Verwaltungsgericht Münster Beschluss, 29. Apr. 2015 - 1 L 417/15.A
Gericht
Tenor
Die Anträge werden abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
1
G r ü n d e
2Der Antrag des Antragstellers,
3ihm unter Beiordnung von Rechtsanwalt L. aus Hannover Prozesskostenhilfe zu bewilligen,
4ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung aus den nachfolgend genannten Gründen nicht die gemäß § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
5Der – unter Berücksichtigung von § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG sinngemäß auszulegende – Antrag des Antragstellers,
6die aufschiebende Wirkung seiner Klage 1 K 694/15.A gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. März 2015 anzuordnen,
7ist zulässig, aber unbegründet.
8Die nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Abwägung der widerstreitenden Interes-sen fällt zum Nachteil des Antragstellers aus. Sein Aussetzungsinteresse über-wiegt nicht ausnahmsweise das nach der gesetzlichen Wertung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 34 a Abs. 2 Satz 1, § 75 Absatz 1 AsylVfG grundsätzlich vorrangige öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes möglichen und gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage ist die Entscheidung der Antragsgegnerin vom 11. März 2015, mit der der Antrag auf Durchführung eines Asylverfahrens abgelehnt und die Abschiebung nach Italien angeordnet wurde, nicht zu beanstanden.
9Der Asylantrag des Antragstellers ist gemäß § 27a AsylVfG unzulässig und die Anordnung der Abschiebung nach Italien entspricht den Anforderungen des § 34a Abs.1 Satz 1 AsylVfG. Die italienischen Behörden haben innerhalb der Frist von zwei Monaten (Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO) keine Antwort auf das Aufnahmegesuch der Antragsgegnerin gemäß Art. 21 Dublin III-VO in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 und Art. 18 Abs. 1 lit. a) Dublin III-VO vom 16. Dezember 2014 erteilt. Ohne Antwort innerhalb der Zweimonatsfrist wird gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO davon ausgegangen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.
10Dafür, dass das Konzept der normativen Vergewisserung, welches den §§ 26 a, 27 a, 34 a AsylVfG sowie der Dublin III-VO zugrunde liegt, hinsichtlich Italiens entfallen wäre, bestehen entgegen der Auffassung des Antragstellers keine hinreichenden Anhaltspunkte. Der Flüchtlingsschutz mit dem Grundsatz der Nichtzurückweisung und der Schutz der Menschenrechte sind in Italien gewährleistet. Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe dafür bestehen, dass der Antragsteller aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta bzw. des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Grundlage ist zunächst die auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründende Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK.
11Diese Vermutung wird nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit widerlegt. Die Widerlegung der Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
12BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, Rn. 9 des Beschlussabdrucks.
13Hiervon ausgehend kommt das Gericht – auch unter Berücksichtigung gegenteiliger Rechtsprechung und Auskünfte – zu dem Ergebnis, dass Italien über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz gegebenenfalls vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates Italien vorläge, welches für „Dublin-Rückkehrer“ wie den Antragsteller nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
14Der Einzelrichter schließt sich in Anknüpfung an die bisherige Rechtsprechung der Kammer,
15vgl. VG Münster, Beschlüsse vom 16. Juli 2012 – 1 L 328/12.A –, 8. Oktober 2012 – 1 L 574/12.A – und 23. September 2013 – 1 L 488/13.A –,
16der Bewertung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,
17OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –,
18sowie weiterer Obergerichte an.
19Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13 –, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. April 2014 – A 11 S 1721/13 –, juris; Bayerischer VGH, Urteil vom 28. Februar 2014 – 13a B 13.30295 –, juris; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 30. Januar 2014 – 4 LA 167/13 –, juris.
20Die Gefährdungsprognose, die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen vorgenommen hat, ist auf den vorliegenden Fall übertragbar. Der Antragsteller hat in Italien noch keinen Asylantrag gestellt. Er ist weder als Flüchtling anerkannt worden, noch hat er einen subsidiären Schutzstatus erlangt. Bei seiner Rücküberstellung nach Italien ist davon auszugehen, dass er ein Asylverfahren einleiten kann und wie andere Asylbewerber behandelt wird.
21An dieser Bewertung ändert auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte,
22EGMR, Urteil vom 4. November 2014 – 29217/12 – (Tarakhel),
23nichts. Das Urteil betrifft einen anderen, nicht vergleichbaren Fall. Denn im dort entschiedenen Fall wurde eine unmenschliche Behandlung gemäß Art. 3 EMRK deshalb angenommen, weil angesichts der schlechten Aufnahmesituation die italienischen Behörden keine Garantien dafür gegeben hätten, dass für die Familie in einer Weise, die den Kindern angemessen sei, gesorgt werde und dass die Familie zusammenbleibe. Auf den Antragsteller, der ohne Kinder nach Italien überstellt werden soll, treffen diese Bedenken nicht zu. Im Übrigen hat das italienische Innenministerium inzwischen als Reaktion auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte durch eine generelle Erklärung garantiert, dass alle Familien mit kleinen Kindern nach einer Rückführung gemäß der Dublin-Vereinbarung zusammenbleiben und in einer den familiären Verhältnissen und dem Kindesalter entsprechenden Unterkunft versorgt werden. Weiteres kann der Antragsteller aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht herleiten. Dies gilt namentlich auch in Anbetracht einer jüngst ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wonach die Überstellung eines jungen gesunden Mannes – wie dies auch auf den Antragsteller zutrifft – nach Italien keinen durchgreifenden Bedenken unterliegt,
24EGMR, Entscheidung vom 13. Januar 2015 – 51428/10 – (A.M.E.).
25Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1VwGO, § 83b AsylVfG.
moreResultsText
Annotations
(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.
(2) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.
(3) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.
(4) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 2 und 3 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.
(5) § 87a Absatz 3 gilt entsprechend.
(6) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 2 und 3 kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.
(7) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 2 bis 6 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.
(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.
(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.