über verkehrsberuhigte Anliegerstraßen in Bezug auf das Niveau der angrenzenden Verkehrsflächen, von der aus das Gebäude erschlossen wird, festgesetzt; hier also vom Niveau der S. Straße aus. Die textliche Festsetzung Nr. 1.2 regelt das Maß der baulichen Nutzung i. S. v. § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, indem die Gebäudehöhe (vgl. § 16 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO) auf ein bestimmtes maximales Maß in Metern festgelegt wird (hier: 5,50 m). Die der Planfestsetzung zugrunde gelegte Definition der „Wandhöhe“ in Anlehnung an den bauordnungsrechtlichen Begriff der Wandhöhe bestimmt (neben der auch festgesetzten Firsthöhe) die „erforderlichen Bezugspunkte“ i. S. d. § 18 Abs. 1 BauNVO bei der Festsetzung der Höhe baulicher Anlagen. Unterer Bezugspunkt ist demnach (hier) das Straßenniveau; der obere Bezugspunkt folgt aus dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 BayBO 1998 bzw. aus Art. 6 Abs. 4 BayBO 2008 (Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand). Ob die textliche Festsetzung Nr. 1.2 zugleich - abweichend von Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO 2008 (bzw. Art. 6 Abs. 3 BayBO 1998) - das Straßenniveau anstelle der „Geländeoberfläche“ als unteren Bezugspunkt zur Ermittlung der Wandhöhe in abstandsflächenrechtlicher Hinsicht regelt, ist eher fraglich, kann zugunsten des Antragstellers aber unterstellt werden. Fest steht im Übrigen, dass unabhängig von den planlichen Festsetzungen durch Baugrenzen für die Abstandsflächen die Bestimmungen der Bayerischen Bauordnung gelten (Nr. 2 der textlichen Festsetzungen). Hiervon ausgehend regelt die erteilte Befreiung von den Festsetzungen hinsichtlich der bergseitigen Wandhöhe des Wohnhauses keinen - auch keinen teilweisen - Dispens von der Verpflichtung zur Einhaltung der gesetzlichen Abstandsflächen.

bb) Nach Nr. 3 des Bescheidstenors der Baugenehmigung vom 17. Juni 2014 wird eine „Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 Abs. 9 BayBO für die Wandhöhe der Grenzgarage zugelassen (Art. 63 BayBO)“. Diese allein auf die Grenzgarage bezogene Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften lässt im Umkehrschluss erkennen, dass eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften für das Wohnhaus nicht erteilt wurde.

cc) Ohne Belang ist, ob der Antragsteller ursprünglich konkludent (ausdrücklich beantragt wurde eine Abweichung von den bauordnungsrechtlichen Vorschriften zur: „Wandhöhe Grenzgarage“ und eine Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans zur: „Wandhöhe bergseitig“; vgl. Formblattantrag auf Befreiung/Abweichung vom 27.3.2014) auch eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften hinsichtlich (u. a.) der Ostfassade seines Wohnhauses beantragt hatte, ob es im vorliegenden Fall also um nichts anderes gehe, als „dass der Antragsgegnerin ein Fehler vor der Erteilung der Baugenehmigung unterlaufen ist und dass dieser Fehler nun korrigiert werden soll zulasten des Antragstellers“. Denn aus dem Baugenehmigungsbescheid vom 17. Juni 2014 ergibt sich zweifelsfrei, dass eine dahingehende Abweichung nicht erteilt wurde. Wie bereits ausgeführt, wurde in Nr. 2 des Bescheidstenors hinsichtlich der bergseitigen Wandhöhe des Wohnhauses nur eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplan nach „§ 31 Abs. 2 BauGB“ zum Maß der baulichen Nutzung erteilt; in Nr. 3 des Bescheidstenors wurde lediglich eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften für die Wandhöhe der Grenzgarage zugelassen. Aus den Bescheidsgründen der Baugenehmigung ergibt sich nichts anderes („Die Einhaltung der nicht überprüften öffentlich-rechtlichen Vorschriften fällt in die alleinige Verantwortung des Bauherrn und der am Bau Beteiligten“). Angesichts des eindeutigen Wortlauts des Baugenehmigungsbescheids vom 17. Juni 2014 hätte es dem Antragsteller deshalb oblegen, auf eine Entscheidung über eine etwa beantragte Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften hinsichtlich des Wohngebäudes hinzuwirken, bevor er sein Vorhaben ausführt.

2. Die Darlegungen des Antragstellers lassen keine Ermessensfehler der angefochtenen Baueinstellungsverfügung erkennen.

a) Zu Recht weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass eine im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilte Baugenehmigung die Bauaufsichtsbehörde auch unter dem Gesichtspunkt der Ermessensausübung nicht daran hindert, eine Baueinstellungsverfügung zu erlassen. Für den gegenständlichen Fall gilt nichts anderes. Die Bestimmung in Art. 55 Abs. 2 BayBO, auf die das Verwaltungsgericht hinweist, wonach u. a. die Beschränkung der bauaufsichtlichen Prüfung nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung der Anforderungen entbindet, die durch öffentlich-rechtliche Vorschriften an Anlagen gestellt werden und die bauaufsichtlichen Eingriffsbefugnisse unberührt lässt, hat lediglich klarstellende, aber keine die Eingriffsbefugnisse der Bauaufsichtsbehörde einschränkende Funktion. Aus Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO folgt unmittelbar, dass die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung der Arbeiten anordnen kann, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden. Die Errichtung des Wohnhauses steht - wie ausgeführt - im Widerspruch zum materiellen Abstandsflächenrecht; dieser Verstoß wurde durch die Baugenehmigung auch nicht legalisiert, weil eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften für das Wohnhaus des Antragstellers tatsächlich nicht erteilt wurde.

b) Darauf, ob der Antragsteller bereits mit Bauantrag vom 27. März 2014 einen (konkludenten) Antrag auf Erteilung einer Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften für das Wohnhaus gestellt hat, kommt es auch bei der Ermessensprüfung nicht entscheidungserheblich an. Insbesondere ist das Einschreitensermessen der Bauaufsichtsbehörde nicht schon dann reduziert, wenn (unterstellt) über einen Abweichungsantrag nicht entschieden wurde. Werden - wie hier - Nachbarrechte Drittbetroffener durch eine (unterlassene) Abweichungsentscheidung berührt, kann sich die Bauaufsichtsbehörde nicht über das Erfordernis der „Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange“ hinwegsetzen (vgl. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO), um die Auswirkungen eines etwaigen Behördenversehens zugunsten des Bauherrn zu minimieren. Die Bauaufsichtsbehörde kann die unterlassene Abweichungsentscheidung lediglich nachholen, ist dabei aber an die Voraussetzungen des Art. 63 BayBO gebunden. Zwar kann der Bauherr verlangen, dass ein übergangener Abweichungsantrag ermessensgerecht und in angemessener Zeit beschieden wird. Das Ergebnis einer nachzuholenden Abweichungsentscheidung kann deshalb aber nicht zugunsten des Bauherrn vorweggenommen werden, wenn - wie hier - keine durchgreifenden Anhaltspunkte für eine Ermessensreduktion in Richtung der Erteilung der beantragten Abweichung bestehen.

c) Der Einwand, die Antragsgegnerin habe die Grundlagen ihres Ermessens verkannt, weil sie die im Änderungsantrag vom 5. Mai 2015 beantragte Abweichung von den Abstandsflächen für das Wohngebäude falsch berechnet und die Abweichung ausschließlich an die Zustimmung der Nachbarin geknüpft habe, die aber im Hinblick auf Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO nicht erforderlich sei, lässt keine vom Verwaltungsgericht abweichende Bewertung zu.

aa) Wie bereits ausgeführt wurde, fehlt es derzeit an einer positiven Abweichungsentscheidung zugunsten des Vorhabens des Antragstellers. Deshalb kommt es im gegenständlichen Verfahren nicht darauf an, auf welcher Grundlage die Antragsgegnerin die abstandsflächenrelevante Wandhöhe im Hinblick auf den Änderungsantrag ermitteln wird.

Soweit es die gegenständliche Baueinstellungsverfügung betrifft, kann offen bleiben, ob die das Maß der baulichen Nutzung betreffende textliche Festsetzung Nr. 1.2 des Bebauungsplans zugleich auf die Berechnung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen anzuwenden ist. Denn die Antragsgegnerin hat sich ausweislich der Bescheidsbegründung beim Erlass der angefochtenen Baueinstellungsverfügung vom 15. Mai 2015 nicht darauf gestützt, dass die Abstandsfläche der östlichen Hauswand zu „70 cm - 80 cm“ auf dem Nachbargrundstück zu liegen kommt, sondern darauf, dass „die Abstandsfläche nicht nur über die Mitte der Verkehrsfläche sondern sogar in das gegenüberliegende Nachbargrundstück fällt“. Diese Erwägung trifft in der Sache zu. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin vom Erlass der Baueinstellungsverfügung abgesehen hätte oder davon absehen hätte dürfen, wenn sie davon ausgegangen wäre, die Abstandsfläche komme nur „45 cm - 50 cm“ auf dem Nachbargrundstück zu liegen. Die unterschiedliche Auffassung der Verfahrensbeteiligten, von welchem unteren Bezugspunkt die abstandsflächenrelevante Wandhöhe zu bemessen ist (Geländehöhe oder Straßenniveau), ist demnach für die Rechtmäßigkeit der Baueinstellungsverfügung ohne Relevanz. Das Verwaltungsgericht hat im Übrigen weder wörtlich noch sinngemäß ausgeführt, der Antragsteller habe sich „in besonderer Weise rücksichtslos verhalten“ und es hat bei seiner rechtlichen Bewertung entscheidungserheblich auch nicht auf eine etwaige Überschreitung der Abstandsflächen hinsichtlich des nördlichen oder südlichen, sondern allein auf das östliche Nachbargrundstück abgestellt.

bb) Auf die Regelung in Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO kann sich der Antragsteller - wie bereits ausgeführt wurde - nicht berufen, weil eine etwa unbebaubare Fläche in vollem Umfang dem Eigentümergrundstück, hier also dem Grundstück FlNr. ... zur Verfügung steht (vgl. Schwarzer/König, a. a. O., Art. 6 Rn. 61 m. w. N.). Dass die Antragsgegnerin dem Vortrag des Antragstellers zufolge die Erteilung der mit Änderungsantrag vom 5. Mai 2015 beantragten Abweichung an die Zustimmung der Nachbarin knüpft, ist nicht von vornherein zu beanstanden. Die Antragsgegnerin gibt damit wohl zu erkennen, dass einer Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften aus ihrer Sicht keine rein öffentlichen Belange entgegenstehen. Anders verhält es sich hinsichtlich der im Rahmen einer Abweichung zu prüfenden öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange (Art. 63 Satz 1 BayBO), über die die Bauaufsichtsbehörde nicht nach Belieben disponieren kann. Insoweit kann es gerechtfertigt sein, dem Bauherrn zunächst aufzugeben, eine Nachbarzustimmung einzuholen. Allein die Versagung der Zustimmung durch den Nachbarn hindert die Bauaufsichtsbehörde allerdings nicht, gleichwohl eine Abweichung von der Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften zu erteilen, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. Angesichts der im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Umstände und im Hinblick auf die nachbarschützende Intention des Abstandsflächenrechts ist nach Lage der Akten nicht ersichtlich, dass allein die Erteilung der nunmehr ausdrücklich beantragten Abweichung ermessensgerecht wäre.

d) Schließlich ist die Baueinstellungsverfügung nicht unverhältnismäßig. Nachdem eine die Rechte des Nachbargrundstücks betreffende Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugunsten des Vorhabens des Antragstellers bislang nicht erteilt wurde und keine Anhaltspunkte für eine dahingehende Ermessensreduktion ersichtlich sind, ist derzeit offen, ob eine künftige Abweichungsentscheidung einer rechtlichen Prüfung standhalten würde. Wäre tatsächlich eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften erteilt worden oder wird eine solche erteilt, müsste die betroffene Nachbarin im Übrigen nicht „im Wege des Antrags nach § 123 VwGO vorgehen“. Sie könnte die Baugenehmigung vielmehr anfechten und zugleich einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung stellen (vgl. § 212 a Abs. 1 BauGB, § 80 a Abs. 3, Abs. 5 VwGO). In einem gerichtlichen Verfahren wäre dann zu klären, ob die zu begründende Ermessensentscheidung (vgl. Art. 68 Abs. 2 Satz 2 BayBO), an der es bislang fehlt, insbesondere mit den öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belangen vereinbar ist (vgl. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO). Es ist deshalb nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin die Baueinstellung mit der Begründung verfügt hat, bis zu einer Entscheidung über eine mögliche Anordnung eines möglichen (Teil-) Rückbaus solle verhindert werden, dass weitere vollendete Tatsachen geschaffen werden. Dass die Antragsgegnerin bislang keinen Rückbau angeordnet hat, kann nicht als Nachteil zulasten des Antragstellers gewertet werden. Die Antragsgegnerin ist aber gehalten, alsbald über den nunmehr ausdrücklich gestellten Abweichungsantrag zu entscheiden, nachdem die Eigentümerin des östlichen Nachbargrundstücks offenbar nicht bereit ist, das Angebot des Antragstellers anzunehmen und ihre Zustimmung zu dem Vorhaben zu erteilen.

3. Das Verwaltungsgericht hat unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 28. April 2015 (Az. 9 ZB 15.714 - juris Rn. 5 m. w. N.) zutreffend ausgeführt, dass ein etwaiger Anhörungsmangel in entsprechender Anwendung des Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BayVwVfG im Eilverfahren geheilt worden wäre. Hiermit setzt sich die Beschwerdebegründung nicht substantiiert auseinander. Davon abgesehen ist es ohne Belang, ob eine Beschwerde der Nachbarin als Eigentümerin des betroffenen Nachbargrundstücks oder eine Beschwerde ihres dinglich nicht berechtigten Ehemanns den Anlass gab, bauaufsichtlich einzuschreiten. Ein bauaufsichtliches Tätigwerden ist nicht nur auf Antrag des betroffenen Eigentümers, sondern stets dann veranlasst, wenn die Bauaufsichtsbehörde Kenntnis von einer im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften stehenden Errichtung, Änderung oder Beseitigung einer Anlage erlangt.

4. Nach den vorstehenden Ausführungen hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Baueinstellungsverfügung das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt. Insbesondere ist die Ausführung des Vorhabens derzeit in materieller und formeller Hinsicht rechtswidrig.

5. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Sie folgt der Streitwertfestsetzung der erstinstanzlichen Entscheidung, gegen die keine Einwände erhoben wurden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.


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(1) Ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist.

(2) Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt darf, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden,

1.
wenn der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist;
2.
wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat;
3.
wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde;
4.
wenn die Behörde auf Grund einer geänderten Rechtsvorschrift berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, soweit der Begünstigte von der Vergünstigung noch keinen Gebrauch gemacht oder auf Grund des Verwaltungsaktes noch keine Leistungen empfangen hat, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde;
5.
um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen.
§ 48 Abs. 4 gilt entsprechend.

(3) Ein rechtmäßiger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden,

1.
wenn die Leistung nicht, nicht alsbald nach der Erbringung oder nicht mehr für den in dem Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet wird;
2.
wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat.
§ 48 Abs. 4 gilt entsprechend.

(4) Der widerrufene Verwaltungsakt wird mit dem Wirksamwerden des Widerrufs unwirksam, wenn die Behörde keinen anderen Zeitpunkt bestimmt.

(5) Über den Widerruf entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zu widerrufende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(6) Wird ein begünstigender Verwaltungsakt in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 3 bis 5 widerrufen, so hat die Behörde den Betroffenen auf Antrag für den Vermögensnachteil zu entschädigen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen schutzwürdig ist. § 48 Abs. 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend. Für Streitigkeiten über die Entschädigung ist der ordentliche Rechtsweg gegeben.

Tenor

I.

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller im Rahmen der Obdachlosenunterbringung unverzüglich eine Unterkunft zuzuweisen.

II.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der von seinem Betreuer gesetzlich vertretene Kläger (geboren am ... 1964) begehrt im Weg der einstweiligen Anordnung die Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft.

1. Die Antragsgegnerin betrieb ein eigenes Obdachlosenheim, das im Februar 2015 abgebrannt ist. Die Fertigstellung eines vom Stadtrat der Antragsgegnerin beschlossenen Neubaus einer Obdachloseneinrichtung ist derzeit nicht absehbar. Zwischenzeitlich mietet die Antragsgegnerin zur Unterbringung Obdachloser jeweils Zimmer in einem ehemaligen Kasernengebäude (...straße ... bis ...) bei einem privaten Vermieter (Herrn C.) an. Auch der Antragsteller bewohnte im Rahmen der Obdachlosenunterbringung zuletzt ein Zimmer in diesem ehemaligen Kasernengebäude.

Am 19. Mai 2015 kam es in der ...straße ... zu einem Polizeieinsatz, da der Antragsteller beschuldigt wurde, eine WC-Türe mit einem Taschenmesser zerkratzt zu haben. Am 21. Mai 2015 kam es dort zu einem weiteren Polizeieinsatz; der Antragsteller wurde von zwei Bewohnern der Unterkunft beschuldigt, sie mit seinem Taschenmesser bedroht zu haben.

Seit dem 22. Mai 2015 befindet sich der Antragsteller im Bezirkskrankenhaus ... in stationärer Behandlung.

Mit Schreiben vom 22. Juli 2015 bat der Betreuer die Antragsgegnerin um Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft für den Antragsteller, da dieser aus der stationären Therapie des Bezirkskrankenhauses ... entlassen werden solle. Zu seiner (Neu-) Bestellung im Rahmen eines Betreuerwechsels legte er den entsprechenden Beschluss des Amtsgerichts ... (Abteilung für Betreuungssachen) vom 15. Juli 2015 vor. Danach umfasst die Betreuung unverändert u. a. die Aufgabenkreise Entscheidung über Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen, Wohnungsangelegenheiten und Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Gesundheitsfürsorge. Zudem wurde der bereits bestehende Einwilligungsvorbehalt aufrechterhalten. Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, dass der Antragsteller aufgrund einer schizophrenen Psychose und einer Suchterkrankung nicht in der Lage sei, die Angelegenheiten zu besorgen, die zu den genannten Aufgabenkreisen gehörten.

Mit Schreiben vom 27. Juli 2015 wies der Betreuer auf die Dringlichkeit eines Zuweisungsbescheids hin. Die Antragsgegnerin teilte ihm daraufhin mit Fax-Schreiben vom selben Tag mit, dass der Vermieter des vom Antragsteller bewohnten Zimmers, Herr C., mitgeteilt habe, dass er diesen nicht mehr aufnehmen werde und mit der Antragsgegnerin kein entsprechendes Mietverhältnis eingehen werde. Als Grund hierfür habe der Vermieter angegeben, dass der Antragsteller einen Wasserschaden von rund 10.000 EUR verursacht habe, da er sich eingebildet habe, durch das ständige Laufenlassen von Wasser gebe es in seinem Zimmer einen höheren Sauerstoffge-halt. Der Antragsteller habe seine Miete und die daraus resultierenden Schulden nicht gezahlt. Er habe nie eine Toilette aufgesucht, sondern sein „Geschäft“ in einen Eimer auf seinem Zimmer verrichtet und, wenn der Eimer voll gewesen sei, auch im Zimmer. Andere Unterkunftsmöglichkeiten habe die Antragsgegnerin derzeit nicht.

2. Am 27. Juli 2015 stellte der Betreuer beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg (sinngemäß) den Antrag,

die Antragsgegnerin im Weg einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller im Rahmen der Obdachlosenunterbringung eine Unterkunft zuzuweisen.

Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, dass die behandelnden Ärzte des Antragstellers, der sich seit 22. Mai 2015 zur stationären Behandlung im BKH ... befinde, ihn gebeten hätten, die Entlassung des Antragstellers vorzubereiten. Die Antragsgegnerin habe seinen Antrag, dem Antragsteller eine Unterkunft zuzuweisen, mit Fax vom 27. Juli 2015 abgelehnt und dabei auf die nicht belegten Aussagen des früheren Vermieters Bezug genommen, der im Moment auch die Obdachlosenunterkunft für die Antragsgegnerin stelle.

Die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin beantragten mit Schreiben vom 29. Juli 2015,

den Antrag abzulehnen.

Nachdem das Obdachlosenwohnheim der Antragsgegnerin abgebrannt sei, sei mit Herrn C. eine Vereinbarung darüber abgeschlossen worden, dass dieser der Antragsgegnerin in der ...-straße ... bis ... (ehemaliges Kasernengebäude) Zimmer für die Unterbringung Obdachloser nach Bedarf vermietet. Eine andere Unterbringungsmöglichkeit stehe der Antragsgegnerin derzeit nicht zur Verfügung. Im Zusammenhang mit der Anfrage des Betreuers sei auch bei allen Pensionswirten und sonstigen Anbietern von Fremdenzimmern nach freien Kapazitäten gefragt worden. Diese seien in der Ferienzeit vollständig ausgebucht. Die Suche nach freien Wohnmöglichketen auf dem Wohnungsmarkt sei der Antragsgegnerin nur im gleichen Rahmen wie dem Betreuer möglich.

Der Antragsteller sei nicht unterbringungsfähig. In der zuletzt bewohnten Wohnung habe er ein massiv sozialschädliches und für die anderen Mieter gefährliches Verhalten gezeigt. Auf die Stellungnahme des Vermieters, Herrn C., und der Polizeiinspektion ... vom 27. Juli 2015 werde verwiesen. Aufgrund dieser Auffälligkeiten sei der Antragsteller schließlich ins BKH ... eingewiesen worden. Solange kein Fachgutachten eines behandelnden Arztes vorgelegt werde, dass der Antragsteller wieder in der Lage sei, ohne fachliche Betreuung allein zu leben und keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit und insbesondere für die Mitbewohner darstelle, sei er nicht unterbringungsfähig im Sinne des LStVG. Vorrangig müsse sich der Betroffene selber darum bemühen, die Wohnungslosigkeit aus eigener Kraft zu beseitigen. Es seien keine Bemühungen des Betreuers, der auch für Wohnungsangelegenheiten zuständig sei, bekannt. Da die Entlassung aus dem BKH ohne gesicherte Unterbringung scheinbar nicht geschehe, stehe dem Betreuer offenbar genug Zeit zur Verfügung, die Unterbringung zu organisieren.

Mit Schreiben vom 30. Juli 2015 wies der Betreuer des Antragstellers darauf hin, dass die Entscheidung, wem eine Obdachlosenunterkunft zugewiesen werde, allein der Antragsgegnerin obliege und nicht von einem privaten Vermieter entschieden werden könne.

Mit richterlichen Schreiben vom 30. Juli und 31. Juli 2015 wurde der Betreuer darauf hingewiesen, dass an der Unterbringungsfähigkeit des Antragstellers erhebliche Zweifel bestünden. Daher sei eine Bescheinigung der behandelnden Ärzte des BKH erforderlich, ob der Antragsteller dazu in der Lage sei, selbstständig in einer Obdachlosenunterkunft zu wohnen.

Die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin teilten mit Schreiben vom 3. August 2015 mit, es bestehe mit Herrn C. keine schriftliche Vereinbarung dahingehend, dass die Antragsgegnerin ohne weiteres Obdachlose in seine Räume einweisen könne. Herr C. habe sich nach dem Brand im Obdachlosenheim grundsätzlich bereit erklärt, im Rahmen jeweils einzelner Mietverträge Obdachlose in seinen Räumen unterzubringen. Zuweisungsbescheide seien nicht erforderlich gewesen. Nachweise hinsichtlich der ausstehenden Mietzahlungen sowie der vom Antragsteller verursachten Schäden lägen nicht vor. Nach der beiliegenden Tourismus-Information vom 27. Juli 2015 seien derzeit alle Gästezimmer und Ferienwohnungen ausgebucht. Beigefügt war diesem Schreiben u. a. die schriftliche Erklärung des Herrn C. vom 3. August 2015, dass der Antragsteller im Mai dieses Jahres drei Wochen lang das Warmwasser habe laufen lassen und den Abfluss verstopft habe, so dass das Wasser sich im Zimmer und im Flur verbreitet habe. Der Antragsteller habe nicht mit sich reden lassen, sondern habe ihn sogar mit einem Messer bedroht. Ihm sei dadurch ein Schaden von rund 10.000 EUR entstanden (Wasser- und Stromverbrauch, Schaden im Zimmer und dgl.). Den Schaden habe er, um Kosten zu sparen, selbst behoben (Entfernen des Bodens, Schimmelbeseitigung usw.), da er vom Antragsteller kein Geld bekommen hätte. In der beiliegenden E-Mail der Hausverwaltung an Herrn C. vom 11. Juni 2015 wird mitgeteilt, dass der Verbrauch im Gebäude enorm gestiegen sei, obwohl keine Heizung mehr genutzt werde.

Der Betreuer des Antragstellers legte mit Schreiben vom 13. August 2015 die ärztliche Stellungnahme des BKH ... vom 6. August 2015 vor. Darin wird u. a. ausgeführt, dass beim Antragsteller eine langjährige schizophrene Psychose und eine Alkoholkrankheit bestehen. Eine regelmäßige psychiatrische Behandlung sei erforderlich. Der Antragsteller sei beim aktuellen Klinikaufenthalt einsichtig und behandlungsmotiviert gewesen. Zur Vereinfachung und Sicherstellung der Behandlung sei der Antragsteller mit einer intramuskulären Depot-Medikation einverstanden. Während des stationären Aufenthalts sei es zu keinen hygienischen Mängeln und keinen erheblichen Sachbeschädigungen gekommen. Gelegentliche impulsive Erregungszustände seien in der Regel rasch abgeklungen. Bei regelmäßig ärztlich-psychiatrischer Behandlung mit Unterstützung seines Betreuers sei eine erneute Obdachlosenunterbringung möglich. Eine dem Antragsteller vorgeschlagene Soziotherapie werde von ihm nicht gewünscht.

Der Betreuer wies darauf hin, dass er die regelmäßige ärztlich-psychiatrische Behandlung begleiten könne, indem er den Antragsteller zur Einhaltung der Termine zur Verabreichung der Depot-Medikation anhalte. Zwang könne er nicht ausüben. Eine Einweisung in die Notlösung der Unterkunft der Antragsgegnerin halte er wegen der Vorfälle im Mai 2015 nicht für angebracht.

Die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin vertieften mit Schreiben vom 18. August und 24. August 2015 ihre Ansicht, dass es keinen Bedarf für eine Zuweisung durch die Antragsgegnerin gebe, da der Antragsteller aus dem BKH nicht in die Obdachlosigkeit entlassen werde, so dass der Betreuer genügend Zeit habe, eine geeignete Wohnung zu suchen.

Der Betreuer wies mit Schreiben vom 24. August 2015 darauf hin, dass er einem potentiellen Vermieter ehrliche Auskünfte zu früheren Mietverhältnissen des Antragstellers erteilen müsste, die mit Sicherheit der Anmietung einer Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt entgegenstehen würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat auch in der Sache Erfolg.

1. Nach § 123 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind dabei glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO).

Diese Voraussetzungen liegen nach Auffassung der erkennenden Kammer vor.

Die Gemeinden sind als Sicherheitsbehörden nach Art. 6 und Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) verpflichtet, eine mit einer eingetretenen oder drohenden Obdachlosigkeit verbundene Störung der öffentlichen Ordnung und Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit im Hinblick auf die für den Obdachlosen selbst drohenden gesundheitlichen Gefahren zu beseitigen. Obdachlos ist dabei derjenige, der ohne Unterkunft ist bzw. dem der Verlust seiner ständigen oder vorübergehenden Unterkunft unmittelbar droht (Ruder/Bätge, Obdachlosigkeit, II. Kapitel 1.).

Obdachlosigkeit setzt nach der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung (BayVGH, B. v. 23.1.2008 - 4 CE 07.2893 -; B. v. 21.9.2006 - 4 CE 06.2465 - jeweils juris) jedoch nicht nur objektiv das Fehlen einer Wohnmöglichkeit voraus. Vielmehr besteht ein Anspruch des Obdachlosen auf sicherheitsrechtliches Einschreiten nur, soweit und solange er die Gefahr nicht selbst aus eigenen Kräften oder mit Hilfe der Sozialleistungsträger in zumutbarer Weise und Zeit beheben kann (vgl. VG Würzburg, B. v. 7.4.2014 - W 5 E 14.306 - juris m. w. N.). Die Selbsthilfe des Betroffenen hat daher stets Vorrang vor sicherheits-, polizei- und ordnungsrechtlichen Maßnahmen (Ruder/Bätge, Obdachlosigkeit, VI. Kapitel 3.).

Zudem setzt die Unterbringung eines Obdachlosen nach dem Obdachlosenrecht sowohl dessen Unterbringungsfähigkeit als auch dessen Unterbringungswilligkeit voraus (so ausdrücklich in jüngster Zeit BayVGH, B. v. 6.8.2015 - 4 C 15.1578 - juris Rn. 13 m. w. N.).

a) Aufgrund der aktenkundigen Gesamtumstände des vorliegenden Falls ist davon auszugehen, dass der Antragsteller obdachlos bzw. von Obdachlosigkeit unmittelbar bedroht ist.

Die Tatsache, dass der Antragsteller sich derzeit (noch) im BKH ... befindet und von dort nicht in die Obdachlosigkeit entlassen wird, ändert daran nichts. Ziel eines stationären Krankenhausaufenthalts ist die Heilung oder Linderung einer Krankheit und nicht die Bewahrung vor Obdachlosigkeit. Zudem liegt es auf der Hand, dass dem Betreuer die Anmietung einer Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt oder auch eines Zimmers in einer Fremdenpension angesichts der langjährigen Erkrankung des Antragstellers an einer schizophrene Psychose sowie einer Alkoholkrankheit und seines darauf (wohl) beruhenden nicht sozialadäquaten Verhaltens in seiner bisherigen Unterkunft, wenn überhaupt, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit gelingen wird. Dass ein stationärer Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus ohne entsprechende medizinische Erforderlichkeit nicht auf unabsehbare Zeit fortdauern kann, ist offensichtlich. Damit kann sich die Antragsgegnerin nicht auf den noch andauernden Krankenhausaufenthalt des Antragstellers berufen, zumal dessen Entlassung bereits avisiert ist, sondern muss ihm, da er bzw. sein Betreuer die Gefahr der Obdachlosigkeit nicht in einer zumutbaren Zeitspanne beheben kann, eine Unterkunft zur Verfügung stellen.

b) Die Antragsgegnerin kann ihrer Pflicht, den Antragsteller nach dem Obdachlosenrecht unterzubringen, nicht mit dem Einwand fehlenden Wohnraums begegnen. Ebenso wenig greift der Einwand, zur Unterbringung von Obdachlosen stünden der Antragsgegnerin derzeit nur die von Herrn C. vermieteten Räume zur Verfügung, der aber eine erneute Aufnahme des Antragstellers verweigere. Die Antragsgegnerin hat vielmehr die Voraussetzungen für eine Unterbringung zu schaffen, sei es, sofern die Möglichkeit einer Anmietung eines geeigneten Raums nicht besteht, als „ultima ratio“ durch eine Beschlagnahmeverfügung.

Soweit der Betreuer in seinem Schreiben vom 13. August 2015 die Unterbringung in der bisherigen Unterkunft (ehemaliges Kasernengebäude in der ...-straße ...) wegen der Vorfälle vom Mai 2015 nicht für angebracht hält, ist darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf Unterbringung in einer bestimmten Unterkunft hat. Soweit es der Antragsgegnerin, die derzeit nicht über eine eigene Notunterkunft verfügt, gerade im Hinblick auf die unverzüglich vorzunehmende Unterbringung des Antragstellers nicht möglich ist, eine andere Unterkunft zu beschaffen als eine im ehemaligen Kasernengebäude, hat der Antragsteller dies hinzunehmen, zumal er selbst bzw. sein Betreuer (zu Recht) darauf hingewiesen hat, dass es im Hinblick auf die psychische Erkrankung des Antragstellers in absehbarer Zeit nicht möglich ist, eine Wohnung auf dem freien Markt zu beschaffen (siehe hierzu auch die Ausführungen unter a)).

c) Die von der Antragsgegnerin geltend gemachten Zweifel an der Unterbringungsfähigkeit des Antragstellers sind - jedenfalls im Zeitpunkt dieser Entscheidung -ausgeräumt. In der ärztlichen Stellungnahme des BKH ... vom 6. August 2015 (Bl. 63/64 der Gerichtsakte) wird ausdrücklich festgestellt, dass „bei regelmäßig ärztlich-psychiatrischer Behandlung mit Unterstützung seines Betreuers eine erneute Obdachlosenunterbringung des Antragstellers möglich ist“. Nachdem der Betreuer in seinem Schreiben vom 13. August 2015 zugesichert hat, dass er die regelmäßige ärztlich-psychiatrische Behandlung begleiten werde, indem er den Antragsteller zur Einhaltung der Termine zur Verabreichung der Depot-Medikation anhalten werde, bestehen derzeit keine Bedenken an einer Unterbringung des Antragstellers im Rahmen des Obdachlosenrechts.

Insoweit wird jedoch auf Folgendes hingewiesen:

Sollte sich erweisen, dass Hilfestellungen des Betreuers nicht ausreichen und der Antragsteller zukünftig die ihm zugewiesene Unterkunft z. B. übermäßig abnutzt, nicht sauber hält oder gar beschädigt oder den Hausfrieden erheblich stört - wobei allerdings kein kleinlicher Maßstab angelegt werden darf -, so kann die Antragsgegnerin die Zuweisung gemäß Art. 49 BayVwVfG ggf. widerrufen (vgl. .insoweit BayVGH, B. v. 6.8.2015 - 4 C 15.1578 - juris Rn. 13 m. w. N.; VG Ansbach, U. v. 24.7.2014 - AN 5 K 13.1906 - juris).

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

3. Die Streitwertfestsetzung folgt § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) und den Empfehlungen in Nr. 1.5, 35.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anhang zu § 164 Rn.14). Der danach anzusetzende Auffangwert von 5.000,- EUR ist in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

 
1. Der Antrag, im Wege der Abänderung des Beschlusses der Kammer vom 16.12.2016 (6 K 4481/16) gem. § 80 Abs. 7 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 27.9.2016 gegen die Räumungs- und Umsetzungsverfügung der Antragsgegnerin vom 15.9.2016 wiederherzustellen bzw. anzuordnen, ist unzulässig, soweit er sich auf die unter Ziff. 2 dieser Verfügung angeordnete Einweisung des Antragstellers in die Gemeinschaftsunterkunft für obdachlose Männer in der Bahnhofstr. 12 in Singen richtet.
Denn die Antragsgegnerin hat mit Verfügung vom 6.2.2017 (BAS 175) diese (unter Ziff. 3 des Bescheids vom 15.9.2016 nur bis 31.12.2016 befristet angeordnete) Einweisung wegen der amtsärztlich dem Antragsteller attestierten, infolge seiner psychischen Erkrankung fehlenden Fähigkeit, in einer Gemeinschaftsunterkunft zusammen mit anderen untergebracht zu werden, nicht mehr aufrechterhalten bzw. keine neue Einweisung mehr verfügt, sondern ausdrücklich auf S. 6 der Verfügung vom 6.2.2107 (BAS 180) diese (bisherige) Einweisungsverfügung als „erledigt“ bezeichnet und deshalb ausdrücklich allein eine Räumung, nicht aber auch eine neue Einweisung verfügt, und hat dies auch so noch einmal in ihrer Antragserwiderung vom 7.2.2017 (GAS 87) erklärt hat.
Damit aber fehlt dem Antragsteller insoweit das Rechtsschutzinteresse. Denn er hat trotz des gerichtlichen Hinweises vom 10.2.2017 auf diese tatsächlich durch Zeitablauf eingetretene Erledigung (§ 43 Abs. 2 VwVfG) der Einweisungsverfügung bisher nicht, wie gerichtlich angeregt, den Rechtsstreit insoweit (unter Verwahrung gegen die Kostenlast) für erledigt erklärt, sondern stattdessen den Antrag auch insoweit bis heute unverändert aufrechterhalten, obwohl er dadurch offensichtlich gar nicht mehr beschwert ist.
2. Im Übrigen ist der Antrag bei sachdienlicher Auslegung des Begehrens des Antragstellers (§§ 86 Abs. 3, 88 VwGO) auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bezüglich der unter Ziff. 1 der Verfügung vom 15.9.2016 und die im Zusammenhang damit unter Ziff. 5 verfügte Androhung der Zwangsräumung - unter Einbeziehung der Verfügung vom 6.2.2107 in das bereits anhängige Widerspruchsverfahren und vorliegende Abänderungsverfahren (siehe dazu m.w.Nw. den gerichtlichen Hinweis im vorliegenden Verfahren vom 10.2.2016 - GAS 61) ohne neuerliches Widerspruchsverfahren - gerichtet. Denn der Sache nach wendet sich der Antragsteller ausweislich seiner Antragsbegründung vom 6.2.2017 (GAS 51) auch gegen die unter den Ziffern 1 und 3 dieser Verfügung vom 6.2.2107 mit einer bis 15.2.2017 verlängerten Räumungsfrist angeordnete Räumung der bisherigen Obdachlosenunterkunft im sog. Conti-Hochhaus und Androhung der Zwangsräumung. Zur Begründung verweist er der Sache nach sinngemäß darauf, diese verfügte Räumungsanordnung sei rechtswidrig, nämlich ermessensfehlerhaft, weil sie ihn, mangels einer zugleich verfügten erneuten Einweisung in eine ihm angemessene Einzelunterkunft, aus dem Conti-Hochhaus hinaus praktisch direkt in die Obdachlosigkeit hinein versetze, für die er nicht verantwortlich sei, weil die Bemühungen der Antragsgegnerin unzureichend bzw. sogar nur vorgeschoben worden seien, ihm eine einzelne Wohnung anzubieten bzw. wirksam zu vermitteln.
Dieser Antrag ist indessen unbegründet.
Das der Antragsgegnerin nach §§ 1 und 3 LPolG eröffneteRäumungsermessen (siehe dazu die vorangegangenen Beschlüsse der Kammer vom 8.11.2016 - 6 K 3975/16 und v. 16.12.2016 - 6 K 4481/16 - bestätigt durch VGH Bad.-Württ., B. v. 28.12.2016 - 1 S 2593/16) hat sie nämlich entgegen der Ansicht des Antragstellers aller Voraussicht nach ermessensfehlerfrei (§§ 40 VwVfG, 114 VwGO) ausgeübt, so dass sich der Widerspruch des Antragstellers, dessen aufschiebende Wirkung er mit vorliegendem Antrag begehrt, höchstwahrscheinlich als erfolglos erweisen wird. Von daher überwiegt im Rahmen der vom Gericht aufgrund der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 und Abs. 7 VwGO nur vorzunehmenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage das Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Räumung das gegenläufige private Interesse des Antragsstellers, von einer Vollstreckung der Räumungsanordnung vorläufig bis zur endgültigen Klärung ihrer Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben.
Das der Antragsgegnerin als Ortspolizeibehörde hinsichtlich ihrer Verpflichtung zur Abwehr einer sich aus einer Obdachlosigkeit resultierenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit eingeräumte Ermessen, hat sie pflichtgemäß unter Berücksichtigung aller Umstände auszuüben (vgl. VGH Bad.-Württ., B. v. 24.2.1993 - 1 S 279/93 -, juris = VwBlBW 1993, 304).
Insoweit hat sie wegen ihrer bestehenden polizeirechtlichen Grundverpflichtung, unfreiwillige Obdachlosigkeit abzuwehren, auch zu prüfen, ob der Adressat einer Verfügung, mit der ihm die Räumung einer ihm zur Vermeidung seiner bisherigen Obdachlosigkeit zugewiesenen Obdachlosenunterkunft aufgegeben wird, dadurch nicht erneut und zugleich gerade wieder in einen Zustand der unfreiwilligen Obdachlosigkeit gerät, den es durch Unterlassung der Räumungsanordnung oder aber durch Erlass einer neuen Einweisungsverfügung gerade zu vermeiden gilt. Denn andernfalls würde sie sich nach dem Grundsatz der Unbeachtlichkeit selbstwidersprüchlichen Verhaltens („dolo agit, qui agit, quod statim redditurus est“ = „treuwidrig handelt, wer etwas verlangt, was er gleich wieder herausgeben muss“) dem Vorwurf der Treuwidrigkeit ausgesetzt sehen, wenn sie einen Zustand schafft, den sie sofort wieder beseitigen muss.
Dass der Antragsteller infolge der ohne erneute Einweisung verfügten Räumungsanordnung in die unfreiwillige Obdachlosigkeit geraten wird, hat die Antragsgegnerin ausweislich der Begründung ihrer Verfügung vom 6.2.2017 aber ermessensfehlerfrei verneint, mit dem sie die Räumungsfrist nur bis 15.2.2017 verlängert, im Übrigen aber ab diesem Zeitpunkt dem Antragsteller die Räumung weiterhin aufgegeben hat.
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Sie hat nämlich zu Recht darauf verwiesen, dass ihre Gefahrenabwehrpflicht nur bezüglich der Abwehr einer „unfreiwilligen“ Obdachlosigkeit gilt, die nur dann vorliegt, wenn eine Person nicht über eine Unterkunft verfügt, die einen Minimalschutz vor der Witterung und zur Sicherung der notwendigsten Lebensbedürfnisse bietet (vgl. VGH Bad.-Württ., B. v. 5.3.1996 - 1 S 470/96 -, NVwZ-RR 1996, 439 = juris), die aber - wegen der Subsidiarität des Obdachlosenrechts - nicht vorliegt, wenn der Betroffene selbst - wirtschaftlich, finanziell und nach den gesamten tatsächlichen Verhältnissen des Wohnungsmarktes - dazu in der Lage ist, die drohende Obdachlosigkeit abzuwenden (dies etwa für den Fall durch fristlose Kündigung von einem Tag auf den anderen auf die Straße gesetzter rumänischer Erntehelfer verneinend, denen noch nicht einmal der Lohn ausgezahlt worden war, so dass sie sich noch nicht einmal selbst mit Nahrungsmitteln versorgen konnten VG Sigmaringen, U. v. 27.7.2011 - 5 K 2547/09 -, juris, Rn. 24 - 26). Unfreiwillig obdachlos ist nämlich nur jemand, der keine Wohnung hat und nicht in der Lage ist, die Wohnungslosigkeit aus eigener finanzieller Kraft oder zumindest mit Hilfe von Sozialleistungen in zumutbarer Weise und Zeit zu beseitigen (vgl. VG Augsburg, B. v. 12.9.2014 - Au 7 S 14.1263 -, juris, Rn. 24). Dabei ist darauf abzustellen, ob sich der Betreffende unter Ausschöpfung aller ihm zu Gebote stehenden zumutbaren Eigenmaßnahmen, auch finanzieller Art, selber eine nur vorübergehende und den Mindestanforderungen genügende Bleibe verschaffen kann (vgl. BayVGH, B. v. 10.3.2005 - 4 CS 05.219 -, juris und b. v. 13.2.2014 - 4 CS 14.125 -, juris; siehe ferner zur Subsidiarität des Obdachlosenrechts im Hinblick auf die vorrangige Pflicht zur Gefahrenabwehr durch die Selbsthilfe des Betroffenen ausführlich und m.w. Nw. d. Rspr. Ruder, Die polizeirechtliche Unterbringung von Obdachlosen, VBlBW 2017, 1 [6, 7]). Das wird z.B. in der Rechtsprechung für den Fall erwogen, dass der Betroffene über einem monatliche Rente in Höhe von ca. 1.200,- Euro verfügt und somit in der Lage sein dürfte, sich selbst eine kostengünstige, einfache Unterkunft zu verschaffen (vgl. VG München, B. v. 7.9.2016 - M 22 E 16.1415 -, juris, Rn. 28).
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Dass der Antragsteller in diesem Sinne infolge der Räumungsanordnung der Antragsgegnerin ab heute in einen Zustand der unfreiwilligen Obdachlosigkeit gerät, ist hier im vorliegenden Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit zu verneinen.
12 
Das zeigt schon der Umstand, dass der Antragsteller, obwohl die Antragsgegnerin sich ausweislich der vorliegenden Behördenakten und der darin enthaltenen Aktenvermerk, mehrfach und ausdauernd in jeder Hinsicht bemüht hat, ihm Wohnung zu benennen, um deren Anmietung er sich kümmern könne, bisher ganz offenbar in keiner Weise damit auch nur befasst hat, selbst jemals einen Schritt aus eigenem Antrieb zu gehen und sich selbst um eine bescheidene Unterkunft und deren Anmietung (ggf. mit finanzieller Unterstützung von Sozialträgern) auch nur zu bemühen, geschweige denn, dies dem Gericht auf dessen Bitten hin auch nur ansatzweise vorzutragen und glaubhaft zu machen.
13 
Hatte der Antragsteller im vorangegangenen Verfahren noch darauf verwiesen, seit Mitte Dezember 2016 wieder arbeitslos zu sein, hat er nunmehr im vorliegenden Verfahren mit Schreiben vom 6.2.2017 mitgeteilt, dass er wieder arbeite und deshalb einer Wohnung in der Nähe öffentlicher Verkehrsmittel benötige, da er mangels Führerschein und Fahrzeug sonst nicht morgens zur Arbeit fahren könne. Von daher ist davon auszugehen, dass er aktuell wieder arbeitet und demnach im Grundsatz über ein Einkommen verfügt, das ihm die Anmietung, eventuell mit zusätzlichen staatlichen Zuschüssen, einer bescheidene Unterkunft ermöglicht.
14 
Auf die gerichtliche dringende und eindeutige Aufforderung, im Einzelnen seinen Verdienst, seine Einkommen, seinen eventuellen Bezug von Sozialleistungen oder seine entsprechenden Anträge auf Sozialleistungen , etwa Wohngeldanträge oder -ersuchen dem Gericht im vorliegenden Verfahren mitzuteilen, bzw. in dem der Sache nach auf die Geltendmachung eines Anspruchs nach § 123 VwGO gegen die Antragsgegnerin auf Einweisung in eine Wohnung abzielenden vorliegenden Verfahren gem. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO (entspr.) glaubhaft zu machen, hat der Antragsteller trotz ausreichender ihm dafür eingeräumter Zeit bis heute mit keinem Wort reagiert, sondern lediglich sein Schreiben vom 6.2.2017 dem Gericht erneut (Eingang 13.2.2017) übersandt. Selbst um Wohnraum bemüht, hat er sich demnach offenbar noch immer nicht.
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Schließlich hat er auch auf die Ankündigung, dass sein Antrag ohne eine solche Darlegung, dass er außerstande sei, selbst Wohnraum zu finden und zu finanzieren und entsprechende Bemühungen seinerseits auch nur ansatzweise unternommen habe, bisher weder selbst noch durch seinen Rechtsanwalt reagiert und sich trotz der - nach Ablauf der gesetzten am 15.2.2017 endenden Räumungsfrist - ab heute Morgen drohenden Zwangsräumung bisher nicht einmal telefonisch mit dem Gericht in Verbindung gesetzt. Das aber zeigt in aller Deutlichkeit, dass der Antragsteller schon seiner eigenen Einschätzung nach nicht (mehr) zwingend auf eine von der Antragsgegnerin verfügte Einweisung in eine Wohnung zur Vermeidung andernfalls bestehender Obdachlosigkeit angewiesen ist, sondern sich offenbar selbst behelfen kann.
16 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
17 
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG, wobei der gesetzliche Auffangstreitwert mit Rücksicht auf die Vorläufigkeit des begehrten Rechtsschutzes hier zu halbieren ist.

Tenor

I.

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller im Rahmen der Obdachlosenunterbringung unverzüglich eine Unterkunft zuzuweisen.

II.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der von seinem Betreuer gesetzlich vertretene Kläger (geboren am ... 1964) begehrt im Weg der einstweiligen Anordnung die Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft.

1. Die Antragsgegnerin betrieb ein eigenes Obdachlosenheim, das im Februar 2015 abgebrannt ist. Die Fertigstellung eines vom Stadtrat der Antragsgegnerin beschlossenen Neubaus einer Obdachloseneinrichtung ist derzeit nicht absehbar. Zwischenzeitlich mietet die Antragsgegnerin zur Unterbringung Obdachloser jeweils Zimmer in einem ehemaligen Kasernengebäude (...straße ... bis ...) bei einem privaten Vermieter (Herrn C.) an. Auch der Antragsteller bewohnte im Rahmen der Obdachlosenunterbringung zuletzt ein Zimmer in diesem ehemaligen Kasernengebäude.

Am 19. Mai 2015 kam es in der ...straße ... zu einem Polizeieinsatz, da der Antragsteller beschuldigt wurde, eine WC-Türe mit einem Taschenmesser zerkratzt zu haben. Am 21. Mai 2015 kam es dort zu einem weiteren Polizeieinsatz; der Antragsteller wurde von zwei Bewohnern der Unterkunft beschuldigt, sie mit seinem Taschenmesser bedroht zu haben.

Seit dem 22. Mai 2015 befindet sich der Antragsteller im Bezirkskrankenhaus ... in stationärer Behandlung.

Mit Schreiben vom 22. Juli 2015 bat der Betreuer die Antragsgegnerin um Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft für den Antragsteller, da dieser aus der stationären Therapie des Bezirkskrankenhauses ... entlassen werden solle. Zu seiner (Neu-) Bestellung im Rahmen eines Betreuerwechsels legte er den entsprechenden Beschluss des Amtsgerichts ... (Abteilung für Betreuungssachen) vom 15. Juli 2015 vor. Danach umfasst die Betreuung unverändert u. a. die Aufgabenkreise Entscheidung über Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen, Wohnungsangelegenheiten und Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Gesundheitsfürsorge. Zudem wurde der bereits bestehende Einwilligungsvorbehalt aufrechterhalten. Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, dass der Antragsteller aufgrund einer schizophrenen Psychose und einer Suchterkrankung nicht in der Lage sei, die Angelegenheiten zu besorgen, die zu den genannten Aufgabenkreisen gehörten.

Mit Schreiben vom 27. Juli 2015 wies der Betreuer auf die Dringlichkeit eines Zuweisungsbescheids hin. Die Antragsgegnerin teilte ihm daraufhin mit Fax-Schreiben vom selben Tag mit, dass der Vermieter des vom Antragsteller bewohnten Zimmers, Herr C., mitgeteilt habe, dass er diesen nicht mehr aufnehmen werde und mit der Antragsgegnerin kein entsprechendes Mietverhältnis eingehen werde. Als Grund hierfür habe der Vermieter angegeben, dass der Antragsteller einen Wasserschaden von rund 10.000 EUR verursacht habe, da er sich eingebildet habe, durch das ständige Laufenlassen von Wasser gebe es in seinem Zimmer einen höheren Sauerstoffge-halt. Der Antragsteller habe seine Miete und die daraus resultierenden Schulden nicht gezahlt. Er habe nie eine Toilette aufgesucht, sondern sein „Geschäft“ in einen Eimer auf seinem Zimmer verrichtet und, wenn der Eimer voll gewesen sei, auch im Zimmer. Andere Unterkunftsmöglichkeiten habe die Antragsgegnerin derzeit nicht.

2. Am 27. Juli 2015 stellte der Betreuer beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg (sinngemäß) den Antrag,

die Antragsgegnerin im Weg einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller im Rahmen der Obdachlosenunterbringung eine Unterkunft zuzuweisen.

Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, dass die behandelnden Ärzte des Antragstellers, der sich seit 22. Mai 2015 zur stationären Behandlung im BKH ... befinde, ihn gebeten hätten, die Entlassung des Antragstellers vorzubereiten. Die Antragsgegnerin habe seinen Antrag, dem Antragsteller eine Unterkunft zuzuweisen, mit Fax vom 27. Juli 2015 abgelehnt und dabei auf die nicht belegten Aussagen des früheren Vermieters Bezug genommen, der im Moment auch die Obdachlosenunterkunft für die Antragsgegnerin stelle.

Die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin beantragten mit Schreiben vom 29. Juli 2015,

den Antrag abzulehnen.

Nachdem das Obdachlosenwohnheim der Antragsgegnerin abgebrannt sei, sei mit Herrn C. eine Vereinbarung darüber abgeschlossen worden, dass dieser der Antragsgegnerin in der ...-straße ... bis ... (ehemaliges Kasernengebäude) Zimmer für die Unterbringung Obdachloser nach Bedarf vermietet. Eine andere Unterbringungsmöglichkeit stehe der Antragsgegnerin derzeit nicht zur Verfügung. Im Zusammenhang mit der Anfrage des Betreuers sei auch bei allen Pensionswirten und sonstigen Anbietern von Fremdenzimmern nach freien Kapazitäten gefragt worden. Diese seien in der Ferienzeit vollständig ausgebucht. Die Suche nach freien Wohnmöglichketen auf dem Wohnungsmarkt sei der Antragsgegnerin nur im gleichen Rahmen wie dem Betreuer möglich.

Der Antragsteller sei nicht unterbringungsfähig. In der zuletzt bewohnten Wohnung habe er ein massiv sozialschädliches und für die anderen Mieter gefährliches Verhalten gezeigt. Auf die Stellungnahme des Vermieters, Herrn C., und der Polizeiinspektion ... vom 27. Juli 2015 werde verwiesen. Aufgrund dieser Auffälligkeiten sei der Antragsteller schließlich ins BKH ... eingewiesen worden. Solange kein Fachgutachten eines behandelnden Arztes vorgelegt werde, dass der Antragsteller wieder in der Lage sei, ohne fachliche Betreuung allein zu leben und keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit und insbesondere für die Mitbewohner darstelle, sei er nicht unterbringungsfähig im Sinne des LStVG. Vorrangig müsse sich der Betroffene selber darum bemühen, die Wohnungslosigkeit aus eigener Kraft zu beseitigen. Es seien keine Bemühungen des Betreuers, der auch für Wohnungsangelegenheiten zuständig sei, bekannt. Da die Entlassung aus dem BKH ohne gesicherte Unterbringung scheinbar nicht geschehe, stehe dem Betreuer offenbar genug Zeit zur Verfügung, die Unterbringung zu organisieren.

Mit Schreiben vom 30. Juli 2015 wies der Betreuer des Antragstellers darauf hin, dass die Entscheidung, wem eine Obdachlosenunterkunft zugewiesen werde, allein der Antragsgegnerin obliege und nicht von einem privaten Vermieter entschieden werden könne.

Mit richterlichen Schreiben vom 30. Juli und 31. Juli 2015 wurde der Betreuer darauf hingewiesen, dass an der Unterbringungsfähigkeit des Antragstellers erhebliche Zweifel bestünden. Daher sei eine Bescheinigung der behandelnden Ärzte des BKH erforderlich, ob der Antragsteller dazu in der Lage sei, selbstständig in einer Obdachlosenunterkunft zu wohnen.

Die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin teilten mit Schreiben vom 3. August 2015 mit, es bestehe mit Herrn C. keine schriftliche Vereinbarung dahingehend, dass die Antragsgegnerin ohne weiteres Obdachlose in seine Räume einweisen könne. Herr C. habe sich nach dem Brand im Obdachlosenheim grundsätzlich bereit erklärt, im Rahmen jeweils einzelner Mietverträge Obdachlose in seinen Räumen unterzubringen. Zuweisungsbescheide seien nicht erforderlich gewesen. Nachweise hinsichtlich der ausstehenden Mietzahlungen sowie der vom Antragsteller verursachten Schäden lägen nicht vor. Nach der beiliegenden Tourismus-Information vom 27. Juli 2015 seien derzeit alle Gästezimmer und Ferienwohnungen ausgebucht. Beigefügt war diesem Schreiben u. a. die schriftliche Erklärung des Herrn C. vom 3. August 2015, dass der Antragsteller im Mai dieses Jahres drei Wochen lang das Warmwasser habe laufen lassen und den Abfluss verstopft habe, so dass das Wasser sich im Zimmer und im Flur verbreitet habe. Der Antragsteller habe nicht mit sich reden lassen, sondern habe ihn sogar mit einem Messer bedroht. Ihm sei dadurch ein Schaden von rund 10.000 EUR entstanden (Wasser- und Stromverbrauch, Schaden im Zimmer und dgl.). Den Schaden habe er, um Kosten zu sparen, selbst behoben (Entfernen des Bodens, Schimmelbeseitigung usw.), da er vom Antragsteller kein Geld bekommen hätte. In der beiliegenden E-Mail der Hausverwaltung an Herrn C. vom 11. Juni 2015 wird mitgeteilt, dass der Verbrauch im Gebäude enorm gestiegen sei, obwohl keine Heizung mehr genutzt werde.

Der Betreuer des Antragstellers legte mit Schreiben vom 13. August 2015 die ärztliche Stellungnahme des BKH ... vom 6. August 2015 vor. Darin wird u. a. ausgeführt, dass beim Antragsteller eine langjährige schizophrene Psychose und eine Alkoholkrankheit bestehen. Eine regelmäßige psychiatrische Behandlung sei erforderlich. Der Antragsteller sei beim aktuellen Klinikaufenthalt einsichtig und behandlungsmotiviert gewesen. Zur Vereinfachung und Sicherstellung der Behandlung sei der Antragsteller mit einer intramuskulären Depot-Medikation einverstanden. Während des stationären Aufenthalts sei es zu keinen hygienischen Mängeln und keinen erheblichen Sachbeschädigungen gekommen. Gelegentliche impulsive Erregungszustände seien in der Regel rasch abgeklungen. Bei regelmäßig ärztlich-psychiatrischer Behandlung mit Unterstützung seines Betreuers sei eine erneute Obdachlosenunterbringung möglich. Eine dem Antragsteller vorgeschlagene Soziotherapie werde von ihm nicht gewünscht.

Der Betreuer wies darauf hin, dass er die regelmäßige ärztlich-psychiatrische Behandlung begleiten könne, indem er den Antragsteller zur Einhaltung der Termine zur Verabreichung der Depot-Medikation anhalte. Zwang könne er nicht ausüben. Eine Einweisung in die Notlösung der Unterkunft der Antragsgegnerin halte er wegen der Vorfälle im Mai 2015 nicht für angebracht.

Die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin vertieften mit Schreiben vom 18. August und 24. August 2015 ihre Ansicht, dass es keinen Bedarf für eine Zuweisung durch die Antragsgegnerin gebe, da der Antragsteller aus dem BKH nicht in die Obdachlosigkeit entlassen werde, so dass der Betreuer genügend Zeit habe, eine geeignete Wohnung zu suchen.

Der Betreuer wies mit Schreiben vom 24. August 2015 darauf hin, dass er einem potentiellen Vermieter ehrliche Auskünfte zu früheren Mietverhältnissen des Antragstellers erteilen müsste, die mit Sicherheit der Anmietung einer Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt entgegenstehen würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat auch in der Sache Erfolg.

1. Nach § 123 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind dabei glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO).

Diese Voraussetzungen liegen nach Auffassung der erkennenden Kammer vor.

Die Gemeinden sind als Sicherheitsbehörden nach Art. 6 und Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) verpflichtet, eine mit einer eingetretenen oder drohenden Obdachlosigkeit verbundene Störung der öffentlichen Ordnung und Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit im Hinblick auf die für den Obdachlosen selbst drohenden gesundheitlichen Gefahren zu beseitigen. Obdachlos ist dabei derjenige, der ohne Unterkunft ist bzw. dem der Verlust seiner ständigen oder vorübergehenden Unterkunft unmittelbar droht (Ruder/Bätge, Obdachlosigkeit, II. Kapitel 1.).

Obdachlosigkeit setzt nach der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung (BayVGH, B. v. 23.1.2008 - 4 CE 07.2893 -; B. v. 21.9.2006 - 4 CE 06.2465 - jeweils juris) jedoch nicht nur objektiv das Fehlen einer Wohnmöglichkeit voraus. Vielmehr besteht ein Anspruch des Obdachlosen auf sicherheitsrechtliches Einschreiten nur, soweit und solange er die Gefahr nicht selbst aus eigenen Kräften oder mit Hilfe der Sozialleistungsträger in zumutbarer Weise und Zeit beheben kann (vgl. VG Würzburg, B. v. 7.4.2014 - W 5 E 14.306 - juris m. w. N.). Die Selbsthilfe des Betroffenen hat daher stets Vorrang vor sicherheits-, polizei- und ordnungsrechtlichen Maßnahmen (Ruder/Bätge, Obdachlosigkeit, VI. Kapitel 3.).

Zudem setzt die Unterbringung eines Obdachlosen nach dem Obdachlosenrecht sowohl dessen Unterbringungsfähigkeit als auch dessen Unterbringungswilligkeit voraus (so ausdrücklich in jüngster Zeit BayVGH, B. v. 6.8.2015 - 4 C 15.1578 - juris Rn. 13 m. w. N.).

a) Aufgrund der aktenkundigen Gesamtumstände des vorliegenden Falls ist davon auszugehen, dass der Antragsteller obdachlos bzw. von Obdachlosigkeit unmittelbar bedroht ist.

Die Tatsache, dass der Antragsteller sich derzeit (noch) im BKH ... befindet und von dort nicht in die Obdachlosigkeit entlassen wird, ändert daran nichts. Ziel eines stationären Krankenhausaufenthalts ist die Heilung oder Linderung einer Krankheit und nicht die Bewahrung vor Obdachlosigkeit. Zudem liegt es auf der Hand, dass dem Betreuer die Anmietung einer Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt oder auch eines Zimmers in einer Fremdenpension angesichts der langjährigen Erkrankung des Antragstellers an einer schizophrene Psychose sowie einer Alkoholkrankheit und seines darauf (wohl) beruhenden nicht sozialadäquaten Verhaltens in seiner bisherigen Unterkunft, wenn überhaupt, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit gelingen wird. Dass ein stationärer Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus ohne entsprechende medizinische Erforderlichkeit nicht auf unabsehbare Zeit fortdauern kann, ist offensichtlich. Damit kann sich die Antragsgegnerin nicht auf den noch andauernden Krankenhausaufenthalt des Antragstellers berufen, zumal dessen Entlassung bereits avisiert ist, sondern muss ihm, da er bzw. sein Betreuer die Gefahr der Obdachlosigkeit nicht in einer zumutbaren Zeitspanne beheben kann, eine Unterkunft zur Verfügung stellen.

b) Die Antragsgegnerin kann ihrer Pflicht, den Antragsteller nach dem Obdachlosenrecht unterzubringen, nicht mit dem Einwand fehlenden Wohnraums begegnen. Ebenso wenig greift der Einwand, zur Unterbringung von Obdachlosen stünden der Antragsgegnerin derzeit nur die von Herrn C. vermieteten Räume zur Verfügung, der aber eine erneute Aufnahme des Antragstellers verweigere. Die Antragsgegnerin hat vielmehr die Voraussetzungen für eine Unterbringung zu schaffen, sei es, sofern die Möglichkeit einer Anmietung eines geeigneten Raums nicht besteht, als „ultima ratio“ durch eine Beschlagnahmeverfügung.

Soweit der Betreuer in seinem Schreiben vom 13. August 2015 die Unterbringung in der bisherigen Unterkunft (ehemaliges Kasernengebäude in der ...-straße ...) wegen der Vorfälle vom Mai 2015 nicht für angebracht hält, ist darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf Unterbringung in einer bestimmten Unterkunft hat. Soweit es der Antragsgegnerin, die derzeit nicht über eine eigene Notunterkunft verfügt, gerade im Hinblick auf die unverzüglich vorzunehmende Unterbringung des Antragstellers nicht möglich ist, eine andere Unterkunft zu beschaffen als eine im ehemaligen Kasernengebäude, hat der Antragsteller dies hinzunehmen, zumal er selbst bzw. sein Betreuer (zu Recht) darauf hingewiesen hat, dass es im Hinblick auf die psychische Erkrankung des Antragstellers in absehbarer Zeit nicht möglich ist, eine Wohnung auf dem freien Markt zu beschaffen (siehe hierzu auch die Ausführungen unter a)).

c) Die von der Antragsgegnerin geltend gemachten Zweifel an der Unterbringungsfähigkeit des Antragstellers sind - jedenfalls im Zeitpunkt dieser Entscheidung -ausgeräumt. In der ärztlichen Stellungnahme des BKH ... vom 6. August 2015 (Bl. 63/64 der Gerichtsakte) wird ausdrücklich festgestellt, dass „bei regelmäßig ärztlich-psychiatrischer Behandlung mit Unterstützung seines Betreuers eine erneute Obdachlosenunterbringung des Antragstellers möglich ist“. Nachdem der Betreuer in seinem Schreiben vom 13. August 2015 zugesichert hat, dass er die regelmäßige ärztlich-psychiatrische Behandlung begleiten werde, indem er den Antragsteller zur Einhaltung der Termine zur Verabreichung der Depot-Medikation anhalten werde, bestehen derzeit keine Bedenken an einer Unterbringung des Antragstellers im Rahmen des Obdachlosenrechts.

Insoweit wird jedoch auf Folgendes hingewiesen:

Sollte sich erweisen, dass Hilfestellungen des Betreuers nicht ausreichen und der Antragsteller zukünftig die ihm zugewiesene Unterkunft z. B. übermäßig abnutzt, nicht sauber hält oder gar beschädigt oder den Hausfrieden erheblich stört - wobei allerdings kein kleinlicher Maßstab angelegt werden darf -, so kann die Antragsgegnerin die Zuweisung gemäß Art. 49 BayVwVfG ggf. widerrufen (vgl. .insoweit BayVGH, B. v. 6.8.2015 - 4 C 15.1578 - juris Rn. 13 m. w. N.; VG Ansbach, U. v. 24.7.2014 - AN 5 K 13.1906 - juris).

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

3. Die Streitwertfestsetzung folgt § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) und den Empfehlungen in Nr. 1.5, 35.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anhang zu § 164 Rn.14). Der danach anzusetzende Auffangwert von 5.000,- EUR ist in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren.

Tenor

I.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO verpflichtet, die persönlichen Gegenstände der Antragstellerin vorläufig weiter einzulagern. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

II.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte.

III.

Der Streitwert wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die erneute obdachlosenrechtliche Unterbringung im Clearinghaus in der … in München und die (weitere) Einlagerung ihrer persönlichen Gegenstände (u. a. Kleidung, Dokumente, Elektroartikel, Büroartikel und Schmuck).

Die Antragstellerin wurde mit Aufnahmeverfügung vom 3. April 2012 zur Vermeidung von Obdachlosigkeit von der Antragsgegnerin befristet bis 30. Juni 2012 im Clearinghaus in der … in München aufgenommen. Das Benutzungsverhältnis wurde mehrmals, zuletzt mit Bescheid vom 28. März 2013 bis zum 30. Juni 2013, verlängert. In der Folgezeit wurde der Aufenthalt der Antragstellerin im Clearinghaus aufgrund ihrer schwierigen persönlichen Situation geduldet.

Mit Bescheid vom 17. März 2015 ordnete die Antragsgegnerin an, dass die Antragstellerin ihre Wohnung unverzüglich zu räumen habe. Für den Fall, dass die Antragstellerin dieser Verpflichtung nicht bis zum 30. März 2015 nachkomme, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 1.500,00 Euro angedroht. Am 31. März 2015 erfolgte die entsprechende Zahlungsaufforderung durch die Antragsgegnerin.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 8. Juni 2015 wurde der Antragstellerin angedroht, dass ihre Möbel und sonstigen Gegenstände aus der Unterkunft geräumt werden, falls sie der Verpflichtung, ihre Wohnung zu räumen, nicht bis zum 18. Juni 2015 nachkomme. Am 22. Juni 2015 wurde die Räumung im Wege der Ersatzvornahme durchgeführt.

Der Antragstellerin wurde mit Schreiben vom 7. Juli 2015 mitgeteilt, dass ihre Gegenstände vorübergehend eingelagert worden seien. Sofern die eingelagerten Gegenstände nicht binnen einer Frist von drei Monaten nach der erfolgten Räumung abgeholt würden, gingen diese entschädigungslos in das Eigentum der Antragsgegnerin über und würden karitativen Einrichtungen zur Verfügung gestellt oder zur Müllverwertung gebracht werden.

In der Folgezeit lehnte die Antragstellerin die von der Antragsgegnerin angebotenen Unterkunftsmöglichkeiten ab und beantragte die Wiederaufnahme im Clearinghaus in der …

Mit Schreiben vom 3. Dezember 2015 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass die Einlagerungsfrist für das Lagerungsgut (28 Umzugskartons und 1 Reisetasche) letztmalig bis zum 21. Dezember 2015 verlängert werde.

In einem weiteren Schreiben erklärte die Antragsgegnerin, die Einlagerung des persönlichen Hab und Guts der Antragstellerin im Clearinghaus in der … sei kein Grund für eine weitere Unterbringung. Für Gegenstände, die die Antragstellerin in dem ihr zur Verfügung stehenden Wohnraum nicht unterbringen könne, müsse sie einen Lagerraum anmieten. Eine weitere Lagerung der Gegenstände im Clearinghaus sei nicht möglich. Die Abholung der eingelagerten Gegenstände sei jederzeit möglich gewesen. Die Antragstellerin habe hiervon auch zwei Mal Gebrauch gemacht und einzelne Gegenstände mitgenommen.

Am … November 2015 beantragte die Antragstellerin beim Amtsgericht München die Antragsgegnerin zu verpflichten, die 30 Umzugskartons der Antragstellerin für ein weiteres Jahr, längstens bis die Antragstellerin eine für die Einlagerung der Umzugskartons geeignete Wohnung gefunden und den Umzug organisiert hat, einzulagern, der Antragstellerin Zugang zu diesen Kartons zu gewähren und die Antragstellerin wieder im Clearinghaus, … in München wohnen zu lassen.

Zur Begründung führte die Antragstellerin aus, dass ihr zwar ein Zimmer angeboten worden sei, sie dieses jedoch abgelehnt habe, da sie dort keinen Platz für ihre Umzugskartons habe und sie außerdem für dieses 600,00 Euro hätte zahlen müssen. Sie wohne derzeit in ihrem Auto und plane nach … zurückzukehren. Unter den eingelagerten Sachen befänden sich viele Wertgegenstände.

Nachdem das Amtsgericht München mit Beschluss vom … November 2015 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen hatte, hob das Landgericht München I auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin den Beschluss des Amtsgerichts München auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurück. Mit Beschluss vom … Dezember 2015 verwies das Amtsgericht München den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht München und übersandte dem Verwaltungsgericht die Verfahrensakten. Mit Schreiben vom 14. Januar 2016 teilte das Amtsgericht München dem Verwaltungsgericht mit, dass es an einer wirksamen Zustellung des Verweisungsbeschlusses fehle. Daraufhin wurde das Verfahren beim Verwaltungsgericht München (M 22 E 15.5757) statistisch erledigt und die Verfahrensakten an das Amtsgericht zurückgesandt. Am … Februar 2016 nahm die Antragstellerin gegenüber dem Amtsgericht München ihren Antrag zurück.

Ab Januar 2016 wurde die Antragstellerin mehrmals bei der Antragsgegnerin vorstellig, lehnte aber eine anderweitige Unterbringung ab. Die Antragsgegnerin bat die Antragstellerin wiederholt (Schreiben vom 22.1.2016 und vom 24.2.2016) sich selbst um die Abholung und Lagerung ihrer Gegenstände zu kümmern.

Am … März 2016 beantragte die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht München zur Niederschrift das Verfahren mit dem Aktenzeichen M 22 E 15.5757 wiederaufzunehmen und fortzuführen.

Zur Begründung führte sie aus, dass sie als behinderter Mensch immer noch auf der Straße lebe und weiterhin Hilfe benötige. Außerdem müsse verhindert werden, dass ihre eingelagerten Unterlagen und Sachen vernichtet würden. Sie müsse wieder Zugang zu diesen Dingen erhalten. Für einen Menschen mit Behinderung sei es fast unmöglich die bisherige Existenz aufzulösen und diese neu in … aufzubauen. Ihre Behinderung und Krankheit seien nicht berücksichtigt worden. Sie sei nicht in der Lage mit Männern Toilette, Bad oder Küche zu teilen.

Mit Schreiben vom 29. März 2016 beantragte die Antragsgegnerin,

den Antrag abzulehnen.

Mit den Angeboten für eine Unterbringung sei die Antragsgegnerin ihrer bisherigen Verpflichtung zu Behebung einer Obdachlosigkeit der Antragstellerin in ausreichendem Umfang nachgekommen. Im Hinblick auf das aktuelle Gesamtjahreseinkommen in Höhe von 14.357,64 Euro wäre die Antragstellerin auch selbst in der Lage, sich eine kostengünstige Unterkunft zu verschaffen, bis sie nach Vorlage der erforderlichen Unterlagen mit Hilfe einer Kautions- und Provisionsbescheinigung eine dauerhafte Bleibe gefunden habe. Das Räumungsgut der Antragstellerin sei nach wie vor in der … eingelagert und die Kartons verblieben bis zum Abschluss des Gerichtsverfahrens noch im Clearinghaus. Allerdings seien im Hinblick auf den ungewissen Fortgang des Verfahrens und die fehlende Reaktion der Antragstellerin nach der statistischen Erledigung des Verfahrens M 22 E 15.5757 Lebensmittel und Haushaltsgeräte entsorgt worden.

Mit Schreiben vom … April 2016 erklärte die Antragstellerin unter Verweis auf einen Bescheid der Deutschen Rentenversicherung über die Abrechnung einer Rentennachzahlung vom 1. Februar 2016, dass eine Nachzahlung in Höhe von 15.291,16 Euro mit anderen Erstattungsansprüchen verrechnet worden sei. Es verblieben daher nur ca. 1.900,00 Euro. Diese 1.900,00 Euro benötige sie, um die Transportkosten nach … zu bezahlen. Sie bekäme jetzt Rente in Höhe von ca. 1.200,00 Euro. Das sei so viel, wie es jedem Bürger ohne Einkommen nach SGB XII zustehe. Hiervon solle sie etwa 600,00 Euro an „Wucherer für einen Käfig“ zahlen. Sie müsse nach … zurück. Ihr sei im Hinblick auf ihren Gesundheitszustand kein Einzelzimmer angeboten worden.

Die Antragstellerin wies mit weiterem Schreiben vom … August 2016 auf die Dringlichkeit der Angelegenheit hin.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsund die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag hat insoweit Erfolg, als die Antragstellerin die weitere Einlagerung ihrer persönlichen Habe begehrt. Im Übrigen ist der Antrag abzulehnen.

1. Der Antrag der Antragstellerin das Verfahren mit dem Az. M 22 E 15.5757 wiederaufzunehmen bzw. fortzuführen, ist auszulegen (§ 88 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO), da maßgebend für den Umfang des Rechtsschutzbegehrens nicht die Fassung des Antrages ist, sondern das wirkliche Rechtsschutzziel, wie es sich aus dem gesamten Parteivorbringen erschließt. Demzufolge begehrt die Antragstellerin die erneute obdachlosenrechtliche Unterbringung im Clearinghaus in der … in München (siehe Nr. 2.1.). Ferner begehrt die Antragstellerin die weitere Einlagerung ihrer Gegenstände bzw. wendet sich gegen deren Vernichtung (siehe Nr. 2.2.) und beantragt Zugang zu diesen zu erhalten (siehe Nr. 2.3.).

2. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus sonstigen Gründen nötig erscheint. Dabei hat die Antragstellerin sowohl den aus dem streitigen Rechtsverhältnis abgeleiteten Anspruch, bezüglich dessen die vorläufige Regelung getroffen werden soll (Anordnungsanspruch), wie auch die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO). Maßgeblich für die Beurteilung sind dabei die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.

2.1. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch auf erneute obdachlosenrechtliche Unterbringung im Clearinghaus nicht glaubhaft dargelegt.

Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Zuweisung einer Unterkunft zur Vermeidung von Obdachlosigkeit ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG). Danach ist die Sicherheitsbehörde zum Tätigwerden verpflichtet, um die in der Obdachlosigkeit bestehende konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Betroffenen abzuwehren.

Als obdachlos im rechtlichen Sinne gilt nicht, wer sich unter Ausschöpfung aller ihm zu Gebote stehenden zumutbaren Eigenmaßnahmen, auch finanzieller Art, selber eine nur vorübergehende und den Mindestanforderungen genügende Bleibe verschaffen kann (zur Subsidiarität des Obdachlosenrechts siehe BayVGH, B.v. 10.3.2005 - 4 CS 05.219 - juris). Wegen des damit angesprochenen Vorrangs der Selbsthilfe ist bereits zweifelhaft, ob die Antragstellerin einen Anspruch auf Unterbringung gegen die Antragsgegnerin hat. Ausweislich des von der Antragstellerin vorgelegten Rentenbescheids vom 1. Februar 2016 verfügt sie monatlich über 1.196,47 Euro. Die Antragstellerin dürfte sich daher, sollte sie weiterhin eine anderweitige Unterbringung durch die Antragsgegnerin ablehnen, selbst eine einfache kostengünstige Unterkunft verschaffen können.

Unabhängig hiervon ist die Antragsgegnerin als Obdachlosenbehörde bei bestehender Obdachlosigkeit lediglich verpflichtet, einem Obdachlosen zur Behebung unmittelbarer Gefahren für Leib und Leben des Obdachlosen eine vorübergehende Unterbringung, die den Mindestanforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung genügt, zu ermöglichen. Der Obdachlose hat keinen Anspruch auf Zuweisung einer bestimmten Unterkunft oder den Verbleib in einer bestimmten Unterkunft. Über die Zuweisung der Unterkunft entscheidet die Obdachlosenbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Sept. 2015, Art. 7 Rn. 190).

Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte, dass das Ermessen der Antragsgegnerin auf eine Zuweisung der Antragsgegnerin in das Clearinghaus in der ... reduziert wäre.

Die Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin, Obdachlose in ein Clearinghaus grundsätzlich nur befristet einzuweisen, ergibt sich aus dem Zweck dieser Einrichtungen und ist nicht zu beanstanden. Ziel der Unterbringung in einem Clearinghaus ist es, mit den Haushalten an einer Wohnperspektive zur schnellen Vermittlung in eine geeignete Wohnform, nach Möglichkeit mit einem privatrechtlichen Mietvertrag zu arbeiten. Bewohnerinnen und Bewohner sollen mit sozialpädagogischer Beratung und Unterstützung Verhaltensweisen einüben, die eine regelmäßige Mietzahlung, den sachgemäßen Gebrauch der Mietsache und die Einordnung in die Hausgemeinschaft sicherstellen. Während des Aufenthalts werden u. a. Lösungen zur Existenzsicherung und Stärkung der praktischen Alltagskompetenz erarbeitet.

Dieser Praxis entsprechend erfolgte die Unterbringung der Antragstellerin im Clearinghaus nur befristet. Die Erarbeitung einer Wohnperspektive als wesentliche Zielsetzung der vorübergehenden Unterbringung der Antragstellerin im Clearinghaus schien nicht möglich (vgl. Bl. II/21 Rückseite der Behördenakte).

Der Gesundheitszustand und die Behinderung der Antragstellerin verpflichten die Antragsgegnerin nicht, der Antragstellerin eine bestimmte Unterkunft zuzuweisen. Im Hinblick auf die von der Antragstellerin vorgetragenen gesundheitlichen Einschränkungen ist die Sicherheitsbehörde nur insoweit zum Tätigwerden verpflichtet, als für die Gefahrenabwehr nicht eine speziellere gesetzliche Zuweisung besteht. Problemlagen, die über die bloße Unterkunftsbeschaffung hinausgehen und speziellen gesundheitlichen Bedürfnissen des Betroffenen geschuldet sind, sind nicht von der Obdachlosenbehörde, sondern von den Sozialleistungsträgern, der zuständigen Krankenversicherung oder Pflegeversicherung, ggf. auch unter Einsetzung eines Betreuers zu bewältigen (st. Rechtsprechung, z. B. VG München, B. v. 22.1.2008 - M 22 E 08.282 - juris; siehe auch Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Sept. 2015, Art. 7 Rn. 187).

Mit Blick auf den Zweck der Obdachlosenfürsorge führt auch die Tatsache, dass der Hausrat der Antragstellerin derzeit noch im Clearinghaus gelagert wird, nicht zu einem Anspruch auf dortige Aufnahme der Antragstellerin.

2.2. Soweit sich der Antrag auf die eingelagerten Gegenstände bezieht, hat dieser Erfolg. Zur Vermeidung vollendeter Tatsachen ist die Antragstellerin vorläufig von einer Veräußerung bzw. Vernichtung ihrer in Verwahrung genommenen Habe zu verschonen.

Die angekündigten Maßnahmen (Veräußerung/Vernichtung) sollen gegen den Willen der Antragstellerin erfolgen und bedürfen als Eingriffe in das Eigentum einer Rechtsgrundlage. Ob die diesbezüglich in der Clearinghäuser-Benutzungssatzung getroffenen Regelungen (§ 11 Abs. 2) von der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage (Art. 23 und 24 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 GO) gedeckt sind, erscheint fraglich, da es sich der Sache nach um Vollstreckungsmaßnahmen handeln dürfte (vgl. hierzu BayVGH, B. v. 11.11.2004 - 4 CE 04.3109 - juris Rn. 13). Die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage, nach welchem Verfahren und auf welche Weise das Verwahrverhältnis hinsichtlich der bei Räumung zurückgelassenen Sachen beendet werden kann, bedarf jedenfalls einer gesonderten Prüfung - ggf. in einem weiteren Verfahren mit Blick auf noch zu treffende als Verwaltungsakt zu qualifizierende Maßnahmen -, was es nach den Umständen des Falles gebietet, dem Antragsbegehren vorläufig stattzugeben.

2.3. Der Antrag der Antragstellerin ihr Zugang zu den eingelagerten Sachen zu gewähren fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Aus den Akten ist nicht ersichtlich ist, dass die Antragsgegnerin den Zugriff durch die Antragstellerin bisher verweigert hätte; die Inanspruchnahme des Gerichts erscheint deshalb insoweit nicht erforderlich.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 i. V. m. Nr. 1.5 und 35.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn

1.
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint;
2.
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde;
3.
von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll;
4.
die Behörde eine Allgemeinverfügung oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen will;
5.
Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen.

(3) Eine Anhörung unterbleibt, wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht.

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der am 9. Dezember 2016 erhobenen Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 1. Dezember 2016 wird angeordnet, soweit sie sich gegen die Androhung unmittelbaren Zwangs richtet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu 3/4, die Antragsgegnerin zu 1/4 zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.

IV. Der Antragstellerin wird für das Verfahren erster Instanz Prozesskostenhilfe bewilligt und … beigeordnet, soweit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Androhung unmittelbaren Zwangs beantragt ist. Im Übrigen wird der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abgelehnt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die angeordnete Räumung ihrer Unterkunft und die Umsetzung in eine andere Notunterkunft durch die Antragsgegnerin.

Am 28. Juli 2014 wurde die Antragstellerin zusammen mit ihrem damaligen Lebensgefährten Herrn M., ihrer Tochter L. und ihrem Sohn F. in eine Obdachlosenunterkunft in der H …straße eingewiesen. Die Unterkunft in der H …straße ist 47,26 qm groß und besteht aus einem Wohnzimmer, einem Schlafzimmer und einer Kochnische. Die Unterkunftsgebühren belaufen sich gemäß § 3 Abs. 2 der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung der Obdachlosenunterkünfte vom 6. Dezember 2012 in der Fassung der Änderungssatzung vom 1. November 2015 auf monatlich EUR 151,30 pro Person. Herr M. ist Anfang März 2016 aus der Unterkunft ausgezogen. Am 24. August 2016 wurde Herr B., der neue Lebensgefährte der Antragstellerin, in die Unterkunft eingewiesen. Zwischenzeitlich waren wegen Differenzen mit Herrn B. die 18-jährige Tochter L. und der 16 Jahre alte Sohn F. zu ihrer Großmutter gezogen.

Am 25. November 2016 informierte ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin die Antragstellerin über eine mögliche Umquartierung. Bei einer Vorsprache der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin am 1. Dezember 2016 gab die Antragstellerin an, dass ihr Sohn F. demnächst wieder bei ihr wohnen werde. Es sei ihr nicht zumutbar, mit ihrem Sohn gemeinsam in einem Zimmer sowie getrennt von ihrem Lebensgefährten B. untergebracht zu werden.

Die rückständigen Unterkunftsgebühren der Antragstellerin für die Unterkunft in der H …straße belaufen sich einschließlich November 2016 ohne Mahn- und Vollstreckungskosten auf EUR 3.645,38 EUR.

Mit Bescheid vom 1. Dezember 2016 - der Antragstellerin am 3. Dezember 2016 zugestellt - widerrief die Antragsgegnerin die Zuweisung der Wohnung in der H …straße mit Wirkung ab dem 13. Dezember 2016 (Ziff. 1). Die Antragstellerin wurde in eine Unterkunft in der F … Straße eingewiesen, wenn und solange ihr Sohn F. bei ihr wohne (Ziff. 2 Satz 1 und 2). Für den Fall, dass ihr Sohn F. nicht zu ihr ziehe, wurde die Antragstellerin in eine Unterkunft Am F … eingewiesen, wo ihr ein Schlafplatz zur Verfügung stehe (Ziff. 2 Satz 3 und 4). Sie habe aus der bisher genutzten Wohnung bis zum 12. Dezember 2016 auszuziehen (Ziff. 3.1), sie leer zu räumen sowie in einem sauberen Zustand zu hinterlassen (Ziff. 3.2 Satz 1). Die Schlüssel seien abzugeben (Ziff. 3.2 Satz 2), ihre Sachen könne sie bis zu einem Monat in einer Gitterbox einlagern (Ziff. 3.2 Satz 3 Halbsatz 1). Anschließend würden ihre Sachen aus der Gitterbox durch die Antragsgegnerin entsorgt (Ziff. 3.2 Satz 3 Halbsatz 2). Die sofortige Vollziehung der Ziff. 1 und 3 wurde angeordnet (Ziff. 4). Unmittelbarer Zwang wurde für den Fall angedroht, dass den Verpflichtungen in Ziff. 3 nicht Folge geleistet werde (Ziff. 5).

Die Antragsgegnerin begründete den Bescheid im Wesentlichen mit der verringerten Personenanzahl, der Notwendigkeit der Unterbringung einer Familie mit drei Kindern in der Wohnung in der H …straße sowie der Zumutbarkeit der Umquartierung. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei aufgrund des Grundsatzes einer sparsamen Bewirtschaftung öffentlicher Mittel und den andernfalls erforderlichen Mehrkosten für die Unterbringung der für die Unterkunft vorgesehenen Familie erfolgt. Hinsichtlich der Androhung unmittelbaren Zwangs verwies die Antragsgegnerin darauf, dass eine Zwangsgeldandrohung angesichts der hohen Gebührenrückstände keinen Erfolg erwarten lasse.

Herr B. wurde mit Bescheid vom 1. Dezember 2016 ebenfalls in eine andere Unterkunft umquartiert.

Der Sohn F. wohnt nach Angaben der Antragstellerin seit dem 8. Dezember 2016 wieder bei der Antragstellerin und ihrem Lebensgefährten Herrn B.

Die Antragstellerin erhob durch ihre Verfahrensbevollmächtigte am 8. Dezember 2016 - eingegangen beim Verwaltungsgericht am 9. Dezember 2016 - Klage gegen den Bescheid (Az. M 22 K 16.5525) und beantragte zugleich: Die aufschiebende Wirkung der Klage vom heutigen Tage gegen den Bescheid vom 01.12.2016 wird angeordnet.

Die Antragstellerin macht geltend, dass die bisherige Unterkunft in der H …straße nur zwei Räume habe und daher trotz der Verringerung von vier auf drei Bewohner durch den Auszug ihrer Tochter L. für drei Bewohner nicht zu groß sei. Die Antragstellerin habe in der Anhörung am … Dezember 2016 angegeben, dass ihr Sohn F. wieder bei ihr wohnen werde, was nunmehr geschehen sei. Der Antragstellerin und ihrem 16 Jahre alten Sohn sei es nicht zumutbar, in einem gemeinsamen Raum zu schlafen. Die räumliche Trennung von ihrem Lebensgefährten Herrn B. sei ihr ebenfalls nicht zumutbar. Die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Unterbringung einer Familie mit drei Kindern in der Unterkunft in der H …straße rechtfertige - auch in Anbetracht dessen, dass eine Obdachlosenunterbringung stets nur eine Notlösung sein könne - nicht das Auseinanderreißen ihrer Familie. Ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache sei der Antragstellerin insbesondere mit Blick auf die kommenden Weihnachtstage nicht zuzumuten, da sie und ihre Sohn ansonsten gegebenenfalls zweimal umziehen müssten. Eine Ersparnis von Kosten durch die Umsetzung seitens der Antragsgegnerin sei nicht dargelegt worden und könne auch nicht so hoch sein, da für die Antragstellerin und ihren Sohn einerseits sowie für ihren Lebensgefährten B. andererseits jeweils eine andere Unterkunft angemietet werden müsste. Ein möglicher zweimaliger Umzug der Antragstellerin lasse sich daher durch eine Kostenersparnis nicht rechtfertigen.

Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2016, eingegangen beim Gericht am 19. Dezember 2016, beantragte die Antragsgegnerin:

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.

Zur Begründung verweist die Antragsgegnerin im Wesentlichen auf die Gründe des Bescheids. Ergänzend trägt sie vor, dass sich jedenfalls wegen des Auszugs der Tochter L. die Anzahl der eingewiesenen Personen verringert habe und die Tochter L. im Falle erneuter Obdachlosigkeit wegen ihrer Volljährigkeit getrennt von ihrer Mutter untergebracht werden könne. Die Umquartierung in ein Zimmer von 12,46 qm mit zusätzlicher Gemeinschaftsküche und Gemeinschaftssanitäranlagen sei der Antragstellerin gemeinsam mit ihrem Sohn F. zumutbar. Bei der Unterbringung Obdachloser zur Gefahrenabwehr sei ein geringerer Maßstab als der einer üblichen Versorgung mit Wohnraum anzulegen. Es liege an der Antragstellerin, diesen Zustand durch eine intensive Wohnungssuche zu beenden. Die Antragsgegnerin sei nicht verpflichtet, der Antragstellerin ein weiteres Zusammenleben mit ihrem Lebensgefährten Herrn B. zu ermöglichen. Hierzu stehe auch keine geeignete freie Unterkunft zur Verfügung. Im Übrigen wäre die Antragsgegnerin auch berechtigt gewesen, die Unterbringung wegen der rückständigen Unterkunftsgebühren gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 6 der Satzung über die Benutzung der Obdachloseneinkünfte zu beenden.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten (M 22 S. 16.5528 und M 22 K 16.5525) und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag hat Erfolg, soweit die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der Androhung unmittelbaren Zwangs begehrt. Im Übrigen ist der Antrag abzulehnen.

1. Gegenstand des Eilverfahrens sind Ziff. 1 (Widerruf der Zuweisung), Ziff. 3.1 (Auszug aus bisheriger Unterkunft), Ziff. 3.2 Satz 1 (Räumung und Säuberung), Ziff. 3.2 Satz 2 (Schlüsselübergabe) sowie Ziff. 5 (Androhung unmittelbaren Zwangs) des Bescheids vom 1. Dezember 2016.

a) Der Antrag war hinsichtlich Ziff. 1, Ziff. 3.1 und Ziff. 3.2 Satz 1 und Satz 2 des Bescheids gemäß § 122 Abs. 1, § 88 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) auszulegen. Hinsichtlich der Ziff. 5 ist er als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung statthaft, § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, Art. 21a Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz - VwZVG.

b) Das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin ist dahingehend auszulegen, dass Ziff. 2 (Zuweisung einer neuen Unterkunft) und Ziff. 3.2 Satz 3 (Möglichkeit der Einlagerung von Gegenständen - Halbsatz 1 - sowie ggf. Entsorgung von Gegenständen - Halbsatz 2 -) des Bescheids nicht umfasst sind. Die Zuweisung einer neuen Unterkunft in Ziff. 2 stellt jedenfalls keinen belastenden Verwaltungsakt dar, so dass eine Anfechtungsklage mangels Antragsbefugnis i.S.v. § 42 Abs. 2 VwGO unzulässig wäre und eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer solchen Klage daher (offensichtlich) abzulehnen wäre. Die Möglichkeit der Einlagerung der Habseligkeiten der Antragstellerin in einer Gitterbox nach Ziff. 3.2 Satz 3 Halbsatz 1 des Bescheids stellt wohl mangels Regelungswirkung bereits keinen Verwaltungsakt dar bzw. wäre ein solcher jedenfalls nicht belastend, weshalb eine hiergegen gerichtete Anfechtungsklage wohl bereits unstatthaft bzw. ebenfalls mangels Antragsbefugnis i.S.v. § 42 Abs. 2 VwGO unzulässig wäre. Die Bestimmung in Ziff. 3.2 Satz 3 Halbsatz 2 des Bescheids, wonach Habseligkeiten der Antragstellerin nach einer über einen Monat hinausgehenden Einlagerung gegebenenfalls entsorgt werden, stellt nach Auffassung der Kammer einen bloßen Hinweis ohne Regelungscharakter und damit keinen Verwaltungsakt dar. Unabhängig von der in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärten Frage, inwieweit eine Entsorgung der Gegenstände eines Betroffenen gegenenenfalls in Betracht käme (vgl. BayVGH, B.v. 20.12.2016 - 4 CE 16.1939 - n.v. Rn. 15 m.w.N.), kann Ziff. 3.2 Satz 3 Halbsatz 2 des Bescheids daher nicht Gegenstand einer Anfechtungsklage sein und scheidet somit auch eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage aus.

2. Die im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche und gebotene Interessenabwägung aufgrund der summarischen Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache ergibt, dass die erhobene Anfechtungsklage nur im Hinblick auf die Androhung unmittelbaren Zwangs in Ziff. 5 des Bescheids vom 1. Dezember 2016 begründet ist, so dass insoweit das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin überwiegt. Im Übrigen erweist sich die Klage aller Voraussicht nach unbegründet.

3. Die Anordnung des Sofortvollzugs ist formell rechtmäßig. Die Begründung des Sofortvollzugs genügt mit dem Hinweis auf die erforderliche Unterbringung der Familie mit drei Kindern in der Wohnung mit seiner besonderen Konzeption den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO.

4. Der Widerruf der Zuweisung der Wohnung in der H …straße in Ziff. 1 des Bescheids erweist sich aufgrund summarischer Prüfung als rechtmäßig. Die Antragstellerin kann nicht beanspruchen, in ihrer bisherigen Unterkunft zu verbleiben.

a) Rechtsgrundlage für den Widerruf der Zuweisung der Wohnung in der H …straße in Ziff. 1 des Bescheids als Teil der Umquartierung ist § 9 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 der Satzung über die Benutzung der Obdachlosenunterkünfte vom 30. Juli 2013 (Obdachlosenunterkünftesatzung - ObdS), wonach Benutzer in Räume einer anderen Unterkunftsanlage umquartiert werden können, wenn sich die Zahl der eingewiesenen Personen vermindert hat und die Räume zur Unterbringung anderer Personen benötigt werden.

b) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 ObdS sind erfüllt. Unabhängig von der Frage, ob der Sohn F. der Antragstellerin langfristig bei ihr wohnt, hat sich jedenfalls mit dem Auszug der Tochter L. die Personenanzahl von vier auf drei verringert. Die Antragsgegnerin hat glaubhaft dargelegt, die Unterkunft zur Unterbringung einer Familie mit drei Kindern zu benötigen.

c) Die Umquartierung stand daher im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Ermessensfehler sind nicht erkennbar. Die Entscheidung der Antragsgegnerin, dem Interesse der Familie mit drei Kindern an der Unterbringung in der Wohnung gegenüber dem Interesse der Antragsgegnerin, mit ihrem Sohn F. und ihrem Lebensgefährten B. in der Wohnung verbleiben zu können, Vorrang zu gewähren, ist nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin und ihrem Sohn in Ziff. 2 des Bescheids sowie Herrn B. in einem getrennten Bescheid jeweils eine neue Unterkunft zugewiesen. Die gesetzte Bescheidsfrist für den Widerruf der Zuweisung ist angemessen. Die Antragstellerin hatte ausreichend Zeit, die Wohnung zu räumen und in die neue Unterkunft umzuziehen. Die neuen der Antragstellerin zugewiesenen Unterkünfte sind ihr auch zumutbar. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf „wohnungsmäßige Versorgung“. Vielmehr besteht bei Obdachlosigkeit nur ein Anspruch auf eine weitgehenden Einschränkungen unterliegende Unterbringung (BayVGH, B.v. 10.10.2008 - 4 CE 08.2647 - juris), die lediglich den Mindestanforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung genügen muss. Das gilt auch, wenn dem Obdachlosen bereits eine Unterkunft zugewiesen worden ist. Durch die sicherheitsrechtliche Einweisung in eine Unterkunft nach Obdachlosenrecht wird kein Besitzstand des Obdachlosen begründet, der seiner künftigen Umsetzung entgegenstehen könnte (VG München, B.v. 3.5.2005 - M 22 S. 05.1618). Einer Gemeinde ist es nicht verwehrt, Obdachlose aus sachlichen Gründen von einer Unterkunft in eine andere, zur vorübergehenden Unterbringung von Obdachlosen geeignete Unterkunft umzusetzen; nur wenn sich die Gemeinde dabei von Willkür leiten lässt, ist die Maßnahme rechtswidrig (VG München, B.v. 26.11.2014 - M 22 S. 14.5231; VGH BW, B.v. 4.5.1998 - 1 S 1009/98). Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich. Unabhängig von der etwaigen Möglichkeit der Antragsgegnerin, das Benutzungsverhältnis gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 6 ObdS wegen der Gebührenrückstände in Höhe von EUR 3.645,38 zu beenden, durfte die Antragsgegnerin die erheblichen Gebührenrückstände auch im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen zulasten der Antragstellerin berücksichtigen. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage bezüglich des Widerrufs der Zuweisung der Wohnung in der H …straße in Ziff. 1 des Bescheids war daher abzulehnen.

5. Gleiches gilt für die Auszugsanordnung in Ziff. 3.1 und die Räumungssowie Schlüsselübergabeanordnung in Ziff. 3.2 Satz 1 und Satz 2 des Bescheids. Rechtsgrundlage ist insoweit § 11 Abs. 1 Nr. 1 der ObdS. Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit dieser Anordnungen bestehen keine Bedenken, insbesondere liegt eine rechtmäßige Umquartierungsanordnung vor (siehe 4.). Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage war daher auch bezüglich der Ziff. 3.1, 3.2 Satz 1 und Satz 2 des Bescheids abzulehnen.

6. Hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung in Ziff. 5 des Bescheids hat der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung Erfolg, da sich die Zwangsmittelandrohung aufgrund summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist und keinen Bestand haben kann.

a) Fraglich ist bereits, ob die Antragsgegnerin der Antragstellerin eine Vollstreckungsfrist, d.h. einer Frist, innerhalb welcher der Antragstellerin der Vollzug der Räumung nach Beendigung des Nutzungsverhältnisses billigerweise zugemutet werden kann (Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG), gesetzt hat. Zwar kann die Vollstreckungsfrist auch grundsätzlich in der Grundverfügung gesetzt werden (vgl. BayVGH, B.v. 19.11.2008 - 9 CS 08.953 - juris Rn. 6). Die Fristsetzung in Ziff. 3.1 des Bescheids vom 1. Dezember 2016, wonach die Antragstellerin aus der bisher genutzten Wohnung bis spätestens … Dezember 2016 auszuziehen hat, stellt aber wohl eine sog. Bescheidsfrist mit materiell-rechtlichem Charakter dar (vgl. zur Unterscheidung Linhart, Schreiben, Bescheide und Vorschriften in der Verwaltung, Stand Mai 2016, § 18 Rn. 188b). Denn als Konsequenz des Widerrufs der Zuweisung der Wohnung soll die Antragsgegnerin bis zum Ablauf der Zuweisung den unmittelbaren Besitz an der Wohnung herausgeben.

b) Selbst wenn man davon ausginge, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin (gegebenenfalls konkludent) eine „Nullfrist“ als Vollstreckungsfrist gesetzt hat, wäre die Androhung jedenfalls ermessensfehlerhaft und daher rechtswidrig. Die Bestimmung der Vollstreckungsfrist steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (vgl. Harrer/Kugele/Thum/Tegethoff, Verwaltungsrecht in Bayern, Stand 15. Oktober 2016, Erl. 4 zu Art. 36 VwZVG). Weder dem Bescheid noch der Behördenakte lässt sich entnehmen, dass die Antragsgegnerin bei der etwaigen Bestimmung einer „Nullfrist“ ihr Ermessen ausüben wollte bzw. ausgeübt hat. Die Begründung der Zwangsmittelandrohung im Bescheid lässt hierfür jeglichen Anhaltspunkt missen. Auch wenn die Heilung des formellen Fehlers der insoweit unterbliebenen Begründung (vgl. Art. 39 Abs. 1 Satz 3 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz - BayVwVfG) nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BayVwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz möglich ist, kann die Fehlerhaftigkeit der Zwangsmittelandrohung jedenfalls materiell-rechtlich nicht beseitigt werden. Das materielle Recht ermöglicht im Fall einer vollständig unterbliebenen Ermessensausübung nicht die gänzliche Nachholung der erforderlichen Ermessenserwägungen. § 114 Satz 2 VwGO schafft lediglich die prozessualen Voraussetzungen dafür, dass die Behörde defizitäre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, nicht hingegen dafür, dass sie - wie es hier der Fall wäre - ihr Ermessen nachträglich erstmals ausübt (vgl. BVerwG, U.v. 5.9.2006 - 1 C 20/05 - NVwZ 2007, 470/471 m.w.N.). Die aufschiebende Wirkung der Klage war daher aufgrund überwiegenden Interesses der Antragstellerin bzgl. Ziff. 5 des Bescheids anzuordnen.

7. Der Antragstellerin war, soweit der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung Erfolg hatte, Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihre Verfahrensbevollmächtigte beizuordnen, da die Antragstellerin bedürftig im Sinne der prozesskostenhilferechtlichen Bestimmungen ist, ihre Rechtsverfolgung im genannten Umfang hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, keine Mutwilligkeit gegeben ist und auch eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 115 und § 121 Abs. 2 ZPO). Im Übrigen war der Antrag auf Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussichten abzulehnen.

8. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz - GKG - in Verbindung mit Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs.

(1) Die Zwangsmittel müssen, wenn sie nicht sofort angewendet werden können (§ 6 Abs. 2), schriftlich angedroht werden. Hierbei ist für die Erfüllung der Verpflichtung eine Frist zu bestimmen, innerhalb der der Vollzug dem Pflichtigen billigerweise zugemutet werden kann.

(2) Die Androhung kann mit dem Verwaltungsakt verbunden werden, durch den die Handlung, Duldung oder Unterlassung aufgegeben wird. Sie soll mit ihm verbunden werden, wenn der sofortige Vollzug angeordnet oder den Rechtsmitteln keine aufschiebende Wirkung beigelegt ist.

(3) Die Androhung muß sich auf ein bestimmtes Zwangsmittel beziehen. Unzulässig ist die gleichzeitige Androhung mehrerer Zwangsmittel und die Androhung, mit der sich die Vollzugsbehörde die Wahl zwischen mehreren Zwangsmitteln vorbehält.

(4) Soll die Handlung auf Kosten des Pflichtigen (Ersatzvornahme) ausgeführt werden, so ist in der Androhung der Kostenbetrag vorläufig zu veranschlagen. Das Recht auf Nachforderung bleibt unberührt, wenn die Ersatzvornahme einen höheren Kostenaufwand verursacht.

(5) Der Betrag des Zwangsgeldes ist in bestimmter Höhe anzudrohen.

(6) Die Zwangsmittel können auch neben einer Strafe oder Geldbuße angedroht und so oft wiederholt und hierbei jeweils erhöht oder gewechselt werden, bis die Verpflichtung erfüllt ist. Eine neue Androhung ist erst dann zulässig, wenn das zunächst angedrohte Zwangsmittel erfolglos ist.

(7) Die Androhung ist zuzustellen. Dies gilt auch dann, wenn sie mit dem zugrunde liegenden Verwaltungsakt verbunden ist und für ihn keine Zustellung vorgeschrieben ist.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 6. April 2009 - 8 K 548/09 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

 
Die Beschwerde ist statthaft (vgl. Senatsbeschluss vom 10.12.1999 - 11 S 240/99 - VBlBW 2000, 204) und auch sonst zulässig.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
Rechtsgrundlage für die vom Antragsteller beantragte Durchsuchungsanordnung ist § 6 Abs. 2 Satz 1 LVwVG i.V.m. § 15 AsylVfG: Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 LVwVG kann der Vollstreckungsbeamte Wohnungen, Betriebsräume und sonstiges persönliches Besitztum gegen den Willen des Vollstreckungsschuldners nur auf Anordnung des Verwaltungsgerichts durchsuchen. Allerdings darf es der Vollstreckungsbehörde nur dann ermöglicht werden, in den geschützten räumlich-gegenständlichen Bereich des Vollstreckungsschuldners einzudringen, wenn die Durchsuchungsanordnung einer rechtmäßigen Vollstreckung dienen soll. Das Gericht hat den Antrag der Vollstreckungsbehörde daher zunächst dahingehend zu prüfen, ob die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen (§ 2 LVwVG) und die für die im Zuge der Durchsuchung beabsichtigten Zwangsmittel geltenden besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.04.1979 - 1 BvR 994/76 - BVerfGE 51, 97). Zu prüfen ist auch, ob der Zweck der Vollstreckung noch nicht erreicht, aber durch die Anwendung von Vollstreckungsmitteln erreichbar ist (vgl. § 11 LVwVG). Weiterhin muss die Durchsuchungsanordnung geeignet, erforderlich und angemessen sein (vgl. § 19 Abs. 2 und 3 LVwVG), und ein Vollstreckungsauftrag an den Vollstreckungsbeamten vorliegen, welcher den Anforderungen des § 5 Satz 1 LVwVG entspricht (vgl. zum Ganzen VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 01.06.2005 - 1 S 499/05 - ESVGH 55, 243 = VBlBW 2005, 386; Senatsbeschluss vom 10.12.1999 - 11 S 240/99 - a.a.O.).
Die hiernach gebotene Prüfung ergibt, dass der beantragten Durchsuchungsanordnung rechtliche Hindernisse entgegenstehen.
Zu Recht ist das Verwaltungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen (§ 2 LVwVG) vorliegen. Mit Verfügung vom 30.03.2009 gibt der Antragsteller dem Antragsgegner auf, im Rahmen der Mitwirkung gemäß § 15 AsylVfG sämtliche in seinem Besitz befindlichen ausländischen Identitätsdokumente wie Reisepass, Personalausweis, Geburtsurkunde, Führerschein, Militärausweis, Standesregisterauszüge, Heiratsurkunde, Impfpass, Werks- oder Arbeitsausweise, Diplome oder Berufsabschlüsse, Adressbücher oder -listen, Briefen, die einen Schriftverkehr mit dem Heimatland beinhalten, bzw. Kopien dieser Dokumente herauszugeben. Zwar ist diese Verfügung mangels Bekanntgabe gegenüber dem Antragsgegner noch nicht wirksam geworden. Die Bekanntgabe soll aber unmittelbar vor Beginn der Durchsuchung an den Antragsgegner persönlich erfolgen, so dass die Verfügung zu diesem Zeitpunkt ihm gegenüber wirksam werden wird. Gegen die Bekanntgabe unmittelbar vor Beginn der Vollstreckung bestehen keine Bedenken im Hinblick auf eine hinreichende und angemessene Möglichkeit zur Kenntnisnahme des Inhalts der Verfügung durch den Antragsgegner, da dieser nach Aktenlage über hinreichende deutsche Sprachkenntnisse verfügt. Mit Bekanntgabe wird der auf der Grundlage des § 15 Abs. 2 AsylVfG ergangene Bescheid gemäß § 2 Nr. 2 LVwVG vollstreckbar, da gemäß § 75 AsylVfG die aufschiebende Wirkung eines etwaigen Rechtsbehelfs entfällt.
Es fehlt indessen an den besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen, die bei dem jeweils angewendeten Zwangsmittel zu beachten sind. Auch diese müssen hier vorliegen, denn die Durchsuchung dient der Durchsetzung eines im Verwaltungsvollstreckungsrecht vorgesehenen Zwangsmittels, das als solches rechtmäßig anzuwenden ist (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 01.06.2005 - 1 S 499/05 - a.a.O. m.w.N.).
Mit der Durchsuchung sollen solche Gegenstände aufgefunden werden, die der Antragsgegner entgegen der aus Ziff. 1 der Verfügung vom 30.03.2009 folgenden Verpflichtung nicht „sofort“ den die Verfügung übergebenden Polizeibeamten aushändigt. Die Herausgabeverpflichtung sollte demnach im Wege des unmittelbaren Zwanges durch Wegnahme (§ 28 LVwVG) vollstreckt werden. Dieses Zwangsmittel wird dem Antragsgegner zwar in Ziff. 2 der Verfügung vom 30.03.2009 angedroht, doch fehlt es entgegen § 20 Abs. 1 Satz 2 LVwVG an der Bestimmung einer angemessenen Frist zur Erfüllung der Verpflichtung. Die Bestimmung einer Frist dient dazu, den Justizgewährungsanspruch, welcher in der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG enthalten ist, zu verwirklichen (BVerwGE 16, 289<291>). Die Behörde verletzt den Anspruch des Bürgers auf wirksamen Rechtsschutz, wenn sie ihre Maßnahme ohne zwingenden Grund so kurzfristig anordnet, dass ihm keine ausreichende Zeit verbleibt, um bei dem Verwaltungsgericht vorläufigen Rechtsschutz zu erlangen (BVerwGE 17, 83). Eine Fristsetzung auf „sofort“, wie sie hier erfolgt ist, darf nur erfolgen, wenn eine sofortige Durchsetzung der Grundverfügung zur Gefahrenabwehr unabweisbar notwendig ist. So wird man etwa dem Halter eines gefährlichen Hundes aufgeben können, sein Tier ab sofort in der Öffentlichkeit an der Leine zu führen (vgl. - mit weiteren Beispielsfällen - Sadler, VwVG/VwZG, 6. Aufl., § 13 VwVG Rn. 14). Die Voraussetzungen für eine Fristsetzung auf „sofort“ sind somit kaum geringer als die des § 21 LVwVG, der bei Gefahr im Verzug ein Abweichen von § 20 Abs. 1 LVwVG ermöglicht (vgl. hierzu ausführlich VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 01.06.2005 - 1 S 499/05 - a.a.O. m.w.N.). Eine derartige, aus der Natur der Sache folgende Notwendigkeit zur Bemessung der Frist auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Verfügung ist hier nicht erkennbar. Eine besondere Eilbedürftigkeit wohnt der Verpflichtung zur Herausgabe von Passdokumenten und Identitätsnachweisen nicht inne.
Dies sieht auch der Antragsteller nicht anders, der die Durchsetzung der dem Antragsgegner in Ziff. 1 der Verfügung auferlegten Verpflichtung nicht durch den Zeitablauf, sondern durch die Warnfunktion einer Zwangsmittelandrohung gefährdet sieht. Sein Hinweis auf die Verfahrensweise bei Erlass der Durchsuchungsanordnung verfängt aber nicht. Der Antragsteller kann sich nicht auf die Rechtsprechung berufen, wonach bei der Gefahr einer Vollstreckungsvereitelung die gem. Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich gebotene Anhörung des Vollstreckungsschuldners unterbleiben kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.06.1981 - 1 BvR 1094/80 - BVerfGE 57, 346 <359 f.>). Denn diese Erwägung bezieht sich nur auf die gerichtliche Ermächtigung zu dieser Modalität der Vollstreckung; am Erfordernis, dass die sonstigen Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen müssen, ändert sich dadurch nichts (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 01.06.2005 - 1 S 499/05 - a.a.O. zu § 21 LVwVG; zur zivilprozessualen Zwangsvollstreckung vgl. Heßler in: Münchner Kommentar zur ZPO, Bd. 2, 3. Aufl., § 758 a Rn. 52).
Ein Wertungswiderspruch liegt in dieser Unterscheidung nicht. Es vermag bereits wenig zu überzeugen, dass durch die Beachtung der Förmlichkeiten des Verwaltungsvollstreckungsrechts die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Vollstreckung spürbar verringert wird. Die Ankündigungswirkung allein der Androhung unmittelbaren Zwangs, die den Anforderungen an eine Zwangsmittelandrohung genügt (vgl. Engelhardt/App, VwVG/VwZG, 8. Aufl., § 13 VwVG Rn. 7 m.w.N.), bleibt noch sehr allgemein und lässt den Betroffenen, insbesondere wenn sie unter Setzung einer angemessenen Frist erfolgt, nicht unbedingt eine bevorstehende Wohnungsdurchsuchung erwarten. Dem Senat ist auch bekannt, dass die vom Regierungspräsidium Tübingen offenbar regelmäßig praktizierte Verfahrensweise nicht einer allgemeinen Verwaltungspraxis im Land entspricht. So droht etwa das Regierungspräsidium Stuttgart in derartigen Fällen regelmäßig unter Setzung einer angemessenen Frist die Anwendung unmittelbaren Zwangs an, bevor es beim Verwaltungsgericht eine Durchsuchungsanordnung beantragt.
10 
Eine Fristbestimmung ist nicht nach § 20 Abs. 1 Satz 2 letzter Halbsatz LVwVG entbehrlich, da weder eine Duldung noch eine Unterlassung erzwungen werden soll.
11 
Die Vorschrift des § 21 LVwVG, die bei Gefahr im Verzug ein Abweichen von § 20 Abs. 1 LVwVG ermöglicht, wird vom Antragsteller nicht in Anspruch genommen. Deren Voraussetzungen liegen im Übrigen nach dem oben Ausgeführten ebenfalls nicht vor (vgl. hierzu ausführlich VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 01.06.2005 - 1 S 499/05 - a.a.O. m.w.N.).
12 
Zur Vermeidung weiterer Rechtsstreitigkeiten weist der Senat darauf hin, dass - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - bei ordnungsgemäßer Androhung des Zwangsmittels unter Setzung einer angemessenen Frist vorliegend der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dem Erlass der Durchsuchungsanordnung nicht entgegenstünde. Die Durchsuchung des Zimmers des Antragsgegners einschließlich von ihm genutzter Nebenräume wäre zum Zweck der Wegnahme der in seinem Besitz befindlichen Passdokumente und sonstigen Identitätsnachweise im Wege des unmittelbaren Zwangs gegen Sachen (§§ 18, 19 Abs. 1 Nr. 3, 26 Abs. 1 Satz 1 und 28 LVwVG) geeignet und erforderlich. Zwar reicht es für eine Durchsuchungsanordnung nicht aus, dass die Behörde auf Grund ihrer Erfahrung davon ausgeht, dass der abgelehnte Asylbewerber in seiner Wohnung über Nachweise verfügt, die seine Staatsangehörigkeit oder Identität belegen (so auch VG Stuttgart, Beschluss vom 21.01.2005 - 4 K 58/05 - InfAuslR 2005, 166). Hier stützt sich der Antrag auf Erlass der Durchsuchungsanordnung indes nicht lediglich auf einen derartigen generellen Verdacht. Vielmehr besteht aufgrund der widersprüchlichen Angaben des Antragsgegners der konkret begründete Verdacht, dass sich jedenfalls einige der fraglichen Dokumente in den von ihm genutzten Räumen tatsächlich finden lassen: Im Asylverfahren hatte der Antragsgegner noch angegeben, er habe keine Papiere mitgenommen und verfüge in seiner Heimat über einen abgelaufenen Reisepass, einen Personalausweis und weitere Dokumente. Am 10.04.2008 gab er an, er habe einen algerischen Reisepass, der aber nicht bei ihm sei. Am 26.05.2008 erklärte er, sein Reisepass sei „noch nicht“ bei ihm. Ausweislich einer Stellungnahme des Landratsamts ... vom 13.06.2008 hat der Antragsgegner sich dort dahingehend eingelassen, dass sein Reisepass sich in Europa, aber nicht bei ihm befinde. Im Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 11.11.2008 heißt es, der Antragsgegner besitze einen abgelaufenen algerischen Reisepass. Ausweislich des über die Vorführung am 18.11.2008 gefertigten Aktenvermerks (/ 41 der Akten) hat der Antragsgegner dort schließlich angegeben, dass er seinen Pass versteckt habe.
13 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
14 
Ein Streitwert muss nicht festgesetzt werden, weil bei Erfolglosigkeit der Beschwerde eine vom Streitwert unabhängige Gerichtsgebühr von 50,00 EUR anzusetzen ist (vgl. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).
15 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.