Verwaltungsgericht München Urteil, 26. Sept. 2014 - 24 K 14.50320

published on 26/09/2014 00:00
Verwaltungsgericht München Urteil, 26. Sept. 2014 - 24 K 14.50320
ra.de-Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile

Gericht

There are no judges assigned to this case currently.
addJudgesHint

Tenor

I.

Der Bescheid der Beklagten vom 20. Mai 2014 wird aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Die Kosten des Verfahrens haben die Beklagte zu ¾ und der Kläger zu ¼ zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger (geb. fikt. 31.12.1994) ist pakistanischer Staatsangehöriger.

Am 20. Dezember 2013 stellte der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag (Bl. 3 der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [BAMF] vorgelegten Verwaltungsakte - d. A.)

Im Nachgang zu einem Eurodac-Treffer bezüglich des Klägers für Ungarn sandte das BAMF am 20. Januar 2014 ein Wiederaufnahmegesuch an die ungarischen Behörden (Bl. 32ff. d. A.). Dort wurde unter anderem ausgeführt, der Kläger habe laut EURODAC in Ungarn am 13. November 2013 und in Österreich am 22. November 2013 vor seiner Einreise nach Deutschland um Asyl nachgesucht. Es sei nicht evident, dass der Kläger das Gebiet der Mitgliedstaaten verlassen habe.

Mit Telefax vom 23. Januar 2014 lehnte das ungarische Amt für Einwanderung und Nationalität (Office of Immigration and Nationality) die Wiederaufnahme des Klägers ab. Das hiernach, aufgrund der Mitteilung des ungarischen Office of Immigration and Nationality gerichtete Wiederaufnahmegesuch des BAMF vom 30. Januar 2014 an Österreich wurde vom österreichischen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 6. Februar 2014 abgelehnt, da Österreich entgegen der Vermutung Ungarns nicht selbst eingetreten sei, da es nicht in eine inhaltliche Prüfung des gestellten Asylantrags aufgrund des Untertauchens des Klägers eingetreten sei. Auf die hierauf folgende Remonstration des BAMF gegenüber dem ungarischen Office of Immigration and Nationality erklärte sich das ungarische Amt für Einwanderung und Nationalität (Office of Immigration and Nationality) mit Telefax vom 17. Februar 2014 zur Wiederaufnahme des Klägers bereit (Bl. 46-75 d. A.).

In seiner Befragung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens (Bl. 85ff. d. A.) am 6. Mai 2014 gab der Kläger an, sein Reiseweg habe über den Iran, Türkei, Griechenland (3 Jahre, 6 Monate), Mazedonien (4 Tage), Serbien (Durchreise), Ungarn (4 Tage) und Österreich (3 Wochen) direkt nach Deutschland geführt.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 20. Mai 2014 (Bl. 92f. d. A.) lehnte das BAMF den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1) und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (Nr. 2). Der Bescheid vom 20. Mai 2014 wurde dem Kläger mit gesondertem Zustellanschreiben vom 21. Mai 2014 (Bl. 97 d. A.) gegen Postzustellungsurkunde am 23. Mai 2014 bekannt gegeben.

Mit Schriftsatz vom 6. Juni 2014, per Telefax bei Gericht eingegangen am 6. Juni 2014, erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragte,

den Bescheid vom 23. Mai 2014 aufzuheben und das Bundesamt zu verpflichten, das Asylverfahren gegen den Kläger durchzuführen.

Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wurde nicht gestellt.

In der Klagebegründung wurde ausgeführt, der Kläger habe Ungarn verlassen, da er unter menschenunwürdigen Bedingungen in einem Lager untergebracht worden sei und man ihn habe wegsperren wollen.

Mit Beschluss vom 14. Juli 2014 wurde im vorliegenden Hauptsacheverfahren der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

Mit gerichtlichen Schreiben vom 14. Juli 2014 teilte der Einzelrichter den Beteiligten mit, dass aufgrund der jüngsten Auskunftslage zu Ungarn sich die aktuelle Kammerrechtsprechung geändert habe unter Verweis auf den Beschluss vom 26. Juni 2014 - M 24 S 14.50325. Es sei davon auszugehen, dass sich (Rück)Überstellungen an Ungarn nach dem Dublin-System derzeit als unmöglich erwiesen. Es wurde deshalb mit gerichtlichem Schreiben vom 14. Juli 2014 um Mitteilung gebeten, ob seitens der Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet wird.

Die Beteiligten verzichteten jeweils mit Rückantwortschreiben vom 18. Juli 2014 bzw. 22. Juli 2014 auf mündliche Verhandlung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird sowie auf die vom BAMF vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Gründe

1. Die Klage ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG) nur hinsichtlich der Anfechtungsklage gegen den streitgegenständlichen Bescheid zulässig, insoweit aber begründet.

Das Gericht konnte gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren entscheiden, weil alle Beteiligten klar, eindeutig und vorbehaltlos (vgl. BVerwG B.v. 24.4.2013 - 8 B 91/12 - juris Rn. 3) auf mündliche Verhandlung verzichtet haben. Dabei bedurfte es weder einer gesonderten Anordnung des schriftlichen Verfahrens durch einen gerichtlichen Beschluss (BVerwG B.v. 15.5.2014 - 9 B 57/13 - Rn. 20, NVwZ-RR 2014-657) noch vor der Entscheidung im schriftlichen Verfahren der Bestimmung einer Schriftsatzfrist (BVerwG B.v. 10.10.2013 - 1 B 15/13 - Rn. 5, Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 72, juris).

Das Verwaltungsgericht München ist entscheidungsbefugt, insbesondere örtlich zuständig, weil der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung seinen Aufenthalt im Gerichtsbezirk des Verwaltungsgerichts München zu nehmen hatte (§ 52 Nr. 2 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - i. V. m. Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung - AGVwGO - i. V. m. § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG).

Aufgrund des Kammerbeschlusses vom 14. Juli 2014 ist der Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung berufen (§ 76 Abs. 1 AsylVfG).

Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG ist für die vorliegend gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung ergehende gerichtliche Entscheidung die Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird.

2. Die Anfechtungsklage gegen den streitgegenständlichen Bescheid ist zulässig, insbesondere innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 74 Abs. 2 AsylVfG erhoben worden; sie ist auch vollumfänglich begründet.

Einschlägig ist dabei im vorliegenden Fall hinsichtlich der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates der Kriterienkatalog der VO (EG) Nr. 343/2003 gemäß der Übergangsregelung in Art. 49 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO), weil der Antrag des Klägers auf internationalen Schutz vor dem 1. Januar 2014 eingereicht wurde. Im Übrigen, d. h. abgesehen von den Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates, ist jedoch die Dublin-III-VO und nicht die frühere Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO) gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO anzuwenden, weil das Wiederaufnahmegesuch der Bundesrepublik Deutschland an Ungarn nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde. Gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 Dublin-III-VO ist die Dublin-III-VO ungeachtet des Zeitpunkts der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz ab dem 1. Januar 2014 auf alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern anwendbar.

2.1. Es kann vorliegend offen bleiben, ob und nach welcher der dort genannten ersten oder zweiten der dort genannten drei Optionen zum Fristanlauf vorliegend die 6-monatige Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO i.V. Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO angelaufen ist bzw. anläuft. Mangels Stellung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO i. V. m. § 34a Abs. 2 AsylVfG, der nach nationalem Recht die in Art. 27 Abs. 3 Satz 1 lit. c) Dublin-III-VO genannte Überprüfung der Überstellungsentscheidung in der Ausgestaltung der Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Schluss der Überprüfung vorsieht (ebenso VG Cottbus, B.v. 14.8.2014 - 5 L 231/14.A - jurisRn. 28; VG Karlsruhe, B.v. 15.4.2014 - A 1 K 25/14 - juris Rn. 8), scheidet diese Fristanlaufoption mangels auslösendem Ereignis vorliegend jedenfalls aus, da der Kläger einen solchen Antrag nicht gestellt hat. Inwieweit die erstgenannte Option des Fristanlaufs als Regel durch eine spätere Klageerhebung innerhalb des Laufs der Überstellungsfrist ausnahmsweise gehemmt wird und die Überstellungsfrist erneut nach der endgültigen Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung anläuft, um dem Ziel der Verfügbarkeit der vollen sechs Monate zur Abwicklung der Überstellung genügen zu können (vgl. die insoweit auch zu Dublin-III-VO heranziehbare, grundlegende Entscheidung des EuGH, U.v. 29.1.2009 - Petrosian u. a., C-19/08 - juris), bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

Es kann vorliegend offen bleiben, ob sich ein Kläger auf einem etwaigen Ablauf der Überstellungsfrist und einhergehenden Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte in Form eines subjektiv-öffentlichen Rechts gegen eine aufrechterhaltene, rechtswidrig gewordene Abschiebungsanordnung berufen kann zum Streitstand in der nationalen Rechtsprechung: Übersicht in VG Göttingen, B.v. 30.6.2014 - 2 B 86/14 - juris Rn. 17, 19 ff. mit der Rechtsauffassung, dass eine Verletzung eines subjektiven Rechts vorliegt unter Beleuchtung der Aussagekraft der Abdullahi-Entscheidung des EuGH [U.v. 10.12.2013, C-394/12 - juris] zu diesem Punkt, wenngleich zu Dublin-II-VO ergangen).

2.2. Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Ablehnung des Asylantrags als unzulässig ist § 27a AsylVfG; Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 AsylVfG.

Der Asylantrag wäre dabei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, wenn Ungarn aufgrund des bereits dort vom Kläger gestellten Asylantrags gemäß den Zuständigkeitskriterien der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO) für die Behandlung des Asylantrags zuständig wäre (vgl. auch § 71a Abs. 1 und Abs. 2 AsylVfG) oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin-II-VO vorrangig zuständig ist (OVG NRW U.v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - juris Rn. 31 m. w. N.).

2.3. Nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin-II-VO wäre an sich Ungarn der für die Prüfung des Asylantrags zuständige Mitgliedstaat.

Dabei kann sich die Zuständigkeit eines Mitgliedstaates nicht nur vorliegend aus den materiellen Zuständigkeitskriterien (Kap. III) der Dublin-II-VO ergeben, sondern auch aus dem Selbsteintritt eines Mitgliedstaates gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO; ein solcher Selbsteintritt bewirkt abweichend von den materiellen Zuständigkeitskriterien konstitutiv eine eigene Zuständigkeit des jeweils erklärenden Mitgliedstaates (vgl. Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin-III-VO). Ob im Einzelfall ein Selbsteintritt vorliegt oder nicht, hängt dabei zwar von den Umständen des Einzelfalles ab, wobei auch eine „konkludente“ Ausübung des Selbsteintrittsrechts denkbar ist (vgl. BayVGH B.v. 3.3.2010 - 15 ZB 10.30005 - InfAuslR 2010, 467, juris Rn. 4). Jedenfalls dann aber, wenn ein Mitgliedstaat ausdrücklich dem Übernahmeersuchen oder dem Wiederaufnahmeersuchen eines anderen Mitgliedstaates zustimmt (Art. 22 Abs. 1, 26 Dublin-III-VO) und entsprechende Unterrichtungen auf dem in Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO vorgesehenen Kommunikationsweg vornimmt, ist von einem Selbsteintritt i. S. v. Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO auszugehen, der den erklärenden Mitgliedstaat damit auch zum „zuständigen Mitgliedstaat“ i. S. v. Art. 18 Abs. 1 Dublin-III-VO macht (vgl. Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, Stand: November 2013, § 27a Rn. 174 und Rn. 177).

Vorliegend wäre Ungarn jedenfalls infolge seiner Erklärung vom 17. Februar 2014, mit der das ungarische Amt für Einwanderung und Nationalität (Office of Immigration and Nationality) die Bereitschaft zur Wiederaufnahme des Klägers zum Ausdruck brachte, nach der Dublin-III-VO zuständig und damit wiederaufnahmepflichtig geworden (Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 2 i. V. m. Art. 18 Abs. 1 Dublin-III-VO), wobei sich auch aus Art. 13 und Art. 3 Abs. 2 Abs. 1 Dublin-III-VO vorliegend nichts anderes ergäbe. Insbesondere kommt eine vorrangige Zuständigkeit Griechenlands aufgrund Art. 13 Dublin-III-VO gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO aufgrund der dort bestehenden systemischen Mängel des Asylsystems nicht in Betracht (vgl. EuGH (Große Kammer) U.v. 14.11.2014 - C-4/11 - NVwZ 2014, 129; EGMR Entsch. V. 6.9.2011 - 51599/08 - NVwZ 2012, 1233; EGMR (Große Kammer) U.v. 21.1.2011 - 30696/09 - NVwZ 2011, 413), zudem hat der Kläger dazwischen das Gebiet der Dublin-Mitgliedstaaten seinen Angaben zufolge verlassen.

2.4. Auch ist kein Verfahrensfehler im Hinblick auf das Wiederaufnahmegesuch des BAMF ersichtlich (vgl. Art. 20 - 23, 25 und 29 Dublin-III-VO).

2.5. Für Fälle wie den vorliegenden, in denen der somit an sich zuständige Mitgliedstaat der Wiederaufnahme (vorliegend Ungarn) in verfahrensfehlerfreier Weise zugestimmt hat, kann der Asylbewerber der Heranziehung der von der Dublin-II-VO vorgesehenen Zuständigkeitskriterien nur damit entgegentreten, dass er systematische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im Aufnahmemitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) ausgesetzt zu werden (vgl. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO; vgl. EuGH (Große Kammer) U. v. 14.11.2013 - C-4/11 - Rn. 36 f., NVwZ 2014, 129). Wird dies bejaht, hat der Mitgliedstaat in erster Linie die Prüfung der Zuständigkeitskriterien der Dublin-II-VO fortzusetzen, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach einem dieser Kriterien bestimmt werden kann (vgl. EuGH v. 14.11.2013, a. a. O., Rn. 36). Hingegen führt die Unmöglichkeit der Überstellung in den im Ausgangspunkt zuständigen Mitgliedstaat als solche nicht dazu, dass der den zuständigen Mitgliedstaat bestimmende Mitgliedstaat zum Selbsteintritt (Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO) verpflichtet wäre (vgl. EuGH v. 14.11.2013, a. a. O., Rn. 37). Dieser bereits für die Dublin-II-VO entwickelte Zusammenhang ist in dem bereits erwähnten Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO nunmehr ausdrücklich festgehalten. Bei der Prüfung der Frage systemischer Schwachstellen handelt es sich somit um die Subsumtion der unmittelbar anwendbaren Dublin-II-VO selbst, nicht um eine Frage einer teleologischen Reduktion oder gar einer inzidenten Verwerfung der Dublin-II-VO.

2.6. Im maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Eilentscheidung ist davon auszugehen, dass das ungarische Asylsystem systemische Schwachstellen aufweist.

2.6.1. Maßgeblich ist, wie gezeigt, gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG die Lage im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung. Deshalb kommt es weder auf den vom April 2012 stammenden Bericht des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) „Ungarn als Asylland - Bericht zur Situation für Asylsuchende und Flüchtlinge in Ungarn“ in seiner deutschsprachigen Fassung vom 15. Juni 2012 (zitiert nach www.b...eu/tag/ungarn-2 unter „Neue Berichte“ 17. Punkt, nachfolgend: UNHCR-Bericht April 2012) noch auf die vom UNHCR im Oktober 2012 ausgesprochene Empfehlung, nach den Dublin-II-Bestimmungen keine Asylbewerber nach Ungarn zu überstellen, wenn diese vor ihrer Ankunft in Ungarn durch Serbien gekommen waren (zitiert nach www.bordermonitoring.eu/tag/ungarn-2 unter „Neue Berichte“ 11. Punkt, nachfolgend: UNHCR-Bericht Oktober 2012) entscheidend an. Denn abgesehen davon, dass der UNHCR die Empfehlung vom Oktober 2012 bereits ab Dezember 2012 so nicht mehr aufrecht erhalten hat (vgl. UNHCR „Note on Dublin transfers to Hungary of people who have transited through Serbia - update“, December 2012, S. 1: „UNHCR acknowledges the subsequent progress in asylum practice in Hungary, and accordingly amends its previous position“, zitiert nach http://www.r.../country...HUN,,50d1d13e2,0.html, nachfolgend UNHCR-Bericht vom Dezember 2012), hat es auch nach den vom UNHCR im Dezember 2012 positiv gesehenen Verbesserungen weitere ungarische Reformen gegeben, die ab Juli 2013 in Kraft getreten sind und zum 1. Januar 2014 weiter fortgeschrieben wurden. Diese, ab Juli 2013 und Januar 2014 eingeführten, Regelungen stehen für das Gericht im Vordergrund.

2.6.2. Vor diesem Hintergrund ist aufgrund der aktuellen Erkenntnislage beim ungarischen Asylsystem derzeit von systemischen Mängeln i. S.v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO auszugehen.

2.6.2.1. Zwar hat gerade für Ungarn die Große Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) bereits in einem Zeitpunkt nach dem Inkrafttreten der ungarischen Asylrechtsänderungen zum 1. Juli 2013 systemische Mängel verneint (EuGH (Große Kammer) U.v. 10.12.2013 - C-394/12 - Rn. 60 und 61, NVwZ 2014, 208).

2.6.2.2. Allerdings sind zwischenzeitlich neue Erkenntnismittel verfasst und veröffentlicht worden, die dem EuGH bei seiner Entscheidung vom 10. Dezember 2013 noch nicht bekannt sein konnten, weil sie damals noch nicht existierten. Eine tragfähige Grundlage für die Annahme eines möglicherweise als systemisch zu bewertenden Mangels durch eine ungerechtfertigte Freiheitsentziehung kann dabei gegeben sein, wenn kompetente Stellen wie etwa der UNHCR und das EASO (Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen, errichtet durch die Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 132 v. 29.5.2010, S. 11) einen solchen Mangel feststellen (vgl. VG Hamburg B.v. 10.2.2014 - 19 AE 5415/13 - juris Rn. 24 - 32 und ihm folgend VG München B.v. 22.4.2014 - M 24 S 13.31311 - juris). An entsprechenden Stellungnahmen fehlte es zwar noch zur Zeit der soeben genannten Judikate; zwischenzeitlich sind aber weitere aktuelle Erkenntnismittel veröffentlicht worden, nämlich:

- Schreiben des UNHCR vom 9. Mai 2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 L 172/14.A (abrufbar in der öffentlich zugänglichen Datenbank MILO des BAMF);

- Bericht des HHC (Hungarian Helsinki Committee) zur Asylhaft und zu den Dublin-Verfahren in Ungarn (Stand: Mai 2014; ebenfalls abrufbar in MILO);

- Ungarn-Länder-Bericht des AIDA (Asylum Information Database), der ebenfalls vom HHC geschrieben und vom European Council on Refugees and Exiles (EDRE) veröffentlicht worden ist (Stand: 30.4.2014; abrufbar unter:

http://www.a...org/reports/c...).

Diesen Veröffentlichungen lassen sich insbesondere zur Inhaftierungspraxis Ungarns im Zusammenhang mit Asylfällen diverse Kritikpunkte entnehmen. Das Gericht schließt sich insoweit folgenden Ausführungen im Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 28. Mai 2014, Az. 13 L 172/14.A (juris Rn. 62 bis 100), an:

„Seit der (Wieder-)Einführung der Asylhaft zum 1. Juli 2013, die erneut eine Inhaftierung von Erstantragstellern - wie dem Antragsteller des vorliegenden Verfahrens - ermöglicht, wurden im Zeitraum von Juli bis Dezember 2013 rund 25% aller Asylantragsteller auf dieser Grundlage inhaftiert,

vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, Frage 1, Seite 1.

Die Gesamtzahl der in diesem Zeitraum gestellten neuen Asylanträge belief sich auf 7.156, während die Anzahl der Inhaftierungen im gleichem Zeitraum 1.762 betrug; die Hafteinrichtungen waren in diesem Zeitraum regelmäßig voll besetzt;

vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 1 und Fußnote 1; aida, National Country Report Hungary, S. 48.

Nach der Dublin-Verordnung nach Ungarn zurücküberstellte Asylbewerber wurden in diesem Zeitraum flächendeckend inhaftiert,

vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014 zu Frage 3, S. 2.

Zwar stellt der Umstand, dass das ungarische Asylrecht seit der erneuten Rechtsänderung zum 1. Juli 2013 - wieder - Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthält und Ungarn diese neuen Inhaftierungsvorschriften auch tatsächlich anwendet, für sich genommen noch keinen begründeten Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems dar. Denn auch das unionsrechtliche Regelungssystem geht seinerseits davon aus, dass eine Inhaftierung von Asylbewerbern - wenn auch unter engen Voraussetzungen - im Einzelfall möglich ist. Artikel 8 und 9 der Richtlinie 2013/33 EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragten (Neufassung) - im Folgenden: AufnahmeRL, geben den Mitgliedstaaten hierfür ausdrücklich einen rechtlichen Rahmen vor. Auch macht Ungarn ersichtlich nicht mehr in einem so umfassenden Umfang von den neuen Haftregelungen Gebrauch wie noch im Zeitraum bis zum 1. Januar 2013 nach der früheren Rechtslage.

Aus den aktuellen Erkenntnismitteln ergeben sich aber ungeachtet dessen sowohl hinsichtlich des Verfahrens der Haftanordnung durch die zuständige Verwaltungsbehörde (sog. Office of Immigration and Nationality - OIN) als auch mit Blick auf die gegen die Haftanordnung bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten Anhaltspunkte für eine grundrechtsverletzende, insbesondere willkürliche und nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügende Inhaftierungspraxis, der die Asylbewerber rechtsschutzlos ausgeliefert zu sein scheinen.

Den Verwaltungsentscheidungen, mit denen die Asylhaft gegenüber Erstantragstellern angeordnet wird, fehlt es regelmäßig an einer einzelfallbezogenen Begründung. Denn die haftanordnenden Entscheidungen des OIN nennen weder den konkreten Haftgrund, noch enthalten sie Angaben dazu, warum die Inhaftierung aus Sicht der zuständigen Behörde im konkreten Einzelfall erforderlich und angemessen ist und insbesondere keine anderen milderen Mittel in Betracht kommen, um eine Verfügbarkeit des Antragstellers im Asylverfahren sicherzustellen, wie etwa die Stellung einer Kaution, die Anordnung einer Residenzpflicht oder regelmäßige Meldepflichten - Alternativen zur Haft, die im neuen ungarischen Asylrecht rechtlich durchaus vorgesehen sind,

vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 3, Seite 2; aida, National Country Report Hungary, a. a. O., S. 51.

Vielmehr werden Asylbewerber nur mündlich über die Gründe ihrer Inhaftierung informiert und erhalten die - nicht mit einer Begründung versehene - Haftanordnung noch dazu ausschließlich in ungarischer Sprache,

vgl. aida, National Country Report Hungary, a. a. O., S. 56.

was jedenfalls die Überprüfbarkeit der Anordnung und die Inanspruchnahme von Rechtsschutz für den Asylbewerber deutlich erschweren dürfte.

Dass vor der Anordnung der Haft eine - lediglich nicht schriftlich dokumentierte - Einzelfallprüfung erfolgt, ergibt sich ebenfalls nicht. Nach den Angaben im aida Länderbericht soll die Asylhaft nach der ungarischen Rechtslage zwar auf der Grundlage einer Prüfung der individuellen Umstände des Einzelfalls und nur dann erfolgen, wenn - s.o. - keine weniger einschneidenden Alternativen in Betracht kommen. Die Erfahrung zeige aber, dass Haftanordnungen gerade ohne eine solche Einzelfallprüfung ergingen und Haftalternativen nicht geprüft würden. Auch würden zur Verfügung stehende Instrumente zur Überprüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Haftanordnung in der Praxis nicht angewendet,

vgl. aida, National Country Report Hungary, a. a. O., S. 51.

Vielmehr sei vollkommen intransparent und daher nicht vorhersehbar, welche Asylbewerber in Ungarn verhaftet würden und welche nicht und warum,

vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 3, S. 2.

Damit sehen sich aber grundsätzlich alle Asylbewerber bei der Erstantragstellung dem nicht einschätzbaren Risiko einer willkürlichen Inhaftierung ausgesetzt.

Soweit Dublin-Rückkehrer anders als die übrigen Asylbewerber nach ihrer Rückkehr nach Ungarn grundsätzlich inhaftiert werden,

vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 3, Seite 2,

führt dies nicht zu einer anderen Bewertung, da es nach der Auskunftslage auch hinsichtlich dieser Personengruppe jedenfalls an jeder individuellen Prüfung der Haftvoraussetzungen und Haftgründe zu fehlen scheint.

Soweit ausweislich des aida Länderberichts nach neuem Recht unbegleitete Minderjährige nicht inhaftiert werden dürfen und alleinstehende Frauen und Familien mit Kindern - obwohl rechtlich möglich - tatsächlich nicht in Asylhaft genommen werden,

vgl. aida, National Country Report Hungary, a. a. O., S. 48; andererseits sind andere besonders verletzliche Personen, z. B. ältere Menschen, oder Menschen mit körperliche oder geistigen Erkrankungen/Behinderungen, nicht von der Asylhaft ausgenommen sind und es bestehen auch keine ausreichenden Mechanismen, um diese Personen im Asylverfahren rechtzeitig zu identifizieren, S. 56,

bleibt schon offen, ob dies auch auf die Personengruppe der Dublin-Rückkehrer zutrifft, der der Antragsteller zugehört. Jedenfalls gehört der Antragsteller aber ersichtlich nicht zu diesen besonders geschützten Personengruppen, die nach der aktuellen Erkenntnislage von einer Asylhaft tatsächlich verschont bleiben.

Es ist andererseits nicht ersichtlich, dass die vorhandenen Rechtsschutzmöglichkeiten wenigstens nachträglich eine ausreichende und wirksame rechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Inhaftierungsentscheidung bzw. ihrer Fortdauer gewährleisten könnten. Im Gegenteil bewerten die aktuellen Erkenntnismittel die bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten als vollkommen ineffektiv und im Ergebnis wirkungslos. Selbstständige Rechtsbehelfe stehen gegen die behördliche Anordnung der Asylhaft nicht zur Verfügung,

vgl. aida National Country Report Hungary, a. a. O., S. 56 unten; Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, a. a. O., zu Frage 7, Seite 6.

Die Überprüfung der Haftanordnungen erfolgt vielmehr im Rahmen einer automatischen gerichtlichen Haftüberprüfung erstmals nach 72 Stunden, anschließend dann - weil die Behörden regelmäßig die Verlängerung der Haft um jeweils weitere 60 Tage beantragen - in einem 60-Tage-Rhythmus. Die zuständigen Gerichte setzen dabei die Überprüfungstermine im Halbstundentakt und regelmäßig für Gruppen von 5 bis 15 Inhaftierte gleichzeitig an, so dass für jeden Fall nur wenige Minuten zur Verfügung stehen.

vgl. auch aida-report, a. a. O., S. 57; Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014 zu Frage 7, S. 7.

Eine einzelfallbezogene Überprüfung, ob die Haftanordnung rechtmäßig war und der Haftgrund fortbesteht, dürfte - zumal die Haftgründe und sonstigen behördlichen Erwägungen wie ausgeführt in der behördlichen Anordnung nicht schriftlich fixiert sind - den Gerichten unter diesen Umständen kaum möglich sein,

so auch Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 7, Seite 7.

Erschwerend kommt hinzu, dass inhaftierte Asylbewerber zwar Anspruch auf einen kostenlosen Rechtsbeistand haben, diese Rechtsbeistände aber in den Haftprüfungsterminen normalerweise keine Einwände gegen die Verlängerung der Haftdauer erheben und regelmäßig auch nur in der ersten Überprüfung (nach 72 Stunden Haft) von Amts wegen zur Verfügung gestellt werden. Bei den späteren, wegen der regelmäßig erfolgenden Haftverlängerungen um 60 Tage grundrechtlich noch bedeutsameren Folgeüberprüfungen steht Asylantragstellern diese rechtliche Unterstützung in der Praxis dagegen regelmäßig nicht mehr zur Verfügung,

vgl. aida, National Country Report Hungary, a. a. O., S. 57.

Hierzu fügt sich, dass nach einer Untersuchung, die das höchste Gericht Ungarns (Kuria) in den Jahren 2011 und 2012 durchgeführt hat, lediglich in drei von 5.000 bzw. 8.000 Fällen, die automatische Haftüberprüfung (durch dieselben Gerichte, die auch nach neuem Recht für die Überprüfung zuständig sind), tatsächlich zu einer Aufhebung der Haftanordnung geführt hat,

vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 7, Seite 7; aida National Country Report Hungary, a. a. O., Seite 57.

Damit spricht nach den aktuellen Erkenntnissen viel dafür, dass das vorhandene Rechtsschutzsystem ungeeignet ist, um Asylbewerbern wirksamen Schutz vor einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung von regelmäßig erheblicher Dauer zu bieten.

Soweit das ungarische Asylrecht neben der automatischen Haftprüfung vorsieht, dass der Asylbewerber gegen die Anordnung der Asylhaft eine sog. „objection“, also wohl einen Einspruch, erheben kann, führt auch dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Dem UNHCR ist seit der Wiedereinführung der Asylhaft zum 1. Juli 2013 kein einziger Fall bekannt geworden, in dem ein solcher Einspruch tatsächlich erhoben worden ist. Nach Einschätzung des UNHCR werden Asylbewerber in der Praxis überhaupt nicht über diesen Rechtsbehelf informiert bzw. seitens der zuständigen Behörden mit dem Hinweis darauf, dass dieser Rechtsbehelf ungeeignet sei, die Rechtmäßigkeit der Haftentscheidung anzugreifen, von einer Einlegung abgehalten,

vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 9. Mai 2014, zu Frage 7, Seite 6.

Zu alledem fügt sich schließlich, dass Asylbewerber, die inhaftiert werden, nach den vorliegenden Erkenntnismitteln mit großer Wahrscheinlichkeit die gesamte Dauer ihres Asylverfahrens inhaftiert bleiben. Die maximale Haftdauer der seit dem 1. Juli 2013 neu geregelten Asylhaft beträgt sechs Monate und auch die durchschnittliche Haftdauer wird derzeit mit 4 bis 5 Monaten angegeben, reicht also deutlich an die rechtlich zulässige Höchsthaftdauer heran,

1vgl. aida National Country Report Hungary, a. a. O., S. 51 und 49.”

Angesichts insbesondere des hohen Gewichts, das Stellungnahmen des UNHCR beizumessen ist (EuGH U.v. 30.5.2013 - C-528/11 - Rn. 44, NVwZ-RR 2013, 660), führen die genannten neuesten Erkenntnismittel (Schreiben des UNHCR vom 9.5.2014; Bericht des HHC [Hungarian Helsinki Committee] vom Mai 2014; Ungarn-Länder-Bericht des AIDA [Asylum Information Database] - Stand: 30.4.2014) dazu, vom Vorliegen systemischer Schwächen im ungarischen Asylsystem i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO auszugehen. Denn im Hinblick auf diese seit nunmehr rund drei Monaten unveränderte und von der Beklagten nicht substantiiert in Zweifel gezogene Erkenntnismittellage ist davon auszugehen, dass Dublin-Rückkehrer nach ihrer Ankunft in Ungarn grundsätzlich, ohne Angabe von Gründen und ohne eine Prüfung ihrer individuellen Umstände inhaftiert werden, sonstige Asylbewerber grundsätzlich jedenfalls dem Risiko einer willkürlichen Inhaftierung ausgesetzt sind und beide Gruppen mangels wirksamer Rechtsschutzmöglichkeiten die Anordnung der Haft bzw. die Haftfortdauer nicht mit Aussicht auf Erfolg überprüfen lassen können (vgl. VG Düsseldorf B.v. 28.5.2014 - 13 L 172/14.A - juris Rn. 101). Infolge dessen kommt es auch nicht mehr auf die Frage an, ob die konkreten Haftbedingungen der in Ungarn inhaftierten Asylbewerber das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß übersteigen.

Es ist in keiner Weise ersichtlich, dass sich in der Zeit seit der Veröffentlichung der genannten Erkenntnismittel bis zur vorliegenden Entscheidung Veränderungen im ungarischen Asylsystem ergeben hätten. Die genannten fachkundigen Institutionen haben ihre kritischen Aussagen nicht relativiert, insbesondere hat der UNHCR keinen allgemeinen Bericht veröffentlicht, aus dem hervorginge, dass er seine kritische Haltung gegenüber dem ungarischen Asylsystem, die er in seiner Stellungnahme an das VG Düsseldorf zum Ausdruck gebracht hat, nicht mehr aufrecht erhalten würde. Der streitgegenständliche Bescheid setzt sich zwar mit der aktuellen Rechtslage in Ungarn, nicht aber mit der Frage der tatsächlichen Verhältnisse, wie sie in den genannten aktuellen Erkenntnismitteln dargestellt werden, auseinander. Auch hat die Beklagtenseite im gerichtlichen Verfahren nicht ansatzweise vorgetragen, dass sich insoweit Verbesserungen ergeben hätten. Das Gericht sieht deshalb im Hinblick auf die seit nunmehr rund drei Monaten unveränderte neuere Erkenntnismittellage gegenüber dem ungarischen Asylsystem und die dort vorgebrachten Kritikpunkte (s.o.) sowie im Hinblick darauf, dass die Beklagtenseite hiergegen auch auf das gerichtliche Anhörungsschreiben vom 29. Juli 2014 hin nicht substantiiert zur Frage zwischenzeitlicher Veränderungen im ungarischen Asylsystem vorgetragen hat, keinen Anlass für ergänzende Anfragen bei den genannten Stellen dahin, ob von deren kritischer Haltung abgerückt wird.

2.7. Dieses Ergebnis erscheint auch in Anbetracht des primärrechtlichen Gebots der effektiven Umsetzung der Dublin-VO (vgl. Art. 4 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union - EUV) sachgerecht, weil im Fall des Klägers - eines Asylrückkehrers - angesichts der genannten neuesten Erkenntnismittel die Gefahr einer Verletzung unionsrechtlicher Grundrechte (Art. 4 GRCh), die ebenfalls Teil des unionsrechtlichen Primärrechts sind (vgl. Art. 6 Abs. 1 EUV), hinreichend wahrscheinlich ist.

Dabei ist zwar zu sehen, dass den Regelungen der Dublin-II- und der Dublin-III-Verordnung zunächst der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zugrunde liegt, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erschüttert sein muss, um zum Erfolg eines Rechtsbehelfs gegen eine Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG führen zu können. Dieser Grundsatz kann nicht mittels jedweder Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat außer Kraft gesetzt werden (vgl. EuGH (Große Kammer) U. v. 21.12.2011 - C-411/10 u. a. - Rn. 82, NVwZ 2012, 417); denn andernfalls würden die betreffenden Verpflichtungen zur Beachtung der Bestimmungen der Dublin-VO in ihrem Kern ausgehöhlt werden (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011, a. a. O., Rn. 85). Auch ist zu sehen, dass das Arbeitsprogramm 2014 der EASO (abrufbar unter: http://e...eu/wp-co...pdf) nach wie vor Ungarn nicht auflistet.

Das ändert aber nichts daran, dass Stellungnahmen des UNHCR - angesichts der Rolle, die diesem durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist - bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin-VO zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zukommt (EuGH U.v. 30.5.2013 - C-528/11 - Rn. 44, NVwZ-RR 2013, 660). Hinzu kommt, dass die im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung veröffentlichten aktuellen Stellungnahmen der Non-Government-Organisationen keine andere Einschätzung nahelegen als diejenige, die der UNHCR in seinem Schreiben vom 9. Mai 2014 dem Verwaltungsgericht Düsseldorf mitgeteilt hat (s.o.).

Dies rechtfertigt es, auch in Anbetracht des primärrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes und des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten, im Hinblick auf Art. 4 GRCh, den der sekundärrechtliche Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO selbst in Bezug nimmt, von systemischen Schwächen im ungarischen Asylsystem i. S.v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO auszugehen, so dass Ungarn - obwohl an sich nach der Dublin-II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens des Klägers berufen - gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO gleichwohl nicht zuständig ist.

2.7. Angesichts der somit wegen Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO nicht gegebenen Zuständigkeit Ungarns, ist nach dieser Vorschrift weiter zu prüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann, wobei eine entsprechende verwaltungsgerichtliche Prüfung aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen ist, sondern nur insoweit, also sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben (OVG NRW U.v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - juris Rn. 31).

Vorliegend ist eine Zuständigkeit anderer Mitgliedstaaten nach der Dublin-II-VO aber nicht ersichtlich. Eine Zuständigkeit eines Mitgliedstaates aus familienbezogenen Gründen gemäß Art. 7,8, 14 Dublin-II-VO ist nicht ersichtlich. Auch ist nicht ersichtlich, dass der Kläger über einen Aufenthaltstitel oder ein Visum im Sinne von Art. 9 Dublin-II-VO verfügt hätte (vgl. Bl. 85ff. der BAMF-Akte). Weiter ist auch für eine Zuständigkeit anderer Staaten als der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 10 Dublin-II-VO nichts ersichtlich. Wie bereits gezeigt, kommt eine vorrangige Zuständigkeit Griechenlands aufgrund Art. 10 Abs. 1 Dublin-II-VO und aufgrund der dort bestehenden systemischen Mängel des Asylsystems nicht in Betracht (s.o.). Auch hat die Reise des Klägers von Ungarn nach Deutschland keine Zuständigkeit nach Art. 10 Abs. 2 Dublin-II-VO eines anderen Staates begründet (Erfordernis eines mindestens 5-monatigen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat). Ein Fall visafreier Einreise (Art. 11 Dublin-II-VO) ist beim Kläger, der pakistanischer Staatsangehöriger ist, nicht gegeben. Art. 11 Dublin-III-VO ist nicht einschlägig, weil der Kläger nicht im Transitbereich eines Flughafens einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Danach ist angesichts der - wie gezeigt - entsprechend Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO - anzunehmenden Unzuständigkeit Ungarns (s.o.) die Bundesrepublik Deutschland für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig.

Das führt im Ergebnis dazu, dass weder die Voraussetzungen für eine Unzulässigkeit des Asylantrags des Klägers nach § 27a AsylVfG noch für eine Abschiebungsandrohung nach § 34a AsylVfG vorgelegen haben und die insoweit zulässige Anfechtungsklage in vollem Umfang Erfolg hat (§ 113 Abs. 1 VwGO).

3. Die zusätzlich zur Anfechtungsklage erhobene Verpflichtungsklage auf Durchführung des Asylverfahrens des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland in eigener Zuständigkeit ist dagegen mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit - wie hier (s.o.) - der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist (OVG NRW U.v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - juris Rn. 31; im Ergebnis ebenso VGH Baden-Württemberg U.v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - juris Rn. 18). Eine Zulässigkeit eines solchen Verpflichtungsantrags folgt dabei auch nicht aus der Möglichkeit des in Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO vorgesehenen Selbsteintritts, weil selbst bei Bestehen systemischer Mängel keine Verpflichtung zum Selbsteintritt bestünde (vgl. OVG NRW U.v. 7.3.2014, a. a. O. und VGH Baden-Württemberg U.v. 16.4.2014, a. a. O., jeweils mit Hinweis auf EuGH U.v. 14.11.2013 - C-4/11 - NVwZ 2014, 129).

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat mit der erfolgreichen Anfechtungsklage überwiegend obsiegt, nämlich im Hinblick sowohl auf Nummer 1 als auch im Hinblick auf Nummer 2 des streitgegenständlichen Bescheides, wobei aufgrund der - wie gezeigt - bestehenden und von Amts wegen zu prüfenden Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland das mit der (wie gezeigt unzulässigen) Verpflichtungsklage verfolgte Ziel im Ergebnis vollständig erreicht wird (s.o.) und zu sehen ist, dass der Verpflichtungsantrag nur auf Verbescheidung, nicht aber auch auf Verpflichtung zur inhaltlichen Zuerkennung des Asyl- oder eines internationalen Schutzstatus oder von Abschiebungsverboten gerichtet war. Vor diesem Hintergrund ist das Obsiegen des Klägers hinsichtlich der Anfechtungsklage mit drei Vierteln und sein Unterliegen mit einem Viertel zu bewerten.

5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

ra.de-Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

12 Referenzen - Gesetze

moreResultsText

{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der
8 Referenzen - Urteile

moreResultsText

{{Doctitle}} zitiert oder wird zitiert von {{count_recursive}} Urteil(en).

published on 07/12/2015 00:00

Gründe 1 Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde ist unbegründet.
published on 15/05/2014 00:00

Gründe I. 1 Die Satzung der Beklagten über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer vom 17
published on 16/04/2014 00:00

Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2013 (A 12 K 331/13) geändert.Die Klage wird abgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Rechtszüge.Die Revisio
published on 15/04/2014 00:00

Tenor Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 19.12.2013 - A 1 K 2359/13 - wird geändert und die aufschiebende Wirkung der Klagen der Antragsteller gegen die Abschiebungsanordnungen im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtling
{{Doctitle}} zitiert {{count_recursive}} Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Annotations

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.

(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.

(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.

Für die örtliche Zuständigkeit gilt folgendes:

1.
In Streitigkeiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis beziehen, ist nur das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Vermögen oder der Ort liegt.
2.
Bei Anfechtungsklagen gegen den Verwaltungsakt einer Bundesbehörde oder einer bundesunmittelbaren Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Bundesbehörde, die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung ihren Sitz hat, vorbehaltlich der Nummern 1 und 4. Dies gilt auch bei Verpflichtungsklagen in den Fällen des Satzes 1. In Streitigkeiten nach dem Asylgesetz ist jedoch das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Ausländer nach dem Asylgesetz seinen Aufenthalt zu nehmen hat; ist eine örtliche Zuständigkeit danach nicht gegeben, bestimmt sie sich nach Nummer 3. Soweit ein Land, in dem der Ausländer seinen Aufenthalt zu nehmen hat, von der Möglichkeit nach § 83 Absatz 3 des Asylgesetzes Gebrauch gemacht hat, ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, das nach dem Landesrecht für Streitigkeiten nach dem Asylgesetz betreffend den Herkunftsstaat des Ausländers zuständig ist. Für Klagen gegen den Bund auf Gebieten, die in die Zuständigkeit der diplomatischen und konsularischen Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland fallen, auf dem Gebiet der Visumangelegenheiten auch, wenn diese in die Zuständigkeit des Bundesamts für Auswärtige Angelegenheiten fallen, ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Bundesregierung ihren Sitz hat.
3.
Bei allen anderen Anfechtungsklagen vorbehaltlich der Nummern 1 und 4 ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Verwaltungsakt erlassen wurde. Ist er von einer Behörde, deren Zuständigkeit sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt, oder von einer gemeinsamen Behörde mehrerer oder aller Länder erlassen, so ist das Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Beschwerte seinen Sitz oder Wohnsitz hat. Fehlt ein solcher innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Behörde, so bestimmt sich die Zuständigkeit nach Nummer 5. Bei Anfechtungsklagen gegen Verwaltungsakte einer von den Ländern mit der Vergabe von Studienplätzen beauftragten Behörde ist jedoch das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Behörde ihren Sitz hat. Dies gilt auch bei Verpflichtungsklagen in den Fällen der Sätze 1, 2 und 4.
4.
Für alle Klagen aus einem gegenwärtigen oder früheren Beamten-, Richter-, Wehrpflicht-, Wehrdienst- oder Zivildienstverhältnis und für Streitigkeiten, die sich auf die Entstehung eines solchen Verhältnisses beziehen, ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Kläger oder Beklagte seinen dienstlichen Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Wohnsitz hat. Hat der Kläger oder Beklagte keinen dienstlichen Wohnsitz oder keinen Wohnsitz innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Behörde, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat, so ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk diese Behörde ihren Sitz hat. Die Sätze 1 und 2 gelten für Klagen nach § 79 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen entsprechend.
5.
In allen anderen Fällen ist das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz, Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthalt hat oder seinen letzten Wohnsitz oder Aufenthalt hatte.

Für die sachliche und örtliche Zuständigkeit gelten die §§ 17 bis 17b des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend. Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2 und 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind unanfechtbar.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.