Verwaltungsgericht München Urteil, 25. Juli 2017 - M 17 K 17.35494
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamts für ... vom 6. März 2017 wird in den Nrn. 1, 3 bis 6 aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger 1/3, die Beklagte 2/3.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
-
1.den Bescheid vom 6. März 2017 aufzuheben,
-
2.die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
-
3.hilfsweise, dem Kläger subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
-
4.hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Gründe
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(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.
(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.
(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.
(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.
(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.
(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.
(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.
(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.
(7) Gegen einen Ausländer,
- 1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder - 2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.
(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Das Urteil ergeht "Im Namen des Volkes". Es ist schriftlich abzufassen und von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterzeichnen. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies mit dem Hinderungsgrund vom Vorsitzenden oder, wenn er verhindert ist, vom dienstältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. Der Unterschrift der ehrenamtlichen Richter bedarf es nicht.
(2) Das Urteil enthält
- 1.
die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Beruf, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren, - 2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, - 3.
die Urteilsformel, - 4.
den Tatbestand, - 5.
die Entscheidungsgründe, - 6.
die Rechtsmittelbelehrung.
(3) Im Tatbestand ist der Sach- und Streitstand unter Hervorhebung der gestellten Anträge seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen. Wegen der Einzelheiten soll auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt.
(4) Ein Urteil, das bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefaßt war, ist vor Ablauf von zwei Wochen, vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefaßt der Geschäftsstelle zu übermitteln. Kann dies ausnahmsweise nicht geschehen, so ist innerhalb dieser zwei Wochen das von den Richtern unterschriebene Urteil ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung der Geschäftsstelle zu übermitteln; Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung sind alsbald nachträglich niederzulegen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übermitteln.
(5) Das Gericht kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsakts oder des Widerspruchsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.
(6) Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat auf dem Urteil den Tag der Zustellung und im Falle des § 116 Abs. 1 Satz 1 den Tag der Verkündung zu vermerken und diesen Vermerk zu unterschreiben. Werden die Akten elektronisch geführt, hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle den Vermerk in einem gesonderten Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.
(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.
(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.
(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
Die Kläger, ein Ehepaar und ihr gemeinsames Kind, sind iranische Staatsangehörige persischer Volkszugehörigkeit. Sie reisten am
Am
Der Kläger zu 1.) gab an, am 26. August 2012 seien der Schleuser, seine Frau, seine Tochter und er ca. 6,5 Stunden lang von ... nach ... geflogen. Für die Einreise nach Deutschland hätten sie drei gefälschte rote Reisepässe mit ihren Fotos und anderen Personalien, die ihnen der Schleuser mit dem Namen „...“ in ... übergeben und in Deutschland einbehalten habe. Es habe keine Probleme bei der Einreise gegeben, er wisse nicht von welchem Land die für die Reise benutzten Pässe ausgestellt wurden oder auf welchen Namen. Die Reisepässe wären von der deutschen Polizei kontrolliert und die Kläger problemlos durchgelassen worden. Daraufhin habe der Schleuser die Pässe wieder an sich genommen. Der Schleuser sei mit ihnen mit einem Auto von ... nach ... gefahren. Die Kläger hätten sich daraufhin in der Erstaufnahmeeinrichtung in ... als Asylsuchende gemeldet. Für die Schleusung hätten die Kläger 48 Millionen Tuman (30.000 €) im Iran an den Schleuser bezahlt. Sie seien das erste Mal in Deutschland.
Er könne keine Personalpapiere vorlegen, habe im Iran jedoch eine Geburtsurkunde, eine Nationalkarte und auch einen mittlerweile abgelaufenen Reisepass besessen. Diese Dokumente hätten die Kläger wegen der Flucht nicht mitnehmen können, lediglich eine Faxkopie seiner Geburtsurkunde habe er vorlegen können.
Seine letzte Wohnanschrift im Heimatland sei ...-..., ...-..., ... gewesen. Er habe dort zusammen mit seiner Frau und seinem Kind bis 50 Tage vor der Ausreise gelebt. Die letzten 50 Tage seien sie bei einem Freund namens ... in ... gewesen.
Im Iran habe er während der 12. Klasse die schulische Ausbildung abgebrochen und keine weitere Schulausbildung erhalten. Danach habe er einen 3-monatigen Friseurlehrgang absolviert und bis zu seiner Ausreise als Herrenfriseur gearbeitet. Zunächst habe er einen eigenen Salon in ... gehabt, der dann geschlossen worden sei; später habe er bei einem Freund in dessen Salon gearbeitet.
Zu den unmittelbaren Gründen seiner Ausreise erklärte der Kläger, er sei aktiv in der Gesellschaft der Bahá´í, seine Mutter sei auch Bahá´í und er habe sich religiös betätigt. Im Jahre 1385 (2006/07) sei er einmal festgenommen worden. Zu dieser Zeit wäre seine Frau von einer Kugel am Bein getroffen worden. Sie sei damals durch Hinterlegung einer Kaution freigelassen worden, weil sie am Bein geblutet habe. Er sei aber zum Informationsamt in ... in der Nähe von ... gebracht worden. Man habe ihn 12 Tage lang verprügelt, ihn auch teilweise unter der Schulter aufgehängt, so dass die Schulter ausgekugelt worden sei. Sein Vater habe einen Rechtsanwalt eingeschaltet, seine Frau sei daraufhin gegen Zahlung einer Strafe von 1,5 Millionen Tuman freigelassen worden. Er sei zu zwei Jahren Haft verurteilt worden und sollte diese zwei Jahre im Gefängnis Jaban absitzen. Weil er zum ersten Mal straffällig geworden sei, habe sein Rechtsanwalt nach einem Jahr eine Freilassung auf Bewährung erreicht. Nach dieser Freilassung sei sein Friseurladen geschlossen gewesen, weil die Bahá´í-Angehörigen kein Gewerbe ausüben dürften; seine Gewerbeerlaubnis sei für ungültig erklärt worden. Er sei dann nach ... gegangen und habe in der Folgezeit im Friseursalon eines Freundes gearbeitet. Sechs bis sieben Monate habe er sich etwas zurückgehalten, weil er eine entsprechende Erklärung unterschrieben hätte, aber das Missionieren gehöre auch zu den Pflichten der Bahá´í. Deshalb habe er wieder begonnen, Propaganda für die Bahá´í-Religion zu machen. ... sei eine riesige Stadt, so dass es etwas einfacher sei; man würde nicht so streng beobachtet, wenn man sich religiös betätige. Er habe versucht, unter seinen Kunden vertrauenswürdige Leute für seine Sache zu gewinnen. Er habe auch Sitzungen mit guten Kunden abgehalten. Er sei stolz darauf, im Stadtteil ...-... für die Bahá´í-Religion missioniert zu haben. Er habe über die Bahá´í-Religion mit seinen Kunden gesprochen. Im Rahmen von Unterrichtsklassen habe er seine Kunden in dieser Religion unterwiesen.
Am ... 1391 (...2012) habe seine Frau ihren Geburtstag gefeiert. Er sei an diesem Freitag nicht im Geschäft gewesen, den Abend hätte den sie bei seiner Schwester wegen des größeren Hauses verbracht, sie seien auch zur Feier über Nacht geblieben. Gegen 11:00 Uhr oder 12:00 Uhr vormittags, am ...Tir habe sein Freund ... aus dem Friseursalon bei seiner Frau auf dem Handy angerufen. Der Kläger zu 1.) habe das Telefon bekommen und erfahren, dass drei Staatsbedienstete im Salon erschienen seien und nach ihm gefragt hätten. Diese hätten auch nach seiner Adresse gefragt und der ... habe sie denen auch gegeben. Auch die Adresse des Vaters des Klägers hätten sie von ihm bekommen. Die Bediensteten hätten seinen Freund auch gefragt, ob der Kläger im Laden einen Schrank mit persönlichen Gegenständen besäße. ... hätte diese Aussage bejaht, woraufhin in diesem Schrank einige Gebete und göttliche Aussagen sichergestellt worden seien, er meine damit diese Bahá´í-Bücher. Weil er schon einmal auffällig geworden sei und ihm die Strafe auf Bewährung erlassen worden war, habe der Kläger zu 1.) gewusst, dass er in diesem Fall sehr hart bestraft werden würde und die alte Strafe von einem Jahr noch hinzu kommen würde. Bereits im Jahre 1370 (1991/92) sei ein Onkel von ihm im ...-Gefängnis wegen seines Bahá´í-Engagements zu Tode gefoltert worden. Sein Vater habe gemeint, ein Opfer sei genug, er solle nicht den gleichen Weg gehen. Mit Hilfe eines Fluchthelfers habe sein Vater dann die Vorbereitungen für die Ausreise getroffen.
Nach diesem Vorfall seien sie nicht mehr zu Hause gewesen und hätten auch keine persönlichen Gegenstände von zu Hause geholt, sondern alles neu gekauft. Anfangs hätten sie gar nicht gewusst, was zu tun sei. Er habe aber gedacht, es sei nicht ratsam, bei seiner Schwester zu bleiben, weil sie dort hätten gefunden werden können. Er habe daraufhin seinen Freund ... angerufen, der gerade umgezogen sei und nicht einmal dessen Familienangehörigen die neue Adresse gekannt hätten. Dieser habe gesagt, bei ihm seien sie sicher. Sie seien dann sofort zu ihm gefahren und bis zu ihrer Ausreise dortgeblieben; in dieser Zeit hätten sie nicht einmal ihre Nase aus dem Haus gestreckt.
Zum religiösen Hintergrund gab der Kläger zu 1.) an, seine Mutter sei Bahá´í gewesen, nicht aber sein Vater. Bei den Bahá´í sei es nicht so, dass man durch Geburt Bahá´í werde. Man entscheide sich erst im Alter von 16 Jahren selbst, ob man den Bahá´í-Glauben annehmen möchte. Er habe sich dann mit 16 Jahren dazu entschlossen. Auf die Frage, ob er also seit 17 Jahren schon Bahá´í sei, antwortete er, er sei erst nach seiner Heirat und nach der Geburt seines Kindes Bahá´í geworden, also erst seit etwa 7-8 Jahren. Seine Frau sei nicht Bahá´í. Es sei aus Sicht seines Glaubens nicht bedenklich, als Bahá´í eine Muslimin zu heiraten. Nach Vorlage eines Schreibens, in dem bestätigt wurde, dass beide Antragsteller Bahá´í seien, stellte der Kläger klar, nur er sei Bahá´í. Durch Gespräche mit seiner Mutter und durch die reine Seele seiner Mutter sei er auf diesen Weg gebracht worden. Seit der islamischen Revolution sei es im Iran nicht mehr möglich, den Bahá´í-Glauben auszuüben die Ausübung des Glaubens erfolgte deshalb im Geheimen. Er habe mit anderen Bahá´í-Gläubigen Gebete praktiziert und ihre Geistlichen hätten ihnen die Lehre seiner Heiligkeit Bahá´u´lláh beschrieben. Er habe sich regelmäßig mit anderen Bahá´í-Gläubigen in Rhuhdehen getroffen. Am Ende jeden Bahá´í-Monats (19 Monate mit je 19 Tagen im Jahr) habe er sich mit den anderen Gläubigen getroffen. Diese Treffen hätten abwechselnd bei Mitgliedern zu Hause stattgefunden, zum Ende jeder Sitzung sei der Ort der nächsten beschlossen worden. Seine Frau sei bei einer Sitzung dabei gewesen, als sie von einer Kugel getroffen worden sei. Bei diesem Vorfall im Jahre 1385 seien sie bei einem Freund namens ... gewesen und hätten dort ihre Gebetsstunde abgehalten. Nach einer Stunde habe es geklingelt und 15 Beamte seien ins Haus gekommen. Seine Frau sei sehr aufgeregt gewesen und habe angefangen zu weinen. Er habe versucht, sie zu beruhigen. Es hätten chaotischer Zustände geherrscht, er habe seiner Frau gesagt, sie solle durch die kleine Tür versuchen, abzuhauen. Dabei sei sie von einer Kugel getroffen worden. Damals seien alle Mitglieder der Gruppe festgenommen worden, die Jüngeren seien ins ...-Gefängnis, die Älteren, vor allem die Geistlichen, ins ... Gefängnis gebracht worden.
Er selbst habe später bei Kunden zu Hause, gelegentlich auch bei ihm oder im Hause von ... seine Kunden im Glauben unterwiesen. Er habe ihnen hauptsächlich die Lehre von Bahá´u´lláh und die Einheit der menschlichen Gesellschaft gelehrt.
Im Übrigen habe er nach seiner Freilassung bis zum Flucht auslösenden Vorfall keine direkten Probleme oder Zusammenstöße mit den iranischen Sicherheitskräften gehabt. Er wisse nicht, wie es dazu kam, dass die Sicherheitskräfte am ...1391 in den Friseurladen gekommen seien. Er vermute, dass eine Sitzung erkannt worden sei oder ein Teilnehmer aufgeflogen sei als man ihn damals im Jahre 1385 festgenommen hatte, habe man ihn vor die Wahl gestellt, als Spitzel für die Regierung zu arbeiten und Interessenten zu denunzieren, dafür hätte er seine Gewerbeerlaubnis wiederbekommen. Er habe nach diesem Ereignis keinen Kontakt zu anderen Mitgliedern seiner Gruppe aufgenommen, weil er das Risiko nicht hätte eingehen können, dass seiner Frau oder seiner Tochter etwas passiere.
Abschließend äußerte der Kläger, seine Tochter habe keine eigenen Asylgründe. Seine Frau sei Muslimin, er wolle aber nicht das Risiko eingehen, dass man sie in Sippenhaft nehme.
Die Klägerin zu 2.) trug in der Anhörung am
In ihrem Heimatland sei sie einmal festgenommen worden, als sie im Jahre 1385 (2006/07) zum ersten Mal an einer Sitzung der Bahá´í teilgenommen habe. Sie seien zu dieser Sitzung eingeladen worden. Ihr Mann habe sie an diesem Freitag gebeten, ihn zu begleiten. Sie habe ihren Mann dann zu dieser Sitzung begleitet. Es wären vielleicht 15-20 Gäste dort gewesen, sie wären dabei gewesen und hätten Gebete rezitiert. Nach dem Gebet habe einer der Älteren begonnen, über die Bahá´í-Religion und über Bahá´u´lláh zu sprechen. Da habe es an der Tür geklingelt und der Hausherr namens Shamim habe geöffnet. Es seien ca. 10 Staatsbeamte hereingekommen, darunter zwei oder drei Frauen. Einige der jungen Männer unter den anwesenden Gästen hätten versucht zu fliehen. Sie habe große Angst bekommen, sie sei das erste Mal dort gewesen und hätte gehört, dass das Interesse an oder die Zugehörigkeit zur Bahá´í-Religion schwer geahndet werde. Außerdem habe sie einen Säugling zu Hause gehabt, den sie gerade bei ihrer Schwiegermutter gelassen habe. Sie habe ihren Ehemann gebeten, abzuhauen. Als die Beamten auf sie zugekommen seien, habe ihr Ehemann eine körperliche Auseinandersetzung mit denen provoziert, um ihr die Möglichkeit der Flucht über den Hof zu geben. Sie habe die ganze Zeit nur an ihr Kind gedacht. Einer der Beamten habe „halt“ geschrien, sie sei allerdings nicht stehen geblieben. Daraufhin habe er ihr in das linke Bein geschossen und sie sei hingefallen. Ihr Ehemann und die anderen seien festgenommen worden. Für sie sei ein Krankenwagen gerufen worden. Dieser habe sie in Begleitung eines Beamten und einer Beamtin zum „...- Krankenhaus“ gebracht. Dort sei sie medizinisch behandelt worden. Sie habe auch Infusionen bekommen, weil sie viel Blut verloren hätte. In der Zeit sei sie mit einer Krankenschwester alleine in Zimmer gewesen, während zwei Beamte vor der Tür gestanden hätten. Sie habe der Krankenschwester die Telefonnummer ihres Schwiegervaters gegeben und sie gebeten, ihn anzurufen. Anschließend sei sie in den Operationssaal gebracht worden. Mittels einer örtlichen Betäubung sei die Kugel aus ihrem Bein entfernt worden, sie habe das alles sehen können. Insgesamt sei sie zwei bis zweieinhalb Stunden im Krankenhaus gewesen.
Ihr Mann sei seit ihrer Hochzeit schon öfter bei derartigen Sitzungen gewesen, weil seine Mutter auch Bahá´í sei. Ihr Mann habe sie schon öfters gebeten, ihn zu begleiten. Es sei Zufall gewesen, dass der Vorfall gerade an diesem Tag passiert sei. Nach diesem Vorfall sei sie nie wieder zu einer Sitzung der Bahá´í mitgegangen.
Zu den Gründen der unmittelbaren Ausreise befragt gab die Klägerin an, ihr Mann hätte einen Schrank in dem Friseurgeschäft besessen, darin wären Unterlagen und Listen über die Bahá´í enthalten. Es sei sehr gefährlich, Bücher über die Bahá´í-Religion aufzubewahren. Alles habe auch nur auf losen Blättern existiert. Am ...1391 (... 2012) seien sie bei ihrer Schwägerin eingeladen gewesen. Am Folgetag wäre ihr eigener Geburtstag gewesen und die Schwägerin habe sie gebeten zu bleiben. Im Laufe des Vormittags habe Herr ... auf ihrem Handy angerufen und ihren Mann sprechen wollen. Er habe erzählt, dass drei Staatsdiener im Laden gewesen sein und nach ihrem Mann gefragt hätten. Daraufhin habe ... geantwortet, dass ihr Mann freitags nicht im Laden sei und den Sicherheitskräften die Adresse des Klägers zu 1.) gegeben. Diese Männer hätten den Spind ihres Mannes im Laden durchsucht und CDs und Gebete, sowie einige lose Blätter über die Bahá´í-Religion gefunden. Sie und ihr Mann hätten nun gewusst, dass er nicht mit Milde hätte rechnen können, und sie seien der Meinung gewesen, man würde ihn 100-prozentig hinrichten. Sowohl ihr Mann als auch sie hätten eine Erklärung unterschrieben, wonach sie nie mehr auf diese Weise auffällig werden dürften. Daraufhin hätten sie einen der Bahá´í-Freunde ihres Mannes namens ... angerufen und wären 50 Tage versteckt bei ihm gewesen. Dort wären sie die meiste Zeit zu Hause gewesen und hätten gewartet, dass sich die Lage beruhigt. Aber die Lage habe sich weiter verschlimmert, weil zwei oder drei Bahá´í-Freunde ihres Mannes ebenfalls festgenommen worden seien, was sie über die Freunde ihres Mannes erfahren habe. Außerdem sei auch etwas in den Medien bekannt geworden. Die Freunde ihres Mannes hätten nicht mit diesem telefoniert, sondern sie hätten alles über ... erfahren. Sie nehme an, dass er an seinem Arbeitsplatz davon erfahren habe, er habe in einem Haushaltswarenladen im ... Basar gearbeitet. In den letzten 50 Tagen vor der Ausreise seien sie nur ab und zu für einen kleinen Spaziergang außer Haus gewesen, nicht aber bei ihren Familien gewesen. Sie sei überzeugt, dass ihr Mann denunziert worden sei. Sicherlich habe ein Kunde ihn verraten oder man habe Leute beobachtet, die schon aufgeflogen waren. Ihre Tochter habe keine eigenen Asylgründe, sie sei wegen der Probleme ihres Vaters mitgekommen.
Die Kläger zu 1.) und 2.) legten zudem ein Schreiben von Herrn ... aus ... vor, aus dem sich ergibt, dass sie Bahá´í seien und deshalb eine Unterbringung in ... wünschen.
Zudem legte die Klägerin zu 2.) ein ärztliches Attest des Dr. med. ...S. aus ... vor, aus dem sich ergibt, dass sie zwei verheilte Weichteilnarben des linken Unterschenkels habe, die mit Ein- und Austrittswunden in Übereinstimmung gebracht werden können.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom
Die Kläger ließen mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 10. September 2014, eingegangen beim Verwaltungsgericht Ansbach am gleichen Tage, Klage erheben und beantragen zuletzt:
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom
Mit Schriftsatz vom
Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom
die Klage abzuweisen.
Mit Schreiben vom
Auf Nachfrage des Berichterstatters vom
Mit Schreiben vom
Mit Beschluss vom 9. April 2015
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, das Protokoll über die mündliche Verhandlung und die beigezogene Bundesamtsakte Bezug genommen.
Gründe
Soweit der Bevollmächtigte der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 28. April 2015 erklärt hat, der Antrag, die Beklagte zu verpflichten, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen, wer-de nicht mehr aufrechterhalten, sind die Klagen konkludent teilweise zurückgenommen worden und das Verfahren insoweit unmittelbar beendet. Eines gesonderten Einstellungsbeschlusses nach § 92 Abs. 3 VwGO bedarf es in diesem Fall nicht. Die Kostenentscheidung kann vielmehr im Urteil über den noch anhängig gebliebenen Teil des Rechtsstreits getroffen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 8.9.2005 - 3 C 50.04, DVBl 2006, 118; Kopp/Schenke, VwGO, RdNr. 27 zu § 92).
Die Klage ist im noch anhängigen Teil zulässig, aber nicht begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom
Die Kläger haben keinen Rechtsanspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG bzw. auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylVfG.
Auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG ist einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn er sich
1. aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2. außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Mit der zum
Nach § 3 a Abs. 1 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 1 RL) gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG Handlungen, die
a) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist oder
b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist.
Als Verfolgung in diesem Sinne können nach § 3 a Abs. 2 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 2 RL) unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
1. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2. gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3. unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4. Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5. Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 fallen,
6. Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
Nach § 3 a Abs. 3 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 3 RL) muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit den in § 3 b genannten Verfolgungsgründen und den in Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG ist gemäß § 3 b AsylVfG Folgendes zu berücksichtigen:
1. der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2. der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3. der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4. eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a) die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b) die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5. unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
Gemäß § 28 Abs. 1 a) AsylVfG (vgl. Art. 5 Abs. 2 RL) kann die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylVfG zu erleiden, auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. § 3 Abs. 1 AsylVfG greift deshalb auch dann ein, wenn beispielsweise politische Verfolgung wegen eines für die Asylanerkennung nach Art. 16 a Abs. 1 GG, § 28 Abs. 1 AsylVfG unbeachtlichen Nachfluchtgrundes droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.2.1992 - 9 C 59/91).
Die Furcht vor Verfolgung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG) ist begründet, wenn dem Ausländer die oben genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen.
Der in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ...“ des Art. 2 Buchst. d) RL enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG übernommen worden ist, orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.2.2008 - Nr. 37201/06
Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, Urteile vom 20.2.2013, a. a. O. und
Die Tatsache, dass ein Drittstaatsangehöriger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 RL).
Diese Vorschrift greift sowohl bei der Entscheidung über die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für einen Vorverfolgten (bzw. von Verfolgung unmittelbar Bedrohten) als auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes zugunsten desjenigen, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war. In beiden Varianten des internationalen Schutzes privilegiert sie den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind.
Art. 4 Abs. 4 RL ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 2.7.1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 - BVerfGE 54, 341; dem folgend
Art. 4 Abs. 4 RL privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten jedoch auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 2.3.2010 - Rs. C-175/08 u. a., Abdulla). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.2.2008 - Nr. 37201/06
Für das Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ist nicht nur im Rahmen des Flüchtlingsschutzes sondern auch im Rahmen des subsidiären Schutzes erforderlich, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem früher erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zugrunde liegende Vermutung, erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht zu sein, beruht wesentlich auch auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (BVerwG, Urteil vom 27.4.2010 - 10 C 4/09, BVerwGE 136, 360).
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11
Die Rechtsprechung kann auf § 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG übertragen werden, der Art. 9 Abs. 1 a) RL in nationales Recht umgesetzt hat.
Der Gerichtshof sieht in dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) verankerten Recht auf Religionsfreiheit ein grundlegendes Menschenrecht, das eines der Fundamente einer demokratischen Gesellschaft darstellt und Art. 9 EMRK entspricht. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er einem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten (EuGH a. a. O. Rn. 57). Allerdings stellt nicht jeder Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantierte Recht auf Religionsfreiheit eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar (Rn. 58). Zunächst muss es sich um eine Verletzung dieser Freiheit handeln, die nicht durch gesetzlich vorgesehene Einschränkungen der Grundrechtsausübung im Sinne von Art. 52 Abs. 1 GR-Charta gedeckt ist. Weiterhin muss eine schwerwiegende Rechtsverletzung vorliegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (Rn. 59). Das setzt nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie voraus, dass die Eingriffshandlungen einer Verletzung der grundlegenden Menschenrechte gleichkommen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf (Rn. 61).
Zu den Handlungen, die nach der Rechtsprechung des EuGH eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit des Antragstellers, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in seine Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Der Gerichtshof hält es mit der weiten Definition des Religionsbegriffs in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht für vereinbar, die Beachtlichkeit einer Verletzungshandlung danach zu beurteilen, ob diese in einen Kernbereich der privaten Glaubensbetätigung (forum internum) oder in einen weiteren Bereich der öffentlichen Glaubensausübung (forum externum) eingreift (Rn. 62 f.).
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich dieser Auslegung angeschlossen
Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung im Sinne von § 3 a AsylVfG (Art. 9 Abs. 1 RL) darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung im Sinne von § 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG (Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL) handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u. a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 3 c AsylVfG (Art. 6 RL) genannten Akteure strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (Rn. 67). Darüber hinaus ist auch die im Fall der Religionsausübung drohende Gefahr einer Verletzung von Leib und Leben sowie der (physischen) Freiheit hinreichend schwerwiegend, um die Verletzung der Religionsfreiheit als Verfolgungshandlung zu bewerten.
Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß § 3 a AsylVfG (Art. 9 Abs. 1 RL) setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Das ergibt sich insbesondere aus der Aussage des Gerichtshofs in Rn. 69, dass schon das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von § 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG (Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL) und somit eine Verfolgung darstellen kann, wenn der Verstoß dagegen die tatsächliche Gefahr der dort genannten Sanktionen und Konsequenzen heraufbeschwört. Kann Verfolgung somit schon in dem Verbot als solchem liegen, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z. B. in Leben oder Freiheit) letztlich nicht an.
Diesem Verständnis der Entscheidung, das den Flüchtlingsschutz gegenüber der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorverlagert, steht nicht entgegen, dass der Gerichtshof in seinen Ausführungen auf die Gefahr abstellt, die dem Ausländer bei „Ausübung dieser Freiheit“ (Rn. 67 und 72) bzw. der „religiösen Betätigung“ (Rn. 73, 78 und 79 f.) droht. Denn damit nimmt dieser lediglich den Wortlaut der entsprechenden Vorlagefragen 2a und 3 des Bundesverwaltungsgerichts auf, ohne dass darin eine notwendige Voraussetzung für die Flüchtlingsanerkennung liegt. Könnte nicht schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL darstellen, blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten (so auch Lübbe, ZAR 2012, 433 <437>).
Nach der Rechtsprechung des EuGH hängt die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne von § 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG (Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL) zu erfüllen, von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (Rn. 70). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z. B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (siehe oben Ziff. 2.3.2). Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr (so auch Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen vom 19. April 2012 (Rs. C-71/11
Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit sieht der Gerichtshof den Umstand an, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (Rn. 70). Denn der Schutzbereich der Religion erfasst sowohl die von der Glaubenslehre vorgeschriebenen Verhaltensweisen als auch diejenigen, die der einzelne Gläubige für sich selbst als unverzichtbar empfindet (Rn. 71).
Der EuGH hat die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt, dass es auf die Bedeutung der religiösen Praxis für die Wahrung der religiösen Identität des einzelnen Ausländers ankommt, auch wenn die Befolgung einer solchen religiösen Praxis nicht von zentraler Bedeutung für die betreffende Glaubensgemeinschaft ist (vgl.
Der vom EuGH entwickelte Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nach dem Verständnis des Bundesverwaltungsgerichts nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste. Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten.
Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG, Urteil vom 20.2.2013, a. a. O.).
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung.
Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in seinem Heimatland nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte.
Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in seinem Heimatland der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen.
Hierzu muss er die inneren Beweggründe glaubhaft machen, die ihn zur Konversion veranlasst haben. Es muss festgestellt werden können, dass die Hinwendung zur Religionsgemeinschaft der Bahá’í auf einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung beruht.
Wann eine solche Prägung anzuerkennen ist, lässt sich nicht allgemein bestimmen. Nach dem aus der Gesamtheit des Verwaltungs- und ggfs. gerichtlichen Verfahrens gewonnenen Eindruck muss sich der Schutzsuchende aus voller innerer Überzeugung von seinem bisherigen Bekenntnis gelöst und dem anderen Glauben zugewandt haben. Hat er eine andere Religion angenommen, genügt es im Regelfall nicht, dass der Schutzsuchende lediglich formal zu dieser Religion übergetreten ist. So genügt beispielsweise im Falle eines Wechsels zu einer christlichen Religionsgemeinschaft allein der Formalakt der Taufe nicht. Andererseits kann nicht verlangt werden, dass der Konvertierte so fest im Glauben verankert ist, dass er bereit ist, in seinem Herkunftsland für den Glauben selbst schwere Menschenrechtsverletzungen hinzunehmen.
Von einem Erwachsenen, der sich zum Bekenntniswechsel entschlossen hat, darf im Regelfall erwartet werden, dass er mit den wesentlichen Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist. Welche Anforderungen im Einzelnen zu stellen sind, richtet sich vorwiegend nach seiner Persönlichkeit und seiner intellektuellen Disposition.
Überdies wird regelmäßig nur dann anzunehmen sein, dass der Konvertit ernstlich gewillt ist, seine Religion auch in seinem Heimatstaat auszuüben, wenn er seine Lebensführung bereits im Aufnahmestaat dauerhaft an den grundlegenden Geboten des neu angenommenen Glaubens ausgerichtet hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.2.2013, Rn. 30, zitiert nach juris).
Das Verbot einer öffentlichen religiösen Betätigung als solches kann aber nur dann als hinreichend schwere Verletzung der Religionsfreiheit und damit als Verfolgungshandlung im Sinne des § 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG (Art. 9 Abs. 1 Buchst. a RL) angesehen werden, wenn der Asylbewerber - über die soeben genannten objektiven und subjektiven Gesichtspunkte hinaus - bei Ausübung der verbotenen öffentlichkeitswirksamen Glaubensausübung in seinem Herkunftsland tatsächlich Gefahr läuft, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das bedeutet - wie oben bereits dargelegt -, dass die genannten Folgen und Sanktionen dem Ausländer im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen müssen.
Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Kläger ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne § 3 a Abs. 1 AsylVfG (Art. 9 Abs. 1 RL) gelten können (vgl. Urteil des EuGH vom 5.9.2012, a. a. O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach § 3 a Abs. 1 AsylVfG vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach § 3 a Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b RL) ergibt.
§ 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach § 3 a Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Nr. 1. Die Maßnahmen im Sinne von Nr. 2 können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen.
In Nr. 1 beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition“). Während die „Art“ der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung“ eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30). Der Europäische Gerichtshof geht in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rn. 69) davon aus, dass das Verbot der Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich eine hinreichend gravierende Handlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie (§ 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG) darstellen kann. Das Verbot kann von so schwerwiegender „Art“ sein, dass es für sich allein die tatbestandliche Voraussetzung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie (§ 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG) erfüllt. Andere Maßnahmen können hingegen unter Umständen nur aufgrund ihrer Wiederholung vergleichbar gravierend wirken wie ein generelles Verbot.
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Nr. 1 mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative der Nr. 2 in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in § 3 a Abs. 2 AsylVfG (Art. 9 Abs. 2 RL) aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach § 3 a Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG (Art. 9 Abs. 1 Buchst. b RL) erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z. B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht.
Hiervon ausgehend können die Kläger nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG beanspruchen.
Die Kläger konnten nicht glaubhaft machen, im Iran (drohenden) Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 3 a Abs. 1 und 2 AsylVfG ausgesetzt gewesen zu sein, womit ihnen die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 RL nicht zugute kommt.
Das Gericht konnte sich nicht die volle Überzeugung vom Wahrheitsgehalt der Schilderungen der Kläger zu 1.) und 2.) zu dem angeblichen fluchtauslösenden Ereignis verschaffen. Die Kläger konnten nach Auffassung des Gerichts nicht glaubhaft darlegen, dass es am ... 1391 (... 2012) tatsächlich zu der Durchsuchung des Schrankes des Klägers zu 1.) und der wahrgenommenen Bedrohungssituation beider Kläger gekommen ist. Hierfür ausschlaggebend sind zum einen die unterschiedlichen Darstellungen der Kläger zu 1.) und 2.) zum Anruf vom Inhaber des Friseursalons, zum anderen die nicht nachvollziehbaren Umstände der vorherigen Missionierung durch den Kläger zu 1.), welche dieses Ereignis erst ausgelöst haben sollen.
Nach der Darstellung des Klägers zu 1.) in der mündlichen Verhandlung habe er an jenem Tag einen Anruf auf seinem Handy erhalten, in dem er von seinem Freund ... informiert worden sei, dass Sicherheitskräfte nach ihm, dem Kläger, gesucht und in seinem persönlichen Schrank Unterlagen über die Religion der Bahá’í gefunden hätten. Diesen Anruf habe er im Kinderzimmer seiner Schwester entgegen genommen. Seiner Frau habe er später berichtet, der Anruf wäre auf dem Festnetz erfolgt, um sie nicht zu beunruhigen. Die Klägerin zu 2.) berichtete hingegen, im Haus habe das Festnetztelefon geklingelt und entweder die Schwägerin oder deren Kind hätten zunächst den Anruf entgegen genommen, der Anruf wäre jedoch für ihren Ehemann gewesen und ihm wäre daraufhin von der Durchsuchung berichtet worden. In der Befragung beim Bundesamt hatten der Kläger zu 1.) und die Klägerin zu 2.) noch übereinstimmend angegeben, ... habe bei der Klägerin zu 2.) auf dem Handy angerufen und diese habe das Telefon an ihren Mann weitergereicht. Dieses Ereignis nimmt jedoch innerhalb der unmittelbaren Verfolgungsgeschichte für das Gericht einen derart zentralen Stellenwert ein, dass die Art und Weise, wie die Kläger zu 1.) und 2.) von der berichteten Durchsuchung erfahren haben können, sich nach Auffassung des Gerichts keinesfalls derart unbedeutend sein könnte, dass hier derart nennenswerte Erinnerungsunterschiede erklärt werden könnten.
Hinzu kommt, dass der Kläger zu 1.) nicht glaubhaft darlegen konnte, wieso er auf der einen Seite - insbesondere nach dem von ihm behaupteten Vorfall im Jahr 1385 - von einem hohen Verfolgungsrisiko ausging, gleichzeitig jedoch ohne eine plausible Vorsichtsmaßnahme im Friseursalon mit Publikumsverkehr verbotene Unterlagen gelagert haben und öffentlich und mit Wissen des Saloninhabers, der selbst muslimischen Glaubens sei, mit Kunden über seine Religion gesprochen haben will. Das in der mündlichen Verhandlung präzisierte Vorbringen, er habe nur mit engen Freunden gesprochen und ihnen Unterlagen aus seinem Schrank zur Verfügung gestellt, sie aber gleichzeitig nur an die Treffen bei seinem Freund ... verwiesen, erscheint nach Auffassung des Gerichts nicht nachvollziehbar und widersprüchlich. Die vom Kläger zu 1.) augenscheinlich an den Tag gelegte Sorglosigkeit hinsichtlich möglicher Konsequenzen erklärte der Kläger mit der zu erwartenden Sicherheit durch die Anonymität innerhalb der Großstadt und selbst innerhalb des sehr großen Friseursalons. Gleichwohl konnte er den Widerspruch zu seiner Befürchtung der ernsthaften Verfolgung wegen seines Glaubens, von dem er aus diesem Grunde selbst innerhalb der Familie nur wenigen Personen berichtet habe, auch im Rahmen der persönlichen Befragung in der mündlichen Verhandlung nicht erklären. Noch in der Befragung beim Bundesamt hatte der Kläger zu 1.) nämlich angegeben, nach den Ereignissen im Jahr 1385 den Kontakt zu den übrigen Gläubigen aus Angst vor Verfolgung seiner Frau und seiner Tochter aufgegeben zu haben. Die in diesem Zusammenhang erfolgte Erklärung, er habe keinesfalls missioniert, sondern nur in Einzelfällen Unterlagen weitergegeben, steht zudem in klarem Widerspruch zu den Angaben bei der Befragung vom Bundesamt, in der der Kläger zu 1.) angab, aus Gründen einer religiösen Verpflichtung missioniert zu haben und aktiv Kunden im Friseursalon angesprochen zu haben. Gegen den Wahrheitsgehalt der Schilderungen des Klägers zu 1.) spricht auch, dass es - entgegen der Angaben des Klägers zu 1.) beim Bundesamt - nicht zu den Grundsätzen der Glaubensgemeinschaft der Bahá’í gehört, missionierend tätig zu werden.
Die Kammer nimmt es dem Kläger zu 1.) deshalb nicht ab, dass dieser nach der Eheschließung und der Geburt des ersten Kindes im Iran zum Glauben der Bahá’í konvertiert ist, was auch durch die unzureichenden Kenntnisse des Klägers zu 1.) zu den Religionsgrundsätzen der Bahá’í dokumentiert wird (hierzu noch nachfolgend).
Auch soweit es die angebliche Festnahme der Kläger im Jahr 1385 betrifft, konnte sich die Kammer nicht die volle Überzeugung vom Wahrheitsgehalt der Schilderungen der Kläger verschaffen.
So gab der Kläger zu 1.) an, die Sicherheitskräfte hätten am Tor geklingelt. Als man die Sicherheitskräfte habe kommen sehen, seien alle in den Hof gerannt. Dort habe seine Frau versucht zu fliehen. Dort sei es zu einer Auseinandersetzung mit den Sicherheitskräften gekommen und seine Ehefrau sei angeschossen worden.
Nach den Schilderungen der Klägerin zu 2.) sollen die Sicherheitskräfte hingegen über den Hof ins das Gebäude eingedrungen und es im Inneren des Hauses zu einem Handgemenge gekommen sein. Als sie in den Hof geflüchtet sei, sei sie von einem Sicherheitsmann, der in der einen Ecke des Hofes gestanden sei, angeschossen worden. Sie habe vor ihrem Transport ins Krankenhaus jedoch noch gesehen, dass ihr Ehemann mit anderen Festgenommenen aus dem Haus in den Hof gebracht worden sei.
Ebenso ergeben sich Widersprüche hinsichtlich der Häufigkeit der Teilnahme der Klägerin zu 2.) an den Treffen der Bahá’í. So gab diese an, sie habe nur einmal an einem derartigen Treffen teilgenommen, wobei es zu dem genannten Vorfall gekommen sei.
Der Kläger zu 1.) erklärte demgegenüber in der mündlichen Verhandlung, seine Ehefrau habe ihn öfters zu derartigen Treffen begleitet.
Hiervon unabhängig würde der Vorfall, der sich sechs Jahre vor Verlassen des Irans ereignet haben soll und die Kläger nicht veranlasst hat, nach Wegen zu suchen, ihr Heimatland zu verlassen, nicht zu einer Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 RL führen, da der nötige zeitliche und innere Zusammenhang zu den behaupteten fluchtauslösenden Ereignissen nicht bestünde.
Das Gericht ist deshalb mit dem Bundesamt der Überzeugung, dass die Kläger ihr Heimatland nicht unter dem Eindruck bestehender oder drohender Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3 a Abs. 1 AsylVfG verlassen haben.
Die Kläger können sich auch nicht auf einen beachtlichen Nachfluchtgrund berufen. Das Gericht konnte nicht die volle Überzeugung gewinnen, dass die Kläger zu 1.) und 2) während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet aus ernsthafter, fester innerer Überzeugung zum Glauben der Bahá’í übergetreten sind und für sie die Ausübung ihres Glaubens eine besondere, identitätsprägende und unverzichtbare Bedeutung zukommt (vgl. hierzu BayVGH, Beschlüsse
Zwar konnten der Kläger zu 1.) und die Klägerin zu 2.) glaubhaft darlegen, dass die Mutter des Klägers zu 1.) der Religion der Bahá’í zugehörig sei und sie hierüber mit dem Glauben in Kontakt gekommen seien. Ebenso scheint dem Gericht nachgewiesen, dass der Kläger zu 1.) und die Klägerin zu 2.) während ihres Aufenthalts in Deutschland formal ihre Religion gewechselt haben und nun den Bahá’í angehören.
Hingegen hat das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen können, dass der formale Wechsel der Religionszugehörigkeit tatsächlich auf einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung beruht und für die Kläger unverzichtbar ist, wie es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderlich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.2.2013, Rn. 30, zitiert nach juris). Zwar nehmen die Kläger wöchentlich an Kursen der Bahá’í in ... teil. Für die Identitätsprägung fehlt es nach Auffassung des Gerichts jedoch an einer wirklichen Auseinandersetzung mit den Grundzügen des Glaubens. Hier genügt nicht die interessierte und offene Beschäftigung mit der Religion, wenn offensichtliche Grundkenntnisse hierüber nicht vorhanden sind und kein ernsthafter Drang erkennbar ist, mehr zu erfahren.
So konnte der Kläger zu 1.) noch überzeugend darlegen, dass die grundlegenden Schriften der Bahá’í ihm in seiner Heimat wegen der drohenden Verfolgung nicht zugänglich gewesen seien. Hingegen erscheint es schwer vorstellbar, dass der ernsthafte Wunsch, sich mit den Grundlagen in Deutschland zu beschäftigen, sich alleine wegen Geldmangels über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren nicht erfüllen hätte lassen können, zumal der Kläger zu 1.) seit seiner Einreise ins Bundesgebiet in regelmäßigem Kontakt zu anderen Bahá’í stehen will. Auch konnte der Eindruck mangelnden Interesses nicht durch sonstige Aktivitäten oder Bemühungen widerlegt werden. So beschränke sich das Ausleben des Glaubens nach Aussage der Kläger zu 1.) und 2.) darauf, die Lehrveranstaltungen zu besuchen - wobei sich selbst über deren Charakter in der Befragung der Kläger Zweifel ergaben, ob es sich um religiöse oder nur sprachliche Lehrveranstaltungen handelte. Darüber hinaus konnte der Kläger zu 1.) dem Gericht nur oberflächliche historische Informationen über seinen neuen Glauben mitteilen und kannte nicht einmal eines der Gebete, die nach öffentlich zugänglichen Informationen der Bahá’í-Gemeinde in Deutschland zu den täglichen Pflichtgebeten eines Bahá’í gehören. Auch waren die Kläger zu 1.) und 2.) nicht in der Lage, wenigstens einen Namen der 19 Kalendermonate der Bahá’í wiederzugeben. Einen Grund oder ein bemerkenswertes auslösendes Ereignis dafür, den Glauben erst im Alter von 27 Jahren zu wechseln, obwohl üblicherweise der Beitritt mit 15 Jahren erfolgt, konnte der Kläger zu 1.) nicht nennen. Ebenso wenig konnte der Kläger zu 1.) eine Erklärung dafür nennen, warum er zuvor aus Angst vor den Folgen einer Konversion davor zurückgeschreckt war, im Jahr 1385 jedoch - ohne eine nähere Begründung - trotz der Gründung einer Familie keine Bedenken mehr gehabt habe.
Hinsichtlich der Unverzichtbarkeit der religiösen Identität kommt das Gericht bei der Klägerin zu 2.) insbesondere in Hinblick auf die religiöse Identität zum gleichen Schluss. Die Klägerin schilderte zwar ein grundsätzliches Interesse an der Religion und konnte auch ein Gebet und fünf religiöse Feiertage nennen, nicht aber die Monate des Bahá’í-Kalenders. Das Gericht bekam diesbezüglich den Eindruck, dass die Beschäftigung mit der Religion nicht aus eigenem Antrieb, sondern eher aus einer äußeren Pflicht heraus erfolgte. So begründete sie ihre Unkenntnis des von der Kammer erfragten kürzesten Pflichtgebets nur damit, dass ihr im Unterricht nur dieses eine Gebet beigebracht und ihr aufgegeben worden sei, dieses auswendig zu lernen. Auch vermochte ihr Hinweis, sie sei von den Grundwerten der Bahá’í-Religion - von ihr als „Frieden, Freundschaft und Einheit der Menschen“ charakterisiert - beeindruckt, das Gericht nicht von einer individuellen und tiefgreifenden Gewissenseinstellung zu überzeugen, insbesondere im Hinblick darauf, dass sie sich bei ihrer Einreise gegenüber dem Bundesamt als Schiitin bezeichnet hatte. Die in der mündlichen Verhandlung angeführte Unterscheidung zwischen ihrem wahren Glauben, den sie nicht angegeben habe, und ihrer offiziellen Religionszugehörigkeit belegt nicht, dass die Klägerin zu 2.) aus fester innerer Überzeugung zur Glaubensgemeinschaft der Bahá’í konvertiert ist.
Auch die Vorlage der Bestätigungen des nationalen geistigen Rats der Bahá’í in Deutschland über die Mitgliedschaft des Klägers zu 1.) und der Klägerin zu 2.) in der Bahá’í-Gemeinde konnte das Gericht nicht von einem anderen Ergebnis überzeugen. Die hier vorgelegten Bescheinigungen unterscheiden sich wesentlich von den in anderen Verfahren vorgelegten, in denen bestätigt wurde, dass die dortigen Kläger nach einer sorgfältigen Einzelfallprüfung auf ihre innere Einstellung und die Aufrichtigkeit ihrer Glaubensentscheidung nach Auffassung des nationalen geistigen Rates der Bahá’í ihre Religion gewechselt hätten (vgl. hierzu VG Würzburg, Urteil vom 2.10.2013, Az. W 6 K 13.30160, Rn. 33 f., zitiert nach juris; zur gesonderten Prüfung des Glaubensbekenntnisses VG Trier, Urteil vom 16.05.2013, Az. 2 K 1011/12.TR, S. 9; VG Ansbach, Urteil vom 31.01.2013, Az. AN 3 K 12.30324, S. 15). So beschränken sich die vorgelegten Bescheinigungen ihrem Wortlaut nach nur auf die gegenwärtige Mitgliedschaft, also den Zeitpunkt bereits nach Klageerhebung. Zudem legt auch die Stellungnahme des geistigen Rates vom Dezember 2014 den Schluss nahe, dass die Kläger sich frühestens bei ihrem Aufenthalt in Deutschland zu einem Glaubensübertritt entschlossen haben. Dies ergibt sich aus der Formulierung, der nationale geistige Rat der Bahá’í sehe seine Aufgabe darin, diejenigen zu begleiten, die Mitglied in der Gemeinde werden möchten oder es kürzlich geworden sind.
Zusammenfassend ist deshalb festzuhalten, dass der behauptete Glaubenswechsel der Kläger zu 1.) und zu 2.) zur Überzeugung des Gerichts nur vorgeschoben erscheint und sich nicht in identitätsprägender Weise manifestiert hat. Ausgehend von dieser gerichtlichen Würdigung ist es deshalb auch nicht zu erwarten, dass sich die Kläger zu 1.) und zu 2.) in ihrer Heimat anderen gegenüber als Bahá’í bezeichnen oder deren Veranstaltungen (im häuslichen oder im außerhäuslichen Bereich) besuchen werden. Keine andere Beurteilung ergibt sich daher für die Klägerin zu 3.), für die als Tochter keine eigene Verfolgungsgründe geltend gemacht wurden.
Trotz des formalen Glaubensübertritts haben die Kläger bei einer Rückkehr in den Iran keine Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten. Es ist auch den iranischen Behörden bekannt, dass iranische Staatsangehörige in Asylverfahren immer wieder zum christlichen Glauben konvertieren, um so bessere Chancen im Asylverfahren zu erhalten. Anhaltspunkte dafür, dass sich ein (formaler) Glaubenswechsel zur Religionsgemeinschaft der Bahá’í anders auswirke, sind weder vorgetragen, noch ersichtlich. Hinzu kommt, dass sich iranische Staatsangehörige hier in der Bundesrepublik Deutschland „im Feindesland“ befinden, und es dort durchaus erlaubt ist, durch Täuschungshandlungen den Feind zu überlisten. Der rein formale Glaubensübertritt wird bei einer Rückkehr in den Iran somit keine nachteiligen Folgen für die Kläger haben.
Allein die Tatsache, dass die Kläger in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt haben, löst noch keine staatlichen Repressionen nach der Rückkehr in den Iran aus (vgl. BayVGH, Beschluss vom 25.2.2013 - 14 ZB 13.30023; Lagebericht vom 24.2.2015). Den iranischen Sicherheitsbehörden ist bekannt, dass Asylbewerber aus dem Iran überwiegend aus anderen als politischen Gründen versuchen, in Deutschland einen dauernden Aufenthalt zu erreichen und hierzu Asylverfahren betreiben, also eine Asylantragstellung keinen Rückschluss auf die politische Einstellung des Asylbewerbers zulässt. Die Kläger haben auch nicht wegen ihrer politischen Einstellung Asyl beantragt.
Bei der Rückkehr kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen, insbesondere zu Kontakten während dieser Zeit. Die Befragung geht in Ausnahmefällen mit einer ein- bis zweitägigen Inhaftierung einher. Keiner westlichen Botschaft ist aber bislang ein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte darüber hinaus staatlichen Repressionen ausgesetzt waren oder im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Es gibt derzeit auch keine Hinweise auf eine Veränderung dieser Praxis (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.6.2011 - 13 A 1050/11.A; VG Düsseldorf, Urteile
Den Klägern steht unter diesen Umständen auch kein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylVfG bzw. auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu.
Rechtsgrundlage der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylVfG.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO.
Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylVfG).
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 00.00.0000verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger ist Staatsangehöriger von Myanmar, Volkszugehöriger der Rohingya und muslimischer Religionszugehörigkeit. Am 00.00.0000beantragte er seine Anerkennung als Asylberechtigter. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 00.00.0000gab er im Wesentlichen an, er sei in Maungdaw (dort protokolliert: „Mandou“) geboren und habe in der Nähe gelebt. Dort lebten seine Eltern und fünf Geschwister. Er habe keinen Ausweis, sondern ein weißes Papier besessen. Er habe als Angehöriger der Rohingya mit seinen Eltern auf dem Feld gearbeitet. Er sei ausgereist, weil er wie andere junge Männer von Soldaten zur Zwangsarbeit gezwungen worden sei. Er sei vier Mal im Gefängnis gewesen, wenn er wegen der schweren Arbeit zusammengebrochen sei. Nach seiner Erholung habe er jedes Mal wieder Zwangsarbeit leisten müssen. Schließlich sei er gegen Zahlung von Schmiergeld aus dem Gefängnis gelassen worden. Politisch betätigt habe er sich nicht.
3Den Asylantrag des Klägers lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 00.00.0000als unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen und drohte dem Kläger unter Setzung einer Ausreisefrist von 30 Tagen die Abschiebung nach Myanmar an. Zur Begründung führte das Bundesamt aus, der Kläger sei habe eine Verfolgung bzw. Verpflichtung zur Zwangsarbeit nicht glaubhaft gemacht, seine Angaben seien widersprüchlich.
4Der Kläger hat am 00.00.0000Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, seine Schilderungen bei dem Bundesamt entsprächen der Wahrheit. Die dortige Dolmetscherin habe ihn nicht verstanden, die Befragung sei auf Englisch erfolgt, obwohl er dies nur ein bisschen gesprochen habe. Das dortige Protokoll sei teilweise widersprüchlich. Die von ihm beschriebene Zwangsarbeit durch Angehörige ethnischer Minderheiten sei ein Markenzeichen Myanmars und seiner menschenrechtswidrigen Militärführung. Gerade die Rohingya hätten insbesondere im Jahr 2012 massive Verfolgungen erlitten, die einer Gruppenverfolgung gleichkämen.
5Der Kläger beantragt,
6die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 00.00.0000dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
7hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger subsidiären Schutz nach § 4 AsylVfG zuzuerkennen,
8weiter hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt.
9Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
10die Klage abzuweisen.
11Sie bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs verwiesen.
13E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
14Das Gericht konnte trotz Ausbleiben der Beklagten zur Sache verhandeln und entscheiden, weil die Beklagte in der ordnungsgemäßen Ladung gemäß § 102 Abs. 2 VwGO darauf hingewiesen worden ist, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann.
15Die zulässige Klage ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen; der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 00.00.0000ist aufzuheben, da er rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
16Der Kläger hat Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 3 bis 3e AsylVfG, § 60 Abs. 1 AufenthG, weil er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse und seiner Religion außerhalb seines Landes befindet.
17Bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1 AsylVfG, § 60 Abs. 1 AufenthG) ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährende Schutzes ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Aus den in Art. 4 der Richtlinie 2011/95/EU geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten der Antragsteller folgt, dass es Sache des Ausländers ist, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er hat dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigen werden.
18Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5.09 –, InfAuslR 2010, 410 = www.bverwg.de = juris, Rn. 20 ff.; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, www.nrwe.de, Rn. 35 ff.
19Dies zu Grunde gelegt, steht nach der ausführlichen Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 VwGO) fest, dass der Kläger nicht nur – wie von dem Bundesamt angenommen –Staatsangehöriger Myanmars ist, sondern auch, dass er Angehöriger der (muslimischen) Minderheit der Rohingya ist. Der Kläger konnte die typischen prekären Lebensumstände der Rohingya ausführlich und detailliert darlegen. So hat er die gravierenden Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit, das Fehlen u.a. von Ausweispapieren, Schulen, grundlegender medizinischer Versorgung und Internetzugang und die daraus resultierenden Folgen für sich, seine Familie (Eltern, Geschwister, Großeltern) und die lokale Gemeinschaft lebensnah geschildert und die praktischen und psychologischen Auswirkungen der (zumindest latenten) andauernden Einschüchterung und Bedrohung durch Soldaten und Sicherheitskräfte aufgezeigt.
20Dies entspricht den diesbezüglichen Erkenntnissen der Kammer.
21Vgl. zuletzt insbesondere Bundesamt, Briefing Notes vom 29. Oktober 2012, S. 5, und vom 31. März 2014, S. 8; International Crisis Group, The Dark Side of Transition: Violence against Muslims in Myanmar, 1.10.2013; US State Department, Burma 2012 Human Rights Report (19.4.2013); Amnesty International, Myanmar Reports 2012 und 2013; “Rohingya”, http://de.wikipedia.org/wiki/Rohingya.
22Der Kläger konnte auch die Sprache der Rohingya sprechen, wie der Dolmetscher, der diese Sprache zumindest in Ansätzen versteht, bestätigen konnte.
23Der Kläger hat unter Angabe genauer Einzelheiten stimmig geschildert, dass er auf Grund seiner Zugehörigkeit zum Volk der Rohingya in Myanmar von Soldaten zwei Mal zur Ausübung von Zwangsarbeit verschleppt worden ist. Dabei hat er nicht nur die Zeit der beiden dortigen Aufenthalte näher beschrieben, sondern auch die damit zusammenhängenden Auswirkungen auf seine Familie, namentlich auf seinen Vater, der für seine Freilassung Geld leihen und zahlen musste.
24Der Kläger konnte dem Gericht – anders als eine Vielzahl an Klägern anderer Asylklageverfahren, für die der Einzelrichter zuständig war – auch die nicht unerheblichen Abweichungen seiner sehr ausführlichen Darlegungen gegenüber den in der Niederschrift des Bundesamtes vom 28. Juli 2011 verzeichneten Angaben nachvollziehbar erklären. Insbesondere wurde bei dem Bundesamt vermerkt, dass die Anhörung in englischer Sprache erfolgte, „da der Antragsteller ein wenig Englisch sprechen kann“, ein Dolmetscher für Rohingya aber nicht bekannt war. Es spricht für sich, dass zu den zwei Stunden der dortigen Anhörung („9.00 Uhr bis 11.00 Uhr“) gerade einmal drei Seiten Niederschrift erstellt wurden, von denen nur eine Seite zusammenhängende Erklärungen des Klägers widergibt und die übrigen Förmlichkeiten und Details betreffen.
25Die Zwangsmaßnahmen gegenüber dem Kläger stellen Verfolgungshandlungen im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG, § 3a AsylVfG i.V.m. Art. 9 Abs. 1 und 2 Buchstabe a) Richtlinie 2011/95/EU dar, die an die Verfolgungsgründe der Rasse und Religion im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Buchstaben a) und b) Richtlinie 2011/95/EU anknüpften, da sie gezielt auf Grund seiner faktisch rechtlosen Stellung als Angehöriger dieser diskriminierten und ausgegrenzten Minderheit erfolgten.
26In Ansehung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU ist dies ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Klägers vor Verfolgung im Falle einer Rückkehr begründet ist und dass er tatsächlich Gefahr liefe, ernsthaften Schaden zu erleiden. Insbesondere stellt die Tatsache, dass seit März 2012 die Zwangsarbeit in Myanmar unter Strafe gestellt ist,
27vgl. Amnesty International, Myanmar Report 2013,
28nicht hinreichend sicher, dass auch die Angehörigen der Rohingya in der Lebenswirklichkeit vor durch Soldaten erzwungener Zwangsarbeit sicher sind.
29Ein interner Schutz im Sinne des § 3e AsylVfG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2011/95/EU war und wäre für den Kläger nicht zu erlangen. Als Angehöriger der Minderheit der Rohingya würde er in anderen Landesteilen Myanmars nicht gemäß § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG aufgenommen und schon angesichts der pogromartigen Ausschreitungen gegenüber den Rohingya im Laufe des Jahres 2012,
30vgl. nochmals Bundesamt, Briefing Notes vom 29. Oktober 2012, S. 5; International Crisis Group, a.a.O., 1.10.2013,
31kann von dem Kläger nicht vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich dort niederlässt.
32Darüber hinaus muss davon ausgegangen werden, dass dem Kläger auf Grund seiner illegalen Ausreise in das europäische Ausland und der hiesigen Stellung eines Asylantrags mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr politische Verfolgung gemäß §§ 3 bis 3e AsylVfG, § 60 Abs. 1 AufenthG droht, gegenüber der ihm kein interner Schutz möglich ist.
33Vgl. dazu näher VG Ansbach, Urteil vom 23. Januar 2013 – AN 9 K 11.30459 –, juris, S. 9 f. m.w.N.; VG Augsburg, Urteil vom 1. Februar 2013 – Au 6 K 12.30191 –, juris, Rn. 40 bis 42; VG Regensburg, Entscheidung vom 29. Juli 2013 – RN 2 K 13.30348 –, juris; VG München, Urteil vom 5. August 2013 – M 17 K 13.30303 –, juris, S. 8 f.
34Das Vorliegen von Ausschlussgründen im Sinne des § 3 Abs. 2, 3 oder 4 AsylVfG ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
35Die Abschiebungsandrohung ist angesichts der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufzuheben, da die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG nicht vorliegen.
Tenor
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. April 2013 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Der am 00. September 1982 geborene Kläger ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger von Myanmar. Er reiste am 20. August 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 4. September 2012 einen Asylantrag. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor: Er stamme aus Myanmar und gehöre dem Volk der Rohingyas an. Er sei im Februar 1992 mit seinen Eltern von Myanmar nach Bangladesch geflohen und habe dort in einem Flüchtlingslager gelebt. Im Jahr 1999 sei er aus Angst vor einer Abschiebung nach Myanmar aus dem Flüchtlingslager nach Dhaka geflohen. Im Jahr 2012 sei er auf dem Landweg nach Deutschland gereist. Zum Beweis seines Aufenthalts in dem Flüchtlingslager in Bangladesch legte er eine Kopie seiner Registrierung vor. Ein Sprachgutachten vom 13. Februar 2013 ordnete den Kläger sprachlich-geographisch Bangladesch zu.
3Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 16. April 2013 als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen. Des weiteren stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche zu verlassen, ansonsten werde er in seinen Herkunftsstaat abgeschoben.
4Der Kläger hat am 26. April 2013 die vorliegende Klage erhoben und einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt, den das Gericht mit Beschluss vom 23. Mai 2013 ablehnte (8 L 793/13.A). Der Kläger legt zur Begründung seiner Klage eine Bescheinigung des Bevollmächtigten der bangladeschischen Regierung für das Nayapara Refugee Camp vom 29. Juli 2013 vor. Danach war der Kläger in dem speziell für Rohingya-Flüchtlinge angelegten Camp seit dem Jahr 1992 aufhältig und sowohl vom UNHCR wie auch von der bangladeschischen Regierung als Flüchtling verzeichnet. Nachforschungen hätten ergeben, dass das Geburtsdatum der Mutter des Klägers in der sogenannten Registration Card des UNHCR falsch angegeben worden sei und tatsächlich 1960 lauten müsse. In dem Lager soll sich der Kläger im Block P (im Jahr 1992 noch als Block F bekannt) aufgehalten haben.
5Der Kläger beantragt,
6die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. April 2013 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
7hilfsweise,
8festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG hinsichtlich Myanmars vorliegen.
9Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
10die Klage abzuweisen.
11Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte, der Gerichtsakte 8 L 793/13.A, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Ausländerbehörde des Kreise L. sowie der in das Verfahren eingeführten Auskünfte und Erkenntnisse Bezug genommen.
12Entscheidungsgründe:
13Das Gericht kann durch den Einzelrichter entscheiden, nachdem ihm das Verfahren durch Beschluss der Kammer vom 3. Juli 2014 zur Entscheidung übertragen worden ist (§ 76 Abs. 1 AsylVfG).
14Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. April 2013 ist – soweit er angefochten ist – rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO). Dieser hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylVfG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).
15Gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch dann vorliegen, wenn die Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpft. Eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 kann ausgehen von dem Staat (Buchstabe a), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen (Buchstabe b) oder von nichtstaatlichen Akteuren (Buchstabe c), sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht; es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Qualifikationsrichtlinie (QLR),
16Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsgehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 S. 12),
17ergänzend anzuwenden.
18Anspruch auf Flüchtlingsschutz hat derjenige, dem wegen der oben angeführten unveräußerlichen Merkmale Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib oder Leben oder schwerwiegende Beeinträchtigungen seiner persönlichen Freiheit drohen und dem deshalb nicht zuzumuten ist, in seinem Land zu bleiben oder dorthin zurückzukehren, weil die ihm drohenden Verfolgungsmaßnahmen an Intensität und Schwere über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaates auf Grund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben. Ob dem Betroffenen Verfolgung gerade in Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal droht, ist nach der erkennbaren objektiven Gerichtetheit der befürchteten Maßnahme zu ermitteln, nicht nach den subjektiven Gründen oder Vorstellungen, die den Verfolgenden dabei leiten. Dabei gilt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung.
19Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 1. Juni 2011 – 10 C 25/10 -, juris Rn. 20 ff.; Berlit, jurisPR-BVerwG 16/2011 Anm. 1.
20Nach Maßgabe dieser Grundsätze und unter Würdigung der beigezogenen Verfahrensakten und der in das Verfahren eingeführten Auskünfte und Erkenntnisse sowie des Vortrags des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfüllt.
21Das Gericht geht hierbei von folgendem Sachverhalt aus: Der Kläger stammt aus Myanmar und lebte mit seiner Familie über Jahre hinweg in einem Flüchtlingscamp in Bangladesch, bevor er zunächst nach Dhaka gelangte und von dort ausreiste. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung ein Verfolgungsschicksal vorgetragen, das nach der Überzeugung des Gerichts den Tatsachen entspricht. Er hat ausführlich, widerspruchsfrei, detailreich und ohne Zögern auf die ihm gestellten Fragen geantwortet. Hiernach steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger aus Myanmar stammt und der muslimischen Minderheit der Rohingyas angehört. Er lebte lange Jahre in einem Flüchtlingscamp in Bangladesch, was der durchgeführten Sprachanalyse für eine sprachlich-geographische Zuordnung zu Bangladesch entspricht. Zudem bewertet das Gericht in einer Gesamtschau die vorgelegte „Master Card for the Registration of Refugees from Myanmar“ der bangladeschischen Regierung als echt. Der Kläger konnte auf Befragen ohne Zögern seine Familienmitglieder benennen. Zudem ergibt sich aus der vorgelegten Bescheinigung aus dem Nayapara Refugee Camp vom 29. Juli 2013 die Unrichtigkeit des Geburtsdatums der Mutter des Klägers.
22Der Kläger wäre bei einer Rückkehr nach Myanmar aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya und aufgrund seines muslimischen Glaubens gefährdet.
23Nach umfangreichen Recherchen kommt Human Rights Watch in einem Bericht zu dem Ergebnis, dass die burmesischen Behörden und Mitglieder der arakanesischen Bevölkerung im Zuge einer seit Juni 2012 andauernden Kampagne ethnischer Säuberungen gegen Rohingya-Muslime im Bundesstaat Arakan Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt haben. In den vergangenen Jahren wurden Muslime in Myanmar von der Bevölkerung angegriffen und getötet, wobei die myanmarischen Sicherheitsbehörden nichts bzw. nicht viel gegen diese gewaltsamen Übergriffe unternommen haben. Die Angriffe auf muslimische Gemeinschaften im Oktober 2012 seien zeitweise von staatlichen Sicherheitskräften direkt unterstützt worden. Zumindest hätten die anwesenden Sicherheitskräfte nichts unternommen, um die Sicherheit der angegriffenen Muslime zu gewährleisten. Die Regierung habe auch keine ernsthaften Schritte unternommen, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen oder zukünftige Gewaltausbrüche zu verhindern. Diese gewaltsamen Auseinandersetzungen betrafen zwar vor allem den Staat Rakhaing, aber auch in anderen Gegenden im Zentrum des Landes gab es derartige Übergriffe auf Moslems. Dabei sollen zahlreiche Menschen getötet worden sein, wobei die meisten Angehörige der muslimischen Rohingya waren.
24Human Rights Watch, Bericht vom 22. April 2013, Burma: „Ethnische Säuberungen“ gegen Rohingya-Muslime beenden, http://www.hrw.org/de/news/2013/04/22/burma-ethnische-saeuberungen-gegen-rohingya-muslime-beenden; Amnesty International, Amnesty Report 2013 – Myanmar; http://www.amnesty.de/jahresbericht/2013/myanmar?destination=node%2F2985%3Fpage%3D1.
25Das Europäische Parlament geht davon aus, dass die Rohingya, von denen viele seit Jahrhunderten im Rakhaing-Staat ansässig sind, nicht als eine der 135 Volksgruppen in Burma/Myanmar anerkannt sind und daher nach dem Bürgerschaftsgesetz von 1982 keine Bürgerrechte genießen, von vielen Burmesen für illegale Einwanderer aus Bangladesh gehalten werden und Opfer systematischer schwerwiegender Diskriminierungen sind, einschließlich Einschränkungen in Bereichen wie Bewegungsfreiheit, Heirat, Bildung, Gesundheit und Beschäftigung ebenso wie Beschlagnahme von Grund und Boden, Zwangsarbeit, willkürliche Festnahmen und Schikanierung durch die Behörden.
26Verfolgung von Rohingya-Moslems in Burma/Myanmar, Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13. September 2012 zur Verfolgung der Rohingya-Moslems in Burma/Myanmar (2012/2784(RSP)(2013/C 353 E/20), ABl. C 353E vom 3. Dezember 2013, S. 145.
27Nach alledem ist davon auszugehen, dass gegenwärtig für Moslems generell und speziell für Angehörige der Rohingya in Myanmar eine erhebliche Gefährdung für Leib und Leben im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG besteht.
28Vgl. Verwaltungsgericht München, Urteil vom 20. Juni 2013 – M 17 K 12.30679 –, juris.
29Unabhängig davon drohen dem Kläger im Falle der Rückkehr auch aufgrund der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung Maßnahmen im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG drohen. Denn nach Auskunft des UNHCR kann die illegale Ausreise aus Myanmar mit einer Haftstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren geahndet werden.
30UNHCR, Auskunft an das Verwaltungsgericht Ansbach vom 21. Dezember 2012.
31Eine Anpassung der Gesetze ist nach dem Regierungswechsel in Myanmar bisher nicht erfolgt. Zwar hat nach Angaben des Auswärtigen Amtes die Beantragung von Asyl in Deutschland allein keine Auswirkungen auf das persönliche Wohlergehen bei einer Rückkehr nach Myanmar. Dies sei allerdings anders zu beurteilen, wenn weitere Umstände, wie z.B. die Begehung einer Straftat nach myanmarischem Recht, hinzuträten. Eine solche Straftat kann aber gerade die illegale Ausreise aus Myanmar und/oder (Wieder-)Einreise nach einem illegalen Auslandsaufenthalt sein. In Folge der aktuellen politischen Entwicklung in Myanmar ist insoweit keine andere Beurteilung angezeigt. Zwar hat sich die menschenrechtliche Situation etwas verbessert, jedoch bleibt Myanmar von einem Rechtsstaat noch weit entfernt und es sind weiterhin Fälle von Behördenwillkür weit verbreitet.
32Vgl. aus der neueren Rechtsprechung Verwaltungsgericht München, Urteil vom 5. August 2013 - M 17 K 13.30303 -; Verwaltungsgericht Regensburg, Gerichtsbescheid vom 29. Juli 2013 - RN 2 K 13.30348 -; Verwaltungsgericht München, Urteil vom 20. Juni 2013 – M 17 K 12.30669 –; Verwaltungsgericht Augsburg, Urteil vom 1. Februar 2013 – Au 6 K 12.30191 –; Verwaltungsgericht Ansbach, Urteil vom 23. Januar 2013 - AN 9 K 11.30459 -; jeweils juris.
33Dass der Kläger mit seiner Familie seinerzeit Myanmar auf der Flucht illegal verlassen hat, steht für das Gericht fest und wird auch vom Bundesamt nicht in Zweifel gezogen.
34Die Klage hat damit hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG Erfolg. Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen eines der Ausschlusstatbestände des § 3 Abs. 2 und 3 AsylVfG oder des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG sind nicht ersichtlich.
35War danach die Beklagte zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu verpflichten, bedurfte es einer Entscheidung über den lediglich hilfsweise gestellten Antrag, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen, nicht mehr.
36Die unter Ziffer 4 des angefochtenen Bescheides gemäß §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylVfG gegen den Kläger erlassene Abschiebungsandrohung war aufzuheben, weil sie wegen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
37Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 83 b AsylVfG.
38Dem Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit liegt § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO zugrunde.
(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden
- 1.
vom Staat oder - 2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.
(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.
(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er
- 1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und - 2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
Tenor
I.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II.
Die Parteien tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger kommt nach eigenen Angaben aus Myanmar und ist Zugehöriger der Volksgruppe der Rohingya. Er reiste am ... Dezember 2011 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 3. Januar 2012 Asylantrag.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am ... April 2013 gab er im Wesentlichen an, dass sein Vater 1990 in Myanmar von Soldaten mitgenommen worden sei; er habe ihn nie wieder gesehen. Seine Mutter habe 1991 erneut geheiratet, ihn aber nicht in die neue Familie mitgenommen. Ende 1993 sei er mit seinem Onkel und seiner Tante von Myanmar nach Bangladesch gekommen. Er habe mit diesen und seinen Cousins in einem Rohingya-Camp gelebt. In Bangladesch sei alles korrupt gewesen, sie hätten kaum etwas zu essen und nur wenig zum Anziehen bekommen. Als er größer geworden sei, habe er außerhalb des Camps in einem Hotel bzw. als Verkäufer arbeiten können. Als Flüchtlinge hätten sie in Bangladesch keine Rechte, man könne nicht normal leben. Sie hätten immer Probleme mit den Einheimischen gehabt und hätten nichts kaufen oder besitzen können. Wer z. B. in den Wald gehe, um Holz zu schlagen, werde von den Einheimischen geschlagen. Auch er selbst habe Probleme gehabt. Die Einheimischen hätten ihn nicht gemocht und 2010 sei er auf dem Nachhauseweg von der Arbeit überfallen, beraubt und geschlagen worden. Dies sei vier- bis fünfmal passiert, zuletzt sechs Monate vor seiner Ausreise. Die Polizei helfe Flüchtlingen nicht. Er habe auch zuhause Probleme gehabt, da seine Cousins Alkohol getrunken und Drogen genommen hätten. Sie hätten ihn geschlagen und Geld von ihm gewollt. In Myanmar hätte er keine Sicherheit. Dort würden Leute umgebracht, indem man vier bis fünf zusammenbinde und sie in den Fluss werfe oder das Haus anzünde.
Mit Bescheid vom
Der Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter werde abgelehnt, da der Kläger auf dem Landweg und damit über einen sicheren Drittstaat eingereist sei. Ein Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG bestehe ebenfalls nicht. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass ihm in seinem Herkunftsland staatliche oder nichtstaatliche politische Verfolgung drohe. Er sei unverfolgt aus seinem Herkunftsland ausgereist. Ihm könne nicht geglaubt werden, dass er der Ethnie der myanmarischen Rohingya angehöre und staatenlos sei. Er habe keine Beweismittel zum Nachweis dieser Behauptungen vorgelegt und beherrsche die Sprache der Rohingya nicht, was unverständlich sei, da er angeblich bei Verwandten aufgewachsen sei, die ebenfalls dieser Volksgruppe entstammen sollen. Die vorgelegten Unterlagen (Schreiben der Polizei von Bangladesch, Schreiben des Klägers, Strafzettel) seien schon ihrer Art nach keine überzeugenden Beweismittel, weil sie ohne großen Aufwand von jedermann selbst hergestellt worden sein könnten. Im Übrigen lasse sich daraus nur ableiten, dass der Kläger in Bangladesch gelebt habe, nicht aber, dass er aus Myanmar stamme oder dem Volk der Rohingya angehöre. Er habe auch keine nachvollziehbaren Angaben zu den Rohingya machen können. Die von ihm geschilderten Überfälle in Bangladesch seien kriminell motiviert gewesen und hätten somit in keinem ersichtlichen Zusammenhang mit einem der in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Anknüpfungsmerkmale gestanden. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor. Die Rückkehr bangladesischer Staatsangehöriger unterliege keinen rechtlichen Beschränkungen. Es sei nicht bekannt, dass Rückkehrer, die in Deutschland einen Asylantrag gestellt hatten, sich aufgrund dessen staatlichen Maßnahmen ausgesetzt sähen. Auch eine individuelle Gefährdung sei nicht glaubhaft gemacht worden. Der junge, gesunde und erwerbsfähige Kläger, dessen Verwandte noch in seinem Heimatland lebten, könne dort seinen Lebensunterhalt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auf niedrigem Niveau sichern.
Mit Schriftsatz vom 9. Juli 2013, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am selben Tag, erhoben die Prozessbevollmächtigten des Klägers Klage und beantragten,
1. den Bescheid vom
2. die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen,
3. hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Bangladesch oder Myanmar Verfolgung wegen seiner Volkszugehörigkeit drohen würde. Im Rahmen der Anhörung bei der Beklagten habe der Kläger sehr wohl angegeben, dass er die Sprache der Rohingya spreche, er habe auch auf Aufforderung das entsprechende Alphabet aufgeschrieben. Die Anhörung sei auf Bengali erfolgt, da der Dolmetscher nicht in der Lage gewesen sei, die Sprache der Rohingya zu übersetzen. Auch in den vorgelegten Polizeireports werde festgestellt, dass er Staatsangehöriger aus Myanmar sei. Daraus ergebe sich auch, dass er nicht aus Bangladesch stamme, da er sonst nicht in einem Flüchtlingscamp gelebt hätte. Als Volkszugehöriger der Rohingya bestünde Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr nach Bangladesch, insbesondere bestehe die Gefahr, dass der Kläger von dort nach Myanmar abgeschoben werde, wo auch jüngsten Medienberichten nach immer wieder Volkszugehörige der Rohingya getötet würden.
Die Beklagte stellte keinen Antrag.
In der mündlichen Verhandlung beantragte die Prozessbevollmächtigte,
1. den Bescheid vom
2. die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 3 AsylG, hilfsweise des § 4 AsylG und § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die Beklagte ist zur Feststellung verpflichtet, dass beim Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG vorliegt.
1. Gemäß § 3 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom
Die Furcht vor Verfolgung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) ist begründet, wenn dem Ausländer die oben genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen. Der in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ...“ des Art. 2 Buchst. d) Richtlinie 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG übernommen worden ist, orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. EGMR, Große Kammer, U. v. 28.2.2008 - Nr. 37201/06
Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936;
Das Gericht muss dabei sowohl von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Rechtssuchenden und dessen Würdigung kommt dabei besondere Bedeutung zu. Insbesondere wenn keine weiteren Beweismittel zur Verfügung stehen, ist für die Glaubwürdigkeit auf die Plausibilität des Tatsachenvortrags des Asylsuchenden, die Art seiner Einlassung und seine Persönlichkeit - insbesondere seine Vertrauenswürdigkeit - abzustellen. Der Asylsuchende ist insoweit gehalten, seine Gründe für eine Verfolgung bzw. Gefährdung schlüssig und widerspruchsfrei mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG, U. v. 12.11.1985 - 9 C 27.85 - juris).
2. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt:
2.1 Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger ursprünglich aus Myanmar stammt, der Volksgruppe der Rohingya angehört und moslemischen Glaubens ist. Die entsprechenden Fragen des Gerichts konnte der Kläger ausführlich, nachvollziehbar und ohne Zögern beantworten. Insbesondere konnte er seine Flucht aus Myanmar plausibel und widerspruchsfrei darlegen und die wesentlichen Inhalte des Islam bzw. die entsprechenden Verpflichtungen der Moslems nachvollziehbar erläutern sowie aus dem Koran zitieren.
2.2 Der Kläger hat auch detailliert und glaubhaft geschildert, dass er sich in Bangladesch als Rohingya lediglich in einem Flüchtlingscamp aufhalten durfte, in dem sie nur schlecht versorgt worden seien und nicht hätten arbeiten dürfen. Zudem sei er nicht nur von seinen Cousins geschlagen, sondern auch mehrfach von Einheimischen überfallen worden. Diese Ausführungen entsprechen den Schilderungen des UNHCR (Auskunft v. 10.12.2015 an das VG Augsburg), wonach der Aufenthalt auch registrierter Flüchtlinge in Bangladesch auf die Flüchtlingslager beschränkt sei und diese von jeder wirtschaftlichen Betätigung ausgeschlossen seien. Viele Rohingya würden erpresst und ausgebeutet und die bangladeschische Regierung verhindere durch ihre verweigernde Haltung, dass sich die Lage der Rohingya verbessere. Unregistrierte Rohingya würden aufgrund illegalen Grenzübertritts inhaftiert und verblieben auch nach Verbüßung der verhängten Strafe in den Haftanstalten. Zahlreiche Rohingya würden daher gegen sie verübte Straftaten aus Angst vor Verhaftung wegen illegalen Grenzübertritts nicht anzeigen, so dass ihnen der Zugang zu Rechtsschutz verwehrt bleibe. Auch das Auswärtige Amt führt in seiner Auskunft vom 6. Dezember 2013 an das VG Augsburg aus, dass in den illegalen Camps in Bangladesch besorgniserregende humanitäre Bedingungen herrschten.
2.3 Es kann dabei letztendlich dahingestellt bleiben, ob bereits diese Umstände für die Bejahung der Flüchtlingseigenschaft ausreichen bzw. ein Abschiebungshindernis darstellen können (verneint von VG Augsburg, U. v. 5.11.2012 - Au 2 K 12.30150 - juris). Denn zumindest besteht die Gefahr, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Bangladesch nach Myanmar weitergeschoben wird (a), wo ihm als moslemischen Rohingya Verfolgungsmaßnahmen im Sinne von § 3 AsylG drohen (b).
a) Der Kläger war nach dessen glaubhaften Ausführungen in der mündlichen Verhandlung in Bangladesch nicht registriert und lebte dort nicht in einem der offiziellen Flüchtlingscamps. Seine Angaben decken sich insoweit mit den entsprechenden Schilderungen des UNHCR in der Auskunft vom 10. Dezember 2015 an das Verwaltungsgericht Augsburg. Unregistrierte Flüchtlinge sind jedoch nach Auskunft des Auswärtigen Amts vom 6. Dezember 2013 an das Verwaltungsgericht Augsburg unmittelbar von Abschiebung nach Myanmar bedroht, so dass die konkrete Gefahr besteht, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Bangladesch nach Myanmar weitergeschoben wird.
b) In Myanmar sind die muslimischen Rohingyas aber weiterhin zum Teil gravierenden Menschenrechtsverletzungen durch die Armee und lokale Behörden ausgesetzt, sie sind unter anderem in ihrer Freizügigkeit und Berufsausübung erheblich eingeschränkt und werden aufgrund der Versagung eines personenrechtlichen Status drastisch und systematisch diskriminiert (UNHCR v. 10.12.2015; Auswärtiges Amt v. 6.12.2013, jew. an VG Augsburg; vgl. a. VG Münster, U. v. 1.10.2014 - 1 K 2062/13.A - juris 26ff.; VG Düsseldorf, U. v. 4.9.2014 - 8 K 4059/13.A - juris Rn. 20ff.; SZ v. 6.11.2015, v. 3./4.6.2015, Focus 22/2015).
Zudem nehmen in Myanmar Sicherheitskräfte willkürlich Personen fest und führen harte Verhörpraktiken durch. Es kommt zu Folter und extralegalen Tötungen durch die Sicherheitskräfte (vgl. VG Freiburg, U. v. 17.6.2010 - A 6 K 314/10 - juris; VG Augsburg, U. v. 1.2.2013 - Au 6 K 12.30101 - juris Rn. 27). Zwar ist in Myanmar zwischenzeitlich ein gewisser Demokratisierungsprozess zu verzeichnen, doch es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich an den Gesetzen selbst oder der Vollzugspraxis etwas geändert hat.
Schließlich ist davon auszugehen ist, dass bei einer Rückkehr des Klägers nach Myanmar diesem Maßnahmen im Sinne des § 3 AsylG auch aufgrund seiner illegalen Ausreise und der Asylantragstellung drohen. Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln kann die illegale Ausreise aus Myanmar mit einer mehrjährigen Haftstrafe geahndet werden. Eine Anpassung der Gesetze nach dem Regierungswechsel ist bisher offenbar nicht erfolgt. Zwar hat nach Angaben des Auswärtigen Amtes die Beantragung von Asyl in Deutschland allein keine Repressalien zur Folge. Dies sei allerdings anders zu beurteilen, wenn weitere Umstände, wie z. B. die Begehung einer Straftat nach myanmarischem Recht, hinzuträten. Eine solche Straftat kann aber gerade die illegale Ausreise aus Myanmar und/oder (Wieder-)Einreise nach einem illegalen Auslandsaufenthalt sein. Auch in Folge der aktuellen politischen Entwicklung ist insoweit keine andere Beurteilung angezeigt. Zwar hat sich die menschenrechtliche Situation in letzter Zeit etwas verbessert, jedoch bleibt Myanmar von einem Rechtsstaat noch weit entfernt und es sind weiterhin Fälle von Behördenwillkür weit verbreitet (vgl. VG Augsburg, U. v. 1.2.2013 - Au 6 K 12.30101 - juris Rn. 30, 31, 38, 42 m. w. N.; VG Regensburg, Gerichtsbescheid
Aufgrund dieser Gesamtumstände geht das Gericht davon aus, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Bangladesch zumindest wegen der dann zu erwartenden Abschiebung nach Myanmar mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen drohen.
Nach alledem war der Klage daher hinsichtlich § 3 AsylG stattzugeben. Dementsprechend war auch die Abschiebungsandrohung aufzuheben.
Die Kostenfolge ergibt sich hinsichtlich des in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen Teils (Anerkennung als Asylberechtigter) aus § 155 Abs. 2 VwGO, im Übrigen aus § 154 Abs. 1 VwGO (vgl. § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und berücksichtigt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Kostenteilung in Asylverfahren (vgl. z. B.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.
(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.
(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.
(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.
(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.