Verwaltungsgericht München Urteil, 04. Juli 2017 - M 4 K 16.1203

bei uns veröffentlicht am04.07.2017

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland.

Der Kläger ist serbischer Staatsangehöriger. Er ist … in München geboren und in Deutschland aufgewachsen. Seit März 2015 ist er mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Mit ihr hat er zwei 2011 und 2014 geborene Söhne. Die Ehefrau ist erneut schwanger.

Die dem Kläger zuletzt erteilte Aufenthaltserlaubnis lief am 19. August 2016 ab, ohne dass der Kläger bislang einen Antrag auf Verlängerung oder Neuerteilung gestellt hat.

Strafrechtlich ist der Kläger bisher wie folgt auffällig geworden:,

– Amtsgericht München, B.v. ... März 2009, 1034 Ds 463 … … vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis, Einstellung nach § 47 JGG gegen richterliche Weisung

– Amtsgericht München, B.v. ... April 2009, 1033 Ds 463 … …, vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis, richterliche Weisung und Erbringung von Arbeitsleistungen

– Amtsgericht München, B.v. … Juni 2009, 1033 Ds 463 … …, gefährliche Körperverletzung in Tatmehrheit mit Raub in Mittäterschaft, 4 Wochen Jugendarrest

– Amtsgericht München, U.v. ... Oktober 2010, 1034 Ds 463 … …, vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen, 4 Tage Jugendarrest

– Amtsgericht München, U.v. … November 2010, 1031 Ds 462 … …, gefährliche Körperverletzung, unter Einbeziehung des Urteils v. ... Oktober 2010, richterliche Weisung und 1 Woche Jugendarrest

– Amtsgericht München, U.v. … August 2011, 1026 Ls 457 … …, nach Maßgabe der Abänderung im Rechtsfolgenausspruch durch das Urteil des Landgerichts München I v. … November 2011 (JNs 457 … …); Diebstahl in Mittäterschaft in Tatmehrheit mit fahrlässiger Gefährdung im Straßenverkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit unerlaubten Entfernen vom Unfallort, in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tatmehrheit mit drei tateinheitlichen Fällen des Diebstahls in einem besonders schweren Fall, in zwei Fällen im Versuch begangen in Tateinheit mit Sachbeschädigung in Mittäterschaft. 1 Jahr und 6 Monate Jugendstrafe

– Der Verurteilung lag unter anderem zugrunde, dass der Kläger mittäterschaftlich aus dem Umkleideraum einer Berufsschule zwei Handys und einen iPod entwendete.

Weiterhin fuhr er alkoholisiert und fahruntüchtig ohne Fahrerlaubnis in einer 30er-Zone mit 80 km/h, wodurch er einen fremden Pkw beschädigte, an dem ein Sachschaden von 4.000,- EUR entstand.

Zudem brach der Angeklagte mittäterschaftlich mehrere Spinde im Gesundheitszentrum am Giesinger Bahnhof auf, um Wertgegenstände zu stehlen.

– Amtsgericht München, U.v. … Februar 2012, 1034 Ls 461 … … jug, versuchter schwerer Raub - 2 Jahre 9 Monate Gesamtjugendstrafe unter Einbeziehung des Urteils v. … November 2011; am 28. Februar 2013 Haftentlassung und Aussetzung des Strafrests zur Bewährung bis 8. März 2016. Der Kläger und seine Mittäter wollten dem Geschädigten Geld und/oder Betäubungsmittel entwenden. Dafür versuchten sie, ihn in seiner Wohnung durch Vorhalten eines ungeladenen Gasrevolvers zur Herausgabe von Wertsachen zu bringen. Sie durchsuchten seine Wohnung und brachen ihr Vorhaben ab, da der Geschädigte nichts Stehlenswertes in seiner Wohnung hatte.

Mit Schreiben vom 4. Dezember 2012 hatte die Beklagte den Kläger aufenthaltsrechtlich verwarnt und ihn auf eine drohende Ausweisung bei erneuter Straffälligkeit hingewiesen. Dennoch kam es erneut zu einer Verurteilung:

– AG München, U.v. ... Juni 2015, Räuberischer Diebstahl in Mittäterschaft in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Gesamtjugendstrafe von 3 Jahre 6 Monaten unter Einbeziehung der Urteile v. … November 2011 und vom … Februar 2012. Der Kläger und der Mittäter brachen in eine Wohnung ein und entwendeten Gegenstände im Gesamtwert von mindestens 11.000,- EUR sowie einen Wandtresor. Um den Tresor transportieren zu können, „unterbrachen“ sie den Diebstahl kurz und holten einen Koffer aus der nahe gelegenen Wohnung des Klägers. Sie kamen zurück und packten den Tresor ein. Beim Verlassen des Hauses trafen sie auf den Geschädigten, der die Polizei informieren wollte. Es kam zu einem Gerangel, bei dem der Kläger dem Geschädigten unter anderem mit der Faust ins Gesicht schlug.

Mit Bescheid vom 26. Februar 2016 wies die Beklagte den Kläger aus dem Bundesgebiet aus (Ziff. 1). Die Beklagte erteilte unter der Bedingung der Straffreiheit ein fünfjähriges, anderenfalls ein achtjähriges Einreise- und Aufenthaltsverbot (Ziff. 2). Sie drohte die Abschiebung aus der Haft nach Serbien an, sobald der Strafanspruch erfüllt und die Ausreisepflicht vollziehbar seien; bei vorzeitiger Haftentlassung werde der Kläger abgeschoben, wenn er das Bundesgebiet nicht binnen 4 Wochen nach Haftentlassung verlasse (Ziff. 3). Die Sperrfrist in Ziff. 2 wurde von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 4. Juli 2017 auf vier bzw. sieben Jahre verkürzt.

In ihrer Begründung bezog sich die Beklagte im Wesentlichen auf die Straffälligkeit des Klägers seit dessen vierzehntem Lebensjahr. Der Kläger habe unbeeindruckt jeglicher Strafen und laufender Verfahren in sehr kurzen Abständen regelmäßig neue, stets schwerere, Straftaten begangen. Weder der vierwöchige Jugendarrest noch die erste lange Haftstrafe hätten auf den Kläger eingewirkt. Eine Ausbildungszusage zum Kfz- … für September 2011 habe sich der Kläger zunichte gemacht, da er wegen seiner Straffälligkeit inhaftiert worden sei. Die in der ersten Haft begonnene Ausbildung zum Kfz- … habe er zwar nach Haftentlassung Anfang 2013 fortgesetzt, dann sei er jedoch erneut straffällig geworden. Dem Kläger habe auch nicht geholfen, dass er stets ein stabiles soziales Umfeld gehabt habe. Trotz Familie, Freundin/Frau und Kinder habe er es nicht geschafft, ein straffreies Leben zu führen. Weder die Geburten seiner Kinder noch sein Ausbildungsplatz hätten ihn zu einem Umdenken veranlasst. Der Kläger habe sich zu keiner Zeit bemüht, sich nachhaltig zu integrieren.

Die Beklagte ließ dabei nicht unberücksichtigt, dass der Kläger bisher sein ganzes Leben in der Bundesrepublik verbrachte. Dennoch habe er stets das „schnelle Geld“ aus Straftaten einer ordentlichen beruflichen Integration vorgezogen. Es sei daher unwahrscheinlich, dass der Kläger nach Abschluss seiner Ausbildung von weiteren Straftaten Abstand nehme. Auch unter Abwägung der familiären Bindungen in Deutschland sei eine Ausweisung zumutbar. Das Verhalten des Klägers sei kaum geeignet, für die Kinder als väterliches Vorbild zu fungieren. Wegen der langen Haftstrafen sei die Familie es gewöhnt, auf sich gestellt zu sein und nur eingeschränkt Kontakt zum Kläger zu haben. Zudem gebe es die Möglichkeit von Betretenserlaubnissen. Sprachkenntnisse des Serbischen könne der Kläger in seiner Haft aufbessern.

Im Übrigen wird auf die Begründung des Bescheids verwiesen.

Mit Schriftsatz vom … März 2016, bei Gericht eingegangen am 11. März 2016, erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage mit dem Antrag,

den Bescheid der Beklagten vom 26. Februar 2016 aufzuheben.

Zur Begründung führt er aus:

Der Kläger führe einen gemeinsamen Hausstand mit seiner Frau und den beiden Kindern. Seine übrige Familie lebe auch in Deutschland. Es gehe keine Wiederholungsgefahr mehr vom Kläger aus. Die aktuelle Bewährung laufe gut.

Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 5. April 2016

Klageabweisung.

Der Kläger wurde am 18. August 2016 unter Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung vorzeitig aus der Haft entlassen. Laut einem Bewährungsbericht der Bewährungshelferin des Klägers vom 17. März 2017 legte Kläger zunehmend unzuverlässiges Kontaktverhalten an den Tag, da er diverse Termine unentschuldigt versäumt habe.

Derzeit sind laut einer polizeilichen Auskunft vom 30. Juni 2017 gegen den Kläger zwei Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz im Zeitraum nach der letzten Haftentlassung eingeleitet worden. Der Kläger erklärte hierzu, er sei mit Cannabis erwischt worden. Er habe ein Drogenproblem, weswegen er bei … in Behandlung sei. Letzteres wird durch ein Schreiben der Suchtberatung … e.V. München vom 6. Juni 2017 bestätigt. Er erklärt weiter, dass bei ihm in diesem Zusammenhang 1.000,- EUR sichergestellt worden seien, die er aber zurückbekommen habe. Das Geld stamme aus Glücksspielen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Einvernahme der Zeugin … Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie der Verkürzung der Frist nach § 11 AufenthG auf vier bzw. sieben Jahre wird auf die Sitzungsniederschrift vom 4. Juli 2017 verwiesen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behörden-und Strafakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 26. Februar 2016 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (BVerwG, U.v. 15.1.2003 - 1 C 10.12, Rn. 12) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

I.

Das Gericht hat die behördliche Entscheidung unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage am 4. Juli 2017 anhand der gesetzlichen Regelungen über die Ausweisung im Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) zu überprüfen, das bezüglich der Vorschriften über die Ausweisung am 1. Januar 2016 in Kraft getreten ist. Seit dieser Rechtsänderung differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessensausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (BayVGH, B. v. 24.2.2016 - 10 ZB 15.2080, Rn. 8). Sie ist rechtmäßig, wenn der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt, § 53 Abs. 1 AufenthG.

Die Ausweisung ist gemessen an diesen Vorgaben sowohl aus spezial- als auch aus generalpräventiven Gründen rechtmäßig, weil vom Kläger eine gegenwärtige Gefahr der Begehung weiterer Straftaten besteht. Nach der erforderlichen Interessenabwägung überwiegt das Ausweisungsinteresse.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei einer spezialpräventiven Ausweisungsentscheidung und ihrer gerichtlichen Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z. B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13/11 - juris Rn. 18; U.v. 10.7.2012 - 1 C 19/11 - juris Rn. 16). Nach diesen Grundsätzen steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass vom Kläger eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit der erneuten Begehung schwerer Straftaten ausgeht.

Der Kläger ist seit seinem vierzehnten Lebensjahr kontinuierlich strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die Straftaten des Klägers bewegten sich im Bereich der Straßenverkehrs-, Vermögens- und Körperverletzungsdelikte. Von Mal zu Mal sank seine Hemmschwelle, er zeigte sich zunehmend gewaltbereit. Hinzu kommt eine erhebliche Rückfallgeschwindigkeit. Dabei tangierten ihn bereits verhängte, teils auch hohe, Strafen und sonstige laufende Verfahren offenkundig nicht.

Die Taten des Klägers weisen auch eine hohe Gefährlichkeit auf. Der Kläger ist mehrfach im nicht fahrtüchtigen Alter Auto gefahren. Er fuhr sogar betrunken und überschritt eine Geschwindigkeitsbeschränkung um 50 km/h.

Nur dem Zufall war es zu verdanken, dass es lediglich zu Sachschäden gekommen ist. Er verletzte Leib und Eigentum anderer. Seine hohe kriminelle Energie zeigt sich auch durch den Diebstahl des Tresors: Statt sich mit Wertgegenständen im Wert von ohnehin schon mindestens 11.000,- EUR zufrieden zu geben, beschaffte er sich - während des Diebstahls -von zu Hause extra einen Koffer, um auch noch den Tresor transportieren zu können. Er schreckte auch nicht davor zurück, mit Gewalt an seine Beute zu gelangen.

Das Amtsgericht München stellte in seinem Urteil vom ... Juni 2015 fest, dass der Kläger „die Möglichkeit, durch Straftaten schnellen Profit zu erzielen, über die ihm sich bietenden Möglichkeiten eines rechtschaffenen Lebenswandels und über die Verantwortung für seine Familie stellt“. Die Taten des Klägers zeugen von absoluter Gleichgültigkeit gegenüber den Rechtsgütern anderer. Auch gegenüber seiner Familie verhielt er sich nicht verantwortungsbewusst. Der Kläger schaffte es nicht, ein straffreies Leben zu führen. Seine jetzige Ehefrau gebar 2011 den ersten gemeinsamen Sohn. Der Geburt folgte die erste Haftstrafe. In etwa ein Jahr nach der Geburt des zweiten Sohnes 2014 trat der Kläger die zweite Haftstrafe an. Der Kläger nutzte auch keine Möglichkeit, sich in der Bundesrepublik beruflich zu integrieren, obwohl sich ihm Chancen boten. Der Kläger hat den qualifizierenden Hauptschulabschluss erfolgreich abgelegt, aber bis heute noch keine Ausbildung beendet. Über Jahre hinweg standen ihm seine Straftaten im Weg. Erst Anfang 2016 setzte er seine Ausbildung zum Kfz … in Haft fort. Er bestand die theoretische, nicht aber die praktische Prüfung.

Es gibt derzeit auch keine positive Prognose für eine straffreie Zukunft des Klägers. Da er die Ausbildung noch nicht abgeschlossen hat, ist nicht ausgeschlossen, dass der Kläger erneut Vermögensdelikte in Betracht ziehen wird, um an Wertgegenstände zu gelangen, dies vor dem Hintergrund seiner dokumentierten Drogenproblematik sowie einer unklaren Neigung im Umgang mit Glücksspielautomaten. Allein die angebliche, vom Kläger behauptete Finanzierung des Glücksspiels mit Geldern aus der Asylbewerberleistungshilfe zeugt von der Verantwortungslosigkeit und völlig fehlenden charakterlichen Festigung des Klägers, auch in Bezug auf seine Familie. Der Besitz von 1.000,- EUR, angeblich aus Glücksspiel, hat den Kläger auch nicht dazu bewogen, seine Schulden abzuzahlen. Auch hieran sind seine Verantwortungslosigkeit und sein Eigennutz ablesbar. In der Vergangenheit hat ihn selbst ein festes Arbeitsverhältnis nicht von neuen Straftaten abgehalten. Die aktuell laufende Bewährung scheint der Kläger auch nicht als Chance wahrzunehmen. Zum einen hat er laut Schreiben der für ihn zuständigen Bewährungshelferin vom 17. März 2017 allein im ersten Quartal 2017 mindestens vier Termine versäumt. Der Bewährungshelferin lagen danach keine aktuellen Informationen zur Lebensführung des Klägers vor, so dass sie sich hilfesuchend an das zuständige Amtsgericht München wenden musste.

Zudem hat es der Kläger bislang auch nicht für nötig befunden, sich um einen neuen Aufenthaltstitel zu bemühen. Seit 19. August 2016 lebt der Kläger illegal in Deutschland.

2. Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegt.

a) Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse besonders schwer, wenn der Ausländer wegen vorsätzlichen Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens 2 Jahren verurteilt worden ist. Der Kläger wurde wegen Vorsatztaten vom Amtsgericht München mit Urteil vom … Juni 2015 zu einer Gesamtjugendstrafe von 3 Jahren 6 Monaten rechtskräftig verurteilt. Dabei ging es um Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit und das Eigentum, die der Kläger mit Gewalt durch den Faustschlag begangen hat, sodass das Ausweisungsinteresse auch nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG besonders schwer wiegt.

b) Dem gegenüber steht ein besonders schweres Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG, weil der Kläger mit seiner deutschen Ehefrau und den zwei deutschen, minderjährigen Kindern in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und das Personensorgerecht für die Kinder ausübt. Dagegen kommt ein besonderes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht in Betracht, da der Kläger seit Ende der Geltungsdauer seiner letzten Aufenthaltserlaubnis derzeit über keinen Aufenthaltstitel verfügt.

c) Nach der in § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG vorgeschriebenen Abwägung unter umfassender Würdigung alles Umstände des Einzelfalls überwiegt hier das Ausweisungsinteresse. Die Integrationsbemühungen des Klägers sind nicht so ausgeprägt, dass ihm eine Ausreise nicht zugemutet werden könnte.

Das Vorhandensein eines Ausweisungsinteresses bedeutet dabei nicht ohne weiteres die Ausweisung.

Erst anhand einer Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalls lässt sich feststellen, ob das Interesse an der Ausweisung letztlich überwiegt. Insbesondere hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern durch das Einfügen der Wörter „sowie die Tatsache, ob der Ausländer sich rechtstreu verhalten hat“ in § 53 Abs. 2 AufenthG klargestellt, dass sich rechtstreues Verhalten zugunsten und nicht rechtstreues Verhalten zulasten des Ausländers in der Abwägung auswirken kann (BT-Drs. 18/7537, S. 5; BayVGH, B.v. 21.3.2016 - 10 ZB 15.1968, Rn. 13).

Zugunsten des Klägers war zu berücksichtigen, dass der Kläger in Deutschland geboren und aufgewachsen ist. Der Kläger genießt in der Bundesrepublik den Status eines faktischen Inländers. Im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK war zu beachten, dass der Kläger verheiratet und Vater von zwei Kindern ist. Die Ehefrau ist mit dem dritten Kind schwanger. Die Eltern des Klägers leben in Deutschland. Während der Haft erhielt der Kläger Besuch von seiner Familie. Er hat bislang aber nur wenige Ambitionen gezeigt, seine Familie durch Arbeit finanziell zu unterstützen. Im Gegenteil hat der Kläger keine abgeschlossene Berufsausbildung und ist arbeitslos. Umso weniger nachvollziehbar ist, dass der Kläger mit den Sozialleistungen der Familie auch noch dem Glücksspiel nachgeht statt seiner Familie das Geld zum Unterhalt zu belassen und seine Schulden zu begleichen.

Der Kläger war seit seiner Jugend intensiv straffällig. Weder die Jugendarreste noch Haftstrafen noch die aufenthaltsrechtliche Verwarnung hatten beim Kläger einen mahnenden Effekt. Besonders negativ fällt auf, dass der Kläger selbst während laufender Strafverfahren weitere Straftaten beging. Sogar während der aktuell laufenden Bewährung wird gegen den Kläger wegen Besitzes von Cannabis, den der Kläger mit Hinweis auf sein Cannabisproblem eingeräumt hat, in zwei Verfahren ermittelt. Die gute Führung in Haft setzt sich augenscheinlich außerhalb der Haft nicht fort, da er auch bei der Wahrnehmung der Termine bei seiner Bewährungshelferin äußerst unzuverlässig ist.

Die Ausweisung ist nicht unverhältnismäßig. Für den Kläger ist es zumutbar, nach Serbien auszureisen. Er spricht Rumänisch und etwas Serbisch. Seine Sprachkenntnisse kann der Kläger vor Ort aufbessern. Zudem kann sich der Kläger an der Grenze zu Rumänien niederlassen, wo seine Muttersprache gesprochen wird. Er kann dort besucht werden. Die gängigen Kommunikationsmittel erleichtern den Kontakt aus Serbien zur Familie, der auch während der Haft nur sehr eingeschränkt möglich war. Der Kläger kann seine Ausbildung in Serbien fortsetzen oder auch eine andere Ausbildung beginnen. Jedenfalls sind seine beruflichen Aussichten dort nicht schlechter als in der Bundesrepublik. Für die Kinder wäre es zwar grundsätzlich erfreulich, wenn Mutter und Vater dauerhaft bei ihnen leben würden. Dennoch ist zum Wohl der Kinder zu bedenken, dass der Kläger als ihr Vater eine Vorbildfunktion wahrzunehmen hat. Durch sein bisheriges Verhalten konnte der Kläger diese Funktion jedoch nicht erfüllen. Es besteht zudem für ihn nach § 11 Abs. 8 AufenthG die Möglichkeit, Betretenserlaubnisse zum Besuch seiner Kinder zu erhalten. Im Übrigen ist die Ausweisung des Klägers auch aus generalpräventiven Gründen rechtmäßig, da er nicht zu dem nach § 53 Abs. 3 AufenthG besonders geschützten Personenkreis gehört und sein Bleibeinteresse nicht das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiegt. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund einer allgemein stark ansteigenden Einbruchskriminalität.

d) Die von der Beklagten zuletzt gesetzte Frist nach § 11 AufenthG auf vier Jahre im Falle der Straffreiheit, anderenfalls sieben Jahre, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Über die Länge der Frist wird nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Sie darf gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Die Neuregelung des Gesetzgebers in § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach über die Dauer der Sperrfrist im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde zu entscheiden ist, ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren, insbesondere stehen ihr verfassungs- und menschenrechtliche Vorgaben nicht entgegen (BayVGH, U.v. 20.6.2017 - 10 B 17.135, Rn. 19 f., m.w.N.). Ermessensfehler der Beklagten sind nicht erfolgt. Die Befristung auf vier bzw. sieben Jahre ist angesichts der vielen Straftaten des Klägers angemessen. Die Bedingung der Straffreiheit war gemäß § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG zulässig.

Im Übrigen steht es dem Kläger jederzeit frei, einen Antrag auf Verkürzung der von der Beklagten festgesetzten Frist nach § 11 Abs. 4 AufenthG zu stellen, wenn sich die für die Festsetzung maßgeblichen Kriterien nachträglich ändern sollten.

II.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 173 VwGO i.V.m.§§ 708 ff. ZPO.

III.

Gründe für die Zulassung der Berufung nach §§ 124a Abs. 1 S. 1, 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO liegen nicht vor.

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(1) Ist die Anklage eingereicht, so kann der Richter das Verfahren einstellen, wenn

1.
die Voraussetzungen des § 153 der Strafprozeßordnung vorliegen,
2.
eine erzieherische Maßnahme im Sinne des § 45 Abs. 2, die eine Entscheidung durch Urteil entbehrlich macht, bereits durchgeführt oder eingeleitet ist,
3.
der Richter eine Entscheidung durch Urteil für entbehrlich hält und gegen den geständigen Jugendlichen eine in § 45 Abs. 3 Satz 1 bezeichnete Maßnahme anordnet oder
4.
der Angeklagte mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist.
In den Fällen von Satz 1 Nr. 2 und 3 kann der Richter mit Zustimmung des Staatsanwalts das Verfahren vorläufig einstellen und dem Jugendlichen eine Frist von höchstens sechs Monaten setzen, binnen der er den Auflagen, Weisungen oder erzieherischen Maßnahmen nachzukommen hat. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar. Kommt der Jugendliche den Auflagen, Weisungen oder erzieherischen Maßnahmen nach, so stellt der Richter das Verfahren ein. § 11 Abs. 3 und § 15 Abs. 3 Satz 2 sind nicht anzuwenden.

(2) Die Einstellung bedarf der Zustimmung des Staatsanwalts, soweit er nicht bereits der vorläufigen Einstellung zugestimmt hat. Der Einstellungsbeschluß kann auch in der Hauptverhandlung ergehen. Er wird mit Gründen versehen und ist nicht anfechtbar. Die Gründe werden dem Angeklagten nicht mitgeteilt, soweit davon Nachteile für die Erziehung zu befürchten sind.

(3) Wegen derselben Tat kann nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel von neuem Anklage erhoben werden.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 28. Juli 2014 weiter. Mit diesem Bescheid wies die Beklagte den Kläger aus dem Bundesgebiet aus und untersagte die Wiedereinreise für zuletzt fünf Jahre. Den Anlass für die Ausweisung bildeten zwei Verurteilungen des Klägers zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung wegen gefährlicher Körperverletzung (Urteil vom 31.1.2011) sowie zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung (Urteil vom 10.2.2014). Der Kläger war aber bereits vor diesen Verurteilungen u. a. mit Körperverletzungsdelikten, die durch richterliche Weisung oder Jugendarrest geahndet wurden, strafrechtlich in Erscheinung getreten.

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor. Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen im Zulassungsantrag (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bezüglich der Ausweisungsentscheidung. Die Befristungsregelung ist nicht Gegenstand des Zulassungsvorbringens.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 1814 - juris Rn. 11). Dies ist jedoch bezüglich der vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellung, dass die Ausweisung des Klägers ermessensfehlerfrei erfolgt und verhältnismäßig im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK sei, nicht der Fall.

Das Erstgericht geht in der Urteilsbegründung davon aus, dass das Verhalten des Klägers nicht nur in der Zusammenschau mit seinen früheren Verurteilungen, sondern auch isoliert bei der letzten Straftat, bei der er einen S-Bahn-Fahrgast mit Schlägen und Tritten auf dem Kopf zusammengeschlagen hatte, eine enorme Gefährlichkeit zeige. Auch bestehe wegen der zahlreichen strafrechtlichen Verfehlungen eine erhebliche Wiederholungsgefahr. Diese werde durch die Tatsache, dass der Kläger zum Tatzeitpunkt der letzten Straftat nach den Feststellungen des Strafgerichts wahrscheinlich deutlich mehr als 2 Promille Blutalkoholkonzentration aufgewiesen habe, nicht relativiert, sondern sogar bekräftigt. Dass der Kläger bei der Begehung eines Teils der Straftaten noch minderjährig gewesen sei, könne vorliegend nicht für ihn sprechen, da sich aus den Akten keinerlei Hinweise auf Reife- oder Entwicklungsverzögerungen ergeben hätten. Bei der der jüngsten Verurteilung zugrunde liegenden Straftat sei der Kläger fast 22 Jahre alt gewesen. Von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr durch die regelmäßige Teilnahme an einem Anti-Gewalttraining sowie die Kontaktierung der Suchtberatung könne nicht die Rede sein. Der Kläger sei in der Justizvollzugsanstalt wegen seiner durchgehend schlechten Arbeitsleistung disziplinarisch geahndet worden. Ihm sei es zuzumuten, in das Land seiner Staatsangehörigkeit auszureisen. Der Kläger habe weder seine Schul- und Berufsausbildung noch seine familiären Bindungen genutzt. Es sei davon auszugehen, dass er jedenfalls rudimentär bosnisch spreche, weil er sich zweimal bei seinem Vater in Bosnien aufgehalten habe, als dieser aus der Bundesrepublik ausgewiesen worden sei. Der Vater sei erstmals im Jahr 1990 nach Deutschland eingereist, so dass zumindest anfangs in der Familie bosnisch gesprochen worden sei. Jedenfalls sei es dem Kläger zuzumuten, seine Sprachkenntnisse wieder aufzufrischen.

Zur Begründung seines Zulassungsantrags bringt der Kläger vor, dass der Verlauf seiner Jugend nicht hinreichend gewürdigt worden sei. Er sei mit 15 Jahren in die Obhut des Jugendamtes gegeben worden, weil sich die Mutter nicht genügend um ihn habe kümmern können. In diesen Zeitraum seien auch die vom ihm in den Jahren 2006 bis 2010 begangenen Straftaten gefallen. Bei ihm hätten durchaus Reife- und Entwicklungsverzögerungen vorgelegen. Alle strafrechtlichen Verurteilungen hätten seine schwere Jugend und die fehlende elterliche Fürsorge und Erziehung berücksichtigt. Trotz der fehlenden Fürsorge von Zuhause habe der Kläger immerhin einen qualifizierenden Hauptschulabschluss und eine abgeschlossene Berufsausbildung erreicht. Es hätte auch gewürdigt werden müssen, dass er bei der letzten Straftat alkoholbedingt enthemmt gewesen sei und mehrjährige Haftstrafen in der Regel dazu führten, dass der Betroffene nach der Verbüßung der Haftstrafe nicht mehr straffällig werde. Auch sei nicht berücksichtigt, dass er inzwischen das Anti-Gewalttraining abgeschlossen habe. Die Folgen einer Rückkehr nach Bosnien seien nicht richtig gewichtet worden, da der Kläger keinen ausreichenden Bezug zu seinem Herkunftsstaat Bosnien habe. Eine Integration in Bosnien erscheine ausgeschlossen.

Mit diesem Vorbringen zieht der Kläger die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils gemessen an den nunmehr maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG in der ab 1. Januar 2016 gültigen Fassung (n. F.) im Ergebnis jedoch nicht ernsthaft in Zweifel.

Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen. Die Änderung der Sach- und Rechtslage ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 57).

Der Senat hat daher das verwaltungsgerichtliche Urteil unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens anhand der gesetzlichen Regelungen über die Ausweisung im Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) zu überprüfen, das bezüglich der Vorschriften über die Ausweisung am 1. Januar 2016 in Kraft getreten ist. Seit dieser Rechtsänderung differenziert das Aufenthaltsgesetz nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessensausweisung, sondern verlangt für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang nachprüfbar (Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky/Reis in Hoffmann, Kommentar zum Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246). Eine nach altem Recht verfügte (Ermessens-) Ausweisung wird auch nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG n. F. am 1. Januar 2016 nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

Der Senat kommt bezogen auf die im Zeitpunkt seiner Entscheidung vorliegenden Tatsachen bei der Prüfung der Ausweisungsentscheidung zu dem Ergebnis, dass diese verhältnismäßig ist, weil das öffentliche Interesse an einer Ausreise das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt.

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die weitere Anwesenheit des Klägers im Bundesgebiet zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führt. Es besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass aufgrund der zahlreichen Gewaltstraftaten des Klägers und der Brutalität, mit der er vorgegangen ist, die Gefahr besteht, er werde auch weiterhin Straftaten, die sich gegen die körperliche Unversehrtheit anderer richten, begehen. Alleine die Tatsache, dass der Kläger vom 2. Februar 2015 bis 22. Juni 2015 an einem Anti-Gewalttraining teilgenommen hat, lässt diese Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Die im Zulassungsverfahren vorgelegte Teilnahmebestätigung sagt nichts darüber aus, ob der Kläger die Lerninhalte dieses Programms auch verinnerlicht hat und sich mit den eigenen Gewaltstraftaten hinreichend auseinandergesetzt hat. Insbesondere hat sich der noch inhaftierte Kläger noch nicht außerhalb der Justizvollzugsanstalt über einen längeren Zeitraum bewährt und durch gesetzeskonformes Verhalten gezeigt, dass er auch ohne den Druck des Strafvollzugs in der Lage ist, nicht straffällig zu werden. Für die von der Beklagten und dem Erstgericht angenommene Wiederholungsgefahr spricht zudem, dass der Kläger bei der Straftat, wegen der er mit Urteil vom 10. Februar 2014 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden ist, alkoholbedingt enthemmt war und er auch bei der Tat, die dem Urteil vom 21. Januar 2013 zugrunde lag, alkoholisiert war. Seine Alkoholproblematik hat der Kläger offensichtlich nicht aufgearbeitet, so dass auch aus diesem Grund zu befürchten ist, er werde auch in Zukunft unter dem Einfluss von Alkohol Straftaten begehen (vgl. zur Wiederholungsgefahr bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung beruhen z. B. BayVGH, B.v. 19.5.2015 - 10 ZB 13.1437 - juris Rn. 13).

Die vom Kläger angeführten etwaigen Reifeverzögerungen lassen die vom Verwaltungsgericht angenommene Wiederholungsgefahr, die sich auf die zahlreichen von ihm seit 2006 begangenen Straftaten stützt, nicht entfallen. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass bei den Straftaten, die der Kläger als Heranwachsender begangen hat, noch gewisse Reifeverzögerungen eine Rolle gespielt haben (vgl. Urteil des Jugendschöffengerichts bei dem Amtsgericht M. vom 20.9.2012, 1034 Ls 461 Js 14658/12 jug). Bei den danach folgenden, gravierenden Straftaten wurden jedoch Reifeverzögerungen seitens des Strafgerichts nicht mehr festgestellt und auch bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt. Insoweit hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass die letzte Straftat, die zur Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten führte, begangen wurde, als der Kläger schon 22 Jahre alt war.

Auch die Tatsache, dass der Kläger erstmals eine mehrjährige Haftstrafe verbüßt, und sein Vorbringen, seine schwere Jugend hätte bei der Beurteilung, ob von ihm nach wie vor eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgehe, berücksichtigt werden müssen, sprechen nicht gegen das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr. Zwar gehen die Straf- und Verwaltungsgerichte davon aus, dass die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe, insbesondere als erste massive Einwirkung auf einen jungen Menschen, unter Umständen seine Reifung fördern und die Gefahr eines neuen Straffälligwerdens mindern kann (BayVGH, U.v. 20.3.2008 - 10 BV 07.1856 - juris Rn. 23 m. w. N.). Es sind beim Kläger aber keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass ihn die Verbüßung der Freiheitsstrafe nachhaltig beeindruckt, er sich mit seiner kriminellen Vergangenheit auseinandersetzt und es zu einem nachhaltigen Einstellungswandel gekommen ist. Ein positiver Einfluss der Strafhaft auf die Persönlichkeitsentwicklung wird dem Kläger nicht attestiert. In der Stellungnahme vom 21. April 2015 spricht die Justizvollzugsanstalt Niederschönenfeld nur davon, dass die Führung im Großen und Ganzen ohne Beanstandungen sei, der Kläger allerdings wegen seiner schlechten Arbeitsleistung disziplinarisch geahndet worden sei. Zu Recht weist die Beklagte auch darauf hin, dass sich der Kläger nicht erstmals in Haft befindet, sondern bereits in Untersuchungshaft saß und drei Arreststrafen vollzogen wurden.

Nicht deutlich wird aus dem Zulassungsvorbringen, inwiefern die schwere Jugend des Klägers Einfluss auf das Entfallen einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den Kläger haben sollte. Selbst wenn - wie der Kläger vorträgt -seine Straffälligkeit in Zusammenhang mit der fehlenden elterlichen Fürsorge stehen sollte, liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er die angeführten Erziehungsdefizite in seiner Jugend jetzt im Erwachsenenalter aufarbeitet.

Die Ausweisung stellt sich auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens bei Abwägung des öffentlichen Interesses an der Ausreise des Klägers mit seinem Interesse am weiteren Verbleib im Bundesgebiet als verhältnismäßig dar. Durch die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Dem steht zwar ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wegen der Niederlassungserlaubnis entgegen. Die im Rahmen des § 53 Abs. 2 AufenthG zusätzlich bei der Abwägung zu berücksichtigen Kriterien führen jedoch zum Überwiegen des Ausreiseinteresses. Zwar ist es dem Kläger gelungen, einen Schulabschluss zu erreichen und eine Berufsausbildung zu beenden, jedoch ist er bereits während der Schulzeit strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die eingeleiteten jugendpsychiatrischen Maßnahmen sowie die ambulante Erziehungshilfe konnten nicht verhindern, dass der Kläger weiterhin Straftaten begangen hat, die sich in ihrer Intensität steigerten. Neben den Weisungen und Jugendarresten fällt hier insbesondere die Verurteilung zu einer Jugendstrafe zu einem Jahr und vier Monaten ins Gewicht, die zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde (Urteil vom 31.1.2011), so dass der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt ist (Bauer in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 54 Rn. 10). Die Aussetzung zur Bewährung wurde aber wegen der anhaltenden Delinquenz des Klägers widerrufen. Eine gelungene Integration liegt somit trotz der Geburt im Bundesgebiet nicht vor. Die Ausweisung des Klägers stellt zweifellos einen Eingriff in sein Privatleben dar, weil er nur noch unter erschwerten Bedingungen den Kontakt zu seiner Familie, die ihn auch regelmäßig in der Justizvollzugsanstalt besucht hat, aufrechterhalten kann. Allerdings stellt sich dieser Eingriff nicht als besonders gravierend dar, da der Kläger bereits 24 Jahre alt ist, er daher auf den Beistand seiner Familie im Sinne einer Lebenshilfe nicht angewiesen ist und der Kontakt auch anderweitig aufrechterhalten werden kann. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren ist, Bosnien nur von wenigen Ferien- bzw. Besuchsaufenthalten kennt und die bosnische Sprache nur rudimentär spricht. Es entspricht aber ständiger Rechtsprechung, dass auch eine von Art. 8 EMRK geschützte Verwurzelung des Ausländers im Bundesgebiet eine Aufenthaltsbeendigung nicht generell ausschließt, sondern lediglich im Rahmen einer einzelfallbezogenen Würdigung der gegenläufigen Interessen ausreichend berücksichtigt werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 14.7.2015 - 10 ZB 13.1881 - juris Rn. 8 m. w. N.). Zwar wiegt in Fällen einer tiefgreifenden Verwurzelung das Interesse des Ausländers am Verbleib im Bundesgebiet schwer, jedoch ist seine Ausweisung gleichwohl nicht unangemessen, wenn er hochrangige Rechtsgüter gravierend verletzt hat und weiterhin eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr von ihm ausgeht. Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen seiner Abwägungsentscheidung bezüglich der Sprachkenntnisse und der Beziehung des Klägers zu dem Land seiner Staatsangehörigkeit darauf abgestellt, dass ihm in seinem Alter das weitere Erlernen der Landessprache und eine Integration in die dortigen Lebensverhältnisse zumutbar sei, so dass das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung das Interesse des Klägers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt. Angesichts der vom ihm nach wie vor ausgehenden Gefahr, dass er auch nach seiner Haftentlassung unter Alkoholeinfluss wieder gravierende Körperverletzungsdelikte begehen wird, begegnet die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auch insoweit keinen rechtlichen Bedenken (vgl. BayVGH, B.v. 5.8.2015 - 10 ZB 15.1056 - juris Rn. 11 m. w. N.).

Der Antrag auf Zulassung der Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein im Jahre 1966 geborener türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

2

Der Kläger kam nach Heirat einer türkischen Staatsangehörigen 1991 im Wege des Ehegattennachzugs nach Deutschland. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, eine 1993 geborene Tochter und ein 2002 geborener Sohn. 1996 erhielt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die 2007 als Niederlassungserlaubnis in seinen Reisepass übertragen wurde.

3

2003 verlor der Kläger durch Konkurs des Arbeitgebers nach zwölf Jahren ununterbrochener Beschäftigung als Lagerarbeiter und Maschinenführer seinen Arbeitsplatz. Danach gelang es ihm nicht, erneut eine dauerhafte Beschäftigung zu finden. Im Mai 2003 wurde die Ehe geschieden. Nach einer Versöhnung lebte der Kläger vorübergehend wieder mit seiner Familie zusammen. Im Mai 2008 kam es zur endgültigen Trennung.

4

Dies führte beim Kläger zu psychischen Problemen. Er steigerte sich in die Vorstellung hinein, seine geschiedene Frau sei für sein Schicksal verantwortlich, kümmere sich nicht um die gemeinsamen Kinder und versuche, den Kontakt mit diesen zu verhindern. Diese Negativentwicklung gipfelte darin, dass er am 14. Dezember 2008 gegen 23.30 Uhr in die frühere Familienwohnung eindrang. Dabei führte er eine Rolle Klebeband, zwei Messer und einen Brief mit sich, in dem er ankündigte, sich und seine Kinder zu töten. In der Wohnung traf er auf seine Frau, schlug ihr mehrfach heftig ins Gesicht und drohte ihr mit der Tötung der Kinder. Durch das Eingreifen einer Freundin der Frau gelang es, die Situation bis zum Eintreffen der Polizei zu entspannen. Bei seiner Festnahme drohte der Kläger, seine frühere Ehefrau umzubringen. Er wurde in Untersuchungshaft genommen und mit Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 23. März 2009 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung, Nötigung und Hausfriedensbruch zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, die wegen der Gefahr neuer Straftaten zum Nachteil der Familie nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.

5

Mit Bescheid vom 27. Juli 2009 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger aus und drohte ihm die Abschiebung unmittelbar aus der Haft heraus in die Türkei an. Zur Begründung wurde ausgeführt, vom Kläger gehe eine massive Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus. Seine unbefristete Ausweisung sei daher auch bei einer zu seinen Gunsten unterstellten Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 gerechtfertigt. Hiergegen erhob der Kläger Klage. Während des Klageverfahrens wurde die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe vom Landgericht Stuttgart im Dezember 2009 zur Bewährung ausgesetzt und der Kläger aus der Haft entlassen. Daraufhin setzte das Regierungspräsidium dem Kläger mit Bescheid vom 16. Dezember 2009 eine Ausreisefrist bis 17. Januar 2010. Diese Änderung wurde im Wege der Klageerweiterung in das Klageverfahren einbezogen.

6

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 17. Dezember 2010 stattgegeben und die angegriffenen Bescheide aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat nach Ablehnung eines Antrags des Beklagten auf Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens dessen Berufung mit Urteil vom 9. August 2011 zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Der Kläger besitze jedenfalls nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eine assoziationsrechtliche Rechtsstellung. Er dürfe daher nach § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1 /80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Dabei gelte entgegen der Annahme des Bundesverwaltungsgerichts nicht ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Maßgeblich sei allein der jeweilige Einzelfall, der eine umfassende Würdigung aller wesentlichen Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordere. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe gehe vom Kläger gegenwärtig keine Wiederholungsgefahr aus. Der Einholung eines Gutachtens habe es nicht bedurft. Es lägen keine besonderen tat- oder persönlichkeitsbezogenen Umstände vor, aufgrund derer die Gefahrenprognose nicht ohne spezielle Sachkunde getroffen werden könne. Mehr als anderthalb Jahre nach der Strafaussetzung zur Bewährung und unter Berücksichtigung des zwischenzeitlichen Verhaltens des Klägers sowie der recht spezifischen Umstände, die im Dezember 2008 zur Straftat geführt hätten, bestünden keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger erneut vergleichbare Straftaten insbesondere zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau oder seiner Kinder begehen werde. Die vom Beklagten (hilfsweise) begehrte Aufhebung der Ausweisung mit Wirkung ex nunc - primär um ein Wiederaufleben der Niederlassungserlaubnis des Klägers zu verhindern - komme nicht in Betracht. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO lasse sowohl eine Aufhebung ex tunc als auch ex nunc zu. Auch § 84 Abs. 2 AufenthG sei zu dieser Frage keine klare Entscheidung zu entnehmen. Gegen eine zeitliche begrenzte Aufhebung der Ausweisungsverfügung sprächen vor allem die europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben, die für die Zeitpunktverschiebung im Ausweisungsrecht maßgebend gewesen seien, aber auch pragmatische Gründe, da das Gericht den genauen Stichtag - etwa des Wegfalls der Wiederholungsgefahr - regelmäßig nur schwer ermitteln könne. Möglich dürfte allein die Feststellung sein, dass die Ausweisung zu einem bestimmten Zeitpunkt rechtswidrig oder rechtmäßig gewesen sei. Insoweit könne der Ausländerbehörde eventuell mittels eines Feststellungsausspruchs analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO geholfen werden, der ggf. auch im Wege der Widerklage oder Anschlussberufung durchsetzbar sei. Einen solchen Antrag habe der Beklagte nicht gestellt. Da der Aufenthalt nicht beendet worden sei, fehle es auch an einem besonderen Feststellungsinteresse.

7

Der Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör wegen der Ablehnung seines Beweisantrags. Außerdem ist er der Auffassung, dass eine Ausweisung nach Wegfall der Wiederholungsgefahr im gerichtlichen Verfahren nur mit Wirkung ex nunc aufgehoben werden dürfe.

8

Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung, hilfsweise begehrt er eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist zulässig und begründet. Die Verfahrensrüge des Beklagten greift durch. Das Berufungsgericht hat den vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auf Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens unter Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) abgelehnt. Der Beweisantrag zielte auf die Aufklärung der Tatsache, ob der Kläger die psychische Situation und die Denk- und Wahrnehmungsmuster, die dem Verfassen des Abschiedsbriefs vom 14. Dezember 2008 und der abgeurteilten Straftat von demselben Tag zugrunde liegen, so weit überwunden hat, dass von ihm keine Gefahr weiterer vergleichbarer Straftaten gegen seine geschiedene Frau und seine Kinder mehr ausgeht. Da das Berufungsurteil auf diesem Verfahrensmangel beruht, ist es schon deshalb aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

10

1. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundrecht soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG es, dass das Gericht einem Beweisangebot nachgeht, wenn die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung nach seinem Rechtsstandpunkt erheblich ist und die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. Januar 2001 - 1 BvR 2075/98 - NJW-RR 2001, 1006 m.w.N.).

11

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können die Tatsacheninstanzen einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens im Allgemeinen nach tatrichterlichem Ermessen gemäß § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 ZPO oder mit dem Hinweis auf die eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen. Das Tatsachengericht muss seine Entscheidung für die Beteiligten und das Rechtsmittelgericht aber nachvollziehbar begründen und ggf. angeben, woher es seine Sachkunde hat. Wie konkret der Hinweis auf die eigene Sachkunde des Gerichts zu sein hat, hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. Beschluss vom 27. Februar 2001 - BVerwG 1 B 206.00 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 46 m.w.N.). Die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens ist hingegen verfahrensfehlerhaft, wenn das Gericht für sich eine ihm nicht zur Verfügung stehende Sachkunde in Anspruch nimmt oder sich in einer Frage für sachkundig hält, in der seine Sachkunde ernstlich zweifelhaft ist, ohne dass es überzeugend darlegt, weshalb ihm die erforderliche Sachkunde zur Verfügung steht, oder wenn sonst seine Entscheidung auf mangelnde Sachkunde schließen lässt (Beschluss vom 24. November 1997 - BVerwG 1 B 224.97 - juris Rn. 6 m.w.N.).

12

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist weiter geklärt, dass bei der gerichtlichen Überprüfung der Ausweisung eines strafgerichtlich verurteilten Ausländers hinsichtlich der gebotenen Gefahrenprognose nicht allein auf das Strafurteil und die diesem zugrunde liegende Straftat, sondern auf die Gesamtpersönlichkeit abzustellen ist und dabei auch nachträgliche Entwicklungen einzubeziehen sind. Bei dieser Prognoseentscheidung bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich sind. Der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. Beschlüsse vom 4. Mai 1990 - BVerwG 1 B 82.89 - Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 124 und vom 14. März 1997 - BVerwG 1 B 63.97 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 10 m.w.N.).

13

Von einem derartigen Sonderfall ist vorliegend auszugehen. Aufgrund der beim Kläger anlässlich der endgültigen Trennung von seiner geschiedenen Ehefrau aufgetretenen massiven psychischen Probleme, die letztlich zu der Tat vom Dezember 2008 und den ernst zu nehmenden Todesdrohungen gegen seine geschiedene Ehefrau und die gemeinsamen Kinder geführt haben, liegen Hinweise dafür vor, dass die Persönlichkeit des Klägers nicht allein auf der Grundlage allgemeiner Lebenserfahrung zutreffend beurteilt werden kann. Vielmehr bedarf es hierfür - ungeachtet des zwischenzeitlichen Verhaltens des Klägers - einer speziellen, einem Laien regelmäßig nicht zur Verfügung stehenden medizinischen Sachkunde. Dies gilt umso mehr, als die Hintergründe der Tat im Strafverfahren weitgehend im Dunkeln geblieben sind und der Kläger ausweislich der im Berufungsverfahren vorgelegten Bescheinigung der ihn behandelnden Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vom 28. Juli 2011 in den zehn seit seiner Entlassung durchgeführten therapeutischen Sitzungen wenig offen für das Aufarbeiten von Vergangenem war und - hierauf angesprochen - Gefühle von Kränkung und Wut zeigte.

14

Den Ausführungen des Berufungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass es selbst über die erforderliche Sachkunde für das Erfassen und Bewerten eines nach der Vorgeschichte nicht auszuschließenden psychisch krankhaften Verhaltens des Klägers verfügt. Insoweit kann es sich insbesondere nicht auf die ihm vorgelegte ärztliche Bescheinigung stützen. In dieser wird eine Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten diagnostiziert. Zur Frage der (fortbestehenden) Gefährlichkeit des Klägers enthält die Bescheinigung keine abschließende Aussage, sondern nur den Hinweis, dass innerhalb der Behandlungsgespräche zu keinem Zeitpunkt selbst- oder fremdgefährdende Einstellungen oder Verhaltensweisen aufgefallen seien. Auch das unauffällige Verhalten des Klägers seit seiner Freilassung, die im Wesentlichen positiven Stellungnahmen der ihn betreuenden sozialen Einrichtungen und das Einhalten der Bewährungsauflagen, insbesondere das Beachten des Kontaktverbots zu seiner geschiedenen Ehefrau und den Kindern, ändern nichts daran, dass eine zuverlässige Würdigung der klägerischen Persönlichkeit im Rahmen der dem Gericht obliegenden Prognoseentscheidung nach den in der Vergangenheit gezeigten psychischen Auffälligkeiten einer besonderen Sachkunde bedarf. Damit findet die Ablehnung des Beweisantrags des Beklagten im Prozessrecht keine Stütze. Das Verfahren ist schon deshalb wegen Verstoßes gegen das Recht auf rechtliches Gehör an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

15

2. Für das erneute Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

16

2.1 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren hilfsweise begehrten Befristung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 12 m.w.N.).

17

2.2 Die angefochtene Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ANBA 1981, 4) - ARB 1/80 -. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger jedenfalls als türkischer Arbeitnehmer nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 3 ARB 1/80 ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben hat. Dieses geht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - nicht durch eine ihrer Natur nach vorübergehende Abwesenheit vom Arbeitsmarkt, etwa infolge unfreiwilliger Arbeitslosigkeit oder Verbüßung einer Freiheitsstrafe, verloren (EuGH, Urteil vom 7. Juli 2005 - Rs. C-383/03, Dogan - Slg. 2005 I-6237 Rn. 19 und 22). Der Kläger kann daher nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Zur Bestimmung der Bedeutung und der Tragweite des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 hat der EuGH in der Vergangenheit auf die Richtlinie 64/221/EWG abgestellt. Nachdem diese Richtlinie inzwischen durch die Richtlinie 2004/38/EG - Unionsbürgerrichtlinie - aufgehoben wurde, gilt für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nunmehr ein anderer unionsrechtlicher Bezugsrahmen. Dieser wird für einen Ausländer, der sich - wie der Kläger - seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhält, mangels günstigerer Vorschriften im Assoziationsrecht EWG-Türkei durch Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG - Daueraufenthaltsrichtlinie - gebildet, die eine Vorschrift zum Mindestschutz vor Ausweisungen von Drittstaatsangehörigen darstellt, die in einem Mitgliedstaat die Rechtsstellung von langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzen (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 79; zu den Anforderungen an die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG vgl. auch Senatsurteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 14 ff.).

18

Für die danach im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr gilt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ein mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Die Kritik des Berufungsgerichts an diesem differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab verkennt, dass jede sicherheitsrechtliche Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch die den nationalen Gerichten obliegende und auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt, kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Der Senat hat schon zu § 12 Abs. 3 AufenthG/EWG entschieden, dass im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 16 m.w.N.).

19

In diesem Zusammenhang wird das Berufungsgericht, nachdem es sich die erforderliche Sachkunde für eine zuverlässige Beurteilung der klägerischen Persönlichkeit - durch Einholung des vom Beklagten beantragten fachpsychiatrischen Gutachtens oder auf andere Weise, etwa durch Anhörung der den Kläger behandelnden Ärztin - verschafft hat, zunächst zu klären haben, ob vom Kläger gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung ausgeht, weil schwere Straftaten zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau und der gemeinsamen Kinder zu befürchten sind.

20

2.3 Sollte das Berufungsgericht hierbei zu dem Ergebnis kommen, dass vom Kläger im für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keine Wiederholungsgefahr (mehr) ausgeht, wäre die Ausweisung schon deshalb rechtswidrig und mit Wirkung ex tunc aufzuheben, ohne dass es darauf ankäme, ob die Behörde ihr Ermessen bei Erlass der Ausweisungsverfügung ordnungsgemäß ausgeübt und während des Verfahrens entsprechend aktualisiert hat.

21

Das Prozessrecht enthält zu der Frage, in welchem Umfang eine ursprünglich rechtmäßige, im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung aber wegen einer zwischenzeitlichen Änderung der Sach- oder Rechtslage rechtswidrig gewordene Ausweisung aufzuheben ist, keine verbindliche Regelung. Soweit es in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO heißt, dass ein Verwaltungsakt aufzuheben ist, "soweit" er sich als rechtswidrig erweist, lässt diese Vorschrift sowohl eine Aufhebung ex tunc als auch ex nunc zu. Ob ein Verwaltungsakt aber in inhaltlicher oder auch in zeitlicher Hinsicht teilbar ist, ist eine Frage des jeweiligen materiellen Rechts. Diesem sind nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes zu entnehmen, sondern es bestimmt auch, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen bei einer gerichtlichen Überprüfung vorliegen müssen, und ob eine ursprünglich rechtmäßige, während des gerichtlichen Verfahrens aber rechtswidrig gewordene Verfügung "in der Zeit" teilbar ist.

22

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Aufenthaltsgesetz an die Ausweisung kraft Gesetzes bestimmte Rechtsfolgen knüpft. Diese sind nur teilweise - etwa das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) und die Titelerteilungssperre (§ 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) - einer zeitlichen Limitierung zugänglich (vgl. insoweit auch die Befristungsmöglichkeit nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Die titelvernichtende Wirkung der Ausweisung (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und die damit einhergehende Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1 AufenthG) können hingegen nach der gesetzlichen Konzeption nur durch eine auf den Erlasszeitpunkt rückwirkende Aufhebung beseitigt werden. Damit unterscheidet sich die Ausweisung in ihren Folgen von einem - auf der Zeitachse teilbaren - Dauerverwaltungsakt.

23

Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich die Möglichkeit einer Aufhebung mit Wirkung ex nunc auch nicht aus § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG. Danach tritt eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht ein, wenn der Verwaltungsakt durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird. Diese Vorschrift knüpft an die Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG an. Danach lassen Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts entfällt folglich mit dem Erlass der Ausweisungsverfügung, ohne dass es auf deren vorläufige Vollziehbarkeit ankommt. § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG stellt klar, dass diese aufenthaltsrechtliche Folge nicht eintritt, wenn der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verwaltungsakt nachträglich durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird. Die Vorschrift verhält sich indes nicht zu der hier entscheidungserheblichen Frage der Teilbarkeit der Ausweisung "in der Zeit".

24

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ausdrücklich nur die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts anspricht. Das Aufenthaltsgesetz unterscheidet zwar grundsätzlich zwischen dem Besitz eines Aufenthaltstitels und der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts. Der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG, wonach im Falle einer späteren Aufhebung keine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eintritt, kann aber nicht im Umkehrschluss entnommen werden, dass in Fällen, in denen der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verwaltungsakt zugleich zum Erlöschen eines Aufenthaltstitels führt, dieser Aufenthaltstitel bei einer späteren Aufhebung des Verwaltungsakts nicht wieder auflebt. So geht selbst der Beklagte davon aus, dass eine von Anfang an rechtswidrige Ausweisung mit Wirkung ex tunc aufzuheben ist und zu einem Wiederaufleben führt.

25

Auch den Gesetzesmaterialien zu § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG und der wortgleichen Vorgängerregelung in § 72 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 kann nicht entnommen werden, dass mit diesen Vorschriften die rechtlichen Konsequenzen einer Aufhebung ex nunc geregelt werden sollten. Die Regelung in § 72 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 stammt aus einer Zeit, als sich die Rechtmäßigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen im gerichtlichen Verfahren allein nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung richtete. Gleiches galt - von unionsrechtlichen Ausnahmen abgesehen - auch noch bei Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes Anfang 2005. Entsprechend findet sich in der Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Ausländergesetz 1990 nur der allgemeine Hinweis, dass die "ex tunc-Wirkung" der Aufhebung gewährleiste, dass die Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beseitigt werde (BTDrucks 11/6321 S. 81). Auch in der Begründung zu § 84 AufenthG im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zuwanderungsgesetz wird lediglich darauf verwiesen, dass die Vorschrift § 72 AuslG entspreche (BTDrucks 15/420 S. 97).

26

Das Berufungsgericht ist daher zutreffend davon ausgegangen, dass mit der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG lediglich klargestellt werden soll, dass im Falle einer Aufhebung ex tunc die alte Rechtsstellung in vollem Umfang wieder auflebt, der Betroffene also so stehen soll, als wenn die Ausweisung nie verfügt worden wäre. Dieses Verständnis der Vorschrift liegt im Übrigen auch der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 zugrunde (vgl. Nr. 84.2.3 der VwV-AufenthG).

27

Würde eine Ausweisung, die nur infolge einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage - etwa wegen Wegfalls der Wiederholungsgefahr -rechtswidrig ist, nicht ex tunc, sondern nur mit Wirkung ex nunc oder bezogen auf den Zeitpunkt, in dem die ursprünglich rechtmäßige Ausweisung rechtswidrig geworden ist, aufgehoben, bliebe es für die Vergangenheit bei einer wirksamen Ausweisung mit allen daran anknüpfenden gesetzlichen Folgen. Dies wäre mit Blick auf die titelvernichtende Wirkung der Ausweisung nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG und die daran anknüpfende gesetzliche Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG problematisch. Denn diese gesetzlichen Folgen hängen allein vom wirksamen Erlass einer Ausweisungsverfügung ab (§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Ein nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG kraft Gesetzes erloschener Aufenthaltstitel könnte daher bei einer nicht auf den Erlasszeitpunkt rückwirkenden Aufhebung nicht wieder aufleben. Der Ausländer wäre weiterhin nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig. Einen neuen Aufenthaltstitel könnte er nur auf Antrag erhalten, falls er die rechtlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt.

28

Mit Blick auf diese - im Fall einer nicht auf den Erlasszeitpunkt rückwirkenden Aufhebung fortbestehenden - gesetzlichen Rechtswirkungen der Ausweisung sprechen daher die gleichen Erwägungen, die den Senat in seinem Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - (BVerwGE 130, 20) bewogen haben, bei der gerichtlichen Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung zukünftig bei allen Ausländern einheitlich auf die Sach- oder Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen, gegen eine Teilbarkeit der Ausweisung "in der Zeit". Damit ist eine Ausweisungsverfügung auch in Fällen, in denen die Ausweisung nur wegen einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage im für die Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunkt rechtswidrig geworden ist, ex nunc aufzuheben. Der Senat hat die generelle Zeitpunktverschiebung vor allem damit begründet, dass nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen im Hinblick auf einen möglichen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK und das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auf eine möglichst aktuelle Tatsachengrundlage abzustellen ist und zudem der Kreis derjenigen Ausländer, die kraft Unionsrechts nur bei Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr ausgewiesen werden dürfen, durch dem Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 zugrunde liegende EU-Richtlinien nochmals erweitert worden ist (Urteil vom 15. November 2007 a.a.O. Rn. 15 ff.). Das dabei verfolgte Ziel, in einem Verfahren auf aktueller Grundlage abschließend über die Aufenthaltsbeendigung zu entscheiden, würde unterlaufen, wenn die Ausweisung bei einer entscheidungserheblichen nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage zugunsten des Ausländers nicht rückwirkend aufgehoben und der dem Ausländer vor Erlass der Ausweisung zustehende Aufenthaltstitel nicht wieder aufleben würde. Denn in diesem Fall müsste der Streit über seinen weiteren Verbleib im Bundesgebiet im Rahmen eines neuen Aufenthaltserlaubnisverfahrens ausgetragen werden. Dass folglich auch eine im für die gerichtliche Überprüfung maßgeblichen Zeitpunkt mangels Wiederholungsgefahr rechtswidrige Ausweisung unabhängig von ihrer ursprünglichen Rechtmäßigkeit mit Wirkung ex tunc aufzuheben ist, ist daher letztlich eine weitere Konsequenz der Senatsrechtsprechung zur generellen Zeitpunktverlagerung. Diese verstößt weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen Art. 3 GG. Das mit der Rechtsprechung des Senats zur generellen Zeitpunktverschiebung verfolgte Ziel, in einem Verfahren auf aktueller Grundlage abschließend über die Aufenthaltsbeendigung zu entscheiden, dient vor allem dem Grundrechtsschutz des Ausländers und der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und beruht damit auf einer hinreichenden sachlichen Rechtfertigung.

29

2.4 Zur Klarstellung weist der Senat allerdings daraufhin, dass in Fällen, in denen die Ausweisung ursprünglich rechtmäßig war und nur aufgrund einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage rechtswidrig geworden ist, ihre Aufhebung mit Wirkung ex tunc nicht zur Folge hat, dass damit frühere Abschiebungsmaßnahmen zwangsläufig rechtswidrig sind und hierfür vom Ausländer oder einem gesetzlichen Haftungsschuldner keine Kosten erhoben werden können. Denn die rückwirkende Aufhebung einer Ausweisung wirkt sich nach nationalem Recht nicht auf frühere Vollstreckungsmaßnahmen aus, die zum damaligen Zeitpunkt rechtmäßig waren. Die Rechtmäßigkeit einer Abschiebung beurteilt sich vielmehr nach der zum Zeitpunkt ihrer Vollziehung maßgeblichen Sach- und Rechtslage. Ob dies auch in - wie vorliegend - unionsrechtlich geprägten Fallgestaltungen gilt oder ob hier - mit Blick auf die vom EuGH festgestellte Pflicht zur Berücksichtigung neuer Tatsachen bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung - ausnahmsweise auch für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit bereits vollzogener Abschiebungsmaßnahmen und die Festsetzung von Abschiebungskosten etwas anderes gilt, bedarf keiner Entscheidung. Denn das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte weder einen Antrag auf Feststellung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung bezogen auf einen früheren Zeitpunkt gestellt hat noch ein besonderes Interesse an einer entsprechenden Feststellung besteht, da der Kläger nicht abgeschoben worden ist.

30

2.5 Sollte das Berufungsgericht nach fachkundiger Abklärung bei der Gefahrenprognose zu dem Ergebnis kommen, dass vom Kläger weiterhin eine Wiederholungsgefahr ausgeht und die Ausweisung auch im Übrigen rechtmäßig ist, wird es auch über den vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren gestellten Hilfsantrag zu entscheiden haben, mit dem dieser eine sofortige Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG begehrt (vgl. dazu Senatsurteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 27 ff.).

Tatbestand

1

Der im Jahr 1964 geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

2

Der Kläger reiste 1976 in das Bundesgebiet zu seinen Eltern ein. Seine Mutter war von 1969 bis 1982 als Arbeitnehmerin beschäftigt. Nach dem Besuch der Hauptschule schloss er eine Lehre als Elektrokaufmann ab. Im Dezember 1987 erhielt er eine Aufenthaltsberechtigung. Aus der im März 1988 geschlossenen Ehe mit einer türkischen Staatsangehörigen sind zwei Töchter hervorgegangen. Die Ehe wurde mittlerweile geschieden.

3

Der Kläger ist mehrfach strafrechtlich aufgefallen: Wegen Vergewaltigung seiner damaligen Ehefrau wurde er im November 2000 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung verurteilt. Das Landgericht Krefeld verhängte gegen ihn im Oktober 2005 eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 11 Fällen und Körperverletzung. Dem Strafurteil ist zu entnehmen, dass der Kläger ab Januar 2004 Zeiten berufsbedingter Abwesenheit seiner Ehefrau zur Vornahme sexueller Handlungen an seiner älteren Tochter ausnutzte. Als er bemerkte, dass diese trotz des elterlichen Verbots Kontakt zu einem Jungen hatte, schlug er sie mit der Hand und der Faust ins Gesicht.

4

Der Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 2. Mai 2006 aus und drohte ihm für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Über die Ausweisung des assoziationsberechtigten Klägers sei im Ermessenswege zu entscheiden. Wegen der als Niederlassungserlaubnis fortgeltenden Aufenthaltsberechtigung genieße dieser besonderen Ausweisungsschutz, so dass er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden könne. Diese lägen in spezialpräventiver Ausprägung vor, denn der Schutz von Kindern vor Sexualdelikten und gewalttätigen Übergriffen sei eine überragend wichtige Aufgabe der Gemeinschaft und berühre ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die den Ausweisungsanlass bildende Tat wiege schwer; besonders fielen die Ausnutzung der Vertrauensstellung, die Wehrlosigkeit des Opfers und die Intensität der Tatbegehung ins Gewicht. Angesichts der Gesamtpersönlichkeit des Klägers und seines bisherigen Verhaltens bestehe eine hohe Wiederholungsgefahr. Er sei einschlägig vorbestraft und habe weder Einsicht in das begangene Unrecht gezeigt noch seien eine Aufarbeitung der Geschehnisse und der Versuch einer Überwindung seiner Neigungen erkennbar. Trotz Verwurzelung in den hiesigen Verhältnissen sowie familiärer Bindungen sei die Ausweisung angesichts der künftig vom Kläger ausgehenden Gefahren für elementare Rechtsgüter auch mit Blick auf Art. 8 EMRK gerechtfertigt. Die Ausweisung werde zunächst auf unbefristete Zeit ausgesprochen, da über eine Befristung erst nach positiven Veränderungen in der Person des Klägers entschieden werden könne. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Bezirksregierung Düsseldorf am 25. August 2006 zurück.

5

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 16. Januar 2007 ab. Die auf § 55 AufenthG und Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gestützte Ermessensausweisung sei nicht zu beanstanden, weil der weitere Aufenthalt des Klägers eine tatsächliche und hinreichend schwere, das Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefährdung begründe. Die spezialpräventive Ausweisung stütze sich nicht allein auf die strafrechtliche Verurteilung. Vielmehr bestünden Anhaltspunkte dafür, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch neue Verfehlungen des Klägers drohe, wenn er zu seiner Familie und damit auch zu seiner jüngeren minderjährigen Tochter in das Umfeld komme, das seine Straftaten ermöglicht habe. Art. 8 EMRK und Art. 6 GG seien nicht verletzt, da bei der Abwägung die Art und Schwere der begangenen Straftaten sowie die Wiederholungsgefahr erheblich zulasten des Klägers ins Gewicht fielen.

6

Während des Berufungsverfahrens hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 7. März 2008 die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe wegen erhöhter Rückfallgefährdung des Klägers abgelehnt. Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde hat das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 13. Mai 2008 verworfen.

7

Mit Beschluss vom 5. September 2008 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat sich die Begründung des Verwaltungsgerichts zu eigen gemacht und darüber hinaus ausgeführt, dass das Ausweisungsverfahren nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens nicht zu beanstanden sei. Die Ausweisung sei auch materiell rechtmäßig, denn die Gefahrenprognose habe - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts - weiterhin Bestand. Der Kläger sei in erhöhtem Maße rückfallgefährdet. Dies verdeutlichten die Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer sowie des Oberlandesgerichts Düsseldorf.

8

Auf die Revision des Klägers hat der Senat das Verfahren mit Beschluss vom 25. August 2009 - BVerwG 1 C 25.08 - (Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 53) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage vorgelegt, ob sich der Schutz vor Ausweisung gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zugunsten eines türkischen Staatsangehörigen, der eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 gegenüber dem Mitgliedstaat besitzt, in dem er seinen Aufenthalt in den letzten zehn Jahren gehabt hat, nach Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG richtet. Der EuGH hat die Frage mit Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08 - (Ziebell) in einem Parallelverfahren verneint und entschieden, dass Art. 14 ARB 1/80 einer Ausweisung nicht entgegensteht, sofern das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Der Senat hat daraufhin mit Beschluss vom 20. Dezember 2011 den Vorlagebeschluss aufgehoben.

9

Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG (Vier-Augen-Prinzip), das nach der Stand-Still-Klausel des Art. 13 ARB 1/80 weiter anzuwenden sei. Die Befassung der Widerspruchsbehörde im Nachgang zur Ausweisung genüge dem nicht. Bei der Gefahrenprognose seien auch nach der letzten Behördenentscheidung eingetretene Veränderungen zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, der sich nach der Entlassung aus der Strafhaft im September 2009 einer psychotherapeutischen Behandlung unterzogen und straffrei geführt habe. Klärungsbedürftig sei, was der EuGH in der Ziebell-Entscheidung mit der Schranke der Unerlässlichkeit der Ausweisung meine. Im Übrigen verstoße die unbefristete Ausweisung gegen das Übermaßverbot sowie Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Der Kläger sei faktischer Inländer, da er sich wirtschaftlich und sozial integriert habe. Schließlich verletze die Ausweisung Art. 24 Abs. 3 der Grundrechte-Charta. Hilfsweise begehrt der Kläger im Revisionsverfahren, die Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung zu befristen. Er habe einen Befristungsanspruch aus der Rückführungsrichtlinie sowie § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011.

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Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren beteiligt und hält die Revision für unbegründet.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision des Klägers hat nur in geringem Umfang Erfolg. Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) die Ausweisung (1.) und die Abschiebungsandrohung (3.) als rechtmäßig angesehen. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i.d.F. des während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 ist der Beklagte jedoch zu verpflichten, die in Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von sieben Jahren zu befristen (2.).

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Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, des Befristungsbegehrens und der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, hier also des Berufungsgerichts am 5. September 2008 (Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 12 für die Ausweisung; Urteil vom 22. März 2012 - BVerwG 1 C 3.11 - Rn. 13 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - für die Abschiebungsandrohung). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 11. Januar 2011 - BVerwG 1 C 1.10 - BVerwGE 138, 371 Rn. 10 m.w.N.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 2011 (BGBl I S. 3044). Damit sind insbesondere auch die Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - zu beachten.

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1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.

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1.1 Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 (ANBA 1981, 4 = InfAuslR 1982, 33) - ARB 1/80 -. Denn der Kläger besitzt eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80. Er ist im Alter von 12 Jahren zum Zweck der Familienzusammenführung erlaubt in das Bundesgebiet eingereist. Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass seine Mutter von 1969 bis 1982 dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat. Der Kläger hat bei seinen Eltern gelebt und die Mindestaufenthaltszeiten des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erfüllt. Nach Abschluss der Lehre zum Elektrokaufmann greift auch Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 zu seinen Gunsten. Demzufolge kann der Kläger gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Das ist hier der Fall. Damit liegen auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vor.

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1.2 Der Senat hat bereits in dem Vorlagebeschluss vom 25. August 2009 - BVerwG 1 C 25.08 - (Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 53 Rn. 21) darauf hingewiesen, dass die Vergewaltigung der Ehefrau und der mehrfache sexuelle Missbrauch der älteren Tochter einen Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht bilden. Das strafrechtlich geahndete persönliche Verhalten des Klägers begründet eine - über die mit jedem Rechtsverstoß verbundene Störung der öffentlichen Ordnung hinausgehende - tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter der sexuellen Selbstbestimmung und der körperlichen Integrität nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen sehr hohen Rang ein und lösen - insbesondere bei sexuellem Missbrauch von Minderjährigen - staatliche Schutzpflichten aus, die sich auch gegen die Eltern richten.

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In dem Vorlagebeschluss (a.a.O. Rn. 22) hat der Senat des Weiteren ausgeführt, dass bei bedrohten Rechtsgütern mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen gelten (ebenso Urteile vom 2. September 2009 - BVerwG 1 C 2.09 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 54 Rn. 17 und vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <305 f.>). An diesem differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung Kritik geäußert worden, da er dem Interesse einer möglichst umfassenden Effektivierung der Grundfreiheiten und der daher gebotenen engen Auslegung der unionsrechtlichen Rechtsgrundlagen für die Aufenthaltsbeendigung als ultima ratio nicht gerecht werde (VGH Mannheim, Urteile vom 4. Mai 2011 - 11 S 207/11 - NVwZ 2011, 1210 und vom 10. Februar 2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492). Dem vermag der Senat schon deshalb nicht zu folgen, da jede sicherheitsrechtliche Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (Urteile vom 6. September 1974 - BVerwG 1 C 17.73 - BVerwGE 47, 31 <40>; vom 17. März 1981 - BVerwG 1 C 74.76 - BVerwGE 62, 36 <39> und vom 3. Juli 2002 - BVerwG 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 347 <356>). Auch die den Gerichten der Mitgliedstaaten obliegende und auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O.), kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Der Senat hat schon zu § 12 Abs. 3 AufenthG/EWG entschieden, dass im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderungen gestellt werden dürfen (Urteil vom 27. Oktober 1978 - BVerwG 1 C 91.76 - BVerwGE 57, 61 <65>).

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Diesen Maßgaben genügt die von dem Beklagten gestellte und von den Vorinstanzen bestätigte Prognose der konkreten Wiederholungsgefahr beim Kläger. Beklagter und Verwaltungsgericht haben die Tatumstände, die Persönlichkeitsstruktur des Klägers, bei dem Einsicht, Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit dem Geschehenen fehlen, sowie die mangelnde Überwindung seiner Neigungen durch therapeutische Unterstützung umfassend gewürdigt. Das Berufungsgericht hat sich das zu eigen gemacht. Darüber hinaus hat es darauf abgestellt, dass die Strafvollstreckungskammer wegen der erhöhten Rückfallgefährdung des Klägers die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung abgelehnt und die Justizvollzugsanstalt sich dahingehend geäußert hat, dass bereits eine Gewährung von Hafturlaub nicht kalkulierbare Sicherheitsrisiken berge. Auf der Grundlage dieser das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) zur erhöhten Rückfallgefährdung des Klägers ist auch nicht ansatzweise zu erkennen, dass das Berufungsgericht seiner Prognose zulasten des Klägers einen zu niedrigen und damit unzutreffenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde gelegt hat. Die ausführliche Würdigung der Persönlichkeit des Klägers und die aus konkreten Umständen abgeleitete Wiederholungsgefahr belegen, dass der Beklagte nicht allein die strafrechtliche Verurteilung zum Anlass für die ausschließlich spezialpräventiv motivierte Ausweisung genommen, sondern die zukünftig vom Kläger ausgehende Gefahr in den Blick genommen hat.

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Entgegen der Auffassung des Klägers rechtfertigt die Zeitspanne, die infolge der Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an den EuGH zwischen der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts und der Verhandlung vor dem Senat verstrichen ist, weder die Berücksichtigung der von ihm vorgetragenen neuen tatsächlichen Umstände im Revisionsverfahren noch eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Bundesverwaltungsgericht ist - abgesehen von Fällen begründeter Verfahrensrügen - entsprechend seiner vornehmlich auf die Rechtsprüfung beschränkten Aufgabenstellung nach § 137 Abs. 2 VwGO an die vom Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Diese das Rechtsmittel der Revision kennzeichnende Beschränkung führt dazu, dass das Revisionsgericht den Streitfall nicht in gleichem Umfang wie das Berufungsgericht prüft und dass es deshalb - im Gegensatz zum Berufungsgericht (§ 128 VwGO) - neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel nicht berücksichtigt (Urteil vom 3. Juni 1977 - BVerwG 4 C 37.75 - BVerwGE 54, 73 <75>). Dies schließt auch eine Zurückverweisung der Sache nur wegen nachträglicher Veränderung des entscheidungserheblichen Sachverhalts grundsätzlich aus. Damit soll gleichzeitig der Gefahr einer "Endlosigkeit" des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorgebeugt und verhindert werden, dass einer in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstandenden Berufungsentscheidung nachträglich die Grundlage entzogen wird (Urteile vom 28. Februar 1984 - BVerwG 9 C 981.81 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 19 S. 48<51 f.> und vom 20. Oktober 1992 - BVerwG 9 C 77.91 - BVerwGE 91, 104 <105 f.>).

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Die in § 137 Abs. 2 VwGO enthaltene revisionsrechtliche Sperre für die Berücksichtigung neuer tatsächlicher Umstände wird nicht dadurch überwunden, dass Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen das Vorliegen einer gegenwärtigen, d.h. aktuellen Gefahr verlangt (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 80, 82 und insbesondere Rn. 84). Damit wird der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sachlage angesprochen, der infolge der der Verwaltungsgerichtsordnung zu entnehmenden Trennung zwischen Tatsacheninstanzen und Revisionsinstanz nur für Entscheidungen der Tatsachengerichte maßgeblich ist. Denn nur ihnen obliegt gemäß § 86 Abs. 1 und 2, §§ 108 und 128 VwGO die Erforschung des Sachverhalts und die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen im Wege freier richterlicher Beweiswürdigung. Diese Trennung der Funktionen von Tatsachen- und Rechtsinstanz wird durch das Unionsrecht nicht modifiziert, da es nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten ist, das gerichtliche Verfahrensrecht auch insoweit zu regeln, als es den Schutz von aus dem Unionsrecht erwachsenden individuellen Rechten gewährleisten soll. Dabei dürfen die prozessrechtlichen Regelungen jedoch nicht weniger günstig ausgestaltet sein als bei entsprechenden, nur auf nationales Recht gestützten Rechtsbehelfen (Äquivalenzgrundsatz). Zudem darf nach dem Effektivitätsgrundsatz die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden (EuGH, Urteile vom 12. Februar 2008 - Rs. C-2/06, Kempter - Slg. 2008, I-411 Rn. 57 und vom 10. April 2003 - Rs. C-276/01, Steffensen - Slg. 2003, I-3735 Rn. 60 ff. - jeweils m.w.N.). Beiden Grundsätzen wird die Bindung des Revisionsgerichts aus § 137 Abs. 2 VwGO auch in der vorliegenden Fallkonstellation gerecht. Die Eröffnung der auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten dritten Instanz widerspricht auch nicht dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf aus Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh). Denn der dort niedergelegte Grundsatz effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes eröffnet dem Einzelnen den Zugang zu einem Gericht und nicht zu mehreren Gerichtsinstanzen (EuGH, Urteil vom 28. Juli 2011 - Rs. C-69/10, Samba Diouf - NVwZ 2011, 1380 Rn. 69). Er verlangt nicht, dass ein nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats eröffnetes Rechtsmittel wie die Revision eine Überprüfung der Tatsachen auf aktuellem Sachstand ermöglicht. Im Übrigen steht dem Kläger im Hinblick auf nach der Berufungsentscheidung eingetretene Umstände, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der von ihm ausgehenden Gefahr mit sich bringen können, die Möglichkeit zur Beantragung einer Verkürzung der von der Ausländerbehörde gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 - 5 AufenthG bereits mit der Ausweisung festzusetzenden Frist offen (dazu unter 2.).

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1.3 Da der Kläger ein assoziationsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht besitzt, darf er nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Bei deren gerichtlicher Überprüfung ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen (EuGH, Urteil vom Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 84; so bereits Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <320 f.>). Die Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde über den Erlass einer Ausweisung erfordert eine sachgerechte Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise mit den privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet. Zugunsten des Ausländers sind die Gründe für einen besonderen Ausweisungsschutz (§ 56 AufenthG) sowie die Dauer seines rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Außerdem sind die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, in die Abwägung einzustellen (§ 55 Abs. 3 AufenthG). Die von Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange auf Achtung des Privat- und Familienlebens sind dabei entsprechend ihrem Gewicht und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere bei im Bundesgebiet geborenen und aufgewachsenen Ausländern, zumal wenn sie über keine Bindungen an das Land ihrer Staatsangehörigkeit verfügen.

21

Mit Blick auf diese Vorgaben hat der Senat bereits im Vorlagebeschluss vom 25. August 2009 (a.a.O. Rn. 24) ausgeführt, dass die Ermessensausübung des Beklagten nicht zu beanstanden ist. Die gesetzlichen Grenzen des Ermessens werden angesichts der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter der sexuellen Selbstbestimmung sowie der körperlichen Integrität von Frauen in seiner Umgebung nicht überschritten. Es begegnet keinen Bedenken, dass der Beklagte das durch den Rechtsgüterschutz geprägte und durch grundrechtliche Schutzpflichten zusätzlich verstärkte öffentliche Interesse daran, den Aufenthalt des Klägers zu beenden, höher gewichtet hat als dessen Interesse an einem Verbleib in Deutschland. Zwar schlägt sein über dreißigjähriger rechtmäßiger Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu seinen Gunsten zu Buche. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass er über ausreichende persönliche Bindungen in die Türkei verfügt, so dass ihm die Ausreise dorthin zumutbar ist. Der Schutz des Familienlebens und der elterlichen Sorge genießt hohe Bedeutung, verliert aber an Gewicht, wenn man das Kindeswohl der minderjährigen Tochter mitberücksichtigt, so dass die Aufenthaltsbeendigung auch im Hinblick auf Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 24 Abs. 3 der GRCh gerechtfertigt ist. In der Gesamtabwägung aller gegenläufigen Belange ist die Ausweisung verhältnismäßig und "unerlässlich" im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 86). Denn mit diesem Begriff hat der Gerichtshof lediglich die gebotene Abwägung der öffentlichen mit den privaten Interessen des Betroffenen, d.h. dessen tatsächlich vorliegende Integrationsfaktoren, im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesprochen (ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 10. Februar 2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492).

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1.4 Die weiteren Rügen der Revision sind unbegründet; insbesondere ist das Ausweisungsverfahren fehlerfrei durchgeführt worden. Zwar war das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene "Vier-Augen-Prinzip" auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige zu übertragen (Urteil vom 13. September 2005 - BVerwG 1 C 7.04 - BVerwGE 124, 217 <221 f.> im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 - Rs. C-136/03, Dörr und Ünal - Slg. 2005, I-4759 = NVwZ 2006, 72). In dem hier vorliegenden Fall hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid aber am 2. Mai 2006 und damit erst nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG zum 30. April 2006 (Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG) erlassen. Zu diesem Zeitpunkt galt Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr; stattdessen ist nunmehr Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG als unionsrechtlicher Bezugsrahmen für die Anwendung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 heranzuziehen (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 79). Nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG steht langfristig Aufenthaltsberechtigten zur Überprüfung einer Ausweisung der Rechtsweg offen; die Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren zur Prüfung der Zweckmäßigkeit der Maßnahme ist nicht vorgeschrieben.

23

Im Übrigen hat der Gerichtshof vor Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG die Anwendung des "Vier-Augen-Prinzips" auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige damit begründet, dass die im Rahmen von Art. 48 EGV eingeräumten Rechtspositionen so weit wie möglich auf assoziationsberechtigte türkische Arbeitnehmer übertragen werden müssen. Um effektiv zu sein, müssten diese (materiellen) Rechte von den türkischen Staatsangehörigen vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können. Zur Gewährleistung der Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes sei es unabdingbar, ihnen die Verfahrensgarantien zuzuerkennen, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden. Daher müsse es ihnen ermöglicht werden, sich u.a. auf Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG zu berufen, da die Verfahrensgarantien untrennbar mit den materiellen subjektiven Rechten verbunden seien, auf die sie sich beziehen (EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 a.a.O. Rn. 62 und 67). Da Ausgangspunkt der Betrachtung des Gerichtshofs die Verfahrensgarantien sind, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden, erweist sich seine Rechtsprechung zur Übertragung auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige schon im Ansatz offen für Fälle von Rechtsänderungen, die die Stellung der Unionsbürger betreffen. Für diese gewährleistet Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG gegen Entscheidungen, die aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung getroffen werden, einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde. Im Rechtsbehelfsverfahren sind nach Art. 31 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2004/38/EG die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände zu überprüfen, auf denen die Entscheidung beruht. Nach Satz 2 gewährleistet das Rechtsbehelfsverfahren, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG nicht unverhältnismäßig ist. Demzufolge gebietet Unionsrecht bei Ausweisungen von Unionsbürgern keine behördliche Kontrolle mehr nach dem "Vier-Augen-Prinzip". Dann können assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nach der dynamisch angelegten Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Übertragung von Rechten auf diese Gruppe keine bessere verfahrensrechtliche Rechtsstellung beanspruchen.

24

Demgegenüber beruft sich der Kläger auf die Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP. Gemäß Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Gemäß Art. 41 Abs. 1 ZP werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Aus diesen Stand-Still-Klauseln ergibt sich nach Auffassung des Klägers, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG bei der Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger weiterhin anzuwenden sei. Dem folgt der Senat nicht.

25

Gegen die Auffassung des Klägers spricht bereits, dass Art. 13 ARB 1/80 seinem Wortlaut nach nur die Mitgliedstaaten, nicht aber die Europäische Union verpflichtet. Art. 41 Abs. 1 ZP betrifft sachlich nur Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, nicht aber die der Arbeitnehmerfreizügigkeit zuzurechnende aufenthaltsrechtliche Stellung aus Art. 7 ARB 1/80. Des Weiteren erscheint fraglich, ob die auf den Zugang zum Arbeits- bzw. Binnenmarkt zugeschnittenen Stand-Still-Klauseln überhaupt Verfahrensregelungen bei der Aufenthaltsbeendigung erfassen (vgl. Urteil vom 30. April 2009 - BVerwG 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 20 zu den gesetzlichen Erlöschenstatbeständen für Aufenthaltstitel) und ob die Aufhebung des "Vier-Augen-Prinzips" mit Blick auf die gerichtliche Überprüfbarkeit nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG eine merkliche Verschlechterung der Rechtsposition darstellt. Das kann aber dahinstehen, da die weitere Anwendung des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige selbst bei Annahme einer rechtserheblichen Verschlechterung gegen Art. 59 ZP verstoßen würde. Nach dieser Vorschrift darf der Türkei in den von diesem Protokoll erfassten Bereichen keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen. Das wäre aber bei weiterer Anwendung des "Vier-Augen-Prinzips" im Vergleich zu den Verfahrensrechten von Unionsbürgern aus Art. 31 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG - wie oben dargelegt - der Fall.

26

Im Übrigen entspricht das im vorliegenden Fall durchgeführte Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO den Anforderungen der in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltenen Verfahrensgarantien (Urteil vom 13. September 2005 a.a.O. S. 221 f.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat mangels durchgreifender neuer Argumente der Revision fest.

27

2. Auf den Hilfsantrag des Klägers, mit dem dieser die Befristung der Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung begehrt, ist die Beklagte zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von sieben Jahren zu befristen. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.

28

2.1 Der erst in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag ist zulässig. Das Verbot der Klageänderung im Revisionsverfahren in § 142 VwGO steht dem nicht entgegen. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift soll sich das Revisionsgericht grundsätzlich auf die rechtliche Prüfung des in der Vorinstanz bereits erörterten und aufbereiteten Streitstoffes beschränken, um nicht wegen eines erstmals im Revisionsverfahren gestellten Klageantrags ohne weitere Rechtsprüfung zu einer Zurückverweisung gemäß § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO gezwungen zu sein (Urteil vom 14. April 1989 - BVerwG 4 C 21.88 - Buchholz 442.40 § 6 LuftVG Nr. 21 = NVwZ 1990, 260<261>). Eine solche Situation liegt aber hier nicht vor. Während des Revisionsverfahrens ist § 11 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 in der Weise geändert worden, dass der Kläger nunmehr einen Anspruch auf gleichzeitige Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung hat (s.u. 2.2.2). Dieser Änderung des materiellen Rechts trägt der gestellte Hilfsantrag Rechnung. Durch dessen Einbeziehung wird der Streitstoff auch nicht verändert, da der Befristungsanspruch in tatsächlicher Hinsicht vollumfänglich auf dem gegen die Ausweisung gerichteten Anfechtungsbegehren aufbaut (vgl. Urteil vom 26. Januar 1995 - BVerwG 3 C 21.93 - BVerwGE 97, 331 <342>).

29

2.2 Der Hilfsantrag ist nur in geringem Umfang begründet. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt nach Satz 6 mit der Ausreise. Nach Satz 7 erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.

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2.2.1 Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 haben Ausländer grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet (Weiterentwicklung der Rechtsprechung im Urteil vom 14. Februar 2012 - BVerwG 1 C 7.11 - juris Rn. 28 f.). Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

31

Die Regelungen zur Befristung der Wirkungen einer Ausweisung und Abschiebung sind seit dem Ausländergesetz 1965 kontinuierlich zugunsten der betroffenen Ausländer verbessert worden. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 stand die Befristung der Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung noch vollumfänglich im Ermessen der Ausländerbehörde. § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 sah vor, dass auf Antrag eine Befristung in der Regel erfolgte (ebenso § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG 2004); die Länge der Frist lag im Auswahlermessen der Behörde. Diese Entwicklung belegt die gewachsene Sensibilität des Gesetzgebers für die Verhältnismäßigkeit der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung in zeitlicher Dimension angesichts der einschneidenden Folgen für die persönliche Lebensführung des Ausländers und die ihn ggf. treffenden sozialen, familiären und wirtschaftlichen Nachteile (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386 <398 ff.>). Denn typischerweise genügt eine zeitlich befristete Ausweisung zur Erreichung der mit dieser ordnungsrechtlichen Maßnahme verfolgten präventiven Zwecke (Urteile vom 7. Dezember 1999 - BVerwG 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <147> und vom 11. August 2000 - BVerwG 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <371 ff.>).

32

Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung setzte nach den bisher geltenden Vorschriften grundsätzlich die vorherige Ausreise des Ausländers voraus (Beschluss vom 17. Januar 1996 - BVerwG 1 B 3.96 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 5; Urteil vom 7. Dezember 1999 a.a.O. S. 147; vgl. auch BTDrucks 11/6321 S. 57 zu § 8 Abs. 2 AuslG 1990). Die gesetzliche Systematik von Ausweisung und Befristung war zweitaktig angelegt, da im Zeitpunkt des Erlasses einer (auch) spezialpräventiv motivierten Ausweisung typischerweise kaum zu prognostizieren ist, wie der Betroffene sich zukünftig verhalten wird. Das Verhalten nach der Ausweisung ist aber neben dem Gewicht des Ausweisungsgrundes, der Berücksichtigung des Ausweisungszwecks und der Folgenbetrachtung im Hinblick auf das Übermaßverbot einer der für die Fristbestimmung maßgeblichen Faktoren (Urteil vom 11. August 2000 a.a.O. S. 372 ff.). Die im Gesetz angelegte Trennung von Ausweisung einerseits und Befristung ihrer Wirkungen andererseits hat zur Folge, dass eine fehlerhafte Befristungsentscheidung nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung führt, sondern selbstständig angreifbar ist (Beschlüsse vom 31. März 1981 - BVerwG 1 B 853.80 - Buchholz 402.24 § 15 AuslG Nr. 3 und vom 10. Dezember 1993 - BVerwG 1 B 160.93 - Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 2; Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 30).

33

Der Senat hat bereits zur früheren Rechtslage mehrfach entschieden, dass die Ausländerbehörde zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Einzelfall auch von Amts wegen verpflichtet sein kann, die Wirkungen der Ausweisung schon bei Erlass der Ausweisung zu befristen. Ob dies erforderlich war, hing bei einer spezialpräventiven Ausweisung von den gesamten Umständen des Einzelfalles, insbesondere dem Ausmaß der von dem Ausländer ausgehenden Gefahr, der Vorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung dieser Gefahr und den schutzwürdigen Belangen des Ausländers und seiner Angehörigen ab (Urteile vom 15. März 2005 - BVerwG 1 C 2.04 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 42, vom 23. Oktober 2007 - BVerwG 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 Rn. 18 und vom 2. September 2009 - BVerwG 1 C 2.09 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 54 Rn. 25 sowie Beschluss vom 20. August 2009 - BVerwG 1 B 13.09 - Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 4 Rn. 8). Bei einer allein generalpräventiv motivierten Ausweisung eines Ausländers mit besonderem Ausweisungsschutz war es demgegenüber regelmäßig geboten, über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung von Amts wegen zugleich mit der Ausweisung zu entscheiden. Denn in diesen Fällen lässt sich bereits in dem für die Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt beurteilen, wie lange der Betroffene unter Berücksichtigung seiner schutzwürdigen privaten Belange vom Bundesgebiet ferngehalten werden muss, um die notwendige generalpräventive Wirkung zu erzielen, so dass es unverhältnismäßig wäre, ihn über diesen für seine Lebensplanung wichtigen Umstand im Unklaren zu lassen (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 29). Sowohl bei der generalpräventiven als auch bei der spezialpräventiven Ausweisung kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.V.m. Art. 6 GG ausnahmsweise sogar die Befristung der Sperrwirkung einer Ausweisung "auf Null" gebieten, ohne dass der Ausländer zur vorherigen Ausreise verpflichtet ist (Urteil vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 LS 4 und Rn. 28).

34

Das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 hat die Rechtslage für die betroffenen Ausländer weiter verbessert: § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. verschafft dem Betroffenen nunmehr - vorbehaltlich der Ausnahmen in Satz 7 der Vorschrift - einen uneingeschränkten, auch hinsichtlich der Dauer der Befristung voller gerichtlicher Überprüfung unterliegenden Befristungsanspruch (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 32 f. - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen). Zugleich ist hinsichtlich der Dauer der Frist geregelt, dass diese unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen ist und fünf Jahre nur überschreiten darf, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (§ 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG n.F.).

35

Diese Änderungen des § 11 AufenthG dienen der Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 - Rückführungsrichtlinie (ABl EU Nr. L 348 vom 24. Dezember 2008 S. 98). Diese Richtlinie, die auf Art. 63 Abs. 3 Buchst. b EG (jetzt: Art. 79 Abs. 2 Buchst. c AEUV) gestützt ist und die illegale Einwanderung bekämpfen soll, ergänzt die Migrationspolitik um eine wirksame Rückkehrpolitik mit klaren, transparenten und fairen Vorschriften (4. Erwägungsgrund). Die Richtlinie findet gemäß Art. 2 Abs. 1 - vorbehaltlich der Opt-out-Klausel in Absatz 2 der Vorschrift - Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese die Voraussetzungen für die Einreise bzw. den Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllen (5. Erwägungsgrund). Im Einklang mit allgemeinen Grundsätzen des EU-Rechts sollen Entscheidungen gemäß dieser Richtlinie auf Grundlage des Einzelfalls und anhand objektiver Kriterien getroffen werden (6. Erwägungsgrund). Um die Interessen der Betroffenen wirksam zu schützen, sollen für Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr eine Reihe gemeinsamer rechtlicher Mindestgarantien gelten (11. Erwägungsgrund). Die Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen soll einen europäischen Zuschnitt erhalten (14. Erwägungsgrund). Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie definiert die Rückkehrentscheidung als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Rückkehrentscheidungen gehen in den in Art. 11 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie genannten Fällen mit einem Einreiseverbot einher; gemäß Satz 2 der Vorschrift können sie in anderen Fällen mit einem Einreiseverbot einhergehen. Das Einreiseverbot definiert Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt werden und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Die Dauer des Einreiseverbots wird gemäß Art. 11 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Die Dauer des Einreiseverbots kann jedoch nach Satz 2 der Vorschrift fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Verfahrensrechtlich garantiert Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie die Möglichkeit der Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs gegen Entscheidungen nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie, also Rückkehrentscheidungen sowie ggf. Entscheidungen über ein Einreiseverbot oder eine Abschiebung.

36

Die Begründung des Gesetzentwurfs zum Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 geht davon aus, dass große Teile der in der Rückführungsrichtlinie enthaltenen Vorgaben durch die Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zur Aufenthaltsbeendigung bereits erfüllt werden. Da die Richtlinie - anders als das geltende Aufenthaltsrecht mit der Differenzierung zwischen Ausreisepflichten kraft Verwaltungsakts und kraft Gesetzes - eine "Rückkehrentscheidung" verlange, an die unterschiedliche prozedurale bzw. formelle Garantien geknüpft würden, seien punktuelle gesetzliche Anpassungen erforderlich. Diese erfolgten jedoch innerhalb der geltenden Systematik, indem sie an den die Ausreisepflicht begründenden Verwaltungsakt (z.B. Ausweisung) oder an die Abschiebungsandrohung nach § 59 des Aufenthaltsgesetzes geknüpft würden. Die Umsetzung der Rückführungsrichtlinie erfordere darüber hinaus die Einführung einer Regelobergrenze von fünf Jahren für die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG (BTDrucks 17/5470 S. 17).

37

Das macht deutlich, dass sich der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 11 AufenthG auch hinsichtlich der in Absatz 1 Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten gesetzlichen Folgen der Ausweisung und deren Befristung an den unionsrechtlichen Vorgaben für eine Rückkehrentscheidung orientiert hat. Im Regelungsmodell der Richtlinie ist das Einreiseverbot jedoch als antragsunabhängige, mit einer Rückkehrentscheidung von Amts wegen einhergehende Einzelfallentscheidung ausgestaltet, in der die Dauer der befristeten Untersagung des Aufenthalts in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt wird (Art. 3 Nr. 6 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 und 2 Satz 1 der Richtlinie). Aus der Absicht des Gesetzgebers, dieses Modell trotz der beibehaltenen systematischen Trennung von Ausweisung und Befristung nachzuvollziehen, ergeben sich zwei Konsequenzen: Zum einen gebietet § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. den gleichzeitigen Erlass von Ausweisung und Befristung. Zum anderen genügt für den in dieser Vorschrift vorgesehenen Antrag jede Form der Willensbekundung des Betroffenen, mit der dieser sich gegen eine Ausweisung wendet (anders noch zu § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990: Beschluss vom 14. Juli 2000 - BVerwG 1 B 40.00 - Buchholz 402.240 § 8 AuslG Nr. 18). Dieser Auslegungsbefund des einfachen Rechts trägt zugleich der besonderen Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK Rechnung. Denn der EGMR zieht die Frage der Befristung bei der Prüfung von Ausweisungen am Maßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK als ein wesentliches Kriterium heran (EGMR, Urteile vom 17. April 2003 - Nr. 52853/99, Yilmaz/Deutschland - NJW 2004, 2147; vom 27. Oktober 2005 - Nr. 32231/02, Keles/Deutschland - InfAuslR 2006, 3 <4>; vom 22. März 2007 - Nr. 1638/03, Maslov/Österreich - InfAuslR 2007, 221 <223> und vom 25. März 2010 - Nr. 40601/05, Mutlag/Deutschland - InfAuslR 2010, 325 <327>). Diese grund- und menschenrechtlichen Impulse verbunden mit der Absicht des Gesetzgebers, sich am Regelungsmodell der Rückführungsrichtlinie zu orientieren, führen in der Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass der Erlass einer Entscheidung zur Befristung der Wirkungen einer Ausweisung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. nicht mehr die vorherige Ausreise des Ausländers voraussetzt.

38

Dagegen lässt sich nicht mit Erfolg einwenden, aus § 11 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ergebe sich, dass der Gesetzgeber nach wie vor von einer nachträglichen Befristung ausgehe. Nach dieser Vorschrift ist bei der Bemessung der Fristlänge zu berücksichtigen, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist. Es liegt auf der Hand, dass sich diese Umstände erst nach Erlass der Ausweisung feststellen lassen. Dennoch läuft die Vorschrift bei gleichzeitigem Erlass von Ausweisung und Befristung nicht leer. Denn die Ausländerbehörde hat ihre zusammen mit der Ausweisung getroffene Befristungsentscheidung, die sich u.a. auf eine Prognose des künftigen Verhaltens des Ausländers stützt und die Folgen der Ausweisung im Hinblick auf das zeitliche Übermaßverbot berücksichtigt, auf Antrag zu überprüfen und ggf. neu zu fassen, wenn einer der für die Fristbestimmung maßgeblichen Faktoren sich im Nachhinein ändert. Neben nachgewiesenen entscheidungserheblichen Änderungen der Sachlage kennzeichnet § 11 Abs. 1 Satz 5 AufenthG einen zusätzlichen Punkt, der von der Ausländerbehörde bei einer nachträglich beantragten Verkürzung der Frist zu berücksichtigen ist. Im Übrigen haben auch die Gerichte bei ihrer Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Befristungsentscheidung, die auch hinsichtlich der Bemessung der Fristdauer seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde steht (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 31), die rechtzeitige und freiwillige Ausreise des Betroffenen zu berücksichtigen.

39

2.2.2 Fehlt die notwendige Befristung der Wirkungen der Ausweisung, hat das aber auch nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht zur Folge, dass die - als solche rechtmäßige - Ausweisung aufzuheben ist. Vielmehr kann der Ausländer zugleich mit Anfechtung der Ausweisung seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gerichtlich durchsetzen (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 30). Damit wird dem sich aus dem materiellen Recht ergebenden Anspruch des Betroffenen auf gleichzeitige Entscheidung über die Ausweisung und die Befristung ihrer Wirkungen Rechnung getragen und die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung im Ergebnis gewährleistet. Diese verfahrensrechtliche Ausgestaltung entspricht der gesetzlichen Systematik, die nach wie vor zwei getrennte Verwaltungsakte - die Ausweisung einerseits und die Befristung ihrer Wirkungen andererseits - vorsieht (s.o. Rn. 32). Prozessual wird dieses Ergebnis dadurch sichergestellt, dass in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen gesehen wird, sofern eine solche nicht bereits von der Ausländerbehörde verfügt worden ist. Das Prozessrecht muss gewährleisten, dass der Ausländer gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. nicht auf ein eigenständiges neues Verfahren verwiesen wird. Daher ist im Fall der gerichtlichen Bestätigung der Ausweisung auf den Hilfsantrag zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu treffen.

40

Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde vollumfänglich zu überprüfen. Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist festgesetzt oder fehlt - wie hier - eine behördliche Befristungsentscheidung, hat das Gericht über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung der Ausweisung zu verpflichten (Weiterentwicklung des Urteils vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 31).

41

2.2.3 Der Senat hält im vorliegenden Fall - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts und auf der Grundlage von dessen tatsächlichen Feststellungen - eine Frist von sieben Jahren für angemessen.

42

Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (zu der zuletzt genannten Voraussetzung vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG). Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK messen und ggf. relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. Urteile vom 11. August 2000 - BVerwG 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> und vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 19 ff.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung ist nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen bzw. von den Verwaltungsgerichten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts zu überprüfen oder bei fehlender behördlicher Befristungsentscheidung - wie hier - durch eine eigene Abwägung als Grundlage des Verpflichtungsausspruchs zu ersetzen.

43

Die in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren ist im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, da von dem Kläger - im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts - eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht; das ergibt sich aus den Ausführungen zu den Ausweisungsvoraussetzungen. Wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der vom Berufungsgericht festgestellten hohen Wiederholungsgefahr erachtet der Senat auch im Hinblick auf die familiären und persönlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einen Zeitraum von sieben Jahren für erforderlich, um dem hohen Gefahrenpotential in der Person des Klägers Rechnung tragen zu können. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Rückfallgefahr bei Delikten dieser Art, des Alters des Klägers, seines (Nach-)Tatverhaltens ohne therapeutische Auf- und Verarbeitung des Geschehens sowie seines familiären Umfelds ist nicht zu erwarten, dass er die hier maßgebliche Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vor Ablauf der festgesetzten Frist unterschreiten wird. Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass der Beklagte auf den bei ihm während des Revisionsverfahrens gestellten Befristungsantrag auf aktueller Tatsachengrundlage zu prüfen hat, ob sich aus dem Vorbringen des Klägers zur Entwicklung seit dem 5. September 2008 Anhaltspunkte für eine Verkürzung der Frist ergeben.

44

3. Die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig. Der Kläger ist ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG), da infolge der Ausweisung seine gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltende Aufenthaltsberechtigung erloschen ist (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Die im angefochtenen Bescheid vom Beklagten getroffene Festsetzung der Ausreisefrist von einem Monat legt der Senat in Übereinstimmung mit § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. zugunsten des Klägers dahingehend aus, dass ihm eine Frist von 31 Tagen für die freiwillige Ausreise zur Verfügung steht.

45

4. Die Frage, ob die Ausweisung, die Befristung ihrer Wirkungen und die Abschiebungsandrohung an den Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie zu messen sind, kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Der Senat ist bisher davon ausgegangen, dass die Rückführungsrichtlinie, die von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG bis zum 24. Dezember 2010 umzusetzen war, für davor erlassene und mit der Klage angegriffene Abschiebungsandrohungen keine Geltung beansprucht (Urteile vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 35 und vom 22. März 2012 a.a.O. Rn. 15; a.A. VGH Mannheim, Urteil vom 16. April 2012 - 11 S 4/12 - juris Rn. 49 ff.; vgl. auch VerwGH Wien, Urteile vom 16. Juni 2011 - Az. 2011/18/0064 - und vom 20. März 2012 - Az. 2011/21/0298). Für den sachlichen Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie ist zudem umstritten, ob die Ausweisung als Rückkehrentscheidung i.S.d. Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie 2008/115/EG angesehen werden kann (dafür: Basse/Burbaum/Richard, ZAR 2011, 361<364>; Hörich, ZAR 2011, 281 <284 Fn. 45>; dagegen: VGH Mannheim, Urteil vom 7. Dezember 2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412; offen: OVG Münster, Urteil vom 22. März 2012 - 18 A 951/09 - juris Rn. 88). Das alles kann indes hier dahinstehen. Denn selbst wenn man die intertemporale Geltung und die sachliche Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie auf die (Wirkungen der) Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unterstellt, verhilft das der Revision im vorliegenden Fall nicht in weitergehendem Umfang zum Erfolg. Da der Kläger mit seinem Hilfsantrag die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. gebotene Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung zusammen mit deren gerichtlicher Prüfung durchsetzen kann, wird den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie im Ergebnis Genüge getan. In dem hier vorliegenden Fall konnte die Dauer des Einreiseverbots auch die Regelfrist von fünf Jahren überschreiten, da der Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung i.S.d. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG darstellt.

46

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5. Nachdem der Kläger aber mit seinem Hilfsantrag nur zum Teil obsiegt hat, hat er 9/10 der Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 3. Juli 2014 und Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis weiter. Mit diesem Bescheid wies die Beklagte den Kläger aus dem Bundesgebiet aus und untersagte die Wiedereinreise für fünf Jahre. Zugleich lehnte sie seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 12. April 2011 ab, duldete aber seinen Aufenthalt wegen tatsächlicher Abschiebungshindernisse in den Irak.

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Der allein dargelegte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor (1.). Die zudem geltend gemachten Zulassungsgründe der rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten sowie der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO) sind schon nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt (2.).

Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen im Zulassungsantrag (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (BVerfG, B. v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Dies ist jedoch bezüglich der vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellung, dass die Ausweisung des Klägers verhältnismäßig sei (a.), und er keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis habe (b.), nicht der Fall.

a. Das Erstgericht geht in der Urteilsbegründung davon aus, dass der Kläger durch seine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten (Urteil vom 8.10.2013) den Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 1 AufenthG a. F. erfüllt habe und daher in der Regel ausgewiesen werde, er keinen besonderen Ausweisungsschutz genieße und auch kein Ausnahmefall im Sinne des § 54 AufenthG a. F. vorliege. Die Ausweisung sei unter Anwendung der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entwickelten Grundsätze nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Der Kläger sei mehrmals wegen erheblicher Straftaten verurteilt worden. Die Straftaten hätten sich gegen das Eigentum und die körperliche Unversehrtheit gerichtet. Die Ausweisung erfolge sowohl aus general- als auch aus spezialpräventiven Gründen. Der Kläger sei ein mehrmaliger Bewährungsversager. Es bestehe eine konkrete Wiederholungsgefahr der Begehung weiterer ähnlich gelagerter Straftaten. Eine Auseinandersetzung oder eine Einsicht des Klägers in seine Taten und eine positive Entwicklung seien nicht erkennbar. Der Kläger sei im Alter von 14 Jahren mit seinem Vater aus dem Irak nach Deutschland gekommen. Er sei in seiner Kindheit im Heimatland sozialisiert worden. Das Gericht gehe davon aus, dass er sich in der Landessprache seines Heimatlandes verständigen könne. Er habe durch seine aus dem Irak stammenden Eltern eine soziokulturelle Beziehung zum Heimatland. In Deutschland habe er keinen Berufsabschluss erreicht, kaum gearbeitet und sich auch nicht in sonstiger Weise integriert. Er habe keine eigene Familie gegründet. Zulasten des Klägers sprächen seine zahlreichen Straftaten und seine fortdauernde Gefährlichkeit. Er sei weder als Asylberechtigter anerkannt noch sei ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Seine Aufenthaltserlaubnis sei alleine Folge des Umstands, dass die Mutter des Klägers erkrankt gewesen sei. Die Pflege der Mutter habe ihn nicht davon abgehalten, straffällig zu werden. Selbst wenn man einen Ausnahmefall im Sinne des § 54 AufenthG a. F. annehmen wolle, sei die Ausweisung als Ermessensausweisung rechtmäßig.

Der Kläger bringt im Zulassungsverfahren vor, dass die Ausweisung nicht den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK entspreche. Er sei als Flüchtling eingereist und lebe noch bei seinen Eltern und den beiden älteren Geschwistern. Er habe im Heimatland keine Verwandten mehr, seine Heimatstadt dürfte inzwischen in Schutt und Asche liegen. Der Kläger und seine Familie seien Flüchtlinge, die aus einer Gegend stammten, in der zurzeit der Islamische Staat die Macht an sich reißen wolle. Den Kläger in sein Heimatland zurückzuschicken, würde bedeuten, sein Leben zu gefährden. Die Maßnahme sei im Hinblick auf die begangenen Straftaten unverhältnismäßig. Der Kläger habe die meisten Straftaten im jugendlichen Alter begangen. Er sei Erstverbüßer und habe nun erstmals die Gelegenheit, sich mit seinen Verhaltensweisen, insbesondere auch seinem Alkoholkonsum, auseinanderzusetzen. Eine positive Entwicklung sei daher nicht von vornherein auszuschließen. Die Ermessenserwägungen der Beklagten seien unzureichend.

Mit diesem Vorbringen zieht der Kläger die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, soweit damit die Klage gegen die Ausweisungsverfügung im Bescheid der Beklagten vom 3. Juli 2014 abgewiesen wird, gemessen an den nunmehr maßgeblichen Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG in der aktuellen Fassung des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl I S. 394), das am 17. März 2016 in Kraft getreten ist, im Ergebnis jedoch nicht ernsthaft in Zweifel.

Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Denn maßgeblich für die rechtliche Beurteilung einer Ausweisungsentscheidung ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 12), also hier der Entscheidung über den Zulassungsantrag. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist daher zu berücksichtigen, sie ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 57).

Der Senat hat daher die verwaltungsgerichtliche Entscheidung unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens anhand der gesetzlichen Regelungen über die Ausweisung in der ab 17. März 2016 gültigen Fassung zu überprüfen. Die bereits am 1. Januar 2016 in Kraft getretenen neuen gesetzlichen Regelung zur Ausweisung (Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und Aufenthaltsbeendigung vom 27.7.2015, BGBl I S. 1886) differenzieren nicht mehr zwischen der zwingenden Ausweisung, der Ausweisung im Regelfall und der Ermessensausweisung, sondern verlangen für eine Ausweisung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für ein Ermessen der Ausländerbehörde keinen Raum mehr lässt. Die Ausweisungsentscheidung ist durch das Gericht in vollem Umfang überprüfbar (Welte, InfAuslR 2015, 426; Cziersky-Reis in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 53 Rn. 30; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, Vorb §§ 53 - 56 Rn. 5 ff., a.A. Marx, ZAR 2015, 245/246). Eine nach altem Recht verfügte (Ermessens-) Ausweisung wird auch nach Inkrafttreten der §§ 53 bis 55 AufenthG n. F. nicht rechtsfehlerhaft, wenn sie den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Anforderungen entspricht, also der weitere Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet und die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Der Senat kommt vorliegend bei der Prüfung der Ausweisungsentscheidung zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an einer Ausreise unter Abwägung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Kriterien das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt.

Die nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist beim Kläger zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs noch gegeben. Denn es besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger auch weiterhin Straftaten, die sich gegen die körperliche Unversehrtheit und das Eigentum anderer richten, begehen wird. Bei der vom Gericht eigenständig zu treffenden Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, B. v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - UA Rn. 11). Der Kläger ist bereits als Jugendlicher durch Körperverletzungsdelikte aufgefallen. Die verhängten Jugendarreste haben den Kläger nicht davon abgehalten, weiterhin Körperverletzungsdelikte zu begehen, die sich in ihrer Brutalität steigerten. Das Amtsgericht München verurteilte ihn am 18. Juni 2010 wegen vorsätzlicher Körperverletzung (unter Einbeziehung einer vorherigen Verurteilung wegen Diebstahls) zu einer Jugendstrafe von einem Jahr, deren Vollzug zur Bewährung ausgesetzt wurde. In der Bewährungszeit beging er ein weiteres Körperverletzungsdelikt, das zu einer Verurteilung durch das Amtsgericht München zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten führte. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger künftig wegen der Verbüßung der verhängten Freiheits- bzw. Jugendstrafe keine Gewaltstraftaten mehr begehen und sich an die Rechtsordnung halten werde, ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht. Zunächst ist nicht zutreffend, dass der Kläger die meisten Straftaten als Jugendlicher begangen hat. Die letzte Verurteilung wegen eines Körperverletzungsdelikts zu acht Monaten Freiheitsstrafe erfolgte zu einem Zeitpunkt, als der Kläger schon erwachsen war; dies gilt auch für die Verurteilungen zu Geldstrafen wegen Erschleichens von Leistungen, gemeinschaftlicher Sachbeschädigung und wegen Beleidigung. Auch ist der Kläger nicht „Erstverbüßer“, sondern befand sich vor seiner Inhaftierung bereits mehrmals im Jugendarrest. Zwar gehen die Straf- und Verwaltungsgerichte davon aus, dass die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe, insbesondere als erste massive Einwirkung auf einen jungen Menschen, unter Umständen seine Reifung fördern und die Gefahr neuen Straffälligwerdens mindern kann (BayVGH, B. v. 24.2.2016 - 10 ZB 15.2080 - UA Rn. 12 m. w. N.). Es ist beim Kläger aber nicht erkennbar, dass ihn die Verbüßung der Freiheitsstrafe nachhaltig beeindruckt, er sich mit seiner kriminellen Vergangenheit auseinandersetzt und es zu einem nachhaltigen Einstellungswandel gekommen ist. Die Justizvollzugsanstalt stellt in ihrem Führungsbericht vom 19. Juni 2015 fest, dass aufgrund der Delikts- und Persönlichkeitsstruktur des Klägers eine Teilnahme an der anstaltsinternen Gewalt-Präventions-Gruppe notwendig erscheine, die Behandlungs- und Veränderungsmotivation jedoch unzureichend sei. Das Verhalten im Vollzug sei nicht beanstandungsfrei. Zudem erbringe er in einem Unternehmerbetrieb nur unbeständige und unterdurchschnittliche Arbeitsleistungen. Vollzugslockerungen seien dem Kläger mangels Eignung nicht gewährt worden. Die Justizvollzugsanstalt hat daher auch eine Aussetzung des Strafrests zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 1 StGB i. V. m. § 88 JGG nicht befürwortet. Der Kläger hat seine Alkoholproblematik, die er als Ursache für die von ihm begangenen Straftaten ansieht, nicht aufgearbeitet, so dass auch aus diesem Grund zu befürchten ist, er werde auch in Zukunft unter Einfluss von Alkohol Straftaten begehen (vgl. zur Wiederholungsgefahr bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung beruhen, z. B. BayVGH, B. v. 19.5.2015 - 10 ZB 13.1437 - juris Rn. 13).

Ein besonders schwerwiegendes oder ein schwerwiegendes Bleibeinteresse im Sinne des § 55 Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG liegt nicht vor. Sämtliche Privilegierungstatbestände dieser Vorschriften, die berücksichtigen, dass der Kläger als Minderjähriger ins Bundesgebiet eingereist ist und sich seit fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält, setzen den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis voraus. Eine solche besitzt er jedoch seit dem 17. April 2011 nicht mehr.

Hingegen besteht ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG. § 54 AufenthG konkretisiert und gewichtet die Ausweisungsinteressen, die in die Abwägungsentscheidung nach § 53 Abs. 1 AufenthG einzubeziehen sind. Die Verurteilungen des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten und zu einer Jugendstrafe von einem Jahr, die zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde, begründen für sich genommen kein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AufenthG, da sie die Voraussetzungen der jeweiligen Regelung nicht erfüllen. Durch die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung (Urteil des Amtsgerichts München vom 8.10.2013) ist aber jedenfalls der Tatbestand des erst am 17. März 2016 in Kraft getretenen § 54 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG erfüllt. Der Kläger hatte versucht, einen Türsteher mit einer Bierflasche niederzuschlagen. Ob darüber hinaus ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG vorliegt, weil der Kläger wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall (Einbruch in einen Getränkemarkt) und Körperverletzung (er schlug den Geschädigten ohne rechtfertigenden oder entschuldigenden Grund ins Gesicht) zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr, die zur Bewährung ausgesetzt war (vgl. hierzu BT-Drs. 18/7537, S. 5), verurteilt worden ist, kann daher offen bleiben. Ebenso braucht nicht entschieden werden, ob durch die Verurteilungen zu zwei Geldstrafen, die über der Bagatellgrenze von 30 Tagessätzen liegen (Urteil des AG München vom 28.10.2011 und Strafbefehl des AG München vom 27.7.2013) zusätzlich ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG besteht.

Das Vorliegen eines in § 54 AufenthG normierten Ausweisungsinteresses, dem nicht auch ein gleichwertiges Bleibeinteresse gegenübersteht, führt indessen noch nicht ohne weiteres zur Ausweisung des Betroffenen. Der Gesetzgeber geht selbst davon aus, dass die in § 54 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG genannten Ausweisungsinteressen im Einzelfall bei Vorliegen besonderer Umstände auch mehr oder weniger Gewicht entfalten, so dass ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nicht zwangsläufig zur Ausweisung des Ausländers führen muss (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 Rn. 52; BT-Drs. 18/4097 S. 50). Erst anhand einer Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalls lässt sich feststellen, ob das Interesse an der Ausweisung letztlich überwiegt. Insbesondere hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern durch das Einfügen der Wörter „sowie die Tatsache, ob der Ausländer sich rechtstreu verhalten hat“ in § 53 Abs. 2 AufenthG klargestellt, dass sich rechtstreues Verhalten zugunsten und nicht rechtstreues Verhalten zulasten des Ausländers in der Abwägung auswirken kann (BT-Drs. 18/7537 S. 5).

Im Fall des Klägers überwiegt bei Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Kriterien das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers sein Bleibeinteresse. Aus dem Vorbringen im Zulassungsverfahren ergibt sich weder in Bezug auf die begangene Straftat, die das schwerwiegende Ausweisungsinteresse begründet, noch in Bezug auf die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten abwägungsrelevanten Kriterien eine Atypik. Es trifft nicht zu, dass der Kläger überwiegend Bagatelldelikte begangen hat. Bei den Verurteilungen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten wegen Einbruchsdiebstahls bzw. versuchten Einbruchsdiebstahls wirkte der Kläger mit den anderen an der Straftat Beteiligten bewusst und gewollt zusammen und hatte zuvor einen Tatplan ausgearbeitet. Bei den Körperverletzungsdelikten ging die Aggression stets vom Kläger aus. Gerade die Tat, die der Verurteilung zur Freiheitsstrafe von acht Monaten zugrunde lag, zeigt die besondere Aggressivität des Klägers, als er ohne vorherige Provokation einem Türsteher eine Bierflasche auf den Kopf schlagen wollte. Eine berufliche und wirtschaftliche Integration ist dem Kläger bislang nicht gelungen. Dem Zulassungsvorbringen ist auch nicht zu entnehmen, dass er ernsthafte Anstrengungen unternommen hat, diese Situation zu ändern. Nicht ausreichend ist jedenfalls, dass „eine positive Entwicklung nicht von vornherein auszuschließen ist“. Die Ausweisung des Klägers führt zwar dazu, dass der persönliche Kontakt zu seinen Eltern und seinen Schwestern, bei denen er bis zu seiner Inhaftierung gelebt hat, nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Die Beziehungen zu seiner Familie sind jedoch nicht besonders schützenswert, da er bereits 26 Jahre alt und nicht mehr auf die Beistandsleistungen seiner Eltern oder Geschwister angewiesen ist. Seit seiner Inhaftierung hat ihn seine Familie nur in unregelmäßigen Abständen in der Justizvollzugsanstalt besucht. Entgegen dem Vorbringen im Zulassungsantrag ist auch davon auszugehen, dass der Kläger Bindungen zu seinem Herkunftsstaat hat. Er hat bis zu seinem 14. Lebensjahr zusammen mit seiner Familie in Kirkuk gelebt und dort die Schule besucht. Nach den Angaben seines Vaters im Asylverfahren lebten zumindest im Jahr 2003 noch dessen Vater und Schwester im Irak. Aus der Anhörung im Asylverfahren lässt sich auch nicht entnehmen, dass der Kläger in einem Krisen- und Kriegsgebiet aufgewachsen sei, wie er im Zulassungsverfahren vorbringt. Sein Vater hat lediglich angegeben, dass er sich für die Baath-Partei politisch engagiert und befürchtet habe, als Kurde verhaftet zu werden. Das bisherige Bleiberecht des Klägers beruhte auch nicht darauf, dass er in seinem Heimatland menschenrechtswidriger Behandlung ausgesetzt gewesen wäre oder ihm eine erhebliche, individuelle oder konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit gedroht hätte. Der Kläger erhielt eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, weil für seine Mutter, die an Erkrankungen leidet, die im Irak nicht behandelbar sind, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht. Ob inzwischen Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf den Kläger vorliegen, ist in dem dafür vorgesehenen asylrechtlichen Verfahren beim Bundesamt zu überprüfen. Zudem wäre es ihm als erwachsenen, jungen und gesunden Mann zuzumuten, gegebenenfalls nicht in seinen Heimatort, sondern an einen anderen sicheren Ort in seinem Heimatland zurückzukehren.

b. Auch die Abweisung der Klage auf Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen bzw. seine Aufenthaltserlaubnis zu verlängern, erweist sich unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens als richtig.

Das Verwaltungsgericht hat insoweit ausgeführt, dass der Tatbestand des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt sei und die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht vorlägen. Die Ausreise in den Irak sei sowohl aus tatsächlichen als auch aus rechtlichen Gründen möglich und zumutbar. Es bestünden Flugverbindungen in den Irak. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse bestünden nicht. Im Hinblick auf die derzeitige Lage im Irak liege auch kein zielstaatsbezogenes Ausreisehindernis vor. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge habe mit Bescheid vom 27. Oktober 2003 bestandskräftig festgestellt, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG nicht vorlägen. An diese Entscheidung sei die Ausländerbehörde gemäß § 42 Satz 1 AsylVfG (jetzt AsylG) gebunden. Anhaltspunkte, dass eine extreme Gefahrenlage vorliege und daher der Ausländerbehörde ein eigenes Prüfungsrecht zukomme, lägen nicht vor. Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen, wonach der Lebensunterhalt gesichert sein müsse und kein Ausweisungsgrund vorliegen dürfe, seien nicht gegeben. Die mit Schreiben der Beklagten vom 14. Juli 2015 ergänzten Ermessenserwägungen in Bezug auf das Absehen von diesen Erteilungsvoraussetzungen seien nicht fehlerhaft.

Im Zulassungsverfahren wendet der Kläger insoweit lediglich ein, dass das Gebiet, aus dem er stamme, mitten in der Kampfzone des Islamischen Staates liege. Gerade dort, wo er beheimatet gewesen sei, bestehe eine extreme Gefahr für Leib und Leben.

Mit diesem Vorbringen zieht der Kläger die Entscheidung des Erstgerichts jedoch nicht ernsthaft in Zweifel. Insoweit fehlt es bereits an einer substantiierten Darlegung, weshalb seine freiwillige Ausreise wegen einer extremen Gefahr für Leib und Leben unzumutbar sein soll. Alleine der Umstand, dass er aus Al-Tamin stammt, wofür es eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes gibt, reicht nicht aus, um eine extreme Gefahr für Leib und Leben in der Person des Klägers anzunehmen. Ihm bleibt es im Übrigen unbenommen, im Falle einer freiwilligen Ausreise nicht in seinen Heimatort, sondern in einen anderen Teil des Landes zurückzukehren.

Mit der weiteren Erwägung des Verwaltungsgerichts, dass selbst bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bestehe, weil die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt seien und es im Ermessen der Ausländerbehörde stehe, ob sie von diesen Voraussetzungen abweiche (§ 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG), setzt sich der Kläger im Zulassungsvorbringen nicht auseinander.

2. Zu den weiter angeführten Zulassungsgründen des § 124 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 VwGO fehlen jegliche Darlegungen im Zulassungsantrag. Auch aus dem Zulassungsvorbringen zum Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils lässt sich nicht entnehmen, worin die besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten oder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache liegen sollten.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 sowie § 52 Abs. 2, § 39 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 52 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tenor

I. In Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. Januar 2015 wird die Klage insgesamt abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Befristung des mit seiner Ausweisung verbundenen Einreise-und Aufenthaltsverbots auf unter fünf Jahre.

Der 1992 in ... geborene und hier aufgewachsene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er erhielt zuletzt eine bis 15. April 2008 befristete Aufenthaltserlaubnis.

Mit Verfügung vom 25. September 2014 wies die Beklagte den Kläger aus der ... aus (Nr. 1.), lehnte den Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab (Nr. 2.), drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an (Nr. 3.) und befristete die Wirkungen der Ausweisung auf fünf Jahre (Nr. 4.). Die Ausweisung wurde damit begründet, dass der Kläger aufgrund seiner wegen einer Vielzahl gemeinschaftlich begangener Einbruchsdiebstähle rechtskräftigen Verurteilung durch das Amtsgericht A. vom 15. Februar 2011 zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und vier Monaten den Ausweisungstatbestand gemäß § 53 Nr. 1 AufenthG (a.F.) verwirklicht habe. Es liege weder ein besonderer Ausweisungsschutz gemäß § 56 Abs. 1 AufenthG (a.F.) vor, noch könne sich der Kläger auf ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) berufen. Ungeachtet dessen gehe vom persönlichen Verhalten des Klägers eine schwerwiegende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aus, die seine Ausweisung rechtfertige, obwohl er in Deutschland geboren und aufgewachsen sei und seine Familie hier lebe. Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf fünf Jahre sei nach den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 14.2.2012 - 1 C 7.11) entwickelten Kriterien unter Berücksichtigung der von ihm ausgehenden schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung angemessen.

Mit Urteil vom 27. Januar 2015 hat das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg die Beklagte verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf zwei Jahre sechs Monate zu befristen, und die Klage des Klägers im Übrigen abgewiesen. Die Klage sei lediglich begründet, soweit sie sich inzident gegen die Sperrfrist von fünf Jahren richte. Seit dem Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 (BGBl I S. 2258) hätten Ausländer einen uneingeschränkten, auch hinsichtlich der Dauer der Befristung voller gerichtlicher Überprüfung unterliegenden Befristungsanspruch. Im Fall der Bestätigung der Ausweisung habe das Gericht daher auch ohne einen diesbezüglichen ausdrücklichen Klageantrag zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu treffen. Die durch die Beklagte festgesetzte Frist sei unverhältnismäßig lang. Nach Auffassung der Kammer sei eine Sperrfrist von zwei Jahren sechs Monaten erforderlich aber auch ausreichend. Dabei orientiere sich das Gericht an den zuletzt gegen den Kläger verhängten Freiheitsstrafen in Höhe von vier Jahren vier Monaten sowie fünf Monaten. Von dieser Dauer (der Freiheitsstrafen) sei mit Blick auf Art. 8 EMRK und den Status des Klägers als faktischer Inländer deutlich nach unten abzuweichen. Denn insoweit sei der Kernbereich seiner persönlichen Bindungen betroffen. In Abwägung mit den von ihm ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sei eine Frist von zwei Jahren sechs Monaten angemessen.

Mit Beschluss vom 17. Januar 2017 (10 ZB 15.388) hat der Senat den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abgelehnt und die Berufung der Beklagten zugelassen, soweit diese erstinstanzlich verpflichtet worden ist, die Wirkungen der Ausweisung auf zwei Jahre sechs Monate zu befristen.

Zur Begründung ihrer Berufung macht die Beklagte geltend, die Orientierung des Verwaltungsgerichts am Strafmaß des Klägers führe zu einer unzutreffenden Ausgangsannahme für die Befristungsregelung. Für die Festsetzung der Sperrfrist gemäß § 11 AufenthG bedürfe es im ersten Schritt vielmehr der prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liege, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermöge. Der Ausweisungsgrund beim Kläger wiege schwer, was schon die Verurteilung zu einer Jugendeinheitsstrafe von vier Jahren vier Monaten verdeutliche. Der Kläger habe bislang überwiegend Eigentumsdelikte begangen. Dies rechtfertige es jedoch nicht, im ersten Schritt der Fristbestimmung nur noch von vier Jahren neun Monaten auszugehen. Damit werde die Bedeutung des grundgesetzlichen Eigentumsschutzes verkannt und zudem vernachlässigt, dass beim Kläger nichts für eine geminderte Wiederholungsgefahr spreche. Dieser sei auch durch Strafvollstreckung nicht zu beeindrucken und Bewährungsversager. Zudem liege bei ihm eine unbehandelte Alkohol- und Drogenproblematik vor, die mit seinen Straftaten ohne Zweifel im Zusammenhang stehe. Auch der vom Verwaltungsgericht im zweiten Schritt vorgenommene Abschlag von etwa 50 v.H. auf die zunächst ermittelte Sperrfrist sei nicht gerechtfertigt. Zwar sei der Kläger in Deutschland geboren und habe hier nahezu sein gesamtes Leben verbracht. Familiäre Bindungen habe er allerdings nur an seine Mutter und seine erwachsenen Geschwister. Er verfüge über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Auch im Übrigen sei seine soziale Integration als eher gering zu bewerten.

Die Beklagte beantragt,

in Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. Januar 2015 die Klage insgesamt abzuweisen.

Mit Schriftsatz vom 14. April 2016 hat die Beklagte mitgeteilt, ein gegen den Kläger ergangenes Urteil des Amtsgerichts M. vom 11. August 2015, mit dem er wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt wurde, sei nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft ... nunmehr rechtskräftig geworden. Der Kläger sei nach ihrer Kenntnis am ... 2016 in die Türkei ausgereist.

Ebenfalls mit Schriftsatz vom 14. April 2016, hier eingegangen am 12. Juni 2017, hat die Beklagte weiter mitgeteilt, mit Urteil des Landgerichts M. I vom 10. November 2015 sei das gegen den Kläger ergangene Urteil des Amtsgerichts M. vom 11. August 2015 mit der Maßgabe aufrechterhalten worden, dass der Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt wird. Gleichzeitig hat die Beklagte gemäß § 11 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 AufenthG in der Neufassung des Gesetzes vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots beim Kläger nunmehr nach Ermessen entschieden bzw. die bisher fehlende Ermessensentscheidung nachgeholt. Es entspreche pflichtgemäßem Ermessen, die Sperrwirkungen auf fünf Jahre zu befristen. Die sich an der Erreichung des spezialpräventiven Ausweisungszwecks orientierende Sperrfrist verlange nach prognostischer Einschätzung ein Fernhalten des Klägers für sechs Jahre. Dieser habe seit 2006 kontinuierlich gravierende Straftaten begangen, zuletzt Betäubungsmitteldelikte während offener Reststrafenbewährung. Frühere Verurteilungen und die anschließende Strafvollstreckung hätten auf ihn offensichtlich keinen Eindruck gemacht. Ansatzpunkte, die für ein künftiges straffreies Leben des Klägers und seine soziale Integration sprechen würden, seien nicht ersichtlich. Auch wenn der Kläger sogenannter faktischer Inländer sei, werde dieser Aspekt durch die besonderen Umstände in seinem Fall nicht unerheblich relativiert. Der Kläger habe es bisher kaum zu wirtschaftlich-sozialen Integrationsleistungen gebracht und verfüge im Bundesgebiet über eher schwache soziale und familiäre Kontakte. Daher sei eine Reduzierung der Sperrfrist (nur) um ein Jahr auf fünf Jahre vorzunehmen.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben sich zur Berufung der Beklagten nicht geäußert, sondern mit Schriftsatz vom 7. Juni 2017 lediglich mitgeteilt, angesichts der Rückkehr des Klägers in die Türkei bereits im April 2016 und fehlender Erfolgsaussichten seines Prozesskostenhilfeantrags sei beabsichtigt, nicht zum - zunächst bestimmten - Sitzungstermin am 19. Juni 2017 zu erscheinen.

Auf Anfrage des Gerichts vom 13. Juni 2017 haben alle Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg.

1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Festsetzung einer Sperrfrist gemäß § 11 AufenthG von unter fünf Jahren. Im Übrigen - das ist bezüglich der mit Bescheid vom 25. September 2014 verfügten Ausweisung, der Ablehnung des Antrags auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis und der Abschiebungsandrohung - ist das klageabweisende Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. Januar 2015 mit der Ablehnung des Antrags des Klägers auf Zulassung der Berufung durch Beschluss des Senats vom 17. Januar 2017 (10 ZB 15.388) rechtskräftig geworden (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Festsetzung einer Sperrfrist von unter fünf Jahren oder zumindest Verpflichtung zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO). Daher ist das insoweit stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Klage des Klägers insgesamt abzuweisen.

2.1. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen (Verpflichtungs-)Begehrens und damit der Befristungsentscheidung der Beklagten ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts (zur gerichtlichen Kontrolle einer Befristungsentscheidung nach § 11 AufenthG in der Neufassung vom 27. Juli 2015, zur Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 2. Alt. VwGO und zum der Ausländerbehörde bei ihrer Entscheidung über die Länge der Frist zustehenden Ermessen nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 27.16 - juris; BayVGH, U.v. 28.6.2016 - 10 B 15.1854 - juris). Maßgeblich ist hier deshalb die Regelung des § 11 AufenthG in der (Neu-)Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386).

Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der - wie der Kläger - ausgewiesen worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Nach § 11 Abs. 2 AufenthG ist das mit der Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise und ist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Über die Länge der Frist wird nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Sie darf gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Diese Frist soll zehn Jahre nicht überschreiten (§ 11 Abs. 3 Satz 3 AufenthG).

Die Neuregelung des Gesetzgebers in § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach über die Dauer der Sperrfrist im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde zu entscheiden ist, ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren, insbesondere stehen ihr verfassungs- und menschenrechtliche Vorgaben nicht entgegen (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 27.16 - juris Rn. 20 ff.).

2.2. Ausgehend davon ist der in erster Instanz vom Kläger gestellte (pauschale) Klageantrag, die Ausweisungsverfügung der Beklagten vom 25. September 2014 aufzuheben, auch ohne ausdrücklichen Hilfsantrag zur Befristungsregelung nach § 88 VwGO entsprechend dem Rechtsschutzziel sachgerecht dahin auszulegen, dass für den Fall einer gerichtlichen Bestätigung der Ausweisungsverfügung eine angemessene Verkürzung der Dauer der Befristung auf unter fünf Jahre oder zumindest eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung hinsichtlich der Dauer der Frist begehrt wird (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.2016 - 10 B 15.1854 - juris Rn. 48).

2.3. Die behördliche Befristungsentscheidung unterliegt auch als Ermessensentscheidung einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle, weil der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Behörde eine gesetzliche Ermessensgrenze darstellt, ein Verstoß dagegen zu einer Ermessensüberschreitung führt und der gerichtlichen Überprüfung nach § 114 Satz 1 VwGO unterliegt. Die Behörde darf bei der Ausübung ihres Ermessens von dem im Einzelfall zulässigen Höchstmaß der Frist nicht zulasten des Ausländers abweichen. Die Einhaltung dieser Obergrenze unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle (BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 27.16 - juris Rn. 24).

2.4. Die Befristungsentscheidung der Beklagten in der Gestalt der von ihr zuletzt (mit dem am 12.6.2017 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom 14.4.2016) angestellten Ermessenserwägungen verstößt jedoch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und ist damit nicht ermessensfehlerhaft im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO.

2.4.1. Da für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und gegebenenfalls zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen (BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 27.16 - juris Rn. 23). § 114 Satz 2 VwGO schließt es im Rechtsstreit um eine Befristungsentscheidung auch nicht aus, eine behördliche Ermessensentscheidung erstmals im gerichtlichen Verfahren zu treffen und zur gerichtlichen Prüfung zu stellen, wenn sich - wie hier - aufgrund neuer Umstände (hier: Neuregelung des § 11 AufenthG durch den Gesetzgeber) die Notwendigkeit einer Ermessensausübung erst nach Klageerhebung ergibt (zur Nachholung einer Ermessensentscheidung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bei einer Ausweisung: BVerwG, U.v. 13.12.2011 - 1 C 14.10 - juris Rn. 8). Die systematischen Gründe sowie Sinn und Zweck der Vorschrift des § 114 Satz 2 VwGO, die das Bundesverwaltungsgericht für die Rechtfertigung der Einbeziehung nachträglicher Ermessenserwägungen der Ausländerbehörde heranzieht, die ihrer Verpflichtung zur Aktualisierung durch erstmalige Ausübung des Ausweisungsermessens während des gerichtlichen Verfahrens nachgekommen ist (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2011 - 1 C 14.10 - juris Rn. 9), sprechen in gleicher Weise bei der Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde dafür, die so nachgeschobenen Ermessenserwägungen bei der gerichtlichen Prüfung zu berücksichtigen. Daher sind die Ermessenserwägungen, die die Beklagte ihrer Pflicht zur fortlaufenden Aktualisierung ihrer behördlichen Befristungsentscheidung entsprechend während des Berufungsverfahrens nachgeschoben hat, vom Senat bei der gerichtlichen Überprüfung mit zu würdigen.

2.4.2. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert auch nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zu Grunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlich an den Vorgaben aus Art. 7 der Grundrechtecharta der Europäischen Union und Art. 8 EMRK gemessen und gegebenenfalls relativiert werden. Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern es bedarf nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange (BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 27.16 - juris Rn. 23).

Daran gemessen sind die nachträgliche Ermessensausübung und die Befristungsentscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat bei der Bemessung der Sperrfrist im ersten Schritt in rechtlich nicht zu beanstandender Weise darauf abgestellt, dass die Ausweisung des Klägers aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erfolgt ist und der spezialpräventive Zweck der Verhinderung weiterer gravierender Straftaten insbesondere im Bereich der Eigentumsdelikte, aber auch der Körperverletzungs- und Betäubungsmitteldelikte ein Fernhalten des Klägers vom Bundesgebiet für sechs Jahre erfordert. Sie hat zu Recht darauf verwiesen, dass der Kläger innerhalb weniger Jahre mehrfach insbesondere wegen Diebstahlsdelikten - bandenmäßig begangenen Einbruchsdiebstählen mit hohem Schaden und erheblichen erbeuteten Geldbeträgen - zu Freiheitsstrafen (zuletzt zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren vier Monaten) verurteilt worden ist, mehrfach Bewährungschancen nicht genutzt hat, sondern vielmehr während offener Bewährungszeit erneut einschlägig straffällig geworden und ein Unterbrechungszeitraum zwischen 2010 und 2013 lediglich auf die Inhaftierung des Klägers zurückzuführen ist. In ihre Gefahrenprognose hat die Beklagte zutreffend mit eingestellt, dass der Kläger auch nach erfolgter Strafvollstreckung wegen eines vorsätzlichen Körperverletzungsdelikts und wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln erneut zu Freiheitsstrafen verurteilt worden ist und Anhaltspunkte für eine Verhaltensänderung bei ihm nicht erkennbar sind. Aufgrund der festgestellten hohen Wiederholungsgefahr erneuter schwerwiegender Straftaten und damit des hohen Gefahrenpotenzials des Klägers ist die Überschreitung der Frist von fünf Jahren (§ 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) und Bemessung der Frist im ersten Schritt auf sechs Jahre nicht zu beanstanden.

Ohne Rechtsfehler hat die Beklagte die so bestimmte Frist mit Blick auf die persönlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet als sogenannter faktischer Inländer um ein Jahr auf fünf Jahre reduziert. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts verlangt Art. 8 EMRK als normatives Korrektiv, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für dessen persönliche Lebensführung zu begrenzen, unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles hier nicht, die Frist weiter oder - wovon das Erstgericht ausgegangen ist - sogar um die Hälfte zu reduzieren. Denn die Beklagte hat zu Recht darauf verwiesen, dass der Aspekt der persönlichen Bindungen des Klägers an Deutschland trotz seines Status als faktischer Inländer aufgrund fallspezifischer Besonderheiten eine nicht unerhebliche Relativierung erfährt, weil der Kläger bisher nennenswerte wirtschaftlich-soziale Integrationsleistungen nicht erbracht hat, seine sozialen und familiären Kontakte und Bindungen im Bundesgebiet als nicht besonders eng zu bewerten sind und er bei seiner letzten Ausreise in die Türkei (zu seinem dort lebenden Vater) immerhin schon 24 Jahre alt war. Bei der bereits festgestellten erheblichen Wiederholungsgefahr und den zu berücksichtigenden persönlichen Bindungen lässt die durch die Beklagte vorgenommene Reduzierung der Höchstfrist um ein Jahr keinen Rechtsfehler zulasten des Klägers erkennen; insbesondere gebietet auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unter den dargelegten Umständen nicht die Festsetzung einer Frist von unter fünf Jahren oder eine Neubescheidung durch die Beklagte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Oberverwaltungsgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundesverwaltungsgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt. Gericht im Sinne des § 1062 der Zivilprozeßordnung ist das zuständige Verwaltungsgericht, Gericht im Sinne des § 1065 der Zivilprozeßordnung das zuständige Oberverwaltungsgericht.