Verwaltungsgericht München Urteil, 01. März 2018 - M 22 K 18.248

bei uns veröffentlicht am01.03.2018

Gericht

Verwaltungsgericht München

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin ist Halterin eines am … gewölften Pit-Bull-Rüden namens „…“, den sie im … … aus Italien nach Deutschland eingeführt hat. Mit ihrer Klage begehrt sie die vom Beklagten versagte Erteilung einer Haltungserlaubnis für ihren Hund, die Aufhebung der gleichzeitig angeordneten Haltungsuntersagung und Abgabeverfügung sowie der darauf bezogenen Mitteilungs- und Nachweispflichten.

Der Beklagte erfuhr am … im Rahmen der Anmeldung des Tieres zur Hundesteuer von der Hundehaltung der Klägerin. Aus den dabei vorgelegten Papieren einer veterinärmedizinischen Untersuchung am Abgabeort in Italien geht hervor, dass es sich um einen Hund der Rasse Pit-Bull handelt. Am … wurde die Klägerin vom Beklagten darüber informiert, dass die Einfuhr eines Hundes dieser Rasse gesetzlich verboten sei. Eine von der Klägerin erwogene Negativprüfung sei nicht möglich, da es sich um einen Kampfhund der Kategorie I handle.

Mit Schreiben vom …7 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass die Einfuhr und Haltung eines Hundes der Rasse Pit-Bull in Bayern nicht erlaubt sei. Sie werde daher aufgefordert, ihren Hund bis zum ... nach Italien zurückzubringen und bis … einen Abgabenachweis einzureichen. In einer von der Klägerin unterzeichneten Niederschrift, die auf denselben Tag datiert, wurde sie nochmals darauf hingewiesen, dass sie den Pit-Bull-Rüden nicht nach Deutschland hätte einführen dürfen. Ihr Hund dürfe bis zu seiner Abgabe die Wohnung der Klägerin nur noch mit angelegtem Maulkorb und einer reißfesten, maximal drei Meter langen Leine verlassen. Sofern sich bis zum  … keine geeignete Person für „…“ finden lassen sollte, werde ihn die Klägerin in einem Tierheim unterbringen.

In einem Telefonat vom … teilte die Klägerin dem Beklagten mit, sie habe eine Familie in Italien gefunden, an die sie den Hund abgeben könne. Sie bräuchte jedoch noch mehr Zeit, um alles zu organisieren. Der Beklagte sagte der Klägerin daraufhin eine Fristverlängerung bis ... zu.

Am … teilte die Klägerin dem Beklagten telefonisch mit, sie habe sich zwischenzeitlich an einen Rechtsanwalt gewandt. Zu einer Abgabe des Hundes nach Italien kam es in der Folge nicht.

Mit Schreiben vom … gab der Beklagte der Klägerin die Möglichkeit, sich zum Sachverhalt und zur beabsichtigten sicherheitsrechtlichen Maßnahme einer Haltungsuntersagung bis zum ... zu äußern.

Mit ebenfalls am ... beim Beklagten eingegangenem Schriftsatz (datiert auf den …) beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin, ihr eine Haltungserlaubnis bzw. eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen und bat um rechtsmittelfähige Bescheidung des Antrags. Zur Begründung des Antrags wurde vorgetragen, die Klägerin sei unabhängig von der Einordnung ihres Tieres als Kampfhund beim Erwerb bzw. der Entgegennahme gutgläubig gewesen. Sie benötige das Tier auch aus psychischen Gründen, da sie auf die Beziehung Mensch – Tier angewiesen sei und der Hund zudem sie und ihr Umfeld beschütze.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom ..., der Klägerin am ... zugestellt, verfügte der Beklagte gegenüber der Klägerin Folgendes:

1. Die mit Schreiben vom ... beantragte Haltungserlaubnis bzw. Ausnahmegenehmigung für den Pit-Bull-Rüden „…“ wird versagt.

2. Ab dem ... wird Ihnen die Haltung und die Wiederinbesitznahme Ihres Pit-Bull-Rüden „…“ untersagt.

3. Sie haben den Pit-Bull-Rüden „…“ bis zum ... an eine geeignete Person außerhalb Ihres Haushalts, die den Hund legal halten darf, oder an eine für die Aufnahme eines Kampfhundes geeignete Einrichtung (z.B. Tierheim) abzugeben.

4. Vor Abgabe des Pit-Bull-Rüden „…“ an eine Person gemäß Ziffer 3 ist vorher die Zustimmung des Marktes Altomünster einzuholen und diesem gegenüber der Empfänger des Hundes unter Angabe der vollständigen Adresse schriftlich zu benennen. Ferner sind Sie verpflichtet, eine von der für den Empfänger zuständigen Behörde ausgestellte Bescheinigung vorzulegen, dass dieser den Kampfhund legal halten kann.

5. Die Abgabe des Hundes an eine Einrichtung gemäß Ziffer 3 ist dem Markt Altomünster innerhalb eines Tages nach Abgabe schriftlich, mit Namen und ladungsfähiger Anschrift der Einrichtung sowie mittels einem beiderseits unterschriebenen Abgabevertrags anzuzeigen.

6. Für den Fall eines Verstoßes gegen die Anordnung aus Ziffer 2 dieses Bescheids wird ein Zwangsgeld in Höhe von EUR 750,00 angedroht. Für den Fall eines Verstoßes gegen die Anordnung aus Ziffer 3 dieses Bescheides wird ein Zwangsgeld in Höhe von EUR 750,00 angedroht. Für den Fall eines Verstoßes gegen die Anordnung aus Ziffer 4 dieses Bescheides wird ein Zwangsgeld in Höhe von EUR 350,00 angedroht. Für den Fall eines Verstoßes gegen die Anordnung aus Ziffer 5 dieses Bescheides wird ein Zwangsgeld in Höhe von EUR 350,00 angedroht.

7. Die sofortige Vollziehung der Ziffern 2 bis 5 dieses Bescheides wird angeordnet.

8. Die Kosten des Verfahrens haben Sie zu tragen.

9. Die Gebühr für diesen Bescheid wird auf EUR 350,00 festgesetzt. Auslagen sind in Höhe von EUR 3,50 zu erstatten.

In den Bescheidsgründen wurde unter anderem ausgeführt, die Eigenschaft als Kampfhund werde bei einem Hund der Rasse Pit-Bull nach § 1 Abs. 1 Spiegelstrich 1 KampfhundeV stets vermutet. Die Haltung eines Hundes dieser Rasse bedürfe einer Erlaubnis nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 LStVG. Voraussetzung für die Erteilung einer derartigen Erlaubnis sei jedoch das Vorliegen eines berechtigten Interesses. Dieser Begriff sei eng auszulegen. Ein berechtigtes Interesse der Klägerin liege hier nicht vor. Die von der Klägerin geltend gemachten zwingenden psychischen Gründe, die aus der engen Bindung zwischen der Klägerin und dem Hund resultieren würden, seien als reine Liebhaberinteressen nicht geeignet, ein berechtigtes Interesse zu begründen, da andernfalls die beschränkende Funktion des Tatbestandsmerkmals leerlaufen würde. Soweit sich die Klägerin darauf berufe, der Pit-Bull-Rüde würde sie und ihr Umfeld beschützen, ergäben sich hieraus ebenfalls keine Anhaltspunkte für die Annahme eines berechtigten Interesses, da ein gesteigertes Bedürfnis nach persönlicher Sicherheit gerade nicht ausreichend sei. Es sei auch nicht ersichtlich, weshalb ein erlaubnisfreier Hund wie ein Deutscher Schäferhund dieses Sicherheitsbedürfnis nicht ebenso erfüllen könnte.

Rechtsgrundlage für die Anordnungen in den Ziffern 2 bis 5 sei Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG, da das Halten eines Kampfhundes ohne die erforderliche Erlaubnis eine Ordnungswidrigkeit nach Art. 37 Abs. 4 Nr. 1 Alt. 2 LStVG darstelle, die es durch die Untersagung der Haltung und Wiederinbesitznahme sowie die Abgabe des Tieres zu verhindern gelte. Durch die Haltung eines unerlaubten Kampfhundes habe die Klägerin zumindest fahrlässig gehandelt.

Für die Untersagung der Haltung genüge regelmäßig bereits das Halten des Tieres ohne die erforderliche Erlaubnis (sog. formelle Illegalität). Sowohl die Haltungsuntersagung als auch die Abgabeanordnung seien verhältnismäßig. Mildere Mittel, mit denen die Gefahr beseitigt werden könne, seien nicht ersichtlich. Die Anordnung eines Leinen- oder Maulkorbzwanges stelle im Hinblick auf den eindeutigen Willen des Gesetzgebers, der in der KampfhundeV zum Ausdruck komme, kein geeignetes Mittel zur Gefahrenabwehr dar. Die Maßnahmen seien auch angemessen, da die Grundrechte der Klägerin nicht unzulässig eingeschränkt würden. Das Wohl der Allgemeinheit (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) überwiege das Individualinteresse der Klägerin an der Haltung des Hundes. Die bedrohten Rechtsgüter seien besonders hochwertig und unterlägen der Schutzpflicht des Staates. Demgegenüber werde die Klägerin durch die Maßnahme lediglich in die Schranken ihres Eigentumsrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG verwiesen, wie sie sich aus dem verfassungsgemäßen Art. 37 LStVG i.V.m. Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG ergeben würden. Das Interesse der Klägerin an der weiteren Haltung des Hundes müsse insofern hinter dem öffentlichen Interesse zurückstehen.

Die Anordnung über die Nachweispflichten in Ziffern 4 und 5 des Bescheides seien ebenfalls rechtmäßig, da sie zur effektiven Gefahrenabwehr erforderlich seien. So könne der Verbleib des Hundes nachgeprüft und die weitere Begehung von Ordnungswidrigkeiten verhindert werden.

Die Klägerin ließ mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom ..., bei Gericht am selben Tag eingegangen, Klage erheben und beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, unter Abänderung des Bescheides vom ... zu verpflichten, der Klägerin die Haltungserlaubnis bzw. Ausnahmegenehmigung für den Rüden „…“ zu erteilen.

Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen vorgebracht, die Klägerin sei bei der Anschaffung des Hundes davon ausgegangen, dass dieser nicht als sog. Listenhund zustimmungspflichtig sei. Es stelle insoweit eine reine Vermutung dar, dass die Klägerin fahrlässig gehandelt habe. Zudem sei die Rechtsgrundlage für den Erlass des Bescheides (Art. 37 Abs. 1 Satz 1 LStVG i.V.m. Art. 7 Abs. 2 LStVG) verfassungswidrig. Eine Regelung, wonach ein Pit-Bull-Rüde als Kategorie I-Kampfhund anders zu behandeln sei als andere Hunde (beispielsweise Schäferhunde) verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz sowie gegen wissenschaftliche, kynologische Erkenntnisse. Demnach habe die Wissenschaft in einhelliger Weise bestätigt, dass die Gefährlichkeit eines Hundes nicht von der Zuordnung zu einer bestimmten Rasse abhänge. Unabhängig hiervon liege jedoch ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Haltung des Hundes vor. Es sei schon nicht nachzuvollziehen, warum der Begriff des berechtigten Interesses eng ausgelegt werden müsse, zumal es sich bei der Einstufung als Listenhund der Kategorie I um eine unwiderlegliche Vermutung handle. Die Klägerin sei aus ärztlichen bzw. psychischen Gründen auf das Halten des Pit-Bull-Rüden angewiesen, da sie sich an das Tier gewöhnt habe und dessen Zuwendung benötige. Schließlich gebe der Hund der Klägerin auch ein Gefühl der Sicherheit, wenn sie spazieren gehe.

Die Abgabeanordnung verstoße darüber hinaus gegen das Übermaßverbot, da es bisher zu keinerlei Auffälligkeiten mit dem Hund gekommen sei. Auch sei die Fristsetzung zur Abgabe des Hundes mit 14 Tagen viel zu kurz bemessen.

Der Beklagte hat sich mit Schreiben vom ... und ... zum Verfahren geäußert und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, die Vereinbarkeit der dem Bescheid zugrunde liegenden Rechtsgrundlagen, insbesondere von Art. 37 LStVG sowie § 1 Abs. 1 KampfhundeV, sei in der obergerichtlichen Rechtsprechung hinreichend geklärt und anerkannt. Es fehle an der Voraussetzungen für die Erteilung der für die Haltung des Pit-Bull-Rüden „…“ benötigten Erlaubnis, da ein berechtigtes Interesse nicht nachgewiesen sei. Insbesondere sei nicht klar, worin die medizinische Notwendigkeit der Haltung bestehe. Im Übrigen seien reine Liebhaberinteressen geltend gemacht, die gerade nicht ausreichend seien. Die Frist zur Abgabe des Hundes sei ausreichend bemessen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid des Beklagten erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

1. Das Gericht hat dabei zunächst das tatsächliche Rechtsschutzbegehren der Klägerin durch Auslegung zu ermitteln (vgl. § 88 VwGO). Maßgebend für den Umfang des Klagebegehrens ist das aus dem gesamten Parteivorbringen, insbesondere der Klagebegründung, zu entnehmende wirkliche Rechtsschutzziel (stRspr; vgl. BVerwG, U.v. 3.7.1992 – 8 C 72/90 – juris Rn. 19; B.v. 25.6.2009 – 9 B 20.09 – juris Rn. 2). Insoweit sind die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden. Wesentlich ist der geäußerte Parteiwille, wie er sich aus der prozessualen Erklärung und sonstigen Umständen ergibt; der Wortlaut der Erklärung tritt hinter deren Sinn und Zweck zurück. Neben dem Klageantrag und der Klagebegründung ist auch die Interessenlage des Klägers zu berücksichtigen, soweit sie sich aus dem Parteivortrag und sonstigen für das Gericht und den Beklagten als Empfänger der Prozesserklärung erkennbaren Umständen ergibt (vgl. BVerwG, B.v. 12.3.2012 – 9 B 8/12 – juris Rn. 5 n.w.N.). Ist der Kläger bei der Fassung des Klageantrages anwaltlich vertreten worden, kommt der Antragsformulierung allerdings gesteigerte Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlich Gewollten zu. Selbst dann darf die Auslegung jedoch vom Antragswortlaut abweichen, wenn die Klagebegründung, die beigefügten Bescheide oder sonstige Umstände eindeutig erkennen lassen, dass das wirkliche Klageziel von der Antragsfassung abweicht (BVerwG, B.v. 12.3.2012 – 9 B 8/12 – juris Rn. 6).

Gemessen an diesen Vorgaben geht die Kammer davon aus, dass die Klägerin neben der ausdrücklich beantragten Verpflichtung, ihr die begehrte Haltungserlaubnis für ihren Pit-Bull-Rüden „…“ zu erteilen, auch die Anfechtung der weiteren Anordnungen in den Ziffern 2 bis 5 des Bescheides vom ... begehrt. Zwar geht aus dem in der Klagebegründung vom ... explizit gestellten Antrag lediglich hervor, dass ein Verpflichtungsbegehren hinsichtlich der Erteilung der Haltungserlaubnis bzw. der Ausnahmegenehmigung verfolgt wird. Dieser Verpflichtungsantrag wird jedoch mit dem Zusatz „unter Abänderung des Bescheides vom ...“ gestellt, sodass Bezug auf den gesamten streitgegenständlichen Bescheid genommen wird. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass bei Erteilung der begehrten Erlaubnis für das Halten des Kampfhundes der Kategorie I den weiteren Anordnungen in den Ziffern 2 bis 5 des Bescheides die Grundlage entzogen wäre, da für diese dann kein Raum mehr bestünde. Das Rechtsschutzziel ist daher so zu verstehen, dass sowohl die Erteilung der Erlaubnis als auch die Anfechtung der weiteren, belastenden Anordnungen vom Klagebegehren umfasst ist.

2. Das so verstandene Klagebegehren hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Haltungserlaubnis für ihren Pit-Bull-Rüden „…“ (3.). Auch die weiteren Anordnungen in Ziffern 2 bis 5 des Bescheides erweisen sich als rechtmäßig (4.).

3. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis für das Halten ihres Pit-Bull-Rüden nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 LStVG. Dabei ist davon auszugehen, dass es sich bei der Entscheidung über die Erteilung der Erlaubnis um eine gebundene Entscheidung handelt, bei Fehlen von Versagungsgründen dementsprechend ein Anspruch auf Erlaubniserteilung besteht (vgl. Luderschmid in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand: September 2015, Art. 37 Rn. 46). Vorliegend fehlt es jedoch an der für die Erlaubniserteilung erforderlichen Tatbestandsvoraussetzung des berechtigten Interesses nach Art. 37 Abs. 2 Satz 1 LStVG.

3.1 Die Haltung des der Rasse Pit-Bull zugehörigen Hundes „…“ unterliegt der Erlaubnispflicht nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 LStVG. Bei dieser Hunderasse wird nach § 1 Abs. 1 Spiegelstrich 1 KampfhundeV die Eigenschaft als Kampfhund stets vermutet (Kampfhund der Kategorie I).

3.2 Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der einer Erlaubnispflicht zugrunde liegenden Vorschriften der Art. 37 Abs. 1 LStVG sowie § 1 Abs. 1 KampfhundeV bestehen entgegen der Auffassung der Klägerin nicht. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass zur Definition des Begriffs des Kampfhundes an rassespezifische Merkmale angeknüpft wird, da eine Anknüpfung hieran nicht als ungeeignet zur Erreichung des Schutzzwecks anzusehen ist und sich der Gesetzgeber innerhalb des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums bewegt (vgl. hierzu ausführlich BayVerfGH, E.v. 12.10.1994 - Vf. 16-VII-92, Vf. 5-VII-93 – BayVBl. 1995, 76; BayVGH, B.v. 25.3.1996 – 24 N 92.2883 – juris Rn. 40 f.; B.v. 15.1.2004 – 24 ZB 03.2116 – juris; bestätigend BVerfG, B.v. 29.3.2004 – 1 BvR 492/04 – juris Rn. 5; so auch Luderschmid in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand September 2015, Art. 37 Rn. 3 ff.).

3.3 Die zur Erteilung einer Erlaubnis erforderlichen tatbestandlichen Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, da die Klägerin kein berechtigtes Interesse nachweisen konnte.

Nach Art. 37 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 LStVG darf die Haltungserlaubnis nur erteilt werden, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse nachweist, gegen seine Zuverlässigkeit keine Bedenken bestehen und Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum oder Besitz nicht entgegenstehen. Der Begriff des berechtigten Interesses ist dabei entgegen der Auffassung der Klägerin restriktiv auszulegen. Würden Liebhaberinteressen bei der Haltung von Tieren genügen, so würde das Tatbestandsmerkmal des berechtigten Interesses – entgegen der Absicht des Gesetzgebers – seine beschränkende Funktion in der Praxis weitgehend verlieren. Eine solche Gesetzesauslegung ist mit den sicherheitsrechtlichen Zielsetzungen des Gesetzes nicht vereinbar (vgl. BayVGH, B.v. 20.3.2006 – 24 CS 06.437 – juris Rn. 19; auch Luderschmid in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand September 2015, Art. 37 Rn. 47). Ein berechtigtes Interesse zur Haltung von Kampfhunden kann nach Art. 37 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 LStVG insbesondere dann vorliegen, wenn diese der Bewachung eines gefährdeten Besitztums dient.

Die Klägerin hat vorliegend kein berechtigtes Interesse an der Haltung ihres Kampfhundes der Kategorie I nachgewiesen. Für die in der Klagebegründung genannten zwingenden medizinischen bzw. psychischen Gründe, die die Haltung des Pit-Bull-Rüden erforderlich machen würden, ist nichts ersichtlich. Jedenfalls ist es nicht ausreichend, dass sich die Klägerin durch die bisherige (illegale) Haltung des Hundes an das Tier gewöhnt hat und eine enge Beziehung aufgebaut hat, da hierdurch reine Liebhaberinteressen zum Ausdruck kommen. Auch das allgemeine Sicherheitsbedürfnis der Klägerin genügt für die Annahme eines berechtigten Interesses nicht. Erforderlich wäre vielmehr, dass die Kampfhundehaltung der Bewachung eines gefährdeten Besitztums i.S.d. Art. 37 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 LStVG dient. Hierfür gibt es vorliegend jedoch keine Anhaltspunkte. Das allgemeine, persönliche Sicherheitsbedürfnis erfüllt diese Anforderungen erkennbar nicht (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 17.8.2005 – 24 CS 05.959 – juris Rn. 21).

Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Haltungserlaubnis liegen dementsprechend nicht. Auch auf eine von der Klägerin gegebenenfalls begehrte Ausnahmegenehmigung besteht mangels gesetzlicher Grundlage kein Anspruch.

4. Auch die mit der Klage angefochtenen Anordnungen in Ziffern 2 bis 5 des Bescheides vom ... (Untersagung der Haltung und Wiederinbesitznahme, Abgabeanordnung, Mitteilungs- und Nachweispflichten) erweisen sich als rechtmäßig.

4.1 Rechtsgrundlage für die Anordnungen in Ziffern 2 bis 5 des Bescheides vom ... ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG. Danach sind die Sicherheitsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben für den Einzelfall Anordnungen treffen, um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen, oder verfassungsfeindliche Handlungen zu verhüten oder zu unterbinden.

Eine vorrangige Spezialermächtigung liegt hier nicht vor. Insbesondere ist Art. 18 Abs. 2 LStVG nicht einschlägig, da dieser nur Anordnungen rechtfertigt, die die Art und Weise (das „Wie“) der Hundehaltung regeln. Die Haltungsuntersagung betrifft dagegen die Hundehaltung als solche, d.h. das „Ob“ der Hundehaltung, und kann folglich nicht auf Art. 18 Abs. 2 LStVG gestützt werden (vgl. Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand: September 2015, Art. 18 Rn. 76 f.).

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG sind erfüllt. Mit der auf zumindest fahrlässiger Unkenntnis beruhenden Einfuhr und Haltung des Pit-Bull-Rüden „…“ ohne die hierfür erforderliche Erlaubnis verwirklicht die Klägerin den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach Art. 37 Abs. 4 Nr. 1 LStVG. Sie ist damit auch richtiger Adressat der Anordnungen (Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG).

4.2 Der Beklagte hat das ihm zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Darüber hinaus sind die im Bescheid vom ... in den Ziffern 2 bis 5 getroffenen Anordnungen auch verhältnismäßig (Art. 8 LStVG).

4.2.1 Im Hinblick auf die Untersagung der Haltung und Wiederinbesitznahme sowie die Anordnung über die Abgabe des Tieres in den Ziffern 2 und 3 des Bescheides sind mildere Mittel zur Beseitigung der mit der Hundehaltung verbundenen Ordnungswidrigkeit nicht ersichtlich. Bei einer Kampfhundehaltung ohne die entsprechende Erlaubnis kann die damit verwirklichte Ordnungswidrigkeit effektiv nur beendet werden, wenn die weitere Haltung des Hundes untersagt und seine Abgabe angeordnet wird, zumal vorliegend eine Erteilung der Erlaubnis wie dargelegt nicht in Betracht kommt. Die Klägerin hat ihren Kampfhund zumindest in fahrlässiger Unkenntnis über den bestehenden Erlaubnisvorbehalt nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 LStVG nach Deutschland eingeführt. Dadurch hat sich die Klägerin keine schützenswerte Rechtsposition geschaffen, vielmehr muss ihr Individualinteresse an der Fortsetzung der Hundehaltung hinter dem Schutz elementarer Rechtsgüter, insbesondere der körperlichen Unversehrtheit, zurücktreten. Der Schutz der Rechtsgüter Leben und Gesundheit von Menschen genießt Vorrang vor allen anderen Interessen und setzt die Eingriffsschwelle für die Sicherheitsbehörde von vornherein herab (vgl. BayVGH, B.v. 18.12.2000 – 24 ZS 00.3326 – juris Rn. 10). Die zur Haltungsuntersagung und Abgabe gesetzte Frist von deutlich über zwei Wochen erweist sich ebenso als angemessen. Der Klägerin verblieb ausreichend Zeit, sich um eine anderweitige Unterbringung des Hundes zu bemühen und notfalls ein Tierheim um Aufnahme zu ersuchen, zumal sie bereits seit Ende … … um die drohende Abgabe des Pit-Bull-Rüden wusste.

4.2.2 Auch die in Ziffern 4 und 5 angeordneten Mitteilungs- und Nachweispflichten bei einer Abgabe des Hundes an eine geeignete Person bzw. eine geeignete Einrichtung sind nicht zu beanstanden. Nur auf diese Weise ist es dem Beklagten möglich zu kontrollieren, ob die Klägerin ihrer Verpflichtung tatsächlich nachgekommen ist. Eine effektive Überwachung des Vollzugs der Untersagung der Haltung und Wiederinbesitznahme ist nur möglich, wenn der Beklagte den Aufenthaltsort des Hundes kennt. Andernfalls könnte der Beklagte nicht sicherstellen, dass der Ordnungswidrigkeit wirksam begegnet werden kann.

5. Auch im Übrigen bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Bescheides des Beklagten vom ... Insbesondere die Androhung von Zwangsmitteln in Form von Zwangsgeld in Ziffer 6 entspricht den gesetzlichen Voraussetzungen.

6. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 14


(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der All

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 133 Auslegung einer Willenserklärung


Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 157 Auslegung von Verträgen


Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 88


Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

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Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 12. März 2012 - 9 B 8/12

bei uns veröffentlicht am 12.03.2012

Gründe 1 Die Beschwerde ist zulässig und teilweise begründet. Zwar rechtfertigt das Beschwerdevorbringen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung

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(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Gründe

1

Die Beschwerde ist zulässig und teilweise begründet. Zwar rechtfertigt das Beschwerdevorbringen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (1.). Jedoch hat die Verfahrensrüge mit dem Ergebnis Erfolg (2.), dass der Rechtsstreit in dem im Tenor bezeichneten Umfang zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen wird (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 6 VwGO).

2

1. Die Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) greift nicht durch. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtsfrage dann, wenn für die Entscheidung des vorinstanzlichen Gerichts eine konkrete fallübergreifende Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) von Bedeutung war, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>, vom 23. April 1996 - BVerwG 11 B 96.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 10 S. 15, vom 30. März 2005 - BVerwG 1 B 11.05 - NVwZ 2005, 709 und vom 2. August 2006 - BVerwG 9 B 9.06 - NVwZ 2006, 1290). Daran fehlt es.

3

Mit der Frage,

"Umfasst das Recht der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie gem. Art. 28 Abs. 2 GG in seiner Ausprägung als Satzungs- und Finanzhoheit auch die Befugnis der Gemeinde, eine Prognoseentscheidung bezüglich zu erhebender Steuervorauszahlungen zu treffen, ohne selbige auf eine wirksame Steuerfestsetzung aus dem Vorjahr zurückführen zu können?"

macht die Beschwerde einen Klärungsbedarf für das Verständnis des Art. 28 Abs. 2 GG geltend, den sie als bundesverfassungsrechtliche Maßstabsnorm heranzieht, an der die Auslegung und Anwendung der landesrechtlichen Bestimmung des § 3 Abs. 3 KAG NRW zu messen sei. Sie hat jedoch nicht ansatzweise dargetan, weshalb die Reichweite der vom Selbstverwaltungsrecht nach Art. 28 Abs. 2 GG umfassten Satzungs- und Finanzautonomie klärungsbedürftig sein sollte; insbesondere fehlt es an jeglichen Ausführungen dazu, inwiefern der Satzungs- und Finanzautonomie begrenzende Vorgaben für die Prognoseentscheidung der Gemeinde über zu erhebende Steuervorauszahlungen sollten entnommen werden können.

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2. Mit der Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) macht die Klägerin geltend, das Oberverwaltungsgericht habe ihr Klagebegehren unter Verstoß gegen § 88 VwGO unzutreffend ausgelegt und deshalb über einen Teil der Klage entgegen dem Klageantrag nicht in der Sache entschieden. Es habe zu Unrecht angenommen, das Verwaltungsgericht sei - seinerseits unter Verstoß gegen § 88 VwGO - mit der Aufhebung der Vorauszahlungsfestsetzungen für 2009 und ggfs. die Folgejahre über das Klagebegehren hinausgegangen. Demgegenüber ergebe sich aus der Klagebegründung vom 6. Mai 2009 wie auch aus der Interessenlage der Klägerin, dass das Verwaltungsgericht das Klageziel zutreffend erkannt habe. Diese Rüge greift durch.

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Nach § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden; es hat vielmehr das tatsächliche Rechtschutzbegehren zu ermitteln (Urteil vom 3. Juli 1992 - BVerwG 8 C 72.90 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 19 S. 4 f.; Beschlüsse vom 5. Februar 1998 - BVerwG 2 B 56.97 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 25 und vom 17. Dezember 2009 - BVerwG 6 B 30.09 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 38 Rn. 3). Maßgebend für den Umfang des Klagebegehrens ist das aus dem gesamten Parteivorbringen, insbesondere der Klagebegründung, zu entnehmende wirkliche Rechtsschutzziel (stRspr; Urteil vom 3. Juli 1992 a.a.O.; Beschluss vom 25. Juni 2009 - BVerwG 9 B 20.09 - Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 37 Rn. 2). Insoweit sind die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden. Wesentlich ist der geäußerte Parteiwille, wie er sich aus der prozessualen Erklärung und sonstigen Umständen ergibt; der Wortlaut der Erklärung tritt hinter deren Sinn und Zweck zurück (Urteil vom 27. April 1990 - BVerwG 8 C 70.88 - Buchholz 310 § 74 VwGO Nr. 9 S. 5; Beschluss vom 19. Juni 2010 - BVerwG 6 B 12.10 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 55 Rn. 4). Neben dem Klageantrag und der Klagebegründung ist auch die Interessenlage des Klägers zu berücksichtigen, soweit sie sich aus dem Parteivortrag und sonstigen für das Gericht und den Beklagten als Empfänger der Prozesserklärung erkennbaren Umständen ergibt (vgl. Urteil vom 18. November 1982 - BVerwG 1 C 62.81 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 11 S. 5 f.; Beschlüsse vom 17. Dezember 2009 a.a.O. und vom 19. Juni 2010 a.a.O.).

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Ist der Kläger bei der Fassung des Klageantrages anwaltlich vertreten worden, kommt der Antragsformulierung allerdings gesteigerte Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlich Gewollten zu. Selbst dann darf die Auslegung jedoch vom Antragswortlaut abweichen, wenn die Klagebegründung, die beigefügten Bescheide oder sonstige Umstände eindeutig erkennen lassen, dass das wirkliche Klageziel von der Antragsfassung abweicht.

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Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Oberverwaltungsgericht das Klagebegehren nicht zutreffend ausgelegt. Es ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass nach dem Klageantrag vom 19. Januar 2009 die Aufhebung der Bescheide vom 19. Dezember 2008 ausdrücklich nur hinsichtlich der Steuerfestsetzung für das Kalenderjahr 2007 und der Festsetzung von Vorauszahlungen für das Kalenderjahr 2008, nicht aber für das Kalenderjahr 2009 und die Folgejahre beantragt war. Das damit umrissene Klagebegehren war aber auslegungsbedürftig, weil die angefochtenen Steuerbescheide ihrerseits nicht frei von Unklarheiten waren. Obwohl sie jeweils (u.a.) als "Vorauszahlungsbescheid ab dem Jahr 2008" überschrieben waren und auch die jeweils angegebenen Berechnungsgrundlagen auf eine "Festsetzung der Vorauszahlungen für die Jahre ab 2008" hindeuteten, war in der eigentlichen Festsetzung, soweit sie sich auf die Vorauszahlungen bezog, jeweils nur das Jahr 2008 genannt. Schon dieser Umstand sprach dafür, dass sich das Klagebegehren trotz des an die missverständliche Fassung der Bescheide angelehnten Klageantrages in Wahrheit auf die Vorauszahlungen insgesamt bezog. Etwaige Auslegungszweifel wurden durch die Klagebegründung beseitigt, die im Zusammenhang mit der Interessenlage der Klägerin deutlich erkennen lässt, dass Klageziel die Aufhebung der Festsetzung von Vorausleistungen insgesamt war. In der Klagebegründung hat die Klägerin ihr Aufhebungsbegehren auf die Rechtsauffassung gestützt, die Vergnügungssteuersatzung der Beklagten sei unwirksam. Diese Satzung bildete die Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Vorausleistungen nicht nur für das Jahr 2008, sondern in gleicher Weise für die Folgejahre. Indem die Klagebegründung daraus den Schluss gezogen hat, "die angefochtene Festsetzung von Vorausleistungen (sei) ebenfalls unwirksam", hat sie unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass diese Festsetzung uneingeschränkt angegriffen werden sollte. Gestützt wird dieses Auslegungsergebnis durch die Interessenlage. Die Klägerin wurde durch die Festsetzung von Vorausleistungen insgesamt belastet. Ein sachlicher Grund, warum sie gegen diese Belastung nur teilweise hätte vorgehen sollen, ist nicht erkennbar.

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Das Urteil beruht auf dem aufgezeigten Verfahrensmangel. Denn das Oberverwaltungsgericht hat den Teil des erstinstanzlichen Urteils, der die Festsetzung der Vergnügungssteuervorauszahlung für das Jahr 2009 betrifft, wegen Verstoßes gegen § 88 VwGO aufgehoben, aber nicht in der Sache entschieden.

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Da weitere Zulassungsgründe nicht eingreifen, macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, auf die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 133 Abs. 6 VwGO das angefochtene Urteil im Umfang des Verfahrensfehlers aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

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3. Die Kostenentscheidung folgt, soweit über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden war, aus § 154 Abs. 2 VwGO. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde entsteht eine Gerichtsgebühr nur, soweit die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird. Die sonstigen Kosten des Beschwerdeverfahrens, namentlich die außergerichtlichen Kosten, waren verhältnismäßig zu teilen, und zwar in der Weise, dass die Klägerin die Kosten im Maße ihres Unterliegens trägt und die Entscheidung über diejenigen Kosten, die dem Anteil der erfolgreichen Beschwerde am gesamten Beschwerdeverfahren entsprechen, der Kostenentscheidung in der Hauptsache folgt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.