Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße Beschluss, 10. Okt. 2018 - 5 L 1045/18.NW
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 25.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
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Die Antragstellerin wendet sich gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Beanstandung und Untersagung, in ihrem Programm Werbung für das Angebot unter „https://...gratis“ auszustrahlen.
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Die Antragstellerin, die der Sendergruppe ProSiebenSat.1 Media SE angehört, ist die Veranstalterin des privaten Fernsehvollprogramms „Sat.1“. Dieses wird auf Grundlage einer Zulassung der Antragsgegnerin vom 26. August 2008 veranstaltet. In dem Programm wurde am 12. November 2017 um 20.56 Uhr Fernsehwerbung für die Webseite „l...gratis“ ausgestrahlt.
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Betreiberin dieser Webseite ist die in Gibraltar ansässige A... Ltd.. Alleiniger Anteilseigner der A... Ltd. ist die auf der Isle of Man registrierte C.... Ltd.. Auf „l...gratis“ haben Internetnutzer die Möglichkeit, einmal pro Kalendermonat an einem kostenlosen Gewinnspiel teilzunehmen und dabei einen Gratistipp auf den Ausgang einer öffentlichen Lottoziehung abzugeben. Angeboten wird die Abgabe von Wetten auf den Ausgang von in Deutschland erlaubten staatlichen Lotterien und auf den Ausgang von in anderen Ländern veranstalteten Lotterien und zwar die Gewinnspiele „LOTTO 6 aus 49“, „Eurojackpot“, „EuroMillions“, PowerBall“, „MegaMillions“, „El Gordo - Spanische Weihnachtslotterie“, „Tausend Euro täglich – ein Leben lang (Cash4Life)“ und „WorldMillions“. Die Gewinnchancen werden über die Teilnahmebedingungen dahingehend eingeschränkt, dass zum Beispiel bei einer Wette auf den Ausgang von „LOTTO 6 aus 49“ ein Gewinn innerhalb des Gratisspiels nur dann ausgezahlt wird, wenn alle 6 Zahlen und die Superzahl richtig getippt wurden.
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Die von den erlaubten staatlichen Lotterien ausgespielten sonstigen Gewinnklassen können bei „l...gratis“ nicht gewonnen werden. Des Weiteren wird die auszuzahlende Gewinnsumme nicht nur zwischen den Spielern von „l...gratis“ aufgeteilt, sondern bei der Aufteilung der Gewinnsumme auch die Anzahl der Gewinne berücksichtigt, die bei den erlaubten staatlichen Lotterien gewonnen haben. Nach eigenen Angaben finanziert sich „l...gratis“ über Werbung (s. https://...gratis/advertising.html).
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Für das Angebot „l...gratis“ findet mindestens seit Juni 2015 Fernsehwerbung statt. Nach den Erkenntnissen der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder wurden dafür in dem Zeitraum von Juni 2015 bis November 2017 Bruttoausgaben i.H.v. ca. 73,8 Mio. € aufgewendet.
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Neben dem kostenlosen Angebot der A... Ltd. werden von der ebenfalls in Gibraltar ansässigen Firma B... Ltd. die Webseiten „l...com“ und „l...de“ betrieben. Das Glücksspielangebot der B... Ltd. ist eine sog. Zweitlotterie – eine solche wettet auf den Ausgang von Glücksspielen, ohne mit den staatlichen Lotto-Gesellschaften in einer vertraglichen Beziehung zu stehen –, die über keine Glücksspielkonzession in Deutschland verfügt. Nutzern, die die Seiten der Firma B... Ltd. von Deutschland aus aufrufen, wird die entgeltliche Teilnahme an verschiedenen Glücksspielen angeboten, die Teilnahme ist ab 18 Jahren zulässig. Ermöglicht wird insbesondere die Abgabe von Wetten auf den Ausgang von in Deutschland erlaubten staatlichen Lotterien wie „LOTTO 6 aus 49“, „Eurojackpot“, „EuroMillions“, PowerBall“ und „WorldMillions“. Daneben werden zusätzlich Rubbellose und Softlotterien wie Bingo und Keno angeboten. Neukunden können ferner einen Gratistipp auf die Ziehung einer Lotterie abgeben (s. https://www.l...com/gratis). Gemäß ihren Angaben auf der Homepage leitet B... die Tipps eines Mitspielers weiter an die EU Lotto Ltd., die über eine Glücksspiellizenz der Regierung von Gibraltar verfügt und hinsichtlich der sog. Zweitlotterien als Buchmacherin handelt (s. https://www.l...com/impressum). Bei der Abgabe von Tipps handelt B... namens, im Auftrag sowie auf Anweisung der Mitspieler. Die B... Ltd. bewarb ihre Internetseite u.a. im Fernsehen, stellte die Werbung aber im Januar 2017 ein.
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Gegen das Angebot der A... Ltd. liegen vollziehbare und gerichtlich bestätigte glückspielrechtliche Untersagungsverfügungen aus den Bundesländern Bayern und Niedersachsen vor (s. dazu VG Regensburg, Beschluss vom 30. Mai 2018 – RO 5 S 18.681 –, juris und Bay. VGH, Beschluss vom 21. August 2018 – 10 CS 18.1211 – zum Untersagungsbescheid vom 11. April 2018; VG Hannover, Beschluss vom 27. August 2018 – 10 B 3280/18 – zum Untersagungsbescheid vom 6. April 2018).
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Daneben sind in den Bundesländern Bayern, Niedersachsen und Saarland auch vollziehbare und gerichtlich bestätigte glücksspielrechtliche Untersagungsverfügungen gegen das Angebot der B... Ltd. ergangen (s. dazu VG Ansbach, Beschluss vom 27. September 2016 – AN 15 S 16.448 – und Bay. VGH, Beschluss vom 2. März 2017 – 10 CS 16.2149 –, ZfWG 2017, 276 zum Untersagungsbescheid vom 23. Februar 2016; VG Hannover, Beschluss vom 5. Juli 2016 – 10 B 1065/16 – und OVG Niedersachsen, Beschluss vom 12. Dezember 2016 – 11 ME 157/16 –, GewArch 2017, 86 zum Untersagungsbescheid vom 26. Januar 2016; OVG Saarland, Beschluss vom 12. Mai 2016 –1 B 199/15 –, ZfWG 2016, 363 und VG Saarlouis, Urteil vom 02. Februar 2017 – 6 K 1519/14 –, juris zum Untersagungsbescheid vom 26. September 2014).
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In dem am 12. November 2017 um 20.56 Uhr im Programm der Antragstellerin ausgestrahlten Werbespot für die Webseite „l...gratis“ empfahl der „Marktguru“ (s. „https://www.marktguru.de/“) – dabei handelt es sich um eine digitale Plattform des Medienunternehmens ProSiebenSat.1, die die Möglichkeit bietet, Prospekte stationärer Einzelhändler online und mobil gezielt nach Produkten, Marken oder Warengruppen zu durchsuchen – den Zuschauern, jetzt bei „l...gratis“ zu tippen. Es wurde eine fröhliche Menschenansammlung in einer Halle gezeigt, die sich für die „Lottofreiheit“ einsetzte und zahlreiche Plakate hochhielt. Diese trugen Aufschriften wie „Lotto ohne Grenzen“, „Jackpot“ mit abgesetzter Spalte „l...gratis“ oder „gleiches Lottoglück für alle“. Die Kleidung der im Werbespot zu sehenden Personen war im Wesentlichen grün, fast alle gezeigten Plakate waren grün und die Hintergrundfarbe des Abspanns war ebenfalls grün. Ein „Einheizer“ feierte die Menge wie folgt an: „Die Lottofreiheit, liebe ...landsleute, ist in den Köpfen und Herzen angekommen. Und mit jedem Kreuzchen setzen wir ein weiteres Zeichen für mehr Lottovielfalt, für mehr Lottochancen, für gleiches Lottoglück für alle.“ Noch während Bilder der Menschenansammlung und ein großes Spruchband mit der Aufschrift „Die größten Jackpots der Welt“ gezeigt wurden, ergänzte eine Frauenstimme aus dem Off: „Liebe die Lottofreiheit und gewinne mit „l...gratis“ die größten Jackpots der Welt. Jetzt bei „l...gratis“ tippen.“ Am Ende des Spots wurde mittig vor grünem Hintergrund das Logo von „l...gratis“ eingeblendet, darunter erschien für ca. drei Sekunden der Hinweis: „Pro Teilnehmer ein Gratis-Tipp. Gewinnchance ab 1:22 Millionen. Teilnahme nur für Erstspieler unter 18 Jahren. Glückspiel kann süchtig machen. Mehr Infos unter bzga.de“.
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Mit Schreiben vom 7. Mai 2018 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin über den Sachverhalt und gab ihr wegen eines möglichen Verstoßes gegen § 41 Abs. 1 Satz 4 Rundfunkstaatsvertrag – RStV – i.V.m. § 5 Abs. 3 und 5 Glücksspielstaatsvertrag – GlüStV – Gelegenheit zur Stellungnahme. Zugleich bat die Antragsgegnerin die Antragstellerin um Mitteilung, ob und inwieweit sie beabsichtige, in ihrem Programm auf TV-Werbung für die Angebote von „l...gratis“, „l...com“ und „l...de“ zu verzichten. Vorsorglich wies die Antragsgegnerin die Antragstellerin darauf hin, dass eine Wiederholung von Rechtsverstößen hinreichend ausgeschlossen sei, wenn der Verzicht auf eine solche Wiederholung eidesstattlich versichert werde.
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Hierauf antwortete die Antragstellerin mit Schreiben vom 29. Juni 2018, in der Werbung für „l...gratis“ im Programm „Sat.1“ liege kein Verstoß gegen § 41 Abs. 1 Satz 4 GlüStV i.V.m. § 5 Abs. 3 bzw. 5 GlüStV. Die Regelung des § 5 GlüStV sei auf sie nicht anwendbar, da sie keine Anbieterin im Sinne des GlüStV sei, sondern private Rundfunkveranstalterin, die zur Finanzierung lediglich Werbung Dritter ausstrahle und insofern nicht vom Anwendungsbereich des GlüStV erfasst sei.
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Die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK), die zuvor am 12. September 2017 ein gemeinsames und abgestimmtes Vorgehen gegenüber Rundfunkveranstaltern, die Werbung für „l...gratis“ ausgestrahlt hatten, beschlossen hatte, fasste in ihrer Sitzung am 26. Juni 2018 den Beschluss, die Ausstrahlung von Werbung für das Angebot unter „l...gratis“ in den Programmen „si...“, „sky“ „Eurosport“, „Sport1“, „N24“, „kabel eins“, „Tele5“, „RTL“, „RTL2“, „n-tv“, „DMAX“, „ProSieben“, „kabeleins doku“, „RTL Nirto“, „VIVA“ und „ProSieben Ma...“, in denen der genannte Werbespot ebenfalls ausgestrahlt worden war, unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zu beanstanden und den Veranstaltern zu untersagen (zur Übersicht s. https://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/user_upload/die_medienanstalten/Ueber_uns/Organisation/ZAK_Entscheidungen/Entscheidungsliste_ZAK_-_Aufsichtsfaelle_2018.pdf). Ferner verständigte sich die ZAK auf die parallele Umsetzung der Aufsichtsverfahren wegen Werbung für „l...gratis“ bei allen betroffenen TV-Programmen. In der Folgezeit erließen die jeweiligen Landesmedienanstalten entsprechende Bescheide gegenüber den Programmveranstaltern.
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Im Juli 2018 legte die Antragsgegnerin der ZAK einen Vorschlag zur Beschlussfassung im Umlaufverfahren vor, wonach auch gegenüber der Antragstellerin wegen der Ausstrahlung des Werbespots für „l...gratis“ am 12. November 2017 um 20.56 Uhr im Programm „Sat.1“ eine für sofort vollziehbar zu erklärende Beanstandung ausgesprochen werden sollte. Das Umlaufverfahren war bis Mitte Juli 2018 abgeschlossen.
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Mit Bescheid vom 17. Juli 2018 stellte die Antragsgegnerin in Nr. 1 fest, dass die Antragstellerin gegen § 41 Abs. 1 Satz 4 RStV i.V.m. § 5 Abs. 3 Satz 1 GlüStV verstoßen habe, indem sie am 12. November 2017 um 20.56 Uhr in ihrem Programm „Sat.1“ Fernsehwerbung für „l...gratis“ und damit zugleich Fernsehwerbung für das unerlaubte Glücksspielangebot von B ausgestrahlt habe. Zugleich wurde die Antragstellerin aufgefordert, den o.g. Verstoß künftig zu unterlassen. In Nr. 2 des Bescheids wurde der Antragstellerin die Ausstrahlung von TV-Werbung für „l...gratis“ untersagt. In Nr. 3 wies die Antragsgegnerin die Antragstellerin darauf hin, dass bei Nichtbeachtung der Anordnung gemäß Nr. 2 weitere Aufsichtsmaßnahmen gemäß § 38 Abs. 2 RStV ergriffen werden können. Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 4). Ferner erhob die Antragsgegnerin in Nr. 5 eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 3.000,- €.
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Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, die Voraussetzungen für eine Beanstandung lägen vor. Vor Erlass des Bescheids habe die A... Ltd. nicht selbst angehört werden müssen. Eine mögliche mittelbare Betroffenheit der A... Ltd. durch eine Untersagung von Fernsehwerbung für sie reiche für die Begründung eines Anhörungserfordernisses nicht aus. Eine faktische Duldung der Fernsehwerbung für „l...gratis“ sei nicht erfolgt.
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Nach dem Ergebnis der Prüfung durch das Organ ZAK und unter Berücksichtigung der von der Antragstellerin vorgetragenen Stellungnahme habe diese mit der Ausstrahlung von TV-Werbung der A... Ltd. gegen § 41 Abs. 1 Satz 4 RStV i.V.m. § 5 Abs. 3 GlüStV verstoßen, da Werbung für öffentliches Glücksspiel im Fernsehen, im Internet sowie über Telekommunikationsanlagen generell verboten sei. Eine nach § 5 Abs. 3 Satz 2 GlüStV mögliche Ausnahme komme hier aus glücksspielaufsichtsrechtlicher Sicht nicht in Betracht, weil zum einen keine Werbeerlaubnis für das Angebot „l...“ bzw. „l...gratis“ vorliege und zum anderen, weil es sich bei der unter „www.l...com“ angebotenen „Zweitlotterie“ um ein nicht erlaubtes und auch nicht erlaubnisfähiges Glücksspiel handele. Dass die A... Ltd. mit „l...gratis“ mangels Entgeltlichkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 GlüStV kein Glücksspiel anbiete, spiele für die hier ausgesprochene Beanstandung und Untersagung bereits deshalb keine Rolle, weil es vorliegend nicht um die Zulässigkeit des Gratisangebots an sich gehe, sondern darum, dass durch die für das Angebot „l...gratis“ geschaltete Werbung zugleich für die Angebote unter „www.l...com“ und „www.l...de“ geworben werde. Bei diesen letztgenannten Angeboten handele es sich um Glücksspiele im Sinne des Glücksspielstaatsvertrages.
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Der ausgesprochenen Beanstandung und Untersagung liege nicht der rundfunkrechtliche, sondern der glücksspielrechtliche Werbebegriff zugrunde. Die Gesamtumstände dieser TV-Werbeschaltung führten dazu, dass mit der Werbung für das Angebot „l...gratis“ zugleich Werbung für das unerlaubte Glücksspielangebot „l...“ stattfinde. Die gemeinsame Nutzung einer Marke und die damit verbundene Werbewirkung sowie die Ausgestaltung der Werbespots und das nahezu identische Produktangebot führten objektiv betrachtet dazu, dass die Werbung für „l...gratis“ maßgeblich darauf gerichtet sei, den Absatz des unerlaubten Glücksspielangebots „l..“ zu fördern. Mit der beidseitigen Verwendung der Marke "B" für das Gewinnspiel „l...gratis“ einerseits und die Glücksspiele „www.l...com“ und „www.l...de“ andererseits entstehe unzweifelhaft und gewollt ein direkter Zusammenhang zwischen dem kostenlosen Angebot „l...gratis““ und dem unerlaubten Glücksspiel unter „www.l...com“ und „www.l...de“. Dies werde bereits dadurch deutlich, dass der Zusatz „.gratis“ weder auf eine bestimmte Dienstleistung noch auf einen bestimmten Anbieter hinweise. Der objektive Empfängerhorizont begreife diesen Zusatz lediglich als Hinweis auf ein kostenloses Angebot, was aus glücksspielaufsichtsrechtlicher Perspektive zugleich impliziere, dass auch ein kostenpflichtiges Angebot vorhanden sei. Diese unselbstständige Ergänzung des eigentlich prägenden und im Vordergrund stehenden Markennamens sei nicht geeignet, das Angebot der A... Ltd. hinreichend vom unerlaubten Glücksspielangebot abzugrenzen. Mit der Werbung der A... Ltd. werde danach vielmehr hauptsächlich der im Vordergrund stehende Markenname „B“ beworben und der Absatz der unter dieser Marke vertriebenen Dienstleistungen gefördert. Die gemeinsame Nutzung der Wortmarke „B“ führe gleichsam zu einer verbindenden Klammer des Gewinnspiels mit unerlaubtem Glücksspiel und dementsprechend dazu, dass die Werbung für das kostenlose Angebot „l...gratis“ zugleich als Werbung für das unerlaubte Glücksspiel begriffen werden müsse. Damit werde durch die Werbung der A... Ltd. unmittelbar der Absatz des unerlaubten Glücksspiels gefördert. Nur so lasse sich erklären, warum es die B Holdings Ltd. als Markeninhaberin der Wortmarke „B“ und zugleich alleinige Anteilseignerin der B... Ltd. erlaube oder zumindest dulde, dass mit der A... Ltd. eine scheinbar fremde Firma ihre Marke in einem erheblichen Umfang nutze.
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Dass mit der Werbung für „l...gratis“ zugleich Werbung für das unerlaubte Glücksspiel „www.I......com“ gemacht werde, ergebe sich auch aus der Gestaltung des Werbespots selbst. Die enge Verbindung zwischen „l...gratis“ und „l...com“ finde sich nicht nur im Namen, sondern auch im graphisch ähnlich anmutenden Internetauftritt wieder. Die Farbgebung (Verwendung desselben Grüns, namentlich am Ende des TV-Werbespots wie bei der Darstellung des Logos und der Navigationsleiste bei „www.l...com“), die ähnliche Anordnung und Ähnlichkeit der Icons für die jeweilige Lotterie und die teilweise gleiche Schriftart vermittelten für einen objektiven Betrachter den optischen Eindruck einer bewusst erzeugten Nähe, wenn nicht gar der Zusammengehörigkeit beider Angebote. Nicht zuletzt endeten alle TV-Spots mit der großflächigen Darstellung des Schriftzugs „B“, was dazu führe, dass Aufmerksamkeitswerbung für die Marke B gemacht werde.
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Im Übrigen sei der Zweck der Internetseite „https://...gratis“ zwar auf den ersten Blick darauf ausgerichtet, das Interesse potentieller Lottospieler am Lotteriespiel in der auf der Webseite „https://...gratis“ veranstalteten Form zu wecken - einem Veranstaltungsmodell, welches gleich dem Angebot auf „https://www.l...com“ sei. Wenn also jemand am Spielerlebnis bei „l...gratis““ Gefallen finde und in der Folge die Anzahl der Spielereignisse auf mehr als eines pro Kalendermonat ausweiten wolle, müsse er sich anderen Angeboten zuwenden. An dieser Stelle dränge es sich geradezu auf, dass ein Spielinteressent zunächst das Angebot des gleichnamigen Anbieters B ansteuern werde, da dieses von „l...gratis““-Kunden fast schon automatisch als konsequente Weiterführung dessen wahrgenommen werden dürfte. Diese Personen würden jedenfalls keinerlei Schwierigkeiten haben, das auf „https://...gratis“ erprobte Spielsystem auf „https://www.B...com“ fortsetzen zu können.
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Auch wenn zwischen der B... Ltd. und der A... Ltd. keine gesellschaftsrechtliche Verbindung von außen ersichtlich bzw. für die Glücksspielaufsichtsbehörden oder die ZAK als Organ der LMK nachweisbar sei, deuteten die wirtschaftlichen Zusammenhänge eindeutig darauf hin, dass das Angebot der A... Ltd. ausschließlich dem Zweck diene, das Fernsehwerbeverbot des § 5 Abs. 3 Satz 1 GlüStV zu umgehen.
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Die Beanstandung und Untersagung begegne im Übrigen weder verfassungs- noch unionsrechtlichen Bedenken gegen die zu Grunde liegenden Normen des Glücksspielstaatsvertrags.
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Die ZAK als Organ der LMK habe sich nach pflichtgemäßem Ermessen für die Beanstandung und Untersagung der Fernsehwerbung von „l...gratis“ bei der Veranstalterin entschieden, auch um ein gleichgerichtetes und gleichzeitiges Vorgehen von Glücksspiel- und Medienaufsicht zu gewährleisten. Beim Abwägen des Interesses der Veranstalterin einerseits, die Werbung für das Angebot „l...gratis“ und zugleich für unerlaubtes Glücksspiel im Fernsehen fortzuführen, mit dem öffentlichen Interesse an der Beseitigung der Rechtsverstöße nach § 5 Abs. 3 und 5 GlüStV andererseits, hätten die Interessen der Veranstalterin zurückzustehen. Um den überragend wichtigen Gemeinwohlzielen des Glücksspielstaatsvertrages – Vermeidung und Bekämpfung der Glücksspiel- und Wettsucht – Geltung zu verschaffen, sei ein Einschreiten gegen die bei der Veranstalterin verbreitete Fernsehwerbung für unerlaubte Glücksspiele erforderlich. Die Untersagung der unerlaubten Werbetätigkeit im Fernsehen sei geeignet, den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen. Sie sei auch erforderlich, da kein gleich geeignetes Mittel ersichtlich sei. Für ein Absehen von einer auf das zukünftige Verhalten der Veranstalterin gerichteten Untersagung der unerlaubten Werbetätigkeit habe auch im Lichte der durchgeführten Anhörung und des seitherigen Verhaltens der Veranstalterin kein Anlass bestanden. Die Untersagung der Fernsehwerbung sei auch angemessen, da das Interesse der Veranstalterin, Aufmerksamkeitswerbung für das unerlaubte Glücksspielangebot "B..." zu verbreiten, hinter dem Interesse der Allgemeinheit an rechtmäßigen Zuständen zurücktreten müsse.
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Der ausschlaggebende Grund für das Einschreiten gerade gegen die Werbung für „l...gratis““ sei die - auch dem wenig TV-affinen Bürger - auffallende und häufig wiederkehrende Werbung für „l...gratis““ in durchaus reißerischer Aufmachung. Jedenfalls sei die Werbung für „l...gratis““ äußerst augenfällig und daher auch für den normalen Zuschauer überdurchschnittlich wahrnehmbar. Ein Herausgreifen dieser TV-Werbung sei daher nicht als willkürlich zu bewerten.
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Ihr Vorgehen entspreche auch im Übrigen den Gemeinsamen Leitlinien der obersten Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder und der Landesmedienanstalten zur Zusammenarbeit bei der Aufsicht über Glücksspielwerbung im privaten Rundfunk und Telemedien privater Anbieter. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, könnte sich die Veranstalterin hierauf allerdings nicht zur Abwehr medienaufsichtsrechtlicher Maßnahmen stützen, da die Leitlinien als Bestandteil des öffentlichen Rechts keine drittschützende Wirkung entfalteten. Diese begründeten keine eigenen Rechte sei es eines Glücksspielanbieters, sei es eines werbetreibenden TV-Veranstalters. Zudem hemmten die gemeinsamen Leitlinien ohnedies die Landesmedienanstalten nicht an einem hiervon abweichenden Verhalten.
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Die sofortige Vollziehung des aufsichtsrechtlichen Bescheides sei im besonderen öffentlichen Interesse anzuordnen. Dafür sprächen hier Aspekte des Verbraucherschutzes im Sinne der Vermeidung und Bekämpfung von Glücksspiel- und Wettsucht, die durch Werbung für nicht legale Glücksspielangebote erschwert werden könne, sowie auch des Jugend- und Spielerschutzes. Hierbei sei es besonders relevant, dass die Anbieter von Zweitlotterien insgesamt erhebliche Beträge als Brutto-Werbeausgaben bei TV-Sendern aufwendeten. Dies zeige, dass die Anbieter von Zweitlotterien in erheblichem Umfang und in der Gesamttendenz deutlich steigend TV-Werbung einsetzten, weil sie sich davon eine Steigerung ihrer Bekanntheit und ihrer Umsätze versprächen. Allein im Jahr 2015 seien durch Online-Zweitlotterieanbieter insgesamt rund 246 Mio. € Bruttospielerträge erzielt worden.
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Durch die erhebliche Präsenz von „l...gratis““ in TV-Werbespots werde die Bekanntheit der Dachmarke „B“ und damit auch des vollziehbar untersagten Angebotes „l...com“ gesteigert. Dies sei ungünstig für die Wirksamkeit des vollziehbaren Verbotes des Glücksspielangebotes „l...com“ und auch für die Erreichung der Ziele des Verbraucherschutzes im Sinne der Vermeidung und Bekämpfung von Glücksspiel- und Wettsucht, da mehr Personen das Angebot „l...com“ in Anspruch nehmen könnten, wenn seine Bekanntheit erhöht werde. Da es sich bei der Werbung für „l...gratis“ auch um intendierte Werbung für die kostenpflichtigen Angebote auf „I...com“ und „l...de“ handele, wirke damit Werbung für „l...gratis““ diesen Zielen des Allgemeinwohls entgegen. Gleiches gelte für Ziele des Jugend- und Spielerschutzes. Es liege im öffentlichen Interesse, Glücksspiel- und Wettsucht zu bekämpfen und Jugend- und Spielerschutz sicherzustellen. Würde eine Sofortvollzuganordnung nicht erfolgen, so würde dieser negative Effekt für die genannten Ziele bis zur Entscheidung über eine Klage in der Hauptsache fortbestehen können. Es könne auch nicht sicher erwartet werden, dass die Veranstalterin angesichts der hohen wirtschaftlichen Bedeutung der Werbung von „l...gratis““ freiwillig für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens auf die Ausstrahlung der Spots verzichten würde.
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Auch der Umstand, dass derzeit keine Ausstrahlungen entsprechender Fernsehwerbung im Programm Sat.1 festzustellen seien, habe keine diesbezüglichen Auswirkungen auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung des vorliegenden Bescheids. Die Veranstalterin könne sich jederzeit wieder anders, d.h. für die Ausstrahlung von TV-Werbung für „l...gratis“ im Programm Sat.1, entscheiden.
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Gegen den Bescheid vom 17. Juli 2018 hat die Antragstellerin am 6. August 2018 Klage erhoben und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung führt sie aus, der auf § 41 Abs. 1 Satz 4 RStV i.V.m. § 5 Abs. 3 GlüStV gestützte Bescheid sei aus mehreren Gründen materiell rechtswidrig. So fehle es schon an einer tauglichen Rechtsgrundlage für den Bescheid. Dieser könne weder auf § 41 Abs. 1 Satz 4 RStV gestützt werden, weil es sich insoweit nur um eine deklaratorische Norm handele, noch auf § 5 Abs. 3 GlüStV, da diesbezüglich weder der sachliche noch der personelle Anwendungsbereich eröffnet sei. Letzteres scheide schon aus, da sie, die Antragstellerin, keine Veranstalterin, Durchführerin oder Vermittlerin von Glücksspielen sei. Ferner lägen auch die glücksspielrechtlichen Eingriffsvoraussetzungen nicht vor, da keine unerlaubte Werbung für Glücksspiel stattfinde. Insbesondere werde mit der Werbung für das Angebot „l...gratis“ nicht für das Angebot von „l...com“ geworben. Vielmehr handele es sich dabei um voneinander unabhängige Produkte mit unterschiedlichen Anbietern und unterschiedlichen Internetseiten. Die Logos seien in Inhalt, Farbe, Gestaltung und Design völlig unterschiedlich. Schon das Wort B werde beim Angebot „l...gratis“ in zwei Wörter (Lotto und Land) getrennt. Auch das Wort gratis treffe aufgrund der gleichen Schriftgröße und Farbauswahl nicht dahinter zurück. Eine Verwechselungsgefahr bestehe nicht. Geworben werde allein für das Gratis-Angebot, das ein eigenes Angebot und ein unterschiedliches Logo enthalte. Der mit dem Logo transportierte Gehalt sei damit ausdrücklich Werbung für ein kostenloses Angebot - mithin kein Glücksspielangebot. Hinzu komme, dass Veranstalterin von „l...gratis“ die A... Ltd. sei. Veranstalterin von „l...com“ sei hingegen B... Ltd., die die dortigen Tipps an EU Lotto Ltd. weiterleite. Es handele sich also um unterschiedliche Anbieter und zwar um unabhängige, eigenständige Unternehmen, zwischen denen kein gesellschaftsrechtliches Kontroll- oder Über-Unterordnungsverhältnis bestehe. Auch inhaltlich unterschieden sich die Angebote wesentlich, was ein Blick auf die genannten Webseiten belege.
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Die vorstehende Bewertung, dass mit einer Werbung für „l...gratis“ nicht auch für „l...com“ geworben werde, werde auch durch die Rechtsprechung bestätigt. So habe der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 9. März 2015 - 7 BV 13.2153 entschieden, dass die Fernsehwerbung mit der Darstellung der Marken „Fulltiltpoker“ und „Fulltiltpoker.net“ nicht für Glücksspiel geworben habe. Dort sei es nämlich um Werbung für ein kostenloses Angebot für Pokerspieler gegangen. Das kostenpflichtige Glücksspielangebot sei hingegen unter „Fulltiltpoker.com“ zu finden gewesen, auf das die Werbung jedoch nicht verwiesen habe. Die Erwägungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs seien auf den vorliegenden Fall der Werbung für ein kostenloses Angebot zu übertragen. Die Unterschiede der beiden Angebote seien sogar noch deutlicher als in dem dort entschiedenen Fall. Insbesondere sei schon die zugrunde gelegte Annahme eines nur einmaligen Gratistipps unzutreffend, da im Bescheid an anderer Stelle zu Recht festgestellt werde, dass der Gratistipp einmal monatlich abgegeben werden könne. Mit der (regelmäßigen) Gewinnmöglichkeit bei „l...gratis“ erfülle der Fall hier noch viel mehr den vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erwähnten Begriff „gleichrangige Angebote", der nicht missinterpretiert werden dürfe.
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Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass der A... Ltd. im Geltungsbereich von Bayern und Niedersachsen im April 2018 untersagt worden sei, für das Angebot „l...gratis“ im Fernsehen zu werben. Diese Untersagungsbescheide seien noch nicht bestandskräftig.
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Darüber hinaus sei der Bescheid in mehrfacher Hinsicht unverhältnismäßig. Er verstoße vor allem gegen das Gleichbehandlungsgebot bzw. den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung. Denn er halte sich nicht an die in den gemeinsamen Leitlinien der Glücksspielaufsicht und Landesmedienanstalten aufgestellten und abgestimmten Vorgaben, worauf sich der Rundfunkveranstalter nach obergerichtlicher Rechtsprechung auch berufen könne. Es fehle nämlich an einem bundesweiten und gleichgerichteten Vorgehen der Glücksspielaufsicht. Dies sei aber nicht nur nach den selbstbindenden Gemeinsamen Leitlinien erforderlich, sondern bedinge auch das anerkannte Gebot der Effektivität der (unterstellten) Gefahrenabwehr sowie das Willkürverbot.
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Ferner verstoße der Bescheid auch gegen Nr. V. 1. der Leitlinien, wo festgehalten sei, dass die Landesmedienanstalten im Übrigen auch nur dann gegenüber den Rundfunkveranstaltern „tätig werden“, wenn „trotzdem“ (d.h. zeitlich nach Vorliegen bundesweiter vollziehbarer glücksspielrechtlicher Aufsichtsmaßnahmen) die entsprechend beanstandete Werbung gesendet werde. Nach Aktenlage werde jedoch bislang nur auf eine einzelne Werbeausstrahlung im November 2017 abgestellt. Die bislang einzigen Untersagungen der Glücksspielaufsicht in Bayern und Niedersachsen gegenüber dem Veranstalter von „l...gratis“ stammten dagegen erst aus April 2018 und seien der Antragstellerin erst mit Schreiben vom 7. Mai 2018 bekanntgegeben worden. Eine etwaige danach erfolgte Ausstrahlung der Werbung sei bislang jedoch nicht aktenkundig festgestellt worden. Den dargestellten Verstoß gegen die Leitlinien habe im Übrigen auch das zuständige Organ der Antragsgegnerin, die ZAK, in einem Parallelfall im Ergebnis eingeräumt.
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Die inzwischen ergangenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts München sprächen nicht gegen die hier festzustellenden Verstöße gegen die Gemeinsamen Leitlinien.
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Der angefochtene Bescheid missachte ferner nicht nur die grundrechtlich geschützte Position der Antragstellerin als Rundfunkveranstalterin und das daraus folgende Anzeigenprivileg. Dies gelte selbst dann, wenn man die nach Aktenlage vertretene Ansicht der Unzulässigkeit der Bewerbung von „l...gratis“ als zutreffend unterstellen würde. Bei der Verbreitung von Anzeigen treffe den Rundfunkveranstalter und die Anzeigenredaktion zur Gewährleistung der Rundfunk- und Medienfreiheit nur eine grundsätzlich auf grobe und unschwer zu erkennende Verstöße beschränkte Prüfungspflicht. Wende man aber diese anerkannten Maßstäbe an, handele es sich hier weder um einen groben noch offensichtlichen (unterstellten) Verstoß. Dies folge auch daraus, dass die konkrete Beurteilung, ob die Werbung gesetzeswidrig sein könnte, nicht bereits durch einfaches Anschauen des fraglichen Werbespots möglich sei. Vielmehr seien glücksspielrechtliche Spezialkenntnisse erforderlich, um zu einer Einschätzung zu gelangen.
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Selbst wenn man bei summarischer Prüfung von „nur offenen Erfolgsaussichten oder gar einem Bestand des angefochtenen Bescheids im Hauptsacheverfahren ausgehe, bestehe kein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung. Einer Eilbedürftigkeit stehe bereits entgegen, dass die Fernsehwerbung für „l...gratis“ bereits seit Juni 2015 unbeanstandet ausgestrahlt werde. Ungeachtet dessen ergäben sich aus Online-Glücksspielen allgemein und aus Lotterien speziell keine nennenswerten Suchtgefahren. Vielmehr folgten die wesentlichen Suchtgefahren im Glücksspielsektor aus stationären Angeboten, insbesondere in Form von Geldspielautomaten. Schließlich sei auch nicht erkennbar, dass sich angebliche Suchtgefahren für die vorliegend in Rede stehenden Angebote in den letzten Jahren derart geändert hätten, dass seit 2015 eine jahrelange faktische Duldung habe erfolgen können, nunmehr aber mit Sofortvollzug dagegen vorgegangen werden müsste. Selbst die ZAK habe in ihrer Sitzung vom 12. Dezember 2017 offenbar Zweifel an der Eilbedürftigkeit geäußert.
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Die Antragstellerin beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Juli 2018 wiederherzustellen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Sie führt aus, die Antragstellerin habe mit der Ausstrahlung von Werbung für „l...gratis“ gegen § 5 Abs. 3 GlüStV verstoßen. Die Internetseite „l...gratis“ und ebenso die Werbung dafür dienten lediglich der Umgehung des glücksspielrechtlichen Werbeverbots. Es handele sich um verdeckte Werbung für die entgeltpflichtigen Glücksspielangebote von „l...com“. Es könne nicht ernsthaft bezweifelt werden, dass es wirtschaftliche Verbindungen zwischen „l...gratis“ und „l...com“ gebe und die Ähnlichkeiten beider Angebote nicht auf Zufall beruhten. Vielmehr liege ein evidenter Versuch der Umgehung des glücksspielrechtlichen Werbeverbots vor. Die A... Ltd. verfüge über keinen bzw. keinen nennenswerten Umsatz. Demgegenüber hätten die Ausgaben für Fernsehwerbung für „l...gratis“ im Zeitraum von Juni 2015 bis November 2017 insgesamt ca. 72,8 Millionen Euro betragen. Die A... Ltd. betreibe damit ein hochdefizitäres Gewinnspielangebot. Demgegenüber setze die B... Ltd. jährlich nach eigenen Angaben ca. 360 Millionen Euro um. Diese Situation lasse nur den Schluss zu, dass es das Angebot „l...gratis“ und die hierfür geschaltete Werbung allein aus dem Grund gebe, um Werbung für „l...com“ zu machen.
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Der von den TV-Werbespots ausgehende Werbeeffekt für das unerlaubte Glücksspielangebot von „l...com“ folge zudem daraus, dass die TV-Werbespots sowie die Internetseite „l...gratis“ Hinweise gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 2 GlüStV enthielten. Es werde erwähnt, dass eine Teilnahme erst ab 18 Jahren möglich sei und Glücksspiel süchtig machen könne. Zu diesen Hinweisen seien nach § 7 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 S. 2 GlüStV aber nur Glücksspielanbieter, nicht aber Gewinnspielanbieter verpflichtet.
- 42
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sei das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. März 2015, in dem entschieden worden sei, dass eine TV-Werbung, in der die Marken „Fulltiltpoker“ und „Fulltiltpoker.net“ dargestellt würden, nicht gleichzeitig Werbung für das Glücksspielangebot „Fulltiltpoker.com“ sei, nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Die Antragstellerin übersehe, dass aus der entscheidenden Sicht der Verbraucher dem Begriff „B“ eine prägende Bedeutung zukomme und die TV-Werbespots im Wesentlichen den Bekanntheitsgrad der Marke „B“ stärkten. Dem Zusatz „.gratis“ werde in der öffentlichen Wahrnehmung keine Bedeutung beigemessen.
- 43
Die weitere Ansicht der Antragstellerin, das staatliche Lotteriemonopol sei unionsrechtswidrig, sei ebenfalls unrichtig. Diese Frage spiele für das Verfahren im Übrigen keine Rolle, da selbst im Fall der Unionsrechtswidrigkeit des Lotteriemonopols eine – wie hier vorliegende – nicht erlaubte Lotteriewerbung im Fernsehen aufgrund von § 5 Abs. 3 Satz 1 GlüStV nicht zulässig wäre. Die Unionsrechtswidrigkeit des Lotteriemonopols könnte allenfalls zur Erlaubnisfähigkeit privater Lotterien und der darauf bezogenen Fernsehwerbung führen. Die Unionsrechtswidrigkeit des Lotteriemonopols hätte hingegen keinesfalls zur Folge, dass die Fernsehwerbung für die Angebote der B... Ltd., auf die es hier allein ankomme, entgegen § 5 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GlüStV erlaubnisfrei würde. Die vermeintliche Unionsrechtswidrigkeit würde im Übrigen auch nicht dazu führen, dass das nicht erlaubte Glücksspielangebot entgegen § 4 Abs. 1 GlüStV ohne Vorliegen einer Erlaubnis als legalisiert anzusehen wäre.
- 44
Der streitgegenständliche Bescheid sei auch nicht unverhältnismäßig. Es liege kein Verstoß gegen die Gemeinsamen Leitlinien vor. Ungeachtet dessen würde ein Verstoß nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheids führen. Die Antragstellerin könne auch nicht mit ihrem Einwand durchdringen, der angegriffene Bescheid verstoße in unverhältnismäßiger Weise gegen das Anzeigenprivileg und damit gegen die Rundfunkfreiheit. Denn ein privater Fernsehsender könne sich in medienaufsichtsrechtlichen Verfahren nicht auf das Anzeigenprivileg berufen. Dieses gelte nur bei der Verbreitung wettbewerbswidriger Äußerungen in den Medien.
- 45
Anders als die Antragstellerin meine, bestehe auch ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Untersagungsverfügung. Die Ziele des Glücksspielstaatsvertrages seien u.a. die Verhinderung und Bekämpfung von Glücksspiel- und Wettsucht und die Gewährleistung des Jugend-und Spielerschutzes. Diese Ziele würden nur dann effektiv durchgesetzt, wenn der angegriffene Bescheid sofort vollzogen werde. Dem öffentlichen Vollzugsinteresse stehe auch nicht entgegen, dass – wie die Antragstellerin meine – die beanstandete Fernsehwerbung bereits seit 2015 ausgestrahlt werde und sich das Verfahren „über Jahre“ hingezogen habe. Die Verfahrensdauer sei dem konzertierten Vorgehen der verschiedenen Medienanstalten geschuldet. Das gemeinsame Vorgehen der Medienanstalten habe umfangreiche und zeitaufwendige Abstimmungsprozesse erfordert, nicht zuletzt auch mit der Glücksspielaufsicht. Die Antragstellerin habe hieraus nicht berechtigterweise folgern dürfen, die Ausstrahlung der beanstandeten TV-Werbung sei zulässig bzw. würde faktisch geduldet. Es fehle an einer Vertrauensgrundlage.
- 46
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten sowie der Verwaltungsakten des Antragsgegners verwiesen.
II.
- 47
Der Antrag hat keinen Erfolg. Die Kammer legt das Begehren der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Juli 2018 wiederherzustellen, dahingehend aus, dass lediglich die Nrn. 1 und 2 des genannten Bescheids Gegenstand des Eilverfahrens sein sollen. Der dagegen gerichtete Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der unter dem Aktenzeichen 5 K 1044/18.NW erhobenen Klage ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alternative i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – statthaft und auch ansonsten zulässig. In der Sache ist der Antrag aber unbegründet.
- 48
1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheids vom 17. Juli 2018 ist formell rechtmäßig.
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Insbesondere hat die Antragsgegnerin in formeller Hinsicht die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids vom 17. Juli 2018 ausreichend nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet. Hierzu hat die Antragsgegnerin u.a. ausgeführt, für die sofortige Vollziehung des aufsichtsrechtlichen Bescheids sprächen Aspekte des Verbraucherschutzes im Sinne der Vermeidung und Bekämpfung von Glücksspiel- und Wettsucht, die durch Werbung für nicht legale Glücksspielangebote erschwert werden könne, sowie auch des Jugend- und Spielerschutzes. Durch die erhebliche Präsenz von „l...gratis“ in TV-Werbespots werde die Bekanntheit der Dachmarke „B“ und damit auch des vollziehbar untersagten Angebotes „l...com“ gesteigert. Dies sei ungünstig für die Wirksamkeit des vollziehbaren Verbotes des Glücksspielangebotes „l...com“ und auch für die Erreichung der Ziele des Verbraucherschutzes im Sinne der Vermeidung und Bekämpfung von Glücksspiel- und Wettsucht, da mehr Personen das Angebot „l...com“ in Anspruch nehmen könnten, wenn seine Bekanntheit erhöht werde. Da es sich bei der Werbung für „l...gratis“ auch um intendierte Werbung für die kostenpflichtigen Angebote auf „l....com“ und „l...de“ handele, wirke damit Werbung für „l...gratis“ diesen Zielen des Allgemeinwohls entgegen. Gleiches gelte für Ziele des Jugend- und Spielerschutzes. Es liege im öffentlichen Interesse, Glücksspiel- und Wettsucht zu bekämpfen und Jugend- und Spielerschutz sicherzustellen. Würde eine Sofortvollzuganordnung nicht erfolgen, so würde dieser negative Effekt für die genannten Ziele bis zur Entscheidung über eine Klage in der Hauptsache fortbestehen können. Aufgrund der nicht unerheblichen Dauer von verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren erscheine es daher gerechtfertigt, aufgrund der o. g. im Allgemeininteresse liegenden Ziele, ein besonderes öffentliches Sofortvollzugsinteresse einer Untersagungsverfügung anzunehmen, weil durch die steigenden TV-Werbemaßnahmen eine besondere Gefährdung von Zielen des Allgemeinwohls eintreten würde.
- 50
Damit liegt eine auf den konkreten Einzelfall abgestellte, substantiierte und nicht lediglich formelhafte Begründung des besonderen Vollzugsinteresses vor. Ob die von der Antragsgegnerin angeführte Begründung inhaltlich zutreffend ist und die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu rechtfertigen vermag, ist im Rahmen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO unbeachtlich; dies ist erst bei der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vom Gericht eigenständig vorzunehmenden Interessenbewertung zu erörtern (s. z.B. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 10. Juli 2018 – 7 B 10698/18.OVG –).
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2. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids vom 17. Juli 2018 ist auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden.
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Für das Interesse des Betroffenen, einstweilen nicht dem Vollzug der behördlichen Maßnahmen ausgesetzt zu sein, sind zunächst die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs von Belang. Ein überwiegendes Interesse eines Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel anzunehmen, wenn die im Eilverfahren allein mögliche und gebotene summarische Überprüfung ergibt, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist. Denn an der Vollziehung eines ersichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts kann kein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen. Ist der Verwaltungsakt dagegen offensichtlich rechtmäßig, so überwiegt das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers nur dann, wenn zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts besteht. Kann aufgrund der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Überprüfung nicht festgestellt werden, ob der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig oder offensichtlich rechtswidrig ist, so beschränkt sich die verwaltungsgerichtliche Kontrolle des Sofortvollzuges des Verwaltungsakts auf die Durchführung einer Interessenabwägung, die je nach Fallkonstellation zugunsten des Antragstellers oder des Antragsgegners ausgehen kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 2007 – 2 BvR 695/07 –, NVwZ 2007, 1176).
- 53
Nach diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Beanstandungs- und Untersagungsverfügung, da nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage davon auszugehen ist, dass sich die streitgegenständliche Beanstandungs- und Untersagungsverfügung im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen wird.
- 54
Die Beanstandungs- und Untersagungsverfügung beruht auf einer einschlägigen Rechtsgrundlage (2.1.) und ist nach summarischer Prüfung sowohl formell (2.2.) als auch materiell (2.3.) rechtmäßig. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der genannten Verfügung überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (2.4.).
- 55
2.1. Die Antragsgegnerin konnte die angefochtene Beanstandungs- und Untersagungsverfügung auf § 38 Abs. 2 i.V.m. § 41 Abs. 1 Satz 4 des Rundfunkstaatsvertrages – RStV – in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. August 1991 (GVBI Seite 369), zuletzt geändert durch den 21. Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 18. Dezember 2017 (GVBI. 2018 Seite 75) i.V.m. § 27 Abs. 1 Landesmediengesetz – LMG – i.V.m. § 5 Abs. 3 des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland – GlüStV – vom 15. Dezember 2011 (GVBl. 2012 Seite 166), zuletzt geändert durch Staatsvertrag vom 16. März April 2017 (GVBl. 2017 Seite 335) stützen.
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Gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 RStV trifft die zuständige Landesmedienanstalt, stellt sie fest, dass ein Anbieter gegen die Bestimmungen dieses Staatsvertrages verstoßen hat, die erforderlichen Maßnahmen. Maßnahmen sind insbesondere Beanstandung, Untersagung, Rücknahme und Widerruf (§ 38 Abs. 2 Satz 2 RStV). § 38 Abs. 2 RStV geht den Bestimmungen des jeweils einschlägigen Landesrechts als spezielle Regelung für bundesweite Angebote (§ 39 RStV) vor. Für die Voraussetzungen und die Durchführung von Beanstandungen und Untersagungen ist ergänzend das Landesmedienrecht heranzuziehen (Schuler-Harms, in: Binder/Vesting, Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 4. Auflage 2018, § 38 Rn. 8 und 10). Nach dem hier maßgebenden § 27 Abs. 1 LMG weist die Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz, stellt sie einen Rechtsverstoß fest, den Rundfunkveranstalter nach Anhörung an, den Rechtsverstoß unverzüglich oder innerhalb einer angemessenen Frist zu beheben oder künftig zu unterlassen (Beanstandung). Die Beanstandung ist als missbilligender Vorhalt eines festgestellten Rechtsverstoßes ein feststellender Verwaltungsakt ohne vollstreckungsfähigen Inhalt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 6 B 1/14 –, NVwZ 2014, 1594; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. Juni 2015 – 13 A 1215/12 –, ZUM 2015, 910; Holznagel, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Auflage 2015, § 38 RStV Rn. 10). Soweit § 38 Abs. 2 RStV zwischen den medienaufsichtlichen Maßnahmen der „Beanstandung“ und der „Untersagung“ unterscheidet, meint der Ausdruck „Untersagung“ nicht die Unterlassungsanordnung als Teil der in § 27 Abs. 1 LMG genannten Beanstandung, sondern die hiervon zu unterscheidende Maßnahme der Untersagung, wie sie auch das Landesmediengesetz an anderer Stelle vorsieht (vgl. § 32 Abs. 2 LMG, s. dazu: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. August 2013 – 2 A 10002/13 –, ZUM 2013, 980). Die Untersagung enthält einen verbindlichen Befehl an den Veranstalter, ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen, also etwa das Verbot, eine bestimmte Sendung oder einen bestimmten Werbespot (erneut) auszustrahlen (vgl. Bornemann/von Coelln/Hepach/Himmelsbach/Gundel, Bayerisches Mediengesetz, 44. Auflage 2018, § 38 RStV Rn. 11). Im Unterschied zur bloßen Beanstandung ist die Untersagung mit den Mitteln des Verwaltungszwangs vollstreckungsfähig, wenn sie bestandskräftig ist oder deren sofortige Vollziehung angeordnet wurde.
- 57
Soweit die Antragstellerin das Fehlen einer einschlägigen Rechtsgrundlage bzw. einer entsprechenden Eingriffsermächtigung gerügt hat, dringt sie damit nicht durch. § 38 Abs. 2 RStV ermächtigt die Medienaufsicht dazu, Verstöße gegen die „Bestimmungen dieses Staatsvertrages“ zu monieren, d.h. die zuständige Landesmedienanstalt kann bei jedem Verstoß gegen den Rundfunkstaatsvertrag Aufsichtsmaßnahmen ergreifen. Dazu zählen auch Verstöße gegen die in § 41 Abs. 1 RStV normierten Programmgrundsätze. Diese umfassen nach § 41 Abs. 1 Satz 4 RStV die Einhaltung der allgemeinen Gesetze, mithin auch des Glücksspielstaatsvertrages. Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 GlüStV ist Werbung für öffentliches Glücksspiel im Fernsehen, im Internet sowie über Telekommunikationsanlagen verboten; eine Werbeerlaubnis der Anbieterin gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 GIüStV liegt hier unstrittig nicht vor.
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§ 38 Abs. 2 Satz 1 RStV wird als Ermächtigungsgrundlage auch nicht verdrängt durch § 9 Abs. 1 Satz 1, 2 und Satz 3 Nr. 3 GlüStV i.V.m. § 13 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Nr. 3 Landesglücksspielgesetz – LGlüG –. Danach hat die Glücksspielaufsicht die Aufgabe, die Erfüllung der nach diesem Staatsvertrag bestehenden oder auf Grund dieses Staatsvertrages begründeten öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen zu überwachen sowie darauf hinzuwirken, dass unerlaubtes Glücksspiel und die Werbung hierfür unterbleiben. Die zuständige Behörde des jeweiligen Landes kann die erforderlichen Anordnungen im Einzelfall erlassen. Sie kann u.a. die Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung unerlaubter Glücksspiele und die Werbung hierfür untersagen. Diese Eingriffsbefugnis der Glücksspielaufsicht ist nicht geeignet, die gesetzlich angeordnete umfassende Kontrollzuständigkeit der Medienaufsicht nach dem Rundfunkstaatsvertrag einzuschränken (vgl. VG Schleswig, Beschluss vom 04. Oktober 2018 – 11 B 107/18 –). Eine solche Begrenzung im Verhältnis zweier nach unterschiedlichen Normen zuständiger Behörden besteht nur, wenn und soweit für die Überwachung bestimmter öffentlich-rechtlicher Vorschriften die abschließende Zuständigkeit einer anderen Behörde vorgesehen ist. Für den Bereich der repressiven Kontrolltätigkeit der Medienaufsicht nach § 38 Abs. 2 RStV gegenüber „Anbietern“ – also Rundfunkveranstaltern, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 14 RStV ihre Programme „anbieten“ – fehlt jedoch eine solche Beschränkung ihres Kontrollauftrags und der daran anknüpfenden Eingriffsermächtigungen. Die Antragsgegnerin ist daher gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 RStV nicht daran gehindert, bei der Überwachung privater Rundfunkveranstalter auch die Vereinbarkeit mit dem Werbeverbot nach § 5 Abs. 3 Satz 1 GlüStV zu prüfen.
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2.2. Die Beanstandungs- und Untersagungsverfügung ist nach summarischer Prüfung formell rechtmäßig ergangen.
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2.2.1. Da der Bescheid in Ausführung eines Beschlusses der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) als Organ der Antragsgegnerin erging, war hierfür gemäß § 44 Abs. 3 Nr. 8 LMG deren Direktor zuständig. Einer Beteiligung der Gremien der Antragsgegnerin bedurfte es nicht.
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2.2.2. Die Antragsgegnerin hat auch das im Rundfunkstaatsvertrag vorgesehene Verfahren der Medienkontrolle eingehalten.
- 62
Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 RStV ist die ZAK für Aufsichtsmaßnahmen gegenüber privaten bundesweiten Veranstaltern zuständig, soweit nicht die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) zuständig ist. Dabei dient die ZAK nach § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Satz 2 RStV der zuständigen Landesmedienanstalt als Organ bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nach § 36 RStV. Gegenüber den anderen Organen der zuständigen Landesmedienanstalt sind die Beschlüsse der ZAK nach § 35 Abs. 9 Satz 5 RStV bindend und innerhalb der von der ZAK gesetzten Frist zu vollziehen (§ 35 Abs. 9 Satz 6 RStV). Zu ihrer Wirksamkeit gegenüber den privaten Rundfunkanbietern im Außenverhältnis bedarf es der Umsetzung durch die Landesmedienanstalt gemäß § 38 Abs. 2 RStV.
- 63
Dieses stark formalisierte und abgestufte Verfahren, mit dem zwar keine bundeseinheitliche Medienaufsicht geschaffen wurde, aber gleichwohl eine Vereinheitlichung und Zentralisierung der Zulassung und der Aufsicht im Bereich der bundesweiten Anbieter erreicht werden soll (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 26. Juli 2012 – 7 CS 12.817 –, juris), bedingt es, dass im Rahmen der Anfechtung eines Beanstandungsbescheides der Landesmedienanstalt inzident die zugrunde liegende Entscheidung der ZAK zu überprüfen ist (s. Urteil der Kammer vom 4. Juni 2013 – 5 K 429/12.NW –, juris). Danach liegt hier dem angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin die erforderliche Beschlussfassung der ZAK zugrunde. An der Wirksamkeit des einstimmig im schriftlichen Umlaufverfahren gemäß § 4 Abs. 5 der Geschäfts- und Verfahrensordnung der ZAK (GVO-ZAK) vom 26. Juni 2018 gefassten Beschlusses bestehen keine Zweifel, insbesondere waren alle vierzehn ZAK-Mitglieder ordnungsgemäß vertreten (s. Blatt 144 – 157 der Verwaltungsakte).
- 64
Die Beschlussfassung genügt auch den Anforderungen des § 35 Abs. 9 Satz 3 und 4 RStV. Danach sind die Beschlüsse der Organe der Landesmedienanstalt zu begründen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen. Die Begründungspflicht richtet sich an die ZAK selbst; die ordnungsgemäße Begründung des umsetzenden Bescheids der Antragsgegnerin kann die Begründung durch die ZAK nicht ersetzen (vgl. Bay. VGH, Urteil vom 19. September 2013 – 7 B 12.2358 –, DVBl 2014, 108). Allerdings kann die Begründungspflicht auch dadurch erfüllt werden, dass die ZAK der von der zuständigen Landesmedienanstalt vorgelegten Beschlussvorlage einschließlich einer darin enthaltenen Begründung des vorgeschlagenen Beschlusses durch Bezugnahme zustimmt. Dann müssen eine solche Bezugnahme bzw. Verweisung und der Wille, sich die Begründung der Beschlussvorlage zu eigen zu machen, aus der Niederschrift über den Beschluss der ZAK oder aus sonstigen Unterlagen klar und unmissverständlich hervorgehen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. Juni 2015 – 13 A 1215/12 –, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. April 2014 – 2 A 10894/13.OVG –, AfP 2014, 378; Bay. VGH, Urteil vom 19. September 2013 – 7 B 12.2358 –, DVBl 2014, 108). Vorliegend haben sich die Mitglieder der ZAK die Begründung des Bescheidentwurfs der Antragsgegnerin klar und unmissverständlich zu Eigen gemacht.
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2.2.3. Die Antragstellerin wurde vor Erlass des Bescheids vom 17. Juli 2018 auch mit Schreiben vom 07. Mai 2018 gemäß § 27 Abs. 1 LMG, der § 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG – i.V.m. § 28 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG – als speziellere Norm vorgeht, angehört.
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Entgegen der Ansicht der Antragstellerin war eine gesonderte Anhörung der A... Ltd. nicht erforderlich. Anzuhören nach § 28 Abs. 1 VwVfG sind nur Beteiligte eines Verwaltungsverfahrens. Wer zum Kreis der Beteiligten in einem Verwaltungsverfahren gehört, bestimmt sich ausschließlich nach § 13 VwVfG (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 2002 – 3 C 28/01 –, NVwZ 2003, 354). In Betracht käme hier allein eine Hinzuziehung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG. Danach sind Beteiligte diejenigen, die nach § 13 Abs. 2 VwVfG von der Behörde zu dem Verfahren hinzugezogen worden sind, d.h. Dritte, deren rechtliche Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden können (einfache Hinzuziehung) oder für die der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung hat (notwendige Hinzuziehung). Der Anspruch auf Anhörung entsteht erst mit der Hinzuziehung des Dritten nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG; eine materielle Rechtsbetroffenheit allein genügt hierfür nicht (Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 28 Rn. 33).
- 67
Eine gemäß § 13 VwVfG mögliche, aber im Ermessen der Behörde stehende einfache oder notwendige Hinzuziehung der A... Ltd. drängt sich vorliegend nicht derart auf, dass das der Antragsgegnerin insoweit eingeräumte Ermessen auf Null reduziert wäre. Das Verbot der Ausstrahlung von Werbung der A... Ltd. ist an die Antragstellerin adressiert und berührt die A... Ltd. allenfalls mittelbar und erst recht nicht rechtsgestaltend im Sinne des § 13 Abs. 2 Satz 2 VwVfG. Ob die Beanstandungsverfügung die A... Ltd. in ihren rechtlichen, also subjektiven und nicht nur ideellen Interessen überhaupt berührt, bedarf hier keiner Entscheidung, denn die Antragstellerin kann sich weder auf die Verletzung und erst recht nicht auf die „Berührung“ subjektiver Interessen der A... Ltd. berufen (s. VG Schleswig, Beschluss vom 04. Oktober 2018 – 11 B 107/18 –).
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2.3. Die Voraussetzungen für ein medienrechtliches Einschreiten nach § 38 Abs. 2 RStV i.V.m. § 27 Abs. 1 LMG liegen offensichtlich vor.
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Nach § 41 Abs. 1 Satz 4 RStV – dieser hat nur deklaratorische Bedeutung, da die tatbestandlich einschlägigen Gesetze ohnehin gelten (vgl. Cornils, in: Binder/Vesting, a.a.O., § 41 Rn. 1) – sind die Vorschriften der allgemeinen Gesetze und die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der persönlichen Ehre einzuhalten. Zu den „allgemeinen Gesetzen“ im Sinne des § 41 Abs. 1 Satz 4 RStV zählt auch § 5 Abs. 3 Satz 1 GlüStV, wonach Werbung für öffentliches Glücksspiel im Fernsehen (§ 7 RStV), im Internet sowie über Telekommunikationsanlagen verboten ist.
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2.3.1. Die Antragstellerin hat mit der Ausstrahlung des Werbespots für „l... gratis“ in ihrem Vollprogramm „Sat.1“ gegen die zuletzt genannten Vorschriften verstoßen.
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2.3.1.1. Bei § 5 Abs. 3 Satz 1 GlüStV handelt es sich um ein generelles Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (Bay. VGH, Beschluss vom 21. August 2018 – 10 CS 18. 1211 –, juris). § 5 Abs. 3 GlüStV verbietet jegliche Werbung für Glücksspiele im Fernsehen. Dieses Verbot beinhaltet auch die Information über die Existenz eines Glücksspiels, ohne dass es besonders angepriesen wird (Bay. VGH, Urteil vom 26. Juni 2012 – 10 BV 09.2259 – juris).
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Der Begriff der Werbung ist im Glücksspielstaatsvertrag nicht legal definiert. Bei der Auslegung dieses Begriffs kann aus glücksspielaufsichtsrechtlicher Sicht jedoch auf den im Wettbewerbsrecht geltenden Werbebegriff zurückgegriffen werden (s. Hecker/Ruttig, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, 2. Auflage 2013, § 5 Rn. 33). Werbung ist danach in Übereinstimmung mit Art. 2 Buchstabe a der Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung „jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen zu fördern“ (vgl. BGH, Urteil vom 12. September 2013 – I ZR 208/12 –, MDR 2014, 45). Werbung zeichnet sich demnach durch zwei Elemente aus: Sie wird entweder gegen eine Gegenleistung Dritter oder als Eigenwerbung ausgestrahlt und erfolgt in der Absicht, den Absatz von Waren oder Dienstleistungen anzuregen. Der Begriff der Werbung ist weit zu verstehen und erfasst jede Art von Werbung, außer den unmittelbar produktbezogenen Angeboten und Nachfragehandlungen also auch Maßnahmen der mittelbaren Absatzförderung, beispielsweise in Form der Imagewerbung (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 2018 – VI ZR 225/17 –, juris; Bay. VGH, Beschluss vom 21. August 2018 – 10 CS 18.1211 –, juris).
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2.3.1.2. Unter Zugrundelegung dieser Kriterien stellt die Werbung für „l...gratis“ im Programm „Sat.1“ der Antragstellerin nach dem insoweit maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont zumindest mittelbar auch Werbung für das im Fernsehen verbotene öffentliche Glücksspiel „l...com“ dar. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat dazu in seinem Beschluss vom 21. August 2018 – 10 CS 18.1211 –, juris u.a. Folgendes ausgeführt:
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„Die Bewertung der von der Antragstellerin (A... Ltd., Ergänzung der Kammer) geschalteten Werbung als mittelbare Produktwerbung für das Angebot https://www.l...com ergibt sich schon aus der Verwendung des Schlüsselbegriffs „B“. Abzustellen ist dabei nicht auf die jeweilige Wort-Bild-Marke, sondern auf den akustisch und optisch wahrnehmbaren Begriff „B“. Der Namensteil „Lotto“ steht im Hinblick auf das öffentlich-rechtliche Angebot „Lotto 6 aus 49“ als Synonym für Lotterieprodukte, so dass aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts mit der Werbung für „B“ eine Werbung für Lotterieprodukte verbunden wird. Auf die farbliche und graphische Gestaltung des Schlüsselbegriffs bzw. der Marke kommt es dabei nicht entscheidend an, weil im Mittelpunkt das beworbene Produkt, die Lotterie, und nicht der Anbieter steht. Dies gilt ungeachtet der markenrechtlichen Beurteilung und der unterschiedlichen Gestaltung der Wort-Bild-Marke (...). Der Namenszusatz „gratis“ ist nicht geeignet, bei dem betroffenen Adressatenkreis der Produktwerbung den Eindruck verschiedener Produktanbieter oder Produkte zu erwecken und „l...gratis“ als vom Angebot „B“ unabhängigen Anbieter mit anderen Produkten zu kennzeichnen bzw. zu unterscheiden. Dieser Zusatz erweckt allenfalls den Eindruck, dass unter der Domain bzw. Marke „l...gratis“ die Glücksspielangebote von „l...com“ kostenlos angeboten werden (...). Verstärkt wird dies dadurch, dass das Gratisangebot der Antragstellerin nach den Feststellungen im Bescheid vom 11. April 2018 und im Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 30. Mai 2018 dieselben Lotterien bewirbt bzw. mit Wetten auf den Ausgang der jeweiligen Lotterien geworben wird, wie sie auch im Angebot der B... Ltd. unter https://www.l...com zu finden sind, also das Gewinnspielangebot der Antragstellerin insoweit mit dem Glücksspielangebot von „l...com“ identisch ist (....). Eine Differenzierung der Produktpalette lässt sich bezogen auf die sog. Zweitlotterien im Werbespot nicht feststellen. Erst aus den Teilnahmebedingungen auf der Website von „l...gratis“ wird deutlich, dass lediglich einmal im Monat kostenfrei auf das Ergebnis der jeweiligen Lotterie gewettet werden kann, während auf https://www.l...com eine unbegrenzte Anzahl von Wetten auf den Ausgang derselben Lotterien kostenpflichtig abgegeben werden kann. Dafür, dass der Werbeauftritt der Antragstellerin für ihr Gratisangebot von den angesprochenen Adressaten als Werbung für das im Wesentlichen kommerzielle Angebot unter https://www.l...com wahrgenommen wird, spricht zudem, dass sie in den Werbespots die nur für Glücksspiele erforderlichen Hinweise auf die Spielteilnahme ab 18 Jahren und die Suchtgefahren einblendet, obwohl sie sich vehement dagegen wendet, ihr Gratisangebot als Glücksspiel im Sinne des § 3 GlüStV einzuordnen und der Hinweis somit nicht erforderlich wäre.
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... Auch können die Werbespots der Antragstellerin – ... – zu einer besonderen Anreizwirkung für die Teilnahme an entgeltlichem Glücksspiel führen, weil sich die beiden Angebote nur durch die Entgeltlichkeit unterscheiden. Durch die nur eingeschränkt mögliche unentgeltliche Teilnahme am Gewinnspiel der Antragstellerin (einmal pro Monat) ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sich der angesprochene Adressatenkreis zu einer (weiteren) entgeltlichen Spielteilnahme bei https://www.l...com entschließt, wenn er – wie beabsichtigt – Gefallen an den Zweitlotterien findet. Auch bietet die Website der Antragstellerin über die Eröffnung einer einmaligen kostenlosen Tippmöglichkeit pro Monat für bestimmte, auch von https://www.l...com angebotene Zweitlotterien hinaus keine Dienstleistungen, Informationen oder Gewinnspiele, die sie von https://www.l...com unterscheiden und als eigenes, von https://www.l...com unabhängiges Angebot erkennbar machen würden.
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... Der Antragsgegner hat auch zutreffend angenommen, dass es bei der dem Werbebegriff immanenten Werbeabsicht (Ziel der Absatzförderung) nicht auf die subjektive Einschätzung des Werbenden ankommt, sondern die subjektive Komponente im Sinne einer objektiven Zweckrichtung zu verstehen ist. Die Antragstellerin kann mit dem Werbespot nur dann das Ziel der entgeltlichen Absatzförderung verfolgen, wenn die Werbung objektiv geeignet ist, den Warenabsatz oder die Dienstleistungserbringung zugunsten des Werbenden bzw. des Dritten, für den er werben will, zu fördern. Erforderlich ist daher eine objektive Förderungseignung. Auch muss die Äußerung nicht unmittelbar auf die Absatzförderung gerichtet sein, vielmehr genügt bereits eine mittelbare Förderung, so dass die reine Imagewerbung (Aufmerksamkeitswerbung) erfasst ist (...). Insoweit ist auf die Sicht der angesprochenen Verkehrskreise (...) abzustellen. Die Frage, ob es sich um Werbung für ein bestimmtes Produkt handelt, ist aus Sicht eines durchschnittlich informierten und verständigen Mitglieds des angesprochenen Verkehrskreises, der einer Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit schenkt, zu beantworten. Insoweit kommt es daher nicht darauf an, ob der betroffene Adressatenkreis die Werbung für „l...gratis“ mit einer Werbung für https://www.l...com „verwechselt“, sondern ob aus der Sicht des angesprochenen Verkehrskreises die Werbung für https://l...gratis (auch) als Werbung für https://www.l...com verstanden wird, die Antragstellerin mit ihrer Werbung für „l...gratis“ also zugleich auf die Produkte von https://www.l...com aufmerksam macht. Dies ist mit Blick auf den identischen Schlüsselbegriff und das auf die genannten Zweitlotterien bezogene identische Produktangebot zu bejahen (s.o.). Dafür spricht auch, dass die Antragstellerin in den entsprechenden Werbespots ihr Logo „l...gratis“ mit demselben grünen Farbton umgibt, in dem das Schriftbild von „B“ gehalten ist, und so auch optisch eine Verbindung zwischen den beiden Angeboten herstellt. Die Annahme des Verwaltungsgerichts und des Antragsgegners, für die fehlende Unterscheidbarkeit des Angebots von „l...gratis“ und „www.l...com“ für den „Verbraucher“ sprächen zudem die Trefferlisten bei der Eingabe des entsprechenden Schlüsselbegriffes in eine Suchmaschine, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Da es sich beim Gewinnspiel der Antragstellerin und den Produkten von „l...com“ um Angebote, die nur im Internet gespielt werden können, handelt, werden die betroffenen Verbraucherkreise für den Aufruf der betreffenden Website den Schlüsselbegriff “B“ oder „l...gratis“ eingeben, und dann in der Regel auf das Angebot von „l...com“ stoßen. Auch dies lässt den Rückschluss zu, dass es sich bei den von der Antragstellerin angebotenen Gratiswetten nicht um ein von „l...com“ verschiedenes Angebot eines anderen Unternehmens handelt. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass „l...gratis“ ein werbestrategischer Ableger von „l...com“ ist, der Gratistipps anbietet. Die unter demselben Schlüsselbegriff bei einer Internet-Recherche auftauchenden Bewertungen der Gratisangebote im Bereich der Zweitlotterien gehen daher auch dahin, dass der Zweck von „l...gratis“ vor allem darin besteht, auf das kostenpflichtige Angebot unter https://www.l...com aufmerksam zu machen bzw. das Gratisangebot von „l...com“ darstellt oder nur dazu dient, Adressen „abzufischen“.“
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Die erkennende Kammer schließt sich der dargestellten Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs trotz der von der Antragstellerin dagegen erhobenen Einwände an (s. ebenso Bay. VGH, Beschluss vom 21. September 2018 – 7 CE 18.1722 –; VG München, Beschluss vom 05. September 2018 – M 17 S 18.3843 –; VG Schleswig, Beschluss vom 04. Oktober 2018 – 11 B 107/18 –). Die aufgezählten Fakten und Umstände lassen ohne Zweifel den von der Antragsgegnerin gezogenen Schluss zu, dass es das Angebot „B...gratis.de“ und die dafür geschaltete Werbung nur deshalb gibt, um Werbung für „l...com“ zu machen. Das VG Schleswig hat in seinem Beschluss vom 04. Oktober 2018 – 11 B 107/18 – überzeugend ausgeführt, dass der Begriff „B“, der die Angebote von „l...gratis“ und „l...com“ weit überwiegend prägt, eine Wortneuschöpfung darstellt. Diesen Begriff gibt es weder im deutschen Wortschatz noch sonst im allgemeinüblichen Sprachgebrauch. Verwendet der Anbieter eines Gratisgewinnspiels diesen Begriff in seinem Angebotstitel, so ist die Verbindung, die ein objektiver Empfänger zu dem Angebot des Wortmarkeninhabers unter „l...com“ ziehen wird, zwangsläufig. Denn etwas Anderes/ Eigenständiges kann der Empfänger mangels Existenz des Begriffs „B“ in einem anderen Zusammenhang gar nicht verbinden. Selbst wenn der Empfänger von dem Angebot von „l...com“ keine Kenntnis hat, wird er spätestens bei Nutzung der Internetsuchmaschinen unabwendbar auf das Angebot von „l...com“ geführt.
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Die Argumentation der Antragstellerin, die sich dahin verstehen lässt, dass die herausgestellten Zusammenhänge der Angebote „l...com“ und „l...gratis“ ungewollte Zufälle seien, erscheint ungeachtet des Umstands, dass sich derzeit gesellschaftsrechtliche Verbindungen der jeweiligen Anbieter der Gewinnspiele/ Glücksspiele nicht nachweisen lassen, lebensfremd (so zutreffend VG Schleswig, Beschluss vom 04. Oktober 2018 – 11 B 107/18 –).
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Soweit sich die Antragstellerin zur Stützung ihrer gegenteiligen Rechtsauffassung weiterhin auf das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. März 2015 – 7 BV 13.2153 –, juris beruft, kann sie damit nicht durchdringen. In dem Fall ging es u.a. um die Frage, ob in der Sendung „Poker After Dark“ mit der Werbung für die Internetseite „www.fulltiltpoker.net“ zugleich Werbung für die Internetseite „www.Fulltiltpoker.com“ gemacht wurde. Die Webseite „www.fulltiltpoker.net“ enthielt ein kostenloses Angebot für Pokerspieler, das ausschließlich der Unterhaltung diente und Übungsmöglichkeiten sowie eine Plattform für den Erfahrungsaustausch zur Verfügung stellte. Dagegen wurde auf der Internetseite „www.Fulltiltpoker.com“ auch die Möglichkeit angeboten, um Geld zu pokern. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertrat in der genannten Entscheidung die Ansicht, bei den jeweiligen Angeboten von „Fulltiltpoker.net“ und „Fulltiltpoker.com“ handele es sich um gleichrangige Angebote, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass wegen der Ähnlichkeit der Schriftzüge zugleich für das jeweils andere Angebot mitgeworben werde. Der Sendung könne keine Anreizwirkung für die Teilnahme an entgeltlichem Glücksspiel entnommen werden, das durch die Marke „Fulltiltpoker“ befriedigt werden könnte. Ein Bekanntheitsgrad des Namens und des Schriftzuges „Fulltiltpoker“, der hinreichen würde, es nach der Verkehrsauffassung als „Dachmarke“ für viele Einzelangebote zu sehen, sei nicht erkennbar. Die Werbung beschränke sich daher auf das kostenlose Angebot von „Fulltiltpoker.net“.
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Diese Erwägungen sind nach Ansicht der Kammer nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar (s. auch Bay. VGH, Beschluss vom 21. September 2018 – 7 CE 18.1722 –; VG München, Beschluss vom 05. September 2018 – M 17 S 18.3843 –; VG Schleswig, Beschluss vom 04. Oktober 2018 – 11 B 107/18 –). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 21. August 2018 – 10 CS 18.1211 –, juris, überzeugend hervorgehoben, dass aus der entscheidenden Sicht der Verbraucher dem Begriff „B“ eine prägende Bedeutung zukommt und die TV-Werbespots im Wesentlichen den Bekanntheitsgrad der Marke „B“ stärken. Im Unterschied zu den Angeboten von „Fulltiltpoker.net“ und „Fulltiltpoker.com“ handelt es sich bei den Angeboten von „l...gratis.de“ und „l...com“ nicht um „gleichrangige Angebote“, denn hinsichtlich des Angebots „l...gratis“ ist ein eigenständiger, dauerhafter Spielzweck nicht erkennbar.
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Zu keinem anderen Ergebnis gelangt die Kammer im Übrigen, wenn statt des wettbewerbsrechtlichen Werbebegriffs der rundfunkrechtliche Werbebegriff zugrunde gelegt wird. Gemäß § 2 Abs. 7 RStV ist Werbung jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs, die im Rundfunk von einem öffentlich-rechtlichen oder einem privaten Veranstalter oder einer natürlichen Person entweder gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung gesendet wird, mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, gegen Entgelt zu fördern. Der rundfunkrechtliche Werbebegriff erweitert daher den wettbewerbsrechtlichen Werbebegriff lediglich um die Hinweise auf die Sendung im Rundfunk und die Entgeltlichkeit (s. VG Schleswig, Beschluss vom 04. Oktober 2018 – 11 B 107/18 –).
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2.3.1.3. Die Antragstellerin hat folglich mit der Ausstrahlung des Werbespots am 12. November 2017 Werbung für unerlaubtes Glücksspiel im Fernsehen betrieben.
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Das Glücksspiel war unerlaubt, weil die Veranstalterin „l...com“ nicht die hierfür erforderliche Erlaubnis für Rheinland-Pfalz besitzt, wie sie § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV voraussetzt. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass der Erlaubnisvorbehalt des § 4 Abs. 1 GlüStV, wonach öffentliche Glücksspiele nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde des Landes veranstaltet und vermittelt werden dürfen, unabhängig von der Wirksamkeit des staatlichen Glücksspielmonopols besteht (BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 – 8 C 13/09 –, NVwZ 2011, 549; OVG Rheinland-Pfalz, Beschlüsse vom 19. Oktober 2011 – 6 A 10511/11.OVG – und vom 6. Februar 2012 – 6 B 11350/11.OVG –).
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Der Umstand, dass ein privater Veranstalter der beworbenen Glücksspiele über von EU-Ländern ausgestellte Glücksspiellizenzen verfügt, vermag nichts daran zu ändern, dass es sich um in Rheinland-Pfalz unerlaubtes Glücksspiel handelt. Dabei lässt sich die Geltung ausländischer Konzessionen in Deutschland auch nicht aus Unionsrecht ableiten (s. EuGH, Urteil vom 8. September 2010 – C-316/07 –, NVwZ 2010, 1409; BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 – 8 C 13/09 –, NVwZ 2011, 549). Da die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union im Glücksspielbereich unabhängig vom jeweiligen Schutzniveau nicht dazu verpflichtet sind, Genehmigungen gegenseitig anzuerkennen, sind sie berechtigt, die Beantragung einer nationalen Erlaubnis auch dann zu fordern, wenn der Anbieter bereits über eine Konzession eines anderen Mitgliedsstaates verfügt (EuGH, Urteil vom 8. September 2010 – C-316/07 –, NVwZ 2010, 1409). Der Erlaubnisvorbehalt dient u.a. den unionsrechtlich legitimen Zielen des Jugend- und Spielerschutzes und der Kriminalitätsbekämpfung (s. BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013 – 8 C 39/12 –, juris). Ein solches Erlaubnisverfahren ermöglicht die präventive Prüfung, ob u.a. die für die Tätigkeit erforderliche persönliche Zuverlässigkeit vorliegt und die Anforderungen des Jugend- und Spielerschutzes beachtet werden (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 2. März 2017 – Az. 10 CS 16.2149 –).
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Die Werbebeschränkungen und Verbote des Glücksspielstaatsvertrags sind mit dem nationalen Verfassungsrecht vereinbar und können damit taugliche Rechtsgrundlage sein. Der Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Grundgesetz – GG –) ist durch wichtige Gemeinwohlziele gerechtfertigt, nämlich dem Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren der Glückspielsucht und vor der mit Glücksspielen verbundenen Folge- und Begleitkriminalität (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2008 – 1 BvR 928/08 –, NVwZ 2008, 1338). Die Ziele des Glücksspielstaatsvertrages sind die Suchtbegrenzung (§ 1 Nr. 1 GlüStV), die Begrenzung des Glückspielangebots und die Lenkung der Wettleidenschaft (§ 1 Nr. 2 GlüStV), der Jugend- und Spielerschutz (§ 1 Nr. 3 GlüStV), die Betrugsvorbeugung (§ 1 Nr. 4 GlüStV) sowie die Vorbeugung von Gefahren beim Veranstalten und Vermitteln von Sportwetten (§ 1 Nr. 5 GlüStV). Werbung darf aber nicht mittels Medien erfolgen, die aufgrund ihrer Reichweite in besonderem Maße zum Gefährdungspotential von Glücksspielen beitragen. Das ist bei der Werbung im Fernsehen der Fall. Darüber hinaus wird hier ein Online-Glücksspielangebot beworben, das neben der leichten Verfügbarkeit keinerlei geographische Grenzen aufweist und damit besonders gefährdend wirken kann. Damit verfolgt der Glücksspielstaatsvertrag ein legitimes Ziel, dessen Werbebeschränkungen und Verbote geeignet und erforderlich sind, dieses Ziel zu erreichen. Ein Verstoß gegen das Verfassungsrecht ist demnach nicht per se anzunehmen. Vielmehr können die Behörden im Einzelfall durch eine verfassungskonforme Auslegung den grundgesetzlichen Vorgaben Rechnung tragen, da der Glücksspielstaatsvertrag Ausnahmeregelungen wie etwa in § 5 Abs. 3 Satz 2 GlüStV vorsieht (VG Regensburg, Beschluss vom 30. Mai 2018 – RO 5 S 18.681 –, juris).
- 86
Auch Unionsrecht steht der Zulässigkeit von Werbebeschränkungen und Verboten des Glücksspielstaatsvertrags nicht entgegen. Die Antragsgegnerin weist zutreffend darauf hin, dass sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 04. Februar 2016 – C-336/14 –, NVwZ 2016, 369 nicht die Unanwendbarkeit eines verwaltungsrechtlichen Erlaubnisverfahrens ergibt (s. auch VG Regensburg, Beschluss vom 30. Mai 2018 – RO 5 S 18.681 –, juris; VG München, Beschluss vom 5. September 2018 – M 17 S 18.3843 –). Nach der genannten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hindert die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV – einen Mitgliedstaat daran, die ohne Erlaubnis erfolgte Vermittlung von Sportwetten in seinem Hoheitsgebiet an einen Wirtschaftsteilnehmer, der in einem anderen Mitgliedstaat eine Lizenz hat, zu ahnden, wenn die Erteilung einer Erlaubnis für die Veranstaltung von Sportwetten daran geknüpft ist, dass der Wirtschaftsteilnehmer eine Konzession nach einem Verfahren erhält und das vorlegende Gericht feststellt, dass dieses Verfahren den Gleichbehandlungsgrundsatz, das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und das daraus folgende Transparenzgebot nicht beachtet hat, und soweit trotz des Inkrafttretens einer nationalen Bestimmung, nach der privaten Teilnehmern eine Konzession erteilt werden kann, die von den nationalen Gerichten für unionsrechtswidrig befundenen Bestimmungen, mit denen ein staatliches Monopol auf die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten eingeführt wurde, faktisch weiter angewendet werden. Diese Feststellung des Europäischen Gerichtshofs betrifft lediglich im Besonderen die strafrechtliche und damit repressive Ahndung einer ohne erforderliche behördliche Erlaubnis aufgenommenen Vermittlung von Sportwetten. Aus ihr kann hingegen nicht allgemein die Unvereinbarkeit von Bestimmungen eines Mitgliedstaates zur präventiven Gefahrenabwehr hinsichtlich anderer Glücksspielbereiche mit Unionsrecht abgeleitet werden (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 12. Dezember 2016 – 11 ME 157/16 –, ZfWG 2017, 54 und Beschluss vom 18. Juni 2018 – 11 LA 237/16 –, juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 09. März 2017 – 4 Bs 241/16 –, ZfWG 2017, 404). Zwar ging der Europäische Gerichtshof davon aus, dass trotz des Konzessionsverfahrens ein europarechtswidriges Sportwettenmonopol faktisch fortbestand. Dies führt aber nur dazu, dass eine strafrechtliche Sanktion eines Glücksspiels ohne Erlaubnis nicht erfolgen kann. Unter „ahnden“ versteht der Europäische Gerichtshof auch in dieser Entscheidung eine strafrechtliche Sanktion. Der Europäische Gerichtshof ist in dieser Entscheidung dem Antrag des Generalanwaltes nicht gefolgt, der der Auffassung war, dass ein faktisches europarechtswidriges Sportwettenmonopol auch zur Unanwendbarkeit eines verwaltungsrechtlichen Erlaubnisvorbehalts führen müsste. Damit hat der Europäische Gerichtshof seine frühere Rechtsprechung nicht aufgegeben. Er hat wiederholt entschieden, dass Beschränkungen der Spieltätigkeit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses wie den Verbraucherschutz, die Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das Spielen gerechtfertigt sein können (vgl. EuGH, Urteil vom 06. November 2003 – C-243/01 –, NVwZ 2004, 87; EuGH, Urteil vom 06. März 2007 – C-338/04, C-359/04 und C-360/04 –, NJW 2007, 1515; EuGH, Urteil vom 22. Juni 2017 – C-49/16 –, ZfWG 2017, 388). Zu den Beschränkungen können auch Werbeverbote für Glückspiele im Fernsehen gehören.
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Auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juni 2016 – 8 C 5/15 –, NVwZ 2017, 326 führt nicht zu einer Unanwendbarkeit des Erlaubnisvorbehalts nach § 4 Abs. 1 und 2 GlüStV. Danach kann das Fehlen einer Erlaubnis nicht die Untersagung der Sportwettenvermittlung rechtfertigen, wenn das für Private für eine Übergangszeit bis zur Anwendung einer glücksspielrechtlichen Neuregelung eröffnete Erlaubnisverfahren nicht transparent und diskriminierungsfrei ausgestaltet ist oder praktiziert wird und deshalb faktisch ein staatliches Sportwettenmonopol fortbesteht. Für den Bereich der hier maßgeblichen „Zweitlotterien“ ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass das vorgesehene Erlaubnisverfahren insgesamt nicht transparent oder diskriminierungsfrei ausgestaltet ist. Im Übrigen besteht im Bereich der sog. „Zweitlotterien“ keine staatliche Monopolstellung. Die Hürden im Erlaubnisverfahren sind auch nicht derart unüberwindbar, dass ein faktisches Monopol entsteht (OVG Hamburg, Beschluss vom 09. März 2017 – 4 Bs 241/16 –, ZfWG 2017, 404).
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Der Erlaubnisvorbehalt ist somit anwendbar. Da, wie ausgeführt, die B... Ltd. nicht über die erforderliche Erlaubnis für die Werbung im Fernsehen für die angebotenen Glückspiele verfügt, ist der Tatbestand der Beanstandungsbefugnis erfüllt.
- 89
2.3.2. Die Beanstandungsverfügung ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch nicht offensichtlich unverhältnismäßig oder ermessensfehlerhaft.
- 90
Da ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 GlüStV vorliegt, ist die Antragsgegnerin gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 RStV zur Einleitung von Aufsichtsmaßnahmen gegen die Antragstellerin verpflichtet. Lediglich die Wahl des konkreten Aufsichtsmittels steht im Ermessen der zuständigen Medienaufsicht (BVerwG, Urteil vom 22. Juni 2016 – 6 C 9/15 –, NVwZ-RR 2016, 773). Erforderlich sind dabei Maßnahmen, die einerseits geeignet sind, den Verstoß gegen staatsvertragliche Bestimmungen zu beseitigen, und die andererseits den bundesweiten Anbieter nicht über Gebühr belasten; die Aufsichtsmaßnahme muss verhältnismäßig sein (vgl. Schuler-Harms, in: Hahn/Vesting, a.a.O., § 38 Rn. 23).
- 91
2.3.2.1. Die Antragstellerin kann zunächst nicht mit ihrem Einwand, die streitgegenständliche Verfügung sei unverhältnismäßig, da die Antragsgegnerin gegen die Gemeinsame Leitlinien der obersten Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder und der Landesmedienanstalten zur Zusammenarbeit bei der Aufsicht über Glücksspielwerbung im privaten Rundfunk und Telemedien privater Anbieter vom 17. Juli 2014 verstoßen habe, durchdringen.
- 92
Die genannten „Leitlinien“ sollen dazu dienen, die Zusammenarbeit der obersten Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder und der Landesmedienanstalten im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben zu erleichtern (vgl. Präambel der Leitlinien). Nach Maßgabe dieser Vereinbarung soll im Fall von Werbung, die in bundesweiten Angeboten des privaten Rundfunks verbreitet wird, die Feststellung eines Verstoßes gegen die Regelungen nach § 5 GlüStV durch die Glücksspielaufsicht im Benehmen mit den zuständigen Landesmedienanstalten erfolgen (A. III. 2. der Leitlinien). Bei Verstößen von Veranstaltern und Vermittlern öffentlichen Glücksspiels gegen die Anforderungen an Art und Umfang der Werbung im Sinne des § 5 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 GlüStV werden die Glücksspielaufsichtsbehörden gegenüber den Veranstaltern und Vermittlern öffentlichen Glücksspiels im Rahmen der Gesetze tätig. Um ein möglichst gleichgerichtetes und gleichzeitiges Vorgehen von Glücksspiel- und Medienaufsicht zu gewährleisten, sollen, wenn eine vollziehbare glücksspielrechtliche Aufsichtsmaßnahme (Werbe-Beanstandung, Verbot, etc.) verfügt wurde, parallel zu den Glücksspielaufsichtsbehörden die Landesmedienanstalten gegenüber den privaten Fernsehveranstaltern tätig werden, wenn trotzdem die entsprechend beanstandete Werbung gesendet wird (A. V. Satz 1 und 2 Nr. 1 der Leitlinien).
- 93
Aus diesen Leitlinien folgt, dass im Innenverhältnis zwischen Glücksspielaufsichtsbehörden und Landesmedienanstalten die Landesmedienanstalten erst dann gegenüber den ihrer Aufsicht unterliegenden Rundfunkveranstaltern tätig werden sollen, wenn die für Auslegung und Vollzug des Glücksspielstaatsvertrags zuständigen Glücksspielaufsichtsbehörden – hier die gemäß § 15 Abs. 5 LGlüG zuständige Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion auf der Grundlage von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV i.V.m. § 13 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Nr. 3 LGlüG – gegenüber den Glücksspielanbietern in Bezug auf deren Werbung für Glücksspiel im Fernsehen tatsächlich eingeschritten sind und vollziehbare Aufsichtsmaßnahmen erlassen haben (vgl. Bay. VGH, Urteil vom 02. April 2015 – 7 B 14.1961 –, ZfWG 2015, 247).
- 94
Vorliegend hat die Antragsgegnerin gegen die Antragsteller eine medienaufsichtsrechtliche Beanstandung erlassen, bevor die zuständige rheinland-pfälzische Glücksspielaufsichtsbehörde gegen die A... Ltd. oder die B... Ltd. vorgegangen ist. Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand des Gerichts liegen gegen das Angebot der A... Ltd. bisher jedenfalls vollziehbare glückspielrechtliche Untersagungsverfügungen aus den Bundesländern Bayern und Niedersachsen vor. Ferner sind in den Bundesländern Bayern, Niedersachsen und Saarland auch vollziehbare glücksspielrechtliche Untersagungsverfügungen gegen das Angebot der B... Ltd. ergangen.
- 95
Soweit die Antragstellerin moniert, es liege mangels Vorliegens einer vorrangigen glücksspielaufsichtsrechtlichen Verfügung der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion gegenüber der A... Ltd. ein Verstoß gegen die Leitlinien vor, kann sie damit nicht gehört werden. Ohne näher darauf einzugehen, ob hier überhaupt ein inhaltlicher Verstoß gegen die genannten Leitlinien gegeben ist, ist festzuhalten, dass die Leitlinien, bei denen es sich nicht um verbindliche Rechtsnormen handelt (s. auch VG München, Beschluss vom 05. September 2018 – M 17 S 18.3843 –), nicht geeignet sind, eine Einschränkung der gesetzlich angeordneten umfassenden Kontrollzuständigkeit der Medienaufsicht nach dem Rundfunkstaatsvertrag herbeizuführen. Da § 38 Abs. 2 RStV eine eigenständige gesetzliche Eingriffsbefugnis normiert und hinsichtlich der Frage des „ob“ des Einschreitens der Medienaufsicht keinerlei Ermessen besteht, kann auch unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung kein Verstoß hergeleitet werden (vgl. auch VG Schleswig, Beschluss vom 04. Oktober 29018 – 11 B 107/18 –). Die Antragsgegnerin war daher gesetzlich nicht verpflichtet, mit dem Einschreiten zuzuwarten, bis die Glücksspielaufsicht gegen den Glücksspielanbieter vorgegangen ist.
- 96
2.3.2.2. Mit der Beanstandung und Untersagung hat die Antragsgegnerin die mildesten Mittel unter den förmlichen Aufsichtsmitteln gewählt; insofern sind Ermessensfehler nicht ersichtlich.
- 97
Beanstandung und Untersagung waren erforderlich, um die Ziele des Werbeverbots aus § 5 Abs. 3 und 5 GlüStV zu erreichen. Soweit die Antragstellerin einwendet, sie habe den monierten Werbespot nur einmal gesendet und die anschließende Programmbeobachtung der Antragsgegnerin habe keine weiteren Ausstrahlungen mehr festgestellt, kann sie daraus nichts zu ihren Gunsten herleiten. Zum einen ist die Antragstellerin nach wie vor der Ansicht, dass der ausgestrahlte Werbespot keine unerlaubte Werbung darstelle. Zum anderen war sie nicht bereit, auf das Angebot der Antragsgegnerin in deren Anhörungsschreiben vom 7. Mai 2018 einzugehen, eine eidesstattlich versicherte Verzichtserklärung in Bezug auf die Ausstrahlung weiterer Werbespots von „l...gratis“ abzugeben. Hatte die Antragstellerin sich aber im behördlichen Verfahren nicht von der zukünftigen Ausstrahlung der betroffenen Werbung distanziert, so musste die Antragsgegnerin nicht davon ausgehen, dass die Antragstellerin das Senden der Werbung für „l...gratis“ von selbst einstellen würde (vgl. auch VG Schleswig, Beschluss vom 04. Oktober 2018 – 11 B 107/18 –). Die Antragsgegnerin hatte daher nicht nur Anlass zur förmlichen Beanstandung, sondern auch zur Untersagung des Werbespots.
- 98
Der Eingriff in die Grundrechte der Antragstellerin aus Art. 5 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 1 GG ist verhältnismäßig gering und vor diesem Hintergrund gerechtfertigt.
- 99
2.3.2.3. Die Antragstellerin kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht darauf berufen, der angefochtene Bescheid verstoße unverhältnismäßig gegen das „Anzeigenprivileg“ und verletze damit ihr Grundrecht auf Rundfunkfreiheit.
- 100
Zwar hat der Bundesgerichtshof mehrfach entschieden, dass ein Presseunternehmen für die Veröffentlichung gesetzwidriger Werbeanzeigen Dritter nur dann gemäß §§ 8, 9 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb – UWG – haftet, wenn es gegen seine Pflicht zur Prüfung verstoßen hat, ob die Veröffentlichung der Anzeigen gegen gesetzliche Vorschriften verstößt. Bei dem Umfang der Prüfungspflicht sei zu berücksichtigen, dass die Beurteilung von Anzeigen bei der Veröffentlichung unter dem Gebot der raschen Entscheidung stehe. Um die Arbeit von Presseunternehmen nicht über Gebühr zu erschweren und die Verantwortlichen nicht zu überfordern, bestehe daher mit Blick auf die Gewährleistung der Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG nur eine eingeschränkte Prüfungspflicht. Sie beschränke sich auf grobe und unschwer erkennbare Rechtsverstöße (s. zuletzt BGH, Urteil vom 05. Februar 2015 – I ZR 136/13 –, NJW 2015, 3377 m.w.N.; vgl. auch Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 36. Auflage 2018, § 9 Rn. 2.3; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Auflage 2016, § 8 Rn. 508).
- 101
Das dargestellte Presseprivileg kann nach Ansicht der Kammer jedoch nicht auf die vorliegende medien- und glücksspielrechtliche Konstellation übertragen werden. Bei der Antragstellerin handelt es sich um einen privaten Rundfunkveranstalter, der sich als Adressat an die werbebezogenen Vorschriften des Rundfunkstaatsvertrags zu halten hat. Bereits aus diesem Umstand ergibt sich seine Verantwortlichkeit für die von ihm verbreiteten Werbeinhalte (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 2016 – 6 C 9/15 –, NVwZ-RR 2016, 773; Bay. VGH, Urteil vom 09. März 2015 – 7 B 14.1605 –, ZUM-RD 2015, 679) und damit auch für die Einhaltung des § 5 Abs. 3 GlüStV. Daraus folgt, dass Werbung für öffentliches Glücksspiel im Fernsehen grundsätzlich verboten ist. Es widerspricht dem Sinn und Zweck der werbebezogenen Vorschriften des Rundfunkstaatsvertrags und des Glücksspielstaatsvertrages, wenn sich die Rundfunkveranstalter ähnlich wie im Wettbewerbsrecht gegenüber der Medienaufsicht auf eine nur eine eingeschränkte Prüfpflicht in Bezug auf fremdproduzierte Werbespots berufen könnten.
- 102
2.4. Darüber hinaus ist vorliegend auch das besondere Vollzugsinteresse gegeben.
- 103
Die Notwendigkeit, Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden, die Spielsucht zu bekämpfen, und den Jugendschutz zu gewährleisten, wiegt schwerer als die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin, die den Verlust von Werbeeinnahmen in erheblicher Höhe, daraus folgend Einschränkungen im Bereich des werbefinanzierten redaktionellen Programms, den Verlust von Reichweiten und die Abwanderung anderer Werbe- und Kooperationspartner befürchtet (s. auch Bay. VGH, Beschluss vom 21. September 2018 – 7 CE 18.1722 –). Den gesetzlichen Zielen des Glücksspielstaatsvertrags, zu der auch die Vermeidung und Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht und des Jugend- und Spielerschutzes gehören (§ 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 GlüStV), ist generell ein höherer Stellenwert beizumessen als der wirtschaftlichen Interessen der Rundfunkveranstalter und ihrer Werbepartner.
- 104
Der Annahme des überragenden öffentlichen Interesses am Sofortvollzug steht auch nicht die „lange“ Untätigkeit der Antragsgegnerin entgegen. Dies hat keinen faktischen Duldungszustand geschaffen, auf den die Antragstellerin vertrauen durfte. Sie war vielmehr der umfangreichen Abstimmung zwischen den verschiedenen Behörden geschuldet (s. auch VG Schleswig, Beschluss vom 04. Oktober 2018 – 11 B 107/18 –).
- 105
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
- 106
Die Festsetzung des Wertes des Verfahrensgegenstandes beruht auf den §§ 52, 53 Gerichtskostengesetz – GKG – (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 21. September 2018 – 7 CE 18.1722 –).
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße Beschluss, 10. Okt. 2018 - 5 L 1045/18.NW
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Urteil einreichenVerwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße Beschluss, 10. Okt. 2018 - 5 L 1045/18.NW zitiert oder wird zitiert von 18 Urteil(en).
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert des Verfahrens wird auf 50.000,- € festgesetzt.
Gründe
I.
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die aufschiebende Wirkung der Klage vom 3.05.2018 gegen die Untersagung des Beklagten vom 11.04.2018 anzuordnen, und regte an, auf den Antragsgegner dahingehend einzuwirken, dass er bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diese Anträge von Vollziehungsmaßnahmen absehe.
den Antrag abzulehnen.
II.
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„Gewinne mit … den Euro Jackpot.“
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
II.
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 10.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 17. März 2016 gegen die Untersagungsanordnung (Az. …*) sowie gegen den Kostenfestsetzungsbescheid mit dem Verwendungszweck … (Vollzug des GlüStV, Untersagung nach § 9 Abs. 1 Satz 2, Satz 3) beide vom 23. Februar 2016 wird angeordnet.
II.
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Tenor
I. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 13. Juni 2013 wird abgeändert. Der Bescheid der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien vom 10. Juni 2011 wird in Nr. 1 Buchstabe b aufgehoben.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Verfahrenskosten in beiden Rechtszügen werden gegeneinander aufgehoben.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in derselben Höhe leistet.
V. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Gründe
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
Gründe
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I.
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Die Klägerin, eine private Fernsehveranstalterin, strahlt gemeinsam mit ihrem Fernsehprogramm Teletextangebote aus. Einzelne Teletextseiten verkauft sie als Werbeflächen an Kunden, welche hierauf unter anderem Telefon-Mehrwertdienste aus dem Erotikbereich platzieren.
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Nachdem sich die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) in einer ihrer Sitzungen mit dem Teletextangebot der Klägerin befasst hatte, stellte die beklagte Landesmedienanstalt auf der Grundlage der Beschlüsse der KJM durch die streitige Verfügung vom 29. Dezember 2010 fest, dass im Teletextangebot der Klägerin (Tafeln 600 bis 900) in der Zeit von 6:00 Uhr bis 22:00 Uhr frei zugänglich Inhalte verbreitet würden, die entwicklungsbeeinträchtigend für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren seien, was einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 und 4 Satz 2 des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) darstelle. Die Beklagte missbilligte diese Angebote und untersagte deren Verbreitung außerhalb der Zeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr.
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Das Verwaltungsgericht hat auf die Klage der Klägerin die Verfügung der Beklagten aufgehoben, soweit diese die Verbreitung der Angebote untersagt hatte, und die Klage abgewiesen, soweit sie sich gegen die Beanstandung der Angebote richtete. Der Verwaltungsgerichtshof hat auf die Berufung der Klägerin die Verfügung der Beklagten insgesamt aufgehoben und deren Berufung gegen den stattgebenden Teil des erstinstanzlichen Urteils zurückgewiesen. Er hat zur Begründung unter anderem ausgeführt: Nach § 17 Abs. 1 Satz 3 JMStV habe die KJM ihre Beschlüsse zu begründen, die gegenüber den anderen Organen der zuständigen Landesmedienanstalt bindend und deren Entscheidungen zu Grunde zu legen seien (§ 17 Abs. 1 Satz 5 und 6 JMStV). In der Begründung seien die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen (§ 17 Abs. 1 Satz 4 JMStV). Diesen Anforderungen werde der Beschluss der KJM nicht gerecht, den die Beklagte ihrer Verfügung zu Grunde gelegt habe. Unabhängig davon sei die Verfügung auch deshalb rechtswidrig, weil die Beanstandung und Untersagung des gesamten Erotik-Teletextangebots nicht den geringstmöglichen Eingriff darstelle und damit gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße.
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Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten.
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Während des Beschwerdeverfahrens hat die Beklagte ihre Verfügung vom 29. Dezember 2010 aufgehoben. Sie ist der Ansicht, damit seien der Rechtsstreit in der Hauptsache und zugleich das Beschwerdeverfahren erledigt. Weigere sich die Klägerin, eine Erledigungserklärung abzugeben, habe nunmehr das Gericht festzustellen, dass sich die Hauptsache des Rechtsstreits erledigt habe und die in den Vorinstanzen ergangenen Urteile unwirksam seien.
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Die Klägerin hat mitgeteilt, sie werde das Verfahren nicht in der Hauptsache für erledigt erklären: Durch die Aufhebung der streitigen Verfügung sei das Rechtsschutzinteresse für die Fortführung des Beschwerdeverfahrens entfallen und die Beschwerde unzulässig geworden.
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II.
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Der Senat hat auf die Beschwerde der Beklagten über die Zulassung der Revision zu entscheiden (1.). Die Beschwerde ist zwar zulässig (2.), aber unbegründet (3.).
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1. Der Senat hat nach wie vor über die Zulassung der Revision zu entscheiden. Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Streit um die Zulassung der Revision sich nicht in einen Streit um die Erledigung der Hauptsache umgewandelt.
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Zwar hat die Beklagte den Verwaltungsakt aufgehoben, welcher den Gegenstand des Rechtsstreits bildete. Dadurch haben sich aber nur der Verwaltungsakt und damit die Hauptsache des Rechtsstreits, nicht aber hat sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache tritt nur ein, wenn die Beteiligten hierauf gerichtete übereinstimmende Erledigungserklärungen abgeben. Das ist hier nicht geschehen.
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Erklärt nur der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt, wider-spricht aber der Beklagte der Erledigungserklärung, namentlich weil er die Hauptsache nicht für erledigt hält, wandelt sich der Rechtsstreit in einen solchen über die Frage um, ob sich die Hauptsache des Rechtsstreits erledigt hat. Das Gericht entscheidet in diesem Fall nicht mehr über das ursprünglich anhängig gemachte Begehren, sondern stellt die Erledigung fest, wenn sie eingetreten ist, oder weist die Klage ab, wenn die Erledigung nicht eingetreten ist. Erklärt der Kläger während eines Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision den Rechtsstreit in der Hauptsache einseitig für erledigt, gilt nichts anderes. In diesem Fall ist im Beschwerdeverfahren nur noch darüber zu entscheiden, ob die Hauptsache des Rechtsstreits und das Beschwerdeverfahren erledigt sind; ist dies der Fall, werden zugleich mit der entsprechenden Feststellung die vorinstanzlichen Entscheidungen für unwirksam erklärt (Beschluss vom 17. Dezember 1993 - BVerwG 3 B 134.92 - Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 103; ferner Beschluss vom 3. Juli 2006 - BVerwG 7 B 18.06 - juris Rn. 9).
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Diese Rechtsfolge, also die Umwandlung des Streits um die Zulassung der Revision in einen Streit um die Erledigung der Hauptsache, tritt aber nur ein, wenn der insoweit dispositionsbefugte Kläger den Rechtsstreit für erledigt erklärt und der Beklagte dieser Erledigungserklärung widerspricht. Hebt der Beklagte den streitigen Verwaltungsakt auf, gibt der Kläger aber - wie hier - keine Erledigungserklärung ab, hat das Gericht nicht (als neuen Gegenstand des Rechtsstreits) über die Erledigung der Hauptsache, sondern über die Zulässigkeit und Begründetheit des ursprünglich anhängig gemachten Begehrens zu entscheiden, auf welche sich allerdings die Aufhebung des streitigen Verwaltungsakts auswirken kann. Wird der streitige Verwaltungsakt erst im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde aufgehoben, hat in dieser Fallgestaltung das Bundesverwaltungsgericht über die Zulässigkeit und Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde zu entscheiden. Aus den Entscheidungen, welche die Beklagte für ihre gegenteilige Auffassung anführt, ergibt sich nichts anderes. Sowohl der Beschluss vom 28. August 1985 - BVerwG 8 B 128.84 - (Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 67) als auch der schon erwähnte Beschluss vom 17. Dezember 1993 - BVerwG 3 B 134.92 - (a.a.O.) betreffen den hier nicht gegebenen Fall, dass der Kläger nach Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts die Hauptsache für erledigt erklärt, der Beklagte der Erledigung aber widerspricht. Der Beschluss vom 9. September 2008 - BVerwG 3 B 37.08 - (Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 126) behandelt die hier nicht einschlägige Frage, ob ein Beigeladener noch die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung erreichen kann, wenn sich der ursprünglich angefochtene Verwaltungsakt im Beschwerdeverfahren erledigt hat, die Hauptbeteiligten, insbesondere der Kläger, aber noch keine Erledigungserklärungen abgegeben haben. Diese Frage hat das Bundesverwaltungsgericht unabhängig davon verneint, ob der Kläger bereits prozessuale Folgerungen aus der Erledigung gezogen hat, weil die aufgeworfene Frage grundsätzlicher Bedeutung in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht mehr klärungsfähig wäre, da dort der Kläger entweder prozessbeendende Erklärungen (Klagerücknahme; Erledigungserklärung) abgeben müsste oder seine Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses nunmehr als unzulässig abgewiesen werden müsste, eine Entscheidung in der Hauptsache über die möglicherweise grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage aus diesem Grund nicht mehr zu erwarten ist.
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Hebt die beklagte Behörde den in der Vorinstanz erfolgreich angefochtenen Verwaltungsakt in einem von ihr anhängig gemachten Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde auf und reagiert der Kläger darauf nicht mit einer Erledigungserklärung, hat dies für die beklagte Behörde günstige Folgerungen mithin nicht schon im Beschwerdeverfahren, sondern erst in dem angestrebten Revisionsverfahren. Die beklagte Behörde erreicht dort die Abweisung der bisher erfolgreichen Klage als unzulässig, wenn der Kläger weiterhin keine prozessbeendende Erklärung (Klagerücknahme; Erledigungserklärung) abgibt, weil der Klage infolge der Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts das Rechtsschutzbedürfnis fehlt und sie deshalb unzulässig geworden ist. Gibt der Kläger eine prozessbeendende Erklärung ab, erreicht die beklagte Behörde damit, dass das zu ihren Lasten ergangene Urteil für unwirksam erklärt wird. Dem kann der Kläger dadurch entgehen, dass er wegen der Erledigung des angefochtenen Verwaltungsakts unter den weiteren Voraussetzungen des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zur Fortsetzungsfeststellungsklage übergeht. Damit erreicht die beklagte Behörde, dass das Urteil der Vorinstanz mit den ihr nachteiligen Feststellungen nur aufgrund einer mit dem Beschwerdeverfahren angestrebten revisionsgerichtlichen Überprüfung aufrechterhalten bleibt.
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2. Die Beschwerde ist zulässig.
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Die Beklagte ist durch das angefochtene Urteil beschwert. Durch das Urteil ist der von ihr erlassene Verwaltungsakt aufgehoben worden. Das Urteil ist materiell zu ihren Lasten ergangen.
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Das Rechtsschutzinteresse stellt keine besondere Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels dar. Mit dem Erfordernis der Beschwer ist im Allgemeinen gewährleistet, dass das Rechtsmittel nicht eingelegt wird, ohne dass ein sachliches Bedürfnis des Rechtsmittelklägers hieran besteht. Die Beschwer ist das Rechtsschutzinteresse für die Rechtsmittelinstanz. Allenfalls kann bei ganz besonderer Sachlage eine Prüfung angezeigt sein, ob trotz Vorliegens der Beschwer eine unnötige, zweckwidrige oder missbräuchliche Beschreitung des vom Gesetz vorgesehenen Rechtsmittelweges anzunehmen ist (BGH, Urteil vom 3. November 1971 - IV ZR 26/70 - BGHZ 57, 224; Meyer-Ladewig/Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Vorb § 124 Rn. 39). Das gilt etwa dann, wenn das Rechtsmittel nicht zur Beseitigung der Beschwer eingelegt wird (BGH, Urteil vom 9. Mai 1990 - VIII ZR 237/89 - NJW 1990, 2683). Erfasst werden damit vor allem die Fälle, in denen ein Rechtsmittel allein deshalb eingelegt wird, um im Rechtsmittelverfahren unter Aufgabe des bisherigen Anspruchs die Klage mit einem geänderten Streitgegenstand fortzuführen.
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Ein Ausnahmefall ist hingegen nicht gegeben, wenn ein Rechtsmittel eingelegt und fortgeführt wird, obwohl sich die Hauptsache erledigt hat. Allein der Eintritt eines erledigenden Ereignisses lässt die erforderliche Beschwer nicht entfallen. Wer als Beteiligter durch die angefochtene Entscheidung beschwert ist, kann ein Rechtsmittel allein zu dem Zweck einlegen und fortführen, damit in dem Rechtsmittel die prozessualen Folgerungen aus einer inzwischen eingetretenen Erledigung der Hauptsache gezogen werden können. Er hat ein berechtigtes Interesse daran, dass eine gegen ihn ergangene ungünstige Entscheidung aufgehoben oder für unwirksam erklärt wird. Können diese Folgerungen - wie hier - nicht schon in dem Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gezogen werden, kann er die Beschwerde einlegen und fortführen, auch wenn die Hauptsache erledigt ist. Dass eine gegen ihn ergangene ungünstige Entscheidung wegen einer inzwischen eingetretenen Erledigung der Hauptsache aufgehoben oder für unwirksam erklärt wird, kann der in der Vorinstanz unterlegene Beklagte - wie dargelegt - nur erreichen, wenn die Revision - wie von ihm angestrebt - zugelassen und der allein dispositionsbefugte Kläger dadurch gezwungen wird, Folgerungen aus der Erledigung der Hauptsache zu ziehen. Die Fortführung des Beschwerdeverfahrens ist deshalb nicht missbräuchlich, insbesondere wird es gerade deshalb fortgeführt, um die nach wie vor vorhandene Beschwer in dem dazu allein geeigneten Revisionsverfahren zu beseitigen.
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3. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beklagten zugemessene rechtsgrundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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Die Beklagte sieht als rechtsgrundsätzlich bedeutsam die Frage an,
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ob der gesetzliche Auftrag an die zuständige Landesmedienanstalt in § 20 Abs. 4 JMStV, die nach § 20 Abs. 1 JMStV erforderlichen Maßnahmen gegenüber Telemedienanbietern entsprechend § 59 Abs. 2 bis 4 des Rundfunkstaatsvertrags zu treffen, die Anwendung der in § 59 Abs. 3 Satz 3 bis 5 RStV niedergelegten Grundsätze für - einerseits - die durch die Beklagte verfügte Untersagung und - andererseits - die Beanstandung umfasst.
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Diese Frage lässt sich mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesauslegung ohne Weiteres im Sinne des Verwaltungsgerichtshofs beantworten und bedarf daher nicht eigens der Klärung im Rahmen eines Revisionsverfahrens (vgl. zu diesem Maßstab etwa Beschluss vom 15. Mai 2014 - BVerwG 6 B 25.14 - juris Rn. 5).
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§ 59 Abs. 3 Satz 1 RStV, den § 20 Abs. 4 JMStV für entsprechend anwendbar bestimmt, ermächtigt die zuständige Aufsichtsbehörde, die zur Beseitigung des Verstoßes erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Hierzu kann sie gemäß § 59 Abs. 3 Satz 2 RStV Angebote untersagen oder deren Sperrung anordnen. Diese Maßnahmen werden in § 59 Abs. 3 Satz 2 RStV nur "insbesondere" genannt, also nicht abschließend aufgezählt. Als Maßnahme im Sinne von § 59 Abs. 3 Satz 1 kommt auch das im Rundfunkaufsichtsrecht geläufige (vgl. § 38 Abs. 2 Satz 2 RStV) Mittel der Beanstandung in Betracht. Mit dieser wird ein Rechtsverstoß förmlich festgestellt und missbilligt. Es handelt sich um einen feststellenden Verwaltungsakt (Schuler-Harms, in: Hahn/Vesting, Rundfunkrecht, 3. Aufl. 2012, § 38 Rn. 24). Kommt der Beanstandung demnach Eingriffscharakter zu, so liegt ohne weiteres auf der Hand, dass die in § 59 Abs. 3 Satz 3 bis 5 RStV normierten Anforderungen - so wie es der Verwaltungsgerichtshof annimmt - auch auf sie Anwendung finden sollen. Diese Anforderungen gehen zurück auf § 18 Abs. 2 Satz 3 bis 5 des Mediendienste-Staatsvertrags aus dem Jahr 1997; der Normgeber hat sie als "Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit" bezeichnet (LTDrucks Bay 13/7716 S. 17). Da der verfassungsrechtlich verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf sämtliche staatlichen Eingriffsakte Anwendung findet, liegt die Annahme ersichtlich fern, dass der Normgeber diese Anforderungen auf den Fall von Untersagungsverfügungen beschränken und andere Aufsichtsverfügungen von ihnen freistellen wollte. Selbst wenn dies der Fall wäre, würden die Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - verfassungsunmittelbar - auch gegenüber Beanstandungen gelten.
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Damit liegt im Hinblick auf die - selbständig entscheidungstragende - Annahme des Verwaltungsgerichtshofs kein Revisionsgrund vor, der angefochtene Bescheid verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Deshalb kann dahin gestellt bleiben, ob im Hinblick auf den anderen Begründungsteil der von der Beklagten geltend gemachte Revisionsgrund vorliegt. Ist eine vorinstanzliche Entscheidung, wie hier, in je selbständig tragender Weise doppelt begründet, so kann der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nur stattgegeben werden, wenn im Hinblick auf jeden der beiden Begründungsteile ein Zulassungsgrund vorgetragen worden ist und auch vorliegt (Beschluss vom 15. Oktober 2001 - BVerwG 4 B 69.01 - BauR 2002, 1052 = juris Rn. 7). Denn ist nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben, dann kann diese Begründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (Beschluss vom 9. September 2009 - BVerwG 4 BN 4.09 - BauR 2010, 205 = juris Rn. 5).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20. März 2012 geändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) wird zu Ziff. 1 und Ziff. 2 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen trägt die Beklagte.
Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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Tatbestand:
2Der Kläger wendet sich gegen eine Beanstandungs- und Untersagungsverfügung der Beklagten nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) wegen des von ihm unter der Domain www.media-bloed.de verbreiteten satirischen Angebots. Diese erging im Zusammenhang mit seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan und den dabei (jedenfalls im Jahr 2010) gezeigten – mittlerweile nicht mehr aufrufbaren – Bildern. Es handelte sich dabei um fünf in Farbe gezeigte Bilder, die jeweils mit der Überschrift „Bundeswehr Blut stinkt nicht“ versehen waren, linksseitig den Text „Offensive für Kampfeinsätze in Afghanistan“ und unten den Zusatz „Deutsche Soldaten, die schöneren Leichen!“ aufführten. Das erste Bild zeigte ausschnittsweise einen mit Hemd und Hose bekleideten menschlichen Körper mit erheblichen Verletzungen am Oberkörper und einem abgerissenen linken Bein mit überwiegend freiliegendem Oberschenkelknochen. Darunter befand sich der Text:
3„Mach mit bei der Kampagne der Offensive für Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan, mit dem Motto: Deutsche Soldaten - die schöneren Leichen!
4Lange genug haben die anderen Nato Staaten deutsche Kampfeinsätze verschmäht, und warum eigentlich? Ist das Blut deutscher Soldaten etwa nicht gut genug? Mit dieser schäbigen Diskriminierung deutschen Kanonenfutters muß jetzt endlich Schluß sein, fordern nicht nur deutsche Generäle und Politiker, nein, sozusagen in Tateinheit mit den gleichgeschalteten Medien fordert es auch der Souverän, das deutsche Volk, und Luft und Äther füllen sich mit dem Schrei aus Millionen Kehlen: ‚Bundeswehr Blut stinkt nicht!‘
5Und laßt euch bloß nicht von den Weicheiern und Warmduschern verarschen, die darüber klagen, daß deutsche Soldaten sterben werden! Der deutsche Soldat stirbt gern, dafür wurde er schließlich ausgebildet und bezahlt, und das freiwillig, von niemandem gezwungen außer seiner vorbildlichen Aufopferungsbereitschaft für das deutsche Volk einerseits und jeden noch so fragwürdigen Beschluß der Nato andererseits.
6Denn das ist die wahre Tugend des deutschen Soldaten und auch die eines jeden treuen Untertanen der hochdeutschen Verwaltung: Er fragt nicht nach dem Sinn von Verordnungen, sondern befolgt sie und stirbt, wenn es befohlen ist.“
7Nachfolgend wurden vier Bilder ohne weiteren Text gezeigt: Menschliche Beine vor dem Hintergrund einer Plastikplane; das eine Bein war zerfetzt; es fehlten Fleischteile des Oberschenkels, so dass ein Knochen zu sehen war; der Fuß war vom Bein getrennt und unten im Bild gezeigt. Ein Bild zeigte einen Torso; der Kopf war vom Körper getrennt; die Arme waren nicht zu sehen. Ein weiteres Bild zeigte eine mumifizierte Leiche, auf dem Rücken liegend; der Unterkörper war nicht zu sehen. Das letzte Bild zeigte den Kopf und Teile des Oberkörpers einer Brandleiche. Alle Bilder ließen sich durch einen Klick vergrößern (von ca. 8 x 12 cm auf ca. 14 x 20 cm).
8Unter dem 21. Januar 2010 wandte sich jugendschutz.net wegen dieser dort als „tasteless-Bilder“ eingestuften Darstellungen per E-mail an den Kläger und bat unter Hinweis darauf, dass die Organisation einige Bilder unter Jugendschutzgesichtspunkten für besonders bedenklich halte, um Prüfung, ob es weiterhin für erforderlich gehalten werde, diese drastischen Darstellungen zu präsentieren. Der Kläger äußerte sich ablehnend. Die Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten (KJM) legte daraufhin die Stellungnahme von jugendschutz.net und eine Bildschirmkamera-Aufzeichnung (Software Camtasia) der am 1. März 2010 durchgeführten Sichtung des Angebots www.media-bloed.de der Beklagten und wies auf die Prüfung in einer der nächsten Präsenzprüfungen der KJM hin. Zum Zeitpunkt der Sichtung war auf der Domain des Klägers Werbung („Google-Anzeigen“) geschaltet.
9Eine Prüfgruppe der KJM für Telemedien bejahte in einer Präsenzprüfung am 21. April 2010 nach Live-Sichtung mit einem Abstimmungsergebnis von 3:2 einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV (entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte) sowie mit einem Abstimmungsergebnis von 5:0 einen Verstoß gegen § 7 JMStV (fehlender Jugendschutzbeauftragter).
10Hiervon setzte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 18. August 2010 in Kenntnis und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers kündigte eine Stellungnahme bis spätestens zum 30. September 2010 an, die ausblieb. Parallel wurde von der Beklagten ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Kläger eingeleitet, in dem der Kläger Anfang Dezember 2010 eine Stellungnahme abgab.
11Nach weiterer Sichtung des Angebots am 1. Oktober 2010 – auch zu diesem Zeitpunkt war auf www.media-bloed.de Werbung geschaltet – hatte die Beklagte der KJM unter dem 22. Oktober 2010 ihre Beschlussempfehlung vom 13. September 2010 übersandt, das Internetangebot medienrechtlich zu beanstanden und den Verstoß gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag zukünftig zu untersagen. Eine erneute Sichtung am 16. November 2010 hatte ergeben, dass die Seite offline gestellt war.
12In der Sitzung vom 15. Dezember 2010 entschied die KJM im Plenum – im Wesentlichen der Beschlussvorlage folgend – einstimmig, es lägen Verstöße gegen § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 Satz 2 JMStV sowie § 7 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV, vor und stellte ferner fest, dass gegenüber dem Anbieter gemäß § 20 Abs. 1 und 4 JMStV sowie § 24 Abs. 1 Nr. 4 JMStV i. V. m. § 59 Abs. 3 RStV eine Beanstandung auszusprechen sei und der Verstoß zukünftig untersagt werde.
13Bei einer weiteren Sichtung des Angebots durch die Beklagte am 28. Dezember 2010 war die Internetseite mit den oben genannten Bildern wieder aufrufbar; Werbung fand sich jedoch nicht mehr.
14Mit Bescheid vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) entschied die Beklagte, (Ziff. 1.) das von dem Kläger verbreitete Angebot www.media-bloed.de verstoße gegen § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV und § 7 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV. Dies werde medienrechtlich beanstandet (§ 20 Abs. 1 und 4 JMStV i. V. m. § 59 Abs. 3 RStV). Dem Kläger wurde untersagt, das genannte Angebot in dieser Fassung weiter zu verbreiten. Ferner (Ziff. 2.) entschied die Beklagte, dass der Kläger in Zukunft seine Verpflichtungen nach § 5 Abs. 1 JMStV erfülle, wenn er dafür Sorge trage, dass Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren die problematischen Inhalte üblicherweise nicht wahrnähmen. Dies könne gemäß § 5 Abs. 3 und 4 JMStV durch die Begrenzung der Sendezeit oder die Vorschaltung eines technischen oder sonstigen Schutzes geschehen. Darüber hinaus bleibe dem Kläger auch die Möglichkeit, alle entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte von seinem Angebot zu entfernen. Weiter (Ziff. 3.) wurde dem Kläger aufgegeben, für sein Angebot einen Jugendschutzbeauftragten im Sinne von § 7 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV zu bestellen. Die Kosten (Gebühren und Auslagen) habe der Kläger zu tragen (Ziff. 4.). Für den Bescheid erhob die Beklagte eine Verwaltungsgebühr in Höhe von insgesamt 1.000,00 Euro. In der Begründung beschrieb die Beklagte u.a. vier der unter der Überschrift „Bundeswehr Blut stinkt nicht“ gezeigten Bilder nebst den zu diesen Bildern führenden Pfaden, legte die Einschätzung zur Entwicklungsbeeinträchtigung dar und führte weiter aus: Angebote der Satire und der Parodie unterfielen dem Schutz der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Gemäß Art. 5 Abs. 2 GG finde dieses Recht seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Die notwendige Güterabwägung zwischen der Forderung nach umfassendem Grundrechtsschutz und dem verfassungsrechtlich herausgehobenen Interesse an einem effektiven Jugendschutz falle vorliegend zu Lasten der Meinungsfreiheit und somit zu Lasten des Angebots des Klägers aus. Zu beachten sei dabei gewesen, dass die kritische Auseinandersetzung mit dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan an sich nicht beanstandet werde. Die Beanstandung richte sich ausschließlich gegen die beschriebenen Darstellungen, welche in ihrer Menge und der Möglichkeit der Vergrößerung nicht notwendig seien, um die satirische Aussage zu verdeutlichen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Darstellungen in der vergrößerten Ansicht in keinem Kontext zu den kritischen und satirischen Aussagen stünden. Soweit das Angebot unter den Schutz der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG falle, finde es seine Schranken in kollidierendem Verfassungsrecht. Der Jugendschutz sei ein verfassungsrechtlich geschütztes Gut. Die Abwägung zwischen den kollidierenden Verfassungsgütern falle ebenfalls zu Lasten der Kunstfreiheit aus. Insbesondere sei die Beanstandung der beschriebenen Darstellung verhältnismäßig. Wie bereits erwähnt, seien die Menge der Bilder sowie die Möglichkeit der Vergrößerung nicht notwendig, um die satirische Aussage zu verdeutlichen. Die Gebührenfestsetzung beruhe auf der gesetzlichen Grundlage des § 35 Abs. 11 Rundfunkstaatsvertrag i. V. m. der entsprechenden Kostensatzung.
15In dem auf dem gleichen Sachverhalt gründenden Ordnungswidrigkeitenverfahren erließ die Beklagte nach Anhörung des Klägers und Entscheidung der KJM im Februar 2011 einen Bußgeldbescheid, in dem sie ein Bußgeld von 3500,00 Euro wegen des Verstoßes gegen § 5 JMStV und von 350,00 Euro für den Verstoß gegen § 7 JMStV gegen den Kläger verhängte. Dieses Ordnungswidrigkeitenverfahren ist nach dem Einspruch des Klägers beim Amtsgericht Düsseldorf wegen Verfolgungsverjährung mittlerweile eingestellt worden.
16Der Kläger hat am 29. Januar 2011 gegen den Bescheid vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) Klage erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen: Das Angebot sei nicht geeignet, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu beeinträchtigen. Zunächst komme weder der KJM noch der Beklagten ein Beurteilungsspielraum zu, inwieweit ein Angebot im Sinne von § 5 Abs. 1 JMStV geeignet sei, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu beeinträchtigen. Dies sei vielmehr von den Gerichten uneingeschränkt zu überprüfen. Es liege auf der Hand, dass gerade bei politischen Abbildungen und Texten das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG in besonderer Weise zu berücksichtigen sei. Hinzu komme, dass das Grundgesetz in mehrfacher Hinsicht eine Friedenspflicht enthalte. Dem habe der Gesetzgeber u.a. durch das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte Rechnung getragen. Bei seiner Veröffentlichung gehe es gerade nicht um die Verherrlichung des Krieges, sondern um die Warnung vor einem solchen. Dabei bediene er sich sowohl einer satirischen Textsprache als auch einer Bebilderung. Sein Werk sei damit sowohl von der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG als auch durch die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Ein Eingriff in diese Rechte bedürfe einer umfassenden Abwägung, die sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen lasse. Umgekehrt stelle es sich als jugendgefährdend dar, wenn der Krieg verharmlost werde und in der Öffentlichkeit durch Hochglanzbilder von Soldaten bei Kindern und Jugendlichen ein unzutreffendes Bild vom Krieg vermittelt werde. Gerade Jugendliche würden durch eine derartige Werbung der Bundeswehr angesprochen, da in dieser Gruppe der Nachwuchs rekrutiert werden solle. Erinnert werde in diesem Zusammenhang auch an das Buch „Krieg dem Kriege“ des Pazifisten und Anarchisten Ernst Friedrich. Dieses Buch prangere auf ähnliche Weise wie er den Krieg mit Bildern des Krieges und Untertiteln an. Das Buch sei ohne weiteres im Buchhandel erhältlich und auch Jugendlichen zugänglich. Soweit Anstoß genommen werde an Bildern verbrannter Leichen – die übrigen Bilder seien unschwer als unrealistische Nachbildung erkennbar –, empfehle sich ein Blick in die Schulbücher. Im Hinblick auf den Vulkanausbruch bei Pompeji würden vielfach Bilder auch in Schulbüchern verbreitet, die Opfer des Vulkanausbruchs zeigten und seinen Bildern zum Verwechseln ähnlich seien.
17In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger u.a. erklärt, er habe die Bilder im Hinblick auf das Ordnungswidrigkeitsverfahren mittlerweile entfernt. Die früher auf seiner Website über Google geschaltete Werbung habe Google nach Beschwerden über seine Seite entfernt. Ziff. 3. des angefochtenen Bescheides hat die Beklagte daraufhin aufgehoben. Insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
18Der Kläger hat beantragt,
19den Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) in der Fassung der Erklärung in der mündlichen Verhandlung vom 20. März 2012 aufzuheben.
20Die Beklagte hat beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 20. März 2012 die Kostenentscheidung und die Gebührenfestsetzung in den Ziff. 4 und 5 des angegriffenen Bescheides aufgehoben und im Übrigen (Ziff. 1 und 2) die Klage abgewiesen. Die in Ziff. 1 des Bescheides erfolgte Beanstandung des Internet-Angebotes des Klägers im Hinblick auf einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und Abs. 4 sowie § 7 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und Abs. 4 JMStV und die Untersagung, das Angebot in dieser Fassung weiter zu verbreiten, seien wie die Vorgabe in Ziff. 2 rechtmäßig. Insbesondere sei die Regelung in Ziff. 1 ausreichend bestimmt im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG NRW, da sich unpräzise Formulierungen im Verfügungssatz („in dieser Fassung“) unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Begründung, die Beanstandung beziehe sich allein auf die im Einzelnen beschriebenen Bilder, in klarer Weise auslegen ließen. Das Verwaltungsgericht hat die inhaltliche Einschätzung der KJM zur Eignung des Angebots des Klägers zur Entwicklungsbeeinträchtigung von Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren, welches es als sachverständige Äußerung ohne Beurteilungsspielraum einordnet, geteilt, weil insbesondere die Gefahr bestehe, dass diese Gruppe von Minderjährigen nicht in der Lage sei, die Bilder als Satire zu erkennen. Der Verweis auf das in Bibliotheken und im Buchhandel frei erhältliche Buch „Krieg dem Kriege“ greife nicht zu Gunsten des Klägers durch, da – ungeachtet der Frage der Vergleichbarkeit der Bilder – der Zugriff durch das Internet deutlich höhere Risiken der Wahrnehmung durch Minderjährige begründe. Die Bezugnahme auf in Schulbüchern vorhandene Abbildungen zur Vulkankatastrophe in Pompeji sei nicht vergleichbar, weil es dort um gefertigte Nachbildungen der Opfer gehe und so der unmittelbare Realitätsbezug fehle. Maßgeblich sei für die Bewertung der Bilder der Eindruck des kindlichen oder jugendlichen Betrachters, weshalb das Vorbringen des Klägers, es handele sich um unschwer erkennbare unrealistische Nachbildungen, unerheblich sei; ein solcher Betrachter werde die Bilder für echt halten. Das Nachrichtenprivileg des § 5 Abs. 6 JMStV lasse den Verstoß nicht entfallen, denn ein rechtliches Interesse gerade an der gewählten Form der Darstellung mit der beanstandeten Menge von unkommentiert aneinandergereihten Bildern und der Möglichkeit der Vergrößerung bestehe nicht. Die Eingriffe in die Grundrechte des Klägers (Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 GG, sowie Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG) seien durch die Berücksichtigung des Verfassungsgutes Jugendschutz gerechtfertigt, wobei die Regelungen in § 5 Abs. 3 bis Abs. 5 JMStV für den verhältnismäßigen Ausgleich der Verfassungsgüter sorgten; hierdurch bleibe die Ausübung von Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit möglich, unter gleichzeitiger Wahrung des Jugendschutzes. Die so erfolgte Einschränkung dieser Grundrechte sei verhältnismäßig und auch ansonsten ermessensfehlerfrei. Die Feststellung eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten nach § 7 JMStV sei zulässig, da der Kläger in der Vergangenheit durch Schaltung von Anzeigen auf der Domain Einkünfte erzielt und damit geschäftsmäßig gehandelt habe. Selbst wenn dies jetzt nicht mehr der Fall sei, sei eine Beanstandung möglich.
23Die Kostenentscheidung und die Gebührenfestsetzung in Ziff. 4 und 5 des angegriffenen Bescheides seien rechtswidrig. § 35 Abs. 11 Rundfunkstaatsvertrag (RStV) i. V. m. der Kostensatzung sei ebenso wenig anwendbar wie § 116 Abs. 2 Landesmediengesetz (LMG) NRW i. V. m. der entsprechenden Gebührensatzung.
24Der Kläger und die Beklagte haben die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt.
25Zur Begründung seiner Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend: Die im angegriffenen Bescheid getroffenen Regelungen in Ziff. 1 und 2 seien schon nicht hinreichend bestimmt, da die Beanstandung sich auf „das vom Kläger verbreitete Internetangebot www.media-bloed.de“ und die Untersagung auf „das genannte Angebot in dieser Fassung“ sowie Ziff. 2 auf „die problematischen Inhalte“ beziehe. Es sei auch nicht durch Berücksichtigung der Begründung ein bestimmter Inhalt feststellbar, da die beschriebenen Bilder nur als Beispiele angeführt würden und zudem auch durch weitere Passagen der Begründung keine Klarheit geschaffen werde. Es bleibe unklar, ob nur Darstellungen in Bildform oder auch solche mit Text beanstandet würden, sowie ob es ausreiche, die Möglichkeit der Vergrößerung nicht mehr vorzusehen. Damit bleibe unklar, was ihm eigentlich habe verboten werden sollen.
26Weiter stehe der KJM weder ein Beurteilungsspielraum zu noch habe deren Feststellung den Charakter einer sachverständigen Äußerung; dies ergebe sich schon aus den Abstimmungsergebnissen in der Prüfgruppe, die in Bezug auf § 5 JMStV einen Verstoß nur mit 3:2 Stimmen festgestellt habe. Weiter bestehe keine Gefahr der Entwicklungsbeeinträchtigung, da Kinder und Jugendliche die Satire auf der Seite des Klägers eindeutig erkennen könnten. Zudem rechtfertige § 5 Abs. 6 JMStV die Art der konkreten Darstellungen, da gerade diese zur Erreichung der Zwecke des Klägers wichtig seien, um die beabsichtigte abschreckende Wirkung in Bezug auf die Gefahren und Folgen von Kriegen zu erzielen. Ähnlich wie der Pazifist Ernst Friedrich mit dem Buch „Krieg dem Kriege“ habe auch Bertolt Brecht in der von ihm veröffentlichten „Kriegsfibel“ seine Gedichte gegen den Krieg mit Bildern von Kriegsfolgen und Kriegsopfern verknüpft. In vergleichbarer Weise stelle sich das beanstandete Angebot des Klägers dar. Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruhe auf einer Verkennung der Reichweite der Gewährleistungen von Art. 5 Abs. 1 und 5 Abs. 3 GG.
27Der Kläger beantragt,
28das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20. März 2012 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen
29sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
30Die Beklagte beantragt,
31das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20. März 2012 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen
32sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
33Zur Berufung des Klägers führt sie im Wesentlichen aus: Der angegriffene Bescheid sei hinreichend bestimmt, da für den Kläger unter Berücksichtigung des Inhalts des Bescheides und der Nennung der einzelnen Bilder habe klar sein müssen, was beanstandet werde. Der Aufbau des Bescheides und die Technik der Tenorierung sei bisher von nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichten in Bezug auf die Bestimmtheit nicht in Zweifel gezogen worden. Die Feststellung einer Entwicklungsbeeinträchtigung sei vom Gericht nicht mehr zu überprüfen, da der KJM hinsichtlich der Jugendgefährdung ein Beurteilungsspielraum zustehe. Auch ohne einen solchen sei es jedoch eine sachverständige Äußerung, die durch das Vorbringen des Klägers nicht erschüttert sei. Weiter könne die als Ausnahmevorschrift eng auszulegende Regelung in § 5 Abs. 6 JMStV dem Kläger nicht weiterhelfen, da – abgesehen von der zweifelhaften Einordnung als „vergleichbares Angebot“ im Sinne der Vorschrift – kein berechtigtes Interesse gerade an der gewählten Art der Darstellung feststellbar sei. Eine Beschränkung der Untersagung auf die Möglichkeit der Vergrößerung der Bilder sei nicht ausreichend, da diese alleine den Verstoß nicht begründe, sondern verstärke.
34Zur Begründung ihrer eigenen Berufung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor: Die vom Verwaltungsgericht aufgehobene Kostenentscheidung sowie die Gebührenfestsetzung gegen den Kläger lasse sich auf § 35 Abs. 11 RStV i. V. m. der RStV-Kostensatzung (Gebührenverzeichnis Ziff. IV.8.) stützen. Die systematische Stellung von § 35 Abs. 11 RStV im III. Abschnitt des Rundfunkstaatsvertrages stehe dem im Ergebnis nicht entgegen. Dies ergebe sich aus der Gesetzgebungsgeschichte sowie der gesetzgeberischen Absicht, welche hinter der Vorschrift stünde. In der Vergangenheit seien Gebühren für Maßnahmen der Landesmedienanstalten in Zusammenarbeit mit der KJM nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag gegenüber Anbietern von Telemedien auf der Grundlage von § 14 Abs. 9 JMStV i. V. m. der früheren KJM-Kostensatzung erfolgt. Durch den Zehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag sei § 14 Abs. 9 JMStV jedoch gestrichen worden und § 35 RStV habe seine heutige Gestalt erhalten. Nach der Begründung hierzu aus dem zum Erlass des Änderungsstaatsvertrages führenden Verfahren sollten „die bisherigen Bestimmungen über die Kommission für Jugendmedienschutz in § 14 Abs. 8 bis 10, die die Finanzierung und Personalausstattung sowie den Sitz der KJM betrafen, (…) nunmehr in § 35 des Rundfunkstaatsvertrags enthalten“ sein. Diese Einschätzung werde auch durch die Formulierungen in der RStV-Kostensatzung bestätigt, die z.B. in Ziff. IV.8. des Gebührenverzeichnisses so allgemein gehalten seien, dass sie auch Maßnahmen gegenüber Anbietern von Telemedien umfassen könnten. Unabhängig hiervon könne die Gebührenerhebung auch auf § 116 Abs. 2 LMG NRW i. V. m. der LfM-Gebührensatzung gestützt werden, da Ziff. 11 des Kostenverzeichnisses zu dieser Gebührensatzung mit dort genannten „Maßnahmen gegenüber Anbietern von lokalen, regionalen oder landesweiten Angeboten aufgrund des JMStV“ die Erfassung von bundesweiten Angeboten nicht ausschließe. Selbst wenn man dies anders sehe, sei eine Gebührenfestsetzung aufgrund des Auffangtatbestandes in § 2 Abs. 2 der LfM-Gebührensatzung nicht nach der Rechtsprechung des 9. Senats des Oberverwaltungsgerichts NRW zu dem Auffangtatbestand in der Tarifstelle 30.5 AGT ausgeschlossen, da die Fallkonstellationen nicht vergleichbar seien. Für den Kläger sei es nicht überraschend gewesen, dass er aufgrund des streitgegenständlichen, ihn belastenden Bescheides auch einer Gebührenerhebung ausgesetzt werde.
35Der Kläger verteidigt mit ins Einzelne gehenden Ausführungen zu Wortlaut, Systematik, Gesetzgebungsgeschichte und Absicht des Gesetzgebers die angegriffene Entscheidung zu Ziff. 4 und 5 des Bescheides der Beklagten.
36Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten und die Akte des Amtsgerichts Düsseldorf 302 OWi 204/11 zum Ordnungswidrigkeitenverfahren Bezug genommen. Im Verwaltungsvorgang befinden sich Datenträger, die Bildschirmkamera-Aufzeichnungen zu den bei jugendschutz.net, durch die Prüfgruppe der KJM sowie bei der Beklagten erfolgten Sichtungen der Domain www.media-bloed.de vom 1. März 2010, 21. April 2010, 1. Oktober 2010 und 28. Dezember 2010 enthalten.
37Entscheidungsgründe:
38Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet (A.). Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet (B.)
39A. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht in Bezug auf Ziff. 1 und Ziff. 2 des Bescheides der Beklagten vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) abgewiesen. Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Diese Regelungen sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
40I. Als Rechtsgrundlage der in Ziff. 1 des angegriffenen Bescheides enthaltenen Feststellung und Beanstandung von Verstößen des vom Kläger verbreiteten Internetangebotes www.media-bloed.de gegen § 5 und § 7 des Staatsvertrages über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – JMStV), der hieran anknüpfenden Untersagung der künftigen Verbreitung des Internet-Angebots und der in Ziff. 2 getroffenen Maßnahme kommt allein § 20 Abs. 1, Abs. 4 JMStV i. V. m. § 59 Abs. 3 des Staatsvertrages für Rundfunk und Telemedien (Rundfunkstaatsvertrag – RStV) in Betracht. Auf diese Grundlage hat die Beklagte die Maßnahmen im Bescheid auch gestützt.
41Gemäß § 20 Abs. 1 JMStV trifft die zuständige Landesmedienanstalt die erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Anbieter, wenn sie feststellt, dass ein Anbieter gegen die Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages verstoßen hat. Für Anbieter von Telemedien trifft nach § 20 Abs. 4 JMStV die zuständige Landesmedienanstalt die jeweilige Entscheidung durch die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) entsprechend § 59 Abs. 2 bis 4 RStV unter Beachtung der Regelungen zur Verantwortlichkeit nach den §§ 7 bis 10 Telemediengesetz (TMG).
42Nach § 59 Abs. 3 RStV gilt: Stellt die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde einen Verstoß gegen die Bestimmungen fest, trifft sie die zur Beseitigung des Verstoßes erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Anbieter (Satz 1). Sie kann nach Satz 2 insbesondere Angebote untersagen und deren Sperrung anordnen.
43II. Die hier mit Ziff. 1 und Ziff. 2 des Bescheides getroffenen Maßnahmen können dem Grunde nach auf diese Vorschriften gestützt werden. Neben der in § 59 Abs. 3 Satz 2 RStV ausdrücklich geregelten Untersagung von Angeboten gilt dies auch für die Feststellung und Beanstandung eines Verstoßes, was als einheitliche Maßnahme einer Beanstandung zu verstehen ist.
44Die Beanstandung ist – auch wenn sie anders als die Untersagung oder Sperrung von Angeboten weder in § 20 Abs. 1, Abs. 4 JMStV noch in § 59 Abs. 2 bis Abs. 4 RStV ausdrücklich erwähnt ist – im Grundsatz eine nach diesen Vorschriften zulässige und in der Praxis der Medienaufsicht gängige Maßnahme gegenüber Angeboten im Bereich der Telemedien bei Verstößen gegen Vorschriften des Jugendmedienschutzes oder des Rundfunkstaatsvertrages. Auch wenn sie in § 59 Abs. 3 Satz 2 RStV nicht genannt ist, ist die dortige Aufzählung schon nach dem Wortlaut („insbesondere“) nicht abschließend. Es handelt sich bei der Beanstandung um einen feststellenden Verwaltungsakt mit Eingriffscharakter, durch den ein Rechtsverstoß förmlich festgestellt und missbilligt wird.
45Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 6 B 1.14 –, NVwZ 2014, 1594 ff. = juris Rn. 20; Liesching/Schuster, Jugendschutzrecht, 5. Aufl., 2011, § 20 JMStV Rn. 4, 33; Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl., 2015, § 20 JMStV Rn. 22; ohne dies zu problematisieren: OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 13. November 2014 – OVG 11 B 10.12 –, juris Rn. 61 f.; Bay. VGH, Urteile vom 19. September 2013 – 7 B 12.2358 –, DVBl. 2014, 108 ff. = juris, und – 7 B 13.196 –, juris; VG Hamburg, Urteil vom 21. August 2013 – 9 K 1879/12 –, juris Rn. 24, 45; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 16. Dezember 2009 – 14 K 4086/07 –, juris Rn. 30.
46Eine Beanstandung kann – auch ohne die damit häufig verbundene Untersagung unzulässiger Angebote oder Inhalte – insbesondere im Bereich sich schnell oder häufig verändernder Angebote bzw. nur für kurze Zeit vorhandener und deshalb im Zeitpunkt der Beschlussfassung der KJM bzw. des Erlasses einer Maßnahme durch eine Landesmedienanstalt (LMA) bereits nicht mehr gegebener bzw. beendeter Verstöße (wie sie im Bereich der Telemedien nicht selten sind) sinnvoll sein. Sie ist auch bei in der Vergangenheit liegenden Verstößen – wie hier – möglich, jeweils unter der Voraussetzung, dass ihr Zweck noch erreicht werden kann.
47VG Hamburg, Urteil vom 21. August 2013, a. a. O., Rn. 27, 45; VG Karlsruhe, Urteil vom 25. Juli 2012 – 5 K 3496/10 –, MMR 2013, 134 ff. = juris Rn. 41 f.; VG Neustadt/Weinstraße, Urteil vom 23. April 2007 – 6 K 1243/06.NW –, MMR 2007, 678 f. = juris Rn. 22.
48Ziff. 1 und Ziff. 2. des Bescheides vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) sind hingegen formell (1.) und materiell rechtswidrig (2.).
491. Ziff. 1 und Ziff. 2 des angegriffenen Bescheides sind formell rechtswidrig, weil es an der den Anforderungen des § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV entsprechenden Begründung der zu Grunde liegenden Entscheidung der KJM fehlt.
50Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 JMStV sind die Beschlüsse der KJM zu begründen. In dieser Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen (Satz 4). Die Beschlüsse der KJM sind gegenüber den anderen Organen der zuständigen Landesmedienanstalt bindend und deren Entscheidungen zu Grunde zu legen (Sätze 5 und 6).
51a. Bei der Auslegung dieser Vorschriften und zur Ermittlung der Anforderungen an das Begründungserfordernis nach § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV ist das nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag spezifisch ausgestaltete Verhältnis der Landesmedienanstalten und der KJM in den Blick zu nehmen. Danach ist bei der Aufsicht über Telemedien-Angebote die inhaltliche Entscheidung über die Vereinbarkeit von Telemedien-Angeboten mit dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag und die bei Verstößen zu treffenden Maßnahmen allein der KJM – als Organ der Landesmedienanstalt – zugewiesen (vgl. §§ 14 Abs. 2 Satz 2, 16 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 4 JMStV). Die zuständige Landesmedienanstalt organisiert für die inhaltliche Entscheidung der KJM das Verfahren, ermittelt den Sachverhalt und setzt die Entscheidung der KJM, an die sie inhaltlich und nach der Begründung gebunden ist, nach außen gegenüber dem Anbieter um (§ 17 Abs. 1 Sätze 5 und 6 JMStV).
52Zudem sind die hinter dem Erfordernis der Begründung der KJM gemäß § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV stehenden Zwecke zu berücksichtigen. Das Begründungserfordernis dient zum einen objektiven Zwecken: Es soll die KJM dazu anhalten, den von ihr zu beurteilenden Sachverhalt sorgfältig zu ermitteln und diesen unter Berücksichtigung des Vorbringens des Anbieters in jugendschutzrechtlicher Hinsicht selbst sachverständig zu bewerten. Weiter dient die Begründung der Klarheit für die anderen Organe der zuständigen Landesmedienanstalt, weil diese an die Beschlüsse der KJM gebunden sind und sie einschließlich der Begründung ihrer Entscheidung zu Grunde zu legen haben. Zugleich dient die Begründung aber auch den Rechten der Anbieter von Telemedien. Das Begründungserfordernis für die KJM wurde ausdrücklich mit Blick auf die (Grund-) Rechte der Betroffenen, die eventuell gegen eine abschließende Entscheidung Rechtsschutz in Anspruch nehmen wollen, in den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag aufgenommen. Der Betroffene bedarf der Begründung, da er ohne Kenntnis der Gründe, auf die die KJM ihre Entscheidung stützt, ein gerichtliches Verfahren nicht sinnvoll führen kann. Die Anbieter haben Anspruch darauf, dass die KJM ihren Beschluss nach ausreichender Kenntnisnahme des zu beurteilenden Angebotes unter Bekanntgabe ihrer wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen begründet. Fehlt eine solche Begründung, schlägt dies auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der zuständigen Landesmedienanstalt durch.
53Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 19. September 2013– 7 B 12.2358 –, a. a. O., Rn. 29 ff.
54Unter Berücksichtigung der Bedingungen der Praxis der Medienaufsicht, des vielfach komplexen und umfangreichen Charakters dieser Prüfungsverfahren sowie der Gegebenheiten einer Gremienentscheidung wird einhellig für die Begründung des Beschlusses der KJM als ausreichend angesehen, wenn diese der von der zuständigen Landesmedienanstalt vorgelegten Beschlussvorlage einschließlich einer darin enthaltenen Begründung des vorgeschlagenen Beschlusses durch Bezugnahme zustimmt. Dann müssen eine solche Bezugnahme bzw. Verweisung und der Wille, sich die Begründung der Beschlussvorlage zu eigen zu machen, aus der Niederschrift über den Beschluss der KJM oder aus sonstigen Unterlagen klar und unmissverständlich hervorgehen.
55Vgl. OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 13. November 2014, a. a. O., Rn. 83 f.; Bay. VGH, Urteil vom 19. September 2013 – 7 B 12.2358 –, a. a. O., Rn. 26; VG Hannover, Urteil vom 8. Juli 2014– 7 A 4679/12 –, juris Rn. 56.
56Zudem kann nur dann die Bezugnahme der KJM auf eine Beschlussvorlage der Landesmedienanstalt deren eigene Begründung ersetzen, wenn diese Beschlussvorlage überhaupt eine Begründung für den Beschlussvorschlag enthält und diese Begründung ihrerseits klar und unmissverständlich ist. An letzterem Erfordernis kann es dann fehlen, wenn die Beschlussvorlage wiederum auf andere Vorlagen der Landesmedienanstalt, die Prüfempfehlung der Prüfgruppe der KJM oder sonstige Schriftstücke Bezug nimmt. In diesem Fall besteht nämlich die Gefahr, dass nicht mehr hinreichend eindeutig ist, was die Begründung der Entscheidung der KJM sein soll. Deshalb geht eine verbreitete Auffassung davon aus, dass eine Begründung für einen Beschluss der KJM nicht ausreichend ist, wenn sich diese allein im Wege einer „Kettenverweisung“ ermitteln lässt.
57Vgl. OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 13. November 2014, a. a. O., Rn. 84; Bay. VGH, Urteil vom 19. September 2013 – 7 B 12.2358 –, a. a. O., Rn. 26; VG Berlin, Urteil vom 3. Mai 2012 – 27 A 341.06 –, juris Rn. 32 f. (fehlende Entscheidung in der Beschlussvorlage); differenzierend VG Hannover, Urteil vom 8. Juli 2014, a. a. O., juris Rn. 58.
58Unter Berücksichtigung der Zwecke einer Begründung des Beschlusses der KJM ist nach Auffassung des Senats eine Bezugnahme auf eine Beschlussvorlage im Grundsatz zulässig, wenn dadurch eine klare und unmissverständliche Begründung des Beschlusses zu Stande kommt. Eine Kettenverweisung wird diesen Maßstäben in der Regel nicht gerecht, weil mehrere Schritte erforderlich sind, um die in Bezug genommene „gemeinte Begründung“ zu ermitteln und hierbei die unmissverständliche Klarheit typischerweise fehlt. Die Bezugnahme muss dem Beschluss der KJM (Plenum oder Prüfausschuss) oder dem diesen enthaltenden Protokoll aber durch eindeutige Formulierungen zu entnehmen sein. Allein der Umstand, dass der Beschluss seinem Inhalt nach der in der Beschlussvorlage vorgeschlagenen Entscheidung entspricht, reicht nicht aus.
59b. Hiervon ausgehend fehlt es bei dem Beschluss (des Plenums) der KJM vom 15. Dezember 2010 in München über die Domain www.media-bloed.de an einer § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV genügenden Begründung. Dies macht Ziff. 1 und 2 des Bescheides – einschließlich der Beanstandung eines Verstoßes gegen § 7 JMStV – formell rechtswidrig.
60Auf jenen Beschluss – und nicht die „Entscheidung“ der Prüfgruppe der KJM vom 21. April 2010 – kam es an, weil das Ergebnis der 28. Präsenzprüfung Telemedien durch eine Prüfgruppe am 21. April 2010 in Hannover nicht die zu begründende Entscheidung „der KJM“ im Sinne von § 17 Absatz 1 Sätze 3 und 4 JMStV darstellt. Die Prüfgruppen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag überhaupt nicht vorgesehen. Sie haben sich zur Entlastung des Plenums der KJM und der durch den Staatsvertrag in § 14 Abs. 5 JMStV geregelten Prüfausschüsse in der Praxis herausgebildet, sind in § 9 der Geschäfts- und Verfahrensordnung der KJM (GVO-KJM) geregelt und werden als Arbeitseinheit ohne Entscheidungsbefugnis anerkannt. Die Ergebnisse der Prüfgruppen, insbesondere deren sog. Prüfempfehlungen, haben rechtlich keine Bedeutung und binden insbesondere nicht die zuständige Landesmedienanstalt. Von den Prüfgruppen formulierte Begründungen für ihre (Vor-)Ergebnisse sind deshalb für sich genommen keine Begründung für Beschlüsse der KJM gemäß § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV.
61Unter Berücksichtigung des Verfahrensablaufs sowie der zuvor dargestellten rechtlichen Maßstäbe liegt keine Begründung des Beschlusses der KJM vom 15. Dezember 2010 im Sinne von § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV vor. Mit E-Mail vom 23. Dezember 2010 teilte die KJM-Geschäftsstelle der Beklagten den Beschluss der KJM vom 15. Dezember 2010 auf deren Anfrage als Vorab-Information mit. Diese E-Mail enthielt keine Begründung für den Beschluss, sondern den Hinweis, sobald das Protokoll der 30. KJM-Sitzung vorliege, werde es an die Beklagte weitergeleitet. Das Protokoll ging bei der Beklagten mit Übersendungsschreiben des Vorsitzenden der KJM vom 12. Januar 2011 am 14. Januar 2011 ein und befasst sich mit dem Prüffall www.media-bloed.de auf Seite 7. Es enthält zu Tagesordnungspunkt 6 („Prüffälle“) und Ziff. 1 („media-bloed.de“) ebenfalls keine Begründung des Beschlusses der KJM zum Angebot des Klägers. Dort ist dargestellt, dass eine Mitarbeiterin der KJM-Stabsstelle den Sachverhalt zum Prüffall berichtete. Dazu wird in indirekter Rede die Einschätzung der Prüfgruppe wiedergegeben. Im Folgenden wird über das Verfahren im Prüfausschuss berichtet. Dann heißt es: „Nach kurzer Diskussion fassten die KJM-Mitglieder folgenden Beschluss:“ Nachstehend wird eingerückt in vier Absätzen der Beschluss der KJM zu den zu treffenden Maßnahmen wörtlich wiedergegeben. Der Beschluss selbst sowie der diesen einleitende Satz enthält keinen Hinweis und insbesondere keine Bezugnahme oder Verweisung auf irgendein anderes Dokument, insbesondere weder die Beschlussvorlage der Beklagten für den Prüfausschuss vom 13. September 2010 noch die Empfehlung der Prüfgruppe der KJM vom 21. April 2010. Es fehlt insofern an jeglichem Anhalt dafür, dass sich das Plenum der KJM die Begründung der Beschlussvorlage der Beklagten oder irgendeines anderen Schriftstücks zu eigen machen wollte. Allein ein Beschluss im Sinne einer entsprechenden Vorlage ist nicht ausreichend, um anzunehmen, die KJM habe sich die Begründung der Beschlussvorlage zu eigen machen wollen. Hierfür spricht vorliegend schon auch deshalb nichts, weil der Beschluss vom 15. Dezember 2010 die Beschlussempfehlung der Beklagten vom 13. September 2010 nicht 1 : 1 übernimmt. Zum einen enthält der Beschluss nicht den in der Beschlussvorlage zu Ziff. 4 niedergelegten Inhalt, zum anderen gibt es Abweichungen bei den Verwaltungsgebühren. Da nicht ersichtlich ist, dass es sich bei diesen Unterschieden um Versehen handelt, kann schon deshalb nicht unterstellt werden, dass die KJM, ohne dies durch eine ausdrückliche Bezugnahme oder eine Verweisung deutlich zu machen, die Begründung der Beschlussvorlage übernehmen wollte.
62c. Selbst wenn man eine Übernahme der Begründung der Beschlussvorlage der Beklagten durch den hierauf basierenden Beschluss der KJM annehmen wollte, so läge keine § 17 Absatz 1 Sätze 3 und 4 JMStV entsprechende Begründung des Beschlusses der KJM vor. Die Beschlussvorlage der Beklagten vom 13. September 2010 enthielt ihrerseits keine vollständige Begründung für den empfohlenen Beschluss der KJM, sondern verwies inhaltlich insbesondere auf die von jugendschutz.net stammende Vorlage vom 24. März 2010 für die Prüfgruppe (Anlage 2), die Prüfbegründung mit Prüfempfehlung der Prüfgruppe vom 21. April 2010 (Anlage 3) sowie die letzte Camtasia-Aufzeichnung der Beklagten vom 1. Oktober 2010 mit DENIC-Ausdruck (Anlage 9; Übersicht der Anlagen vgl. Beiakte 1, Bl. 83). Dies entspricht nicht den Anforderungen von § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV. Bei der vorliegenden „Kettenverweisung“ fehlt es an der erforderlichen klaren und unmissverständlichen Bezugnahme und damit an der Begründungsklarheit. Hinzu kommt, dass hier besonders strenge Anforderungen gelten, weil der Fall Fragen zum Spannungsverhältnis zwischen dem Jugendmedienschutz einerseits und der Reichweite der Grundrechtsausübung durch den Anbieter (Meinungsfreiheit/Kunstfreiheit) aufwarf. Es war deshalb verfassungsrechtlich geboten, zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den verfassungsrechtlichen Schutzgütern im Wege der Abwägung einen verhältnismäßigen Ausgleich herbeizuführen.
63Nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ist es aber Sache der KJM, die „abschließende Beurteilung von Angeboten“ vorzunehmen, und ihre Beschlüsse sind den Entscheidungen der Landesmedienanstalt zugrundezulegen. Es fehlt ferner deshalb an der Mitteilung der wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 4 JMStV, weil eine Begründung der KJM zur Frage der Eignung des Angebots zur Beeinträchtigung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren, zum Erfordernis eines Jugendschutzbeauftragten gemäß § 7 JMStV sowie zur Abwägung mit kollidierenden Grundrechten des Anbieters fehlt. Es ist nicht erkennbar, ob sich das Plenum der KJM in der Sitzung am 15. Dezember 2010 mit den Grundrechten des Klägers in irgendeiner Weise auseinandergesetzt hat. Es ist nicht ersichtlich, dass der KJM das Spannungsverhältnis von Jugendmedienschutz und Grundrechten des Klägers bei ihrer Entscheidung vor Augen stand sowie ob und in welcher Weise sie diese Verfassungspositionen gegeneinander abgewogen und zu einem verhältnismäßigen Ausgleich gebracht hat. Nach dem System des Jugendmedienschutzes bei Telemedien ist es aber nicht die Aufgabe der Landesmedienanstalt – hier der Beklagten – diese Abwägung vorzunehmen, wie die Beklagte dies im angefochtenen Bescheid getan hat. Die Abwägung ist von dem zur Entscheidung berufenen Organ – bei der Ausübung von Ermessen bzw. schon bei der Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen – vorzunehmen und kann nicht durch ein unzuständiges Organ bzw. eine unzuständige Stelle ersetzt oder nachgeholt werden.
64d. Abgesehen davon hätte die Beklagte gegen den Grundgedanken ihrer Bindung an die Beschlüsse der KJM sowie deren Begründung gemäß § 17 Absatz 1 JMStV hier auch dann verstoßen, wenn das Protokoll über die Sitzung der KJM am 15. Dezember 2010 eine Begründung zum Beschluss der KJM enthalten hätte und diese der Begründung der Beklagten im Bescheid im Wesentlichen entsprochen hätte. Denn die Beklagte erließ ihren Bescheid vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) auf der Grundlage der E-Mail der KJM-Geschäftsstelle vom 23. Dezember 2010, in der ihr lediglich ein Beschluss-Inhalt der KJM ohne eine Begründung mitgeteilt worden war. Offensichtlich hat die Beklagte unterstellt, dass die KJM, wie es die E-Mail nahelegte, ihrer Vorlage sowohl nach dem Beschlussinhalt als auch nach dessen Begründung gefolgt war. Ein solches Vorgehen widerspricht grundlegend dem im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag vorgesehenen Verhältnis von KJM und Landesmedienanstalten.
65e. Eine Heilung des Begründungsmangels nach § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG NRW ist nicht erfolgt, weil die KJM die Begründung im Sinne von § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV nicht nachgeholt bzw. klargestellt hat. Die Begründung des angegriffenen Bescheides durch die Beklagte oder deren Vorbringen im Gerichtsverfahren können eine Heilung nicht herbeiführen, weil dies nicht die interne Beteiligung der KJM ersetzt.
66Der Begründungsmangel ist auch nicht gemäß § 46 VwVfG NRW unbeachtlich. Zum einen dürfte es sich bei § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV um eine Regelung handeln, die nach ihrem Sinn und Zweck keine bloß dienende Funktion hat, sondern unabhängig von der materiellen Richtigkeit der Entscheidung beachtet werden soll – sog. absoluter Verfahrensfehler –; zum anderen ist bei Fehlern im Zusammenhang mit Ermessensentscheidungen regelmäßig nicht offensichtlich, dass die Verletzung der Vorschrift die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Nach der Systematik des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages ist die abschließende Beurteilung von Angeboten allein der KJM als mit besonderem Sachverstand ausgestattetem Gremium übertragen, so dass nicht nur die Entscheidung, sondern auch die gesetzlich verlangte Begründung hierzu unvertretbar ist; sie fällt damit nicht in den Anwendungsbereich des § 46 VwVfG NRW.
67Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl., 2014, § 46 Rn. 15, 32 f.; ebenso zu §§ 45, 46 VwVfG VG Berlin, Urteil vom 3. Mai 2012, a. a. O., Rn. 36.
682. Die vom Kläger mit der Berufung angegriffenen Maßnahmen der Beklagten in Ziff. 1 und 2 des streitigen Bescheides sind – ungeachtet der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Maßnahmen – ferner deshalb rechtswidrig, weil sie gegen das Bestimmtheitsgebot aus § 37 Abs. 1 VwVfG NRW verstoßen.
69Gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG NRW muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung hinreichend klar, verständlich und in sich widerspruchsfrei ist. Davon ist auszugehen, wenn der Adressat und die mit dem Vollzug befasste Behörde und deren Organe aufgrund der Entscheidungssätze und der Begründung des Verwaltungsakts sowie der sonst für die Betroffenen erkennbaren Umstände ersehen können, was genau durch den Verwaltungsakt gefordert wird und gegebenenfalls zu vollstrecken ist. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts.
70Vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Februar 1990 ‑ 4 C 41.87 –, BVerwGE 84, 335 ff. = juris Rn. 29, und vom 20. April 2005 – 4 C 18.03 –, BVerwGE 123, 261 ff. = juris Rn. 53; OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Juli 2010 – 13 B 676/10 –, juris Rn. 39 ff., vom 26. September 2008 – 13 B 1395/08 –, NJW 2008, 3656 = juris Rn. 16 ff., und vom 26. September 2008 ‑ 13 B 1397/08 –, juris Rn. 16 ff.; Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 37 Rn. 5 ff., insb. Rn. 12 m. w. N.; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., 2014, § 37 Rn. 27 ff. m. w. N.; Ruffert, in: Knack, VwVfG, 9. Aufl., 2010, § 37 Rn. 11 ff. und 30 ff. m. w. N.
71Demnach ist ein Verwaltungsakt nicht schon dann unbestimmt, wenn seine Regelung für eine mit dem jeweiligen Sachbereich nicht vertraute Person nicht ohne weiteres verständlich ist. Entscheidend ist vielmehr, ob der Adressat und die mit dem Vollzug befassten Behörden den Entscheidungsinhalt auf Grund der Gesamtumstände des Einzelfalls zutreffend erfassen und ihr künftiges Verhalten danach ausrichten können.
72Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8. Dezember 2009 – 13 B 958/09 –, NWVBl. 2010, 321 ff. = juris Rn. 33 f., und vom 8. September 2009 – 13 B 894/09 –, MedR 2010, 273 ff. = juris Rn. 19 f.; U. Stelkens, a. a. O., Rn. 6; BVerwG, Urteil vom 20. April 2005, a. a. O., Rn. 54.
73Bevor eine zur Rechtswidrigkeit – und gegebenenfalls Nichtigkeit nach § 44 VwVfG NRW – führende Unbestimmtheit festgestellt wird, ist der betroffene Verwaltungsakt in seinem Inhalt durch Auslegung zu bestimmen. Entsprechend den zu empfangsbedürftigen Willenserklärungen im Zivilrecht entwickelten Grundsätzen ist bei Verwaltungsakten nicht auf den wirklichen Willen des Erklärenden (sog. natürliche Auslegung), sondern auf die objektive Erklärungsbedeutung, wie sie der Empfänger verstehen musste (sog. normative Auslegung), abzustellen. Bei vermeintlichen Unklarheiten ist vom Adressaten zu erwarten, den wirklichen Willen der Behörde durch Auslegung des Bescheides zu erkennen, ohne am buchstäblichen Ausdruck zu haften. Auf Mehrdeutigkeit beruhende Unklarheiten über den Inhalt des Verwaltungsakts gehen immer zulasten der Behörde, weshalb ein Verwaltungsakt bei Unklarheiten zu Gunsten des Betroffenen auszulegen ist.
74Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2012 – 9 C 7.11 –, BVerwGE 143, 222 ff. = juris Rn. 18 m. w. N. zur ständigen Rechtsprechung; Ruffert, in: Knack, a. a. O., § 37 Rn. 14.
75a. Nach diesen Grundsätzen ist die in Ziff. 1 Satz 1 und Satz 2 des Bescheides geregelte Beanstandung von Verstößen des vom Kläger verbreiteten Internetangebotes www.media-bloed.de gegen Vorschriften des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages ebenso wie die in Ziff. 1 Satz 3 ausgesprochene Untersagung nicht hinreichend bestimmt.
76Der die Beanstandung enthaltende Verfügungssatz in Ziff. 1 Sätze 1 und 2 des Bescheides, das vom Kläger verbreitete Internetangebot www.media-bloed.de verstoße gegen § 5 JMStV sowie § 7 JMStV und dies werde medienrechtlich beanstandet, scheint unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit zunächst unproblematisch. Dies lässt sich bei unbefangenem Sprachverständnis so lesen, dass die Beanstandung sich auf das gesamte Internetangebot unter der Domain www.media-bloed.de bezieht. Die Formulierung der Untersagung („das genannte Angebot in dieser Fassung weiter zu verbreiten“) wirkt auf den ersten Blick ebenfalls allumfassend, wobei die Wendung „in dieser Fassung“ üblicherweise auf eine bestimmte Version eines Inhalts hinweist, der im Zeitverlauf Änderungen unterliegt. Eine solche Beanstandung und Untersagung würden hier jedoch gegen das Übermaßverbot verstoßen, da die medienrechtlichen Maßnahmen gemäß § 20 Abs. 1, Abs. 4 JMStV i. V. m. § 59 Abs. 3 RStV gegenüber einem Anbieter von Telemedien auf die Teile des Angebots zu beschränken sind, die tatsächlich gegen Vorschriften des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages verstoßen, soweit die Beschränkung nicht aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen oder wegen des damit verbundenen Aufwandes unzumutbar ist.
77Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 19. September 2013, a. a. O., juris Rn. 37 ff. (Beanstandung der Seiten 300 – 600 eines Teletext-Angebotes war unverhältnismäßig, weil davon nur 136 Seiten problematisch waren); nachgehend BVerwG, Beschluss vom 23. Juli 2014, a. a. O.
78Da lediglich Teile der Internetseite www.media-bloed.de für einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 JMStV in Betracht kommen, wären eine Beanstandung oder eine Untersagung, die sich auf die gesamte Domain erstrecken, nicht erforderlich und damit rechtswidrig.
79Bei Auslegung unter Berücksichtigung des sonstigen Bescheidinhaltes, besonders der Begründung, sowie des Empfängerhorizontes des Klägers ist allerdings erkennbar, dass die Beanstandung und Untersagung sich nur auf Teile des Angebots www.media-bloed.de bezogen. Es bleibt für den Kläger aber unklar, wie die in Ziff. 1 und 2 enthaltenen Regelungen zu verstehen sind, was genau beanstandet und untersagt wird und wie er sich künftig zur Vermeidung weiterer Rechtsverstöße zu verhalten hat.
80Die Formulierungen „die problematischen Inhalte“ und „alle entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte“ in Ziff. 2 des Bescheids verdeutlichen, dass die Beklagte nicht sämtliche Bestandteile des Angebots des Klägers als entwicklungsbeeinträchtigend und gegen § 5 Abs. 1 JMStV verstoßend ansieht, da ansonsten eine „Möglichkeit, alle entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte von seinem Angebot zu entfernen“, nicht bestünde. Dieser Eindruck, dass die Beklagte nur bestimmte Teile des Angebots als Verstoß gegen § 5 JMStV ansieht und demzufolge beanstandet, wird durch die detaillierte Beschreibung der vier Bilddarstellungen von erheblich verletzten, verstümmelten, verbrannten oder mumifizierten menschlichen Körpern und Körperteilen mit Pfadbeschreibungen und spezifischen Zieladressen (URL) dieser vier Bilder auf S. 3 und 4 des Bescheides verstärkt. Dies spricht dafür, dass genau diese vier Bilder den von der Beklagten beanstandeten Verstoß gegen § 5 JMStV (und mittelbar auch gegen § 7 JMStV, weil allein aufgrund vorhandener entwicklungsbeeinträchtigender Inhalte die Pflicht zur Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten entstehen kann) darstellen sollen. In dieser Richtung will auch die Beklagte ihren Bescheid nach ihrem Berufungsvorbringen verstanden wissen. Hiergegen spricht jedoch – neben der deutlich umfassender zu verstehenden Formulierung im Verfügungssatz von Ziff. 1 Sätze 1 und 2 –, dass die vier Bilddarstellungen von der Beklagten auf S. 3 des Bescheides „als Beispiele“ eines Verstoßes gegen § 5 Abs. 1 JMStV im Internetangebot des Klägers genannt werden. „Beispiele“ weisen jedoch auf einen über sie hinausgehenden Bezugsrahmen hin. Das spricht dafür, dass die Beklagte im Angebot www.media-bloed.de Verstöße gegen § 5 JMStV nur teilweise sieht, jedoch nicht im auf die vier angeführten Beispiele beschränkten Umfang. Der über diese Beispiele hinausgehende Umfang der Beanstandung (und ebenso der Untersagung bzw. der in Ziff. 2 aufgeführten Verpflichtungen betreffend die „problematischen Inhalte“ oder „entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte“) ist dann aber nicht hinreichend bestimmt im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG NRW. Das Vorbringen des Klägers in der ersten Instanz verdeutlicht jedenfalls, dass auch für den Kläger nach seinem konkreten Adressatenhorizont klar war, dass nicht das gesamte Angebot beanstandet oder untersagt wurde, sondern dass es für ihn erkennbar um die Inhalte im Bereich der „Offensive für Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan“ ging.
81Unklarheiten, was durch den Bescheid gefordert wird, ergeben sich auch daraus, dass der streitige Bescheid in der Begründung vielfältig den Begriff der „Darstellungen“ verwendet, ohne dies eindeutig nur auf bildliche Darstellungen zu beschränken. So führt die Beklagte auf S. 4 des Bescheides nach der Beschreibung der vier Bilder menschlicher Körper und Körperteile aus, das Angebot sei als entwicklungsbeeinträchtigend einzustufen, „da es Darstellungen enthält, die geeignet sind (...)“. Nachfolgend zitiert sie den auf der Startseite der Domain des Klägers lesbaren Begrüßungstext und beschreibt die sich darunter befindlichen zwei „Darstellungen“: Den Schriftzug „Das gibt‘s zum kotzen. Mediablöd. Wir sind doch nicht blind!“ sowie die Bildmontage mit Leichendarstellungen und der Überschrift „Mitmachen! Sofort!“. Nach anschließender Verwendung des Begriffs „Darstellung“ sowohl für Text- als auch für Bildinhalte gibt die Beklagte den langen Text auf der Unterseite zur „Offensive für Kampfeinsätze in Afghanistan“ wieder, der mit „Mach mit bei der Kampagne der Offensive für Kampfeinsätze…“ beginnt. Auch im anschließenden Text auf S. 5 des Bescheides verwendet die Beklagte mehrfach den Begriff „Darstellungen“ ohne Unterscheidung zwischen Bild- und Textinhalten. Hierdurch ist der von der Beklagten für ihre Sichtweise, die Beanstandung richte sich allein gegen die vier beschriebenen Bilder menschlicher Leichen oder Leichenteile, angeführte Text auf S. 6, 2. Absatz, des Bescheides („Die Beanstandung richtet sich ausschließlich gegen die oben beschriebenen Darstellungen...“) nicht so eindeutig, wie die Beklagte meint. „Oben beschrieben“ sind auch verschiedene von der Beklagten zitierte Textdarstellungen. Für das Verständnis der Beklagten wiederum spricht die Fortsetzung des eben teilweise wiedergegebenen Satzes („die oben beschriebenen Darstellungen, welche in ihrer Menge und der Möglichkeit der Vergrößerung nicht notwendig sind“). Die Möglichkeit der Vergrößerung weist auf die von der Beklagten beschriebenen vier Bilder hin, da die im Bescheid dargestellten Textstellen oder sonstigen bildlichen Gestaltungselemente soweit ersichtlich keine Möglichkeit der Vergrößerung aufwiesen.
82Selbst wenn man davon ausginge, die Beklagte habe nur die vier im Einzelnen beschriebenen Bilder menschlicher Körper und Körperteile, besonders mit der Möglichkeit der Vergrößerung, für „problematisch“ gehalten, reicht dies für die hinreichende Bestimmtheit im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG NRW nicht aus. Die Beanstandung (sowie die Untersagung usw.) kann ihren Zweck, künftige Rechtsverstöße durch den Anbieter zu verhindern, nur dann erreichen, wenn für diesen hinreichend bestimmt ist, was er darf oder nicht darf.
83Es bleibt nach dem Bescheid aber unklar, ob es ausreicht, die Möglichkeit der Vergrößerung bei den vier Bildern zu entfernen, oder ob zusätzlich eines, zwei oder etwa alle vier Bilder zu entfernen sind, um dem Angebot den entwicklungsbeeinträchtigenden und damit gegen § 5 Abs. 1 JMStV verstoßenden Charakter zu nehmen und dabei zugleich die Ausübung der Meinungsfreiheit oder Kunstfreiheit des Klägers nach dem Grundgesetz nicht in unverhältnismäßiger Weise zu beschneiden. Da nach der Begründung des Bescheides der potentiell verstörende Charakter dieser Bilder zentral auf die Menge und die Möglichkeit der Vergrößerung dieser Bilddarstellungen gestützt wird, bleibt die Frage offen, wie viele Bilder – neben der Entfernung der Vergrößerungs-Option – entfernt werden müssen, damit keine „verstörende Menge“ an Bildern mehr vorliegt. Zugleich erzeugt der Bescheid nach dem Gesamteindruck aus Verfügungssatz und Begründung den Eindruck, als ob alle vier Bilder mit Vergrößerung-Option beanstandet und infolgedessen auch untersagt werden, bzw. für sie die Verpflichtung gemäß Ziff. 2 des Bescheides auf der Grundlage von § 5 Abs. 3 und 4 JMStV gelten soll. Diese Unklarheit bleibt unauflösbar. Dabei übersehen sowohl der Bescheid wie auch die Begründung des Verwaltungsgerichts den Umstand, dass in dem Teilbereich des Angebots www.media-bloed.de zur „Offensive für Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan“ nicht vier, sondern fünf Bilder von menschlichen Körpern oder Körperteilen vorhanden sind. Noch vor dem mit „Mach mit bei der Kampagne (...)“ eingeleiteten Textblock findet sich das zu der Serie gehörende Bild, welches ausschnittsweise einen mit Hemd und Hose bekleideten menschlichen Körper mit erheblichen Verletzungen am Oberkörper und einem abgerissenen linken Bein mit überwiegend freiliegendem Oberschenkelknochen zeigt. Dessen fehlende Erwähnung im Bescheid führt zu keinem anderen Ergebnis. Hätte die Beklagte beanstanden und untersagen wollen, dass die über dieses Bild hinausgehenden vier Bilder nebst Vergrößerungsmöglichkeit gezeigt werden, und damit erlauben wollen, dieses eine Bild (mit oder ohne Vergrößerung) zu zeigen, hätte sie dies verdeutlichen müssen.
84b. Die dargestellte Unbestimmtheit erstreckt sich auch auf Ziff. 2 des Bescheides, soweit diese überhaupt eine eigenständige Regelung darstellt. Denn auch insofern bleibt offen, was der Kläger darf und was nicht bzw. was er tun soll, um zukünftig seine Verpflichtungen nach § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV zu erfüllen. Die Verpflichtung gemäß § 5 Abs. 1, letzter Halbsatz JMStV, dafür Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche (hier: unter 16 Jahren) „die problematischen Inhalte“ üblicherweise nicht wahrnehmen, kann sich jedoch nur auf den Umfang der Untersagung beziehen. Da dieser nach dem Vorstehenden nicht hinreichend bestimmt ist, bleibt auch Ziff. 2 des Bescheides unbestimmt.
85B. Die Berufung der Beklagten war zurückzuweisen. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht in Bezug auf Ziff. 4 und 5 des angegriffenen Bescheides der Beklagten stattgegeben. Diese Ziffern sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das ergibt sich schon daraus, dass Ziff. 1 und 2 des angegriffenen Bescheides aufgehoben werden (siehe oben A.) und Ziff. 3 von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht aufgehoben wurde. Ohne wirksame medienaufsichtliche Maßnahme fehlt es auch an den Voraussetzungen einer Kostenentscheidung sowie einer Gebührenfestsetzung zulasten des Klägers auf der Grundlage der von der Beklagten angeführten (oder einer sonstigen) Ermächtigungsgrundlage (§ 35 Abs. 11 RStV i. V. m. der RStV-Kostensatzung bzw. § 116 Abs. 2 LMG NRW i. V. m. der LfM-Gebührensatzung).
86C. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1 und 2, § 709 Satz 2 ZPO.
87Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Tenor
Das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 31. Oktober 2012 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße wird abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
- 1
Das Verfahren betrifft die Grenzen zulässiger Produktplatzierung nach dem Inkrafttreten des 13. Rundfunkänderungsstaatsvertrages.
- 2
Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit einer Produktplatzierung vor und nach der Liveübertragung eines Fußballspiels im Fernsehprogramm von Sat.1. Die von der Beklagten wegen einer zu starken Herausstellung des Produkts beanstandete Produktplatzierung betrifft die Darstellung und Erwähnung von Produkten einer Brauerei während zwei Liveschaltungen zum sogenannten „H. Männercamp-Haus“ im Rahmen der Sendung „ran Uefa Europa League – Das Finale“ am 18. Mai 2011. Bei dem „H. Männercamp“ handelte es sich um eine Werbeaktion, bei der ein „mobiles Haus“ auf „Deutschlandtour“ war. In den Liveschaltungen wurde als Fußballexperte C. interviewt. Neben diesem waren vier Männer zu sehen, die im Rahmen eines in den Wochen zuvor in Sat.1 angekündigten und online durchgeführten Gewinnspiels ausgewählt worden waren.
- 3
Zur Einleitung der ersten beanstandeten Liveschaltung verwies der Moderator der Sportübertragung auf das „H. Männercamp“:
- 4
„So geht`s den Männern im […] H. Männercamp“.
- 5
Sodann erfolgte ab 20:18:35 Uhr für die Dauer von 50 Sekunden die Liveschaltung in das Camp. Dort eröffnete C. – umgeben von den vier Männern, die jeweils Sweatshirts mit „H.“-Aufdrucken trugen – mit den Worten:
- 6
„Ja, Olli, erstmal herzlich willkommen auch für Dich hier im H. Männercamp in H.. Auch wenn Du jetzt nur per Sendung zugeschaltet bist“.
- 7
Weiter führte er aus:
- 8
„Hier geht wirklich der Bär ab. Das ist ’nen absoluter Männertraum. Die vier Jungs haben gewonnen. Wir gucken das jetzt hier an ’nem Flatscreen an. Und dann für Dich noch, dann hauen wir uns noch ein paar schöne Grillwürstchen rein und trinken noch ein paar frisch gezapfte H. Ja, Favorit ist natürlich Porto, ohne Wenn und Aber, Oli. Aber vergesst net: Braga war in der Champions League […]. Es wird also eine enge Kiste.“
- 9
C. und die Männer befanden sich dabei an einem Stehtisch, auf dem fünf gefüllte Biergläser und ein Eiskübel mit dem Schriftzug der Brauerei standen.
- 10
Im Anschluss an die Übertragung des Fußballspiels erfolgte ab 23:03:09 Uhr für die Dauer von 1:17 Minuten die zweite Liveschaltung. Diese wurde vom Moderator mit den Worten eingeleitet:
- 11
„Wir haben noch einen zweiten Mann angesetzt […] heute abend. Keinen geringeren als C. im legendären H. Trainingscamp, Männercamp heißt es ganz genau. Ich hab`s mir extra aufgeschrieben. Den frag ich jetzt mal. C., was ist denn Dein Fazit? Ach ihr seid schon beim Kickern“.
- 12
Im Hintergrund wurde währenddessen auf einem Bildschirm der Schriftzug „H. Männercamp Haus“ eingeblendet.
- 13
Daraufhin erfolgte die Liveschaltung in das „Männercamp“. Im Vordergrund spielten die vier Männer – erneut gekleidet in „H.“-Sweatshirts – Tischfußball. C. befand sich am Ende des Spieltischs. Vor ihm stand eine Flasche mit dem sichtbaren Emblem der Brauerei. An der Zimmerwand im Hintergrund war der Schriftzug „H. Männer-Camp Haus“ zu sehen. C. äußerte:
- 14
„Ja hier meine vier Jungs, hier die Gewinner im H. Männercamp, die sind besser, die schießen mehr Tore als die Portugiesen und es macht riesen Spaß hier“.
- 15
Auf die Frage „War das jetzt Dein Fazit?“ antwortete er:
- 16
„Nee, zum Spiel: Ich glaub, der Bobi, äh Fredi, hat ja alles gesagt und äh, ich glaub, sicherlich ist Porto der verdiente Gewinner, weil eben auch die Braga Mannschaft direkt nach dem Spielbeginn so nach zehn Minuten und auch dann direkt nach der Pause vielleicht die besten Chancen nicht verwandelt haben. […] Also es hat mich auch nicht vom Hocker gerissen. Hier hat`s fast mehr Spaß gemacht.“
- 17
Während beider Liveschaltungen wurde jeweils für die Dauer von acht Sekunden der Hinweis „unterstützt durch Produktplatzierungen P“ eingeblendet.
- 18
Nachdem sie die Klägerin zu einem möglichen Verstoß gegen die Vorschriften zur Produktplatzierung angehört hatte, legte die Beklagte der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) mit Datum vom 11. Oktober 2011 den Entwurf eines Beanstandungsbescheides vor, in welchem im Wesentlichen ausgeführt wurde, die Herausstellung von „H.“-Produkten in der Sendung am 18. Mai 2011 sei zu stark und verstoße daher gegen das entsprechende Verbot des Rundfunkstaatsvertrages. Erforderlich sei eine redaktionelle Rechtfertigung der Produktplatzierung, die nicht vorliege.
- 19
Daraufhin wurde eine Prüfgruppe eingesetzt, die aus fünf Mitgliedern der ZAK bestand. Diese gaben jeweils zustimmende schriftliche Voten ab. Im Abschlussbericht vom 7. November 2011 wurde ausgeführt, die Prüfgruppe stimme dem Beschlussvorschlag der Beklagten einstimmig zu.
- 20
Mit Datum vom 8. November 2011 legte die Beklagte für die 34. Sitzung der ZAK am 22. November 2011 einen überarbeiteten Entwurf des Beanstandungsbescheides vor. Dieser entsprach dem Entwurf vom 11. Oktober 2011 und war in der Begründung um ein Normzitat sowie um einen Absatz ergänzt. Der ergänzte Absatz entstammte dem Prüfgruppen-Votum der Landesmedienanstalt des Saarlandes.
- 21
Im Vorfeld der 34. Sitzung der ZAK bat die Bayerische Landeszentrale für Neue Medien um einen Austausch der Begründung der Ermessenserwägungen, da ein Entschließungsermessen nicht gegeben sei. In dem Protokoll der ZAK-Sitzung vom 22. November 2011 heißt es sodann unter TOP 3.3.2.1 („Werbung A-Liste“):
- 22
„[…] Herr L. bittet darum, unter Ziffer IV. der Vorlage Teile der Begründung, und zwar ab Satz 3 den restlichen 1. Absatz, zu streichen. Unter Berücksichtigung dieses Vorschlags schließt sich die ZAK dem Votum und der Begründung der Prüfgruppe an und fasst folgenden Beschluss:
- 23
1. Die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) stellt fest, dass die SAT.1 Satelliten Fernsehen-GmbH mit der Ausstrahlung der zwei Liveschalten zum „H. Männercamp“ innerhalb der Sendung „ran UEFA Europa League – Das Finale“ am 18. Mai 2011 um ca. 20.18 Uhr und 23.03 Uhr gegen § 7 Abs. 7 S. 1 i.V.m. S. 2 Nr. 3 RStV verstoßen hat.
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2. Die ZAK beschließt eine Beanstandung, die innerhalb von sechs Wochen umzusetzen ist.
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3. Hinsichtlich der Beanstandung ist eine Verwaltungsgebühr in Höhe von € 1.000 zu erheben.“
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Die Beklagte erließ daraufhin unter dem 6. Dezember 2011 einen entsprechenden Bescheid, mit dem sie den Rechtsverstoß gegenüber der Klägerin feststellte (Ziffer I), diese aufforderte, den Verstoß gemäß Ziffer I künftig zu unter lassen (Ziffer II), und eine Verwaltungsgebühr von 1.000 € festsetzte. Die Begründung des Bescheides entsprach wörtlich der Beschlussvorlage vom 8. November 2011.
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Mit ihrer Klage hat die Klägerin die formelle und materielle Rechtswidrigkeit des Bescheides geltend gemacht. In formeller Hinsicht hat sie insbesondere das ordnungsgemäße Zustandekommen des Beanstandungsbeschlusses der ZAK gerügt und ausgeführt, die ZAK habe nicht ohne Diskussion das Votum und die Begründung der Prüfgruppe übernehmen dürfen. Zudem habe sie ihre Pflicht verletzt, den Beschluss zu begründen. In materieller Hinsicht sei der Bescheid rechtswidrig, weil die Biermarke nicht zu stark herausgestellt worden sei. Die Grenze der im Gesetz untersagten „zu starken Herausstellung“ könne nur anhand der Art, Dauer und Häufigkeit der Produktplatzierung bestimmt werden. Auf das Vorliegen einer programmlichen Rechtfertigung komme es dabei nicht an. Dieses Kriterium sei nur für die Feststellung einer unzulässigen Schleichwerbung maßgeblich. Jene sei verboten, weil bei ihr – anders als bei der Produktplatzierung – der werbliche Charakter der Werbemaßnahme nicht erkennbar sei. Zudem sei der Bescheid rechtswidrig, weil die ZAK lediglich die Feststellung des Verstoßes und dessen Beanstandung beschlossen habe, wohingegen der angefochtene Bescheid auch eine Unterlassungsanordnung enthalte.
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In ihrer 43. Sitzung am 18. September 2012 beriet die ZAK erneut über eine dem angefochtenen Bescheid entsprechende Beschlussvorlage der Beklagten vom 10. September 2012 und beschloss diese.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 31. Oktober 2012 hat die Klägerin beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 2011 aufzuheben.
- 31
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat vorgetragen, der Bescheid sei formell und materiell rechtmäßig. Die Klägerin habe die Grenzen zulässiger Produktplatzierung überschritten. Maßgebliches Kriterium für die „zu starke Herausstellung“ des Produkts sei das Fehlen einer programmlich-redaktionellen Rechtfertigung der Darstellung. Gegenstand der Liberalisierung durch den 13. Rundfunkänderungsstaatsvertrag – RÄndStV – sei nicht das Ausmaß der Herausstellung eines Produkts im Programm gewesen, sondern der Umstand, dass die Produktplatzierung nun entgeltlich erfolgen dürfe. Hier fehle es an einer solchen redaktionellen Rechtfertigung. Die Darstellung sei nicht durch die fußballerische Expertise von C. gerechtfertigt. Dem intensiv werblich dargestellten Produkt fehle jeglicher inhaltlicher Bezug zu den vermittelten Informationen zum Fußballspiel. Dies gelte auch für den Umstand, dass das Geschehen im „H. Männercamp“ dokumentiert werden solle. Die Schaltung gehe weit über das hinaus, was noch als Darstellung der Realität beim üblichen Verfolgen eines Fußballspiels gelten könne.
- 34
Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid der Beklagten mit dem hier angefochtenen Urteil aufgehoben und ausgeführt, der Bescheid sei zwar formell rechtmäßig. Die Voraussetzungen für eine Beanstandung lägen jedoch nicht vor. Es handle sich um eine nach der gesetzlichen Neuregelung durch den 13. RÄndStV nunmehr zulässige Produktplatzierung. Die gesetzliche Neuregelung stelle eine bewusste Durchbrechung des medienrechtlichen Grundsatzes der Trennung von Werbung und Programm dar. Mit ihr werde den privaten Rundfunkanbietern erstmals ermöglicht, in bestimmten Sendungen absichtlich Werbeeffekte durch die Darstellung oder Erwähnung von Waren zu erzielen und sich damit eine Einnahmequelle zu erschließen. Die Einschränkung der nicht zu starken Herausstellung bedeute, dass die Produktplatzierung die jeweilige Sendeeinheit nicht derart beherrschen dürfe, dass die eigentliche Handlung oder der eigentliche Programmablauf nicht mehr erkennbar seien. Das sei hier nicht der Fall.
- 35
Hiergegen wendet die Beklagte sich mit ihrer durch das Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung, zu deren Begründung sie ihr Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren erweitert und vertieft und ausführt, das Urteil des Verwaltungsgerichts verkenne die Systematik von Produktplatzierung und Schleichwerbung. Das Verwaltungsgericht lasse den Schutzzweck der Regelungen zur Produktplatzierung – den Grundsatz der Trennung von Werbung und Programm – außer Acht.
- 36
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufzuheben und die Klage abzuweisen.
- 38
Die Klägerin beantragt,
- 39
die Berufung zurückzuweisen.
- 40
Sie macht geltend, Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestünden lediglich insoweit, als darin die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheides bejaht werde. Der Bescheid beruhe auf einem Beschluss der ZAK, mit welchem diese ihre Begründungspflicht verletzt habe. Das Prüfgruppenvotum, auf welches im Protokoll der 34. ZAK-Sitzung Bezug genommen werde, und die fünf voneinander abweichenden Begründungen der Mitglieder der Prüfgruppe bezögen sich auf die ursprüngliche Beschlussvorlage der Beklagten vom 11. Oktober 2011. Diese sei jedoch gerade nicht Gegenstand des Beschlusses der ZAK gewesen. Jenem habe die modifizierte Beschlussvorlage der Beklagten vom 8. November 2011 zugrunde gelegen. Die Bezugnahme seitens der ZAK sei damit nicht so genau gewesen, dass sich hieraus eindeutig der Inhalt der Begründung ergebe. Auch eine Heilung habe durch die nachträgliche Beschlussfassung in der 43. Sitzung der ZAK jedenfalls deshalb nicht eintreten können, weil die ZAK-Mitglieder in dieser 43. Sitzung nicht vollumfänglich identisch mit denen der 34. ZAK-Sitzung vom 22. November 2012 gewesen seien.
- 41
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Verwaltungsvorgänge (1 Ordner) sowie auf die von der Klägerin vorgelegte Aufzeichnung der Sendung vom 18. Mai 2011 Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung hat Erfolg.
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Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 2011 ist formell (I.) und materiell (II.) rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –.
I.
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Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 2011 begegnet in formeller Hinsicht keinen Bedenken. Der im Rahmen des gestuften medienaufsichtlichen Beanstandungsverfahrens gemäß § 35 RStV erforderliche Beschluss der ZAK vom 22. November 2011 ist formell rechtmäßig (1.). Er wurde durch den Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 2011 ordnungsgemäß vollzogen (2.).
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1. Der Beschluss der ZAK ist formell rechtmäßig. Insbesondere genügt er dem Begründungserfordernis des § 35 Abs. 9 Sätze 3 und 4 RStV. Danach sind die – gegenüber den anderen Organen der zuständigen Landesmedienanstalt bindenden – Beschlüsse der ZAK zu begründen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen.
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Diesen Anforderungen entspricht die Niederschrift der Sitzung der ZAK vom 22. November 2011 in Verbindung mit der Beschlussvorlage der Beklagten vom 8. November 2011. Indem unter TOP 3.3.2.1 des Protokolls festgehalten wurde, die ZAK schließe sich „dem Votum und der Begründung der Prüfgruppe an“, hat die ZAK sich die Begründung der Prüfgruppe in der Gestalt der Beschlussvorlage der Beklagten vom 8. November 2011 in zulässiger Weise zu Eigen gemacht.
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Die Begründungspflicht gemäß § 35 Abs. 9 Sätze 3 und 4 RStV kann durch eine Bezugnahme erfüllt werden. Sie ist der nach § 39 Verwaltungsverfahrensgesetz für Verwaltungsakte geltenden allgemeinen Regelung nachempfunden (vgl. LT-Drucks. 15/2149, S. 27). In Bezug auf diese ist allgemein anerkannt, dass Bezugnahmen auf Unterlagen, auf vorangegangene Verwaltungsakte sowie auf Schreiben der Behörde oder Gutachten, die an den Adressaten ergangen oder diesem zumindest ohne weitere Umstände zugänglich sind, zulässig sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 1987 – 1 B 213/86 –, NVwZ 1987, 504; Ruffert, in: Knack/Henneke, VwVfG, 9. Aufl. 2010, § 39 Rn. 17; Schwarz, in: Fehling/Kastner/Störmer, VwVfG/VwGO, § 39 VwVfG Rn. 19; speziell zur Zulässigkeit der Bezugnahme auf Beschlussvorlagen bei Kollegialentscheidungen auch OVG RP, Beschluss vom 29. September 2011 – 2 B 10902/11.OVG –, juris Rn. 18).
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Den an eine Bezugnahme zu stellenden Anforderungen wurde auch in Anbetracht der konkreten Formulierung im Protokoll der 34. ZAK-Sitzung vom 22. November 2011 genügt. Die Bezugnahme auf das „Votum und die Begründung der Prüfgruppe“ ist hinreichend bestimmt. Sie ist entsprechend § 133 Bürgerliches Gesetzbuch aus der Perspektive des Empfängerhorizontes so auszulegen, wie ihre Adressaten nach den ihnen bekannten oder unproblematisch in Erfahrung zu bringenden Umständen ihren materiellen Gehalt unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen müssen (vgl. Ruffert, in: Knack/Henneke, VwVfG, 9. Aufl. 2010, § 37 Rn. 20).
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Unabhängig davon, ob man als Adressaten der Begründungspflicht aus § 35 Abs. 9 Sätze 3 und 4 RStV nur die anderen Organe der Landesmedienanstalten oder auch den Empfänger des Beanstandungsbescheides ansieht, kann die hier in Rede stehende Bezugnahme auf das „Votum und die Begründung der Prüfgruppe“ nur so verstanden werden, dass damit die Beschlussvorlage der Beklagten vom 8. November 2011 gemeint war. Diese stellte nämlich ihrerseits die Umsetzung des Votums und der Begründung der Prüfgruppe dar und war damit sichtlich die zentrale Entscheidungsgrundlage für den Beschluss der ZAK. Dafür spricht bereits der äußere Ablauf, nach welchem die Beschlussvorlage der Beklagten im Zeitpunkt der ZAK-Sitzung das jüngere Dokument darstellte und im Unterschied zum Abschlussbericht der Prüfgruppe eine Begründung enthielt. Vor allem aber belegt die Formulierung des Protokolls der 34. Sitzung vom 22. November 2011 TOP 3.3.2.1, in welchem in Satz 1 von „der Vorlage“ die Rede ist, dass „das Votum und die Begründung der Prüfgruppe“ gleichbedeutend mit „der Vorlage“ waren. Aus diesem Kontext ergibt sich, dass sich der Beschluss der ZAK auf die Begründung der Prüfgruppe bezog, wie sie in „der Vorlage“ – also der Vorlage der Beklagten vom 8. November 2011 – wiedergegeben war.
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Schließlich bestehen auch in Bezug auf die Vorbereitung der Entscheidung der ZAK durch eine Prüfgruppe gemäß § 8 Abs. 1 der Geschäfts- und Verfahrensordnung der ZAK (GVO-ZAK) keine durchgreifenden Bedenken. Der Senat hat keinen Anlass zu der Annahme, die Mitglieder der ZAK hätten ihren Pflichten nicht genügt und den Beschlussentwurf der Beklagten ohne eigene Prüfung „durchgewunken“. Der Beschlussentwurf wurde in der betreffenden Sitzung vielmehr sogar noch abgeändert.
- 51
Nach alledem ist der Beschluss der ZAK vom 22. November 2011 formell rechtmäßig, so dass es auf die Frage nach etwaigen Rechtsfolgen von Fehlern dieses Beschlusses für den angefochtenen Bescheid der Beklagten nicht ankommt, ebensowenig wie darauf, ob die Heilung eines Fehlers durch die erneute Beschlussfassung der ZAK in der Sitzung vom 18. September 2012 gemäß § 1 Abs. 1 LVwVfG in Verbindung mit § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG oder analog § 1 Abs. 1 LVwVfG in Verbindung mit § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens (vgl. § 45 Abs. 2 VwVfG) erfolgt ist.
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2. Der Beschluss der ZAK vom 22. November 2011 wurde durch den Bescheid der Beklagten ordnungsgemäß vollzogen. Insbesondere bewegt sich dessen Ziffer II, mit der die Klägerin aufgefordert wird, die beanstandete Produktplatzierung künftig zu unterlassen, im Rahmen der Vorgaben dieses Beschlusses.
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Die ZAK hatte in ihrer 34. Sitzung am 22. November 2011 eine „Beanstandung“ beschlossen, ohne hierbei den genauen Tenor des zu erlassenden Bescheides vorzugeben. Die Beklagte durfte daher eine Beanstandung vornehmen, wie sie in der Legaldefinition des § 27 Abs. 1 Landesmediengesetz – LMG – umschrieben ist. Hiernach enthält die Beanstandung zwei Komponenten: Zum einen die Feststellung des Rechtsverstoßes, zum anderen die Anweisung an den Rundfunkveranstalter, den Rechtsverstoß zu beheben oder künftig zu unterlassen. Es besteht kein Anlass zu der Annahme, dem Begriff der „Beanstandung“ habe auf Seiten der ZAK eine von dieser landesrechtlichen Regelung abweichende Begriffsbildung zugrunde gelegen, zumal die maßgebliche Beschlussvorlage von der Beklagten stammte. Der Rundfunkstaatsvertrag bietet für eine hiervon abweichende Begriffsbestimmung ebenfalls keinen Anhalt. Soweit § 38 Abs. 2 RStV zwischen den medienaufsichtlichen Maßnahmen der „Beanstandung“ und der „Untersagung“ unterscheidet, meint der Ausdruck „Untersagung“ ersichtlich nicht die Unterlassungsanordnung als Teil der Beanstandung, sondern die hiervon zu unterscheidende Maßnahme der Untersagung eines Angebots im Sinne von § 32 Abs. 2 LMG (vgl. dazu Schuler-Harms, in: Hahn/Vesting, Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 3. Aufl. 2012, § 38 Rn. 24 f.).
II.
- 54
Der Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 2011 ist auch materiell rechtmäßig. Die Beklagte hat die Produktplatzierung in der Sendung vom 18. Mai 2011 zu Recht gemäß §§ 2, 27 Abs. 1 LMG beanstandet, weil die Marke „H.“ entgegen den Vorgaben des § 7 Abs. 7 Satz 1 in Verbindung mit Satz 2 Nr. 3 RStV zu stark herausgestellt wurde.
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Bei der visuellen und akustischen Darstellung der Marke „H.“ in der Sportsendung „ran Uefa Europa League – Das Finale“ handelte es sich zwar um eine gemäß § 44 Nr. 1 RStV ausnahmsweise zulässige Produktplatzierung. Diese hielt sich jedoch nicht im Rahmen der sich aus § 7 Abs. 7 Satz 2 RStV ergebenden Grenzen, denn sie verletzte das in § 7 Abs. 7 Satz 2 Nr. 3 RStV normierte Verbot zu starker Herausstellung.
- 56
1. Eine Herausstellung ist im Sinne von § 7 Abs. 7 Satz 2 Nr. 3 RStV zu stark, wenn sie nach ihrer Art, ihrer Häufigkeit oder ihrer Dauer nicht durch redaktionelle Erfordernisse des Programms oder die Notwendigkeit der Darstellung der Lebenswirklichkeit gerechtfertigt ist.
- 57
Für dieses Verständnis des im Wortlaut offenen und unbestimmten Rechtsbegriffs der „zu starken“ Herausstellung sprechen die Legaldefinition der Produktplatzierung im Rundfunkstaatsvertrag und in der Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (ABl. L 95/1 vom 15.4.2010 – sogenannte AVMD-Richtlinie, im Folgenden: RL 2010/13/EU –) (a) sowie systematische Erwägungen mit Blick auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis innerhalb der Regelung der Produktplatzierung (b). Auch das Erfordernis der Abgrenzung der Produktplatzierung von anderen Erscheinungsformen audiovisueller kommerzieller Kommunikation (c) und der Sinn und Zweck der Vorschrift (d) sowie die Genese der beschränkten Zulassung der Produktplatzierung unter Einbeziehung der Gesetzesmaterialien auf nationaler und unionsrechtlicher Ebene (e) stützen diese Auslegung. Die Werberichtlinien der Beklagten stimmen ebenfalls mit ihr überein, so dass es auf das Bestehen eines Beurteilungsspielraums und auf ihren Rechtscharakter als normkonkretisierende oder norminterpretierende Verwaltungsvorschriften nicht ankommt (f).
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a) Bereits die Legaldefinition der Produktplatzierung spricht für die Annahme, dass eine Herausstellung dann zu stark ist, wenn sie nach ihrer Art, ihrer Häufigkeit oder ihrer Dauer nicht durch redaktionelle Erfordernisse des Programms oder die Notwendigkeit der Darstellung der Lebenswirklichkeit gerechtfertigt ist. Ausweislich der Legaldefinition in § 2 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 RStV ist Produktplatzierung die gekennzeichnete „Erwähnung oder Darstellung“ von Waren, Dienstleistungen, Namen, Marken, Tätigkeiten eines Herstellers von Waren oder eines Erbringers von Dienstleistungen „in Sendungen“ gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung mit dem Ziel der Absatzförderung. Schon diese gesetzliche Umschreibung deutet darauf hin, dass die im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages zulässige Platzierung eines Produkts in das redaktionelle Programm einer Sendung eingebunden sein muss und das Produkt lediglich neutral erwähnt oder dargestellt, nicht aber zur Erzielung „überschießender Werbeeffekte“ präsentiert werden darf. Die Grenze „zu starker Herausstellung“ in § 7 Abs. 7 Satz 2 Nr. 3 RStV dient daher vor dem Hintergrund der Legaldefinition der „Produktplatzierung“ lediglich der Klarstellung.
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In diese Richtung weist auch die Begriffsbestimmung in Art. 1a Buchstabe m der Richtlinie 2010/13/EU, deren Umsetzung § 2 Abs. 1 Nr. 11 RStV und § 7 Abs. 7 Satz 2 Nr. 3 RStV dienen. Danach ist Produktplatzierung jede Form audiovisueller kommerzieller Kommunikation, die darin besteht, gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung ein Produkt, eine Dienstleistung oder die entsprechende Marke „einzubeziehen bzw. darauf Bezug zu nehmen“, so dass diese „innerhalb einer Sendung erscheinen“. Ergänzend heißt es zu dieser Definition in Erwägungsgrund 91 der Richtlinie, „[…] dass bei der Produktplatzierung der Hinweis auf ein Produkt in die Handlung der Sendung eingebaut ist“ und – im Unterschied und Umkehrschluss zum Sponsoring – das Produkt hier „Teil der Handlung“ ist.
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b) Für ein Verständnis der „zu starken“ Herausstellung als einer Hervorhebung, die nicht durch redaktionelle Erfordernisse des Programms oder die Notwendigkeit der Darstellung der Lebenswirklichkeit gerechtfertigt ist, sprechen auch systematische Erwägungen. Insoweit gebietet zunächst das Regel-Ausnahme-Verhältnis innerhalb der Regelung der Produktplatzierung eine restriktive Auslegung der Vorschriften über die zulässige Produktplatzierung. Grundsätzlich ist Produktplatzierung gemäß § 7 Abs. 7 Satz 1 RStV unzulässig. Diesen Grundsatz setzt auch § 44 RStV – der in § 7 Abs. 7 Satz 2 RStV ausdrücklich als Ausnahme bezeichnet wird – nicht außer Kraft. Die Vorschrift formuliert vielmehr die dortige Zulassung von Produktplatzierung in bestimmten Formaten ausdrücklich „abweichend von § 7 Abs. 7 Satz 1“, will also als bloße Rückausnahme den Vorrang der Grundregel des § 7 Abs. 7 Satz 1 RStV gewahrt wissen.
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Auch die Richtlinie 2010/13/EU – die zwar strengere, nicht aber großzügigere nationale Regelungen zulässt (vgl. Art. 11 Abs. 3 und Erwägungsgrund 92 RL 2010/13/EU) – ist insoweit eindeutig formuliert: Gemäß Art. 11 Abs. 2 ist Produktplatzierung „untersagt“ und lediglich nach Art. 11 Abs. 3 RL 2010/13/EU „abweichend von Abs. 2“ in den dort genannten Sendungsformaten zulässig, wobei sie die Anforderungen aus Art. 11 Abs. 3 UAbs. 3 RL 2010/13/EU erfüllen müssen.
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c) Die vorgenannten Grenzen einer entgeltlichen Einbindung von Produkten in Sendungen folgen zudem aus dem Verhältnis der Vorschriften über die Produktplatzierung zu den Regelungen über andere Erscheinungsformen audiovisueller kommerzieller Kommunikation.
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aa) So wird bereits aufgrund des Verhältnisses der Produkt- zu der nach § 7 Abs. 7 Satz 1 RStV unzulässigen Themenplatzierung deutlich, dass die Grenzen zulässiger Produktplatzierung nicht erst dort angesiedelt werden können, wo diese aufgrund ihrer programmlichen Dominanz in eine Themenplatzierung umschlägt. Denn eine Themen- zeichnet sich im Unterschied zur eher punktuell erscheinenden Produktplatzierung im Wesentlichen dadurch aus, dass sie sich „durch die ganze Sendung zieht“, so dass die Unterscheidung von Sendung und „Platzierung“ von Präsentationen in Sendungen nicht mehr möglich ist (vgl. Ladeur, in: Hahn/Vesting, Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 3. Aufl. 2012, Rn. 53a und Rn. 62).
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bb) Aus der erforderlichen Abgrenzung zur Dauerwerbesendung nach § 7 Abs. 5 RStV folgt darüber hinaus, dass eine Produktplatzierung nicht erst dann „zu stark“ und damit unzulässig sein kann, wenn die Einwirkung des platzierten Produkts auf den Programmverlauf ein solches Maß erreicht, dass die Sendung in eine Dauerwerbesendung umschlägt. In diesem Fall wäre die Regelung der materiellen Grenze der „zu starken“ Herausstellung des platzierten Produkts in § 7 Abs. 7 Satz 2 Nr. 3 RStV überflüssig. Bei der Dauerwerbesendung steht gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 RStV „der Werbecharakter erkennbar im Vordergrund“, und die Werbung stellt einen „wesentlichen Bestandteil der Sendung dar“. Hiervon ausgehend kann eine zu starke Herausstellung eines Produkts im Sinne der Regelung über die Produktplatzierung § 7 Abs. 7 Satz 2 Nr. 3 RStV nicht erst dann vorliegen, wenn der Werbecharakter wie bei der Dauerwerbesendung „erkennbar im Vordergrund“ steht. Dieser darf vielmehr – im Umkehrschluss – nur beiläufig sein (vgl. zur Beiläufigkeit des Werbeeffekts bei der Produktplatzierung auch Ladeur, in: Hahn/Vesting, Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 3. Aufl. 2012, § 7 Rn. 53d).
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Aus diesen Überlegungen zum Verhältnis von Produktplatzierung und Dauerwerbesendung folgt zugleich, dass für die Beurteilung einer zu starken Herausstellung grundsätzlich auf das konkrete Umfeld der Platzierung innerhalb der Sendung und die betreffende Szene abzustellen ist. Es ist nicht erforderlich, dass die Sendung wie bei einer Dauerwerbesendung insgesamt von der Werbung geprägt oder dominiert wird. Der Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 11 RStV, der nur von einer „Erwähnung“ und „Darstellung“ der Waren spricht, lässt keine Anhaltspunkte für eine dahingehende Einschränkung erkennen. Eine überschießende werbende Wirkung kann danach auch durch eine zwar nur kurze, dafür aber intensive oder wiederholte Hervorhebung eines Produkts erzielt werden (vgl. bereits entsprechend zur Schleichwerbung OVG RP, Urteil vom 17. Dezember 2008 – 2 A 10327/08.OVG –, AS 37, 103 [111 f.]).
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cc) Darüber hinaus spricht auch der Zusammenhang der Regelung über die zulässige Produktplatzierung mit der Vorschrift über das Verbot unzulässiger Schleichwerbung (vgl. § 7 Abs. 7 Satz 1, § 2 Abs. 2 Nr. 8 RStV) für ein Verständnis der „zu starken“ Herausstellung als einer nicht durch redaktionelle Erfordernisse des Programms oder die Notwendigkeit der Darstellung der Lebenswirklichkeit gerechtfertigten Herausstellung. Nach der Systematik der gesetzlichen Regelungen besteht eine enge Verwandtschaft zwischen unzulässiger Schleichwerbung und zulässiger Produktplatzierung (vgl. LT-Drucks. 15/4081, S. 17). In ihrem Zusammenspiel führen sie dazu, dass eine durch redaktionelle Erfordernisse des Programms gerechtfertigte Produktdarstellung zulässig ist, wenn sie entweder ohne Entgeltzahlung und ohne Werbeabsicht erfolgt oder als Produktplatzierung gekennzeichnet ist.
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Die Definition der Schleichwerbung in § 2 Abs. 2 Nr. 8 RStV stimmt nämlich im Hinblick auf die Umschreibung der den unzulässigen Werbeeffekt hervorrufenden Produktdarstellung wörtlich mit derjenigen der Produktplatzierung in § 2 Abs. 2 Nr. 11 RStV überein, in welcher ebenfalls von der „Erwähnung oder Darstellung von Waren, Dienstleistungen, Namen, Marken, Tätigkeiten eines Herstellers von Waren oder eines Erbringers von Dienstleistungen in Sendungen“ gesprochen wird. Die zulässige Produktplatzierung erfolgt darüber hinaus „gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung mit dem Ziel der Absatzförderung“. Diesem Merkmal steht bei der Schleichwerbung das zwar nicht identische, aber im Ergebnis in den meisten Fällen ähnlich wirkende Erfordernis gegenüber, dass die Darstellung „vom Veranstalter absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen“ ist (OVG RP, Urteil vom 17. Dezember 2008 – 2 A 10327/08.OVG – AS 37, 103 [105 f.]). Der zentrale Unterschied zwischen Schleichwerbung und Produktplatzierung besteht nach der Systematik des Gesetzes wie auch dem Willen des Gesetzgebers daher in einem lediglich formellen Kriterium, nämlich darin, dass es sich bei der Darstellung des Produkts im Falle der Produktplatzierung gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 11 RStV um eine „gekennzeichnete“ Darstellung handelt (vgl. auch § 7 Abs. 7 Satz 3 RStV), wohingegen die Schleichwerbung nach § 2 Abs. 2 Nr. 8 RStV „mangels Kennzeichnung die Allgemeinheit hinsichtlich des eigentlichen Zweckes dieser Erwähnung oder Darstellung irreführen kann“ (vgl. auch LT-Drucks. 15/4081, S. 17). Für die Schleichwerbung gilt dabei, dass eine Werbeabsicht dann nicht anzunehmen ist, wenn die Produkte aus programmlich-dramaturgischen Gründen erwähnt oder dargestellt werden (vgl. Schulz, in: Hahn/Vesting, a.a.O., 3. Aufl. 2012, § 2 Rn. 115).
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Im Ergebnis erfolgt die Abgrenzung der zulässigen Produktplatzierung von der Schleichwerbung daher im Wesentlichen über die Kennzeichnung der ersteren: Eine wegen zu starker Herausstellung des Produkts unzulässige Produktplatzierung wäre bei fehlender Kennzeichnung eine verbotene Schleichwerbung. Das schließt es freilich nicht aus, dass die Platzierung eines Produkts auch ohne Kennzeichnung zulässig sein kann (ohne deshalb zur verbotenen Schleichwerbung zu werden). Dies kommt aber nur dann in Betracht, wenn es an einer Entgeltzahlung und einer Werbeabsicht fehlt.
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Der Einwand der Klägerin, es gehe nicht an, mit dem Erfordernis einer redaktionellen Rechtfertigung ein überkommenes (Hilfs-)Merkmal der Schleichwerbung für die Bemessung der Grenzen zulässiger Produktplatzierung einzusetzen, greift nach alledem nicht durch. Die in der Gesetzessystematik angelegte sowie vom Gesetzgeber beabsichtigte Parallelität der Schleichwerbung und der Produktplatzierung gebieten dies vielmehr geradezu.
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d) Auch Sinn und Zweck der Vorschrift stützen diese Auslegung. Das Verbot zu starker Herausstellung ergänzt die formelle Kennzeichnungspflicht des § 7 Abs. 7 Satz 2 Nr. 3 RStV um eine materielle Grenze zulässiger Produktplatzierung; hierin dient es im Ausgangspunkt den gleichen Zwecken wie das im Übrigen weiterbestehende grundsätzliche Verbot der Produktplatzierung. Dieses dient dem Grundsatz der Trennung von Werbung und Programm (Trennungsgrundsatz), der davon ausgeht, dass Werbung und Programm sich in ihrer Aussage und Zielsetzung grundlegend unterscheiden und von der Vermischung werblicher und redaktioneller Inhalte spezifische Gefahren für den verfassungsrechtlich geschützten Prozess der freien Meinungsbildung ausgehen (vgl. OVG RP, Urteil vom 17. Dezember 2008 – 2 A 10327/08.OVG – AS 37, 103 [113 f.]).
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Jenseits des „einfachen“ Trennungsgebots sind bestimmte Verknüpfungen von Werbung und Programm nur unter engen Voraussetzungen zulässig (so etwa bei der Produktplatzierung, der Dauerwerbesendung oder dem Sponsoring). Die begrenzte Zulassung einer Produktplatzierung stellt eine dieser Aufweichungen des Trennungsgrundsatzes dar, die der Tatsache Rechnung trägt, dass Marken ihrerseits die Realität prägen (vgl. Vesting, in: Hahn/Vesting, a.a.O., Einf., Rn. 38).
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Der nationale und der europäische Gesetzgeber wollten den Trennungsgrundsatz jedoch nur behutsam dieser Realität angleichen, indem die Produktplatzierung lediglich „als Tatsache“ im Europäischen Fernsehen akzeptiert und die diesbezügliche Bezahlung von Entgelt legalisiert wird (vgl. dazu Erwägungsgrund 91 der RL 2010/13/EU: „Produktplatzierung ist eine Tatsache“). Damit sollte zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Medien verbessert werden (vgl. Erwägungsgrund 91 RL 2010/13/EU), ohne dabei jedoch die Vermischung von Programm und Werbung vollständig in das Belieben der Rundfunkveranstalter zu stellen. Dass eine grenzenlose Zulassung der Produktplatzierung und eine Abkehr vom Trennungsgrundsatz nicht Sinn und Zweck der Regelung sind, belegen zudem bereits die Existenz der Grenze der zu starken Herausstellung in § 7 Abs. 7 Satz 2 Nr. 3 RStV sowie der Hinweis auf die Unzulässigkeit von Themenplatzierung in § 7 Abs. 7 Satz 1 RStV. Die Verpflichtung zur Kennzeichnung der Produktplatzierung befreit folglich nicht von der Einhaltung bestimmter materieller Grenzen, sondern stellt die Mindestvoraussetzung dafür dar, dass überhaupt eine Verknüpfung von Werbung und Programm stattfinden und der Trennungsgrundsatz aufgeweicht werden darf.
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Ist hiernach davon auszugehen, dass § 7 Abs. 7 Satz 2 Nr. 3 RstV den Kern des Trennungsgrundsatzes bewahren soll, so hat die Norm wie dieser zwei Schutzrichtungen: Zum einen soll sie die Rundfunkfreiheit sowie die Erhaltung der Objektivität und Neutralität des Rundfunks gegenüber dem Wettbewerb im Markt als Voraussetzungen der Meinungsvielfalt im Programm schützen, zum anderen dient sie dem Schutz der Zuschauer, welcher redaktionellen Inhalten mit größerem Vertrauen begegnet als werblichen Botschaften (vgl. bereits OVG RP, Urteil vom 17. Dezember 2008 – 2 A 10327/08.OVG –, AS 37, 103 [113 f.], s. auch Müller-Rüster, Product Placement im Fernsehen, 2010, S. 221 ff., 471 ff.). Die Auffassung der Klägerin, wonach die redaktionelle Unabhängigkeit und Neutralität bei der Auslegung des § 7 Abs. 7 Satz 2 Nr. 3 RStV keine Rolle spiele, weil sie bereits durch die Nr. 1 gesichert sei, vermag daher nicht zu überzeugen. Nr. 1 betrifft unmittelbare Beeinträchtigungen der Unabhängigkeit, während Nr. 3 diese lediglich mittelbar und objektiv – vermittelt über das Verbot zu starker Herausstellung – schützt.
- 74
Der Senat verkennt dabei mit Blick auf das Kriterium der „Darstellung der Lebenswirklichkeit“ nicht, dass „Product Placement […] der faktischen Tendenz zur Verwischung der Grenze zwischen ‘Realität’ und ‘Werbung’ entspricht“ (vgl. Ladeur, Hahn/Vesting, Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 3. Aufl. 2012, § 7 Rn. 53a). Das bedeutet jedoch nicht, dass unter normativen Gesichtspunkten die betreffende Grenze nicht durchaus feststellbar wäre: Sie ist jedenfalls da überschritten, wo Werbung nicht mehr nur als Teil der Lebenswirklichkeit – gleich ob in einem fiktiven oder einem dokumentarischen Rahmen (OVG RP, Urteil vom 17. Dezember 2008 – 2 A 10327/08.OVG –, AS 37, 103 [105 f.]) – abgebildet wird, sondern die dargestellte Lebenswirklichkeit ihrerseits eine ausschließlich zum Zwecke der Werbung entworfene, in einem gleichsam vorgelagerten Herstellungsprozess künstlich erzeugte „Wirklichkeit“ ist. Die Rundfunkveranstalter und die werbetreibenden Unternehmen „können sich die eine Produktplatzierung rechtfertigende Realität nicht selbst schaffen“ (vgl. auch den Bescheid der Kommunikationsbehörde Austria vom 18. Oktober 2011, KOA 3.500/11-025, Zugriff vom 31.08.2013 unter https://www.rtr.at). Andernfalls ließen sich die sorgfältig abgestuften Regelungen des Rundfunkstaatsvertrages ohne Weiteres umgehen, indem sich Rundfunkveranstalter auf die bloße Darstellung von und Berichterstattung über „Lebenswirklichkeiten“ zurückzögen, die ihrerseits gezielt zum Zwecke der Werbung geschaffen wurden.
- 75
e) Das Verständnis der „zu starken“ Herausstellung als einer solchen, die nicht durch redaktionelle Erfordernisse des Programms oder die Notwendigkeit der Darstellung der Lebenswirklichkeit gerechtfertigt ist, kann sich schließlich auch auf die Genese der beschränkten Zulassung der Produktplatzierung und die Gesetzesmaterialien auf nationaler und unionsrechtlicher Ebene stützen.
- 76
So wird in der Begründung zum 13. RÄndStV (LT-Drucks. 15/4081, S. 18) zum Verbot der zu starken Herausstellung des platzierten Produkts in § 7 Abs. 7 Satz 2 Nr. 3 RStV ausgeführt, dieses schütze den Verbraucher vor Irreführung. Der Veranstalter sei „verpflichtet, dem unentgeltlich oder gegen Bezahlung aufgenommenen Produkt keine auffällige Stellung im Sendungsverlauf einzuräumen und damit Werbeeffekte zu vermeiden“. Das Produkt solle „im natürlichen Handlungsablauf aus programmlich-dramaturgischen Gründen eingebunden sein“. Eine unzulässige unangemessene Herausstellung („undue prominence“) könne beispielsweise in der Dauer, Art oder Häufigkeit der Darstellung liegen. „Einbindung“ bedeutet insofern nichts anderes als die Rechtfertigung durch redaktionelle Erfordernisse des Programms oder die Notwendigkeit der Darstellung der Lebenswirklichkeit.
- 77
Indem die Gesetzesbegründung auf den englischen Ausdruck „undue prominence“ rekurriert, verweist sie im Übrigen zugleich auf den unionsrechtlichen Hintergrund der betreffenden Regelung in der Richtlinie 2010/13/EU. Diesen hebt die Gesetzesbegründung auch für die Legaldefinition der Produktplatzierung § 2 Nr. 11 RStV hervor (vgl. LT-Drucks. 15/4081, S. 17 f.).
- 78
Auch mit Blick auf das Unionsrecht ergibt die Auswertung der Gesetzesmaterialien, dass eine Herausstellung zu stark ist im Sinne von Art. 11 Abs. 3 UAbs. 3 Buchstabe c RL 2010/13/EU, wenn sie nach ihrer Art, ihrer Häufigkeit oder ihrer Dauer nicht durch redaktionelle Erfordernisse des Programms oder die Notwendigkeit der Darstellung der Lebenswirklichkeit gerechtfertigt ist. Die maßgebliche Vorschrift des Art. 11 Abs. 3 UAbs. 3 Buchstabe c RL 2010/13/EU stimmt wörtlich überein mit Art. 3g Abs. 2 UAbs. 3 Buchstabe c der zunächst in Kraft getretenen früheren Fassung der Richtlinie 2010/13/EU, der Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (ABl. L 332/27 v. 18.12.2007). Deren Erlass ging ein Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit vom 13. Dezember 2005 (KOM [2005] 646 endg. – 2005/0260 [COD]) voraus. Dieser Vorschlag hatte zunächst noch keine entsprechende Einschränkung der Produktplatzierung enthalten.
- 79
Die Einschränkungen zulässiger Produktplatzierung gehen vielmehr zurück auf Änderungsanträge des Europäischen Parlaments und des Ausschusses der Regionen. Dieser hatte eine stärkere Begrenzung der Produktplatzierung gefordert und in seiner Stellungnahme ausgeführt:
- 80
„[…] Diese Lockerung des ursprünglich strikten Trennungsgebots zwischen Werbung und Programm geht zu weit. Den damit verbundenen Gefahren für die Programmautonomie und die redaktionelle Unabhängigkeit wird nicht hinreichend Rechnung getragen“ (Stellungnahme des Ausschusses der Regionen zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit“ [2007/C 51/02], ABl. C 51/7 vom 6.3.2007, Empfehlung 8, Begründung).
- 81
Im Anschluss daran legte der Ausschuss für Kultur und Bildung des Europäischen Parlaments einen umfangreichen Bericht mit Vorschlägen für Änderungsanträge vor (vgl. den Bericht vom 22. November 2006 über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit [Plenarsitzungsdokument A6-0399/2006]). Als Änderungsantrag 129 schlug der Ausschuss die Ergänzung von Art. 3h a Absatz 2 Buchstabe c (neu) der damaligen Fassung des Entwurfs der Richtlinie 2010/13/EU vor, dass „das Produkt […] nicht übermäßig hervorgehoben“ werden dürfe. Zudem wurde unter Änderungsantrag 60 eine Ergänzung des Erwägungsgrundes 46 vorgeschlagen, unter anderem um die Formulierung:
- 82
„Des Weiteren darf das Produkt nicht ‘übermäßig hervorgehoben’ werden. Eine Hervorhebung ist unzulässig, wenn sie nicht durch redaktionelle Erfordernisse des Programms oder die Notwendigkeit der Darstellung der Lebenswirklichkeit gerechtfertigt ist. Die Unzulässigkeit kann sich aus dem wiederholten Auftreten der betreffenden Marken, Waren oder Dienstleistungen oder aus der Art und Weise ihrer Hervorhebung ergeben. Dabei ist auch der Inhalt des Programms zu berücksichtigen, in das sie eingefügt werden.“
- 83
Zur Begründung führte der Ausschuss aus, das Merkmal der unzulässigen Hervorhebung werde in Anlehnung an die Ausführungen in der Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf bestimmte Aspekte der Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ über die Fernsehwerbung (2004C 102/02) definiert (vgl. den Bericht vom 22. November 2006, a.a.O., S. 43 f. und S. 75). In der Mitteilung der Kommission, auf welche damit Bezug genommen wurde, heißt es unter Ziff. 34:
- 84
„So stellt beispielsweise der Umstand, dass ein Produkt deutlich hervorgehoben wird, einen Anhaltspunkt dafür dar, dass es sich um Schleichwerbung handelt, wenn diese Hervorhebung nicht durch redaktionelle Erfordernisse des Programms gerechtfertigt ist oder wenn sie auf eine Beeinflussung des Programms zu kommerziellen Zwecken zurückzuführen ist.“ (Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf bestimmte Aspekte der Bestimmungender Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ über die Fernsehwerbung[2004/C 102/02], ABl. C 102/02 vom 28.4.2004).
- 85
Das Europäische Parlament beschloss vor dem Hintergrund dieser Vorschläge des Ausschusses am 13. Dezember 2006 in erster Lesung eine Neuformulierung der betreffenden Vorschrift, deren Wortlaut dem heute geltenden Art. 11 der RL 2010/13/EU entsprach. Zugleich wurde eine Ergänzung des damaligen Erwägungsgrundes 66 wie folgt vorgeschlagen:
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„Ferner darf das Produkt nicht übermäßig hervorgehoben werden. Eine Hervorhebung ist unzulässig, wenn sie nicht durch redaktionelle Erfordernisse des Programms oder die Notwendigkeit der Darstellung der Lebenswirklichkeit gerechtfertigt ist. Die Unzulässigkeit kann sich aus dem wiederholten Auftreten der betreffenden Marken, Waren oder Dienstleistungen oder aus der Art und Weise ihrer Hervorhebung ergeben. Dabei ist auch der Inhalt des Programms zu berücksichtigen, in das sie eingefügt werden.“ (Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit [KOM(2005)0646 – C6-0443/2005 – 2005/0260 (COD), P6_TA(2006)0559]).
- 87
Das so erläuterte Verbot zu starker Herausstellung wurde sodann – wenngleich ohne Übernahme der diesbezüglichen Erläuterung – in den geänderten Richtlinienvorschlag übernommen (vgl. Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit [„Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen“] vom 29.03.2007, KOM [2007] 170 endgültig – 2005/0260 [COD], S. 14). Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist daher anzunehmen, dass der Richtlinie 2010/13/EU dasjenige Begriffsverständnis zugrunde liegt, welches das Europäische Parlament zur Begründung der auf sein Betreiben hin aufgenommenen Norm dargelegt hatte.
- 88
Angesichts dieser Genese des Verbots einer zu starken Herausstellung des Produkts und des damit transportierten Regelungsgehalts ist das Erfordernis einer redaktionellen, programmlichen Rechtfertigung keineswegs ein überkommenes, „veraltetes“ Merkmal der Schleichwerbung, welches mit dem Inkrafttreten des 13. RÄndStV als überholt anzusehen wäre. Im Gegenteil sind auch die unionsrechtlichen Bestimmungen, deren Umsetzung der Rundfunkstaatsvertrag dient, dahingehend zu verstehen, dass – in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Merkmal bei der Schleichwerbung – ein Produkt „zu stark herausgestellt“ ist, wenn es nicht durch redaktionelle Erfordernisse des Programms oder die Notwendigkeit der Darstellung der Lebenswirklichkeit gerechtfertigt ist. Werbeeffekte durch Produktplatzierung sind hiernach zwar zulässig, sie dürfen jedoch „nur beiläufig“ sein (vgl. auch Ladeur, in: Hahn/Vesting, a.a.O. § 7 Rn. 53d).
- 89
f) Das vorstehend dargelegte Verständnis des § 7 Abs. 7 Satz 2 Nr. 3 RStV liegt nach alledem im Übrigen auch zu Recht der Gemeinsamen Richtlinie der Landesmedienanstalten für die Werbung, die Produktplatzierung, das Sponsoring und das Teleshopping im Fernsehen (WerbeRL, hier in der Fassung vom 23. Februar 2010) zugrunde.
- 90
Gemäß Ziffer 4 Nr. 6 WerbeRL muss eine Produktplatzierung redaktionell gerechtfertigt sein, was dann der Fall ist, wenn das Produkt aus überwiegend programmlich-dramaturgischen Gründen in die Handlung oder den Ablauf integriert wird oder die Verwendung oder Darstellung des Produkts als Information zur Verdeutlichung des Inhalts der Sendung notwendig ist, wobei dem Produkt keine auffällige Stellung im Sendungsverlauf eingeräumt werden darf und die zu starke Herausstellung im Einzelfall anhand von Indizien (z.B. Art, Dauer und Intensität der Darstellung) festzustellen ist. Dieser Maßstab entspricht dem Ergebnis der Auslegung von § 7 Abs. 7 Satz 2 Nr. 3 RStV durch den Senat, so dass offen bleiben kann, ob der Gesetzgeber den Landesmedienanstalten zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „zu starken“ Herausstellung einen Beurteilungsspielraum und in § 46 RStV eine spezielle normative Ermächtigung für dessen Konkretisierung eingeräumt hat, mit der Folge, dass die WerbeRL – im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben – auch für das Gericht bindend wären (vgl. dazu Ladeur, in: Hahn/Vesting, a.a.O., § 46 Rn. 1 ff., Rn. 10 ff.).
- 91
2. An den vorstehenden Maßstäben gemessen verletzt die Platzierung von „H.“-Produkten in der Sendung vom 18. Mai 2011 das Verbot zu starker Herausstellung gemäß § 7 Abs. 7 Satz 2 Nr. 3 RStV.
- 92
Das redaktionelle Programm enthielt mit Blick auf die zwei Schaltungen zum „H. Männercamp-Haus“ zwei Komponenten: Zum einen ging es um die inhaltliche Vor- und Nachbereitung des Fußballspiels mit C. als Experten und zum anderen sollte die Einlösung des Sat.1 online-Gewinnspiels gezeigt werden. Weder die insgesamt fünfmalige mündliche Erwähnung von „H.“ – davon drei Erwähnungen in der ersten und zwei in der zweiten Schaltung –, noch die visuelle Darstellung konnten mit hieraus abgeleiteten redaktionellen Erfordernissen gerechtfertigt werden.
- 93
Die Vor- und Nachbereitung des Fußballspiels durch das Interview mit C. stand für sich genommen ersichtlich in keinem inhaltlichen Zusammenhang mit der Präsentation der H.-Produkte. Soweit es redaktionell darum ging, C. speziell vor dem Hintergrund eines Abends zu interviewen, bei dem nach dem Vortrag der Klägerin eine Fußballübertragung „‘männeraffin’ (d.h. mit Freunden Fußball schauen, grillen, Bier trinken)“ verfolgt wurde, vermag dies zwar die Einbeziehung von Bierflaschen oder das vereinzelte Tragen von Sweatshirts mit entsprechenden Logos zu rechtfertigen. Wie die Beklagte zutreffend in ihrem Bescheid vom 6. Dezember 2011 herausgearbeitet hat, kann die Situation des „Männerabends“ indessen nicht die umfangreiche Präsenz des „H.“-Logos auf den ersichtlich gezielt platzierten Bierflaschen, den Sweatshirts, den Biergläsern, der im Hintergrund zu sehenden Wand sowie dem Eiskübel begründen.
- 94
Auch mit der Darstellung der Einlösung des Preises des Sat.1-Gewinnspiels können diese überschießenden Werbeeffekte nicht gerechtfertigt werden. Insbesondere kann die Klägerin sich insoweit nicht auf die Notwendigkeit der Darstellung einer „Lebenswirklichkeit“ im „H. Männercamp-Haus“ berufen. Bei diesem Haus und dessen „Deutschlandtour“ handelt es sich um eine im Rahmen eines vorgelagerten Herstellungsprozesses künstlich erzeugte „Realität“, die ihrerseits gezielt zu Werbezwecken entwickelt wurde und daher nicht dazu dienen kann, die Grenzen zulässiger Produktplatzierung zu überwinden. Insoweit gilt, wie bereits dargelegt (s. oben unter I.1.d), dass die Rundfunkveranstalter und die werbetreibenden Unternehmen sich die eine Produktplatzierung rechtfertigende Wirklichkeit nicht selbst erschaffen können, um die gesetzlichen Vorgaben zur Begrenzung von Werbeeffekten zu umgehen.
- 95
Soweit sich die Klägerin schließlich auf die werbliche Vorbelastung der Übertragung von Fußballspielen beruft und geltend macht, Sportsendungen stellten ein Sendungsumfeld dar, welches stark durch Werbung geprägt sei, mit der Folge, dass Produktplatzierung in größerem Umfang zulässig sein müsse, vermag dies ebenfalls nicht zu überzeugen. Die hier in Rede stehende Platzierung von „H.“-Produkten fand gerade nicht in einem Teil der Sendung statt, welcher seinerseits durch andere Werbung vorbelastet war. Zudem speist sich das Argument der Klägerin im Wesentlichen aus dem Verweis auf „aufgedrängte“ Werbung (z.B. auf Banden oder Trikots der Fußballspieler), die der Rundfunkveranstalter – anders als bei der Produktplatzierung – nicht verhindern kann. Er wird deshalb für sie nicht zur Verantwortung gezogen; spiegelbildlich hierzu kann er sich auf sie aber auch nicht berufen (vgl. dazu bereits OVG RP, Urteil vom 17. Dezember 2008 – 2 A 10327/08.OVG –, AS 37, 103 [110]).
- 96
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
- 97
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO und § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung.
- 98
Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
- 99
Beschluss
- 100
Der Wert des Streitgegenstandes wird zugleich auch für das erstinstanzliche Verfahren auf 75.000 € festgesetzt (§§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 63 Abs. 3 GKG).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20. März 2012 geändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) wird zu Ziff. 1 und Ziff. 2 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen trägt die Beklagte.
Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger wendet sich gegen eine Beanstandungs- und Untersagungsverfügung der Beklagten nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) wegen des von ihm unter der Domain www.media-bloed.de verbreiteten satirischen Angebots. Diese erging im Zusammenhang mit seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan und den dabei (jedenfalls im Jahr 2010) gezeigten – mittlerweile nicht mehr aufrufbaren – Bildern. Es handelte sich dabei um fünf in Farbe gezeigte Bilder, die jeweils mit der Überschrift „Bundeswehr Blut stinkt nicht“ versehen waren, linksseitig den Text „Offensive für Kampfeinsätze in Afghanistan“ und unten den Zusatz „Deutsche Soldaten, die schöneren Leichen!“ aufführten. Das erste Bild zeigte ausschnittsweise einen mit Hemd und Hose bekleideten menschlichen Körper mit erheblichen Verletzungen am Oberkörper und einem abgerissenen linken Bein mit überwiegend freiliegendem Oberschenkelknochen. Darunter befand sich der Text:
3„Mach mit bei der Kampagne der Offensive für Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan, mit dem Motto: Deutsche Soldaten - die schöneren Leichen!
4Lange genug haben die anderen Nato Staaten deutsche Kampfeinsätze verschmäht, und warum eigentlich? Ist das Blut deutscher Soldaten etwa nicht gut genug? Mit dieser schäbigen Diskriminierung deutschen Kanonenfutters muß jetzt endlich Schluß sein, fordern nicht nur deutsche Generäle und Politiker, nein, sozusagen in Tateinheit mit den gleichgeschalteten Medien fordert es auch der Souverän, das deutsche Volk, und Luft und Äther füllen sich mit dem Schrei aus Millionen Kehlen: ‚Bundeswehr Blut stinkt nicht!‘
5Und laßt euch bloß nicht von den Weicheiern und Warmduschern verarschen, die darüber klagen, daß deutsche Soldaten sterben werden! Der deutsche Soldat stirbt gern, dafür wurde er schließlich ausgebildet und bezahlt, und das freiwillig, von niemandem gezwungen außer seiner vorbildlichen Aufopferungsbereitschaft für das deutsche Volk einerseits und jeden noch so fragwürdigen Beschluß der Nato andererseits.
6Denn das ist die wahre Tugend des deutschen Soldaten und auch die eines jeden treuen Untertanen der hochdeutschen Verwaltung: Er fragt nicht nach dem Sinn von Verordnungen, sondern befolgt sie und stirbt, wenn es befohlen ist.“
7Nachfolgend wurden vier Bilder ohne weiteren Text gezeigt: Menschliche Beine vor dem Hintergrund einer Plastikplane; das eine Bein war zerfetzt; es fehlten Fleischteile des Oberschenkels, so dass ein Knochen zu sehen war; der Fuß war vom Bein getrennt und unten im Bild gezeigt. Ein Bild zeigte einen Torso; der Kopf war vom Körper getrennt; die Arme waren nicht zu sehen. Ein weiteres Bild zeigte eine mumifizierte Leiche, auf dem Rücken liegend; der Unterkörper war nicht zu sehen. Das letzte Bild zeigte den Kopf und Teile des Oberkörpers einer Brandleiche. Alle Bilder ließen sich durch einen Klick vergrößern (von ca. 8 x 12 cm auf ca. 14 x 20 cm).
8Unter dem 21. Januar 2010 wandte sich jugendschutz.net wegen dieser dort als „tasteless-Bilder“ eingestuften Darstellungen per E-mail an den Kläger und bat unter Hinweis darauf, dass die Organisation einige Bilder unter Jugendschutzgesichtspunkten für besonders bedenklich halte, um Prüfung, ob es weiterhin für erforderlich gehalten werde, diese drastischen Darstellungen zu präsentieren. Der Kläger äußerte sich ablehnend. Die Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten (KJM) legte daraufhin die Stellungnahme von jugendschutz.net und eine Bildschirmkamera-Aufzeichnung (Software Camtasia) der am 1. März 2010 durchgeführten Sichtung des Angebots www.media-bloed.de der Beklagten und wies auf die Prüfung in einer der nächsten Präsenzprüfungen der KJM hin. Zum Zeitpunkt der Sichtung war auf der Domain des Klägers Werbung („Google-Anzeigen“) geschaltet.
9Eine Prüfgruppe der KJM für Telemedien bejahte in einer Präsenzprüfung am 21. April 2010 nach Live-Sichtung mit einem Abstimmungsergebnis von 3:2 einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV (entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte) sowie mit einem Abstimmungsergebnis von 5:0 einen Verstoß gegen § 7 JMStV (fehlender Jugendschutzbeauftragter).
10Hiervon setzte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 18. August 2010 in Kenntnis und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers kündigte eine Stellungnahme bis spätestens zum 30. September 2010 an, die ausblieb. Parallel wurde von der Beklagten ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Kläger eingeleitet, in dem der Kläger Anfang Dezember 2010 eine Stellungnahme abgab.
11Nach weiterer Sichtung des Angebots am 1. Oktober 2010 – auch zu diesem Zeitpunkt war auf www.media-bloed.de Werbung geschaltet – hatte die Beklagte der KJM unter dem 22. Oktober 2010 ihre Beschlussempfehlung vom 13. September 2010 übersandt, das Internetangebot medienrechtlich zu beanstanden und den Verstoß gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag zukünftig zu untersagen. Eine erneute Sichtung am 16. November 2010 hatte ergeben, dass die Seite offline gestellt war.
12In der Sitzung vom 15. Dezember 2010 entschied die KJM im Plenum – im Wesentlichen der Beschlussvorlage folgend – einstimmig, es lägen Verstöße gegen § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 Satz 2 JMStV sowie § 7 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV, vor und stellte ferner fest, dass gegenüber dem Anbieter gemäß § 20 Abs. 1 und 4 JMStV sowie § 24 Abs. 1 Nr. 4 JMStV i. V. m. § 59 Abs. 3 RStV eine Beanstandung auszusprechen sei und der Verstoß zukünftig untersagt werde.
13Bei einer weiteren Sichtung des Angebots durch die Beklagte am 28. Dezember 2010 war die Internetseite mit den oben genannten Bildern wieder aufrufbar; Werbung fand sich jedoch nicht mehr.
14Mit Bescheid vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) entschied die Beklagte, (Ziff. 1.) das von dem Kläger verbreitete Angebot www.media-bloed.de verstoße gegen § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV und § 7 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV. Dies werde medienrechtlich beanstandet (§ 20 Abs. 1 und 4 JMStV i. V. m. § 59 Abs. 3 RStV). Dem Kläger wurde untersagt, das genannte Angebot in dieser Fassung weiter zu verbreiten. Ferner (Ziff. 2.) entschied die Beklagte, dass der Kläger in Zukunft seine Verpflichtungen nach § 5 Abs. 1 JMStV erfülle, wenn er dafür Sorge trage, dass Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren die problematischen Inhalte üblicherweise nicht wahrnähmen. Dies könne gemäß § 5 Abs. 3 und 4 JMStV durch die Begrenzung der Sendezeit oder die Vorschaltung eines technischen oder sonstigen Schutzes geschehen. Darüber hinaus bleibe dem Kläger auch die Möglichkeit, alle entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte von seinem Angebot zu entfernen. Weiter (Ziff. 3.) wurde dem Kläger aufgegeben, für sein Angebot einen Jugendschutzbeauftragten im Sinne von § 7 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV zu bestellen. Die Kosten (Gebühren und Auslagen) habe der Kläger zu tragen (Ziff. 4.). Für den Bescheid erhob die Beklagte eine Verwaltungsgebühr in Höhe von insgesamt 1.000,00 Euro. In der Begründung beschrieb die Beklagte u.a. vier der unter der Überschrift „Bundeswehr Blut stinkt nicht“ gezeigten Bilder nebst den zu diesen Bildern führenden Pfaden, legte die Einschätzung zur Entwicklungsbeeinträchtigung dar und führte weiter aus: Angebote der Satire und der Parodie unterfielen dem Schutz der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Gemäß Art. 5 Abs. 2 GG finde dieses Recht seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Die notwendige Güterabwägung zwischen der Forderung nach umfassendem Grundrechtsschutz und dem verfassungsrechtlich herausgehobenen Interesse an einem effektiven Jugendschutz falle vorliegend zu Lasten der Meinungsfreiheit und somit zu Lasten des Angebots des Klägers aus. Zu beachten sei dabei gewesen, dass die kritische Auseinandersetzung mit dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan an sich nicht beanstandet werde. Die Beanstandung richte sich ausschließlich gegen die beschriebenen Darstellungen, welche in ihrer Menge und der Möglichkeit der Vergrößerung nicht notwendig seien, um die satirische Aussage zu verdeutlichen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Darstellungen in der vergrößerten Ansicht in keinem Kontext zu den kritischen und satirischen Aussagen stünden. Soweit das Angebot unter den Schutz der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG falle, finde es seine Schranken in kollidierendem Verfassungsrecht. Der Jugendschutz sei ein verfassungsrechtlich geschütztes Gut. Die Abwägung zwischen den kollidierenden Verfassungsgütern falle ebenfalls zu Lasten der Kunstfreiheit aus. Insbesondere sei die Beanstandung der beschriebenen Darstellung verhältnismäßig. Wie bereits erwähnt, seien die Menge der Bilder sowie die Möglichkeit der Vergrößerung nicht notwendig, um die satirische Aussage zu verdeutlichen. Die Gebührenfestsetzung beruhe auf der gesetzlichen Grundlage des § 35 Abs. 11 Rundfunkstaatsvertrag i. V. m. der entsprechenden Kostensatzung.
15In dem auf dem gleichen Sachverhalt gründenden Ordnungswidrigkeitenverfahren erließ die Beklagte nach Anhörung des Klägers und Entscheidung der KJM im Februar 2011 einen Bußgeldbescheid, in dem sie ein Bußgeld von 3500,00 Euro wegen des Verstoßes gegen § 5 JMStV und von 350,00 Euro für den Verstoß gegen § 7 JMStV gegen den Kläger verhängte. Dieses Ordnungswidrigkeitenverfahren ist nach dem Einspruch des Klägers beim Amtsgericht Düsseldorf wegen Verfolgungsverjährung mittlerweile eingestellt worden.
16Der Kläger hat am 29. Januar 2011 gegen den Bescheid vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) Klage erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen: Das Angebot sei nicht geeignet, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu beeinträchtigen. Zunächst komme weder der KJM noch der Beklagten ein Beurteilungsspielraum zu, inwieweit ein Angebot im Sinne von § 5 Abs. 1 JMStV geeignet sei, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu beeinträchtigen. Dies sei vielmehr von den Gerichten uneingeschränkt zu überprüfen. Es liege auf der Hand, dass gerade bei politischen Abbildungen und Texten das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG in besonderer Weise zu berücksichtigen sei. Hinzu komme, dass das Grundgesetz in mehrfacher Hinsicht eine Friedenspflicht enthalte. Dem habe der Gesetzgeber u.a. durch das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte Rechnung getragen. Bei seiner Veröffentlichung gehe es gerade nicht um die Verherrlichung des Krieges, sondern um die Warnung vor einem solchen. Dabei bediene er sich sowohl einer satirischen Textsprache als auch einer Bebilderung. Sein Werk sei damit sowohl von der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG als auch durch die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Ein Eingriff in diese Rechte bedürfe einer umfassenden Abwägung, die sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen lasse. Umgekehrt stelle es sich als jugendgefährdend dar, wenn der Krieg verharmlost werde und in der Öffentlichkeit durch Hochglanzbilder von Soldaten bei Kindern und Jugendlichen ein unzutreffendes Bild vom Krieg vermittelt werde. Gerade Jugendliche würden durch eine derartige Werbung der Bundeswehr angesprochen, da in dieser Gruppe der Nachwuchs rekrutiert werden solle. Erinnert werde in diesem Zusammenhang auch an das Buch „Krieg dem Kriege“ des Pazifisten und Anarchisten Ernst Friedrich. Dieses Buch prangere auf ähnliche Weise wie er den Krieg mit Bildern des Krieges und Untertiteln an. Das Buch sei ohne weiteres im Buchhandel erhältlich und auch Jugendlichen zugänglich. Soweit Anstoß genommen werde an Bildern verbrannter Leichen – die übrigen Bilder seien unschwer als unrealistische Nachbildung erkennbar –, empfehle sich ein Blick in die Schulbücher. Im Hinblick auf den Vulkanausbruch bei Pompeji würden vielfach Bilder auch in Schulbüchern verbreitet, die Opfer des Vulkanausbruchs zeigten und seinen Bildern zum Verwechseln ähnlich seien.
17In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger u.a. erklärt, er habe die Bilder im Hinblick auf das Ordnungswidrigkeitsverfahren mittlerweile entfernt. Die früher auf seiner Website über Google geschaltete Werbung habe Google nach Beschwerden über seine Seite entfernt. Ziff. 3. des angefochtenen Bescheides hat die Beklagte daraufhin aufgehoben. Insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
18Der Kläger hat beantragt,
19den Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) in der Fassung der Erklärung in der mündlichen Verhandlung vom 20. März 2012 aufzuheben.
20Die Beklagte hat beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 20. März 2012 die Kostenentscheidung und die Gebührenfestsetzung in den Ziff. 4 und 5 des angegriffenen Bescheides aufgehoben und im Übrigen (Ziff. 1 und 2) die Klage abgewiesen. Die in Ziff. 1 des Bescheides erfolgte Beanstandung des Internet-Angebotes des Klägers im Hinblick auf einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und Abs. 4 sowie § 7 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und Abs. 4 JMStV und die Untersagung, das Angebot in dieser Fassung weiter zu verbreiten, seien wie die Vorgabe in Ziff. 2 rechtmäßig. Insbesondere sei die Regelung in Ziff. 1 ausreichend bestimmt im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG NRW, da sich unpräzise Formulierungen im Verfügungssatz („in dieser Fassung“) unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Begründung, die Beanstandung beziehe sich allein auf die im Einzelnen beschriebenen Bilder, in klarer Weise auslegen ließen. Das Verwaltungsgericht hat die inhaltliche Einschätzung der KJM zur Eignung des Angebots des Klägers zur Entwicklungsbeeinträchtigung von Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren, welches es als sachverständige Äußerung ohne Beurteilungsspielraum einordnet, geteilt, weil insbesondere die Gefahr bestehe, dass diese Gruppe von Minderjährigen nicht in der Lage sei, die Bilder als Satire zu erkennen. Der Verweis auf das in Bibliotheken und im Buchhandel frei erhältliche Buch „Krieg dem Kriege“ greife nicht zu Gunsten des Klägers durch, da – ungeachtet der Frage der Vergleichbarkeit der Bilder – der Zugriff durch das Internet deutlich höhere Risiken der Wahrnehmung durch Minderjährige begründe. Die Bezugnahme auf in Schulbüchern vorhandene Abbildungen zur Vulkankatastrophe in Pompeji sei nicht vergleichbar, weil es dort um gefertigte Nachbildungen der Opfer gehe und so der unmittelbare Realitätsbezug fehle. Maßgeblich sei für die Bewertung der Bilder der Eindruck des kindlichen oder jugendlichen Betrachters, weshalb das Vorbringen des Klägers, es handele sich um unschwer erkennbare unrealistische Nachbildungen, unerheblich sei; ein solcher Betrachter werde die Bilder für echt halten. Das Nachrichtenprivileg des § 5 Abs. 6 JMStV lasse den Verstoß nicht entfallen, denn ein rechtliches Interesse gerade an der gewählten Form der Darstellung mit der beanstandeten Menge von unkommentiert aneinandergereihten Bildern und der Möglichkeit der Vergrößerung bestehe nicht. Die Eingriffe in die Grundrechte des Klägers (Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 GG, sowie Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG) seien durch die Berücksichtigung des Verfassungsgutes Jugendschutz gerechtfertigt, wobei die Regelungen in § 5 Abs. 3 bis Abs. 5 JMStV für den verhältnismäßigen Ausgleich der Verfassungsgüter sorgten; hierdurch bleibe die Ausübung von Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit möglich, unter gleichzeitiger Wahrung des Jugendschutzes. Die so erfolgte Einschränkung dieser Grundrechte sei verhältnismäßig und auch ansonsten ermessensfehlerfrei. Die Feststellung eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten nach § 7 JMStV sei zulässig, da der Kläger in der Vergangenheit durch Schaltung von Anzeigen auf der Domain Einkünfte erzielt und damit geschäftsmäßig gehandelt habe. Selbst wenn dies jetzt nicht mehr der Fall sei, sei eine Beanstandung möglich.
23Die Kostenentscheidung und die Gebührenfestsetzung in Ziff. 4 und 5 des angegriffenen Bescheides seien rechtswidrig. § 35 Abs. 11 Rundfunkstaatsvertrag (RStV) i. V. m. der Kostensatzung sei ebenso wenig anwendbar wie § 116 Abs. 2 Landesmediengesetz (LMG) NRW i. V. m. der entsprechenden Gebührensatzung.
24Der Kläger und die Beklagte haben die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt.
25Zur Begründung seiner Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend: Die im angegriffenen Bescheid getroffenen Regelungen in Ziff. 1 und 2 seien schon nicht hinreichend bestimmt, da die Beanstandung sich auf „das vom Kläger verbreitete Internetangebot www.media-bloed.de“ und die Untersagung auf „das genannte Angebot in dieser Fassung“ sowie Ziff. 2 auf „die problematischen Inhalte“ beziehe. Es sei auch nicht durch Berücksichtigung der Begründung ein bestimmter Inhalt feststellbar, da die beschriebenen Bilder nur als Beispiele angeführt würden und zudem auch durch weitere Passagen der Begründung keine Klarheit geschaffen werde. Es bleibe unklar, ob nur Darstellungen in Bildform oder auch solche mit Text beanstandet würden, sowie ob es ausreiche, die Möglichkeit der Vergrößerung nicht mehr vorzusehen. Damit bleibe unklar, was ihm eigentlich habe verboten werden sollen.
26Weiter stehe der KJM weder ein Beurteilungsspielraum zu noch habe deren Feststellung den Charakter einer sachverständigen Äußerung; dies ergebe sich schon aus den Abstimmungsergebnissen in der Prüfgruppe, die in Bezug auf § 5 JMStV einen Verstoß nur mit 3:2 Stimmen festgestellt habe. Weiter bestehe keine Gefahr der Entwicklungsbeeinträchtigung, da Kinder und Jugendliche die Satire auf der Seite des Klägers eindeutig erkennen könnten. Zudem rechtfertige § 5 Abs. 6 JMStV die Art der konkreten Darstellungen, da gerade diese zur Erreichung der Zwecke des Klägers wichtig seien, um die beabsichtigte abschreckende Wirkung in Bezug auf die Gefahren und Folgen von Kriegen zu erzielen. Ähnlich wie der Pazifist Ernst Friedrich mit dem Buch „Krieg dem Kriege“ habe auch Bertolt Brecht in der von ihm veröffentlichten „Kriegsfibel“ seine Gedichte gegen den Krieg mit Bildern von Kriegsfolgen und Kriegsopfern verknüpft. In vergleichbarer Weise stelle sich das beanstandete Angebot des Klägers dar. Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruhe auf einer Verkennung der Reichweite der Gewährleistungen von Art. 5 Abs. 1 und 5 Abs. 3 GG.
27Der Kläger beantragt,
28das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20. März 2012 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen
29sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
30Die Beklagte beantragt,
31das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20. März 2012 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen
32sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
33Zur Berufung des Klägers führt sie im Wesentlichen aus: Der angegriffene Bescheid sei hinreichend bestimmt, da für den Kläger unter Berücksichtigung des Inhalts des Bescheides und der Nennung der einzelnen Bilder habe klar sein müssen, was beanstandet werde. Der Aufbau des Bescheides und die Technik der Tenorierung sei bisher von nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichten in Bezug auf die Bestimmtheit nicht in Zweifel gezogen worden. Die Feststellung einer Entwicklungsbeeinträchtigung sei vom Gericht nicht mehr zu überprüfen, da der KJM hinsichtlich der Jugendgefährdung ein Beurteilungsspielraum zustehe. Auch ohne einen solchen sei es jedoch eine sachverständige Äußerung, die durch das Vorbringen des Klägers nicht erschüttert sei. Weiter könne die als Ausnahmevorschrift eng auszulegende Regelung in § 5 Abs. 6 JMStV dem Kläger nicht weiterhelfen, da – abgesehen von der zweifelhaften Einordnung als „vergleichbares Angebot“ im Sinne der Vorschrift – kein berechtigtes Interesse gerade an der gewählten Art der Darstellung feststellbar sei. Eine Beschränkung der Untersagung auf die Möglichkeit der Vergrößerung der Bilder sei nicht ausreichend, da diese alleine den Verstoß nicht begründe, sondern verstärke.
34Zur Begründung ihrer eigenen Berufung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor: Die vom Verwaltungsgericht aufgehobene Kostenentscheidung sowie die Gebührenfestsetzung gegen den Kläger lasse sich auf § 35 Abs. 11 RStV i. V. m. der RStV-Kostensatzung (Gebührenverzeichnis Ziff. IV.8.) stützen. Die systematische Stellung von § 35 Abs. 11 RStV im III. Abschnitt des Rundfunkstaatsvertrages stehe dem im Ergebnis nicht entgegen. Dies ergebe sich aus der Gesetzgebungsgeschichte sowie der gesetzgeberischen Absicht, welche hinter der Vorschrift stünde. In der Vergangenheit seien Gebühren für Maßnahmen der Landesmedienanstalten in Zusammenarbeit mit der KJM nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag gegenüber Anbietern von Telemedien auf der Grundlage von § 14 Abs. 9 JMStV i. V. m. der früheren KJM-Kostensatzung erfolgt. Durch den Zehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag sei § 14 Abs. 9 JMStV jedoch gestrichen worden und § 35 RStV habe seine heutige Gestalt erhalten. Nach der Begründung hierzu aus dem zum Erlass des Änderungsstaatsvertrages führenden Verfahren sollten „die bisherigen Bestimmungen über die Kommission für Jugendmedienschutz in § 14 Abs. 8 bis 10, die die Finanzierung und Personalausstattung sowie den Sitz der KJM betrafen, (…) nunmehr in § 35 des Rundfunkstaatsvertrags enthalten“ sein. Diese Einschätzung werde auch durch die Formulierungen in der RStV-Kostensatzung bestätigt, die z.B. in Ziff. IV.8. des Gebührenverzeichnisses so allgemein gehalten seien, dass sie auch Maßnahmen gegenüber Anbietern von Telemedien umfassen könnten. Unabhängig hiervon könne die Gebührenerhebung auch auf § 116 Abs. 2 LMG NRW i. V. m. der LfM-Gebührensatzung gestützt werden, da Ziff. 11 des Kostenverzeichnisses zu dieser Gebührensatzung mit dort genannten „Maßnahmen gegenüber Anbietern von lokalen, regionalen oder landesweiten Angeboten aufgrund des JMStV“ die Erfassung von bundesweiten Angeboten nicht ausschließe. Selbst wenn man dies anders sehe, sei eine Gebührenfestsetzung aufgrund des Auffangtatbestandes in § 2 Abs. 2 der LfM-Gebührensatzung nicht nach der Rechtsprechung des 9. Senats des Oberverwaltungsgerichts NRW zu dem Auffangtatbestand in der Tarifstelle 30.5 AGT ausgeschlossen, da die Fallkonstellationen nicht vergleichbar seien. Für den Kläger sei es nicht überraschend gewesen, dass er aufgrund des streitgegenständlichen, ihn belastenden Bescheides auch einer Gebührenerhebung ausgesetzt werde.
35Der Kläger verteidigt mit ins Einzelne gehenden Ausführungen zu Wortlaut, Systematik, Gesetzgebungsgeschichte und Absicht des Gesetzgebers die angegriffene Entscheidung zu Ziff. 4 und 5 des Bescheides der Beklagten.
36Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten und die Akte des Amtsgerichts Düsseldorf 302 OWi 204/11 zum Ordnungswidrigkeitenverfahren Bezug genommen. Im Verwaltungsvorgang befinden sich Datenträger, die Bildschirmkamera-Aufzeichnungen zu den bei jugendschutz.net, durch die Prüfgruppe der KJM sowie bei der Beklagten erfolgten Sichtungen der Domain www.media-bloed.de vom 1. März 2010, 21. April 2010, 1. Oktober 2010 und 28. Dezember 2010 enthalten.
37Entscheidungsgründe:
38Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet (A.). Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet (B.)
39A. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht in Bezug auf Ziff. 1 und Ziff. 2 des Bescheides der Beklagten vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) abgewiesen. Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Diese Regelungen sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
40I. Als Rechtsgrundlage der in Ziff. 1 des angegriffenen Bescheides enthaltenen Feststellung und Beanstandung von Verstößen des vom Kläger verbreiteten Internetangebotes www.media-bloed.de gegen § 5 und § 7 des Staatsvertrages über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – JMStV), der hieran anknüpfenden Untersagung der künftigen Verbreitung des Internet-Angebots und der in Ziff. 2 getroffenen Maßnahme kommt allein § 20 Abs. 1, Abs. 4 JMStV i. V. m. § 59 Abs. 3 des Staatsvertrages für Rundfunk und Telemedien (Rundfunkstaatsvertrag – RStV) in Betracht. Auf diese Grundlage hat die Beklagte die Maßnahmen im Bescheid auch gestützt.
41Gemäß § 20 Abs. 1 JMStV trifft die zuständige Landesmedienanstalt die erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Anbieter, wenn sie feststellt, dass ein Anbieter gegen die Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages verstoßen hat. Für Anbieter von Telemedien trifft nach § 20 Abs. 4 JMStV die zuständige Landesmedienanstalt die jeweilige Entscheidung durch die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) entsprechend § 59 Abs. 2 bis 4 RStV unter Beachtung der Regelungen zur Verantwortlichkeit nach den §§ 7 bis 10 Telemediengesetz (TMG).
42Nach § 59 Abs. 3 RStV gilt: Stellt die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde einen Verstoß gegen die Bestimmungen fest, trifft sie die zur Beseitigung des Verstoßes erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Anbieter (Satz 1). Sie kann nach Satz 2 insbesondere Angebote untersagen und deren Sperrung anordnen.
43II. Die hier mit Ziff. 1 und Ziff. 2 des Bescheides getroffenen Maßnahmen können dem Grunde nach auf diese Vorschriften gestützt werden. Neben der in § 59 Abs. 3 Satz 2 RStV ausdrücklich geregelten Untersagung von Angeboten gilt dies auch für die Feststellung und Beanstandung eines Verstoßes, was als einheitliche Maßnahme einer Beanstandung zu verstehen ist.
44Die Beanstandung ist – auch wenn sie anders als die Untersagung oder Sperrung von Angeboten weder in § 20 Abs. 1, Abs. 4 JMStV noch in § 59 Abs. 2 bis Abs. 4 RStV ausdrücklich erwähnt ist – im Grundsatz eine nach diesen Vorschriften zulässige und in der Praxis der Medienaufsicht gängige Maßnahme gegenüber Angeboten im Bereich der Telemedien bei Verstößen gegen Vorschriften des Jugendmedienschutzes oder des Rundfunkstaatsvertrages. Auch wenn sie in § 59 Abs. 3 Satz 2 RStV nicht genannt ist, ist die dortige Aufzählung schon nach dem Wortlaut („insbesondere“) nicht abschließend. Es handelt sich bei der Beanstandung um einen feststellenden Verwaltungsakt mit Eingriffscharakter, durch den ein Rechtsverstoß förmlich festgestellt und missbilligt wird.
45Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 6 B 1.14 –, NVwZ 2014, 1594 ff. = juris Rn. 20; Liesching/Schuster, Jugendschutzrecht, 5. Aufl., 2011, § 20 JMStV Rn. 4, 33; Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl., 2015, § 20 JMStV Rn. 22; ohne dies zu problematisieren: OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 13. November 2014 – OVG 11 B 10.12 –, juris Rn. 61 f.; Bay. VGH, Urteile vom 19. September 2013 – 7 B 12.2358 –, DVBl. 2014, 108 ff. = juris, und – 7 B 13.196 –, juris; VG Hamburg, Urteil vom 21. August 2013 – 9 K 1879/12 –, juris Rn. 24, 45; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 16. Dezember 2009 – 14 K 4086/07 –, juris Rn. 30.
46Eine Beanstandung kann – auch ohne die damit häufig verbundene Untersagung unzulässiger Angebote oder Inhalte – insbesondere im Bereich sich schnell oder häufig verändernder Angebote bzw. nur für kurze Zeit vorhandener und deshalb im Zeitpunkt der Beschlussfassung der KJM bzw. des Erlasses einer Maßnahme durch eine Landesmedienanstalt (LMA) bereits nicht mehr gegebener bzw. beendeter Verstöße (wie sie im Bereich der Telemedien nicht selten sind) sinnvoll sein. Sie ist auch bei in der Vergangenheit liegenden Verstößen – wie hier – möglich, jeweils unter der Voraussetzung, dass ihr Zweck noch erreicht werden kann.
47VG Hamburg, Urteil vom 21. August 2013, a. a. O., Rn. 27, 45; VG Karlsruhe, Urteil vom 25. Juli 2012 – 5 K 3496/10 –, MMR 2013, 134 ff. = juris Rn. 41 f.; VG Neustadt/Weinstraße, Urteil vom 23. April 2007 – 6 K 1243/06.NW –, MMR 2007, 678 f. = juris Rn. 22.
48Ziff. 1 und Ziff. 2. des Bescheides vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) sind hingegen formell (1.) und materiell rechtswidrig (2.).
491. Ziff. 1 und Ziff. 2 des angegriffenen Bescheides sind formell rechtswidrig, weil es an der den Anforderungen des § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV entsprechenden Begründung der zu Grunde liegenden Entscheidung der KJM fehlt.
50Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 JMStV sind die Beschlüsse der KJM zu begründen. In dieser Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen (Satz 4). Die Beschlüsse der KJM sind gegenüber den anderen Organen der zuständigen Landesmedienanstalt bindend und deren Entscheidungen zu Grunde zu legen (Sätze 5 und 6).
51a. Bei der Auslegung dieser Vorschriften und zur Ermittlung der Anforderungen an das Begründungserfordernis nach § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV ist das nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag spezifisch ausgestaltete Verhältnis der Landesmedienanstalten und der KJM in den Blick zu nehmen. Danach ist bei der Aufsicht über Telemedien-Angebote die inhaltliche Entscheidung über die Vereinbarkeit von Telemedien-Angeboten mit dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag und die bei Verstößen zu treffenden Maßnahmen allein der KJM – als Organ der Landesmedienanstalt – zugewiesen (vgl. §§ 14 Abs. 2 Satz 2, 16 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 4 JMStV). Die zuständige Landesmedienanstalt organisiert für die inhaltliche Entscheidung der KJM das Verfahren, ermittelt den Sachverhalt und setzt die Entscheidung der KJM, an die sie inhaltlich und nach der Begründung gebunden ist, nach außen gegenüber dem Anbieter um (§ 17 Abs. 1 Sätze 5 und 6 JMStV).
52Zudem sind die hinter dem Erfordernis der Begründung der KJM gemäß § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV stehenden Zwecke zu berücksichtigen. Das Begründungserfordernis dient zum einen objektiven Zwecken: Es soll die KJM dazu anhalten, den von ihr zu beurteilenden Sachverhalt sorgfältig zu ermitteln und diesen unter Berücksichtigung des Vorbringens des Anbieters in jugendschutzrechtlicher Hinsicht selbst sachverständig zu bewerten. Weiter dient die Begründung der Klarheit für die anderen Organe der zuständigen Landesmedienanstalt, weil diese an die Beschlüsse der KJM gebunden sind und sie einschließlich der Begründung ihrer Entscheidung zu Grunde zu legen haben. Zugleich dient die Begründung aber auch den Rechten der Anbieter von Telemedien. Das Begründungserfordernis für die KJM wurde ausdrücklich mit Blick auf die (Grund-) Rechte der Betroffenen, die eventuell gegen eine abschließende Entscheidung Rechtsschutz in Anspruch nehmen wollen, in den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag aufgenommen. Der Betroffene bedarf der Begründung, da er ohne Kenntnis der Gründe, auf die die KJM ihre Entscheidung stützt, ein gerichtliches Verfahren nicht sinnvoll führen kann. Die Anbieter haben Anspruch darauf, dass die KJM ihren Beschluss nach ausreichender Kenntnisnahme des zu beurteilenden Angebotes unter Bekanntgabe ihrer wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen begründet. Fehlt eine solche Begründung, schlägt dies auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der zuständigen Landesmedienanstalt durch.
53Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 19. September 2013– 7 B 12.2358 –, a. a. O., Rn. 29 ff.
54Unter Berücksichtigung der Bedingungen der Praxis der Medienaufsicht, des vielfach komplexen und umfangreichen Charakters dieser Prüfungsverfahren sowie der Gegebenheiten einer Gremienentscheidung wird einhellig für die Begründung des Beschlusses der KJM als ausreichend angesehen, wenn diese der von der zuständigen Landesmedienanstalt vorgelegten Beschlussvorlage einschließlich einer darin enthaltenen Begründung des vorgeschlagenen Beschlusses durch Bezugnahme zustimmt. Dann müssen eine solche Bezugnahme bzw. Verweisung und der Wille, sich die Begründung der Beschlussvorlage zu eigen zu machen, aus der Niederschrift über den Beschluss der KJM oder aus sonstigen Unterlagen klar und unmissverständlich hervorgehen.
55Vgl. OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 13. November 2014, a. a. O., Rn. 83 f.; Bay. VGH, Urteil vom 19. September 2013 – 7 B 12.2358 –, a. a. O., Rn. 26; VG Hannover, Urteil vom 8. Juli 2014– 7 A 4679/12 –, juris Rn. 56.
56Zudem kann nur dann die Bezugnahme der KJM auf eine Beschlussvorlage der Landesmedienanstalt deren eigene Begründung ersetzen, wenn diese Beschlussvorlage überhaupt eine Begründung für den Beschlussvorschlag enthält und diese Begründung ihrerseits klar und unmissverständlich ist. An letzterem Erfordernis kann es dann fehlen, wenn die Beschlussvorlage wiederum auf andere Vorlagen der Landesmedienanstalt, die Prüfempfehlung der Prüfgruppe der KJM oder sonstige Schriftstücke Bezug nimmt. In diesem Fall besteht nämlich die Gefahr, dass nicht mehr hinreichend eindeutig ist, was die Begründung der Entscheidung der KJM sein soll. Deshalb geht eine verbreitete Auffassung davon aus, dass eine Begründung für einen Beschluss der KJM nicht ausreichend ist, wenn sich diese allein im Wege einer „Kettenverweisung“ ermitteln lässt.
57Vgl. OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 13. November 2014, a. a. O., Rn. 84; Bay. VGH, Urteil vom 19. September 2013 – 7 B 12.2358 –, a. a. O., Rn. 26; VG Berlin, Urteil vom 3. Mai 2012 – 27 A 341.06 –, juris Rn. 32 f. (fehlende Entscheidung in der Beschlussvorlage); differenzierend VG Hannover, Urteil vom 8. Juli 2014, a. a. O., juris Rn. 58.
58Unter Berücksichtigung der Zwecke einer Begründung des Beschlusses der KJM ist nach Auffassung des Senats eine Bezugnahme auf eine Beschlussvorlage im Grundsatz zulässig, wenn dadurch eine klare und unmissverständliche Begründung des Beschlusses zu Stande kommt. Eine Kettenverweisung wird diesen Maßstäben in der Regel nicht gerecht, weil mehrere Schritte erforderlich sind, um die in Bezug genommene „gemeinte Begründung“ zu ermitteln und hierbei die unmissverständliche Klarheit typischerweise fehlt. Die Bezugnahme muss dem Beschluss der KJM (Plenum oder Prüfausschuss) oder dem diesen enthaltenden Protokoll aber durch eindeutige Formulierungen zu entnehmen sein. Allein der Umstand, dass der Beschluss seinem Inhalt nach der in der Beschlussvorlage vorgeschlagenen Entscheidung entspricht, reicht nicht aus.
59b. Hiervon ausgehend fehlt es bei dem Beschluss (des Plenums) der KJM vom 15. Dezember 2010 in München über die Domain www.media-bloed.de an einer § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV genügenden Begründung. Dies macht Ziff. 1 und 2 des Bescheides – einschließlich der Beanstandung eines Verstoßes gegen § 7 JMStV – formell rechtswidrig.
60Auf jenen Beschluss – und nicht die „Entscheidung“ der Prüfgruppe der KJM vom 21. April 2010 – kam es an, weil das Ergebnis der 28. Präsenzprüfung Telemedien durch eine Prüfgruppe am 21. April 2010 in Hannover nicht die zu begründende Entscheidung „der KJM“ im Sinne von § 17 Absatz 1 Sätze 3 und 4 JMStV darstellt. Die Prüfgruppen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag überhaupt nicht vorgesehen. Sie haben sich zur Entlastung des Plenums der KJM und der durch den Staatsvertrag in § 14 Abs. 5 JMStV geregelten Prüfausschüsse in der Praxis herausgebildet, sind in § 9 der Geschäfts- und Verfahrensordnung der KJM (GVO-KJM) geregelt und werden als Arbeitseinheit ohne Entscheidungsbefugnis anerkannt. Die Ergebnisse der Prüfgruppen, insbesondere deren sog. Prüfempfehlungen, haben rechtlich keine Bedeutung und binden insbesondere nicht die zuständige Landesmedienanstalt. Von den Prüfgruppen formulierte Begründungen für ihre (Vor-)Ergebnisse sind deshalb für sich genommen keine Begründung für Beschlüsse der KJM gemäß § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV.
61Unter Berücksichtigung des Verfahrensablaufs sowie der zuvor dargestellten rechtlichen Maßstäbe liegt keine Begründung des Beschlusses der KJM vom 15. Dezember 2010 im Sinne von § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV vor. Mit E-Mail vom 23. Dezember 2010 teilte die KJM-Geschäftsstelle der Beklagten den Beschluss der KJM vom 15. Dezember 2010 auf deren Anfrage als Vorab-Information mit. Diese E-Mail enthielt keine Begründung für den Beschluss, sondern den Hinweis, sobald das Protokoll der 30. KJM-Sitzung vorliege, werde es an die Beklagte weitergeleitet. Das Protokoll ging bei der Beklagten mit Übersendungsschreiben des Vorsitzenden der KJM vom 12. Januar 2011 am 14. Januar 2011 ein und befasst sich mit dem Prüffall www.media-bloed.de auf Seite 7. Es enthält zu Tagesordnungspunkt 6 („Prüffälle“) und Ziff. 1 („media-bloed.de“) ebenfalls keine Begründung des Beschlusses der KJM zum Angebot des Klägers. Dort ist dargestellt, dass eine Mitarbeiterin der KJM-Stabsstelle den Sachverhalt zum Prüffall berichtete. Dazu wird in indirekter Rede die Einschätzung der Prüfgruppe wiedergegeben. Im Folgenden wird über das Verfahren im Prüfausschuss berichtet. Dann heißt es: „Nach kurzer Diskussion fassten die KJM-Mitglieder folgenden Beschluss:“ Nachstehend wird eingerückt in vier Absätzen der Beschluss der KJM zu den zu treffenden Maßnahmen wörtlich wiedergegeben. Der Beschluss selbst sowie der diesen einleitende Satz enthält keinen Hinweis und insbesondere keine Bezugnahme oder Verweisung auf irgendein anderes Dokument, insbesondere weder die Beschlussvorlage der Beklagten für den Prüfausschuss vom 13. September 2010 noch die Empfehlung der Prüfgruppe der KJM vom 21. April 2010. Es fehlt insofern an jeglichem Anhalt dafür, dass sich das Plenum der KJM die Begründung der Beschlussvorlage der Beklagten oder irgendeines anderen Schriftstücks zu eigen machen wollte. Allein ein Beschluss im Sinne einer entsprechenden Vorlage ist nicht ausreichend, um anzunehmen, die KJM habe sich die Begründung der Beschlussvorlage zu eigen machen wollen. Hierfür spricht vorliegend schon auch deshalb nichts, weil der Beschluss vom 15. Dezember 2010 die Beschlussempfehlung der Beklagten vom 13. September 2010 nicht 1 : 1 übernimmt. Zum einen enthält der Beschluss nicht den in der Beschlussvorlage zu Ziff. 4 niedergelegten Inhalt, zum anderen gibt es Abweichungen bei den Verwaltungsgebühren. Da nicht ersichtlich ist, dass es sich bei diesen Unterschieden um Versehen handelt, kann schon deshalb nicht unterstellt werden, dass die KJM, ohne dies durch eine ausdrückliche Bezugnahme oder eine Verweisung deutlich zu machen, die Begründung der Beschlussvorlage übernehmen wollte.
62c. Selbst wenn man eine Übernahme der Begründung der Beschlussvorlage der Beklagten durch den hierauf basierenden Beschluss der KJM annehmen wollte, so läge keine § 17 Absatz 1 Sätze 3 und 4 JMStV entsprechende Begründung des Beschlusses der KJM vor. Die Beschlussvorlage der Beklagten vom 13. September 2010 enthielt ihrerseits keine vollständige Begründung für den empfohlenen Beschluss der KJM, sondern verwies inhaltlich insbesondere auf die von jugendschutz.net stammende Vorlage vom 24. März 2010 für die Prüfgruppe (Anlage 2), die Prüfbegründung mit Prüfempfehlung der Prüfgruppe vom 21. April 2010 (Anlage 3) sowie die letzte Camtasia-Aufzeichnung der Beklagten vom 1. Oktober 2010 mit DENIC-Ausdruck (Anlage 9; Übersicht der Anlagen vgl. Beiakte 1, Bl. 83). Dies entspricht nicht den Anforderungen von § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV. Bei der vorliegenden „Kettenverweisung“ fehlt es an der erforderlichen klaren und unmissverständlichen Bezugnahme und damit an der Begründungsklarheit. Hinzu kommt, dass hier besonders strenge Anforderungen gelten, weil der Fall Fragen zum Spannungsverhältnis zwischen dem Jugendmedienschutz einerseits und der Reichweite der Grundrechtsausübung durch den Anbieter (Meinungsfreiheit/Kunstfreiheit) aufwarf. Es war deshalb verfassungsrechtlich geboten, zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den verfassungsrechtlichen Schutzgütern im Wege der Abwägung einen verhältnismäßigen Ausgleich herbeizuführen.
63Nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ist es aber Sache der KJM, die „abschließende Beurteilung von Angeboten“ vorzunehmen, und ihre Beschlüsse sind den Entscheidungen der Landesmedienanstalt zugrundezulegen. Es fehlt ferner deshalb an der Mitteilung der wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 4 JMStV, weil eine Begründung der KJM zur Frage der Eignung des Angebots zur Beeinträchtigung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren, zum Erfordernis eines Jugendschutzbeauftragten gemäß § 7 JMStV sowie zur Abwägung mit kollidierenden Grundrechten des Anbieters fehlt. Es ist nicht erkennbar, ob sich das Plenum der KJM in der Sitzung am 15. Dezember 2010 mit den Grundrechten des Klägers in irgendeiner Weise auseinandergesetzt hat. Es ist nicht ersichtlich, dass der KJM das Spannungsverhältnis von Jugendmedienschutz und Grundrechten des Klägers bei ihrer Entscheidung vor Augen stand sowie ob und in welcher Weise sie diese Verfassungspositionen gegeneinander abgewogen und zu einem verhältnismäßigen Ausgleich gebracht hat. Nach dem System des Jugendmedienschutzes bei Telemedien ist es aber nicht die Aufgabe der Landesmedienanstalt – hier der Beklagten – diese Abwägung vorzunehmen, wie die Beklagte dies im angefochtenen Bescheid getan hat. Die Abwägung ist von dem zur Entscheidung berufenen Organ – bei der Ausübung von Ermessen bzw. schon bei der Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen – vorzunehmen und kann nicht durch ein unzuständiges Organ bzw. eine unzuständige Stelle ersetzt oder nachgeholt werden.
64d. Abgesehen davon hätte die Beklagte gegen den Grundgedanken ihrer Bindung an die Beschlüsse der KJM sowie deren Begründung gemäß § 17 Absatz 1 JMStV hier auch dann verstoßen, wenn das Protokoll über die Sitzung der KJM am 15. Dezember 2010 eine Begründung zum Beschluss der KJM enthalten hätte und diese der Begründung der Beklagten im Bescheid im Wesentlichen entsprochen hätte. Denn die Beklagte erließ ihren Bescheid vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) auf der Grundlage der E-Mail der KJM-Geschäftsstelle vom 23. Dezember 2010, in der ihr lediglich ein Beschluss-Inhalt der KJM ohne eine Begründung mitgeteilt worden war. Offensichtlich hat die Beklagte unterstellt, dass die KJM, wie es die E-Mail nahelegte, ihrer Vorlage sowohl nach dem Beschlussinhalt als auch nach dessen Begründung gefolgt war. Ein solches Vorgehen widerspricht grundlegend dem im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag vorgesehenen Verhältnis von KJM und Landesmedienanstalten.
65e. Eine Heilung des Begründungsmangels nach § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG NRW ist nicht erfolgt, weil die KJM die Begründung im Sinne von § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV nicht nachgeholt bzw. klargestellt hat. Die Begründung des angegriffenen Bescheides durch die Beklagte oder deren Vorbringen im Gerichtsverfahren können eine Heilung nicht herbeiführen, weil dies nicht die interne Beteiligung der KJM ersetzt.
66Der Begründungsmangel ist auch nicht gemäß § 46 VwVfG NRW unbeachtlich. Zum einen dürfte es sich bei § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV um eine Regelung handeln, die nach ihrem Sinn und Zweck keine bloß dienende Funktion hat, sondern unabhängig von der materiellen Richtigkeit der Entscheidung beachtet werden soll – sog. absoluter Verfahrensfehler –; zum anderen ist bei Fehlern im Zusammenhang mit Ermessensentscheidungen regelmäßig nicht offensichtlich, dass die Verletzung der Vorschrift die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Nach der Systematik des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages ist die abschließende Beurteilung von Angeboten allein der KJM als mit besonderem Sachverstand ausgestattetem Gremium übertragen, so dass nicht nur die Entscheidung, sondern auch die gesetzlich verlangte Begründung hierzu unvertretbar ist; sie fällt damit nicht in den Anwendungsbereich des § 46 VwVfG NRW.
67Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl., 2014, § 46 Rn. 15, 32 f.; ebenso zu §§ 45, 46 VwVfG VG Berlin, Urteil vom 3. Mai 2012, a. a. O., Rn. 36.
682. Die vom Kläger mit der Berufung angegriffenen Maßnahmen der Beklagten in Ziff. 1 und 2 des streitigen Bescheides sind – ungeachtet der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Maßnahmen – ferner deshalb rechtswidrig, weil sie gegen das Bestimmtheitsgebot aus § 37 Abs. 1 VwVfG NRW verstoßen.
69Gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG NRW muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung hinreichend klar, verständlich und in sich widerspruchsfrei ist. Davon ist auszugehen, wenn der Adressat und die mit dem Vollzug befasste Behörde und deren Organe aufgrund der Entscheidungssätze und der Begründung des Verwaltungsakts sowie der sonst für die Betroffenen erkennbaren Umstände ersehen können, was genau durch den Verwaltungsakt gefordert wird und gegebenenfalls zu vollstrecken ist. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts.
70Vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Februar 1990 ‑ 4 C 41.87 –, BVerwGE 84, 335 ff. = juris Rn. 29, und vom 20. April 2005 – 4 C 18.03 –, BVerwGE 123, 261 ff. = juris Rn. 53; OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Juli 2010 – 13 B 676/10 –, juris Rn. 39 ff., vom 26. September 2008 – 13 B 1395/08 –, NJW 2008, 3656 = juris Rn. 16 ff., und vom 26. September 2008 ‑ 13 B 1397/08 –, juris Rn. 16 ff.; Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 37 Rn. 5 ff., insb. Rn. 12 m. w. N.; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., 2014, § 37 Rn. 27 ff. m. w. N.; Ruffert, in: Knack, VwVfG, 9. Aufl., 2010, § 37 Rn. 11 ff. und 30 ff. m. w. N.
71Demnach ist ein Verwaltungsakt nicht schon dann unbestimmt, wenn seine Regelung für eine mit dem jeweiligen Sachbereich nicht vertraute Person nicht ohne weiteres verständlich ist. Entscheidend ist vielmehr, ob der Adressat und die mit dem Vollzug befassten Behörden den Entscheidungsinhalt auf Grund der Gesamtumstände des Einzelfalls zutreffend erfassen und ihr künftiges Verhalten danach ausrichten können.
72Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8. Dezember 2009 – 13 B 958/09 –, NWVBl. 2010, 321 ff. = juris Rn. 33 f., und vom 8. September 2009 – 13 B 894/09 –, MedR 2010, 273 ff. = juris Rn. 19 f.; U. Stelkens, a. a. O., Rn. 6; BVerwG, Urteil vom 20. April 2005, a. a. O., Rn. 54.
73Bevor eine zur Rechtswidrigkeit – und gegebenenfalls Nichtigkeit nach § 44 VwVfG NRW – führende Unbestimmtheit festgestellt wird, ist der betroffene Verwaltungsakt in seinem Inhalt durch Auslegung zu bestimmen. Entsprechend den zu empfangsbedürftigen Willenserklärungen im Zivilrecht entwickelten Grundsätzen ist bei Verwaltungsakten nicht auf den wirklichen Willen des Erklärenden (sog. natürliche Auslegung), sondern auf die objektive Erklärungsbedeutung, wie sie der Empfänger verstehen musste (sog. normative Auslegung), abzustellen. Bei vermeintlichen Unklarheiten ist vom Adressaten zu erwarten, den wirklichen Willen der Behörde durch Auslegung des Bescheides zu erkennen, ohne am buchstäblichen Ausdruck zu haften. Auf Mehrdeutigkeit beruhende Unklarheiten über den Inhalt des Verwaltungsakts gehen immer zulasten der Behörde, weshalb ein Verwaltungsakt bei Unklarheiten zu Gunsten des Betroffenen auszulegen ist.
74Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2012 – 9 C 7.11 –, BVerwGE 143, 222 ff. = juris Rn. 18 m. w. N. zur ständigen Rechtsprechung; Ruffert, in: Knack, a. a. O., § 37 Rn. 14.
75a. Nach diesen Grundsätzen ist die in Ziff. 1 Satz 1 und Satz 2 des Bescheides geregelte Beanstandung von Verstößen des vom Kläger verbreiteten Internetangebotes www.media-bloed.de gegen Vorschriften des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages ebenso wie die in Ziff. 1 Satz 3 ausgesprochene Untersagung nicht hinreichend bestimmt.
76Der die Beanstandung enthaltende Verfügungssatz in Ziff. 1 Sätze 1 und 2 des Bescheides, das vom Kläger verbreitete Internetangebot www.media-bloed.de verstoße gegen § 5 JMStV sowie § 7 JMStV und dies werde medienrechtlich beanstandet, scheint unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit zunächst unproblematisch. Dies lässt sich bei unbefangenem Sprachverständnis so lesen, dass die Beanstandung sich auf das gesamte Internetangebot unter der Domain www.media-bloed.de bezieht. Die Formulierung der Untersagung („das genannte Angebot in dieser Fassung weiter zu verbreiten“) wirkt auf den ersten Blick ebenfalls allumfassend, wobei die Wendung „in dieser Fassung“ üblicherweise auf eine bestimmte Version eines Inhalts hinweist, der im Zeitverlauf Änderungen unterliegt. Eine solche Beanstandung und Untersagung würden hier jedoch gegen das Übermaßverbot verstoßen, da die medienrechtlichen Maßnahmen gemäß § 20 Abs. 1, Abs. 4 JMStV i. V. m. § 59 Abs. 3 RStV gegenüber einem Anbieter von Telemedien auf die Teile des Angebots zu beschränken sind, die tatsächlich gegen Vorschriften des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages verstoßen, soweit die Beschränkung nicht aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen oder wegen des damit verbundenen Aufwandes unzumutbar ist.
77Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 19. September 2013, a. a. O., juris Rn. 37 ff. (Beanstandung der Seiten 300 – 600 eines Teletext-Angebotes war unverhältnismäßig, weil davon nur 136 Seiten problematisch waren); nachgehend BVerwG, Beschluss vom 23. Juli 2014, a. a. O.
78Da lediglich Teile der Internetseite www.media-bloed.de für einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 JMStV in Betracht kommen, wären eine Beanstandung oder eine Untersagung, die sich auf die gesamte Domain erstrecken, nicht erforderlich und damit rechtswidrig.
79Bei Auslegung unter Berücksichtigung des sonstigen Bescheidinhaltes, besonders der Begründung, sowie des Empfängerhorizontes des Klägers ist allerdings erkennbar, dass die Beanstandung und Untersagung sich nur auf Teile des Angebots www.media-bloed.de bezogen. Es bleibt für den Kläger aber unklar, wie die in Ziff. 1 und 2 enthaltenen Regelungen zu verstehen sind, was genau beanstandet und untersagt wird und wie er sich künftig zur Vermeidung weiterer Rechtsverstöße zu verhalten hat.
80Die Formulierungen „die problematischen Inhalte“ und „alle entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte“ in Ziff. 2 des Bescheids verdeutlichen, dass die Beklagte nicht sämtliche Bestandteile des Angebots des Klägers als entwicklungsbeeinträchtigend und gegen § 5 Abs. 1 JMStV verstoßend ansieht, da ansonsten eine „Möglichkeit, alle entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte von seinem Angebot zu entfernen“, nicht bestünde. Dieser Eindruck, dass die Beklagte nur bestimmte Teile des Angebots als Verstoß gegen § 5 JMStV ansieht und demzufolge beanstandet, wird durch die detaillierte Beschreibung der vier Bilddarstellungen von erheblich verletzten, verstümmelten, verbrannten oder mumifizierten menschlichen Körpern und Körperteilen mit Pfadbeschreibungen und spezifischen Zieladressen (URL) dieser vier Bilder auf S. 3 und 4 des Bescheides verstärkt. Dies spricht dafür, dass genau diese vier Bilder den von der Beklagten beanstandeten Verstoß gegen § 5 JMStV (und mittelbar auch gegen § 7 JMStV, weil allein aufgrund vorhandener entwicklungsbeeinträchtigender Inhalte die Pflicht zur Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten entstehen kann) darstellen sollen. In dieser Richtung will auch die Beklagte ihren Bescheid nach ihrem Berufungsvorbringen verstanden wissen. Hiergegen spricht jedoch – neben der deutlich umfassender zu verstehenden Formulierung im Verfügungssatz von Ziff. 1 Sätze 1 und 2 –, dass die vier Bilddarstellungen von der Beklagten auf S. 3 des Bescheides „als Beispiele“ eines Verstoßes gegen § 5 Abs. 1 JMStV im Internetangebot des Klägers genannt werden. „Beispiele“ weisen jedoch auf einen über sie hinausgehenden Bezugsrahmen hin. Das spricht dafür, dass die Beklagte im Angebot www.media-bloed.de Verstöße gegen § 5 JMStV nur teilweise sieht, jedoch nicht im auf die vier angeführten Beispiele beschränkten Umfang. Der über diese Beispiele hinausgehende Umfang der Beanstandung (und ebenso der Untersagung bzw. der in Ziff. 2 aufgeführten Verpflichtungen betreffend die „problematischen Inhalte“ oder „entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte“) ist dann aber nicht hinreichend bestimmt im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG NRW. Das Vorbringen des Klägers in der ersten Instanz verdeutlicht jedenfalls, dass auch für den Kläger nach seinem konkreten Adressatenhorizont klar war, dass nicht das gesamte Angebot beanstandet oder untersagt wurde, sondern dass es für ihn erkennbar um die Inhalte im Bereich der „Offensive für Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan“ ging.
81Unklarheiten, was durch den Bescheid gefordert wird, ergeben sich auch daraus, dass der streitige Bescheid in der Begründung vielfältig den Begriff der „Darstellungen“ verwendet, ohne dies eindeutig nur auf bildliche Darstellungen zu beschränken. So führt die Beklagte auf S. 4 des Bescheides nach der Beschreibung der vier Bilder menschlicher Körper und Körperteile aus, das Angebot sei als entwicklungsbeeinträchtigend einzustufen, „da es Darstellungen enthält, die geeignet sind (...)“. Nachfolgend zitiert sie den auf der Startseite der Domain des Klägers lesbaren Begrüßungstext und beschreibt die sich darunter befindlichen zwei „Darstellungen“: Den Schriftzug „Das gibt‘s zum kotzen. Mediablöd. Wir sind doch nicht blind!“ sowie die Bildmontage mit Leichendarstellungen und der Überschrift „Mitmachen! Sofort!“. Nach anschließender Verwendung des Begriffs „Darstellung“ sowohl für Text- als auch für Bildinhalte gibt die Beklagte den langen Text auf der Unterseite zur „Offensive für Kampfeinsätze in Afghanistan“ wieder, der mit „Mach mit bei der Kampagne der Offensive für Kampfeinsätze…“ beginnt. Auch im anschließenden Text auf S. 5 des Bescheides verwendet die Beklagte mehrfach den Begriff „Darstellungen“ ohne Unterscheidung zwischen Bild- und Textinhalten. Hierdurch ist der von der Beklagten für ihre Sichtweise, die Beanstandung richte sich allein gegen die vier beschriebenen Bilder menschlicher Leichen oder Leichenteile, angeführte Text auf S. 6, 2. Absatz, des Bescheides („Die Beanstandung richtet sich ausschließlich gegen die oben beschriebenen Darstellungen...“) nicht so eindeutig, wie die Beklagte meint. „Oben beschrieben“ sind auch verschiedene von der Beklagten zitierte Textdarstellungen. Für das Verständnis der Beklagten wiederum spricht die Fortsetzung des eben teilweise wiedergegebenen Satzes („die oben beschriebenen Darstellungen, welche in ihrer Menge und der Möglichkeit der Vergrößerung nicht notwendig sind“). Die Möglichkeit der Vergrößerung weist auf die von der Beklagten beschriebenen vier Bilder hin, da die im Bescheid dargestellten Textstellen oder sonstigen bildlichen Gestaltungselemente soweit ersichtlich keine Möglichkeit der Vergrößerung aufwiesen.
82Selbst wenn man davon ausginge, die Beklagte habe nur die vier im Einzelnen beschriebenen Bilder menschlicher Körper und Körperteile, besonders mit der Möglichkeit der Vergrößerung, für „problematisch“ gehalten, reicht dies für die hinreichende Bestimmtheit im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG NRW nicht aus. Die Beanstandung (sowie die Untersagung usw.) kann ihren Zweck, künftige Rechtsverstöße durch den Anbieter zu verhindern, nur dann erreichen, wenn für diesen hinreichend bestimmt ist, was er darf oder nicht darf.
83Es bleibt nach dem Bescheid aber unklar, ob es ausreicht, die Möglichkeit der Vergrößerung bei den vier Bildern zu entfernen, oder ob zusätzlich eines, zwei oder etwa alle vier Bilder zu entfernen sind, um dem Angebot den entwicklungsbeeinträchtigenden und damit gegen § 5 Abs. 1 JMStV verstoßenden Charakter zu nehmen und dabei zugleich die Ausübung der Meinungsfreiheit oder Kunstfreiheit des Klägers nach dem Grundgesetz nicht in unverhältnismäßiger Weise zu beschneiden. Da nach der Begründung des Bescheides der potentiell verstörende Charakter dieser Bilder zentral auf die Menge und die Möglichkeit der Vergrößerung dieser Bilddarstellungen gestützt wird, bleibt die Frage offen, wie viele Bilder – neben der Entfernung der Vergrößerungs-Option – entfernt werden müssen, damit keine „verstörende Menge“ an Bildern mehr vorliegt. Zugleich erzeugt der Bescheid nach dem Gesamteindruck aus Verfügungssatz und Begründung den Eindruck, als ob alle vier Bilder mit Vergrößerung-Option beanstandet und infolgedessen auch untersagt werden, bzw. für sie die Verpflichtung gemäß Ziff. 2 des Bescheides auf der Grundlage von § 5 Abs. 3 und 4 JMStV gelten soll. Diese Unklarheit bleibt unauflösbar. Dabei übersehen sowohl der Bescheid wie auch die Begründung des Verwaltungsgerichts den Umstand, dass in dem Teilbereich des Angebots www.media-bloed.de zur „Offensive für Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan“ nicht vier, sondern fünf Bilder von menschlichen Körpern oder Körperteilen vorhanden sind. Noch vor dem mit „Mach mit bei der Kampagne (...)“ eingeleiteten Textblock findet sich das zu der Serie gehörende Bild, welches ausschnittsweise einen mit Hemd und Hose bekleideten menschlichen Körper mit erheblichen Verletzungen am Oberkörper und einem abgerissenen linken Bein mit überwiegend freiliegendem Oberschenkelknochen zeigt. Dessen fehlende Erwähnung im Bescheid führt zu keinem anderen Ergebnis. Hätte die Beklagte beanstanden und untersagen wollen, dass die über dieses Bild hinausgehenden vier Bilder nebst Vergrößerungsmöglichkeit gezeigt werden, und damit erlauben wollen, dieses eine Bild (mit oder ohne Vergrößerung) zu zeigen, hätte sie dies verdeutlichen müssen.
84b. Die dargestellte Unbestimmtheit erstreckt sich auch auf Ziff. 2 des Bescheides, soweit diese überhaupt eine eigenständige Regelung darstellt. Denn auch insofern bleibt offen, was der Kläger darf und was nicht bzw. was er tun soll, um zukünftig seine Verpflichtungen nach § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV zu erfüllen. Die Verpflichtung gemäß § 5 Abs. 1, letzter Halbsatz JMStV, dafür Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche (hier: unter 16 Jahren) „die problematischen Inhalte“ üblicherweise nicht wahrnehmen, kann sich jedoch nur auf den Umfang der Untersagung beziehen. Da dieser nach dem Vorstehenden nicht hinreichend bestimmt ist, bleibt auch Ziff. 2 des Bescheides unbestimmt.
85B. Die Berufung der Beklagten war zurückzuweisen. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht in Bezug auf Ziff. 4 und 5 des angegriffenen Bescheides der Beklagten stattgegeben. Diese Ziffern sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das ergibt sich schon daraus, dass Ziff. 1 und 2 des angegriffenen Bescheides aufgehoben werden (siehe oben A.) und Ziff. 3 von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht aufgehoben wurde. Ohne wirksame medienaufsichtliche Maßnahme fehlt es auch an den Voraussetzungen einer Kostenentscheidung sowie einer Gebührenfestsetzung zulasten des Klägers auf der Grundlage der von der Beklagten angeführten (oder einer sonstigen) Ermächtigungsgrundlage (§ 35 Abs. 11 RStV i. V. m. der RStV-Kostensatzung bzw. § 116 Abs. 2 LMG NRW i. V. m. der LfM-Gebührensatzung).
86C. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1 und 2, § 709 Satz 2 ZPO.
87Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn
- 1.
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint; - 2.
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde; - 3.
von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll; - 4.
die Behörde eine Allgemeinverfügung oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen will; - 5.
Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen.
(3) Eine Anhörung unterbleibt, wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht.
(1) Beteiligte sind
- 1.
Antragsteller und Antragsgegner, - 2.
diejenigen, an die die Behörde den Verwaltungsakt richten will oder gerichtet hat, - 3.
diejenigen, mit denen die Behörde einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen will oder geschlossen hat, - 4.
diejenigen, die nach Absatz 2 von der Behörde zu dem Verfahren hinzugezogen worden sind.
(2) Die Behörde kann von Amts wegen oder auf Antrag diejenigen, deren rechtliche Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden können, als Beteiligte hinzuziehen. Hat der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung für einen Dritten, so ist dieser auf Antrag als Beteiligter zu dem Verfahren hinzuzuziehen; soweit er der Behörde bekannt ist, hat diese ihn von der Einleitung des Verfahrens zu benachrichtigen.
(3) Wer anzuhören ist, ohne dass die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, wird dadurch nicht Beteiligter.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Der Kläger, ein Rechtsanwalt, nimmt die auf dem Gebiet der Außenwerbung tätige Beklagte hauptsächlich auf Unterlassung in Anspruch.
- 2
- Auf der Internetseite der Beklagten befindet sich eine sogenannte Weiterempfehlungsfunktion. Gibt ein Dritter seine eigene E-Mail-Adresse und eine weitere E-Mail-Adresse ein, wird von der Internetseite der Beklagten an die weitere von dem Dritten benannte E-Mail-Adresse eine automatisch generierte E-Mail versandt, die auf den Internetauftritt der Beklagten hinweist. Bei dem Empfänger der E-Mail geht der Hinweis auf die Internetseite der Beklagten als von dieser versandt ein. Weiteren Inhalt hat eine Empfehlungs-E-Mail nicht.
- 3
- Der Kläger erhielt ab dem 26. Dezember 2010 ohne seine Zustimmung mehrere Empfehlungs-E-Mails. Nach einer Abmahnung und einer weiteren Beschwerde des Klägers erklärte sich die Beklagte bereit, dessen konkrete E-MailAdresse für den Erhalt der Empfehlungs-E-Mails zu sperren. In der Folgezeit erhielt der Kläger gleichwohl noch E-Mails, die auf den Internetauftritt der Beklagten hinwiesen. Darüber hinaus erhielt er acht weitere E-Mails von der Beklagten , die als „Test-E-Mails“ bezeichnet waren.
- 4
- Der Kläger wendet sich - soweit für die Revision noch von Bedeutung - gegen die Zusendung von E-Mails ohne sein Einverständnis. Er hat beantragt, es der Beklagten unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verbieten , mit ihm zur Aufnahme eines erstmaligen Kontakts per E-Mail Kontakt aufzunehmen , ohne dass seine ausdrückliche Einwilligung vorliegt.
- 5
- Darüber hinaus hat er die Beklagte auf Zahlung von Abmahnkosten und Verzinsung des von ihm verauslagten Gerichtskostenvorschusses in Anspruch genommen.
- 6
- Die Beklagte ist dem Begehren des Klägers entgegengetreten und hat insbesondere geltend gemacht, die an den Kläger versandten E-Mails hätten keine Werbung enthalten. Sie, die Beklagte, sei nicht als Störerin anzusehen, weil der E-Mail-Versand durch Dritte veranlasst werde. Der Kläger habe die streitgegenständlichen Kontaktierungen hinzunehmen, da er ein E-Mail-Postfach unterhalte. Ohne eine ihr nicht zumutbare Aufgabe ihrer Empfehlungsfunktion könne ein Versand von E-Mails an ihr noch unbekannte E-Mail-Adressen des Klägers nicht verhindert werden.
- 7
- Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger sein noch anhängiges Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
- 8
- I. Das Berufungsgericht hat einen Unterlassungsanspruch des Klägers wegen eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gemäß § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 BGB verneint. Dazu hat es ausgeführt:
- 9
- Der Unterlassungsanspruch könne nicht auf die im Dezember 2010 und Januar 2011 eingegangenen E-Mails gestützt werden, weil die Beklagte die Funktion der E-Mail-Weitersendung im Februar 2011 umgestellt habe. Danach sei durch den Kläger bis zum Erhalt weiterer E-Mails im September 2011 keine Reaktion erfolgt, so dass die E-Mails bis Januar 2011 als „verbraucht“ anzuse- hen seien. Wegen der ab September 2011 versandten Empfehlungs-E-Mails bestehe ebenfalls kein Unterlassungsanspruch. Die Beklagte richte ihre Empfehlungsfunktion an einen engen potentiellen Nutzerkreis, der aus Dritten bestehe , die weitere Personen auf den Netzauftritt der Beklagten aufmerksam machen wollten. Die Weiterempfehlungsfunktion der Beklagten werde lediglich 200 Mal pro Jahr genutzt. Die Weiterempfehlung könne (nach entsprechender Änderung der Funktion) nicht von automatischen Programmen genutzt werden und die Beklagte unterbinde nunmehr den Versand an E-Mail-Adressen, die sie zuvor in eine „Schwarze Liste“ aufgenommen habe.
- 10
- Das Vorhalten der Empfehlungsfunktion könne daher auch nicht als wettbewerbswidriges Verhalten angesehen werden. Die Beklagte beabsichtige nicht und nehme auch nicht billigend in Kauf, dass es durch missbräuchliches Verhalten Dritter zu einer Verbreitung der Empfehlungs-E-Mails komme. Die Beklagte habe alles jenseits der Abschaffung der Funktion Mögliche getan, um Beeinträchtigungen Dritter zu vermeiden, zumal sie keine Anreize zur Nutzung der Funktion geschaffen habe.
- 11
- Die Beklagte könne schließlich auch nicht als Störerin im Hinblick auf das unverlangte Zusenden der Empfehlungs-E-Mails angesehen werden.
- 12
- II. Die Angriffe der Revision haben Erfolg, soweit sie sich gegen die Abweisung des Unterlassungsbegehrens richten. Sie führen in diesem Umfang zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Verurteilung der Beklagten nach dem Unterlassungsantrag. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB wegen eines rechtswidrigen Eingriffs in seinen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu. Die darüber hinaus erhobenen Ansprüche auf Zahlung von Abmahnkosten und Verzinsung des verauslagten Prozesskostenvorschusses sind dagegen unbegründet.
- 13
- 1. Der Unterlassungsantrag ist in der gebotenen Auslegung hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Das Berufungsgericht hat den Unterlassungsantrag zwar nicht näher ausgelegt. Das ist jedoch unschädlich. Bei einem Klageantrag handelt es sich um eine Prozesserklärung, die das Revisionsgericht selbständig auslegen kann (BGH, Urteil vom 29. Juni 2000 - I ZR 128/98, GRUR 2001, 80 = WRP 2000, 1394 - ad-hoc-Meldung; Urteil vom 3. April 2008 - I ZR 49/05, GRUR 2008, 1002 Rn. 16 = WRP 2008, 1434 - Schuhpark; Urteil vom 22. Juli 2010 - I ZR 139/08, GRUR 2011, 152 Rn. 23 bis 25 = WRP 2011, 223 - Kinderhochstühle im Internet).
- 14
- Mit dem Unterlassungsantrag erstrebt der Kläger ein generelles Kontaktaufnahmeverbot per E-Mail für die Beklagte. Ein derart weitgehender Anspruch besteht nicht. Der Kläger kann der Beklagten nur eine Kontaktaufnahme per E-Mail verbieten lassen, soweit diese einen rechtswidrigen Eingriff in seinen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt. Der allgemein gefasste Unterlassungsantrag enthält als Minus aber auch die konkrete Verletzungsform. Aus dem Vorbringen des Klägers in der Klageschrift, das zur Auslegung des Verbotsantrags heranzuziehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 4. Oktober 2007 - I ZR 143/04, GRUR 2008, 84 Rn. 19 = WRP 2008, 98 - Versandkosten; BGH, GRUR 2008, 1002 Rn. 17 - Schuhpark), ergibt sich mit der gebotenen Deutlichkeit , dass der Kläger der Beklagten nur verbieten lassen will, an ihn ohne seine ausdrückliche Einwilligung Empfehlungs-E-Mails zu versenden.
- 15
- 2. Dem Kläger steht gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB ein Anspruch auf Unterlassung der Zusendung von E-Mails mit werblichem Inhalt zu. Das Zusenden der Empfehlungs-E-Mails durch die Be- klagte stellt einen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Klägers dar, weil unverlangt zugesandte E-Mail-Werbung betriebsbezogen erfolgt und den Betriebsablauf im Unternehmen des Empfängers beeinträchtigt. Das Versenden von E-Mails mit unerbetener Werbung, die der Empfänger jeweils einzeln sichten muss und bei denen ein Widerspruch erforderlich ist, um eine weitere Zusendung zu unterbinden, führt zu einer nicht unerheblichen Belästigung (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Mai 2009 - I ZR 218/07, GRUR 2009, 980 Rn. 10 ff. = WRP 2009, 1246 - E-Mail-Werbung
II).
- 16
- a) Bei der Zusendung der Empfehlungs-E-Mails an den Kläger handelt es sich um unverlangt zugesandte Werbung.
- 17
- aa) Der Begriff der Werbung umfasst nach dem allgemeinen Sprachgebrauch alle Maßnahmen eines Unternehmens, die auf die Förderung des Absatzes seiner Produkte oder Dienstleistungen gerichtet sind. Damit ist außer der unmittelbar produktbezogenen Werbung auch die mittelbare Absatzförderung - beispielsweise in Form der Imagewerbung oder des Sponsoring - erfasst. Werbung ist deshalb in Übereinstimmung mit Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/113/EG über irreführende und vergleichende Werbung jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu fördern (BGH, GRUR 2009, 980 Rn. 13 - E-Mail-Werbung II).
- 18
- bb) Mit diesem weiten Verständnis des Begriffs der Werbung wird nicht die gebotene Unterscheidung zwischen geschäftlichen Handlungen und Werbung verwischt (aA Haug, K&R 2010, 767, 769). Der Begriff der geschäftlichen Handlung ist - ebenso wie der in der Richtlinie 2005/29/EG enthaltene Begriff der Geschäftspraktiken - insofern weiter als der Begriff der Werbung, als er auch Verhaltensweisen im Zusammenhang mit dem Abschluss oder der Durchführung von Verträgen oder dem Verkauf und die Lieferung eines Produkts erfasst (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG). Die vom Gesetz getroffene Unterscheidung zwischen „geschäftlicher Handlung“ und „Werbung“ steht daher nicht der Annahme entgegen, dass es sich auch bei einer mittelbaren Absatzförderung um Werbung handelt.
- 19
- cc) Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es für die Einordnung als Werbung nicht darauf an, dass das Versenden der Empfehlungs-E-Mails letztlich auf dem Willen eines Dritten beruht (aA OLG Nürnberg, GRUR-RR 2006, 26). Entscheidend ist vielmehr allein das Ziel, das die Beklagte mit dem Zurverfügungstellen der Empfehlungsfunktion erreichen will. Da eine solche Funktion erfahrungsgemäß den Zweck hat, Dritte auf die Beklagte und die von ihr angebotenen Leistungen aufmerksam zu machen, enthalten die auf diese Weise versandten Empfehlungs-E-Mails Werbung.
- 20
- b) Der Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Klägers ist auch rechtswidrig. Die insoweit erforderliche Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien geht zu Lasten der Beklagten aus. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG stellt - von dem hier nicht bedeutsamen Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 3 UWG abgesehen - jede Werbung unter Verwendung elektronischer Post ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung des Empfängers eine unzumutbare Belästigung dar. Diese gesetzgeberische Wertung ist bei der Beurteilung der Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuchs ebenfalls heranzuziehen , um Wertungswidersprüche zu vermeiden (vgl. Köhler in Köhler/ Bornkamm, UWG, 31. Aufl., § 7 Rn. 14; Koch in Ullmann, jurisPK-UWG, 3. Aufl., § 7 Rn. 153). Wegen des unzumutbar belästigenden Charakters derartiger Werbung gegenüber dem Empfänger ist die Übersendung einer Werbe- E-Mail ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung grundsätzlich rechtswidrig (vgl. BGH, GRUR 2009, 980 Rn. 14 - E-Mail-Werbung II).
- 21
- Eine andere Beurteilung ergibt sich im Streitfall nicht aus dem Umstand, dass die Werbung nur an Personen versandt wird, die ein Dritter durch Eingabe von deren E-Mail-Adresse ausgewählt hat. Unlauter ist eine Wettbewerbshandlung , die einen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt, wenn dadurch Marktteilnehmer in unzumutbarer Weise belästigt werden (§ 7 Abs. 1 UWG). Ein solcher Belästigungsgrad ist regelmäßig anzunehmen, wenn die Gefahr besteht, dass der Werbende zu Mitteln greift, die auch berufsmäßigen Werbern verboten sind (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 2006 - I ZR 145/03, GRUR 2006, 949 Rn. 20 = WRP 2006, 1370 - Kunden werben Kunden). Dies ist hier anzunehmen. Entscheidend ist, dass der Empfänger in diese Art Werbung nicht eingewilligt hat und sich praktisch nicht zur Wehr setzen kann (Köhler in Köhler/Bornkamm aaO § 7 Rn. 201).
- 22
- Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Belästigung des Klägers durch unverlangt zugesandte E-Mails auch nicht unerheblich im Sinne des § 3 UWG, was zum Ausschluss der Rechtswidrigkeit des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb führen könnte. Durch die Bestimmung in § 7 Abs. 2 UWG, der zufolge die in dieser Vorschrift aufgeführten Beispielsfälle „stets“ eine unzumutbare Belästigung darstellen, wird klargestellt, dass die Bagatellklausel des § 3 UWG nicht mehr anwendbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2010 - I ZR 27/08, GRUR 2010, 939 Rn. 18 = WRP 2010, 1249 - Telefonwerbung nach Unternehmenswechsel; Urteil vom 5. Oktober 2010 - I ZR 46/09, GRUR 2011, 433 Rn. 23 = WRP 2011, 576 - Verbotsantrag bei Telefonwerbung ). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass mit der häufigen Übermittlung von Werbe-E-Mails ohne vorherige Einwilligung des Empfängers durch verschiedene Absender immer dann zu rechnen ist, wenn die Übermitt- lung einzelner E-Mails zulässig ist (vgl. BGH, GRUR 2009, 980 Rn. 12 - E-MailWerbung
II).
- 23
- c) Die Beklagte haftet für die Zusendung der Empfehlungs-E-Mails als Täterin. Dabei ist es ohne Bedeutung, dass der Versand der EmpfehlungsE -Mails letztlich auf die Eingabe der E-Mail-Adresse des Klägers durch einen Dritten zurückgeht (vgl. BGH, GRUR 2006, 949 Rn. 20 - Kunden werben Kunden ). Maßgeblich ist, dass der Versand der Empfehlungs-E-Mails auf die gerade zu diesem Zweck zur Verfügung gestellte Weiterempfehlungsfunktion der Beklagten zurückgeht und die Beklagte beim Empfänger einer EmpfehlungsE -Mail als Absenderin erscheint. Sinn und Zweck der Weiterleitungsfunktion der Beklagten bestehen auch gerade darin, dass Dritten (unter Mitwirkung unbekannter weiterer Personen) ein Hinweis auf den Internetauftritt der Beklagten übermittelt wird. Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass die Beklagte den Missbrauch der Empfehlungsfunktion nicht in Kauf nimmt. Es ist offensichtlich, dass die Weiterleitungsfunktion gerade dazu benutzt wird, an Dritte Empfehlungs -E-Mails zu versenden, ohne dass Gewissheit darüber besteht, ob sie sich damit einverstanden erklärt haben.
- 24
- d) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sind die Empfehlungs -E-Mails an den Kläger ohne dessen Einverständnis übermittelt worden. Eine Gegenrüge des Inhalts, dass das Berufungsgericht einen entsprechenden Vortrag der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten (vgl. Ohly in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl., § 7 Rn. 52) übergangen hätte, hat die Revisionserwiderung nicht erhoben.
- 25
- e) Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch das festgestellte rechtsverletzende Verhalten der Beklagten indiziert. Dies entspricht für den wettebewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch stän- diger Rechtsprechung (vgl. nur BGH, Urteil vom 26. Oktober 2000 - I ZR 180/98, GRUR 2001, 453, 455 = WRP 2001, 400 - TCM-Zentrum; Urteil vom 2. Oktober 2012 - I ZR 82/11, GRUR 2013, 638 Rn. 58 = WRP 2013, 785 - Völkl, mwN), gilt aber auch, wenn sich der geltend gemachte Unterlassungsanspruch - wie im Streitfall - aus dem allgemeinen Deliktsrecht ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 8. Februar 1994 - VI ZR 286/93, GRUR 1994, 394, 395 = WRP 1994, 306 - Bilanzanalyse; Urteil vom 27. Januar 1998 - VI ZR 72/97, NJW 1998, 1391, 1392 - Klartext, jeweils zur Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ; Urteil vom 30. Oktober 1998 - V ZR 64/98, BGHZ 140, 1, 10, zur Verletzung des Eigentums; Soehring in Soehring/Hoehne, Presserecht, 5. Aufl., § 30 Rn. 8a; Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, 6. Aufl., Kap. 44 Rn. 5; MünchKomm.BGB/Baldus, 6. Aufl., § 1004 Rn. 292).
- 26
- Soweit das Berufungsgericht angenommen hat, in Bezug auf die im Dezember 2010 und Januar 2011 versandten E-Mails bestehe keine Wiederholungsgefahr , so dass auf die Ausgestaltung der Empfehlungsfunktion zum Zeitpunkt der ersten an den Kläger übermittelten Empfehlungs-E-Mails nicht abgestellt werden könne, kann dem nicht beigetreten werden. Durch die Aufgabe des rechtsverletzenden Verhaltens entfällt die Wiederholungsgefahr grundsätzlich nicht. Die aus einem früheren rechtswidrigen Handeln erfahrungsgemäß abgeleitete ernsthafte Besorgnis, dass der Verletzer auch weiterhin in gleicher Weise handeln wird, endet daher im Allgemeinen nicht aufgrund der Aufgabe der Betätigung, in deren Rahmen die Verletzung erfolgt ist (BGH, GRUR 2013, 638 Rn. 58 - Völkl, mwN). Die Wiederholungsgefahr hätte auch im Streitfall nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden können, weil die begangene rechtswidrige Handlung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, so dass die Beklagte nur durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung überzeugend hätte dartun können, dass sie die entsprechende Handlung nicht wiederholen wird (vgl. zum Wettbewerbsrecht BGH, Urteil vom 19. März 1998 - I ZR 264/95, GRUR 1998, 1045, 1046 = WRP 1998, 739 - Brennwertkessel; Bornkamm in Köhler/Bornkamm aaO § 8 Rn. 1.34; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 10. Aufl., Kap. 10 Rn. 21 mwN; vgl. zum deliktsrechtlichen Unterlassungsanspruch BGH, GRUR 1994, 394, 395 - Bilanzanalyse; Ricker/Weberling aaO Kap. 44 Rn. 6, 11; Soehring in Soehring/Hoehne aaO § 30 Rn. 11).
- 27
- 3. Einen Anspruch des Klägers auf Erstattung von Abmahnkosten hat das Berufungsgericht dagegen mit Recht verneint.
- 28
- a) Ebenso wie im Wettbewerbsrecht hat der Verletzte, der seinen Unterlassungsanspruch auf § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB stützt, grundsätzlich einen Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten, wenn die Abmahnung begründet war (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 2009 - VI ZR 174/08, GRUR-RR 2010, 269 Rn. 20 - Rosenkrieg; Urteil vom 19. Oktober 2010 - VI ZR 237/09, GRUR 2011, 268 Rn. 11 mwN). Lässt sich der Verletzte bei der Abmahnung anwaltlich vertreten, so hat der Verletzer die gesetzlichen Gebühren des Rechtsanwalts nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz zu tragen, wenn die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Wahrnehmung der Rechte erforderlich und zweckmäßig war (vgl. BGH, GRUR 2011, 268 Rn. 11; Soehring in Soehring/Hoehne aaO § 30 Rn. 22).
- 29
- b) Aufwendungen für eine Abmahnung sind unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes von dem Verletzer aber nur dann zu ersetzen, wenn die konkrete anwaltliche Tätigkeit aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war (BGH, GRUR-RR 2010, 269 Rn. 20; vgl. zum Wettbewerbsrecht BGH, Urteil vom 6. Mai 2004 - I ZR 2/03, GRUR 2004, 789 = WRP 2004, 908 - Selbstbeauftragung, mwN).
- 30
- Die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Abmahnung eines Verstoßes gegen einen deliktsrechtlichen Tatbestand ist dann nicht notwendig, wenn der Abmahnende selbst über eine hinreichende eigene Sachkunde zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung eines unschwer zu erkennenden Verstoßes verfügt (vgl. BGH, GRUR 2004, 789, 790 - Selbstbeauftragung). Ein Rechtsanwalt muss im Fall der eigenen Betroffenheit seine Sachkunde bei der Abmahnung eines deliktischen Handelns unter dem Gesichtspunkt der Schadensvermeidung (§ 254 Abs. 1 BGB) einsetzen. Die Hinzuziehung eines weiteren Rechtsanwalts ist bei typischen, unschwer zu verfolgenden Rechtsverletzungen nicht notwendig. Es besteht dann kein Anspruch auf Erstattung der dafür anfallenden Kosten. Entsprechendes gilt für den Fall einer Selbstbeauftragung (vgl. BGH, GRUR 2004, 789, 790 - Selbstbeauftragung).
- 31
- 4. Ohne Erfolg wendet sich die Revision auch gegen die Abweisung des Anspruchs auf Verzinsung des verauslagten Prozesskostenvorschusses. Es kann offenbleiben, ob neben dem Zinsanspruch gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO ein weitergehender materiell-rechtlicher Anspruch auf Verzinsung der verauslagten Gerichtskosten für die Zeit von deren Einzahlung bis zum Eingang des Kostenfestsetzungsantrags aus § 286 BGB besteht. Im vorliegenden Fall fehlt es jedenfalls an einer schlüssigen Begründung für einen solchen Anspruch.
- 32
- III. Danach ist das angefochtene Urteil auf die Revision des Klägers aufzuheben , soweit das Berufungsgericht hinsichtlich des Unterlassungsantrags zum Nachteil des Klägers erkannt hat. Im Umfang der Aufhebung ist das erstinstanzliche Urteil auf die Berufung des Klägers abzuändern und die Beklagte nach dem Unterlassungsantrag zu verurteilen. Im Übrigen ist die Revision zurückzuweisen.
- 33
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Vorinstanzen:
AG Köln, Entscheidung vom 14.02.2012 - 138 C 576/11 -
LG Köln, Entscheidung vom 23.10.2012 - 11 S 122/12 -
BUNDESGERICHTSHOF
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. April 2018 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Wellner und die Richterinnen von Pentz, Dr. Oehler und Dr. Roloff
für Recht erkannt:
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Der Kläger nimmt die Beklagte, bei der er über die Internet-Plattform "Amazon Marketplace" Waren bestellt hat, auf Unterlassung der Zusendung von E-Mails in Anspruch, in denen der Dank für den Kauf eines Gegenstandes mit der Bitte verknüpft wird, an einer Kundenzufriedenheitsumfrage teilzunehmen.
- 2
- Der Kläger bestellte am 9. Mai 2016 bei der Beklagten ein Ultraschallgerät zur Schädlingsvertreibung, wobei die Abwicklung nicht direkt zwischen den Parteien, sondern über Amazon erfolgte. Eine Rechnung erhielt er zunächst nicht. Am 24. Mai 2016 erhielt er diese von der Beklagten durch eine E-Mail mit dem Betreff "Ihre Rechnung zu Ihrer Amazon Bestellung … " und folgendem Inhalt:
- 3
- "Sehr geehrte Damen und Herren, anbei erhalten Sie Ihre Rechnung im PDF-Format. Vielen Dank, dass Sie den Artikel bei uns gekauft haben. Wir sind ein junges Unternehmen und deshalb auf gute Bewertungen angewiesen. Deshalb bitten wir Sie darum, wenn Sie mit unserem Service zufrieden waren, uns für Ihren Einkauf eine 5-Sterne Beurteilung zu geben.
- 4
- Sollte es an dem gelieferten Artikel oder unserem Service etwas auszusetzen geben, würden wir Sie herzlich darum bitten, uns zu kontaktieren. Dann können wir uns des Problems annehmen.
- 5
- Zur Bewertung: über folgenden Link einfach einloggen und eine positive 5-Sterne Beurteilung abgeben (…)".
- 6
- Der Kläger sieht in der E-Mail eine unaufgeforderte unerlaubte Zusendung von Werbung, die in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht eingreife.
- 7
- Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
- 8
- Das Berufungsgericht hat - ebenso wie das Amtsgericht - einen Anspruch auf Unterlassung gemäß §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB verneint.
- 9
- Zwar könne die unaufgeforderte Zusendung unerlaubter Werbung einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellen. Auch bei der Bewertungsanfrage handele es sich um Werbung. Der dadurch erfolgte Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers sei jedoch nicht rechtswidrig. Bei der gebotenen Abwägung sei zu berücksichtigen, dass eine vergleichsweise geringe Eingriffsqualität vorliege und die Anfrage in unmittelbarem Zusammenhang mit dem vom Kläger getätigten Kauf stehe. Dem Verbraucher werde dadurch auch nicht die inhaltliche Auseinandersetzung mit anderen Produkten aufgezwungen. Die Feedback-Anfrage stehe vielmehr im Zusammenhang mit der Zusendung der Rechnung und dem konkret getätigten Kauf. Dabei sei auch die Wertung des § 7 Abs. 3 UWG zu beachten, der eine Einschränkung des Begriffs der "unzumutbaren Belästigung bei Werbung" vorsehe, wenn dieser bereits ein Verkauf einer Ware oder Dienstleistung vorangegangen sei und der Unternehmer dadurch die E-Mail-Adresse erhalten habe. Im Streitfall sei die Übersendung der E-Mail sogar noch im Zusammenhang mit der vollständigen Kaufabwicklung erfolgt, sodass insoweit ein noch weniger schwerwiegender Eingriff vorliege als im Rahmen des § 7 Abs. 3 UWG. Es könne auch nicht darauf ankommen, ob die Beklagte die E-Mail-Adresse direkt vom Kläger oder über Amazon erhalten habe. Der Kunde, der über die Plattform Amazon bei einem anderen Unternehmer etwas bestelle, müsse damit rechnen, dass dem Unternehmer ein Kontakt zu dem Käufer ermöglicht werde, auch wenn der Kontakt über eine von Amazon verschlüsselte E-Mail-Adresse erfolge, um die Identität des Käufers zu schützen.
II.
- 10
- Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu.
- 11
- 1. Das Berufungsgericht ist zutreffend und von der Revision unangegriffen davon ausgegangen, dass der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch aus § 8 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG hat (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 2015 - VI ZR 134/15, GRUR 2016, 530 mwN).
- 12
- Nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG stellt jede Werbung unter Verwendung elektronischer Post ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung des Empfängers eine unzumutbare Belästigung dar. Mit dieser Vorschrift hat der deutsche Gesetzgeber die in Art. 13 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (im Folgenden : Datenschutzrichtlinie EK, ABl. EG L 201 S. 37, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009, ABl. EG L 337 S. 11) enthaltenen Vorgaben zum Schutz der Privatsphäre der Betroffenen vor unverlangt auf elektronischem Weg zugesandter Werbung umgesetzt (vgl. BT-Drucks. 15/1487, S. 15, 21; BGH, Urteil vom 16. Juli 2008 - VIII ZR 348/06, BGHZ 177, 253 Rn. 30). Der Kläger ist nach der abschließenden Regelung des § 8 Abs. 3 UWG aber nicht berechtigt, Ansprüche auf Unterlassung gemäß § 8 Abs. 1 UWG geltend zu machen (Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 36. Aufl., § 8 Rn. 3.4). Er ist weder Mitbewerber der Beklagten noch ergibt sich seine Anspruchsberechtigung aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 UWG. Diese Bestimmungen gewährleisten lediglich einen Kollektivschutz der Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG) durch die Zuerkennung der Anspruchsberechtigung von Wirtschafts - und Verbraucherverbänden. Einen Individualschutz von Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern sehen sie nicht vor (Senatsurteil vom 14. März 2017 - VI ZR 721/15, GRUR 2017, 748 Rn. 13; Köhler in Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 36. Aufl., § 8 Rn. 3.4).
- 13
- 2. Der Kläger hat gegen die Beklagte aber einen Unterlassungsanspruch aus § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog wegen eines rechtswidrigen Eingriffs in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht.
- 14
- a) Die Verwendung von elektronischer Post für die Zwecke der Werbung ohne Einwilligung des Klägers stellt grundsätzlich einen Eingriff in seine geschützte Privatsphäre und damit in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht dar. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt den Bereich privater Lebensgestaltung und gibt dem Betroffenen das Recht, im privaten Bereich in Ruhe gelassen zu werden (vgl. Senatsurteil vom 19. Dezember 1995 - VI ZR 15/95, BGHZ 131, 332, 337; BVerfGE 35, 202, 220; 44, 197, 203). Hieraus folgt ein Recht des Einzelnen, seine Privatsphäre freizuhalten von unerwünschter Einflussnahme anderer, und die Möglichkeit des Betroffenen, selbst darüber zu entscheiden, mit welchen Personen und gegebenenfalls in welchem Umfang er mit ihnen Kontakt haben will. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann deshalb vor Belästigungen schützen, die von einer unerwünschten Kontaktaufnahme ausgehen. In der bloßen - als solche nicht ehrverletzenden - Kontaktaufnahme kann aber regelmäßig nur dann eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegen, wenn sie gegen den eindeutig erklärten Willen des Betroffenen erfolgt, weil ansonsten die Freiheit kommunikativen Verhaltens schwerwiegend beeinträchtigt wäre (vgl. Senatsurteile vom 8. Februar 2011 - VI ZR 311/09, NJW 2011, 1005 Rn. 8 und vom 15. Dezember 2015 - VI ZR 134/15, GRUR 2016, 530 Rn.12).
- 15
- b) Nach Art. 13 Abs. 1 der Datenschutzrichtlinie EK ist die Verwendung von elektronischer Post für die Zwecke der Direktwerbung nur bei vorheriger Einwilligung der Teilnehmer oder Nutzer zulässig. Ungeachtet des Art. 13 Abs. 1 kann eine natürliche oder juristische Person, wenn sie von ihren Kunden im Zusammenhang mit dem Verkauf eines Produkts oder einer Dienstleistung gemäß der Richtlinie 95/46/EG deren elektronische Kontaktinformationen für elektronische Post erhalten hat, diese zur Direktwerbung für eigene ähnliche Produkte oder Dienstleistungen nur verwenden, sofern die Kunden klar und deutlich die Möglichkeit erhalten, eine solche Nutzung ihrer elektronischen Kontaktinformationen bei deren Erhebung und bei jeder Übertragung gebührenfrei und problemlos abzulehnen, wenn der Kunde diese Nutzung nicht von vornherein abgelehnt hat (Art. 13 Abs. 2). Aus den Erwägungsgründen 1, 12 und 40 sowie Art. 1 Abs. 1 der Datenschutzrichtlinie EK ergibt sich, dass diese Regelungen dem Schutz der Privatsphäre der Nutzer im Bereich der elektronischen Kommunikation dienen soll (Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 36. Aufl., § 7 Rn. 2, 184; MünchKommUWG/Leible, 2. Aufl., § 7 Rn. 31; Ohly in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl., § 7 Rn. 8).
- 16
- c) Der erkennende Senat konnte in seinem Urteil vom 15. Dezember 2015 (VI ZR 134/15, GRUR 2016, 530 Rn.15) dahinstehen lassen, ob der Regelung des Art. 13 der Datenschutzrichtlinie EK aufgrund des Gebots zur richtlinienkonformen Auslegung (vgl. BGH, Urteile vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 Rn. 19 mwN; vom 7. Mai 2014 - IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 20) dadurch Geltung zu verschaffen ist, dass sich ein Verstoß gegen diese Regelung grundsätzlich als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt (vgl. Ohly in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl., § 7 Rn. 9 aE, 17 f.; Peters, Die Entwicklung der E-Mail-Werbung unter besonderer Berücksichtigung der UWG-Reform, 2006, S. 173 ff.; Menebröcker in Götting/Nordemann, UWG, 2. Aufl., § 7 Rn. 15; GK-UWG/Pahlow, 2. Aufl., § 7 Rn. 210; Heese, JZ 2016, 529, 530 f.; Gramespacher, WRP 2016, 495, 496; Wulf, DB 2016, 882). Diese Frage ist nunmehr zu bejahen. Denn die Gerichte sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 288 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und des Grundsatzes der Unionstreue gemäß Art. 4 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) verpflichtet , die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums , den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (BGH, Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 Rn. 19 mwN; BGH, Urteil vom 7. Mai 2014 - IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 20).
- 17
- d) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass auch eine Kundenzufriedenheitsbefragung unter den Begriff der (Direkt-)Werbung fällt.
- 18
- Der Begriff der Werbung umfasst nach dem allgemeinen Sprachgebrauch alle Maßnahmen eines Unternehmens, die auf die Förderung des Absatzes seiner Produkte oder Dienstleistungen gerichtet sind. Damit ist außer der unmittelbar produktbezogenen Werbung auch die mittelbare Absatzförderung - beispielsweise in Form der Imagewerbung - erfasst. Werbung ist deshalb in Übereinstimmung mit Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung (ABl. EU L 376 S. 21) jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu fördern (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 2015 - VI ZR 134/15, aaO Rn. 16; BGH, Urteil vom 12. September 2013 - I ZR 208/12, VersR 2014, 1462 Rn. 17 mwN - Empfehlungs-E-Mail, vgl. auch Apel/Henn, KbR 2016, 236, 237 f.; Gramespacher , WRP 2016, 495, 497; Mankowski, EWiR 2016, 157, 158). Kundenzufriedenheitsabfragen dienen zumindest auch dazu, so befragte Kunden an sich zu binden und künftige Geschäftsabschlüsse zu fördern. Durch derartige Befragungen wird dem Kunden der Eindruck vermittelt, der fragende Unternehmer bemühe sich auch nach Geschäftsabschluss um ihn. Der Unternehmer bringt sich zudem bei dem Kunden in Erinnerung, was der Kundenbindung dient und eine Weiterempfehlung ermöglicht. Damit soll auch weiteren Geschäftsabschlüssen der Weg geebnet und hierfür geworben werden (vgl. KG, MMR 2017, 338; OLG Dresden, GRUR-RR 2016, 462 Rn. 14 f.; OLG Köln, GRUR-RR 2014, 80, 82; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 36. Aufl., § 7 Rn. 132).
- 19
- e) Eine andere Beurteilung ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht aus dem Umstand, dass die Bewertungsanfrage im Zusammenhang mit der Übersendung einer Rechnung für den Kauf eines zuvor über die Plattform von Amazon bei der Beklagten gekauften Produkts übersandt worden ist.
- 20
- Zwar liegt in der Übersendung einer Rechnung selbst noch keine Werbung. Dies hat aber nicht zur Folge, dass die in der E-Mail enthaltene Bitte um Abgabe einer positiven Bewertung von vornherein keine (Direkt-)Werbung darstellen könnte. Die elektronische Post des Klägers wird von der Beklagten vielmehr in zweifacher Hinsicht - nämlich für die nicht zu beanstandende Übersendung der Rechnung und zusätzlich für Zwecke der Werbung - genutzt. Für die Annahme, die nicht zu beanstandende Rechnungsübersendung nehme der EMail insgesamt den Charakter der Werbung, ist kein Raum (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 2015 - VI ZR 134/15, GRUR 2016, 530 Rn. 19 mwN; Apel/Henn, KbR 2016, 236, 239; aA Straub, ZJS 2016, 510, 514).
- 21
- f) Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ist auch rechtswidrig. Die insoweit erforderliche Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien geht zu Lasten der Beklagten aus.
- 22
- aa) Das Recht des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und Achtung seiner Privatsphäre aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK ist mit dem berechtigten Interesse der Beklagten, mit ihren Kunden zum Zwecke der Werbung in Kontakt zu treten, abzuwägen. Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt - ebenso wie beim Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb - seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Um- stände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig , wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (vgl. Senatsurteil vom 9. Februar 2010 - VI ZR 243/08, VersR 2010, 673 Rn. 14 mwN).
- 23
- bb) Dabei ist auch - zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen - die Wertung des § 7 Abs. 2 UWG zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteil vom 14. März 2017 - VI ZR 721/15, GRUR 2017, 748 Rn. 28), mit der der deutsche Gesetzgeber Art. 13 der Datenschutzrichtlinie EK umgesetzt hat. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG stellt - abgesehen von dem Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 3 UWG - jede Werbung unter Verwendung elektronischer Post ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung des Adressaten stets eine unzumutbare Belästigung dar (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Mai 2009 - I ZR 218/07, GRUR 2009, 980 Rn. 14-E-Mail-Werbung II).
- 24
- cc) Dies gilt regelmäßig auch für Kundenzufriedenheitsbefragungen (vgl. KG, MMR 2017, 338; OLG Dresden, GRUR-RR 2016, 462 Rn. 24 f.; OLG Köln, GRUR-RR 2014, 80, 82; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 36. Aufl., § 7 Rn. 132). Eine Einwilligung des Klägers liegt im Streitfall nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht vor. In § 7 Abs. 3 UWG hat der Gesetzgeber zwar die Voraussetzungen einer Werbung unter Verwendung elektronischer Post nach Abschluss einer Verkaufstransaktion über das Internet für den Unternehmer mit der Erleichterung geregelt, dass eine Werbung für ähnliche Produkte oder Dienstleistungen auch ohne ausdrückliche Einwilligung des Adressaten zulässig ist. Dies setzt jedoch voraus, dass bereits bei der Erhebung der E-Mail-Adresse des Kunden (und bei jeder weiteren Verwendung) ein klarer und deutlicher Hinweis darauf erfolgt ist, dass er der Verwendung jeder- zeit widersprechen kann, ohne dass hierfür andere als die Übermittlungskosten nach den Basistarifen entstehen (§ 7 Abs. 3 Nr. 4 UWG). Ein solcher Hinweis seitens der Beklagten ist den Feststellungen des Berufungsgerichts im Streitfall nicht zu entnehmen und wird von der Revisionserwiderung auch nicht geltend gemacht.
- 25
- dd) Unter diesen Umständen besteht im Rahmen der Abwägung keine Veranlassung, die vom Kläger beanstandete Kundenzufriedenheitsanfrage ausnahmsweise als zulässig anzusehen. Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen überwiegt das Interesse des Klägers das Interesse der Beklagten, ihrem E-Mail-Schreiben mit der Übersendung der Rechnung an den Kläger werbende Zusätze in Form einer Kundenzufriedenheitsanfrage hinzuzufügen. Dabei ist einerseits zwar zu berücksichtigen, dass die unerwünschte Werbung die Interessen des Klägers nur vergleichsweise geringfügig beeinträchtigte, zumal er die Kundenzufriedenheitsanfrage einfach ignorieren konnte. Andererseits ist das Hinzufügen von Werbung zu einer im Übrigen zulässigen E-MailNachricht auch keine solche Bagatelle, dass eine Belästigung des Nutzers in seiner Privatsphäre ausgeschlossen wäre. Er muss sich mit der Kundenzufriedenheitsanfrage zumindest gedanklich beschäftigen. Zwar mag sich der Arbeitsaufwand bei einer einzelnen E-Mail in Grenzen halten. Mit der häufigen Verwendung von Werbezusätzen ist aber immer dann zu rechnen, wenn die Übermittlung einzelner E-Mails mit solchen Zusätzen zulässig ist. Denn im Hinblick auf die billige, schnelle und durch Automatisierungsmöglichkeit arbeitssparende Versendungsmöglichkeit und ihrer günstigen Werbewirkung (vgl. hierzu Ohly in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl., § 7 Rn. 2) ist mit einem Umsichgreifen dieser Werbeart zu rechnen (vgl. auch BGH, Urteil vom 20. Mai 2009 - I ZR 218/07, GRUR 2009, 280 Rn. 12-E-Mail-Werbung II). Eine bei isolierter Betrachtung unerhebliche Belästigung kann Mitbewerber zur Nachahmung veranlassen , wobei durch diesen Summeneffekt eine erhebliche Belästigung entste- hen kann (vgl. Ohly in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl., § 7 Rn. 2). Entscheidend ist aber, dass es dem Verwender einer E-Mail-Adresse zu Werbezwecken nach Abschluss einer Verkaufstransaktion zumutbar ist, bevor er auf diese Art mit Werbung in die Privatsphäre des Empfängers eindringt, diesem - wie es die Vorschrift des § 7 Abs. 3 UWG verlangt - die Möglichkeit zu geben, der Verwendung seiner E-Mail-Adresse zum Zwecke der Werbung zu widersprechen.
- 26
- 3. Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch das festgestellte rechtsverletzende Verhalten der Beklagten indiziert (BGH, Urteil vom 12. September 2013 - I ZR 208/12, VersR 2014, 1462 Rn. 25 f. mwN - Empfehlungs-E-Mail). Die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung hat die Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts abgelehnt.
- 27
- 4. Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben, sondern ist aufzuheben. Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden, weil weitere Feststellungen nicht zu treffen sind (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 3 ZPO). Galke Wellner von Pentz Oehler Roloff
AG Braunschweig, Entscheidung vom 15.11.2016 - 118 C 1363/16 -
LG Braunschweig, Entscheidung vom 24.05.2017 - 9 S 404/16 (13) -
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
II.
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 25.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
II.
Tenor
I. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 13. Juni 2013 wird abgeändert. Der Bescheid der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien vom 10. Juni 2011 wird in Nr. 1 Buchstabe b aufgehoben.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Verfahrenskosten in beiden Rechtszügen werden gegeneinander aufgehoben.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in derselben Höhe leistet.
V. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Gründe
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 25.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
II.
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
II.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen das Verbot, in den Räumen eines Sportvereins Sportwetten an einen privaten Wettanbieter zu vermitteln.
- 2
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Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und Mitglied des Türkischen Sportvereins (T.S.V.) G. in N. In dessen Vereinsheim vermittelte er Sportwetten von Vereinsmitgliedern an die Firma H. GmbH mit Sitz in K. Diese verfügt über eine Lizenz nach Kärntner Landesrecht.
- 3
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Im März 2006 begehrte der Kläger von der Beklagten festzustellen, dass seine Vermittlungstätigkeit keiner Erlaubnis bedürfe. Hilfsweise beantragte er die Erteilung einer Erlaubnis. Nach Anhörung untersagte die Beklagte ihm mit Bescheid vom 12. Juli 2006 die Vermittlung von Sportwetten im - damaligen - Vereinslokal des T.S.V. G. in der V. straße 12 in N. und verpflichtete ihn, den Betrieb bis zum 27. Juli 2006 einzustellen. Die dagegen erhobene Klage hat das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach mit Urteil vom 30. Januar 2007 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Im Berufungsverfahren hat der Kläger mitgeteilt, das Vereinsheim des T.S.V. G. sei inzwischen in die F. Straße 324 in N. umgezogen, und sein Begehren entsprechend angepasst.
- 4
-
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 18. Dezember 2008 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, bei der Untersagungsverfügung handele es sich um einen Dauerverwaltungsakt, der sowohl nach der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Rechtslage als auch nach dem zum 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) rechtmäßig sei. Die Untersagung finde ihre Rechtsgrundlage nunmehr in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV. Wegen des staatlichen Veranstaltungsmonopols für Sportwetten nach § 10 Abs. 2 und 5 GlüStV, des Erlaubnisvorbehalts für die private Wettvermittlung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV und wegen der Beschränkung der zulässigen Vermittlung auf die Angebote des Monopolträgers nach § 4 Abs. 2 Satz 2 GlüStV sei die Vermittlungstätigkeit des Klägers nicht erlaubnisfähig.
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Das staatliche Sportwettenmonopol nach dem GlüStV verletze weder die Verfassung noch unionsrechtliche Grundfreiheiten.
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Für die verfassungsrechtliche Beurteilung könne offen bleiben, ob der persönliche Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG oder der des Art. 2 Abs. 1 GG eröffnet sei. Selbst ein etwaiger Eingriff in die Berufswahlfreiheit sei verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Nach § 1 GlüStV diene das Wettmonopol legitimen Zielen. Insbesondere die Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht könne als überragend wichtiges Gemeinwohlziel selbst den mit der Errichtung des Monopols verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die Berufswahlfreiheit rechtfertigen. Das Veranstaltungsmonopol sei geeignet und erforderlich, das Ziel der Suchtbekämpfung zu verwirklichen. Der Gesetzgeber habe im Rahmen seines Prognosespielraums davon ausgehen dürfen, dass jede Öffnung des Wettmarktes eine Ausweitung des Sportwettenangebots und ein Zunehmen der Suchtgefahr bewirken würde. Seine Einschätzung, das Monopolsystem gewährleiste eine effektivere Kontrolle als Konzessionssysteme, sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Der Grundrechtseingriff sei auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Die Ausgestaltung des Sportwettenmonopols entspreche den Vorgaben der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Sie sei in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht konsequent an den verfolgten legitimen Zielen ausgerichtet, insbesondere an den Zielen der Suchtbekämpfung, des Spielerschutzes, des Jugend- und Verbraucherschutzes und des Schutzes vor Folge- und Begleitkriminalität. Das Gebot der Suchtbekämpfung habe nachhaltigen Niederschlag in zahlreichen - im Berufungsurteil aufgezählten - Vorschriften des Glücksspielstaatsvertrages gefunden. Eine unzulässige Ausrichtung an fiskalischen Interessen ließen weder der Normtext noch die Gesetzesbegründung oder die tatsächliche Ausgestaltung des Monopols erkennen.
- 7
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§ 21 GlüStV treffe ausreichende Regelungen hinsichtlich der Art und des Inhalts der Wettangebote, indem er nur Ergebniswetten zulasse. Der Glücksspielstaatsvertrag schränke auch den Wettvertrieb erheblich ein und gestalte ihn entsprechend den gesetzlichen Schutzzielen aus. Er verbiete den Internet-, Fernseh- und Telefon- oder SMS-Vertrieb ebenso wie Live-Wetten. Darüber hinaus verlange er eine strikte Trennung des Vertriebs von Sportorganisationen, -einrichtungen und -ereignissen. Die bereits reduzierte Zahl der Annahmestellen müsse nach dem Ausführungsgesetz zum GlüStV bis Ende 2011 weiter auf 3 700 vermindert werden. Zur völligen Aufgabe des Verbundvertriebs sei der Monopolträger verfassungsrechtlich nicht verpflichtet. Ohne kundennahe Annahmestellen könne das gesetzliche Ziel, den natürlichen Spieltrieb in geordnete Bahnen zu lenken und eine weitere Verlagerung des Wettgeschehens in den illegalen Bereich zu verhindern, nicht erreicht werden. Den Zielen der Suchtbekämpfung, des Spieler- und des Jugendschutzes trage die Ausgestaltung des Vertriebs über die Annahmestellen in Verbindung mit aktiven Präventionsmaßnahmen ausreichend Rechnung. Im Gegensatz zu Wettbüros lüden Lotto-Annahmestellen nicht zum Verweilen ein und seien nicht von einer suchtfördernden Wettatmosphäre geprägt. Da die Glücksspielvermittlung in den Annahmestellen regelmäßig nur als Nebengeschäft betrieben werde, fehle dort ein Anreiz, diesen Bereich auszubauen. Die Einführung einer nur auf Vorlage eines Lichtbildausweises auszustellenden Kundenkarte, das funktionierende Sperrsystem und die in der Praxis auch in Anspruch genommene Möglichkeit der Selbstsperre genügten, den Jugend- und den Spielerschutz sowie die Suchtbekämpfung auch im Verbundvertrieb zu gewährleisten. Verfassungsrechtlich sei nicht geboten, Jugendlichen bereits den Zutritt zu den Annahmestellen der staatlichen Lotteriegesellschaften zu untersagen. Die Werbung für Glücksspiele sei ebenfalls den gesetzlichen Zielen entsprechend beschränkt worden. Allerdings könne Werbung schon begrifflich nicht auf reine Sachinformation ohne Anreiz reduziert werden. Auch das Ziel, den Spieltrieb in geordnete Bahnen zu lenken, lasse sich ohne Werbung nur unzureichend erfüllen. Deshalb sei eine zur sachlichen Botschaft hinzutretende werbetypische Umrahmung zulässig, soweit sie nicht gezielt zum Wetten anreize und das Wetten nicht verharmlose. Die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben könne wegen der Erlaubnispflicht für Vermittler auch im Verbundvertrieb sichergestellt werden. Zwar lasse die von den Klägerbevollmächtigten vorgelegte "Mystery Shopping Studie" Zweifel an einer strikten Einhaltung der Schutzvorschriften aufkommen. Einzelne Vollzugsdefizite belegten jedoch noch kein normativ-strukturelles, die Verfassungsmäßigkeit der Regelung ausschließendes Defizit. Unsanktionierte systematische Durchbrechungen der rechtlichen Vorgaben seien nicht festzustellen. Der Monopolträger und die Aufsichtsbehörden nähmen eigene Kontrollen vor und ahndeten festgestellte Verstöße effektiv. Die Ressortverschiedenheit der Staatlichen Lotterieverwaltung und der Glücksspielaufsicht gewährleiste eine ausreichende Distanz der Aufsichtsbehörden zu den fiskalischen Interessen des Staates.
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Die unionsrechtliche Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49, 56 AEUV seien ebenfalls nicht verletzt. Die Beschränkung dieser Grundfreiheiten durch das staatliche Sportwettenmonopol werde durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt und sei verhältnismäßig.
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Der Gesetzgeber habe von einer Suchtgefahr ausgehen und handeln dürfen, obwohl noch keine umfassenden wissenschaftlichen Forschungsergebnisse dazu vorgelegen hätten. Es genüge, dass der aktuelle Erkenntnisstand berücksichtigt und eine begleitende Forschung und Evaluierung sichergestellt worden sei. Erkenntnisse aus dem Ausland widerlegten die Gefahrenprognose des Gesetzgebers nicht, da sie nicht ohne Weiteres auf die Bundesrepublik Deutschland übertragen werden könnten. Das Sportwettenmonopol sei auch geeignet, durch systematische und kohärente Begrenzung des Wettangebots zur Suchtbekämpfung und zur Kanalisierung der Spielleidenschaft beizutragen. Schwierigkeiten, den illegalen Markt einzudämmen, schlössen die Eignung nicht aus. Für die Kohärenz der Monopolregelung sei nur auf den von ihr erfassten Sektor abzustellen, nicht auf den gesamten Glücksspielbereich. Wegen der föderalen Struktur der Bundesrepublik genüge außerdem eine auf das konkrete Bundesland bezogene Prüfung. Das Kohärenzerfordernis verpflichte den Gesetzgeber nicht, jeden Wertungswiderspruch auch im Detail zu vermeiden. Es werde nur bei einem krassen Missverhältnis von Regelungsziel und Ausgestaltung verfehlt. Bundeslandspezifische Besonderheiten wie die verbliebenen DDR-Erlaubnisse und die Zulassung eines privaten Monopolträgers in Rheinland-Pfalz führten nicht zur Inkohärenz, weil sie absehbar ausliefen.
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Eine Diskriminierung sei mit dem staatlichen Sportwettenmonopol nicht verbunden. Auch ein Verstoß gegen das europäische Wettbewerbsrecht liege nicht vor.
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Weitere Sachaufklärung sei nicht erforderlich. Die nur hilfsweise gestellten Beweisanträge des Klägers, die nicht sämtlich den formalen Voraussetzungen gerecht würden, beträfen erwiesene oder als wahr unterstellte Tatsachen. Im Übrigen seien sie nicht entscheidungserheblich oder dem Beweis nicht zugänglich.
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Mit der vom Verwaltungsgerichtshof - beschränkt - hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung ab Inkrafttreten des GlüStV am 1. Januar 2008 zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 284 Abs. 2 StGB, des Art. 12 Abs. 1 GG sowie der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 AEUV.
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§ 284 Abs. 2 StGB verbiete nur Glücksspiele unter Vereinsmitgliedern, nicht die Vermittlung von Wetten zwischen Mitgliedern und einem Dritten. Das staatliche Sportwettenmonopol verletze die Berufsfreiheit. Die gesetzliche Regelung der Art und des Zuschnitts des staatlichen Wettangebots genüge nicht den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts. Das Sportwettenmonopol schränke die Berufswahlfreiheit unverhältnismäßig ein. Die Ziele der Suchtbekämpfung und des Spieler- und Jugendschutzes könnten ebenso bei einer beschränkten Marktöffnung erreicht werden. Zudem sei das Monopol weder rechtlich noch tatsächlich konsequent an den verfolgten Zielen ausgerichtet. Der Verbundvertrieb über Annahmestellen widerspreche ihnen ebenso wie die Werbung des staatlichen Monopolanbieters. Unzulässig sei jede den Wettentschluss fördernde Werbung, nicht nur der gezielte Anreiz zum Wetten. Dem werde die berufungsgerichtliche Auslegung des § 5 Abs. 1 und 2 GlüStV nicht gerecht. Die gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen zum Spieler- und Jugendschutz seien unzureichend und würden nicht konsequent umgesetzt.
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Der Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 AEUV ergebe sich aus der Inkohärenz der Monopolregelung. Erforderlich sei nicht nur eine Kohärenz im von der Monopolregelung betroffenen Sektor, sondern eine Gesamtkohärenz sämtlicher Regelungen im Glücksspielbereich. Die föderale Zuständigkeitsverteilung könne dem nicht entgegengehalten werden. Maßgebend sei auch nicht allein die normativ-strukturelle Ausgestaltung des Monopols, sondern ebenso dessen tatsächliche Umsetzung. Danach sei das Sportwettenmonopol mangels bundesweiter konsequenter Ausrichtung der Glücksspielpolitik am Ziel der Suchtbekämpfung unionsrechtswidrig. Zur weiteren Klärung der Voraussetzungen der Inkohärenz und zur Vereinbarkeit von § 4 Abs. 1 und § 10 Abs. 2 und 5 GlüStV mit dem Unionsrecht bittet der Kläger, dem Gerichtshof der Europäischen Union drei Fragen vorzulegen, für deren Formulierung auf die Sitzungsniederschrift verwiesen wird.
- 15
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Er meint, die Unvereinbarkeit des Sportwettenmonopols mit der Dienstleistungsfreiheit schließe auch eine Anwendung des Erlaubnisvorbehalts für die Vermittlung von Sportwetten an Wettunternehmen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union aus. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger ergänzend vorgetragen, die Unzulässigkeit seiner Vermittlungstätigkeit folge auch nicht aus § 21 Abs. 2 GlüStV. Diese Vorschrift verbiete nur das Vermitteln von Wetten in Sporteinrichtungen, deren Veranstaltungen Gegenstand der Wetten seien.
- 16
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Der Kläger beantragt,
-
unter Abänderung der Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 30. Januar 2007 und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Dezember 2008 die Untersagungsverfügung der Beklagten vom 12. Juli 2006 mit Wirkung vom 1. Januar 2008 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
-
die Revision zurückzuweisen.
- 18
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Sie verteidigt das angegriffene Urteil.
- 19
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Die Beteiligte unterstützt das Vorbringen der Beklagten, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision ist unbegründet. Zwar beruht das angegriffene Urteil auf einer unzutreffenden Anwendung des Art. 12 Abs. 1 GG und der Art. 49 und 56 AEUV, soweit es davon ausgeht, diese Vorschriften ließen eine Werbung des Monopolanbieters mit der gemeinnützigen Verwendung von Wetteinnahmen zu. Darüber hinaus stützt es sich auf die fehlerhafte Annahme, Art. 49 und 56 AEUV verlangten eine Kohärenz der Monopolregelung nur im betroffenen Glücksspielsektor und im jeweiligen Bundesland. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich aber aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 137 Abs. 1, § 144 Abs. 4 VwGO).
- 21
-
Revisionsrechtlich ist nicht zu beanstanden, dass der Verwaltungsgerichtshof die Untersagung der weiteren Sportwettenvermittlung als zukunftsbezogenen Dauerverwaltungsakt eingeordnet und die Anfechtungsklage für statthaft gehalten hat. Er musste auch nicht annehmen, das Verbot habe sich mit dem Auszug des T.S.V. G. aus dem im Bescheid genannten Anwesen V. straße 12 in N. erledigt. Vielmehr durfte er davon ausgehen, dass sich die Untersagungsverfügung auch auf die Wettannahme im neuen Vereinsheim in der F. Straße 324 erstreckte. Insoweit ist entsprechend §§ 133, 157 BGB auf den Empfängerhorizont abzustellen. Danach zielte die Untersagungsverfügung erkennbar darauf ab, das Betreiben einer Wettannahmestelle im Vereinsheim grundsätzlich und unabhängig von einem möglichen Ortswechsel zu untersagen. Die Angabe der Anschrift diente nur der individualisierenden Umschreibung des untersagten Betriebs im Hinblick auf die gleichzeitig eingeleitete Verwaltungsvollstreckung. Wie sich aus der Anpassung des Klagebegehrens im Berufungsverfahren ergibt, ging auch der Kläger davon aus, das Verbot gelte seit dem Umzug des Vereins am 8. Mai 2007 für das neue Vereinslokal fort.
- 22
-
Die Annahme des Berufungsgerichts, die angefochtene Untersagungsverfügung sei hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Zeitraums ab dem 1. Januar 2008 verfassungs- und unionsrechtskonform, beruht jedoch auf einer unzutreffenden Anwendung revisiblen Rechts. Dabei ist auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats abzustellen. Der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ist bei der Anfechtungsklage nur maßgeblich, soweit sich aus dem materiellen Recht nichts anderes ergibt. Da die hier einschlägigen materiell-rechtlichen Vorschriften des Glücksspielstaatsvertrages und des landesrechtlichen Ausführungsgesetzes irrevisibel sind, obliegt diese Beurteilung dem Berufungsgericht. An dessen Annahme, die glücksspielrechtliche Untersagungsverfügung müsse sich nach der jeweils aktuellen Rechtslage als rechtmäßig erweisen, ist der Senat gebunden (vgl. Urteil vom 21. Juni 2006 - BVerwG 6 C 19.06 - BVerwGE 126, 149 Rn. 33 = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 264).
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Nach § 137 Abs. 1 i.V.m. § 173 VwGO, § 560 ZPO ist der revisionsrechtlichen Beurteilung die berufungsgerichtliche Auslegung und Anwendung des irrevisiblen Glücksspielstaatsvertrages und des dazu erlassenen bayerischen Ausführungsgesetzes vom 20. Dezember 2007 zugrunde zu legen. Der Senat hat nur zu überprüfen, ob diese mit dem revisiblen Recht in Einklang stehen.
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Danach ist davon auszugehen, dass § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV seit dem Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages am 1. Januar 2008 die Rechtsgrundlage der streitigen Untersagungsverfügung bildet, und dass die vom Kläger vermittelten Sportwetten nach § 3 Abs. 1 Satz 3 GlüStV als Glücksspiele einzuordnen sind, die nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV i.V.m. Art. 2 Abs. 1 AGGlüStV im Freistaat Bayern nur mit Erlaubnis der bayerischen Behörden veranstaltet und vermittelt werden dürfen. Die Erteilung dieser Erlaubnis ist nach der den Senat bindenden berufungsgerichtlichen Auslegung des § 4 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 10 Abs. 2 und 5 GlüStV ausgeschlossen, weil danach nur Wettangebote des staatlichen Monopolträgers vermittelt werden dürfen.
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Zu Unrecht rügt die Revision einen Verstoß gegen § 284 Abs. 2 StGB. Diese Bestimmung ist im Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Der Verwaltungsgerichtshof hat sie nur zur Rechtfertigung der Untersagungsverfügung für die Zeit der Geltung des Lotteriestaatsvertrages bis zum 31. Dezember 2007 herangezogen. Für den im Revisionsverfahren noch streitigen Zeitraum seit Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages am 1. Januar 2008 hat er auf dessen Regelungen abgestellt.
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Seine Annahme, das der Einschränkung der Vermittlungstätigkeit zugrunde liegende staatliche Sportwettenmonopol nach dem Glücksspielstaatsvertrag sei mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, ist revisionsrechtlich jedoch nicht fehlerfrei. Sie beruht auf einer unzutreffenden Konkretisierung der Anforderungen, die das Gebot der Verhältnismäßigkeit an Eingriffe in die Berufswahlfreiheit stellt.
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Das staatliche Sportwettenmonopol schränkt die Berufswahlfreiheit ein, weil es alle Grundrechtsträger von der gewerblichen Veranstaltung von Sportwetten außerhalb des Pferdesports ausschließt.
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Dieser Eingriff ist vom Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 GG nur gedeckt, wenn eine formell-gesetzliche, kompetenzgerechte Regelung besteht, die durch hinreichende, der Art der betroffenen Betätigung und der Eingriffsintensität Rechnung tragende Gründe des Gemeinwohls legitimiert und verhältnismäßig ist (BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 - BVerfGE 115, 276 <303 f.>; Kammerbeschluss vom 14. Oktober 2008 - 1 BvR 928/08 - NVwZ 2008, 1338 <1340 Rn. 24>).
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Zu Recht hat der Verwaltungsgerichtshof angenommen, dass die Errichtung des staatlichen Sportwettenmonopols im Freistaat Bayern durch das Zustimmungsgesetz zum Glücksspielstaatsvertrag vom 27. November 2007 und das Ausführungsgesetz vom 20. Dezember 2007 von der Landesgesetzgebungskompetenz nach Art. 70 Abs. 1, Art. 72 Abs. 1 GG gedeckt sind. Der Bund hat von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Recht der Wirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) im Bereich der Sportwetten jedenfalls nicht abschließend Gebrauch gemacht (BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 a.a.O. S. 304; Kammerbeschluss vom 20. März 2009 - 1 BvR 2410/08 - NVwZ 2009, 1221 <1222 Rn. 14>). Das Rennwett- und Lotteriegesetz vom 8. April 1922 (RGBl I S. 335, 393), das nach Art. 125 Nr. 1 GG als Bundesrecht fortgilt, regelt nicht die vom Glücksspielstaatsvertrag erfassten Sportwetten außerhalb des Pferdesports.
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Der Einwand der Revision, die gesetzlichen Vorgaben für die Wahrnehmung des Monopols genügten nicht dem verfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt, trifft nicht zu. Dieser verlangt nur, dass der demokratisch legitimierte Gesetzgeber die für die Grundrechtsausübung wesentlichen Regelungen selbst trifft und nicht der Exekutive überlässt (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 <251 f.>; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl. 2009, Art. 20 Rn. 47). Die für die Ausübung der Berufsfreiheit wesentlichen Regelungen werden im Sportwettenbereich durch § 4 Abs. 1 GlüStV i.V.m. Art. 2 Abs. 1 bis 4 AGGlüStV und § 10 Abs. 1, 2 und 5 GlüStV getroffen. Diese Vorschriften schließen die Grundrechtsträger von der Veranstaltung solcher Wetten aus und bestimmen die Voraussetzungen, unter denen eine Vermittlungserlaubnis erteilt werden kann. Das dabei eingeräumte Ermessen ist nach § 4 Abs. 2 Satz 1 GlüStV, Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGGlüStV an die in § 1 GlüStV im Einzelnen normierten Ziele des Glücksspielstaatsvertrages gebunden. Die vom Kläger für unzureichend gehaltenen Bestimmungen über Art und Zuschnitt zulässiger Sportwetten und die Vorgaben für deren Vermarktung betreffen nicht die dem Parlamentsvorbehalt unterworfene Regelung der Grundrechtsausübung privater Sportwettenanbieter oder -vermittler. Sie regeln nur das Angebot der nicht grundrechtsfähigen staatlichen oder staatlich beherrschten Monopolträger.
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Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die gesetzliche Regelung des Sportwettenmonopols verfassungsrechtlich legitimen Zwecken dient sowie geeignet und erforderlich ist, diese zu verwirklichen. Revisionsrechtlich fehlerhaft ist aber seine Annahme, die Regelung sei auch verhältnismäßig im engeren Sinne.
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Nach der den Senat bindenden Auslegung des irrevisiblen Landesrechts bezwecken der Glücksspielstaatsvertrag und seine landesgesetzliche Umsetzung, die Spielsucht zu bekämpfen, den Jugend- und Spielerschutz zu gewährleisten, den Spieltrieb in geordnete Bahnen zu lenken und die Gefahr des Betrugs sowie sonstiger Folge- und Begleitkriminalität des Wettens abzuwehren (vgl. § 1 GlüStV, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGGlüStV). In der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sind die Suchtbekämpfung und -vorbeugung, der Spieler- und Jugendschutz sowie der Schutz vor Folge- und Begleitkriminalität als besonders wichtige Gemeinwohlziele anerkannt, die auch Eingriffe in die Berufswahlfreiheit rechtfertigen können (BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 a.a.O. S. 304 ff.). Der Zweck, die Spielleidenschaft zu kanalisieren, ist ebenfalls verfassungsrechtlich legitim, auch wenn nicht alle dazu geeigneten Vertriebsformen gleichzeitig dem Ziel der Suchtbekämpfung durch Angebotsbegrenzung entsprechen. Es genügt, dass eine Ausgestaltung der Sportwetten denkbar ist, die beiden Zielen Rechnung trägt.
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Die Eignung eines Mittels setzt nur voraus, dass mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Dazu genügt die Möglichkeit der Zweckerreichung. Insoweit steht dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Prognosevorrang zu. Seine Annahme, eine Marktöffnung werde eine erhebliche Ausweitung von Wettangeboten zur Folge haben und damit einer Ausbreitung der Spielsucht Vorschub leisten, ist davon ebenso gedeckt wie die Annahme, ein Monopol ermögliche eine effizientere Kontrolle als die Überwachung einer Vielzahl von Erlaubnisnehmern. Die von der Revision hervorgehobenen Schwierigkeiten der Durchsetzung des Monopols lassen seine Eignung nicht entfallen (BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 a.a.O. S. 308).
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Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit eines staatlichen Monopols steht dem Gesetzgeber ebenfalls eine Einschätzungsprärogative zu. Deren Grenzen sind erst überschritten, wenn nach den ihm bekannten Tatsachen und im Hinblick auf die bisherigen Erfahrungen feststellbar ist, dass alternativ in Betracht kommende Grundrechtsbeschränkungen die gleiche Wirksamkeit versprechen, die Betroffenen aber weniger belasten (BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 a.a.O. S. 309). Nach diesen Kriterien musste der Verwaltungsgerichtshof die Annahme des Bayerischen Gesetzgebers, das Wettmonopol sei erforderlich, verfassungsrechtlich nicht beanstanden. Er hatte auch nicht zu klären, ob die Ziele des Verbraucherschutzes und der Kriminalitätsbekämpfung ebenso wirksam durch weniger einschneidende Mittel zu verfolgen gewesen wären. Vielmehr durfte er darauf abstellen, dass jedenfalls zur Bekämpfung der Spielsucht keine nach den vorliegenden Erkenntnissen ebenso effektive, aber weniger einschneidende Maßnahme als die Errichtung eines Monopols zur Verfügung stand. Die entsprechende Würdigung des Verwaltungsgerichtshofs berücksichtigt entgegen dem Revisionsvorbringen nicht nur die Erwägungen des Gesetzgebers (LTDrucks 15/8486 S. 9, 12), sondern geht auch auf den Vortrag des Klägers zur Eignung einer beschränkten Marktöffnung und zu den Erfahrungen im Bereich der Pferdesportwetten ein. An die berufungsgerichtliche Tatsachenfeststellung, die Errichtung eines Monopols sei effizienter als eine Konzessionslösung, ist der Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden. Die Revision hat diese Feststellung nicht mit wirksamen substantiierten Verfahrensrügen nach § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO angegriffen. Sie hält ihr nur die eigene, abweichende Sachverhalts- und Beweiswürdigung entgegen.
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Die Annahme des Berufungsgerichts, die Beschränkung der Berufswahlfreiheit durch das staatliche Wettmonopol sei auch verhältnismäßig im engeren Sinne und damit zumutbar, beruht jedoch auf einer unzutreffenden Konkretisierung der Anforderungen, die das Gebot der Verhältnismäßigkeit an die rechtliche und tatsächliche Ausgestaltung der Werbung für das Monopolangebot stellt.
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Die Zumutbarkeit der Errichtung eines staatlichen Monopols für die Betroffenen setzt voraus, dass das Monopol tatsächlich den mit ihm verfolgten, überragend wichtigen Gemeinwohlzwecken dient (BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 a.a.O. S. 309 f.). Maßgebend ist dafür die konsequente Ausrichtung am Ziel der Suchtvorbeugung und -bekämpfung, dem der Gesetzgeber vorrangige Bedeutung beigemessen hat (vgl. LTDrucks 15/8486 S. 12 f.). Die weiteren in § 1 GlüStV genannten Ziele, insbesondere die Kanalisierung der Wettleidenschaft, können keine der Suchtbekämpfung widersprechende Ausgestaltung des Monopols rechtfertigen.
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Die konsequente Ausrichtung am Ziel, die Spielsucht zu bekämpfen und problematischem Spielverhalten vorzubeugen, muss in der rechtlichen und tatsächlichen Ausgestaltung des Sportwettenmonopols positiv zum Ausdruck kommen. Dazu sind materiell-rechtliche Regelungen und strukturelle Sicherungen erforderlich, die auch gewährleisten, dass fiskalische Interessen im Konfliktfall zurücktreten (BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 a.a.O. S. 310, 312).
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Die normative Ausgestaltung des Monopols muss hinreichende inhaltliche Kriterien betreffend die Art und den Zuschnitt der Sportwetten festlegen und Vorgaben zur Beschränkung ihrer Vermarktung enthalten. Die Vertriebswege sind so auszuwählen und einzurichten, dass Möglichkeiten zur Verwirklichung des Spieler- und Jugendschutzes genutzt werden. Auch die Einzelausgestaltung ist am Ziel der Suchtbekämpfung und des Spielerschutzes auszurichten. Dies verlangt eine aktive Prävention, die über das Bereithalten von Informationsmaterial hinausgeht und eine angebotsimmanente Aufklärung, Früherkennung und Förderung der Motivation zur Verhaltensänderung, etwa durch die Möglichkeit einer Selbstsperre, vorsieht. Die Werbung hat sich auf sachliche Information und Aufklärung über legale Wettmöglichkeiten zu beschränken und darf keinen Aufforderungscharakter haben. Schließlich muss organisatorisch eine Kontrolle durch geeignete Instanzen mit ausreichender Distanz zu den fiskalischen Interessen des Staates sichergestellt werden (BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 a.a.O. S. 318).
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Die gesetzliche Regelung der inhaltlichen Kriterien betreffend Art und Zuschnitt der Sportwetten musste der Verwaltungsgerichtshof nicht für unzureichend halten. Zwar ist der Revision zuzugeben, dass die Ausführungen des angegriffenen Urteils zu § 21 Abs. 2 GlüStV nicht Art und Inhalt der Angebote, sondern Vertriebsregelungen betreffen. § 21 Abs. 1 Satz 1 GlüStV leistet in der für den Senat bindenden Interpretation des Berufungsgerichts aber eine ausreichende inhaltliche Beschränkung des Wettangebots, indem er nur Wetten auf das Endergebnis eines sportlichen Wettkampfs zulässt und damit Wetten auf Zwischenergebnisse - etwa einer Spielhalbzeit oder eines Satzes - sowie Wetten auf Einzelereignisse während eines Wettkampfs ausschließt. Soweit dies die nähere Konkretisierung zulässiger Angebotsformen der Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 GlüStV überlässt, gewährleistet die Bindung des Ermessens an die Ziele des § 1 GlüStV, dass keine die Suchtvorbeugung und -bekämpfung beeinträchtigende Wettform zuzulassen ist. Eine gesetzliche Regelung weiterer Ausgestaltungsdetails war nicht erforderlich, da diese nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichtshofs für die Suchtprävention und -bekämpfung nicht von Bedeutung waren.
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Der Glücksspielstaatsvertrag und die dazu erlassenen bayerischen Ausführungsvorschriften werden auch im Hinblick auf die rechtlichen Vorgaben zur Beschränkung der Vermarktung von Sportwetten dem Verhältnismäßigkeitsgebot (im engeren Sinne) gerecht, soweit sie die Vertriebswege begrenzen und sicherstellen, dass bei der Einzelausgestaltung der Wettgelegenheiten dem Spieler- und Jugendschutz Rechnung getragen wird.
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Die Einschränkung auf terrestrische Vertriebswege durch Ausschluss des Internet- und SMS-Vertriebs in § 4 Abs. 4, § 21 Abs. 2 Satz 3 GlüStV dient dem Ziel der Suchtvorbeugung und -bekämpfung. Sie schützt Kinder und Jugendliche vor den Gefahren, die mit einer Nutzung der in dieser Altersgruppe beliebten interaktiven Medien zum Glücksspiel verbunden sind. Auf die wirtschaftliche Bedeutung der ausgeschlossenen Vertriebswege für die Monopolanbieter kommt es für die Ausrichtung am Ziel der Suchtbekämpfung nicht an.
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Die Vorgabe des Art. 1 Abs. 3 Satz 2 AGGlüStV, die Zahl der Annahmestellen bis zum 31. Dezember 2011 weiter auf 3 700 zu reduzieren, normiert nach der Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs eine Rechtspflicht und gewährleistet damit eine quantitative Begrenzung des Angebots. Der Revisionsvortrag, der Freistaat Bayern setze sich über diese Pflicht hinweg, widerspricht den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, ohne insoweit wirksame Verfahrensrügen zu erheben. Entgegen der Auffassung des Klägers musste der Gesetzgeber die Entscheidungen über weitere Anpassungen des Vertriebssystems auch nicht mit einer Übergangsfristenregelung vorwegnehmen, sondern durfte zunächst die im Staatsvertrag vorgesehene wissenschaftliche Evaluation abwarten. Auf ein Überangebot von Wettannahmestellen lässt entgegen dem Revisionsvorbringen nicht schon die vergleichsweise geringere Zahl der Postfilialen schließen. Seit der Abschaffung des Postmonopols wird ein erheblicher Teil der früher der Post vorbehaltenen Dienstleistungen durch andere Anbieter erbracht. Außerdem können Dienstleistungen der Post auch außerhalb der Niederlassungen in Anspruch genommen werden, etwa durch Briefkästen, Automaten oder die inzwischen eingeführten Internetangebote (E-Postbrief). Die Erwägung des Verwaltungsgerichtshofs, der strenge Erlaubnisvorbehalt, die Auswahl der Vermittler und deren konsequente Überwachung seien für die Suchtvorbeugung und -bekämpfung wichtiger als die bloße Reduzierung ihrer Zahl, ist nicht denkfehlerhaft. Sie widerspricht auch nicht der Annahme, ein Konzessionssystem sei zur Suchtbekämpfung weniger geeignet als ein Monopol. Denn eine wirksame Kontrolle ist nach den bindenden berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen im Monopolsystem effektiver durchzuführen als bei einer Marktöffnung.
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Entgegen der Auffassung der Revision musste der Verwaltungsgerichtshof nicht annehmen, der Gesetzgeber sei verpflichtet, den Verbundvertrieb über mittelständische Einzelhandelsbetriebe völlig aufzugeben. Vielmehr durfte er davon ausgehen, die verfassungsrechtlich geforderte Abkehr vom Vertrieb der Wettangebote als allerorts verfügbarer normaler Gegenstände des täglichen Bedarfs lasse sich dadurch erreichen, dass die Zahl der Vertriebsstellen begrenzt und gleichzeitig Maßnahmen zur qualitativen Beschränkung der Vermarktung getroffen würden. Der Verbundvertrieb schließt eine konsequente Ausrichtung auf die Suchtvorbeugung und -bekämpfung nicht aus. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs genügen die detaillierten Vorgaben für die Auswahl und Kontrolle der Vermittler und die Einzelgestaltung der Wettangebote in Verbindung mit den vorgesehenen Maßnahmen zur aktiven Prävention, auch im Verbundvertrieb der Spielsucht vorzubeugen, der Spielsucht entgegenzuwirken und einen ausreichenden Spieler- und Jugendschutz zu gewährleisten. Neben der jedem Angebot beigegebenen Aufklärung über die Gefahren der Wettsucht und mögliche Hilfen dienen dazu insbesondere das Zugangserfordernis der Kundenkarte und dessen Verknüpfung mit dem Sperrsystem. Nach den berufungsgerichtlichen Feststellungen wird die Kundenkarte nur auf Vorlage eines Lichtbildausweises ausgestellt und trägt ein Foto sowie - jedenfalls seit Mai 2008 - den vollen Namen des Inhabers. Dies erlaubt eine Identifizierung problematischen Wettverhaltens und dient dem Abgleich mit der Sperrdatei, zu dem jeder Vermittler verpflichtet ist. Gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs, die Zugangskontrolle mittels individueller Kundenkarte sei mittlerweile konsequent umgesetzt und geeignet, problematischem Wettverhalten zu begegnen und Kinder und Jugendliche sowie abhängige Personen von der Teilnahme auszuschließen, hat die Revision keine wirksamen Verfahrensrügen erhoben. Dazu genügt nicht, dass sie den Sachverhalt abweichend beurteilt. Soweit der Verwaltungsgerichtshof den hilfsweise gestellten Beweisanträgen des Klägers nicht nachgegangen ist, fehlen substantiierte Rügen einer Verletzung des Aufklärungsgebots nach § 86 Abs. 1 VwGO oder des Grundsatzes rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO, jeweils i.V.m. § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO.
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Bei der Entscheidung, den Verbundvertrieb beizubehalten, durfte der Gesetzgeber schließlich berücksichtigen, dass die alternativ mögliche Beschränkung des Vertriebs auf besondere Wettlokale dem Ziel der Suchtbekämpfung abträglich sein kann. Nach den nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz sind solche Lokale, deren Umsatz ganz vom Wettgeschäft abhängig ist, regelmäßig darauf ausgelegt, Kunden zum Verweilen einzuladen und zum Wetten zu animieren. Sie bieten soziale Kontakte, die zur Teilnahme an Wetten anreizen und eine bereits vorhandene Wettneigung verstärken (vgl. Meyer/Hayer, Das Gefährdungspotential von Lotterien und Sportwetten, 2005, S. 138 f.). Demgegenüber ermöglicht der Verbundvertrieb, in dem das Wettgeschäft nur als Nebenerwerb betrieben wird, auch eine soziale Kontrolle durch nicht zum Wetten geneigte Personen, die übermäßigem Spielen vorbeugen kann.
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Die Feststellung des Berufungsgerichts, die rechtlichen Beschränkungen des Wettangebots würden nicht durch eine faktische Expansion unterlaufen, wird ebenso wenig mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffen wie die Feststellung, die Monopolanbieter hätten aufgrund der Angebotseinschränkung erhebliche Umsatzrückgänge zu verzeichnen.
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Wie der Verwaltungsgerichtshof zutreffend ausführt, war der Gesetzgeber nicht verpflichtet, weitere Vertriebsbeschränkungen wie Auslagen-, Standort- oder Provisionsverbote zu regeln. Die konsequente Ausrichtung am Ziel der Suchtbekämpfung verlangt keine Optimierung. Vielmehr genügen zur Zielverwirklichung ausreichende Maßnahmen. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts erfüllen bereits die im Glücksspielstaatsvertrag vorgesehenen und in der Praxis umgesetzten Einschränkungen des Verbundvertriebs diese Anforderung.
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Dem Erfordernis einer unabhängigen, effektiven Kontrolle genügt die Einrichtung einer Glücksspielaufsicht, die bei einem anderen Ministerium als dem für die Lotterieverwaltung zuständigen Finanzministerium ressortiert (BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. März 2007 - 1 BvR 2228/02 - NVwZ-RR 2008, 1 <4 Rn. 59>). Trotz der mit der "Mystery Shopping Studie" aufgezeigten Vollzugsdefizite durfte der Verwaltungsgerichtshof annehmen, dass die normativen und strukturellen Vorgaben eine hinreichend effektive Kontrolle der Sportwettenvermarktung gewährleisten. Seinen nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Tatsachenfeststellungen zufolge hat die Glücksspielaufsicht ausreichende Überwachungsmaßnahmen durchgeführt und festgestellte Verstöße angemessen sanktioniert. Die aufgedeckten Defizite insbesondere im Umgang mit Kundenkarten wurden bereits im ersten Halbjahr nach Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages behoben. Später festzustellende Verstöße hatten nicht den Charakter systematischer Abweichungen und wurden ebenfalls geahndet.
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Dass der Verwaltungsgerichtshof nur strukturelle Vollzugsdefizite für geeignet hält, eine verfassungswidrige Handhabung des Sportwettenmonopols zu belegen, ist revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Zwar hängt die Rechtfertigung des Monopols auch von dessen tatsächlicher Ausgestaltung ab. Nicht jeder Vollzugsmangel genügt aber schon, eine Abweichung von der erforderlichen Ausrichtung zu belegen. Nur wenn das Umsetzungsdefizit bereits in der Regelung angelegt ist oder wenn gehäufte oder gar systematische Verstöße nicht konsequent geahndet und unterbunden werden, prägt dies die tatsächliche Handhabung der Monopolregelung und lässt auf Defizite der normativen Sicherung schließen (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 a.a.O. S. 310, 316).
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Nicht mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar ist allerdings die berufungsgerichtliche Auslegung der Regelungen zur Werbung für das staatliche Wettangebot in § 5 Abs. 1 und 2 GlüStV, soweit sie nur den gezielten Anreiz zum Wetten für unzulässig und eine Werbung mit der gemeinnützigen Verwendung von Wetteinnahmen für unbedenklich hält.
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Eine konsequent am Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Spielsucht ausgerichtete Werbung darf nicht zum Wetten auffordern, anreizen oder ermuntern. Damit ist nicht zu vereinbaren, die Teilnahme an Wetten als sozialadäquate oder gar positiv bewertete Unterhaltung darzustellen. Vielmehr hat die Werbung für das Monopolangebot sich bei Wahrung des Ziels, legale Wettmöglichkeiten anzubieten, auf eine Information und Aufklärung über die Möglichkeit zum Wetten zu beschränken (BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 a.a.O. S. 318).
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Mit diesen Vorgaben steht noch in Einklang, dass die Pflicht zur Beschränkung der Werbung auf die Information und Aufklärung über legale Wettmöglichkeiten nach § 5 Abs. 1 GlüStV dem angegriffenen Urteil zufolge konkretisiert wird durch das in Absatz 2 der Vorschrift geregelte Verbot einer zur Teilnahme auffordernden oder irreführenden Werbung sowie durch die ebenfalls dort verankerte Pflicht, den Jugendschutz zu beachten und über Risiken und Gefahren des Wettens zu belehren. Diese systematische Auslegung verkürzt weder das Aufforderungsverbot, noch lässt sie das Ziel der Suchtbekämpfung hinter das Ziel einer Kanalisierung der Wettleidenschaft zurücktreten. Das Berufungsgericht stellt auch nicht in Abrede, dass die sachliche Werbung nur auf eine Lenkung des bereits vorhandenen Wettwillens gerichtet sein darf, ohne noch nicht zum Wetten Entschlossene zur Teilnahme anzureizen.
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Dem verfassungsrechtlichen Erfordernis der konsequenten Ausrichtung des Monopols am Ziel der Suchtbekämpfung widerspricht aber seine Annahme, dies verbiete nur den gezielten Anreiz zum Mitspielen. Dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Lotteriestaatsvertrag für die Übergangszeit bis zur Neuregelung der Sportwetten jede über die sachliche Information zur Art und Weise der Wettmöglichkeit hinausgehende, gezielt zum Wetten auffordernde Werbung untersagt hat (BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 a.a.O. S. 319), relativiert die gebotene Beschränkung auf sachliche Information nicht durch ein zusätzliches Kriterium der Absicht des Werbenden oder der erkennbaren Zielrichtung seiner Werbung. Der Beschränkung auf die sachliche Information über legale Wettmöglichkeiten widersprechen nicht nur der absichtliche Anreiz und die direkte Aufforderung zum Wetten, sondern alle Werbemaßnahmen, die von einem noch nicht zum Wetten entschlossenen durchschnittlichen Empfänger der Botschaft als Motivierung zum Wetten zu verstehen sind. Entscheidend ist also nicht die Intention, sondern der nach dem Horizont des durchschnittlichen Empfängers zu bestimmende Aussagegehalt.
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Für diese Beurteilung kann entgegen dem angegriffenen Urteil nicht zwischen einer auf die sachliche Information beschränkten Werbebotschaft und einer darüber hinaus zulässigen werbetypischen Umrahmung oder Aufmachung unterschieden werden. Die Botschaft oder der Aussagegehalt einer Werbung ist nicht unabhängig vom Kontext der Aufmachung zu ermitteln, sondern wird durch diese mit bestimmt. Entscheidend ist daher, dass die aus Text und Aufmachung zusammengesetzte Werbeaussage vom durchschnittlichen Empfänger nicht als Anreiz zum Wetten zu verstehen ist, sondern nur als Hinweis auf eine legale Möglichkeit, einen vorhandenen Entschluss zum Wetten umzusetzen.
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Der Begriff der Werbung zwingt zu keiner anderen Auslegung. Er wird durch jeden an das Publikum gerichteten Hinweis eines Anbieters auf ein eigenes entgeltliches Angebot erfüllt. Dazu zählt auch die sachliche Information des Monopolanbieters über die Möglichkeit, bei ihm legal Sportwetten abzuschließen.
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Das Ziel, die Wettleidenschaft durch den Hinweis auf legale Wettangebote zu lenken, verlangt und rechtfertigt keine über die sachliche Information hinausgehende, zum Wetten selbst motivierende Aussage. Unzulässig sind danach beispielsweise Darstellungen des Wettens als aussichtsreiche Möglichkeit materiellen Zugewinns, als attraktive Unterhaltung oder als sozialadäquate Beschäftigung. Erst recht darf die Teilnahme an Wetten nicht als positiv zu beurteilendes, wünschenswertes oder sozial verantwortliches Handeln aufgewertet werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 a.a.O. S. 314; Kammerbeschluss vom 14. Oktober 2008 - 1 BvR 928/08 - NVwZ 2008, 1338 <1341 f. Rn. 39, 47, 57>).
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Das schließt zwar nicht die Verwendung einer Dachmarke aus, wohl aber jede Form der Image- oder Sympathiewerbung, die über den Hinweis auf die Legalität der Monopolangebote hinaus Sympathien für das Wetten selbst weckt. Unzutreffend ist danach die Annahme des angegriffenen Urteils, ein Hinweis auf die gemeinnützige Verwendung von Erlösen aus den Wettveranstaltungen könne zulässig sein. Ein solcher Hinweis wertet das Wetten zum Sponsoring gemeinnütziger Tätigkeiten auf und stellt damit die Entscheidung für eine Teilnahme als positiv zu beurteilende Handlung im Sinne eines "Spendens durch Spielen" dar. Gleichzeitige Hinweise auf das Wettrisiko und die Gefahren des Wettens können dazu kein ausreichendes Gegengewicht bilden. Sie relativieren nur die Verharmlosung der Suchtgefahr, lassen jedoch die moralische Aufwertung des Wettens zum positiv zu beurteilenden Verhalten unberührt. Die abweichende Auffassung des angegriffenen Urteils ist mit den Anforderungen, die an eine verhältnismäßige, konsequent und widerspruchsfrei am Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Spielsucht ausgerichtete Einschränkung der Berufswahlfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG zu stellen sind, nicht vereinbar.
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Dagegen ist der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt. Da er nur den jeweils zuständigen Normgeber verpflichtet, vergleichbare Sachverhalte gleich zu regeln, begründen Unterschiede zur bundesrechtlichen Normierung der Pferdesportwetten und des Betriebs der Geldspielautomaten keinen Gleichheitsverstoß. Die Fortgeltung der vereinzelt noch bestehenden, in der DDR erteilten Wettkonzessionen stellt mangels Regelungskompetenz des Freistaates Bayern ebenfalls keine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung dar. Zuständig sind, je nach Abgrenzung des umstrittenen Geltungsbereichs der Erlaubnisse, entweder der Bund oder die Länder, in denen die Erlaubnisnehmer ihren Sitz haben.
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Hinsichtlich der Spielbanken und der Gewinnspiele im Rundfunk liegt ebenfalls keine Ungleichbehandlung vor. Für Spielbanken besteht in Bayern ein staatliches Monopol. § 8a Rundfunkstaatsvertrag (RStV), der unter bestimmten Einschränkungen Gewinnspiele im Rundfunk gestattet, lässt nach der amtlichen Begründung zum Zehnten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Zehnter Rundfunkänderungsstaatsvertrag) die Regelungen des Glücksspielstaatsvertrages unberührt (vgl. LTDrucks 15/9667 S. 15 zu § 8a RStV; LTDrucks 15/8486 S. 13 zu § 3 GlüStV). Soweit Rundfunkgewinnspiele nach § 3 GlüStV als Glücksspiele einzuordnen sind, sind sie daher ebenso erlaubnispflichtig und von denselben Erlaubnisvoraussetzungen abhängig wie die übrigen dem Glücksspielstaatsvertrag unterfallenden Spiele. Für Gewinnspiele in dem Rundfunk vergleichbaren Telemedien nach § 58 Abs. 4 RStV gilt dasselbe, da diese Vorschrift auf § 8a RStV verweist.
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Das angegriffene Urteil wendet aber die Gewährleistungen der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 Abs. 1, Art. 56 Abs. 1 AEUV fehlerhaft an. Zu Unrecht geht es davon aus, die Monopolregelung sei, soweit sie diese Grundfreiheiten beschränke, nach dem unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt. Diese Annahme beruht auf einer unrichtigen Anwendung des Kohärenzkriteriums, das der Europäische Gerichtshof als Maßstab für die Geeignetheit des Eingriffs im unionsrechtlichen Sinne näher konkretisiert hat.
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Die Vermittlung von Sportwetten an einen Wettanbieter, der in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässig ist, stellt eine Dienstleistung im Sinne der Art. 56, 57 AEUV dar (EuGH, Urteil vom 21. Oktober 1999 - Rs. C-67/98, Zenatti - Slg. 1999, I-7289 Rn. 24; vgl. Urteil vom 8. September 2010 - Rs. C-46/08, Carmen Media - juris Rn. 41 m.w.N.). Ob die dem Kläger untersagte Vermittlung - seine Einbeziehung in den persönlichen Anwendungsbereich der Grundfreiheiten vorausgesetzt - in den sachlichen Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit fiele, oder ob diese Gewährleistung wegen ihrer Subsidiarität nach Art. 57 Abs. 1 und 3 AEUV hinter die der Niederlassungsfreiheit zurückträte, kann offen bleiben. Die Errichtung des staatlichen Sportwettenmonopols und der daran anknüpfende Ausschluss einer Vermittlung von Wettangeboten EU-ausländischer Veranstalter schränken, je nach Ausgestaltung der Vermittlungstätigkeit, entweder die eine oder die andere Grundfreiheit ein. Die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Beschränkung sind, soweit hier entscheidungserheblich, jeweils gleich. Die beschränkende Regelung muss das Diskriminierungsverbot des Art. 57 Abs. 3 AEUV beachten. Außerdem muss sie aus den in Art. 62 i.V.m. Art. 51 oder Art. 52 AEUV genannten Gründen oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt und geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Zieles zu gewährleisten. Sie darf schließlich nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist (vgl. EuGH, Urteile vom 6. November 2003 - Rs. C-243/01, Gambelli u.a. - Slg. 2003, I-13031 Rn. 44 ff., 59 und vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Stoß u.a. - juris Rn. 61).
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Eine unzulässige Diskriminierung im Sinne des Art. 57 Abs. 3 AEUV liegt nicht vor. Die Vorschrift verbietet, Angehörige eines Mitgliedstaates wegen ihrer Staatsangehörigkeit gegenüber Inländern zu benachteiligen. Das ist hier nicht geschehen. Die der angefochtenen Untersagung zugrunde liegenden Rechtsnormen gelten gleichermaßen für Inländer wie Ausländer. Aus dem Diskriminierungsverbot ergibt sich auch keine Pflicht zur Anerkennung von Glücksspielkonzessionen anderer Mitgliedstaaten. Vielmehr ist es mangels unionsrechtlicher Harmonisierung der Glücksspielregelungen jedem Mitgliedstaat unbenommen, nationale, nicht nach der Staatsangehörigkeit des Anbieters oder Vermittlers differenzierende und verhältnismäßige Beschränkungen vorzusehen (vgl. EuGH, Urteile vom 6. März 2007 - Rs. C-338/04 u.a., Placanica u.a. - Slg. 2007, I-1891 Rn. 48 f. und vom 8. September 2010 - Rs. C-46/08, Carmen Media - a.a.O. Rn. 44).
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Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Einschränkungen der Grundfreiheiten durch das Sportwettenmonopol nach dem Glücksspielstaatsvertrag unionsrechtlich legitimen Zwecken dienen. Dabei kann offen bleiben, ob nach Art. 62 i.V.m. Art. 52 Abs. 1 AEUV eine Rechtfertigung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit in Betracht kommt. Jedenfalls können die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs konkretisierten zwingenden Gründe des Allgemeininteresses wie die Ziele des Verbraucherschutzes, der Betrugsvorbeugung, der Vermeidung von Anreizen zu überhöhten Ausgaben für das Spielen sowie der Verhütung von Störungen der sozialen Ordnung eine Monopolregelung rechtfertigen (EuGH, Urteile vom 6. November 2003 - Rs. C-243/01, Gambelli u.a. - a.a.O. Rn. 60, 64, vom 6. März 2007 - Rs. C-338/04 u.a., Placanica u.a. - a.a.O. Rn. 45, vom 8. September 2009 - Rs. C-42/07, Liga Portuguesa - NJW 2009, 3221 Rn. 56 und vom 8. September 2010 - Rs. C-46/08, Carmen Media - a.a.O. Rn. 45). Diese Aufzählung ist nicht abschließend. Mangels unionsrechtlicher Harmonisierung im Glücksspielbereich bleibt es jedem Mitgliedstaat überlassen, das angestrebte Schutzniveau nach Maßgabe der jeweiligen soziokulturellen Besonderheiten zu bestimmen und die entsprechenden Regelungsziele festzulegen. Dabei ist es seine Sache zu beurteilen, ob es im Zusammenhang mit den verfolgten legitimen Zielen erforderlich ist, bestimmte Tätigkeiten im Glücksspielbereich vollständig oder teilweise zu verbieten, oder ob es genügt, sie zu beschränken und zu diesem Zweck mehr oder weniger strenge Kontrollformen vorzusehen. Die Grundentscheidung für ein Monopol- oder Konzessionssystem liegt danach im Ermessen des jeweiligen Mitgliedstaates (EuGH, Urteile vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Stoß u.a. - a.a.O. Rn. 79 sowie - Rs. C-46/08, Carmen Media - a.a.O. Rn. 46). Die Verhältnismäßigkeit der erlassenen Maßnahmen ist allein im Hinblick auf das national angestrebte Schutzniveau und die verfolgten Ziele zu beurteilen (EuGH, Urteil vom 8. September 2010 - Rs. C-46/08, Carmen Media - a.a.O. Rn. 46 m.w.N).
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Zur Prüfung, ob die vom Glücksspielstaatsvertrag verfolgten Ziele zwingende Gründe des Allgemeininteresses im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs darstellen, ist auf die Gesamtheit dieser Ziele abzustellen (vgl. EuGH, Urteile vom 24. März 1994 - Rs. C-275/92, Schindler - Slg. 1994, I-1039 Rn. 58, vom 21. Oktober 1999 - Rs. C-67/98, Zenatti - a.a.O. Rn. 30 f. und vom 3. Juni 2010 - Rs. C-258/08, Ladbrokes - juris Rn. 22). Die Belange der Suchtbekämpfung (§ 1 Nr. 1 GlüStV), der Jugend- und Spielerschutz (§ 1 Nr. 3 GlüStV) und die Begrenzung des Glücksspielangebots und die Kanalisierung der Wettleidenschaft (§ 1 Nr. 2 GlüStV) sind ebenso wie die Kriminalitätsbekämpfung als zwingende Gründe des Allgemeininteresses anerkannt.
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Nach den nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit der Errichtung des Sportwettenmonopols ein hohes Schutzniveau angestrebt hat. Entgegen der Auffassung der Revision war er unionsrechtlich nicht gehindert, bereits vor einer abschließenden wissenschaftlichen Klärung des Suchtpotenzials von Sportwetten mit festen Gewinnquoten zur Gefahrenabwehr tätig zu werden. Er durfte vielmehr auf der Grundlage der bisherigen Erkenntnisse und einer darauf gestützten plausiblen Gefahrenprognose präventive Regelungen erlassen, die durch begleitende Untersuchungen zur Zweckmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahmen ergänzt werden (vgl. EuGH, Urteile vom 13. November 2003 - Rs. C-42/02, Lindman - Slg. 2003, I-13519 Rn. 25 und vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Stoß u.a. - a.a.O. Rn. 117 Ziff. 1a). Damit in Einklang steht die berufungsgerichtliche Annahme, die Bundesländer hätten im Rahmen ihres Einschätzungs- und Prognosespielraums bereits aufgrund der ihnen vorliegenden Erkenntnisse von einer Suchtgefahr sowie davon ausgehen dürfen, dass diese bei einer Ausweitung des Wettangebots zunehmen werde. Ebenso durfte der Verwaltungsgerichtshof für ausreichend halten, dass § 10 Abs. 1 GlüStV die Beratung durch einen mit Experten der Suchtbekämpfung besetzten Fachbeirat vorsieht und § 11 GlüStV die begleitende wissenschaftliche Forschung zur Vermeidung und Abwehr von Suchtgefahren regelt. An die zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz zum Erkenntnisstand bei Erlass der Regelungen und zur gesetzgeberischen Prognose ist der Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, weil die Revision insoweit keine ordnungsgemäßen Verfahrensrügen nach § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO erhoben hat.
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Die Eignung der Monopolregelung ist unionsrechtlich allerdings nicht schon zu bejahen, weil diese dem legitimen Ziel der Suchtbekämpfung dienen kann (dazu vgl. EuGH, Urteile vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Stoß u.a. - a.a.O. Rn. 79 und - Rs. C-46/08, Carmen Media - a.a.O. Rn. 99 ff., 105). Sie muss vielmehr geeignet sein, die Verwirklichung dieses Ziels zu gewährleisten, indem sie kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beiträgt. Dabei sind sowohl der normative Gehalt der Regelung als auch ihre konkreten Anwendungsmodalitäten zu berücksichtigen (EuGH, Urteile vom 6. November 2003 - Rs. C-243/01, Gambelli u.a. - a.a.O. Rn. 67 und vom 8. September 2010 - Rs. C-46/08, Carmen Media - a.a.O. Rn. 64 f.).
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An einem kohärenten Beitrag zur Begrenzung der Wetttätigkeit fehlt es, wenn die Behörden eines Mitgliedstaates die Verbraucher dazu anreizen und ermuntern, an Wetten teilzunehmen, damit der Staatskasse daraus Einnahmen zufließen (EuGH, Urteil vom 6. November 2003 - Rs. C-243/01, Gambelli u.a. - a.a.O. Rn. 69). Die Einnahmenerzielung darf nur eine nützliche Nebenfolge, aber nicht der eigentliche Grund der restriktiven Politik sein (vgl. EuGH, Urteile vom 21. Oktober 1999 - Rs. C-67/98, Zenatti - a.a.O. Rn. 35 f., vom 6. November 2003 - Rs. C-243/01, Gambelli u.a. - a.a.O. Rn. 62 ff. und vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Stoß u.a. - a.a.O. Rn. 104). Darüber hinaus widerspricht es dem Ziel der Begrenzung der Wetttätigkeit, wenn der staatliche Monopolträger die Anziehungskraft der Wetten durch Werbebotschaften erhöht, die bedeutende Gewinne in Aussicht stellen. Er darf dem Wetten auch nicht durch Hinweise auf eine Einnahmenverwendung für gemeinnützige Zwecke ein positives Image verleihen (EuGH, Urteil vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Stoß u.a. - a.a.O. Rn. 103 f., 117 Ziff. 1d). Die Annahme des angegriffenen Urteils, solche Hinweise seien zulässig, ist unzutreffend.
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Entgegen der ihm zugrunde liegenden Rechtsauffassung ist eine Kohärenz der Monopolregelung auch nicht nur "sektoral" für den davon betroffenen Sportwettenbereich und das jeweilige Bundesland erforderlich. Zwar muss grundsätzlich jede beschränkende Regelung gesondert auf ihre Verhältnismäßigkeit hin geprüft werden, und indiziert das Bestehen einer Konzessionsregelung in anderen Bereichen noch nicht die Inkohärenz eines auf einen bestimmten Glücksspielsektor beschränkten Monopols (vgl. EuGH, Urteile vom 6. März 2007 - Rs. C-338/04 u.a., Placanica u.a. - a.a.O. Rn. 49 und vom 8. September 2010 - Rs. C-46/08, Carmen Media - a.a.O. Rn. 60 m.w.N.). Läuft jedoch die Glücksspielpolitik in den nicht vom Monopol erfassten Bereichen den mit ihm verfolgten legitimen Zwecken zuwider, kann dies den Schluss zulassen, dass die Monopolregelung tatsächlich nicht den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses dient, sondern der Verwirklichung fiskalischer oder anderer nicht zur Eingriffsrechtfertigung geeigneter Zwecke. Die Kohärenzprüfung muss sich daher auf die Frage erstrecken, ob die gesetzliche Regelung oder die Anwendungspraxis in anderen Glücksspielbereichen, insbesondere solchen mit vergleichbarem oder höherem Suchtpotential, die Verbraucher zur Teilnahme am Glücksspiel ermuntert oder anreizt, oder ob sie in anderer Weise - insbesondere aus fiskalischen Interessen - auf eine Expansion gerichtet ist oder diese duldet (EuGH, Urteil vom 8. September 2010 - Rs. C-46/08, Carmen Media - a.a.O. Rn. 69 ff.). Die danach erforderliche Prüfung der Regelungen und der Anwendungspraxis im Bereich etwa der Kasino- und Automatenspiele hat das Berufungsgericht nicht vorgenommen, sondern die darauf gerichteten Beweisanregungen unzutreffend für nicht entscheidungsrelevant gehalten.
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Die verfassungsrechtliche Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen im Bundesstaat macht die Kohärenzprüfung für Glücksspielbereiche, die der Gesetzgebungskompetenz des Bundes unterliegen, unionsrechtlich nicht entbehrlich. Die interne Zuständigkeitsverteilung innerhalb eines Mitgliedstaates entbindet diesen nicht davon, seinen unionsrechtlichen Pflichten nachzukommen. Vielmehr müssen Bund und Länder zusammenwirken, um gemeinsam zu gewährleisten, dass die glücksspielrechtlichen Regelungen das unionsrechtliche Kohärenzkriterium erfüllen (EuGH, Urteil vom 8. September 2010 - Rs. C-46/08, Carmen Media - a.a.O. Rn. 69 ff.).
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Die Annahme des Berufungsgerichts, das Kohärenzkriterium werde erst bei einem "krasse(n) Missverhältnis" der Glücksspielpolitik im Bereich der Sportwetten einerseits und in den Bereichen der Spielbanken und des Automatenspiels andererseits verfehlt, trifft ebenfalls nicht zu. An einem Beitrag zur systematischen und kohärenten Begrenzung der Spiel- oder Wetttätigkeit fehlt es schon, wenn die legitimen Ziele des Sportwettenmonopols in anderen Glücksspielbereichen normativ oder durch die Praxis der Rechtsanwendung konterkariert werden. Das kann auch dadurch geschehen, dass diesen Zwecken entgegenlaufende Ausgestaltungen geduldet werden. Auf die besondere Schwere eines solchen Widerspruchs kommt es nicht an.
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Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auf der fehlerhaften Anwendung des Art. 12 Abs. 1 GG und der Art. 49, 56 AEUV. Sie hält die Untersagungsverfügung für rechtmäßig, weil sie fehlerhaft davon ausgeht, das staatliche Sportwettenmonopol schränke die Berufswahlfreiheit verhältnismäßig ein, und weil sie die Rechtfertigung des - unterstellten - Eingriffs in die Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit aufgrund einer unzutreffenden Verkürzung der Kohärenzanforderungen bejaht.
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Das angegriffene Urteil stellt sich nach § 144 Abs. 4 VwGO aber aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar. Die Berufung gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil konnte keinen Erfolg haben, weil die angefochtene Untersagungsverfügung bezüglich des verfahrensgegenständlichen Zeitraums ab dem 1. Januar 2008 den Kläger unabhängig von ihren fehlerhaften Erwägungen zur Rechtmäßigkeit des Sportwettenmonopols jedenfalls nicht in seinen Rechten verletzt (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Dabei kann offen bleiben, ob die Ausgestaltung des Sportwettenmonopols in Bayern auch bei Berücksichtigung zutreffender verfassungs- und unionsrechtlicher Maßstäbe den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgebots genügt. Insbesondere kann dahinstehen, ob eine Monopolwerbung betrieben wird, die den Anforderungen einer verfassungskonformen, jeden Hinweis auf die gemeinnützige Verwendung von Wetteinnahmen ausschließenden Auslegung des § 5 Abs. 1 GlüStV widerspricht. Unerheblich ist auch, ob eine im unionsrechtlichen Sinne konsistente Regelung des Glücksspiels im Hinblick auf die Entwicklung des Spielbankenrechts oder der bundesrechtlichen Vorschriften zum Betrieb von Geldspielgeräten fehlt. Allerdings wäre die Untersagungsverfügung bezüglich des hier streitigen Zeitraums bei einem Verfassungs- oder Unionsrechtsverstoß des Sportwettenmonopols nach dem Glücksspielstaatsvertrag wegen gegenteiliger rechtlicher Annahmen fehlerhaft. Damit läge aber noch keine Rechtsverletzung des Klägers vor. Zwar folgt dies entgegen der Auffassung der Beklagten nicht schon aus der formellen Illegalität der Vermittlungstätigkeit. Denn der Kläger hatte bereits im März 2006 hilfsweise beantragt, ihm die erforderliche Erlaubnis zu erteilen. Seine Vermittlungstätigkeit war jedoch unabhängig von der Wirksamkeit und der Anwendbarkeit der Regelungen zum Sportwettenmonopol jedenfalls wegen der Unzulässigkeit der Sportwettenvermittlung im Sportvereinsheim nach § 21 Abs. 2 GlüStV nicht erlaubnisfähig. Wegen dieses Verstoßes gegen die Pflicht zur organisatorischen Trennung der Sportwettenvermittlung von der Vereinstätigkeit war das Ermessen der Beklagten nicht nur hinsichtlich der Erlaubniserteilung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV, Art. 2 Abs. 1 AGGlüStV, sondern auch hinsichtlich der Untersagung der unzulässigen Vermittlung nach § 9 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 Nr. 3 GlüStV zu Lasten des Klägers auf Null reduziert.
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Der Erlaubnisvorbehalt für die Vermittlung von Sportwetten nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV besteht unabhängig von der Wirksamkeit des staatlichen Sportwettenmonopols. Er gewährleistet in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AGGlüStV, dass Sportwetten nur durch zuverlässige Personen vermittelt werden, die einen ordnungsgemäßen, den gesetzlichen Vorgaben genügenden Vertrieb der Wettangebote sicherstellen. Zu diesen Vorgaben zählt auch die Einschränkung der Sportwettenvermittlung nach § 21 Abs. 2 GlüStV. Danach muss die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten organisatorisch, rechtlich, wirtschaftlich und personell getrennt sein von der Veranstaltung oder Organisation von Sportereignissen und dem Betrieb von Einrichtungen, in denen Sportveranstaltungen stattfinden. Mangels berufungsgerichtlicher Auslegung dieser Vorschrift ist das Revisionsgericht nicht gehindert, sie selbst auszulegen.
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Dem Wortlaut und dem entstehungsgeschichtlich belegten Sinn und Zweck der Regelung wird nur eine Auslegung gerecht, die eine vollständige Trennung des aktiven Sports und der ihn organisierenden Vereinigungen von der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten verlangt. Schon der Wortlaut lässt keine organisatorisch-räumliche, wirtschaftliche oder personelle Verknüpfung von Sportvereinen und Wettannahmestellen zu. Betreibt der jeweilige Sportverein eine Einrichtung, in der Sportveranstaltungen stattfinden, ist die letzte Tatbestandsalternative des § 21 Abs. 2 Satz 1 GlüStV einschlägig. Im Übrigen erfüllen Sportvereine jedenfalls die Alternative der Veranstaltung von Sportereignissen, indem sie Training und Wettkämpfe anbieten und organisieren.
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Nicht zu folgen ist der im Termin zur mündlichen Verhandlung dargelegten Auffassung des Klägers, § 21 Abs. 2 Satz 1 GlüStV erfasse nur Sportereignisse, auf die gewettet werden könne. Für eine solche einschränkende Auslegung bietet der Wortlaut der Regelung keinen Anhaltspunkt. Auch nach ihrer Entstehungsgeschichte und ihrem Sinn und Zweck beschränkt die Vorschrift sich nicht darauf, eine manipulative Einflussnahme des Veranstalters eines Sportereignisses auf den Ausgang der darauf abgeschlossenen Wetten zu verhindern. Nach der amtlichen Begründung sollen § 21 Abs. 2 und 3 GlüStV dem erhöhten Suchtpotential von Sportwetten Rechnung tragen und die Integrität des Sports sichern (LTDrucks 15/8486 S. 19). Dies schließt den Schutz vor betrügerischen Machenschaften ein (Hecker/Ruttig, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, § 21 GlüStV Rn. 33), ist aber nicht darauf begrenzt. Zum Schutz vor der erhöhten Suchtgefahr gewährleistet § 21 Abs. 2 GlüStV die Integrität des aktiven Sports auch insoweit, als er eine Verquickung der gemeinnützigen Sportförderung im Verein mit der Vermarktung suchtgefährdender Sportwetten verbietet. Damit verhindert er, dass Mitglieder des Vereins, Mitwirkende und Besucher seiner Sportveranstaltungen zur Teilnahme an Wetten angereizt werden, um dem Verein wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen. Gleichzeitig dient die Bestimmung dem Jugendschutz, indem sie ausschließt, dass der Vereinsnachwuchs zur Zielgruppe von Wettangeboten wird.
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Der systematische Zusammenhang des § 21 Abs. 2 Satz 1 GlüStV mit dessen Satz 2 und 3 bestätigt diese Auslegung. Das Verbot der Trikot- und Bandenwerbung für Sportwetten sowie der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten bei der Übertragung von Sportereignissen nach § 21 Abs. 2 Satz 2 GlüStV gestaltet den Grundsatz der Trennung des aktiven Sports vom Vertrieb der Sportwetten weiter aus. Es dient ebenfalls dem Jugendschutz und der Suchtvorbeugung. Dass die Trennung von Sportwetten und Sportübertragungen sich nicht im Verbot von Live-Wetten erschöpft, ergibt sich aus dessen gesonderter Regelung in § 21 Abs. 2 Satz 3 GlüStV.
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Weder der Erlaubnisvorbehalt nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV noch die Einschränkung der Vermittlungstätigkeit durch Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AGGlüStV i.V.m. § 21 Abs. 2 GlüStV sind schon wegen der verfassungs- und unionsrechtlichen Bedenken gegen die Ausgestaltung des Sportwettenmonopols im Glücksspielstaatsvertrag unwirksam. Die gegenteilige Auffassung der Revision übersieht, dass der Erlaubnisvorbehalt nicht allein dazu dient, das Angebotsmonopol durchzusetzen. Vielmehr soll er auch gewährleisten, dass die ordnungsrechtlichen Beschränkungen der Vermittlung beliebiger Angebote beachtet werden. Gleiches gilt für das Zuverlässigkeitserfordernis. Das aus § 21 Abs. 2 Satz 1 GlüStV abzuleitende Verbot der Vermittlung von Sportwetten im Sportvereinslokal knüpft ebenfalls nicht an die problematische Monopolregelung an. Es stellt nicht auf den Anbieter der Wetten ab, sondern verbietet nur eine bestimmte Art und Weise des Vertriebs.
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Die daraus folgende Beschränkung der Vermittlungstätigkeit ist mit den Grundrechten vereinbar. Dabei kann offen bleiben, inwieweit der Kläger sich nach Art. 2 Abs. 1 GG auf einen Verstoß des Gesetzes gegen Art. 12 Abs. 1 GG berufen könnte, obwohl der persönliche Schutzbereich der Berufsfreiheit sich nicht auf ihn erstreckt. Denn auch eine objektiv-rechtliche Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG liegt nicht vor.
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Der Erlaubnisvorbehalt zur Sicherung der ordnungsrechtlichen Beschränkungen der Vermittlungstätigkeit und das Gebot, die Vermittlung von Sportwetten organisatorisch, rechtlich und wirtschaftlich von der Tätigkeit des Sportvereins zu trennen, greifen in die Freiheit der Berufsausübung ein. Soweit das Gebot personeller Trennung zur Folge hat, dass Mitarbeiter eines Sportvereins keine Wettannahmestelle betreiben dürfen, begrenzt es wie das Zuverlässigkeitserfordernis als subjektive Zulassungsschranke auch die Freiheit der Berufswahl. Diese Einschränkungen der Berufsfreiheit sind jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt, da sie verhältnismäßig sind.
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Der Erlaubnisvorbehalt, das Zuverlässigkeitserfordernis und die Verpflichtung zur umfassenden Trennung von Sportvereinstätigkeit und Sportwettenvermittlung dienen dem Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter, nämlich der mit dem Glücksspielstaatsvertrag verfolgten verfassungsrechtlich legitimen Ziele der Suchtvorbeugung und -bekämpfung sowie des Spieler- und Jugendschutzes.
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Der Erlaubnisvorbehalt und das Zuverlässigkeitserfordernis sind geeignet und erforderlich, einen ordnungsgemäßen Vertrieb zu gewährleisten, der die Schutzbestimmungen beachtet und eine effektive Kontrolle ermöglicht. Der Ausschluss eines Anspruchs auf die Erlaubniserteilung (§ 4 Abs. 2 Satz 3 GlüStV) ist notwendig, eine der Suchtbekämpfung widersprechende Ausweitung des Angebots zu verhindern.
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Das Trennungsgebot des § 21 Abs. 2 GlüStV kann zur Suchtbekämpfung und zum Jugendschutz beitragen, da es eine die Wettmotivation fördernde Verknüpfung der Teilnahme an Vereinsveranstaltungen mit Wettangeboten ausschließt und gewährleistet, dass Finanzierungsinteressen der Sporteinrichtungen nicht zu einer Ausweitung des Wettangebots führen. Mildere Mittel, diese legitimen Ziele zu erreichen, sind nicht erkennbar. Nur eine konsequente Trennung der Sportvereinstätigkeit von der Sportwettenvermarktung kann verhindern, dass die Beteiligung am aktiven Vereinssport ausgenutzt wird, Vereinsmitglieder einschließlich des Vereinsnachwuchses zum Wetten zu motivieren und sie damit der Suchtgefahr von Sportwetten auszusetzen. Das Fehlen eines vergleichbaren Trennungsgebots im Bereich der Pferdesportwetten schließt die Erforderlichkeit der Regelung im Bereich sonstiger Sportwetten nicht aus. Vielmehr durfte der Gesetzgeber aufgrund der jahrzehntelangen Erfahrungen im Bereich der Pferdesportwetten, wegen ihres vergleichsweise geringen Marktanteils und des äußerst geringen Anteils von Wetten mit festen Gewinnquoten davon ausgehen, dass das Suchtpotential dort deutlich geringer ist als im stark expandierenden Bereich sonstiger Sportwetten mit festen Gewinnquoten (vgl. Diegmann/Hoffmann/Ohlmann, Praxishandbuch für das gesamte Spielrecht, 2008, S. 15 Rn. 43; Hecker/Ruttig a.a.O. § 21 GlüStV Rn. 29).
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Die Eingriffe durch den Erlaubnisvorbehalt, das Zuverlässigkeitserfordernis und das Trennungsgebot nach § 21 Abs. 2 Satz 1 GlüStV sind auch verhältnismäßig im engeren Sinne und damit für die Betroffenen zumutbar. Sie stehen nicht außer Verhältnis zum angestrebten Zweck. Entgegen der Auffassung des Klägers sind insoweit nicht die Kriterien für die Zumutbarkeit des Sportwettenmonopols einschlägig. Diese tragen der besonderen Schwere des Eingriffs durch eine objektive, sämtliche Grundrechtsträger vom Beruf ausschließende Zulassungsschranke Rechnung. Die Eingriffe durch den Erlaubnisvorbehalt, das Trennungsgebot und das Zuverlässigkeitserfordernis, das den Zugang zum Beruf nur kanalisiert, wiegen deutlich weniger schwer. Sie stehen nicht außer Verhältnis zum damit verfolgten Zweck des Jugendschutzes und des Schutzes vor den Suchtgefahren des Wettens. Dessen überragende Bedeutung rechtfertigt auch den Ausschluss eines Anspruchs auf die Erlaubniserteilung nach § 4 Abs. 2 Satz 3 GlüStV (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 14. Oktober 2008 - 1 BvR 928/08 - NVwZ 2008, 1338 <1342 Rn. 52> und vom 20. März 2009 - 1 BvR 2410/08 - NVwZ 2009, 1221 <1224>).
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Auf die Vereinbarkeit des Erlaubnisvorbehalts, des Trennungsgebots und des Zuverlässigkeitserfordernisses mit der unionsrechtlichen Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit kommt es für die Frage einer Rechtsverletzung des Klägers durch die Untersagungsverfügung nicht an. Mangels Unionsbürgerschaft kann der Kläger sich auf diese Grundfreiheiten nicht berufen. Ihr persönlicher Anwendungsbereich erstreckt sich nach Art. 49 Abs. 1, Art. 56 Abs. 1 AEUV nur auf Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Union, nicht auf Drittstaatsangehörige wie den Kläger, der türkischer Staatsangehöriger ist. Mangels Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Gewährleistungen erübrigt sich die dazu von der Revision angeregte Vorlage an den Europäischen Gerichtshof.
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Das zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschlossene Assoziierungsabkommen (Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei, ABl EG 1964 Nr. 217/3687) bezieht ihn nicht in den persönlichen Anwendungsbereich der Grundfreiheiten ein. Art. 13 und 14 des Abkommens enthalten nur Absichtserklärungen, die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs aufzuheben. Sie treffen dazu aber keine inhaltlichen Regelungen. Das Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabkommen vom 23. November 1970 (ABl EG 1972 Nr. L 293/4) erstreckt den Anwendungsbereich der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit ebenfalls nicht auf türkische Staatsangehörige. Zwar entfaltet Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls unmittelbare Wirkung. Er verbietet aber nur, neue Beschränkungen der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit einzuführen (EuGH, Urteil vom 11. Mai 2000 - Rs. C-37/98, Savas - Slg. 2000 I-02927, Rn. 58 ff., 69). Gegen diese sogenannte Stillhalteklausel (a.a.O. Rn. 64) verstößt der Glücksspielstaatsvertrag nicht. Er regelt keine zusätzliche Beschränkung der Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit, sondern nur die Ausgestaltung eines Monopols, das aufgrund des Repressivverbots des Veranstaltens und Vermittelns öffentlicher Glücksspiele (§ 284 StGB) und der landesrechtlichen Regelungen der staatlichen Lotteriemonopole (vgl. die Verordnung über die Errichtung einer Staatslotterie in Bayern vom 12. März 1946, BayGVBl 1946, 80) bereits bei Wirksamwerden des Zusatzprotokolls bestand und seinerzeit keinerlei Sportwetten außerhalb der Pferdesportwetten und des Fußballtotos zuließ. Auf die Frage, ob die damaligen Regelungen mit den Grundrechten und Grundfreiheiten in Einklang standen, kommt es nicht an. Das Zusatzprotokoll ging von dem damals vorgefundenen Rechtszustand und damit von den seinerzeit einschlägigen Vorschriften aus, die nicht durch bundesverfassungsgerichtliche Entscheidungen für nichtig erklärt worden waren.
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Die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 36 f. des Zusatzprotokolls ist nicht einschlägig, da sie nur den Zugang zur abhängigen Beschäftigung betrifft, und nicht die nach den berufungsgerichtlichen Feststellungen vom Kläger im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsvertrages ausgeübte selbstständige Vermittlungstätigkeit (vgl. Vöneky, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 40. Aufl. 2009, EGV Art. 310, Rn. 79; Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur, AEUV, Art. 45 Rn. 12 und Art. 217, Rn. 20).
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Beschlüsse nach Art. 41 Abs. 2 des Zusatzprotokolls zur Einbeziehung türkischer Staatsangehöriger in den persönlichen Anwendungsbereich der Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit sind bislang nicht ergangen (vgl. Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Band II, Stand: Oktober 2009, Vorbem. zu Art. 39 bis 55 EG, Rn. 35).
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Die Unzulässigkeit der vom Kläger betriebenen Sportwettenvermittlung im Vereinslokal nach § 21 Abs. 2 Satz 1 GlüStV reduziert das Ermessen der Beklagten sowohl hinsichtlich der Versagung der Erlaubnis als auch hinsichtlich der Untersagung der unzulässigen Tätigkeit nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV auf Null. Die gesetzliche Bindung des Untersagungsermessens an das legitime Ziel der Suchtvorbeugung und -bekämpfung lässt eine Duldung der zum Wetten anreizenden organisatorisch-räumlichen Verknüpfung der Sportvereinstätigkeit mit der Sportwettenvermittlung durch den Kläger nicht zu. Dies gilt auch, wenn im neuen Vereinsheim - anders als nach Aktenlage im früheren - kein Bildschirm zur Übertragung von Sportereignissen zur Verfügung stehen sollte. Schon der Umstand, dass die Sportwettenvermittlung im Vereinsheim regelmäßiger Bestandteil des Vereinslebens wird, führt zu einer Aufwertung des Wettens als Teil der sozialadäquaten aktiven Vereinsmitgliedschaft und ist geeignet, auch bislang nicht zum Wetten entschlossene Mitglieder zur Teilnahme an Wetten zu bewegen und der Suchtgefahr auszusetzen.
Tenor
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Soweit die Hauptbeteiligten den Rechtsstreit - in Bezug auf den Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 2007 für die Zeit seit dem 1. Juli 2012 - übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Juni 2012 und das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 31. Juli 2008 sind insoweit wirkungslos.
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Im Übrigen wird das genannte Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs geändert, soweit es den Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 2007 betrifft. Insoweit wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 31. Juli 2008 zurückgewiesen.
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Die weitergehende Revision der Beteiligten wird zurückgewiesen.
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Die Kosten des ersten und zweiten Rechtszuges tragen die Klägerin zu zwei Dritteln und die Beklagte zu einem Drittel. Die Gerichtskosten des Revisionsverfahrens tragen die Klägerin und der Freistaat Bayern je zur Hälfte. Der Freistaat Bayern trägt die Hälfte der im Revisionsverfahren angefallenen außergerichtlichen Kosten der Klägerin, die Klägerin trägt die Hälfte der im Revisionsverfahren angefallenen außergerichtlichen Kosten des Freistaats Bayern. Ihre übrigen außergerichtlichen Kosten tragen die Beteiligten selbst.
Tatbestand
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Die Klägerin wendet sich gegen die Untersagung, im Gebiet der Beklagten Sportwetten ohne eine im Inland erteilte Erlaubnis zu vermitteln.
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Die Klägerin ist seit 2007 im Besitz einer Buchmachererlaubnis zur Vermittlung von Pferdewetten. In ihrer Betriebsstätte in der B.straße … in M. vermittelte sie darüber hinaus (sonstige) Sportwetten an die I. Ltd. (I. Ltd.) in G., ohne dafür über eine im Inland erteilte Erlaubnis zu verfügen. Nach Anhörung der Klägerin untersagte die Beklagte ihr mit sofort vollziehbarem Bescheid vom 28. November 2007 die Annahme, Vermittlung und Veranstaltung von Sportwetten bzw. die Bereitstellung einer diesbezüglichen Einrichtung (Internetanschluss) in der B.straße … in M. sowie in allen anderen bisher nicht bekannten und zukünftigen Betriebsstätten im Bereich der Beklagten ohne die erforderliche Erlaubnis. Außerdem forderte sie die Klägerin unter Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 25 000 € auf, diese Tätigkeiten mit Ablauf des 30. November 2007 einzustellen. Die Beklagte stützte die Untersagung auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) i.V.m. § 284 Abs. 1, § 27 StGB und führte aus, das Verbot sei verhältnismäßig, da eine Erlaubnis wegen des staatlichen Sportwettenmonopols nicht erteilt werden könne.
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Bei einer Überprüfung am 1. Dezember 2007 wurde festgestellt, dass die Klägerin in der B.straße … weiterhin einen Terminal betrieb, mit dem die Internetseite der Firma "b." aufgerufen werden konnte. Daraufhin stellte die Beklagte unter dem 3. Dezember 2007 das Zwangsgeld fällig und erließ mit Bescheid vom 5. Dezember 2007 eine neue, weitgehend wortgleiche Untersagungsverfügung mit einer Zwangsgeldandrohung in Höhe von 50 000 €.
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Am 19. Dezember 2007 hat die Klägerin gegen die Bescheide vom 28. November und 5. Dezember 2007 Anfechtungsklage erhoben. Außerdem beantragte sie vergeblich vorläufigen Rechtsschutz. Mit einer weiteren Klage begehrte sie die Feststellung, das im ersten Bescheid angedrohte Zwangsgeld sei nicht fällig geworden. Diese Klage wurde mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 26. März 2009 - M 22 K 08.4647 - abgewiesen. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, die Klägerin habe die untersagten Tätigkeiten trotz sofortiger Vollziehbarkeit des Verbots nicht fristgerecht eingestellt. Auf die Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung und der Untersagung komme es für die Fälligkeit des Zwangsgeldes nach Art. 38 Abs. 3 i.V.m. Art. 31 Abs. 3 Satz 3 des bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) nicht an. Den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das genannte Urteil wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 12. April 2010 zurück. Daraufhin wurde das Zwangsgeld eingezogen.
- 5
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Die Anfechtungsklage gegen die Bescheide vom 28. November und 5. Dezember 2007 hat das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 31. Juli 2008 abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat die Beklagte geltend gemacht, die Untersagungsverfügungen seien schon wegen der formellen Illegalität der Vermittlung rechtmäßig. Gegen deren Erlaubnisfähigkeit bestünden ebenfalls Bedenken, da der Veranstalter Internet- und Live-Wetten anbiete. Einer abschließenden Prüfung der Erlaubnisvoraussetzungen durch die Ordnungsbehörde stehe die Zuständigkeit verschiedener Behörden für die Erlaubnis und die Untersagung entgegen. In ihrer Berufungserwiderung hat die Beklagte unter Berufung auf § 114 Satz 2 VwGO erklärt, sie ergänze die Ermessenserwägungen im streitgegenständlichen Bescheid wie folgt: Die Klägerin und die I. Ltd. in G. hätten keine Erlaubnis beantragt. Für eine materielle Erlaubnisfähigkeit fehlten ausreichende Anhaltspunkte. Insbesondere sei nicht ersichtlich, wie die Klägerin die Vorschriften zum Jugendschutz nach § 4 Abs. 3 des zum 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Glücksspielstaatsvertrages (GlüStV) und zur Spielersperre nach § 21 Abs. 3 GlüStV einhalten wolle. Auch ein Sozialkonzept nach § 6 GlüStV sei nicht bekannt. Bedenken gegen die Erlaubnisfähigkeit bestünden auch für den Fall, dass die Klägerin nunmehr an die I. E. Ltd. mit Sitz in M. vermitteln wolle, da deren Erlaubnisantrag mit Bescheid der Regierung der Oberpfalz vom 27. Juli 2011 unter anderem wegen Verstößen gegen das Internet- und das Live-Wetten-Verbot abgelehnt worden sei. Trotz des erheblichen Eingriffs in die Berufsfreiheit der Klägerin müssten deren wirtschaftliche Interessen hinter die Interessen der Allgemeinheit, insbesondere den Jugend- und Spielerschutz und die Betrugsprävention, zurücktreten. Die Untersagung sei verhältnismäßig, weil mildere Maßnahmen nicht ersichtlich seien und bei Abwägung aller Interessen der Schutz der Allgemeinheit vor Suchtgefahren überwiege.
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Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihre Klage gegen die zweite Untersagungsverfügung auf gerichtlichen Hinweis für die Zeit bis zur Berufungsentscheidung auf ein Fortsetzungsfeststellungsbegehren umgestellt und an der Anfechtung dieses Bescheides nur für die Zukunft festgehalten.
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Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 26. Juni 2012 die Bescheide der Beklagten vom 28. November 2007 und vom 5. Dezember 2007 - letzteren nur mit Wirkung für die Zukunft - aufgehoben und festgestellt, der Bescheid vom 5. Dezember 2007 sei vom Zeitpunkt seines Erlasses bis zum Zeitpunkt seiner eigenen Entscheidung rechtswidrig gewesen. Die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 28. November 2007 sei statthaft. Dieser habe sich weder mit der Beitreibung des Zwangsgeldes noch mit dem Einstellen der Vermittlungstätigkeit oder dem Erlass des Bescheides vom 5. Dezember 2007 erledigt. Letzterer könne ebenfalls angefochten werden, allerdings nur mit Wirkung für die Zukunft, da die zweite, nicht vollzogene Untersagung und die zugehörige Zwangsgeldandrohung sich in der Vergangenheit fortlaufend erledigt hätten. Im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung sei die Untersagung ermessensfehlerhaft, weil die Beklagte zu Unrecht von der Anwendbarkeit der Monopolregelung des § 10 Abs. 2 und 5 GlüStV ausgegangen sei. Diese Regelung verletze Unionsrecht. Sie schränke die Dienstleistungsfreiheit unverhältnismäßig ein. Wegen der gegenläufigen Regelung des gewerblichen Automatenspiels sei sie nicht geeignet, kohärent und systematisch zur Verwirklichung der mit dem Monopol verfolgten Ziele der Suchtbekämpfung und des Spieler- und Jugendschutzes beizutragen. Die im Berufungsverfahren nachgeschobene Begründung habe den Ermessensfehler nicht geheilt. Sie ersetze die bisherige, auf das Monopol gestützte Begründung durch völlig neue Erwägungen, die allein auf die formelle und materielle Illegalität der Vermittlung abstellten. Einen solchen Austausch wesentlicher Ermessenserwägungen lasse § 114 Satz 2 VwGO nicht zu. Unabhängig davon sei die nachgeschobene Begründung auch materiell-rechtlich fehlerhaft. Verhältnismäßig sei eine Untersagung nur, wenn feststehe, dass die Tätigkeit materiell nicht erlaubnisfähig sei. Zweifel reichten insoweit nicht aus. Das Ermessen habe sich auch nicht zulasten der Klägerin auf Null reduziert. Ein Verstoß gegen das Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV liege nicht vor. Die Untersagung im Bescheid vom 28. November 2007 leide am selben Ermessensfehler, da auch sie sich maßgeblich auf das Sportwettenmonopol stütze. Wegen der Rechtswidrigkeit der Untersagungen könnten die damit verbundenen Zwangsgeldandrohungen ebenfalls keinen Bestand haben. Der Fortsetzungsfeststellungsantrag bezüglich des Zeitraums vom 5. Dezember 2007 bis zur Entscheidung des Berufungsgerichts sei zulässig und begründet. Die Klägerin könne sich wegen des Vorwurfs objektiver Strafbarkeit der Vermittlung auf ein Rehabilitierungsinteresse berufen. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verfügung sei außerdem wegen des tiefgreifenden Eingriffs in ihre Berufsfreiheit und in unionsrechtliche Grundfreiheiten gegeben. Wegen der Verletzung der Dienstleistungsfreiheit durch das Sportwettenmonopol sei die Untersagung im gesamten Zeitraum rechtswidrig gewesen.
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Die Beteiligte macht mit ihrer Revision geltend, das Berufungsurteil wende das unionsrechtliche Kohärenzerfordernis unrichtig an. Außerdem gehe es unzutreffend davon aus, dass ein Verbot erst in Betracht komme, wenn das Fehlen der materiellen Erlaubnisvoraussetzungen abschließend geklärt sei. Darüber hinaus verletze es § 114 Satz 2 VwGO. Bezüglich der zweiten Untersagung bejahe es zu Unrecht ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse der Klägerin.
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Mit Schriftsatz vom 15. November 2012 hat die Beklagte erklärt, aus der angefochtenen Untersagungsverfügung ab dem 1. Juli 2012 keine Rechte mehr herzuleiten. Daraufhin haben die Hauptbeteiligten den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt.
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Die Beteiligte beantragt,
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das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Juni 2012 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 31. Juli 2008 zurückzuweisen, soweit der Rechtsstreit noch nicht - in Bezug auf die Anfechtung des Bescheides vom 5. Dezember 2007 für die Zeit seit dem 1. Juli 2012 - in der Hauptsache erledigt ist, sowie der Klägerin die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens insgesamt aufzuerlegen.
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Die Beklagte schließt sich dem Revisionsvorbringen der Beteiligten an, ohne einen eigenen Antrag zu stellen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Revision mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass anstelle der Aufhebung des Bescheides vom 5. Dezember 2007 dessen Rechtswidrigkeit - auch - in der Zeit von der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bis zum 30. Juni 2012 festgestellt wird, sowie die Kosten des Revisionsverfahrens insgesamt dem Freistaat Bayern aufzuerlegen.
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Sie verteidigt das angegriffene Urteil und meint, die Liberalisierung des Glücksspielrechts in Schleswig-Holstein zum 1. Januar 2012 habe die Inkohärenz des Sportwettenmonopols noch verstärkt. Die Anforderungen an das Fortsetzungsfeststellungsinteresse dürften schon wegen ihrer Kostenbelastung durch das mehrjährige Verfahren nicht überspannt werden.
Entscheidungsgründe
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Soweit die Hauptbeteiligten den Rechtsstreit - für die Zeit seit dem 1. Juli 2012 - übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, war das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Einer Zustimmung des am Verfahren beteiligten Vertreters des öffentlichen Interesses bedurfte es hierfür nicht. Im Umfang der Teilerledigung sind das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Juni 2012 und das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 31. Juli 2008 wirkungslos geworden.
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Im Übrigen ist die zulässige Revision nur teilweise begründet. Das angegriffene Urteil beruht auf der Verletzung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, soweit es davon ausgeht, die Klage gegen die Untersagungsverfügung vom 5. Dezember 2007 sei bezüglich des bereits abgelaufenen Zeitraums zulässig, weil die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Verfügung habe. Insoweit erweist sich das Berufungsurteil auch nicht gemäß § 144 Abs. 4 VwGO aus anderen Gründen als richtig (1.). Die weitergehende Revision ist unbegründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat der Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil in Bezug auf die Anfechtung des Bescheides vom 28. November 2007 im Ergebnis zu Recht stattgegeben (2.). Soweit die Revision begründet ist, kann der Senat gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO in der Sache selbst entscheiden und die Berufung - teilweise - zurückweisen (3.).
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1. Soweit das Verfahren die Klage gegen die Untersagungsverfügung vom 5. Dezember 2007 bezüglich des Zeitraums bis zum 30. Juni 2012 betrifft, ist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den es für das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen ankommt, nicht mehr die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 2 VwGO, sondern allein die Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Sie ist jedoch unzulässig, weil die Klägerin entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse geltend machen kann.
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a) Im noch verfahrensgegenständlichen Zeitraum bis zum 30. Juni 2012 hat die Untersagungsverfügung vom 5. Dezember 2007 sich von Tag zu Tag fortlaufend erledigt. Ein Verbot wird durch Zeitablauf gegenstandslos, weil es nicht rückwirkend befolgt oder durchgesetzt werden kann. Die Untersagung für den abgelaufenen Zeitraum entfaltet hier gegenwärtig auch keine sonstigen nachteiligen Rechtswirkungen mehr, die eine Erledigung ausschließen könnten (vgl. zu diesem Kriterium die Urteile vom 11. Juli 2011 - BVerwG 8 C 11.10 - juris Rn. 15 und vom 16. Mai 2013 - BVerwG 8 C 14.12 - Rn. 18; Beschluss vom 5. Januar 2012 - BVerwG 8 B 62.11 - NVwZ 2012, 510
= Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 39 Rn. 13). Insbesondere hat die Beklagte die Untersagungsverfügung vom 5. Dezember 2007 nicht mit Vollstreckungsmaßnahmen durchgesetzt, die noch rückgängig zu machen wären. Die Zwangsgeldeinziehung im Jahr 2009 schloss lediglich die Vollstreckung aus dem Bescheid vom 28. November 2007 und der damit verbundenen Zwangsgeldandrohung ab (zur Aufhebbarkeit dieser Vollstreckungsmaßnahmen vgl. unten 2. ).
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Auch für den - viertägigen - Zeitraum von der Berufungsentscheidung bis zum 30. Juni 2012 konnte die Klägerin ihr Klagebegehren betreffend den Bescheid vom 5. Dezember 2007 auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umstellen. Das Verbot der Klageänderung gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO steht nur einer Änderung des Streitgegenstandes entgegen. Es schließt jedoch nicht aus, bei Erledigung eines angefochtenen Verwaltungsakts zu einem Fortsetzungsfeststellungsantrag überzugehen. Dies gilt auch für eine zeitabschnittsweise, fortlaufende Erledigung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung wie der glücksspielrechtlichen Untersagung.
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b) Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist jedoch unzulässig, weil die Klägerin entgegen dem angegriffenen Urteil kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts hat. Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position der Klägerin in den genannten Bereichen zu verbessern (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 4. März 1976 - BVerwG 1 WB 54.74 - BVerwGE 53, 134 <137> und vom 24. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 61.06 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 24 Rn. 3). Das ist im hier maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz nicht der Fall.
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aa) Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse lässt sich nicht mit einer Wiederholungsgefahr begründen. Dazu müssten die rechtlichen und tatsächlichen Umstände, die für die Beurteilung einer vergleichbaren Untersagungsverfügung maßgeblich wären, im Wesentlichen unverändert geblieben sein (Urteil vom 12. Oktober 2006 - BVerwG 4 C 12.04 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 23 Rn. 8 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Diese Umstände haben sich mit dem Inkrafttreten des Ersten Staatsvertrages zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland vom 15. Dezember 2011 (BayGVBl 2012 S. 318) und dessen landesrechtlicher Umsetzung in Bayern zum 1. Juli 2012 gemäß §§ 1 und 4 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland und anderer Rechtsvorschriften vom 25. Juni 2012 (BayGVBl S. 270) grundlegend geändert. Zwar gelten der allgemeine Erlaubnisvorbehalt nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV und die Untersagungsermächtigung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV fort. Für die rechtliche Beurteilung einer Untersagung kommt es aber auch auf die Verhältnismäßigkeit des mit ihr durchgesetzten Erlaubnisvorbehalts sowie des Verbots selbst und damit auf Fragen der materiellen Erlaubnisfähigkeit des untersagten Verhaltens an (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 8 C 2.10 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 276 Rn. 55; dazu näher unten Rn. 51 f.). Insoweit ergeben sich aus den in Bayern zum 1. Juli 2012 in Kraft getretenen, § 4 GlüStV ergänzenden Spezialregelungen betreffend die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten erhebliche Unterschiede zur früheren, bis zum 30. Juni 2012 geltenden Rechtslage. Nach § 10a Abs. 1 und 2 i.V.m. §§ 4a ff. GlüStV wird das staatliche Sportwettenmonopol - zunächst für eine Experimentierphase von sieben Jahren - durch ein Konzessionssystem ersetzt. Gemäß § 10a Abs. 3 GlüStV können bundesweit bis zu 20 Wettunternehmen eine Veranstalterkonzession erhalten. Für die Konzessionäre wird das Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV, von dem ohnehin nach Absatz 5 der Vorschrift dispensiert werden darf, nach Maßgabe des § 10a Abs. 4 Satz 1 und 2 GlüStV gelockert. Die Vermittlung konzessionierter Angebote bleibt nach § 10a Abs. 5 Satz 2 GlüStV i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV erlaubnispflichtig. Die Anforderungen an die gewerbliche Spielvermittlung werden aber in § 19 i.V.m. §§ 5 bis 8 GlüStV in wesentlichen Punkten neu geregelt. So wurden die Werbebeschränkungen des § 5 GlüStV deutlich zurückgenommen (dazu im Einzelnen Beschluss vom 17. Oktober 2012 - BVerwG 8 B 47.12 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 208 Rn. 6). Andererseits enthält § 7 Abs. 1 Satz 2 GlüStV eine weitgehende Konkretisierung der zuvor nur allgemein statuierten Aufklärungspflichten. Außerdem bindet § 8 Abs. 6 GlüStV erstmals auch die Vermittler in das übergreifende Sperrsystem nach § 23 GlüStV ein. Insgesamt schließen die erheblichen Änderungen der für die materiell-rechtliche Beurteilung der Untersagung erheblichen Vorschriften es aus, von einer im Wesentlichen gleichen Rechtslage auszugehen.
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Aus der Befristung der experimentellen Konzessionsregelung lässt sich keine konkrete Wiederholungsgefahr herleiten. Ob der Gesetzgeber das Konzessionssystem und dessen materiell-rechtliche Ausgestaltung nach Ablauf der siebenjährigen Experimentierphase auf der Grundlage der inzwischen gewonnenen Erfahrungen fortschreiben, modifizieren oder aufgeben wird, ist ungewiss. Eine Rückkehr zur alten Rechtslage ist jedenfalls nicht abzusehen.
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bb) Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist auch nicht wegen eines Rehabilitierungsinteresses der Klägerin zu bejahen. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz beruht auf der Annahme, ein solches Interesse bestehe schon wegen des Vorwurfs objektiver Strafbarkeit des untersagten Verhaltens. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
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Allerdings fehlt ein Rehabilitierungsinteresse nicht etwa deshalb, weil die Klägerin sich als juristische Person nicht strafbar machen kann. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sich nach Art. 19 Abs. 3 GG insgesamt auf juristische Personen erstreckt. Sie können jedenfalls Ausprägungen dieses Rechts geltend machen, die nicht an die charakterliche Individualität und die Entfaltung der natürlichen Person anknüpfen, sondern wie das Recht am eigenen Wort oder das Recht auf Achtung des sozialen Geltungsanspruchs und auf Abwehr von Rufschädigungen auch Personengesamtheiten und juristischen Personen zustehen können (BVerfG, Beschluss vom 9. Oktober 2002 - 1 BvR 1611/96, 805/98 - BVerfGE 106, 28 <42 ff.>; BGH, Urteil vom 3. Juni 1986 - VI ZR 102/85 - BGHZ 98, 94 <97>). Die bloße Einschätzung eines Verhaltens als objektiv strafbar hat aber keinen den Betroffenen diskriminierenden Charakter und kann deshalb noch kein Rehabilitierungsinteresse auslösen.
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Ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung besteht nur, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern (Beschlüsse vom 4. März 1976 a.a.O. S. 138 f. und vom 4. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 64.06 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 36 S. 4 f.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. In der Feststellung objektiver Strafbarkeit des untersagten Verhaltens liegt noch keine Stigmatisierung. Vielmehr erschöpft sie sich in der Aussage, die unerlaubte Veranstaltung und Vermittlung der Sportwetten erfülle den objektiven Tatbestand des § 284 Abs. 1 StGB und rechtfertige deshalb ein ordnungsbehördliches Einschreiten. Damit enthält sie kein ethisches Unwerturteil, das geeignet wäre, das soziale Ansehen des Betroffenen herabzusetzen. Diese Schwelle wird erst mit dem konkreten, personenbezogenen Vorwurf eines schuldhaft-kriminellen Verhaltens überschritten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 1952 - 1 BvR 197/53 - BVerfGE 9, 167 <171> und Urteil vom 6. Juni 1967 - 2 BvR 375, 53/60 und 18/65 - BVerfGE 22, 49 <79 f.>). Einen solchen Vorwurf hat die Beklagte nach der revisionsrechtlich fehlerfreien Auslegung der Untersagungsverfügung durch die Vorinstanz hier nicht erhoben.
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Nachteilige Auswirkungen der Untersagung in künftigen Verwaltungsverfahren - etwa zur Erlaubniserteilung nach aktuellem Recht - sind nach der im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 16. April 2013 in das Verfahren eingeführten Erklärung des Vertreters des Freistaates Bayern ebenfalls nicht zu besorgen. Danach werden Monopolverstöße dort zukünftig nicht als Anhaltspunkt für eine Unzuverlässigkeit von Konzessionsbewerbern oder Bewerbern um eine Vermittlungserlaubnis gewertet.
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cc) Entgegen dem angegriffenen Urteil lässt sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse nicht mit dem Vorliegen eines tiefgreifenden Eingriffs in die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG begründen. Die Annahme des Berufungsgerichts, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO müsse wegen der Garantie effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG in diesem Sinne ausgelegt werden, trifft nicht zu. Eine Ausweitung des Tatbestandsmerkmals des berechtigten Feststellungsinteresses über die einfach-rechtlich konkretisierten Fallgruppen des berechtigten rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Interesses hinaus (1) verlangt Art. 19 Abs. 4 GG nur bei Eingriffsakten, die sonst wegen ihrer typischerweise kurzfristigen Erledigung regelmäßig keiner gerichtlichen Überprüfung in einem Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten (2). Eine weitere Ausdehnung des Anwendungsbereichs, die ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse allein wegen der Schwere des erledigten Eingriffs in Grundrechte oder Grundfreiheiten annimmt, ist auch aus Art. 47 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) in Verbindung mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot nicht herzuleiten (3).
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(1) Aus dem Wortlaut des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO und dem systematischen Zusammenhang mit § 42 VwGO ergibt sich, dass die Verwaltungsgerichte nur ausnahmsweise für die Überprüfung erledigter Verwaltungsakte in Anspruch genommen werden können. Nach dem Wegfall der mit dem Verwaltungsakt verbundenen Beschwer wird gerichtlicher Rechtsschutz grundsätzlich nur zur Verfügung gestellt, wenn der Kläger ein berechtigtes rechtliches, wirtschaftliches oder ideelles Interesse an einer nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Maßnahme hat (dazu oben Rn. 19 ff.). Das berechtigte Feststellungsinteresse geht in all diesen Fällen über das bloße Interesse an der Klärung der Rechtswidrigkeit der Verfügung hinaus. Dies gilt unabhängig von der Intensität des erledigten Eingriffs und vom Rang der Rechte, die von ihm betroffen waren.
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(2) Die Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG differenziert ebenfalls nicht nach diesen beiden Kriterien. Sie gilt auch für einfach-rechtliche Rechtsverletzungen, die - von der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG abgesehen - kein Grundrecht tangieren, und für weniger schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte und Grundfreiheiten. Umgekehrt gebietet die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG selbst bei tiefgreifenden Eingriffen in solche Rechte nicht, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse anzunehmen, wenn dies nicht erforderlich ist, die Effektivität des Rechtsschutzes zu sichern.
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Effektiver Rechtsschutz verlangt, dass der Betroffene ihn belastende Eingriffsmaßnahmen in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen lassen kann. Solange er durch den Verwaltungsakt beschwert ist, stehen ihm die Anfechtungs- und die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO zur Verfügung. Erledigt sich der Verwaltungsakt durch Wegfall der Beschwer, wird nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO Rechtsschutz gewährt, wenn der Betroffene daran ein berechtigtes rechtliches, ideelles oder wirtschaftliches Interesse hat. In den übrigen Fällen, in denen sein Anliegen sich in der bloßen Klärung der Rechtmäßigkeit des erledigten Verwaltungsakts erschöpft, ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nach Art. 19 Abs. 4 GG zu bejahen, wenn andernfalls kein wirksamer Rechtsschutz gegen solche Eingriffe zu erlangen wäre. Davon ist nur bei Maßnahmen auszugehen, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten. Maßgebend ist dabei, ob die kurzfristige, eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ausschließende Erledigung sich aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergibt (BVerfG, Beschlüsse vom 5. Dezember 2001 - 2 BvR 527/99, 1337/00, 1777/00 - BVerfGE 104, 220 <232 f.> und vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <86> m.w.N).
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Glücksspielrechtliche Untersagungsverfügungen nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV zählen nicht zu den Verwaltungsakten, die sich in diesem Sinne typischerweise kurzfristig erledigen. Vielmehr sind sie als Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 8 C 2.10 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 276 Rn. 19 m.w.N.) gerade auf langfristige Geltung angelegt. Dass sie sich regelmäßig fortlaufend für den bereits zurückliegenden Zeitraum erledigen, lässt ihre gegenwärtige, sich täglich neu aktualisierende Wirksamkeit und damit auch ihre Anfechtbarkeit und Überprüfbarkeit im Hauptsacheverfahren unberührt (vgl. Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Januar 2012, § 113 Rn. 85 a.E.). Änderungen der Rechtslage führen ebenfalls nicht zur Erledigung. Vielmehr ist die Untersagung anhand der jeweils aktuellen Rechtslage zu prüfen. Dass ihre Anfechtung sich regelmäßig nur auf eine Aufhebung des Verbots mit Wirkung ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung richten kann, stellt keine Rechtsschutzbeschränkung dar. Vielmehr trägt dies dem Umstand Rechnung, dass das Verbot in der Vergangenheit keine Regelungswirkung mehr entfaltet, die aufgehoben werden könnte. Im Ausnahmefall, etwa bei einer noch rückgängig zu machenden Vollziehung der Untersagung, bleibt diese wegen ihrer Titelfunktion als Rechtsgrund der Vollziehung rückwirkend anfechtbar (Beschluss vom 25. September 2008 - BVerwG 7 C 5.08 - Buchholz 345 § 6 VwVG Nr. 1 Rn. 13; zur Vollzugsfolgenbeseitigung vgl. Urteil vom 14. März 2006 - BVerwG 1 C 11.05 - BVerwGE 125, 110
= Buchholz 402.242 § 63 AufenthG Nr. 2 Rn. 17).
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Dass eine untypisch frühzeitige Erledigung im Einzelfall einer streitigen Hauptsacheentscheidung zuvorkommen kann, berührt Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Die Rechtsweggarantie verbietet zwar, gesetzliche Zulässigkeitsanforderungen so auszulegen, dass ein gesetzlich eröffneter Rechtsbehelf leerläuft, weil das weitere Beschreiten des Rechtswegs unzumutbar und ohne sachliche Rechtfertigung erschwert wird (BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 2010 - 2 BvR 1023/08 - NJW 2011, 137
m.w.N.). Einen solchen Leerlauf hat die dargestellte Konkretisierung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses aber nicht zur Folge. Ihre sachliche Rechtfertigung und die Zumutbarkeit ihrer prozessualen Konsequenzen ergeben sich daraus, dass eine großzügigere Handhabung der Klägerin mangels berechtigten rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Interesses keinen relevanten Vorteil bringen könnte und auch nicht dazu erforderlich ist, maßnahmenspezifische Rechtsschutzlücken zu vermeiden.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin wird deren prozessualer Aufwand mit der endgültigen Erledigung des Verfahrens, wenn kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu bejahen ist, auch nicht entwertet. Das ursprüngliche Klageziel, die Beseitigung der Untersagung, wird infolge der zur Erledigung führenden Befristung durch das Unwirksamwerden der Verbotsverfügung mit Fristablauf erreicht. Das prozessuale Vorbringen zur Zulässigkeit und Begründetheit der Klage im Zeitpunkt der Erledigung kann sich bei der Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO zugunsten der Klägerin auswirken. Eine Hauptsacheentscheidung in jedem Einzelfall oder gar ein vollständiger Instanzenzug wird durch Art. 19 Abs. 4 GG nicht gewährleistet.
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(3) Aus der Garantie eines wirksamen Rechtsbehelfs im Sinne des Art. 47 GRC ergibt sich keine Verpflichtung, das Merkmal des berechtigten Interesses nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO weiter auszulegen.
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Allerdings ist nach der unionsgerichtlichen Rechtsprechung davon auszugehen, dass der sachliche Anwendungsbereich der Grundrechtecharta nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC eröffnet ist, weil die Klägerin Rechtsschutz wegen einer Beschränkung ihrer Dienstleistungsfreiheit begehrt. Zur mitgliedstaatlichen Durchführung des Unionsrechts im Sinne der Vorschrift rechnet der Gerichtshof nicht nur Umsetzungsakte im Sinne eines unionsrechtlich - zumindest teilweise - determinierten Vollzugs, sondern auch mitgliedstaatliche Eingriffe in Grundfreiheiten nach Maßgabe der allgemeinen unionsrechtlichen Schrankenvorbehalte. An dieser Rechtsprechung, die vor Inkrafttreten der Charta zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs unionsrechtlicher Grundrechte als allgemeiner Grundsätze des Unionsrechts entwickelt wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Juni 1991 - Rs. C-260/89, ERT - Slg. 1991, I-2925 Rn. 42), hält der Gerichtshof weiterhin fest. Er geht von einer mitgliedstaatlichen Bindung an die Unionsgrundrechte im gesamten Anwendungsbereich des Unionsrechts aus und verweist dazu auf die Erläuterungen zu Art. 51 GRC, die nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV, Art. 52 Abs. 7 GRC bei der Auslegung der Charta zu berücksichtigen sind (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2013 - Rs. C-617/10, Akerberg Fransson - EuZW 2013, 302
). Wie diese Abgrenzungsformel im Einzelnen zu verstehen ist, inwieweit bei ihrer Konkretisierung grammatische und entstehungsgeschichtliche Anhaltspunkte für eine bewusste Begrenzung des Anwendungsbereichs durch Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC maßgeblich und welche Folgerungen aus kompetenzrechtlichen Grenzen zu ziehen sind (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 24. April 2013 - 1 BvR 1215/07 - NJW 2013, 1499 Rn. 88 und 90; zur Entstehungsgeschichte Borowsky, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. 2011, S. 643 ff.), bedarf hier keiner Klärung. Geht man von der Anwendbarkeit des Art. 47 GRC aus, ist dieser jedenfalls nicht verletzt.
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Mit der Verpflichtung, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Rechtsverletzungen zur Verfügung zu stellen, konkretisiert Art. 47 Abs. 1 GRC den allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz effektiven Rechtsschutzes (dazu vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 - Rs. C-279/09, DEB - EuZW 2011, 137
und Beschluss vom 13. Juni 2012 - Rs. C-156/12, GREP - juris ). Er hindert den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber aber nicht, für die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs ein qualifiziertes Interesse des Klägers zu fordern und diese Anforderung im Sinne der soeben unter (1) und (2) (Rn. 27 und 28 ff.) dargelegten Kriterien zu konkretisieren.
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Wie sich aus den einschlägigen unionsgerichtlichen Entscheidungen ergibt, bleibt es grundsätzlich den Mitgliedstaaten überlassen, im Rahmen der Ausgestaltung ihres Prozessrechts die Klagebefugnis und das Rechtsschutzinteresse des Einzelnen zu normieren. Begrenzt wird das mitgliedstaatliche Ermessen bei der Regelung solcher Zulässigkeitsvoraussetzungen durch das unionsrechtliche Äquivalenzprinzip, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Effektivitätsgebot (EuGH, Urteile vom 11. Juli 1991 - Rs. C-87/90 u.a., Verholen u.a. ./. Sociale Verzekeringsbank - Slg. 1991, I-3783 Rn. 24 und vom 16. Juli 2009 - Rs. C-12/08, Mono Car Styling ./. Dervis Odemis u.a. - Slg. 2009, I-6653 Rn. 49; Beschluss vom 13. Juni 2012 a.a.O. Rn. 39 f.).
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Das Äquivalenzprinzip verlangt eine Gleichwertigkeit der prozessrechtlichen Bedingungen für die Durchsetzung von Unionsrecht und mitgliedstaatlichem Recht (EuGH, Urteil vom 13. März 2007 - Rs. C-432/05, Unibet ./. Justitiekansler - Slg. 2005, I-2301 Rn. 43). Es ist hier nicht betroffen, weil die dargelegte verfassungskonforme Konkretisierung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nicht danach unterscheidet, ob eine Verletzung von Unions- oder mitgliedstaatlichem Recht geltend gemacht wird.
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Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verbietet eine Zulässigkeitsregelung, die das Recht auf Zugang zum Gericht in seinem Wesensgehalt selbst beeinträchtigt, ohne einem unionsrechtlich legitimen Zweck zu dienen und im Verhältnis dazu angemessen zu sein (EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 60 und Beschluss vom 13. Juni 2012 a.a.O. Rn. 39 f.). Hier fehlt schon eine den Wesensgehalt des Rechts selbst beeinträchtigende Rechtswegbeschränkung. Sie liegt vor, wenn dem Betroffenen der Zugang zum Gericht trotz einer Belastung durch die beanstandete Maßnahme verwehrt wird, weil die fragliche Regelung für den Zugang zum Recht ein unüberwindliches Hindernis aufrichtet (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 a.a.O. Rn. 61; Beschluss vom 13. Juni 2012 a.a.O. Rn. 41). Danach kommt es - nicht anders als nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 19 Abs. 4 GG - maßgeblich darauf an, dass der Betroffene eine ihn belastende Eingriffsmaßnahme gerichtlich überprüfen lassen kann. Das war hier gewährleistet, da die Untersagungsverfügung bis zu ihrer endgültigen Erledigung angefochten werden konnte und § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO eine Fortsetzungsfeststellung ermöglichte, soweit diese noch zur Abwendung fortwirkender Nachteile von Nutzen sein konnte. Dass die Vorschrift keinen darüber hinausgehenden Anspruch auf eine Fortsetzung des Prozesses nur zum Zweck nachträglicher Rechtsklärung vorsieht, widerspricht nicht dem Wesensgehalt der Garantie eines wirksamen Rechtsbehelfs. Unabhängig davon wäre selbst eine Beeinträchtigung des Rechts in seinem Wesensgehalt verhältnismäßig. Sie wäre geeignet, erforderlich und angemessen, die Prozessökonomie zur Verwirklichung des unionsrechtlich legitimen Ziels zügigen, effektiven Rechtsschutzes für alle Rechtssuchenden zu wahren.
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Das Effektivitätsgebot ist ebenfalls nicht verletzt. Es fordert eine Ausgestaltung des mitgliedstaatlichen Rechts, die die Ausübung unionsrechtlich gewährleisteter Rechte nicht praktisch unmöglich macht oder unzumutbar erschwert (EuGH, Urteile vom 11. Juli 1991 a.a.O. und vom 13. März 2007 a.a.O. Rn. 43). Bezogen auf die mitgliedstaatliche Regelung prozessualer Zulässigkeitsvoraussetzungen ergibt sich daraus, dass den Trägern unionsrechtlich begründeter Rechte gerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung stehen muss, der eine wirksame Kontrolle jeder Rechtsverletzung und damit die Durchsetzbarkeit des betroffenen Rechts gewährleistet. Diese Anforderungen gehen nicht über die aus Art. 19 Abs. 4 GG herzuleitende Gewährleistung einer gerichtlichen Überprüfbarkeit jedes Eingriffs in einem Hauptsacheverfahren hinaus. Insbesondere lässt sich aus dem Effektivitätsgebot keine Verpflichtung herleiten, eine Fortsetzung der gerichtlichen Kontrolle nach Erledigung des Eingriffs unabhängig von einem rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Nutzen für die Klägerin allein unter dem Gesichtspunkt eines abstrakten Rechtsklärungsinteresses vorzusehen (vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro, in: - Rs. C-83/91, Meilicke/ADV/ORGA AG - vom 8. April 1992, Slg. 1992, I-4897 Rn. 5). Das gilt erst recht, wenn die Maßnahme bereits Gegenstand einer gerichtlichen Hauptsacheentscheidung war und sich erst im Rechtsmittelverfahren erledigt hat.
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An der Richtigkeit dieser Auslegung des Art. 47 Abs. 1 GRC und des unionsrechtlichen Grundsatzes effektiven Rechtsschutzes bestehen unter Berücksichtigung der zitierten unionsgerichtlichen Rechtsprechung keine ernsthaften Zweifel im Sinne der acte-clair-Doktrin (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. C-283/81, C.I.L.F.I.T. u.a. - Slg. 1982, I-3415 Rn. 16 ff.). Die von der Klägerin angeregte Vorlage an den Gerichtshof ist deshalb nach Art. 267 Abs. 3 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nicht geboten.
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dd) Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergibt sich schließlich nicht aus der Präjudizwirkung der beantragten Feststellung für den von der Klägerin angestrebten Staatshaftungsprozess. Auch das Berufungsgericht hat das nicht angenommen. Ein Präjudizinteresse kann nur bestehen, wenn die beabsichtigte Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen nicht offensichtlich aussichtslos ist. Bei der Prüfung dieses Ausschlusskriteriums ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolgs im zivilgerichtlichen Haftungsprozess genügt nicht. Offensichtlich aussichtslos ist eine Staatshaftungsklage jedoch, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt besteht und dies sich ohne eine ins Einzelne gehende Würdigung aufdrängt (Urteile vom 14. Januar 1980 - BVerwG 7 C 92.79 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 95 S. 27, vom 29. April 1992 - BVerwG 4 C 29.90 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 247 S. 90 und vom 8. Dezember 1995 - BVerwG 8 C 37.93 - BVerwGE 100, 83 <92> = Buchholz 454.11 WEG Nr. 7). Der Verwaltungsprozess muss nicht zur Klärung öffentlich-rechtlicher Vorfragen der Staatshaftung fortgeführt werden, wenn der Kläger daraus wegen offenkundigen Fehlens anderer Anspruchsvoraussetzungen keinen Nutzen ziehen könnte. Hier drängt sich schon ohne eine detaillierte Würdigung auf, dass der Klägerin selbst bei Rechtswidrigkeit der Untersagung keine staatshaftungsrechtlichen Ansprüche zustehen.
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Die Voraussetzungen der Amtshaftung gemäß Art. 34 Satz 1 GG, § 839 BGB oder des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs (zu dessen Herleitung vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 1991 - Rs. C-6/90 und 9/90, Francovich u.a. - Slg. 1991, I-5357 Rn. 35) liegen ersichtlich nicht vor, ohne dass es insoweit einer ins Einzelne gehenden Prüfung bedürfte. Weitere Anspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht.
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(1) Für den Zeitraum vom Erlass der Untersagung bis zum Ergehen der unionsgerichtlichen Urteile zu den deutschen Sportwettenmonopolen (EuGH, Urteile vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Markus Stoß u.a. - Slg. 2010, I-8099; - Rs. C-46/08, Carmen Media Group - Slg. 2010, I-8175 und - Rs. C-409/06, Winner Wetten - Slg. 2010, I-8041) scheidet ein Amtshaftungsanspruch aus, weil den Amtswaltern selbst bei Rechtswidrigkeit der zur Begründung der Untersagung herangezogenen Monopolregelung keine schuldhaft-fehlerhafte Rechtsanwendung zur Last zu legen ist. Die unionsrechtliche Staatshaftung greift für diesen Zeitraum nicht ein, da ein etwaiger Verstoß gegen das Unionsrecht nicht hinreichend qualifiziert war.
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(a) Einem Amtswalter ist auch bei fehlerhafter Rechtsanwendung regelmäßig kein Verschulden im Sinne des § 839 BGB vorzuwerfen, wenn seine Amtstätigkeit durch ein mit mehreren rechtskundigen Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht aufgrund einer nicht nur summarischen Prüfung als objektiv rechtmäßig angesehen wird (Urteil vom 17. August 2005 - BVerwG 2 C 37.04 - BVerwGE 124, 99 <105 ff.> = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 32; BGH, Urteil vom 6. Februar 1986 - III ZR 109/84 - BGHZ 97, 97 <107>). Das Verwaltungsgericht hat die angegriffene Untersagungsverfügung im Hauptsacheverfahren - unabhängig von der Wirksamkeit und Anwendbarkeit des Monopols - für rechtmäßig gehalten. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bejahte seinerzeit in ständiger Rechtsprechung die Vereinbarkeit des Sportwettenmonopols mit höherrangigem Recht sowie die Rechtmäßigkeit darauf gestützter Untersagungen unerlaubter Wettvermittlung (vgl. VGH München, Urteile vom 18. Dezember 2008 - 10 BV 07.558 - ZfWG 2009, 27 und - 10 BV 07.774/775 - juris). Er hat diese Auffassung erst im Hinblick auf die im Herbst 2010 veröffentlichten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union zu den deutschen Sportwettenmonopolen vom 8. September 2010 (a.a.O.) sowie die daran anknüpfenden Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 2010 (BVerwG 8 C 14.09 - BVerwGE 138, 201 = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 272, - BVerwG 8 C 15.09 - NWVBl 2011, 307 sowie - BVerwG 8 C 13.09 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 273) in einer Eilentscheidung im Frühjahr 2011 aufgegeben (VGH München, Beschluss vom 21. März 2011 - 10 AS 10.2499 - ZfWG 2011, 197 = juris Rn. 24 ff.). Die Orientierung an der berufungsgerichtlichen Rechtsprechung kann den Amtswaltern auch nicht etwa vorgeworfen werden, weil die kollegialgerichtlichen Entscheidungen bis Ende 2010 - für sie erkennbar - von einer schon im Ansatzpunkt völlig verfehlten rechtlichen Betrachtung ausgegangen wären (zu diesem Kriterium vgl. Urteil vom 17. August 2005 a.a.O. S. 106 f.). Hinreichend geklärt war ein etwaiger Verstoß gegen unionsrechtliche Vorgaben jedenfalls nicht vor Ergehen der zitierten unionsgerichtlichen Entscheidungen (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2012 - III ZR 196/11 - EuZW 2013, 194 Rn. 22 ff.), die durch die nachfolgenden Urteile des Senats in Bezug auf das bayerische Monopol konkretisiert wurden. Der Gerichtshof der Europäischen Union stellte seinerzeit erstmals klar, dass die Verhältnismäßigkeit im unionsrechtlichen Sinn nicht nur eine kohärente Ausgestaltung des jeweiligen Monopolbereichs selbst, sondern darüber hinaus eine Kohärenz auch zwischen den Regelungen verschiedener Glücksspielsektoren fordert. Außerdem präzisierte er die Grenzen zulässiger, nicht auf Expansion gerichteter Werbung für die besonders umstrittene Imagewerbung.
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(b) Im Zeitraum bis zum Herbst 2010 fehlt es auch an einem hinreichend qualifizierten Rechtsverstoß, wie er für die unionsrechtliche Staatshaftung erforderlich ist. Diese setzt eine erhebliche und gleichzeitig offenkundige Verletzung des Unionsrechts voraus. Maßgeblich dafür sind unter anderem das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, der Umfang des durch sie belassenen Ermessensspielraums und die Frage, ob Vorsatz bezüglich des Rechtsbruchs oder des Zufügens des Schadens vorlag, sowie schließlich, ob ein Rechtsirrtum entschuldbar war (EuGH, Urteil vom 5. März 1996 - Rs. C-46 und 48/93, Brasserie du Pêcheur und Factortame - Slg. 1996, I-1029 Rn. 51 und 55). Nach diesen Kriterien kann zumindest bis zu den zitierten Entscheidungen des Gerichtshofs von einer offenkundigen erheblichen Verletzung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit durch die Monopolregelung nicht die Rede sein. Mangels Harmonisierung des Glücksspielbereichs stand den Mitgliedstaaten ein weites Regelungsermessen zur Verfügung. Seine durch die Grundfreiheiten gezogenen Grenzen waren jedenfalls bis zur unionsgerichtlichen Konkretisierung der intersektoralen Kohärenz nicht so genau und klar bestimmt, dass ein etwaiger Rechtsirrtum unentschuldbar gewesen wäre.
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(2) Für den anschließenden Zeitraum bis zur endgültigen Erledigung der angegriffenen Untersagung am 30. Juni 2012 bedarf es keiner Prüfung, ob eine schuldhaft fehlerhafte Rechtsanwendung der Behörden oder ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Unionsrecht zu bejahen ist. Jedenfalls fehlt offensichtlich die erforderliche Kausalität zwischen einer etwaigen Rechtsverletzung und dem möglicherweise geltend zu machenden Schaden. Das ergibt sich schon aus den allgemeinen Grundsätzen zur Kausalität von fehlerhaften Ermessensentscheidungen für einen etwaigen Schaden.
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(a) Die Amtshaftung setzt gemäß § 839 BGB voraus, dass der Schaden durch das schuldhaft rechtswidrige Handeln des Amtsträgers verursacht wurde. Bei Ermessensentscheidungen ist das zu verneinen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch bei fehlerfreier Rechtsanwendung dieselbe zum Schaden führende Entscheidung getroffen worden wäre (BGH, Beschlüsse vom 21. Januar 1982 - III ZR 37/81 - VersR 1982, 275 und vom 30. Mai 1985 - III ZR 198/84 - VersR 1985, 887 f.; Vinke, in: Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, Bd. 12, Stand: Sommer 2005, § 839 Rn. 176, zur Unterscheidung von der Figur rechtmäßigen Alternativverhaltens vgl. ebd. Rn. 178).
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Die unionsrechtliche Staatshaftung greift nur bei einem unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen der hinreichend qualifizierten Unionsrechtsverletzung und dem Schaden ein. Diese unionsrechtlich vorgegebene Haftungsvoraussetzung ist im mitgliedstaatlichen Recht umzusetzen (EuGH, Urteil vom 5. März 1996 a.a.O. Rn. 51). Sie ist erfüllt, wenn ein unmittelbarer ursächlicher und adäquater Zusammenhang zwischen dem hinreichend qualifizierten Unionsrechtsverstoß und dem Schaden besteht (BGH, Urteil vom 24. Oktober 1996 - III ZR 127/91 - BGHZ 134, 30 <39 f.>; Papier, in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2009, § 839 Rn. 101). Bei Ermessensentscheidungen ist dieser Kausalzusammenhang nicht anders zu beurteilen als in den Fällen der Amtshaftung. Er fehlt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Schaden auch bei rechtsfehlerfreier Ermessensausübung eingetreten wäre.
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Nach beiden Anspruchsgrundlagen käme daher eine Haftung nur in Betracht, wenn feststünde, dass der Schaden bei rechtmäßiger Ermessensausübung vermieden worden wäre. Das ist für den noch offenen Zeitraum vom Herbst 2010 bis zum 30. Juni 2012 offenkundig zu verneinen. In dieser Zeit war eine Untersagung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV zur Durchsetzung des glücksspielrechtlichen Erlaubnisvorbehalts nach § 4 Abs. 1 GlüStV ermessensfehlerfrei gemäß Art. 40 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) möglich.
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(b) Der Erlaubnisvorbehalt selbst war unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Sportwettenmonopols verfassungskonform (BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Oktober 2008 - 1 BvR 928/08 - NVwZ 2008, 1338
; BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 - BVerwG 8 C 13.09 - a.a.O. Rn. 73, 77 ff.) und verstieß auch nicht gegen Unionsrecht. Er diente nicht allein dem Schutz des Monopols, sondern auch unabhängig davon den verfassungs- wie unionsrechtlich legitimen Zielen des Jugend- und Spielerschutzes und der Kriminalitätsbekämpfung. Das in Art. 2 des Bayerischen Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (BayAGGlüStV) näher geregelte Erlaubnisverfahren ermöglichte die präventive Prüfung, ob unter anderem die für die Tätigkeit erforderliche persönliche Zuverlässigkeit vorlag (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayAGGlüStV) und die in Art. 2 Abs. 1 BayAGGlüStV in Bezug genommenen Anforderungen des Jugend- und Spielerschutzes nach §§ 4 ff. GlüStV sowie die besonderen Regelungen der gewerblichen Vermittlung und des Vertriebs von Sportwetten nach §§ 19, 21 GlüStV beachtet wurden. Diese gesetzlichen Anforderungen waren im Hinblick auf das damit verfolgte Ziel verhältnismäßig und angemessen (Urteil vom 24. November 2010 - BVerwG 8 C 13.09 - a.a.O. Rn. 80 f., 83). Darüber hinaus waren sie hinreichend bestimmt, transparent und nicht diskriminierend. Gegen etwa rechtswidrige Ablehnungsentscheidungen standen wirksame Rechtsbehelfe zur Verfügung (zu diesen Anforderungen vgl. EuGH, Urteile vom 9. September 2010 - Rs. C-64/08, Engelmann - Slg. 2010 I-8219 Rn. 54 f., vom 19. Juli 2012 - Rs. C-470/11, SIA Garkalns - NVwZ 2012, 1162 sowie vom 24. Januar 2013 - Rs. C-186/11 und C-209/11, Stanleybet Int. Ltd. u.a. - ZfWG 2013, 95 ).
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(c) Weil die Klägerin nicht über die erforderliche Erlaubnis für die Veranstaltung und die Vermittlung der von ihr vertriebenen Sportwetten verfügte, war der Tatbestand der Untersagungsermächtigung offenkundig erfüllt. Art. 40 BayVwVfG ließ auch eine Ermessensausübung im Sinne einer Untersagung zu. Sie entsprach dem Zweck der Norm, da die Untersagungsermächtigung dazu diente, die vorherige behördliche Prüfung der Erlaubnisfähigkeit der beabsichtigten Gewerbetätigkeit zu sichern und damit die mit einer unerlaubten Tätigkeit verbundenen Gefahren abzuwehren. Die Rechtsgrenzen des Ermessens schlossen ein Verbot ebenfalls nicht aus. Insbesondere verpflichtete das Verhältnismäßigkeitsgebot die Beklagte nicht, von einer Untersagung abzusehen und die formell illegale Tätigkeit zu dulden. Das wäre nur anzunehmen, wenn die formell illegale Tätigkeit die materiellen Erlaubnisvoraussetzungen - mit Ausnahme der möglicherweise rechtswidrigen Monopolvorschriften - erfüllte und dies für die Untersagungsbehörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung offensichtlich, d.h. ohne weitere Prüfung erkennbar war. Dann war die Untersagung nicht mehr zur Gefahrenabwehr erforderlich. Verbleibende Unklarheiten oder Zweifel an der Erfüllung der nicht monopolabhängigen Erlaubnisvoraussetzungen rechtfertigten dagegen ein Einschreiten. In diesem Fall war die Untersagung notwendig, die Klärung im Erlaubnisverfahren zu sichern und zu verhindern, dass durch die unerlaubte Tätigkeit vollendete Tatsachen geschaffen und ungeprüfte Gefahren verwirklicht wurden.
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Aus dem Urteil des Senats vom 1. Juni 2011 (BVerwG 8 C 2.10 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 276 Rn. 55; vgl. die Parallelentscheidungen vom selben Tag - BVerwG 8 C 4.10 - ZfWG 2011, 341 und Urteile vom 11. Juli 2011 - BVerwG 8 C 11.10 und BVerwG BVerwG 8 C 12.10 - je juris Rn. 53) ergibt sich nichts anderes. Die dortige Formulierung, der Erlaubnisvorbehalt rechtfertige eine vollständige Untersagung nur bei Fehlen der Erlaubnisfähigkeit, mag Anlass zu Missverständnissen gegeben haben. Sie ist aber nicht als Verschärfung der Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit präventiver Untersagungen zu verstehen und behauptet keine Pflicht der Behörde, eine unerlaubte Tätigkeit bis zur Klärung ihrer Erlaubnisfähigkeit zu dulden. Das ergibt sich schon aus dem Zusammenhang der zitierten Formulierung mit der unmittelbar daran anschließenden Erwägung, bei Zweifeln hinsichtlich der Beachtung von Vorschriften über die Art und Weise der Gewerbetätigkeit kämen zunächst Nebenbestimmungen in Betracht. Dies beschränkt die Durchsetzbarkeit des glücksspielrechtlichen Erlaubnisvorbehalts nicht auf Fälle, in denen bereits feststeht, dass die materielle Erlaubnisfähigkeit endgültig und unbehebbar fehlt. Hervorgehoben wird nur, dass eine vollständige Untersagung unverhältnismäßig ist, wenn Nebenbestimmungen ausreichen, die Legalität einer im Übrigen offensichtlich erlaubnisfähigen Tätigkeit zu sichern. Das setzt zum einen den Nachweis der Erlaubnisfähigkeit im Übrigen und zum anderen einen Erlaubnisantrag voraus, da Nebenbestimmungen sonst nicht erlassen werden können. Solange nicht offensichtlich ist, dass die materielle Legalität vorliegt oder jedenfalls allein mit Nebenbestimmungen gesichert werden kann, bleibt die Untersagung zur Gefahrenabwehr erforderlich. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem vom Verwaltungsgerichtshof angeführten Urteil vom 24. November 2010 (BVerwG 8 C 13.09 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 273
). Es erkennt eine Reduzierung des Untersagungsermessens zulasten des Betroffenen an, wenn feststeht, dass dessen unerlaubte Tätigkeit wesentliche Erlaubnisvoraussetzungen nicht erfüllt. Damit bietet es jedoch keine Grundlage für den - unzulässigen - Umkehrschluss, nur in diesem Fall sei eine Untersagung verhältnismäßig.
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Die unionsgerichtliche Rechtsprechung, nach der gegen den Betroffenen keine strafrechtlichen Sanktionen wegen des Fehlens einer unionsrechtswidrig vorenthaltenen oder verweigerten Erlaubnis verhängt werden dürfen (EuGH, Urteile vom 6. März 2007 - Rs. C-338/04, Placanica u.a. - Slg. 2007 I-1932 Tenorziffer 4 und Rn. 68 ff. sowie vom 16. Februar 2002 - Rs. C-72/10 und C-77/10, Costa und Cifone - EuZW 2012, 275
), schließt eine ordnungsrechtliche präventive Untersagung bis zur Klärung der - monopolunabhängigen - Erlaubnisfähigkeit ebenfalls nicht aus. Insbesondere verlangt das Unionsrecht selbst bei Rechtswidrigkeit des Monopols keine - und erst recht keine sofortige - Öffnung des Markts für alle Anbieter ohne jede präventive Kontrolle. Vielmehr steht es dem Mitgliedstaat in einer solchen Situation frei, das Monopol zu reformieren oder sich für eine Liberalisierung des Marktzugangs zu entscheiden. In der Zwischenzeit ist er lediglich verpflichtet, Erlaubnisanträge privater Anbieter nach unionsrechtskonformen Maßstäben zu prüfen und zu bescheiden (EuGH, Urteil vom 24. Januar 2013 - Rs. C-186/11 u.a., Stanleybet Int. Ltd. u.a. - a.a.O. Rn. 39, 44, 46 ff.). Einen Anspruch auf Duldung einer unerlaubten Tätigkeit vermittelt das Unionsrecht auch bei Unanwendbarkeit der Monopolregelung nicht.
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Keiner näheren Prüfung bedarf die Verhältnismäßigkeit der Durchsetzung des Erlaubnisvorbehalts für den Fall, dass die Betroffenen keine Möglichkeit hatten, eine Erlaubnis zu erlangen. Der Freistaat Bayern hat nämlich die Entscheidungen des Gerichtshofs vom 8. September 2010 zum Anlass genommen, das Erlaubnisverfahren nach Art. 2 BayAGGlüStV für private Anbieter und die Vermittler an diese zu öffnen. Entgegen der Auffassung der Klägerin bot diese Regelung in Verbindung mit den Vorschriften des Glücksspielstaatsvertrages eine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Durchführung eines Erlaubnisverfahrens. Die Zuständigkeit der Regierung der Oberpfalz ergab sich aus Art. 2 Abs. 4 Nr. 3 BayAGGlüStV. Einer etwaigen Rechtswidrigkeit des Sportwettenmonopols konnte durch Nichtanwenden der Monopol- und monopolakzessorischen Regelungen Rechnung getragen werden. Die gesetzlich normierten materiell-rechtlichen Anforderungen an das Wettangebot und dessen Vermittlung ließen sich entsprechend auf das Angebot privater Wettunternehmer und dessen Vertrieb anwenden. Einzelheiten, etwa die Richtigkeit der Konkretisierung einer solchen entsprechenden Anwendung in den im Termin zur mündlichen Verhandlung angesprochenen, im Verfahren BVerwG 8 C 15.12 vorgelegten Checklisten sowie die Frage, ob und in welcher Weise private Anbieter in das bestehende Spielersperrsystem einzubeziehen waren, müssen hier nicht erörtert werden. Aus verfassungs- und unionsrechtlicher Sicht genügt es, dass eine grundrechts- und grundfreiheitskonforme Anwendung der Vorschriften mit der Folge einer Erlaubniserteilung an private Anbieter und deren Vermittler möglich war und dass diesen gegen etwa rechtsfehlerhafte Ablehnungsentscheidungen effektiver gerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung stand. Der vom Berufungsgericht hervorgehobene Umstand, eine Erlaubniserteilung sei bisher nicht bekannt geworden, ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zwangsläufig auf systematische Rechtsverstöße zurückzuführen. Er kann sich auch daraus ergeben haben, dass in den zur Kenntnis des Berufungsgerichts gelangten Fällen mindestens eine wesentliche und auch nicht durch Nebenbestimmungen zu sichernde Erlaubnisvoraussetzung fehlte.
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(d) Im vorliegenden Falle war die materielle Erlaubnisfähigkeit der unerlaubten Tätigkeit für die Behörde der Beklagten im Zeitpunkt ihrer Entscheidung nicht offensichtlich. Vielmehr war für sie nicht erkennbar, inwieweit die gewerbliche Sportwettenvermittlung der Klägerin den ordnungsrechtlichen Anforderungen insbesondere des Jugend- und des Spielerschutzes genügte. Die Klägerin hatte dazu keine aussagekräftigen Unterlagen vorgelegt, sondern meinte, ihre unerlaubte Tätigkeit müsse aus unionsrechtlichen Gründen hingenommen werden.
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Nach der Verwaltungspraxis der Beklagten ist auch nicht festzustellen, dass diese die unerlaubte Tätigkeit in Kenntnis der Möglichkeit einer rechtsfehlerfreien Untersagung geduldet hätte.
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(3) Weitere Anspruchsgrundlagen für eine Staatshaftung kommen nicht in Betracht. Eine über die Amtshaftung und den unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch hinausgehende Haftung für eine rechtswidrige Inanspruchnahme als Störer sieht das bayerische Landesrecht nicht vor (vgl. Art. 70 ff. des Polizeiaufgabengesetzes - BayPAG).
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ee) Andere Umstände, aus denen sich ein berechtigtes Feststellungsinteresse der Klägerin ergeben könnte, sind nicht erkennbar.
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2. In Bezug auf den Bescheid vom 28. November 2007 hat die Revision der Beklagten dagegen keinen Erfolg.
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Insoweit ist die Klage als Anfechtungsklage unverändert zulässig. Dieser Bescheid erledigte sich nicht endgültig mit Erlass des weiteren Bescheides vom 5. Dezember 2007, weil dieser ihn nicht rückwirkend aufgehoben, sondern nur für die nachfolgende Zeit ersetzt hat. Der erste Bescheid lag nach den Feststellungen der Vorinstanz auch weiterhin der Vollstreckung durch die Einziehung des bereits fällig gestellten Zwangsgeldes zugrunde. Da die Klägerin das Zwangsgeld gezahlt hat, gehen von diesem Bescheid als Rechtsgrund der Vermögensverschiebung unverändert nachteilige Rechtswirkungen für sie aus. Die Anfechtungsklage bleibt daher statthaft; bei einer Aufhebung der Untersagung und Zwangsgeldandrohung vom 28. November 2007 kann die Klägerin die Rückabwicklung der Vollstreckung verlangen.
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Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht die Anfechtungsklage auch - im Ergebnis - zu Recht für begründet gehalten. Seine Annahme, die Untersagungsverfügung vom 28. November 2007 sei während ihrer Wirksamkeit bis zum 5. Dezember 2007 rechtswidrig gewesen, hält der revisionsrechtlichen Prüfung stand.
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Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Untersagung der Sportwettenvermittlung nach dem - irrevisiblen - Landesrecht erfüllt waren, weil weder die Klägerin noch das Wettunternehmen, an das sie Sportwetten vermittelte, über eine inländische Erlaubnis verfügte (vgl. Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 Landesstraf- und Verordnungsgesetz
i.V.m. §§ 284, 27 StGB). Mangels europarechtlicher Harmonisierung musste die Beklagte die dem Wettunternehmen im EU-Ausland erteilte Konzession nicht als solche Erlaubnis anerkennen (EuGH, Urteil vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Markus Stoß u.a. - Slg. 2010, I-8069 Rn. 112). Die Entscheidung, die hiernach unerlaubte Tätigkeit zu untersagen, stellte das Landesrecht in das Ermessen der Beklagten. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass diese ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Hiergegen wendet sich die Revision der Beklagten ohne Erfolg (a). Eine Ermessensausübung war nicht etwa entbehrlich, weil der Ermessensspielraum der Beklagten auf Null reduziert und diese zu einer Untersagung verpflichtet gewesen wäre (b). Die Beklagte hat die Defizite ihrer Ermessenserwägungen auch nicht nachträglich geheilt (c).
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a) Die Beklagte hat ihre Ermessensentscheidung, die unerlaubte Tätigkeit der Klägerin zu verbieten, im angegriffenen Bescheid maßgeblich damit begründet, dass die erforderliche Erlaubnis wegen des staatlichen Sportwettenmonopols nicht erteilt werden könne. Diese Erwägung war rechtsfehlerhaft, da sie zu Unrecht von der Anwendbarkeit der Monopolregelung (vgl. § 5 Abs. 4 Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland - LottStV) ausging. Wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend ausführt, war die Monopolregelung unanwendbar, weil sie den unionsrechtlichen Kohärenzanforderungen nicht genügte und deshalb die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit unverhältnismäßig beschränkte (aa). Zwar hat das Berufungsgericht insofern allein auf Umstände abgestellt, die diesen Schluss nicht rechtfertigen (bb). Seine Entscheidung erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig (cc). Das kann der Senat beurteilen, ohne dass es einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union bedürfte (dd).
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aa) Der persönliche Anwendungsbereich der Niederlassungs- wie der Dienstleistungsfreiheit ist eröffnet, da die Klägerin nach deutschem Recht gegründet wurde und ihren Sitz im Inland hat. Ob der sachliche Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 Abs. 1 AEUV einschlägig ist oder - sofern das Wettbüro der Klägerin nicht als inländische Präsenz des Wettunternehmers anzusehen war - subsidiär die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1, Art. 57 Abs. 1 und 3 AEUV eingreift, kann offenbleiben. Die Monopolregelung beschränkt beide Freiheiten. In ihrem räumlichen, inländischen Geltungsbereich schließt sie das Veranstalten von Wetten durch andere als den Monopolträger aus. Darüber hinaus lässt sie eine Wettvermittlung an andere Wettunternehmen als den Monopolanbieter nicht zu. Die unionsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung der Beschränkung sind ebenfalls für beide Grundfreiheiten deckungsgleich. Die Beschränkung muss das Diskriminierungsverbot beachten sowie nach Art. 51 f. i.V.m. Art. 62 AEUV oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt und geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten, unionsrechtlich legitimen Ziels zu gewährleisten. Außerdem darf sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (Urteil vom 24. November 2010 - BVerwG 8 C 14.09 - BVerwGE 138, 201
).
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Das staatliche Sportwettenmonopol, das im Freistaat Bayern im hier maßgeblichen Zeitraum vom 28. November bis zum 4. Dezember 2007 nach Maßgabe des Staatsvertrags zum Lotteriewesen in Deutschland vom 13. Februar 2004 (Lotteriestaatsvertrag) - LottStV - (BayGVBl S. 230) und des Gesetzes über die vom Freistaat Bayern veranstalteten Lotterien und Wetten vom 29. April 1999 - Staatslotteriegesetz - (BayGVBl S. 226) ausgestaltet war, beschränkte die Dienstleistungsfreiheit. Da es die Veranstaltung von Sportwetten dem staatlichen Monopolträger vorbehielt, ließ es eine Vermittlung von Sportwetten an Wettanbieter im EU-Ausland nicht zu.
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Zu Recht ist der Verwaltungsgerichtshof davon ausgegangen, dass diese Beschränkung im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden konnte, weil sie unverhältnismäßig war. Er hat auch zutreffend angenommen, dass das unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot eine kohärente Ausgestaltung des Monopols verlangt, und dass sich innerhalb des Kohärenzgebots zwei Anforderungen unterscheiden lassen. Der Mitgliedstaat muss zum einen unionsrechtlich legitime Ziele - wie etwa den Schutz der Verbraucher, die Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Anreizen zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen - im Anwendungsbereich der Regelung tatsächlich verfolgen. Er darf nicht "scheinheilig" legitime Ziele vorgeben, in Wahrheit aber andere - namentlich fiskalische - Ziele anstreben, die die Beschränkung nicht legitimieren können (EuGH, Urteile vom 21. Oktober 1999 - Rs. C-67/98, Zenatti - Slg. 1999, I-7289 Rn. 35 ff., vom 6. November 2003 - Rs. C-243/01, Gambelli u.a. - Slg. 2003, I-13031 Rn. 67 ff. und vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Markus Stoß u.a. - a.a.O. Rn. 88 ff. sowie Rs. C-46/08, Carmen Media - Slg. 2010, I-8175 Rn. 55, 64 ff.; BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 8 C 2.10 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 276 Rn. 45). Zum anderen darf die in Rede stehende Regelung nicht durch die mitgliedstaatliche Politik in anderen Glücksspielsektoren konterkariert werden. Damit verlangt das Kohärenzgebot weder eine Uniformität der Regelungen noch eine Optimierung der Zielverwirklichung (EuGH, Urteile vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Markus Stoß u.a. - a.a.O. Rn. 95 f. und - Rs. C-46/08, Carmen Media - a.a.O. Rn. 62 f.; BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 45 m.w.N.). Bedeutung gewinnt das namentlich in Mitgliedstaaten wie Deutschland, zu deren Verfassungsgrundsätzen eine bundesstaatliche Gliederung in Bund und mehrere Länder mit je eigener Gesetzgebungsautonomie gehört (vgl. Abs. 1, Abs. 3, ). Jedoch führt es zur Inkohärenz der Monopolregelung, wenn in anderen Glücksspielsektoren - auch wenn für sie andere Hoheitsträger desselben Mitgliedstaates zuständig sind - Umstände durch entsprechende Vorschriften herbeigeführt oder, wenn sie vorschriftswidrig bestehen, strukturell geduldet werden, die - sektorenübergreifend - zur Folge haben, dass die in Rede stehende Regelung zur Verwirklichung der mit ihr verfolgten Ziele tatsächlich nicht beitragen kann, so dass ihre Eignung zur Zielerreichung aufgehoben wird (EuGH, Urteile vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Markus Stoß u.a. - a.a.O. Rn. 106 und - Rs. C-46/08, Carmen Media - a.a.O. Rn. 68 f.; BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 a.a.O.; vgl. Urteil vom 24. November 2010 - BVerwG 8 C 14.09 - BVerwGE 138, 201 Rn. 82 = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 272).
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bb) Das Berufungsgericht hat allein auf die zweite Anforderung des Kohärenzgebots abgestellt, dabei aber unzutreffend angenommen, dass sie eine systematisch am Monopolziel der Suchtbekämpfung orientierte, aufeinander abgestimmte Regelung sämtlicher Glücksspielbereiche verlangt. Diese Annahme findet in Art. 56 AEUV und dessen Auslegung durch die einschlägigen Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union keine Grundlage. Zwar reicht zur Prüfung der Geeignetheit des Monopols eine sektorale, auf den Monopolbereich beschränkte Kohärenzprüfung nicht aus. Vielmehr sind auch die Auswirkungen einer etwa gegenläufigen Regelung anderer Glücksspielsektoren mit mindestens gleich hohem Suchtpotenzial zu berücksichtigen. Damit wird der Prüfungsgegenstand jedoch weder von der Verhältnismäßigkeit der Monopolregelungen auf die Verhältnismäßigkeit der anderen Regelungen erweitert, noch setzt die Kohärenz des Monopols eine kohärente Regelung der anderen Bereiche voraus. Erst recht bedarf es keines gebiets- und zuständigkeitsübergreifend konzipierten Systems aufeinander abgestimmter Regelungen im Sinne einer sämtliche Glücksspielbereiche überspannenden Gesamtkohärenz. Eine solche Konkretisierung ließe unberücksichtigt, dass die Verhältnismäßigkeit für jede Beschränkung gesondert zu prüfen ist (EuGH, Urteile vom 6. März 2007 - Rs. C-338/04, Placanica u.a. - Slg. 2004, I-1932 Rn. 49 und vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Markus Stoß u.a. - a.a.O. Rn. 93), und verlöre den Gegenstand der Prüfung - die Geeignetheit der Monopolregelung zur Verwirklichung der mit ihr verfolgten legitimen Ziele - aus dem Blick. Außerdem stieße sie auf verfassungs- und unionsrechtliche Bedenken. Wegen des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung der Europäischen Union ist der demokratisch legitimierte, mitgliedstaatliche Gesetzgeber im nicht harmonisierten Glücksspielrecht grundsätzlich frei, das angestrebte Schutzniveau zu bestimmen, die mit der Glücksspielpolitik verfolgten Ziele festzulegen und einzelne Glücksspielbereiche aufgrund seiner parlamentarischen Einschätzungsprärogative entsprechend auszugestalten (EuGH, Urteile vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Markus Stoß u.a. - a.a.O. Rn. 76 f. und - Rs. C-46/08, Carmen Media - a.a.O. Rn. 45 f., 58). Dies gilt bei bundesstaatlich verfassten Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer föderalen Kompetenzordnung für jeden im Mitgliedstaat tätigen Gesetzgeber. Die unionsrechtlichen Grundfreiheiten begrenzen diese Befugnis und verbieten unverhältnismäßige Beschränkungen. Sie verpflichten den Mitgliedstaat jedoch nicht dazu, ein sämtliche Glücksspielsektoren und föderale Zuständigkeiten übergreifendes, in seiner Gesamtheit stimmiges Schutzkonzept aufzustellen und umzusetzen.
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Nach der unionsgerichtlichen Rechtsprechung liegt eine Inkohärenz wegen konterkarierender Regelungen nicht schon vor, wenn in einem anderen Glücksspielbereich mit gleichem oder höherem Suchtpotenzial eine den Monopolzielen zuwiderlaufende Politik verfolgt wird, sondern ausdrücklich nur, wenn dies zur Folge hat, dass das der Errichtung des Monopols zugrunde liegende Ziel mit diesem nicht mehr wirksam verfolgt werden kann (EuGH, Urteile vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Markus Stoß u.a. - a.a.O. Rn. 106 und - Rs. C-46/08, Carmen Media - a.a.O. Rn. 68). Entgegen der Annahme des Berufungsurteils und der Auffassung der Klägerin ist eine Folgenbetrachtung also nicht entbehrlich. Da die Monopolregelung allein in ihrem Anwendungsbereich wirksam werden kann, können Beeinträchtigungen ihrer Wirksamkeit nur dort ermittelt werden. Danach kommt es auf die Rückwirkungen der gegenläufigen Glücksspielpolitik im anderen Glücksspielsektor auf den Monopolbereich an. Festgestellt werden muss, inwieweit diese Glücksspielpolitik die Wirksamkeit der Monopolregelung und deren Beitrag zur Verwirklichung der mit ihr verfolgten Ziele beeinträchtigt. Darin liegt keine Rückkehr zu einer unzureichenden sektoralen Kohärenzprüfung. Diese blendete mögliche Folgen einer Expansionspolitik in anderen Glücksspielbereichen für den Bereich der Sportwetten aus; die intersektorale Kohärenzprüfung bezieht sie dagegen mit ein. Sie lehnt nur die weitergehende Forderung nach einer alle Glücksspielbereiche überspannenden Gesamtkohärenz ab, da für die Geeignetheit der Monopolregelung nur ihr eigener Beitrag zur Zielverwirklichung maßgeblich ist.
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Zur Widerlegung dieser speziell zum Glücksspielrecht entwickelten Konkretisierung des Kohärenzgebots ist die im angegriffenen Urteil zitierte ältere Rechtsprechung zur Dienstleistungsfreiheit nicht geeignet. Auch auf den Vortrag der Klägerin, der Pressemitteilung des Gerichtshofs sei Gegenteiliges zu entnehmen, kommt es mangels rechtlicher Verbindlichkeit solcher Mitteilungen nicht an. Maßgebend sind die einschlägigen Entscheidungen selbst. Ihre Tenorierung lässt keinen Zweifel daran, dass aus der Feststellung einer gegenläufigen Glücksspielpolitik in einem anderen Bereich mit gleichem oder höherem Suchtpotenzial noch keine Inkohärenz der Monopolregelung folgt. Den Entscheidungsformeln zufolge kann das vorlegende Gericht, wenn es eine den Monopolzielen zuwiderlaufende Expansionspolitik im Bereich anderer, nicht monopolisierter Glücksspiele mit höherem Suchtpotenzial feststellt, berechtigten Anlass zur Schlussfolgerung haben, das Monopol sei nicht mehr geeignet, das Erreichen des mit ihm verfolgten Ziels dadurch zu gewährleisten, dass es dazu beiträgt, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen (jeweils a.a.O. Leitsatz 1 d) bzw. Leitsatz 2). Danach ist diese Schlussfolgerung nicht zwingend, sondern nur möglicherweise gerechtfertigt. Ob sie zu ziehen ist, ergibt sich nach den Entscheidungsgründen erst aus der Prüfung, ob das Monopol trotz der gegenläufigen Regelung des anderen Glücksspielbereichs noch wirksam zur Verwirklichung der mit ihm verfolgten Ziele beitragen kann. Dies festzustellen, hat der Gerichtshof den mitgliedstaatlichen Gerichten überlassen (vgl. EuGH, Urteile vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Markus Stoß u.a. - a.a.O. Rn. 98, 106 f. und - Rs. C-46/08, Carmen Media - a.a.O. Rn. 65, 68, 71).
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cc) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Monopolregelung sei inkohärent gewesen, trifft für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum vom 28. November bis zum 4. Dezember 2007 jedoch aus anderen Gründen zu. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 (- BVerfG 1 BvR 1054/01 - BVerfGE 115, 276) ist davon auszugehen, dass das bayerische Sportwettenmonopol unter dem Lotteriestaatsvertrag schon die erste der beiden Kohärenzanforderungen nicht erfüllte, weil es nach seiner normativen Ausgestaltung und der damaligen Praxis nicht die vorgeblichen, unionsrechtlich legitimen Ziele der Suchtbekämpfung und des Spieler- und Jugendschutzes verfolgte. Zwar nahmen § 1 Nr. 1 und 2, § 4 LottStV diese Ziele auf. Es fehlten jedoch Regelungen, die gewährleisteten, dass das Monopol auch in der Praxis konsequent an den mit ihm verfolgten legitimen Zielen ausgerichtet wurde (BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 a.a.O.). Solcher Regelungen hätte es auch zur Rechtfertigung des Eingriffs in die Dienstleistungsfreiheit bedurft. Unionsrechtlich muss die Schaffung eines Monopols mit der Errichtung eines normativen Rahmens einhergehen, mit dem sich gewährleisten lässt, dass der Inhaber des Monopols tatsächlich in der Lage sein wird, das festgelegte Ziel mit einem Angebot, das nach Maßgabe dieses Ziels quantitativ bemessen und qualitativ ausgestaltet ist und einer strikten behördlichen Kontrolle unterliegt, in kohärenter und systematischer Weise zu verfolgen (EuGH, Urteil vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Markus Stoß u.a. - Slg. 2010, I-8069 Rn. 83). Daran fehlte es im verfahrensgegenständlichen Zeitraum.
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Wie das Bundesverfassungsgericht im Einzelnen ausführt, gewährleistete die rechtliche Ausgestaltung des Wettmonopols unter dem Lotteriestaatsvertrag nicht ausreichend, dass das staatliche Wettangebot konsequent in den Dienst einer aktiven Suchtbekämpfung gestellt wurde und ein Konflikt mit fiskalischen Interessen des Staates nicht zu deren Gunsten ausging. Art. 4 des bayerischen Staatslotteriegesetzes vom 29. April 1999 (BayGVBl S. 226) enthielt nur rudimentäre Regelungen zur inhaltlichen Ausgestaltung des Monopolangebots, wobei die Verpflichtung zur Ausschüttung von mindestens der Hälfte des Spielkapitals für Oddset-Wetten nicht galt (BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 a.a.O. S. 12). Den Vorschriften des Lotteriestaatsvertrags, der in Bayern mit Ausführungsgesetz vom 23. November 2004 (BayGVBl S. 442) umgesetzt wurde, waren ebenfalls keine ausreichenden Regelungen zur konsequenten Ausrichtung des Monopols an den Zielen der Suchtbekämpfung und des Jugend- und Spielerschutzes zu entnehmen. Insbesondere fehlten Vorschriften, die eine Beachtung der Grenzen zulässiger Werbung gewährleisteten. Verfassungs- wie unionsrechtlich war Werbung für das Monopolangebot mit den legitimen Zielen des Monopols nur zu vereinbaren, wenn sie sich auf sachliche Hinweise und Informationen über legale Gelegenheiten zum Wetten beschränkte und die vorhandene Nachfrage kanalisierte. Dagegen durfte sie nicht expansiv auf eine Vergrößerung der Nachfrage gerichtet sein und zur Teilnahme am Glücksspiel ermuntern oder anreizen. Unzulässig war deshalb insbesondere, dem Wetten durch Hinweise auf eine gemeinnützige Verwendung der Einnahmen ein positives Image zu verleihen oder die Anziehungskraft des Wettens durch zugkräftige Werbebotschaften zu erhöhen, die bedeutende Gewinne in Aussicht stellten (EuGH, Urteile vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Markus Stoß u.a. - a.a.O. Rn. 103, 106 und - Rs. C-46/08, Carmen Media - a.a.O. Rn. 68 f. sowie vom 15. September 2011 - Rs. C-347/09, Dickinger und Ömer - juris Rn. 68 f.; BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 a.a.O. S. 313 f., 318; vgl. zum Gleichlauf der verfassungs- und unionsrechtlichen Anforderungen a.a.O. S. 316). Die Erfüllung dieser Anforderungen war seinerzeit rechtlich nicht gesichert. Die einschlägigen Regelungen in § 4 LottStV verboten zwar irreführende und unangemessene Werbung, schlossen eine ausschließlich am Ziel expansiver Vermarktung orientierte Werbung jedoch nicht aus (BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 a.a.O. S. 313).
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Die erheblichen normativen Defizite der Monopolregelung wurden bis zum 30. Dezember 2007 nicht beseitigt. Zwar änderte § 5 des bayerischen Nachtragshaushaltsgesetzes - NHG - vom 9. Mai 2006 (BayGVBl S. 193) Art. 2 Abs. 5 des bayerischen Staatslotteriegesetzes vom 29. April 1999 (BayGVBl S. 226) insoweit, als der staatlichen Lotterieverwaltung die Übertragung der Durchführung von Glücksspielen auf eine juristische Person des Privatrechts nicht mehr nur unter der Bedingung erlaubt wurde, dass der Freistaat Bayern deren alleiniger Gesellschafter war. Die Regelungen zum staatlichen Veranstaltungsmonopol in Art. 2 Abs. 1 und 4 des Staatslotteriegesetzes blieben jedoch unverändert. Das Monopol wurde - unstreitig - auch faktisch aufrechterhalten. Die unzureichenden Regelungen zur Ausgestaltung des Lotterie- und Wettangebots, zum Vertrieb und zur zulässigen Werbung blieben unverändert. Sie konnten damit nach wie vor nicht sicherstellen, dass die Monopolpraxis den legitimen Monopolzielen entsprach. Schließlich war mangels Einschaltens einer neutralen Kontrollinstanz (dazu BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 a.a.O. S. 312) weiterhin nicht gewährleistet, dass fiskalische Interessen hinter das Ziel der Suchtbekämpfung zurücktraten.
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Dass das Bundesverfassungsgericht die Monopolregelung nicht für nichtig, sondern nur für verfassungswidrig erklärt und ihre übergangsweise Anwendung bis längstens zum 30. Dezember 2007 unter bestimmten Maßgaben zugelassen hat (BVerfG a.a.O. S. 319), kann die Anwendung der Regelung vor dem Unionsrecht nicht rechtfertigen. Auf den Vortrag der Revisionsführerin und der Beklagten, der Freistaat Bayern habe die bundesverfassungsgerichtlichen Maßgaben rechtzeitig und vollständig umgesetzt, kommt es deshalb nicht an. Die Erfüllung dieser Maßgaben konnte die Defizite der normativen Ausgestaltung des Monopols weder beheben noch vollständig kompensieren. Die Maßgaben zielten allein darauf, ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen legitimen gesetzlichen Zielen und tatsächlicher Ausübung des Monopols herzustellen. Im Übrigen beschränkten sie sich auf die Forderung, in der Übergangszeit bereits mit einer konsequenten Ausrichtung des Monopols an der Suchtbekämpfung zu beginnen (BVerfG a.a.O.). Das lässt erkennen, dass ihre Erfüllung auch nach der Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts noch keinen verfassungsmäßigen Zustand herstellte. Sie ließ nur eine befristete weitere Anwendung der verfassungswidrigen Norm als verfassungsrechtlich hinnehmbar erscheinen (BVerfG a.a.O. S. 317, 319; vgl. Kammerbeschluss vom 20. März 2009 - 1 BvR 2410/08 - NVwZ 2009, 1221
).
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Unionsrechtlich war die übergangsweise Anwendung der unverhältnismäßigen Monopolregelung ohnedies nicht gerechtfertigt. Die Anordnung des Bundesverfassungsgerichts reichte dazu nicht aus. Die übergangsweise Anwendung unionsrechtswidriger Vorschriften kann nur nach Maßgabe des Unionsrechts legitimiert werden. Die Voraussetzungen dafür lagen nicht vor (EuGH, Urteil vom 8. September 2010 - Rs. C-409/06, Winner Wetten - Slg. 2010, I-8015 Rn. 60 ff., 67 ff.). Entgegen der Auffassung der Revisionsführerin und der Beklagten ergibt sich aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 24. Januar 2013 (- Rs. C-186/11 u.a., Stanleybet Int. Ltd. u.a. - NVwZ 2013, 785 Rn. 38 f., 46 ff.) keine solche unionsrechtliche Rechtfertigung. Diese Entscheidung bestätigt vielmehr unter Hinweis auf das eben zitierte Urteil vom 8. September 2010 ausdrücklich, dass ein unionsrechtswidriges Glücksspielmonopol auch nicht übergangsweise weiter angewendet werden darf (EuGH, Urteil vom 24. Januar 2013 a.a.O. Rn. 38 f., 42). Der Mitgliedstaat ist allerdings nicht zu einer Liberalisierung verpflichtet. Er kann sich auch dafür entscheiden, das Monopol unionsrechtskonform zu reformieren (a.a.O. Rn. 46). Jedenfalls ist er aber bei Unionsrechtswidrigkeit des Monopols verpflichtet, Erlaubnisanträge anderer Glücksspielanbieter auch während der Übergangszeit bis zu einer Neuregelung zu prüfen und gegebenenfalls nach unionsrechtskonformen Maßstäben zu bescheiden (a.a.O. Rn. 39, 48).
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Da die unionsrechtliche Unverhältnismäßigkeit der Monopolregelung im Übergangszeitraum sich schon aus ihren normativen Defiziten ergibt, kann die Reichweite der Bindungswirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 im Übrigen dahinstehen. Insbesondere muss nicht geklärt werden, ob sie sich nach § 31 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) auf dessen Einschätzung erstreckt, die breit angelegte Werbung im Rahmen der über den Deutschen Lotto- und Totoblock bundesweit koordinierten Veranstaltung von ODDSET habe die Grenzen zulässiger Werbung auch faktisch nicht gewahrt, da sie das Wetten als sozialadäquate, wenn nicht sogar positiv bewertete Unterhaltung darstellte und eine fiskalische Ausrichtung des Monopols erkennen ließ (BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 a.a.O. S. 314).
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Auf die Verfahrensrügen gegen die Annahme einer intersektoralen Inkohärenz kommt es nicht an, weil die Rechtswidrigkeit des Monopols sich bereits unabhängig von der Glücksspielpolitik in anderen Glücksspielsektoren aus der rechtswidrigen Ausgestaltung des Monopols selbst ergibt.
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dd) Zu einem Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union besteht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV auch bezüglich der Auslegung des Art. 56 AEUV kein Anlass. Die Anforderungen, die danach an die normative Ausgestaltung des Sportwettenmonopols zu stellen sind, und die Grenzen zulässiger Werbung sind in der oben dargelegten Rechtsprechung des Gerichtshofs so weit geklärt, dass in den hier entscheidungserheblichen Fragen kein Raum für vernünftige Zweifel bleibt. Auch das Erfordernis intersektoraler Kohärenz einer Monopolregelung ist in der unionsgerichtlichen Rechtsprechung klar und eindeutig konkretisiert. Im Übrigen kommt es auf dieses Erfordernis für die Entscheidung nicht an, da das Urteil des Berufungsgerichts sich bezüglich der Anfechtung des Bescheides vom 28. November 2007 aus anderen, davon unabhängigen Gründen als richtig erwiesen hat. Die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob die Niederlassungsfreiheit eine Durchsetzung des Erlaubnisvorbehalts in der Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2007 verboten habe, ist mangels Entscheidungserheblichkeit ebenfalls nicht dem Gerichtshof vorzulegen. Die angegriffene Untersagungsverfügung wurde im hier maßgeblichen Zeitraum Ende 2007 nicht mit der Durchsetzung des Erlaubnisvorbehalts, also der formellen und materiellen Illegalität der konkreten Tätigkeit begründet, sondern mit dem verfassungs- und unionsrechtswidrigen Sportwettenmonopol. Sofern die Beklagte die Ermessenserwägungen mit Schriftsatz vom 21. September 2011 rückwirkend auswechseln wollte, wäre dies verwaltungsverfahrensrechtlich unzulässig (dazu sogleich unter c). Auf Bedenken, ob die Untersagung bei Verfassungs- und Unionsrechtswidrigkeit des Monopols trotz Fehlens eines unionsrechtskonformen Erlaubnisverfahrens für Private im Übergangszeitraum mit der Durchsetzung des Erlaubnisvorbehalts hätte begründet werden dürfen, kommt es nicht an. Selbst wenn eine solche Untersagung rechtmäßig möglich gewesen wäre, würde dies die tatsächlich getroffene, fehlerhafte Ermessensentscheidung noch nicht rechtmäßig machen.
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b) Die Beklagte meint, auf etwaige Fehler ihrer Ermessensausübung komme es nicht an, weil ihr Ermessensspielraum ohnehin dahin eingeschränkt gewesen sei, dass nur eine Untersagung rechtmäßig gewesen wäre. Dieser Vortrag kann der Revision nicht zum Erfolg verhelfen.
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Eine Rechtfertigung der Untersagung vom 28. November 2007 wegen intendierten Ermessens hat der Verwaltungsgerichtshof revisionsrechtlich fehlerfrei verneint. Er musste auch nicht von einer Ermessensreduzierung auf Null zulasten der Klägerin ausgehen. Zwar war die Beklagte befugt, die unerlaubte Wettvermittlung zur Durchsetzung des Erlaubnisvorbehalts zu verbieten, wenn die materielle Erlaubnisfähigkeit - monopolunabhängig - nicht offensichtlich war (vgl. oben Rn. 51 f.). Zu einer Untersagung verpflichtet war sie aber nur, wenn der Zweck der Ermächtigung und die gesetzlichen Ermessensgrenzen keine andere Entscheidung zuließen (vgl. Urteil vom 24. November 2010 - BVerwG 8 C 13.09 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 273 Rn. 72 ff., 88). Das setzte jedenfalls voraus, dass die Vermittlungstätigkeit der Klägerin gegen monopolunabhängige, rechtmäßige Beschränkungen der Vermittlungstätigkeit verstieß und dass Nebenbestimmungen oder - bei Fehlen eines Erlaubnisantrags - ein Teilverbot nicht ausreichten, die Erfüllung der rechtmäßigen materiell-rechtlichen Anforderungen zu gewährleisten. Die Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichtshofs tragen einen solchen Schluss nicht. Wirksame Verfahrensrügen wurden insoweit nicht erhoben. Insbesondere ist ein Verstoß gegen die Pflicht zur Amtsaufklärung gemäß § 86 VwGO nicht substantiiert geltend gemacht.
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c) Entgegen der Auffassung der Beklagten wurde der Ermessensfehler schließlich nicht durch die mit Schriftsatz der Beklagten vom 21. September 2011 nachgeschobenen Erwägungen geheilt. Dabei kann offenbleiben, ob ein Nachschieben von Ermessenserwägungen hinreichend deutlich auch in Bezug auf diesen Bescheid - und nicht nur bezüglich des ihn ersetzenden Bescheides vom 5. Dezember 2007 - erklärt wurde. Dahinstehen kann auch, ob im ersten Fall das Nachschieben von Gründen schon wegen der Aufhebung der ersten Untersagungsverfügung durch die zweite im Dezember 2007 ausgeschlossen war. Jedenfalls lag ein Auswechseln wesentlicher Ermessenserwägungen vor, das die Klägerin in ihrer Rechtsverteidigung erheblich beeinträchtigte, soweit es sich auf einen bereits abgelaufenen Zeitraum bezog.
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Neue Gründe für einen Verwaltungsakt dürfen nach dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht nur nachgeschoben werden, wenn sie schon bei Erlass des Verwaltungsakts vorlagen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (stRspr, Urteile vom 14. Oktober 1965 - BVerwG 2 C 3.63 - BVerwGE 22, 215 <218> = Buchholz 232 § 32 BBG Nr. 14, vom 16. Juni 1997 - BVerwG 3 C 22.96 - BVerwGE 105, 55 <59> = Buchholz 316 § 39 VwVfG Nr. 25 und vom 29. Januar 2001 - BVerwG 11 C 3.00 - Buchholz 401.64 § 6 AbwAG Nr. 3). Diese Grundsätze gelten auch bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung wie der glücksspielrechtlichen Untersagungsverfügung, wenn deren Begründung für einen bereits abgelaufenen Zeitraum geändert werden soll.
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Hier liegt ein Austausch wesentlicher Ermessenserwägungen vor. Die Rechtmäßigkeit des Sportwettenmonopols, auf das die Untersagung ursprünglich gestützt wurde, ist für die nachgeschobene Begründung der Untersagung mit der formellen und materiellen Illegalität der Wettvermittlung unerheblich. Gegen einen Austausch der wesentlichen Erwägungen spricht auch nicht, dass beide Begründungen an das Fehlen einer Erlaubnis anknüpfen. Die formelle Illegalität erfüllt den Tatbestand der Untersagungsermächtigung und eröffnet damit nur das Ermessen. Dessen Ausübung muss sich daher nach anderen Kriterien richten. Ob im Austausch der wesentlichen Ermessenserwägungen schon eine Wesensänderung der Untersagung selbst liegt, kann dahinstehen. Jedenfalls wird die Rechtsverteidigung des Betroffenen erheblich beeinträchtigt, wenn die maßgeblichen Erwägungen rückwirkend ausgewechselt werden. Die neue Begründung der Untersagung stellt erstmals auf die monopolunabhängigen Anforderungen an die Vermittlung und das Wettangebot ab. Dem Betroffenen bleibt nur, diese Anforderungen zu prüfen und für den bereits abgelaufenen Zeitraum entweder darzulegen, dass sie rechtswidrig waren, oder darzutun, dass seine Tätigkeit mit ihnen übereinstimmte. Soweit die rückwirkende Änderung der Begründung die Erfolgsaussichten der Klage entfallen lässt, kann er darauf nur nachträglich reagieren.
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3. Soweit die Revision begründet ist, kann der Senat gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO in der Sache selbst entscheiden. Wegen der Unzulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage war das Berufungsurteil insoweit - teilweise - zu ändern und die Berufung insoweit zurückzuweisen. Damit wird das erstinstanzliche, klageabweisende Urteil wieder hergestellt, soweit es die Untersagungsverfügung vom 5. Dezember 2007 bezüglich des Zeitraums bis zum 30. Juni 2012 betrifft. Die Umstellung des Klageantrags wegen der endgültigen Erledigung dieser Verfügung mit Ablauf des genannten Zeitraums steht dem nicht entgegen, weil der klageabweisende Tenor auch auf den umgestellten Klageantrag zu beziehen ist.
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Der nicht nachgelassene, nach Schluss der mündlichen Verhandlung übermittelte Schriftsatz der Beklagten vom 22. April 2013 gibt keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 2, § 161 Abs. 2 VwGO. Die Kosten bezüglich des erledigten Teils des Rechtsstreits waren mangels übereinstimmenden Vorschlags der Hauptbeteiligten wegen der insoweit offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache beiden Hauptbeteiligten jeweils zur Hälfte aufzuerlegen. Die auf die streitige Revisionsentscheidung entfallenden Kosten sind nach § 154 Abs. 2 VwGO von der Beteiligten zu tragen, soweit ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist. Im Übrigen fallen sie nach § 154 Abs. 1 VwGO der Klägerin zur Last.
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert des Verfahrens wird auf 50.000,- € festgesetzt.
Gründe
I.
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die aufschiebende Wirkung der Klage vom 3.05.2018 gegen die Untersagung des Beklagten vom 11.04.2018 anzuordnen, und regte an, auf den Antragsgegner dahingehend einzuwirken, dass er bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diese Anträge von Vollziehungsmaßnahmen absehe.
den Antrag abzulehnen.
II.
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Tatbestand
- 1
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Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Ordnungsverfügung, mit der der Klägerin die Annahme und die Vermittlung von Sportwetten untersagt wurde. Darüber hinaus wendet sie sich gegen zwei Zwangsgeldfestsetzungsbescheide.
- 2
-
Die Klägerin vermittelte im März 2010 in ihrer Betriebsstätte W.straße ... in L. Sportwetten an einen privaten Wettunternehmer. Daraufhin untersagte ihr die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Rheinland-Pfalz (ADD) mit Ordnungsverfügung vom 19. April 2010 auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag - GlüStV 2008, GVBl. RP 2007, 244) i.V.m. §§ 6, 11 des Landesgesetzes zu dem Glücksspielstaatsvertrag (Landesglücksspielgesetz - LGlüG, GVBl. RP 2007, 240) in ihren Geschäftsräumen sowie im gesamten Gebiet des Landes Rheinland-Pfalz die Annahme und Vermittlung von Sportwetten aller Anbieter, die nicht über eine Erlaubnis des Landes Rheinland-Pfalz nach dem Landesglücksspielgesetz verfügten, und forderte sie auf, den Betrieb der Annahmestelle für Sportwetten einzustellen. Außerdem ordnete die Behörde die Einstellung der Werbung für Sportwetten an. Für den Fall der Zuwiderhandlung drohte sie jeweils die Festsetzung eines Zwangsgeldes an. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin habe in ihren Betriebsräumen ohne die hierfür erforderliche Erlaubnis Sportwetten angenommen und vermittelt. Sie habe auch keine Aussicht, eine Erlaubnis zu erhalten, weil die Veranstaltung öffentlicher Glücksspiele im Interesse der Eindämmung und Lenkung des Spieltriebs der Bevölkerung in Deutschland monopolisiert sei. Auch unter Berücksichtigung der Interessen der Klägerin sei keine andere Ermessensentscheidung möglich.
- 3
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Nachdem der Beklagte festgestellt hatte, dass die Klägerin weiterhin Sportwetten vermittelte und die Werbung hierfür nicht eingestellt hatte, setzte die ADD mit Bescheiden vom 27. September 2011 und vom 4. November 2011 die angedrohten Zwangsgelder in Höhe von insgesamt 25 000 € fest. Die hiergegen erhobenen Widersprüche wurden nicht beschieden. Die Klägerin beglich die Zwangsgelder am 27. Oktober 2011 und am 5. Dezember 2011.
- 4
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Den Widerspruch der Klägerin gegen die Untersagungsverfügung wies die ADD mit Widerspruchsbescheid vom 27. März 2012 zurück. Da es sich bei der Untersagung um einen Dauerverwaltungsakt handele, sei maßgeblich auf die derzeitige Sach- und Rechtslage abzustellen. Die von der Klägerin vermittelten Sportwetten wären als öffentliches Glücksspiel nur erlaubt, wenn dafür eine Erlaubnis nach § 6 Abs. 1 LGlüG i.V.m. § 4 Abs. 1 GlüStV 2008 vorliege. Daran fehle es jedoch. Im Herbst 2010 sei das Erlaubnisverfahren auch für die private Vermittlung von Sportwetten vorsorglich eröffnet worden. Sofern einem Veranstalter eine Erlaubnis erteilt werde, könne für diesen Veranstalter auch eine Vermittlungserlaubnis beantragt werden. Im Fall der Klägerin lägen beide Erlaubnisse derzeit nicht vor. Die Voraussetzungen für deren Erteilung seien auch nicht offensichtlich erfüllt. Nach nochmaliger Ermessensausübung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes werde die Untersagung zur Durchsetzung der Ziele des § 1 GlüStV 2008 aufrechterhalten.
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Am 30. April 2012 hat die Klägerin Klage gegen die Untersagungsverfügung erhoben, in die sie im Dezember 2012 die beiden Zwangsgeldfestsetzungsbescheide einbezogen hat. Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 20. Juni 2013 den Bescheid vom 19. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2012 mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben und festgestellt, dass die Untersagungsverfügung im Zeitraum von ihrer Bekanntgabe am 5. Mai 2010 bis zur Eröffnung des Erlaubnisverfahrens am 8. November 2010 rechtswidrig gewesen sei; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
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Im Berufungsverfahren, dessen Gegenstand nur noch die Untersagungsverfügung für den Zeitraum vom 8. November 2010 bis zum 3. April 2012 sowie die beiden Zwangsgeldfestsetzungsbescheide waren, hat das Oberverwaltungsgericht auf die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 1. Juli 2014 das erstinstanzliche Urteil teilweise geändert. Es hat die beiden Zwangsgeldfestsetzungsbescheide vom 27. September 2011 und vom 4. November 2011 sowie die betriebsstättenbezogenen Anordnungen der Untersagungsverfügung vom 19. April 2010 für den Zeitraum vom 8. November 2010 bis zum 5. Dezember 2011 aufgehoben und weiterhin festgestellt, dass die Untersagungsverfügung im Zeitraum vom 6. Dezember 2011 bis zum 3. April 2012 rechtswidrig gewesen sei; die weitergehende Berufung der Klägerin hat es zurückgewiesen.
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Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Zwangsgeldfestsetzungsbescheide seien rechtswidrig, weil ihnen im maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Zwangsmittelverfahrens, also am 5. Dezember 2011, eine rechtmäßige Grundlage gefehlt habe. Die ihnen zugrunde liegende und nicht bestandskräftige Untersagungsverfügung vom 19. April 2010 sei zu diesem Zeitpunkt ermessensfehlerhaft gewesen, weil sie auf das staatliche Sportwettenmonopol gestützt gewesen sei. Der Beklagte habe zwar nach Abschluss der Zwangsmittelverfahren seine Ermessensausübung modifiziert und die Zurückweisung des Widerspruchs durch Bescheid vom 27. März 2012 mit dem Fehlen einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis begründet. Diese Änderung der Ermessensausübung hinsichtlich der Untersagungsverfügung wirke aber weder auf den Zeitpunkt ihres Erlasses noch auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Zwangsmittelverfahren zurück.
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Die betriebsstättenbezogenen Anordnungen der Untersagungsverfügung vom 19. April 2010 seien für den Zeitraum vom 8. November 2010 bis zum 5. Dezember 2011 rechtswidrig gewesen, weil sie ermessensfehlerhaft mit dem Sportwettenmonopol begründet worden seien. Das Sportwettenmonopol sei in diesem Zeitraum schon wegen der Werbung des Monopolträgers für die Sportwette Oddset und für andere Monopolangebote als Sportwetten sowie der im Rahmen des deutschen Lotto- und Totoblocks abgestimmten Werbestrategie unter einer gemeinsamen Dachmarke sowohl nach europarechtlichen als auch nach verfassungsrechtlichen Maßstäben zu beanstanden. Soweit sich der Beklagte auf seine Bereitschaft berufe, seit dem Herbst 2010 auch privaten Wettveranstaltern und Wettvermittlern die erforderlichen glücksspielrechtlichen Erlaubnisse zu erteilen, habe das keinen Eingang in die Ermessensbetätigung gefunden. Erst im Widerspruchsbescheid, also zeitlich nach dem hier maßgeblichen Zeitraum, habe sich der Beklagte auf den Erlaubnisvorbehalt berufen.
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Zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Revision macht der Beklagte geltend: Das angefochtene Urteil verletze § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO. Das Widerspruchsverfahren sei kein gesondertes zusätzliches Verwaltungsverfahren, sondern bilde mit dem Ausgangsverfahren eine Einheit. Bei der gebotenen gemeinsamen Überprüfung von Ausgangs- und Widerspruchsbescheid liege kein Ermessensfehler vor. Außerdem habe das Oberverwaltungsgericht die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB missachtet. Bei zutreffender Auslegung des Ausgangsbescheids vom 19. April 2010 sei davon auszugehen, dass auch dieser schon maßgeblich auf den Erlaubnisvorbehalt und erst nachrangig auf das Monopol gestützt gewesen sei. Ferner sei das Berufungsgericht von einem unzulässig engen Werbebegriff ausgegangen, der weder mit Gemeinschaftsrecht noch mit deutschem Gesetzesrecht in Einklang stehe. Es sei auch nicht überzeugend, ein strukturelles Vollzugsdefizit darin zu sehen, dass im gesamten entscheidungserheblichen Zeitraum systematisch gegen die Werbebeschränkungen verstoßen worden sei. Die glücksspielrechtliche Betätigung der Klägerin sei zu keinem Zeitpunkt offensichtlich erlaubnisfähig gewesen. Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 4. Februar 2016 in der Rechtssache - C-336/14 [ECLI:EU:C:2016:72], Sebat Ince - könne die Klägerin nichts für sich herleiten. Schließlich seien auch die Zwangsgeldfestsetzungsbescheide rechtmäßig.
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Im Laufe des Revisionsverfahrens haben die Beteiligten den Rechtsstreit hinsichtlich der Untersagung für den Zeitraum vom 6. Dezember 2011 bis zum 3. April 2012 übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
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Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. Juli 2014 zu ändern und die Berufung der Klägerin hinsichtlich der betriebsstättenbezogenen Untersagungsverfügung des Beklagten (Ziff. 1, 3, 4, 5, 6 ,8, 9 und 10) für den Zeitraum vom 8. November 2010 bis zum 5. Dezember 2011 sowie hinsichtlich der Zwangsgeldfestsetzungsbescheide des Beklagten vom 27. September 2011 und vom 4. November 2011 zurückzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angegriffene Urteil. Das im November 2010 in Rheinland-Pfalz eröffnete Erlaubnisverfahren sei ein unzureichendes "Alibiverfahren" gewesen, dem es an der erforderlichen Transparenz gefehlt habe. Privaten Sportwettenanbietern seien keine Erlaubnisse erteilt worden. Auch der Europäische Gerichtshof habe in seinem Urteil vom 4. Februar 2016 die übergangsweise Durchführung eines provisorisch eingerichteten Erlaubnisverfahrens nicht als unionsrechtskonforme Ausgestaltung des Monopols gewertet.
Entscheidungsgründe
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Das Verfahren ist in entsprechender Anwendung von § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Insoweit sind die Urteile der Vorinstanzen klarstellend für wirkungslos zu erklären (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 ZPO). Im Übrigen hat die Revision des Beklagten Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht auf einer unzutreffenden Anwendung des § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO und stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 137 Abs. 1, § 144 Abs. 4 VwGO). Da seine Tatsachenfeststellungen keine abschließende Entscheidung zulassen, war das angegriffene Urteil, soweit es den verfahrensgegenständlichen Zeitraum der Untersagungsverfügung und die beiden Zwangsgeldfestsetzungsbescheide betrifft, aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
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1. Das Oberverwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klage gegen die angegriffene Untersagungsverfügung bezüglich des verfahrensgegenständlichen Zeitraums vom 8. November 2010 bis zum 5. Dezember 2011 als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig ist. Sie ist in Ansehung der Vollstreckung der Untersagungsverfügung mittels Zwangsgeldes statthaft, weil insoweit noch eine Beschwer durch die betriebsstättenbezogenen Anordnungen bezüglich des bereits abgelaufenen Zeitraums vorliegt.
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Glücksspielrechtliche Untersagungen erledigen sich als Verwaltungsakte mit Dauerwirkung grundsätzlich von Tag zu Tag fortlaufend für den jeweils abgelaufenen Zeitraum. Eine Erledigung tritt allerdings nicht ein, wenn die Untersagung für den abgelaufenen Zeitraum gegenwärtig noch nachteilige Rechtswirkungen für den Betroffenen entfaltet. Das ist der Fall, wenn sie die Rechtsgrundlage für noch rückgängig zu machende Vollstreckungsmaßnahmen bildet. Dazu gehört die Vollstreckung mittels Zwangsgeldes, weil sie bei Aufhebung der Grundverfügung rückabgewickelt werden kann. Die Rückzahlung eines gezahlten Zwangsgeldes kann nicht auf dem Weg über ein Schadensersatzverlangen auf die Sekundärebene verschoben werden, sondern setzt die Beseitigung der Grundverfügung voraus, die der Vollstreckung zugrunde liegt. Wird ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - wie hier die Untersagungsverfügung - nur in bestimmten Abschnitten seines Geltungszeitraums zwangsweise durchgesetzt, genügt es zur Rückabwicklung der Vollstreckung, die Untersagungsverfügung in Ansehung des Zeitraums zu beseitigen, in welchem sie zwangsweise durchgesetzt wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013 - 8 C 17.12 - juris Rn. 19 f.).
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Im vorliegenden Fall wurde die Untersagungsverfügung mit Zwangsgeldfestsetzungen durchgesetzt, bis die Klägerin am 5. Dezember 2011 das Zwangsgeld in gesamter Höhe beglichen und den Betrieb der Sportwettenvermittlung - bis zur späteren Wiederaufnahme aufgrund einer vom Beklagten erteilten Duldung - eingestellt hat. In Ansehung dieser Zwangsvollstreckung ist die Anfechtungsklage statthaft.
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Die Anfechtung der Zwangsgeldfestsetzungen vom 27. September 2011 und vom 4. November 2011 hat das Oberverwaltungsgericht ebenfalls zu Recht für zulässig gehalten. Dass die von der Klägerin gegen die beiden Bescheide eingelegten Widersprüche nicht beschieden wurden, steht der Zulässigkeit der Klage gemäß § 75 VwGO nicht entgegen.
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2. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Anfechtungsklage sei für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum vom 8. November 2010 bis zum 5. Dezember 2011 sowie hinsichtlich der beiden Zwangsgeldfestsetzungsbescheide auch begründet, hält jedoch der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Das angefochtene Urteil steht insoweit nicht im Einklang mit Bundesrecht, weil es § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
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a) Allerdings hat das Oberverwaltungsgericht entgegen der Auffassung des Beklagten die bundesrechtlichen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB bei Auslegung des Ausgangsbescheids vom 19. April 2010 nicht missachtet. Diese Bestimmungen sind auf öffentlich-rechtliche Erklärungen entsprechend anzuwenden. Bei Verwaltungsakten kommt es wie bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen auf den objektiven Erklärungswert an. Maßgeblich ist, wie der Empfänger die Erklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der für ihn erkennbaren Umstände verstehen musste. Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen und deren objektiver Gehalt unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts zu ermitteln (BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013 - 8 C 46.12 - BVerwGE 147, 81 Rn. 27). Die Auslegung des Ausgangsbescheids vom 19. April 2010 durch das Oberverwaltungsgericht genügt diesen Anforderungen. Sie hat den objektiven Erklärungswert dieses Bescheids mit der Annahme, die Untersagungsverfügung sei maßgeblich mit dem staatlichen Glücksspielmonopol begründet, das einen Antrag auf Erteilung der erforderlichen Erlaubnis für die Klägerin und den Wettanbieter aussichtslos erscheinen lasse, zutreffend erfasst.
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b) Das Berufungsurteil beruht jedoch auf einer unzutreffenden Anwendung des § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO. Seine Annahme, der Widerspruchsbescheid vom 27. März 2012 einschließlich der darin enthaltenen Ermessenserwägungen sei nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung, steht nicht im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
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Gegenstand der Anfechtungsklage ist nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Das in §§ 68 ff. VwGO geregelte Widerspruchsverfahren ist kein gesondertes Verwaltungsverfahren, sondern bildet mit dem Ausgangsverfahren eine Einheit, das erst mit einem etwaigen Widerspruchsbescheid abgeschlossen wird (BVerwG, Urteile vom 1. Dezember 1989 - 8 C 14.88 - BVerwGE 84, 178 <181> und vom 23. August 2011 - 9 C 2.11 - BVerwGE 140, 245 Rn. 20). Diese Einheit setzt sich im gerichtlichen Verfahren fort, wie § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zeigt. Der Widerspruchsbehörde kommt im Überprüfungsverfahren eine umfassende Kontrollbefugnis zu. Sie hat grundsätzlich die gleiche Entscheidungsbefugnis wie die Ausgangsbehörde. Sie ist zur Änderung, Aufhebung und Ersetzung des Ausgangsbescheids einschließlich seiner Begründung und Ermessenserwägungen befugt (BVerwG, Urteile vom 1. Dezember 1978 - 7 C 68.77 - BVerwGE 57, 130 <145>; vom 11. Februar 1999 - 2 C 28.98 - BVerwGE 108, 274 <280> und vom 23. August 2011 - 9 C 2.11 - BVerwGE 140, 245 Rn. 20). Der Widerspruchsbescheid gibt dem Ausgangsbescheid seine endgültige und für den Verwaltungsprozess maßgebliche Gestalt. Dementsprechend ist der gerichtlichen Prüfung der ursprüngliche Verwaltungsakt mit dem Inhalt und der Begründung zugrunde zu legen, die er durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat (BVerwG, Urteil vom 25. März 1981 - 8 C 69.80 - BVerwGE 62, 80 <81>). Trifft die Widerspruchsbehörde eine eigene Ermessensentscheidung, so tritt diese an die Stelle derjenigen der Ausgangsbehörde und führt bei - auch erstmaligen - Fehlern zugleich zur Aufhebung des Ermessensverwaltungsaktes (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 68 Rn. 14 und § 73 Rn. 13; Brenner, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 79 Rn. 22).
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Nach diesen Grundsätzen hätte das Oberverwaltungsgericht die gerichtliche Kontrolle nicht auf den Ausgangsbescheid vom 19. April 2010 beschränken dürfen, sondern hätte den Widerspruchsbescheid vom 27. März 2012 einschließlich der darin enthaltenen Ermessenserwägungen in seine Prüfung einbeziehen müssen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lässt sich dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Juni 2013 - 8 C 46.12 - (BVerwGE 147, 81 Rn. 32) nichts Anderes entnehmen. Es betrifft die Zulässigkeit des Nachschiebens von Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 114 Satz 2 VwGO, das hier erst nach Ergehen des Widerspruchsbescheides eingeleitet wurde. Der vom Oberverwaltungsgericht aus dem zitierten Urteil gezogene Schluss, auch in einem vor Klageerhebung abgeschlossenen Widerspruchsverfahren sei eine Änderung der Ermessenserwägungen nicht zulässig, wenn die ursprüngliche Ermessensentscheidung im Kern ausgewechselt werde, findet in dieser Entscheidung keine Grundlage. Der von der Klägerin zur Frage der Zulässigkeit des Nachschiebens von Gründen im Verwaltungsverfahren angeregten Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedurfte es nicht, weil ein unionsrechtlicher Bezug dieser Frage im Sinne von Art. 267 Abs. 1 AEUV nicht gegeben ist. Der Berücksichtigung des Widerspruchsbescheids im berufungsgerichtlichen Verfahren steht vorliegend auch nicht entgegen, dass die Klägerin ihren in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht formulierten Antrag ausdrücklich auf den Ausgangsbescheid vom 19. April 2010 beschränkt hat. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO stellt insoweit klar, dass für die Prüfung des Ausgangsbescheids die Gestalt maßgeblich ist, die dieser durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat (vgl. Happ, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 79 Rn. 6) und entzieht den Parteien insoweit die Dispositionsbefugnis über den Streitgegenstand. Ob und inwieweit Verwaltungsverfahrensrecht und § 114 Satz 2 VwGO einer gerichtlichen Berücksichtigung völlig neuer Ermessenserwägungen in einem erst nach Klageerhebung ergangenen Widerspruchsbescheid entgegenstehen können, muss hier nicht geklärt werden, weil das Widerspruchsverfahren bereits vor Klageerhebung abgeschlossen wurde.
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3. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Es könnte sich trotz des Verstoßes gegen § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO im Ergebnis als richtig erweisen, wenn auch die Begründung des Widerspruchsbescheids vom 27. März 2012 die Untersagung der Sportwettenvermittlung im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht rechtfertigen könnte.
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Anders als der ursprüngliche Verwaltungsakt hat die Widerspruchsbehörde das Vermittlungsverbot im Widerspruchsbescheid jedenfalls für den noch streitgegenständlichen Zeitraum ab dem 8. November 2010 maßgeblich damit begründet, dass im Herbst 2010 in Rheinland-Pfalz ein Erlaubnisverfahren für Private eröffnet worden sei, die Klägerin aber nicht über die erforderliche Erlaubnis verfüge. Auf diese Begründung kann das Untersagungsermessen jedoch nur dann gestützt werden, wenn das Erlaubnisverfahren geeignet war, die Unionsrechtswidrigkeit des staatlichen Sportwettenmonopols zu beheben. Das Oberverwaltungsgericht hat zwar zutreffend angenommen, dass das rheinland-pfälzische Sportwettenmonopol im verfahrensgegenständlichen Zeitraum rechtswidrig war (a). Es hat jedoch - aus seiner Sicht folgerichtig - keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob das in Rheinland-Pfalz im Herbst 2010 für Private eröffnete Erlaubnisverfahren geeignet war, die Unionsrechtswidrigkeit des staatlichen Sportwettenmonopols zu beheben (b). Da die Tatsachenfeststellungen des Berufungsurteils für eine abschließende Entscheidung des Senats insoweit nicht ausreichen, ist das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
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a) Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, das staatliche Sportwettenmonopol sei im verfahrensgegenständlichen Zeitraum unions- und verfassungsrechtlich unzulässig gewesen, hält revisionsrechtlicher Prüfung stand. Seine Auffassung, das staatliche Monopol habe wegen der im Rahmen des Deutschen Lotto- und Totoblocks abgestimmten Werbestrategie unter einer gemeinsamen Dachmarke sowie wegen der Werbung des Monopolträgers für die Sportwette Oddset und für andere Monopolangebote als Sportwetten dem unionsrechtlichen Kohärenzgebot nicht genügt, ist revisionsrechtlich fehlerfrei. Entgegen der Auffassung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht den Begriff der Werbung nicht unzulässig verengt. Es hat dem angefochtenen Urteil die einschlägige bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung sowie diejenige des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde gelegt. Gegen die Anwendung dieser Grundsätze ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern (zum Werbebegriff vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013 - 8 C 10.12 - BVerwGE 147, 47 Rn. 35). Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts, gegen die keine wirksamen Verfahrensrügen erhoben wurden und an die der Senat gebunden ist (§ 137 Abs. 2 VwGO), betreibt der Beklagte Werbemaßnahmen zusammen mit anderen im Deutschen Lotto- und Totoblock zusammengefassten Monopolträgern unter einer landesgrenzenübergreifend abgestimmten und systematisch umgesetzten Dachmarkenstrategie. Das Oberverwaltungsgericht ist weiterhin davon ausgegangen, dass es unabhängig hiervon auch wegen der Jackpot-Werbung für die Lotterie "6 aus 49" an der erforderlichen Binnenkohärenz des staatlichen Sportwettenmonopols fehlte. Weiterhin hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Präsentation der Glücksspirale vor der Hauptausgabe der Tagesschau, die Übertragung der Ziehung der Lottozahlen im Fernsehen und die Jackpot-Werbung für die Lotterie "6 aus 49" im Zeitraum vom 8. November 2010 bis zum 5. Dezember 2011 nicht nur in einzelnen Fällen, sondern systematisch die unionsrechtlichen Grenzen zulässiger Werbung über einen längeren Zeitraum missachteten. Dass das Berufungsgericht aus dieser systematischen Missachtung der Werbebeschränkungen auf ein strukturelles Vollzugsdefizit geschlossen hat, steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013 - 8 C 10.12 - BVerwGE 147, 47 Rn. 50). An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch in Ansehung der gegenteiligen Auffassung des Beklagten fest.
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b) Ob das im Herbst 2010 in Rheinland-Pfalz für Private eröffnete Erlaubnisverfahren geeignet war, das unionsrechtswidrige staatliche Sportwettenmonopol zu beheben, kann auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht abschließend beurteilt werden. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs darf ein mit dem freien Dienstleistungsverkehr unvereinbares staatliches Sportwettenmonopol auch für eine Übergangszeit nicht weiter angewandt werden (EuGH, Urteile vom 8. September 2010 - C-409/06 [ECLI:EU:C:2010:503], Winner Wetten - Rn. 69 und vom 24. Januar 2013 - C-186/11 [ECLI:EU:C:2013:33], Stanleybet - Rn. 38.). Zwar kann für eine Übergangszeit bis zur Anwendung einer glücksspielrechtlichen Neuregelung das Erlaubnisverfahren für Private eröffnet werden (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 - BVerwGE 146, 303 Rn. 57). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union steht jedoch die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV der strafrechtlichen Ahndung unerlaubter Sportwettenveranstaltung und -vermittlung entgegen, wenn das für Private eröffnete Erlaubnisverfahren nicht transparent, diskriminierungsfrei und gleichheitsgerecht ausgestaltet ist oder praktiziert wird und deshalb faktisch weiterhin ein staatliches Sportwettenmonopol besteht. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn ein privater Wirtschaftsteilnehmer zwar theoretisch eine Erlaubnis für die Veranstaltung oder die Vermittlung von Sportwetten erhalten kann, die Kenntnis über das Erlaubnisverfahren aber nicht sichergestellt ist. Insoweit verlangt das unionsrechtliche Transparenzgebot, dass die Eröffnung des Erlaubnisverfahrens und die Erlaubnisvoraussetzungen in einer Weise öffentlich bekannt gemacht werden, die potenziellen privaten Veranstaltern oder Vermittlern von Sportwetten die Kenntnisnahme ermöglicht (EuGH, Urteil vom 4. Februar 2016 - C-336/14 [ECLI:EU:C:2016:72], Sebat Ince - Rn. 55, 57, 65).
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Ebenso wenig wie private Wettanbieter oder Wettvermittler nicht wegen Verstoßes gegen den Erlaubnisvorbehalt strafrechtlich sanktioniert werden können, wenn das für Private bis zur Anwendung einer glücksspielrechtlichen Neuregelung eingeführte Erlaubnisverfahren nicht transparent und diskriminierungsfrei ausgestaltet worden ist und deshalb faktisch ein staatliches Sportwettenmonopol fortbesteht, kann in einem solchen Fall das Fehlen einer Erlaubnis eine Untersagung der Sportwettenvermittlung begründen. Ob das in Rheinland-Pfalz im Herbst 2010 für private Veranstalter und Vermittler von Sportwetten eröffnete Erlaubnisverfahren den dargelegten Anforderungen genügte oder ob ein faktisches Sportwettenmonopol fortbestand, was insbesondere zuträfe, wenn die Eröffnung des Erlaubnisverfahrens und die Erlaubnisvoraussetzungen nicht öffentlich bekannt gemacht worden wären, lässt sich auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht abschließend entscheiden. Dies wird das Berufungsgericht im zurückverwiesenen Verfahren zu klären haben. Bei dieser Sachlage war die von der Klägerin angeregte Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Klärung der auf die Auslegung des Art. 56 AEUV sowie auf das Erlaubnisverfahren bezogenen Fragen nicht geboten. Angesichts der Zurückverweisung der Sache an das Oberverwaltungsgericht sind diese Fragen nicht entscheidungserheblich.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 9. Dezember 2016 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 7. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2016 anzuordnen, wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Gründe
I.
- 1
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Verfügung, mit der ihr die Bewerbung der Beigeladenen untersagt wird.
- 2
Die Antragstellerin, ein Hamburger Profifußballverein, und die Beigeladene haben eine Werbekooperation abgeschlossen. Jedenfalls auf der Homepage der Antragstellerin wird die Beigeladene als Partnerin genannt wird. Zudem erfolgt eine sog. Bandenwerbung in dem von der Antragstellerin für Heimspiele genutzten Fußballstadion. Die LED-Bande im Stadion ist permanent animiert. Zu der Form der Werbung trägt die Antragstellerin Folgendes vor: Sobald die Werbung für die Beigeladene eingeblendet wird, alternieren nacheinander in jeweils ununterbrochener Verbindung die ersten zwei, nach Darstellung der Beigeladenen die folgenden drei Schriftzüge:
...
- 3
Hierbei ist der Textteil „L “ in weißer Farbe, der Textteil „ST. “ in gelber Farbe und sind die – kleiner geschriebenen – Textteile „BEHINDERTENHILFE“ und „SPORTFÖRDERUNG“ ebenfalls in weißer Farbe – jeweils auf violettem Grund – gehalten. In der letzten Variante befindet sich vor dem Namenszug ein Symbol (angedeuteter Halbkreis) in violett vor einem gelben Quadrat.
- 4
Die Beigeladene ist eine Gesellschaft mit Sitz in Hamburg und verfolgt ausweislich ihres Gesellschaftszwecks nach § 2 Abs. 1 der Satzung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke. Zwecke der Gesellschaft sind nach § 2 Abs. 2 der Satzung vorrangig die Förderung des Sports im Sinne des § 52 Abs. 2 Nr. 21 AO sowie die Förderung der Hilfe für Behinderte im Sinne des § 52 Abs. 2 Nr. 10 AO. Ausweislich des Antrags auf Förderung eines Projekts der Beigeladenen ist Hauptförderer der Beigeladenen die L…, welche die St... durch Spenden unterstützt und somit den laufenden Betreib sicherstellt. Die L… Ltd. ist eine Gesellschaft mit Sitz in Gibraltar, die – soweit ersichtlich – über eine befristete Glücksspiellizenz aus Gibraltar verfügt. Sie ist Betreiberin u. a. der Internetseiten www.l...de und www.l...com, über die Spieler gegen Entgelt Tipps (Wetten) auf die Ergebnisse staatlicher Lotterien wie etwa den von den Mitgliedern des Deutschen Lotto- und Totoblocks veranstalteten und in Deutschland konzessionierten Lotterien 6aus49, Spiel 77, Super 6, Glücksspirale, KENO und Eurojackpot sowie weiterer Lotterien aus dem europäischen Ausland abgeben können (sog. „Zweitlotterien“). Zum anderen vermittelt die L… Ltd. über diese Internetseiten die Teilnahme an sog. Sofortgewinnspielen.
- 5
Mit Bescheid vom 7. Dezember 2016 untersagte die Antragsgegnerin der Antragstellerin, unerlaubtes Glücksspiel durch die L... Ltd. mittels ihrer Werbekooperation mit der L... St... gGmbH zu bewerben (Ziffer 1). Der Antragstellerin wurde auferlegt, unverzüglich sämtliche Werbemittel, die durch Text oder Bild (z. B. Darstellung des Firmennamens und / oder Logos der L... St... gGmbH) geeignet und bestimmt sind, für unerlaubtes Glücksspiel i. S. d. Ziffer 1 zu werben, zu entfernen. Die Werbemittel sind bis zum 9. Dezember 2016 zu entfernen bzw. dauerhaft unkenntlich – etwa durch Übermalen – zu machen. Das gilt auch für den Internetauftritt der Antragstellerin. Die Werbung für die L... St... gGmbH, insbesondere die Verlinkung zum Internetauftritt der L... St... gGmbH ist zu entfernen (Ziffer 2). Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Ziffern 1 und 2 drohte die Antragsgegnerin der Antragstellerin jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 150.000,-- Euro an (Ziffer 3).
- 6
Hiergegen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 9. Dezember 2016 Widerspruch ein.
- 7
Mit Beschluss vom 9. Dezember 2016 hat das Verwaltungsgericht Hamburg die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 7. Dezember 2016 angeordnet. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Untersagungsverfügung sei bereits deshalb rechtswidrig, weil ein Ermessensausfall vorliege. Die Antragsgegnerin habe den ihr gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 GlüStV eingeräumten Ermessensspielraum verkannt, indem sie von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen sei. Zwar sei denkbar, dass die Antragsgegnerin erstmalig im Rahmen des Widerspruchverfahrens Ermessen ausübe. Solange dies jedoch nicht geschehen sei, könne bei summarischer Prüfung im Rahmen einer Prognose nicht von einer möglicherweise zu erwartenden Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung ausgegangen werden. Denn der Umstand, dass möglicherweise eine Werbung für ein unerlaubtes Glücksspiel vorliege, führe nicht zwangsläufig zu einer Ermessensreduzierung auf Null.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2016 hat die Antragsgegnerin den Widerspruch zurückgewiesen. Über die hiergegen am 16. Januar 2017 erhobene Klage (14 K 574/17) hat das Verwaltungsgericht bislang nicht entschieden.
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Mit ihrer bereits am 16. Dezember 2016 eingelegten Beschwerde trägt die Antragsgegnerin u. a. vor, dass dahinstehen könne, ob ein Ermessensnichtgebrauch vorgelegen habe, da ausweislich des Widerspruchbescheids nunmehr spätestens eine Ermessensausübung erfolgt sei. Sie habe sich sowohl mit dem ihr zustehenden Entschließungsermessen als auch dem ihr zustehenden Auswahlermessen hinsichtlich der Maßnahme und des Adressaten der Verfügung auseinandergesetzt und eine Abwägung vorgenommen. Die Ermessenserwägungen könnten auch im Rahmen des Widerspruchbescheids erfolgen und seien im Beschwerdeverfahren berücksichtigungsfähig. Die Verfügung sei auch im Übrigen rechtmäßig. Bei der durch die Antragstellerin gezeigten Werbung für die „L... St... gGmbH“ handele es sich um Werbung für unerlaubtes Glücksspiel, welche nach § 5 Abs. 4 GlüStV verboten sei. Es handele sich um Dachmarken- und Imagewerbung im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 der Werberichtlinie für die L... Ltd. Die Untersagungsverfügung verstoße hierbei nicht gegen EU-Recht oder Verfassungsrecht.
II.
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1. Das Beschwerdegericht kann seine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen. Entscheidungen, die – wie hier – nicht Urteile sind, können gemäß § 101 Abs. 3 VwGO ohne mündliche Verhandlung ergehen. Die Beteiligten hatten, auch ohne dass es eine mündliche Verhandlung gab, hinreichend Gelegenheit zur Äußerung. Eine Sachaufklärung, die nur in einer mündlichen Verhandlung hätte erfolgen können, war nicht erforderlich. Auch Art. 6 Abs. 1 EMRK gebietet nicht zwingend eine mündliche Verhandlung in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (Dolderer, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 101 Rn. 13).
- 11
2. Die L... Ltd. war nicht beizuladen. Die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung liegen nicht vor. Eine notwendige Beiladung nach § 65 Abs. 2 VwGO setzt voraus, dass Dritte an einem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies ist hier nicht der Fall. Denn die Entscheidung entfaltet gegenüber der L... Ltd. keine rechtsgestaltende Wirkung. Eine allein faktische Betroffenheit ggf. in der Weise, dass – soweit dies zu bejahen sein sollte – für die L... Ltd. nicht mehr durch einen Dritten geworben werden darf, ist nicht ausreichend (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 6.9.2016, 11 OB 133/16, ZfWG 2016, 458, juris Rn. 7 m. w. N.). Die L... Ltd. ist auch nicht im Wege der einfachen Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO in das Verfahren als Beteiligte einzubeziehen. Die L... Ltd. ist von der vorliegenden Entscheidung lediglich indirekt in ihren Interessen berührt. Anders als die Beigeladene, die als Vertragspartnerin der Antragstellerin durch diese Entscheidung in ihren (zivil-)rechtlichen Interessen berührt ist, steht die L... Ltd. in keinem Vertragsverhältnis zur Antragstellerin. Die L... Ltd. kann mithin aus einer etwaigen Werbung der Antragstellerin keine Rechte oder Pflichten herleiten, mithin auch keine Rechte geltend machen, sollte die Antragstellerin die Werbung freiwillig oder zwangsweise aufgrund einer Verfügung beenden. Im Übrigen wird sowohl von der Antragstellerin als auch der Beigeladenen sogar geltend gemacht, gar nicht für die L... Ltd. werben zu wollen. Die inhaltlichen Ausführungen zur Rechtmäßigkeit der Angebote der L... Ltd. entfalten – auch mit Blick auf Art. 56 AEUV – keinerlei Bindungswirkungen.
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Vor diesem Hintergrund war die L... Ltd. auch nicht im Verfahren anzuhören. § 108 Abs. 2 VwGO bezieht sich nur auf die Beteiligten des Verfahrens.
III.
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Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.
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1. Die Antragsgegnerin hat mit ihrer Beschwerdebegründung, auf die gemäß § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO abzustellen ist, die entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichts, die Untersagungsverfügung erweise sich angesichts eines Ermessensausfalls voraussichtlich als rechtswidrig, mit gewichtigen Argumenten in Zweifel gezogen.
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Die Antragsgegnerin hat in der Beschwerdebegründung zutreffend darauf hingewiesen, dass sie in ihrem Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2016 Ermessen ausgeübt habe und damit ein Ermessensaufall nicht mehr gegeben sei. Anders als es die Antragstellerin rügt, ist nicht ersichtlich, dass sie bei Erlass des Widerspruchsbescheids den ihr gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 GlüStV eingeräumten Ermessensspielraum verkannt hat und von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen ist. Neben der Einleitung, dass der Widerspruchsgegnerin Ermessen eingeräumt werde (Bl. 6 des Widerspruchbescheids), folgen ausführliche Ausführungen sowohl zum Entschließungs- als auch zum Auswahlermessen (Bl. 7 bis 10 des Widerspruchbescheids). Ob diese Ausführungen im Hinblick auf die bestehenden verfassungs- und europarechtlichen Implikationen zutreffend oder zu kurz, lückenhaft bzw. nicht überzeugend sind, kann an dieser Stelle dahinstehen. Denn Lücken in der Ermessensausübung oder gegenteilige Rechtsauffassungen lassen nicht den Schluss zu, die Antragsgegnerin habe ihr Ermessen nicht ausgeübt. Ob die Entscheidung aufgrund sachwidriger Erwägungen oder aufgrund von Verstößen gegen höherrangiges Recht ermessensfehlerhaft ist, ist eine hier erst im Rahmen der inhaltlichen Rechtmäßigkeitskontrolle zu beantwortende Frage. Dies gilt auch dann, wenn die Antragsgegnerin von einer sog. Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen sein sollte. Hieran ändern auch die von der Antragstellerin aufgeführten Vermerke in der Sachakte nichts. Unabhängig davon, dass die Vermerke teilweise vor Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung datieren, somit ggf. noch eine überholte Rechtsauffassung widerspiegeln, stehen Formulierungen wie „geboten“ oder „notwendig“ als legitime Gesichtspunkte im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung einer nachfolgenden Ermessensausübung nicht entgegen. Im Übrigen ist nicht die in den Vermerken zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung entscheidend, sondern der Inhalt des streitgegenständlichen (Widerspruch-)Bescheids. Vor diesem Hintergrund waren auch nicht die Mitarbeiter der Antragsgegnerin B. und G. als Zeugen zu der Frage, ob eine Ermessensausübung stattgefunden hat, zu vernehmen. Schließlich geht der Hinweis der Antragstellerin auf § 114 VwGO fehl. § 114 VwGO ist schon nicht einschlägig, da die entscheidungserhebliche Frage nicht die Nachholung von Ermessen im gerichtlichen Verfahren ist.
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Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens sind entscheidungserhebliche Tatsachen, auf die sich der Beschwerdeführer – wie hier – innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist beruft, auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erst nach Erlass der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung eingetreten sind. Das Beschwerdeverfahren ist darauf ausgerichtet, die im Ergebnis richtige Entscheidung über den Streitgegenstand zu finden. Vor diesem Hintergrund sind im Beschwerdeverfahren alle rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigten, die für den Erfolg des Rechtsmittels entscheidungserheblich sein können. Dazu zählen auch solche Umstände, die das Verwaltungsgericht nicht berücksichtigen konnte, weil sie erst nach dessen Entscheidung eingetreten sind (VGH München, Beschl. v. 24.1.2014, 10 CE 13.2552, juris Rn. 4; OVG Münster, Beschl. v. 26.3.2004, 21 B 2399/03, juris Rn. 21; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 146 Rn. 82). Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – der Beschwerdeführer die neue Tatsache selbst geschaffen hat, um dem angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichts den Boden zu entziehen. Insoweit entscheidet sich allein nach materiellem Recht, ob die selbstgeschaffene Tatsache im anhängigen Verfahren berücksichtigt werden kann (OVG Münster, Beschl. v. 26.3.2004, 21 B 2399/03, juris Rn. 23; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 146 Rn. 83). Dies ist hier, da eine Nachholung von Ermessenserwägungen im Widerspruchsbescheid durch die mit der Ausgangsbehörde identische Widerspruchsbehörde unproblematisch möglich ist, der Fall.
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Insofern ist das Beschwerdegericht berechtigt und verpflichtet, ohne die Beschränkung des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO über die Beschwerde zu entscheiden.
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2. Dabei konnte das Beschwerdegericht auf der Grundlage der ihm von der Antragsgegnerin vorgelegten Akte entscheiden. Dem Beschwerdegericht sind aus einer Vielzahl von Verfahren aus unterschiedlichen Rechtsgebieten nicht paginierte Sachakten bekannt. Gleiches gilt für die Vorlage von Kopien – so wird etwa in allen Fällen, in denen eine elektronische Sachakte geführt wird, dem Gericht lediglich ein Ausdruck übermittelt. Lücken oder Unklarheiten, sollten sie durch eine fehlende Paginierung oder durch Schwärzungen entstehen, sind zu würdigen, bei Entscheidungserheblichkeit weiter aufzuklären und ggf. zu Lasten der Antragsgegnerin zu berücksichtigen.
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3. Der Antrag der Antragstellerin nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung – nunmehr – ihrer Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 7. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2016 ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
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Bei der im Rahmen dieser Entscheidung gebotenen Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten in der Hauptsache maßgebliche Bedeutung zu. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig, überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung; umgekehrt kommt dem öffentlichen Interesse am Vollzug regelmäßig der Vorrang zu, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist. Erscheinen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache hingegen als offen, ist eine vom Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache unabhängige Folgenabwägung vorzunehmen, wobei auch die gesetzgeberische Entscheidung in § 9 Abs. 2 Satz 1 GlüStV bzw. § 29 Abs. 1 Hs. 1 HmbVwVG für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs mit zu berücksichtigen ist. Der Prüfungsumfang bzw. die Prüfungsdichte wird auch nicht durch die unionsrechtlichen Implikationen determiniert. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann das Gericht – dem Charakter des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO entsprechend – seine vorläufige Entscheidung nur auf der Grundlage einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als wesentliches Element der Interessenabwägung treffen – wobei sogar eine Folgenabwägung getroffen werden dürfte, wenn schwierige Rechtsfragen wie etwa die Europarechtskonformität nicht im Wege einer summarischen Prüfung, sondern erst im Hauptsacheverfahren geklärt werden können (BVerwG, Beschl. v. 22.3.2010, 7 VR 1/10 u.a., juris Rn. 13, 15). Anders als ggf. in den Konstellationen, in denen die Vollziehbarkeit eines auf der Grundlage des Unionsrechts erlassenen Verwaltungsakts in Rede steht (dazu Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Kommentar, Loseblatt, Stand: 31. EL Juni 2016, § 80 Rn. 392 ff.), regelt das Unionsrecht nicht die hier vorliegende Fallgestaltung, in der der angegriffene Verwaltungsakt auf einer nationalen Rechtsvorschrift basiert, deren Europarechtswidrigkeit geltend gemacht wird. Hier bestimmen sich die Anforderungen an die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich nach nationalem Recht (Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Kommentar, Loseblatt, Stand: 31. EL Juni 2016, § 80 Rn. 396). Ausgehend hiervon überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse, da nach Maßgabe der im vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Bescheid voraussichtlich rechtmäßig ist (hierzu unter a]) und besondere Umstände, mit denen sich vorliegend – trotz voraussichtlicher Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung – ein überwiegendes Aussetzungsinteresse begründen ließe, nicht gegeben sind (hierzu unter b]).
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a) Die Ziffern 1 und 2 des Bescheids vom 7. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2016 sind voraussichtlich rechtmäßig (hierzu unter aa]). Ziffer 3 des Bescheids vom 7. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2016 hat demgegenüber keinen Regelungsgehalt mit der Folge, dass ein Zwangsgeld nicht festgesetzt werden könnte (hierzu unter bb]).
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aa) Die Ziffern 1 und 2 des Bescheids vom 7. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2016 sind voraussichtlich rechtmäßig.
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Rechtsgrundlage für die angegriffene Untersagung ist § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV. Danach kann die Glücksspielaufsicht die Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung unerlaubter Glücksspiele und die Werbung hierfür untersagen.
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Gegen diese Norm bestehen weder verfassungsrechtliche noch unionsrechtliche Bedenken: Es ist – wie unten weiter auszuführen ist – in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass es mangels unionsrechtlicher Harmonisierung im Glücksspielbereich jedem Mitgliedstaat überlassen bleibt zu beurteilen und zu entscheiden, ob es erforderlich ist, bestimmte Tätigkeiten im Glücksspielbereich vollständig oder teilweise zu verbieten, oder ob es genügt, sie zu beschränken und zu kontrollieren (EuGH, Urt. v. 8.9.2010, C-316/07 u. a., Rn. 79; C-46/08, Rn. 46; BVerwG, Beschl. v. 25.2.2015, 8 B 36.14, ZfWG 2015, 227, juris Rn. 23). Vor diesem Hintergrund darf das innerstaatliche Recht auch eine entsprechende Untersagungsnorm vorsehen.
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Soweit im Ausgangsbescheid neben § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV zusätzlich § 5 Abs. 4 und 5 GlüStV als Ermächtigungsgrundlage genannt werden, ist dies bereits deshalb unbeachtlich, da der maßgebliche Widerspruchsbescheid nicht mehr auf diese Normen gestützt wird.
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Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV liegen vor. Mit der Werbung für die Beigeladene dürfte faktisch und im Ergebnis auch gewollt Werbung für die L... Ltd. gemacht werden (hierzu unter aaa]). Die L... Ltd. dürfte unerlaubtes Glücksspiel betreiben (hierzu unter bbb]). Die Antragstellerin dürfte richtige Adressatin der Verfügung sein (hierzu unter ccc]). Die Entscheidung der Antragsgegnerin ist voraussichtlich auch nicht ermessensfehlerhaft (hierzu unter ddd]). Die Frist zur Umsetzung dürfte noch angemessen sein (hierzu unter eee]).
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aaa) Da weder die Antragstellerin noch die Beigeladene Glücksspiele anbieten, kann in der Werbung für die Beigeladene allenfalls dann Werbung für Glücksspiele liegen, wenn mit der Werbung für die Beigeladene faktisch und im Ergebnis auch gewollt Werbung für die L... Ltd. gemacht wird. Dies dürfte hier der Fall sein. Im Einzelnen:
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Die L... Ltd. bietet Glücksspiele an. Ein Glücksspiel liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 GlüStV vor, wenn im Rahmen eines Spiels für den Erwerb einer Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird und die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt. Die Entscheidung über den Gewinn hängt in jedem Fall vom Zufall ab, wenn dafür der ungewisse Eintritt oder Ausgang zukünftiger Ereignisse maßgeblich ist (§ 3 Abs. 1 Satz 2 GlüStV). Wetten gegen Entgelt auf den Eintritt oder Ausgang eines zukünftigen Ereignisses sind Glücksspiele (§ 3 Abs. 1 Satz 3 GlüStV). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die L... Ltd. ist Betreiberin u. a. der Internetseiten www.L...de und www.L...com, über die Spieler gegen Entgelt Tipps (Wetten) auf die Ergebnisse staatlicher Lotterien wie etwa die von den Mitgliedern des Deutschen Lotto- und Totoblocks veranstalteten und in Deutschland konzessionierten Lotterien 6aus49, Spiel 77, Super 6, Glücksspirale, KENO und Eurojackpot sowie weitere Lotterien aus dem europäischen Ausland abgeben können (sog. „Zweitlotterien“). Zum anderen vermittelt die L... Ltd. über diese Internetseiten die Teilnahme an sog. Sofortgewinnspielen. Bei Wetten auf den Ausgang von Lotterien handelt es sich um Glücksspiel i. S. d. § 3 Abs. 1 Satz 1 GlüStV (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.2.2015, 8 B 36/14, ZfWG 2015, 227, juris Rn. 23), wobei die Angebote als Wetten und nicht als Lotterien zu qualifizieren sind, da der Spielplan nicht vom Veranstalter aufgestellt wird (zu diesem Erfordernis: Dietlein/Hüsken, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, 2. Aufl. 2013, § 3 GlüStV Rn. 11), sondern der Gewinn oder der Verlust vom Ausgang einer anderen Lotterie abhängt (VG Ansbach, Beschl. v. 27.9.2016, AN 15 S 16.00448, juris Rn. 29 – im Ergebnis offen gelassen; VG Saarlouis, Beschl. v. 27.7.2015, 6 L 1544/14, ZfWG 2016, 160, juris Rn. 40 ff. – im Ergebnis offen gelassen).
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Für diese Angebote der L... Ltd. wird auf der Grundlage der Werbekooperation mit der Werbung für die Beigeladene auch Werbung gemacht.
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Der Gesetzgeber geht von einem wettbewerbsrechtlichen Werbebegriff aus (Hecker/Ruttig, in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, 2. Aufl. 2013, § 5 GlüStV Rn. 33). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs umfasst der Begriff der Werbung schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch alle Maßnahmen eines Unternehmens, die auf die Förderung des Absatzes seiner Produkte und Dienstleistungen gerichtet sind. Damit ist außer der unmittelbar produktbezogenen Werbung auch die mittelbare Absatzförderung – beispielsweise in Form der Imagewerbung oder des Sponsorings – erfasst. Werbung ist deshalb in Übereinstimmung mit Art. 2 a) der Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung (sog. Irreführungsrichtlinie) jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu fördern (BGH, Urt. v. 14.1.2016, I ZR 65/14, NJW 2016, 3445, juris Rn. 27). Wettbewerbsrechtlich werden gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG auch geschäftliche Handlungen (natürlicher oder juristischer) Personen zugunsten eines fremden Unternehmens erfasst (vgl. BGH, Urt. v. 6.2.2014, I ZR 2/11, MDR 2014, 1040, juris Rn. 13).
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Eine solche Fremdwerbung dürfte hier vorliegen. Zwar wird vorliegend nicht ausdrücklich für die L... Ltd. oder für die von der L... Ltd. angebotenen Glücksspiele (Wetten auf Lotterien, sog. „Zweitlotterien“) geworben. Gleichwohl wird durch die Namensnennung der Beigeladenen im Ergebnis nicht in erster Linie Werbung für sie selbst, sondern im Sinne einer Absatzförderung für die von der L... Ltd. angebotenen Produkte gemacht. Schon durch den Schlüsselbegriff „L...“, der einen Teil des Produktnamens („Lotto“ steht umgangssprachlich für Lotterien) enthält, entsteht beim Adressaten sofort der Eindruck, dass Gegenstand der Werbung Glücksspiele, insbesondere Lotterieprodukte sind. Damit steht der Name bzw. die Firma „L...“ nach dem objektiven Empfängerhorizont – ungeachtet einer Eintragung des Namens oder der Firma als Marke – für Lotterieprodukte (vgl. zur Dachmarkenwerbung § 2 Abs. 2 Nr. 2 der Werberichtlinie gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 GlüStV vom 7. Dezember 2012). Diese Wirkung gilt angesichts dieses Schlüsselbegriffs sowohl für den Kreis der von der Werbung angesprochenen Adressaten, die die L... Ltd. als Glücksspielanbieter kennen, als auch für die Verkehrskreise, denen L... noch nicht bekannt sind (vgl. LG Hamburg, Urt. v. 5.3.2010, 406 O 43/09, ZfWG 2010, 188, juris Rn. 14). Diese Verknüpfung, die der Adressat vornimmt, wird auch nicht durch das Wort „St...“ nivelliert. Zum einen ist „L...“ der prägende Begriff. Dies ist der Name, der Begriff „St...“ wird eher als Zusatz zur Erläuterung der Rechtsform etc. verstanden. Aus diesem Grund führt – anders als die Beigeladene meint – auch die Verwendung der Farbe Gelb für den Namensteil „St...“ nicht zu einem anderen Eindruck, zumal der Namensteil „L...“ schon länger ist, was insbesondere bei dem untereinander geschriebenen Schriftzug – wie ihn die Beigeladene darstellt – auffällig ist. Zum anderen wird durch die gesamte Aufmachung – neben der Namensgleichheit „L...“ auch durch das sowohl von der L... Ltd. (unterhalb des Namenszugs) als auch der Beigeladenen (vor dem Namenszug) verwendete Symbol (angedeuteter Halbkreis) – eine erhebliche Nähe hergestellt. Diese Nähe und gedankliche Verknüpfung, die sich dem Adressaten ohne weiteres aufdrängt, wird im Übrigen auch bei einer Recherche im Internet deutlich. Bei der Eingabe von „L... St...“ ist der zweite Treffer bereits „L... St... – Für den guten Zweck – L...com“ (mithin die Homepage der L... Ltd.) und der dritte Treffer „Das L... spendet 10 % aller Erlöse – L...com“ (ebenfalls die Homepage der L... Ltd.). Wird nur der Begriff „L...“ in die Suchmaschine eingegeben, ist bereits der erste Treffen die Homepage der L... Ltd. („Lotto online spielen und Millionen gewinnen bei L...com“). Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ruft der Zusatz „St...“ bei den Adressaten eher im Gegenteil zu einer Nivellierung i. S. v. sog. Imagewerbung (vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 3 der Werberichtlinie) den Eindruck hervor, als würde ein Anbieter von Lotterieprodukten (L...) die Einnahmen aus den Glücksspielen, für die er wirbt, auch für gute Zwecke verwenden. Die Begriffe „Behindertenhilfe“ und „Sportförderung“ sind nach der Darstellung der Beteiligten in einer bzw. zwei Einblendungen gar nicht und in einer lediglich untergeordnet und in der Aufmachung nachrangig zu sehen, so dass der Schwerpunkt der Werbung eindeutig auf dem Schlüsselbegriff „L...“ liegt. Mithin wird auch durch die Begriffe „Behindertenhilfe“ und „Sportförderung“ die dargestellte Verknüpfung nicht aufgehoben. Dabei kann es dahinstehen, wozu die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 8. März 2017 ausführt, in welchem zeitlichen Verhältnis die Schriftzüge eingeblendet werden.
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Das Beschwerdegericht ist auch davon überzeugt, dass diese mit der Werbung für die Beigeladene auch für die von der L... Ltd. angebotenen Glücksspiele hervorgerufene Werbewirkung jedenfalls seitens der Beigeladenen bewusst und gewollt erfolgt. Zwar ist eine formalrechtliche Verbindung zwischen der L... Ltd. und der Beigeladenen nicht ersichtlich. Es handelt sich nicht um verbundene Unternehmen im Sinne von §§ 291 ff. AktG. Denn die L... Ltd. ist nicht Gesellschafterin der Beigeladenen. Allerdings ist nach den von der Antragsgegnerin herausgearbeiteten Gesamtumständen, die weder von der Antragstellerin noch von der Beigeladenen bestritten werden, klar erkennbar, dass eine personelle und unternehmerische Verbindung zwischen der L... Ltd. und der Beigeladenen besteht: Danach ist Geschäftsführer der Beigeladenen Herr Dr. St., der seit Anfang 2015 als Unternehmenssprecher der L... Ltd. fungiert. Gesellschafterin der Beigeladenen ist die S. E. Ltd. mit Sitz in Gibraltar. Diese Gesellschaft ist zugleich Gesellschafterin der d. GmbH, die ihren Sitz in Hamburg hat und unter deren Adresse die Beigeladene postalisch auch erreichbar ist. Die d. GmbH hat nach eigenem Bekunden den Internetauftritt der L... Ltd. gestaltet und fungiert für diese auch als Zahlungsdienstleister. Sie steht damit in ständiger Geschäftsbeziehung mit der L... Ltd. Auf der Internetseite der L... Ltd. findet sich ein Link zur Beigeladenen. Die L... Ltd. informiert auf ihrer Internetseite darüber, dass sie der Hauptsponsor der Beigeladenen sei. Aus einem Pressebericht der Beigeladenen vom 28. September 2016 (s. Sachakte) geht hervor, dass ihre Gründung durch die L... Ltd. initiiert wurde. Inhaber der Internetdomain „L...St...de“ ist die L... Ltd. Als verantwortlicher Ansprechpartner wird Herr Dr. St. benannt, der Geschäftsführer der Beigeladenen. Vor diesem Hintergrund ist das Beschwerdegericht davon überzeugt, dass mit der Werbung für die Beigeladene bewusst und gewollt Werbung für die Produkte der L... Ltd. gemacht werden soll. Angesichts der oben genannten Gesamtumstände können weder die Namensgleichheit des Schlüsselwortes „L...“, das gleiche Symbol noch die Suchergebnisse im Internet ein Zufall sein. An dieser Werbung hat die Beigeladene auch ein erhebliches (finanzielles) Interesse: Gelangen die Adressaten der Werbung – unmittelbar durch das Schlüsselwort „L...“ oder mittelbar über die Beigeladene – an die Angebote der L... Ltd. und nutzen sie dort die Glücksspielprodukte, wird durch das hierfür zu zahlende Entgelt nicht nur die L... Ltd. begünstigt, sondern zugleich durch das Sponsoring auch die Beigeladene.
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Dass die Beigeladene selbst keine Glücksspielprodukte anbietet, sondern selbst (auch) gemeinnützige Zwecke verfolgt und den im Schriftsatz vom 3. März 2017 genannten Aktivitäten nachkommt, ist vor diesem Hintergrund unerheblich. Die Werbung ist – wie dargestellt – in ihrer tatsächlichen und intendierten Wirkung in erster Linie auf die von der L... Ltd. angebotenen Glücksspielprodukte und nicht auf die von der Beigeladenen geförderten gemeinnützigen Aktivitäten gerichtet. Angesichts dessen ist auch nicht Herr Dr. St. als Zeuge zu den gemeinnützigen Aktivitäten zu vernehmen.
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Auf die Verfassungsmäßigkeit der Werberichtlinie kommt es vorliegend nicht an. Die Antragstellerin weist zwar zu Recht darauf hin, dass die Werberichtlinie von dem Glücksspielkollegium erlassen wurde, dessen Errichtung mit Blick auf die Vereinbarkeit mit dem Demokratie- und Bundesstaatsprinzip verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt. Ob Werbung als solche vorliegt, kann indessen losgelöst von den Bestimmungen der Werberichtlinie beantwortet werden. Im Übrigen ist die Werberichtlinie vorliegend ohnehin nicht anwendbar. Mit der Werberichtlinie werden Art und Umfang der gemäß § 5 Abs. 1 bis 3 GlüStV erlaubten Werbung konkretisiert (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 der Werberichtlinie). Streitgegenständlich ist vorliegend jedoch nicht Art und Umfang erlaubter Werbung, sondern die Frage, ob aufgrund unerlaubter Glücksspiele Werbung gänzlich verboten ist (§ 5 Abs. 5 GlüStV). Damit können sich die Antragstellerin und teils die Beigeladene auch nicht darauf berufen, dass nach § 3 Abs. 3 Satz 4 der Werberichtlinie Imagewerbung und Dachmarkenwerbung zulässig sind. Die Verwendung der Begriffe „Dachmarkenwerbung“ und „Imagewerbung“ durch die Antragsgegnerin führt allein noch nicht zur Anwendbarkeit der Werberichtlinie. Denn sowohl der Begriff „Dachmarkenwerbung“ als auch der Begriff „Imagewerbung“ sind nicht von der Werberichtlinie kreiert worden, sondern sind – auch schon vor Erlass der Werberichtlinie – im Wettbewerbs- und Glücksspielrecht geprägte Rechtsfiguren (vgl. für Imagewerbung nur BGH, Urt. v. 14.1.2016, I ZR 65/14, NJW 2016, 3445, juris Rn. 27 – zum Wettbewerbsrecht; BVerwG, Urt. v. 11.7.2011, 8 C 12/10, juris – zum Glücksspielrecht; vgl. für Dachmarkenwerbung nur BVerwG, Urt. v. 20.6.2013, 8 C 12.12, juris – zum Glücksspielrecht).
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bbb) Die L... Ltd. dürfte unerlaubtes Glücksspiel betreiben.
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Ein öffentliches Glücksspiel ist dann unerlaubt, wenn es ohne Erlaubnis betrieben wird. Öffentliche Glücksspiele dürfen nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde des jeweiligen Landes veranstaltet werden, § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV. Das Veranstalten öffentlichen Glücksspiels ohne Erlaubnis (unerlaubtes Glücksspiel) ist gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 GlüStV verboten.
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Eine entsprechende Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 und 2 bzw. 5 GlüStV liegt für die L. Ltd. unstreitig nicht vor. Mangels Harmonisierung in Glücksspielbereich fordert auch das Unionsrecht keine gegenseitige Anerkennung mitgliedstaatlicher Erlaubnisse (EuGH, Urt. v. 15.9.2011, C-347/09, ZfWG 2011, 403, juris Rn. 96; BVerwG, Beschl. v. 25.2.2015, 8 B 36.14, ZfWG 2015, 227, juris Rn. 26). Vor diesem Hintergrund darf das nationale Recht auch solchen Unternehmen die Einholung einer Erlaubnis vorschreiben, die im EU-Ausland bereits über eine Konzession verfügen (EuGH, Urt. v. 15.9.2011, C-347/09, ZfWG 2011, 403, juris Rn. 96 ff.).
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Für ein Einschreiten ist es grundsätzlich ausreichend, dass die Tätigkeit formell illegal ist. Die materielle Genehmigungsfähigkeit ist – wenn überhaupt – eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Aber auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit würde nicht dazu verpflichten, eine formell illegale Tätigkeit zu dulden. Das wäre allenfalls dann anzunehmen, wenn die formell illegale Tätigkeit die materiellen Erlaubnisvoraussetzungen erfüllte und dies offensichtlich, d.h. ohne weitere Prüfung erkennbar ist. Verbleibende Unklarheiten oder Zweifel an der Erfüllung der Erlaubnisvoraussetzungen rechtfertigen dagegen ein Einschreiten allein bei formeller Illegalität. Hier durfte die Tätigkeit der L... Ltd. und damit auch eine etwaige Werbung hierfür untersagt werden, um die Klärung im Erlaubnisverfahren zu sichern und so zu verhindern, dass durch eine unerlaubte Tätigkeit vollendete Tatsachen geschaffen und ungeprüfte Gefahren verwirklicht werden (BVerwG, Beschl. v. 25.2.2015, 8 B 36/14, juris Rn. 13 m. w. N. – zu sog. „Zweitlotterien“). Eine Erlaubnisfähigkeit nach § 4 Abs. 1 und 2 bzw. 5 GlüStV ist nicht offensichtlich gegeben.
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Eine Erlaubnis ist weder entbehrlich noch ist ein Erlaubnisvorbehalt verfassungs- oder unionsrechtswidrig. Öffentliche Glücksspiele dürfen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde veranstaltet werden. Die Erlaubnis ist nach § 4 Abs. 2 Satz 1 GlüStV zu versagen, wenn das Veranstalten oder das Vermitteln des Glücksspiels den Zielen des § 1 GlüStV zuwiderläuft. Für den Vertriebskanal Internet sieht § 4 Abs. 5 GlüStV vor, dass abweichend von § 4 Abs. 4 GlüStV, der das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet verbietet, die Länder zur besseren Erreichung der Ziele des § 1 GlüStV den Eigenvertrieb und die Vermittlung von Lotterien sowie die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten im Internet erlauben können, wenn keine Versagungsgründe nach § 4 Abs. 2 vorliegen und weitere, im Einzelnen genannte Voraussetzungen erfüllt sind. Sollen Glücksspiele auch über den Vertriebskanal Internet veranstaltet werden, benötigt der Veranstalter mithin eine Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 und 2 sowie Abs. 5 GlüStV. Soll das Glückspiel – wie hier – ausschließlich über den Vertriebskanal Internet angeboten werden, kann dahinstehen, ob § 4 Abs. 5 GlüStV grundsätzlich lex specialis zu § 4 Abs. 1 und 2 GlüStV ist und eine Erlaubnis nach § 4 Abs. 5 GlüStV eine solche nach § 4 Abs. 1 und 2 GlüStV mitabdeckt. Denn auch in diesem Fall ist eine Erlaubnis weder entbehrlich noch ein Erlaubnisvorbehalt im Grundsatz verfassungs- oder unionsrechtswidrig. Im Einzelnen:
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Das Erlaubnisverfahren nach § 4 Abs. 1 und 2 GlüStV soll die präventive Prüfung ermöglichen, ob unter anderem die für die Tätigkeit erforderliche persönliche Zuverlässigkeit vorliegt und die Anforderungen des Jugend- und Spielerschutzes nach §§ 4 ff. GlüStV sowie die besonderen Regelungen der gewerblichen Vermittlung nach § 19 GlüStV beachtet werden. Diese gesetzlichen Anforderungen sind im Hinblick auf das damit verfolgte verfassungsrechtlich legitimierte Ziel auch mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG verhältnismäßig und angemessen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.2.2015, 8 B 36.14, ZfWG 2015, 227, juris Rn. 23 m. w. N.; so auch schon BVerfG, Beschl. v. 14.10.2008, 1 BvR 928/08, BVerfGK 14, 328, juris Rn. 32 – zu dem wortgleichen § 4 Abs. 1 GlüStV a. F.).
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Der Erlaubnisvorbehalt des § 4 Abs. 1 und 2 GlüStV unterliegt auch keinen durchgreifenden europarechtlichen Bedenken. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass es mangels unionsrechtlicher Harmonisierung im Glücksspielbereich jedem Mitgliedstaat überlassen bleibt zu beurteilen und zu entscheiden, ob es erforderlich ist, bestimmte Tätigkeiten im Glücksspielbereich vollständig oder teilweise zu verbieten, oder ob es genügt, sie zu beschränken und zu kontrollieren (EuGH, Urt. v. 8.9.2010, C-316/07 u. a., Rn. 79; C-46/08, Rn. 46; BVerwG, Beschl. v. 25.2.2015, 8 B 36.14, ZfWG 2015, 227, juris Rn. 23). Der Erlaubnisvorbehalt in § 4 Abs. 1 und 2 GlüStV dient – unabhängig von einem etwaigen unionsrechtswidrigen Glücksspiel-, insbesondere Lotteriemonopol – den unionsrechtlich legitimen Zielen des Jugend- und Spielerschutzes und der Kriminalitätsbekämpfung im Wege einer präventiven Prüfung der Erlaubnisvoraussetzungen (BVerwG, Beschl. v. 25.2.2015, 8 B 36.14, ZfWG 2015, 227, juris Rn. 23 m. w. N.). Die gesetzlichen Anforderungen dürften zudem hinreichend bestimmt, transparent und nicht diskriminierend sein. Gegen etwaige rechtswidrige Ablehnungsbescheide stehen wirksame Rechtsbehelfe zur Verfügung (BVerwG, Beschl. v. 25.2.2015, 8 B 36.14, ZfWG 2015, 227, juris Rn. 23 m. w. N.). Schließlich wird im Sinne einer systematischen und kohärenten Begrenzung für alle Arten zugelassenen Glücksspiels jedenfalls im Interesse des Jugend- und Spielerschutzes ein Erlaubnisvorbehalt vorgesehen (vgl. OVG Bautzen, Urt. v. 19.2.2014, 3 L 20/12, juris Rn. 26; VG Saarlouis, Beschl. v. 27.7.2015, 6 L 1544/14, ZfWG 2016, 160, juris Rn. 28). Nichts anderes folgt aus der aktuellen Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 4.2.2016, C-336/14, NVwZ 2016, 369, juris). Danach hindert die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 AEUV einen Mitgliedstaat daran, die ohne Erlaubnis erfolgte Vermittlung von Sportwetten in seinem Hoheitsgebiet an einen Wirtschaftsteilnehmer, der in einem anderen Mitgliedstaat eine Lizenz hat, zu ahnden, wenn die Erteilung einer Erlaubnis für die Veranstaltung von Sportwetten daran geknüpft ist, dass der Wirtschaftsteilnehmer eine Konzession nach einem Verfahren erhält, das nicht den Gleichbehandlungsgrundsatz, das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und das daraus folgende Transparenzgebot beachtet hat. Aus dieser Feststellung, die allein die strafrechtliche Ahndung einer ohne erforderliche behördliche Erlaubnis aufgenommenen Vermittlung von Sportwetten betrifft, kann nicht allgemein die Unvereinbarkeit von Bestimmungen eines Mitgliedstaats zur präventiven Gefahrenabwehr hinsichtlich anderer Glücksspielbereiche mit Unionsrecht abgeleitet werden (OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.12.2016, 11 ME 157/16, juris Rn. 6; OVG Saarlouis, Beschl. v. 12.5.2016, 1 B 199/15, juris Rn. 42 f.). Auch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juni 2016 (8 C 5.15, ZfWG 2016, 433, juris) führt nicht zu einer Unanwendbarkeit des Erlaubnisvorbehalts nach § 4 Abs. 1 und 2 GlüStV: Danach kann das Fehlen einer Erlaubnis nicht die Untersagung der Sportwettenvermittlung rechtfertigen, wenn das für Private für eine Übergangszeit bis zur Anwendung einer glücksspielrechtlichen Neuregelung eröffnete Erlaubnisverfahren nicht transparent und diskriminierungsfrei ausgestaltet ist oder praktiziert wird und deshalb faktisch ein staatliches Sportwettenmonopol fortbesteht. Für den Bereich der hier maßgeblichen „Zweitlotterien“ ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass das vorgesehene Erlaubnisverfahren insgesamt nicht transparent oder diskriminierungsfrei ausgestaltet ist. Im Übrigen besteht im Bereich der sog. „Zweitlotterien“ keine staatliche Monopolstellung. Die Hürden im Erlaubnisverfahren sind auch nicht – wie die Antragstellerin meint – derart unüberwindbar, dass ein faktisches Monopol entsteht. Dem Beschwerdegericht ist aus eigener Anschauung bekannt, dass – etwa im Bereich der Lotterievermittlung – entsprechende Erlaubnisse nach § 4 Abs. 1 und 2 GlüStV erteilt wurden.
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Diese Erwägungen dürften im Grundsatz auch für § 4 Abs. 5 GlüStV gelten. Gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV ist das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet verboten. Abweichend hiervon können die Länder zur besseren Erreichung der Ziele des § 1 GlüStV den Eigenvertrieb und die Vermittlung von Lotterien sowie die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten im Internet unter gewissen Voraussetzungen nach § 4 Abs. 5 GlüStV erlauben. Auch dieses Erlaubnisverfahren soll – zusätzlich für den Vertriebsweg Internet – die präventive Prüfung ermöglichen, ob unter anderem die für die Tätigkeit erforderliche persönliche Zuverlässigkeit vorliegt und die Anforderungen des Jugend- und Spielerschutzes nach §§ 4 ff. GlüStV sowie die besonderen Regelungen der gewerblichen Vermittlung nach § 19 GlüStV beachtet werden, und dürfte sich damit mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG als verhältnismäßig erweisen. Inwieweit die in § 4 Abs. 5 GlüStV im Einzelnen genannten Voraussetzungen angemessen sind, kann dahinstehen, da hiermit nicht ein Erlaubnisvorbehalt als solcher in Frage gestellt wird. § 4 Abs. 5 GlüStV dürfte im Grundsatz auch keinen unionsrechtlichen Bedenken unterliegen: Auch hier gilt, dass ein Erlaubnisvorbehalt – unabhängig von einem etwaigen unionsrechtswidrigen Glücksspiel-, insbesondere Lotteriemonopol – den unionsrechtlich legitimen Zielen des Jugend- und Spielerschutzes und der Kriminalitätsbekämpfung im Wege einer präventiven Prüfung der Erlaubnisvoraussetzungen dient. Die gesetzlichen Anforderungen dürften hinreichend bestimmt, transparent und nicht diskriminierend sein. Gegen etwaige rechtswidrige Ablehnungsbescheide stehen wirksame Rechtsbehelfe zur Verfügung. Auch hier sind die Hürden im Erlaubnisverfahren nicht – wie die Antragstellerin meint – derart unüberwindbar, dass ein faktisches Monopol entsteht. Dem Beschwerdegericht ist aus eigener Anschauung bekannt, dass – etwa im Bereich der Lotterievermittlung – entsprechende Erlaubnisse nach § 4 Abs. 5 GlüStV erteilt wurden.
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Zwar sind die Ausnahmen vom Verbot eines Internetvertriebs auf die Bereiche Lotterien und Sportwetten beschränkt, so dass eine allein online vertriebene „Zweitlotterie“ jedenfalls nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 4 und 5 GlüStV nicht genehmigungsfähig sein dürfte. Hieraus dürfte jedoch nicht folgen, dass eine Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 und 2 GlüStV und – hieran ggf. anknüpfend nach § 4 Abs. 5 GlüStV – entbehrlich ist: Zum einen knüpft die Möglichkeit der Erteilung von Ausnahmen vom Verbot des Vertriebs über das Internet auch bei Lotterien an ein auf anderen Vertriebswegen nach § 4 Abs. 1 und 2 GlüStV erlaubtes Glücksspiel an. Nur der Internetvertrieb einer auch „offline“ bzw. „terrestrisch“ angebotenen Lotterie kann erlaubnisfähig sein (OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.12.2016, 11 ME 157/16, juris Rn. 9; Postel in: Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, 2. Aufl. 2013, § 4 GlüStV Rn. 85). Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor, da die L... Ltd. – soweit ersichtlich – weder auf anderen Vertriebswegen tätig ist, geschweige denn hierfür eine Genehmigung nach § 4 Abs. 1 und 2 GlüStV besitzt. Zum anderen ist es nach der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 8.9.2010, C-46/08, juris Rn. 111 – zu Sportwetten) mit der Dienstleistungsfreiheit grundsätzlich zu vereinbaren, einen Vertriebskanal (Internet) zu schließen, auch wenn das Anbieten der entsprechenden Spiele über herkömmliche Vertriebskanäle zulässig bleibt. Aber selbst wenn diese partielle Öffnung des Internetvertriebs- und Internetvermittlungsverbots zu einer unionsrechtswidrigen Inkohärenz führen sollte, könnte hieraus zugunsten der Betreiberin nichts hergeleitet werden. Selbst ein inkohärentes Internetverbot würde nicht dazu führen, dass die L... Ltd. die „Zweitlotterien“ gänzlich ohne Erlaubnis anbieten dürfte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.2.2015, 8 B 36/14, ZfWG 2015, 227, juris Rn. 31): Denn entweder könnte der L... Ltd. im Rahmen einer etwaig unionsrechtskonformen Auslegung des § 4 Abs. 5 GlüStV neben der Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 und 2 GlüStV doch eine Erlaubnis nach § 4 Abs. 5 GlüStV erteilt werden. Oder – im Falle einer Unanwendbarkeit des § 4 Abs. 4 und 5 GlüStV – verbliebe es jedenfalls bei dem Erfordernis einer Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 und 2 GlüStV, wobei diese Erlaubnis dann auch den Vertriebskanal Internet erfassen würde. Das Erfordernis einer Erlaubnis würde im Übrigen auch dann durchgreifen, wenn das Erlaubnisverfahren nach § 4 Abs. 5 GlüStV das Erlaubnisverfahren nach § 4 Abs. 1 und 2 GlüStV als lex specialis verdrängen würde: Im ersten Fall wäre eine Erlaubnis nach § 4 Abs. 5 GlüStV, im zweiten Fall – im Sinne eines Auffangtatbestandes – nach § 4 Abs. 1 und 2 GlüStV erforderlich. Schließlich – im Falle einer Unanwendbarkeit nur des § 4 Abs. 5 GlüStV – verbliebe es bei dem generellen Verbot des § 4 Abs. 4 GlüStV, das einer Erlaubniserteilung für eine allein über den Vertriebskanal Internet veranstaltete „Zweitlotterie“ entgegenstünde. Selbst wenn in einem solchen Fall die Gleichbehandlung zu anderen Online-Anbietern eine Erlaubnisfähigkeit nicht gänzlich ausschlösse, verbliebe es jedoch bei einem Erlaubnisverfahren jedenfalls nach § 4 Abs. 1 und 2 GlüStV.
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Vor diesem Hintergrund ist auch bei Beachtung aller unionsrechtlichen Implikationen keine Fallkonstellation denkbar, die es der L... Ltd. ermöglichen würde, ihre Tätigkeit auszuüben, ohne vorab – erfolgreich – ein präventives Erlaubnisverfahren durchlaufen zu haben, in dem insbesondere die persönliche Zuverlässigkeit sowie die Anforderungen des Jugend- und Spielerschutzes geprüft werden können.
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Nichts anderes folgt aus der von der Antragstellerin zitierten Entscheidung des OVG Münster vom 9. Juni 2016 (4 B 860/15): Danach kann das Fehlen einer Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten einem Wettvermittler nicht entgegen gehalten werden, weil das unionsrechtswidrige Sportwettenmonopol in tatsächlicher Hinsicht weiter fortbestehe. Im vorliegenden Fall handelt es sich weder um Sportwetten, noch ist hier ein Bereich mit einem Staatsmonopol betroffen, noch ist für den Bereich der hier maßgeblichen „Zweitlotterien“ ersichtlich, dass das vorgesehene Erlaubnisverfahren insgesamt nicht transparent oder diskriminierungsfrei ausgestaltet ist, noch sind die von der L... Ltd. vertriebenen „Zweitlotterien“ mit Blick auf monopolunabhängige Gesichtspunkte offensichtlich erlaubnisfähig.
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Nicht entscheidungserheblich ist der von der Antragstellerin aufgeworfene Einwand, der L... Ltd. würde ohnehin von der zuständigen Behörde – zum Schutz des Staatsmonopols für Lotterien – keine Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 und 2 bzw. Abs. 5 GlüStV erteilt werden. Solange die L... Ltd. keinen Antrag auf Erlaubniserteilung gestellt hat, handelt es sich hierbei um eine allein hypothetische Frage. Falls der L... Ltd. auf einen entsprechenden Antrag hin tatsächlich die Erteilung einer Erlaubnis allein mit dem Argument versagt werden sollte, ihre Produkte seien aufgrund der inhaltlichen Nähe zu Lotterien aufgrund des bestehenden Staatsmonopols nicht erlaubnisfähig, müsste die Rechtmäßigkeit einer solchen Ablehnung – auch unter dem Gesichtspunkt der Unionsrechtskonformität des Lotteriestaatsmonopols – in dem entsprechenden Verfahren geklärt werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich auch nicht die von der Antragstellerin aufgeworfene Frage eines Kartellrechtsverstoßes. Sollte die Auffassung der Antragsgegnerin zutreffend sein, dass sogenannte „Zweitlotterien“ deshalb nicht erlaubnisfähig sind, weil in der Kategorie Wetten lediglich Sportwetten und Pferdewetten zulässig sind, führt dies ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis: Auch diese Frage müsste im Rahmen eines Erlaubnisverfahrens geprüft und ggf. in verfassungs- oder unionsrechtskonformer Auslegung des Glücksspielstaatsvertrags entschieden werden.
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ccc) Die Antragstellerin dürfte auch die richtige Adressatin sein. Allein die Antragstellerin ist in der Lage, die Namensnennung der Beigeladenen auf ihrer Homepage und im Stadion zu entfernen. Vor diesem Hintergrund ist die Beigeladene – anders als die Antragstellerin meint – auch nicht die „gefahrnähere“ Adressatin. Erst Recht ist die Entscheidung der Antragsgegnerin, der Antragstellerin die Werbung zu untersagen, nicht willkürlich. Die Antragstellerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass allein die Beigeladene bewusst und gewollt über die Werbung für sich für die Glücksspielangebote der L... Ltd. wirbt. Durch die Werbekooperation, die die Antragstellerin mit der Beigeladenen eingegangen ist, ist ihr die Werbung auch zuzurechnen. Denn sie hat diesen Werbe- und Vertragspartner ausgewählt. Im Übrigen ist die Antragstellerin spätestens seit dem Schriftwechsel mit der Antragsgegnerin über die Problematik in Kenntnis gesetzt. Die L... Ltd. scheidet als Adressatin bereits deshalb aus, weil sie vorliegend nicht aktiv Handelnde ist. Nichts anderes folgt aus der Entscheidung des VGH Mannheim vom 27. Mai 2016 (6 S 1409/14, n. v.). Gegenstand des dortigen Verfahrens war eine (unbestimmte) Verfügung, mit der der Adressatin jegliche Werbung für jegliches unerlaubtes Glücksspiel untersagt wurde. Dass sich in einer solchen Konstellation die Frage stellt, ob der Beklagte nicht vorrangig gegen die Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung von unerlaubtem Glücksspiel hätte vorgehen müssen oder jedenfalls darzulegen habe, warum dies nicht möglich oder daneben die generelle Untersagung jeder Werbung für unerlaubtes Glücksspiel zielführend sei (S. 19 unten), liegt auf der Hand. Eine solche „Allgemein“-Verfügung liegt hier jedoch nicht vor. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Auswahl der Antragstellerin als Verfügungsadressatin – wie diese rügt – auf zwei unwahren tatsächlichen Behauptungen beruht: Soweit die Antragstellerin auf eine Klarstellung der vermeintlichen Falschbehauptung im Widerspruchsbescheid drängt, wonach ein Einschreiten gegen die L... Ltd. nicht in Betracht komme, weil nach den Leitlinien zum Internetvollzug keine Zuständigkeit der Antragsgegnerin bestehe, weist das Beschwerdegericht darauf hin, dass es sich hier allenfalls um eine unzutreffende Rechtsauffassung der Antragsgegnerin handeln kann, jedoch nicht um einen Tatsachenvortrag, der hätte berichtigt werden können. Ungeachtet dessen, dass sich die Antragsgegnerin nicht im Zusammenhang mit der Adressatenauswahl darauf beruft, dass ihre Bewertung, mit der Werbung für die Beigeladene werde tatsächlich für die L... Ltd. geworben, von den Glücksspielaufsichtsbehörden der anderen Länder geteilt werde, ist der Antragsgegnerin auch insoweit nicht aufzugeben, ihren Vortrag zu revidieren: Denn das Land Nordrhein-Westfalen hat ausweislich der E-Mail vom 11. Oktober 2016 – ungeachtet der Einschätzung der Bezirksregierung – der Auffassung der Antragsgegnerin zugestimmt. Im Übrigen würde das Beschwerdegericht aus etwaig unzutreffenden Ausführungen der Beteiligten entsprechende Schlussfolgerungen ziehen, jedoch den Beteiligten nicht durch Verfügung aufgeben, wie sie vorzutragen haben.
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ddd) Liegen demnach die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Untersagung der Werbung vor, so ist die Entscheidung der Antragsgegnerin voraussichtlich auch nicht ermessensfehlerhaft. Ist die Behörde – wie hier gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV – ermächtigt, Ermessen entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung auszuüben, hat sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Dies gilt sowohl für die Frage, ob die Behörde von der ihr gegebenen Möglichkeit des Einschreitens Gebrauch macht, als auch für die Wahl des Mittels. Ermessensfehler sind danach nicht ersichtlich. Im Einzelnen:
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(1) Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfte nicht vorliegen. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin in Rahmen ihrer Ermessensausübung, ob eingeschritten wird, darauf abgestellt hat, dass die Tätigkeit der L... Ltd. unerlaubt ist und sie vor diesem Hintergrund ein Einschreiten gegen Werbung für diese für geboten hält. Wie bereits ausgeführt, ist neben der formellen Illegalität auch eine Erlaubnisfähigkeit nach § 4 Abs. 1 und 2 bzw. 5 GlüStV nicht offensichtlich gegeben. Ob die L... Ltd. zuverlässig ist bzw. inwieweit sie den Anforderungen an den Spieler- und Jugendschutz Rechnung trägt, kann erst im Rahmen eines Erlaubnisverfahrens überprüft werden. Verbleibende Unklarheiten oder Zweifel an der Erfüllung der monopolunabhängigen Erlaubnisvoraussetzungen rechtfertigen aber nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Einschreiten (BVerwG, Beschl. v. 25.2.2015, 8 B 36/14, juris Rn. 13 m. w. N. – zu sog. „Zweitlotterien“). Dass die Antragsgegnerin offenbar davon ausgeht, dass die Tätigkeit der L... Ltd. nicht genehmigungsfähig ist, führt demgegenüber nicht zu einem Ermessensfehler. Dies könnte allenfalls dann der Fall sein, wenn die Antragsgegnerin die fehlende Genehmigungsfähigkeit auf einen Verstoß gegen das Lotteriestaatsmonopol zurückführen würde, das sich aufgrund fehlender Kohärenz als unionsrechtswidrig erweist. Die Antragsgegnerin begründet ihr Einschreiten jedoch – jedenfalls unter Einbeziehung ihrer ergänzenden Erwägungen in der Beschwerdebegründung – nicht mit einem Verstoß gegen das Lotteriestaatsmonopol, sondern allenfalls mit Hilfe teils unzutreffender Rechtsausführungen. Diese führen aber zu keinem Ermessensfehler, da – wie ausgeführt – maßgeblich ist, dass die Tätigkeit der L... Ltd. formell illegal ist und eine Erlaubnisfähigkeit nicht offensichtlich gegeben ist.
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Soweit die Antragstellerin rügt, die Bewertung der Werbung für die Beigeladene als faktische Werbung für die L... Ltd. beruhe auf einer falschen Tatsachengrundlage, wird hiermit ein Ermessensfehler nicht begründet. Abgesehen davon, dass die Frage, für wen Werbung erfolgt, eine Frage auf Tatbestands- und nicht auf Rechtsfolgenseite ist, so dass auch bei einer unterschiedlichen Bewertung durch die anderen Bundesländer kein Ermessensfehler gegeben wäre, beruht die Entscheidung nicht auf einer falschen Tatsachengrundlage: Wie ausgeführt, hat das Land Nordrhein-Westfalen ausweislich der E-Mail vom 11. Oktober 2016 – ungeachtet der Einschätzung der Bezirksregierung – der Auffassung der Antragsgegnerin zugestimmt. Dass die Einschätzung der Widerspruchsbehörde nicht von der Bezirksregierung Düsseldorf und ggf. nicht von allen Mitarbeitern in den Hamburger Behörden geteilt wird, führt vor diesem Hintergrund ebenfalls nicht zu einem Ermessensfehler. Da § 5 Abs. 1 und 4 GlüStV nicht im Widerspruchsbescheid zitiert werden, kann auch hieraus – anders als die Antragstellerin meint – kein Ermessensfehler abgeleitet werden. Soweit die Antragstellerin rügt, dass im Rahmen der Ermessenserwägungen ausgeblendet worden sei, dass § 3 Abs. 3 Satz 4 der Werberichtlinie Informationen zu gemeinnützigen Zwecken erlaube, wird bereits verkannt, dass – wie ausgeführt – die Werberichtlinie im vorliegenden Fall unanwendbar ist. Vorliegend geht es nicht um Art und Umfang von Werbung für erlaubtes Glücksspiel, sondern um das „Ob“ der Werbung, die – wie die Antragsgegnerin zutreffend zitiert – nach § 5 Abs. 5 GlüStV verboten ist. Angesichts dieses Verbots und der von der Antragsgegnerin zu Recht aufgeführten Breitenwirkung der Werbung erweist sich das Einschreiten der Antragsgegnerin auch nicht per se als unverhältnismäßig.
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(2) Darüber hinaus dürfte die Antragstellerin der angefochtenen Verfügung voraussichtlich nicht mit Erfolg entgegenhalten können, dass die Antragsgegnerin willkürlich gegen sie vorgegangen ist.
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Ermächtigt ein Gesetz dazu, unter bestimmten Voraussetzungen bestimmte Verhaltensweisen nach Ermessen zu untersagen, so erfordert das Gebot der Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG, das Ermessen in gleichgelagerten Fällen gleichmäßig auszuüben. Ergreift oder unterlässt die Behörde Maßnahmen zur Bekämpfung rechtswidriger Zustände, so hat sie in vergleichbaren Fällen in der gleichen Art und Weise zu verfahren. Das bedeutet bei einer Vielzahl von Verstößen zwar nicht, dass sie gleichzeitig tätig werden muss. Es ist ihr indes verwehrt, systemlos oder willkürlich vorzugehen. Behandelt sie mehrere Fallgruppen unterschiedlich, so bedarf es hierfür eines sachlichen Grundes. Dasselbe gilt, wenn sie sich darauf beschränkt, einen Einzelfall herauszugreifen (BVerwG, Urt. v. 9.7.2014, 8 C 36.12, juris Rn. 25; OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.12.2016, 11 ME 157/16; VGH München, Beschl. v. 1.8.2016, 10 CS 16.893, juris Rn. 4).
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Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist im Rahmen der summarischen Prüfung auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragstellerin und der Beigeladenen – gerade noch – weder ein willkürliches, nicht an Sachgründen orientiertes Vorgehen der Antragsgegnerin erkennbar, noch bestehen durchgreifende Bedenken gegen das gemeinsame Vorgehen der Bundesländer im hier maßgeblichen Glücksspielbereich. Im Einzelnen:
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Um ein an den oben genannten Grundsätzen orientiertes Handeln zu gewährleisten, bedarf es – wenn es ein vielfältiges Angebot von unerlaubten Glücksspielen im Internet gibt – einer konzeptionellen und systematischen Vorgehensweise. Im Hinblick auf die Effektivität der Gefahrenabwehr dürfen dabei keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Dies bedeutet insbesondere, dass die Behörde – mit Blick auf den Kreis der in Betracht kommenden Adressaten – im Vorfeld des Einschreitens nicht jedes vorhandene unerlaubte Glücksspiel umfangreich und ggf. zeitaufwendig ermittelt haben muss, sondern sich für die Gleichbehandlung auf die bei einfacher Recherche auffindbaren Anbieter beschränken kann (VG Ansbach, Beschl. v. 27.9.2016, AN 15 S 16.00448, juris Rn. 43 m. w. N.).
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Danach dürfte ein willkürliches, nicht an sachlichen Gesichtspunkten orientiertes Vorgehen der Antragsgegnerin – gerade noch – nicht ersichtlich sein. Zur Gewährleistung eines koordinierten und im Wesentlichen gleich gearteten Handelns der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder haben sich diese im Juli 2014 auf ein gemeinsames Vollzugskonzept für ein Vorgehen gegen Glücksspiele im Internet geeinigt. Nach diesem Konzept soll konsequent gegen jede Art des unerlaubten Glücksspiels im Internet – auch gegen sog. „Zweitlotterien“ – vorgegangen werden. Da aus Kapazitätsgründen nicht gegen alle Anbieter illegalen Glücksspiels im Internet gleichzeitig vorgegangen werden kann, soll eine Priorisierung erfolgen: Ausgehend von einer Marktbetrachtung sollen Umfang und Verbreitung des Angebots sowie Ausmaß der von den angebotenen Spielen ausgehenden Gefahren ermittelt werden. Anhand dieser Kriterien soll eine Priorisierung des Vorgehens gegen die betreffenden Anbieter in dem jeweiligen Sektor erfolgen. U. a. mit Blick auf die sog. „Zweitlotterien“ ist zudem zu berücksichtigen, ob eine Legalisierung des Angebots (ernsthaft) angestrebt wird, ob eine solche in grundsätzlicher Hinsicht möglich erscheint und ob sonstige gewichtige Verstöße gegen materiell-rechtliche oder spielerschützende Vorgaben gegeben sind. Auch gegen Werbung soll konsequent vorgegangen werden. Im Hinblick auf die werbenden Anbieter soll nach den gleichen Kriterien vorgegangen werden wie bei der Untersagung der Veranstaltung oder Vermittlung. Beim Vorgehen gegen – wie hier – werbende Dritte soll sich die Priorisierung nach dem Gefährdungspotential und dem Bekanntheitsgrad des beworbenen Glücksspiels sowie dem Verbreitungsgrad der Werbung richten. Gegen dieses seitens der Länder aufgestellte Konzept bestehen keine Bedenken (OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.12.2016, 11 ME 157/16, juris Rn. 14; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 2.12.2016, OVG 1 S 104.15, juris Rn. 26; OVG Saarlouis, Beschl. v. 12.5.2016, 1 B 199/15, ZfWG 2016, 363, juris Rn. 34 ff.; VG Ansbach, Beschl. v. 27.9.2016, AN 15 S 16.00448, juris Rn. 44).
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Dass die Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder auf dieser Basis eine sog. Prioritätenliste erstellt haben, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. In der Prioritätenliste sind die relevanten Anbieter aufgeführt und ist festgelegt, welche Länder gegen welche Anbieter vorgehen. Angesichts der beschränkten Kapazität bestehen keine Bedenken, dass die Behörden ein abgestuftes Konzept entwickeln, das einen flächendeckenden Vollzug als langfristiges Ziel hat und nachvollziehbar ermöglicht, zunächst gegen einzelne Anbieter vorzugehen. Vor diesem Hintergrund ist ein gleichläufiges und länderübergreifendes Konzept ein rechtfertigender sachlicher Grund für die selektive Wahl und das Vorgehen gegen einzelne Anbieter (vgl. auch VG Regensburg, Urt. v. 10.11.2016, RO 5 K 16.853, juris Rn. 82). Das Beschwerdegericht konnte diese Bewertung treffen, obgleich die Antragsgegnerin nicht die Prioritätenliste vorgelegt hat. Es ist insoweit nachvollziehbar, dass nach Einschätzung der Antragsgegnerin die Vorlage der Prioritätenliste die Effektivität der Gefahrenabwehr beeinträchtigen, die Strafverfolgung behindern und sich auf die Datenschutzinteressen von „Mitbewerbern“ auswirken würde.
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Es dürfte – gerade noch – nicht ersichtlich sein, dass sich die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall in willkürlicher Weise nicht an dieses Konzept gehalten hat. Im Gegenteil deckt sich das Vorgehen mit den Leitlinien: Gegen sog. „Zweitlotterien“ soll vorgegangen werden. Es ist weder ersichtlich, dass eine Legalisierung des Angebots der L... Ltd. (ernsthaft) angestrebt wird, noch ist offensichtlich, dass eine solche möglich ist. Die Einschätzung, dass der Name „L...“ einen gewissen Bekanntheitsgrad hat, ist angesichts der Tatsache, dass es ausweislich des Jahresreports 2015 der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder weniger als fünf Online-„Zweitlotterien“ gibt und dem Beschwerdegericht aus obergerichtlicher Rechtsprechung bekannt ist, dass die L... Ltd. in der Prioritätenliste aufgeführt ist und gemeinsam mit der Lo. Ltd. über einen Marktanteil von 23 % verfügt (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.12.2016, 11 ME 164/16), nicht zu beanstanden. Es soll auch gegen werbende Dritte vorgegangen werden, wobei Sportvereine sogar ausdrücklich genannt werden. Keine Bedenken bestehen schließlich bezüglich der Einschätzung, dass der Verbreitungsgrad auf den Banden eines Fußballstadions hoch ist. Vor dem Hintergrund, dass – wie ausgeführt – im Vollzugskonzept ein Vorgehen gegen sog. „Zweitlotterien“ vereinbart ist, kann der Antragsgegnerin auch nicht – wie die Antragstellerin meint – vorgeworfen werden, sie handele lediglich „auf Zuruf“. Auch unter dem Blickwinkel der Glücksspielwerbung im deutschen Fußball dürfte der Antragsgegnerin kein willkürliches Vorgehen vorgehalten werden können. In einem parallelen Verfahren hat ein anderer Hamburger Profi-Fußballverein die beanstandete Werbepraxis auf Hinweis der Glücksspielaufsicht der Antragsgegnerin eingestellt. Im Übrigen ergibt sich aus der jährlichen Auswertung der gemeinsamen Geschäftsstelle zur Glücksspielwerbung im deutschen Fußball 2016/2017, dass es aktuell nur eine einzige bekannte Zweitlotteriewerbung im deutschen Fußball gibt, nämlich die streitgegenständliche. Es ist im Rahmen der summarischen Prüfung auch nicht ersichtlich, dass nicht auch gegen anderes unerlaubtes Glücksspiel im Internet vorgegangen wird. Dass auch gegen andere Online-„Zweitlotterien“, andere Online-Wetten sowie anderes unerlaubtes Online-Glücksspiel (Online-Casino-Spiele, Online-Pokerspiele) vorgegangen wird, wird bereits durch die jüngste Rechtsprechung bestätigt (vgl. nur OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.12.2016, 11 ME 157/16, juris – „Zweitlotterie Lo. “; Beschl. v. 12.12.2016, 11 ME 164/16 – „Zweitlotterie L...“; OVG Lüneburg, Beschl. vom 17.8.2016, 11 ME 61/16 u.a., juris – Online-Casino-Spiele, Online-Pokerspiel; OVG Saarlouis, Beschl. v. 12.5.2016, 1 B 199/15, juris – „Zweitlotterien“; VGH München, Beschl. v. 1.8.2016, 10 CS 16.893, juris – Life-Wetten; VG Ansbach, Beschl. v. 27.9.2016, AN 15 S 16.00448, juris – „Zweitlotterien“). Angesichts der sich aus dieser Rechtsprechung ergebenden behördlichen Maßnahmen kann der Antragsgegnerin ferner nicht vorgeworfen werden, dass nicht auch gegen die Veranstalter unerlaubten Glücksspiels vorgegangen wird. Dass die Antragsgegnerin nicht immer die handelnde Behörde ist, ist Folge der in § 9 Abs. 3 GlüStV vorgesehenen koordinierten, länderübergreifenden Vollzugspraxis und der entsprechenden Vereinbarungen, in denen auch festgelegt wird, welches Bundesland einzuschreiten hat. Dass die Antragsgegnerin selbst Verfahren einleitet, ergibt sich aus der von der Antragstellerin genannten Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Durchsetzung des Glücksspielstaatsvertrags vom 24. Februar 2017 (Bü-Drs. 21/8023, S. 1). Soweit es in dem Zwischenbericht zur Beobachtung und Darlegung der Entwicklung des Schwarzmarktes für Glücksspiel im Internet im Rahmen der Evaluierung nach § 32 GlüStV aus Juli 2014 heißt, dass sich bislang kaum ein Anbieter aus dem deutschen Markt herausgezogen habe, noch Regulierungen aus dem GlüStV umgesetzt worden seien (S. 34), ist dies kein Beleg für eine hier relevante unsystematische Vorgehensweise. Aus dem Zwischenbericht, der im Übrigen über 2 ½ Jahre zurückdatiert und damit nicht den gegenwärtigen Stand abbildet, folgt im Gegenteil, dass bereits Anordnungen getroffen werden. Der Befund, dass sich bislang kaum ein Anbieter zurückgezogen hat, wird jedenfalls auch darauf zurückgeführt, dass die Betroffenen die rechtliche Auseinandersetzung suchen (S. 36). Die Ausschöpfung des Rechtswegs ist jedoch weder Ausfluss einer unsystematischen Vorgehensweise der zuständigen Behörden noch ein Beleg eines etwaigen Vollzugsdefizits. Sollte die Antragstellerin der Auffassung sein, gegen unerlaubte Lotterien wäre wegen minderer Suchtgefahr erst nachrangig einzuschreiten, verkennt sie, dass die Antragsgegnerin die Produkte der L... Ltd. – wie ausgeführt wohl zutreffend – nicht als Lotterieprodukte, sondern als Wetten auf den Ausgang fremder Lotterien und damit als sonstige Glücksspiele eingeordnet hat (vgl. VG Ansbach, Beschl. v. 27.9.2016, AN 15 S 16.00448, juris Rn. 48).
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Nicht maßgeblich für die Frage, ob die Antragsgegnerin systematisch vorgeht, dürfte hingegen sein, ob gegen die Werbung der staatlichen Lotterien eingeschritten wird (so auch VG Düsseldorf, Urt. v. 15.11.2011, 27 K 6026/09, juris Rn. 107). Maßgebliche Vergleichsgruppe im Rahmen einer Verfügung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV ist „unerlaubtes“ Glücksspiel. Etwaige Verstöße gegen die Grundsätze in § 5 Abs. 1 bis 4 GlüStV oder gegen die Vorgaben der Werberichtlinie führen jedoch nicht dazu, dass die angebotenen Lotterien, die eine Veranstaltungserlaubnis haben, „unerlaubt“ werden. Eine anreizende oder ermunternde Werbung für erlaubte Lotterien kann einerseits zur Folge haben, dass es an einem kohärenten Beitrag zur Begrenzung des Lotterieglückspiels fehlt und sich das staatliche Lotteriemonopol aus diesem Grund als nicht unionsrechtskonform erweist. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass die staatlichen Glücksspielangebote im Bereich der Lotterien „unerlaubt“ werden und gegen sie einzuschreiten wäre. In einer solchen Situation steht es dem Mitgliedstaat vielmehr frei, das Monopol zu reformieren oder sich für eine Liberalisierung des Marktzugangs zu entscheiden. In der Zwischenzeit ist er lediglich verpflichtet, Erlaubnisanträge privater Anbieter nach unionsrechtskonformen Maßstäben zu prüfen und zu bescheiden (BVerwG, Urt. v. 20.6.2013, 8 C 39.12, juris Rn. 53 – unter Bezugnahme auf EuGH, Urt. v. 24.1.2013, C-186/11 u.a., juris Rn. 39, 44, 46 ff.). Eine dem GlüStV oder der Werberichtlinie nicht entsprechende Werbung kann andererseits zu einer Verfügung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 oder § 9 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 5 GlüStV führen. Vor diesem Hintergrund ist auch den Anregungen der Antragstellerin im Schriftsatz vom 26. Januar 2017 nicht zu entsprechen, der Antragsgegnerin aufzugeben, über sämtliche Marketing- und Werbeaktivitäten des Deutschen Lotto- und Totoblocks Auskunft zu erteilen sowie sämtliche diesbezüglichen Unterlagen vorzulegen (vgl. Rn. 201 und 202 auf S. 45 des Schriftsatzes). Solange die Antragsgegnerin ihr Ermessen in gleichgelagerten Fällen gleichmäßig ausübt, kann der Antragsgegnerin auch nicht vorgeworfen werden, der Eingriff diene nur der Verteidigung des (unionsrechtswidrigen) Lotteriestaatsmonopols. Selbst wenn die Behauptung der Antragstellerin zuträfe, auch bei Einhaltung sämtlicher monopolunabhängiger Voraussetzungen würde der L... Ltd. seitens der Behörden allein auf Grundlage des Lotteriemonopols keine Erlaubnis erteilt werden, ergibt sich hieraus für sie – wie bereits ausgeführt – keine Rechtfertigung, eigenmächtig von der Durchführung des Verfahrens abzusehen. Die L... Ltd. ist hierdurch auch nicht unzumutbar belastet. Vielmehr ist die Behörde im Rahmen des Erlaubnisverfahrens zur Einhaltung des Unionsrechts angehalten, was im Fall einer unionsrechtswidrigen Monopolisierung bedeutet, dass eine Erlaubnis nicht aus diesem Grund abgelehnt werden darf. Sollte sich die Behörde insoweit unionsrechtswidrig verhalten, ist der L... Ltd. die Möglichkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes gegeben (vgl. VG Ansbach, Beschl. v. 27.9.2016, AN 15 S 16.00448, juris Rn. 31). Vor diesem Hintergrund stellt sich auch die von der Antragstellerin aufgeworfene Frage der Vereinbarung des behördlichen Vorgehens mit Art. 102 AEUV nicht.
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Ebenfalls nicht entscheidungserheblich dürfte sein, dass ggf. auch gegen Werbung für Sportwetten, die ohne Erlaubnis veranstaltet werden, nicht vorgegangen wird. Denn insoweit gibt es für die Ungleichbehandlung einen sachlichen Grund. Das Fehlen einer Erlaubnis kann den Veranstaltern und Vermittlern von Sportwetten derzeit nicht entgegengehalten werden: Denn für private Sportwettenvermittler ist gegenwärtig – anders als bei „Zweitlotterien“ – kein Erlaubnisverfahren eröffnet, das transparent, diskriminierungsfrei und gleichheitsgerecht ausgestaltet ist oder praktiziert wird. Zwar führt allein der Verstoß des staatlichen Sportwettenmonopols gegen die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit noch nicht zur Unionsrechtswidrigkeit des Erlaubnisvorbehalts nach § 4 Abs. 1 GlüStV. Wegen der Unionsrechtswidrigkeit des Monopols darf eine Erlaubnis aber auch bis zur Behebung des Unionsrechtsverstoßes nur nach Prüfung unionsrechtskonformer, monopolunabhängiger Erlaubnisvoraussetzungen abgelehnt werden. Deshalb kann das Fehlen einer nach § 4 GlüStV erforderlichen Erlaubnis einem Anbieter nur entgegen gehalten werden, wenn ihm die Erlaubnis nicht unionsrechtswidrig vorenthalten oder verweigert wird. Das setzt voraus, dass nationale Behörden Anträge auf Erteilung von Genehmigungen im Glücksspielsektor auch während einer Übergangszeit nach objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien prüfen. Diesem Erfordernis wird jedoch nicht entsprochen (OVG Münster, Urt. v. 23.1.2017, 4 A 3244/06, juris Rn. 38 ff.). Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung der Antragsgegnerin, gegen die Werbung für B. durch den Fußballverein H. mit der Begründung nicht einzuschreiten, dass es sich bei B. um einen Bewerber im Sportwettenkonzessionsverfahren handelt, der nach derzeitigem Erkenntnisstand der Antragsgegnerin die materiellen Anforderungen des GlüStV erfüllt, nicht zu beanstanden. Zwar bietet – wie die Antragstellerin zutreffend einwendet – B. nicht nur Sportwetten, sondern auch (unerlaubtes) Online-Casino und Online-Poker an. Dass die Antragsgegnerin jedoch angesichts der Rechtsprechung zu den Sportwetten nicht gegen diese Werbung vorgeht, da bei einer allgemeinen Werbung für den Anbieter B. nicht unproblematisch zwischen der Werbung für Sportwetten und der Werbung für unerlaubtes Glücksspiel getrennt werden kann, erweist sich jedoch im Rahmen der vorliegenden summarischen Prüfung als vertretbar.
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Mit Blick auf die Werbung von Spielhallen ist ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung dadurch gegeben, dass die restriktiven Regelungen zum Betrieb von Spielhallen nach dem Glücksspielstaatsvertrag (§ 29 Abs. 4 Satz 2 GlüStV) vollumfänglich erst ab dem 1. Juli 2017 gelten.
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Eines – wie von der Antragstellerin gefordert – weiteren Vortrags der Antragsgegnerin, sei es zur Anzahl der von ihr erlassenen glücksspielrechtlichen Verfügungen oder zur Anzahl der Verfügungen gegen andere Profifußballvereine oder zu Einzelheiten zum Vorgehen gegen Online-Casino-Spiele, bedarf es im Rahmen der vorliegenden summarischen Prüfung zur Verifizierung des systematischen Vorgehens nicht. Umfangreiche Beweisaufnahmen sind selbst bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen in Eilrechtsschutzverfahren nicht geboten (Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 22. Aufl. 2016, § 80 Rn. 158). Eine weitere Aufklärung bleibt – soweit erforderlich – dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
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(3) Mangels erkennbarer Ungleichbehandlung privater und staatlicher Werbetreibender für unerlaubtes Glücksspiel dürfte sich vor diesem Hintergrund auch die Handhabung des Untersagungsermessens durch die Vollzugsbehörden der Antragsgegnerin als solche mit der Dienstleistungsfreiheit des Unionsrechts vereinbar erweisen.
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(4) Auch bei der Wahl der Mittel dürfte die Antragsgegnerin von dem ihr eröffneten Ermessen rechtfehlerfrei Gebrauch gemacht haben. Die Erwägungen in dem Bescheid hinsichtlich einer zeitlichen Einschränkung der Werbung bzw. einer Beschränkung der Größe nach, sind nicht zu beanstanden. Die Vorschläge der Antragstellerin, die auf ein Einschreiten gegenüber der L... Ltd. oder der Beigeladenen hinauslaufen, greifen demgegenüber nicht durch: Ein Einschreiten gegenüber der L... Ltd. scheidet – wie ausgeführt – aus, da die L... Ltd. vorliegend mit Blick auf die Werbung nicht aktiv Handelnde ist. Der Ansatz der Antragstellerin, gegenüber der Beigeladenen bei der inhaltlichen Gestaltung der Werbung anzusetzen, verfängt ebenfalls nicht. Nach der Ermächtigungsgrundlage darf Werbung für unerlaubtes Glücksspiel untersagt werden (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV). Die Möglichkeit, Anordnungen bezüglich der Anforderungen an die Werbung zu erlassen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 GlüStV), bezieht sich auf Werbung für erlaubte Glücksspiele. Im Übrigen würde eine Verfügung, mit der der Beigeladenen aufgegeben würde, bei der Werbung darauf hinzuweisen, dass sie eine von der L... Ltd. unabhängige juristische Person ist bzw. dass sie, die Beigeladene selbst, keine Glücksspiele anbietet, das Problem, das mit der Nennung des Schlüsselwortes „L...“ einhergeht, nicht beseitigen. Maßnahmen dahingehend, die Werbung derart umzugestalten, dass etwa durch einen stärkeren Hinweis auf die karitative Tätigkeit letztlich keine faktische Werbung mehr für die L... Ltd. vorliegt, wären zudem kein milderes Mittel, da dies letztlich eine Untersagung der Werbung – jedenfalls in der vorliegenden Form – darstellen würde und zudem in die unternehmerische Freiheit der Beigeladenen eingreifen könnte. Schließlich dürfte auch eine Verfügung, mit der der Beigeladenen aufgegeben würde, sich umzubenennen, von der Ermächtigungsgrundlage des § 9 GlüStV nicht mehr gedeckt sein.
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eee) Die Frist zur Umsetzung war zwar sehr knapp bemessen. Es ist jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Überarbeitung der Homepage oder die Überarbeitung der Bandenwerbung mehrere Tage in Anspruch nimmt. Vor diesem Hintergrund dürfte sich die Frist als noch angemessen erweisen.
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bb) Ziffer 3 des Untersagungsbescheids vom 7. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2016 dürfte mangels Regelungsgehalts i. S. d. § 35 Satz 1 HmbVwVfG keinen vollstreckungsfähigen Inhalt haben und letztlich gegenstandslos sein.
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Wesentlich für das Vorliegen eines Verwaltungsakts ist, dass dieser nach seinem objektiven Sinngehalt auf eine unmittelbare, für die Betroffenen verbindliche Festlegung von Rechten und Pflichten oder eines Rechtsstatus gerichtet ist (Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 17. Aufl. 2016, § 35 Rn. 88). Dies ist vorliegend nicht der Fall:
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In Ziffer 3 des Bescheids wird für den Fall der Zuwiderhandlung jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 150.000,-- Euro angedroht. Eine „Androhung“ ist dem Hamburgischen Verwaltungsvollstreckungsrecht im Bereich des Zwangsgeldes aber fremd. Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 HmbVwVG ist eine bedingte Festsetzung eines Zwangsgeldes möglich, eine Androhung ist in § 14 HmbVwVG demgegenüber nicht vorgesehen. Der Bescheid dürfte auch nicht im Sinne einer bedingten Festsetzung auszulegen sein. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 12.3.2012, 4 Bf 82/11, BA S. 9; Beschl. v. 5.3.2008, 4 Bs 99/07, HmbJVBl. 2008, 112, juris Rn. 2) zur Streitwertfestsetzung die bedingte Festsetzung eines Zwangsgeldes (vgl. § 14 Abs. 2 Satz 1 HmbVwVG) mit einer Androhung vergleichbar. Dies bedeutet aber nicht, dass deshalb eine entsprechende Umdeutung möglich ist. Im Hinblick auf den Zwangscharakter des Vollstreckungsrechts dürften hohe Anforderungen an eine Umdeutung zu stellen sein. Wird wie hier sowohl im Tenor des Bescheids als auch in den Gründen ausdrücklich ein Zwangsgeld „angedroht“, dürfte vor dem Hintergrund, dass ein solcher Vollstreckungsakt durchaus im Vollstreckungsrecht des Bundes sowie anderer Bundesländer so vorgesehen ist, eine Umdeutung ausscheiden.
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Mangels Regelungsgehalts hat die Ziffer 3 des Untersagungsbescheids vom 7. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2016 auch keinen vollstreckbaren Inhalt. Da eine „Androhung“ vom Gesetz nicht vorgesehen ist und dementsprechend auch ein entsprechender Hinweis obsolet ist, ist Ziffer 3 letztlich gegenstandslos.
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Eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung scheidet vor diesem Hintergrund aus. Auch einer Klarstellung im Tenor bedarf es insoweit nicht: Es nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin den vorliegenden Erwägungen des Beschwerdegerichts nicht Folge leisten wird, mithin auch im Falle einer Zuwiderhandlung der Antragstellerin gegen Ziffern 1 und 2 des Bescheides mangels bedingter Festsetzung die Wirksamkeit des Zwangsgelds nicht feststellt. Im Übrigen könnte sich die Antragstellerin im Falle eines Vollstreckungsversuchs hiergegen mit Rechtsmitteln zur Wehr setzen.
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Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob die Höhe des Zwangsgeldes im Hinblick auf § 14 Abs. 4 HmbVwVG angemessen ist.
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b) Besondere Umstände, mit denen sich vorliegend – trotz voraussichtlicher Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung – ein überwiegendes Aussetzungsinteresse begründen ließe, erkennt das Beschwerdegericht nicht und diese werden von der Antragstellerin über die Ausführungen zur Unionsrechtswidrigkeit hinaus auch nicht geltend gemacht. Das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin, durch die Werbekooperation Einnahmen zu generieren, muss demgegenüber zurücktreten. Dass die Antragstellerin zwingend auf die Einnahmen angewiesen ist, ist weder ersichtlich noch dargetan.
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c) Das Verfahren war nicht auszusetzen und dem EuGH nach Art. 267 AEUV zur Entscheidung vorzulegen. Zum einen dürfte eine Vorlageverpflichtung bereits deshalb ausscheiden, da es sich vorliegend um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes handelt und – auch wenn diese gerichtliche Entscheidung nicht mehr mit Rechtsmitteln angegriffen werden kann – ein Hauptsacheverfahren, in dem die im summarischen Verfahren entscheidenden Fragen erneut geprüft werden, von der Antragstellerin selbst eingeleitet werden kann (und wurde) (vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 22. Aufl. 2016, § 80 Rn. 164). Zum anderen konnten die Fragen der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht entweder aufgrund der vorliegenden Rechtsprechung eindeutig beantwortet oder mangels Entscheidungserheblichkeit offen gelassen werden.
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d) Ergänzende richterliche Hinweise, wie mit Schriftsatz vom 3. März 2017 von der Antragstellerin angeregt, waren nicht geboten. Die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte waren den Beteiligten bekannt und es bestand Gelegenheit zur Stellungnahme. Ein Anspruch darauf, dass das Beschwerdegericht vorab eine Entscheidungstendenz zu erkennen gibt, damit die Beteiligten unter Berücksichtigung solcher rechtlicher Einschätzungen nochmals vortragen können, besteht nicht.
IV.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Da die (der Sache nach unterlegene) Beigeladene keinen Antrag gestellt ist, entspricht es der Billigkeit, ihr keine Kosten aufzuerlegen bzw. ihre Kosten nicht für erstattungsfähig zu erklären.
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Die Festsetzung des Streitwerts und eine etwaige Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung bleiben einer gesonderten Entscheidung vorbehalten.
Tatbestand
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Die Klägerin verbreitet als private Anbieterin mit Genehmigung der beklagten Landeszentrale bundesweit das Fernsehprogramm "Sport 1". Sie wendet sich dagegen, dass die Beklagte die von ihr ausgestrahlte Sendung "Learn from the Pros" wegen unzulässiger Schleichwerbung in Gestalt von Hinweisen auf das Internetangebot "Fulltiltpoker.net" beanstandet hat.
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In "Learn from the Pros" gaben professionelle Pokerspieler Tipps für eine erfolgreiche Spielausübung. Der Titel wurde von der in den Vereinigten Staaten ansässigen Firma Real Media L.L.C. in den Jahren 2005/2006 produziert. Nachdem die Klägerin die Lizenz für die Verwertung erworben hatte, strahlte sie die Produktion mit einer deutschen Tonspur versehen am 12. April 2010 ab 5:55 Uhr aus.
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Die Sendung begann mit einem Vorspann, an den sich akustisch und auch optisch dargestellt der Hinweis anschloss, dass "Learn from the Pros" von "Fulltiltpoker.net" präsentiert werde. Im weiteren Verlauf war das Logo von "Fulltiltpoker.net" in der überwiegenden Zahl der Einstellungen zu sehen. Am Ende der Sendung forderte der Moderator die Zuschauer zum Besuch der Homepage von "Fulltiltpoker.net" auf. Die Sendung wurde von zwei Werbeblöcken und einem Einzelspot unterbrochen; dabei war das von "Fulltiltpoker.net" ausgerichtete Pokerturnier "Heads Up - das Pokerduell" Inhalt des Einzelspots und Bestandteil eines der beiden Werbeblöcke.
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Nachdem die Klägerin von der Beklagten angehört worden war, stellte die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) am 26. Oktober 2010 fest, dass die Klägerin mit der Ausstrahlung der Sendung "Learn from the Pros" an dem genannten Termin gegen das Schleichwerbungsverbot aus § 7 Abs. 7 Satz 1 RStV i.V.m. Ziffer 4 der Werberichtlinien/Fernsehen verstoßen habe. Sie beschloss eine Beanstandung, die von der Beklagten innerhalb von sechs Wochen umzusetzen sei. Die Beklagte erließ gegenüber der Klägerin am 23. November 2011 einen auf § 38 Abs. 2 RStV i.V.m. § 7 Abs. 7 Satz 1 RStV und Ziffer 4 der Werberichtlinien/Fernsehen gestützten Bescheid, in dem sie feststellte und missbilligte, dass die Klägerin in der besagten Sendung in einer einen Verstoß gegen das Schleichwerbungsverbot darstellenden Weise das Dienstleistungsangebot von "Fulltiltpoker.net" durch optische und akustische Hinweise auf diesen Anbieter, durch das gezielte Zeigen von dessen Logos, durch Hinweis auf dessen Homepage am Ende der Sendung sowie durch zwei Werbespots mit dem Hinweis auf ihn umworben habe.
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Die Anfechtungsklage gegen den Beanstandungsbescheid hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen: Die von der Klägerin ausgestrahlte Sendung "Learn from the Pros" habe das Schleichwerbungsverbot verletzt, das durch den Rundfunkstaatsvertrag in seiner hier maßgeblichen Fassung durch den Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag nach Maßgabe der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 Nr. 8 in § 7 Abs. 7 Satz 1 statuiert werde. Durch die werbliche Hervorhebung des Logos von "Fulltiltpoker.net" in nahezu jeder Einstellung der Sendung sei auf die unter der Marke "Fulltiltpoker" angebotenen Dienstleistungen im Internet hingewiesen worden. Die Klägerin habe mit der erforderlichen Werbeabsicht gehandelt. Dahinstehen könne, ob diese Absicht bereits auf der Grundlage von § 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 RStV anzunehmen sei, weil die Klägerin für die werblichen Hervorhebungen ein Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung erhalten habe. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Darstellung des Schriftzugs von "Fulltiltpoker.net" in "Learn from the Pros" und einem etwaigen der Klägerin gewährten Preisnachlass für die Übertragungsrechte an dieser Produktion könne nicht ohne Weiteres festgestellt werden. Deshalb müsse der Frage, ob das von der Klägerin gezahlte Entgelt branchenüblich gewesen sei, nicht nachgegangen werden. Bei einem Nichteingreifen des § 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 RStV könne jedoch auf Grund von Indizien auf eine Werbeabsicht des Rundfunkveranstalters im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 RStV geschlossen werden. Die Werbeabsicht der Klägerin ergebe sich - unabhängig von der insoweit schon bedeutsamen objektiven Werbewirkung der Präsentation - aus der Intensität der werblichen Darstellungen und der Alleinstellung des beworbenen Angebots. Die Grundsätze über die sog. aufgedrängte Werbung, nach denen Werbeeffekte aus programmlich-dramaturgischen Gründen zur Darstellung der realen Umwelt oder im Rahmen der Wahrnehmung von Informationspflichten gerechtfertigt sein könnten, griffen nicht ein. Da "Learn from the Pros" ein inszeniertes Geschehen dargestellt habe, habe sich die Klägerin nicht auf die Wahrnehmung von Informationspflichten berufen können. Auch programmlich-dramaturgische Gründe hätten die gehäufte Darstellung des Logos von "Fulltiltpoker.net" nicht erfordert. Der Schriftzug sei vielmehr unabhängig von derartigen Gründen immer dann platziert worden, wenn mit einer besonderen Aufmerksamkeit der Zuschauer habe gerechnet werden können. Als Rundfunkveranstalterin habe die Klägerin die Sendung zu verantworten und könne sich nicht darauf zurückziehen, dass es sich um eine Fremdproduktion gehandelt habe. Durch die Ausstrahlung der Sendung mit den in dieser erkennbar enthaltenen starken Werbeelementen habe die Klägerin belegt, dass es ihr auf die Werbewirkung angekommen sei. Die werblichen Darstellungen seien allein deshalb, weil sie nicht als solche gekennzeichnet gewesen seien, zur Täuschung der Allgemeinheit über ihren eigentlichen Zweck geeignet gewesen.
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Mit ihrer von dem Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter: Eine Absicht des Rundfunkveranstalters zur werbenden Produktintegration in eine Sendung könne grundsätzlich nur angenommen werden, wenn der Veranstalter auf die Sendungsgestaltung habe einwirken können. Eine solche Einwirkungsmöglichkeit sei bei Eigen-, Auftrags- und Koproduktionen gegeben, nicht aber im vorliegenden Fall einer Fremdproduktion, in dem es der Klägerin zudem lizenzvertraglich untersagt gewesen sei, die Darstellungen des Logos von "Fulltiltpoker.net" zu entfernen. Dann sei die Annahme einer Werbeabsicht nur gerechtfertigt, wenn Indizien hinzuträten, die eindeutig belegten, dass der Rundfunkveranstalter trotz fehlender Beteiligung an der Gestaltung der Sendung gezielt zur Absatzförderung beitragen wolle. Zum Kreis dieser Indizien gehörten die objektiv werbende Wirkung einer Präsentation sowie deren Intensität oder Alleinstellung nicht. Die bloße Erkennbarkeit der Werbeabsicht eines unabhängigen Dritten könne nicht dazu führen, dass dem Rundfunkveranstalter diese Absicht zugerechnet bzw. seine Verantwortlichkeit für die entsprechende Produktion begründet werde. Unabhängig hiervon habe der Verwaltungsgerichtshof für die Hinweise auf "Fulltiltpoker.net" in "Learn from the Pros" zu Unrecht eine besonders intensive Werbewirkung angenommen, da der Handlungsverlauf der Sendung im Vordergrund gestanden habe und die Zuschauer an das Vorkommen von Werbung im Zusammenhang mit Pokerspielen gewöhnt seien. Auch spreche der Umstand, dass die Klägerin für die Produktion ein Lizenzentgelt gezahlt habe, dessen marktkonforme Höhe von den Vorinstanzen nicht bezweifelt worden sei, gegen ihre Werbeabsicht. Der Verwaltungsgerichtshof habe ferner die Grundsätze über die aufgedrängte Werbung unzutreffend angewandt, denn die Werbung in "Learn from the Pros" sei mit derjenigen in einem Bericht über eine Sportveranstaltung vergleichbar und scheide wie diese als tauglicher Bezugspunkt für eine Werbeabsicht aus. Im Übrigen sei die Bewertung, ob in einer Sendung die Grenze der hinnehmbaren aufgedrängten Werbung überschritten werde, vor dem Hintergrund der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG garantierten Rundfunkfreiheit allein durch den Rundfunkveranstalter vorzunehmen. Schließlich sei in den Fällen der aufgedrängten Werbung und so auch hier der Werbecharakter der jeweiligen Darstellungen offensichtlich, so dass die Gefahr einer Irreführung der Allgemeinheit nicht bestehe.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und begehrt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet und deshalb gemäß § 144 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Verletzung der Bestimmungen des Staatsvertrags für Rundfunk und Telemedien (Rundfunkstaatsvertrag - RStV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juli 2001 (BayGVBl S. 502), für die hier maßgebliche Zeit zuletzt geändert durch den am 1. April 2010 in Kraft getretenen Dreizehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag (BayGVBl S. 145), die nach § 48 RStV revisibel sind, noch auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
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Die Rechtsgrundlage für die an die Klägerin gerichtete Beanstandungsverfügung bilden die Regelungen in § 38 Abs. 2, § 39 Satz 1 RStV. Danach trifft bei einem - hier gegebenen - bundesweiten Angebot die zuständige Landesmedienanstalt die erforderlichen Maßnahmen, wenn sie feststellt, dass ein Anbieter gegen die Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrags verstoßen hat. Zum Kreis der insbesondere in Betracht kommenden Maßnahmen gehört die Beanstandung. Durch diese Regelung wird die zuständige Landesmedienanstalt im Falle eines Rechtsverstoßes zum Einschreiten verpflichtet, die Wahl des konkreten Aufsichtsmittels jedoch in ihr Ermessen gestellt (vgl. Hartstein u.a.
, RStV, Stand: Dezember 2015, § 38 RStV Rn. 8).
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Dass die angegriffene Beanstandungsverfügung von dieser Rechtsgrundlage getragen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof vor dem Hintergrund der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO binden, zutreffend entschieden. Die Beklagte hat die Verfügung im Hinblick auf die von der Klägerin ausgestrahlte Sendung "Learn from the Pros" ohne Verletzung einer die Klägerin schützenden formell-rechtlichen Vorschrift des Rundfunkstaatsvertrags (1.) wegen der gegen das materielle Verbot der Schleichwerbung aus § 7 Abs. 7 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 8 RStV verstoßenden Hinweise auf "Fulltiltpoker.net" (2.) in ermessensfehlerfreier Auswahl des Aufsichtsmittels (3.) erlassen. Die in Rede stehenden Vorschriften sind durch den von dem Verwaltungsgerichtshof unzutreffenderweise herangezogenen Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag (BayGVBl 2011 S. 258, ber. S. 404), der nach dem Scheitern des Vierzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrags erst am 1. Januar 2013 und damit sowohl nach der Ausstrahlung der Sendung "Learn from the Pros" am 12. April 2010 als auch nach dem Erlass des angefochtenen Beanstandungsbescheids am 23. November 2011 in Kraft trat, nicht geändert worden. Wegen der Maßgeblichkeit des Dreizehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrags für beide Daten kann auch offenbleiben, ob maßgeblich für die gerichtliche Überprüfung einer Beanstandung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Ausstrahlung der Sendung oder des Erlasses der Verfügung ist.
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1. In formell-rechtlicher Hinsicht war die Beklagte, die der Klägerin die Zulassung als Veranstalterin von bundesweit verbreitetem Rundfunk erteilt hatte (vgl. zur insoweit übereinstimmenden Rechtsstellung der Anbieter nach bayerischem Landesrecht: BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 1998 - 1 BvR 661/94 - BVerfGE 97, 298 <310 ff.>; BVerwG, Urteil vom 6. Mai 2015 - 6 C 11.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:060515U6C11.14.0] - BVerwGE 152, 122 Rn. 24), die gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1, § 36 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 RStV für den Erlass der angefochtenen Beanstandungsverfügung zuständige Landesmedienanstalt. Die Beklagte bediente sich dabei, wie durch § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2, § 36 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 RStV vorgeschrieben, der zur bundesweiten Medienaufsicht berufenen Kommission für Zulassung und Aufsicht der Landesmedienanstalten (ZAK).
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Nicht im Einklang mit formellem Recht handelte die Beklagte insoweit, als sie unter Verstoß gegen § 35 Abs. 9 Satz 6 RStV die Frist von sechs Wochen nicht eingehalten hat, die ihr die ZAK für die Umsetzung der von ihr unter dem 26. Oktober 2010 beschlossenen Beanstandung gesetzt hatte. Dieser Verfahrensfehler kann allerdings nicht zum Erfolg der Klage führen. Denn der Fristenregelung des § 35 Abs. 9 Satz 6 RStV kommt jedenfalls kein individualschützender Charakter im Hinblick auf die der Medienaufsicht unterworfenen Rundfunkveranstalter zu. Die Vorschrift dient der Verfahrensbeschleunigung (Grünwald, in: Spindler/Schuster
, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, § 35 RStV Rn. 25), dies jedoch ersichtlich allein mit dem Ziel einer Effektuierung der Beschlüsse der Organe nach § 35 Abs. 2 RStV in dem Verhältnis zu den jeweils zuständigen Landesmedienanstalten, die gemäß § 35 Abs. 9 Satz 5 RStV an diese Beschlüsse gebunden sind, und nicht mit Blick auf ein etwaiges Interesse der Rundfunkveranstalter an einer möglichst umgehenden Entscheidung über eine in Betracht kommende Belegung mit einer Aufsichtsmaßnahme.
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2. In der Sache stellt der Bescheid der Beklagten vom 23. November 2011 in seiner Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof (a.) und nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zu Recht fest, dass die von der Klägerin ausgestrahlte Sendung "Learn from the Pros" mit den in sie integrierten Hervorhebungen von "Fulltiltpoker.net" nach § 7 Abs. 7 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 8 RStV verbotene Schleichwerbung enthielt (b.).
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a. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Bescheid dahingehend ausgelegt, dass sich die ausgesprochene Beanstandung nicht auf die in der Sendung "Learn from the Pros" vorkommenden einzelnen Hinweise auf "Fulltiltpoker.net" bezieht, die in dem Bescheidtenor als Schleichwerbung umschrieben werden, sondern dass Beanstandungsgegenstand die Sendung in ihrer Gesamtheit ist. Diese Auslegung bindet das Revisionsgericht. Sie entspricht unabhängig davon dem Regelungskonzept des Rundfunkstaatsvertrags, der Schleichwerbung in § 2 Abs. 2 Nr. 8 RStV unter Bezugnahme auf Sendungen definiert und - wie im Weiteren auszuführen sein wird - für ihre Identifizierung eine wertende Gesamtbetrachtung voraussetzt, die nicht auf einzelne Bestandteile von Sendungen beschränkt werden kann.
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b. Die Sendung "Learn from the Pros" verletzte das Schleichwerbungsverbot des § 7 Abs. 7 Satz 1 RStV. Die Merkmale des in § 2 Abs. 2 Nr. 8 RStV legal definierten, uneingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegenden Schleichwerbungstatbestands (aa.) - eine objektiv werberelevante Präsentation (bb.), die subjektiv mit Werbeabsicht vorgenommen wird (cc.) und objektiv die Allgemeinheit hinsichtlich ihres eigentlichen Zwecks irreführen kann (dd.) - sind erfüllt.
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aa. Die Auslegung und Anwendung des Schleichwerbungstatbestands unterliegt vollständiger gerichtlicher Kontrolle. Um vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG eine Einschränkung der Überprüfung seitens der Verwaltungsgerichte durch die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums der Landesmedienanstalten rechtfertigen zu können, fehlt es hier wie auch sonst bei den werberechtlichen Vorschriften des § 7 RStV (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 2015 - 6 C 17.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:141015U6C17.14.0] - NVwZ-RR 2016, 142 <146> und auch schon BVerwG, Urteil vom 23. Juli 2014 - 6 C 31.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:230714U6C31.13.0] - BVerwGE 150, 169 Rn. 48) an der besonderen Komplexität der Entscheidungsfindung als einem hinreichend gewichtigen Sachgrund (allgemein zu den Voraussetzungen der Annahme von behördlichen Letztentscheidungsrechten: BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 2014 - 6 C 18.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:101214B6C18.13.0] - BVerwGE 151, 56 Rn. 31). Dementsprechend handelt es sich bei den Bestimmungen zur Durchführung des § 7 RStV in den nach § 46 Satz 1 RStV erlassenen Gemeinsamen Richtlinien der Landesmedienanstalten für die Werbung, die Produktplatzierung, das Sponsoring und das Teleshopping im Fernsehen (Werberichtlinien/Fernsehen), die der angefochtene Bescheid in ihrer Fassung vom 23. Februar 2010 anführt und die mittlerweile in der Fassung vom 18. September 2012 gelten, nicht um normkonkretisierende, sondern um norminterpretierende Verwaltungsvorschriften (BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 2015 - 6 C 17.14 - NVwZ-RR 2016, 142 <145>).
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bb. Für die Bejahung des Schleichwerbungsmerkmals der objektiv werberelevanten Präsentation hat sich der Verwaltungsgerichtshof auf die von ihm getroffene tatrichterliche Feststellung gestützt, dass in "Learn from the Pros" das Logo von "Fulltiltpoker.net" in nahezu jeder Einstellung - auf einem großen Bildschirm zwischen zwei das Spielgeschehen kommentierenden Personen, auf animierten und tatsächlichen Spielchips, in den sog. Bauchbinden, in erklärenden Animationen, auf Spielkartenrückseiten und auf Tafeln der Studiodekoration - dargestellt wurde.
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Die Heranziehung dieses tatsächlichen Substrats als schleichwerbungsrelevant begegnet keinen Bedenken. Es handelt sich durchweg um in die Sendung integrierte Hervorhebungen von "Fulltiltpoker.net". Zu Recht nicht berücksichtigt hat der Verwaltungsgerichtshof demgegenüber den in dem Tenor des Beanstandungsbescheids der Beklagten mit aufgeführten Umstand, dass in zwei Spots das von "Fulltiltpoker.net" ausgerichtete Pokerturnier "Heads Up - das Pokerduell" beworben wurde. Diese Spots waren nach Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs in nach Maßgabe des § 7 Abs. 3 RStV nicht zu beanstandenden Werbeinseln enthalten.
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Anknüpfend an das beschriebene Substrat hat der Verwaltungsgerichtshof in tatsächlicher Hinsicht die weitere Feststellung getroffen, dass durch die Darstellungen des Logos von "Fulltiltpoker.net" generell auf die unter der Marke "Fulltiltpoker" angebotenen Dienstleistungen im Internet - das heißt nicht nur auf das auf der seinerzeitigen Internetseite von "Fulltiltpoker.net" selbst bereitgehaltene, nach Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs kostenlose Angebot für Pokerspieler - hingewiesen wurde.
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cc. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs, dass die Klägerin die objektiv werberelevante Präsentation von "Fulltiltpoker.net" in der Sendung "Learn from the Pros" subjektiv zu Werbezwecken beabsichtigt hat, steht im Einklang mit revisiblem Recht. Der Verwaltungsgerichtshof konnte es dahinstehen lassen, ob die Klägerin für die entsprechenden Hinweise ein Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung erhalten hat und die Annahme einer Werbeabsicht deshalb auf § 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 RStV gestützt werden kann, ohne gehindert zu sein, eine solche Absicht auf der Grundlage von Satz 1 der Vorschrift aus den objektiven Umständen des Falles herzuleiten ((1)). Die hierfür erforderliche, in Gestalt einer wertenden Gesamtbetrachtung vorzunehmende Prüfung, ob die sendungsintegrierten werberelevanten Darstellungen durch programmlich-redaktionelle Erfordernisse gerechtfertigt waren ((2)), hat der Verwaltungsgerichtshof der Sache nach durchgeführt und eine Rechtfertigung in nicht zu beanstandender Weise verneint ((3)).
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(1) Durch den Umstand, dass eine Entgeltlichkeit im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 RStV nicht festgestellt ist, wird eine Anwendung des § 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 RStV nicht gesperrt. Dieses Normverständnis ist bereits nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 RStV geboten, wonach eine Werbeabsicht "insbesondere" bei Feststellung eines Entgelts oder einer ähnlichen Gegenleistung als gegeben gilt. Es wird darüber hinaus nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union von den unionsrechtlichen Grundlagen des rundfunkstaatsvertraglichen Schleichwerbungsverbots gefordert (vgl. EuGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - C-52/10 [ECLI:EU:C:2011:374], Alter Channel - Rn. 18 ff. zu der Vorgängervorschrift von Art. 1 Buchst. j der Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 - AVM-Richtlinie
bzw. von Art. 1 Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 - AVMD-Richtlinie ).
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Aus eben diesen Gründen wird, wenn ein Rundfunkveranstalter - wie es die Klägerin für sich in Anspruch nimmt - seinerseits ein marktübliches Lizenzentgelt für eine mit werbenden Aussagen versehene Produktion gezahlt hat, die Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 RStV auch nicht dergestalt in ihr Gegenteil verkehrt, dass diese Aussagen nicht als zu Werbezwecken beabsichtigt gälten. Für die Werbeabsicht als Merkmal der in § 2 Abs. 2 Nr. 8 RStV legal definierten Schleichwerbung ist in Bezug auf ein Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung im Sinne des Satzes 2 der Vorschrift der Rundfunkveranstalter nur als Nehmender und nicht als Gebender von Belang.
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(2) Das Schleichwerbungsmerkmal der Werbeabsicht des Rundfunkveranstalters nach § 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 RStV ist als innere Tatsache auf Grund objektiver Umstände festzustellen. Ist nach diesen Umständen die in eine Sendung integrierte werbliche Darstellung eines Produkts durch programmlich-redaktionelle Erfordernisse gerechtfertigt, liegt eine Werbeabsicht nicht vor. Dies hat der Senat in Abgrenzung zu den hier gemäß § 63 RStV nicht anwendbaren Regeln über die Produktplatzierung im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 11 RStV in § 7 Abs. 7 Satz 2 bis 6, §§ 15 und 44 RStV bereits entschieden (BVerwG, Urteil vom 23. Juli 2014 - 6 C 31.13 - BVerwGE 150, 169 Rn. 24, 26; vgl. in diesem Sinne auch: Ziffer 4 Abs. 2 Nr. 1 Werberichtlinien/Fernsehen 2012; Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf bestimmte Aspekte der Bestimmungen der Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen" über die Fernsehwerbung, ABl. C <2004> 102 S. 2, Nr. 33 f.). Der Maßstab zielt auf die Bewältigung der Problematik einer Darstellung von Werbung als Teil der Realität in dokumentarischen und fiktionalen Programmen (vgl. Ladeur, in: Hahn/Vesting
, Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 3. Aufl. 2012, § 7 RStV Rn. 2). Bei der Anwendung des Maßstabs muss eine wertende Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls vorgenommen werden. In deren Rahmen ist wegen der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Programmfreiheit des Rundfunkveranstalters (dazu allgemein: BVerfG, Beschlüsse vom 20. Februar 1998 - 1 BvR 661/94 - BVerfGE 97, 298 <310> und vom 26. Oktober 2005 - 1 BvR 396/98 - BVerfGE 114, 371 <389>) dessen programmlich-redaktionelles Konzept in den Blick zu nehmen und an dem Zweck des Schutzes der Zuschauer vor einer Irreführung über die Bedeutung des Sendegeschehens zu messen, dem das Schleichwerbungsverbot des § 7 Abs. 7 Satz 1 RStV nicht anders dient als die in § 7 Abs. 3 Satz 1 und 3 RStV enthaltenen Gebote, dass Werbung leicht erkennbar und vom redaktionellen Inhalt einer Sendung unterscheidbar sowie - vorbehaltlich bereichsspezifischer Modifizierungen etwa in Form einer ausnahmsweise zulässigen Produktplatzierung - von anderen Sendungsteilen eindeutig abgesetzt sein muss (zu diesen Geboten: BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 2015 - 6 C 17.14 - NVwZ-RR 2016, 142 <143>; vgl. auch: BVerwG, Urteil vom 23. Juli 2014 - 6 C 31.13 - BVerwGE 150, 169 Rn. 43 sowie zu der entsprechenden unionsrechtlichen Vorgabe in Art. 19 Abs. 1 Satz 1 AVMD-Richtlinie: EuGH, Urteil vom 17. Februar 2016 - C-314/14 [ECLI:EU:C:2016:89], Samona Media - Rn. 29 ff.). Es muss also in einem ersten Schritt das programmlich-redaktionelle Konzept des Rundfunkveranstalters für die jeweilige Sendung festgestellt und in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob nach Maßgabe dieses Konzepts die in die Sendung integrierte Darstellung von Werbung in ihrem Bezug zur Realität nachvollziehbar ist. Da sich nach einer solchen auf den Einzelfall bezogenen wertenden Gesamtbetrachtung die Grenze zwischen redaktionell gerechtfertigten und nach dem Schutzzweck des Schleichwerbungsverbots unzulässigen sendungsintegrierten werblichen Darstellungen regelmäßig als fließend darstellen wird, sind objektive Indizien, in denen eine Werbeabsicht des Rundfunkveranstalters in der Regel ihren Ausdruck findet, in die Betrachtung einzubeziehen. An erster Stelle zu nennen ist insoweit die Intensität der jeweiligen Werbeaussagen. Danach kann gegebenenfalls eine Werbeaussage, sofern sie in zurückhaltender Form angebracht wird, als gerechtfertigt, bei einer gesteigerten Intensität dagegen als nicht mehr nachvollziehbar erscheinen (vgl. die Ansätze zu einer derartigen wertenden Gesamtbetrachtung: BGH, Urteil vom 22. Februar 1990 - I ZR 78/88 - BGHZ 110, 278 <287>; OVG Lüneburg, Urteil vom 15. Dezember 1998 - 10 L 3927/96 - NVwZ-RR 2000, 96; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Juni 2007 - 11 N 2/07 - NVwZ-RR 2007, 681 <682>; Goldbeck, in: Paschke/Berlit/Meyer , Hamburger Kommentar - Gesamtes Medienrecht, 3. Aufl. 2016, Abschnitt 26 Rn. 29, 148, 159 ff.).
- 24
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Entgegen der Ansicht der Klägerin ist es für diese Prüfung prinzipiell unerheblich, ob es sich bei der von dem Rundfunkveranstalter ausgestrahlten Sendung um eine Eigen-, Auftrags- bzw. Koproduktion oder um eine Fremdproduktion handelt. Der Senat hat in seiner Rechtsprechung keinen Zweifel daran gelassen, dass die werbebezogenen Vorschriften des Rundfunkstaatsvertrags an die Rundfunkveranstalter adressiert sind und sich bereits aus diesem Umstand die Verantwortlichkeit eines Veranstalters für die von ihm verbreiteten Werbeinhalte ergibt (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2014 - 6 C 32.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:171214U6C32.13.0] - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 71 Rn. 21; der Sache nach ebenso: Urteil vom 6. Mai 2015 - 6 C 11.14 - BVerwGE 152, 122 Rn. 22). Hiernach übernimmt ein Rundfunkveranstalter, der eine fremdproduzierte Sendung ausstrahlt, in programmlich-redaktioneller Hinsicht deren Konzept ungeachtet der von ihm jeweils eingegangenen lizenzvertraglichen Verpflichtungen. Für die zur Feststellung seiner Werbeabsicht durchzuführende wertende Gesamtbetrachtung gelten damit grundsätzlich keine Besonderheiten.
- 25
-
(3) Der Verwaltungsgerichtshof hat der Sache nach unter Beachtung dieser Maßgaben und auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen in nicht zu beanstandender Weise auf eine Werbeabsicht der Klägerin geschlossen.
- 26
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Der Verwaltungsgerichtshof ist unter dem Gesichtspunkt der sog. aufgedrängten Werbung von der Maßgeblichkeit einer programmlich-redaktionellen Rechtfertigung von sendungsintegrierter Werbung ausgegangen. Wie sein Verweis auf ein insoweit aussagekräftiges Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 22. Februar 1990 - I ZR 78/88 - BGHZ 110, 278 <287>) belegt, hat er ferner erkannt, dass bei der zu treffenden Entscheidung die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Programmfreiheit des Rundfunkveranstalters Berücksichtigung finden muss. In tatsächlicher Hinsicht bedeutsam sind seine Feststellungen, dass die Produktion "Learn from the Pros" allein zur Übertragung im Fernsehen inszeniert worden war, und dass die werbende Hervorhebung von "Fulltiltpoker.net" von ihrer Intensität her die gesamte ausgestrahlte Sendung prägte. Diese tatsächlichen Feststellungen hat die Klägerin nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen. Sie hat ihnen nur ihr für die revisionsgerichtliche Entscheidung nicht erhebliches abweichendes Verständnis des Sendungsverlaufs entgegengesetzt. Den Verwaltungsgerichtshof konnte eine wertende Gesamtbetrachtung der Sendung "Learn from the Pros" vor dem von ihm festgestellten tatsächlichen Hintergrund zu keinem anderen Ergebnis als der Annahme einer Werbeabsicht der Klägerin führen. Nach dem von der Klägerin mit der Ausstrahlung übernommenen programmlich-redaktionellen Konzept eines inszenierten Unterhaltungsformats mit Tipps zur Vervollkommnung des Pokerspiels - einer Art Pokerschule - bestand kein nachvollziehbares Bedürfnis für die in die Sendung integrierte, praktisch stets gegenwärtige Präsentation des Logos von "Fulltiltpoker.net".
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dd. Schließlich steht auch die Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs, dass mit der werbenden Präsentation von "Fulltiltpoker.net" bereits wegen ihrer nicht gekennzeichneten Integration in die Sendung "Learn from the Pros" eine Irreführung der Allgemeinheit über den von der Klägerin beabsichtigten Werbezweck drohte, im Einklang mit dem rundfunkstaatsvertraglichen Begriff der Schleichwerbung. Der Senat hat in seiner Rechtsprechung einen Grundsatz mit einem entsprechenden allgemeinen Inhalt anerkannt (BVerwG, Urteil vom 23. Juli 2014 - 6 C 31.13 - BVerwGE 150, 169 Rn. 26). Die Offensichtlichkeit des werblichen Charakters einer Darstellung ändert an der Anwendung dieses Grundsatzes nichts.
- 28
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3. Dass die Beklagte das ihr im Hinblick auf die Auswahl des Aufsichtsmittels eingeräumte Ermessen mit der Wahl der Beanstandung fehlerfrei ausgeübt hat, hat der Verwaltungsgerichtshof zu Recht nicht in Frage gestellt.
- 29
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Tenor
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Gründe
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Beklagte ist eine Gesellschaft der Unternehmensgruppe Kaufland. Sie gibt die Zeitschrift "TIP der Woche" heraus. Die Publikation enthält hauptsächlich Werbeanzeigen für Produkte, die in Kaufland-Märkten erhältlich sind. Diese Märkte werden von anderen Gesellschaften der Kaufland-Gruppe betrieben. Daneben erscheinen in dem Blatt vereinzelt Anzeigen anderer Einzelhandelsgeschäfte und unterhaltende Beiträge wie Horoskope, Rätsel oder Prominentenporträts.
- 2
- Die Beklagte veröffentlichte in den Ausgaben des Blatts "TIP der Woche" vom 10. Oktober 2011 und vom 2. Februar 2012 die in den nachstehend wiedergegebenen Klageanträgen eingeblendeten Werbeanzeigen für Geschirrspülmaschinentabs und für Teigwaren.
- 3
- In der im Oktober 2011 erschienenen Anzeige sind unter der Überschrift "Ausgezeichnete Qualität für Ihre Spülmaschine" vier verschiedene Sortenvon Geschirrspülmaschinentabs abgebildet. Im Vordergrund sind die Packung der Tabs "fit Grüne Kraft ALLES in 1" und rechts davor - teilweise überlappend - die Packung des Produkts "fit Grüne Kraft CLASSIC" zu sehen. Davor ist - teilweise überschneidend mit der vorderen Packung - das Logo der Stiftung Warentest mit folgendem Zusatz abgedruckt: TESTSIEGER GUT (2,1) Im Test: 17 Geschirrspültabs Ausgabe 08/2010
- 4
- In der im Februar 2012 erschienenen Anzeige sind unter der Überschrift "Urlaub für zu Hause" drei Nudelprodukte mit der Bezeichnung "Buitoni" abgebildet. Im Vordergrund sind die Packungen der Nudeln "Buitoni Eliche" und - teilweise davon verdeckt - "Buitoni Gnocchi" zu sehen. Darüber ist das Logo der Stiftung Warentest mit folgenden Angaben abgedruckt: GUT (2,0) Im Test: 25 Marken Spiralnudeln Ausgabe 4/2011
- 5
- Die Stiftung Warentest hatte nicht alle abgebildeten Produkte, sondern lediglich die Geschirrspültabs "fit GRÜNE KRAFT CLASSIC" und die Nudeln "Buitoni Eliche" untersucht und bewertet.
- 6
- Der Kläger, der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände , hat die Werbeanzeigen als irreführend beanstandet. Er hat geltend gemacht, der Verbraucher werde aufgrund der konkreten Anordnung des Logos der Stiftung Warentest den unzutreffenden Eindruck gewinnen, dass nicht nur die Produkte "fit GRÜNE KRAFT CLASSIC" und "Buitoni Eliche", sondern auch die Produkte "fit GRÜNE KRAFT ALLES in 1" und "Buitoni Gnocchi" von der Stiftung wie beim Logo dargestellt untersucht und bewertet worden seien.
- 7
- Der Kläger hat, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, beantragt, die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen zu werben oder werben zu lassen,
a) für die Geschirrspültabs "fit GRÜNE KRAFT ALLES in 1" mit dem Logo der Stiftung Warentest "Testsieger GUT (2,1), Im Test: 17 Geschirrspültabs, Ausgabe 08/2010" wie nachfolgend abgebildet:
b) für die Nudeln von Buitoni "Gnocchi" mit dem Logo der Stiftung Warentest "GUT (2,0), Im Test: 25 Marken Spiralnudeln, Ausgabe 4/2011" wie nachfolgend abgebildet :
- 8
- Der Kläger hat die Beklagte ferner auf Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch genommen.
- 9
- Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision , deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
- 10
- A. Das Berufungsgericht hat die Werbeanzeigen als irreführend erachtet und die Beklagte für diesen Wettbewerbsverstoß als verantwortlich angesehen. Dazu hat es ausgeführt:
- 11
- Die Werbeanzeigen seien irreführend, weil sie dem Verbraucher den unzutreffenden Eindruck vermittelten, auch die in räumlicher Nähe des Logos der Stiftung Warentest abgebildeten Produkte "fit GRÜNE KRAFT ALLES in 1" und "Buitoni Gnocchi" seien von der Stiftung untersucht und mit den ausgewiesenen Gesamtnotenbewertet worden. Als Herausgeberin des Blatts "TIP der Woche" sei die Beklagte für den wettbewerbswidrigen Inhalt der Anzeigen auch im Lichte der grundrechtlich geschützten Pressefreiheit verantwortlich. Bei der Zeitschrift "TIP der Woche" handele es sich nicht um ein klassisches Presseerzeugnis , sondern um ein kommerziell ausgerichtetes Werbeblatt der KauflandGruppe. Die für die Beklagte streitende Pressefreiheit müsse daher hinter dem Schutz der Verbraucher vor irreführender Werbung zurücktreten.
- 12
- B. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass dem Kläger die geltend gemachten Unterlassungsansprüche nach §§ 3, 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1, § 8 Abs. 1 und 3 Nr. 3 UWG zustehen, weil die Werbeanzeigen irreführende geschäftliche Handlungen sind (dazu B I) und die Beklagte für diese Anzeigen wettbewerbsrechtlich verantwortlich ist (dazu B II). Der Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten ist gleichfalls begründet (dazu B III).
- 13
- I. Das Berufungsgericht hat zutreffend irreführende geschäftliche Handlungen im Sinne von §§ 3, 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 UWG bejaht.
- 14
- 1. Bei der Veröffentlichung der Werbeanzeigen handelt es sich um eine geschäftliche Handlung der Beklagten.
- 15
- a) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG ist eine geschäftliche Handlung jedes Verhalten zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt.
- 16
- b) Das Berufungsgericht hat angenommen, bei der Veröffentlichung der Werbeanzeigen handele es sich um geschäftliche Handlungen der Beklagten. Die Beklagte habe damit zum einen den Absatz der die Anzeigen schaltenden Hersteller der beworbenen Waren gefördert. Zum anderen habe sie damit nach dem Erscheinungsbild der Zeitschrift "TIP der Woche" und namentlich dem Hinweis auf die Einkaufsmöglichkeit bei "Kaufland" auch den Wettbewerb der Betreiber der Kaufland-Märkte gefördert. Diese Beurteilung wird von der Revision nicht beanstandet und lässt auch keinen Rechtsfehler erkennen.
- 17
- 2. Erfolglos wendet sich die Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts , die Anzeigen für Geschirrspültabs und für Teigwaren seien nach § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 UWG irreführend, weil sie dem Verbraucher den unzutreffenden Eindruck vermittelten, die Stiftung Warentest habe nicht nur die Produkte "fit GRÜNE KRAFT CLASSIC" und "Buitoni Eliche", sondern auch die Waren "fit GRÜNE KRAFT ALLES in 1" und "Buitoni Gnocchi" untersucht und bewertet.
- 18
- a) Eine geschäftliche Handlung ist gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 UWG irreführend, wenn sie zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale der Ware enthält. Dazu gehören auch die Ergebnisse von Warentests. Für die Beurteilung, ob eine geschäftliche Handlung irreführend ist, kommt es darauf an, welchen Gesamteindruck sie bei den maßgeblichen Verkehrskreisen hervorruft. Sie ist irreführend, wenn das Verständnis, das sie bei den angesprochenen Verkehrskreisen erweckt, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt (BGH, Urteil vom 6. November 2013 - I ZR 104/12, GRUR 2014, 88 Rn. 30 = WRP 2014, 57 - Vermittlung von Netto-Policen, mwN).
- 19
- b) Die Beurteilung der Verkehrsauffassung liegt im Wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet. Sie ist im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob das Berufungsgericht einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt , bei seiner Würdigung gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen hat (vgl. BGH, Urteil vom 13. September 2012 - I ZR 230/11, BGHZ 194, 314 Rn. 42 - Biomineralwasser ; Urteil vom 24. September 2013 - I ZR 89/12, GRUR 2013, 1254 Rn. 16 = WRP 2013, 1596 - Matratzen Factory Outlet; BGH, GRUR 2014, 88 Rn. 31 - Vermittlung von Netto-Policen). Solche Rechtsfehler lässt das angefochtene Urteil nicht erkennen.
- 20
- aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Verpackungen der Geschirrspültabs "fit GRÜNE KRAFT CLASSIC" und "fit GRÜNE KRAFT ALLES in 1" präsentierten sich aufgrund ihrer bildlichen Überlagerung optisch als Einheit , so dass der Betrachter das in die Verpackung der Geschirrspültabs "fit GRÜNE KRAFT CLASSIC" hineinragende Logo der Stiftung Warentest auch dem nicht geprüften Produkt "fit GRÜNE KRAFT ALLES in 1" zuordne.
- 21
- (1) Die Revision rügt ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe bei seiner Annahme, der Verbraucher bringe die Testergebnisse auch mit den nicht vom Logo der Stiftung Warentest überlagerten Produkten in Verbindung, das geltende Verbraucherleitbild verkannt. Der die Anzeige mit der gebotenen Aufmerksamkeit wahrnehmende Durchschnittsverbraucher erkenne, dass es sich bei den abgebildeten Packungen um unterschiedliche Erzeugnisse handele, und folgere aus dem Umstand, dass das Logo der Stiftung Warentest nur in das im Vordergrund abgebildete Erzeugnis hineinrage, dass im Zweifel nur dieses Produkt getestet worden sei.
- 22
- Für die Frage, wie eine Werbung verstanden wird, ist die Sichtweise des durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers maßgebend, der einer Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt (st. Rspr.; vgl. nur Urteil vom 30. Juni 2011 - I ZR 157/10, GRUR 2012, 184 Rn. 19 = WRP 2012, 194 - Branchenbuch Berg; Urteil vom 8. März 2012 - I ZR 202/10, GRUR 2012, 1053 Rn. 19 = WRP 2012, 1216 - Marktführer Sport). Der Grad seiner Aufmerksamkeit ist von der jeweiligen Situation und vor allem von der Bedeutung abhängig, die die beworbenen Waren für ihn haben. Bei geringwertigen Gegenständen des täglichen Bedarfs oder beim ersten Durchblättern von Werbebeilagen oder Zeitungsanzeigen ist seine Aufmerksamkeit regelmäßig eher gering, so dass er die Werbung eher flüchtig zur Kenntnis nehmen wird (BGH, Urteil vom 20. Oktober 1999 - I ZR 167/97, GRUR 2000, 619, 621 = WRP 2000, 517 - Orient-Teppichmuster; Urteil vom 2. Oktober 2003 - I ZR 150/01, BGHZ 156, 250, 252 f. - Marktführerschaft; Urteil vom 11. Dezember 2003 - I ZR 50/01, GRUR 2004, 605, 606 = WRP 2004, 735 - Dauertiefpreise).
- 23
- Von diesen Grundsätzen ist erkennbar auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat bei seiner Beurteilung auf den situationsadäquat aufmerksamen , durchschnittlich informierten Verbraucher abgestellt. Aus der Sicht eines solchen Verbrauchers hat es in dem Umstand, dass das Logo der Stiftung Warentest in die Abbildung nur des getesteten Produkts hineinragt, wegen der räumlichen Nähe des Logos auch zu den nicht untersuchten Waren keine hinreichende Klarstellung des beschränkten Testgegenstands gesehen. Diese Beurteilung lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Sie ist insbesondere nicht erfahrungswidrig. Der Durchschnittsverbraucher wird das Blatt "TIP der Woche" regelmäßig nur beiläufig durchblättern und die Werbeanzeigen lediglich flüchtig wahrnehmen. Soweit die Revision von einer anderen Sichtweise des Verbrauchers ausgeht, ersetzt sie in revisionsrechtlich unzulässiger Weise die Feststellungen des Berufungsgerichts durch ihre eigene Bewertung, die an einem die Anzeigen situationsuntypisch aufmerksam wahrnehmenden Verbraucher ausgerichtet ist.
- 24
- (2) Die Revision macht weiter ohne Erfolg geltend, die Annahme des Berufungsgerichts , der Verbraucher werde die Anzeigen zwar nur flüchtig wahrnehmen , dabei aber dennoch die Abbildung andersartiger Verpackungen und damit die Bewerbung verschiedener Produkte bemerken, sei widersprüchlich. Mit ihrer abweichenden Beurteilung begibt sich die Revision erneut auf das ihr verschlossene Gebiet tatrichterlicher Würdigung, ohne einen Rechtsfehler des Berufungsgerichts aufzuzeigen.
- 25
- bb) Das Berufungsgericht hat angenommen, bei der Anzeige für Nudelprodukte überschneide sich das Logo der Stiftung Warentest zwar nur mit der darunter abgebildeten Verpackung der Nudeln "Buitoni Eliche". Da das Logo aber teilweise über der abgebildeten Verpackung der Nudeln "Buitoni Gnocchi" angeordnet sei, beziehe es sich aus Sicht des Betrachters auch auf dieses tatsächlich nicht untersuchte Erzeugnis. Die Angabe des Testprodukts "Spiralnu- deln" im Logo der Stiftung Warentest verdeutliche dem Verbraucher mangels Wiederholung dieser Angabe auf der abgebildeten Verpackung der Nudeln "Eliche" nicht hinreichend, dass sich das Testergebnis nur auf diese Nudeln beziehe.
- 26
- Die Revision macht ohne Erfolg geltend, der die Anzeigen mit der gebotenen Aufmerksamkeit wahrnehmende Durchschnittsverbraucher erkenne, dass nur das im Vordergrund abgebildete Erzeugnis "Buitoni Eliche" getestet worden sei. Ein solches Verständnis dränge sich ihm umso mehr auf, als nur die Packung "Buitoni Eliche" Spiralnudeln enthalte, wie sie nach den Angaben im Logo der Stiftung Warentest getestet worden seien.
- 27
- Das Berufungsgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, dass ein erheblicher Teil der Verbraucher, die die Angabe des Testprodukts "Spiralnudeln" im Logo der Stiftung Warentest lesen, auch die "Gnocchi"-Nudeln als von den Untersuchungen der Stiftung Warentest erfasste Spiralnudeln einordnet. Diese tatrichterliche Beurteilung lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Ein die Werbeanzeige situationsadäquat flüchtig betrachtender Verbraucher wird die genaue Ausformung der durch die teilweise durchsichtige Verpackung wahrnehmbaren "Gnocchi"-Nudeln nicht ohne weiteres bemerken und kann diese Nudeln deshalb für spiralförmig halten. Ebenso muss sich dem Durchschnittsverbraucher, der der Anzeige situationsadäquat nur geringe Aufmerksamkeit schenkt, nicht der Gedankengang aufdrängen, dass es sich bei als "Gnocchi" bezeichneten Teigwaren üblicherweise nicht um Spiralnudeln handelt und die so bezeichneten Produkte deshalb nicht von der Stiftung Warentest überprüft worden sein können. Soweit die Revision von einer anderen Wahrnehmung und einem anderen Verständnis des Verbrauchers ausgeht, bewertet sie den Sachverhalt abweichend von der tatrichterlichen Würdigung, ohne einen Rechtsfehler aufzuzeigen.
- 28
- II. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die Beklagte für die wettbewerbswidrigen Anzeigen verantwortlich ist.
- 29
- 1. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, ob die beanstandeten Anzeigen von der Beklagten oder von Dritten gestaltet worden sind. Für die Nachprüfung in der Revisionsinstanz ist daher zugunsten der Beklagten zu unterstellen , dass sie - wie von ihr behauptet - keinen Einfluss auf die Gestaltung der Anzeigen gehabt und von den Herstellern gestaltete Anzeigen veröffentlicht hat. Dies steht einer Verantwortlichkeit der Beklagten allerdings nicht entgegen. Schuldner der in § 8 UWG geregelten Abwehransprüche ist jeder, der durch sein Verhalten den objektiven Tatbestand einer Zuwiderhandlung im Sinne von §§ 3, 7 UWG selbst, durch einen anderen oder gemeinschaftlich mit einem anderen adäquat kausal verwirklicht. Im Falle der Verbreitung wettbewerbswidriger Äußerungen in Medien haftet neben dem Urheber der Äußerung jeder an der Weitergabe und der Verbreitung Beteiligte, soweit sein Verhalten - wie im Streitfall rechtsfehlerfrei festgestellt (vgl. oben Rn. 16) - eine geschäftliche Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG darstellt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 - I ZR 183/09, GRUR 2011, 340 Rn. 27 = WRP 2011, 459 - Irische Butter, mwN).
- 30
- 2. Die Revision macht ohne Erfolg geltend, das Berufungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Beklagte nach den Grundsätzen der eingeschränkten Haftung der Presse für wettbewerbswidrige Anzeigen ihrer Inserenten nicht auf Unterlassung in Anspruch genommen werden könne.
- 31
- a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs haftet ein Presseunternehmen für die Veröffentlichung gesetzwidriger Werbeanzeigen Dritter nur, wenn es gegen seine Pflicht zur Prüfung verstoßen hat, ob die Veröffentlichung der Anzeigen gegen gesetzliche Vorschriften verstößt. Bei dem Umfang der Prüfungspflicht ist zu berücksichtigen, dass die Beurteilung von Anzeigen bei der Veröffentlichung unter dem Gebot der raschen Entscheidung steht. Um die Arbeit von Presseunternehmen nicht über Gebühr zu erschweren und die Verantwortlichen nicht zu überfordern, besteht daher mit Blick auf die Gewährleistung der Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG nur eine eingeschränkte Prüfungspflicht. Sie beschränkt sich auf grobe und unschwer erkennbare Rechtsverstöße (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 1990 - I ZR 127/88, GRUR 1990, 1012, 1014 = WRP 1991, 19 - Pressehaftung I; Urteil vom 7. Mai 1992 - I ZR 119/90, GRUR 1992, 618, 619 - Pressehaftung II; Urteil vom 9. November 2000 - I ZR 167/98, GRUR 2001, 529, 531 = WRP 2001, 531 - Herz-Kreislauf-Studie; Urteil vom 14. Juni 2006 - I ZR 249/03, GRUR 2006, 957 Rn. 14 = WRP 2006, 1225 - Stadt Geldern; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl., § 9 Rn. 2.3; Bergmann/Goldmann in Harte/Henning, UWG, 3. Aufl., § 8 Rn. 102).
- 32
- b) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte könne sich ihrer Haftung für die Veröffentlichung der wettbewerbswidrigen Werbeanzeigen nicht unter Berufung auf die Pressefreiheit entziehen. Bei der Zeitschrift "TIP der Woche" handele es sich nicht um ein klassisches Presseerzeugnis, sondern um ein Werbeblatt. Die Zeitschrift stehe in Bezug auf ihren presserechtlichen Schutz einem Werbeprospekt gleich. Diese Beurteilung hält der Nachprüfung stand.
- 33
- aa) Die Anwendung der Grundsätze der eingeschränkten Prüfungspflicht der Presse kann allerdings nicht allein mit der Begründung verneint werden, bei der Zeitschrift "TIP der Woche" handele es sich nicht um ein klassisches Presseerzeugnis , sondern um ein Werbeblatt.
- 34
- (1) Maßgeblich für die eingeschränkte Prüfungspflicht der Presse ist die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Pressefreiheit (BGH, GRUR 1990, 1012, 1014 - Pressehaftung I; GRUR 1992, 618, 619 - Pressehaftung II), die der Presse als Institution zukommt und auch den Anzeigenteil eines Presseor- gans umfasst (vgl. BVerfGE 21, 271, 278 - Südkurier; BVerfG, GRUR 2001, 170, 172). Der Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gebührt nicht nur Presseerzeugnissen im herkömmlichen Sinne (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 1968 - I ZR 113/66, BGHZ 51, 236, 246 f. - Stuttgarter Wochenblatt I). Die grundrechtliche Garantie der Pressefreiheit gilt vielmehr auch für Kundenzeitschriften (vgl. BVerwGE 78, 184, 189; OLG Hamburg, PharmR 2009, 136, 137) und für Anzeigenblätter, die hauptsächlich Werbeanzeigen und zu einem geringeren Anteil redaktionelle Beiträge enthalten (vgl. BGHZ 51, 236, 238 f. und 246 f. - Stuttgarter Wochenblatt I; BGH, Urteil vom 12. November 1991 - KZR 18/90, BGHZ 116, 47, 54 - Amtsanzeiger; Urteil vom 20. November 2003 - I ZR 151/01, BGHZ 157, 55, 62 - 20 Minuten Köln; Urteil vom 26. Januar 2006 - I ZR 121/03, GRUR 2006, 429, 431 = WRP 2006, 584 - Schlank-Kapseln).
- 35
- (2) Danach fällt das Blatt der Beklagten in den Schutzbereich der Pressefreiheit. Bei dem Werbeblatt handelt es sich nicht um einen reinen Werbeprospekt. Es enthält nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zwar vor allem Werbung für in den Kaufland-Märkten erhältliche Produkte. Daneben enthält es aber auch unterhaltende Beiträge wie Horoskope, Rätsel oder Prominentenporträts.
- 36
- bb) Das Berufungsgericht hat jedoch ohne Rechtsfehler angenommen, die Zeitschrift "TIP der Woche" stehe in Bezug auf ihren presserechtlichen Schutz einem (reinen) Werbeprospekt gleich.
- 37
- (1) Der Schutzumfang der Pressefreiheit ist umso geringer, je weniger ein Presseerzeugnis der Befriedigung eines Informationsbedürfnisses von öffentlichem Interesse oder der Einwirkung auf die öffentliche Meinung dient und je mehr es eigennützige Geschäftsinteressen wirtschaftlicher Art verfolgt (vgl. BGHZ 116, 47, 54 - Amtsanzeiger; Köhler in Köhler/Bornkamm aaO § 3 Rn. 83; zu Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG Ahrens in Harte/Henning aaO Einl G Rn. 76). Da- nach kann sich ein Presseunternehmen grundsätzlich nicht mit Erfolg auf eine eingeschränkte Haftung für gesetzwidrige Werbeanzeigen Dritter berufen, wenn die fragliche Zeitschrift keinen nennenswerten meinungsbildenden Bezug hat, sondern nahezu ausschließlich Werbung enthält.
- 38
- (2) Nach diesen Maßstäben ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden , dass das Berufungsgericht die Zeitschrift "TIP der Woche" in Bezug auf ihren presserechtlichen Schutz einem (reinen) Werbeprospekt gleichgestellt hat. Die Zeitschrift weist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts keinen meinungsbildenden Bezug, sondern eine fast durchweg kommerzielle Ausrichtung auf. Sie wird von Werbeanzeigen beherrscht und nur zu dem Zweck herausgegeben , die Leser zu bewegen, "im Kaufland einzukaufen". Die unterhaltenden Bestandteile der Zeitschrift treten in ihrem Umfang und ihrer Bedeutung dahinter zurück. Die Revision hat diese Feststellungen nicht angegriffen. Sie hat insbesondere nicht geltend gemacht, die Zeitschrift "TIP der Woche" verfüge über einen nennenswerten redaktionellen Teil. Unter diesen Umständen lässt die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte könne sich nicht auf die eingeschränkte Prüfungspflicht von Presseunternehmen berufen, keinen Rechtsfehler erkennen.
- 39
- cc) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, eine eingeschränkte Verantwortlichkeit der Beklagten folge daraus, dass es sich bei der Veröffentlichung von Werbeanzeigen durch die Beklagte um ein Massengeschäft handele.
- 40
- (1) Der Bundesgerichtshof hat das Erfordernis einer eingeschränkten Pressehaftung allerdings auch damit begründet, dass Presseunternehmen regelmäßig unter Zeitdruck stehen und eine umgehende Überprüfung sämtlicher Anzeigen auf Gesetzesverstöße die Arbeit der Presse unzumutbar erschweren würde (vgl. BGH, GRUR 1990, 1012, 1014 - Pressehaftung I; GRUR 2006, 957 Rn. 14 - Stadt Geldern).
- 41
- (2) Bei dem Werbeblatt "TIP der Woche" handelt es sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts jedoch nicht um ein der aktuellen Berichterstattung verpflichtetes Presseerzeugnis. Die Beklagte kann sich daher nicht mit Erfolg darauf berufen, sie stehe als Herausgeberin dieses Blattes bei der Bearbeitung der Anzeigenaufträge unter dem Gebot einer raschen Entscheidung.
- 42
- III. Den geltend gemachten Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten hat das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf das landgerichtliche Urteil nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG für begründet erachtet. Diese Beurteilung lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Die Revision hat insoweit auch keine eigenständigen Rügen erhoben.
- 43
- C. Die Revision ist danach auf Kosten der Beklagten (§ 97 Abs. 1 ZPO) zurückzuweisen.
Vorinstanzen:
LG Heilbronn, Entscheidung vom 31.10.2012 - 8 O 20/12 Hä -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 11.07.2013 - 2 U 186/12 -
Tatbestand
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Die Klägerin verbreitet als private Anbieterin mit Genehmigung der beklagten Landeszentrale bundesweit das Fernsehprogramm "Sport 1". Sie wendet sich dagegen, dass die Beklagte die von ihr ausgestrahlte Sendung "Learn from the Pros" wegen unzulässiger Schleichwerbung in Gestalt von Hinweisen auf das Internetangebot "Fulltiltpoker.net" beanstandet hat.
- 2
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In "Learn from the Pros" gaben professionelle Pokerspieler Tipps für eine erfolgreiche Spielausübung. Der Titel wurde von der in den Vereinigten Staaten ansässigen Firma Real Media L.L.C. in den Jahren 2005/2006 produziert. Nachdem die Klägerin die Lizenz für die Verwertung erworben hatte, strahlte sie die Produktion mit einer deutschen Tonspur versehen am 12. April 2010 ab 5:55 Uhr aus.
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Die Sendung begann mit einem Vorspann, an den sich akustisch und auch optisch dargestellt der Hinweis anschloss, dass "Learn from the Pros" von "Fulltiltpoker.net" präsentiert werde. Im weiteren Verlauf war das Logo von "Fulltiltpoker.net" in der überwiegenden Zahl der Einstellungen zu sehen. Am Ende der Sendung forderte der Moderator die Zuschauer zum Besuch der Homepage von "Fulltiltpoker.net" auf. Die Sendung wurde von zwei Werbeblöcken und einem Einzelspot unterbrochen; dabei war das von "Fulltiltpoker.net" ausgerichtete Pokerturnier "Heads Up - das Pokerduell" Inhalt des Einzelspots und Bestandteil eines der beiden Werbeblöcke.
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Nachdem die Klägerin von der Beklagten angehört worden war, stellte die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) am 26. Oktober 2010 fest, dass die Klägerin mit der Ausstrahlung der Sendung "Learn from the Pros" an dem genannten Termin gegen das Schleichwerbungsverbot aus § 7 Abs. 7 Satz 1 RStV i.V.m. Ziffer 4 der Werberichtlinien/Fernsehen verstoßen habe. Sie beschloss eine Beanstandung, die von der Beklagten innerhalb von sechs Wochen umzusetzen sei. Die Beklagte erließ gegenüber der Klägerin am 23. November 2011 einen auf § 38 Abs. 2 RStV i.V.m. § 7 Abs. 7 Satz 1 RStV und Ziffer 4 der Werberichtlinien/Fernsehen gestützten Bescheid, in dem sie feststellte und missbilligte, dass die Klägerin in der besagten Sendung in einer einen Verstoß gegen das Schleichwerbungsverbot darstellenden Weise das Dienstleistungsangebot von "Fulltiltpoker.net" durch optische und akustische Hinweise auf diesen Anbieter, durch das gezielte Zeigen von dessen Logos, durch Hinweis auf dessen Homepage am Ende der Sendung sowie durch zwei Werbespots mit dem Hinweis auf ihn umworben habe.
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Die Anfechtungsklage gegen den Beanstandungsbescheid hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen: Die von der Klägerin ausgestrahlte Sendung "Learn from the Pros" habe das Schleichwerbungsverbot verletzt, das durch den Rundfunkstaatsvertrag in seiner hier maßgeblichen Fassung durch den Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag nach Maßgabe der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 Nr. 8 in § 7 Abs. 7 Satz 1 statuiert werde. Durch die werbliche Hervorhebung des Logos von "Fulltiltpoker.net" in nahezu jeder Einstellung der Sendung sei auf die unter der Marke "Fulltiltpoker" angebotenen Dienstleistungen im Internet hingewiesen worden. Die Klägerin habe mit der erforderlichen Werbeabsicht gehandelt. Dahinstehen könne, ob diese Absicht bereits auf der Grundlage von § 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 RStV anzunehmen sei, weil die Klägerin für die werblichen Hervorhebungen ein Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung erhalten habe. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Darstellung des Schriftzugs von "Fulltiltpoker.net" in "Learn from the Pros" und einem etwaigen der Klägerin gewährten Preisnachlass für die Übertragungsrechte an dieser Produktion könne nicht ohne Weiteres festgestellt werden. Deshalb müsse der Frage, ob das von der Klägerin gezahlte Entgelt branchenüblich gewesen sei, nicht nachgegangen werden. Bei einem Nichteingreifen des § 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 RStV könne jedoch auf Grund von Indizien auf eine Werbeabsicht des Rundfunkveranstalters im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 RStV geschlossen werden. Die Werbeabsicht der Klägerin ergebe sich - unabhängig von der insoweit schon bedeutsamen objektiven Werbewirkung der Präsentation - aus der Intensität der werblichen Darstellungen und der Alleinstellung des beworbenen Angebots. Die Grundsätze über die sog. aufgedrängte Werbung, nach denen Werbeeffekte aus programmlich-dramaturgischen Gründen zur Darstellung der realen Umwelt oder im Rahmen der Wahrnehmung von Informationspflichten gerechtfertigt sein könnten, griffen nicht ein. Da "Learn from the Pros" ein inszeniertes Geschehen dargestellt habe, habe sich die Klägerin nicht auf die Wahrnehmung von Informationspflichten berufen können. Auch programmlich-dramaturgische Gründe hätten die gehäufte Darstellung des Logos von "Fulltiltpoker.net" nicht erfordert. Der Schriftzug sei vielmehr unabhängig von derartigen Gründen immer dann platziert worden, wenn mit einer besonderen Aufmerksamkeit der Zuschauer habe gerechnet werden können. Als Rundfunkveranstalterin habe die Klägerin die Sendung zu verantworten und könne sich nicht darauf zurückziehen, dass es sich um eine Fremdproduktion gehandelt habe. Durch die Ausstrahlung der Sendung mit den in dieser erkennbar enthaltenen starken Werbeelementen habe die Klägerin belegt, dass es ihr auf die Werbewirkung angekommen sei. Die werblichen Darstellungen seien allein deshalb, weil sie nicht als solche gekennzeichnet gewesen seien, zur Täuschung der Allgemeinheit über ihren eigentlichen Zweck geeignet gewesen.
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Mit ihrer von dem Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter: Eine Absicht des Rundfunkveranstalters zur werbenden Produktintegration in eine Sendung könne grundsätzlich nur angenommen werden, wenn der Veranstalter auf die Sendungsgestaltung habe einwirken können. Eine solche Einwirkungsmöglichkeit sei bei Eigen-, Auftrags- und Koproduktionen gegeben, nicht aber im vorliegenden Fall einer Fremdproduktion, in dem es der Klägerin zudem lizenzvertraglich untersagt gewesen sei, die Darstellungen des Logos von "Fulltiltpoker.net" zu entfernen. Dann sei die Annahme einer Werbeabsicht nur gerechtfertigt, wenn Indizien hinzuträten, die eindeutig belegten, dass der Rundfunkveranstalter trotz fehlender Beteiligung an der Gestaltung der Sendung gezielt zur Absatzförderung beitragen wolle. Zum Kreis dieser Indizien gehörten die objektiv werbende Wirkung einer Präsentation sowie deren Intensität oder Alleinstellung nicht. Die bloße Erkennbarkeit der Werbeabsicht eines unabhängigen Dritten könne nicht dazu führen, dass dem Rundfunkveranstalter diese Absicht zugerechnet bzw. seine Verantwortlichkeit für die entsprechende Produktion begründet werde. Unabhängig hiervon habe der Verwaltungsgerichtshof für die Hinweise auf "Fulltiltpoker.net" in "Learn from the Pros" zu Unrecht eine besonders intensive Werbewirkung angenommen, da der Handlungsverlauf der Sendung im Vordergrund gestanden habe und die Zuschauer an das Vorkommen von Werbung im Zusammenhang mit Pokerspielen gewöhnt seien. Auch spreche der Umstand, dass die Klägerin für die Produktion ein Lizenzentgelt gezahlt habe, dessen marktkonforme Höhe von den Vorinstanzen nicht bezweifelt worden sei, gegen ihre Werbeabsicht. Der Verwaltungsgerichtshof habe ferner die Grundsätze über die aufgedrängte Werbung unzutreffend angewandt, denn die Werbung in "Learn from the Pros" sei mit derjenigen in einem Bericht über eine Sportveranstaltung vergleichbar und scheide wie diese als tauglicher Bezugspunkt für eine Werbeabsicht aus. Im Übrigen sei die Bewertung, ob in einer Sendung die Grenze der hinnehmbaren aufgedrängten Werbung überschritten werde, vor dem Hintergrund der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG garantierten Rundfunkfreiheit allein durch den Rundfunkveranstalter vorzunehmen. Schließlich sei in den Fällen der aufgedrängten Werbung und so auch hier der Werbecharakter der jeweiligen Darstellungen offensichtlich, so dass die Gefahr einer Irreführung der Allgemeinheit nicht bestehe.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und begehrt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet und deshalb gemäß § 144 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Verletzung der Bestimmungen des Staatsvertrags für Rundfunk und Telemedien (Rundfunkstaatsvertrag - RStV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juli 2001 (BayGVBl S. 502), für die hier maßgebliche Zeit zuletzt geändert durch den am 1. April 2010 in Kraft getretenen Dreizehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag (BayGVBl S. 145), die nach § 48 RStV revisibel sind, noch auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
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-
Die Rechtsgrundlage für die an die Klägerin gerichtete Beanstandungsverfügung bilden die Regelungen in § 38 Abs. 2, § 39 Satz 1 RStV. Danach trifft bei einem - hier gegebenen - bundesweiten Angebot die zuständige Landesmedienanstalt die erforderlichen Maßnahmen, wenn sie feststellt, dass ein Anbieter gegen die Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrags verstoßen hat. Zum Kreis der insbesondere in Betracht kommenden Maßnahmen gehört die Beanstandung. Durch diese Regelung wird die zuständige Landesmedienanstalt im Falle eines Rechtsverstoßes zum Einschreiten verpflichtet, die Wahl des konkreten Aufsichtsmittels jedoch in ihr Ermessen gestellt (vgl. Hartstein u.a.
, RStV, Stand: Dezember 2015, § 38 RStV Rn. 8).
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Dass die angegriffene Beanstandungsverfügung von dieser Rechtsgrundlage getragen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof vor dem Hintergrund der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO binden, zutreffend entschieden. Die Beklagte hat die Verfügung im Hinblick auf die von der Klägerin ausgestrahlte Sendung "Learn from the Pros" ohne Verletzung einer die Klägerin schützenden formell-rechtlichen Vorschrift des Rundfunkstaatsvertrags (1.) wegen der gegen das materielle Verbot der Schleichwerbung aus § 7 Abs. 7 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 8 RStV verstoßenden Hinweise auf "Fulltiltpoker.net" (2.) in ermessensfehlerfreier Auswahl des Aufsichtsmittels (3.) erlassen. Die in Rede stehenden Vorschriften sind durch den von dem Verwaltungsgerichtshof unzutreffenderweise herangezogenen Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag (BayGVBl 2011 S. 258, ber. S. 404), der nach dem Scheitern des Vierzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrags erst am 1. Januar 2013 und damit sowohl nach der Ausstrahlung der Sendung "Learn from the Pros" am 12. April 2010 als auch nach dem Erlass des angefochtenen Beanstandungsbescheids am 23. November 2011 in Kraft trat, nicht geändert worden. Wegen der Maßgeblichkeit des Dreizehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrags für beide Daten kann auch offenbleiben, ob maßgeblich für die gerichtliche Überprüfung einer Beanstandung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Ausstrahlung der Sendung oder des Erlasses der Verfügung ist.
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1. In formell-rechtlicher Hinsicht war die Beklagte, die der Klägerin die Zulassung als Veranstalterin von bundesweit verbreitetem Rundfunk erteilt hatte (vgl. zur insoweit übereinstimmenden Rechtsstellung der Anbieter nach bayerischem Landesrecht: BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 1998 - 1 BvR 661/94 - BVerfGE 97, 298 <310 ff.>; BVerwG, Urteil vom 6. Mai 2015 - 6 C 11.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:060515U6C11.14.0] - BVerwGE 152, 122 Rn. 24), die gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1, § 36 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 RStV für den Erlass der angefochtenen Beanstandungsverfügung zuständige Landesmedienanstalt. Die Beklagte bediente sich dabei, wie durch § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2, § 36 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 RStV vorgeschrieben, der zur bundesweiten Medienaufsicht berufenen Kommission für Zulassung und Aufsicht der Landesmedienanstalten (ZAK).
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Nicht im Einklang mit formellem Recht handelte die Beklagte insoweit, als sie unter Verstoß gegen § 35 Abs. 9 Satz 6 RStV die Frist von sechs Wochen nicht eingehalten hat, die ihr die ZAK für die Umsetzung der von ihr unter dem 26. Oktober 2010 beschlossenen Beanstandung gesetzt hatte. Dieser Verfahrensfehler kann allerdings nicht zum Erfolg der Klage führen. Denn der Fristenregelung des § 35 Abs. 9 Satz 6 RStV kommt jedenfalls kein individualschützender Charakter im Hinblick auf die der Medienaufsicht unterworfenen Rundfunkveranstalter zu. Die Vorschrift dient der Verfahrensbeschleunigung (Grünwald, in: Spindler/Schuster
, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl. 2015, § 35 RStV Rn. 25), dies jedoch ersichtlich allein mit dem Ziel einer Effektuierung der Beschlüsse der Organe nach § 35 Abs. 2 RStV in dem Verhältnis zu den jeweils zuständigen Landesmedienanstalten, die gemäß § 35 Abs. 9 Satz 5 RStV an diese Beschlüsse gebunden sind, und nicht mit Blick auf ein etwaiges Interesse der Rundfunkveranstalter an einer möglichst umgehenden Entscheidung über eine in Betracht kommende Belegung mit einer Aufsichtsmaßnahme.
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2. In der Sache stellt der Bescheid der Beklagten vom 23. November 2011 in seiner Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof (a.) und nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zu Recht fest, dass die von der Klägerin ausgestrahlte Sendung "Learn from the Pros" mit den in sie integrierten Hervorhebungen von "Fulltiltpoker.net" nach § 7 Abs. 7 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 8 RStV verbotene Schleichwerbung enthielt (b.).
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a. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Bescheid dahingehend ausgelegt, dass sich die ausgesprochene Beanstandung nicht auf die in der Sendung "Learn from the Pros" vorkommenden einzelnen Hinweise auf "Fulltiltpoker.net" bezieht, die in dem Bescheidtenor als Schleichwerbung umschrieben werden, sondern dass Beanstandungsgegenstand die Sendung in ihrer Gesamtheit ist. Diese Auslegung bindet das Revisionsgericht. Sie entspricht unabhängig davon dem Regelungskonzept des Rundfunkstaatsvertrags, der Schleichwerbung in § 2 Abs. 2 Nr. 8 RStV unter Bezugnahme auf Sendungen definiert und - wie im Weiteren auszuführen sein wird - für ihre Identifizierung eine wertende Gesamtbetrachtung voraussetzt, die nicht auf einzelne Bestandteile von Sendungen beschränkt werden kann.
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b. Die Sendung "Learn from the Pros" verletzte das Schleichwerbungsverbot des § 7 Abs. 7 Satz 1 RStV. Die Merkmale des in § 2 Abs. 2 Nr. 8 RStV legal definierten, uneingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegenden Schleichwerbungstatbestands (aa.) - eine objektiv werberelevante Präsentation (bb.), die subjektiv mit Werbeabsicht vorgenommen wird (cc.) und objektiv die Allgemeinheit hinsichtlich ihres eigentlichen Zwecks irreführen kann (dd.) - sind erfüllt.
- 16
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aa. Die Auslegung und Anwendung des Schleichwerbungstatbestands unterliegt vollständiger gerichtlicher Kontrolle. Um vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG eine Einschränkung der Überprüfung seitens der Verwaltungsgerichte durch die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums der Landesmedienanstalten rechtfertigen zu können, fehlt es hier wie auch sonst bei den werberechtlichen Vorschriften des § 7 RStV (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 2015 - 6 C 17.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:141015U6C17.14.0] - NVwZ-RR 2016, 142 <146> und auch schon BVerwG, Urteil vom 23. Juli 2014 - 6 C 31.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:230714U6C31.13.0] - BVerwGE 150, 169 Rn. 48) an der besonderen Komplexität der Entscheidungsfindung als einem hinreichend gewichtigen Sachgrund (allgemein zu den Voraussetzungen der Annahme von behördlichen Letztentscheidungsrechten: BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 2014 - 6 C 18.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:101214B6C18.13.0] - BVerwGE 151, 56 Rn. 31). Dementsprechend handelt es sich bei den Bestimmungen zur Durchführung des § 7 RStV in den nach § 46 Satz 1 RStV erlassenen Gemeinsamen Richtlinien der Landesmedienanstalten für die Werbung, die Produktplatzierung, das Sponsoring und das Teleshopping im Fernsehen (Werberichtlinien/Fernsehen), die der angefochtene Bescheid in ihrer Fassung vom 23. Februar 2010 anführt und die mittlerweile in der Fassung vom 18. September 2012 gelten, nicht um normkonkretisierende, sondern um norminterpretierende Verwaltungsvorschriften (BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 2015 - 6 C 17.14 - NVwZ-RR 2016, 142 <145>).
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bb. Für die Bejahung des Schleichwerbungsmerkmals der objektiv werberelevanten Präsentation hat sich der Verwaltungsgerichtshof auf die von ihm getroffene tatrichterliche Feststellung gestützt, dass in "Learn from the Pros" das Logo von "Fulltiltpoker.net" in nahezu jeder Einstellung - auf einem großen Bildschirm zwischen zwei das Spielgeschehen kommentierenden Personen, auf animierten und tatsächlichen Spielchips, in den sog. Bauchbinden, in erklärenden Animationen, auf Spielkartenrückseiten und auf Tafeln der Studiodekoration - dargestellt wurde.
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Die Heranziehung dieses tatsächlichen Substrats als schleichwerbungsrelevant begegnet keinen Bedenken. Es handelt sich durchweg um in die Sendung integrierte Hervorhebungen von "Fulltiltpoker.net". Zu Recht nicht berücksichtigt hat der Verwaltungsgerichtshof demgegenüber den in dem Tenor des Beanstandungsbescheids der Beklagten mit aufgeführten Umstand, dass in zwei Spots das von "Fulltiltpoker.net" ausgerichtete Pokerturnier "Heads Up - das Pokerduell" beworben wurde. Diese Spots waren nach Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs in nach Maßgabe des § 7 Abs. 3 RStV nicht zu beanstandenden Werbeinseln enthalten.
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Anknüpfend an das beschriebene Substrat hat der Verwaltungsgerichtshof in tatsächlicher Hinsicht die weitere Feststellung getroffen, dass durch die Darstellungen des Logos von "Fulltiltpoker.net" generell auf die unter der Marke "Fulltiltpoker" angebotenen Dienstleistungen im Internet - das heißt nicht nur auf das auf der seinerzeitigen Internetseite von "Fulltiltpoker.net" selbst bereitgehaltene, nach Feststellung des Verwaltungsgerichtshofs kostenlose Angebot für Pokerspieler - hingewiesen wurde.
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cc. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs, dass die Klägerin die objektiv werberelevante Präsentation von "Fulltiltpoker.net" in der Sendung "Learn from the Pros" subjektiv zu Werbezwecken beabsichtigt hat, steht im Einklang mit revisiblem Recht. Der Verwaltungsgerichtshof konnte es dahinstehen lassen, ob die Klägerin für die entsprechenden Hinweise ein Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung erhalten hat und die Annahme einer Werbeabsicht deshalb auf § 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 RStV gestützt werden kann, ohne gehindert zu sein, eine solche Absicht auf der Grundlage von Satz 1 der Vorschrift aus den objektiven Umständen des Falles herzuleiten ((1)). Die hierfür erforderliche, in Gestalt einer wertenden Gesamtbetrachtung vorzunehmende Prüfung, ob die sendungsintegrierten werberelevanten Darstellungen durch programmlich-redaktionelle Erfordernisse gerechtfertigt waren ((2)), hat der Verwaltungsgerichtshof der Sache nach durchgeführt und eine Rechtfertigung in nicht zu beanstandender Weise verneint ((3)).
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(1) Durch den Umstand, dass eine Entgeltlichkeit im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 RStV nicht festgestellt ist, wird eine Anwendung des § 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 RStV nicht gesperrt. Dieses Normverständnis ist bereits nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 RStV geboten, wonach eine Werbeabsicht "insbesondere" bei Feststellung eines Entgelts oder einer ähnlichen Gegenleistung als gegeben gilt. Es wird darüber hinaus nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union von den unionsrechtlichen Grundlagen des rundfunkstaatsvertraglichen Schleichwerbungsverbots gefordert (vgl. EuGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - C-52/10 [ECLI:EU:C:2011:374], Alter Channel - Rn. 18 ff. zu der Vorgängervorschrift von Art. 1 Buchst. j der Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 - AVM-Richtlinie
bzw. von Art. 1 Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 - AVMD-Richtlinie ).
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Aus eben diesen Gründen wird, wenn ein Rundfunkveranstalter - wie es die Klägerin für sich in Anspruch nimmt - seinerseits ein marktübliches Lizenzentgelt für eine mit werbenden Aussagen versehene Produktion gezahlt hat, die Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 RStV auch nicht dergestalt in ihr Gegenteil verkehrt, dass diese Aussagen nicht als zu Werbezwecken beabsichtigt gälten. Für die Werbeabsicht als Merkmal der in § 2 Abs. 2 Nr. 8 RStV legal definierten Schleichwerbung ist in Bezug auf ein Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung im Sinne des Satzes 2 der Vorschrift der Rundfunkveranstalter nur als Nehmender und nicht als Gebender von Belang.
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(2) Das Schleichwerbungsmerkmal der Werbeabsicht des Rundfunkveranstalters nach § 2 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 RStV ist als innere Tatsache auf Grund objektiver Umstände festzustellen. Ist nach diesen Umständen die in eine Sendung integrierte werbliche Darstellung eines Produkts durch programmlich-redaktionelle Erfordernisse gerechtfertigt, liegt eine Werbeabsicht nicht vor. Dies hat der Senat in Abgrenzung zu den hier gemäß § 63 RStV nicht anwendbaren Regeln über die Produktplatzierung im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 11 RStV in § 7 Abs. 7 Satz 2 bis 6, §§ 15 und 44 RStV bereits entschieden (BVerwG, Urteil vom 23. Juli 2014 - 6 C 31.13 - BVerwGE 150, 169 Rn. 24, 26; vgl. in diesem Sinne auch: Ziffer 4 Abs. 2 Nr. 1 Werberichtlinien/Fernsehen 2012; Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf bestimmte Aspekte der Bestimmungen der Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen" über die Fernsehwerbung, ABl. C <2004> 102 S. 2, Nr. 33 f.). Der Maßstab zielt auf die Bewältigung der Problematik einer Darstellung von Werbung als Teil der Realität in dokumentarischen und fiktionalen Programmen (vgl. Ladeur, in: Hahn/Vesting
, Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 3. Aufl. 2012, § 7 RStV Rn. 2). Bei der Anwendung des Maßstabs muss eine wertende Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls vorgenommen werden. In deren Rahmen ist wegen der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Programmfreiheit des Rundfunkveranstalters (dazu allgemein: BVerfG, Beschlüsse vom 20. Februar 1998 - 1 BvR 661/94 - BVerfGE 97, 298 <310> und vom 26. Oktober 2005 - 1 BvR 396/98 - BVerfGE 114, 371 <389>) dessen programmlich-redaktionelles Konzept in den Blick zu nehmen und an dem Zweck des Schutzes der Zuschauer vor einer Irreführung über die Bedeutung des Sendegeschehens zu messen, dem das Schleichwerbungsverbot des § 7 Abs. 7 Satz 1 RStV nicht anders dient als die in § 7 Abs. 3 Satz 1 und 3 RStV enthaltenen Gebote, dass Werbung leicht erkennbar und vom redaktionellen Inhalt einer Sendung unterscheidbar sowie - vorbehaltlich bereichsspezifischer Modifizierungen etwa in Form einer ausnahmsweise zulässigen Produktplatzierung - von anderen Sendungsteilen eindeutig abgesetzt sein muss (zu diesen Geboten: BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 2015 - 6 C 17.14 - NVwZ-RR 2016, 142 <143>; vgl. auch: BVerwG, Urteil vom 23. Juli 2014 - 6 C 31.13 - BVerwGE 150, 169 Rn. 43 sowie zu der entsprechenden unionsrechtlichen Vorgabe in Art. 19 Abs. 1 Satz 1 AVMD-Richtlinie: EuGH, Urteil vom 17. Februar 2016 - C-314/14 [ECLI:EU:C:2016:89], Samona Media - Rn. 29 ff.). Es muss also in einem ersten Schritt das programmlich-redaktionelle Konzept des Rundfunkveranstalters für die jeweilige Sendung festgestellt und in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob nach Maßgabe dieses Konzepts die in die Sendung integrierte Darstellung von Werbung in ihrem Bezug zur Realität nachvollziehbar ist. Da sich nach einer solchen auf den Einzelfall bezogenen wertenden Gesamtbetrachtung die Grenze zwischen redaktionell gerechtfertigten und nach dem Schutzzweck des Schleichwerbungsverbots unzulässigen sendungsintegrierten werblichen Darstellungen regelmäßig als fließend darstellen wird, sind objektive Indizien, in denen eine Werbeabsicht des Rundfunkveranstalters in der Regel ihren Ausdruck findet, in die Betrachtung einzubeziehen. An erster Stelle zu nennen ist insoweit die Intensität der jeweiligen Werbeaussagen. Danach kann gegebenenfalls eine Werbeaussage, sofern sie in zurückhaltender Form angebracht wird, als gerechtfertigt, bei einer gesteigerten Intensität dagegen als nicht mehr nachvollziehbar erscheinen (vgl. die Ansätze zu einer derartigen wertenden Gesamtbetrachtung: BGH, Urteil vom 22. Februar 1990 - I ZR 78/88 - BGHZ 110, 278 <287>; OVG Lüneburg, Urteil vom 15. Dezember 1998 - 10 L 3927/96 - NVwZ-RR 2000, 96; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Juni 2007 - 11 N 2/07 - NVwZ-RR 2007, 681 <682>; Goldbeck, in: Paschke/Berlit/Meyer , Hamburger Kommentar - Gesamtes Medienrecht, 3. Aufl. 2016, Abschnitt 26 Rn. 29, 148, 159 ff.).
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Entgegen der Ansicht der Klägerin ist es für diese Prüfung prinzipiell unerheblich, ob es sich bei der von dem Rundfunkveranstalter ausgestrahlten Sendung um eine Eigen-, Auftrags- bzw. Koproduktion oder um eine Fremdproduktion handelt. Der Senat hat in seiner Rechtsprechung keinen Zweifel daran gelassen, dass die werbebezogenen Vorschriften des Rundfunkstaatsvertrags an die Rundfunkveranstalter adressiert sind und sich bereits aus diesem Umstand die Verantwortlichkeit eines Veranstalters für die von ihm verbreiteten Werbeinhalte ergibt (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2014 - 6 C 32.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:171214U6C32.13.0] - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 71 Rn. 21; der Sache nach ebenso: Urteil vom 6. Mai 2015 - 6 C 11.14 - BVerwGE 152, 122 Rn. 22). Hiernach übernimmt ein Rundfunkveranstalter, der eine fremdproduzierte Sendung ausstrahlt, in programmlich-redaktioneller Hinsicht deren Konzept ungeachtet der von ihm jeweils eingegangenen lizenzvertraglichen Verpflichtungen. Für die zur Feststellung seiner Werbeabsicht durchzuführende wertende Gesamtbetrachtung gelten damit grundsätzlich keine Besonderheiten.
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(3) Der Verwaltungsgerichtshof hat der Sache nach unter Beachtung dieser Maßgaben und auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen in nicht zu beanstandender Weise auf eine Werbeabsicht der Klägerin geschlossen.
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Der Verwaltungsgerichtshof ist unter dem Gesichtspunkt der sog. aufgedrängten Werbung von der Maßgeblichkeit einer programmlich-redaktionellen Rechtfertigung von sendungsintegrierter Werbung ausgegangen. Wie sein Verweis auf ein insoweit aussagekräftiges Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 22. Februar 1990 - I ZR 78/88 - BGHZ 110, 278 <287>) belegt, hat er ferner erkannt, dass bei der zu treffenden Entscheidung die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Programmfreiheit des Rundfunkveranstalters Berücksichtigung finden muss. In tatsächlicher Hinsicht bedeutsam sind seine Feststellungen, dass die Produktion "Learn from the Pros" allein zur Übertragung im Fernsehen inszeniert worden war, und dass die werbende Hervorhebung von "Fulltiltpoker.net" von ihrer Intensität her die gesamte ausgestrahlte Sendung prägte. Diese tatsächlichen Feststellungen hat die Klägerin nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen. Sie hat ihnen nur ihr für die revisionsgerichtliche Entscheidung nicht erhebliches abweichendes Verständnis des Sendungsverlaufs entgegengesetzt. Den Verwaltungsgerichtshof konnte eine wertende Gesamtbetrachtung der Sendung "Learn from the Pros" vor dem von ihm festgestellten tatsächlichen Hintergrund zu keinem anderen Ergebnis als der Annahme einer Werbeabsicht der Klägerin führen. Nach dem von der Klägerin mit der Ausstrahlung übernommenen programmlich-redaktionellen Konzept eines inszenierten Unterhaltungsformats mit Tipps zur Vervollkommnung des Pokerspiels - einer Art Pokerschule - bestand kein nachvollziehbares Bedürfnis für die in die Sendung integrierte, praktisch stets gegenwärtige Präsentation des Logos von "Fulltiltpoker.net".
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dd. Schließlich steht auch die Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs, dass mit der werbenden Präsentation von "Fulltiltpoker.net" bereits wegen ihrer nicht gekennzeichneten Integration in die Sendung "Learn from the Pros" eine Irreführung der Allgemeinheit über den von der Klägerin beabsichtigten Werbezweck drohte, im Einklang mit dem rundfunkstaatsvertraglichen Begriff der Schleichwerbung. Der Senat hat in seiner Rechtsprechung einen Grundsatz mit einem entsprechenden allgemeinen Inhalt anerkannt (BVerwG, Urteil vom 23. Juli 2014 - 6 C 31.13 - BVerwGE 150, 169 Rn. 26). Die Offensichtlichkeit des werblichen Charakters einer Darstellung ändert an der Anwendung dieses Grundsatzes nichts.
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3. Dass die Beklagte das ihr im Hinblick auf die Auswahl des Aufsichtsmittels eingeräumte Ermessen mit der Wahl der Beanstandung fehlerfrei ausgeübt hat, hat der Verwaltungsgerichtshof zu Recht nicht in Frage gestellt.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 25.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
II.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 25.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
II.