Verwaltungsgericht München Urteil, 10. Jan. 2017 - M 21 K 15.31612

bei uns veröffentlicht am10.01.2017

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der nicht durch Papiere ausgewiesene Kläger, nach eigenen Angaben Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 27. Oktober 2012 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 14. November 2012 einen Asylantrag.

Zur Begründung trug er bei der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 11. Dezember 2013 vor, er habe im Bürgerkrieg für die Rebellen gekämpft und dabei auch Frauen vergewaltigt. Im Jahr 2010 sei er von einer Frau, die er vergewaltigt habe, wiedererkannt worden. Die Frau habe dies allen Leuten erzählt, er selber habe sich aber nicht mehr erinnern können. Er sei auch schon an verschiedenen Orten von Leuten angegriffen worden und müsse mit weiteren Angriffen rechnen, weil man ihm seine Aktivität für die Rebellen nicht vergeben habe. Im Mai 2010 habe er bewaffnete Leute gesehen, die zu ihm nach Hause gekommen seien, er habe noch rechtzeitig aus dem Fenster springen können und sei entwischt. Direkt im Anschluss sei er zum Hafen gerannt und als blinder Passagier auf ein Schiff gelangt. Zudem wurden unter Vorlage von ärztlichen Bescheinigungen gesundheitliche Beeinträchtigungen (gastroenterologisch) geltend gemacht.

Mit Bescheid vom 24. November 2015 (ohne Zustellungsnachweis) lehnte das Bundesamt den Antrag auf Asylanerkennung, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ab (Nrn. 1 bis 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (a.F.) nicht vorliegen (Nr. 4), forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. im Falle einer Klageerhebung 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen und drohte die Abschiebung nach Sierra Leone an (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).

Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Anerkennung als Asylberechtigter lägen nicht vor. Die Angaben des Klägers, wonach er auf offener Straße rund acht Jahre nach Ende des Bürgerkriegs von einer unbekannten Frau als Vergewaltiger beschuldigt worden sei, seien unglaubhaft, ebenso seine Angaben zu einem Überfall auf sein Haus im Mai 2010. Der Kläger habe offenbar bis zu dem Vorfall ein problemloses Leben in Sierra Leone führen können. Auch seine Aussage, er habe erst 2010 ausreisen können, überzeuge nicht, da die entsprechende Ausreise keinerlei Planung vorausgesetzt habe. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen ebenfalls nicht vor. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG lägen im Hinblick auf die allgemeinen Verhältnisse in Sierra Leone und unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers nicht vor.

Der Kläger hat durch seine Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2015 Klage erheben und beantragen lassen, den Bescheid des Bundesamts in den Ziffern 4 und 5 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, bei dem Kläger ein nationales Abschiebungsverbot hinsichtlich Sierra Leone festzustellen.

Zugleich wurde der bedingte Beweisantrag gestellt, zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung (im Folgenden: PTBS) mit einer somatoformen Schmerzstörung leidet, weiterhin psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung bedarf und sich sein gesundheitlicher Zustand bei einer Abschiebung nach Sierra Leone wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen.

Zur Begründung wurde auf ärztliche Bescheinigungen vom 15. Oktober 2014 und 20. Mai 2016, psychotherapeutische Befundberichte eines psychologischen Psychotherapeuten vom 28. November 2015 und 8. März 2015, Behandlungsbestätigungen sowie einen in der mündlichen Verhandlung übergebenen Entlassschein des Klinikums Harlaching vom 12. November 2016 und einen Befundbericht einer psychologischen Psychotherapeutin vom 30. Dezember 2016 hingewiesen. Der Kläger sei im Hinblick auf seine Erlebnisse als Kindersoldat in Sierra Leone nicht behandelt worden, sondern habe nach Ende des Bürgerkriegs zwei Jahre in einem Reintegrationscamp gelebt. Durch die fehlende Behandlung sei es zu einer dauernden Persönlichkeitsänderung gekommen und eine weitere Behandlung erforderlich, die in Sierra Leone nicht möglich sei.

Das Bundesamt hat die Akten am 4. Januar 2017 vorgelegt.

Die Bevollmächtigte hat im Rahmen der rechtlichen Erörterung geltend gemacht, die vorgelegten Befundberichte entsprächen den Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung, die auch durch psychologische Psychotherapeuten erfolgen könne. Im Hinblick auf die Regelung des § 60a Abs. 2c AufenthG hat sie die Auffassung vertreten, die gesetzliche Vermutung zur Reisefähigkeit und die Anforderungen zur Widerlegung seien auf inlandsbezogene Abschiebungshindernisse beschränkt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 24. November 2015 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG) in den angefochtenen Ziffern rechtmäßig, der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO).

Die geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers begründen kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris Rn. 23 ff.). Derartige Ausnahmegründe liegen jedenfalls nach dem Ende der Ebola-Epidemie in Sierra Leone Anfang 2016 nicht mehr vor.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn im Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Entsprechend der Gesetzesbegründung zu der mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. 2016 I, 390 ff.) eingeführten Präzisierung in den Sätzen 2 bis 4 wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach Satz 1 darstellen. Eine solche schwerwiegende Erkrankung könne zum Beispiel in Fällen von PTBS regelmäßig nicht angenommen werden, es sei denn, die Abschiebung führe zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung.

Ergänzend dazu wurde mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren mit § 60a Abs. 2c AufenthG eine gesetzliche Vermutung zum Vorliegen gesundheitlicher Gründe, die einer Abschiebung entgegenstehen, aufgenommen. Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (§ 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG). Insofern hat der Gesetzgeber im Wesentlichen die obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. u.a. BVerwG, U.v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 und 10 C 1710 C 17.07 - juris jeweils Rn. 15) nachvollzogen, wonach zur Substantiierung des Vorbringens einer Erkrankung (hier: angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes und der vielfältigen Symptomatik einer PTBS) regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes gehört (BayVGH, B.v. 23.8.2016 - 10 CE 15.2784 - juris Rn. 8). Danach bedarf es angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes einer PTBS sowie seiner vielfältigen Symptome zur Substantiierung eines Beweisantrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens regelmäßig der Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (BVerwG, U.v. 11.9.2007 a.a.O. - juris jeweils Rn. 15).

Entsprechend diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen oder für weitere diesbezügliche Sachverhaltsermittlungen entsprechend dem gestellten Beweisantrag aus mehreren, voneinander unabhängigen Gründen nicht vor. Hinsichtlich der geltend gemachten PTBS und entsprechender Begleitbeschwerden ergibt sich dies (1) daraus, dass die vorgelegten Bescheinigungen nicht den Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung entsprechen, (2) daraus, dass die gestellten Diagnosen in wesentlichen Punkten hinsichtlich der traumaauslösenden Ereignisse wegen fehlender Glaubhaftmachung der Ereignisse auf unzureichenden Anknüpfungstatsachen beruhen und (3) daraus, dass sich unter Zugrundelegung des Maßstabs des § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG selbst dann kein Abschiebungsverbot ergeben würde, wenn man dem Vorbringen des Klägers zu den traumaauslösenden Ereignissen in den Grundzügen Glauben schenken und von den gestellten Diagnosen in den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen ausgehen würde.

(1) Durch die Regelung in § 60a Abs. 2c AufenthG, wonach Abschiebungshindernisse durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft zu machen sind, hat der Gesetzgeber klargestellt, dass zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung, dass gesundheitliche Gründe einer Abschiebung nicht entgegenstehen, eine Bescheinigung eines approbierten Arztes erforderlich ist (vgl. dazu die ausdrückliche Klarstellung in der Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/7538 S. 19). Ungeachtet der Rechtslage vor der Änderung durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (vgl. insbesondere OVG NW, B.v. 19.12.2008 - juris) bleiben nach der Regelung in § 60a Abs. 2c AufenthG Atteste von Psychotherapeuten, Psychologen oder psychosozialen „Behandlungszentren für Folteropfer“ bei der Beurteilung der Reisefähigkeit grundsätzlich außer Betracht (OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 30.8.2016 - 2 O 31/16 - juris Rn. 9; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Nachtrag zur 11. Auflage 2016, AufenthG, § 60a Rn. N3). Allenfalls im Wege einer Gesamtschau können derartige Atteste ergänzend zu anderen Erkenntnissen, die nicht die Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung erfüllen, zu anderweitigen tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Erkrankung nach Maßgabe von § 60a Abs. 2d AufenthG beitragen (OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 30.8.2016 a.a.O.).

Die Regelungen in § 60a Abs. 2c AufenthG beschränken sich dabei nicht auf inlandsbezogene Abschiebungshindernisse im Zusammenhang mit der Reisefähigkeit, sondern umfassen auch zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Die von Klägerseite geäußerte gegenteilige Auffassung, die ausschließlich auf der systematischen Stellung des § 60a Abs. 2c AufenthG als Teil der Regelungen in § 60a AufenthG über eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung beruht, überzeugt entsprechend dem Wortlaut der Regelung, der Entstehungsgeschichte und den gesetzgeberischen Erwägungen sowie nach Sinn und Zweck nicht.

Der Wortlaut des § 60a Abs. 2c AufenthG stellt ausschließlich darauf ab, ob Abschiebungsverbote aus gesundheitlichen Gründen vorliegen und differenziert nicht zwischen inlands- und zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten. Auch die Gesetzesbegründung lässt erkennen, dass der Gesetzgeber mit der Vermutungsregelung in § 60a Abs. 2c AufenthG die Abschiebung erleichtern und die Anforderungen an die Geltendmachung psychischer Erkrankungen als Abschiebungshindernisse insgesamt erschweren wollte. In der Gesetzesbegründung wird hierzu Folgendes ausgeführt:

„Mit der Regelung zur Glaubhaftmachung einer Erkrankung durch den Ausländer wird auf erhebliche praktische Probleme hinsichtlich der Bewertung der Validität von ärztlichen Bescheinigungen im Vorfeld einer Abschiebung reagiert, wie sie auch aus dem Bericht der unterarbeitsgruppe Vollzugsdefizite der Bund - Länder - Arbeitsgruppe Rückführung über die Ergebnisse der Evaluierung des Berichts über die Probleme bei der praktischen Umsetzung von ausländerbehördlichen Ausreiseaufforderungen und Vollzugsmaßnahmen von April 2015 hervorgehen.

Es besteht ein praktisches Bedürfnis, eine vom Ausländer vorgelegte Bescheinigung hinsichtlich der Erfüllung formaler und inhaltlicher Vorgaben zu validieren. Hierzu legt der Gesetzgeber nunmehr die in Absatz 2c genannten Qualitätskriterien fest, die die jeweilige ärztliche Bescheinigung insbesondere enthalten soll.“

Auch nach Sinn und Zweck umfasst die Regelung im § 60a Abs. 2c AufenthG auch die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Durch die zusammen mit der Regelung des § 60a Abs. 2c AufenthG vorgenommenen Einfügung der Sätze 2 bis 4 in § 60 Abs. 7 AufenthG hat der Gesetzgeber klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen. Entsprechend der Gesetzesbegründung erfüllt eine PTBS regelmäßig nicht die Anforderungen an ein Abschiebungsverbot, es sei denn, die Abschiebung führt zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung (BT-Drs. 18/7538 S. 18). Die Behandlung akuter lebensbedrohlicher bzw. ähnlich schwerwiegender Zustände aufgrund einer PTBS erfolgt regelmäßig im Rahmen einer medikamentösen Behandlung. Antidepressiva nehmen in der Behandlung depressiver Symptome bei PTBS einen hohen Stellenwert ein (vgl. dazu das psychiatrisch-psychotherapeutische Gutachten in dem am gleichen Tag verhandelten und von der Bevollmächtigten vertretenen Verfahren M 21 K 13.30391). Insofern handelt es sich um klassische ärztliche Aufgaben. Auf die darüber hinaus für die vollständige Diagnose und Behandlung einer PTBS bedeutsamen psychotherapeutischen und sozialpsychiatrischen Behandlungsansätze kommt es im Hinblick auf den durch § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG vorgegebenen Maßstab nicht an.

Anhaltspunkte für eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die in einer Gesamtschau nach Maßgabe von § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG auch ohne ausreichende ärztliche Bescheinigung Anlass zu weiteren Ermittlungen bieten, bestehen nicht.

Die vorgelegten Befundberichte entsprechen insbesondere auch inhaltlich nicht den von der Rechtsprechung geforderten Anforderungen an die Substantiierung eines Beweisantrags zum Nachweis einer PTBS durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung.

Erforderlich für eine PTBS ist nach den - in den Befundberichten und insbesondere auch im aktuellen Befundbericht vom 30. Dezember 2016 herangezogenen - Kriterien der ICD-10 F43.1 ein traumaauslösendes Ereignis von kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung herbeiführen würde. Prädisponierende Faktoren sind dabei weder erforderlich noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Erforderlich ist dementsprechend eine Zuordnung konkreter traumaauslöender Ereignisse zu den festgestellten Symptomen. Eine Aufzählung einer Vielzahl von belastenden Ereignissen ohne Abgrenzung, ob es sich um lediglich dekompensierende (und damit unter Umständen für eine Prädisposition bedeutsame) oder bereits die Schwelle einer Traumatisierung überschreitende Ereignisse handelt, genügt insofern nicht. Diesen Anforderungen werden die Befundberichte nicht gerecht. In den älteren Bescheinigungen fehlt eine Darstellung der für die Diagnose zu Grunde gelegten traumaauslösenden Ereignisse nahezu vollständig. Aber auch der Befundbericht vom 30. Dezember 2016 beschränkt sich auf eine Darstellung des Lebenslaufs des Klägers mit verschiedenen - im Übrigen äußerst vage beschriebenen und damit einer Nachprüfung nicht zugänglichen - Beschreibung von Episoden im Leben des Klägers, denen eine dekompensierende oder traumatisierende Wirkung zukommen kann und unterlässt eine eindeutige Zuordnung einzelner traumaauslösender Ereignisse. Darüber hinaus geht der Befundbericht vom 30. Dezember 2016 nicht darauf ein, seit wann und wie häufig sich der Kläger in ärztlicher Behandlung befunden hat und belässt es bei dem Hinweis, er befinde sich seit Januar 2016 bei der Therapeutin in Behandlung. Gerade im Hinblick auf die Einreise des Klägers in die Bundesrepublik Deutschland bereits im Jahr 2012 wäre auch auf die Frage einzugehen gewesen, seit wann die festgestellten Symptome bestehen und ggfs. warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Auch in der Zusammenschau mit den weiteren ärztlichen Bescheinigungen, wonach der Kläger sich ab März 2014 in ambulanter psychiatrischer Behandlung befand, dann von August 2014 bis März 2015 psychotherapeutisch behandelt wurde und die Behandlung dann (mangels Kostentragung durch das Sozialamt) abgebrochen wurde, ergibt sich insofern kein ausreichend klares Bild und insbesondere keine Erklärung dafür, weshalb eine Behandlung der PTBS erst 16 Monate nach der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begonnen wurde. Hinzu kommt, dass die Erlebnisse des Klägers bereits Jahre zurückliegen und der Bürgerkrieg in Sierra Leone seit 15 Jahren beendet ist. Die Latenz von Symptomen einer PTBS zu dem traumaauslösenden Ereignis beträgt nach den Kriterien der ICD-10 F43.1 grundsätzlich wenige Wochen bis Monate. Für eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung wäre ein Eingehen auf diese Gesichtspunkte zumindest in Grundzügen erforderlich gewesen.

Die im Übrigen vorgelegten Bescheinigungen erfüllen hinsichtlich der geltend gemachten PTBS die Voraussetzungen für eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung erkennbar nicht.

(2) Die vorgelegten Bescheinigungen bieten auch deswegen keinen Anlass zu weiterer Sachverhaltsaufklärung, weil die Schlussfolgerungen auf unzureichenden Anknüpfungstatsachen beruhen. Die zu Grunde gelegten Aussagen des Klägers sind in weiten Teilen - insbesondere im Hinblick auf die behauptete Bedrohung des Klägers wegen seiner Vergangenheit als Kindersoldat - unglaubhaft und der Kläger insgesamt unglaubwürdig.

Auch bei einer qualifizierten Bescheinigung hängt deren Tragfähigkeit und damit der Nachweis oder weiterer Ermittlungsbedarf hinsichtlich einer PTBS davon ab, dass die Anknüpfungstatsachen glaubhaft gemacht worden sind. Bei der Diagnoseerstellung von posttraumatischen Störungen ermöglicht die Symptomatologie des psychopathologischen Befunds generell keine Rekonstruktion der objektiven Seite der traumatisierenden Ereignisse. Dass das behauptete traumatisierende Ereignistatsächlich stattgefunden hat, muss vielmehr vom Schutzsuchenden gegenüber dem Tatrichter und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden (BayVGH, B.v. 4.11.2016 - 9 ZB 16.30468 - juris Rn. 18; B.v. 17.10.2012 - 9 ZB 10.30390 - juris Rn. 8). Insoweit obliegt es dem Kläger, die behaupteten Geschehnisse, die bei ihm eine PTBS zum Entstehen gebracht haben sollen, jedenfalls in Grundzügen unter Angabe von Einzelheiten schlüssig und widerspruchsfrei zu schildern (vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2016 a.a.O. - juris Rn. 23; B.v. 17.10.2012 a.a.O. - juris Rn. 8). Werden im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben gemacht, die auch unter Berücksichtigung von Erinnerungsproblemen traumatisierter Personen nicht nachvollziehbar sind, enthält das Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche, erscheinen die Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar oder wird das Vorbringen im Laufe des Verfahrens ohne ausreichende Begründung erweitert oder gesteigert, insbesondere wenn Tatsachen für das geltend gemachte Abschiebungsverbot ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren eingeführt werden, so kann den Aussagen in der Regel kein Glauben geschenkt werden.

Ungeachtet des Umstands, dass die Befundberichte aufgrund der undifferenzierten und vagen Wiedergabe verschiedener Episoden im Leben des Klägers bereits nicht erkennen lassen, welches konkrete Ereignis als traumaauslösend angesehen wird, kann dem Vortrag des Klägers zu seinem Lebensschicksal in weiten Teilen auch keine Glauben geschenkt werden. Der Vortrag war bereits vor dem Bundesamt, aber auch im weiteren Verfahren in weiten Teilen unsubstantiiert - örtliche oder zeitliche Angaben fehlten weitgehend. Im Wesentlichen beschränkt sich der Vortrag darauf, der Kläger habe wegen Problemen im Land mit Rebellen oder sonstigen Personen mehrmals umziehen müssen, sei 2010 in Freetown von einer Frau als möglicher Täter einer Vergewaltigung im Bürgerkrieg erkannt worden und unmittelbar ausreisebegründend sei ein Angriff bewaffneter Leute gewesen. Soweit der Kläger seinen Vortrag konkretisiert hat, ist er durch eine Vielzahl von Ungereimtheiten und Widersprüchen gekennzeichnet. Das gilt schon für den Zeitpunkt und die Motivation des Umzugs des Klägers nach Freetown. Gegenüber dem Bundesamt behauptete der Kläger zunächst, die Lage für ihn sei an anderen Orten in Sierra Leone sehr gefährlich gewesen sei, er habe nirgendwo bleiben können und sei deswegen nach Freetown zurückgekehrt. Dann gab er an, er habe gerade nicht zu einem früheren Zeitpunkt nach Freetown gehen können, sonst hätte man ihn dort umgebracht. Den Angriff einer bewaffneten Menschenmenge und seine unmittelbar anschließende Flucht datierte er zunächst auf Mai 2011, bestätigte dies auch auf ausdrückliche Nachfrage und korrigierte die Aussage dann auf den Vorhalt des Bundesamtes, er sei nach Kenntnis des Bundesamts bereits im Februar 2011 in Griechenland angekommen, auf Mai 2010. Der im Nachgang seitens der Bevollmächtigten ergänzte schriftliche Vortrag, der Kläger sei bereits im Mai 2010 in Griechenland angekommen, seine Anwesenheit dort durch die Polizei aber erst im Februar 2011 festgestellt worden, steht im Widerspruch zur ausdrücklichen Angabe vor dem Bundesamt, der Kläger sei 2011 nach Griechenland gekommen (Niederschrift Anhörung, S. 5) und ist als Schutzbehauptung zu werten. Der unglaubwürdige Gesamteindruck hat sich durch die Aussagen im weiteren Verfahren vollständig bestätigt. Der Kläger ließ sich in der mündlichen Verhandlung pauschal darauf ein, die Aussage vor dem Bundesamt sei nicht vollständig gewesen, weil er unter Stress gestanden habe und ergänzte dies auf die Frage, welche Teile er aus seiner Ausreisegeschichte weggelassen habe, um den Allgemein Platz, man könne nicht innerhalb einer Anhörung von ein bis zwei Stunden über derartige lange Erlebnisse berichten. Nachfragen zu konkreten zeitlichen Angaben seiner abschiebungsrelevanten Lebensgeschichte wich er unter Angabe von Erinnerungslücken oder durch vage Angaben aus. Selbst in Randbereichen gab der Kläger die Unwahrheit an. So behauptete er in der mündlichen Verhandlung entgegen seiner Aussage vor dem Bundesamt, er habe ab 2002 bis zu seiner Ausreise ausschließlich vom Betteln gelebt und bestritt auch die - vor dem Bundesamt ausdrücklich angegebenen - Gelegenheitstätigkeiten im Hafen von Freetown. Zu seiner Wohnsituation in Freetown gab er vor dem Bundesamt an, er habe zwei Jahre in der 5th Street Nr. 5 gelebt, wo er ein Einzelzimmer gehabt habe und andererseits in der mündlichen Verhandlung, er könne sich an den genauen Zeitraum seines Lebens in Freetown nicht erinnern und habe unter der besagten Adresse in der 5th Street bei einem Freund gelebt.

(3) Im Übrigen ergäbe sich unter Zugrundelegung des Maßstabs des § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG selbst dann kein Abschiebungsverbot, wenn man dem Vorbringen der Klägerin zu den traumaauslösenden Ereignissen und den geschilderten Beschwerden in den Grundzügen Glauben schenken und von den gestellten Diagnosen ausgehen würde. Auf die zum Beweis gestellten Diagnosen als solches kommt es im Hinblick auf den durch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorgegebenen Maßstab für eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nicht an. Eine PTBS stellt für sich gesehen keine lebensbedrohliche oder ähnlich schwerwiegende Erkrankung dar und begründet kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Ein ausreichend substantiierter Vortrag zu den von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG geforderten lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Krankheitsfolgen ergibt sich auch aus den vorgelegten Bescheinigungen nicht bzw. die Begründung hierzu ist nicht ausreichend und beruht im Hinblick auf die Situation in Sierra Leone und die vom Kläger geltend gemachten individuellen Umstände auf unzureichenden Anknüpfungstatsachen. Eine nach den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen ggfs. erforderliche Fortsetzung der medikamentösen Behandlung mit Antidepressiva ist auch in Sierra Leone gewährleistet.

Entsprechend den Bescheinigungen liegen weder eine akute Suizidalität noch psychotische Symptome mit akuter Fremd- oder Eigengefährdung vor.

Aus den Bescheinigungen ergeben sich auch keine Anhaltspunkte, dass im Falle einer Abschiebung zielstaatsbezogene Umstände zu einer wesentlichen Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands mit lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden, d.h. existenziell bedrohlichen, Krankheitsfolgen führen würden. Der insoweit maßgebliche aktuelle Befundbericht vom 30. Dezember 2016 geht selbst - vor dem Hintergrund mehrfacher früherer Suizidgefährdungen - lediglich von einem erhöhten Risiko suizidaler Handlungen im Falle einer Abschiebung aus, ohne das Risiko zu konkretisieren. Er bietet damit keine Anhaltspunkte für eine lebensbedrohliche oder ähnlich schwerwiegende Verschärfung des Gesundheitszustands mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit. Im Übrigen erfolgt die Risikoprognose ohne ausreichende Begründung und beruht auf unzureichenden Anknüpfungstatsachen. Ein Attest, dem nicht zu entnehmen ist, wie es zur prognostischen Diagnose kommt und welche Tatsachen dieser zugrunde liegen, ist nicht geeignet, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots zu begründen (vgl. zu Abschiebungsverboten wegen Reiseunfähigkeit BayVGH, B.v. 23.8.2016 - 10 CE 15.2784 - juris Rn. 16; OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 8.2.2012 - 2 M 29/12 - juris Rn. 11 ff.). Entsprechendes gilt, wenn die zu Grunde gelegten Tatsachen in wesentlichen Bereichen unzutreffend sind. Insofern obliegt auch in diesem Zusammenhang die Feststellung der für die ärztliche Bewertung zugrunde gelegten Anknüpfungstatsachen ausschließlich dem Tatrichter. Der Befundbericht differenziert nicht danach, ob die Gefährdung im Wesentlichen im Zusammenhang mit - hier nicht maßgeblichen - inlandsbezogenen Umständen im Zusammenhang mit Unsicherheit und Furcht vor einer Rückkehr im Vorfeld der Abschiebung bzw. Umständen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Abschiebung (Reisefähigkeit) steht, denen im Übrigen durch entsprechende Vorbereitung und Ausgestaltung der Abschiebung begegnet werden könnte, oder ob echte zielstaatsbezogene Gründe vorliegen. Die Ausführungen zur befürchteten Retraumatisierung beschränken sich im Wesentlichen auf den allgemeinen Hinweis der Gefahr einer Retraumatisierung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland. Insofern ist aber neben dem langen Zeitablauf seit den geltend gemachten traumaauslösenden Ereignissen zu berücksichtigen, dass sich die Situation in Sierra Leone zwischenzeitlich grundlegend verändert hat, ein Großteil der Flüchtlinge des Bürgerkriegs in ihr Heimatland zurückgekehrt sind und auch die Bekämpfung der Straflosigkeit für während des Bürgerkriegs begangene schwere Menschenrechtsverstöße Fortschritte macht.

Nach Beendigung des elfjährigen Bürgerkrieges im Jahre 2002 kehrt Sierra Leone immer mehr zu friedlichen und geordneten politischen Verhältnissen zurück. Im Mai 2004 fanden erstmals nach 32 Jahren wieder Kommunalwahlen statt. Die während des Bürgerkriegs begangenen Verbrechen werden umfassend ermittelt und aufgearbeitet (vgl. Truth & Reconciliation Commission of Sierra Leone, final report, Vol 3a, Chapter 3, The Military an Political History of the Conflict). Auf Grundlage einer Vereinbarung mit den Vereinten Nationen wurde ein Sondergerichtshof für Sierra Leone eingerichtet, (Special Court for Sierra Leone - SCSL), der für eine juristische Aufarbeitung sorgt, vor dem bereits eine Vielzahl von Prozessen stattgefunden hat und durch den u.a. der ehemalige liberianische Staatspräsident Charles Taylor wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 50 Jahren Gefängnis verurteilt wurde (vgl. AI - Amnesty Report 2013 Sierra Leone; U.S. Department of State - Sierra Leone Country Report on Human Rights Practices 2006; Wikipedia - https: …de.wikipedia.org/wiki/Sierra_Leone und https: …en.wikipedia.org/wiki/Charles_Taylor_(Liberian_politician) - zitiert jeweils nach Stand 19.1.2017).

Ein von der UNHCR initiiertes Repatriierungsprogramm für Bürgerkriegsflüchtlinge wurde im Juli 2004 abgeschlossen und ein Großteil der Flüchtlinge ist in ihre Heimat zurückgekehrt. Am 23. Juni 2006 wurde Sierra Leone als eines der ersten Länder vom UN-Sicherheitsrat auf die Agenda der 2005 ins Leben gerufenen Peacebuilding Commission (PBC) gesetzt. Nach Aussage des früheren UN-Generalsekretärs Ban Ki-Moon am 14. Juni 2010 in Freetown repräsentiert Sierra Leone einen der erfolgreichsten Fälle für Wiederaufbau, Friedenswahrung und Friedensaufbau nach einem Konflikt (Wikipedia - https: …de.wikipedia.org/wiki/Sierra_Leone - zitiert nach Stand 19.1.2017).

Ob eine Rückkehr traumatisierter Personen aus Krisenregionen trotz Aufarbeitung straffrei begangener Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen im Herkunftsland mit einer nicht hinnehmbaren Gefahr einer Retraumatisierung verbunden ist, hängt von den - einer ärztlichen Bescheinigung zu Grunde zu legenden - Einzelumständen, einerseits Art und Umfang einer erfolgten Aufarbeitung der Krise im Herkunftsstaat und andererseits Art, Dauer und Intensität des erlittenen Traumas ab. Der Befundbericht geht hierauf nicht ein.

Im Hinblick auf die Behandlungsmöglichkeiten in Sierra Leone geht das Gericht davon aus, dass eine ausreichende therapeutische und psychiatrische Behandlung dort nicht sichergestellt ist und damit eine ausreichende Behandlung einer PTBS nicht möglich ist. Hierauf kommt es aber im Hinblick auf die Regelungen in § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG gerade nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, dass eine zur Vermeidung lebensbedrohlicher oder schwerwiegender Krankheitsfolgen ggfs. erforderliche Fortsetzung der medikamentösen Behandlung mit Antidepressiva auch in Sierra Leone gewährleistet ist. Entsprechend der Auskunftslage ist davon auszugehen, dass eine medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva auch in Sierra Leone erfolgen kann (vgl. Auskunft AA an VG Aachen vom 21.2.2007). Anhaltspunkte, dass sich hieran etwas geändert haben könnte, sind nicht substantiiert vorgetragen und - nach dem Ende der Ebola-Epidemie Anfang 2016 - jedenfalls im Hinblick auf große Städte wie Freetown nicht naheliegend. Soweit die Bevollmächtigte in zwei weiteren am gleichen Tag verhandelten und von ihr vertretenen Verfahren mit vergleichbarer Argumentation (M 21 K 13.30391 und M 21 K 16.31317) auf Entscheidungen des Bundesamts und verwaltungsgerichtliche Entscheidungen zur Gesundheitsversorgung in Sierra Leone hingewiesen hat, sei vorsorglich klargestellt, dass bei den entsprechenden Entscheidungen im Mittelpunkt die therapeutischen und psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten standen. Soweit Fragen zur medikamentösen Versorgungslage angesprochen sind, handelt es sich um Fragen der individuellen Verfügbarkeit. Insoweit besteht keine ausreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger nach einer Rückkehr dauerhaft nicht in der Lage ist, einen ausreichenden Unterhalt, der auch eine medikamentöse Behandlung einschließt, zu erzielen. Der Kläger hatte entsprechend seiner Aussage vor dem Bundesamt vor seiner Ausreise aus Sierra Leone ein eigenes Zimmer in Freetown und Gelegenheitsjobs am Hafen - die demgegenüber in der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptung, er habe seit Ende des Bürgerkriegs vom Betteln gelebt, ist unglaubhaft. Es bestehen daher keine Anhaltspunkte, dass der Kläger nach einer Rückkehr nicht wieder einer Tätigkeit zur Sicherung seines Unterhalts nachgehen könnte.

Schließlich folgt auch aus den schwierigen Lebensverhältnissen in Sierra Leone kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Bei den dort vorherrschenden Lebensbedingungen handelt es sich um eine Situation, der die gesamte Bevölkerung ausgesetzt ist, weshalb Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ausschließlich durch eine generelle Regelung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt wird. Anhaltspunkte für eine extreme Gefährdungslage bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ausnahmsweise nicht greift (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - juris LS 3 und Rn. 14; BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris Rn. 38), sind nicht erkennbar.

Nachdem auch die nach Maßgabe von § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden ist, war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

Vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung: § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO

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Verwaltungsgericht München Urteil, 10. Jan. 2017 - M 21 K 15.31612 zitiert 14 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 1


(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen G

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60a Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)


(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 59 Androhung der Abschiebung


(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfal

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 34 Abschiebungsandrohung


(1) Das Bundesamt erlässt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn 1. der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird,2. dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wir

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Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Tatbestand Der nicht ausgewiesene Kläger ist nach e

Verwaltungsgericht München Urteil, 19. Jan. 2017 - M 21 K 16.31317

bei uns veröffentlicht am 19.01.2017

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Tatbestand Die mittels abgelaufenen Reisepasses a

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 04. Nov. 2016 - 9 ZB 16.30468

bei uns veröffentlicht am 04.11.2016

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe I. Der Kläger ist seinen A

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 23. Aug. 2016 - 10 CE 15.2784

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Tenor I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen. II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250 Euro festgesetzt. Gründe

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 30. Aug. 2016 - 2 O 31/16

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Gründe 1 Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. 2 I. Der (rückwirkenden) Bewilligung von Prozesskostenhilfe steht nicht entgegen, dass das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO, für das die Antragsteller

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Tatbestand 1 Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren. 2
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Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Tatbestand Der am … … 1999 in Teheran/Iran geborene Kläger ist

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Verwaltungsgericht Bayreuth Beschluss, 21. Nov. 2017 - B 3 E 17.33402

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Verwaltungsgericht Bayreuth Urteil, 09. Nov. 2017 - B 3 K 17.31964

bei uns veröffentlicht am 09.11.2017

Tenor 1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens als Gesamtschuldner. 3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Tatbestand Die Kläge

Referenzen

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren.

2

Der 1986 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er stammt aus der Provinz Helmand (Afghanistan), ist schiitischen Glaubens und gehört dem Volk der Hazara an. Im Februar 2009 reiste er nach Deutschland ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 17. März 2010 ab. Zugleich stellte es fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan an.

3

Nach Rücknahme der Klage auf Asylanerkennung hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans verpflichtet und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 27. April 2012 die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe weder unionsrechtlicher noch nationaler Abschiebungsschutz zu. Hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG gebe es keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung drohe. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG sei nicht erkennbar. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Da in Afghanistan kein landesweiter bewaffneter Konflikt herrsche, komme eine individuelle Bedrohung nur in Betracht, wenn sich der Konflikt auf den tatsächlichen Zielort bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat erstrecke. Dies sei die Herkunftsregion des Ausländers, in der er zuletzt gelebt habe bzw. in die er typischerweise zurückkehren könne und voraussichtlich auch werde. Der Kläger habe glaubhaft vorgetragen, dass er in seiner Heimatregion Helmand keine aufnahmebereiten Bekannten oder Verwandten und keine Existenzgrundlage mehr habe. Zudem habe er Angst vor einer dort lebenden Privatperson, außerdem befürchte er Diskriminierungen, denen seine Volksgruppe in Helmand in besonderem Maße ausgesetzt sei. Wolle bzw. werde der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren, sei auf das derzeit einzig mögliche Abschiebungsziel Kabul abzustellen. Dort herrsche kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt mehr. Die Sicherheitslage werde in Kabul, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet.

4

Dem Kläger stehe hinsichtlich Afghanistans auch nicht der hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz zur Seite. Es sei nicht ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte. Einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der allgemein schlechten Lebensverhältnisse in Afghanistan stehe § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG entgegen. Eine extreme Gefahrenlage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ausnahmsweise nicht greife, liege für Kabul nicht (mehr) vor. Vielmehr sei eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul zu erkennen, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder Anbindung an lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehe. Der Senat sehe keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Im Falle des Klägers seien auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten.

5

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 60 Abs. 2, 5 sowie 7 Satz 1 und 2 AufenthG. Außerdem macht er Verfahrensfehler geltend und regt zur weiteren Klärung des Gehalts der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 und 7 Satz 2 AufenthG eine Vorlage an den EuGH an.

6

Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

7

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil verletzt hinsichtlich des vom Kläger mit seinem Hauptantrag verfolgten Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes Bundesrecht. Das Berufungsgericht hat bei der im Rahmen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gebotenen Prüfung, ob am tatsächlichen Zielort des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein bewaffneter Konflikt besteht, nicht auf die Herkunftsregion des Klägers, sondern auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil nicht selbst abschließend über die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

9

1. Gegenstand des Verfahrens ist neben dem unionsrechtlichen Abschiebungsschutz weiterhin auch der vom Kläger hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht die Zulassung der Revision allein mit der grundsätzlichen Bedeutung einer auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz zugeschnittenen Frage begründet hat. Die Urteilsformel enthält keine Beschränkung der Zulassung auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz. Der Umfang der Zulassung ist daher unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtsmittelklarheit durch Auslegung zu ermitteln. Danach ist hier von einer uneingeschränkten Zulassung auszugehen. Die vom Kläger im Berufungsverfahren gestellten (Haupt- und Hilfs-)Anträge betreffen zwar unterschiedliche Streitgegenstände. Diese sind aber eng miteinander verflochten, insbesondere stellt sich die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage des maßgeblichen Anknüpfungsortes nicht nur beim unionsrechtlichen, sondern auch beim nationalen Abschiebungsschutz. Für eine uneingeschränkte Zulassung der Revision spricht im Übrigen auch die dem Berufungsurteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung, die sich lediglich auf das Rechtsmittel der Revision bezieht.

10

2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens auf Gewährung von Abschiebungsschutz ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 10). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte. Maßgeblich ist daher für das Revisionsverfahren das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Unionsrechtlich finden sowohl die Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikations-Richtlinie - vom 29. April 2004 (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) Anwendung als auch die - während des Berufungsverfahrens in Kraft getretene - Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337 vom 20. Dezember 2011 S. 9). Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen wurde den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU) und es bleibt bis zum Ablauf dieser Frist bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Art. 41 Abs. 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (vgl. Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU).

11

3. Das Berufungsurteil verletzt in Bezug auf den vom Kläger primär begehrten unionsrechtlichen Abschiebungsschutz Bundesrecht. Die diesbezüglichen Vorgaben des Art. 15 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG) sind in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG - in überschießender Umsetzung - als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet und bilden einen eigenständigen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (Urteile vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 11 und vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und 16).

12

3.1 Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit einer Begründung abgelehnt, die revisionsrechtlicher Prüfung nicht standhält. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

13

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses - die Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU) umsetzenden - Abschiebungsverbots können auch dann erfüllt sein, wenn sich der bewaffnete Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 25). In diesem Fall ist Bezugspunkt für die Gefahrenprognose der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07, Elgafaji - NVwZ 2009, 705 Rn. 40).

14

Das Berufungsgericht hat dies zutreffend zu Grunde gelegt. Es hat aber nicht geprüft, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht, sondern stattdessen auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt, weil der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 14. November 2012 (BVerwG 10 B 22.12 - juris Rn. 7) als geklärt gesehen hat, kommt es für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, aber weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Ein Abweichen von der Regel kann insbesondere nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen ihm § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewähren soll. Dies ergibt sich schon aus dem systematischen Zusammenhang der unionsrechtlichen Abschiebungsverbote mit den Bestimmungen über den internen Schutz (Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG; künftig: Art. 8 der Richtlinie 2011/95/EU). Kommt die Herkunftsregion als Zielort wegen der dem Ausländer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf eine andere Region des Landes verwiesen werden. Der Begriff des "tatsächlichen Zielortes der Rückkehr" ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da es bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG um den Schutz vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat geht, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat, etwa weil Familienangehörige getötet worden sind oder diese Gebiete ebenfalls verlassen haben. Auch soweit die nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände begründet worden ist, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage), und es mangels Existenzgrundlage und Zukunftsperspektive eine nachvollziehbare Haltung ist, nicht in die Herkunftsregion zurückkehren zu wollen, behält diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aus.

15

Diese Ausdeutung des vom Gerichtshof der Europäischen Union - EuGH - (Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 40) verwandten Begriffs des tatsächlichen Zielorts der Rückkehr kann vorgenommen werden, ohne diesem die Rechtssache zur Vorabentscheidung vorzulegen. Der EuGH hat den Begriff in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 zwar nicht abschließend definiert. Die hier entfaltete Auslegung trägt aber dem Zweck der Vorschriften über den internen Schutz Rechnung und folgt damit der Vorgabe des EuGH, die Auslegung nationalen Rechts so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Art. 249 Abs. 3 EG (inzwischen: Art. 288 AEUV) nachzukommen (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 42).

16

Das Berufungsurteil verstößt nach den vorstehenden Grundsätzen gegen Bundesrecht, weil es für das Bestehen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht die Verhältnisse in der Herkunftsregion des Klägers in den Blick genommen, sondern auf die Lage in Kabul als dem voraussichtlichen Zielort einer Abschiebung abgestellt hat. Den Feststellungen des Berufungsgerichts ist aber nicht zu entnehmen, dass der Kläger sich vor seiner Ausreise dauerhaft in einer anderen Region als Helmand niedergelassen hat. Er ist zwar zunächst mit seiner Lebensgefährtin nach Kabul (und später in den Iran zu seiner Schwester) gegangen. Dies geschah nach seinen Angaben aber allein aus Angst vor dem Vater seiner Lebensgefährtin; zur Dauer und den näheren Umständen des Aufenthalts in Kabul enthält das Berufungsurteil keine Feststellungen. Die vom Berufungsgericht angeführten Erwägungen, warum der Kläger nicht nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde, lassen die Relevanz der Heimatregion für die Gefahrenprognose bei einem bewaffneten Konflikt nicht entfallen.

17

3.2 Das Berufungsurteil beruht auf diesem Fehler. Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen zur Lage in der Provinz Helmand getroffen. Ob in dieser Region ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht und dem Kläger dort die in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG definierte Gefahr droht, kann daher revisionsgerichtlich weder festgestellt noch ausgeschlossen werden.

18

3.3 Die Entscheidung erweist sich hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO) oder unrichtig, so dass der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden kann.

19

a) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheidet nicht schon deshalb aus, weil der Kläger - einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in seiner Herkunftsregion unterstellt - in Kabul internen Schutz finden könnte. Dies würde nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG voraussetzen, dass für den Kläger in Kabul nicht nur keine Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, sondern von ihm auch vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält.

20

Auch hierzu fehlen hinreichende tatrichterliche Feststellungen. Das Berufungsgericht hat in Bezug auf Kabul zwar festgestellt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG nicht vorliegen, weil dort keine extreme Gefahrenlage herrsche und zu erwarten sei, dass Rückkehrer durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Nach Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG muss beim internen Schutz die Existenzgrundlage aber so weit gesichert sein, dass vom Ausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus; weiterhin offenbleiben kann, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen (vgl. Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 Rn. 35).

21

b) Umgekehrt kann auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Berufungsurteil hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes aus anderen Gründen unrichtig ist. Das Berufungsgericht hat vor allem im Ergebnis zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG verneint. Ein solches Abschiebungsverbot ergibt sich - entgegen der Auffassung der Revision - insbesondere nicht aus den allgemeinen humanitären Verhältnissen in Afghanistan.

22

Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem Abschiebungsverbot wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU) umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685) - EMRK - orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM <2001> 510 endgültig S. 6, 30). Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG auch über Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83, 389) - GR-Charta - zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn das ernsthafte Risiko der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Dies gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta auch für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch die Regelung in Art. 19 Abs. 2 GR-Charta die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 15 und 17).

23

Entgegen der Auffassung der Revision ist der neueren Rechtsprechung des EGMR nicht zu entnehmen, dass sich der Maßstab für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bei Abschiebungen in Staaten mit schwierigen Lebensbedingungen nach den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung" bestimmt. Entsprechendes ergibt sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/06 - NVwZ 2011, 413). Bereits in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (BVerwG 10 B 16.12 - juris Rn. 8 f.) hat der Senat dargelegt, dass der EGMR davon ausgeht, dass die Staaten - unbeschadet ihrer vertraglichen Verpflichtungen einschließlich derer aus der Konvention selbst - das Recht haben, die Einreise fremder Staatsbürger in ihr Hoheitsgebiet zu regeln (EGMR, Urteile vom 28. Mai 1985 - Nr. 15/1983/71/107-109, Abdulaziz u. a./Vereinigtes Königreich - NJW 1986, 3007 Rn. 67; vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 54 und vom 28. Juni 2012 - Nr. 14499/09, A.A. u.a. - Rn. 71). Die Abschiebung durch einen Konventionsstaat kann aber dessen Verantwortlichkeit nach der Konvention begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. In einem solchen Fall ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die Person nicht in dieses Land abzuschieben (stRspr, EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering/Vereinigtes Königreich - NJW 1990, 2183 Rn. 90 f. und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125). Allerdings können Ausländer kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 - Nr. 26565/05, N./Vereinigtes Königreich - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42). So hat der EGMR ein Abschiebungsverbot aus Art. 3 EMRK zugunsten eines im fortgeschrittenen, tödlichen und unheilbaren Stadiums an Aids Erkrankten angenommen, weil die Abschiebung seinen Tod beschleunigen würde, er keine angemessene Behandlung erreichen könne und kein Beweis für irgendeine mögliche moralische oder soziale Unterstützung im Zielstaat zu erbringen sei (EGMR, Urteil vom 2. Mai 1997 - Nr. 146/1996/767/964, D./Vereinigtes Königreich - NVwZ 1998, 161 Rn. 52 f.). Zusammenfassend führt der Gerichtshof zur Herleitung eines Abschiebungsverbots aus Art. 3 EMRK aufgrund von Krankheiten aus, dass angesichts der grundlegenden Bedeutung von Art. 3 EMRK im System der Konvention zwar eine gewisse Flexibilität notwendig sei, um eine Ausweisung (expulsion) in besonderen Ausnahmefällen zu verhindern. Doch verpflichte Art. 3 EMRK die Staaten nicht, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 a.a.O. Rn. 44).

24

Wie der Senat in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (a.a.O. Rn. 9) ausgeführt hat, ist diese gefestigte Rechtsprechung durch das Urteil der Großen Kammer vom 21. Januar 2011 (a.a.O.) im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland nicht grundsätzlich revidiert worden. Dieses Urteil verhält sich - entgegen der Auffassung der Revision - erkennbar nicht zu den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung". Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die - in einem ihnen völlig fremden Umfeld - vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259).

25

Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR (vgl. Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 9 m.w.N.). In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 im Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich (Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen - wie in Somalia - nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (a.a.O.) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Beschwerdeführers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f.).

26

Welche Anforderungen sich aus dieser Rechtsprechung des EGMR im Einzelnen für Abschiebungen in den Herkunftsstaat bei schlechten humanitären Bedingungen ergeben, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Denn selbst der EGMR geht in Bezug auf Afghanistan davon aus, dass die allgemeine Lage dort nicht so ernst ist, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK wäre (EGMR, Urteil vom 13. Oktober 2011 - Nr. 10611/09, Husseini/Schweden - NJOZ 2012, 952 Rn. 84). Auch auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts liegen die Voraussetzungen für eine allein auf die allgemeinen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte Verletzung des Art. 3 EMRK ersichtlich nicht vor. Maßgeblich ist dabei die Perspektive des abschiebenden Staates, aus dessen Sicht zu prüfen ist, ob der Betroffene durch die Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Bei dieser Prüfung stellt der EGMR grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat ab und prüft zunächst, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011 a.a.O. Rn. 265, 301, 309). Das gilt auch bei der Beurteilung von Umständen, die nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen, dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK aber dennoch eine Abschiebung des Ausländers verbieten.

27

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass derzeit nur eine Abschiebung nach Kabul möglich ist (UA S. 14). Zugleich hat es sich bezüglich der allgemeinen Lebensbedingungen in Kabul - im Rahmen seiner Ausführungen zu § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG - in tatsächlicher Hinsicht der Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs angeschlossen, dass zu erwarten sei, dass Rückkehrer dort durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten (UA S. 23). Die daran anschließende Bemerkung des Berufungsgerichts, aufgrund der schlechten Gesamtsituation dürfte ohne schützende Familien- und Stammesstrukturen eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten "kaum zumutbar" sein, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Sie umfasst nicht die tatsächliche Feststellung, die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Abschiebezielstaat seien so schlecht, dass nach Art. 3 EMRK von einer Abschiebung zwingend abgesehen werden müsse. Mit dieser Formulierung bringt das Berufungsgericht lediglich seine Haltung zum Ausdruck, dass die rechtlichen "Hürden" des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG seiner Auffassung nach zu hoch sind, und lässt in der Sache sein Bedauern erkennen, dass die oberste Landesbehörde für Afghanistan keinen generellen Abschiebestopp aus humanitären Gründen gemäß § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG angeordnet hat und das Gericht diese politische Entscheidung - unterhalb der hier nicht erreichten Grenze verfassungsrechtlich gebotenen Abschiebungsschutzes - nicht zu ersetzen vermag (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 5).

28

Damit liegen die tatsächlichen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG - ungeachtet des Umstandes, dass bei § 60 Abs. 2 AufenthG und bei § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in rechtlicher Hinsicht unterschiedliche Maßstäbe gelten - ersichtlich nicht vor. Selbst bei Zugrundelegung der - vom EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland für einen gänzlich anderen Anwendungsfall entwickelten und in den Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich auf eine ebenfalls andere Ausgangssituation im Herkunftsstaat übertragenen - abgesenkten und auf die Situation besonderer Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit bezogenen Maßstäbe ergäbe sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zu den Verhältnissen in Kabul für den Kläger kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 10).

29

Auch insoweit bedarf es keiner Vorlage an den EuGH. Die Voraussetzungen, unter denen einen abschiebenden Staat aus Art. 3 EMRK ausnahmsweise eine Verantwortung für nicht dem Abschiebezielstaat oder anderen Akteuren zuzurechnende Umstände trifft, ergeben sich aus der Rechtsprechung des EGMR und werfen im vorliegenden Verfahren keine entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Zweifelsfragen auf. Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU zu beachten. Dass die Richtlinie in Bezug auf Art. 3 EMRK bei Umständen, die weder in die Verantwortung des Abschiebezielstaats noch eines sonstigen Akteurs fallen, keinen über die Rechtsprechung des EGMR hinausgehenden Schutz gewährt, ergibt sich schon aus Art. 6 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 6 der Richtlinie 2004/83/EG). Denn dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass es nach den Vorstellungen des Richtliniengebers auch beim subsidiären Schutz grundsätzlich eines Akteurs bedarf, von dem ein ernsthafter Schaden ausgehen kann.

30

4. Kann der Senat mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen weder positiv noch negativ abschließend über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden, so ist das Berufungsurteil schon aus diesem Grund aufzuheben und das Verfahren an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, ohne dass es auf die von der Revision fristgerecht erhobenen Verfahrensrügen ankommt. Zur Klarstellung weist der Senat allerdings darauf hin, dass die gerügten Verfahrensfehler nicht vorliegen. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen in den Beschlüssen des Senats vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 16.12 und 10 B 20.12 - zu vergleichbaren Verfahrensrügen des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Das Berufungsgericht hat auch nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, weil es den Rechtsstreit nicht dem EuGH vorgelegt hat. Ein solcher Verstoß scheidet schon deswegen aus, weil es nach Art. 267 Abs. 2 AEUV zwar zur Vorlage berechtigt, nicht aber verpflichtet ist. Unabhängig davon liegen die Voraussetzungen für eine Vorlage an den EuGH aber auch nicht vor. Die entscheidungserheblichen Fragen des Unionsrechts sind in der Rechtsprechung des EuGH geklärt bzw. unterliegen keinen Zweifeln, die eine Vorlage rechtfertigen oder gar gebieten. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.

31

5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

32

5.1 Das Berufungsgericht wird hinsichtlich des Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes vor allem mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auf aktueller Tatsachengrundlage zu klären haben, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht und ihm dort die Gefahren drohen, vor denen § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewährt. Ist dies der Fall, hat es weiter zu prüfen, ob der Kläger nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf die Möglichkeit internen Schutzes in einem anderen Landesteil - insbesondere Kabul - verwiesen werden kann.

33

5.2 Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes hat, wird es auf aktueller Erkenntnislage auch erneut über den Hilfsantrag des Klägers auf Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 und 3 AufenthG zu entscheiden haben.

34

a) Dabei kann dahinstehen, wie die Aussage des Berufungsgerichts bei § 60 Abs. 5 AufenthG zu verstehen ist, dass bezüglich Art. 3 EMRK die weitergehende und unionsrechtlich aufgeladene Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG "vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen" sei. Sollte das Berufungsgericht damit zum Ausdruck bringen wollen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK durch § 60 Abs. 2 AufenthG verdrängt wird, wäre dies allerdings nicht mit Bundesrecht zu vereinbaren.

35

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (Urteil vom 11. November 1997 - BVerwG 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen ("zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse).

36

Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich zwar weitgehend identisch mit dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 60 Abs. 2 AufenthG knüpft - wie dargelegt - an Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. Auch wenn bei Anträgen auf internationalen Schutz der unionsrechtliche Abschiebungsschutz - und damit auch das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG - vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu prüfen ist, folgt hieraus in Bezug auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK keine (verdrängende) Spezialität des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG, die eine Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG bereits dem Grunde nach ausschließt. Die Gewährleistung nach nationalem Recht tritt vielmehr selbstständig neben die aus Unionsrecht. Eine tatbestandsausschließende Spezialität des § 60 Abs. 2 AufenthG wäre mit dem hohen Rang, den die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter haben, unvereinbar. Damit ist hinsichtlich des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in jedem Fall materiell zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllt sind. In Fällen, in denen - wie hier - gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet allerdings bei Verneinung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind.

37

b) Schließlich soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat auch dann abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, grundsätzlich nur nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (Sperrwirkung).

38

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen kann, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (stRspr, vgl. Urteil vom 8. September 2012 - BVerwG 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 - Rn. 22 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.

39

Das Berufungsgericht hat in Anwendung dieser Maßstäbe ein Abschiebungsverbot verneint, weil in tatsächlicher Hinsicht zu erwarten sei, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Dabei hat es weder die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit, dass es infolge der problematischen Versorgungslage, die neben der Versorgung mit Lebensmitteln auch die medizinische Versorgung und die Versorgung mit Wohnraum umfasst, zur Beeinträchtigung fundamentaler Schutzgüter kommen werde, überspannt noch hat es seine tatrichterliche Überzeugung auf einer zu schmalen Tatsachenbasis gebildet. Soweit die Revision geltend macht, das Berufungsgericht habe im Rahmen der Beurteilung einer extremen Gefahrenlage die medizinische Versorgungslage nicht hinreichend berücksichtigt, verkennt sie, dass diese nur bei akut behandlungsbedürftigen Vorerkrankungen oder in Fällen von Bedeutung ist, in denen aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse mit einer entsprechend hohen Wahrscheinlichkeit eine lebensbedrohliche Erkrankung zu erwarten ist, für die dann faktisch kein Zugang zu medizinischer (Grund-)Versorgung besteht (s.a. Beschluss vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 20.12 - Rn. 14).

40

Soweit das Berufungsgericht im Übrigen der Auffassung ist, das Bundesverwaltungsgericht stelle an das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung überzogene rechtliche Anforderungen, geben die Ausführungen dem Senat keine Veranlassung zu einer Änderung seiner Rechtsprechung. Das Berufungsgericht begründet seine Kritik damit, dass die Zumutbarkeit einer Rückkehr unter humanitären Gesichtspunkten, die es aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen selbst für gesunde alleinstehende Männer "kaum" für gegeben hält, nach der Rechtsprechung "kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG" sei. Mit diesen Erwägungen stellt es dem aus dem Verfassungsrecht abgeleiteten Rechtsbegriff der Zumutbarkeit eine eigene - mit außerrechtlichen Erwägungen begründete und enger gefasste - Zumutbarkeit gegenüber und vermischt damit die Grenze zwischen einer dem Betroffenen rechtlich (noch) zumutbaren und einer nicht (mehr) zumutbaren Rückkehr. Dabei vernachlässigt es zudem, dass es bei der verfassungskonformen Auslegung nicht um die Bestimmung eines aus Sicht des jeweiligen Gerichts "sinnvollen" und/oder "menschenrechtsfreundlichen" Abschiebungsschutzregimes geht, sondern um die Festlegung der Voraussetzungen, unter denen im gewaltenteilenden Rechtsstaat die Rechtsprechung befugt ist, über eine verfassungskonforme Auslegung ausnahmsweise die Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, allgemeine Gefahren nur im Rahmen einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen, unbeachtet zu lassen. Hierbei macht es in der Sache einen erheblichen Unterschied, ob ein Mensch ohne jeden Ausweg in eine Situation gebracht wird, in der er so gut wie keine Überlebensmöglichkeit hat, oder ob er bei allen - auch existenzbedrohenden - Schwierigkeiten nicht chancenlos ist, sondern die Möglichkeit hat, Einfluss auf sein Schicksal zu nehmen.

41

Die weiteren Zweifel des Berufungsgerichts, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden könne, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen, betreffen nicht den materiell-rechtlichen Maßstab für die Beurteilung einer extremen Gefahrenlage selbst. Die damit ausgedrückte Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. Urteil vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 Rn. 22) vernachlässigt, dass diese Auseinandersetzung nicht als Selbstzweck gefordert wird. Sie zielt auf eine Verbesserung der Entscheidungsqualität durch Verbreiterung der erkennbar in die tatrichterliche Bewertung eingestellten Tatsachen- und Argumentationsbasis. Dies gilt namentlich in Fällen, in denen es - wie hier - im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG um eine "Korrektur" des demokratisch legitimierten Gesetzgebers geht, für die im Rahmen der Tatsachen- und Lagebeurteilung eine umfassende Gesamtwürdigung der voraussichtlichen Lebensbedingungen im Abschiebezielstaat und der damit verbundenen Gefahren erforderlich ist.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde, mit der der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiterverfolgt, den nunmehr passivlegitimierten Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 VwGO) zu verpflichten, bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Klageverfahren (Au 1 K 15.1605) auf Erteilung einer Duldung an den Antragsteller gemäß § 60a AufenthG keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durchzuführen und ihm weiterhin eine Duldung zu erteilen, ist unbegründet. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen weder die Aufhebung noch eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.

Der Antragsteller, ein kosovarischer Staatsangehöriger, dessen Asylantrag mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 4. Juli 2013 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, erhielt von der damals zuständigen Stadt A. seit 29. Oktober 2013 im Hinblick auf fehlende Heimreisepapiere eine zuletzt bis 10. März 2015 gültige Duldung. Der am 20. Juni 2015 unter Verweis auf verschiedene ärztliche Atteste, in denen seine Reiseunfähigkeit attestiert wurde, gestellte Antrag auf neuerliche Erteilung einer Duldung wurde mit Bescheid vom 12. Oktober 2015 abgelehnt, weil einer Abschiebung entgegenstehende medizinische Gründe nicht nachvollziehbar belegt seien. Seither erhält der Antragsteller befristete Grenzübertrittsbescheinigungen. Mit Beschluss vom 16. Dezember 2015 lehnte das Verwaltungsgericht Augsburg den Antrag auf einstweilige Anordnung ab, weil die geltend gemachten gesundheitlichen Probleme nicht zu einer Unmöglichkeit der Abschiebung wegen einer Reiseunfähigkeit des Antragstellers führten und daher kein Anordnungsanspruch vorliege. Im Übrigen spreche vieles dafür, dass es angesichts der nicht beabsichtigten Abschiebung schon an einem Anordnungsgrund fehle.

Der Antragsteller verweist in der Begründung seiner Beschwerde darauf, dass sehr wohl ein Anordnungsgrund vorliege, weil die Abschiebung des Antragstellers lediglich bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zurückgestellt worden sei. Auch ein Anordnungsanspruch liege vor, denn aus dem Schreiben des Gesundheitsamts der Stadt A. vom 2. Juni 2015, das von der dortigen Ausländerbehörde in Auftrag gegeben worden sei, ergebe sich die fehlende Reisefähigkeit des Antragstellers; dort werde die Frage nach der „Freitodgefahr“ bejaht und zugleich ein „fachpsychiatrisches Gutachten zum Ausschluss“ dieser Gefahr verlangt, das von der Ausländerbehörde bis zum heutigen Tage nicht eingeholt worden sei. Der Antragsteller leide wegen seiner Kindheits- und Jugenderlebnisse an starken Depressionen, wie insbesondere aus der ärztlichen Stellungnahme des Diplom-Psychologen T. vom 4. November 2015 hervorgehe. Dieser kenne den Antragsteller seit fast zweieinhalb Jahren und halte eine somatische Chronifizierung und Verelendung im Falle der Rückkehr des Antragstellers in den Kosovo bei dort fehlenden oder nicht erreichbaren psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten für wahrscheinlich. Dieser Situation werde der Antragsteller durch Suizid zuvorkommen. Auch Dr. H. habe eine schwere psychische Erkrankung am 3. März 2015 bestätigt. In seiner Stellungnahme vom 9. April 2015 weise des Weiteren Dr. A. auf eine Verschlechterung der depressiven Erkrankung hin und bestätige die vorliegende Suizidalität. Bei einer Gesamtwürdigung der vorliegenden Gutachten und Stellungnahmen der drei Ärzte und vor dem Hintergrund einer langjährigen Behandlung sei die Aussage des Verwaltungsgerichts, „eine Behandlung sei nicht ernsthaft eingeleitet“ worden, nicht nachvollziehbar. Letztmals unter dem 16. Januar 2016 bescheinige Dr. H. dem Antragsteller eine „schwere depressive Episode… infolge einer Belastungsreaktion bei dramatisierenden Erlebnissen in seiner Heimat“ sowie Albträume. In Ermangelung von für ihn erreichbaren Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo würde sich der Gesundheitszustand des Antragstellers alsbald nach seiner Rückkehr wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern.

Der Senat hat mit Zwischenverfügung vom 3. Februar 2016 der damals zuständigen Stadt A. aufgegeben, bis zur Entscheidung über die Beschwerde von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen angesichts des noch bestehenden Aufklärungsbedarfs abzusehen. Am 10. August 2016 erstellte Prof. Dr. D. auf Ersuchen des Antragsgegners eine gutachterliche Stellungnahme, die sich auf die vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und die weiteren, im Verwaltungsverfahren angefallenen Schriftstücke stützt; danach würden sich die psychiatrischen Störungen im Rahmen einer Abschiebung in den Kosovo nicht lebensbedrohlich verschlechtern, eine Reiseunfähigkeit liege nicht vor.

1. Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes (§ 123 Abs. 1, 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO) ergibt sich - unabhängig davon, ob die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Abschiebung des Antragstellers sei „weder terminiert noch organisiert noch beabsichtigt“, zum Ausschluss eines Anordnungsgrunds vor dem Hintergrund ausreicht, dass die damalige Antragsgegnerin die Abschiebung bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts als nicht „beabsichtigt“ bezeichnet hatte - bereits daraus, dass sie mit Schreiben vom 3. Februar 2016 gegenüber dem Senat mitgeteilt hat, ein konkreter Abschiebetermin sei festgesetzt und kein Grund ersichtlich, hiervon abzusehen.

2. Es ist jedoch kein auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung durch Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gerichteter Anordnungsanspruch (§ 123 Abs. 1, 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO) glaubhaft gemacht. Die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit (§ 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG) des Antragstellers ist durch die zahlreichen fachärztlichen Bescheinigungen nicht widerlegt.

2.1 Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers so lange auszusetzen, wie sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Ein rechtliches Abschiebungshindernis liegt vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr zu befürchten ist, so dass die Abschiebungsmaßnahme wegen des nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten grundrechtlichen Schutzes auszusetzen ist. Erforderlich ist dabei, dass infolge der Abschiebung als solcher (unabhängig vom konkreten Zielstaat) eine wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes für den betroffenen Ausländer konkret droht (BayVGH, B. v. 31.5.2016 - 10 CE 16.838 - juris Rn. 7; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Februar 2016, A1 § 60a Rn. 57 f.). In Betracht kommen damit nur inlands- und nicht zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote (vgl. VG Augsburg, B. v. 16.12.2015, BA S. 5). Nach dem bestandskräftigen Bescheid des Bundesamts vom 4. Juli 2013 droht dem Antragsteller aber keine individuelle, erhebliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben i. S. v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Kosovo. Damit geht auch jeglicher Beschwerdevortrag ins Leere, soweit er sich mit der Situation des Antragstellers nach erfolgter Abschiebung in seine Heimat und der ihn dort erwartenden medizinischen und sonstigen Situation befasst und hieraus ein Abschiebungshindernis ableiten will.

Nach dem mit Wirkung zum 17. März 2016 (Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.3.2016 - BGBl I S. 390 -) eingeführten § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Insofern hat der Gesetzgeber im Wesentlichen die obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. u. a. BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251; U. v. 11.9.2007 - 10 C 17.07 - juris Rn. 15) nachvollzogen, wonach zur Substantiierung des Vorbringens einer Erkrankung (hier: angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes und der vielfältigen Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung) regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes gehört.

2.2 Vor dem so umrissenen rechtlichen Hintergrund geht der Senat davon aus, dass die gemäß der Neuregelung in § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG bestehende gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit des Antragstellers nicht widerlegt ist, so dass ein ernsthaftes Risiko, der Gesundheitszustand des Antragstellers werde sich unmittelbar durch die Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern, nicht vorliegt. Der Zweck der gesetzlichen Vermutung wird in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/7538, zu Art. 2 S. 18) folgendermaßen umschrieben:

Die Geltendmachung von Abschiebungshindernissen in gesundheitlicher Hinsicht stellt die zuständigen Behörden quantitativ und qualitativ vor große Herausforderungen. Oftmals werden Krankheitsbilder angesichts der drohenden Abschiebung vorgetragen, die im vorangegangenen Asylverfahren nicht berücksichtigt worden sind … Nach den Erkenntnissen der Praktiker werden insbesondere schwer diagnostizier- und überprüfbare Erkrankungen psychischer Art (z. B. Posttraumatische Belastungsstörungen [PTBS]) sehr häufig als Abschiebungshindernis (Vollzugshindernis) geltend gemacht, was in der Praxis zwangsläufig zu deutlichen zeitlichen Verzögerungen bei der Abschiebung führt.

Der Gesetzgeber geht nunmehr davon aus, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern. Mit dieser Präzisierung wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach Satz 1 darstellen...

Die Abschiebung darf nicht dazu führen, dass sich die schwerwiegende Erkrankung des Ausländers mangels Behandlungsmöglichkeit in einem Ausmaß verschlechtern wird, dass ihm eine individuell konkrete, erhebliche Gefahr an Leib oder Leben droht. Es wird jedoch im Falle einer Erkrankung nicht vorausgesetzt, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsland bzw. im Zielstaat der Abschiebung der Versorgung in Deutschland oder in der Europäischen Union gleichwertig ist….

Die vom Kläger vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen legen zwar eine schwerwiegende psychische Erkrankung dar, nicht aber, dass sich diese infolge einer Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Die vorgelegten Atteste zur Reise(un)fähigkeit entsprechen darüber hinaus nicht den Anforderungen, die an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinn von § 60a Abs. 2c Satz 2, 3 AufenthG zu stellen sind. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die in der Beschwerdebegründung in Bezug genommenen ärztlichen Stellungnahmen vom 3. März, 4. und 15. November 2015 sowie 5. Februar 2016 (jeweils Dipl.Psych. T.), vom 9. April 2015 (Dr. A) sowie das ärztliche Attest vom 16. Januar 2016 (Neurologe und Psychiater Dr. H.). Zum Teil thematisieren sie mit keinem Wort die im vorliegenden Fall allein entscheidende Frage der Reisefähigkeit, sondern befassen sich mit den hier nicht maßgeblichen, da zielstaatsbezogenen Voraussetzungen eines langfristigen Behandlungserfolgs im Kosovo. So wird beispielsweise angegeben, dass die vorliegende, mit Schlafstörungen und Panikattacken verbundene Depression bisher medikamentös nur mit mäßigem Erfolg habe bekämpft werden können, im Kosovo jedoch die dringend gebotene psychotherapeutische Behandlung nicht möglich sei, weshalb der Antragsteller dort verelenden und dann seinem Leben eine Ende setzen werde. Die Verantwortung für ihn könne jedoch nicht an der EU-Grenze aufhören. Dieser Vortrag zielt aber ungeachtet der Frage seiner Plausibilität auf ein - über die Beurteilung der Reisefähigkeit hinausgehendes - zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis ab, das in die ausschließliche Entscheidungszuständigkeit des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und nicht diejenige des Antragsgegners fällt (vgl. § 42 Satz 1 AsylG).

Des Weiteren lässt auch keine der ärztlichen Bescheinigungen, soweit sie eine Reiseunfähigkeit attestieren, die tatsächlichen Umstände, „auf deren Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgte, und die Methode der Tatsachenerhebung“ erkennen (vgl. § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG). Es bestehen bereits - wie auch die Stellungnahme von Prof. D. nahelegt - erhebliche Zweifel daran, ob überhaupt eine schwerwiegende seelische Erkrankung glaubhaft gemacht ist; hierfür reicht nicht aus, dass sich der Antragsteller seit November 2014 in nervenärztlicher Behandlung befindet. Jedenfalls kann aus dem attestierten depressiven Syndrom nicht ohne weitere umfassende Begründung gefolgert werden, der Antragsteller sei reiseunfähig. Eine Reiseunfähigkeit ist schlichtweg nicht glaubhaft gemacht; der Hinweis, von einer Rückführung des Antragstellers in den Kosovo sei wegen der latenten Suizidalität und der Befürchtung einer Verschlechterung seiner seelischen Verfassung abzuraten (Dr. H., Attest v. 16.1.2016), ersetzt nicht die fehlende Darlegung der Diagnoseerstellung.

Der Senat macht sich insoweit die Auffassung des vom Antragsgegner beauftragten Fachpsychiaters Prof.D. in seiner gutachterlichen Äußerung vom 10. August 2016 zu eigen, deren Einholung notwendig geworden war, weil das Gesundheitsamt der Stadt A. auf entsprechende Anfrage der Ausländerbehörde in seiner Äußerung vom 2. Juni 2015 die Erstellung eines fachpsychiatrischen Gutachtens zur Suizidgefahr des Antragstellers für erforderlich gehalten hatte, ohne dass hieraus zunächst Konsequenzen gezogen wurden und ohne dass dieser Vorgang dem Verwaltungsgericht, dem offenbar Teile der Ausländerakte (Blatt 160 a bis 160 d) nicht vorlagen, bekannt war. Die fachpsychiatrische Äußerung vom 10. August 2016 wertet sämtliche bekannten Stellungnahmen und sonstigen schriftlichen Erkenntnisse zusammenfassend aus und kommt zu dem nachvollziehbaren Schluss, dass die seit 2013 vorgelegten medizinischen Äußerungen die Feststellung der Reiseunfähigkeit aufgrund akuter Suizidalität des Antragstellers nicht tragen. Gleichwohl - um „auf der sicheren Seite“ zu sein - werde empfohlen, den Antragsteller im kritischen Zeitraum „während der Ausreise unter entsprechende ärztliche Beobachtung zu stellen“.

Die behauptete wesentliche oder lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands des Antragstellers (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne) wird durch keines der fachärztlichen Atteste hinreichend belegt. Ein Attest, dem nicht zu entnehmen ist, wie es zur prognostischen Diagnose kommt und welche Tatsachen dieser zugrunde liegen, ist nicht geeignet, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots wegen Reiseunfähigkeit zu begründen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 8.2.2012 - 2 M 29/12 - juris Rn. 11 ff.). Aber selbst bei Annahme einer nicht völlig auszuschliessenden Suizidgefahr liegt nicht zwangsläufig ein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis vor; vielmehr ist die Abschiebung von der Ausländerbehörde dann ggf.so zu gestalten, dass einer Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann (BayVGH, B. v. 9.4.2003 - 10 CE 03.484 - juris Rn. 9; BVerfG, B. v. 16.4.2002 - 2 BvR 553/02 - juris; B. v. 26.2.1998 - 2 BvR 1985/98 - juris Rn. 4).

Der Kostenausspruch folgt für das Beschwerdeverfahren aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 8.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

Gründe

1

Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

2

I. Der (rückwirkenden) Bewilligung von Prozesskostenhilfe steht nicht entgegen, dass das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO, für das die Antragsteller die Bewilligung von Prozesskostenhilfe begehren, mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 24.03.2016 rechtskräftig abgeschlossen worden ist und die Antragsteller am 06.04.2016 freiwillig aus der Bundesrepublik Deutschland in ihr Heimatland Bosnien und Herzegowina ausgereist sind. Zwar setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO grundsätzlich voraus, dass die streitgegenständliche Rechtsverfolgung noch beabsichtigt ist. Ist das Rechtsschutzverfahren hingegen bereits beendet, bleibt für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe regelmäßig kein Raum mehr (vgl. Beschl. d. Senats v. 13.10.2011 – 2 O 108/11 –, juris RdNr. 2). Eine rückwirkende Gewährung von Prozesskostenhilfe nach Abschluss des Verfahrens ist allerdings aus Gründen der Billigkeit in besonders gelagerten Einzelfällen angebracht. Sie kann ausnahmsweise in Fällen geboten sein, in denen die sachlichen Voraussetzungen für die Bewilligung zu einem früheren Zeitpunkt, als die Rechtsverfolgung noch beabsichtigt war, vorgelegen haben und es lediglich in Folge eines Versäumnisses des Gerichts nicht zu einer rechtzeitigen Entscheidung über den Bewilligungsantrag gekommen ist (vgl. Beschl. d. Senats v. 03.02.2012 – 2 O 9/12 –, juris RdNr. 4). Gleiches gilt, wenn der Antragsteller vor Beendigung des Verfahrens gegen einen die beantragte Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Beschwerde einlegt hat. In diesen Fällen kann Prozesskostenhilfe grundsätzlich auch noch im Beschwerdeverfahren für die erste Instanz bewilligt werden, selbst wenn diese inzwischen rechtskräftig abgeschlossen ist (vgl. OVG NW, Beschl. v. 03.02.2009 – 13 E 1694/08 –, juris RdNr. 5). Über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unabhängig von der Entscheidung in der Sache allein nach den Erfolgsaussichten im Zeitpunkt der Entscheidungs- bzw. Bewilligungsreife zu entscheiden (vgl. Olbertz, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 166 RdNr. 57). Der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 24.03.2016, mit dem der Antrag der Antragsteller auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO (rechtskräftig) abgelehnt worden ist, steht deshalb einer Entscheidung im Beschwerdeverfahren bezüglich der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die erste Instanz nicht entgegen.

3

II. Die sachlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen jedoch nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragsteller auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren in erster Instanz zu Recht abgelehnt, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass den Antragstellern bei summarischer Prüfung ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG nicht zusteht.

4

1. Zwar kann nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 01.12.2014 – 2 M 119/14 –, juris RdNr. 7) eine bestehende psychische Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in zwei Fallgruppen begründen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange der Ausländer wegen Erkrankung transportunfähig ist, d.h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens" wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet; dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Es geht also nicht nur darum, während des eigentlichen Abschiebevorgangs selbstschädigende Handlungen eines aufgrund einer psychischen Erkrankung suizidgefährdeten Ausländers zu verhindern; eine Abschiebung hat vielmehr auch dann zu unterbleiben, wenn sich durch den Abschiebevorgang die psychische Erkrankung (wieder) verschlimmert, eine latent bestehende Suizidalität akut wird und deshalb die Gefahr besteht, dass der Ausländer unmittelbar vor oder nach der Abschiebung sich selbst tötet. Von einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis ist auch dann auszugehen, wenn sich die Erkrankung des Ausländers gerade aufgrund der zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland wesentlich verschlechtert, und nicht nur, wenn ein Suizid während der Abschiebung droht. Die Frage, ob Maßnahmen bei der Gestaltung der Abschiebung – wie ärztliche Hilfe und Flugbegleitung – ausreichen, um der auf einer psychischen Erkrankung beruhenden ernsthaften Suizidgefahr wirksam zu begegnen, lässt sich erst aufgrund einer möglichst fundierten und genauen Erfassung des Krankheitsbildes und der sich daraus ergebenden Gefahren beantworten; eine abstrakte oder pauschale Zusicherung von Vorkehrungen wird dem gebotenen Schutz aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht gerecht. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten (vgl. Beschl. d. Senats v. 21.06.2016 – 2 M 16/16 –).

5

2. Es entspricht ferner der bisherigen Rechtsprechung des Senats, dass die für die Aussetzung der Abschiebung zuständige Ausländerbehörde, wenn ein Ausländer eine solche Reiseunfähigkeit geltend macht oder sich sonst konkrete Hinweise darauf ergeben, verpflichtet ist, den aufgeworfenen Tatsachenfragen, zu deren Beantwortung im Regelfall medizinische Sachkunde erforderlich ist, im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA nachzugehen, wobei der Ausländer zur Mitwirkung verpflichtet ist (§ 82 AufenthG). Kann die Reiseunfähigkeit trotz Vorliegens ärztlicher oder psychologischer Fachberichte nicht als erwiesen angesehen werden, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass für die Ausländerbehörde kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht. Sie bleibt nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA verpflichtet, den Sachverhalt selbst weiter aufzuklären, wenn und soweit sich aus den ärztlichen oder psychologischen Äußerungen, dem Vortrag des Ausländers oder aus sonstigen Erkenntnisquellen ausreichende Indizien für eine Reiseunfähigkeit ergeben. Ist das der Fall, wird regelmäßig eine amtsärztliche Untersuchung oder die Einholung einer ergänzenden (fach-)ärztlichen Stellungnahme oder eines (fach-)ärztlichen Gutachtens angezeigt sein, da der Ausländerbehörde und auch den Verwaltungsgerichten die erforderliche medizinische Sachkunde zur Beurteilung einer mit der Abschiebung einhergehenden Gesundheitsgefahr und auch der Frage fehlen dürfte, mit welchen Vorkehrungen diese Gefahr ausgeschlossen oder gemindert werden könnte (vgl. Beschl. d. Senats v. 21.06.2016 – 2 M 16/16 –).

6

3. Bei der Beurteilung der Reisefähigkeit im Rahmen des § 60a Abs. 2 AufenthG sind die am 17.03.2016 in Kraft getretenen Regelungen des § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG zu beachten. Nach § 60a Abs. 2c AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Eine ärztliche Bescheinigung ist grundsätzlich nur dann als qualifiziert anzusehen, wenn die in § 60a Abs. 2c AufenthG genannten Merkmale und Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 18/7538, S. 19). Wird die geltend gemachte Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen soll, nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinne von § 60a Abs. 2c AufenthG belegt, so wird auch die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit nicht widerlegt.

7

Ist eine die Abschiebung beeinträchtigende Erkrankung nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht und die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit damit nicht widerlegt, kommt eine Aussetzung der Abschiebung in der Regel nicht in Betracht. Eine Ermittlungspflicht der Ausländerbehörde besteht in diesem Fall grundsätzlich nicht (vgl. Beschl. d. Senats v. 21.06.2016 – 2 M 16/16 –). Etwas anderes gilt nur dann, wenn anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Ausländer an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Dies folgt aus § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG. Danach darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, wenn der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c AufenthG verletzt, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Soweit Letzteres der Fall ist, hat die Ausländerbehörde diese Anhaltspunkte zu berücksichtigen und in Anwendung des § 24 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG LSA eine (erneute) ärztliche Untersuchung anzuordnen, die hinreichenden Aufschluss darüber gibt, ob der Ausländer an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet und diese sich im Fall einer Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Nur wenn der Ausländer einer Anordnung zur Durchführung einer ärztlichen Untersuchung nicht Folge leistet, ist die Behörde gemäß § 60a Abs. 2d Satz 3 AufenthG berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, obwohl der Ausländer eine Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG vorleget hat oder anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für eine Erkrankung i.S.d. § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG vorliegen (vgl. Beschl. d. Senats v. 21.06.2016 – 2 M 16/16 –).

8

Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall – im maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Antrags auf Prozesskostenhilfe – von der Reisefähigkeit des Antragstellers zu 1 auszugehen. Er hat die von ihm geltend gemachte psychische Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen soll, nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinne von § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG glaubhaft gemacht. Damit ist auch die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit nicht widerlegt. Anderweitige tatsächliche Anhaltspunkte i.S.d. § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG für eine schwere psychische Erkrankung des Antragstellers zu 1, die sich durch eine Abschiebung verschlechtern kann, liegen nicht vor.

9

Der Antragsteller zu 1 wurde am (…) 2015 im Gesundheitsamt des Antragsgegners amtsärztlich untersucht. Im Ergebnis dieser Untersuchung schätzte die Amtsärztin ein, dass die Reisefähigkeit des Antragstellers zu 1 gegeben sei. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den psychologischen Stellungnahmen der Dipl.-Psychologin M. vom Psychosozialen Zentrum für Migrantinnen und Migranten in Sachsen-Anhalt vom 11.09.2014, 30.10.2014 und 26.05.2015, in denen diese bei dem Antragsteller zu 1 eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome sowie eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziere und einschätzte, dass im Fall seiner Rückführung die Gefahr eines Suizids bestehe. Hierbei handelt es sich nicht um qualifizierte ärztliche Bescheinigungen i.S.d. § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG. Sie ist daher zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung der Reisefähigkeit bzw. zur Glaubhaftmachung der Reiseunfähigkeit nicht ausreichend. Mit der Beschränkung der berücksichtigungsfähigen Unterlagen auf qualifizierte ärztliche Bescheinigungen wollte der Gesetzgeber den Schwierigkeiten bei der Bewertung von Bescheinigungen nur schwer diagnostizier- und überprüfbarer Erkrankungen psychischer Art, insbesondere der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), Rechnung tragen (vgl. BT-Drs. 18/7538, S. 19 f.). Atteste von Psychotherapeuten, Psychologen oder psychosozialen „Behandlungszentren für Folteropfer“ bleiben danach gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG bei der Beurteilung der Reisefähigkeit grundsätzlich außer Betracht (vgl. Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Nachtrag zur 11. Auflage 2016, § 60a AufenthG RdNr. N3). Allenfalls im Wege einer Gesamtschau können derartige Atteste ergänzend zu anderen Erkenntnissen, die nicht die Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung i.S.d. § 60a Abs. 2 Satz 2 AufenthG erfüllen, zu anderweitigen tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Erkrankung i.S.d. § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG beitragen (vgl. Beschl. d. Senats v. 21.06.2016 – 2 M 16/16 –). Demgegenüber kann allein die Vorlage einer psychologischen Stellungnahme keine anderweitigen tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Erkrankung i.S.d. § 60a Abs. 2d AufenthG begründen, da dies eine Umgehung der gesetzlichen Wertungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG bedeuten würde. Das gilt erst Recht, wenn die vorgelegte psychologische Stellungnahme – wie hier – in Widerspruch zu der amtsärztlichen Einschätzung der Reisefähigkeit des Ausländers steht. Hiernach genügen die psychologischen Stellungnahmen vom 11.09.2014, 30.10.2014 und 26.05.2015 nicht, um entsprechend den im Beschluss des Senats vom 01.12.2014 – 2 M 119/14 – dargestellten Grundsätzen einen Anspruch auf vorläufige Aussetzung der Abschiebung zu begründen.

10

Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Vertiefung, ob die Glaubhaftmachung der Reiseunfähigkeit des Antragstellers zu 1 durch die Vorlage der psychologischen Stellungnahmen auch daran scheitert, dass die Diagnosen (nur) auf dessen Angaben beruhen, die aufgrund der Widersprüche zu den Angaben der Antragsteller bei ihren Anhörungen vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unglaubhaft und die geltend gemachten gesundheitlichen Beschwerden nur vorgetäuscht sind, wie das Verwaltungsgericht angenommen hat.

11

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

12

Rechtsmittelbelehrung

13

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.


(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I. Der Kläger ist seinen Angaben zufolge Staatsangehöriger Sierra Leones. Er begehrt im asylrechtlichen Folgeverfahren die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses festzustellen. Das Verwaltungsgericht wies die Asylklage mit Urteil vom 24. August 2016 in der Sache ab. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel des Klägers. Er macht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend.

II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) wegen verfahrensfehlerhafter Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags liegt nicht vor.

Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, B. v. 30.1.1985 - 1 BvR 393/84 - BVerfGE 69, 141/144 = NJW 1986, 833; BVerfG, B. v. 18.6.1993 - 2 BvR 1815/92 - NVwZ 1994, 60 = BayVBl 1993, 562; BayVerfGH, E. v. 26.4.2005 - Vf. 97-VI-04 - VerfGH 58, 108 = BayVBl 2005, 721). Das rechtliche Gehör ist versagt, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch aber nur, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sach-fremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Von einer willkürlichen Missdeutung kann insbesondere nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG, B. v. 22.5.2015 - 1 BvR 2291/13 - juris Rn. 5 m. w. N.).

Gemessen daran liegt in der Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 24. August 2016 gestellten Beweisantrags, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen,

„zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer depressiven Episode, derzeit leichtgradig, und einer generalisierenden Angststörung leidet, der Kläger psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung bedarf und sich sein Gesundheitszustand bei Abbruch der Behandlung wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde“,

keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

Ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 24. August 2016 hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag mit folgender Begründung abgelehnt:

„Hinsichtlich der für die Person des Klägers geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ist der Beweisantrag rechtlich nicht erheblich. Die im Rahmen des Verfahrens vorgelegten therapeutischen und ärztlichen Äußerungen zu den Anknüpfungstatsachen für das Krankheitsbild einer PTBS sind nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts unglaubwürdig. Hinsichtlich des für die Person des Klägers weiter geltend gemachten ‚depressiven Episode‘ und ‚Angststörung‘ werden die vorgelegten Diagnosen als wahr unterstellt.“

1. Soweit es das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung betrifft, hat das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass der Klägervortrag den aus der Rechtsprechung (u. a. BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 = juris Rn. 15) folgenden Anforderungen an die Substantiierung zum Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung, die sich - wie hier - auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland stützt und deren Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen werden, nicht genügt und seine Rechtsauffassung umfassend und nachvollziehbar begründet. Danach beruhten die vom Kläger vorgelegten therapeutischen Berichte und fachärztlichen Atteste hinsichtlich der darin zugrunde gelegten Auslösekriterien auf einem unglaubhaften Vortrag des Klägers und damit auf unzureichenden tatsächlichen Grundlagen. Diese Bewertung durch das Verwaltungsgericht ist nicht zu beanstanden.

a) Das Verwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass eine posttraumatische Belastungsstörung nur aufgrund eines traumatisierenden Ereignisses entstehen kann (vgl. ICD-10: F.43.1, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision: „ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“).

b) Weiter trifft es zu, dass die nach dem Diagnoseklassifikationssystem ICD-10 erstellten Befunde von Refugio vom 7. August 2014 und vom 18. Juli 2016 sowie des Bezirksklinikums Niederbayern vom 25. Februar 2014 als „Auslösekriterium“ bzw. schwerwiegende Traumatisierung die Tötung des Vaters, die Entführung des Klägers durch Rebellen bzw. die Erschießung des Bruders des Klägers bei der Rekrutierung zum Kindersoldaten zugrunde legen und dass die darin genannten tatsächlichen Grundlagen (zur behaupteten Erschießung des Bruders vgl. nachfolgend Buchst. c, Doppelbuchst. dd), bereits vom Verwaltungsgericht Regensburg (U. v. 29.11.2012 - RN 5 K 12.30096) als unglaubhaft angesehen wurden. Das ärztliche Attest des Klinikums der Universität München vom 12. Juli 2016 benennt dagegen das auslösende Ereignis nicht.

c) Hiervon ausgehend beruht der vom Verwaltungsgericht gezogene Schluss, es fehle an der tatsächlichen Grundlage eines traumatisierenden Ereignisses, aufgrund derer die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gerechtfertigt sei, auf einer nachvollziehbaren, insbesondere willkürfreien und sachlichen Grundlage, von der sich das Verwaltungsgericht eine eigene Überzeugung gebildet hat.

aa) Die Bewertung der tatsächlichen Grundlagen durch das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren folgt zwar der Bewertung des Verwaltungsgerichts Regensburg aus dem Urteil vom 29. November 2012. Dieses hatte sich im Rahmen des Erstverfahrens im rechtskräftigen Urteil vom 29. November 2012 umfänglich mit den vom Kläger geschilderten Geschehnissen auseinandergesetzt, die auch Auslöser der im Erstverfahren wie im gegenständlichen Verfahren geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung sein sollen, sowie umfassend und nachvollziehbar begründet, weshalb es den klägerischen Vortrag „in höchstem Maße“ für „unsubstantiiert“, „oberflächlich“, „lebensfremd“ und „widersprüchlich“ erachtet. Nicht zutreffend ist aber, dass das Verwaltungsgericht die Bewertung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Regensburg im Erstverfahren lediglich ungeprüft übernommen habe. Es hat vielmehr das vom Kläger im Erstverfahren geschilderte Geschehen dargestellt, das im gegenständlichen Verfahren nicht vertieft oder ergänzt wurde, sich mit diesem auseinandergesetzt und weiter ausgeführt, es sei nicht zu erkennen, dass von der Bewertung des Verwaltungsgerichts Regensburg abzuweichen sei. Damit bringt das Verwaltungsgericht aber zum Ausdruck, dass es sich die Bewertung des Verwaltungsgerichts Regensburg auch für den gegenständlichen Fall zu Eigen macht, nicht dass es dessen Bewertung lediglich (ungeprüft) übernimmt.

bb) Soweit der Kläger weiter bemängelt, das Verwaltungsgericht habe den Kläger zu den Ereignissen in Sierra Leone nicht weiter befragt, verhilft auch dies dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg.

Angesichts der konkreten Umstände bestand für das Verwaltungsgericht keine Veranlassung, den Kläger zu den im Erstverfahren vorgetragenen Ereignissen in Sierra Leone zu befragen. Insbesondere hat der Kläger im Folgeverfahren weder gegenüber dem Bundesamt noch in der Klagebegründung andere oder ergänzende Angaben zu den behaupteten traumatisierenden Geschehnissen in Sierra Leone vorgetragen, die eine vom Urteil des Verwaltungsgericht Regensburg abweichende Bewertung nahegelegt hätten. Davon abgesehen hatte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 24. August 2016 Gelegenheit und angesichts der Feststellungen im Erstverfahren aber auch im Bundesamtsbescheid vom 15. Mai 2014 triftige Gründe, die in seiner Sphäre liegenden behaupteten Geschehnisse in Sierra Leone von sich aus nachvollziehbar und widerspruchsfrei zu schildern.

cc) Eine weitergehende Aufklärung zur Richtigkeit des Klägervorbringens musste sich dem Verwaltungsgericht auch nicht auf Grundlage der vorgelegten Befundberichte und fachärztlichen Atteste aufdrängen.

Zwar gehen die Befundberichte von Refugio vom 7. August 2014 und vom 18. Juli 2016 auch auf die Auslösekriterien ein. Die vom Kläger geschilderten und in der Zeit weit zurückliegenden Geschehnisse, die das Auslösekriterium erfüllen sollen, wie etwa das „Miterleben der diversen Morde in der Zeit mit den Rebellen“, insbesondere „die Entführung durch die Rebellen“ und die „Situation um die berichtete Enthauptung seines Vaters“, werden aber allein den geschilderten Symptomen und der Verhaltensbeobachtung gegenübergestellt. Ihre äußere, objektive Ereignisseite bleibt in den Befundberichten im Allgemeinen, wird also weder hinreichend konkret beschrieben noch sorgfältig oder kritisch hinterfragt. Dies ist bei der Begutachtung einer posttraumatischen Belastungsstörung wohl auch nicht zu leisten (vgl. Befundbericht v. 18.7.2016 S. 5: „Bei der Diagnoseerstellung von posttraumatischen Störungen ermöglicht die Symptomatologie des psychopathologischen Befunds generell keine Rekonstruktion der objektiven Seite der traumatisierenden Ereignisse“). Dass das behauptete traumatisierende Ereignis tatsächlich stattgefunden hat, muss vielmehr vom Schutzsuchenden gegenüber dem Tatrichter und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden (vgl. BayVGH, B. v. 17.10.2012 - 9 ZB 10.30390 - juris Rn. 8). Die in den o.g. Befundberichten auf die Symptomatik gestützte Beurteilung zu den Angaben über die geschilderten Vorgänge lässt aus den genannten Gründen keine andere Bewertung zu. Im Befundbericht vom 7. August 2014 werden als Auslösekriterien „das Miterleben der diversen Morde in der Zeit mit den Rebellen“ und „die Situation um die berichtete Enthauptung seines Vaters“ genannt, wenngleich die genauen Umstände zu Letzterem unklar bleiben würden; eine nähere Begründung für die gleichwohl getroffene Annahme, „Den gewaltsamen Verlust des Vaters sehen wir allerdings als gesichert an“, wird nicht gegeben. Im Befundbericht vom 18. Juli 2016 wird als Auslösekriterium zunächst die Ermordung des Vaters gesehen, jedoch auch die Erlebnisse bei den Rebellen. Letzteres erfülle danach „eindeutig das Traumakriterium A“ (Befundbericht v. 18.7.2016, S. 5); die objektive Seite dieser Erlebnisse wird allerdings nicht aufgeklärt. Obschon „aufgrund einiger Ungenauigkeiten und Widersprüche nicht sicher gesagt werden kann, dass/ob alle geschilderten Erlebnisse so stattgefunden haben“ (vgl. Befundbericht v. 7.8.2014, S. 9; ebs. Befundbericht v. 18.7.2016, S. 6), wird im Befundbericht vom 18. Juli 2016 der Schluss gezogen, dass die beobachtete Symptomatik weiterhin überzeuge, insbesondere weil aufgrund der physiologischen Reaktionen bzw. Veränderungen des Klägers bei der Schilderung seiner Lebensgeschichte und insbesondere der traumatischen Erfahrungen keine Anhaltspunkte dafür gesehen würden, dass der Kläger „in diesen Punkten“ seine Biografie simuliere. Eine Auseinandersetzung etwa mit den vom Verwaltungsgericht Regensburg festgestellten Widersprüchen des klägerischen Vortrags findet nicht statt, obschon Refugio jedenfalls dessen Beschluss vom 27. März 2012 (Az. RN 5 S 12.30095) und die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg vom 29. November 2012 vorlagen und bekannt waren (vgl. Befundbericht v. 7.8.2014, S. 2 sowie Befundbericht v. 18.7.2016, S. 2). Insgesamt fällt auf, dass das vom Kläger geschilderte Geschehen vage und im Allgemeinen bleibt; der Inhalt der festgestellten Ungenauigkeiten und Widersprüche sowie deren Bezug zu den gleichwohl zugrunde gelegten traumatisierenden Ereignissen wird nicht erläutert. Vonseiten des Klägers sind die in seine Sphäre fallenden behaupteten objektiven Ereignisse, also Ereignisse, die „fast bei jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würden“ (vgl. ICD-10: F43.1), auch in den behördlichen und gerichtlichen Verfahren nach wie vor nicht schlüssig und widerspruchsfrei dargestellt worden, obwohl angesichts der tatrichterlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. November 2012 aber auch der Begründung des Bundesamtsbescheids vom 29. April 2014 Anlass dazu bestand. Insbesondere hat der Kläger im Folgeverfahren, die offen zu Tage tretenden Widersprüche seines Vortrags aus dem Erstverfahren nicht ausgeräumt.

dd) Der Einwand, das Verwaltungsgericht habe den klägerischen Vortrag zur Erschießung des Bruders bei der Rekrutierung zum Kindersoldaten für unglaubhaft gehalten, weil der Kläger die Frage zur Anzahl seiner Geschwister nicht richtig beantwortet habe, was dieser aber richtig gestellt habe, führt nicht zur Zulassung der Berufung.

Das Verwaltungsgericht hat diesen Umstand aus gutem Grund erfragt und in den Entscheidungsgründen aufgeführt. Das erstmals und soweit ersichtlich auch einmalig behauptete traumatisierende Ereignis, wonach der Bruder des Klägers bei der Rekrutierung zum Kindersoldaten erschossen worden sei (vgl. ärztliche Bestätigung des Bezirksklinikums Niederbayern v. 25.2.2014), hatte der Kläger weder bei der Anhörung im Erstverfahren noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg vom 29. November 2012 erwähnt. In der Niederschrift zur Erstanhörung wurden auch nur ein Bruder und eine Schwester vermerkt, die der Kläger zuletzt zu Hause gesehen habe. Die auf entsprechenden Vorhalt des Verwaltungsgerichts in der mündlichen Verhandlung vom 24. August 2016 gegebene Antwort des Klägers, „Ich habe nicht gewusst, dass ich bereits tote Geschwister auch angeben soll“, hat das Verwaltungsgericht in der Gesamtschau und aus nachvollziehbaren Gründen für unglaubhaft gehalten. So hatte der Kläger bei seiner Anhörung im Erstverfahren von der Verhaftung vieler Jungen durch die Rebellen berichtet, aber nichts zu einem Bruder erwähnt, der von diesen erschossen worden sein soll.

Hiervon abgesehen hat das Verwaltungsgericht die behauptete Verschleppung des Klägers durch Rebellen aber auch deshalb für unglaubhaft erachtet, weil der Kläger bereits im Asylerstverfahren widersprüchliche Angaben zur behaupteten Verschleppung durch Rebellen gemacht hatte (bei der Anhörung v. 18.1.2012 auf Frage wie lange der Kläger insgesamt bei den Rebellen gewesen sei: „Zehn Tage lang, dann bin ich entkommen“, in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg v. 29. November 2012: „Ich wurde während des Krieges längere Zeit gefangen gehalten“ und „Sie (Anm.: die Rebellen) haben mich damals mehrmals gefangen genommen und ich bin immer wieder abgehauen und dann auch immer wieder zur Schule gegangen“).

d) Das Vorbringen, grundsätzlich gelte auch für den medizinischen Bereich, dass ein Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nur dann unzulässig sei, wenn ein unsubstantiierter „Ausforschungs-“ Beweisantrag vorliege und für die zugrundeliegende Tatsachenbehauptung nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spreche, führt nicht zur Zulassung der Berufung.

aa) Ob sich ein derartiger allgemeiner Rechtssatz aus der u. a. in Bezug genommenen Zulassungsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. März 2006 (Az. 1 B 91.05 - NVwZ 2007, 346) entnehmen lässt, erscheint fraglich, kann aber dahinstehen. Jedenfalls hat das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsauffassung im Revisionsverfahren präzisiert und klargestellt, dass zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung zum Gegenstand hat, angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests gehört und ausgeführt, welche Anforderungen an die Substantiierung zu stellen sind (BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251; vgl. auch BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 17.00 - juris Rn. 15 f.). Hiervon geht auch das Verwaltungsgericht aus (vgl. UA S. 11). Soweit das Verwaltungsgericht auf die seiner Auffassung nach unzureichenden tatsächlichen Grundlagen zur Frage des Vorliegens eines traumatisierenden Ereignisses abstellt, hat es die Anforderungen an die Darlegungspflicht des Klägers nicht überspannt. Insbesondere erfordert die nachvollziehbare Schilderung von in der Sphäre des Klägers liegenden Ereignissen keine kostenauslösende oder umfängliche gutachtliche Stellungnahme. Vielmehr sind die Beteiligten auch in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess verpflichtet, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.1999 - 9 C 36.98 - BVerwGE 109, 174). Insoweit obliegt es dem Kläger, die behaupteten Geschehnisse, die bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung zum Entstehen gebracht haben sollen, jedenfalls in Grundzügen unter Angabe von Einzelheiten schlüssig und widerspruchsfrei zu schildern (vgl. BayVGH, B. v. 17.10.2012 - 9 ZB 10.30390 - juris Rn. 8). Hiervon ausgehend greift auch der Beweisantrag, ein Sachverständigengutachten darüber einzuholen, dass beim Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt, zu kurz, weil ein solches Gutachten die objektive Seite des Ereignisses nicht klärt.

bb) Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag des Klägers abgelehnt, weil es die Anknüpfungstatsachen für das Krankheitsbild einer posttraumatischen Belastungsstörung nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung für nicht gegeben erachtete. Das Verwaltungsgericht hat den vorgelegten Bescheinigungen auch nicht per se deren hinreichende Qualität abgesprochen; es hat vielmehr die vom Kläger geschilderten und den Befunden zugrunde gelegten traumatisierenden Erlebnisse im Hinblick auf deren objektive Seite mit einer nachvollziehbaren Begründung als unglaubhaft gewertet.

Dass das Vorliegen eines traumatischen Ereignisses zwingende Voraussetzung für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung ist, wurde zutreffend bereits im Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. November 2012 zum Erstverfahren festgestellt (nachfolgend BayVGH, B. v. 6.2.2013 - 9 ZB 13.30032), findet seine Bestätigung aber auch in den Befundberichten von Refugio vom 7. August 2014 und vom 18. Juli 2016, wonach die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht nur eine spezifische Symptomatik, sondern auch ein traumatisches Lebensereignis als Auslöser für die Symptomatik zwingend erfordere und die Symptomatologie des psychopathologischen Befunds generell keine Rekonstruktion der objektiven Seite der traumatisierenden Ereignisse ermögliche (vgl. Befundbericht v. 7.8.2014, S. 5 bzw. Befundbericht v. 18.7.2016, S. 5).

e) Aus der in Bezug genommenen Zulassungsentscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (B. v. 8.1.2016 - 13a ZB 15.30245 - nicht veröffentlicht) folgt nichts anderes. Diese Entscheidung betrifft nicht die an die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gestellten Anforderungen (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 17.07 - juris Rn. 15 f.), sondern die Übertragung dieser Anforderungen an die Diagnose einer Depression.

2. Soweit es die geltend gemachte (leichtgradige) depressive Störung und Angststörung beim Kläger betrifft, hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag abgelehnt, weil es die vorgelegten Diagnosen als wahr unterstellt hat. Auch dies ist nicht zu beanstanden.

Das Absehen von einer Beweiserhebung wegen „Wahrunterstellung“ (im Sinn von Dahinstehenlassen von behaupteten Tatsachen) ist im Verwaltungsprozess dort zulässig, wo der Sache nach ein Verzicht auf die Beweiserhebung wegen Unerheblichkeit der vorgetragenen Tatsachen vorliegt (vgl. BVerwG, U. v. 17.1.1990 - 9 C 39.89 - NVwZ-RR 1990, 510). So liegt es hier. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die nachgewiesenen Erkrankungen einer depressiven Störung (leichtgradig) und einer Angststörung nicht derart schwerwiegende Krankheitsbilder darstellten, dass im Fall der Rückkehr nach Sierra Leone auch ohne deren fortlaufende Behandlung eine erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten sei. Diese Bewertung stützt sich auf die fachärztliche Äußerung des Klinikums der Universität München vom 12. Juli 2016, wonach der Kläger „klar von Suizidalität distanziert“ sei und den Befundbericht von Refugio vom 18. Juli 2016, wonach der Kläger aus medizinischen Gründen derzeit keine Medikation in Bezug auf die Angststörung erhalte. Ohne dass es vorliegend darauf ankommt, findet diese Bewertung ihre rechtliche Grundlage in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Danach liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Nach § 83 b AsylVfG werden Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) nicht erhoben.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde, mit der der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiterverfolgt, den nunmehr passivlegitimierten Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 VwGO) zu verpflichten, bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Klageverfahren (Au 1 K 15.1605) auf Erteilung einer Duldung an den Antragsteller gemäß § 60a AufenthG keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durchzuführen und ihm weiterhin eine Duldung zu erteilen, ist unbegründet. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen weder die Aufhebung noch eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.

Der Antragsteller, ein kosovarischer Staatsangehöriger, dessen Asylantrag mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 4. Juli 2013 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, erhielt von der damals zuständigen Stadt A. seit 29. Oktober 2013 im Hinblick auf fehlende Heimreisepapiere eine zuletzt bis 10. März 2015 gültige Duldung. Der am 20. Juni 2015 unter Verweis auf verschiedene ärztliche Atteste, in denen seine Reiseunfähigkeit attestiert wurde, gestellte Antrag auf neuerliche Erteilung einer Duldung wurde mit Bescheid vom 12. Oktober 2015 abgelehnt, weil einer Abschiebung entgegenstehende medizinische Gründe nicht nachvollziehbar belegt seien. Seither erhält der Antragsteller befristete Grenzübertrittsbescheinigungen. Mit Beschluss vom 16. Dezember 2015 lehnte das Verwaltungsgericht Augsburg den Antrag auf einstweilige Anordnung ab, weil die geltend gemachten gesundheitlichen Probleme nicht zu einer Unmöglichkeit der Abschiebung wegen einer Reiseunfähigkeit des Antragstellers führten und daher kein Anordnungsanspruch vorliege. Im Übrigen spreche vieles dafür, dass es angesichts der nicht beabsichtigten Abschiebung schon an einem Anordnungsgrund fehle.

Der Antragsteller verweist in der Begründung seiner Beschwerde darauf, dass sehr wohl ein Anordnungsgrund vorliege, weil die Abschiebung des Antragstellers lediglich bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zurückgestellt worden sei. Auch ein Anordnungsanspruch liege vor, denn aus dem Schreiben des Gesundheitsamts der Stadt A. vom 2. Juni 2015, das von der dortigen Ausländerbehörde in Auftrag gegeben worden sei, ergebe sich die fehlende Reisefähigkeit des Antragstellers; dort werde die Frage nach der „Freitodgefahr“ bejaht und zugleich ein „fachpsychiatrisches Gutachten zum Ausschluss“ dieser Gefahr verlangt, das von der Ausländerbehörde bis zum heutigen Tage nicht eingeholt worden sei. Der Antragsteller leide wegen seiner Kindheits- und Jugenderlebnisse an starken Depressionen, wie insbesondere aus der ärztlichen Stellungnahme des Diplom-Psychologen T. vom 4. November 2015 hervorgehe. Dieser kenne den Antragsteller seit fast zweieinhalb Jahren und halte eine somatische Chronifizierung und Verelendung im Falle der Rückkehr des Antragstellers in den Kosovo bei dort fehlenden oder nicht erreichbaren psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten für wahrscheinlich. Dieser Situation werde der Antragsteller durch Suizid zuvorkommen. Auch Dr. H. habe eine schwere psychische Erkrankung am 3. März 2015 bestätigt. In seiner Stellungnahme vom 9. April 2015 weise des Weiteren Dr. A. auf eine Verschlechterung der depressiven Erkrankung hin und bestätige die vorliegende Suizidalität. Bei einer Gesamtwürdigung der vorliegenden Gutachten und Stellungnahmen der drei Ärzte und vor dem Hintergrund einer langjährigen Behandlung sei die Aussage des Verwaltungsgerichts, „eine Behandlung sei nicht ernsthaft eingeleitet“ worden, nicht nachvollziehbar. Letztmals unter dem 16. Januar 2016 bescheinige Dr. H. dem Antragsteller eine „schwere depressive Episode… infolge einer Belastungsreaktion bei dramatisierenden Erlebnissen in seiner Heimat“ sowie Albträume. In Ermangelung von für ihn erreichbaren Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo würde sich der Gesundheitszustand des Antragstellers alsbald nach seiner Rückkehr wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern.

Der Senat hat mit Zwischenverfügung vom 3. Februar 2016 der damals zuständigen Stadt A. aufgegeben, bis zur Entscheidung über die Beschwerde von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen angesichts des noch bestehenden Aufklärungsbedarfs abzusehen. Am 10. August 2016 erstellte Prof. Dr. D. auf Ersuchen des Antragsgegners eine gutachterliche Stellungnahme, die sich auf die vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und die weiteren, im Verwaltungsverfahren angefallenen Schriftstücke stützt; danach würden sich die psychiatrischen Störungen im Rahmen einer Abschiebung in den Kosovo nicht lebensbedrohlich verschlechtern, eine Reiseunfähigkeit liege nicht vor.

1. Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes (§ 123 Abs. 1, 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO) ergibt sich - unabhängig davon, ob die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Abschiebung des Antragstellers sei „weder terminiert noch organisiert noch beabsichtigt“, zum Ausschluss eines Anordnungsgrunds vor dem Hintergrund ausreicht, dass die damalige Antragsgegnerin die Abschiebung bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts als nicht „beabsichtigt“ bezeichnet hatte - bereits daraus, dass sie mit Schreiben vom 3. Februar 2016 gegenüber dem Senat mitgeteilt hat, ein konkreter Abschiebetermin sei festgesetzt und kein Grund ersichtlich, hiervon abzusehen.

2. Es ist jedoch kein auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung durch Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gerichteter Anordnungsanspruch (§ 123 Abs. 1, 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO) glaubhaft gemacht. Die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit (§ 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG) des Antragstellers ist durch die zahlreichen fachärztlichen Bescheinigungen nicht widerlegt.

2.1 Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers so lange auszusetzen, wie sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Ein rechtliches Abschiebungshindernis liegt vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr zu befürchten ist, so dass die Abschiebungsmaßnahme wegen des nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten grundrechtlichen Schutzes auszusetzen ist. Erforderlich ist dabei, dass infolge der Abschiebung als solcher (unabhängig vom konkreten Zielstaat) eine wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes für den betroffenen Ausländer konkret droht (BayVGH, B. v. 31.5.2016 - 10 CE 16.838 - juris Rn. 7; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Februar 2016, A1 § 60a Rn. 57 f.). In Betracht kommen damit nur inlands- und nicht zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote (vgl. VG Augsburg, B. v. 16.12.2015, BA S. 5). Nach dem bestandskräftigen Bescheid des Bundesamts vom 4. Juli 2013 droht dem Antragsteller aber keine individuelle, erhebliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben i. S. v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Kosovo. Damit geht auch jeglicher Beschwerdevortrag ins Leere, soweit er sich mit der Situation des Antragstellers nach erfolgter Abschiebung in seine Heimat und der ihn dort erwartenden medizinischen und sonstigen Situation befasst und hieraus ein Abschiebungshindernis ableiten will.

Nach dem mit Wirkung zum 17. März 2016 (Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.3.2016 - BGBl I S. 390 -) eingeführten § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Insofern hat der Gesetzgeber im Wesentlichen die obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. u. a. BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251; U. v. 11.9.2007 - 10 C 17.07 - juris Rn. 15) nachvollzogen, wonach zur Substantiierung des Vorbringens einer Erkrankung (hier: angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes und der vielfältigen Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung) regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes gehört.

2.2 Vor dem so umrissenen rechtlichen Hintergrund geht der Senat davon aus, dass die gemäß der Neuregelung in § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG bestehende gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit des Antragstellers nicht widerlegt ist, so dass ein ernsthaftes Risiko, der Gesundheitszustand des Antragstellers werde sich unmittelbar durch die Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern, nicht vorliegt. Der Zweck der gesetzlichen Vermutung wird in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/7538, zu Art. 2 S. 18) folgendermaßen umschrieben:

Die Geltendmachung von Abschiebungshindernissen in gesundheitlicher Hinsicht stellt die zuständigen Behörden quantitativ und qualitativ vor große Herausforderungen. Oftmals werden Krankheitsbilder angesichts der drohenden Abschiebung vorgetragen, die im vorangegangenen Asylverfahren nicht berücksichtigt worden sind … Nach den Erkenntnissen der Praktiker werden insbesondere schwer diagnostizier- und überprüfbare Erkrankungen psychischer Art (z. B. Posttraumatische Belastungsstörungen [PTBS]) sehr häufig als Abschiebungshindernis (Vollzugshindernis) geltend gemacht, was in der Praxis zwangsläufig zu deutlichen zeitlichen Verzögerungen bei der Abschiebung führt.

Der Gesetzgeber geht nunmehr davon aus, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern. Mit dieser Präzisierung wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach Satz 1 darstellen...

Die Abschiebung darf nicht dazu führen, dass sich die schwerwiegende Erkrankung des Ausländers mangels Behandlungsmöglichkeit in einem Ausmaß verschlechtern wird, dass ihm eine individuell konkrete, erhebliche Gefahr an Leib oder Leben droht. Es wird jedoch im Falle einer Erkrankung nicht vorausgesetzt, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsland bzw. im Zielstaat der Abschiebung der Versorgung in Deutschland oder in der Europäischen Union gleichwertig ist….

Die vom Kläger vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen legen zwar eine schwerwiegende psychische Erkrankung dar, nicht aber, dass sich diese infolge einer Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Die vorgelegten Atteste zur Reise(un)fähigkeit entsprechen darüber hinaus nicht den Anforderungen, die an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung im Sinn von § 60a Abs. 2c Satz 2, 3 AufenthG zu stellen sind. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die in der Beschwerdebegründung in Bezug genommenen ärztlichen Stellungnahmen vom 3. März, 4. und 15. November 2015 sowie 5. Februar 2016 (jeweils Dipl.Psych. T.), vom 9. April 2015 (Dr. A) sowie das ärztliche Attest vom 16. Januar 2016 (Neurologe und Psychiater Dr. H.). Zum Teil thematisieren sie mit keinem Wort die im vorliegenden Fall allein entscheidende Frage der Reisefähigkeit, sondern befassen sich mit den hier nicht maßgeblichen, da zielstaatsbezogenen Voraussetzungen eines langfristigen Behandlungserfolgs im Kosovo. So wird beispielsweise angegeben, dass die vorliegende, mit Schlafstörungen und Panikattacken verbundene Depression bisher medikamentös nur mit mäßigem Erfolg habe bekämpft werden können, im Kosovo jedoch die dringend gebotene psychotherapeutische Behandlung nicht möglich sei, weshalb der Antragsteller dort verelenden und dann seinem Leben eine Ende setzen werde. Die Verantwortung für ihn könne jedoch nicht an der EU-Grenze aufhören. Dieser Vortrag zielt aber ungeachtet der Frage seiner Plausibilität auf ein - über die Beurteilung der Reisefähigkeit hinausgehendes - zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis ab, das in die ausschließliche Entscheidungszuständigkeit des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und nicht diejenige des Antragsgegners fällt (vgl. § 42 Satz 1 AsylG).

Des Weiteren lässt auch keine der ärztlichen Bescheinigungen, soweit sie eine Reiseunfähigkeit attestieren, die tatsächlichen Umstände, „auf deren Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgte, und die Methode der Tatsachenerhebung“ erkennen (vgl. § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG). Es bestehen bereits - wie auch die Stellungnahme von Prof. D. nahelegt - erhebliche Zweifel daran, ob überhaupt eine schwerwiegende seelische Erkrankung glaubhaft gemacht ist; hierfür reicht nicht aus, dass sich der Antragsteller seit November 2014 in nervenärztlicher Behandlung befindet. Jedenfalls kann aus dem attestierten depressiven Syndrom nicht ohne weitere umfassende Begründung gefolgert werden, der Antragsteller sei reiseunfähig. Eine Reiseunfähigkeit ist schlichtweg nicht glaubhaft gemacht; der Hinweis, von einer Rückführung des Antragstellers in den Kosovo sei wegen der latenten Suizidalität und der Befürchtung einer Verschlechterung seiner seelischen Verfassung abzuraten (Dr. H., Attest v. 16.1.2016), ersetzt nicht die fehlende Darlegung der Diagnoseerstellung.

Der Senat macht sich insoweit die Auffassung des vom Antragsgegner beauftragten Fachpsychiaters Prof.D. in seiner gutachterlichen Äußerung vom 10. August 2016 zu eigen, deren Einholung notwendig geworden war, weil das Gesundheitsamt der Stadt A. auf entsprechende Anfrage der Ausländerbehörde in seiner Äußerung vom 2. Juni 2015 die Erstellung eines fachpsychiatrischen Gutachtens zur Suizidgefahr des Antragstellers für erforderlich gehalten hatte, ohne dass hieraus zunächst Konsequenzen gezogen wurden und ohne dass dieser Vorgang dem Verwaltungsgericht, dem offenbar Teile der Ausländerakte (Blatt 160 a bis 160 d) nicht vorlagen, bekannt war. Die fachpsychiatrische Äußerung vom 10. August 2016 wertet sämtliche bekannten Stellungnahmen und sonstigen schriftlichen Erkenntnisse zusammenfassend aus und kommt zu dem nachvollziehbaren Schluss, dass die seit 2013 vorgelegten medizinischen Äußerungen die Feststellung der Reiseunfähigkeit aufgrund akuter Suizidalität des Antragstellers nicht tragen. Gleichwohl - um „auf der sicheren Seite“ zu sein - werde empfohlen, den Antragsteller im kritischen Zeitraum „während der Ausreise unter entsprechende ärztliche Beobachtung zu stellen“.

Die behauptete wesentliche oder lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands des Antragstellers (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne) wird durch keines der fachärztlichen Atteste hinreichend belegt. Ein Attest, dem nicht zu entnehmen ist, wie es zur prognostischen Diagnose kommt und welche Tatsachen dieser zugrunde liegen, ist nicht geeignet, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots wegen Reiseunfähigkeit zu begründen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 8.2.2012 - 2 M 29/12 - juris Rn. 11 ff.). Aber selbst bei Annahme einer nicht völlig auszuschliessenden Suizidgefahr liegt nicht zwangsläufig ein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis vor; vielmehr ist die Abschiebung von der Ausländerbehörde dann ggf.so zu gestalten, dass einer Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann (BayVGH, B. v. 9.4.2003 - 10 CE 03.484 - juris Rn. 9; BVerfG, B. v. 16.4.2002 - 2 BvR 553/02 - juris; B. v. 26.2.1998 - 2 BvR 1985/98 - juris Rn. 4).

Der Kostenausspruch folgt für das Beschwerdeverfahren aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 8.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der nicht ausgewiesene Kläger ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger von Sierra Leone und reiste nach seinen Angaben auf dem Luftweg im April 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 7. Mai 2012 einen Asylantrag stellte.

Zur Begründung trug er bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 9. August 2012 vor, seine Eltern und seine Geschwister seien während des Bürgerkrieges im Januar 1999 ums Leben gekommen. Seine Ehefrau sei am 20. Mai 2008 bei der Geburt ihres ersten Kindes verstorben. Seine Tochter lebe derzeit bei seinem Onkel und dessen Familie, bei dem auch er aufgewachsen sei und bis zu seiner Ausreise im September 2011 gelebt habe. Außer diesem Onkel wisse er von keinen Verwandten in Sierra Leone. Er habe sieben Jahre die Grundschule in Bo und vier Jahre das Gymnasium in Freetown besucht. Er habe Automechaniker gelernt und in Bo als Automechaniker gearbeitet. Seit September 2010 sei er als Fahrer für die SLPP tätig gewesen. Er sei lediglich ein Anhänger aber kein Mitglied der SLPP gewesen. Im September 2011 sei er in einem Konvoi als Fahrer für die SLPP gefahren und bei einem Angriff von Anhängern der APC verletzt worden. Er habe dann zusammen mit weiteren Personen das Bürogebäude der APC in Brand gesetzt und noch am gleichen Tag das Land verlassen. Er könne nicht nach Sierra Leone zurückkehren, da er dort keine Familie habe. Er wisse auch nicht, wo sich seine Tochter aufhalte. Zudem könne er nicht zurück, weil die APC an der Macht sei. Wegen der Tötung seiner Eltern und Geschwister habe er auch psychische Probleme. Hierzu wurden mehrere ärztliche Bescheinigungen vorgelegt.

Mit Bescheid vom 19. April 2013 (Bescheid als Einschreiben am 24.4.2013 zur Post gegeben) lehnte das Bundesamt den Antrag auf Asylanerkennung und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab (Nrn. 1 und 2), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (a.F.) nicht vorliegen (Nr. 3), forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. im Falle einer Klageerhebung 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen und drohte die Abschiebung nach Sierra Leone an (Nr. 4).

Zur Begründung wurde im Zusammenhang mit den geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen ausgeführt, die Voraussetzungen für nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG (a.F.) lägen nicht vor. Es sei lediglich ein Verdacht auf eine Posttraumatische Belastungsstörung (im Folgenden: PTBS) diagnostiziert worden. Zudem fehle die für die Prüfung der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG (a.F.) erforderliche anschauliche und nachvollziehbare Beschreibung der konkreten Auswirkungen auf den Gesundheitszustand des Klägers. Zudem sei festzustellen, dass bislang offensichtlich keinerlei Behandlungen stattgefunden hätten. Im Hinblick auf die allgemeine Lage in Sierra Leone würden dem Kläger bei einer Rückkehr keine existenziellen Gefahren drohen.

Der Kläger hat durch den früheren Bevollmächtigten mit der am 6. Mai 2013 eingegangenen Klage beantragen lassen, den Bescheid des Bundesamts vom 19 April 2013 in den Nummern 2 bis 4 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Flüchtling anzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass beim Kläger Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (a.F.) hinsichtlich Sierra Leone vorliegen.

Zur Begründung wurde auf die bisherigen Ausführungen des Klägers Bezug genommen und unter Hinweis auf ein weiteres ärztliches Attest vom 13. Mai 2013 zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger an einer behandlungsbedürftigen PTBS leide, die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens beantragt.

Mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2014 trug die jetzige Bevollmächtigte unter Bezug auf einen weiteren ärztlichen Bericht vom 27. Oktober 2014 ergänzend zu den gesundheitlichen Problemen des Klägers vor.

Mit Beschluss des damals zuständigen Einzelrichters vom 2. März 2015 wurde durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben zu folgenden Fragen:

1. Liegt beim Kläger eine PTBS oder eine andere psychische Erkrankung vor?

2. Ist die Erkrankung auf Erlebnisse des Klägers in Sierra Leone oder auf der Flucht zurückzuführen?

3. Ist die Erkrankung behandlungsbedürftig und wenn ja, in welcher Form und wie lange?

4. Welche gesundheitlichen Folgen treten ein, falls die Erkrankung nicht behandelt wird bzw. eine erforderliche Behandlung unterbrochen wird und der Kläger in das Herkunftsland Sierra Leone abgeschoben wird?

Mit der Erstattung des Gutachtens wurde das LMU Klinikum der Universität München, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, beauftragt. In dem Auftragsschreiben wurde der Gutachter zudem gebeten, für den Fall, dass er zum Ergebnis komme, dass der Kläger an einer behandlungsbedürftigen PTBS leide, näher auszuführen, auf welche konkreten (traumatisierenden) Umstände die Erkrankung des Kläger zurückzuführen sei sowie - mit Blick auf Kapitel V, Gliederung 43.1 der ICD 10, wonach die Latenz nach einem Trauma bei der PTBS grundsätzlich nur wenige Wochen bis Monate dauert - warum von einer noch behandlungsbedürftigen Erkrankung auszugehen sei, obwohl das traumatisierende Ereignis womöglich schon Jahre zurückliege.

Der beauftragte Gutachter kommt im Gutachten vom 23. November 2016 auf Grundlage einer Untersuchung des Klägers am 1. und 2. Juni 2015 zum Ergebnis, beim Kläger liege eine, auf Erlebnisse des Klägers in Sierra Leone zurückzuführende, komplexe PTBS vor, die immer wieder zu krisenhaften Einbrüchen mit akuter Suizidalität geführt habe und führe. Die Erkrankung bedürfe einer medikamentösen sowie psychotherapeutischen und sozialpsychiatrischen Behandlung. Es handle sich um ein schwerwiegendes Krankheitsbild mit hohem Leidensdruck. Im Falle einer Abschiebung werde mit Sicherheit ein dauerhafter Schaden für die psychische Gesundheit des Klägers entstehen und wahrscheinlich wäre zudem dessen Leben durch mögliche Suizidversuche bedroht. Aus ärztlicher Sicht solle daher die Rückkehr nach Sierra Leone vermieden werden.

Die Bevollmächtigte nahm zu dem Gutachten mit Schriftsätzen vom 7. und 20. Dezember 2016 sowie in der mündlichen Verhandlung am 9. Januar 2017 Stellung und wies ergänzend darauf hin, die bisherige medikamentöse Behandlung sei nicht ausreichend gewesen, um eine Verbesserung der Krankheit zu bewirken. Die sozialpsychiatrischen Umstände seien äußerst schlecht und es fehle auch die für eine Stabilisierung erforderliche Sicherheit, zudem sei es immer wieder zu Rückschlägen gekommen, z.B. durch die Nachricht vom Tod des Onkels des Klägers und seine Sorge um das Leben der Tochter im Zusammenhang mit der Ebola-Epidemie in Sierra Leone. Der Kläger habe auch nicht die empfohlene Psychotherapie sondern lediglich eine psychiatrisch-medikamentöse Behandlung erhalten. Eine Möglichkeit zur Psychotherapie bestehe in Sierra Leone nicht, die psychiatrische Behandlung dort sei völlig mangelhaft und es gebe weder ausreichend Medikamente noch Fachärzte für Psychiatrie. In diesem Zusammenhang wurde ergänzend auf eine Entscheidung des Bundesamts vom 1. Dezember 2016 sowie mehrere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen hingewiesen.

Die Klage wurde in der mündlichen Verhandlung auf die Ziffern 3 und 4 des angefochtenen Bescheids beschränkt und sinngemäß beantragt,

den Bescheid vom 19. April 2013 in den Ziffern 3 und 4 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.

Die Beklagte hat die Akten mit Schreiben vom 13. Mai 2013 vorgelegt und sich im Übrigen nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte einschließlich des eingeholten Gutachtens sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

Gründe

Über die Klage ist in der Hauptsache aufgrund der Beschränkung nur noch hinsichtlich der Ziffern 3 und 4 des angefochtenen Bescheids und der Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu entscheiden. Die insoweit zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 19. April 2013 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG) in den angefochtenen Ziffern rechtmäßig, der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO).

Die geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers begründen kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris Rn. 23 ff.). Derartige Ausnahmegründe liegen jedenfalls nach dem Ende der Ebola-Epidemie in Sierra Leone Anfang 2016 nicht mehr vor.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn im Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Entsprechend der Gesetzesbegründung zu der mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. 2016 I S. 390 ff.) eingeführten Präzisierung in den Sätzen 2 bis 4 wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach Satz 1 darstellen. Eine solche schwerwiegende Erkrankung könne zum Beispiel in Fällen von PTBS regelmäßig nicht angenommen werden, es sei denn, die Abschiebung führe zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung (BT-Drs. 18/7538 S. 18).

Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes einer PTBS sowie seiner vielfältigen Symptome bedarf es bereits zur Substantiierung eines Beweisantrags und erst recht für den Nachweis einer posttraumatischen PTBS regelmäßig der Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (BVerwG, U.v. 11.9.2007 - 10 C 8/07 und 10 C 1710 C 17.07 - juris jeweils Rn. 15).

Zudem müssen die Anknüpfungstatsachen einer entsprechenden qualifizierten Bescheinigung glaubhaft gemacht worden sein. Bei der Diagnoseerstellung von posttraumatischen Störungen ermöglicht die Symptomatologie des psychopathologischen Befunds generell keine Rekonstruktion der objektiven Seite der traumatisierenden Ereignisse. Dass das behauptete traumatisierende Ereignis tatsächlich stattgefunden hat, muss vielmehr vom Schutzsuchenden gegenüber dem Tatrichter und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden (BayVGH, B.v. 4.11.2016 - 9 ZB 16.30468 - juris Rn. 18; B.v. 17.10.2012 - 9 ZB 10.30390 - juris Rn. 8). Insoweit obliegt es dem Kläger, die behaupteten Geschehnisse, die bei ihm eine PTBS zum Entstehen gebracht haben sollen, jedenfalls in Grundzügen unter Angabe von Einzelheiten schlüssig und widerspruchsfrei zu schildern (vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2016 a.a.O. - juris Rn. 23; B.v. 17.10.2012 a.a.O. - juris Rn. 8). Werden im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben gemacht, die auch unter Berücksichtigung von Erinnerungsproblemen traumatisierter Personen nicht nachvollziehbar sind, enthält das Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche, erscheinen die Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar oder wird das Vorbringen im Laufe des Verfahrens ohne ausreichende Begründung erweitert oder gesteigert, insbesondere wenn Tatsachen, die für das geltend gemachte Abschiebungsverbot ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren eingeführt werden, so kann den Aussagen in der Regel kein Glauben geschenkt werden.

Entsprechend diesem Maßstab liegen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen nicht vor.

Zwar entspricht das eingeholte Gutachten weitgehend den Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung einer PTBS. Die vom Gutachter gezogenen Schlussfolgerungen beruhen allerdings auf unglaubhaften Angaben des Klägers und sind daher mangels ausreichender Anknüpfungstatsachen nicht tragfähig. Vor diesem Hintergrund ist das Gutachten nicht geeignet, den Nachweis einer PTBS zu erbringen.

Der Gutachter ist in Übereinstimmung mit den einschlägigen Kriterien für eine PTBS vom Erfordernis eines traumatisierenden Ereignisses mit entsprechender Schwere ausgegangen (vgl. die vom Gutachter zugrunde gelegten Kriterien nach Maßgabe der DSM-V der American Psychiatric Association, ebenso die Kriterien nach Maßgabe der internationalen Klassifikation ICD-10: F 43.1).

Als entsprechendes traumatisierendes Ereignis hat der Gutachter die Entdeckung der ermordeten Eltern und Geschwister durch den Kläger zu Grunde gelegt. Zudem werden eine zweiwöchige Gefangennahme des Klägers in der Folge sowie der Tod der Frau des Klägers bei der Geburt der Tochter herangezogen (Gutachten, S.29/30 und S. 39).

Das Gericht hält demgegenüber die Angaben des Klägers zu zentralen Punkten der behaupteten traumaauslösenden Ereignisse, insbesondere zur Entdeckung seiner ermordeten Eltern und Geschwister sowie zu einer Gefangennahme für unglaubhaft und den Kläger im Übrigen insgesamt für unglaubwürdig. Damit fehlt es an einer ausreichenden Grundlage für die Schlussfolgerungen des Gutachters hinsichtlich einer PTBS.

Das Gericht nimmt dem Kläger bereits nicht ab, dass er im Zeitpunkt der Ermordung seiner Familie - nach Angaben des Klägers am 6. Januar 1999 - in Bo war. Die betreffenden Aussagen stehen in unauflösbarem Widerspruch zu den Aussagen im Zusammenhang mit dem schulischen Werdegang vor dem Bundesamt. Der Kläger hat die Richtigkeit seiner Angaben vor dem Bundesamt - auch die Angaben zum persönlichen Lebenshintergrund wie Schulbildung, Wohnort, Eltern/Verwandte - auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung nochmals ausdrücklich bestätigt.

Laut seiner Aussage beim Bundesamt ging der Kläger sieben Jahre in die Grundschule in BO und besuchte anschließend für vier Jahre das Gymnasium in Freetown. Er sei in dieser Zeit manchmal auch in Bo gewesen, z.B. in den Ferien, aber ansonsten in Freetown zur Schule gegangen. Nach den vier Jahren Gymnasium sei er dann wieder nach Bo zurückgegangen. In zeitlicher Hinsicht hat der Kläger die entsprechende Aussage in der mündlichen Verhandlung konkretisiert und mitgeteilt, er habe die Grundschule von 1991 bis 1998 besucht und im Anschluss drei Jahre die Secondary/High School. Beim Gutachter gab der Kläger dagegen an, er habe die Grundschule für sechs Jahre und anschließend die Secondary School bis zum dritten Jahr besucht. Unabhängig davon, welchen der Angaben des Klägers in zeitlicher Hinsicht Glauben geschenkt werden kann, befand er sich im Jahr 1999 auf der Secondary School in Freetown. Die Aussage des Klägers, er habe am Tag der Ermordung seiner Eltern nach der Schule einen Klassenkameraden besucht, sich zwischen 17 Uhr und 18 Uhr auf den Heimweg gemacht, um pünktlich zum Abendessen erscheinen zu können und dann seine ermordete Familie entdeckt, steht hierzu in nicht auflösbarem Widerspruch.

Die Angaben zum Ablauf der Schulausbildung hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung durch eine weitere Version ergänzt, die nicht geeignet ist, die aufgetretenen Widersprüche zu erklären. Die Glaubhaftigkeit dieser geänderten Darstellung ist bereits dadurch gemindert, dass sie erst in der mündlichen Verhandlung und auf entsprechende Nachfrage erfolgt ist. Zudem ist auch diese Darstellung durch Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten gekennzeichnet. Danach will der Kläger die Secondary School zunächst für ein Jahr in BO und dann für zwei weitere Jahre bei seinem Onkel in Freetown besucht haben. Er habe dann die Schule abbrechen müssen, weil das Geld seines Onkels nicht mehr gereicht habe. Diese Aussage steht in Widerspruch zu der Behauptung des Klägers vor dem Gutachter, er sei nach der Ermordung seiner Eltern bei seinem Onkel (dem nach seinen Angaben zusammen mit seiner Tochter einzigen ihm bekannten Verwandten in Sierra Leone) in einer kleinen Stadt außerhalb von BO untergekommen, habe dort in bescheidenen Verhältnissen leben und auf einen Schulbesuch verzichten müssen. Die Einlassung des Klägers auf den entsprechenden Vorhalt in der mündlichen Verhandlung, er könne sich im Hinblick auf die vergangene Zeit nicht mehr so genau erinnern, sowie der Hinweis auf seine gesundheitlichen Probleme, aufgrund der er Erinnerungsprobleme habe, stellt eine Schutzbehauptung dar. Unabhängig davon, dass auch die Umstände im Zusammenhang mit einer PTBS zumindest in den Grundzügen widerspruchsfrei und schlüssig darzustellen sind, hat der Gutachter ausdrücklich darauf hingewiesen, dass beim Kläger zum Untersuchungszeitpunkt keine Unfähigkeit vorliege, einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern (Gutachten, S. 30).

Auch im Übrigen sind die Angaben des Klägers zur Entdeckung der Ermordung seiner Familie durch Steigerungen, Widersprüchlichkeiten und Unsicherheit des Klägers gekennzeichnet, die bei einer Schilderung von selbst erlebten Geschehnissen so nicht aufgetreten wären.

Vor dem Bundesamt waren die Angaben des Klägers zur Ermordung der Eltern trotz ausdrücklicher Nachfrage zu den Hintergründen seiner psychiatrischen Behandlung noch extrem vage. Er teilte hierzu zunächst mit, er sei dabei gewesen als seine Familie getötet worden sei, berichtigte sich daraufhin dahin, er sei nicht dabei gewesen, als das passiert sei, er sei bei einem Freund gewesen. Hinsichtlich der zeitlichen Einordnung beließ es der Kläger bei der Angabe, seine Eltern seien während des Bürgerkriegs im Januar 1999 verstorben. Von der persönlichen Entdeckung der ermordeten Familie berichtete er nicht.

Auch in den Angaben des Klägers im Rahmen der biographischen Anamnese im Entlassbericht des KBO Isar-Amper-Klinikum vom 6. August 2012 wird die Ermordung von Familienangehörigen lediglich auf das Jahr 1999 eingegrenzt, zudem ist dort lediglich von der Ermordung des Vaters des Klägers die Rede. Eine Entdeckung der ermordeten Familienangehörigen durch den Kläger persönlich ist auch dort nicht erwähnt.

Erstmals bei der Untersuchung vor dem Gutachter hat der Kläger dann behauptet, die Ermordung seiner Familie selbst entdeckt zu haben. Als maßgebliches Datum ist in dem Gutachten an zwei Stellen der 6. Januar 1996 vermerkt. Unabhängig davon, ob der Kläger dieses erkennbar falsche Datum gegenüber dem Gutachter tatsächlich angegeben hat oder hier ein Schreibfehler oder ein Missverständnis ursächlich war, erweckt die durch Unsicherheit gekennzeichnete Reaktion des Klägers in der mündlichen Verhandlung auf die entsprechende Nachfragen und Vorhalte zu den zeitlichen Angaben den Eindruck, dass der Kläger nicht über selbst Erlebtes berichten konnte. Er unternahm nicht den Versuch, die zeitlichen Angaben plausibel zu machen, sondern relativierte diese dahin, er glaube lediglich, das genaue Datum des Angriffs sei der 6. Januar 1999 gewesen - genau erinnern könne er sich nicht mehr - und berief sich auch bei diesem Punkt auf Erinnerungsprobleme.

Die Schilderung des Klägers zur Entdeckung der Ermordung seiner Familie ist im Übrigen realitätsfremd und lässt darauf schließen, dass der Kläger dem Gutachter sowie dem Gericht auf der Grundlage tatsächlicher Geschehnisse im Bürgerkrieg in Sierra Leone (vgl. zu den Angriffen im Januar 1999 z.B. truth and reconciliation Commission of Sierra Leone - final report, Volume 3a, chapter 3, S. 150 ff.) eine in weiten Teilen frei erfundene Geschichte präsentiert hat. Dem Kläger kann nicht abgenommen werden, er sei am 6. Januar 1999, einem Tag, an dem in Sierra Leone ein groß angelegter Angriff von Rebellen mit Massakern an der Bevölkerung stattfand, regulär zur Schule und dann zu einem Freund gegangen und habe erst auf dem Nachhauseweg festgestellt, dass seine Familie sowie eine Vielzahl von Personen in der Umgebung Opfer von Massakern geworden seien. Das wird durch die Schilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zur Situation im zeitlichen Umfeld eher noch bestätigt. Danach habe man die Schule manchmal nicht besuchen können, wenn die Lage unsicher gewesen sei. Gegenüber dem Gutachter gab der Kläger zudem an, sein Vater habe ihn und seine Brüder im Vorfeld mehrmals ermahnt, vorsichtig zu sein. Es habe in den Monaten vor der Ermordung seiner Eltern eine immer stärker werdende Bedrohungslage gegeben. Sein Vater habe von den Kindern verlangt, gemeinsam und unverzüglich nach der Schule nach Hause zu gehen.

Dem Kläger kann auch nicht sein Vortrag zu einer zweiwöchigen Gefangennahme mit Misshandlungen abgenommen werden. Der entsprechende Vortrag vor dem Gutachter ist völlig unsubstantiiert und findet in der Anhörung des Klägers vor dem Bundesamt nicht einmal ansatzweise eine Entsprechung. Der Kläger hat hierzu auch in der mündlichen Verhandlung nichts vorgetragen. Die entsprechenden Angaben gegenüber dem Gutachter stehen zudem in Widerspruch zu den Ausführungen des Klägers gegenüber dem Gutachter, er habe nach dem Angriff auf seine Familie die ersten Tage bei der Familie seines Freundes übernachtet und sei dann von seinem Onkel gefunden und aufgenommen worden.

Auch der Vortrag des Klägers zu weiteren Geschehnissen in seinem Heimatland lässt darauf schließen, dass er - soweit ihm dies im Zusammenhang mit Abschiebungsverboten und der geltend gemachten PTBS günstig erscheint - die Unwahrheit sagt bzw. Begebenheiten verfälscht darstellt. So machte der Kläger bereits vor dem Bundesamt widersprüchliche Angaben über den Verbleib bzw. seine Kenntnis über den Verbleib seiner Tochter. Gegenüber dem Gutachter trug er dann vor, er habe den Beginn der Ebola-Epidemie im Oktober 2014 voller Sorge verfolgt und über seine Facebook-Kontakte erfahren, dass sein Onkel an Ebola verstorben und seine Tochter mit einer Ebola-Infektion in ein Krankenhaus eingeliefert worden sei. Weitere Informationen habe er nicht erhalten, im Moment habe er seinen Facebook-Account nicht mehr besucht, aus lauter Angst vor schlechteren Nachrichten. Der Tod seines Onkels lasse ihn sehr verzweifeln. Die Ungewissheit über den Verbleib seiner Tochter raube ihm den Verstand. In der mündlichen Verhandlung auf den Verbleib der Tochter angesprochen behauptete der Kläger, hierüber immer noch nichts zu wissen, reagierte auf den Vorhalt der von ihm gegenüber dem Gutachter selbst angegebenen Möglichkeit einer Erkundigung über Facebook-Kontakte zunächst mit Unwissen und ließ sich dann auf die - von der Version gegenüber dem Gutachter abweichende und im Hinblick auf den geschilderten Leidensdruck wegen der Unsicherheit über den Verbleib der Tochter - völlig unglaubhafte Aussage ein, er habe von Erkundigungen abgesehen, da er den Kontakt zu seinen damaligen Freunden bei Facebook nicht mehr habe.

Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass (1) auch wenn man dem Vorbringen des Klägers zu den traumaauslösenden Ereignissen in den Grundzügen Glauben schenken würde und von der im Gutachten diagnostizierten PTBS ausgehen würde, ein Abschiebungsverbot unter Zugrundelegung des Maßstabs von § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG nicht vorläge und im Übrigen (2) das Gutachten im Zusammenhang mit dem Kriterium der zeitlichen Latenz zwischen Trauma und Auftreten von Symptomen nicht die Anforderungen für den Nachweis einer PTBS erfüllt und jedenfalls ohne Ergänzung durch den Gutachter für den Nachweis einer PTBS nicht zu Grunde gelegt werden könnte.

(1) Im Hinblick auf die Regelungen in § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG läge selbst dann kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, wenn man dem Vorbringen des Klägers zu den traumaauslösenden Ereignissen und den geschilderten Beschwerden in den Grundzügen Glauben schenken und von den gestellten Diagnosen des Gutachtens ausgehen würde. Eine PTBS stellt im Hinblick auf die Regelungen in § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG für sich gesehen keine lebensbedrohliche oder ähnlich schwerwiegende Erkrankung dar, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründet. Eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung liegt laut Gutachten nicht vor. Damit ist auch im Falle einer Rückkehr nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu rechnen. Die entsprechenden Aussagen im Gutachten differenzieren insofern nicht ausreichend zwischen inlandsbezogenen und den hier maßgeblichen zielstaatsbezogenen Umständen und beruhen im Übrigen im Hinblick auf die Situation in Sierra Leone auf unzureichenden Anknüpfungstatsachen. Eine ärztlichen Bescheinigung, der nicht zu entnehmen ist, wie sie zur prognostischen Diagnose kommt und welche Tatsachen dieser zugrunde liegen, ist nicht geeignet, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots zu begründen (vgl. zu Abschiebungsverboten wegen Reiseunfähigkeit BayVGH, B.v. 23.8.2016 - 10 CE 15.2784 - juris Rn. 16; OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 8.2.2012 - 2 M 29/12 - juris Rn. 11 ff.). Entsprechendes gilt, wenn die zu Grunde gelegten Tatsachen in wesentlichen Bereichen unzutreffend sind. Insofern obliegt auch in diesem Zusammenhang die Feststellung der für die ärztliche Bewertung zugrunde gelegten Anknüpfungstatsachen ausschließlich dem Tatrichter. Eine nach dem Gutachten erforderliche Fortsetzung der medikamentösen Behandlung mit Antidepressiva ist auch in Sierra Leone gewährleistet.

Anhaltspunkte für existenzielle Krisen bis hin zur Suizidalität bestehen nach der Entlassung des Klägers aus dem KBO Isar-Amper-Klinikum im Jahr 2012 - mit Ausnahme der aufgetretenen Krisen Ende 2014 im Zusammenhang mit der zwischenzeitlich beendeten Ebola-Epidemie in Sierra Leone und der Trauer bzw. Sorge um Angehörige - nicht. Der Zustand des Klägers war nach dem Gutachten im Untersuchungszeitpunkt nicht akut lebensbedrohlich, obwohl der Kläger weiterhin nur medikamentös ausreichend behandelt wird, sozialpsychiatrisch unzureichend versorgt ist und eine Traumatherapie weder im Untersuchungszeitpunkt noch bis zur mündlichen Verhandlung aufgenommen hat. Der Kläger sei von akuter Suizidalität distanziert, auch eine Fremdgefährdung bestehe nicht (vgl. Gutachten, S. 24). Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche Verschlechterung ergeben sich - auch unter Berücksichtigung des aktuellen Attests des behandelnden Arztes vom 19. Dezember 2016 - nicht.

Die Aussagen im Gutachten lassen auch nicht darauf schließen, dass im Falle einer Abschiebung zielstaatsbezogene Umstände zu einer wesentlichen Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands des Klägers mit lebensbedrohlichen oder ähnlich schwerwiegenden, d.h. existenziell bedrohlichen Krankheitsfolgen führen würden. Der Gutachter führt hierzu aus, eine Rückkehr in das vorherige Umfeld der erlebten Bedrohung sei für alle Menschen eine extreme Belastung. Insofern würde eine Rückkehr ins Umfeld, in dem der Kläger aufgewachsen sei, zu einer erheblichen Verschlechterung führen. Die ständige Angst vor der Abschiebung nach Sierra Leone, das für den Kläger eine ständige Ausnahmesituation und einen hohen Stressfaktor berge, bedeute einen dramatischen Leidensdruck. Im Falle einer Abschiebung würde mit Sicherheit ein dauerhafter Schaden für die psychische Gesundheit des Klägers entstehen und wahrscheinlich wäre zudem sein Leben durch mögliche Suizidversuche bedroht. Aus ärztlicher Sicht solle daher die Rückkehr nach Sierra Leone vermieden werden. Diese Aussagen zielen im Schwerpunkt auf - hier nicht maßgebliche - inlandsbezogene Abschiebungshindernisse im Zusammenhang mit der Furcht und Unsicherheit im Vorfeld einer Abschiebung bzw. Umständen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Abschiebung (Reisefähigkeit) ab, denen im Übrigen durch entsprechende Vorbereitung und Ausgestaltung der Abschiebung begegnet werden kann. Hinsichtlich der zielstaatsbezogenen Umstände verbleibt es bei dem allgemeinen Hinweis auf die Belastung traumatisierter Personen durch eine Rückkehr in das Umfeld der Traumatisierung. Insofern ist aber neben dem langen Zeitablauf seit den geltend gemachten traumaauslösenden Ereignissen zu berücksichtigen, dass sich die Situation in Sierra Leone zwischenzeitlich grundlegend verändert hat, ein Großteil der Flüchtlinge des Bürgerkriegs in ihr Heimatland zurückgekehrt sind und auch die Bekämpfung der Straflosigkeit für während des Bürgerkriegs begangene schwere Menschenrechtsverstöße Fortschritte macht. Insoweit wird zunächst auf die ausführlichen Darstellungen zur allgemeinen Lage in Sierra Leone in der Begründung des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend auf Folgendes hingewiesen: Nach Beendigung des elfjährigen Bürgerkrieges im Jahre 2002 kehrt Sierra Leone immer mehr zu friedlichen und geordneten politischen Verhältnissen zurück. Die während des Bürgerkriegs begangenen Verbrechen werden umfassend ermittelt und aufgearbeitet (vgl. Truth & Reconciliation Commission of Sierra Leone, final report, Vol 3a, Chapter 3, The Military an Political History of the Conflict). Auf Grundlage einer Vereinbarung mit den Vereinten Nationen wurde ein Sondergerichtshof für Sierra Leone eingerichtet, (Special Court for Sierra Leone - SCSL), der für eine juristische Aufarbeitung sorgt, vor dem bereits eine Vielzahl von Prozessen stattgefunden hat und durch den u.a. der ehemalige liberianische Staatspräsident Charles Taylor wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 50 Jahren Gefängnis verurteilt wurde (vgl. AI - Amnesty Report 2013 Sierra Leone; U.S. Department of State - Sierra Leone Country Report on Human Rights Practices 2006; Wikipedia - https: …de.wikipedia.org/wiki/Sierra_Leone und https: …en.wikipedia.org/wiki/Charles_Taylor_(Liberian_politician) - zitiert jeweils nach Stand 19.1.2017).

Ein von der UNHCR initiiertes Repatriierungsprogramm für Bürgerkriegsflüchtlinge wurde im Juli 2004 abgeschlossen und ein Großteil der Flüchtlinge ist in ihre Heimat zurückgekehrt. Am 23. Juni 2006 wurde Sierra Leone als eines der ersten Länder vom UN-Sicherheitsrat auf die Agenda der 2005 ins Leben gerufenen Peacebuilding Commission (PBC) gesetzt. Nach Aussage des früheren UN-Generalsekretärs Ban Ki-Moon am 14. Juni 2010 in Freetown repräsentiert Sierra Leone einen der erfolgreichsten Fälle für Wiederaufbau, Friedenswahrung und Friedensaufbau nach einem Konflikt (Wikipedia - https: …de.wikipedia.org/wiki/Sierra_Leone - zitiert nach Stand 19.1.2017).

Ob eine Rückkehr traumatisierter Personen aus Krisenregionen trotz Aufarbeitung straffrei begangener Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen im Herkunftsland mit einer nicht hinnehmbaren Gefahr einer Retraumatisierung verbunden ist, hängt von den - einer ärztlichen Bescheinigung zu Grunde zu legenden - Einzelumständen, einerseits Art und Umfang einer erfolgten Aufarbeitung der Krise im Herkunftsstaat und andererseits von Art, Dauer und Intensität des erlittenen Traumas ab. Das Gutachten geht hierauf nicht ein. Die Bescheinigung des behandelnden Arztes vom 19. Dezember 2016 greift diesen Gesichtspunkt zwar ansatzweise auf, der hier gezogene Vergleich mit der Situation von Juden, die nach ihrer Befreiung aus Konzentrationslagern auch nach Ende des dritten Reichs und der Aufarbeitung der begangenen Verbrechen nicht mehr nach Deutschland einreisen konnten, liegt im Hinblick auf den maßgeblichen Vortrag des Klägers zu Art und Intensität der erlebten Traumen aber erkennbar neben der Sache.

Im Hinblick auf die Behandlungsmöglichkeiten in Sierra Leone geht das Gericht davon aus, dass eine ausreichende therapeutische und psychiatrische Behandlung dort nicht sichergestellt ist und damit eine ausreichende Behandlung einer PTBS nicht möglich ist. Hierauf kommt es aber im Hinblick auf die Regelungen in § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG gerade nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, dass eine ausreichende medikamentöse Versorgung mit Antidepressiva auch in Sierra Leone gewährleistet und damit eine lebensbedrohliche oder existenziell bedrohliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands des Klägers nach einer Rückkehr nicht wahrscheinlich ist. Entsprechend der Auskunftslage ist davon auszugehen, dass eine medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva auch in Sierra Leone erfolgen kann (vgl. Auskunft AA an VG Aachen vom 21.2.2007). Anhaltspunkte, dass sich hieran etwas geändert haben könnte, sind nicht substantiiert vorgetragen und - nach dem Ende der Ebola-Epidemie Anfang 2016 - jedenfalls im Hinblick auf große Städte wie Freetown nicht naheliegend. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der Klägerseite vorgelegten Entscheidungen des Bundesamts vom 1. Dezember 2016 sowie den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten bzw. in Bezug genommenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen. Dabei handelt es sich nur teilweise um Entscheidungen zu Sierra Leone. Bei den entsprechenden Entscheidungen standen im Mittelpunkt die therapeutischen und psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten. Soweit dort auch Fragen zur medikamentösen Versorgungslage angesprochen sind, handelt es sich um Fragen der individuellen Verfügbarkeit. Insoweit besteht im Hinblick auf die langjährige Tätigkeit des Klägers als KFZ-Mechaniker bis zu seiner Ausreise aus Sierra Leone kein Anlass zur Annahme, er sei nach einer Rückkehr dauerhaft nicht in der Lage, einen ausreichenden Unterhalt, der auch eine medikamentöse Behandlung einschließt, zu erzielen. Eine Ergänzung des Gutachtens im Hinblick auf diese Punkte war auf Grund der fehlenden Entscheidungsrelevanz (mangelnde Glaubhaftigkeit der Schilderung des Klägers) nicht veranlasst.

(2) Hinsichtlich des Kriteriums der zeitlichen Latenz beruhen die Bewertungen des Gutachtens auf einer Verkennung der Anforderungen eines Vollbeweises für sämtliche Kriterien einer PTBS nach Maßgabe der allgemeinen Beweisregeln. Demnach ist für sämtliche Kriterien ein Nachweis mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nötig. Zweifel gehen entsprechend den allgemeinen Beweislastregeln zu Lasten des Asylbewerbers. Der Gutachter weist im Zusammenhang mit Kapitel V, Gliederung 43.1 ICD 10, wonach die Latenz nach einem Trauma bei der PTBS grundsätzlich nur wenige Wochen bis Monate dauert, darauf hin, die Verlaufsdynamik der PTBS sei aufgrund der komplexen Psychopathologie sehr variabel. Die von ihm gemachten statistischen Angaben - Symptome bei 42% der Betroffenen 9 Monate nach dem Trauma, bei 15 bis 25% persistierend über Jahre und bei einem Drittel der Patienten chronischer Verlauf mit einer mittleren Revisionszeit von 3 Jahren - lassen die Diagnose PTBS beim Kläger zwar als möglich, nicht jedoch als wahrscheinlich oder nahezu sicher erscheinen. Der Gutachter hat keine Feststellungen getroffen, die eine Zuordnung der Symptome des Klägers zu einer chronisch oder sonst atypisch verlaufenden PTBS trotz der erheblichen zeitlichen Latenz mit an Sicherheit grenzender oder zumindest überwiegender Wahrscheinlichkeit ermöglichen würde. Insbesondere fehlt es an einer Würdigung und Gewichtung von Symptomen vor der Ausreise des Klägers aus Sierra Leone - dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Schwere der Symptome dort offenbar weit hinter der in Deutschland beobachteten Schwere mit krisenhaften Einbrüchen bis hin zu akuter Suizidalität zurückblieb. Der Kläger führte in Sierra Leone nach seinen Angaben trotz erheblicher Belastungen durch den Tod seiner Familie ein weitgehend normales Leben, ging einer selbständigen Tätigkeit im Rahmen einer - zusammen mit Freunden betriebenen - KFZ-Werkstatt nach und war auch in der Lage, familiäre Bindungen einzugehen. Er war auch nach dem Tod seiner Frau bei der Geburt des Kindes in der Lage, einem geregelten Leben und einer Arbeitstätigkeit nachzugehen. Eine Ergänzung des Gutachtens im Hinblick auf diese Punkte war auf Grund der fehlenden Entscheidungsrelevanz (mangelnde Glaubhaftigkeit der Schilderung des Klägers) nicht veranlasst.

Abgesehen von der geltend gemachten PTBS liegen keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen vor, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen bzw. im Hinblick auf qualifizierte ärztliche Bescheinigungen Anlass für eine weitere Sachverhaltsermittlung bieten. Im Hinblick auf die von Klägerseite angeführte Anorexia nervosa (Magersucht) ergeben sich aus den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen keine Anhaltspunkte für eine lebensgefährliche oder vergleichbar schwerwiegende Erkrankung.

Schließlich folgt auch aus den schwierigen Lebensverhältnissen in Sierra Leone kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Bei den dort vorherrschenden Lebensbedingungen handelt es sich um eine Situation, der die gesamte Bevölkerung ausgesetzt ist, weshalb Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ausschließlich durch eine generelle Regelung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt wird. Anhaltspunkte für eine extreme Gefährdungslage bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ausnahmsweise nicht greift (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - juris LS 3 und Rn. 14; BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris Rn. 38), sind nicht erkennbar.

Nachdem auch die nach Maßgabe von § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden ist, war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).

Vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung: § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die mittels abgelaufenen Reisepasses ausgewiesene Klägerin ist Staatsangehörige von Sierra Leone und reiste am 16. Juni 2015 auf dem Luft Weg von Buenos Aires in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie am 22. Juni 2015 einen Asylantrag stellte.

Zur Begründung trug sie bei ihrer persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 22. Juni 2015 vor, ihre Großmutter habe die Bondo-Gesellschaft geleitet. Sie selbst sei im Alter von 13 Jahren in diese Gesellschaft aufgenommen und im Rahmen der Initiierung beschnitten worden. Mit 14 Jahren sei sie mit einem 47-jährigen Mann verheiratet worden und dann nicht weiter zur Schule gegangen. Sie sei bei ihm für neun Jahre geblieben und habe zwei Fehlgeburten gehabt. 2002 sei der Mann verstorben. Im Jahr 2004 habe sie einen Mann kennengelernt, mit dem sie einen 2005 geborenen Sohn habe. Die Ehe bestehe nicht mehr. Der Sohn habe zunächst bei ihr gelebt, lebe jetzt aber mit seinem Vater in Guinea. Nach dem Tod ihrer Großmutter im Jahr 2008 habe sie deren Stelle als Leiterin der Bondo-Gesellschaft übernehmen sollen. Das habe sie aufgrund ihrer Erfahrungen mit den Ritualen dieser Gesellschaft abgelehnt und sei noch in der Nacht, als ihre Großmutter gestorben sei, mit ihrem Sohn nach Guinea gegangen. Sie sei dort vier Monate geblieben, habe dann in Sierra Leone ein Visum für Syrien beantragt und erhalten und etwa zwei Jahre in Damaskus gelebt und beim italienischen Konsul gearbeitet. Im Anschluss sei sie mit dem Konsul über Rom nach Buenos Aires geflogen, wo sie bei dessen Familie bis zu ihrer Einreise nach Deutschland gelebt habe. Bei einer Rückkehr nach Sierra Leone befürchte sie, getötet zu werden, weil sie die Bondo-Gesellschaft verlassen habe. Sie habe in Sierra Leone keine Familie mehr. Diese sei während ihres Aufenthaltes in Argentinien an Ebola verstorben.

Mit Bescheid vom 24. Mai 2016 (zugestellt am 6.6.2016) lehnte das Bundesamt den Antrag auf Asylanerkennung und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie des subsidiären Schutzstatus ab (Nrn. 1 bis 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG (a.F.) nicht vorliegen (Nr. 4), forderte die Klägerin auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. im Falle einer Klageerhebung 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen und drohte die Abschiebung nach Sierra Leone an (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).

Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter lägen nicht vor. Eine konkrete Verfolgungshandlung sei aufgrund des Sachvortrags nicht ersichtlich. Auch die Voraussetzungen für subsidiären Schutz sowie nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG (a.F.) lägen nicht vor.

Die Klägerin hat durch ihre vormalige Bevollmächtigte am 8. Juni 2016 Klage erheben und beantragen lassen, den Bescheid des Bundesamts vom 24. Mai 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen sowie ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG (a.F.) vorliegen.

Gleichzeitig wurde Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung beantragt.

Zur Begründung wurde auf das Vorbringen vor dem Bundesamt bei der Anhörung verwiesen.

Mit Schriftsatz vom 5. Juli 2016 zeigte die Bevollmächtigte die Übernahme der Vertretung der Klägerin an und trug ergänzend und vertiefend zum Vortrag der Klägerin vor dem Bundesamt vor. Die Klägerin leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung (im Folgenden: PTBS), einer schweren depressiven Episode sowie schweren körperlichen Beschwerden infolge einer Genitalverstümmelung. Sie sei im Bürgerkrieg von Rebellen der RUF verschleppt worden und habe grausamste Verbrechen erleben müssen. Danach habe sie bei ihrem Ehemann gelebt, mit dem sie noch vor der Verschleppung durch die Rebellen zwangsweise verheiratet worden sei. Sie habe dort viel Gewalt erlebt und sei geschlagen und vergewaltigt worden. Im November 2015 sei es in der Gemeinschaftsunterkunft zu einem traumatischen Erlebnis gekommen, das zu einer Retraumatisierung geführt habe. Die Klägerin habe eine Mitbewohnerin, die in der Dusche durch Kopfschuss Suizid begangen habe, aufgefunden. Im weiteren Klageverfahren wurde eine ärztliche Bescheinigung vom 27. Juni 2016 zum Nachweis einer Genitalverstümmelung sowie ein psychotherapeutischer Befundbericht einer psychologischen Psychotherapeutin von Refugio München vom 6. Juli 2016, eine Therapiebestätigung von Refugio München vom 29. Dezember 2016 sowie in der mündlichen Verhandlung eine ärztliche Bescheinigung vom 9. Januar 2017 mit Hinweisen zur Medikation sowie eine psychologische Stellungnahme eines Diplom-Psychologen vom 10. Mai 2016 vorgelegt.

Nach dem Befundbericht vom 6. Juli 2016 leidet die Klägerin aufgrund traumatisierender Erlebnisse in Sierra Leone insbesondere an einer ausgeprägten PTBS und einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome bei latenter Suizidalität. Die Klägerin bedürfe einer psychotraumatischen Behandlung, ohne die sich die Krankheit mit größter Wahrscheinlichkeit chronifizieren würde, was häufig in eine andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung einmünde. Im Falle einer Abschiebung müsse mit einer emotionalen Reaktualisierung der traumatischen Erlebnisse gerechnet werden, wobei eine psychische Dekompensation sehr wahrscheinlich und ein Kontrollverlust mit Fremd- und Selbstgefährdung wahrscheinlich sei.

Die Bevollmächtigte wies ergänzend darauf hin, dass in Sierra Leone keine Möglichkeit zur erforderlichen psychotherapeutischen Behandlung bestehe. Das Gesundheitssystem dort sei in Folge der Ebola-Epidemie kollabiert. In diesem Zusammenhang wurde ergänzend auf eine Entscheidung des Bundesamts vom 1. Dezember 2016 sowie auf mehrere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen hingewiesen.

Das Bundesamt hat die Akten mit Schreiben vom 21. Juni 2016 vorgelegt.

Mit Beschluss vom 15. Dezember 2016 wurde der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abgelehnt.

Die Klage wurde in der mündlichen Verhandlung auf die Ziffern 4 bis 6 des angefochtenen Bescheids beschränkt und beantragt,

den Bescheid vom 24. Mai 2016 in den Ziffern 4 bis 6 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, bei der Klägerin ein nationales Abschiebungsverbot bezüglich Sierra Leone festzustellen.

Zugleich wurde der bedingte Beweisantrag gestellt, zum Beweis der Tatsache, dass die Klägerin an einer PTBS (ICD-10: F43.1) sowie an einer schweren depressiven Episode (ICD-10: F32.2) sowie schweren körperlichen Beschwerden infolge einer Genitalverstümmelung leidet, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen.

Die Bevollmächtigte hat im Rahmen der rechtlichen Erörterung geltend gemacht, die vorgelegte Stellungnahme vom 6. Juli 2016 entspreche den Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung, die auch durch psychologische Psychotherapeuten erfolgen könne. Im Hinblick auf die Regelung des § 60a Abs. 2c AufenthG hat sie die Auffassung vertreten, die gesetzliche Vermutung zur Reisefähigkeit und die Anforderungen zur Widerlegung seien auf inlandsbezogene Abschiebungshindernisse beschränkt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

Gründe

Über die Klage ist in der Hauptsache aufgrund der Beschränkung der Klage nur noch hinsichtlich der Ziffern 4 bis 6 des angefochtenen Bescheids und der Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu entscheiden.

Soweit sich die Klage gegen die auf § 11 Abs. 2 AufenthG gestützte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach der Abschiebung richtet (Nr. 6 des Bescheids), ist sie mangels Rechtsschutzinteresse unzulässig. Eine schlichte Aufhebung (gerichtliche Kassation) beträfen lediglich die getroffene Befristungsentscheidung als solche, so dass ein erfolgreiches (Anfechtungs-) Rechtsmittel zur Folge hätte, dass das - unmittelbar kraft Gesetzes geltende - Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG unbefristet gelten würde. Eine Anfechtungsklage gegen die Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 AufenthG kann mithin die Rechtsstellung des betroffenen Ausländers nicht verbessern (ausführlich m.w.N. VG München, B.v. 19.1.2016 - M 21 S. 16.30019).

Die im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 24. Mai 2016 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG) in den angefochtenen Ziffern rechtmäßig, die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO).

Die geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin begründen kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris Rn. 23 ff.). Derartige Ausnahmegründe liegen jedenfalls nach dem Ende der Ebola-Epidemie in Sierra Leone Anfang 2016 nicht mehr vor.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn im Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Entsprechend der Gesetzesbegründung zu der mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. 2016 I, 390 ff.) eingeführten Präzisierung in den Sätzen 2 bis 4 wird klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach Satz 1 darstellen. Eine solche schwerwiegende Erkrankung könne zum Beispiel in Fällen von PTBS regelmäßig nicht angenommen werden, es sei denn, die Abschiebung führe zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung.

Ergänzend dazu wurde mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren mit § 60a Abs. 2c AufenthG eine gesetzliche Vermutung zum Vorliegen gesundheitlicher Gründe, die einer Abschiebung entgegenstehen, aufgenommen. Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (§ 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG). Insofern hat der Gesetzgeber im Wesentlichen die obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. u.a. BVerwG, U.v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 und 10 C 1710 C 17.07 - juris jeweils Rn. 15) nachvollzogen, wonach zur Substantiierung des Vorbringens einer Erkrankung (hier: angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes und der vielfältigen Symptomatik einer PTBS) regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes gehört (BayVGH, B.v. 23.8.2016 - 10 CE 15.2784 - juris Rn. 8). Danach bedarf es angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes einer PTBS sowie seiner vielfältigen Symptome zur Substantiierung eines Beweisantrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens regelmäßig der Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (BVerwG, U.v. 11.9.2007 a.a.O. - juris jeweils Rn. 15).

Entsprechend diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen oder für weitere diesbezügliche Sachverhaltsermittlungen entsprechend dem gestellten Beweisantrag aus mehreren, voneinander unabhängigen Gründen nicht vor. Hinsichtlich der geltend gemachten PTBS ergibt sich dies (1) daraus, dass die vorgelegten Bescheinigungen nicht den Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung entsprechen, (2) daraus, dass die gestellten Diagnosen in wesentlichen Punkten hinsichtlich der traumaauslösenden Ereignisse wegen fehlender Glaubhaftmachung der Ereignisse auf unzureichenden Anknüpfungstatsachen beruhen und (3) daraus, dass sich unter Zugrundelegung des Maßstabs des § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG selbst dann kein Abschiebungsverbot ergeben würde, wenn man dem Vorbringen der Klägerin zu den traumaauslösenden Ereignissen in den Grundzügen Glauben schenken und von den gestellten Diagnosen ausgehen würde.

(1) Durch die Regelung in § 60a Abs. 2c AufenthG, wonach Abschiebungshindernisse durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft zu machen sind, hat der Gesetzgeber klargestellt, dass zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung, dass gesundheitliche Gründe einer Abschiebung nicht entgegenstehen, eine Bescheinigung eines approbierten Arztes erforderlich ist (vgl. dazu die ausdrückliche Klarstellung in der Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/7538 S. 19). Ungeachtet der Rechtslage vor der Änderung durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (vgl. insbesondere OVG NW, B.v. 19.12.2008 - juris) bleiben nach der Regelung in § 60a Abs. 2c AufenthG Atteste von Psychotherapeuten, Psychologen oder psychosozialen „Behandlungszentren für Folteropfer“ bei der Beurteilung der Reisefähigkeit grundsätzlich außer Betracht (OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 30.8.2016 - 2 O 31/16 - juris Rn. 9; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Nachtrag zur 11. Auflage 2016, AufenthG, § 60a Rn. N3). Allenfalls im Wege einer Gesamtschau können derartige Atteste ergänzend zu anderen Erkenntnissen, die nicht die Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung erfüllen, zu anderweitigen tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Erkrankung nach Maßgabe von § 60a Abs. 2d AufenthG beitragen (OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 30.8.2016 a.a.O.).

Die Regelungen in § 60a Abs. 2c AufenthG beschränken sich dabei nicht auf inlandsbezogene Abschiebungshindernisse im Zusammenhang mit der Reisefähigkeit, sondern umfassen auch zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Die von Klägerseite geäußerte gegenteilige Auffassung, die ausschließlich auf der systematischen Stellung des § 60a Abs. 2c AufenthG als Teil der Regelungen in § 60a AufenthG über eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung beruht, überzeugt entsprechend dem Wortlaut der Regelung, der Entstehungsgeschichte und den gesetzgeberischen Erwägungen sowie nach Sinn und Zweck nicht.

Der Wortlaut des § 60a Abs. 2c AufenthG stellt ausschließlich darauf ab, ob Abschiebungsverbote aus gesundheitlichen Gründen vorliegen und differenziert nicht zwischen inlands- und zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten. Auch die Gesetzesbegründung lässt erkennen, dass der Gesetzgeber mit der Vermutungsregelung in § 60a Abs. 2c AufenthG die Abschiebung erleichtern und die Anforderungen an die Geltendmachung psychischer Erkrankungen als Abschiebungshindernisse insgesamt erschweren wollte. In der Gesetzesbegründung wird hierzu Folgendes ausgeführt:

„Mit der Regelung zur Glaubhaftmachung einer Erkrankung durch den Ausländer wird auf erhebliche praktische Probleme hinsichtlich der Bewertung der Validität von ärztlichen Bescheinigungen im Vorfeld einer Abschiebung reagiert, wie sie auch aus dem Bericht der unterarbeitsgruppe Vollzugsdefizite der Bund - Länder - Arbeitsgruppe Rückführung über die Ergebnisse der Evaluierung des Berichts über die Probleme bei der praktischen Umsetzung von ausländerbehördlichen Ausreiseaufforderungen und Vollzugsmaßnahmen von April 2015 hervorgehen.

Es besteht ein praktisches Bedürfnis, eine vom Ausländer vorgelegte Bescheinigung hinsichtlich der Erfüllung formaler und inhaltlicher Vorgaben zu validieren. Hierzu legt der Gesetzgeber nunmehr die in Absatz 2c genannten Qualitätskriterien fest, die die jeweilige ärztliche Bescheinigung insbesondere enthalten soll.“

Auch nach Sinn und Zweck umfasst die Regelung im § 60a Abs. 2c AufenthG auch die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Durch die zusammen mit der Regelung des § 60a Abs. 2c AufenthG vorgenommenen Einfügung der Sätze 2 bis 4 in § 60 Abs. 7 AufenthG hat der Gesetzgeber klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen. Entsprechend der Gesetzesbegründung erfüllt eine PTBS regelmäßig nicht die Anforderungen an ein Abschiebungsverbot, es sei denn, die Abschiebung führt zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung (BT-Drs. 18/7538 S. 18). Die Behandlung akuter lebensbedrohlicher bzw. ähnlich schwerwiegender Zustände aufgrund einer PTBS erfolgt regelmäßig im Rahmen einer medikamentösen Behandlung. Antidepressiva nehmen in der Behandlung depressiver Symptome bei PTBS einen hohen Stellenwert ein (vgl. dazu das psychiatrisch-psychotherapeutische Gutachten in dem am gleichen Tag verhandelten und von der Bevollmächtigten vertretenen Verfahren M 21 K 13.30391). Insofern handelt es sich um klassische ärztliche Aufgaben. Auf die darüber hinaus für die vollständige Diagnose und Behandlung einer PTBS bedeutsamen psychotherapeutischen und sozialpsychiatrischen Behandlungsansätze kommt es im Hinblick auf den durch § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG vorgegebenen Maßstab nicht an.

Anhaltspunkte für eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die in einer Gesamtschau nach Maßgabe von § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG auch ohne ausreichende ärztliche Bescheinigung Anlass zu weiteren Ermittlungen bieten, bestehen nicht.

Der psychologisch-psychotherapeutische Befundbericht von Refugio entspricht insbesondere auch inhaltlich nicht den von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen an die Substantiierung eines Beweisantrags zum Nachweis einer PTBS durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung.

Erforderlich für eine PTBS ist nach den im Befundbericht herangezogenen Kriterien der ICD-10 F43.1 ein traumaauslösendes Ereignis von kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung herbeiführen würde. Prädisponierende Faktoren sind dabei weder erforderlich noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Erforderlich ist dementsprechend eine Zuordnung konkreter traumaauslösender Ereignisse zu den festgestellten Symptomen. Eine Aufzählung einer Vielzahl von belastenden Ereignissen ohne Abgrenzung, ob es sich um lediglich dekompensierende (und damit unter Umständen für eine Prädisposition bedeutsame) oder bereits die Schwelle einer Traumatisierung überschreitende Ereignisse handelt, genügt insofern nicht. Diesen Anforderungen wird der Befundbericht nicht gerecht. Er beschränkt sich auf eine Darstellung des Lebenslaufs der Klägerin mit verschiedenen Episoden, angefangen von der Kindheit bis hin zu Geschehnissen in der Gemeinschaftsunterkunft, denen eine dekompensierende oder traumatisierende Wirkung zukommen kann, unterlässt jedoch eine eindeutige Benennung und Zuordnung konkreter traumaauslösender Ereignisse. Entsprechend den Aussagen in der Begründung der Diagnose scheinen im Mittelpunkt wohl die Erlebnisse der Klägerin im Rahmen ihrer Verschleppung im Bürgerkrieg zu stehen. In der Zusammenfassung wird dann jedoch wieder allgemein und ohne Bezug auf multiple Traumatisierungen verwiesen. Darüber hinaus geht der Befundbericht nicht darauf ein, dass die Erlebnisse aus der Kindheit der Klägerin und die Verschleppung durch Rebellen bereits mehr als 20 Jahre zurückliegen. Die Latenz von Symptomen einer PTBS zu dem traumaauslösenden Ereignis beträgt nach den Kriterien der ICD-10 F43.1 grundsätzlich wenige Wochen bis Monate. Insofern wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass die Klägerin vor ihrer Einreise nach Deutschland offenbar in der Lage war, ein durchaus eigenbestimmtes bzw. mit Perspektiven verbundenes Leben zu führen. Die Klägerin ging nach Ende der Zwangsehe eine familiäre Bindung ein. Nach ihrer Ausreise aus Sierra Leone nahm sie mit Hilfe entsprechender Kontakte eine Tätigkeit als Kindermädchen und Haushaltshilfe bei einem hochrangigen italienischen Diplomaten auf und arbeitete nach eigenem Bekunden darauf hin, ihr beim Vater in Guinea lebendes Kind nachholen zu können. Symptome aus der Zeit vor der Einreise nach Deutschland, die auf eine chronisch oder atypisch verlaufende PTBS hindeuten würden, sind in dem Befundbericht nicht thematisiert. Für eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung wäre ein Eingehen auf diese Gesichtspunkte zumindest in Grundzügen erforderlich gewesen.

Die im Übrigen vorgelegten Bescheinigungen erfüllen hinsichtlich der geltend gemachten PTBS die Voraussetzungen für eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung erkennbar nicht.

(2) Der Befundbericht von Refugio bietet auch deswegen keinen Anlass zu weiterer Sachverhaltsaufklärung, weil er auf unzureichenden Anknüpfungstatsachen beruht. Die dort gezogenen Schlussfolgerungen beruhen in wesentlichen Punkten auf unglaubhaften Angaben der Klägerin.

Auch bei einer qualifizierten Bescheinigung hängt deren Tragfähigkeit und damit der Nachweis oder weiterer Ermittlungsbedarf hinsichtlich einer PTBS davon ab, dass die Anknüpfungstatsachen glaubhaft gemacht worden sind. Bei der Diagnoseerstellung von posttraumatischen Störungen ermöglicht die Symptomatologie des psychopathologischen Befunds generell keine Rekonstruktion der objektiven Seite der traumatisierenden Ereignisse. Dass das behauptete traumatisierende Ereignistatsächlich stattgefunden hat, muss vielmehr vom Schutzsuchenden gegenüber dem Tatrichter und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden (BayVGH, B.v. 4.11.2016 - 9 ZB 16.30468 - juris Rn. 18; B.v. 17.10.2012 - 9 ZB 10.30390 - juris Rn. 8). Insoweit obliegt es dem Kläger, die behaupteten Geschehnisse, die bei ihm eine PTBS zum Entstehen gebracht haben sollen, jedenfalls in Grundzügen unter Angabe von Einzelheiten schlüssig und widerspruchsfrei zu schildern (vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2016 a.a.O. - juris Rn. 23; B.v. 17.10.2012 a.a.O. - juris Rn. 8). Werden im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben gemacht, die auch unter Berücksichtigung von Erinnerungsproblemen traumatisierter Personen nicht nachvollziehbar sind, enthält das Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche, erscheinen die Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar oder wird das Vorbringen im Laufe des Verfahrens ohne ausreichende Begründung erweitert oder gesteigert, insbesondere wenn Tatsachen für das geltend gemachte Abschiebungsverbot ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren eingeführt werden, so kann den Aussagen in der Regel kein Glauben geschenkt werden.

Als zentralen Punkt für die Traumatisierung der Klägerin benennt der Befundbericht Traumata aus dem Bürgerkrieg mit einer Verschleppung der Klägerin durch Rebellen und dem Erleben von entsetzlichen Grausamkeiten. Die diesbezüglichen Angaben der Klägerin sind nicht glaubhaft. Ein entsprechender Vortrag vor dem Bundesamt fehlt vollständig - dort stützte sich die Klägerin ausschließlich auf ihre Erlebnisse im Zusammenhang mit ihrer Beschneidung und im Zusammenhang mit einer Zwangsheirat. Ihre Einlassung in der mündlichen Verhandlung dazu, sie sei bei der Anhörung sehr aufgeregt gewesen und habe die Dinge nicht so mitteilen können, wie sie es wollte, stellt - zumal vor dem Hintergrund, dass die Klägerin bereits bei der Anhörung anwaltlich vertreten war und ihre damalige Bevollmächtigte an der Anhörung teilnahm - eine unbeachtliche Schutzbehauptung dar, ebenso die weitere Version gegenüber der Psychotherapeutin von Refugio, sie habe sich geschworen, niemals mit irgendeinem Menschen über ihre Zeit bei den Rebellen zu sprechen. Im Übrigen sind auch die Angaben gegenüber Refugio hinsichtlich individueller Erlebnisse im Rahmen der behaupteten Verschleppung in vielen Punkten vage und unsubstantiiert und erschöpfen sich in einer stereotypen Schilderung von Gräueltaten, wie sie aus dem Bürgerkrieg in Sierra Leone bekannt sind. Individueller Vortrag - etwa zeitliche Angaben und Einzelheiten zur Gefangennahme und Flucht - fehlt weitgehend. Eine Konkretisierung des Vortrags ist trotz anwaltlicher Vertretung auch in der mündlichen Verhandlung nicht erfolgt. Die Tendenz zur übersteigerten Darstellung ihres Schicksals wird durch die widersprüchlichen Angaben der Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Aufenthalt in Syrien und Argentinien bestätigt. Gegenüber Refugio gab sie an, sie habe bei dem italienischen Konsul unter sklavenähnlichen Bedingungen bei unzureichendem Essen und ohne jede Bezahlung gelebt. Andererseits behauptete sie bereits bei Refugio, sie habe in Syrien versucht, genug Geld anzusparen, um ihr Kind zu sich zu holen - der Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs habe aber ihre Pläne zunichte gemacht. In der mündlichen Verhandlung gab sie auf entsprechende Nachfrage an, sie habe für die Tätigkeit in ihrer Zeit in Syrien 300 EUR monatlich und in Argentinien 400 EUR monatlich bei freier Kost und Logis verdient.

(3) Im Übrigen ergäbe sich unter Zugrundelegung des Maßstabs des § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG selbst dann kein Abschiebungsverbot, wenn man dem Vorbringen der Klägerin zu den traumaauslösenden Ereignissen und den geschilderten Beschwerden in den Grundzügen Glauben schenken und von den gestellten Diagnosen ausgehen würde. Auf die zum Beweis gestellten Diagnosen als solches kommt es im Hinblick auf den durch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorgegebenen Maßstab für eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nicht an. Eine PTBS stellt für sich gesehen keine lebensbedrohliche oder ähnlich schwerwiegende Erkrankung dar und begründet kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Ein ausreichend substantiierter Vortrag zu den von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG geforderten lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Krankheitsfolgen ergibt sich auch aus dem Befundbericht nicht bzw. die Begründung hierzu ist nicht ausreichend und beruht im Hinblick auf die Situation in Sierra Leone und die von der Klägerin geltend gemachten individuellen Umstände auf unzureichenden Anknüpfungstatsachen. Eine nach den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen ggfs. erforderliche Fortsetzung der medikamentösen Behandlung mit Antidepressiva ist auch in Sierra Leone gewährleistet.

Entsprechend dem Befundbericht von Refugio liegen bei der Klägerin eine akute Suizidalität oder psychotische Symptome mit einer akuten Selbst- oder Fremdgefährdung nicht vor.

Die Aussagen im Befundbericht lassen auch nicht darauf schließen, dass im Falle einer Abschiebung zielstaatsbezogene Umstände zu einer wesentlichen Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands der Klägerin mit lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden - d.h. existenziell bedrohlichen Krankheitsfolgen - führen würden. Die Einschätzung, bei einer Rückkehr sei ein Kontrollverlust mit Fremd- und Selbstgefährdung wahrscheinlicher (als ein Kontrollerhalt), erfolgt ohne ausreichende Begründung und beruht auf unzureichenden Anknüpfungstatsachen. Ein Attest, dem nicht zu entnehmen ist, wie es zur prognostischen Diagnose kommt und welche Tatsachen dieser zugrunde liegen, ist nicht geeignet, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots zu begründen (vgl. zu Abschiebungsverboten wegen Reiseunfähigkeit BayVGH, B.v. 23.8.2016 - 10 CE 15.2784 - juris Rn. 16; OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 8.2.2012 - 2 M 29/12 - juris Rn. 11 ff.). Entsprechendes gilt, wenn die zu Grunde gelegten Tatsachen in wesentlichen Bereichen unzutreffend sind. Insofern obliegt auch in diesem Zusammenhang die Feststellung der für die ärztliche Bewertung zugrunde gelegten Anknüpfungstatsachen ausschließlich dem Tatrichter. Der Befundbericht differenziert nicht danach, ob die Gefährdung im Wesentlichen im Zusammenhang mit - hier nicht maßgeblichen - inlandsbezogenen Umständen im Zusammenhang mit Unsicherheit und Furcht vor einer Rückkehr im Vorfeld der Abschiebung bzw. Umständen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Abschiebung (Reisefähigkeit) steht, denen im Übrigen durch entsprechende Vorbereitung und Ausgestaltung der Abschiebung begegnet werden könnte, oder ob echte zielstaatsbezogene Gründe vorliegen. Die Ausführungen zur befürchteten Retraumatisierung beschränken sich im Wesentlichen auf den allgemeinen Hinweis der Gefahr einer Retraumatisierung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland. Insofern ist aber neben dem langen Zeitablauf seit den geltend gemachten traumaauslösenden Ereignissen zu berücksichtigen, dass sich die Situation in Sierra Leone zwischenzeitlich grundlegend verändert hat, ein Großteil der Flüchtlinge des Bürgerkriegs in ihr Heimatland zurückgekehrt sind und auch die Bekämpfung der Straflosigkeit für während des Bürgerkriegs begangene schwere Menschenrechtsverstöße Fortschritte macht.

Nach Beendigung des elfjährigen Bürgerkrieges im Jahre 2002 kehrt Sierra Leone immer mehr zu friedlichen und geordneten politischen Verhältnissen zurück. Die während des Bürgerkriegs begangenen Verbrechen werden umfassend ermittelt und aufgearbeitet (vgl. Truth & Reconciliation Commission of Sierra Leone, final report, Vol 3a, Chapter 3, The Military an Political History of the Conflict). Auf Grundlage einer Vereinbarung mit den Vereinten Nationen wurde ein Sondergerichtshof für Sierra Leone eingerichtet, (Special Court for Sierra Leone - SCSL), der für eine juristische Aufarbeitung sorgt, vor dem bereits eine Vielzahl von Prozessen stattgefunden hat und durch den u.a. der ehemalige liberianische Staatspräsident Charles Taylor wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 50 Jahren Gefängnis verurteilt wurde (vgl. AI - Amnesty Report 2013 Sierra Leone; U.S. Department of State - Sierra Leone Country Report on Human Rights Practices 2006; Wikipedia - https: …de.wikipedia.org/wiki/Sierra_Leone und https: …en.wikipedia.org/wiki/Charles_Taylor_(Liberian_politician) - zitiert jeweils nach Stand 19.1.2017).

Ein von der UNHCR initiiertes Repatriierungsprogramm für Bürgerkriegsflüchtlinge wurde im Juli 2004 abgeschlossen und ein Großteil der Flüchtlinge ist in ihre Heimat zurückgekehrt. Am 23. Juni 2006 wurde Sierra Leone als eines der ersten Länder vom UN-Sicherheitsrat auf die Agenda der 2005 ins Leben gerufenen Peacebuilding Commission (PBC) gesetzt. Nach Aussage des früheren UN-Generalsekretärs Ban Ki-Moon am 14. Juni 2010 in Freetown repräsentiert Sierra Leone einen der erfolgreichsten Fälle für Wiederaufbau, Friedenswahrung und Friedensaufbau nach einem Konflikt (Wikipedia - https: …de.wikipedia.org/wiki/Sierra_Leone - zitiert nach Stand 19.1.2017).

Ob eine Rückkehr traumatisierter Personen aus Krisenregionen trotz Aufarbeitung straffrei begangener Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen im Herkunftsland mit einer nicht hinnehmbaren Gefahr einer Retraumatisierung verbunden ist, hängt von den - einer ärztlichen Bescheinigung zu Grunde zu legenden - Einzelumständen, einerseits Art und Umfang einer erfolgten Aufarbeitung der Krise im Herkunftsstaat und andererseits Art, Dauer und Intensität des erlittenen Traumas ab. Der Befundbericht geht hierauf nicht ausreichend ein. Hinsichtlich der individuellen Umstände wird in dem Befundbericht selbst auf die Religiosität der Klägerin als stabilisierender Faktor hingewiesen. Die für die Herleitung eines dennoch drohenden Kontrollverlusts herangezogene Angst der Klägerin vor einer Rache der Bondo-Society wirkt konstruiert und weist im Hinblick auf die für die Traumatisierung in den Mittelpunkt gestellten Kriegserlebnisse auch keinen Zusammenhang auf. Unabhängig davon, dass eine entsprechende Gefahr für die Klägerin durch die Bondo-Society schon im Hinblick auf den Zeitablauf völlig unrealistisch ist, kann der Klägerin auch eine subjektive Angst vor landesweiter Bedrohung nicht abgenommen werden. Eine Angst (wohl eher vor sozialer Ächtung als vor Rache) wäre bei einer Rückkehr in die dörfliche Gemeinschaft, nicht aber bei einem - zumutbaren - Leben in einer der größeren Städte, z.B. Freetown, nachvollziehbar.

Im Hinblick auf die Behandlungsmöglichkeiten in Sierra Leone geht das Gericht davon aus, dass eine ausreichende therapeutische und psychiatrische Behandlung dort nicht sichergestellt ist und damit eine ausreichende Behandlung einer PTBS nicht möglich ist. Hierauf kommt es aber im Hinblick auf die Regelungen in § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG gerade nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, dass eine zur Vermeidung lebensbedrohlicher oder schwerwiegender Krankheitsfolgen ggfs. erforderliche Fortsetzung der medikamentösen Behandlung mit Antidepressiva auch in Sierra Leone gewährleistet ist. Entsprechend der Auskunftslage ist davon auszugehen, dass eine medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva auch in Sierra Leone erfolgen kann (vgl. Auskunft AA an VG Aachen vom 21.2.2007). Anhaltspunkte, dass sich hieran etwas geändert haben könnte, sind nicht substantiiert vorgetragen und - nach dem Ende der Ebola-Epidemie Anfang 2016 - jedenfalls im Hinblick auf große Städte wie Freetown nicht naheliegend. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der Klägerseite vorgelegten Entscheidungen des Bundesamts vom 1. Dezember 2016 sowie den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen, die in der mündlichen Verhandlung zu diesem und dem am gleichen Tag verhandelten und von der Bevollmächtigten vertretenen Verfahren M 21 K 13.30391 vorgelegt wurden. Dabei handelt es sich nur teilweise um Entscheidungen zu Sierra Leone. Bei den entsprechenden Entscheidungen standen im Mittelpunkt die therapeutischen und psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten. Soweit dort auch Fragen zur medikamentösen Versorgungslage angesprochen sind, handelt es sich um Fragen der individuellen Verfügbarkeit. Insoweit besteht keine ausreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klägerin nach einer Rückkehr dauerhaft nicht in der Lage ist, einen ausreichenden Unterhalt, der auch eine medikamentöse Behandlung einschließt, zu erzielen. Die Klägerin verfügte zumindest bei ihrer Ausreise offenbar über gute Kontakte und konnte sich über mehrere Jahre in Syrien und Argentinien eine Beschäftigung als Haushaltshilfe und Kindermädchen bei einem hochrangigen Diplomaten verschaffen. Zudem hat sie einen Sohn, der bei ihrem früheren Ehemann in Guinea lebt und - auch nach ihrer Ausreise - zeitweise in Sierra Leone gelebt hat, so dass im Rahmen der Reintegration notfalls eine Unterstützung durch diesen möglich ist.

Auch die geltend gemachte schwere depressive Episode ist nicht ausreichend durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung substantiiert worden, so dass auch insoweit eine Sachverhaltsermittlung im Rahmen der beantragten Beweiserhebung nicht veranlasst war. Insoweit gelten die Ausführungen unter (1) zum Erfordernis einer Bescheinigung eines approbierten Arztes entsprechend. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Diagnose und Behandlung einer depressiven Störung noch deutlich stärker medizinisch geprägt ist als die einer PTBS, bei der je nach den Gegebenheiten auch in erheblichem Umfang psychotherapeutische und sozialpsychiatrische Ansätze eine bedeutende Rolle spielen (vgl. das o.a. Gutachten im Verfahren M 21 K 13.30391). Die Diagnose des Befundberichts stützt sich insoweit zudem auf unzureichende Befunde, belässt es bei einer allgemeinen Wiedergabe berichteter Beschwerden und nimmt insbesondere keine zeitliche Eingrenzung der aufgetretenen Symptome vor. Die Bescheinigung ist damit nicht als Grundlage einer abschiebungsrelevanten Diagnose geeignet (vgl. BayVGH, B.v. 23.8.2016 a.a.O. - juris Rn. 16; OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 8.2.2012 a.a.O. - juris Rn. 11 ff.). Zudem ist auch insoweit entsprechend den Ausführungen unter (3) davon auszugehen, dass sich im Hinblick auf die Regelungen in § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG auch bei einer Wahrunterstellung der diagnostizierten schweren depressiven Episode kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergeben würde. Eine akut lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung der Klägerin liegt nicht vor, psychotische Symptome bestehen nicht. Eine ggfs. erforderliche Fortsetzung der medikamentösen Behandlung mit Antidepressiva ist auch in Sierra Leone gewährleistet.

Die im Übrigen vorgelegten Bescheinigungen erfüllen hinsichtlich der geltend gemachten schweren depressiven Episode die Voraussetzungen für eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung erkennbar nicht.

Die geltend gemachten körperlichen Beschwerden der Klägerin, insbesondere die in der ärztlichen Bescheinigung vom 27. Juni 2016 beschriebenen Diagnosen im Zusammenhang mit einer erlittenen Genitalverstümmelung, stellen für sich gesehen keine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG dar und sind insoweit nicht entscheidungsrelevant.

Schließlich folgt auch aus den schwierigen Lebensverhältnissen in Sierra Leone kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Bei den dort vorherrschenden Lebensbedingungen handelt es sich um eine Situation, der die gesamte Bevölkerung ausgesetzt ist, weshalb Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ausschließlich durch eine generelle Regelung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt wird. Anhaltspunkte für eine extreme Gefährdungslage bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ausnahmsweise nicht greift (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - juris LS 3 und Rn. 14; BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris Rn. 38), sind nicht erkennbar.

Nachdem auch die nach Maßgabe von § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden ist, war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

Vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung: § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren.

2

Der 1986 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er stammt aus der Provinz Helmand (Afghanistan), ist schiitischen Glaubens und gehört dem Volk der Hazara an. Im Februar 2009 reiste er nach Deutschland ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 17. März 2010 ab. Zugleich stellte es fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan an.

3

Nach Rücknahme der Klage auf Asylanerkennung hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans verpflichtet und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 27. April 2012 die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe weder unionsrechtlicher noch nationaler Abschiebungsschutz zu. Hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG gebe es keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung drohe. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG sei nicht erkennbar. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Da in Afghanistan kein landesweiter bewaffneter Konflikt herrsche, komme eine individuelle Bedrohung nur in Betracht, wenn sich der Konflikt auf den tatsächlichen Zielort bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat erstrecke. Dies sei die Herkunftsregion des Ausländers, in der er zuletzt gelebt habe bzw. in die er typischerweise zurückkehren könne und voraussichtlich auch werde. Der Kläger habe glaubhaft vorgetragen, dass er in seiner Heimatregion Helmand keine aufnahmebereiten Bekannten oder Verwandten und keine Existenzgrundlage mehr habe. Zudem habe er Angst vor einer dort lebenden Privatperson, außerdem befürchte er Diskriminierungen, denen seine Volksgruppe in Helmand in besonderem Maße ausgesetzt sei. Wolle bzw. werde der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren, sei auf das derzeit einzig mögliche Abschiebungsziel Kabul abzustellen. Dort herrsche kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt mehr. Die Sicherheitslage werde in Kabul, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet.

4

Dem Kläger stehe hinsichtlich Afghanistans auch nicht der hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz zur Seite. Es sei nicht ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte. Einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der allgemein schlechten Lebensverhältnisse in Afghanistan stehe § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG entgegen. Eine extreme Gefahrenlage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ausnahmsweise nicht greife, liege für Kabul nicht (mehr) vor. Vielmehr sei eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul zu erkennen, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder Anbindung an lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehe. Der Senat sehe keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Im Falle des Klägers seien auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten.

5

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 60 Abs. 2, 5 sowie 7 Satz 1 und 2 AufenthG. Außerdem macht er Verfahrensfehler geltend und regt zur weiteren Klärung des Gehalts der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 und 7 Satz 2 AufenthG eine Vorlage an den EuGH an.

6

Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

7

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil verletzt hinsichtlich des vom Kläger mit seinem Hauptantrag verfolgten Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes Bundesrecht. Das Berufungsgericht hat bei der im Rahmen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gebotenen Prüfung, ob am tatsächlichen Zielort des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein bewaffneter Konflikt besteht, nicht auf die Herkunftsregion des Klägers, sondern auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil nicht selbst abschließend über die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

9

1. Gegenstand des Verfahrens ist neben dem unionsrechtlichen Abschiebungsschutz weiterhin auch der vom Kläger hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht die Zulassung der Revision allein mit der grundsätzlichen Bedeutung einer auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz zugeschnittenen Frage begründet hat. Die Urteilsformel enthält keine Beschränkung der Zulassung auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz. Der Umfang der Zulassung ist daher unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtsmittelklarheit durch Auslegung zu ermitteln. Danach ist hier von einer uneingeschränkten Zulassung auszugehen. Die vom Kläger im Berufungsverfahren gestellten (Haupt- und Hilfs-)Anträge betreffen zwar unterschiedliche Streitgegenstände. Diese sind aber eng miteinander verflochten, insbesondere stellt sich die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage des maßgeblichen Anknüpfungsortes nicht nur beim unionsrechtlichen, sondern auch beim nationalen Abschiebungsschutz. Für eine uneingeschränkte Zulassung der Revision spricht im Übrigen auch die dem Berufungsurteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung, die sich lediglich auf das Rechtsmittel der Revision bezieht.

10

2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens auf Gewährung von Abschiebungsschutz ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 10). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte. Maßgeblich ist daher für das Revisionsverfahren das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Unionsrechtlich finden sowohl die Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikations-Richtlinie - vom 29. April 2004 (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) Anwendung als auch die - während des Berufungsverfahrens in Kraft getretene - Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337 vom 20. Dezember 2011 S. 9). Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen wurde den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU) und es bleibt bis zum Ablauf dieser Frist bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Art. 41 Abs. 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (vgl. Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU).

11

3. Das Berufungsurteil verletzt in Bezug auf den vom Kläger primär begehrten unionsrechtlichen Abschiebungsschutz Bundesrecht. Die diesbezüglichen Vorgaben des Art. 15 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG) sind in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG - in überschießender Umsetzung - als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet und bilden einen eigenständigen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (Urteile vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 11 und vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und 16).

12

3.1 Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit einer Begründung abgelehnt, die revisionsrechtlicher Prüfung nicht standhält. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

13

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses - die Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU) umsetzenden - Abschiebungsverbots können auch dann erfüllt sein, wenn sich der bewaffnete Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 25). In diesem Fall ist Bezugspunkt für die Gefahrenprognose der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07, Elgafaji - NVwZ 2009, 705 Rn. 40).

14

Das Berufungsgericht hat dies zutreffend zu Grunde gelegt. Es hat aber nicht geprüft, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht, sondern stattdessen auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt, weil der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 14. November 2012 (BVerwG 10 B 22.12 - juris Rn. 7) als geklärt gesehen hat, kommt es für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, aber weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Ein Abweichen von der Regel kann insbesondere nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen ihm § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewähren soll. Dies ergibt sich schon aus dem systematischen Zusammenhang der unionsrechtlichen Abschiebungsverbote mit den Bestimmungen über den internen Schutz (Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG; künftig: Art. 8 der Richtlinie 2011/95/EU). Kommt die Herkunftsregion als Zielort wegen der dem Ausländer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf eine andere Region des Landes verwiesen werden. Der Begriff des "tatsächlichen Zielortes der Rückkehr" ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da es bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG um den Schutz vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat geht, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat, etwa weil Familienangehörige getötet worden sind oder diese Gebiete ebenfalls verlassen haben. Auch soweit die nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände begründet worden ist, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage), und es mangels Existenzgrundlage und Zukunftsperspektive eine nachvollziehbare Haltung ist, nicht in die Herkunftsregion zurückkehren zu wollen, behält diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aus.

15

Diese Ausdeutung des vom Gerichtshof der Europäischen Union - EuGH - (Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 40) verwandten Begriffs des tatsächlichen Zielorts der Rückkehr kann vorgenommen werden, ohne diesem die Rechtssache zur Vorabentscheidung vorzulegen. Der EuGH hat den Begriff in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 zwar nicht abschließend definiert. Die hier entfaltete Auslegung trägt aber dem Zweck der Vorschriften über den internen Schutz Rechnung und folgt damit der Vorgabe des EuGH, die Auslegung nationalen Rechts so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Art. 249 Abs. 3 EG (inzwischen: Art. 288 AEUV) nachzukommen (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 42).

16

Das Berufungsurteil verstößt nach den vorstehenden Grundsätzen gegen Bundesrecht, weil es für das Bestehen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht die Verhältnisse in der Herkunftsregion des Klägers in den Blick genommen, sondern auf die Lage in Kabul als dem voraussichtlichen Zielort einer Abschiebung abgestellt hat. Den Feststellungen des Berufungsgerichts ist aber nicht zu entnehmen, dass der Kläger sich vor seiner Ausreise dauerhaft in einer anderen Region als Helmand niedergelassen hat. Er ist zwar zunächst mit seiner Lebensgefährtin nach Kabul (und später in den Iran zu seiner Schwester) gegangen. Dies geschah nach seinen Angaben aber allein aus Angst vor dem Vater seiner Lebensgefährtin; zur Dauer und den näheren Umständen des Aufenthalts in Kabul enthält das Berufungsurteil keine Feststellungen. Die vom Berufungsgericht angeführten Erwägungen, warum der Kläger nicht nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde, lassen die Relevanz der Heimatregion für die Gefahrenprognose bei einem bewaffneten Konflikt nicht entfallen.

17

3.2 Das Berufungsurteil beruht auf diesem Fehler. Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen zur Lage in der Provinz Helmand getroffen. Ob in dieser Region ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht und dem Kläger dort die in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG definierte Gefahr droht, kann daher revisionsgerichtlich weder festgestellt noch ausgeschlossen werden.

18

3.3 Die Entscheidung erweist sich hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO) oder unrichtig, so dass der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden kann.

19

a) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheidet nicht schon deshalb aus, weil der Kläger - einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in seiner Herkunftsregion unterstellt - in Kabul internen Schutz finden könnte. Dies würde nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG voraussetzen, dass für den Kläger in Kabul nicht nur keine Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, sondern von ihm auch vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält.

20

Auch hierzu fehlen hinreichende tatrichterliche Feststellungen. Das Berufungsgericht hat in Bezug auf Kabul zwar festgestellt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG nicht vorliegen, weil dort keine extreme Gefahrenlage herrsche und zu erwarten sei, dass Rückkehrer durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Nach Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG muss beim internen Schutz die Existenzgrundlage aber so weit gesichert sein, dass vom Ausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus; weiterhin offenbleiben kann, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen (vgl. Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 Rn. 35).

21

b) Umgekehrt kann auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Berufungsurteil hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes aus anderen Gründen unrichtig ist. Das Berufungsgericht hat vor allem im Ergebnis zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG verneint. Ein solches Abschiebungsverbot ergibt sich - entgegen der Auffassung der Revision - insbesondere nicht aus den allgemeinen humanitären Verhältnissen in Afghanistan.

22

Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem Abschiebungsverbot wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU) umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685) - EMRK - orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM <2001> 510 endgültig S. 6, 30). Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG auch über Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83, 389) - GR-Charta - zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn das ernsthafte Risiko der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Dies gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta auch für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch die Regelung in Art. 19 Abs. 2 GR-Charta die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 15 und 17).

23

Entgegen der Auffassung der Revision ist der neueren Rechtsprechung des EGMR nicht zu entnehmen, dass sich der Maßstab für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bei Abschiebungen in Staaten mit schwierigen Lebensbedingungen nach den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung" bestimmt. Entsprechendes ergibt sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/06 - NVwZ 2011, 413). Bereits in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (BVerwG 10 B 16.12 - juris Rn. 8 f.) hat der Senat dargelegt, dass der EGMR davon ausgeht, dass die Staaten - unbeschadet ihrer vertraglichen Verpflichtungen einschließlich derer aus der Konvention selbst - das Recht haben, die Einreise fremder Staatsbürger in ihr Hoheitsgebiet zu regeln (EGMR, Urteile vom 28. Mai 1985 - Nr. 15/1983/71/107-109, Abdulaziz u. a./Vereinigtes Königreich - NJW 1986, 3007 Rn. 67; vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 54 und vom 28. Juni 2012 - Nr. 14499/09, A.A. u.a. - Rn. 71). Die Abschiebung durch einen Konventionsstaat kann aber dessen Verantwortlichkeit nach der Konvention begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. In einem solchen Fall ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die Person nicht in dieses Land abzuschieben (stRspr, EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering/Vereinigtes Königreich - NJW 1990, 2183 Rn. 90 f. und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125). Allerdings können Ausländer kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 - Nr. 26565/05, N./Vereinigtes Königreich - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42). So hat der EGMR ein Abschiebungsverbot aus Art. 3 EMRK zugunsten eines im fortgeschrittenen, tödlichen und unheilbaren Stadiums an Aids Erkrankten angenommen, weil die Abschiebung seinen Tod beschleunigen würde, er keine angemessene Behandlung erreichen könne und kein Beweis für irgendeine mögliche moralische oder soziale Unterstützung im Zielstaat zu erbringen sei (EGMR, Urteil vom 2. Mai 1997 - Nr. 146/1996/767/964, D./Vereinigtes Königreich - NVwZ 1998, 161 Rn. 52 f.). Zusammenfassend führt der Gerichtshof zur Herleitung eines Abschiebungsverbots aus Art. 3 EMRK aufgrund von Krankheiten aus, dass angesichts der grundlegenden Bedeutung von Art. 3 EMRK im System der Konvention zwar eine gewisse Flexibilität notwendig sei, um eine Ausweisung (expulsion) in besonderen Ausnahmefällen zu verhindern. Doch verpflichte Art. 3 EMRK die Staaten nicht, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 a.a.O. Rn. 44).

24

Wie der Senat in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (a.a.O. Rn. 9) ausgeführt hat, ist diese gefestigte Rechtsprechung durch das Urteil der Großen Kammer vom 21. Januar 2011 (a.a.O.) im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland nicht grundsätzlich revidiert worden. Dieses Urteil verhält sich - entgegen der Auffassung der Revision - erkennbar nicht zu den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung". Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die - in einem ihnen völlig fremden Umfeld - vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259).

25

Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR (vgl. Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 9 m.w.N.). In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 im Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich (Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen - wie in Somalia - nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (a.a.O.) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Beschwerdeführers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f.).

26

Welche Anforderungen sich aus dieser Rechtsprechung des EGMR im Einzelnen für Abschiebungen in den Herkunftsstaat bei schlechten humanitären Bedingungen ergeben, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Denn selbst der EGMR geht in Bezug auf Afghanistan davon aus, dass die allgemeine Lage dort nicht so ernst ist, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK wäre (EGMR, Urteil vom 13. Oktober 2011 - Nr. 10611/09, Husseini/Schweden - NJOZ 2012, 952 Rn. 84). Auch auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts liegen die Voraussetzungen für eine allein auf die allgemeinen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte Verletzung des Art. 3 EMRK ersichtlich nicht vor. Maßgeblich ist dabei die Perspektive des abschiebenden Staates, aus dessen Sicht zu prüfen ist, ob der Betroffene durch die Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Bei dieser Prüfung stellt der EGMR grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat ab und prüft zunächst, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011 a.a.O. Rn. 265, 301, 309). Das gilt auch bei der Beurteilung von Umständen, die nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen, dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK aber dennoch eine Abschiebung des Ausländers verbieten.

27

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass derzeit nur eine Abschiebung nach Kabul möglich ist (UA S. 14). Zugleich hat es sich bezüglich der allgemeinen Lebensbedingungen in Kabul - im Rahmen seiner Ausführungen zu § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG - in tatsächlicher Hinsicht der Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs angeschlossen, dass zu erwarten sei, dass Rückkehrer dort durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten (UA S. 23). Die daran anschließende Bemerkung des Berufungsgerichts, aufgrund der schlechten Gesamtsituation dürfte ohne schützende Familien- und Stammesstrukturen eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten "kaum zumutbar" sein, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Sie umfasst nicht die tatsächliche Feststellung, die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Abschiebezielstaat seien so schlecht, dass nach Art. 3 EMRK von einer Abschiebung zwingend abgesehen werden müsse. Mit dieser Formulierung bringt das Berufungsgericht lediglich seine Haltung zum Ausdruck, dass die rechtlichen "Hürden" des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG seiner Auffassung nach zu hoch sind, und lässt in der Sache sein Bedauern erkennen, dass die oberste Landesbehörde für Afghanistan keinen generellen Abschiebestopp aus humanitären Gründen gemäß § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG angeordnet hat und das Gericht diese politische Entscheidung - unterhalb der hier nicht erreichten Grenze verfassungsrechtlich gebotenen Abschiebungsschutzes - nicht zu ersetzen vermag (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 5).

28

Damit liegen die tatsächlichen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG - ungeachtet des Umstandes, dass bei § 60 Abs. 2 AufenthG und bei § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in rechtlicher Hinsicht unterschiedliche Maßstäbe gelten - ersichtlich nicht vor. Selbst bei Zugrundelegung der - vom EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland für einen gänzlich anderen Anwendungsfall entwickelten und in den Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich auf eine ebenfalls andere Ausgangssituation im Herkunftsstaat übertragenen - abgesenkten und auf die Situation besonderer Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit bezogenen Maßstäbe ergäbe sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zu den Verhältnissen in Kabul für den Kläger kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 10).

29

Auch insoweit bedarf es keiner Vorlage an den EuGH. Die Voraussetzungen, unter denen einen abschiebenden Staat aus Art. 3 EMRK ausnahmsweise eine Verantwortung für nicht dem Abschiebezielstaat oder anderen Akteuren zuzurechnende Umstände trifft, ergeben sich aus der Rechtsprechung des EGMR und werfen im vorliegenden Verfahren keine entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Zweifelsfragen auf. Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU zu beachten. Dass die Richtlinie in Bezug auf Art. 3 EMRK bei Umständen, die weder in die Verantwortung des Abschiebezielstaats noch eines sonstigen Akteurs fallen, keinen über die Rechtsprechung des EGMR hinausgehenden Schutz gewährt, ergibt sich schon aus Art. 6 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 6 der Richtlinie 2004/83/EG). Denn dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass es nach den Vorstellungen des Richtliniengebers auch beim subsidiären Schutz grundsätzlich eines Akteurs bedarf, von dem ein ernsthafter Schaden ausgehen kann.

30

4. Kann der Senat mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen weder positiv noch negativ abschließend über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden, so ist das Berufungsurteil schon aus diesem Grund aufzuheben und das Verfahren an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, ohne dass es auf die von der Revision fristgerecht erhobenen Verfahrensrügen ankommt. Zur Klarstellung weist der Senat allerdings darauf hin, dass die gerügten Verfahrensfehler nicht vorliegen. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen in den Beschlüssen des Senats vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 16.12 und 10 B 20.12 - zu vergleichbaren Verfahrensrügen des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Das Berufungsgericht hat auch nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, weil es den Rechtsstreit nicht dem EuGH vorgelegt hat. Ein solcher Verstoß scheidet schon deswegen aus, weil es nach Art. 267 Abs. 2 AEUV zwar zur Vorlage berechtigt, nicht aber verpflichtet ist. Unabhängig davon liegen die Voraussetzungen für eine Vorlage an den EuGH aber auch nicht vor. Die entscheidungserheblichen Fragen des Unionsrechts sind in der Rechtsprechung des EuGH geklärt bzw. unterliegen keinen Zweifeln, die eine Vorlage rechtfertigen oder gar gebieten. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.

31

5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

32

5.1 Das Berufungsgericht wird hinsichtlich des Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes vor allem mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auf aktueller Tatsachengrundlage zu klären haben, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht und ihm dort die Gefahren drohen, vor denen § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewährt. Ist dies der Fall, hat es weiter zu prüfen, ob der Kläger nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf die Möglichkeit internen Schutzes in einem anderen Landesteil - insbesondere Kabul - verwiesen werden kann.

33

5.2 Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes hat, wird es auf aktueller Erkenntnislage auch erneut über den Hilfsantrag des Klägers auf Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 und 3 AufenthG zu entscheiden haben.

34

a) Dabei kann dahinstehen, wie die Aussage des Berufungsgerichts bei § 60 Abs. 5 AufenthG zu verstehen ist, dass bezüglich Art. 3 EMRK die weitergehende und unionsrechtlich aufgeladene Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG "vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen" sei. Sollte das Berufungsgericht damit zum Ausdruck bringen wollen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK durch § 60 Abs. 2 AufenthG verdrängt wird, wäre dies allerdings nicht mit Bundesrecht zu vereinbaren.

35

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (Urteil vom 11. November 1997 - BVerwG 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen ("zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse).

36

Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich zwar weitgehend identisch mit dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 60 Abs. 2 AufenthG knüpft - wie dargelegt - an Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. Auch wenn bei Anträgen auf internationalen Schutz der unionsrechtliche Abschiebungsschutz - und damit auch das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG - vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu prüfen ist, folgt hieraus in Bezug auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK keine (verdrängende) Spezialität des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG, die eine Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG bereits dem Grunde nach ausschließt. Die Gewährleistung nach nationalem Recht tritt vielmehr selbstständig neben die aus Unionsrecht. Eine tatbestandsausschließende Spezialität des § 60 Abs. 2 AufenthG wäre mit dem hohen Rang, den die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter haben, unvereinbar. Damit ist hinsichtlich des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in jedem Fall materiell zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllt sind. In Fällen, in denen - wie hier - gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet allerdings bei Verneinung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind.

37

b) Schließlich soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat auch dann abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, grundsätzlich nur nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (Sperrwirkung).

38

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen kann, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (stRspr, vgl. Urteil vom 8. September 2012 - BVerwG 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 - Rn. 22 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.

39

Das Berufungsgericht hat in Anwendung dieser Maßstäbe ein Abschiebungsverbot verneint, weil in tatsächlicher Hinsicht zu erwarten sei, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Dabei hat es weder die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit, dass es infolge der problematischen Versorgungslage, die neben der Versorgung mit Lebensmitteln auch die medizinische Versorgung und die Versorgung mit Wohnraum umfasst, zur Beeinträchtigung fundamentaler Schutzgüter kommen werde, überspannt noch hat es seine tatrichterliche Überzeugung auf einer zu schmalen Tatsachenbasis gebildet. Soweit die Revision geltend macht, das Berufungsgericht habe im Rahmen der Beurteilung einer extremen Gefahrenlage die medizinische Versorgungslage nicht hinreichend berücksichtigt, verkennt sie, dass diese nur bei akut behandlungsbedürftigen Vorerkrankungen oder in Fällen von Bedeutung ist, in denen aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse mit einer entsprechend hohen Wahrscheinlichkeit eine lebensbedrohliche Erkrankung zu erwarten ist, für die dann faktisch kein Zugang zu medizinischer (Grund-)Versorgung besteht (s.a. Beschluss vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 20.12 - Rn. 14).

40

Soweit das Berufungsgericht im Übrigen der Auffassung ist, das Bundesverwaltungsgericht stelle an das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung überzogene rechtliche Anforderungen, geben die Ausführungen dem Senat keine Veranlassung zu einer Änderung seiner Rechtsprechung. Das Berufungsgericht begründet seine Kritik damit, dass die Zumutbarkeit einer Rückkehr unter humanitären Gesichtspunkten, die es aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen selbst für gesunde alleinstehende Männer "kaum" für gegeben hält, nach der Rechtsprechung "kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG" sei. Mit diesen Erwägungen stellt es dem aus dem Verfassungsrecht abgeleiteten Rechtsbegriff der Zumutbarkeit eine eigene - mit außerrechtlichen Erwägungen begründete und enger gefasste - Zumutbarkeit gegenüber und vermischt damit die Grenze zwischen einer dem Betroffenen rechtlich (noch) zumutbaren und einer nicht (mehr) zumutbaren Rückkehr. Dabei vernachlässigt es zudem, dass es bei der verfassungskonformen Auslegung nicht um die Bestimmung eines aus Sicht des jeweiligen Gerichts "sinnvollen" und/oder "menschenrechtsfreundlichen" Abschiebungsschutzregimes geht, sondern um die Festlegung der Voraussetzungen, unter denen im gewaltenteilenden Rechtsstaat die Rechtsprechung befugt ist, über eine verfassungskonforme Auslegung ausnahmsweise die Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, allgemeine Gefahren nur im Rahmen einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen, unbeachtet zu lassen. Hierbei macht es in der Sache einen erheblichen Unterschied, ob ein Mensch ohne jeden Ausweg in eine Situation gebracht wird, in der er so gut wie keine Überlebensmöglichkeit hat, oder ob er bei allen - auch existenzbedrohenden - Schwierigkeiten nicht chancenlos ist, sondern die Möglichkeit hat, Einfluss auf sein Schicksal zu nehmen.

41

Die weiteren Zweifel des Berufungsgerichts, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden könne, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen, betreffen nicht den materiell-rechtlichen Maßstab für die Beurteilung einer extremen Gefahrenlage selbst. Die damit ausgedrückte Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. Urteil vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 Rn. 22) vernachlässigt, dass diese Auseinandersetzung nicht als Selbstzweck gefordert wird. Sie zielt auf eine Verbesserung der Entscheidungsqualität durch Verbreiterung der erkennbar in die tatrichterliche Bewertung eingestellten Tatsachen- und Argumentationsbasis. Dies gilt namentlich in Fällen, in denen es - wie hier - im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG um eine "Korrektur" des demokratisch legitimierten Gesetzgebers geht, für die im Rahmen der Tatsachen- und Lagebeurteilung eine umfassende Gesamtwürdigung der voraussichtlichen Lebensbedingungen im Abschiebezielstaat und der damit verbundenen Gefahren erforderlich ist.

(1) Das Bundesamt erlässt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn

1.
der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird,
2.
dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird,
2a.
dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt wird,
3.
die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes ausnahmsweise zulässig ist und
4.
der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt.
Eine Anhörung des Ausländers vor Erlass der Abschiebungsandrohung ist nicht erforderlich. Im Übrigen bleibt die Ausländerbehörde für Entscheidungen nach § 59 Absatz 1 Satz 4 und Absatz 6 des Aufenthaltsgesetzes zuständig.

(2) Die Abschiebungsandrohung soll mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, sind die Entscheidungsformel der Abschiebungsandrohung und die Rechtsbehelfsbelehrung dem Ausländer in eine Sprache zu übersetzen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.