Verwaltungsgericht München Urteil, 27. Mai 2014 - 5 K 13.2058

published on 27/05/2014 00:00
Verwaltungsgericht München Urteil, 27. Mai 2014 - 5 K 13.2058
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Gericht

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Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die am ... Mai 1973 geborene Klägerin steht als Beamtin auf Lebenszeit im Amt einer Polizeihauptmeisterin (Besoldungsgruppe A 9) in Diensten des Beklagten.

In der periodischen dienstlichen Beurteilung vom ... Juni 2011 (Beurteilungszeitraum ...6.2008 bis ...5.2011) wurde die Klägerin mit dem Gesamtergebnis von neun Punkten beurteilt. Diese Beurteilung wurde ihr am ... Juli 2011 eröffnet.

Mit Schriftsatz vom 6. Mai 2013, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat die Klägerin Klage erhoben und beantragt,

die dienstliche Beurteilung für die Klägerin vom ... Juni 2011 für den Beurteilungszeitraum ... Juni 2008 bis ... Mai 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin für die Zeit vom ... Juni 2008 bis ... Mai 2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu beurteilen sowie den Beklagten zu verurteilen, mit der periodischen Beurteilung für den Zeitraum ... Juni 2008 bis ... Mai 2011 über die Eignung der Klägerin für die modulare Qualifizierung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Es fehle eine Plausibilisierung der Bewertungen der dienstlichen Beurteilung sowie der Bewertung für die nicht zuerkannte modulare Qualifizierung. Das Klagerecht gegen die dienstliche Beurteilung sei auch nicht verwirkt. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim lege bei dienstlichen Beurteilungen grundsätzlich eine dreijährige Frist zugrunde, bevor von Verwirkung ausgegangen werden könne. Die Klägerin habe auch gegenüber ihren Vorgesetzten durchgängig angegeben, sie werde rechtlich gegen diese Beurteilung vorgehen, in der sie sich gegenüber der vorangegangenen um zwei Punkte verschlechtert habe.

Das Polizeipräsidium München hat für den Beklagten beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Klägerin habe durch die längere Untätigkeit nach Eröffnung der dienstlichen Beurteilung das Klagerecht verwirkt.

Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten sowie die Niederschrift vom 27. Mai 2014 verwiesen.

Gründe

Die Klage ist abzuweisen, da sie unzulässig ist.

1. Die Klägerin hat das Recht auf gerichtliche Überprüfung der Beurteilung vom ... Juni 2011 verwirkt.

a) Die Verwirkung ist ein Hauptanwendungsfall des „venire contra factum proprium“. Sie bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches/BGB analog) erscheinen lassen. Das ist namentlich der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt würde (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BayVGH, U. v. 7.8.2001 - 8 A 01.40004 - VGHE 54, 130 m. w. N. - juris Rn. 21). Die Verwirkung sowohl eines materiellen Rechts als auch des prozessualen Klagerechts kann im Beamtenrecht eintreten, wenn der anspruchstellende Beamte während eines längeren Zeitraums unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise etwas zur Rechtswahrung unternommen zu werden pflegt, so dass beim Dienstherrn der Anschein erweckt worden ist, er werde bezüglich des Anspruchs nichts mehr unternehmen. Die Bemessung des Zeitraums hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (OVG NRW, B. v. 25.1.2012 - 6 A 681/11 - juris Rn. 9 zu einem geltend gemachten Anspruch auf Schadensersatz wegen zu Unrecht unterbliebener Beförderung; Rennert in Eyermann, VwGO, 13. Auflage 2010, vor §§ 40 - 53 Rn. 23; Ehlers in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: April 2013, Vorbemerkung § 40 Rn. 103, 105).

Hinsichtlich einer dienstlichen Beurteilung tritt demnach eine Verwirkung des prozessualen Klagerechts ein, wenn der beurteilte Beamte während eines längeren Zeitraums unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise etwas zur Rechtswahrung unternommen zu werden pflegt, so dass beim Dienstherrn der Anschein erweckt worden ist, er werde bezüglich der Beurteilung nichts mehr unternehmen (BVerwG, U. v. 13.11.1975 - 2 C 16.72 - BVerwGE 49, 351 - juris Rn. 34; BayVGH, B. v. 22.5.2014 - 3 ZB 14.284; OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 23.1.2014 - 1 L 138/13 - juris Rn. 11; OVG NRW, B. v. 20.12.2013 - 1 B 1329/13 - juris Rn. 15; NdsOVG, B. v. 6.12.2012 - 5 ME 258/12 - ZBR 2013, 209 - juris Rn. 6; VGH BW, B. v. 13.10.2010 - 4 S 213/09 - NVwZ-RR 2009, 967 - juris Rn. 9).

Der Zeitraum der Untätigkeit, um von einer Verwirkung ausgehen zu können, ist stets von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Da es sich bei einer dienstlichen Beurteilung nicht um einen Verwaltungsakt handelt, ist die für die Anfechtung eines Verwaltungsaktes geltende Jahresfrist nach §§ 70 Abs. 2, 58 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht anwendbar (vgl. BVerwG, a. a. O., Rn. 32). Eine schematische Anwendung eines anderen Zeitraums - etwa den der Beurteilungsperiode (so: VGH BW, a. a. O.; OVG Sachsen-Anhalt, a. a. O.) - verbietet sich. Es kommt vielmehr neben einem längeren Zeitraum zusätzlich auf die während dieser Zeit hinzugetretenen Umstände an (BayVGH, a. a. O., Rn. 9; Zängl in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Dezember 2013, Art. 54 LlbG Rn. 17).

Dabei darf nicht aus dem Blick gelassen werden, dass das Beamtenverhältnis als besonderes Dienst- und Treueverhältnis Ausstrahlungswirkung auf das auf dem Grundsatz von Treu und Glauben beruhende Rechtsinstitut der Verwirkung hat, gerade auch hinsichtlich der Ausübung des Rechts, eine dienstliche Beurteilung einer rechtlichen Überprüfung zu unterziehen. Hinzu kommt, dass eine Nachprüfung einer dienstlichen Beurteilung umso schwieriger wird, je länger der seit deren Eröffnung verstrichene Zeitraum ist. Auch um Klarheit für beide Seiten zu schaffen, ist für den Regelfall zu fordern, dass die Anfechtung der dienstlichen Beurteilung alsbald erfolgt (so ausdrücklich: BVerwG, U. v. 13.11.1975 - 2 C 16.72 - BVerwGE 49, 351 - juris Rn. 36).

b) Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin ihr Klagerecht gegen die ihr am ... Juli 2011 eröffnete dienstliche Beurteilung vom ... Juni 2011 verwirkt. Denn sie hat erst am 6. Mai 2013 hiergegen Klage erhoben. Während dieses 21 Monate umfassenden Zeitraums hat sie nichts unternommen, um die dienstliche Beurteilung einer rechtlichen Überprüfung zu unterziehen, obwohl sie mündlich wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, dass sie mit der streitgegenständlichen Beurteilung nicht einverstanden sei und diese rechtlich überprüfen lassen möchte (so ausdrücklich Schriftsatz vom 26.3.2014). Sie ist damit nach dem Umständen des vorliegenden Falls unter Verhältnissen untätig geblieben, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt (BVerwG, a. a. O., Rn. 34).

Es ist äußerst widersprüchlich und stellt ein gegen die eigenen Verlautbarungen gerichtetes Verhalten dar, wenn die Klägerin einerseits nach ihrem eigenen Vortrag schon bei Eröffnung der dienstlichen Beurteilung und danach immer wieder vorgetragen habe, dass sie sich mit der dienstlichen Beurteilung nicht abfinde und gegen sie vorgehen wolle, gleichwohl über mehr als die Hälfte der Beurteilungsperiode von drei Jahren keine rechtliche Prüfung einleitet. Dabei ist auch in den Blick zu nehmen, dass die Anforderungen für die Auslösung einer rechtlichen Überprüfung einer dienstlichen Beurteilung gering sind und - jedenfalls nach dem im bayerischem Landesrecht statthaften Widerspruchsverfahren in beamtenrechtlichen Angelegenheiten (Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 des Ausführungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung/AGVwGO) - sich der Beamte dabei keinerlei Kostenrisiko aussetzen muss. Das gilt auch für das ebenfalls kostenfreie Einwendungsverfahren. Auch der Einwand der Klägerin, sie habe sich nach einem Dienststellenwechsel mit einer rechtlichen Überprüfung der Beurteilung nicht „gegen das System stellen“ oder auch nicht „ins Rampenlicht stellen“ wollen, ist dabei nicht nachvollziehbar. Denn nach ihrer eigenen Aussage sah sich die Beamtin durch eine frühere Dienststelle in ihren Leistungen nicht angemessen beurteilt. Die streitgegenständliche Beurteilung wurde von einer Dienststelle erstellt, an der die Beamtin seit ... Februar 2010 nicht mehr tätig war (Abordnungsverfügung vom ...1.2010); zu der von ihr für das (aus ihrer Sicht) unangemessene Beurteilungsergebnis im wesentlichen verantwortlichen Dienststelle hatte sie damit seit längerer Zeit keinen Bezug mehr. Die streitgegenständliche Beurteilung wurde ihr auch von der Dienststelle eröffnet, an der sie in diesem Zeitpunkt tatsächlich tätig war. Es ist nicht nachvollziehbar und entspricht nicht einem erkennbar vernünftigen Verhalten (BVerwG, a. a. O., Rn. 34, 36), dass die Klägerin angesichts des „aufgestauten Ärgers und der Wut der vergangenen Jahre“ sowie den ständigen Bekundungen gegenüber Vorgesetzten, sie werde sich mit dieser Beurteilung nicht abfinden und diese rechtlich überprüfen lassen, 21 Monate lang untätig geblieben ist und erst danach ein Rechtsmittel zu Prüfung der Beurteilung ergriffen hat. Das wird durch die Erwägung unterstrichen, dass für den Regelfall zu fordern ist, dass die Anfechtung einer dienstlichen Beurteilung alsbald erfolgt (so ausdrücklich: BVerwG, a. a. O., Rn. 36).

2. Die Klägerin hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung/ZPO.

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Annotations

(1) Der Widerspruch ist innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 3a Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Die Frist wird auch durch Einlegung bei der Behörde, die den Widerspruchsbescheid zu erlassen hat, gewahrt.

(2) §§ 58 und 60 Abs. 1 bis 4 gelten entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.