Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 13. Apr. 2016 - 9 A 105/14 MD

ECLI:ECLI:DE:VGMAGDE:2016:0413.9A105.14MD.0A
bei uns veröffentlicht am13.04.2016

Tenor

Das Verfahren wird bis zu einer Entscheidung des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt in der Verfassungsstreitsache LVG 1/16 ausgesetzt.

Gründe

I.

1

Das Verfahren war im Lichte der Verfassungsstreitsache LVG 1/16 (Normenkontrollverfahren der Fraktion DIE LINKE im Landtag von Sachsen-Anhalt nach Artikel 75 Ziffer 3 Verf LSA, §§ 39 ff. LVerfGG gegen § 18 Abs. 2 KAG LSA in der Fassung des Gesetzes zur Änderung kommunalabgabenrechtlicher Vorschriften vom 17.12.2014 [GVBl. LSA, S. 522] – KAGÄndG –) in entsprechender Anwendung von § 94 VwGO auszusetzen. Es besteht zwar im vorliegenden Fall keine gesetzlich normierte Pflicht zur Aussetzung des Verfahrens (vgl. Art. 100 GG), zumal es sich bei der Feststellung der Gültigkeit einer Rechtsnorm nicht um ein vorgreifliches Rechtsverhältnis im Sinne von § 94 VwGO handelt. Insbesondere zur Vermeidung von widersprüchlichen Entscheidungen wird § 94 VwGO jedoch analog angewandt, wobei die Aussetzung des Verfahrens im Ermessen des Gerichts steht (vgl. BVerwG, B. v. 03.11.2006 - 6 B 21/06 -, juris; so auch Garloff in: Posser/ Wolff, VwGO, Kommentar, 2. Aufl., § 94 Rn. 3). Das Gericht macht von der ihm so eingeräumten Aussetzungsmöglichkeit zur Gewährung einer prozessualen Chancengleichheit auch im Lichte der Rechtsprechung des OVG LSA, B. v. 17.02.2016 - 4 L 119/15 -, juris , Gebrauch, weil die Verfassungskonformität der im Normenkontrollverfahren angegriffenen Regelung des § 18 Abs. 2 KAG LSA nicht ausgeschlossen werden kann und im Falle der Feststellung der Nichtigkeit der Vorschrift nicht mehr anfechtbare Entscheidungen der Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die auf der für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt bleiben (vgl. § 183 VwGO).

2

Das Gericht vermag es insoweit nicht gänzlich auszuschließen, dass durch das Inkrafttreten des § 18 Abs. 2 KAG LSA sowohl der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes als auch der Grundsatz der Rechtssicherheit aus Art. 2 Abs. 1 Verf LSA verletzt ist. Diese Grundsätze finden ihre Ausprägung sowohl im Rückwirkungsverbot als auch im Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 05.03.2013 -1 BvR 2457/08 - und vom 12.11.2015 - 1 BvR 2961/14-; beide juris).

3

Die Anwendung von § 18 Abs. 2 KAG LSA ist vorliegend auch entscheidungserheblich und insbesondere wegen des Sinn und Zwecks der Regelung (siehe unten) keiner anderweitigen verfassungsrechtlichen Auslegung zugänglich.

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1. Mit der Einführung von §§ 13 b, 18 Abs. 2 KAG LSA verfolgte der Gesetzgeber in Sachsen-Anhalt in Entsprechung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 05.03.2013 (a. a. O.) das Ziel, einen verfassungskonformen Zustand zur rechtssicheren Erhebung von Abgaben herbeizuführen, wobei von der Regelung alle noch offen Veranlagungsfälle und nicht nur die nach Inkrafttreten des KAGÄndG entstehenden Vorteilslagen erfasst werden sollten (so auch OVG LSA, B. v.17.02.2016 – 4 L 119/15 –, bislang unv.). § 13 b Satz 1 KAG LSA regelt insoweit, dass eine Abgabenfestsetzung unabhängig vom Entstehen der Abgabenpflicht zum Vorteilsausgleich mit Ablauf des zehnten Kalenderjahres, welches auf den Eintritt der Vorteilslage folgt, ausgeschlossen ist. Die nach Maßgabe dieser Vorschrift zu bestimmende Ausschlussfrist endet jedoch nicht vor dem Ablauf des Jahres 2015 (§ 18 Abs. 2 KAG LSA). Durch letztere Vorschrift sollte den Aufgabenträgern die Möglichkeit eröffnet werden, a l l e noch offenen Beitragsfälle einer Festsetzung zuzuführen (LT-Drs. 6/3419, S. 23). Ziel des § 18 Abs. 2 KAG LSA war es mithin nicht, den Aufgabenträgern nur die Möglichkeit einzuräumen, noch die Beitragsverhältnisse zu realisieren, die mit Ablauf des Jahres 2014 die 10-Jahres-Grenze erreicht hätten. Denn dann wäre eine Regelung erforderlich gewesen, die dies ausdrücklich in diesem Sinne regelt (z. B. …Für die Vorteilslagen, für die wegen § 13 b KAG LSA Beiträge bis zum 31.12.2014 festgesetzt werden müssen, können noch bis 31.12.2015 Beiträge erhoben werden...). Der Gesetzgeber hat durch § 18 Abs. 2 KAG LSA mithin die in § 13 b Satz 1 KAG LSA enthaltene Regelung um eine Ablaufhemmung mit der Folge modifiziert, dass sämtliche offenen Beiträge bis 31.12.2015 noch festgesetzt werden konnten. Anders gewendet: Bei § 18 Abs. 2 KAG LSA handelt es sich nicht um eine Übergangsfrist im formellen Sinne; vielmehr bewirkt sie eine materielle Höchstfristbestimmung für die Vorteilslagen, die von § 13 b Satz 1 KAG LSA, weil vor dem 01.01.2005 entstanden, nicht mehr erfasst werden. Deshalb kann es dahinstehen, ob der Gesetzgeber wegen der bisherigen Rechtlage und des Inkrafttretens des KAGÄndG am 24.12.2014 befugt bzw. (sogar) gehalten war, eine Übergangsfrist im formellen Sinne für die Festsetzung solcher Beitragsfälle zu bestimmen, bei denen die 10 Jahres-Frist aus § 13 b Satz 1 KAG LSA zum Ende des Jahres 2014 ablief, was wohl zu bejahen sein dürfte.

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2. Das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit verlangt nach Regelungen, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an der Erhebung von Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des (potentiellen) Beitragsschuldners andererseits Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann (vgl. BVerfG, B. v. 05.03.2013, a. a. O.). Trifft der Gesetzgeber solche Regelungen auch mit Wirkung für solche Vorteilslagen, die bereits in der Vergangenheit entstanden sind, unterliegt er insoweit den aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes resultierenden Beschränkungen, wobei für die Beurteilung des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes auf den jeweiligen Lebenssachverhalt abzustellen ist (vgl. BVerfG, B. v 12.11.2015, a. a. O.). Anders gewendet: Regelungen zur Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit sind in diesen Fällen auch an den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gebotes des Vertrauensschutzes zu messen.

a)

6

Insoweit unterlag der Gesetzgeber zwar nicht den sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes ergebenden Beschränkungen für eine echte Rückwirkung (i. S. e. tatbestandlichen Rückbewirkung von Rechtsfolgen). Denn diese betrifft nur Sachverhalte, die bereits in der Vergangenheit endgültig abgeschlossenen waren, wobei es sich bei der Beurteilung, wann ein Sachverhalt in der Vergangenheit bereits (endgültig) abgeschlossen war, um eine ausschließlich von den Gerichten zu beurteilende Rechtsfrage handelt. In beitragsrechtlicher Hinsicht hat das BVerfG mit Beschluss vom 12.11.2015 (a. a. O.) klargestellt, dass dies nicht nur dann der Fall ist, wenn zuvor wirksam ein Beitragsschuldverhältnis begründet worden war. Vielmehr kann es genügen, dass Beiträge nach der bisherigen Rechtslage nicht mehr hätten erhoben werden können, was jedoch durch die konstitutive Gesetzesänderung in dem zu entscheidenden Fall gerade (wieder) ermöglicht werden sollte. § 18 Abs. 2 KAG LSA würde jedoch nur dann in einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt eingreifen, wenn in der Vergangenheit eine (Höchst-)Frist gegolten hätte, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des KAGÄndG bereits abgelaufen war; dies ist nicht der Fall.

7

Eine echte Rückwirkung ergibt sich auch nicht daraus, dass nach der bisherigen Rechtslage wegen einer nicht vorhandenen Begrenzungsregelung in zeitlicher Hinsicht gar keine Anschlussbeiträge hätten erhoben werden können. Denn das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetze beruht auf dem Prinzip des Vertrauensschutzes; dieses greift jedoch deshalb nicht, weil niemand in den uneingeschränkten Fortbestand einer ungültigen Rechtslage – im Sinne ihrer Unabänderbarkeit – ein schützenswertes Vertrauen haben kann (vgl. BVerwG, B. v. 22.01.1986 - 8 B 123.84 -; BVerfG, B. v. 03.09.2009 - 1 BvR 2384/08 -; beide juris). Dies wird insbesondere daran deutlich, dass auch das Bundesverfassungsgericht in Ansehung der Verfassungswidrigkeit der Rechtslage (in Bayern) lediglich eine Unvereinbarkeitsfeststellung getroffen und Möglichkeiten für den Gesetzgeber zur Schaffung einer verfassungskonformen Rechtslage aufgezeigt hat. Eine echte Rückwirkung hätte aber Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers von vornherein ausgeschlossen.

b)

8

Das Gericht vermag es jedoch nicht mit einer der Aussetzung entgegenstehenden Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass der Gesetzgeber mit § 18 Abs. 2 KAG LSA nicht hinreichend die oben dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen an die (Höchstfristen-)Regelung beachtet hat, die auch Sachverhalte erfasst, die bereits in der Vergangenheit begonnen haben. Zur Beachtung dürfte er jedoch deshalb verpflichtet gewesen sein, weil der Regelung des § 18 Abs. 2 KAG LSA unechte Rückwirkung (i. S. e. tatbestandlichen Rückanknüpfung) zukommen dürfte (a. A. OVG LSA, B. v. 17.02.2016 – 4 L 119/15 –). Denn eine solche liegt immer dann vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt (1), damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet wird (2) und die Rechtsposition auch schutzwürdig war (3).

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(1) Mit § 18 Abs. 2 KAG LSA wird auf einen noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt (Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage und noch nicht abgeschlossene Beitragserhebung) für die Zukunft eingewirkt.

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(2) Der Abgabenschuldner hatte zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des KAGÄndG eine solche Rechtsposition inne, die infolge der Regelung des § 18 Abs. 2 KAG LSA entwertet werden kann.

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Die vom Gesetzgeber (nunmehr) zu schützende Rechtsposition dürfte nach derzeitiger rechtlicher Bewertung durch das Gericht an die vermittelte (tatsächlichen) Vorteilslage dergestalt anknüpfen, weil er dadurch zum potentiellen Abgabenschuldner wird und das geltende Recht Regelungen im Sinne der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit enthalten muss. Denn mit der (beitragsrechtlichen) Vorteilslage sind zwischen dem Grundstückseigentümer und Aufgabenträger Rechtsbeziehungen entstanden, aus denen sich u. a. die aus dem Gebot der der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit notwendigen Erfordernisse (zeitliche Begrenzung) ergeben. Dass auch der Fall des regelungslosen Zustandes eine schützenswerte Rechtsposition vermittelt, wird anschaulich, stelle man sich anstelle der verfassungswidrigen Rechtslage eine solche vor, die von Regelungen geprägt war, die nunmehr mit Wirkung für die Zukunft geändert werden (z. B. Frist von 10 Jahren, 5 Jahre abgelaufen, Verlängerung auf 15 Jahre). War die Rechtslage davon geprägt, dass es an solchen Regelungen mangelte, kann dies in Bezug auf die Rechtsposition im Falle eines regelungslosen Zustandes aus der Sicht des Gerichts nicht anders zu beurteilen sein. Dies angenommen, ist bei der Schaffung von Regelungen zur Herstellung eines verfassungskonformen Zustandes von einer durch die tatsächlichen Verhältnisse und daraus resultierender Abgabenansprüche geprägten Rechtsposition der von der Neuregelung Betroffenen auszugehen. Anders gewendet: Das Fehlen einer Regelung zur Höchstfrist für die Beitragserhebung führt nicht dazu, dass es an einer bei der Schaffung erstmaliger Regelungen zu berücksichtigenden Rechtsposition mangelt, da diese zwingend erforderlich sind.

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Vor diesem Hintergrund erschließt sich zudem, dass mit der erstmaligen Regelung einer Höchstfrist für die Festsetzung von Beiträgen auch belastende Wirkungen im Sinne der Entwertung der bisherigen Rechtsposition einhergehen können. Dies schon deshalb, weil ohne (jegliche) Begrenzungsregelung eine gesetzliche Grundlage für die Erhebung von Anschlussbeiträgen fehlte. Dies aber auch, wenn der Gesetzgeber den o. a. Maßstab für die (hier: erstmalige) Schaffung solcher Regelungen missachtet, die zur Verwirklichung des Gebotes der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit unabdinglich sind. Für die Beurteilung, ob mit einer gesetzlichen Regelung bestehende Rechtspositionen entwertet werden, ist dagegen nicht beachtlich, dass nach der alten Rechtslage die Beitragserhebung zeitlich unbegrenzt – nunmehr aber nur noch zeitlich begrenzt – möglich war, da dieser Zustand verfassungswidrig war, mithin nicht als Maßstab für die Frage, ob mit der Neuregelung eine Entwertung der bisherigen Rechtsposition einhergeht, herhalten kann. Deshalb spricht auch der Umstand, dass mit der erstmaligen Einführung einer Höchstfrist zwar formell den verfassungsrechtlichen Anforderungen Genüge getan wird, weil sie dem Bürger Rechtsklarheit verschafft, nicht per se dafür, dieser Regelung von vorherein eine belastende Wirkung abzusprechen.

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(3) Die Rechtsposition der potentiellen Abgabenschuldner dürfte auch schutzwürdig sein. Dem steht aus der Sicht des Gerichts jedenfalls nicht entgegen, dass jeder potentielle Abgabenschuldner nach der zuvor bestehenden Rechtslage habe damit rechnen müssen, zeitlich unbegrenzt zu einem Beitrag herangezogen zu werden (so aber OVG LSA, B. v. 17.02.2016, a. a. O.). Denn diese Rechtslage war - wie zuvor dargelegt - verfassungswidrig. Eine durch eine nicht vorhandene, jedoch zwingend notwendige zeitliche Begrenzungsregelung verfassungswidrige Rechtslage führt jedoch nicht dazu, dem Grundstückseigentümer ein schutzwürdiges Vertrauen in Bezug auf die erstmalige Herstellung eines verfassungskonformen Zustandes abzusprechen.

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3. Vorliegend besteht ein nicht durch sachliche Gründe zu rechtfertigender Wertungswiderspruch zwischen der in § 13 b Satz 1 KAG LSA geregelten "Regel"Höchstfrist von 10 Jahren und der sich im Einzelfall aus § 18 Abs. 2 KAG LSA ergebenden Höchstfrist, die vom 15.06.1991 bis zum 31.12.2015 reichen kann. Insoweit steht nicht in Frage, ob sich der Gesetzgeber generell für eine Höchstfrist von z. B. 30 Jahren hätte entscheiden können, da er dies ersichtlich nicht durchgängig getan hat. Vielmehr ist das Handeln des Gesetzgebers allein danach zu beurteilen, ob er für die Ausgestaltung der Höchstfrist folgerichtige Regelungen getroffen hat, die zu einer, nur beim Vorliegen sachlich gerechtfertigter Gründe ungleichen Belastung infolge der Abgabenerhebung führt. Diese differenzierende Betrachtung ist deshalb geboten, weil eine nur ergebnisbezogene ausscheidet, da es a l l e i n Aufgabe des Gesetzgeber ist, einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen der Abgabepflichtigen und Aufgabenträger zu schaffen (vgl. BVerwG, U. v. 15.04.2015 - 9 C 19/14 -, juris), so dass die in der vorstehenden Entscheidung vom Bundesverwaltungsgericht akzeptierte Frist von 18 Jahren allenfalls ein Anhaltspunkt bei der hier nicht beachtlichen rechtlichen Beurteilung über die Höchstdauer der Frist sein kann.

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Das durch den Gesetzgeber zwingend zu berücksichtigende Vertrauen der Grundstückseigentümer ist umso schützenswerter, je näher die rückwirkende Regelung vom Ergebnis einer echten Rückwirkung gleichkommt (vgl. BVerfG, B. v. 12.11.2015, a. a. O., Rn.63). Geht das Bundesverfassungsgericht davon aus (vgl. B. v. 05.03.2013, a. a. O.), dass sich ein Vorteil "verflüchtigen" kann, dann kann auch das Vertrauen des Einzelnen, von der Abgabenerhebung verschont zu bleiben, mit zunehmender Dauer einer unterbliebenen Beitragserhebung nicht völlig unbedeutend sein bzw. in einer Weise erstarken, dass dieser Sachverhalt einem solchen nahekommt, bei dem ein Abgabenschuldner nicht mehr mit seiner Heranziehung zu rechnen brauchte (= echte Rückwirkung). Deshalb ist zumindest eine Abweichung von § 13 b Satz 1 KAG LSA in der von § 18 Abs. 2 KAG LSA angeordneten Weise beachtlich rechtfertigungsbedürftig.

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Die Entscheidung des Gesetzgebers dürfte ungeachtet der dafür angeführten Gründe (LT-Drs. 6/3419, S. 23) im Ergebnis der von Verfassungs wegen erforderlichen nachvollziehbaren Abwägung zwischen den Interessen der Beteiligten nicht Stand halten. Vielmehr könnten gewichtige Anhaltspunkte dafür sprechen, dass sie auch im Ergebnis den Interessen an der (vollständigen) Abgabenerhebung ein so alleinbestimmendes Gewicht beimisst, ohne dass erkennbar wäre, dass die Interessen der Grundstückseigentümer (auch nur ansatzweise) berücksichtigt worden sind. So lässt der Gesetzgeber trotz seiner in § 13 b Satz 1 KAG LSA getroffenen Grundentscheidung keinerlei Gesichtspunkte für eine zeitliche Begrenzung in die Vergangenheit erkennen.

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Wie bereits oben dargelegt, kann für die Abschöpfung von Vorteilsagen, die bereits vor mehr als 10 Jahren begründet wurden, nicht erfolgreich darauf verwiesen werden, die Grundstückseigentümer mussten aufgrund der bisherigen Rechtsprechung jedenfalls auch noch zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des KAGÄndG 2014 mit ihrer Heranziehung zu Anschlussbeiträgen rechnen. Dies ist zwar in tatsächlicher Hinsicht richtig. Aus rechtlicher Sicht kann dem Grundstückseigentümer die bis dahin bestehende verfassungswidrige (Rechts-)Lage jedoch nicht dergestalt zum Nachteil gereichen, dass nunmehr jedwede Berücksichtigung seiner Interessen entbehrlich ist. Insoweit kann zugunsten der Grundstückseigentümer von einer rechtlich schützenswerten Rechtsposition in der Weise ausgegangen werden, der Gesetzgeber bzw. die Gerichte werden die Abgabenerhebung in zeitlicher Hinsicht nach Entstehen der Vorteilslage begrenzen. Mag auch der Umstand der gefestigten Rechtsprechung zum Entstehen der sachlichen Beitragspflicht (vgl. Haack in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand März 2016, § 8 Rn. 2201 ff.) und der daraus abzuleitenden (relativ) unbegrenzten Beitragserhebung in zeitlicher Hinsicht den Grad der Schutzwürdigkeit eines Grundstückseigentümers mindern, so hält das Gericht jedoch eine um 150% längere Frist als die in § 13 b Satz 1 KAG LSA geregelte "Regel"frist für nicht hinreichend gerechtfertigt.

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Auch der Umstand des Fortwirkens der seinerzeit vermittelten Vorteilslage genügt für sich genommen nicht, von der durch § 13 b Satz 1 KAG LSA getroffenen Wertung in der durch § 18 Abs. 2 KAG LSA bewirkten Weise abzuweichen (dazu schon BVerfG, B. v. 05.03.2013, a. a. O.). Denn einerseits versetzt das Fortwirken des Vorteils den Gesetzgeber überhaupt erst in die Lage, nicht einen bereits in der Vergangenheit (endgültig) abgeschlossenen Sachverhalt vorzufinden, und so von den in den Fällen der unechten Rückwirkung zulässigen rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch machen zu können. Andererseits betrifft das Fortwirken des Vorteils alle in der Vergangenheit begründeten Vorteilslagen, mithin auch die nach § 13 b Satz KAG LSA beachtlichen. Wenn es jedoch ein Gebot der Rechtssicherheit ist, eine zeitliche Grenze dafür festzulegen, bis zu der der Abgabenschuldner noch mit seiner Belastung rechnen muss, dann muss der zeitliche Aspekt in der gesetzlichen Regelung jedenfalls dann seinen Niederschlag finden, wenn der Gesetzgeber grundsätzlich davon ausgeht, nur innerhalb von 10 Jahren muss ein Grundstückseigentümer mit seiner Heranziehung zu einem Beitrag rechnen; dem wird jedenfalls eine vollständige Nivellierung der zeitlichen Komponente nicht gerecht. Eine hinreichende Abwägung folgt auch nicht aus dem Umstand, dass sich bei Zugrundelegung der äußersten Grenzen (15.06.1991 [Zeitpunkt des Inkrafttretens des KAG LSA] und 31.12.2015 [Ende der Frist nach § 18 Abs. 2 KAG LSA]) eine Frist von 25 Jahren ergibt. Die materielle Bestimmung der Frist war deshalb nicht Gegenstand einer Abwägung durch den Gesetzgeber, weil – wie sich aus den obigen Darlegungen ergibt – ihm allein daran gelegen war, alle noch offenen Beitragsfälle zu erfassen. Dies wird auch daran deutlich, dass er in zeitlicher Hinsicht die äußerste Grenze des rechtlich Möglichen (Zeitpunkt des Inkrafttretens des KAG LSA) nachgezeichnet hat.

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Die Berücksichtigung des Zeitmoments als wertende Betrachtung durch den Gesetzgeber im Lichte dessen ist auch deshalb nicht unbeachtlich, weil die Anlagen, für die Beiträge zum Vorteilsausgleich erhoben werden, keine unendliche Lebensdauer haben und jedenfalls einer Abnutzung unterliegen, die den Beitrag, der sich an den Herstellungskosten orientiert, im Laufe der Zeit zumindest als entwertet erscheinen lassen kann und vorteilsvermittelnde Maßnahmen in den Fällen des § 13 b Satz 1 KAG LSA sogar beitragsfrei bleiben.

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Der vom OVG LSA im Beschluss vom 16.02.2016 (a. a. O.) als Rechtfertigung für die Frist des § 18 Abs. 2 KAG LSA herangezogenen Aspektes der Schwierigkeiten beim Aufbau der Kommunalverwaltungen/ Abwasserzweckverbände vermag ebenfalls als Rechtfertigung nicht in belastbarer Weise herzuhalten. Denn dies lässt unberücksichtigt, dass diese Phase spätestens mit Beginn der 2000-er Jahre abgeschlossen war, so dass ca. 15 Jahre Zeit blieben, die zuvor bereits bewirkten Vorteilslagen beitragsrechtlich zu erfassen. Lagen Defizite zudem häufig im Bereich des rechtswirksamen Erlasses von Abgabensatzungen, so ist das Land, welches über Jahre keine Mustersatzungen empfohlen hat, jedenfalls aus seiner Verantwortung in der Weise nicht entlassen, dass im Rahmen der Abwägung zwischen den Interessen der Aufgabenträger und den der Abgabenschuldner derartige Defizite nicht einseitig zu Lasten Letzterer gehen. Dies gilt gerade dann, wenn wegen § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA die sachliche Beitragspflicht im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen erst mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Abgabensatzung entstehen kann.

21

Die Abweichung in § 18 Abs. 2 KAG LSA von § 13 b Satz 1 KAG LSA ist auch nicht von dem dem Gesetzgeber insoweit zustehenden weiten Gestaltungsspielraum (vgl. BVerfG, B. v. 05.03.2013, a. a. O.) gedeckt. Weite Gestaltungsspielräume bedeuten jedoch nicht gleichsam gesetzesungebundenes Entscheidungsverhalten, sondern sollen allenfalls das "Wie" der Ausgestaltung einer gesetzlichen Regelung einer ansonsten umfassenden verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte entziehen. Weicht der Gesetzgeber - wie hier - ohne nachvollziehbaren Grund von einer einmal getroffenen Wertentscheidung ab, hält er sich nicht mehr innerhalb des ihm zustehenden Gestaltungsspielraumes.

22

Auch der Aspekt einer gleichmäßigen Abgabenerhebung für gleiche Vorteile ist nicht belastbar. Denn die Fristen (z. B. Verjährungsfristen) einerseits immanente Rechtssicherheit führt andererseits stets zu einer ungleichmäßigen Abgabenbelastung. Da es sich bei beiden betroffenen Rechtsgütern um solche von gleichem Verfassungsrang handelt, sind gegen das prioritäre Wirken eines Rechtsgutes Bedenken nicht angezeigt.

23

Der Umstand, dass die Grundstücke infolge der Herstellung der öffentlichen Abwasseranlage (dauerhaft) eine Wertsteigerung erlangt haben, ist keine sachliche Rechtfertigung für die durch § 18 Abs. 2 KAG LSA bewirkte und von der Wertung des § 13 b Satz 1 KAG LSA abweichende Möglichkeit der Beitragserhebung in zeitlicher Hinsicht. Denn die Kommunen hatten unstreitig einen beachtlichen Zeitraum zur Verfügung, um auch solche Vorteilslagen abzuschöpfen, die z. B. in den 1990-er Jahren begründet wurden.

II.

24

Dürfte hat der Gesetzgeber insofern von den ihm zur Seite stehenden rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten in nicht fehlerfreier Weise Gebrauch gemacht haben, ist allein er gehalten, einen verfassungskonformen Zustand herzustellen (vgl. BVerwG, U. v. 15.04.2015, a. a. O.).

25

So dürfte aus der Sicht des Gerichts zwar eine unterschiedliche Ausgestaltung von zukünftig geltenden und vergangenheitsbezogenen Höchstfristen aufgrund der (Rechts-)Entwicklung nicht von vornherein ausscheiden. Für die vergangenheitsbezogene Höchstfrist ist jedoch eine ganzheitliche Betrachtung vorzunehmen, in der die schutzwürdigen Belange der Grundstückseigentümer und Aufgabenträger gegeneinander abzuwägen sind, wobei Abweichungen von der nur für zukünftig entstehende Vorteilslagen geltenden Höchstfrist umso rechtfertigungsbedürftiger sind, je gravierender dieselbe ist. Sofern der Gesetzgeber erneut erwägen sollte, auch Vorteilslagen zu berücksichtigen, die bereits in den 1990-er entstanden sind, so dürfte es nicht unbeachtlich sein, dass erst das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die kommunale Gemeinschaftsarbeit sowie des Kommunalabgabengesetzes vom 06.10.1997 (GVBl. LSA, S. 878) – KAGÄnG 1997 – zur Heilung der Zweckverbände führte und zugleich Änderungen über den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht (§ 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA) in Kraft getreten sind. Insoweit dürfte auch der Gesetzgeber im Lichte des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes vom 12.11.2015 (a. a. O.) von folgendem Rechtszustand auszugehen haben:

26

Die vom Bundesverfassungsgericht herangezogenen Kriterien zu Grunde gelegt, dürfte der mit dem KAGÄndG 1997 vorgenommenen Änderung zum Entstehen der sachlichen Beitragspflicht (§ 6 Abs. 6 KAG LSA a. F./ § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA) wegen des damit verfolgten Zieles konstitutive Rückwirkung zukommen (a. A. OVG LSA, B. v. 17.02.2016, a. a. O.).

27

a) Das KAGÄndG 1997 war Gegenstand des sog. 2. Heilungsgesetzes. Damit galten unter bestimmten Voraussetzungen auch die auf der Grundlage von § 61 Kommunalverfassung-DDR errichteten Zweckverbände rückwirkend als Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Satzungshoheit gebildet; dessen Verfassungskonformität hat das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt mit Urteil vom 12. 12. 1997 – LVG 12/97 – festgestellt.

28

Als Folge der rückwirkenden Bildung der Zweckverbände hielt der Gesetzgeber seinerzeit "ein Hinausschieben der Entstehung der Beitragspflicht frühestens auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der ersten rechtsgültigen Satzung" für erforderlich, "um Beitragsausfällen oder Rückforderungen vorzubeugen" (LT-Drs. 2/3895, S. 7). Daraus folgt, dass der Gesetzgeber jedenfalls befürchtet hatte, dass dem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht nun der Mangel einer unwirksamen Zweckverbandsgründung genommen wurde. War der Gesetzgeber jedoch der Auffassung, mit der Neuregelung ein Hinausschieben des Zeitpunktes des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht bewirken zu können, dann ist er offensichtlich davon ausgegangen, die rückwirkende Heilung führe auch zur "Heilung" i. S. eines formellen Geltungsanspruchs einer bereits erlassenen Abgabensatzung (so dann auch OVG LSA, B. v. 4. 7. 2001 – 1 L 248/01 –; v. 15. 6. 2004 – 1 M 387/02 –; v. 1. 6. 2005 – 1 M 196/05 –; alle juris) und/oder der Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht knüpfe allein an die Beendigung der Maßnahme an.

29

Die Befürchtung des Gesetzgebers war auch begründet. Denn § 6 Abs. 6 KAG LSA a. F. entsprach der Regelung in Niedersachsen, zu der das OVG Lüneburg u. a. mit Urteil vom 15.09.1995, 9 L 6166/93, entschieden hatte, dass dann, wenn bezogen auf den Zeitpunkt des Entstehens der Vorteilslage (§ 6 Abs. 6 NKAG) keine oder keine wirksame Satzung vorlag, die Maßnahme (zum Begriff siehe unten) beitragsfrei bleibt, es sei denn, der Zeitpunkt der Beendigung der Maßnahme wird nachträglich in rechtlich zulässiger Weise in den zeitlichen Geltungsbereich einer Satzung einbezogen. Daraus ergibt sich, dass einer erst danach erlassenen Satzung jedenfalls Rückwirkung bis zu diesem Zeitpunkt beigemessen werden muss (vgl. dazu Blomenkamp in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Kommentar, Stand September 2015, § 8 Rn. 1057 f.), soweit dies im Lichte von § 2 Abs. 2 KAG LSA rechtlich zulässig ist. Der Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht war aber nach § 6 Abs. 6 KAG LSA a. F. stets auf den Zeitpunkt der Beendigung der Maßnahme fixiert.

30

Deshalb dürfte die Rechtsauffassung des OVG LSA im Beschluss vom 19.02.1998, B 2 S 141/97, wonach dem KAGÄndG 1997 keine konstitutive Wirkung zukam, im Lichte der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (u. a. B. v. 12.11.2016, a. a. O.; B. v. 17.12.2013 – 1 BvL 5/08 –, Rn. 55 ff., juris) nicht zu teilen sein. Denn anders als nach der Vorgängerregelung des § 6 Abs. 6 KAG LSA a. F. ist das Vorhandensein einer wirksamen Satzung nach § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA nunmehr Voraussetzung für die Fixierung des Zeitpunktes für das Entstehen des Beitragsanspruchs. Dass der Gesetzgeber mit dem KAGÄndG 1997 das angestrebte Ziel, nämlich dass die sachliche Beitragspflicht erst mit einer wirksamen Satzung entsteht, die auch zeitlich der beendigten Maßnahme ohne Rückwirkung nachfolgen kann, erreicht hat, ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des OVG LSA, seit B. v. 23.10.2000, 1 M 209/00.

31

b) Dürfte dem KAGÄndG 1997 konstitutive Wirkung zukommen, ist insoweit zwischen Fällen der echten und unechten Rückwirkung zu differenzieren. In allen Fällen, in denen zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung eine Beitragserhebung – wozu selbstredend auch die Fälle der nach altem Recht bereits eingetretenen Festsetzungsverjährung (Beendigung der Maßnahme + wirksame (ggf. rückwirkend erlassene Satzung) zählen – gar nicht mehr möglich gewesen wäre, dürfte es sich um eine echte Rückwirkung handeln. Davon dürften folgende Fallgestaltungen erfasst sein:

32

1. (schlichte Beendigungs-)Fälle, bei denen, zum Zeitpunkt der Beendigung der Maßnahme (zum Begriff siehe unten) vor Inkrafttreten des KAGÄndG 1997 (= Zeitpunkt des Entstehens der tatsächlichen Vorteilslage), keine Satzung vorlag,

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2. (Satzungs-)Fälle, bei denen die Maßnahme bereits 1992 beendet war und eine unwirksame Satzung vorlag, diese aber bis Ende 1996 nicht durch eine wirksame Satzung ersetzt wurde. Denn war die Ersetzung der unwirksamen Satzung nicht bis zu diesem Zeitpunkt erfolgt, hätte das rückwirkende Inkrafttreten zur Folge, dass in der juristischen Sekunde, in der die Satzung rückwirkend in Kraft getreten ist, zugleich Festsetzungsverjährung eingetreten wäre, der Sachverhalt – vergleichbar wie in Brandenburg – abgeschlossen war.

34

Es dürfte sich jedoch dann um eine unechte Rückwirkung handeln, wenn zwar eine (unwirksame) Satzung vorlag, die Maßnahme jedoch erst im Jahre 1993 beendet wurde. Denn dann hätte auch noch (ohne Gesetzesänderung) bis 31.12.1997 durch das Inkrafttreten einer rückwirkenden Satzung (irgendwann im Laufe der Jahres 1993, jedoch vor Beendigung der Maßnahme und höchstens rückwirkend bis zum beabsichtigten Inkrafttreten der unwirksamen Satzung) die sachliche Beitragspflicht begründet werden können, ohne dass zugleich Festsetzungsverjährung eingetreten wäre. Denn die Festsetzungsverjährung wäre für diese Maßnahmen erst am 01.01.1994 an- und am 31.12.1997 abgelaufen. Für diese Fallgestaltungen dürfte es sich deshalb um eine unechte Rückwirkung deshalb handeln, weil mit dem KAGÄndG 1997 eben gerade nicht in einen in der Vergangenheit endgültig abgeschlossenen Sachverhalt eingegriffen wurde. Hinsichtlich der Zulässigkeit einer unechten Rückwirkung dürften jedoch mangels eines zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des KAGÄndG 1997 bereits abgeschlossenen – sondern allein ins Werk gesetzten – Sachverhaltes (eben gerade anders als in Brandenburg), des Hintergrunds der Heilung der Zweckverbände sowie des erst kurzen Zeitraumes seit der Herstellung und der fortwährenden Vorteilslage bei einer Gesamtabwägung hinreichende Gründe für die Gesetzesänderung sprechen.

35

c) Eine weitere Einschränkung der oben herausgearbeiteten und für eine echte Rückwirkung sprechenden Fallgestaltungen dürfte sich jedoch daraus ergeben, dass die "Maßnahme" für das jeweilige Grundstück auch abgeschlossen gewesen sein muss. Daraus folgt, dass sich die "Maßnahme" auf eine öffentliche Einrichtung im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA beziehen muss, weshalb das Bestehen einer solchen zwingende Voraussetzung ist. Das Vorhandensein einer öffentlichen Einrichtung im Rechtssinne setzt jedenfalls deren Widmung voraus, die jedoch auch konkludent und nicht nur durch Satzung (so aber VG Halle, U. v. 25.01.2016 – 4 A 240/14 HAL –) erfolgen kann; die Anforderungen daran dürften dürften deshalb eher gering und bereits dann erfüllt sein, wenn die Anlage von der öffentlichen Hand betrieben und der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wird (vgl. OVG LSA, zuletzt U. v. 24.06.2015 – 4 L 32/15 – m. w. N., juris). Dies gilt auch für Altanschlussnehmer, die sich mithin nicht mit Erfolg darauf berufen können, dass es bereits in der Zeit der ehemaligen DDR eine leitungsgebundene Schmutzwasseranlage gegeben hat. Denn insoweit besteht in rechtlicher Hinsicht keine Anlagenidentität bzw. –kontinuität (so auch VG Magdeburg, U. v. 26.03.2015 – 9 A 253/14; OVG Berlin-Brandenburg, U. v. 14.11.2013 – 9 B 35.12 –, beide juris).

36

Die öffentliche Einrichtung muss jedoch auch betriebsbereit sein, es darf sich nicht nur um ein sog. (Nach-Wende)Provisorium (vgl. dazu VG Magdeburg, B. v. 11.09.2015 – 9 B 694/15 MD –, juris) handeln. Dem wird eine nur in tatsächlicher Hinsicht vorgenommene Abwasserentsorgung nach 1990 nicht gerecht. Vielmehr muss eine Anlage geschaffen worden sein, die auf ein Zukunftskonzept (Abwasserbeseitigungskonzept) beruht, ohne dass an letzteres hohe rechtliche Anforderungen zu stellen wären (so schon OVG LSA, U. v. 04.12.2003 – 1 L 226/03 – und v. 05.07.2007 – 4 L 229/06 –). Daraus folgt jedenfalls, dass auch für Altanschlussnehmer die Maßnahme erst dann beendet war, wenn die Ableitung des auf ihrem Grundstück anfallenden Abwassers in eine solche Abwasseranlage möglich war, die auf Dauer eine Entsorgungssicherheit bot (OVG LSA, U. v. 05.07.2007 – 4 L 229/06 –).

37

Welche Bedeutung der Gesetzgeber dem aus der Sicht der Aufgabenträger beachtlichen Aspekt des durch die Heilung der Zweckverbände sowie der Änderungen in Bezug auf den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht eingetretenen Rechtszustandes – z. B. im Hinblick auf eine bereits in der Vergangenheit vorliegende Satzung mit formellen Geltungsanspruch – beimisst, ist schlussendlich seiner wertenden Betrachtung überlassen, wobei stets an den Zeitpunkt des Eintritts der Vorteilslage i. S. v. § 13 b Satz 1 KAG LSA anzuknüpfen ist. Der Gesetzgeber versteht dabei bislang den Begriff der Vorteilslage dahingehend, dass es sich um den "Zeitpunkt des Eintritts der tatsächlichen Vorteilslage" (LT-Drs. 6/3419, S. 22) handelt. Gleichwohl kann der Begriff nicht gänzlich von Rechtseinflüssen freigestellt werden, zumal es sich bei der Vorteilslage stets um eine "beitragsrechtliche" handelt (so schon BVerfG, B. v. 05.03.2013, a. a. O., Rn. 45). Daraus folgt aber auch, dass bei der Auslegung des Begriffs nur an solche Kriterien anzuknüpfen ist, die sich in der Rechtswirklichkeit auch jedem Grundstückseigentümer hätten offenbaren können und aus denen er auf einen abzugeltenden Vorteil hätte schließen können, mithin jedenfalls nicht z. B. auf die Wirksamkeit einer Satzung. Insoweit müssen sich die Kriterien jedoch nicht aus dem Gesetz selbst ergeben, da dies weder das Gebot der Bestimmtheit und Klarheit einer Rechtsnorm verlangt (vgl. BVerwG, U. v. 01.12.2005 – 10 C 4/04 –, juris) noch die Komplexität der Regelungsmaterie dies ermöglicht. Die Gerichte haben jedoch bei der Auslegung dieses Begriffs dessen Sinn und Zweck zu beachten, der von der objektiven Sicht des Grundstückseigentümers auf die abzugeltende Vorteilslage geprägt ist. So hätte z. B. ein altangeschlossener Grundstückseigentümer nicht schutzwürdig von einer abzugeltenden Vorteilslage allein deshalb ausgehen dürfen, nur weil seine Anschlusssituation unverändert fortbestand. Denn es dürfte auch vor dem Hintergrund des oben unter I. erörterten Gebotes der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit hinsichtlich der Erkennbarkeit des Vorteilsausgleichs durch den Grundstückseigentümer zulässig sein, darauf abzustellen, dass überhaupt Investitionen vorgenommen wurden, die eine weitere Aufrechterhaltung der Abwasserbeseitigung ermöglichen. Die grundsätzlich bestehende Abgängigkeit von zu DDR-Zeiten errichteten Abwassersystemen und die sich an anderen technischen und umweltrechtlichen Standards auszurichtende konzeptionelle Neuerrichtung war allgemein bekannt – und gewünscht –.

38

Beabsichtigt der Gesetzgeber jedoch auch für in der Vergangenheit entstandene Vorteilslagen an § 13 b Satz 1 KAG LSA anzuknüpfen, dürfte ihm nicht verborgen bleiben, dass erst mit Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 04.12.2003 – 1 L 226/03 –, juris, die grundsätzliche Differenzierung der beitragsrechtlichen Stellung von Alt- und Neuanschlussnehmern vorgenommen wurde und die Erhebung von Beiträgen für diese Grundstücke jedenfalls wegen der bis dahin bestehenden Rechtsunsicherheiten häufig zurückgestellt wurden (vgl. dazu Haack in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Kommentar, Stand März 2016, § 8 Rn. 2219).


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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 100


(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassu

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 94


Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde fes

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Hat das Verfassungsgericht eines Landes die Nichtigkeit von Landesrecht festgestellt oder Vorschriften des Landesrechts für nichtig erklärt, so bleiben vorbehaltlich einer besonderen gesetzlichen Regelung durch das Land die nicht mehr anfechtbaren En

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Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

Gründe

I.

1

Die Klägerin, Eigentümerin mehrerer, mit zweigeschossigen Mehrfamilienwohnhäusern bebauter Grundstücke (Gemarkung G., Flur A, Flurstücke 38, 41, 26 und 28) im Verbandsgebiet des Beklagten, wendet sich gegen die Heranziehung zu Anschlussbeiträgen.

2

Mit Bescheiden vom 7. Juni 2012 zog der Beklagte die Klägerin für die Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt an eine zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen waren, zu einem Beitrag für die Herstellung seiner Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung (Herstellungsbeitrag II) in Höhe von insgesamt 8.011,91 € heran. Mit Bescheiden vom 22. August 2012 mahnte der Beklagte die Klägerin und setzte darin Säumniszuschläge und Mahngebühren fest. Die gegen die Bescheide vom 22. August 2012 erhobenen Widersprüche der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 15. Januar 2013 zurück und zog sie mit Kostenfestsetzungsbescheiden vom selben Tag zu Kosten für den Erlass der Widerspruchsbescheide heran. Mit Widerspruchsbescheiden vom 15. Februar 2013 wies der Beklagte die Widersprüche der Klägerin gegen die Beitragsbescheide vom 7. Juni 2012 zurück.

3

Am 18. Februar 2013 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Halle Anfechtungsklage gegen die Beitragsbescheide, die Mahnbescheide sowie die Kostenfestsetzungsbescheide erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen geltend gemacht, ein Beitrag könne nicht gefordert werden, da nicht ersichtlich sei, welche Gegenleistung damit abgegolten werde. Die Schmutzwasserbeseitigungsanlage des Beklagten sei nicht funktionstüchtig. Zudem widerspreche die Beitragserhebung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtssicherheit in der Gestalt der Gebote der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit. Die nunmehr in § 13b KAG LSA vorgesehene Verjährungshöchstfrist von 10 Jahren ab Eintritt der Vorteilslage sei im Hinblick auf den Anschluss der Grundstücke an die Kanalisation in den 1930er Jahren längst abgelaufen. § 18 Abs. 2 KAG LSA sei nicht anwendbar. Hilfsweise rechne sie mit Ansprüchen auf Schadensersatz wegen Funktionsstörungen auf.

4

In der mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 2015 hat der Beklagte im Hinblick auf eine Änderung der Regelung für übergroße Wohngrundstücke in der Beitragssatzung die angegriffenen Beitragsbescheide geändert und den Beitrag auf insgesamt 7.976,28 € herabgesetzt; insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt erklärt.

5

Das Verwaltungsgericht Halle hat das Verfahren im Hinblick auf die Erledigungserklärungen teilweise eingestellt, die Beitragsbescheide aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Aufhebung der Beitragsbescheide hat das Gericht ausgeführt, die vom Beklagten herangezogene Beitragssatzung vom 9. März 2015 bilde keine taugliche Rechtsgrundlage für die Beitragserhebung, weil es an einer wirksamen Regelung des Entstehens der (sachlichen) Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag II fehle. Die Regelung in der Satzung, wonach die Beitragspflicht mit Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung für die entsprechenden Sachverhalte bereits zum 1. Januar 2010 entstehe, sei unwirksam, da sie gegen die höherrangige landesrechtliche Regelung in § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA verstoße. Früheres Satzungsrecht scheide als rechtliche Grundlage für die Beitragsbescheide ebenfalls aus.

6

Nachdem der Beklagte eine Beitragssatzung mit einer neuen Regelung über die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht erlassen und bekanntgemacht hatte, hat der Senat auf dessen Antrag mit Beschluss vom 17. November 2015 die Berufung wegen ernstlicher Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

7

Der Beklagte macht zur Begründung seiner Berufung geltend, dass der vom Verwaltungsgericht festgestellte Satzungsfehler mit der Neufassung der Beitragssatzung geheilt worden sei. § 7 Abs. 1 dieser Satzung enthalte eine ausdrückliche Regelung zur Entstehung der Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag I und II. Im Übrigen habe das Verwaltungsgericht weitere Satzungsfehler nicht gesehen.

8

Der Beklagte beantragt,

9

das auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juli 2015 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 4. Kammer - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

10

Die Klägerin beantragt,

11

die Berufung zurückzuweisen.

12

Sie trägt vor, der Beklagte verfolge Ansprüche aus Beitragsbescheiden vom 7. Juni 2012 in der Gestalt der am 15. Februar 2013 ergangenen Widerspruchsbescheide. Da die neue Satzung rückwirkend zum 5. Oktober 2013 in Kraft getreten sei, habe es zu diesem Zeitpunkt keine wirksame Satzung gegeben, die Grundlage für ihre Heranziehung seien könnte.

13

Die Höhe der angeforderten Beiträge, zu der das Verwaltungsgericht keine Prüfung vorgenommen habe, werde bestritten. Die auf die Altanschlussnehmer umgelegten Kosten seien im Einzelnen nicht nachgewiesen. Der streitige Herstellungsbeitrag II, der angeblich nicht gedeckte Kosten betreffe, stelle Kosten für die laufende Unterhaltung und Instandsetzung von Abwasseranlagen dar, die über Benutzungsgebühren umzulegen seien.

14

Sie könne als Altanschlussnehmerin nicht für die Kosten der Neuanschlüsse der nach dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes angeschlossenen Grundstücke herangezogen werden, sondern nur für die bei Inkrafttreten des Gesetzes schon bestehenden Anschlüsse ihrer Grundstücke. Da für solche Investitionen nichts ersichtlich sei, trete eine Privilegierung der Neuanschlussteilnehmer ein. Die angegriffene Beitragssatzung nehme mit dem Herstellungsbeitrag II allein die Altanschlussteilnehmer für Maßnahmen in Anspruch, die allen Anschlussnehmern zugutekämen. Hierin liege ein eklatanter Verstoß gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit und der Beitragsgerechtigkeit.

15

Weiter seien die Anforderungen verjährt. Die Anschlüsse ihrer Grundstücke hätten im Jahre 2002 bereits annähernd 70 Jahre bestanden, so dass § 13b KAG LSA einschlägig sei. Hinsichtlich des Vorteilsausgleichs sei nach der Gesetzesbegründung an die jeweilige zurückliegende technische Herstellung anzuknüpfen. Hierdurch werde für das Land Sachsen-Anhalt nicht der vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen Ansicht gefolgt, wonach der auszugleichende Vorteil darin sehen zu sei, dass mit Übernahme der Abwasserversorgung durch die Kommunen die Beitragspflichtigen eine (angeblich) gesicherte Abwasserversorgung erhalten würden. Diese Unterstellung werde nicht nur durch die Intention des Landesgesetzgebers widerlegt, sondern auch durch die Situation im konkreten Fall. Denn die Abwasserentsorgung ihrer Grundstücke sei seit der Inbetriebnahme in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts völlig unproblematisch gewesen, während seit der Übernahme durch den Beklagten ganz erhebliche Probleme aufgetreten seien.

16

Die Übergangsregelung des § 18 Abs. 2 KAG LSA ändere nichts. Die Schlussfolgerungen, die das Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 4. Juni 2015 (- 4 L 24/14 -) gezogen habe, griffen nicht. Denn dort sei es um einen Neuanschluss einer Straßenbeleuchtungsanlage im Jahr 1999 gegangen, für den es erst im Jahre 2003 eine gültige Straßenausbausatzung gegeben habe. Nach den Ausführungen des Gerichts in dem o.g. Verfahren komme es für das Entstehen einer Beitragspflicht nicht auf das Vorliegen einer wirksamen Beitragssatzung an, so dass ein Widerspruch zu seinen Bemerkungen bestehe, dass seine Rechtsprechung bisher immer eine wirksame Beitragssatzung voraussetze. In § 13b KAG LSA sei zudem klargestellt, dass die Beitragspflicht an den tatsächlichen Anschluss als Vorteilslage anknüpfe. Es handele sich um eine materielle Ausschlussfrist. Die Vorteilslage sei hier zu einem Zeitpunkt entstanden, für den die Ausschlussfrist auf jeden Fall eingreife, so dass eine Abgabenfestsetzung ausgeschlossen sei. Die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene Interpretation, wonach sich die Ausschlussfrist auf Grund der Regelung des § 18 Abs. 2 KAG LSA auf bis zu 24,5 Jahre belaufen könne, stehe im krassen Gegensatz zu gefestigten Rechtsgrundsätzen. Vorteilsfälle, die weit in der Zeit vor dem Inkrafttreten des KAG LSA lägen, seien nach den zwingenden und auf jeden Fall zu berücksichtigenden Grundsätzen in der Verfassungsrechtsprechung, den Gesetzesmaterialien des Landesgesetzgebers sowie im KAG LSA und in der Beitragssatzung des Beklagten nicht beitragsfähig. Ansonsten greife das Kommunalabgabengesetz in einen Sachverhalt ein, der auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts vollständig abgeschlossen gewesen sei und der damit eine echte Rückwirkung darstelle. Eine Gesetzesauslegung, die eine solche Rückwirkung für zulässig erkläre, setze auch die jetzt im Gesetz festgeschriebene 10jährige materielle Ausschlussfrist außer Kraft. Dass hierfür eine Stütze in § 18 Abs. 2 KAG LSA gesehen werde, führe dazu, dass die verfassungskonforme Regelung in § 13b KAG LSA völlig außer Acht gelassen werde. Die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene Interpretation habe einen unlösbaren Widerspruch dieser Regelungen zur Folge. Damit werde eine völlig ungerechtfertigte Bevorzugung der fiskalischen Interessen der Verwaltung bewirkt. Das weite Ermessen des Gesetzgebers könne sich allenfalls auf die Bestimmung der Dauer der materiellen Ausschlussfrist beziehen. Dazu sei mit § 13b KAG LSA eine klare Regelung getroffen worden.

17

Die vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 12. November 2015 (- 1 BvR 2691/14 - und - 1 BvR 3051/14 -) noch einmal hervorgehobenen Grundsätze für eine echte und somit unzulässige Rückwirkung träfen vollständig auch auf vorliegende Angelegenheiten zu. Dem könne nicht damit entgegengetreten werden, dass das Oberverwaltungsgericht schon immer als Anspruchsgrundlage vom Vorliegen einer wirksamen Satzung ausgegangen sei. Es komme nicht darauf an, wie die Gerichte die Rechtslage bisher beurteilt hätten, sondern wie es in der gesetzlichen Regelung tatsächlich fest verankert sei. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts habe zur Folge, dass die Neuregelungen in der Kommunalabgabenordnung eine neue gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für einen Eingriff in abgeschlossene Rechtsverhältnisse konstituierten.

18

Es werde beantragt, über die eingelegte Berufung nach durchgeführter mündlicher Verhandlung zu entscheiden.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge, der Gegenstand der Beratung gewesen ist, Bezug genommen.

II.

20

Der Senat entscheidet über die zulässige Berufung des Beklagten durch Beschluss nach § 130a Satz 1 VwGO, weil er sie einstimmig für begründet und bei geklärtem Sachverhalt keine mündliche Verhandlung für erforderlich hält. Das Verfahren wirft weder in rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten auf noch bestehen erhebliche Unklarheiten in tatsächlicher Hinsicht.

21

Die Beteiligten wurden dazu angehört (§§ 130a Satz 2 i.V.m. 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Eine erneute Anhörung auf Grund der Schriftsätze der Klägerin vom 7. und 23. Januar 2016 sowie 8. Februar 2016 musste nicht erfolgen. Die Verfahrensbeteiligten sind nur dann durch eine erneute Anhörungsmitteilung von der fortbestehenden Absicht des Gerichts in Kenntnis zu setzen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wenn nach der entsprechenden Ankündigung ein erheblicher Beweisantrag gestellt wurde oder sich die prozessuale Lage des Rechtsstreits nach einer Anhörungsmitteilung wesentlich ändert, etwa dadurch, dass ein Prozessbeteiligter seinen bisherigen Sachvortrag in erheblicher Weise ergänzt oder erweitert (vgl. BVerwG, Beschlüsse v. 23. Juni 2011 - 9 B 94.10 -, v. 17. August 2010 - 10 B 19/10 - und v. 15. Mai 2008 - 2 B 77/07 - jeweils zit. nach JURIS). Eine solche möglicherweise entscheidungserhebliche Änderung der Prozesssituation lag nicht vor. Dass die Klägerin einer Entscheidung gemäß § 130a VwGO - ohne neuen, erheblichen Sachvortrag oder zusätzliche Beweisangebote - ausdrücklich widersprochen hat, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Beschl. v. 7. Dezember 2015 - 1 B 66.15 -, zit. nach JURIS).

22

Die angefochtenen Beitragsbescheide des Beklagten vom 7. Juni 2012 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 15. Februar 2013 und der Änderungsbescheide vom 16. Juli 2015, die im Berufungsverfahren allein noch streitbefangen sind, sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

23

Rechtsgrundlage der Bescheide über einen Anschlussbeitrag in der Gestalt des sog. besonderen Herstellungsbeitrages bzw. Herstellungsbeitrages II ist § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA i.V.m. der Satzung über die Erhebung von Anschlussbeiträgen für die Möglichkeit der Inanspruchnahme der zentralen öffentlichen Abwasseranlagen und über die Kostenerstattung für Anschlusskanäle des Beklagten vom 31. August 2015 - BS -, die rückwirkend am 5. Oktober 2013 in Kraft getreten ist.

24

1. Nach welcher satzungsrechtlichen Grundlage der Beitrag zu bemessen ist, richtet sich nach dem geltenden Recht im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht. Die Beitragspflicht entsteht im Anschlussbeitragsrecht gem. § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA in der ab 9. Oktober 1997 geltenden Fassung - KAG LSA -, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der Satzung. Nach der vorher geltenden Fassung des § 6 Abs. 6 des Kommunalabgabengesetzes entstand die sachliche Beitragspflicht mit der Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme. Werden in satzungsloser Zeit oder unter Geltung einer formell oder materiell unwirksamen Satzung die Anschlussvoraussetzungen für Grundstücke geschaffen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt zu beiden Gesetzesfassungen (vgl. Beschl. v. 3. Dezember 2012 - 4 L 59/13 -, zit. nach JURIS, m.w.N.) die sachliche Beitragspflicht für diese Grundstücke erst mit Inkrafttreten der ersten - wirksamen - Abgabensatzung entstehen. Für den sog. besonderen Herstellungsbeitrag bzw. Herstellungsbeitrag II gilt nichts anderes, da es sich dem Grunde nach um einen Herstellungsbeitrag i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA handelt (OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 13. Juli 2006 - 4 L 127/06 -, zit. nach JURIS; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2228). Soweit in dem Urteil des beschließenden Senats vom 4. Juni 2015 (- 4 L 24/14 -, zit. nach JURIS) zu § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 16. April 1999 (GVBl. LSA S. 150) vertreten wird, dass in manchen Fällen eine Satzung vor der Entscheidung über die beitragsauslösende Maßnahme vorliegen muss, betrifft dies allein die Erhebung von (Straßen)Ausbaubeiträgen.

25

Die Satzung des Beklagten vom 31. August 2015 ist für die Grundstücke der Klägerin die erste wirksame Anschlussbeitragssatzung, da die vorher geltenden Beitragssatzungen des Beklagten keine taugliche Rechtsgrundlage dargestellt hatten.

26

Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil im Einzelnen dargelegt, dass sowohl die Beitragsatzung des Beklagten vom 12. November 2012 - auch in der Gestalt der 1. Änderungssatzung vom 9. September 2013 - als auch die Beitragssatzung des Beklagten vom 4. Februar 2002, zuletzt geändert durch die 4. Änderungssatzung vom 6. Dezember 2010, u.a. wegen eines Fehlers der Tiefenbegrenzungsregelung nichtig seien und weder geltend gemacht sei noch sonst dafür etwas ersichtlich, dass vorher erlassenes Satzungsrecht des Beklagten bzw. seines Rechtsvorgängers als Rechtsgrundlage für die angegriffenen Beitragsbescheide herangezogen werden könnte. Dem tritt der Beklagte nicht entgegen; Anhaltspunkte für eine abweichende Einschätzung liegen nicht vor. Weiter hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass die gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG LSA notwendige Regelung zum Entstehen der sachlichen Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag II in der Beitragssatzung vom 9. März 2015 - BS 2015 - fehlte, da die in § 7 Abs. 3 BS 2015 getroffene Bestimmung nichtig war. Diese Beitragssatzung sollte rückwirkend zum 5. Oktober 2013 in Kraft treten (§ 16 BS 2015); die Festlegung eines Entstehenszeitpunktes der sachlichen Beitragspflicht auf den 1. Januar 2010 in § 7 Abs. 3 BS 2015 und damit auf einen Zeitpunkt vor dem Inkrafttreten der BS 2015 verstieß gegen § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA. Mit dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass eine abweichende Auslegung der Satzungsbestimmung nach ihrem eindeutigen Wortlaut nicht möglich ist. Ohne eine wirksame Bestimmung über das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht ist eine Beitragssatzung nichtig (OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 3. Dezember 2012, a.a.O.).

27

Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin ist für eine Heranziehung der neuen Satzung vom 31. August 2015 unschädlich, dass der Zeitpunkt des Erlasses der Beitragsbescheide und der Widerspruchsbescheide nicht von dem Geltungszeitraum der Satzung erfasst wird. Eine nachträglich erlassene Beitragssatzung kann auch dann als Rechtsgrundlage für einen vorher erlassenen Beitragsbescheid dienen, wenn sie sich keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe oder der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides beimisst. Eine auf Grund fehlender Satzungsgrundlage bestehende Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheides wird durch die neue Satzung ex nunc geheilt; der Betroffene ist prozessrechtlich dadurch geschützt, dass er das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklären kann (OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 11. September 2012 - 4 L 155/09 -, zit. nach JURIS; vgl. auch Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 173, m.w.N.).

28

2. Durchgreifende Bedenken an der formellen oder materiellen Rechtmäßigkeit der Beitragssatzung vom 31. August 2015 - BS - sind weder von der Klägerin substanziiert geltend gemacht noch nach dem im Berufungsverfahren maßgeblichen Prüfungsmaßstab sonst ersichtlich.

29

a) Soweit die Klägerin im Zulassungsverfahren pauschal die Ordnungsmäßigkeit der Bekanntmachung der Beitragssatzung bestritten hat, gibt es dafür keinerlei Anhaltspunkte. Die Satzung wurde entsprechend § 24 Abs. 1 Satz 1 der Verbandssatzung des Beklagten in den Amtsblättern der Stadt Landsberg und des Landkreises Anhalt-Bitterfeld vom 11. und 16. September 2015 veröffentlicht.

30

b) Die Satzung enthält - was von der Klägerin auch nicht in Zweifel gezogen wird - mit ihrem § 7 Abs. 1 eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Regelung über das Entstehen der (sachlichen) Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag II. Danach entsteht die Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag I und II, sobald das Grundstück an die öffentliche Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung.

31

c) Dass der in § 5 Abs. 2 BS festgesetzte Beitragssatz für den Herstellungsbeitrag II von 2,12 €/m2 gegen das Aufwandsüberschreitungsverbot des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 29. April 2010 - 4 L 341/08 -, zit. nach JURIS) verstößt, ist weder hinreichend geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Die Berechnung des Beitragssatzes und damit die Höhe der auf die Altanschlussnehmer umgelegten Aufwendungen ergibt sich aus der vom Beklagten erstellten Beitragskalkulation, auf welche der Beklagte in den Widerspruchsbescheiden vom 15. Februar 2013 Bezug genommen hat. Gegen diese Kalkulation erhebt die Klägerin keine substanziierten Einwendungen. Für ihre pauschale Behauptung, mit dem erhobenen Beitrag würden „Kosten für die laufende Unterhaltung und Instandsetzung von Abwasseranlagen“ bzw. „durchlaufende Betriebskosten“ erhoben, die über Benutzungsgebühren umzulegen seien, gibt es keinerlei Anhaltspunkte; Belege nennt die Klägerin nicht. Demgegenüber hat der Beklagte in den Widerspruchsbescheiden ausdrücklich ausgeführt, in die Kalkulation seien nur die beitragsfähigen Investitionskosten eingeflossen.

32

d) Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit geltend macht, verkennt sie schon die rechtlichen Grundlagen.

33

Wie oben dargelegt handelt es sich bei dem Herstellungsbeitrag II dem Grunde nach um einen Herstellungsbeitrag i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA, der sich lediglich wegen der Regelung in § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA von einem „normalen“ Herstellungsbeitrag unterscheidet. § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA bestimmt zum einen, dass für die Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des KAG LSA am 16. Juni 1991 an eine zentrale öffentliche leitungsgebundene Entsorgungsanlage angeschlossen waren oder eine Anschlussmöglichkeit hatten, in Abweichung von § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA eine Beitragspflicht i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA nicht für Investitionen entsteht, die vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt abgeschlossen worden sind. Zum anderen folgt aus der Regelung, dass bei der Bemessung des besonderen Herstellungsbeitrages für die Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes angeschlossen waren oder angeschlossen werden konnten, d.h. bei der Ermittlung der nach dem 15. Juni 1991 getätigten Investitionen, der Aufwand für die nach diesem Zeitpunkt neu erschlossenen oder zu erschließenden Gebiete unberücksichtigt bleiben muss (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 13. Juli 2006, a.a.O.). Danach gehört zum beitragsfähigen Aufwand beim Herstellungsbeitrag II der gesamte Aufwand, der notwendig ist, um die jeweilige öffentliche leitungsgebundene Einrichtung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA entsprechend dem Abwasserbeseitigungskonzept zu schaffen und es ist lediglich der Aufwand abzuziehen, der notwendig geworden ist, um nach dem 15. Juni 1991 (Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes) erstmals Grundstücken eine Anschlussmöglichkeit zu bieten (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 19. Mai 2005 - 1 L 252/04 - und Urt. v. 28. Oktober 2009 - 4 L 117/07 - jeweils zit. nach JURIS; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2225).

34

Der Vorteil, der durch den Herstellungsbeitrag II abgegolten werden soll, ist Eigentümern von tatsächlich schon vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt angeschlossenen Grundstücken daher - wie bei dem allgemeinen Herstellungsbeitrag - erst in dem Zeitpunkt zugeflossen, in dem ihnen erstmals der rechtlich gesicherte Vorteil geboten worden ist, ihr Schmutzwasser mittels einer nach Inkrafttreten des Gesetzes geschaffenen öffentlichen Einrichtung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA entsorgen zu können (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 4. Dezember 2003 - 1 L 226/03 -, zit. nach JURIS; Beschl. v. 18. November 2004 - 1 M 61/04 -; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2220f.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 15. April 2015 - 9 C 19.14 -, zit. nach JURIS). Dieser Vorteil knüpft gerade nicht an eine tatsächliche Anschlussnahme von Grundstücken an, die vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes erfolgt ist, so dass es auf das Vorbringen der Klägerin zu den Unterschieden in der Qualität der tatsächlichen Abwasserentsorgung ihrer Grundstücke nicht ankommt.

35

Es ist auch weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich, dass der Beklagte in die Beitragskalkulation für den Herstellungsbeitrag II Investitionen einbezogen hat, die vor dem 15. Juni 1991 abgeschlossen waren, oder Aufwand für nach dem 15. Juni 1991 geschaffene Anlagenteile, der dazu dient, neue Flächen durch die zentrale Abwasserentsorgungsanlage zu erschließen. Dafür bestehen angesichts der Höhe des in § 5 Abs. 1 BS festgesetzten Beitragssatzes von 10,23 €/m2 für den allgemeinen Herstellungsbeitrag auch keinerlei Anhaltspunkte.

36

3. Die Voraussetzungen für die Erhebung eines Herstellungsbeitrages II sind nach der Beitragssatzung des Beklagten erfüllt.

37

Die Grundstücke der Klägerin verfügten i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 3 BS am 15. Juni 1991 über einen Anschluss an eine bestehende, nicht lediglich provisorische zentrale öffentliche Abwasserbehandlungsanlage und hatten unstreitig i.S.d. § 7 Abs. 1 BS nach diesem Zeitpunkt eine Anschlussmöglichkeit an die gem. § 1 Abs. 1 Ziffer 1 der Entwässerungssatzung des Beklagten geschaffene Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung des Beklagten.

38

Soweit die Klägerin vorträgt, die tatsächliche Schmutzwasserentsorgung ihrer Grundstücke durch die Einrichtung des Beklagten sei immer wieder gestört, steht dieser Einwand einer Beitragserhebung nicht entgegen. Denn der Beitrag wird gem. § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA schon für die Möglichkeit der Inanspruchnahme erhoben. Dass eine ordnungsgemäße Schmutzwasserentsorgung ihrer Grundstücke auf Grund natürlicher Gegebenheiten technisch ausgeschlossen ist oder zu unzumutbaren Belastungen führt, ist weder ersichtlich noch von der Klägerin geltend gemacht.

39

Einwände gegen die Berechnung des Beitrages sind nicht substanziiert geltend gemacht; Fehler sind insoweit auch nicht ersichtlich. Das pauschale Bestreiten „der Höhe der angeforderten Beiträge“ durch die Klägerin ist nicht ausreichend.

40

Soweit sie im Klageverfahren eine hilfsweise Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen vorgenommen hat, steht dem gem. § 13a Abs. 1 Satz 5 KAG LSA i.V.m. § 226 Abs. 3 AO schon entgegen, dass diese Gegenansprüche weder unbestritten noch rechtskräftig festgestellt sind.

41

4. Die angefochtenen Bescheide vom 7. Juni 2012 sind nicht in festsetzungsverjährter Zeit erlassen worden.

42

Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA i.V.m. den §§ 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 170 Abs. 1 AO ist eine Abgabenfestsetzung - vorbehaltlich der Feststellbarkeit des Beitragspflichtigen nach § 6 Abs. 8 KAG LSA - nicht mehr zulässig, wenn die für Kommunalabgaben maßgebliche Festsetzungsfrist von vier Jahren abgelaufen ist, wobei die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Abgabe entstanden ist. Da die sachliche Beitragspflicht für die Grundstücke der Klägerin erst mit der Beitragssatzung vom 31. August 2015 entstanden sein kann, die rückwirkend zum 5. Oktober 2013 in Kraft getreten ist, ist die Festsetzungsverjährungsfrist nicht abgelaufen.

43

5. Eine Beitragserhebung wird auf Grund der Regelung des § 18 Abs. 2 i.V.m. § 13b KAG LSA durch das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nicht ausgeschlossen.

44

Dieses Gebot schützt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts davor, dass lange zurück liegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden könnten. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicher zu stellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden könnten. Die Legitimation von Beiträgen liege - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils, der den betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen sei. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebiete, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen könne, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen müsse. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei stehe ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 -, zit. nach JURIS). Danach ist eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit von vorteilsausgleichenden kommunalen Abgaben mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar (so BVerwG, Beschl. v. 26. August 2013 - 9 B 13.13 -, zit. nach JURIS; vgl. auch Urt. v. 15. April 2015, a.a.O. und Urt. v. 20. März 2014 - 4 C 11.13 -, zit. nach JURIS). Das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit gilt für alle Fallkonstellationen, in denen eine abzugeltende Vorteilslage eintritt, die daran anknüpfenden Abgaben aber wegen des Fehlens sonstiger Voraussetzungen nicht entstehen und deshalb auch nicht verjähren können (so BVerwG, Urt. v. 20. März 2014, a.a.O.) und damit für das gesamte Beitragsrecht (so BVerwG, Urt. v. 15. April 2015, a.a.O.).

45

Zwar sind sowohl § 6 Abs. 6 KAG a.F. als auch § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA - in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 6. Oktober 1997 (GVBl. LSA S. 878) wie auch in der inhaltgleichen Fassung des Änderungsgesetzes vom 16. April 1999 (GVBl. LSA S. 150) - in der bisher vorgenommenen Auslegung auf Grund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit im Anschlussbeitragsrecht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 3. Dezember 2014, a.a.O.). Denn beide Regelungen ermöglichten in der bisherigen Auslegung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt, wonach die sachliche Beitragspflicht mit der ersten wirksamen Beitragssatzung entsteht, eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit von Anschlussbeiträgen.

46

Dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit tragen aber die §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA, die durch Art. 1 Nr. 9 und 12 des Gesetzes zur Änderung kommunalabgabenrechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 2014 (GVBl. LSA S. 522) eingefügt worden und am 24. Dezember 2014 in Kraft getreten sind, hinreichend Rechnung (so schon OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 4. Juni 2015, a.a.O.). Danach ist eine Abgabenfestsetzung unabhängig vom Entstehen einer Abgabenpflicht zum Vorteilsausgleich mit dem Ablauf des 10. Kalenderjahres, das auf den Eintritt der Vorteilslage folgt, ausgeschlossen (§ 13b Satz 1 KAG LSA). Die nach Maßgabe des § 13b zu bestimmende Ausschlussfrist endet nicht vor dem Ablauf des Jahres 2015 (§ 18 Abs. 2 KAG LSA). Damit hat der Gesetzgeber eine zeitliche Obergrenze für die Festsetzung von vorteilsausgleichenden kommunalen Abgaben eingeführt und auf diese Weise den bislang bestehenden verfassungswidrigen Zustand beseitigt.

47

Die §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA berücksichtigen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich einerseits und die Interessen des Einzelnen an Rechtssicherheit. Die gewählte Ausschlussfrist von grundsätzlich 10 Jahren ab Eintritt der Vorteilslage, die jedoch nicht vor dem Ende des Jahres 2015 abläuft und daher im Einzelfall auf Grund des erstmaligen Inkrafttretens des KAG LSA im Jahre 1991 bis zu 24,5 Jahre betragen kann, hält sich im Rahmen des dem Gesetzgeber insoweit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 5. März 2013, a.a.O.) zustehenden weiten Gestaltungsspielraums und belastet die Abgabenpflichtigen nicht unzumutbar (vgl. VG Halle, Urt. v. 13. März 2015 - 4 A 13/15 HAL -; VG Magdeburg, Urt. vom 26. März 2015 - 9 A 253/14 MD -; Bücken-Thielmeyer/Fenzel, LKV 2014, 241, 244f, 248; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2254; Driehaus, KStZ 2014, 181, 184f.; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16. Juli 2014 - OVG 9 N 69.14 - zu § 19 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG BB, zit. nach JURIS; Martini, NVwZ-Extra 2014, S. 1, 8ff., 12; vgl. weiter § 3a Abs. 3 Satz 2 SächsKAG; a.M.: Beck/Neumann, DWW 2015, 362, 370ff., 374; vgl. auch Möller, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2015h ff.; Rottenwallner, KStZ 2014, 189, 194ff.). Zum einen unterschreitet sie die auch dem öffentlichen Recht nicht fremde dreißigjährige Verjährungsfrist (vgl. etwa § 53 Abs. 2 VwVfG), gegen deren grundsätzliche Anwendbarkeit im öffentlichen Recht aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens keine Bedenken bestehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11. Dezember 2008 - 3 C 37.07 -, zit. nach JURIS, m.w.N.; vgl. auch Urt. v. 20. März 2014 - 4 C 11.13 -, zit. nach JURIS) und die einen Maßstab für die Bestimmung einer Ausschlussfrist darstellt (vgl. Driehaus, KStZ 2014, 184f.; vgl. auch Bücken-Thielmeyer/Fenzel, a.a.O., S. 244: äußerste Grenze). Zudem wirkt der Vorteil, der durch die Inanspruchnahmemöglichkeit einer Einrichtung vermittelt wird, lange in die Zukunft fort, während ein besonderes wirtschaftliches Interesse der Abgabepflichtigen an einer möglichst zeitnahen Geltendmachung des Beitragsanspruchs nicht besteht, sondern deren Interesse nur darin liegt, erkennen zu können, wann mit einer Inanspruchnahme nicht mehr zu rechnen ist (VG Halle, Urt. v. 13. März 2015, a.a.O.; Driehaus, KStZ 2014, 185; VGH Bayern, Urt. v. 12. März 2015 - 20 B 14.1441 -; VG Cottbus, Urt. v. 10. April 2014 - 6 K 370/13 -, jeweils zit. nach JURIS). Schließlich sind die nach der Wiederherstellung der Deutschen Einheit bestehenden Schwierigkeiten beim Aufbau einer funktionierenden kommunalen Selbstverwaltung sowie die sonstigen Schwierigkeiten, in einem neuen Bundesland wie Sachsen-Anhalt überhaupt wirksames Satzungsrecht zu erlassen, in Rechnung zu stellen (VG Halle, Urt. v. 13. März 2015, a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 15. April 2015 - 9 C 19.14 -, zit. nach JURIS: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16. Juli 2014, a.a.O.) und der Umstand, dass die abgabenerhebenden Körperschaften in Sachsen-Anhalt jedenfalls bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 auf Grund der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt darauf vertrauen durften, nicht wirksam entstandene Forderungen zeitlich grundsätzlich unbegrenzt geltend machen zu können (vgl. auch Martini, a.a.O., S. 12).

48

Die abgabenerhebenden Körperschaften werden durch die 10-Jahres-Ausschlussfrist, die zwar (teilweise deutlich) kürzer ist als vergleichbare Regelungen in anderen Bundesländern, ebenfalls nicht in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise (vgl. dazu Bücken-Thielmeyer/Fenzel, a.a.O. S. 245ff.) belastet (wohl a.M.: Driehaus, KStZ 2014, 185). Auch wenn es aus den verschiedensten Gründen zu einer Verzögerung der Erhebung von Abgaben kommen kann, die der zuständigen Körperschaft nicht anzulasten ist, durfte der Gesetzgeber mit der gewählten Frist, die jedenfalls mehr als doppelt so lang ist wie die Festsetzungsverjährungsfrist, die Interessen des einzelnen Abgabenschuldners sehr hoch gewichten. Weder werden dadurch die abgabenerhebenden Körperschaften in ihrer Finanzhoheit als Ausprägung des Rechts der kommunalen Selbstverwaltung verletzt noch ist das Gleichheitsgebot in seiner Ausprägung als Grundsatz der Abgabengerechtigkeit beeinträchtigt. Im Gesetzgebungsverfahren haben die Interessenverbände insoweit gerade keine durchgreifenden Einwendungen erhoben, sondern nur für eine längere Übergangsfrist plädiert. Durch § 18 Abs. 2 KAG LSA ist hinreichend sichergestellt, dass Altverfahren noch fristgerecht abgeschlossen werden können. Denn die abgabenerhebenden Körperschaften mussten schon seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 mit einer gesetzgeberischen Regelung rechnen.

49

Die vorgesehene Ausschlussfristenregelung ermöglicht damit einerseits die Sicherung der Finanzierung der öffentlichen Einrichtungen und schränkt andererseits die Abgabenerhebung nach Eintritt der Vorteilslage zeitlich ein, nämlich auf einen Zeitraum von höchstens 24,5 Jahren. Insoweit enthält sie einen angemessenen Ausgleich der Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und des einzelnen Abgabenpflichtigen an Rechtssicherheit. Auch der Umstand, dass die "Übergangsregelung" in § 18 Abs. 2 KAG LSA sogenannte "Altfälle", bei denen die die Ausschlussfrist frühestens am 31. Dezember 2015 endet, gegenüber den Abgabenpflichtigen benachteiligt, bei denen die Vorteilslage erst nach 2005 eingetreten ist, führt unter Berücksichtigung von Art. 3 GG nicht zur Verfassungswidrigkeit der Norm. Denn nach dem Vorhergesagten besteht jedenfalls ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung.

50

Auch den von der Klägerin und einzelnen Literaturstimmen sonst genannten Einwendungen gegen die Übergangsfrist des § 18 Abs. 2 KAG LSA ist nicht zu folgen. Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin kommt dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum nicht nur hinsichtlich der (zeitlichen) Ausgestaltung einer allgemeinen Ausschlussfrist zu, sondern auch hinsichtlich der Einräumung einer besonderen Übergangsfrist. Diesen Spielraum hat der Landesgesetzgeber (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-DrS 6/3419 vom 10. September 2014, S. 23) ausdrücklich genutzt und darauf abgestellt, dass die kommunalen Aufgabenträger erst mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 von einer neuen Rechtslage auszugehen hatten. Soweit das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung ausdrücklich gerügt hat, die Verjährung des in Rede stehenden Anschlussbeitrages könne nach den bisherigen gesetzlichen Regelungen unter Umständen „erst Jahrzehnte“ nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage beginnen, folgt daraus keine Absage an die Bestimmung einer Ausschlussfrist, die im Einzelfall zwanzig Jahre überschreiten kann. Zum einen wurde diese Aussage zu Regelungen im bayerischen Kommunalabgabengesetz über die (Festsetzungs)Verjährung getroffen, die gerade keine Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers enthielten. Zum anderen entfaltet § 18 Abs. 2 KAG LSA nur für einen Übergangszeitraum Geltung und ist durch landesspezifische Umstände gerechtfertigt. Beide Erwägungen hatte das Bundesverfassungsgericht zu dem damals streitigen bayerischen Kommunalabgabengesetz nicht zu berücksichtigen. Auch dass den Problemen bei der Bildung von Aufgabenträgern in Sachsen-Anhalt durch zwei Heilungsgesetze im Kommunalabgabenrecht Rechnung getragen wurde, hindert nicht eine Berücksichtigung der sonstigen Schwierigkeiten, überhaupt wirksames Satzungsrecht zu erlassen, sowie eine Berücksichtigung der bis zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geltenden letztinstanzlichen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts. Soweit eine Geltendmachung von Fehlern der Abgabenfestsetzung durch den herangezogenen Abgabepflichtigen infolge des Zeitablaufs seit Entstehen der Vorteilslage (z.B. durch natürliche Änderungen der tatsächlichen Umstände oder Eigentümerwechsel) erschwert sein sollte, ist dem schon im Rahmen der Darlegungsverpflichtungen und der Beweiswürdigung Rechnung zu tragen.

51

Die Regelungen der §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA sind anzuwenden, obwohl vor Inkrafttreten dieser Normen sowohl die sachliche Beitragspflicht entstanden ist als auch die angefochtenen Beitragsbescheide erlassen worden sind. Es handelt sich dabei um Regelungen, mit denen - wie § 18 Abs. 2 KAG LSA klarstellt - eine Ausschlussfrist festgesetzt wird (vgl. auch Driehaus, KStZ 2014, 183, m.w.N.; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2254). Deren umfassende Anwendbarkeit ergibt sich aus Sinn und Zweck dieser Vorschriften, der darin besteht, der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen und eine zeitliche Obergrenze für die Beitragserhebung im Kommunalabgabengesetz vorzusehen, um die Beitragserhebung verfassungsrechtlich sicher zu gestalten (vgl. Gesetzesentwurf der Landesregierung vom 10. September 2014, LT-DrS 6/3419, S. 3; VG Halle, Urt. v. 13. März 2015, a.a.O.; vgl. auch VG Magdeburg, Urt. v. 26. März 2015, a.a.O.).

52

Da die streitbefangenen Beitragsbescheide vor Ende des Jahres 2015 erlassen worden sind, ist die Ausschlussfrist des § 13b KAG LSA jedenfalls gem. § 18 Abs. 2 KAG LSA gewahrt.

53

Es kann danach offen bleiben, zu welchem Zeitpunkt für die Grundstücke der Klägerin die Vorteilslage i.S.d. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 3. Dezember 2014, a.a.O.; vgl. auch Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2255; Driehaus, KStZ 2014, 181, 183f.; Martensen, LKV 2014, 446, 451ff.) entstanden ist. Jedenfalls ist nach den obigen Darlegungen diese Vorteilslage nicht schon mit der tatsächlichen Anschlussnahme der Grundstücke an eine zentrale Entsorgungsanlage vor dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes erfolgt, da es sich dabei um eine beitragsrelevante Vorteilslage handeln muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 15. April 2015, a.a.O.). Auch aus dem Gesetzeswortlaut oder den „Intentionen“ des Gesetzgebers folgt im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin nichts anderes. In dem Gesetzentwurf der Landesregierung (LT-DrS 6/3419 vom 10. September 2014, S. 22f.) wird jeweils nur auf die „Vorteilslage“ bzw. die „tatsächliche Vorteilslage“ abgestellt. Soweit der Begriff „technische Herstellung“ verwendet wird (S. 3), bezieht er sich - wie aus dem Zusammenhang deutlich wird - auf den Vorteilsausgleich i.S.d. der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dass nach den Angaben der Klägerin die tatsächliche Schmutzwasserentsorgung ihrer Grundstücke durch die Einrichtung des Beklagten immer wieder gestört sei, führt von vornherein nicht dazu, den Eintritt der Vorteilslage schon früher anzunehmen.

54

Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob bei einer Beitragsfestsetzung, die vor einem nach den §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA maßgebenden Zeitpunkt erfolgt ist, der Erlass der als Rechtsgrundlage heranzuziehenden Beitragssatzung nach diesem Zeitpunkt - möglicherweise auch verbunden mit einer Entstehung der sachlichen Beitragspflicht erst nach dem Zeitpunkt - zur Folge hat, dass die Ausschlussfrist nicht eingehalten ist (vgl. dazu Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2254 a.E.). Denn die heranzuziehende Beitragssatzung des Beklagten ist vor dem 31. Dezember 2015 erlassen worden, und auch die sachliche Beitragspflicht ist vor diesem Zeitpunkt entstanden.

55

6. Die im Anschlussbeitragsrecht geltenden Regelungen des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt haben auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (- 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 -, zit. nach JURIS) zu dem Kommunalabgabengesetz Brandenburg keine unzulässige Rückwirkung zur Folge.

56

Eine Rechtsnorm entfaltet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 12. November 2015, a.a.O., m.w.N. und Beschl. v. 2. Mai 2012 - 2 BvL 5/10 -, zit. nach JURIS, m.w.N.) echte Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll. Eine unechte Rückwirkung liegt dagegen vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet, so wenn belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung").

57

a) Dass Grundstücke auf der Grundlage des Kommunalabgabengesetzes zu Anschlussbeiträgen herangezogen werden, die schon vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 15. Juni 1991 eine Anschlussmöglichkeit an eine zentrale öffentliche leitungsgebundene Schmutzwasserentsorgungsanlage hatten, stellt entgegen der Auffassung der Klägerin schon deshalb keine unzulässige Rückwirkung dar, weil - wie oben dargelegt - damit nur an eine erst nach dem 15. Juni 1991 entstandene Vorteilslage durch die Anschlussmöglichkeit an eine nach diesem Zeitpunkt geschaffene öffentliche Einrichtung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA angeknüpft wird.

58

b) Der mit Änderungsgesetz vom 6. Oktober 1997 (GVBl. LSA S. 878) eingeführte § 6 Abs. 6 Satz 2 entfaltet ebenfalls keine unzulässige Rückwirkung (so auch VG Halle, Urt. v. 25. Januar 2016 - 4 A 10/15 HAL -; a.M. wohl: Beck/Neumann, a.a.O., S. 364 Fn. 25, 374). Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA gegenüber der vorher geltenden Rechtslage nach § 6 Abs. 6 KAG LSA a.F. lediglich klarstellend verdeutliche, dass die sachliche Beitragspflicht im Anschlussbeitragsrecht unabhängig vom Abschluss der Baumaßnahme und der Begründung der Vorteilslage nicht vor Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung entsteht (so Urt. v. 6. März 2003 - 1 L 318/02 -, m.w.N.; Beschl. v. 23. Oktober 2000 - 1 M 209/00 -; Beschl. v. 10. November 1999 - B 3 S 29/98 -; Beschl. v. 25. Januar 2011 - 4 L 234/09 -; vgl. auch Beschl. v. 19. Februar 1998 - B 2 S 141/97 - zit. nach JURIS; vgl. weiter Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2202, m.w.N.). Dass nach der Gesetzesbegründung (LT-DrS 2/3895 v. 26. August 1997, S. 7) zu § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA „ein Hinausschieben der Entstehung der Beitragspflicht frühestens auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der ersten rechtsgültigen Satzung“ erforderlich gewesen sei, um möglichen Beitragsausfällen oder Rückforderungen vorzubeugen, führt zu keiner anderen Auslegung. Ein Gesetz kann auch rein deklaratorische Wirkung haben, um das klarzustellen, was sich aus anderen Regelungen, wenn auch nicht ausdrücklich, bereits ergibt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 19. Februar 1998, a.a.O.). Daher fehlt es von vornherein schon an einem Anknüpfungspunkt für die Annahme einer (echten oder unechten) Rückwirkung, da die Rechtslage sich durch das Änderungsgesetz nicht geändert hat. Grundsätzlich liegt keine Rückwirkung vor, wenn eine Neuregelung deklaratorischer Art ist, also nur bestätigt, was von vornherein aus der verkündeten ursprünglichen Norm folgte (BVerfG, Beschl. v. 2. Mai 2010, a.a.O.).

59

Dass § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA dem Wortlaut nach im Wesentlichen der Regelung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. entspricht, deren Abänderung durch die Einführung des Begriffes „rechtswirksam“ vor dem Wort „Satzung“ mit einem Änderungsgesetz vom 17. Dezember 2003 das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 12. November 2015 (a.a.O.) hinsichtlich der Fälle, in denen Beiträge nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. nicht (mehr) erhoben werden konnten, als unzulässige Rückwirkung angesehen hat, steht dem nicht entgegen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in dem Änderungsgesetz deshalb eine konstitutive Änderung der Rechtslage bzw. einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes gesehen, weil das Oberverwaltungsgericht Brandenburg § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. in ständiger Rechtsprechung (seit Urt. v. 8. Juni 2000 - 2 D 29/98.NE -, zit. nach JURIS) so ausgelegt hatte, dass es für den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht und damit auch für den Zeitpunkt des Verjährungsbeginns lediglich auf das formelle Inkrafttreten der ersten - möglicherweise unwirksamen - Beitragssatzung, nicht aber auf das Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung ankam (vgl. dazu auch Herrmann, LKV 2016, 54ff.). Eine vergleichbare „Korrektur“ der die Festsetzungsverjährung betreffenden Rechtsprechung durch den Gesetzgeber erfolgte - schon im Hinblick darauf, dass das Oberverwaltungsgericht stets auf das Erfordernis einer wirksamen Satzung abgestellt hatte - in Sachsen-Anhalt gerade nicht.

60

Es muss daher nicht entschieden werden, ob selbst bei der Annahme einer Änderung der Rechtslage durch § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA vorliegend deshalb keine Rückwirkung eingetreten wäre, weil für die klägerischen Grundstücke bis zum Inkrafttreten des § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA keine öffentliche Einrichtung zur Schmutzwasserentsorgung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA existierte (vgl. VG Halle, Urt. v. 25. Januar 2016 - 4 A 10/15 HAL -).

61

c) Den §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA kommt danach schließlich auch keine (echte oder unechte) Rückwirkung zu. Auf Grund dieser Bestimmungen treten schon keine Rechtsfolgen mit belastender Wirkung ein, da die Rechtsprechung in Sachsen-Anhalt keine Ausschlussfrist angenommen hatte, innerhalb derer die abgabenerhebende Körperschaft nach dem Entstehen einer Vorteilslage die Abgabe festzusetzen hatte. Die Neuregelungen, mit denen eine solche Ausschlussfrist erstmalig eingeführt wird, haben für die betroffenen Abgabenpflichtigen daher allein eine begünstigende Wirkung.

62

Selbst wenn man aber den §§ 13b, 18 KAG LSA eine unechte Rückwirkung unterstellte, läge ein - für die Annahme der Verfassungswidrigkeit notwendiger - Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht vor. Die noch nicht herangezogenen Abgabenpflichtigen konnten weder vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 noch danach darauf vertrauen, dass ihnen gegenüber auf Grund eines langen Zeitraumes seit Entstehen einer Vorteilslage keine Abgabe mehr festgesetzt werden könnte. Insoweit kam es allein darauf an, ob und in welcher Weise der Landesgesetzgeber auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts reagieren würde.

63

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

64

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Beschlusses folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

65

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt.

66

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.


Hat das Verfassungsgericht eines Landes die Nichtigkeit von Landesrecht festgestellt oder Vorschriften des Landesrechts für nichtig erklärt, so bleiben vorbehaltlich einer besonderen gesetzlichen Regelung durch das Land die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen der Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die auf der für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt. Die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung ist unzulässig. § 767 der Zivilprozeßordnung gilt entsprechend.

Tenor

1. Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 775) ist mit Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) unvereinbar. Ersetzt der Gesetzgeber Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes nicht bis zum 1. April 2014 durch eine verfassungsgemäße Neuregelung, tritt Nichtigkeit der Vorschrift ein.

2. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Mai 2008 - 20 ZB 08.903 - und das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 28. Februar 2008 - M 10 K 06.2850 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wird aufgehoben und die Sache an ihn zurückverwiesen.

3. ...

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob die Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes (BayKAG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S. 775) mit den in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Verfassungsgrundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vereinbar ist.

I.

2

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs setzt das Entstehen einer Beitragspflicht für den Anschluss an leitungsgebundene Einrichtungen neben dem Erschlossensein des Grundstücks durch eine insgesamt betriebsfertige Einrichtung (sogenannte Vorteilslage) zwingend das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus (vgl. BayVGH, Urteil vom 14. April 2011 - 20 BV 11.133 -, BayVBl 2012, S. 45 <46>; Urteil vom 29. April 2010 - 20 BV 09.2010 -, BayVBl 2011, S. 240; Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, juris). Eine wirksame Satzung ist somit Beitragsentstehungsvoraussetzung. Die Satzung muss nach Art. 5 Abs. 8 BayKAG nicht bereits im Zeitpunkt des Entstehens der Vorteilslage in Kraft sein. Es genügt vielmehr, wenn sie nach deren Entstehung in Kraft tritt.

3

2. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung führt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b BayKAG in Verbindung mit § 47 der Abgabenordnung (AO) zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Abgabenschuldverhältnis. Die Festsetzungsfrist, nach deren Ablauf der Erlass eines Beitragsbescheids unzulässig ist, beträgt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb Spiegelstrich 2 BayKAG in Verbindung mit § 169 Abs. 2 Satz 1 AO einheitlich vier Jahre.

4

3. Durch das am 31. Dezember 1992 verkündete Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S. 775) wurde der Beginn der Festsetzungsfrist mit Wirkung zum 1. Januar 1993 neu geregelt. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc BayKAG erhielt folgende Fassung:

5

Art. 13

Anwendung von Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977)

(1) Soweit gesetzlich nicht anders bestimmt, sind in ihrer jeweils geltenden Fassung vorbehaltlich Absatz 6 folgende Bestimmungen der Abgabenordnung entsprechend anzuwenden:

(…)

4. aus dem Vierten Teil - Durchführung der Besteuerung -

(…)

b) über das Festsetzungs- und Feststellungsverfahren:

(…)

cc) § 170 Abs. 1 mit der Maßgabe,

- dass die Festsetzungsfrist dann, wenn die Forderung im Zeitpunkt des Entstehens aus tatsächlichen Gründen noch nicht berechnet werden kann, erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Berechnung möglich ist und

- dass im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem die gültige Satzung bekanntgemacht worden ist, (…).

6

Die in Bezug genommene Vorschrift des § 170 Abs. 1 AO lautet:

7

Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist.

8

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 1 BayKAG entspricht der bis dahin geltenden Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG vom 26. März 1974 (GVBl S. 109, ber. 252) in der Fassung vom 4. Februar 1977 (GVBl S. 82). Mit dem Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 wurde Spiegelstrich 2 neu in die gesetzliche Regelung eingefügt.

9

4. Der Gesetzgeber beabsichtigte hiermit ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs eine gesetzliche Klarstellung (LTDrucks 12/8082, S. 13). Bisher sei es in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs umstritten gewesen, ob in den Fällen, in denen eine nichtige Satzung rückwirkend durch eine gültige Satzung ersetzt werde, die Festsetzungsfrist mit dem Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens der Satzung (so BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 - 6 B 82 A.1075 -, BayGT 1985, S. 60) oder erst mit Ablauf des Jahres zu laufen beginne, in dem die rückwirkende Satzung bekanntgemacht worden sei (so BayVGH 23. Senat, Urteil vom 30. März 1984 - 23 B 81 A.1967 -, BayVBl 1985, S. 656 <658>). Mit der Einfügung einer weiteren Maßgabe in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG werde die den Bedürfnissen der Praxis entgegen kommende Auffassung des 23. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gesetzlich klargestellt. Nach der gegenteiligen Ansicht könne nämlich eine rückwirkend entstandene Forderung gleichzeitig festsetzungsverjährt sein, wenn sich die Rückwirkungsfrist über die Verjährungsfrist hinaus erstrecke.

II.

10

1. Der Beschwerdeführer war von 1992 bis 1996 Eigentümer eines bereits an die öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossenen bebauten Grundstücks. Bei einer Ortsbesichtigung im Jahr 1992 stellte die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die Gemeinde, in der das Grundstück gelegen ist (im Folgenden: Beklagte), fest, dass das Dachgeschoss des Gebäudes ausgebaut worden war.

11

Mit Bescheid vom 5. April 2004 zog sie den Beschwerdeführer erstmals auf der Grundlage ihrer Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 5. Mai 2000 zu einem Kanalherstellungsbeitrag in Höhe von 1.197,32 € heran. Der Herstellungsbeitrag wurde gemäß § 5 Abs. 1 dieser Beitrags- und Gebührensatzung nach der Grundstücks- und Geschossfläche berechnet. Die Satzung war zur Heilung einer als nichtig beurteilten Vorgängersatzung rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft gesetzt worden.

12

Während des Widerspruchsverfahrens erwies sich auch die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 als unwirksam. Die Beklagte erließ daraufhin die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 18. April 2005 und setzte sie rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft. Diese Satzung wurde am 26. April 2005 im Amtsblatt der Beklagten bekannt gemacht.

13

2. Die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid und den Widerspruchsbescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Zwar seien die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000, auf die der Bescheid gestützt worden sei, sowie auch sämtliche Vorgängersatzungen aus den Jahren 1995, 1992, 1987, 1980, 1973 und 1960 in den Beitragsteilen nichtig gewesen. Eine wirksame Rechtsgrundlage für den Bescheid sei aber mit der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 geschaffen worden. Auf der Grundlage dieser Satzung sei die Beitragsschuld für die bislang nicht veranlagte Geschossflächenmehrung erstmals am 1. April 1995 entstanden. Der Beschwerdeführer sei als zu diesem Zeitpunkt ins Grundbuch eingetragener Grundstückseigentümer Beitragsschuldner. Eine Verjährung der Beitragsforderung sei nicht eingetreten, da nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG in Verbindung mit § 170 Abs. 1 AO im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die vierjährige Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginne, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden sei.

14

Der Beschwerdeführer könne hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, diese Regelung verstoße gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes und müsse daher, insbesondere im Fall eines zwischenzeitlichen Eigentümerwechsels, abweichend von ihrem Wortlaut einschränkend ausgelegt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bestünden gegen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Ersichtliches Ziel des Gesetzgebers sei es gewesen, die Gemeinden im Falle nichtigen Satzungsrechts vor Beitragsausfällen infolge Verjährungseintritts zu bewahren. Im Übrigen sei keiner der jetzigen oder ehemaligen Grundstückseigentümer in seiner Erwartung geschützt, von der Nichtigkeit früheren Satzungsrechts profitieren zu können; denn ein abgeschlossener Beitragstatbestand liege nicht vor. Welchen der Eigentümer die Beitragspflicht treffe, hänge von der Bestimmung des Zeitpunkts der Rückwirkung ab. Sei dieser - wie im vorliegenden Fall - ohne Verstoß gegen das Willkürverbot gewählt, bestehe kein Grund für eine rechtliche Beanstandung.

15

3. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung ab. Das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass der Beitragsanspruch zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids nicht verjährt gewesen sei. Die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Gesetzgeber habe hiermit eine Regelung getroffen, die der bis dahin ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs entsprochen habe (Hinweis auf BayVGH, Urteil vom 30. März 1984 - 23 B 81 A.1967 -, BayVBl 1985, S. 656 <658>). Die Norm enthalte nach Inhalt, Zweck und Ausmaß eine klare Aussage über den Lauf der Festsetzungsfrist, gegen die durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestünden. Eine unzulässige echte Rückwirkung liege schon deshalb nicht vor, weil kein abgeschlossener Beitragstatbestand gegeben sei. Denn bei leitungsgebundenen Einrichtungen setze die Entstehung einer Beitragspflicht nach ständiger Rechtsprechung das Vorhandensein einer gültigen Abgabensatzung voraus. Eine wirksame Abgabensatzung habe erstmals im Jahr 2005 vorgelegen. Soweit der Beschwerdeführer geltend mache, die rückwirkende Inkraftsetzung einer Abgabensatzung müsse wenigstens zeitlich auf die einschlägigen Verjährungsvorschriften beschränkt werden, lasse er außer Acht, dass nur eine bereits entstandene Beitragsforderung verjähren könne. Bei fehlgeschlagenem Satzungsrecht müsse ein bisher nicht veranlagter Beitragspflichtiger damit rechnen, zu einem späteren Zeitpunkt herangezogen zu werden. Er könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen.

III.

16

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG.

17

1. Die in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene uneingeschränkte Anwendung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG auf rückwirkend in Kraft gesetzte Satzungen verstoße wegen der damit verbundenen echten Rückwirkung gegen die aus Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Es sei geboten, die Rückwirkung einer Satzung durch Festsetzungsfristen zu begrenzen. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung dürfe nicht beliebig hinausgeschoben werden. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG sei im Fall des rückwirkenden Inkraftsetzens einer Satzung entweder nicht anzuwenden oder verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die Verjährung rückwirkend zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung beginne.

18

2. Die Ausgangsgerichte hätten Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil sie ihm nicht hinreichend rechtliches Gehör gewährt hätten. Er habe mit der verwaltungsgerichtlichen Klage geltend gemacht, dass der Beitragsanspruch wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung erloschen sei. Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte beginne die Festsetzungsfrist nur zu laufen, wenn eine wirksame Beitragssatzung vorliege. Die Beklagte und die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen hätten sich darauf berufen, dass sämtliche Satzungen, die der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 vorausgingen, nichtig gewesen seien, was durch diverse Entscheidungen der Verwaltungsgerichte bereits geklärt worden sei. Er habe deshalb die Vorlage dieser Entscheidungen außergerichtlich und schließlich auch vor dem Verwaltungsgericht begehrt. Die maßgeblichen Entscheidungen seien ihm jedoch nicht vollständig zugänglich gemacht worden. Ihm sei es deshalb nicht möglich gewesen, zur Frage der Nichtigkeit sämtlicher Satzungen ausreichend Stellung zu nehmen.

IV.

19

Die Beklagte, die Bayerische Staatsregierung und der Deutsche Städte- und Gemeindebund haben ebenso wie das Bundesverwaltungsgericht zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen.

20

1. Die Beklagte ist der Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig. Der Beschwerdeführer habe eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht hinreichend dargelegt. Darüber hinaus sei der Rechtsweg nicht erschöpft, weil der Beschwerdeführer keine Anhörungsrüge erhoben habe.

21

Die Verfassungsbeschwerde sei im Übrigen nicht begründet. Der Beschwerdeführer könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn ein Vertrauen darauf, dass eine als nichtig erkannte Regelung aufrechterhalten bleibe und nicht durch eine neue, rückwirkende Satzung ersetzt werde, sei nicht schützenswert. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer sein Grundstück veräußert habe, bedeute nicht, dass dadurch ein für seine Beitragspflicht maßgeblicher Tatbestand abgeschlossen sei und er in der Folge nicht mehr zur Beitragszahlung herangezogen werden dürfe. Er habe vielmehr den für die Entstehung der Beitragspflicht maßgeblichen Vorteil der Möglichkeit der Anschlussnahme entgegengenommen und mit dem Grundstücksverkauf nicht verloren. Dieser Vorteil habe den Wert seines Grundstücks erhöht mit der Folge, dass er für das Grundstück einen höheren Kaufpreis habe erzielen können.

22

2. Die Bayerische Staatsregierung hält Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG für verfassungsgemäß. Die Ersetzung einer als nichtig erkannten durch eine wirksame Beitragssatzung stelle keinen Fall einer echten, sondern allenfalls einer unechten Rückwirkung dar. Es sei kein abgeschlossener Lebenssachverhalt gegeben, in den nachträglich eingegriffen worden sei. Denn die Beitragsentstehung setze das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus. Ohne diese sei eine Berechnung des Beitrags in Ermangelung eines Beitragsmaßstabs nicht möglich.

23

Das Vertrauen des Beschwerdeführers wäre selbst bei Annahme einer echten Rückwirkung nicht schutzwürdig, weil er damit habe rechnen müssen, dass eine vorhandene, aber als nichtig erkannte Satzung durch eine gültige Satzung ersetzt werde, mit der die von Anfang an von der Gemeinde angestrebte Beitragspflicht herbeigeführt werde. Es seien keine Umstände erkennbar, die ein Vertrauen darauf rechtfertigten, dass die Gemeinde es bei einer nichtigen Beitragssatzung belassen und auf eine Beitragserhebung verzichten würde.

24

Eine zeitliche Beschränkung der Rückwirkung auf die Festsetzungsfristen sei aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht geboten. Der bayerische Gesetzgeber habe mit Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG eine Lösung gewählt, die sowohl die Gemeinden vor Beitragsausfällen aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung bewahre als auch dem Vorteilsgedanken Rechnung trage. Die Gemeinden würden nach Erlass der gültigen Satzung erstmals in die Lage versetzt, Beiträge nach den Maßstäben dieser gültigen Satzung korrekt festzusetzen und die öffentliche Einrichtung auf der Grundlage rechtsstaatlicher Regelungen zu refinanzieren. Bei Abwägung des öffentlichen Interesses mit den privaten Interessen der betroffenen Beitragspflichtigen überwiege das öffentliche Interesse. Ein Grundstückseigentümer müsse damit rechnen, zu einem Beitrag herangezogen zu werden. Sein Vertrauen darauf, dass eine nichtige Satzung nicht durch eine gültige Satzung ersetzt werde, sei nicht schutzwürdig. Verjährungsvorschriften dienten der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Im vorliegenden Fall liege kein Vorgang vor, auf dessen Abschluss der Bürger sich einstellen und auf dessen Ende er vertrauen könne. Da dem Beitragspflichtigen kein schützenswertes Vertrauen zur Seite stehe, komme dem öffentlichen Interesse an der Beitragserhebung das entscheidende Gewicht zu.

25

3. Das Bundesverwaltungsgericht teilt mit, es sei mit der Frage nach dem Lauf der Festsetzungsfrist bei der rückwirkenden "Reparatur" nichtiger Abgabennormen bisher nur am Rande befasst gewesen. Nach seiner gefestigten Rechtsprechung sei es allerdings mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar, kommunale Anschluss- und Erschließungsbeitragssatzungen rückwirkend in Kraft zu setzen, um früher erlassene, auf eine nichtige Vorgängersatzung gestützte Beitragsbescheide zu heilen (Hinweis auf BVerwGE 50, 2 <7 f.>; 67, 129 <130 ff.>; BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 1996 - BVerwG 8 B 13.96 -, Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 36, S. 3 <4>). Werde eine ungültige durch eine gültige Satzung ersetzt, liege darin keine echte Rückwirkung, da eine Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der rechtswirksamen Beitragssatzung entstehen könne und diese Satzung somit nicht in einen bereits abgeschlossenen Tatbestand eingreife (Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 22. Januar 1986 - BVerwG 8 B 123.84 -, NVwZ 1986, S. 483 <484>).

26

Die Festsetzungsverjährung sei im Abgabenrecht der Länder geregelt (Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1977 - BVerwG IV C 84-92.74 -, Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 20, S. 20<25> sowie NJW 1977, S. 1740 <1741>). Die Anknüpfung der Verjährung an die rückwirkende Entstehung der Beitragspflicht stehe mit Bundesrecht in Einklang. Die Frage der bundesrechtlichen Unbedenklichkeit einer Anknüpfung an die Verkündung der neuen Satzung sei in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht weiter problematisiert worden.

27

Gegen die in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG getroffene Regelung bestünden keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Das rückwirkende Inkrafttreten der neuen Satzung habe zwar zur Folge, dass bereits zu einem zurückliegenden Zeitpunkt (frühestens zum Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens) die Beitragsvoraussetzungen erfüllt sein könnten. Es sei aber kein verfassungsrechtlicher Grundsatz ersichtlich, der dazu zwinge, die Festsetzungsverjährung in Rückwirkungsfällen an das Entstehen der Beitragsforderung anzuknüpfen. Da die Behörde erst mit der Verkündung der neuen Satzung in den Stand versetzt werde, einen rechtlich tragfähigen Beitragsbescheid zu erlassen, beziehungsweise erst mit der Verkündung ein auf die frühere nichtige Satzung gestützter Beitragsbescheid geheilt werde, sprächen Sachgründe für den im Bayerischen Kommunalabgabengesetz gewählten zeitlichen Anknüpfungspunkt der Festsetzungsverjährung. Die Regelung verstoße daher nicht gegen das Willkürverbot.

28

Mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbaren Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit dürfte die Regelung gleichfalls in Einklang stehen. Das Institut der Festsetzungsverjährung diene dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit (Hinweis auf BFH, Urteil vom 15. Juni 1988 - I R 68/86 -, BFH/NV 1990, S. 128). Die Anknüpfung des Verjährungsbeginns an die Verkündung der neuen Satzung führe zwar dazu, dass ein sehr langer Zeitraum zwischen dem die Beitragsforderung begründenden Sachverhalt und dem Ablauf der Verjährungsfrist liegen könne. Es sei aber zu bedenken, dass die mit der Festsetzungsverjährung verfolgten Ziele in einem Spannungsverhältnis zu dem Belang materieller Gerechtigkeit und dem fiskalischen Interesse an der Durchsetzung des Abgabenanspruchs stünden. Für die Aufgabe, zwischen den Polen in diesem Spannungsverhältnis einen verhältnismäßigen Ausgleich zu schaffen, sei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Gehe man mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass der Beitragspflichtige sich gegenüber dem rückwirkenden Inkraftsetzen einer neuen Beitragssatzung nicht auf Vertrauensschutz berufen könne, und berücksichtige man zusätzlich die besondere Fehleranfälligkeit kommunaler Beitragssatzungen und das daraus resultierende gesteigerte Interesse an einer effektiven Nutzbarkeit der Heilungsmöglichkeiten, dürfte sich die Verjährungsregelung des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes innerhalb dieses Gestaltungsspielraums halten.

29

4. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund weist darauf hin, dass der rückwirkende Erlass einer Satzung, welche die "Reparatur" einer unwirksamen Satzung bezwecke, eine Ausnahme darstelle und im vorliegenden Fall verwaltungspraktische Gründe gehabt habe. Die auf der Grundlage der Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 erlassenen Bescheide wären sonst im Fall eines Eigentümerwechsels bei einem Teil der früheren Eigentümer bestandskräftig geworden und hätten bei nicht bestandskräftigen Bescheiden aufgehoben und gegenüber dem neuen Eigentümer neu erlassen werden müssen. Dadurch wäre es zu Ungleichbehandlungen gekommen. Der rückwirkende Erlass einer Satzung sei in der Praxis auch dann erforderlich, wenn andernfalls die Einbringung von Forderungen, zum Beispiel wegen Insolvenz oder Zwangsversteigerungsverfahren, gefährdet wäre. Eine Rückwirkung erstrecke sich üblicherweise nicht auf einen Zeitraum von zehn Jahren. Dieser lange Zeitraum ergebe sich im vorliegenden Fall daraus, dass die Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 den in der Vorgängersatzung normierten Rückwirkungszeitpunkt beibehalten habe, was einen atypischen, sozusagen "verdoppelten" Rückwirkungszeitraum zur Folge gehabt habe.

B.

30

Die mit der Verfassungsbeschwerde vorgebrachten Rügen sind nur teilweise zulässig.

I.

31

Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG geltend macht, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da sie nicht hinreichend begründet wurde (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Der Beschwerdeführer hat insoweit die Möglichkeit eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht substantiiert dargelegt (vgl. BVerfGE 7, 95 <99>; 60, 313 <318>; 86, 133 <147>).

II.

32

Soweit die Verfassungsbeschwerde einen Verstoß gegen die aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes betrifft, ist sie zulässig.

33

Der Beschwerdeführer war - trotz Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG - nicht gehalten, zur Erschöpfung des Rechtswegs gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG eine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO zu erheben. Wird im fachgerichtlichen Rechtsmittelverfahren die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht und bestätigt das Rechtsmittelgericht die angefochtene Entscheidung, so muss die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts - sofern kein eigenständiger neuer Gehörsverstoß durch das Rechtsmittelgericht geltend gemacht wird - nicht mit der Anhörungsrüge angegriffen werden, um dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu genügen (vgl. BVerfGE 107, 395 <410 f.>).

C.

34

Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet. Die mittelbar angegriffene Regelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBl S. 775) sowie die hierauf beruhenden, unmittelbar angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen verstoßen gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit.

I.

35

1. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verletzt im vorliegenden Fall nicht die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Zulässigkeit rückwirkender Gesetze.

36

Der rechtsstaatliche Vertrauensschutz begrenzt die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen, die in einen in der Vergangenheit begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt eingreifen (vgl. BVerfGE 95, 64 <86 f.>; 101, 239 <263>; 126, 369 <393>).

37

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG selbst entfaltet dem Beschwerdeführer gegenüber keine Rückwirkung. Die Vorschrift regelt den Beginn der Verjährungsfrist für die Festsetzung von Beiträgen, die auf Abgabensatzungen gestützt sind, welche eine frühere unwirksame Satzung wirksam heilen. Bei ihrem Inkrafttreten zum 1. Januar 1993 lag eine solche wirksam heilende Satzung im Fall des Beschwerdeführers noch nicht vor und wurde auch später nicht rückwirkend zum oder vor dem 1. Januar 1993 in Kraft gesetzt, so dass die Verjährungsfrist unabhängig von der Neuregelung noch nicht zu laufen begonnen hatte. Solange der Lauf der Verjährungsfrist mangels gültiger Satzung nicht begonnen hat, betrifft die gesetzliche Neuregelung des Beginns der Verjährung mit der Wirkung einer Verjährungsverlängerung jedoch noch nicht einmal einen in der Vergangenheit begonnenen und nicht abgeschlossenen Sachverhalt.

38

Die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung bereits bestehende Vorteilslage begründet für den Beschwerdeführer ebenfalls keinen bereits begonnenen Sachverhalt, in den die Neuregelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG im Wege einer Rückwirkung eingegriffen hätte. Denn die Neuregelung beschränkt sich auf das Hinausschieben des Beginns der Verjährung. Eine solche konnte ohne wirksame Satzung aber nicht zu laufen beginnen.

39

2. Sollte der Beschwerdeführer mit Rücksicht auf die unwirksame Satzung auf den Schein eines Verjährungslaufs vertraut haben, so kann dahinstehen, ob und in welchem Zusammenhang das Vertrauen in den scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verfassungsrechtlichen Schutz verdient. Nach den Feststellungen der Ausgangsgerichte hätte die Festsetzungsfrist selbst bei Wirksamkeit der unwirksamen Satzung frühestens mit Ablauf des Jahres 1992 begonnen. Das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes wurde aber bereits am 31. Dezember 1992 und damit sogar noch vor dem scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verkündet.

II.

40

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verstößt jedoch gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gebot der Rechtssicherheit als wesentlichem Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips (vgl. BVerfGE 30, 392 <403>; 43, 242 <286>; 60, 253 <267>). Er erlaubt, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der Vorteilslage festzusetzen. Der Gesetzgeber hat damit den Ausgleich zwischen der Erwartung der Beitragspflichtigen auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung und dem berechtigten öffentlichen Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus dem Anschluss an die Entwässerungsanlage verfehlt und in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise einseitig zu Lasten der Beitragsschuldner entschieden.

41

1. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz gewährleisten im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug (vgl. BVerfGE 60, 253 <267 f.>; 63, 343 <357>; BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 -, DStR 2012, S. 2322 <2325>). Die Bürgerinnen und Bürger sollen die ihnen gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können (vgl. BVerfGE 13, 261 <271>; 63, 215 <223>). Dabei knüpft der Grundsatz des Vertrauensschutzes an ihr berechtigtes Vertrauen in bestimmte Regelungen an. Er besagt, dass sie sich auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen in gewissem Umfang verlassen dürfen. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet darüber hinaus aber unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben, oder wenn Umstände einem solchen Vertrauen sogar entgegenstehen. Es schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Als Elemente des Rechtsstaatsprinzips sind Rechtssicherheit und Vertrauensschutz eng miteinander verbunden, da sie gleichermaßen die Verlässlichkeit der Rechtsordnung gewährleisten.

42

2. Für die Auferlegung einer Beitragspflicht zum Vorteilsausgleich in Anknüpfung an zurückliegende Tatbestände ist die Regelung einer Verjährung als abschließende Zeitgrenze, bis zu der Beiträge geltend gemacht werden können, verfassungsrechtlich geboten. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.

43

a) Ausdruck der Gewährleistung von Rechtssicherheit sind auch Verjährungsregelungen. Sie sollen sicherstellen, dass Einzelne nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr mit Forderungen überzogen werden. Die Verjährung von Geldleistungsansprüchen der öffentlichen Hand soll einen gerechten Ausgleich zwischen dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit an der umfassenden und vollständigen Realisierung dieser Ansprüche auf der einen Seite und dem schutzwürdigen Interesse der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite bewirken, irgendwann nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen zu müssen und entsprechend disponieren zu können. Während das staatliche Interesse an der vollständigen Durchsetzung von Geldleistungspflichten vornehmlich von den Grundsätzen der richtigen Rechtsanwendung und der materiellen Gerechtigkeit (Belastungsgleichheit) sowie von fiskalischen Erwägungen getragen wird, steht dem auf Seiten der Bürger das Prinzip der Rechtssicherheit gegenüber.

44

Dabei ist es den Verjährungsregelungen eigen, dass sie ohne individuell nachweisbares oder typischerweise vermutetes, insbesondere ohne betätigtes Vertrauen greifen. Sie schöpfen ihre Berechtigung und ihre Notwendigkeit vielmehr aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit, demzufolge Einzelne auch gegenüber dem Staat die Erwartung hegen dürfen, irgendwann nicht mehr mit einer Geldforderung überzogen zu werden, wenn der berechtigte Hoheitsträger über einen längeren Zeitraum seine Befugnis nicht wahrgenommen hat.

45

b) Auch für die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, ist der Gesetzgeber verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Die Legitimation von Beiträgen liegt - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils, der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist (vgl. BVerfGE 49, 343 <352 f.>; 93, 319 <344>). Je weiter dieser Zeitpunkt bei der Beitragserhebung zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge. Zwar können dabei die Vorteile auch in der Zukunft weiter fortwirken und tragen nicht zuletzt deshalb eine Beitragserhebung auch noch relativ lange Zeit nach Anschluss an die entsprechende Einrichtung. Jedoch verliert der Zeitpunkt des Anschlusses, zu dem der Vorteil, um dessen einmalige Abgeltung es geht, dem Beitragspflichtigen zugewendet wurde, deshalb nicht völlig an Bedeutung. Der Bürger würde sonst hinsichtlich eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs dauerhaft im Unklaren gelassen, ob er noch mit Belastungen rechnen muss. Dies ist ihm im Lauf der Zeit immer weniger zumutbar. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet vielmehr, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss.

46

c) Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es dem Gesetzgeber jedoch, die berechtigten Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung der Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt.

47

3. Der Gesetzgeber hat in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den erforderlichen Ausgleich zwischen Rechtssicherheit auf der einen Seite und Rechtsrichtigkeit und Fiskalinteresse auf der anderen Seite verfehlt. Dadurch, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den Verjährungsbeginn bei der Heilung ungültiger Abgabensatzungen ohne zeitliche Obergrenze auf den Ablauf des Kalenderjahres festlegt, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden ist, löst der Gesetzgeber den Interessenkonflikt einseitig zu Lasten des Bürgers. Zwar schließt er damit die Verjährung von Beitragsansprüchen nicht völlig aus. Indem er den Verjährungsbeginn jedoch ohne zeitliche Obergrenze nach hinten verschiebt, lässt er die berechtigte Erwartung des Bürgers darauf, geraume Zeit nach Entstehen der Vorteilslage nicht mehr mit der Festsetzung des Beitrags rechnen zu müssen, gänzlich unberücksichtigt. Die Verjährung kann so unter Umständen erst Jahrzehnte nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage beginnen.

48

Der Beitragspflicht können die Bürgerinnen und Bürger im Regelfall nicht durch den Einwand der Verwirkung entgehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. August 2011 - BVerwG 3 B 36.11 -, BeckRS 2011, 53777; Beschluss vom 12. Januar 2004 - BVerwG 3 B 101.03 -, NVwZ-RR 2004, S. 314) und des Bundesfinanzhofs (vgl. BFH, Urteil vom 8. Oktober 1986 - II R 167/84 -, BFHE 147, 409 <412>) erfordert Verwirkung nicht nur, dass seit der Möglichkeit der Geltendmachung eines Rechts längere Zeit verstrichen ist. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Diese Voraussetzung dürfte selbst in den Fällen der Beitragserhebung nach scheinbarem Ablauf der Festsetzungsfrist regelmäßig nicht erfüllt sein.

D.

I.

49

Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift führt in der Regel zu ihrer Nichtigkeit (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG). Hier kommt zunächst jedoch nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht, da dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl. BVerfGE 130, 240 <260 f.>; stRspr).

50

Es bleibt ihm überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die nach Maßgabe der Grundsätze dieses Beschlusses der Rechtssicherheit genügt. So könnte er etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt. Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 -, NVwZ-RR 2000, S. 535 <536 f.>). Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (zur derzeitigen Rechtslage gemäß Art. 5 Abs. 5 BayKAG vgl. BayVGH, Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, BayVBl 1985, S. 211; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 128 ).

II.

51

Der angegriffene Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen. Die Unvereinbarkeitserklärung führt dazu, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG von Gerichten und Verwaltungsbehörden nicht mehr angewendet werden darf (vgl. BVerfGE 111, 115 <146>). Laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren, in denen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG entscheidungserheblich ist, bleiben bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens aber bis zum 1. April 2014, ausgesetzt oder sind auszusetzen.

52

Die Aussetzung gibt dem Gesetzgeber Gelegenheit zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung. Verzichtet er auf eine Sonderregelung des Beginns der Festsetzungsfrist, tritt zum 1. April 2014 Nichtigkeit ein. Dann wäre es Aufgabe der Verwaltungsgerichte, das Landesrecht entsprechend verfassungskonform auszulegen (vgl. etwa für den Fall des rückwirkenden Inkraftsetzens heilender Satzungen BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 - 6 B 82 A.1075 -, BayGT 1985, S. 60).

III.

53

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Gründe

I.

1

Die Klägerin, Eigentümerin mehrerer, mit zweigeschossigen Mehrfamilienwohnhäusern bebauter Grundstücke (Gemarkung G., Flur A, Flurstücke 38, 41, 26 und 28) im Verbandsgebiet des Beklagten, wendet sich gegen die Heranziehung zu Anschlussbeiträgen.

2

Mit Bescheiden vom 7. Juni 2012 zog der Beklagte die Klägerin für die Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt an eine zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen waren, zu einem Beitrag für die Herstellung seiner Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung (Herstellungsbeitrag II) in Höhe von insgesamt 8.011,91 € heran. Mit Bescheiden vom 22. August 2012 mahnte der Beklagte die Klägerin und setzte darin Säumniszuschläge und Mahngebühren fest. Die gegen die Bescheide vom 22. August 2012 erhobenen Widersprüche der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 15. Januar 2013 zurück und zog sie mit Kostenfestsetzungsbescheiden vom selben Tag zu Kosten für den Erlass der Widerspruchsbescheide heran. Mit Widerspruchsbescheiden vom 15. Februar 2013 wies der Beklagte die Widersprüche der Klägerin gegen die Beitragsbescheide vom 7. Juni 2012 zurück.

3

Am 18. Februar 2013 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Halle Anfechtungsklage gegen die Beitragsbescheide, die Mahnbescheide sowie die Kostenfestsetzungsbescheide erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen geltend gemacht, ein Beitrag könne nicht gefordert werden, da nicht ersichtlich sei, welche Gegenleistung damit abgegolten werde. Die Schmutzwasserbeseitigungsanlage des Beklagten sei nicht funktionstüchtig. Zudem widerspreche die Beitragserhebung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundsatz der Rechtssicherheit in der Gestalt der Gebote der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit. Die nunmehr in § 13b KAG LSA vorgesehene Verjährungshöchstfrist von 10 Jahren ab Eintritt der Vorteilslage sei im Hinblick auf den Anschluss der Grundstücke an die Kanalisation in den 1930er Jahren längst abgelaufen. § 18 Abs. 2 KAG LSA sei nicht anwendbar. Hilfsweise rechne sie mit Ansprüchen auf Schadensersatz wegen Funktionsstörungen auf.

4

In der mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 2015 hat der Beklagte im Hinblick auf eine Änderung der Regelung für übergroße Wohngrundstücke in der Beitragssatzung die angegriffenen Beitragsbescheide geändert und den Beitrag auf insgesamt 7.976,28 € herabgesetzt; insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt erklärt.

5

Das Verwaltungsgericht Halle hat das Verfahren im Hinblick auf die Erledigungserklärungen teilweise eingestellt, die Beitragsbescheide aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Aufhebung der Beitragsbescheide hat das Gericht ausgeführt, die vom Beklagten herangezogene Beitragssatzung vom 9. März 2015 bilde keine taugliche Rechtsgrundlage für die Beitragserhebung, weil es an einer wirksamen Regelung des Entstehens der (sachlichen) Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag II fehle. Die Regelung in der Satzung, wonach die Beitragspflicht mit Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung für die entsprechenden Sachverhalte bereits zum 1. Januar 2010 entstehe, sei unwirksam, da sie gegen die höherrangige landesrechtliche Regelung in § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA verstoße. Früheres Satzungsrecht scheide als rechtliche Grundlage für die Beitragsbescheide ebenfalls aus.

6

Nachdem der Beklagte eine Beitragssatzung mit einer neuen Regelung über die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht erlassen und bekanntgemacht hatte, hat der Senat auf dessen Antrag mit Beschluss vom 17. November 2015 die Berufung wegen ernstlicher Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

7

Der Beklagte macht zur Begründung seiner Berufung geltend, dass der vom Verwaltungsgericht festgestellte Satzungsfehler mit der Neufassung der Beitragssatzung geheilt worden sei. § 7 Abs. 1 dieser Satzung enthalte eine ausdrückliche Regelung zur Entstehung der Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag I und II. Im Übrigen habe das Verwaltungsgericht weitere Satzungsfehler nicht gesehen.

8

Der Beklagte beantragt,

9

das auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juli 2015 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 4. Kammer - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

10

Die Klägerin beantragt,

11

die Berufung zurückzuweisen.

12

Sie trägt vor, der Beklagte verfolge Ansprüche aus Beitragsbescheiden vom 7. Juni 2012 in der Gestalt der am 15. Februar 2013 ergangenen Widerspruchsbescheide. Da die neue Satzung rückwirkend zum 5. Oktober 2013 in Kraft getreten sei, habe es zu diesem Zeitpunkt keine wirksame Satzung gegeben, die Grundlage für ihre Heranziehung seien könnte.

13

Die Höhe der angeforderten Beiträge, zu der das Verwaltungsgericht keine Prüfung vorgenommen habe, werde bestritten. Die auf die Altanschlussnehmer umgelegten Kosten seien im Einzelnen nicht nachgewiesen. Der streitige Herstellungsbeitrag II, der angeblich nicht gedeckte Kosten betreffe, stelle Kosten für die laufende Unterhaltung und Instandsetzung von Abwasseranlagen dar, die über Benutzungsgebühren umzulegen seien.

14

Sie könne als Altanschlussnehmerin nicht für die Kosten der Neuanschlüsse der nach dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes angeschlossenen Grundstücke herangezogen werden, sondern nur für die bei Inkrafttreten des Gesetzes schon bestehenden Anschlüsse ihrer Grundstücke. Da für solche Investitionen nichts ersichtlich sei, trete eine Privilegierung der Neuanschlussteilnehmer ein. Die angegriffene Beitragssatzung nehme mit dem Herstellungsbeitrag II allein die Altanschlussteilnehmer für Maßnahmen in Anspruch, die allen Anschlussnehmern zugutekämen. Hierin liege ein eklatanter Verstoß gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit und der Beitragsgerechtigkeit.

15

Weiter seien die Anforderungen verjährt. Die Anschlüsse ihrer Grundstücke hätten im Jahre 2002 bereits annähernd 70 Jahre bestanden, so dass § 13b KAG LSA einschlägig sei. Hinsichtlich des Vorteilsausgleichs sei nach der Gesetzesbegründung an die jeweilige zurückliegende technische Herstellung anzuknüpfen. Hierdurch werde für das Land Sachsen-Anhalt nicht der vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen Ansicht gefolgt, wonach der auszugleichende Vorteil darin sehen zu sei, dass mit Übernahme der Abwasserversorgung durch die Kommunen die Beitragspflichtigen eine (angeblich) gesicherte Abwasserversorgung erhalten würden. Diese Unterstellung werde nicht nur durch die Intention des Landesgesetzgebers widerlegt, sondern auch durch die Situation im konkreten Fall. Denn die Abwasserentsorgung ihrer Grundstücke sei seit der Inbetriebnahme in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts völlig unproblematisch gewesen, während seit der Übernahme durch den Beklagten ganz erhebliche Probleme aufgetreten seien.

16

Die Übergangsregelung des § 18 Abs. 2 KAG LSA ändere nichts. Die Schlussfolgerungen, die das Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 4. Juni 2015 (- 4 L 24/14 -) gezogen habe, griffen nicht. Denn dort sei es um einen Neuanschluss einer Straßenbeleuchtungsanlage im Jahr 1999 gegangen, für den es erst im Jahre 2003 eine gültige Straßenausbausatzung gegeben habe. Nach den Ausführungen des Gerichts in dem o.g. Verfahren komme es für das Entstehen einer Beitragspflicht nicht auf das Vorliegen einer wirksamen Beitragssatzung an, so dass ein Widerspruch zu seinen Bemerkungen bestehe, dass seine Rechtsprechung bisher immer eine wirksame Beitragssatzung voraussetze. In § 13b KAG LSA sei zudem klargestellt, dass die Beitragspflicht an den tatsächlichen Anschluss als Vorteilslage anknüpfe. Es handele sich um eine materielle Ausschlussfrist. Die Vorteilslage sei hier zu einem Zeitpunkt entstanden, für den die Ausschlussfrist auf jeden Fall eingreife, so dass eine Abgabenfestsetzung ausgeschlossen sei. Die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene Interpretation, wonach sich die Ausschlussfrist auf Grund der Regelung des § 18 Abs. 2 KAG LSA auf bis zu 24,5 Jahre belaufen könne, stehe im krassen Gegensatz zu gefestigten Rechtsgrundsätzen. Vorteilsfälle, die weit in der Zeit vor dem Inkrafttreten des KAG LSA lägen, seien nach den zwingenden und auf jeden Fall zu berücksichtigenden Grundsätzen in der Verfassungsrechtsprechung, den Gesetzesmaterialien des Landesgesetzgebers sowie im KAG LSA und in der Beitragssatzung des Beklagten nicht beitragsfähig. Ansonsten greife das Kommunalabgabengesetz in einen Sachverhalt ein, der auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts vollständig abgeschlossen gewesen sei und der damit eine echte Rückwirkung darstelle. Eine Gesetzesauslegung, die eine solche Rückwirkung für zulässig erkläre, setze auch die jetzt im Gesetz festgeschriebene 10jährige materielle Ausschlussfrist außer Kraft. Dass hierfür eine Stütze in § 18 Abs. 2 KAG LSA gesehen werde, führe dazu, dass die verfassungskonforme Regelung in § 13b KAG LSA völlig außer Acht gelassen werde. Die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene Interpretation habe einen unlösbaren Widerspruch dieser Regelungen zur Folge. Damit werde eine völlig ungerechtfertigte Bevorzugung der fiskalischen Interessen der Verwaltung bewirkt. Das weite Ermessen des Gesetzgebers könne sich allenfalls auf die Bestimmung der Dauer der materiellen Ausschlussfrist beziehen. Dazu sei mit § 13b KAG LSA eine klare Regelung getroffen worden.

17

Die vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 12. November 2015 (- 1 BvR 2691/14 - und - 1 BvR 3051/14 -) noch einmal hervorgehobenen Grundsätze für eine echte und somit unzulässige Rückwirkung träfen vollständig auch auf vorliegende Angelegenheiten zu. Dem könne nicht damit entgegengetreten werden, dass das Oberverwaltungsgericht schon immer als Anspruchsgrundlage vom Vorliegen einer wirksamen Satzung ausgegangen sei. Es komme nicht darauf an, wie die Gerichte die Rechtslage bisher beurteilt hätten, sondern wie es in der gesetzlichen Regelung tatsächlich fest verankert sei. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts habe zur Folge, dass die Neuregelungen in der Kommunalabgabenordnung eine neue gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für einen Eingriff in abgeschlossene Rechtsverhältnisse konstituierten.

18

Es werde beantragt, über die eingelegte Berufung nach durchgeführter mündlicher Verhandlung zu entscheiden.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge, der Gegenstand der Beratung gewesen ist, Bezug genommen.

II.

20

Der Senat entscheidet über die zulässige Berufung des Beklagten durch Beschluss nach § 130a Satz 1 VwGO, weil er sie einstimmig für begründet und bei geklärtem Sachverhalt keine mündliche Verhandlung für erforderlich hält. Das Verfahren wirft weder in rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten auf noch bestehen erhebliche Unklarheiten in tatsächlicher Hinsicht.

21

Die Beteiligten wurden dazu angehört (§§ 130a Satz 2 i.V.m. 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Eine erneute Anhörung auf Grund der Schriftsätze der Klägerin vom 7. und 23. Januar 2016 sowie 8. Februar 2016 musste nicht erfolgen. Die Verfahrensbeteiligten sind nur dann durch eine erneute Anhörungsmitteilung von der fortbestehenden Absicht des Gerichts in Kenntnis zu setzen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wenn nach der entsprechenden Ankündigung ein erheblicher Beweisantrag gestellt wurde oder sich die prozessuale Lage des Rechtsstreits nach einer Anhörungsmitteilung wesentlich ändert, etwa dadurch, dass ein Prozessbeteiligter seinen bisherigen Sachvortrag in erheblicher Weise ergänzt oder erweitert (vgl. BVerwG, Beschlüsse v. 23. Juni 2011 - 9 B 94.10 -, v. 17. August 2010 - 10 B 19/10 - und v. 15. Mai 2008 - 2 B 77/07 - jeweils zit. nach JURIS). Eine solche möglicherweise entscheidungserhebliche Änderung der Prozesssituation lag nicht vor. Dass die Klägerin einer Entscheidung gemäß § 130a VwGO - ohne neuen, erheblichen Sachvortrag oder zusätzliche Beweisangebote - ausdrücklich widersprochen hat, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Beschl. v. 7. Dezember 2015 - 1 B 66.15 -, zit. nach JURIS).

22

Die angefochtenen Beitragsbescheide des Beklagten vom 7. Juni 2012 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 15. Februar 2013 und der Änderungsbescheide vom 16. Juli 2015, die im Berufungsverfahren allein noch streitbefangen sind, sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

23

Rechtsgrundlage der Bescheide über einen Anschlussbeitrag in der Gestalt des sog. besonderen Herstellungsbeitrages bzw. Herstellungsbeitrages II ist § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA i.V.m. der Satzung über die Erhebung von Anschlussbeiträgen für die Möglichkeit der Inanspruchnahme der zentralen öffentlichen Abwasseranlagen und über die Kostenerstattung für Anschlusskanäle des Beklagten vom 31. August 2015 - BS -, die rückwirkend am 5. Oktober 2013 in Kraft getreten ist.

24

1. Nach welcher satzungsrechtlichen Grundlage der Beitrag zu bemessen ist, richtet sich nach dem geltenden Recht im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht. Die Beitragspflicht entsteht im Anschlussbeitragsrecht gem. § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA in der ab 9. Oktober 1997 geltenden Fassung - KAG LSA -, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der Satzung. Nach der vorher geltenden Fassung des § 6 Abs. 6 des Kommunalabgabengesetzes entstand die sachliche Beitragspflicht mit der Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme. Werden in satzungsloser Zeit oder unter Geltung einer formell oder materiell unwirksamen Satzung die Anschlussvoraussetzungen für Grundstücke geschaffen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt zu beiden Gesetzesfassungen (vgl. Beschl. v. 3. Dezember 2012 - 4 L 59/13 -, zit. nach JURIS, m.w.N.) die sachliche Beitragspflicht für diese Grundstücke erst mit Inkrafttreten der ersten - wirksamen - Abgabensatzung entstehen. Für den sog. besonderen Herstellungsbeitrag bzw. Herstellungsbeitrag II gilt nichts anderes, da es sich dem Grunde nach um einen Herstellungsbeitrag i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA handelt (OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 13. Juli 2006 - 4 L 127/06 -, zit. nach JURIS; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2228). Soweit in dem Urteil des beschließenden Senats vom 4. Juni 2015 (- 4 L 24/14 -, zit. nach JURIS) zu § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 16. April 1999 (GVBl. LSA S. 150) vertreten wird, dass in manchen Fällen eine Satzung vor der Entscheidung über die beitragsauslösende Maßnahme vorliegen muss, betrifft dies allein die Erhebung von (Straßen)Ausbaubeiträgen.

25

Die Satzung des Beklagten vom 31. August 2015 ist für die Grundstücke der Klägerin die erste wirksame Anschlussbeitragssatzung, da die vorher geltenden Beitragssatzungen des Beklagten keine taugliche Rechtsgrundlage dargestellt hatten.

26

Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil im Einzelnen dargelegt, dass sowohl die Beitragsatzung des Beklagten vom 12. November 2012 - auch in der Gestalt der 1. Änderungssatzung vom 9. September 2013 - als auch die Beitragssatzung des Beklagten vom 4. Februar 2002, zuletzt geändert durch die 4. Änderungssatzung vom 6. Dezember 2010, u.a. wegen eines Fehlers der Tiefenbegrenzungsregelung nichtig seien und weder geltend gemacht sei noch sonst dafür etwas ersichtlich, dass vorher erlassenes Satzungsrecht des Beklagten bzw. seines Rechtsvorgängers als Rechtsgrundlage für die angegriffenen Beitragsbescheide herangezogen werden könnte. Dem tritt der Beklagte nicht entgegen; Anhaltspunkte für eine abweichende Einschätzung liegen nicht vor. Weiter hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass die gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG LSA notwendige Regelung zum Entstehen der sachlichen Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag II in der Beitragssatzung vom 9. März 2015 - BS 2015 - fehlte, da die in § 7 Abs. 3 BS 2015 getroffene Bestimmung nichtig war. Diese Beitragssatzung sollte rückwirkend zum 5. Oktober 2013 in Kraft treten (§ 16 BS 2015); die Festlegung eines Entstehenszeitpunktes der sachlichen Beitragspflicht auf den 1. Januar 2010 in § 7 Abs. 3 BS 2015 und damit auf einen Zeitpunkt vor dem Inkrafttreten der BS 2015 verstieß gegen § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA. Mit dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass eine abweichende Auslegung der Satzungsbestimmung nach ihrem eindeutigen Wortlaut nicht möglich ist. Ohne eine wirksame Bestimmung über das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht ist eine Beitragssatzung nichtig (OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 3. Dezember 2012, a.a.O.).

27

Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin ist für eine Heranziehung der neuen Satzung vom 31. August 2015 unschädlich, dass der Zeitpunkt des Erlasses der Beitragsbescheide und der Widerspruchsbescheide nicht von dem Geltungszeitraum der Satzung erfasst wird. Eine nachträglich erlassene Beitragssatzung kann auch dann als Rechtsgrundlage für einen vorher erlassenen Beitragsbescheid dienen, wenn sie sich keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe oder der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides beimisst. Eine auf Grund fehlender Satzungsgrundlage bestehende Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheides wird durch die neue Satzung ex nunc geheilt; der Betroffene ist prozessrechtlich dadurch geschützt, dass er das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklären kann (OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 11. September 2012 - 4 L 155/09 -, zit. nach JURIS; vgl. auch Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 173, m.w.N.).

28

2. Durchgreifende Bedenken an der formellen oder materiellen Rechtmäßigkeit der Beitragssatzung vom 31. August 2015 - BS - sind weder von der Klägerin substanziiert geltend gemacht noch nach dem im Berufungsverfahren maßgeblichen Prüfungsmaßstab sonst ersichtlich.

29

a) Soweit die Klägerin im Zulassungsverfahren pauschal die Ordnungsmäßigkeit der Bekanntmachung der Beitragssatzung bestritten hat, gibt es dafür keinerlei Anhaltspunkte. Die Satzung wurde entsprechend § 24 Abs. 1 Satz 1 der Verbandssatzung des Beklagten in den Amtsblättern der Stadt Landsberg und des Landkreises Anhalt-Bitterfeld vom 11. und 16. September 2015 veröffentlicht.

30

b) Die Satzung enthält - was von der Klägerin auch nicht in Zweifel gezogen wird - mit ihrem § 7 Abs. 1 eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Regelung über das Entstehen der (sachlichen) Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag II. Danach entsteht die Beitragspflicht für den Herstellungsbeitrag I und II, sobald das Grundstück an die öffentliche Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung.

31

c) Dass der in § 5 Abs. 2 BS festgesetzte Beitragssatz für den Herstellungsbeitrag II von 2,12 €/m2 gegen das Aufwandsüberschreitungsverbot des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 29. April 2010 - 4 L 341/08 -, zit. nach JURIS) verstößt, ist weder hinreichend geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Die Berechnung des Beitragssatzes und damit die Höhe der auf die Altanschlussnehmer umgelegten Aufwendungen ergibt sich aus der vom Beklagten erstellten Beitragskalkulation, auf welche der Beklagte in den Widerspruchsbescheiden vom 15. Februar 2013 Bezug genommen hat. Gegen diese Kalkulation erhebt die Klägerin keine substanziierten Einwendungen. Für ihre pauschale Behauptung, mit dem erhobenen Beitrag würden „Kosten für die laufende Unterhaltung und Instandsetzung von Abwasseranlagen“ bzw. „durchlaufende Betriebskosten“ erhoben, die über Benutzungsgebühren umzulegen seien, gibt es keinerlei Anhaltspunkte; Belege nennt die Klägerin nicht. Demgegenüber hat der Beklagte in den Widerspruchsbescheiden ausdrücklich ausgeführt, in die Kalkulation seien nur die beitragsfähigen Investitionskosten eingeflossen.

32

d) Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit geltend macht, verkennt sie schon die rechtlichen Grundlagen.

33

Wie oben dargelegt handelt es sich bei dem Herstellungsbeitrag II dem Grunde nach um einen Herstellungsbeitrag i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA, der sich lediglich wegen der Regelung in § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA von einem „normalen“ Herstellungsbeitrag unterscheidet. § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA bestimmt zum einen, dass für die Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des KAG LSA am 16. Juni 1991 an eine zentrale öffentliche leitungsgebundene Entsorgungsanlage angeschlossen waren oder eine Anschlussmöglichkeit hatten, in Abweichung von § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA eine Beitragspflicht i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA nicht für Investitionen entsteht, die vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt abgeschlossen worden sind. Zum anderen folgt aus der Regelung, dass bei der Bemessung des besonderen Herstellungsbeitrages für die Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes angeschlossen waren oder angeschlossen werden konnten, d.h. bei der Ermittlung der nach dem 15. Juni 1991 getätigten Investitionen, der Aufwand für die nach diesem Zeitpunkt neu erschlossenen oder zu erschließenden Gebiete unberücksichtigt bleiben muss (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 13. Juli 2006, a.a.O.). Danach gehört zum beitragsfähigen Aufwand beim Herstellungsbeitrag II der gesamte Aufwand, der notwendig ist, um die jeweilige öffentliche leitungsgebundene Einrichtung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA entsprechend dem Abwasserbeseitigungskonzept zu schaffen und es ist lediglich der Aufwand abzuziehen, der notwendig geworden ist, um nach dem 15. Juni 1991 (Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes) erstmals Grundstücken eine Anschlussmöglichkeit zu bieten (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 19. Mai 2005 - 1 L 252/04 - und Urt. v. 28. Oktober 2009 - 4 L 117/07 - jeweils zit. nach JURIS; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2225).

34

Der Vorteil, der durch den Herstellungsbeitrag II abgegolten werden soll, ist Eigentümern von tatsächlich schon vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt angeschlossenen Grundstücken daher - wie bei dem allgemeinen Herstellungsbeitrag - erst in dem Zeitpunkt zugeflossen, in dem ihnen erstmals der rechtlich gesicherte Vorteil geboten worden ist, ihr Schmutzwasser mittels einer nach Inkrafttreten des Gesetzes geschaffenen öffentlichen Einrichtung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA entsorgen zu können (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 4. Dezember 2003 - 1 L 226/03 -, zit. nach JURIS; Beschl. v. 18. November 2004 - 1 M 61/04 -; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2220f.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 15. April 2015 - 9 C 19.14 -, zit. nach JURIS). Dieser Vorteil knüpft gerade nicht an eine tatsächliche Anschlussnahme von Grundstücken an, die vor Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes erfolgt ist, so dass es auf das Vorbringen der Klägerin zu den Unterschieden in der Qualität der tatsächlichen Abwasserentsorgung ihrer Grundstücke nicht ankommt.

35

Es ist auch weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich, dass der Beklagte in die Beitragskalkulation für den Herstellungsbeitrag II Investitionen einbezogen hat, die vor dem 15. Juni 1991 abgeschlossen waren, oder Aufwand für nach dem 15. Juni 1991 geschaffene Anlagenteile, der dazu dient, neue Flächen durch die zentrale Abwasserentsorgungsanlage zu erschließen. Dafür bestehen angesichts der Höhe des in § 5 Abs. 1 BS festgesetzten Beitragssatzes von 10,23 €/m2 für den allgemeinen Herstellungsbeitrag auch keinerlei Anhaltspunkte.

36

3. Die Voraussetzungen für die Erhebung eines Herstellungsbeitrages II sind nach der Beitragssatzung des Beklagten erfüllt.

37

Die Grundstücke der Klägerin verfügten i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 3 BS am 15. Juni 1991 über einen Anschluss an eine bestehende, nicht lediglich provisorische zentrale öffentliche Abwasserbehandlungsanlage und hatten unstreitig i.S.d. § 7 Abs. 1 BS nach diesem Zeitpunkt eine Anschlussmöglichkeit an die gem. § 1 Abs. 1 Ziffer 1 der Entwässerungssatzung des Beklagten geschaffene Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung des Beklagten.

38

Soweit die Klägerin vorträgt, die tatsächliche Schmutzwasserentsorgung ihrer Grundstücke durch die Einrichtung des Beklagten sei immer wieder gestört, steht dieser Einwand einer Beitragserhebung nicht entgegen. Denn der Beitrag wird gem. § 6 Abs. 6 Satz 1 KAG LSA schon für die Möglichkeit der Inanspruchnahme erhoben. Dass eine ordnungsgemäße Schmutzwasserentsorgung ihrer Grundstücke auf Grund natürlicher Gegebenheiten technisch ausgeschlossen ist oder zu unzumutbaren Belastungen führt, ist weder ersichtlich noch von der Klägerin geltend gemacht.

39

Einwände gegen die Berechnung des Beitrages sind nicht substanziiert geltend gemacht; Fehler sind insoweit auch nicht ersichtlich. Das pauschale Bestreiten „der Höhe der angeforderten Beiträge“ durch die Klägerin ist nicht ausreichend.

40

Soweit sie im Klageverfahren eine hilfsweise Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen vorgenommen hat, steht dem gem. § 13a Abs. 1 Satz 5 KAG LSA i.V.m. § 226 Abs. 3 AO schon entgegen, dass diese Gegenansprüche weder unbestritten noch rechtskräftig festgestellt sind.

41

4. Die angefochtenen Bescheide vom 7. Juni 2012 sind nicht in festsetzungsverjährter Zeit erlassen worden.

42

Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG LSA i.V.m. den §§ 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 170 Abs. 1 AO ist eine Abgabenfestsetzung - vorbehaltlich der Feststellbarkeit des Beitragspflichtigen nach § 6 Abs. 8 KAG LSA - nicht mehr zulässig, wenn die für Kommunalabgaben maßgebliche Festsetzungsfrist von vier Jahren abgelaufen ist, wobei die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Abgabe entstanden ist. Da die sachliche Beitragspflicht für die Grundstücke der Klägerin erst mit der Beitragssatzung vom 31. August 2015 entstanden sein kann, die rückwirkend zum 5. Oktober 2013 in Kraft getreten ist, ist die Festsetzungsverjährungsfrist nicht abgelaufen.

43

5. Eine Beitragserhebung wird auf Grund der Regelung des § 18 Abs. 2 i.V.m. § 13b KAG LSA durch das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nicht ausgeschlossen.

44

Dieses Gebot schützt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts davor, dass lange zurück liegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden könnten. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicher zu stellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden könnten. Die Legitimation von Beiträgen liege - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils, der den betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen sei. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebiete, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen könne, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen müsse. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei stehe ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 -, zit. nach JURIS). Danach ist eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit von vorteilsausgleichenden kommunalen Abgaben mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar (so BVerwG, Beschl. v. 26. August 2013 - 9 B 13.13 -, zit. nach JURIS; vgl. auch Urt. v. 15. April 2015, a.a.O. und Urt. v. 20. März 2014 - 4 C 11.13 -, zit. nach JURIS). Das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit gilt für alle Fallkonstellationen, in denen eine abzugeltende Vorteilslage eintritt, die daran anknüpfenden Abgaben aber wegen des Fehlens sonstiger Voraussetzungen nicht entstehen und deshalb auch nicht verjähren können (so BVerwG, Urt. v. 20. März 2014, a.a.O.) und damit für das gesamte Beitragsrecht (so BVerwG, Urt. v. 15. April 2015, a.a.O.).

45

Zwar sind sowohl § 6 Abs. 6 KAG a.F. als auch § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA - in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 6. Oktober 1997 (GVBl. LSA S. 878) wie auch in der inhaltgleichen Fassung des Änderungsgesetzes vom 16. April 1999 (GVBl. LSA S. 150) - in der bisher vorgenommenen Auslegung auf Grund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit im Anschlussbeitragsrecht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 3. Dezember 2014, a.a.O.). Denn beide Regelungen ermöglichten in der bisherigen Auslegung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt, wonach die sachliche Beitragspflicht mit der ersten wirksamen Beitragssatzung entsteht, eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit von Anschlussbeiträgen.

46

Dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit tragen aber die §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA, die durch Art. 1 Nr. 9 und 12 des Gesetzes zur Änderung kommunalabgabenrechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 2014 (GVBl. LSA S. 522) eingefügt worden und am 24. Dezember 2014 in Kraft getreten sind, hinreichend Rechnung (so schon OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 4. Juni 2015, a.a.O.). Danach ist eine Abgabenfestsetzung unabhängig vom Entstehen einer Abgabenpflicht zum Vorteilsausgleich mit dem Ablauf des 10. Kalenderjahres, das auf den Eintritt der Vorteilslage folgt, ausgeschlossen (§ 13b Satz 1 KAG LSA). Die nach Maßgabe des § 13b zu bestimmende Ausschlussfrist endet nicht vor dem Ablauf des Jahres 2015 (§ 18 Abs. 2 KAG LSA). Damit hat der Gesetzgeber eine zeitliche Obergrenze für die Festsetzung von vorteilsausgleichenden kommunalen Abgaben eingeführt und auf diese Weise den bislang bestehenden verfassungswidrigen Zustand beseitigt.

47

Die §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA berücksichtigen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich einerseits und die Interessen des Einzelnen an Rechtssicherheit. Die gewählte Ausschlussfrist von grundsätzlich 10 Jahren ab Eintritt der Vorteilslage, die jedoch nicht vor dem Ende des Jahres 2015 abläuft und daher im Einzelfall auf Grund des erstmaligen Inkrafttretens des KAG LSA im Jahre 1991 bis zu 24,5 Jahre betragen kann, hält sich im Rahmen des dem Gesetzgeber insoweit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 5. März 2013, a.a.O.) zustehenden weiten Gestaltungsspielraums und belastet die Abgabenpflichtigen nicht unzumutbar (vgl. VG Halle, Urt. v. 13. März 2015 - 4 A 13/15 HAL -; VG Magdeburg, Urt. vom 26. März 2015 - 9 A 253/14 MD -; Bücken-Thielmeyer/Fenzel, LKV 2014, 241, 244f, 248; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2254; Driehaus, KStZ 2014, 181, 184f.; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16. Juli 2014 - OVG 9 N 69.14 - zu § 19 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG BB, zit. nach JURIS; Martini, NVwZ-Extra 2014, S. 1, 8ff., 12; vgl. weiter § 3a Abs. 3 Satz 2 SächsKAG; a.M.: Beck/Neumann, DWW 2015, 362, 370ff., 374; vgl. auch Möller, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2015h ff.; Rottenwallner, KStZ 2014, 189, 194ff.). Zum einen unterschreitet sie die auch dem öffentlichen Recht nicht fremde dreißigjährige Verjährungsfrist (vgl. etwa § 53 Abs. 2 VwVfG), gegen deren grundsätzliche Anwendbarkeit im öffentlichen Recht aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens keine Bedenken bestehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11. Dezember 2008 - 3 C 37.07 -, zit. nach JURIS, m.w.N.; vgl. auch Urt. v. 20. März 2014 - 4 C 11.13 -, zit. nach JURIS) und die einen Maßstab für die Bestimmung einer Ausschlussfrist darstellt (vgl. Driehaus, KStZ 2014, 184f.; vgl. auch Bücken-Thielmeyer/Fenzel, a.a.O., S. 244: äußerste Grenze). Zudem wirkt der Vorteil, der durch die Inanspruchnahmemöglichkeit einer Einrichtung vermittelt wird, lange in die Zukunft fort, während ein besonderes wirtschaftliches Interesse der Abgabepflichtigen an einer möglichst zeitnahen Geltendmachung des Beitragsanspruchs nicht besteht, sondern deren Interesse nur darin liegt, erkennen zu können, wann mit einer Inanspruchnahme nicht mehr zu rechnen ist (VG Halle, Urt. v. 13. März 2015, a.a.O.; Driehaus, KStZ 2014, 185; VGH Bayern, Urt. v. 12. März 2015 - 20 B 14.1441 -; VG Cottbus, Urt. v. 10. April 2014 - 6 K 370/13 -, jeweils zit. nach JURIS). Schließlich sind die nach der Wiederherstellung der Deutschen Einheit bestehenden Schwierigkeiten beim Aufbau einer funktionierenden kommunalen Selbstverwaltung sowie die sonstigen Schwierigkeiten, in einem neuen Bundesland wie Sachsen-Anhalt überhaupt wirksames Satzungsrecht zu erlassen, in Rechnung zu stellen (VG Halle, Urt. v. 13. März 2015, a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 15. April 2015 - 9 C 19.14 -, zit. nach JURIS: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 16. Juli 2014, a.a.O.) und der Umstand, dass die abgabenerhebenden Körperschaften in Sachsen-Anhalt jedenfalls bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 auf Grund der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt darauf vertrauen durften, nicht wirksam entstandene Forderungen zeitlich grundsätzlich unbegrenzt geltend machen zu können (vgl. auch Martini, a.a.O., S. 12).

48

Die abgabenerhebenden Körperschaften werden durch die 10-Jahres-Ausschlussfrist, die zwar (teilweise deutlich) kürzer ist als vergleichbare Regelungen in anderen Bundesländern, ebenfalls nicht in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise (vgl. dazu Bücken-Thielmeyer/Fenzel, a.a.O. S. 245ff.) belastet (wohl a.M.: Driehaus, KStZ 2014, 185). Auch wenn es aus den verschiedensten Gründen zu einer Verzögerung der Erhebung von Abgaben kommen kann, die der zuständigen Körperschaft nicht anzulasten ist, durfte der Gesetzgeber mit der gewählten Frist, die jedenfalls mehr als doppelt so lang ist wie die Festsetzungsverjährungsfrist, die Interessen des einzelnen Abgabenschuldners sehr hoch gewichten. Weder werden dadurch die abgabenerhebenden Körperschaften in ihrer Finanzhoheit als Ausprägung des Rechts der kommunalen Selbstverwaltung verletzt noch ist das Gleichheitsgebot in seiner Ausprägung als Grundsatz der Abgabengerechtigkeit beeinträchtigt. Im Gesetzgebungsverfahren haben die Interessenverbände insoweit gerade keine durchgreifenden Einwendungen erhoben, sondern nur für eine längere Übergangsfrist plädiert. Durch § 18 Abs. 2 KAG LSA ist hinreichend sichergestellt, dass Altverfahren noch fristgerecht abgeschlossen werden können. Denn die abgabenerhebenden Körperschaften mussten schon seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 mit einer gesetzgeberischen Regelung rechnen.

49

Die vorgesehene Ausschlussfristenregelung ermöglicht damit einerseits die Sicherung der Finanzierung der öffentlichen Einrichtungen und schränkt andererseits die Abgabenerhebung nach Eintritt der Vorteilslage zeitlich ein, nämlich auf einen Zeitraum von höchstens 24,5 Jahren. Insoweit enthält sie einen angemessenen Ausgleich der Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und des einzelnen Abgabenpflichtigen an Rechtssicherheit. Auch der Umstand, dass die "Übergangsregelung" in § 18 Abs. 2 KAG LSA sogenannte "Altfälle", bei denen die die Ausschlussfrist frühestens am 31. Dezember 2015 endet, gegenüber den Abgabenpflichtigen benachteiligt, bei denen die Vorteilslage erst nach 2005 eingetreten ist, führt unter Berücksichtigung von Art. 3 GG nicht zur Verfassungswidrigkeit der Norm. Denn nach dem Vorhergesagten besteht jedenfalls ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung.

50

Auch den von der Klägerin und einzelnen Literaturstimmen sonst genannten Einwendungen gegen die Übergangsfrist des § 18 Abs. 2 KAG LSA ist nicht zu folgen. Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin kommt dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum nicht nur hinsichtlich der (zeitlichen) Ausgestaltung einer allgemeinen Ausschlussfrist zu, sondern auch hinsichtlich der Einräumung einer besonderen Übergangsfrist. Diesen Spielraum hat der Landesgesetzgeber (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-DrS 6/3419 vom 10. September 2014, S. 23) ausdrücklich genutzt und darauf abgestellt, dass die kommunalen Aufgabenträger erst mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 von einer neuen Rechtslage auszugehen hatten. Soweit das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung ausdrücklich gerügt hat, die Verjährung des in Rede stehenden Anschlussbeitrages könne nach den bisherigen gesetzlichen Regelungen unter Umständen „erst Jahrzehnte“ nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage beginnen, folgt daraus keine Absage an die Bestimmung einer Ausschlussfrist, die im Einzelfall zwanzig Jahre überschreiten kann. Zum einen wurde diese Aussage zu Regelungen im bayerischen Kommunalabgabengesetz über die (Festsetzungs)Verjährung getroffen, die gerade keine Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers enthielten. Zum anderen entfaltet § 18 Abs. 2 KAG LSA nur für einen Übergangszeitraum Geltung und ist durch landesspezifische Umstände gerechtfertigt. Beide Erwägungen hatte das Bundesverfassungsgericht zu dem damals streitigen bayerischen Kommunalabgabengesetz nicht zu berücksichtigen. Auch dass den Problemen bei der Bildung von Aufgabenträgern in Sachsen-Anhalt durch zwei Heilungsgesetze im Kommunalabgabenrecht Rechnung getragen wurde, hindert nicht eine Berücksichtigung der sonstigen Schwierigkeiten, überhaupt wirksames Satzungsrecht zu erlassen, sowie eine Berücksichtigung der bis zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geltenden letztinstanzlichen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts. Soweit eine Geltendmachung von Fehlern der Abgabenfestsetzung durch den herangezogenen Abgabepflichtigen infolge des Zeitablaufs seit Entstehen der Vorteilslage (z.B. durch natürliche Änderungen der tatsächlichen Umstände oder Eigentümerwechsel) erschwert sein sollte, ist dem schon im Rahmen der Darlegungsverpflichtungen und der Beweiswürdigung Rechnung zu tragen.

51

Die Regelungen der §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA sind anzuwenden, obwohl vor Inkrafttreten dieser Normen sowohl die sachliche Beitragspflicht entstanden ist als auch die angefochtenen Beitragsbescheide erlassen worden sind. Es handelt sich dabei um Regelungen, mit denen - wie § 18 Abs. 2 KAG LSA klarstellt - eine Ausschlussfrist festgesetzt wird (vgl. auch Driehaus, KStZ 2014, 183, m.w.N.; Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2254). Deren umfassende Anwendbarkeit ergibt sich aus Sinn und Zweck dieser Vorschriften, der darin besteht, der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen und eine zeitliche Obergrenze für die Beitragserhebung im Kommunalabgabengesetz vorzusehen, um die Beitragserhebung verfassungsrechtlich sicher zu gestalten (vgl. Gesetzesentwurf der Landesregierung vom 10. September 2014, LT-DrS 6/3419, S. 3; VG Halle, Urt. v. 13. März 2015, a.a.O.; vgl. auch VG Magdeburg, Urt. v. 26. März 2015, a.a.O.).

52

Da die streitbefangenen Beitragsbescheide vor Ende des Jahres 2015 erlassen worden sind, ist die Ausschlussfrist des § 13b KAG LSA jedenfalls gem. § 18 Abs. 2 KAG LSA gewahrt.

53

Es kann danach offen bleiben, zu welchem Zeitpunkt für die Grundstücke der Klägerin die Vorteilslage i.S.d. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 3. Dezember 2014, a.a.O.; vgl. auch Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2255; Driehaus, KStZ 2014, 181, 183f.; Martensen, LKV 2014, 446, 451ff.) entstanden ist. Jedenfalls ist nach den obigen Darlegungen diese Vorteilslage nicht schon mit der tatsächlichen Anschlussnahme der Grundstücke an eine zentrale Entsorgungsanlage vor dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes erfolgt, da es sich dabei um eine beitragsrelevante Vorteilslage handeln muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 15. April 2015, a.a.O.). Auch aus dem Gesetzeswortlaut oder den „Intentionen“ des Gesetzgebers folgt im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin nichts anderes. In dem Gesetzentwurf der Landesregierung (LT-DrS 6/3419 vom 10. September 2014, S. 22f.) wird jeweils nur auf die „Vorteilslage“ bzw. die „tatsächliche Vorteilslage“ abgestellt. Soweit der Begriff „technische Herstellung“ verwendet wird (S. 3), bezieht er sich - wie aus dem Zusammenhang deutlich wird - auf den Vorteilsausgleich i.S.d. der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dass nach den Angaben der Klägerin die tatsächliche Schmutzwasserentsorgung ihrer Grundstücke durch die Einrichtung des Beklagten immer wieder gestört sei, führt von vornherein nicht dazu, den Eintritt der Vorteilslage schon früher anzunehmen.

54

Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob bei einer Beitragsfestsetzung, die vor einem nach den §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA maßgebenden Zeitpunkt erfolgt ist, der Erlass der als Rechtsgrundlage heranzuziehenden Beitragssatzung nach diesem Zeitpunkt - möglicherweise auch verbunden mit einer Entstehung der sachlichen Beitragspflicht erst nach dem Zeitpunkt - zur Folge hat, dass die Ausschlussfrist nicht eingehalten ist (vgl. dazu Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2254 a.E.). Denn die heranzuziehende Beitragssatzung des Beklagten ist vor dem 31. Dezember 2015 erlassen worden, und auch die sachliche Beitragspflicht ist vor diesem Zeitpunkt entstanden.

55

6. Die im Anschlussbeitragsrecht geltenden Regelungen des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt haben auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (- 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 -, zit. nach JURIS) zu dem Kommunalabgabengesetz Brandenburg keine unzulässige Rückwirkung zur Folge.

56

Eine Rechtsnorm entfaltet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 12. November 2015, a.a.O., m.w.N. und Beschl. v. 2. Mai 2012 - 2 BvL 5/10 -, zit. nach JURIS, m.w.N.) echte Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll. Eine unechte Rückwirkung liegt dagegen vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet, so wenn belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung").

57

a) Dass Grundstücke auf der Grundlage des Kommunalabgabengesetzes zu Anschlussbeiträgen herangezogen werden, die schon vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 15. Juni 1991 eine Anschlussmöglichkeit an eine zentrale öffentliche leitungsgebundene Schmutzwasserentsorgungsanlage hatten, stellt entgegen der Auffassung der Klägerin schon deshalb keine unzulässige Rückwirkung dar, weil - wie oben dargelegt - damit nur an eine erst nach dem 15. Juni 1991 entstandene Vorteilslage durch die Anschlussmöglichkeit an eine nach diesem Zeitpunkt geschaffene öffentliche Einrichtung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA angeknüpft wird.

58

b) Der mit Änderungsgesetz vom 6. Oktober 1997 (GVBl. LSA S. 878) eingeführte § 6 Abs. 6 Satz 2 entfaltet ebenfalls keine unzulässige Rückwirkung (so auch VG Halle, Urt. v. 25. Januar 2016 - 4 A 10/15 HAL -; a.M. wohl: Beck/Neumann, a.a.O., S. 364 Fn. 25, 374). Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA gegenüber der vorher geltenden Rechtslage nach § 6 Abs. 6 KAG LSA a.F. lediglich klarstellend verdeutliche, dass die sachliche Beitragspflicht im Anschlussbeitragsrecht unabhängig vom Abschluss der Baumaßnahme und der Begründung der Vorteilslage nicht vor Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung entsteht (so Urt. v. 6. März 2003 - 1 L 318/02 -, m.w.N.; Beschl. v. 23. Oktober 2000 - 1 M 209/00 -; Beschl. v. 10. November 1999 - B 3 S 29/98 -; Beschl. v. 25. Januar 2011 - 4 L 234/09 -; vgl. auch Beschl. v. 19. Februar 1998 - B 2 S 141/97 - zit. nach JURIS; vgl. weiter Haack, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 2202, m.w.N.). Dass nach der Gesetzesbegründung (LT-DrS 2/3895 v. 26. August 1997, S. 7) zu § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA „ein Hinausschieben der Entstehung der Beitragspflicht frühestens auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der ersten rechtsgültigen Satzung“ erforderlich gewesen sei, um möglichen Beitragsausfällen oder Rückforderungen vorzubeugen, führt zu keiner anderen Auslegung. Ein Gesetz kann auch rein deklaratorische Wirkung haben, um das klarzustellen, was sich aus anderen Regelungen, wenn auch nicht ausdrücklich, bereits ergibt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 19. Februar 1998, a.a.O.). Daher fehlt es von vornherein schon an einem Anknüpfungspunkt für die Annahme einer (echten oder unechten) Rückwirkung, da die Rechtslage sich durch das Änderungsgesetz nicht geändert hat. Grundsätzlich liegt keine Rückwirkung vor, wenn eine Neuregelung deklaratorischer Art ist, also nur bestätigt, was von vornherein aus der verkündeten ursprünglichen Norm folgte (BVerfG, Beschl. v. 2. Mai 2010, a.a.O.).

59

Dass § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA dem Wortlaut nach im Wesentlichen der Regelung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. entspricht, deren Abänderung durch die Einführung des Begriffes „rechtswirksam“ vor dem Wort „Satzung“ mit einem Änderungsgesetz vom 17. Dezember 2003 das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 12. November 2015 (a.a.O.) hinsichtlich der Fälle, in denen Beiträge nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. nicht (mehr) erhoben werden konnten, als unzulässige Rückwirkung angesehen hat, steht dem nicht entgegen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in dem Änderungsgesetz deshalb eine konstitutive Änderung der Rechtslage bzw. einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes gesehen, weil das Oberverwaltungsgericht Brandenburg § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. in ständiger Rechtsprechung (seit Urt. v. 8. Juni 2000 - 2 D 29/98.NE -, zit. nach JURIS) so ausgelegt hatte, dass es für den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht und damit auch für den Zeitpunkt des Verjährungsbeginns lediglich auf das formelle Inkrafttreten der ersten - möglicherweise unwirksamen - Beitragssatzung, nicht aber auf das Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung ankam (vgl. dazu auch Herrmann, LKV 2016, 54ff.). Eine vergleichbare „Korrektur“ der die Festsetzungsverjährung betreffenden Rechtsprechung durch den Gesetzgeber erfolgte - schon im Hinblick darauf, dass das Oberverwaltungsgericht stets auf das Erfordernis einer wirksamen Satzung abgestellt hatte - in Sachsen-Anhalt gerade nicht.

60

Es muss daher nicht entschieden werden, ob selbst bei der Annahme einer Änderung der Rechtslage durch § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA vorliegend deshalb keine Rückwirkung eingetreten wäre, weil für die klägerischen Grundstücke bis zum Inkrafttreten des § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA keine öffentliche Einrichtung zur Schmutzwasserentsorgung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA existierte (vgl. VG Halle, Urt. v. 25. Januar 2016 - 4 A 10/15 HAL -).

61

c) Den §§ 13b, 18 Abs. 2 KAG LSA kommt danach schließlich auch keine (echte oder unechte) Rückwirkung zu. Auf Grund dieser Bestimmungen treten schon keine Rechtsfolgen mit belastender Wirkung ein, da die Rechtsprechung in Sachsen-Anhalt keine Ausschlussfrist angenommen hatte, innerhalb derer die abgabenerhebende Körperschaft nach dem Entstehen einer Vorteilslage die Abgabe festzusetzen hatte. Die Neuregelungen, mit denen eine solche Ausschlussfrist erstmalig eingeführt wird, haben für die betroffenen Abgabenpflichtigen daher allein eine begünstigende Wirkung.

62

Selbst wenn man aber den §§ 13b, 18 KAG LSA eine unechte Rückwirkung unterstellte, läge ein - für die Annahme der Verfassungswidrigkeit notwendiger - Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht vor. Die noch nicht herangezogenen Abgabenpflichtigen konnten weder vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 noch danach darauf vertrauen, dass ihnen gegenüber auf Grund eines langen Zeitraumes seit Entstehen einer Vorteilslage keine Abgabe mehr festgesetzt werden könnte. Insoweit kam es allein darauf an, ob und in welcher Weise der Landesgesetzgeber auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts reagieren würde.

63

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

64

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Beschlusses folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

65

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt.

66

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.


Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Heranziehung zu einem Schmutzwasseranschlussbeitrag.

2

Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Gemarkung B., Flur ..., Flurstück ..., das bereits vor der Wiedervereinigung an die zentrale Schmutzwasserentsorgung angeschlossen war. Der Beklagte übernahm mit seiner Gründung 1991 die Abwasserentsorgungseinrichtung. Nachdem frühere Beitragssatzungen an durchgreifenden Rechtsfehlern gelitten hatten, zog er auf der Grundlage seiner - ersten wirksamen - Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Abwasserentsorgung vom 3. Dezember 2004 die Klägerin mit Bescheid vom 19. April 2006 zu einem Beitrag für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung in Höhe von 9 091,82 € heran. Die nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung seines Urteils im Wesentlichen ausgeführt, die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143) aufgestellten Grundsätze über die zeitliche Befristung der Festsetzung von Abgaben zum Vorteilsausgleich seien auf die Erhebung von Abwasseranschlussbeiträgen nicht übertragbar. Auch Eigentümern bereits angeschlossener Grundstücke sei erstmalig nach der Wiedervereinigung der rechtlich gesicherte Vorteil geboten worden, ihr Schmutzwasser mittels einer öffentlichen Einrichtung entsorgen zu können. In die Beitragskalkulation zur Abgeltung dieses Vorteils flössen zudem nur sog. "Nachwendeinvestitionen" ein. Darauf, ob diese die vom klägerischen Grundstück in Anspruch genommenen Anlagenteile erfassten, komme es nicht an; ausreichend sei vielmehr, dass die betreffenden Maßnahmen der erstmaligen Herstellung der Gesamtanlage dienten.

3

Mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, die Rechtsprechung der Vorinstanzen sowie die zugrundeliegenden landesrechtlichen Vorschriften ermöglichten eine zeitlich unbegrenzte Heranziehung zu Beiträgen; dies sei mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit unvereinbar. Da ihr Grundstück bereits zu DDR-Zeiten an die Abwasserbeseitigung angeschlossen gewesen sei, könne sie nicht zu einem Herstellungsbeitrag herangezogen werden. Die Gründung des Beklagten sei kein wirtschaftlicher Vorteil; eine beitragsfähige Verbesserung oder Erweiterung der Einrichtung, die unmittelbar ihrem Grundstück zugutegekommen sei, habe der Beklagte nicht dargelegt. Das vom Berufungsgericht bemühte Gesamtanlagenkonzept trage nicht, wenn - wie vorliegend - kein zusammenhängendes Kanalisationsnetz und keine gemeinsam genutzte Kläranlage existierten; insoweit sei das Urteil auch überraschend. Fehle es damit an einem Vorteil, so handele es sich bei dem vermeintlichen Beitrag um eine verkappte Steuer, für deren Erlass dem Beklagten die Zuständigkeit fehle.

4

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 1. April 2014 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 13. Juni 2013 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 19. April 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2006 aufzuheben.

5

Der Beklagte verteidigt die angefochtenen Urteile und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

6

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren. Er verneint einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gebot der Rechtssicherheit.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Zwar verstößt das angefochtene Urteil insoweit gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit, als es entgegen dem gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG bindenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143) ausführt, der vorgenannte Grundsatz setze der Heranziehung zu Anschlussbeiträgen für die Schmutzwasserbeseitigung keine von den Umständen des Einzelfalls unabhängige zeitliche Grenze. Es stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

8

1. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Rechtssicherheit schützt davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Er verpflichtet deshalb den Gesetzgeber sicherzustellen, dass Beiträge, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, unabhängig von einem Vertrauen des Vorteilsempfängers und ungeachtet der Fortwirkung des Vorteils zeitlich nicht unbegrenzt festgesetzt werden können. Im Rahmen des danach zu schaffenden Ausgleichs zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann, kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet aber, die Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung einer Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 42 ff.).

9

Die vorgenannten Grundsätze gelten für das gesamte Beitragsrecht (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2014 - 4 C 11.13 - BVerwGE 149, 211 Rn. 16 f.; OVG Münster, Urteil vom 30. April 2013 - 14 A 213/11 - juris Rn. 36; VGH München, Urteil vom 14. November 2013 - 6 B 12.704 - BayVBl. 2014, 241 <242>; Driehaus, KStZ 2014, 181 <182>; Schmitt, KommJur 2013, 367 <369, 371>). Sie sind damit entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auf die Erhebung von Anschlussbeiträgen nach dem Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern - KAG M-V - anwendbar. Die hiergegen von den Vorinstanzen vorgebrachten Einwände beziehen sich ausnahmslos auf Umstände, denen das Bundesverfassungsgericht bei seiner gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG bindenden Auslegung von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entweder von vornherein keine oder eine gegenüber dem Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nachrangige Bedeutung beigemessen hat. Namentlich die Besonderheit des der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrundeliegenden bayerischen Landesrechts, demzufolge Grundstückseigentümer auch nach Übertragung des Eigentums zu Beiträgen herangezogen werden können, hat in den Entscheidungsgründen keine Berücksichtigung gefunden. Dementsprechend hat das Gericht einen Verzicht auf diese Regelung nicht als Möglichkeit zur Beseitigung des verfassungswidrigen Zustands in Erwägung gezogen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 50). Darüber hinaus hat es ausdrücklich festgestellt, dass der verfassungsrechtlich gebotenen zeitlichen Begrenzung der Heranziehung zu Beiträgen weder ein fehlendes Vertrauen des Bürgers auf seine Nichtberücksichtigung noch das Fortwirken des Vorteils entgegensteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 a.a.O. Rn. 44 f.).

10

2. Dies zugrunde gelegt, genügt § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht. Danach entsteht die sachliche Beitragspflicht frühestens mit dem In-Kraft-Treten der ersten wirksamen Satzung. Gemäß § 12 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KAG M-V i.V.m. § 169 Abs. 2, § 170 AO beträgt die Festsetzungsfrist vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beitragsschuld entstanden ist. Kann somit ohne eine wirksame Satzung eine Beitragsschuld nicht entstehen und diese deshalb auch nicht verjähren, so setzt das Landesrecht der Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, keine bestimmte zeitliche Höchstgrenze, falls die maßgeblichen Satzungen - wie hier - zunächst nichtig waren und erst später durch rechtswirksame Satzungen ersetzt worden sind. Es lässt damit in diesen Fällen entgegen dem verfassungsrechtlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit das berechtigte Interesse des Bürgers, in zumutbarer Zeit Klarheit darüber zu gewinnen, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss, völlig unberücksichtigt.

11

3. Allerdings mussten Grundstückseigentümer aufgrund von § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V bis zum Ablauf des 31. Dezember 2008 mit ihrer Heranziehung zu Anschlussbeiträgen zur leitungsgebundenen Abwasserentsorgung rechnen. Der Landesgesetzgeber hat damit dem Grundsatz der Rechtssicherheit zwar nur unvollständig, aber dennoch so weit Rechnung getragen, dass die Träger kommunaler Entsorgungseinrichtungen bis zu diesem Zeitpunkt Herstellungsbeiträge erheben konnten.

12

Da das Berufungsgericht die Anwendbarkeit der vorgenannten Vorschrift offen gelassen hat, kann sie der erkennende Senat gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 563 Abs. 4 ZPO selbständig auslegen, obwohl sie nicht zum revisiblen Bundesrecht i.S.d. § 137 Abs. 1 VwGO gehört (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juni 2002 - 4 CN 4.01 - BVerwGE 116, 296 <300> m.w.N.). Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V endete die Festsetzungsfrist bei der Erhebung eines Anschlussbeitrags nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2008. Hiermit wollte der Gesetzgeber den beitragserhebenden Körperschaften mehr Zeit einräumen, um der sog. Altanschließerproblematik Rechnung tragen zu können (vgl. LT-Drs. 4/1576 S. 77; Abg. Müller, PlProt vom 9. März 2005 S. 2984 f. und Abg. Schulz, ebd. S. 2987). Obschon die Vorschrift unmittelbar nur Anwendung findet, wenn eine wirksame Beitragssatzung bestand und deshalb ein Ablauf der Festsetzungsfrist vor dem Stichtag in Betracht kam, lässt sich ihr erst recht auch für Fälle, in denen - wie vorliegend - noch keine wirksame Beitragssatzung bestand, der Wille des Gesetzgebers entnehmen, eine Beitragserhebung jedenfalls bis zum 31. Dezember 2008 zu ermöglichen (ebenso zum brandenburgischen Landesrecht OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 27. Mai 2013 - 9 S 75.12 - juris Rn. 29 und vom 16. Juli 2014 - 9 N 69.14 - juris Rn. 22 f., Urteil vom 14. November 2013 - 9 B 34.12 - juris Rn. 60 f.; hierzu BVerwG, Beschluss vom 11. September 2014 - 9 B 22.14 - juris Rn. 35).

13

Verschaffte § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V dem Beitragsschuldner mithin bis zu diesem Stichtag die - vom Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit geforderte - Gewissheit darüber, dass er noch zu einem Beitrag herangezogen werden konnte, so verstößt das Landesrecht allerdings weiterhin insoweit gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, als es damit nur eine Mindest-, nicht aber eine zeitliche Höchstgrenze für eine Beitragserhebung festlegt. Jedenfalls für Beiträge, die nach dem Kommunalabgabengesetz erhoben werden, dürfte zur Bestimmung der erforderlichen Höchstgrenze auch ein Rückgriff auf die 30-jährige Verjährungsfrist des § 53 Abs. 2 VwVfG M-V - sowohl im Wege der Analogie (so für Erschließungsbeiträge VGH München, Urteil vom 14. November 2013 - 6 B 12.704 - BayVBl. 2014, 241 <242>) als auch vermittelt über den Grundsatz von Treu und Glauben (so für sanierungsrechtliche Ausgleichsbeiträge BVerwG, Urteil vom 20. März 2014 - 4 C 11.13 - BVerwGE 149, 211 Rn. 28, 31 ff.) - ausscheiden. Denn es ist Aufgabe des Gesetzgebers, in Wahrnehmung seines weiten Gestaltungsspielraums einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen einerseits der Allgemeinheit an der Beitragserhebung und andererseits der Beitragspflichtigen an einer zeitlich nicht unbegrenzten Inanspruchnahme zu schaffen (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 42). Mit diesem Gestaltungsauftrag ist - nicht zuletzt angesichts der Vielzahl der vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten, jedoch gerade nicht den Verweis auf die Höchstverjährungsfrist einschließenden Lösungsmöglichkeiten wie auch der Unterschiedlichkeit der in einzelnen Ländern erlassenen und zudem deutlich kürzeren Ausschlussfristen - der schematische Rückgriff auf § 53 Abs. 2 VwVfG M-V wohl unvereinbar, zumal die Vorschrift gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG M-V nicht für Verfahren gilt, die - wie vorliegend - nach den Vorschriften der Abgabenordnung durchzuführen sind. Einer verfassungskonformen Auslegung des § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V dahingehend, dass eine zur Heilung eines Rechtsmangels erlassene Beitragssatzung rückwirkend zu dem Zeitpunkt in Kraft gesetzt werden muss, zu dem die ursprünglich nichtige Beitragssatzung in Kraft treten sollte (so zu § 22 Abs. 1 SächsKAG: OVG Bautzen, Beschluss vom 25. April 2013 - 5 A 478/10 - juris Rn. 8 ff., sowie zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NW: OVG Münster, Urteil vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 - NVwZ-RR 2000, 535 <536 f.>), steht schließlich der Wortlaut der Vorschrift wie auch § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V entgegen.

14

Bezieht sich die verbleibende Ungewissheit mithin nur auf die Frage, ab welchem Zeitpunkt der Bürger nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen muss, so lässt der hierin liegende Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG die in § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V getroffene Übergangsregelung unberührt. Auch wenn diese in erster Linie dem Interesse der beitragserhebenden Körperschaften diente, trug sie doch dazu bei, dass die hiervon betroffenen Beitragsschuldner über die Möglichkeit der Beitragserhebung nicht "dauerhaft im Unklaren" (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 45) waren, sondern vielmehr die Gewissheit hatten, dass sie jedenfalls bis zum Ablauf der darin genannten Frist mit der Heranziehung zu Anschlussbeiträgen rechnen mussten. Zudem unterliegt es - entsprechend dem Rechtsgedanken des § 139 BGB (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Mai 1993 - 2 BvF 2/90 u.a. - BVerfGE 88, 203 <333>) - angesichts der gesetzgeberischen Intention, einen zeitlichen Spielraum für die Lösung insbesondere der sog. Altanschließerproblematik zu schaffen, keinem Zweifel, dass der Gesetzgeber, wäre er sich der Notwendigkeit einer weitergehenden Regelung bewusst gewesen, eine gesetzliche Ausschlussfrist nicht vor dem 31. Dezember 2008 hätte enden lassen. Damit wirkt sich der Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit erst auf den Zeitraum nach Ablauf der vorgenannten Übergangsfrist und folglich nicht auf Bescheide aus, die zuvor erlassen wurden.

15

4. Die Zeitdauer zwischen dem Eintritt der Vorteilslage und der Heranziehung zu Beiträgen bis zum 31. Dezember 2008 war für die Vorteilsempfänger zumutbar.

16

Bei dem Begriff des Vorteils handelt es sich um einen landesrechtlichen und damit - vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Bindungen - nicht revisiblen Begriff (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. April 2012 - 9 BN 1.12 - juris Rn. 16). Hierzu hat das Berufungsgericht festgestellt, der beitragsrechtliche Vorteil sei auch Eigentümern von tatsächlich schon zu DDR-Zeiten angeschlossenen Grundstücken erst in dem Zeitpunkt zugeflossen, in dem ihnen mit den jeweiligen öffentlichen Entsorgungseinrichtungen erstmals und frühestens unter dem grundlegend neuen Rechtsregime nach der Wiedervereinigung der rechtlich gesicherte Vorteil geboten worden sei, ihr Schmutzwasser mittels einer öffentlichen Einrichtung entsorgen zu können. Dies begegnet angesichts der weiteren Feststellung des Berufungsgerichts, dass Herstellungsbeiträge nur für nach der Wiedervereinigung entstandene Aufwendungen - und somit nicht doppelt - erhoben werden dürfen, keinen bundesrechtlichen Bedenken. Insbesondere steht Bundesverfassungsrecht dieser Auslegung - auch unter Berücksichtigung der Bindungswirkung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143) - nicht entgegen. Zwar schützt danach das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 a.a.O. Rn. 41). Indes bedeutet dies nicht, dass maßgeblicher Zeitpunkt ausnahmslos bereits derjenige des tatsächlichen Anschlusses an das Abwassersystem ist. Die Bestimmung der ab dem Eintritt der Vorteilslage zu bemessenden Ausschlussfrist muss nicht nur die Erwartung des Begünstigten auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung, sondern auch das öffentliche Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus dem Anschluss an die Anlage berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 a.a.O. Rn. 40). Hieraus folgt, dass es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um eine beitragsrelevante Vorteilslage handeln muss. Die Annahme des Berufungsgerichts, mit der Umgestaltung der Rechtsordnung und der Neugründung einer kommunalen - und damit erstmals kommunalabgabenrechtlich relevanten - Abwasserentsorgung im Jahr 1990 sei mit Blick auf den zukünftigen Ausbau der Einrichtung erstmalig eine Vorteilslage entstanden, stimmt damit überein.

17

Die demnach rund 18-jährige Zeitspanne, innerhalb derer gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V die Erhebung von Anschlussbeiträgen für die Schmutzwasserbeseitigung jedenfalls möglich war, überschreitet die Grenze des verfassungsrechtlich Zumutbaren nicht. Insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143) nicht entschieden, schon eine 12-jährige Dauer verletze den Grundsatz der Rechtssicherheit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. September 2014 - 9 B 22.14 - juris Rn. 37). Der Verfassungsbeschwerde wurde nicht wegen der im konkreten Fall zwischen der Vorteilserlangung und der beitragsrechtlichen Heranziehung verstrichenen Zeit, sondern deshalb stattgegeben, weil das bayerische Landesrecht überhaupt keine zeitliche Grenze für die Abgabenerhebung bestimmte. Für deren Festlegung steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 46). Angesichts der besonderen Herausforderungen der Wiedervereinigung, welche nicht nur durch einen vollständigen Wechsel des Rechtsregimes, sondern auf kommunaler Ebene zusätzlich durch eine Vielzahl von gleichzeitig und mit beschränkten kommunalen Ressourcen zu bewältigenden Aufgaben wie einem grundlegenden Verwaltungsumbau, der Herstellung kommunaler Strukturen einschließlich der notwendigen Rechtsgrundlagen sowie der Instandhaltung, Sanierung und Fortentwicklung der Infrastruktur geprägt waren, wahrt § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V die Grenzen des gesetzgeberischen Ermessens.

18

5. Widerspricht mithin die Heranziehung zu Abwasserbeiträgen bis zum 31. Dezember 2008 nicht dem Gebot der Rechtssicherheit, so ist der angefochtene Bescheid auch nicht aus anderen Gründen rechtswidrig.

19

a) Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob das Berufungsgericht seiner Prüfung die Beitrags- und Gebührensatzung des Beklagten vom 3. Dezember 2004, statt in ihrer ursprünglichen, in der erst während des laufenden gerichtlichen Verfahrens in Kraft getretenen Fassung vom 9. Dezember 2013 zugrunde legen durfte. Zwar berücksichtigt die letztgenannte Fassung die Vereinigung der vormals fünf getrennten öffentlichen Einrichtungen zu einer Einrichtung, die mit der am 1. Januar 2008 - und somit nach Entstehung der Beitragsschuld - in Kraft getretenen Dritten Änderungssatzung zur Abwasserentsorgungssatzung des Beklagten vom 21. Mai 2001 - AES - erfolgte. Hierdurch erhöhte sich aber der Beitragssatz nur für die in der vormaligen Zone III gelegenen Grundstücke, nicht jedoch für die Grundstücke, die - wie dasjenige der Klägerin - der Zone IV angehörten.

20

b) Deren Einwand, an den Anlagenteilen, die von ihrem Grundstück aus genutzt würden, seien keine Maßnahmen durchgeführt oder geplant worden, welche die Heranziehung zu einem Herstellungsbeitrag rechtfertigten, wohingegen Verbesserungen anderer Anlagenteile, die mit dem für die Abwasserentsorgung ihres Grundstücks erforderlichen Anlagenteil nicht leitungsmäßig verbunden seien, keinen wirtschaftlichen Vorteil für sie bedeuteten, begründet keinen Verstoß gegen Bundesrecht.

21

Insoweit hat das Berufungsgericht das nicht revisible Landesrecht dahingehend ausgelegt, dass es dem Beklagten unabhängig von einer leitungsmäßigen Verbindung oder der gemeinsamen Nutzung einzelner Anlagenteile ein Organisationsermessen einräumt, ob er die Abwasseranlagen als eine oder als mehrere Einrichtungen betreibt. Dem landesrechtlichen Vorteilsbegriff werden bundesrechtlich durch den Gleichheitssatz und das Äquivalenzprinzip nur sehr weite Grenzen gezogen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. September 1995 - 8 C 16.94 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 35 S. 2, Beschlüsse vom 30. April 1996 - 8 B 31.96 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 37 S. 5 f. und vom 24. April 2012 - 9 BN 1.12 - juris Rn. 16). Insbesondere setzt die Annahme eines (Sonder-)Vorteils nicht die Existenz eines "funktionalen Zusammenhangs" zwischen der abgerechneten Anlage und dem beitragsbelasteten Grundstück voraus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2014 - 1 BvR 668/10 u.a. - NVwZ 2014, 1448 Rn. 54). Danach sind die Grenzen dieses Ermessens erst überschritten, wenn die zu einer Anlage zusammengefassten, technisch voneinander unabhängigen Teile in ihrer Arbeitsweise und in ihren Arbeitsergebnissen so unterschiedlich sind, dass ihre Vergleichbarkeit schlechterdings ausgeschlossen und ihre Zusammenfassung daher willkürlich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 1978 - 7 B 118.78 u.a. - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 40 S. 46; OVG Münster, Urteil vom 17. November 1975 - 2 A 203/74 - juris Rn. 3, 15 f.; OVG Lüneburg, Urteil vom 24. Mai 1989 - 9 L 3/89 - NVwZ-RR 1990, 507 f.; OVG Schleswig, Urteil vom 24. September 2008 - 2 LB 2/08 - juris Rn. 33 f.). Anhaltspunkte für eine derartige Verschiedenheit der Anlagenteile hat die Klägerin weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich; insbesondere gehören Grundstückskläranlagen und abflusslose Gruben - die mit einer zentralen Schmutzwasserbeseitigung nicht vergleichbar sind und daher nicht mit dieser zusammengefasst werden können (OVG Schleswig, Urteil 24. Oktober 2001 - 2 L 29/00 - juris Rn. 45 f.) - gemäß § 2 Abs. 4 AES nicht zu den öffentlichen Abwasseranlagen, für welche die Klägerin zu Beiträgen herangezogen wird.

22

c) Des Weiteren verstößt die dem Bescheid zugrundeliegende Globalkalkulation nicht gegen revisibles Recht. Zum Kommunalabgabenrecht des Landes hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Globalkalkulation beinhalte Prognosen, weshalb Pauschalierungen und Schätzungen zulässig seien; eine "millimetergenaue" Ermittlung von Aufwand und Flächen sei daher von vornherein ausgeschlossen. Zu dem von der Klägerin erhobenen Einwand, die Berechnung sei fehlerhaft, weil sie zu Unrecht Aufwendungen in der Gemeinde Z. berücksichtige, hat das Berufungsgericht auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen, denen zufolge nicht ersichtlich ist, dass die betreffende Prognose bereits bei der Kalkulationserstellung unzutreffend gewesen ist, und denen zufolge sich das Vorhaben aufgrund des Anteils von nur 1,12 v.H. der Gesamtherstellungskosten und wegen des gedeckelten Beitragssatzes nicht auf dessen Höhe ausgewirkt hat. Dies lässt keinen Verstoß gegen Bundesrecht erkennen.

23

d) Eine Verletzung des vom Eigentumsgrundrecht umfassten (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2011 - 9 A 15.10 - ZfB 2011, 188 Rn. 18) Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch die Erhebung von Schmutzwasseranschlussbeiträgen scheidet - ungeachtet der Frage, ob sich die Klägerin als im (Mit-)Eigentum kommunaler Gebietskörperschaften stehende juristische Person des Privatrechts auf Art. 14 GG berufen kann (hierzu BVerfG, Beschlüsse vom 7. Juni 1977 - 1 BvR 108/73 u.a. - BVerfGE 45, 63 <79 f.> und vom 8. Juli 1982 - 2 BvR 1187/80 - BVerfGE 61, 82 <105>; BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2013 - 7 A 4.12 - BVerwGE 147, 184 Rn. 22) - bereits deshalb aus, weil die Abgabenpflicht grundstücksbezogen ist, sich mithin nicht gegen den Betrieb als solchen richtet, und es daher an der Betriebsbezogenheit des Eingriffs (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2012 - I ZR 187/10 - BGHZ 192, 204 Rn. 31) fehlt.

24

6. Schließlich erweist sich das angefochtene Urteil nicht als verfahrensfehlerhaft.

25

Der Einwand, das Berufungsgericht habe gegen seine Aufklärungspflicht verstoßen, indem es die Globalkalkulation der Beklagten keiner vollständigen Überprüfung unterzogen habe, verkennt, dass Kalkulationen von Abgabensätzen gerichtlich in aller Regel nur insoweit zu überprüfen sind, als substantiierte Einwände dagegen erhoben wurden (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17. April 2002 - 9 CN 1.01 - BVerwGE 116, 188 <197>). Derartige Einwände hat die Klägerin nur hinsichtlich der kalkulatorischen Berücksichtigung der Kläranlage in Z. geltend gemacht; diese hat das Verwaltungsgericht geprüft, ist ihnen jedoch in der Sache nicht gefolgt. Damit hat sich die Klägerin im Berufungsverfahren ebenso wenig substantiiert auseinandergesetzt wie mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur rechnerischen Behandlung unbebauter und nicht an die Kanalisation angeschlossener Grundstücke, sondern hat es bei einer Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vortrags belassen. Dieses wie auch das weitere Vorbringen gegen die Beitragsberechnung erschöpfte sich jedoch in pauschalen Einwänden und in Mutmaßungen. Dass sich dem Berufungsgericht eine weitergehende Ermittlung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen, ist daher weder ersichtlich noch von der Revision dargelegt. Einen Beweisantrag hat die Klägerin nicht gestellt. Deren Einwand, für ein substantiierteres Vorbringen hätten ihr die erforderlichen Informationen gefehlt, berücksichtigt nicht die in § 12 Abs. 4 KAG M-V getroffene Regelung. Danach ist den Beitragspflichtigen auf Verlangen Einsicht in die der Abgabenfestsetzung zugrundeliegenden Kalkulationen zu gewähren, soweit diese Gegenstand der Beschlussfassung u.a. nach § 22 Abs. 3 Nr. 11 KV M-V waren. Da den Verbandsvertretern des Beklagten die gesamten Kalkulationsunterlagen zur Verfügung standen (vgl. OVG Greifswald, Urteil vom 12. Oktober 2011 - 4 K 31/06 - juris Rn. 45), hätte sich auch die Klägerin die maßgeblichen Informationen verschaffen können.

26

Soweit sie darüber hinaus einen Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs und gegen die Aufklärungspflicht für den Fall rügt, dass das Berufungsgericht das Gesamtanlagenprinzip dahin verstanden hat, dass ein zusammenhängendes Abwasserkanalisationsnetz zwischen allen im Zweckverband zusammengeschlossenen Gemeinden oder ein gemeinsam genutztes Klärwerk existiert, liegt gleichfalls kein Verfahrensfehler vor. Hierauf kam es nach dem materiellen Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts ebenso wenig an wie auf die Frage, ob gerade zu den Liegenschaften der Klägerin neue Anschlussleitungen verlegt oder ob die von dort in Anspruch genommenen Leitungen in einem einer Herstellung gleichkommenden Maße erneuert wurden. Auch insofern bedurfte es daher keiner weiteren Ermittlungen durch das Berufungsgericht.

27

7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Tenor

§ 43 Absatz 18 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften verstößt gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes aus Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes und ist nichtig, soweit danach § 40a Absatz 1 Satz 2 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften auf Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen stehen, rückwirkend bereits in den Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002 anzuwenden ist.

Gründe

1

Die Vorlage betrifft die Frage, ob § 43 Abs. 18 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG) insofern gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot aus Art. 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 GG verstößt, als darin die rückwirkende Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG auf alle von dieser Vorschrift erfassten, noch nicht bestandskräftigen Steuerfestsetzungen angeordnet worden ist. Dies hat zur Folge, dass Teilwertabschreibungen einer Körperschaft auf Anteile an Aktienfonds den steuerlichen Gewinn auch der Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 nicht mehr mindern.

A.

I.

2

1. Das Recht der inländischen Investmentgesellschaften war bis zum 31. Dezember 2003 im Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften geregelt. Die ursprüngliche Fassung dieses Gesetzes datiert vom 16. April 1957 (BGBl I S. 378). Das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften enthielt die aufsichts- und steuerrechtlichen Vorschriften für inländische Kapitalanlagegesellschaften. Die entsprechenden Vorschriften für ausländische Kapitalanlagegesellschaften waren in dem ebenfalls zum Jahresende 2003 ausgelaufenen Auslandinvestment-Gesetz (AuslInvG) - ursprünglich in der Fassung vom 28. Juli 1969 (BGBl I S. 986) - enthalten.

3

Das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften und das Auslandinvestment-Gesetz wurden im Rahmen des Gesetzes zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen (Investmentmodernisierungsgesetz) vom 15. Dezember 2003 (BGBl I S. 2676) mit Wirkung vom 1. Januar 2004 durch das Investmentgesetz (InvG) für das Aufsichtsrecht und das Investmentsteuergesetz (InvStG) für das Steuerrecht abgelöst. Das Investmentgesetz wurde inzwischen durch das am 22. Juli 2013 in Kraft getretene Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) ersetzt (BGBl I S. 1981), das Investmentsteuergesetz besteht fort.

4

Die Vorlage betrifft die Endphase der zeitlichen Anwendung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften. In dem Gesetzgebungsverfahren zum Investmentmodernisierungsgesetz setzte sich der Gesetzgeber unter anderem mit einem Auslegungsproblem zur ertragsteuerlichen Berücksichtigungsfähigkeit von Teilwertabschreibungen auseinander (vgl. § 8 InvStG). Es ging um die Frage, ob der in § 8b Abs. 3 Körperschaftsteuergesetz (KStG) in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung vorgesehene Ausschluss der Berücksichtigungsfähigkeit von Teilwertabschreibungen (vgl. BTDrucks 14/2683, S. 79; BGBl I 2000, S. 1433 <1453>, S. 1850 <1854> und BGBl I 2001, S. 3858 <3863>) auch auf Kapitalanlagegesellschaften Anwendung findet, obwohl § 40a KAGG auf diese Vorschrift nicht verwies. Der Gesetzgeber erstreckte die seiner Auffassung nach im Vergleich zur bisherigen Rechtslage nur klarstellende Lösung, wonach § 8b Abs. 3 KStG auch auf Kapitalanlagegesellschaften Anwendung finde, durch eine Änderung des auslaufenden Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften zugleich auf die Vergangenheit. Die dies anordnenden Regelungen des § 40a Abs. 1 Satz 2 und des § 43 Abs. 18 KAGG wurden in das Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. Dezember 2003 (BGBl I S. 2840), das auch Korb II-Gesetz genannt wird, aufgenommen. Die Gesetzgebungsverfahren zum Korb II-Gesetz und zum Investmentmodernisierungsgesetz wurden in der zweiten Hälfte des Jahres 2003 durchgeführt (vgl. zu den Gesetzentwürfen der Bundesregierung BRDrucks 560/03 vom 15. August 2003 und BRDrucks 609/03 vom 28. August 2003; vgl. BTDrucks 15/1518, 15/1553). Das Investmentmodernisierungsgesetz wurde am 19. Dezember 2003, das Korb II-Gesetz am 27. Dezember 2003 im Bundesgesetzblatt verkündet.

5

2. Hintergrund der Einführung des § 40a Abs. 1 KAGG war der Systemwechsel im Körperschaftsteuerrecht vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren (später Teileinkünfteverfahren). Dieser Systemwechsel (vgl. dazu BVerfGE 125, 1; 127, 224) hatte zu Änderungen des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften und des Auslandinvestment-Gesetzes geführt (vgl. BTDrucks 14/2683, S. 132). An den durch das Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz - StSenkG) vom 23. Oktober 2000 (BGBl I S. 1433) eingeführten, zunächst nur aus einem Satz bestehenden § 40a Abs. 1 KAGG a.F. wurde durch das Korb II-Gesetz vom 22. Dezember 2003 ein zweiter Satz (im nachfolgenden Text in Fettdruck wiedergegeben) angefügt, für den es in der vorherigen Fassung noch keine Entsprechung gegeben hatte.

6

§ 40a KAGG in der hier maßgeblichen Fassung des Korb II-Gesetzes lautet:

7

§ 40a KAGG

(1) 1Auf die Einnahmen aus der Rückgabe oder Veräußerung von Anteilscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen, die zu einem Betriebsvermögen gehören, sind § 3 Nr. 40 des Einkommensteuergesetzes und § 8b Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes anzuwenden, soweit sie dort genannte, dem Anteilscheininhaber noch nicht zugeflossene oder als zugeflossen geltende Einnahmen enthalten oder auf Beteiligungen des Wertpapier-Sondervermögens an Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen entfallen, deren Leistungen beim Empfänger zu den Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes gehören. 2Auf Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilsscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen stehen, sind § 3c Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes und § 8b Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes anzuwenden, soweit die Gewinnminderungen auf Beteiligungen des Wertpapier-Sondervermögens an Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen entfallen, deren Leistungen beim Empfänger zu den Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes gehören.

(2) …

8

Die zeitliche Anwendung des § 40a Abs. 1 KAGG wurde durch das Korb II-Gesetz in § 43 Abs. 18 KAGG wie folgt festgelegt:

9

§ 43 KAGG

(1) bis (17) …

(18) § 40a Abs. 1 in der Fassung des Artikels 6 des Gesetzes vom 22. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2840) ist für alle Veranlagungszeiträume anzuwenden, soweit Festsetzungen noch nicht bestandskräftig sind.

10

Nach der Begründung des Regierungsentwurfs (vgl. BTDrucks 15/1518, S. 17) handelt es sich bei § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG um eine "redaktionelle Klarstellung, dass § 8b Abs. 3 KStG auch bei Investmentanteilen gilt, wenn Verluste aus der Veräußerung der Anteilscheine oder Teilwertminderungen auf Wertminderungen der in dem Wertpapier-Sondervermögen befindlichen Beteiligungen beruhen".

11

Auf der Ebene der Finanzgerichte ist umstritten, ob die Vorschrift des § 40a Abs. 1 KAGG mit dem neuen Satz 2 im Vergleich zur vorherigen Gesetzesfassung ohne den Satz 2 - wie im Vorlagebeschluss vertreten - als konstitutive, die bisherige Rechtslage ändernde Regelung oder als deklaratorische, die bisherige Rechtslage lediglich klarstellende Regelung anzusehen ist (vgl. Finanzgericht München, Urteile vom 28. Februar 2008 - 7 K 917/07 -, EFG 2008, S. 991, - dazu BFHE 227, 73 - und vom 17. März 2009 - 6 K 3474/06 -, EFG 2009, S. 1053, das Revisionsverfahren ist anhängig unter dem Aktenzeichen I R 33/09, sowie Gerichtsbescheid vom 18. September 2012 - 7 K 2684/10 -, EFG 2013, S. 72, das Revisionsverfahren ist anhängig unter dem Aktenzeichen I R 74/12).

12

Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Auslegung des einfachen Rechts in dieser Frage liegt noch nicht vor. Beim Bundesfinanzhof sind zwei Revisionsverfahren hierzu anhängig (I R 33/09 und I R 74/12). Beide beziehen sich auf das Jahr 2002, welches auch das Streitjahr in dem Ausgangsverfahren der hier zu behandelnden Vorlage ist. Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs zu dem § 40a Abs. 1 KAGG a.F. betreffenden Auslegungsproblem ist noch nicht ergangen (vgl. Beschluss vom 15. Mai 2013 zur Aussetzung des Revisionsverfahrens I R 74/12, BFH/NV 2013, S. 1452).

13

3. Nach dem um den Satz 2 ergänzten § 40a Abs. 1 KAGG bleiben Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilscheinen einer Kapitalgesellschaft an einem Wertpapier-Sondervermögen stehen, bei der steuerlichen Gewinnermittlung unberücksichtigt. Im Gegensatz zur vorherigen Fassung enthält § 40a Abs. 1 KAGG neben der ausdrücklichen Verweisung auf § 8b Abs. 2 KStG durch den neuen Satz 2 nunmehr auch eine ausdrückliche Verweisung auf § 8b Abs. 3 KStG.

14

§ 8b KStG in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Körperschaftsteuergesetzes vom 15. Oktober 2002 (BGBl I S. 4144, nachfolgend als KStG a.F. bezeichnet) lautet auszugsweise:

15

§ 8b KStG

Beteiligungen an anderen Körperschaften und Personenvereinigungen

(1) …

(2) 1Bei der Ermittlung des Einkommens bleiben Gewinne aus der Veräußerung eines Anteils an einer Körperschaft oder Personenvereinigung, deren Leistungen beim Empfänger zu Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchstabe a des Einkommensteuergesetzes gehören, oder an einer Organgesellschaft im Sinne der §§ 14, 17 oder 18, aus der Auflösung oder der Herabsetzung des Nennkapitals oder aus dem Ansatz des in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes bezeichneten Werts sowie Gewinne im Sinne des § 21 Abs. 2 des Umwandlungssteuergesetzes außer Ansatz. 2Das gilt nicht, soweit der Anteil in früheren Jahren steuerwirksam auf den niedrigeren Teilwert abgeschrieben und die Gewinnminderung nicht durch den Ansatz eines höheren Werts ausgeglichen worden ist. 3Veräußerung im vorstehenden Sinne ist auch die verdeckte Einlage.

(3) Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit dem in Absatz 2 genannten Anteil entstehen, sind bei der Gewinnermittlung nicht zu berücksichtigen.

(4) bis (7) …

16

§ 8 Abs. 3 KStG a.F. ("bei der Gewinnermittlung") ist mit § 8b Abs. 3 Satz 3 der aktuellen Fassung des KStG ("bei der Ermittlung des Einkommens") nahezu wortgleich. Bei dem steuerlichen Begriff des Teilwerts handelt es sich nach der Legaldefinition in § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) um den Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebs im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde, wobei davon auszugehen ist, dass der Erwerber den Betrieb fortführt (vgl. die Legaldefinition in § 10 Bewertungsgesetz). Sinkt der Teilwert im Vergleich zu den Anschaffungskosten, den Herstellungskosten oder zu dem Restbuchwert eines Wirtschaftsguts, kann eine Verpflichtung zur Teilwertabschreibung bestehen (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG; vgl. zum Handelsrecht § 253 HGB). Abschreibungen auf den niedrigeren Teilwert mindern grundsätzlich das zu versteuernde Einkommen. In den Fällen des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG8b Abs. 3 KStG a.F.) gilt das jedoch ausnahmsweise nicht; hierunter fallende Gewinnminderungen bleiben steuerlich unberücksichtigt. Nach der Begründung zum Absatz 3 im Entwurf des Steuersenkungsgesetzes bleiben Veräußerungsverluste und Teilwertabschreibungen steuerlich unberücksichtigt, ebenso Wertaufholungen ("Konsequenz aus der Befreiung der Veräußerungsgewinne", vgl. BTDrucks 14/2683, S. 124; vgl. zu "Regelungssymmetrie" und steuersystematischer Korrektheit auch Gosch, in: Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 8b Rn. 260 f.). Eine Ausnahme von der Steuerbefreiung sei vorgesehen, soweit sich Teilwertabschreibungen in früheren Jahren gewinnmindernd ausgewirkt hätten (vgl. § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F., inzwischen Satz 4), insoweit sei eine Wertaufholung oder ein Veräußerungsgewinn zu versteuern.

17

Gewinnminderungen im Zusammenhang mit Anteilscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen (vgl. § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG), können - wie im Ausgangsverfahren des Finanzgerichts - bei im Wert gefallenen Anteilen an Aktienfonds vorliegen. Die Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG a.F. hat zur Folge, dass diesbezügliche Teilwertabschreibungen - zum Beispiel infolge von Kursstürzen an der Börse - bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens einer Körperschaft nicht berücksichtigt werden.

II.

18

Das Ausgangsverfahren betrifft die Körperschaftsteuer des Veranlagungszeitraums 2002 der dortigen Klägerin. Sie ist ein Kreditinstitut, das am 31. Dezember 2002 (Stichtag des Jahresabschlusses) in seinem Umlaufvermögen Anteile an zwei Investmentfonds hielt. Zum 31. Dezember 2002 waren die Börsenkurse der Anteilscheine an diesen Fonds unter die jeweiligen im Jahresabschluss des Vorjahres ausgewiesenen Buchwerte gesunken.

19

Die klagende Bank nahm in ihrer am 14. Januar 2003 erstellten Handelsbilanz für das Jahr 2002 Abschreibungen auf die Fonds in Höhe von insgesamt 392.643,53 € vor. In seinem Lagebericht beschrieb der Vorstand den "stärksten Kurseinbruch in der Geschichte des DAX". Für den deutschen Aktienindex (DAX) sei das Jahr 2002 das dritte Verlustjahr in Folge gewesen. Nachdem der Index bereits in den Jahren 2000 und 2001 um 8% beziehungsweise 20% an Wert verloren habe, habe er im Jahr 2002 mit dem Verlust von 44% (DAX-Stand zum Jahresende 2002: 2.892,63 Punkte) die höchste Einbuße in seiner Geschichte verzeichnet.

20

In der am 10. Juli 2003 erstellten Steuerbilanz für das Jahr 2002 führten die Abschreibungen auf die Fondsanteile, nachdem deren Kurswerte bis zur Erstellung der Steuerbilanz wieder gestiegen waren, zu einer Gewinnminderung in Höhe von 357.493,73 €. Die Klägerin wurde gemäß ihrer im August 2003 beim Finanzamt eingereichten Körperschaftsteuererklärung veranlagt. Die Körperschaftsteuer laut dem ursprünglichen Bescheid vom 22. Oktober 2003 betrug 95.509 €.

21

Nach der Verabschiedung des Korb II-Gesetzes reichte die Klägerin Ende Februar 2004 beim Finanzamt eine geänderte Körperschaftsteuererklärung für das Jahr 2002 ein. Unter anderem erhöhte sie den bislang erklärten Gewinn um die für das Jahr 2002 vorgenommenen, als steuerwirksam behandelten Teilwertabschreibungen. Gleichzeitig kündigte die Klägerin einen Einspruch an, den sie sodann nach Erlass des Änderungsbescheids vom 27. April 2004 einlegte.

22

Im Rahmen einer während des Einspruchsverfahrens durchgeführten Betriebsprüfung teilte der Prüfer unter Hinweis auf das Korb II-Gesetz die Auffassung der Finanzverwaltung, dass eine steuerliche Berücksichtigung der Teilwertabschreibung gemäß § 8b Abs. 3 KStG a.F. ausgeschlossen und der Gewinn daher entsprechend zu erhöhen sei. Unter Berücksichtigung der sich erhöhenden Gewerbesteuer-Rückstellung ergab sich im Hinblick auf die im Streit stehende Teilwertabschreibung für 2002 eine Gewinnerhöhung um einen Betrag von 282.019,50 €, die in dieser Höhe dem Körperschaftsteuer-Änderungsbescheid vom 13. April 2005 zugrunde gelegt wurde. Das Finanzamt setzte die Körperschaftsteuer nunmehr auf 140.570 € fest und wies den Einspruch als unbegründet zurück.

23

Mit der gegen den geänderten Körperschaftsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung erhobenen Klage macht die Klägerin im Ausgangsverfahren geltend, § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG wirke in Verbindung mit der Anwendungsvorschrift des § 43 Abs. 18 KAGG in konstitutiver und verfassungsrechtlich unzulässiger Weise in abgeschlossene Veranlagungszeiträume zurück. Sie beantragt eine Herabsetzung des zu versteuernden Einkommens um den Betrag von 282.019,50 €.

III.

24

Das Finanzgericht hat das Ausgangsverfahren ausgesetzt, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen (veröffentlicht in EFG 2008, S. 983).

25

Das vorlegende Gericht hält § 43 Abs. 18 KAGG wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG für verfassungswidrig, weil die neue Fassung des § 40a Abs. 1 KAGG nicht lediglich klarstellend sei, sondern eine unzulässige echte Rückwirkung entfalte. § 8b Abs. 3 KStG sei weder unmittelbar auf Anteilscheine anwendbar gewesen, noch habe § 40a Abs. 1 KAGG a.F. die sinngemäße Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG angeordnet, noch folge der Ausschluss der Teilwertabschreibungen vom steuerrechtlichen Abzug bei der Gewinnermittlung aus § 8 Abs. 1 KStG in Verbindung mit § 3c Abs. 1 EStG. Insbesondere der Wortlaut des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. mit der dort fehlenden Verweisung auf § 8b Abs. 3 KStG a.F. und eine systematische Auslegung der Vorschrift, wonach die steuerliche Berücksichtigung von Teilwertabschreibungen auf Anteilscheine nicht zu sinnwidrigen Ergebnissen führe, sprächen dafür, dass bis zur Neuregelung des § 40a Abs. 1 KAGG Teilwertabschreibungen bei Anteilscheinen gewinnmindernd berücksichtigungsfähig gewesen seien. Diese Möglichkeit werde rückwirkend versagt. Keine der Ausnahmefallgruppen, in denen eine echte Rückwirkung zulässig sein könne, sei einschlägig.

IV.

26

Zu dem Vorlagebeschluss haben Stellung genommen das Bundesministerium der Finanzen namens der Bundesregierung, die Bundessteuerberaterkammer, ein Zusammenschluss der Bundesverbände aus dem Bereich des Bankwesens, das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V., der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. sowie - im Auftrag der Klägerin des Ausgangsverfahrens - Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schön.

27

Das Bundesministerium der Finanzen hält die Vorlage für unzulässig und überdies für unbegründet. Das vorlegende Gericht setze sich nicht näher mit der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung auseinander. § 43 Abs. 18 KAGG erfülle nicht den Tatbestand einer echten Rückwirkung. Der Verweis in § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG auf § 8b Abs. 3 KStG sei nur deklaratorisch. Bereits § 40a Abs. 1 KAGG a.F. habe die Anwendung des Abzugsverbots nach § 8b Abs. 3 KStG mit eingeschlossen. Das Bundesministerium der Finanzen verweist ferner auf die Urteile des Finanzgerichts München vom 28. Februar 2008 (EFG 2008, S. 991) und vom 17. März 2009 (EFG 2009, S. 1053).

28

In den übrigen Stellungnahmen wird, soweit sie sich inhaltlich zu den aufgeworfenen Rechtsfragen äußern, die Auffassung des vorlegenden Finanzgerichts Münster geteilt, dass § 43 Abs. 18 KAGG die rückwirkende Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise anordne.

29

Der Bundesfinanzhof hat inhaltlich nicht Stellung bezogen. Das Offenlassen der verfassungsrechtlichen Frage in seinem Urteil vom 28. Oktober 2009 - I R 27/08 - (BFHE 227, 73) hat er mit der in diesem Fall gemeinschaftsrechtlich bedingten Unanwendbarkeit der Vorschrift begründet.

B.

I.

30

Die Vorlage ist zulässig.

31

1. Gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm abhängt (vgl. BVerfGE 105, 48 <56>; 105, 61 <67>; 133, 1 <10 f.>). Dazu muss der Vorlagebeschluss mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit und wie das Gericht dieses Ergebnis begründen würde (vgl. BVerfGE 105, 61 <67>; 133, 1 <11>). Für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist dabei grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts vom einfachen Recht maßgebend, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f.>; 105, 61 <67>; 133, 1 <11>).

32

2. Die Auslegung des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. durch das vorlegende Gericht ist vertretbar. Sie lässt sich insbesondere auf den Wortlaut der Vorschrift stützen. Dass die gegenteilige Auslegung der Vorschrift ebenfalls vertretbar erscheint (vgl. die unter A I 2 zitierten Urteile des Finanzgerichts München aus den Jahren 2008 und 2009) und die maßgebliche Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, steht der Zulässigkeit der Vorlage nicht entgegen. Hierfür genügt es, dass die Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht offensichtlich unhaltbar ist. Es gehört nicht zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Antrags auf konkrete Normenkontrolle, die vorherige höchstrichterliche Klärung einer für die verfassungsrechtliche Beurteilung erheblichen Vorfrage des einfachen Rechts abzuwarten. Dagegen spricht schon die Befugnis von erst- oder zweitinstanzlichen Gerichten zum Antrag auf konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG.

33

3. Das Finanzgericht hat sich im Vorlagebeschluss hinreichend mit der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung der einschlägigen einfachrechtlichen Vorschriften befasst und diese verneint. Der Gesetzgeber habe mit der Übergangsvorschrift des § 43 Abs. 18 KAGG in der Fassung des Korb II-Gesetzes bewusst und eindeutig die rückwirkende Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG auf alle noch nicht bestandskräftigen Veranlagungen festgelegt. Das vorlegende Gericht sieht insofern zu Recht keinen Spielraum bei der Auslegung des § 43 Abs. 18 KAGG.

34

4. Das vorlegende Gericht war nicht verpflichtet, den Vorlagebeschluss vom 22. Februar 2008 im Hinblick auf mehrere zwischenzeitlich ergangene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 126, 369; 127, 1; 131, 20; 132, 302) zu ergänzen, die auch für die Vorlage relevante Aussagen zu Fragen der Verfassungsmäßigkeit rückwirkender Gesetze enthalten.

35

Es besteht keine generelle verfassungsprozessuale Verpflichtung eines vorlegenden Gerichts, den Vorlagebeschluss im Hinblick auf erhebliche tatsächliche oder rechtliche Entwicklungen, die sich erst nach der Vorlage ergeben, fortlaufend zu überwachen und gegebenenfalls zu aktualisieren. Das gilt insbesondere im Hinblick auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu dem auch für die Vorlagefrage maßgeblichen Verfassungsrecht, die erst nach dem Vorlagebeschluss veröffentlicht werden. Das vorlegende Gericht ist allerdings berechtigt, das Bundesverfassungsgericht über neue, aus seiner Sicht für das Vorlageverfahren bedeutsame Erkenntnisse zu unterrichten. Es kann auch einen Ergänzungsbeschluss fassen, wenn es Mängel im ursprünglichen Vorlagebeschluss beseitigen will (vgl. z.B. BVerfGE 132, 302 <310>).

36

5. Die auf Anteile an Aktienfonds zielende Vorlagefrage ist dem Wortlaut des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG entsprechend auf Anteile an Wertpapier-Sondervermögen und diesbezügliche Gewinnminderungen zu erstrecken. Die Befriedungsfunktion des Normenkontrollverfahrens (vgl. dazu BVerfGE 132, 302 <316> m.w.N.) spricht für diese Erweiterung der Vorlagefrage. Weitergehende verfassungsrechtliche Fragen werden dadurch nicht aufgeworfen.

37

Entsprechendes gilt für den Veranlagungszeitraum 2001, auf den die Vorlagefrage zu erstrecken ist. Die nach der Vorlage für den im Ausgangsverfahren entscheidungserheblichen Veranlagungszeitraum 2002 erheblichen Verfassungsrechtsfragen stellen sich in gleicher Weise für das Jahr 2001. Eine Erstreckung der Vorlage auf den Veranlagungszeitraum 2003 kommt hingegen nicht in Betracht, weil die verfassungsrechtliche Beurteilung bezüglich dieses Veranlagungszeitraums (vgl. Finanzgericht Nürnberg, Urteil vom 21. Juli 2009 - 1 K 733/2007 -, EFG 2010, S. 163) schon im Hinblick auf die Einordnung der gesetzlichen Rückwirkung eigene Probleme und teilweise andere Fragen aufwirft.

II.

38

§ 43 Abs. 18 KAGG ist verfassungswidrig, soweit er für Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen stehen, die rückwirkende Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG in den Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002 anordnet. Insoweit entfaltet § 43 Abs. 18 KAGG schon in formaler Hinsicht echte Rückwirkung (1). Die rückwirkende Verweisung auf § 8b Abs. 3 KStG in § 40 Abs. 1 Satz 2 KAGG ist aus verfassungsrechtlicher Sicht als konstitutive Änderung der bisherigen Rechtslage zu behandeln und damit auch materiell an den Grundsätzen einer echten Rückwirkung zu messen (2). Die Voraussetzungen einer nur ausnahmsweise zulässigen echten Rückwirkung liegen hier nicht vor (3).

39

1. § 43 Abs. 18 KAGG hat § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG für die Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 jedenfalls formal mit echter Rückwirkung in Kraft gesetzt.

40

a) Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet bei rückwirkenden Gesetzen in ständiger Rechtsprechung zwischen Gesetzen mit echter Rückwirkung, die grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar sind (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 101, 239 <262>; 132, 302 <318>; jeweils m.w.N.), und solchen mit unechter Rückwirkung, die grundsätzlich zulässig sind (vgl. BVerfGE 132, 302 <318> m.w.N.).

41

Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift (vgl. BVerfGE 11, 139 <145 f.>; 30, 367 <386>; 101, 239 <263>; 123, 186 <257>; 132, 302 <318>). Dies ist insbesondere der Fall, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen"; vgl. BVerfGE 127, 1 <16 f.>).

42

Im Steuerrecht liegt eine echte Rückwirkung nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert (vgl. BVerfGE 127, 1 <18 f.>; 127, 31 <48 f.>; 127, 61 <77 f.>; 132, 302 <319>). Für den Bereich des Einkommensteuerrechts bedeutet dies, dass die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum jedenfalls in formaler Hinsicht der Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen ist; denn nach § 38 Abgabenordnung in Verbindung mit § 36 Abs. 1 EStG entsteht die Einkommensteuer erst mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums, das heißt des Kalenderjahres (§ 25 Abs. 1 EStG; vgl. BVerfGE 72, 200 <252 f.>; 97, 67 <80>; 132, 302 <319>; vgl. auch bereits BVerfGE 13, 261 <263 f., 272>; 13, 274 <277 f.>; 19, 187 <195>; 30, 272 <285>). Dasselbe gilt für Veranlagungen zur Körperschaftsteuer (vgl. § 30 Nr. 3 KStG).

43

b) § 43 Abs. 18 KAGG, der durch das am 27. Dezember 2003 verkündete Korb II-Gesetz eingeführt wurde, entfaltet für die beiden Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 in formaler Hinsicht echte Rückwirkung (vgl. BVerfGE 126, 369 <391 f.>), soweit er noch nicht bestandskräftige Festsetzungen für diese Veranlagungszeiträume erfasst. Diese waren am 31. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres und damit vor Verkündung des Korb II-Gesetzes abgelaufen, so dass die Neuregelung insoweit nachträglich einen abgeschlossenen Sachverhalt betrifft.

44

2. Die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Verbots echt rückwirkender Gesetze beanspruchen hier auch in materiellrechtlicher Hinsicht Geltung, weil § 40 Abs. 1 Satz 2 KAGG, anders als in der Begründung des Regierungsentwurfs angenommen (vgl. BTDrucks 15/1518, S. 17), aus verfassungsrechtlicher Sicht gegenüber der alten Rechtslage als konstitutive Änderung zu behandeln ist.

45

a) Würde § 40 Abs. 1 Satz 2 KAGG rückwirkend lediglich das klarstellen, was ohnehin bereits Gesetz war, stellte sich die Frage nicht, ob die Vorschrift trotz formal echter Rückwirkung ausnahmsweise mit dem grundsätzlichen Verbot echt rückwirkender Gesetze vereinbar ist. Das Vertrauen in das geltende Recht könnte dann von vornherein nicht berührt sein, weil das geltende Recht nachträglich keine materielle Änderung erfahren hätte.

46

Ob eine rückwirkende Gesetzesänderung gegenüber dem alten Recht deklaratorisch oder konstitutiv wirkt, hängt vom Inhalt des alten und des neuen Rechts ab, der - abgesehen von eindeutigen Gesetzesformulierungen - zumeist erst durch Auslegung ermittelt werden muss.

47

Die in der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG vertretene Auffassung, die Vorschrift habe lediglich klarstellenden Charakter (vgl. BTDrucks 15/1518, S. 17), ist für die Gerichte nicht verbindlich. Sie schränkt weder die Kontrollrechte und -pflichten der Fachgerichte und des Bundesverfassungsgerichts ein noch relativiert sie die für sie maßgeblichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>).

48

Zur verbindlichen Auslegung einer Norm ist letztlich in aller Regel die rechtsprechende Gewalt berufen (vgl. BVerfGE 65, 196 <215>; 111, 54 <107>; 126, 369 <392>). Dies gilt auch bei der Frage, ob eine Norm konstitutiven oder deklaratorischen Charakter hat. Allerdings ist der Gesetzgeber ebenfalls befugt, den Inhalt einer von ihm gesetzten Norm zu ändern oder klarstellend zu präzisieren und dabei gegebenenfalls eine Rechtsprechung zu korrigieren, mit der er nicht einverstanden ist. Dabei hat er sich jedoch im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zu halten, zu der auch die aus den Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grenzen für rückwirkende Rechtsetzung gehören. Der Gesetzgeber kann diese Bindung und die Prüfungskompetenz der Gerichte nicht durch die Behauptung unterlaufen, seine Norm habe klarstellenden Charakter (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>). Es besteht keine Befugnis des Gesetzgebers zur authentischen Interpretation gesetzlicher Vorschriften (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>; 131, 20 <37>).

49

b) Die Auslegung des einfachen Rechts ist grundsätzlich Sache der Fachgerichte (aa); die Inhaltsbestimmung einer im Normenkontrollverfahren vorgelegten Norm obliegt allerdings regelmäßig dem Bundesverfassungsgericht (bb). Für die Klärung, ob eine rückwirkende Regelung konstitutiven oder deklaratorischen Charakter hat, gelten jedoch Besonderheiten; eine solche Vorschrift ist aus verfassungsrechtlicher Sicht stets schon dann als konstitutiv anzusehen, wenn sie sich für oder gegen eine vertretbare Auslegung einer Norm entscheidet und damit ernstliche Auslegungszweifel im geltenden Recht beseitigt (cc).

50

aa) Die Auslegung des einfachen Rechts, die Wahl der hierbei anzuwendenden Methoden sowie die Anwendung des Rechts auf den Einzelfall sind primär Aufgabe der dafür zuständigen Fachgerichte und vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nicht auf ihre Richtigkeit zu untersuchen (vgl. BVerfGE 128, 193 <209>), solange nicht Auslegungsfehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>; stRspr). Im Übrigen ist die Anwendung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, solange sie sich innerhalb der Grenzen vertretbarer Auslegung und zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung bewegen. Setzt sich ihre Auslegung jedoch in krassen Widerspruch zu den zur Anwendung gebrachten Normen, so beanspruchen die Gerichte Befugnisse, die von der Verfassung dem Gesetzgeber übertragen sind (vgl. BVerfGE 49, 304 <320>; 69, 315 <372>; 71, 354 <362 f.>; 113, 88 <103>; 128, 193 <209>).

51

bb) Soweit es für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle auf die Auslegung und das Verständnis des einfachen Rechts ankommt, erfolgt eine Vollprüfung des einfachen Rechts durch das Bundesverfassungsgericht selbst (vgl. BVerfGE 2, 181 <193>; 7, 45 <50>; 18, 70 <80>; 31, 113 <117>; 51, 304 <313>; 80, 244 <250>; 98, 145 <154>; 110, 412 <438>; stRspr). In diesem Fall ist es an die Auslegung des einfachen Rechts durch das vorlegende Gericht nicht gebunden. Es kann entscheidungserhebliche Vorfragen des einfachen Rechts selbst in vollem Umfang prüfen und darüber als Ausgangspunkt für die verfassungsrechtliche Prüfung entscheiden. Nur so kann verhindert werden, dass das Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Norm auf der Grundlage einer womöglich einseitigen, aber noch vertretbaren Deutung veranlasst ist, die ansonsten nicht, auch in der übrigen Fachgerichtsbarkeit nicht, geteilt wird. Das Bundesverfassungsgericht ist freilich nicht gehindert, die im Vorlagebeschluss vertretene Auslegung des einfachen Rechts durch das Fachgericht zu übernehmen und wird dies regelmäßig tun, wenn keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen.

52

cc) (1) Unbeschadet der grundsätzlichen Befugnis des Bundesverfassungsgerichts zur Vollprüfung des einfachen Rechts im Normenkontrollverfahren genügt für die Beantwortung der Frage, ob eine rückwirkende Regelung aus verfassungsrechtlicher Sicht als konstitutiv zu behandeln ist, die Feststellung, dass die geänderte Norm in ihrer ursprünglichen Fassung von den Gerichten in einem Sinn ausgelegt werden konnte und ausgelegt worden ist, der mit der Neuregelung ausgeschlossen werden soll (vgl. BVerfGE 131, 20 <37 f.>).

53

(a) Der Wunsch des Gesetzgebers, eine Rechtslage rückwirkend klarzustellen, verdient grundsätzlich nur in den durch das Rückwirkungsverbot vorgegebenen Grenzen verfassungsrechtliche Anerkennung. Andernfalls könnte der Gesetzgeber auch jenseits dieser verfassungsrechtlichen Bindung einer Rechtslage unter Berufung auf ihre Klärungsbedürftigkeit ohne Weiteres die von ihm für richtig gehaltene Deutung geben, ohne dass von den dafür letztlich zuständigen Gerichten geklärt wäre, ob dies der tatsächlichen Rechtslage entsprochen hat. Damit würde der rechtsstaatlich gebotene Schutz des Vertrauens in die Stabilität des Rechts empfindlich geschwächt. Angesichts der allgemeinen Auslegungsfähigkeit und -bedürftigkeit des Rechts könnte es dem Gesetzgeber regelmäßig gelingen, einen Klärungsbedarf zu begründen. Eine von Vertrauensschutzerfordernissen weitgehend freigestellte Befugnis zur rückwirkenden Klarstellung des geltenden Rechts eröffnete dem Gesetzgeber den weit reichenden Zugriff auf zeitlich abgeschlossene Rechtslagen, ließe im Nachhinein politischen Opportunitätserwägungen Raum, die das einfache Recht zum Zeitpunkt der später als korrekturbedürftig empfundenen Auslegung nicht prägten, und beeinträchtigte so das Vertrauen in die Stabilität des Rechts erheblich.

54

Ein legislatives Zugriffsrecht auf die Vergangenheit folgt auch nicht ohne Weiteres aus dem Demokratieprinzip, sondern steht zu diesem in einem Spannungsverhältnis. Zwar begrenzt das Rückwirkungsverbot die legislativen Handlungsspielräume des Parlaments für die Vergangenheit. Die demokratische Verantwortung des Parlaments ist jedoch auf die Gegenwart und auf die Zukunft bezogen. Früher getroffene legislative Entscheidungen verfügen über eine eigenständige demokratische Legitimation. Der historische Legitimationskontext kann - jedenfalls soweit die Gesetzeswirkungen in der Vergangenheit liegen - nicht ohne Weiteres durch den rückwirkenden Zugriff des heutigen Gesetzgebers ausgeschaltet werden. Besonders augenfällig würde dies bei Gesetzen, welche Entscheidungen aus einer früheren Legislaturperiode, die unter anderen politischen Mehrheitsverhältnissen getroffen wurden, rückwirkend revidierten. Für die Vergangenheit beziehen diese Entscheidungen ihre demokratische Legitimation allein aus dem damaligen, nicht aus dem heutigen Entscheidungszusammenhang. Der demokratische Verfassungsstaat vermittelt eine Legitimation des Gesetzgebers in der Zeit. Auch vom Demokratieprinzip ausgehend muss der Zugriff des Gesetzgebers auf die Vergangenheit die Ausnahme bleiben.

55

(b) Eine rückwirkende Klärung der Rechtslage durch den Gesetzgeber ist in jedem Fall als konstitutiv rückwirkende Regelung anzusehen, wenn der Gesetzgeber damit nachträglich einer höchstrichterlich geklärten Auslegung des Gesetzes den Boden zu entziehen sucht. Der Gesetzgeber hat es für die Vergangenheit grundsätzlich hinzunehmen, dass die Gerichte das damals geltende Gesetzesrecht in den verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung verbindlich auslegen. Entspricht diese Auslegung nicht oder nicht mehr dem politischen Willen des Gesetzgebers, kann er das Gesetz für die Zukunft ändern.

56

Eine nachträgliche Klärung der Rechtslage durch den Gesetzgeber ist aber grundsätzlich auch dann als konstitutiv rückwirkende Regelung anzusehen, wenn die rückwirkende Regelung eine in der Fachgerichtsbarkeit kontroverse Auslegungsfrage entscheidet, die noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Die klärende Regelung ist bereits dann konstitutiv, wenn sie eine - sei es auch unterinstanzliche - fachgerichtliche Auslegung durch nachträglichen Zugriff auf einen abgeschlossenen Sachverhalt ausschließen soll. Indem der Gesetzgeber mit einem in der maßgeblichen Aussage nunmehr regelmäßig eindeutigen Gesetz rückwirkend die insofern offenbar nicht eindeutige, in ihrer Anwendung jedenfalls uneinheitliche Rechtslage klären will, verleiht er dem rückwirkenden Gesetz konstitutive Wirkung.

57

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet in diesen Fällen allein über die Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung, nicht über die verbindliche Auslegung des einfachen Rechts, das der Gesetzgeber rückwirkend ändern wollte. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die in diesen Fällen noch nicht höchstrichterlich entschiedene, aber umstrittene Auslegung des einfachen Rechts selbst vorzunehmen. Für die Feststellung einer konstitutiven rückwirkenden Gesetzesänderung genügt es, wenn das vorlegende Gericht vertretbar einen Standpunkt zur Auslegung des alten Rechts einnimmt, den der Gesetzgeber mit der rückwirkenden Neuregelung ausschließen will. Eine gefestigte oder gar höchstrichterlich bestätigte Rechtsprechungslinie verlangt dieser Rechtsstandpunkt nicht. Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber ihn korrigieren und ausschließen will.

58

Ob Bürger oder Behörde im Ausgangsrechtsstreit ihren Rechtsstandpunkt zur alten Rechtslage zu Recht eingenommen haben, ist in einem solchen Fall durch die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass eine konstitutiv rückwirkende Neuregelung vorliegt, nicht entschieden. Hält das Bundesverfassungsgericht - wie hier - die Rückwirkung für verfassungswidrig, ist es weiterhin der Fachgerichtsbarkeit aufgegeben, den Inhalt der alten Rechtslage durch Auslegung zu klären. Dies entspricht der Funktionsteilung zwischen Bundesverfassungsgericht und Fachgerichten. Die weitere, insbesondere höchstrichterliche Auslegung durch die Fachgerichte kann dabei ergeben, dass die Norm gerade so zu verstehen ist, wie es der Gesetzgeber nachträglich festgestellt wissen wollte. Dies bleibt jedoch eine Frage der Auslegung geltenden Rechts, die nicht dem Gesetzgeber, sondern der Gerichtsbarkeit und dabei in erster Linie der Fachgerichtsbarkeit obliegt.

59

(2) Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich die rückwirkende "Klarstellung" der Anwendbarkeit des § 8b Abs. 3 KStG a.F. in § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG als konstitutiv. Der Gesetzgeber hat bei der Anfügung des Satzes 2 an § 40a Abs. 1 Satz 1 KAGG seine Absicht der Klarstellung zur Beseitigung des entstandenen Auslegungsproblems zum Ausdruck gebracht (vgl. BTDrucks 15/1518, S. 17). § 40a Abs. 1 KAGG konnte vor der Klärung durch den Gesetzgeber in jeweils vertretbarer Weise im Sinne der Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG a.F. wie auch im Sinne seiner Nichtanwendung ausgelegt werden. Dass bis zu der Verkündung des Korb II-Gesetzes im Bundesgesetzblatt noch keine gerichtliche Entscheidung zu dieser Frage ergangen war, rechtfertigt mit Blick auf den verfassungsgerichtlichen Prüfungsmaßstab keine andere Betrachtung. Denn auch hier hat der Gesetzgeber die nachträglich klarstellend gemeinte Norm vor dem Hintergrund der als unklar erkannten Rechtslage und damit in einer Situation der Ungewissheit rückwirkend in das Gesetz aufgenommen. Diese Ungewissheit wurde durch die später ergangenen divergierenden Entscheidungen der Finanzgerichte bestätigt (vgl. oben A I 2).

60

Auch in diesen Konstellationen, in denen es auf die Frage ankommt, ob eine Neuregelung aus verfassungsrechtlicher Sicht deklaratorisch oder konstitutiv wirkt, bleibt es dem Bundesverfassungsgericht allerdings unbenommen, in eigener Zuständigkeit das einfache Recht als Grundlage seiner Entscheidung auszulegen, etwa weil der vom vorlegenden Gericht zum einfachen Recht vertretene Rechtsstandpunkt verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt ist. Verpflichtet dazu ist es in diesen Fällen freilich nicht. Die Vorlage gibt dem Bundesverfassungsgericht hier keine Veranlassung, eine eigenständige Auslegung des einfachen Rechts vorzunehmen, da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die im Vorlagebeschluss zur Nichtanwendbarkeit des § 8b Abs. 3 KStG a.F. vertretene Rechtsauffassung verfassungswidrig sein könnte.

61

3. Die mit der konstitutiven Wirkung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG verbundene Belastung ist verfassungswidrig, soweit sie nach § 43 Abs. 18 KAGG hinsichtlich der Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 mit echter Rückwirkung versehen ist.

62

Die im Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes stehen Gesetzen mit echter Rückwirkung grundsätzlich entgegen (a). Keine der in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen von diesem Verbot liegt hier vor (b). Auch ansonsten ist hier kein Grund für die Rechtfertigung der echten Rückwirkung erkennbar (c).

63

a) Die Verfassungsmäßigkeit eines rückwirkenden Gesetzes ist nur dann fraglich, wenn es sich um ein den Bürger belastendes Gesetz handelt (vgl. BVerfGE 24, 220 <229>; 32, 111 <123>; 50, 177 <193>; 101, 239 <262>; 131, 20 <36 f.>). Das grundsätzliche Verbot echt rückwirkender belastender Gesetze beruht auf den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 132, 302 <317>). Es schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte (vgl. BVerfGE 101, 239 <262>; 132, 302 <317>). Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 63, 343 <356 f.>; 72, 200 <242>; 97, 67 <78 f.>; 132, 302 <317>). Die Grundrechte wie auch das Rechtsstaatsprinzip garantieren im Zusammenwirken die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und damit als eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Es würde die Betroffenen in ihrer Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an ihr Verhalten oder an sie betreffende Umstände ohne Weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt ihres rechtserheblichen Verhaltens galten (vgl. BVerfGE 30, 272 <285>; 63, 343 <357>; 72, 200 <257 f.>; 97, 67 <78>; 105, 17 <37>; 114, 258 <300 f.>; 127, 1 <16>; 132, 302 <317>). Ausgehend hiervon sind Gesetze mit echter Rückwirkung grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 101, 239 <262>; 132, 302 <318>; stRspr).

64

b) aa) Von diesem grundsätzlichen Verbot echt rückwirkender Gesetze bestehen jedoch Ausnahmen (vgl. BVerfGE 13, 261 <272 f.>; 18, 429 <439>; 30, 367 <387 f.>; 50, 177 <193 f.>; 88, 384 <404>; 95, 64 <86 f.>; 101, 239 <263 f.>; 122, 374 <394 f.>; 126, 369 <393 f.>; 131, 20 <39>; stRspr). Das Rückwirkungsverbot findet im Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze (vgl. BVerfGE 88, 384 <404>; 122, 374 <394>; 126, 369 <393>). Es gilt nicht, soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte (vgl. BVerfGE 95, 64 <86 f.>; 122, 374 <394>) oder ein Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war (vgl. BVerfGE 13, 261 <271>; 50, 177 <193>). Bei den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten, nicht abschließend definierten Fallgruppen handelt es sich um Typisierungen ausnahmsweise fehlenden Vertrauens in eine bestehende Gesetzeslage (vgl. BVerfGE 72, 200 <258>; 97, 67 <80>). Für die Frage, ob mit einer rückwirkenden Änderung der Rechtslage zu rechnen war, ist von Bedeutung, ob die bisherige Regelung bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen Personengruppe auf ihren Fortbestand zu begründen (vgl. BVerfGE 32, 111 <123>).

65

Eine Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit echter Rückwirkungen ist gegeben, wenn die Betroffenen schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen wird, nicht auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung vertrauen durften, sondern mit deren Änderung rechnen mussten (vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 30, 367 <387>; 95, 64 <86 f.>; 122, 374 <394>). Vertrauensschutz kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn die Rechtslage so unklar und verworren war, dass eine Klärung erwartet werden musste (vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 18, 429 <439>; 30, 367 <388>; 50, 177 <193 f.>; 88, 384 <404>; 122, 374 <394>; 126, 369 <393 f.>), oder wenn das bisherige Recht in einem Maße systemwidrig und unbillig war, dass ernsthafte Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit bestanden (vgl. BVerfGE 13, 215 <224>; 30, 367 <388>). Der Vertrauensschutz muss ferner zurücktreten, wenn überragende Belange des Gemeinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, eine rückwirkende Beseitigung erfordern (vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 18, 429 <439>; 88, 384 <404>; 95, 64 <87>; 101, 239 <263 f.>; 122, 374 <394 f.>), wenn der Bürger sich nicht auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein verlassen durfte (vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 18, 429 <439>; 50, 177 <193 f.>; 101, 239 <263 f.>; 122, 374 <394 f.>) oder wenn durch die sachlich begründete rückwirkende Gesetzesänderung kein oder nur ganz unerheblicher Schaden verursacht wird (sogenannter Bagatellvorbehalt, vgl. BVerfGE 30, 367 <389>; 72, 200 <258>).

66

bb) Von den in der Rechtsprechung anerkannten Fallgruppen zulässigerweise echt rückwirkender Gesetze kommen hier nur diejenigen der Unklarheit und Verworrenheit der ursprünglichen Gesetzeslage oder ihrer Systemwidrigkeit und Unbilligkeit in Betracht. Keine von beiden vermag die Rückwirkung des § 43 Abs. 18 KAGG auf die Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 zu rechtfertigen.

67

(1) (a) Allein die Auslegungsbedürftigkeit einer Norm rechtfertigt nicht deren rückwirkende Änderung; erst wenn die Auslegungsoffenheit ein Maß erreicht, das zur Verworrenheit der Rechtslage führt, darf der Gesetzgeber eine klärende Neuregelung auf die Vergangenheit erstrecken.

68

Den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten Fall-gruppen zu den Ausnahmen vom Verbot echt rückwirkender Gesetze ist sämtlich gemeinsam, dass besondere Umstände ein grundsätzlich berechtigtes Vertrauen in die bestehende Rechtslage erst gar nicht entstehen lassen oder entstandenes Vertrauen wieder zerstören. Die schlichte Auslegungsoffenheit und Auslegungsbedürftigkeit einer Norm und die damit bestehende Unsicherheit über deren Inhalt ist keine solche Besonderheit, die dieses grundsätzlich berechtigte Vertrauen zerstören könnte. Andernfalls könnte sich insbesondere in den Anfangsjahren einer gesetzlichen Regelung grundsätzlich nie ein schutzwürdiges Vertrauen gegen rückwirkende Änderungen entwickeln, solange sich keine gefestigte Rechtsprechung hierzu herausgebildet hat.

69

Sähe man jede erkennbare Auslegungsproblematik als Entstehungshindernis für verfassungsrechtlich schutzwürdiges Vertrauen an, stünde es dem Gesetzgeber weitgehend frei, das geltende Recht immer schon dann rückwirkend zu ändern, wenn es ihm opportun erscheint, etwa weil die Rechtsprechung das geltende Recht in einer Weise auslegt, die nicht seinen Vorstellungen und Erwartungen entspricht. In diesem Fall kann der Gesetzgeber zwar stets die Initiative ergreifen und das geltende Recht für die Zukunft in seinem Sinne ändern, sofern er sich dabei an die Vorgaben des Grundgesetzes hält. Einen "Freibrief" für rückwirkende Gesetzesänderungen verschafft ihm eine schlicht auslegungsbedürftige und insofern unklare Rechtslage hingegen nicht. Eine so weitreichende Befugnis des Gesetzgebers zur Normsetzung mit echter Rückwirkung würde das durch Art. 20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen in die geltende Rechtslage weitgehend entwerten.

70

Außerdem würde eine über besondere Ausnahmefälle hinausgreifende Befugnis des Gesetzgebers zur rückwirkenden Präzisierung von Normen, die sich als auslegungsbedürftig erweisen, die vom Grundgesetz der rechtsprechenden Gewalt vorbehaltene Befugnis zur verbindlichen Auslegung von Gesetzen unterlaufen (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>).

71

Da sich Auslegungsfragen gerade bei neuen Normen häufig stellen, bestünde die Gefahr, dass auf diese Weise schließlich das Regel-Ausnahme-Verhältnis bei der echten Rückwirkung in dem Sinne in sein Gegenteil verkehrt würde, dass auch sie nicht mehr grundsätzlich unzulässig bliebe, sondern - ebenso wie die unechte Rückwirkung - grundsätzlich zulässig wäre. Ein solches Ergebnis wäre mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit nicht vereinbar.

72

(b) Die eine echt rückwirkende gesetzliche Klärung rechtfertigende Unklarheit einer Rechtslage erfordert vielmehr zusätzliche qualifizierende Umstände, die das geltende Recht so verworren erscheinen lassen, dass es keine Grundlage für einen verfassungsrechtlich gesicherten Vertrauensschutz mehr bilden kann. Eine solche Verworrenheit liegt insbesondere dann vor, wenn auch unter Berücksichtigung von Wortlaut, Systematik und Normzweck völlig unverständlich ist, welche Bedeutung die fragliche Norm haben soll.

73

(c) § 40a Abs. 1 KAGG ließ vor der hier zu prüfenden Einfügung des Satzes 2 verschiedene Auslegungen zu. Das belegen die divergierenden finanzgerichtlichen Entscheidungen zur Auslegung dieser Vorschrift. Die höchstrichterlich nicht geklärte Auslegung im Hinblick auf die Anwendung des im ursprünglichen Wortlaut nicht erwähnten § 8b Abs. 3 KStG a.F. und die insoweit uneinheitliche Rechtsprechung auf der Ebene der Finanzgerichte begründen indes noch keine verworrene Rechtslage. Die Norm war hinsichtlich ihres Verständnisses nach Wortlaut und Regelungsgehalt nicht fragwürdig oder gar unverständlich, sondern klar formuliert. Ihre Auslegungsbedürftigkeit, insbesondere im Hinblick auf die systematische Verknüpfung mit § 8b KStG, hat zu divergierenden, für sich genommen aber jeweils vertretbaren Standpunkten geführt. Eine "Klarstellung" durch ein echt rückwirkendes Gesetz rechtfertigt dies nicht.

74

(2) Das ursprüngliche einfache Recht war auch nicht in einer Weise systemwidrig und unbillig, dass dies die durch § 43 Abs. 18 KAGG angeordnete echte Rückwirkung rechtfertigen könnte.

75

Weder die Auslegung des vorlegenden Finanzgerichts (keine Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG) noch die gegenteilige Auslegung des ursprünglichen § 40a Abs. 1 KAGG (Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG) sind von Verfassungs wegen zwingend geboten. Zwar mögen im vorliegenden Zusammenhang systematische und teleologische Aspekte bei der Interpretation des ursprünglichen § 40a Abs. 1 KAGG gute Gründe für ein von der reinen Wortlautauslegung abweichendes Auslegungsergebnis im Sinne der Anwendbarkeit des § 8b Abs. 3 KStG a.F. liefern (vgl. Gosch, in: Gosch, KStG, 1. Aufl. 2005, § 8b Rn. 52 und 2. Aufl. 2009, § 8b Rn. 49). Ungeachtet dessen führt auch die Sichtweise des vorlegenden Finanzgerichts nicht zu einem Ergebnis, das in einem Maße systemwidrig und unbillig ist, dass ernsthafte Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit bestehen (vgl. BVerfGE 13, 215 <224>; 30, 367 <388>).

76

Den Gesetzesmaterialien zum Korb II-Gesetz lassen sich allerdings keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber Kapitalanlagegesellschaften gegenüber Körperschaften, für die das Körperschaftsteuergesetz unmittelbar gilt, im Hinblick auf die Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG privilegieren wollte. Andererseits war das Transparenzprinzip im Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften nicht uneingeschränkt verwirklicht; es galt vielmehr nur gemäß der jeweiligen Anordnung des Gesetzgebers (sogenanntes eingeschränktes Transparenzprinzip, vgl. BFHE 130, 287 <289>; 168, 111 <113>; 193, 330 <333 f.>; 229, 351 <357 f.>; vgl. BTDrucks 15/1553, S. 120 zum Transparenzprinzip als Leitidee der Investmentbesteuerung; Engl, Erträge aus Investmentvermögen, 2009, S. 73 ff.; Lübbehüsen, in: Brinkhaus/Scherer, KAGG, 2003, Vor §§ 37n ff. KAGG Rn. 11 ff.; Teichert, Die Besteuerung in- und ausländischer Investmentfonds nach dem Investmentsteuergesetz, 2009, S. 78 ff.).

77

Vor dem Hintergrund der Besonderheiten des Investmentsteuerrechts und des dieses prägenden eingeschränkten Transparenzprinzips führt die Auslegung durch das vorlegende Finanzgericht nicht zu einer so systemwidrigen und unbilligen Begünstigung der Kapitalanlagegesellschaften, dass bereits ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Auslegung bestünden. Zwar erscheint systematisch fragwürdig, weshalb - abweichend vom "normalen" neuen Körperschaftsteuersystem - positive Wertentwicklungen nicht der Besteuerung unterliegen, negative Wertentwicklungen hingegen steuerliche Berücksichtigung finden sollten. Immerhin aber wurde durch § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F. (inzwischen Satz 4) eine systemwidrige Begünstigung durch eine Steuerwirksamkeit von Gewinnminderungen und eine Steuerfreistellung der auf die nämlichen Beträge entfallenden Gewinne vermieden. Nach dieser Vorschrift gilt die Veräußerungsgewinnbefreiung nicht, "soweit der Anteil in früheren Jahren steuerwirksam auf den niedrigeren Teilwert abgeschrieben und die Gewinnminderung nicht durch den Ansatz eines höheren Werts ausgeglichen worden ist". § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F. war unzweifelhaft schon nach dem Wortlaut von der auf § 8b Abs. 2 KStG zielenden Verweisung in § 40a Abs. 1 KAGG a.F. erfasst. Die Auslegung durch das vorlegende Finanzgericht führt daher nicht dazu, dass Kapitalanlagegesellschaften Gewinnminderungen von Anteilen an Wertpapier-Sondervermögen steuerwirksam berücksichtigen durften, auf die jeweiligen Anteile entfallende Gewinne aber nicht zu versteuern brauchten.

78

Daher kann von einer systemwidrigen Abwälzung der Verluste der Kapitalanlagegesellschaften auf die Allgemeinheit nicht die Rede sein. Eine Ausgestaltung der Besteuerung von Kapitalanlagegesellschaften im Sinne der Auffassung des vorlegenden Gerichts bewegt sich im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und ist keinesfalls so unbillig oder systemwidrig, dass ernsthafte Zweifel an ihrer Verfassungsmäßigkeit bestünden.

79

c) Sonstige Gründe, die jenseits der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten Fallgruppen hier ausnahmsweise eine gesetzliche Regelung mit echter Rückwirkung rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Anderes ergibt sich auch nicht aus den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 zum Fremdrentenrecht (BVerfGE 126, 369) und vom 2. Mai 2012 zum Dienstrechtsneuordnungsgesetz (BVerfGE 131, 20), in denen das Gericht jeweils rückwirkende Gesetzesänderungen als verfassungsgemäß beurteilt hat.

80

In dem Beschluss zum Fremdrentenrecht sah das Gericht, unabhängig von der Frage, ob die in Streit stehende rückwirkende Gesetzesänderung konstitutiv wirkte, das Vertrauen in ein geändertes Verständnis der alten Rechtslage, das durch eine Rechtsprechungsänderung des Bundessozialgerichts in Abweichung von der bis dahin in Rechtspraxis und Rechtsprechung gefestigten Rechtsauffassung herbeigeführt worden war, als von vornherein nicht gerechtfertigt an (vgl. BVerfGE 126, 369 <393 ff.>). Mit dieser Sondersituation ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar.

81

Entsprechendes gilt für die Entscheidung zum Dienstrechtsneuordnungsgesetz. Ihr lag ein Fall zugrunde, in dem das Bundesverwaltungsgericht eine gefestigte Rechtspraxis zur Berechnung des Mindestruhegehalts bei Zusammentreffen von beamtenrechtlicher Versorgung und gesetzlicher Rente änderte. Die Korrektur dieser Rechtsprechung durch den Gesetzgeber bewertete das Bundesverfassungsgericht zwar als konstitutive Gesetzesänderung mit zum Teil echter und zum Teil unechter Rückwirkung (vgl. BVerfGE 131, 20 <36 ff.>), stellte aber zugleich fest, dass sich ein hinreichend gefestigtes und damit schutzwürdiges Vertrauen in ein Verständnis der Rechtslage im Sinne des Bundesverwaltungsgerichts unter den gegebenen Umständen nicht habe entwickeln können (vgl. BVerfGE 131, 20 <41 ff.>). Auch hier bezieht sich die Entscheidung mithin auf eine besondere Situation, der sich der Gesetzgeber angesichts einer kurzfristigen Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der bis dahin gefestigten Rechtspraxis gegenüber sah. Damit ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar.

82

d) Es besteht kein Anlass, für die Fälle, in denen der Gesetzgeber die geltende Rechtslage für die Vergangenheit klarstellen will, von dem im Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten verankerten Vertrauensschutz und dem darin wurzelnden Ausnahmecharakter zulässiger echter Rückwirkung abzuweichen. Eine solche Abweichung wäre es jedoch, wenn dem Wunsch des Gesetzgebers, den "wahren" Inhalt früher gesetzten Rechts nachträglich festzulegen und eine seinen Vorstellungen widersprechende Auslegung auch für die Vergangenheit zu korrigieren, Grenzen nur im Hinblick auf bestands- oder rechtskräftig abgeschlossene Einzelverfahren oder bei Rechtslagen gesetzt wären, die keinen ernsthaften Auslegungsspielraum lassen. Damit würde der in der ständigen Rechtsprechung entwickelte besondere Schutz gegen Gesetze mit echter Rückwirkung ebenso preisgegeben wie die Differenzierung zwischen grundsätzlich unzulässiger echter und grundsätzlich zulässiger unechter Rückwirkung.

III.

83

Soweit § 43 Abs. 18 KAGG zur Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG in den körperschaftsteuerlichen Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002 führt, verstößt diese Anwendungsvorschrift gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig (§ 78 Satz 1 i.V.m. § 82 Abs. 1 BVerfGG).

IV.

84

Die Entscheidung ist im Ergebnis mit 5:3 Stimmen, hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Grundsätze mit 6:2 Stimmen ergangen.

Abw. Meinung

85

Ich kann der Entscheidung nicht zustimmen. Entgegen ihrem ersten Anschein betrifft die Entscheidung nicht fachrechtliche Spezialprobleme, sondern grundsätzliche Fragen zur Reichweite der Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers für unklare, offengebliebene Rechtsfragen der Vergangenheit - hier für steuerrechtliche Abschreibungsmöglichkeiten von Verlusten, die Finanzinstitute insbesondere in Folge der Anschläge des 11. September 2001 erlitten haben. Unter Berufung auf das Rückwirkungsverbot untersagt der Senat dem Gesetzgeber eine Klarstellung, dass diese Verluste nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden dürfen.

86

Damit verändert er der Sache nach das Fundament der Rückwirkungsrechtsprechung. Der Senat entzieht ihr - nicht dem Selbstverständnis nach, doch in Ergebnis und Begründung - die im Vertrauensschutz liegenden Wurzeln und ersetzt sie durch abstrakte, in der Sache fehlgeleitete Vorstellungen der Gewaltenteilung. An die Stelle des Schutzes subjektiver Freiheit tritt die Absicherung eines objektiv-rechtlichen Reservats der Fachgerichtsbarkeit. Der Verlierer ist das Parlament: In Umwertung der bisherigen Rechtsprechung wird ihm die rückwirkende Klarstellung ungeklärter Rechtsfragen nun nicht erst bei einem entgegenstehenden Vertrauen der Bürger, sondern grundsätzlich abgeschnitten. Die Übernahme von politischer Verantwortung wird ihm so für Altfälle schon prinzipiell aus der Hand geschlagen. Hierin liegt eine gravierende Störung der Balance zwischen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip.

I.

87

Der Senat hebt die angegriffene Vorschrift wegen eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot auf, obwohl er selbst der Auffassung ist, dass die ursprüngliche Rechtslage dem Beschwerdeführer keinerlei Vertrauen vermittelt hat, das durch die Gesetzesänderung enttäuscht würde. Damit entzieht er dem Rückwirkungsverbot sein auf subjektive Freiheitssicherung ausgerichtetes Fundament.

88

1. Gegenstand der in Frage stehenden Normen ist die Frage, ob Kapitalgesellschaften - in der Praxis insbesondere Banken - berechtigt sind, Wertverluste ihrer Anteile an Investmentfonds für die Jahre 2001 und 2002 steuerlich gewinnmindernd geltend zu machen, während das Gesetz Gewinne grundsätzlich steuerfrei stellt. Der Senat selbst ist der Auffassung, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens zu keiner Zeit ein berechtigtes Vertrauen dahin hatte, Teilwertabschreibungen für diese Zeit gewinnmindernd geltend machen zu können. Er hält die ursprüngliche Rechtslage diesbezüglich zu Recht für ungeklärt und erkennt an, dass sie sich sowohl subjektiv als auch bei verobjektivierter Betrachtung für die betroffenen Banken als offen darstellte. Dennoch ist er der Ansicht, dass der Gesetzgeber dies für die noch offenen Altfälle nicht rückwirkend klären durfte. Es sei Aufgabe der Fachgerichte, über diese Fälle zu entscheiden.

89

Mit dieser Argumentation wird die Fundierung des Rückwirkungsverbots im Vertrauensschutz der Sache nach aufgegeben: Der Senat geht ausdrücklich davon aus, dass die Fachgerichte für die hier in Rede stehenden Fälle in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis kommen können, dass der alte § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG auch unabhängig von der gesetzlichen Klarstellung in § 43 Abs. 18 KAGG sachgerecht so auszulegen ist, dass die von der Klägerin geltend gemachten Teilwertabschreibungen nicht gewinnmindernd berücksichtigt werden können. Diese Frage dürfe rückwirkend aber nicht der Gesetzgeber klären; die Klärung sei allein den Fachgerichten vorbehalten. Dem Gesetzgeber wird so eine Regelung verboten, die die Gerichte durch Auslegung ohne weiteres herbeiführen dürfen. Obwohl die alte Rechtslage kein Vertrauen der Bürger begründete, in Blick auf insoweit vorhersehbare Rechtsfolgen Dispositionen zu treffen, soll der Gesetzgeber an einer Klärung dennoch durch das - aus dem Vertrauensschutz hergeleitete - Rückwirkungsverbot gehindert sein. Die Instrumente des Vertrauensschutzes werden ihm so für die Anordnung von Rechtsfolgen entgegengehalten, mit denen die Betroffenen auch nach dem alten Recht schon rechnen mussten und weiterhin rechnen müssen.

90

2. Wenn hier überhaupt noch eine Brücke zu irgendeiner Form von Vertrauen auszumachen ist, so kann diese allenfalls in dem abstrakten Vertrauen auf die Gültigkeit einer inhaltsoffenen Norm gesucht werden - und damit auf eine Streit-entscheidung der politisch offen gebliebenen Frage durch die Fachgerichte. Geschützt wird durch die Entscheidung des Senats das Vertrauen in die Chance einer für die Betreffenden günstigen Rechtsprechung. Gerade dies aber zeigt, wie weit sich der Senat von dem ursprünglichen Anliegen der Rückwirkungsrechtsprechung entfernt. Das Rückwirkungsverbot sichert nicht mehr das Vertrauen in eine berechenbare Rechtsordnung, damit der Einzelne sein Verhalten im Blick auf vorhersehbare Rechtsfolgen selbstbestimmt ausrichten kann, sondern lediglich die Chance, dass die Rechtsprechung möglicherweise zu einer vorteilhafteren Klarstellung der ungeklärten Position führt als eine demokratisch-politische Entscheidung des Parlaments. Galt die Rückwirkungsrechtsprechung zunächst dem Schutz des Vertrauens zur Sicherung individueller Freiheitswahrnehmung, so gilt sie nun der Absicherung eines kompetentiellen Vorbehaltsbereichs der Rechtsprechung gegenüber dem Gesetzgeber. Aus dem Schutz subjektiver Freiheit wird die Durchsetzung objektiver Gewaltenteilungsvorstellungen und hierbei eines Reservats der Rechtsprechung.

II.

91

Das damit vom Senat zur Geltung gebrachte Verhältnis von Gesetzgebung und Rechtsprechung lässt sich aus der Ordnung des Grundgesetzes nicht herleiten. Es drängt den Gesetzgeber unberechtigt aus seiner Verantwortung.

92

1. Durch die Ablösung des Rückwirkungsverbots von dem Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage wird es für die Fälle der echten Rückwirkung im Ergebnis zu einem apriorischen Prinzip der Gewaltenteilung verselbständigt, das seinen Sinn darin hat, die rückwirkende Einmischung des Gesetzgebers in offene, noch ungeklärte Rechtsfragen schon prinzipiell auszuschalten. Statt einer politischen Entscheidung durch das Parlament soll grundsätzlich nur noch eine entpolitisierte Entscheidung durch die Justiz möglich sein.

93

a) Dies überzeugt schon vom Grundverständnis nicht. Ausgehend von dem aus dem Demokratieprinzip folgenden legislativen Zugriffsrecht des Parlaments kann sich der Gesetzgeber aller drängenden Fragen des Gemeinwesens annehmen. Zu entscheiden, was Recht sein soll, ist im demokratischen Rechtsstaat grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, der hierfür gewählt wird und sich in einem politischen Prozess vor der Öffentlichkeit verantworten muss. Dies betrifft grundsätzlich auch die Entscheidung über Probleme, die in der Vergangenheit wurzeln, oder die Klärung von Streitfragen, die offengeblieben und lösungsbedürftig sind. Dass diese demokratische Verantwortung von vornherein auf die Zukunft beschränkt wäre, ist durch nichts begründet und lässt sich insbesondere auch der bisherigen Rechtsprechung nicht entnehmen. Insbesondere lassen sich hierfür nicht die Vorstellung eines je begrenzten historischen Legitimationskontextes und die eigene Dignität des je auf Zeit gewählten Gesetzgebers anführen. Denn auch mit solchen rückwirkenden Regelungen geht es um die Bewältigung von Problemen, die in der Vergangenheit gerade nicht inhaltlich sachhaltig bewältigt wurden und nun - offen und lösungsbedürftig - in die Gegenwart und Zukunft hineinwirken.

94

In der Tat freilich ist der Gesetzgeber in seiner Gestaltungsbefugnis rechtsstaatlich begrenzt und diese rechtsstaatlichen Grenzen können bei Gesetzen, die in die Vergangenheit hineinwirken, schneller berührt sein als bei anderen. So kann der Gesetzgeber selbstverständlich nicht ohne weiteres nachträglich in bestands- oder rechtskräftig abgeschlossene Einzelverfahren eingreifen oder für abgeschlossene Zeiträume ein Verhalten neu bewerten und mit Sanktionen belegen, mit denen die Betreffenden nicht rechnen mussten. Insbesondere die Grundrechte und die aus ihnen folgende Freiheitsvermutung setzen hier vielfach Grenzen. Dies ist der zutreffende Kern der Rückwirkungsrechtsprechung. Solche Einschrän-kungen des Gesetzgebers müssen sich aber jeweils mit einem spezifischen Schutzbedürfnis der Betroffenen begründen lassen. Sie ergeben sich nicht schon generell aus einer abstrakten Grenze der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers. Es gibt keinen Grund, warum der Gesetzgeber umstrittene und unklare Rechtsfragen nicht auch für offene Altfälle regeln können soll, solange dadurch berechtigtes Vertrauen nicht enttäuscht wird. Dass der Gesetzgeber bei Gesetzen, die in die Vergangenheit wirken, die zutage getretenen Interessenkonflikte möglicherweise konkreter vor Augen hat als bei zukunftsgerichteten Gesetzen, macht eine Klärung durch den Gesetzgeber nicht unzulässig. Gesetzgebung beschränkt sich im modernen Staat grundsätzlich nicht auf die Vorgabe situationsblinder Regelungen für die Zukunft, sondern hat fast immer einen konkreten Interessenausgleich zu ihrem Gegenstand.

95

b) Aus Gewaltenteilungsgesichtspunkten spricht vielmehr umgekehrt alles dafür, in ungeklärten Rechtslagen die rückwirkende Klarstellung offener und umstrittener Fragen auch durch den Gesetzgeber grundsätzlich für zulässig zu halten. Wenn sich in der Anwendungspraxis eines Gesetzes herausstellt, dass wichtige Fragen von allgemeiner Bedeutung offengeblieben oder Regelungen unklar oder missverständlich formuliert sind, gehört es zur Aufgabe der Volksvertretung, dass sie in politisch-demokratischer Verantwortung gesetzlich klarstellen kann, wie diese Fragen in den noch offenen Verfahren zu beantworten sind. Die Vorstellung, der Gesetzgeber habe nur einen Versuch frei, dürfe dann aber auf die im Laufe der Zeit aufkommenden Probleme bis zu einer Neuregelung pro futuro keinen klärenden Zugriff mehr nehmen, hat in den Legitimationsgrundlagen unserer Verfassungsordnung kein Fundament. Insbesondere lässt sich dies nicht mit Vorstellungen zeitlich segmentierter Legitimationszusammenhänge begründen. Denn der alte Gesetzgeber hatte hier die entsprechenden Fragen gerade nicht geklärt. Dies wird besonders deutlich, wenn der Gesetzgeber, wie vorliegend, nur das festschreiben will, was seiner Ansicht nach - mehr als nachvollziehbar (siehe unten IV.) - ohnehin auch mit der alten Regelung intendiert war.

96

2. Die vom Senat geschaffene Abgrenzung zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung ist auch funktional nicht einleuchtend.

97

a) Angesichts der immer komplexer werdenden Anforderungen an die Gesetzgebung in einer hochdifferenzierten und sektoral wie international vielfältig vernetzten Welt kann nicht ernsthaft erwartet werden, dass alle Auswirkungen eines Gesetzgebungsvorhabens stets verlässlich von vornherein überschaut werden können. Normen können im Interessengeflecht der zahlreichen Anwender und Betroffenen Missverständnisse, Zweifelsfragen oder sinnwidrige Praktiken hervorrufen, die nicht vorhersehbar sind. Auch muss damit gerechnet werden, dass dabei dem Gesetzgeber Ungenauigkeiten oder Fehler unterlaufen. Gerade eine Gesetzesreform, wie sie den hier streitigen Normen zugrunde liegt, macht das besonders deutlich. Der Gesetzgeber hatte damals die Herkulesaufgabe auf sich genommen, das gesamte Körperschaftsteuerrecht vom Anrechnungsverfahren auf das Halbeinkünfteverfahren umzustellen und damit die Besteuerung fast aller bedeutsamen Unternehmen - mit tiefgreifenden Auswirkungen auf die Konzernstrukturen ebenso wie auf internationale Zusammenhänge - auf grundlegend neue Füße zu stellen. Die hier in Frage stehenden Normen bildeten dabei nur einen ganz kleinen, untergeordneten Aspekt. Dass im Rahmen eines solchen Vorhabens nicht sofort alle Fragen eine klare, durchdachte und unmissverständliche Lösung erfahren, liegt auf der Hand - und davon mussten alle Betroffenen ausgehen.

98

b) Nach Ansicht des Senats sind alle insoweit aufkommenden Probleme bis auf Widerruf für die Zukunft grundsätzlich allein durch die Gerichte zu klären. Zwar dürfe der Gesetzgeber aufkommende Unklarheiten pro futuro neu regeln, jedoch seien gesetzliche Unzuträglichkeiten und Streitfragen, die unter einer gegebenen Rechtslage entstehen, - bis auf extreme Ausnahmen (siehe unten IV. 3) - ausschließlich von den Gerichten zu bewältigen.

99

Dies ist schon im Blick auf die den Gerichten im gewaltenteiligen Verfassungsstaat zugewiesene Aufgabe nicht überzeugend: Während diese angesichts unklarer Rechtslagen nach dem vom Gesetzgeber gemeinten Sinn zu suchen haben und sich, wenn es hieran fehlt, letztlich unter Umständen zu demokratisch nicht angeleiteten Setzungen eigener Gerechtigkeitsvorstellungen genötigt sehen, wird dem Gesetzgeber die Möglichkeit genommen, eine solche Klarstellung zur Entlastung der Gerichte vorzunehmen.

100

Ein solcher Ansatz leuchtet auch hinsichtlich der praktischen Konsequenzen nicht ein. Während eine rückwirkende Klarstellung durch den Gesetzgeber mit einem Schlag unmittelbar alle offenen Streitfälle einheitlich für Zukunft und Vergangenheit lösen und Rechtssicherheit schaffen kann, müssen als Folge der Entscheidung des Senats stattdessen alle vor der Gesetzesänderung angefallenen Fälle vor Gericht durch die Instanzen prozessiert werden. Das kann Jahre dauern, die Gerichte mit vielen Verfahren belasten, für die Betroffenen hohe Kosten mit sich bringen und für lange Zeit Rechtszersplitterung und Verunsicherung zur Folge haben. Die vom Senat aus der Taufe gehobene Chance des Bürgers auf eine für ihn vorteilhafte Entscheidung durch die Rechtsprechung, ist damit nicht nur Chance, sondern auch erhebliche Bürde - nicht nur für die Allgemeinheit, sondern auch für die Betroffenen selbst.

III.

101

In der Entscheidung liegt damit zugleich eine tiefgreifende Wende der Rückwirkungsrechtsprechung und ein Bruch mit den diesbezüglichen bisherigen Wertungen.

102

Allerdings knüpft der Senat an Obersätze an, die der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entnommen sind: Die grundsätzliche Unzulässigkeit der echten Rückwirkung entspricht ständiger - und in ihrem bisherigen Kontext auch zutreffender - Rechtsprechung. Wie die zahlreichen Zitatketten aus der Rechtsprechung zeigen, ist der Senat dabei von dem Anliegen getragen, diese lediglich stimmig weiterzuentwickeln. Dies gelingt jedoch überzeugend nicht. Denn er löst dabei die Obersätze von ihrer bisherigen Einbindung an die Grundsätze des Vertrauensschutzes ab und verselbständigt sie zu für sich stehenden abstrakten Regeln. Dies gibt ihnen eine neue Bedeutung, die wesentlich strenger ist und mit den Wertungen der bisherigen Entscheidungen des Gerichts bricht.

103

1. a) Mit der Nichtigkeitserklärung von Gesetzen wegen Verstoßes gegen das Verbot echter Rückwirkung war das Bundesverfassungsgericht bisher zurückhaltend. In der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts finden sich hierfür nur zwei Fälle und diese liegen lange zurück (vgl. BVerfGE 18, 429; 30, 272). Die Dogmatik hat sich seither naturgemäß weiterentwickelt und die Begründungen würden heute vielleicht differenzierter ausfallen. Im entscheidenden Punkt besteht jedoch Klarheit: In beiden Fällen stellte das Gericht ausdrücklich auf eine konkret vertrauensbegründende Rechtslage ab.

104

So begründete das Gericht in der ersten Entscheidung vom 31. März 1965 die Verfassungswidrigkeit der dort streitbefangenen Norm maßgeblich damit, dass die vom Gesetzgeber rückwirkend geänderte Rechtslage zwar zunächst von einigen Untergerichten verkannt, dann aber zugunsten der betroffenen Bürger vom Bundesgerichtshof höchstrichterlich geklärt war und diese Klärung sich zutreffend auf Grundsätze stützte, die "allgemeiner, in Rechtsprechung und Literatur einmütig vertretener Auffassung" entsprächen (vgl. BVerfGE 18, 429 <437>). Die Rechtslage sei nicht unklar, sondern "völlig klar" gewesen. Demgegenüber habe der Gesetzgeber versucht, die Rechtsprechung "gleichsam für die Vergangenheit ins Unrecht zu setzen" (a.a.O. S. 439). Auch vom Sachverhalt her ging es um eine Konstellation, die der Frage des Vertrauensschutzes wesentlich näher stand, nämlich um Regressforderungen des Staates für in der Vergangenheit über acht Jahre gezahlte Unterhaltsleistungen an ein Kind, von denen der unerwartet in Anspruch genommene Bürger bis dahin nichts wusste.

105

In der zweiten Entscheidung vom 10. März 1971 ging es um einen nachträglich für vorangehende steuerliche Veranlagungszeiträume vom Gesetzgeber eingeführten Progressionsvorbehalt, für den bis dahin unstreitig keinerlei Rechtsgrundlage bestand und der dazu führte, dass rückwirkend die Steuern höher ausfielen als nach der ursprünglichen Rechtslage. Das Gericht stellte hier darauf ab, dass das Vertrauen der Betroffenen enttäuscht werde, weil der Gesetzgeber an abgeschlossene Tatbestände nachträglich ungünstigere Folgen anknüpfe als "diejenigen, von denen der Bürger bei seinen Dispositionen ausgehen durfte" (vgl. BVerfGE 30, 272 <285>). Die Rechtslage sei nicht unklar gewesen und die Betroffenen hätten mit einer solchen Regelung nicht rechnen müssen (BVerfGE 30, 272 <285 f.>).

106

b) Erst recht stellte das Bundesverfassungsgericht auf die Enttäuschung eines durch die ursprüngliche Rechtslage spezifisch begründeten Vertrauens in den Fällen ab, in denen es Gesetze mit unechter Rückwirkung für verfassungswidrig befand. Da eine unechte Rückwirkung grundsätzlich zulässig ist und nur bei Vorliegen besonderer Vertrauenstatbestände zur Verfassungswidrigkeit führt, bedurfte es hier schon vom Ausgangspunkt her des Nachweises eines spezifischen Vertrauens (so zum Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Ausstellung eines Flüchtlingsausweises BVerfGE 59, 128 <164 ff.>; in die bisher erlaubte Widerrufbarkeit freiwillig gewährter Vorsorgeleistungen BVerfGE 74, 129 <155 ff.>; in die Fortdauer der Besteuerungsregelungen von Abfindungsvereinbarungen BVerfGE 127, 31 <49 ff.>). Nichts anderes gilt dabei für die insoweit besonders gelagerten, der echten Rückwirkung angenäherten Fälle, in denen für einen noch nicht abgelaufenen steuerlichen Veranlagungszeitraum rückwirkende Änderungen in Frage standen und für verfassungswidrig erklärt wurden (vgl. BVerfGE 72, 200; 127, 1; 127, 61; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 -, NJW 2013, S. 145 ff.). Dort mag man bei formaler Betrachtung zwar eine gewisse Relativierung des Vertrauenskriteriums sehen, da der Einzelne für den Veranlagungszeitraum einfachrechtlich mit einer rückwirkenden Änderung der Vorschriften stets rechnen müssen soll; tatsächlich verbindet die Rechtsprechung, indem sie dies teilweise für nicht hinnehmbar hält, die Rückwirkungslehre für diese Konstellation in spezifischer Weise mit dem eigenständigen Schutzaspekt der Rechtssicherheit. Auch dort aber bestand - ohne dass diese Entscheidungen hier in allen Aspekten zu würdigen wären - zunächst jedenfalls immer eine klare Rechtslage, die als solche geeignet war, Vertrauen für Dispositionen zu begründen und die durch den Gesetzgeber dann rückwirkend geändert wurde. Der Schutz konkreten Vertrauens ist auch hier der Kern der Rechtsprechung.

107

Weitere Fälle, in denen das Bundesverfassungsgericht Gesetze wegen eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot aufgehoben hat, finden sich nicht. Insbesondere gibt es keinen Fall, in dem die Klarstellung einer unsicheren Rechtslage, die kein Vertrauen begründen konnte, für verfassungswidrig erklärt wurde.

108

2. Der Bruch mit den Wertungen der bisherigen Rechtsprechung wird um so deutlicher, wenn man umgekehrt die Fälle betrachtet, in denen das Bundesverfassungsgericht rückwirkende Gesetze zur Klärung offener Rechtsfragen als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen hat. Es reicht dabei auf die Fälle einzugehen, in denen der Gesetzgeber in Reaktion auf unvorhergesehene Entwicklungen bei der Anwendung die bisherige Rechtslage lediglich bekräftigen wollte und die Klarstellung deshalb als "authentische Interpretation" verstand. Es zeigt sich dabei, dass der Senat mit der vorliegenden Entscheidung auch in der materiellen Bewertung wesentlich strengere Maßstäbe anlegt als die Rechtsprechung bisher.

109

a) In der Tat allerdings hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt entschieden, dass eine eigene Befugnis des Gesetzgebers zur "authentischen Interpretation" nicht anzuerkennen ist. Die Auslegung unklarer Rechtsnormen sei grundsätzlich Sache der Gerichte (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>; 131, 20 <37 ff.>; ähnlich bereits BVerfGE 111, 54 <107>). Auch diese Aussage blieb aber bisher stets in den Kontext des Vertrauensschutzes eingebunden. Sie wendet sich lediglich dagegen, die Berufung auf eine "authentische Interpretation" als eigenständigen Titel zur Rechtfertigung rückwirkender Gesetze anzuerkennen. Mit ihr sollte auf die allgemeinen - und damit vertrauensschutzbezogenen - Rückwirkungsgrundsätze verwiesen werden. Ausdrücklich hielt der Senat deshalb fest: "Eine durch einen Interpretationskonflikt zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung ausgelöste Normsetzung ist nicht anders zu beurteilen als eine durch sonstige Gründe veranlasste rückwirkende Gesetzesänderung" (BVerfGE 126, 369 <392>).

110

b) Dementsprechend wurde nach bisheriger Rechtsprechung in allen Fällen, in denen eine vertrauensbegründende Rechtslage nicht gegeben war, die rückwirkende Klärung offener Rechtsfragen als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen.

111

Dies gilt naturgemäß zunächst für den ersten hier zu nennenden Fall vom 23. Februar 1960, da das Gericht damals von einer lediglich "deklaratorischen Bedeutung" der gesetzlichen Klarstellung ausging (vgl. BVerfGE 10, 332 <340>). Man mag in jenem Fall nur eine geringe Parallele sehen, da der Senat hier anders als dort gerade nicht von einem lediglich deklaratorischen Gesetz ausgeht. Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, dass auch damals die Rechtslage objektiv keinesfalls so klar war, wie die verfassungsgerichtliche Beurteilung des Gesetzes als "deklaratorisch" vermuten lässt: Die Frage, die der Gesetzgeber rückwirkend änderte, war damals vielmehr durchaus umstritten und noch das vorlegende Gericht war der Auffassung, dass das Gesetz die Rechtslage verändert habe. Nach den heute vom Senat zugrunde gelegten, differenzierteren Kriterien, wäre deshalb wohl äußerst zweifelhaft, ob damals tatsächlich von einer bloß deklaratorischen Rechtsänderung die Rede sein konnte. Dennoch erkannte man damals nicht auf eine verfassungsrechtlich verbürgte Chance, fachgerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen, sondern sah es als Befugnis des Gesetzgebers an, diese Frage selbst rückwirkend klarzustellen.

112

Ebenso wurde eine rückwirkende Klärung in der Entscheidung zur Angestelltenversicherung vom 17. Januar 1979 als unbedenklich angesehen. Der Senat ließ dort ausdrücklich offen, ob die Gesetzesänderung deklaratorischen oder konstitutiven Charakter hatte. Es reichte ihm hier die Feststellung, dass "die ursprüngliche Norm … von vornherein Anlass zu zahlreichen Auslegungsproblemen gegeben" habe, "deren Lösung nicht allein aus dem Wortlaut, sondern nur in einer Zusammenschau von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, System und gesetzgeberischer Zielsetzung möglich war" (BVerfGE 50, 177 <194>). Der Bürger habe sich auf den durch die Norm erzeugten Rechtsschein deshalb nicht verlassen dürfen. Von den gesteigerten Anforderungen des Senats an eine besonders verworrene Rechtslage, die nur ausnahmsweise eine rückwirkende Klarstellung erlaube, ist hier nichts ersichtlich.

113

Besonders deutlich wird die Bewertungsverschiebung der Senatsmehrheit schließlich in Kontrast zu den beiden jüngeren Entscheidungen zur authentischen Auslegung. Im Fremdrentenbeschluss vom 21. Juli 2010 nahm der Senat sogar eine rückwirkende gesetzliche Klarstellung hin, die sich zu Lasten der Betroffenen über eine höchstrichterliche Grundsatzentscheidung hinwegsetzte. Das Vertrauen der betroffenen Rentner, unter leichteren Bedingungen eine Rente zu erhalten, war dort jedenfalls wesentlich gehaltvoller unterlegt als vorliegend das Vertrauen der Banken, ihre Verluste steuerlich geltend machen zu können: Das dort streitige Gesetz nahm den Betroffenen ganz erhebliche Aussichten, ihre Ansprüche im Prozesswege durchzusetzen. Als es in Kraft trat, hatte das Bundessozialgericht gerade in ihrem Sinne entschieden. Dennoch reichte dies dem Senat nicht, um dem Gesetzgeber eine rückwirkende Klarstellung zu untersagen. Von einem Reservat der Rechtsprechung, unklare Rechtslagen selbst aufzulösen, war hier nicht die Rede. Vielmehr stellte der Senat konsequent auf die Frage des Vertrauensschutzes ab: Selbst eine höchstrichterliche Klärung reiche nicht in jedem Fall, ein Vertrauen in die entsprechende Rechtslage zu begründen (vgl. BVerfGE 126, 369 <394 ff.>).

114

Nicht anders lag es bei der Entscheidung des Senats vom 2. Mai 2012 zur Beamtenversorgung. Auch dort setzte sich der Gesetzgeber über eine letztinstanzliche Auslegung eines Bundesgerichts - in concreto des Bundesverwaltungsgerichts - hinweg und führte damit für die Betroffenen rückwirkend eine ungünstigere Versorgungsregelung herbei. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte dies. Wiederum wurde als maßgebliches Kriterium das Vertrauen in die geltende Rechtslage zugrunde gelegt. Nur wenn die Rechtslage generell geeignet sei, ein Vertrauen zu begründen und darauf gegründete Entscheidungen - insbesondere Vermögensdispositionen - herbeizuführen, sei ein solches Vertrauen berechtigt (vgl. BVerfGE 131, 20 <41>). Selbst höchstrichterliche Entscheidungen würden ein solches Vertrauen nicht automatisch begründen. Es bedürfe insoweit vielmehr des Hinzutretens weiterer Umstände wie etwa einer langjährigen gefestigten Rechtsprechung. Die erhebliche Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Literatur und Praxis habe dazu geführt, dass Vertrauen in die Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts nicht habe erwachsen können und der Gesetzgeber zu einer rückwirkenden Klarstellung befugt sei (vgl. BVerfGE 131, 20 <41 ff.>).

115

c) Vergleicht man all diese Fälle mit der vorliegenden Konstellation, in der die Rechtslage sogar noch höchstrichterlich ungeklärt, zwischen Literatur und Fachgerichtsbarkeit vielfältig umstritten und damit insgesamt in jeder Hinsicht als offen bezeichnet werden kann, wird offensichtlich, dass ein Vertrauensschutz im vorliegenden Verfahren nach den Kriterien der bisherigen Rechtsprechung nicht ansatzweise begründet ist. Auch vom Gegenstand her gibt es keinen Grund, warum das Vertrauen von Banken in die teilweise Abwälzbarkeit ihrer Verluste auf die Allgemeinheit weitergehend geschützt sein soll als das Vertrauen von Rentnern oder Beamten in eine für sie günstige Berechnung ihrer Bezüge. Der Senat vollzieht mit dieser Entscheidung vielmehr eine grundlegende Umwertung der bisherigen Maßstäbe.

116

3. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass ein konsequentes Abstellen auf das Vertrauenskriterium den Grundsatz des Verbots echt rückwirkender Gesetze letztlich schon als solchen hinfällig werden ließe und damit seinerseits die Schutzstandards der Rechtsprechung preisgebe.

117

Dass diese Schutzstandards jedenfalls bisher nicht in der nun vom Senat zugrunde gelegten Strenge praktiziert wurden und das grundsätzliche Verbot echt rückwirkender Gesetze, auch mittels der von der Rechtsprechung zugleich entwickelten Ausnahmemöglichkeiten, letztlich zu einer maßgeblichen Berücksichtigung von Vertrauensgesichtspunkten führte, hat die Durchsicht der Rechtsprechung deutlich gemacht. Die Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung wurde in ihr weniger als kategoriale denn als heuristische Unterscheidung verstanden - was sich mit dieser Entscheidung ändert.

118

Durch ein konsequentes Abstellen auf den Vertrauensschutz wird dem Gesetzgeber aber auch für die Zukunft kein Weg eröffnet, der es ihm erlaubte, angesichts der generellen Auslegungsbedürftigkeit des Rechts praktisch beliebig Klärungsbedarf geltend zu machen und damit gesetzliche Entscheidungen ohne weiteres nachträglich umzudrehen. Zwar ist Recht im Einzelfall meistens auslegungsbedürftig. Jedoch lässt sich aus solch abstrakter Aussage nicht herleiten, dass gesetzliche Grundentscheidungen und die zu ihrer Umsetzung getroffenen Be-stimmungen in aller Regel unbegrenzt auslegungsoffen sind. Man wird kaum davon ausgehen müssen, dass unsere Rechtsordnung schon grundsätzlich nicht in der Lage ist, konkretes Vertrauen in bestimmte Rechtsfolgen zu begründen oder Grundlagen zu schaffen, auf die sich Dispositionen stützen lassen. In allen Fällen jedoch, in denen die Rechtsordnung ein solches Vertrauen begründet - und hierüber zu entscheiden ist gegebenenfalls Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts - gilt der Grundsatz des Verbots echter Rückwirkung zu Recht. Schon die grundrechtlichen Freiheitsvermutungen führen insoweit dazu, dass das Rückwirkungsverbot nicht wirkungslos ist. Im Übrigen lässt sich auch aus dem Fallmaterial des Bundesverfassungsgerichts ersehen, dass der Erlass rückwirkender Gesetze keinesfalls in aller Regel oder auch nur einer Großzahl von Fällen als Klarstellung ungeklärter Auslegungsfragen gerechtfertigt werden könnte. Das Vertrauenskriterium erodiert nicht die bisherige Rechtsprechung, sondern ist vielmehr ihre maßgebliche Grundlage.

IV.

119

Die streitbefangenen Normen geben auch sachlich keinen Anlass, hier von einem Vertrauen der klagenden Banken in die steuerrechtliche Berücksichtigung ihrer Verluste auszugehen. Dass eine solche Berücksichtigung mit der alten Regelung des § 40a Abs. 1 KAGG nie intendiert war, ist bei sachgerechter Auslegung jedenfalls naheliegend. Ganz unzweifelhaft ist jedenfalls, dass die Kläger mit einer solchen Auslegung rechnen mussten und auf ein entgegenstehendes Verständnis keine Dispositionen stützen konnten.

120

1. Ein Vertrauen lässt sich insoweit jedenfalls nicht einfach hin auf den Wortlaut stützen. Die Auslegung einer solchen Bestimmung bedarf einer verständigen Würdigung in ihrem Gesamtzusammenhang unter Berücksichtigung auch von Entstehungsgeschichte, Systematik sowie Sinn und Zweck.

121

Zwar verweist der Wortlaut des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. ausdrücklich nur auf § 8b Abs. 2 KStG a.F., der die steuerliche Nichtberücksichtigung der Gewinne anordnet, nicht aber auch auf dessen Abs. 3, der die Nichtberücksichtigung der Verluste regelt. Dies schließt jedoch nicht aus, dass dieser Verweis möglicherweise doch weiter zu verstehen ist. Gerade in komplexen Materien wie dem Steuerrecht, in denen nicht jeder Fall vom Gesetzgeber vorgedacht werden kann, ist es Aufgabe der Fachgerichtsbarkeit, die Normen nicht in einer punktuell beziehungslosen Wortlautauslegung zu exekutieren, sondern sie aus ihrer Entstehungsgeschichte, ihrer Systematik und den gesetzgeberischen Leitideen heraus zu interpretieren, mit Sinn zu füllen und rechtsfortbildend weiter zu entwickeln. Die strengen Grenzen des Art. 103 Abs. 2 GG, die für den besonderen Bereich des Strafrechts im Zweifel alle Unklarheiten zugunsten des Bürgers durchschlagen lassen, gelten hier nicht. Die Rechtsprechung hat vielmehr den im Gesetz angelegten Ausgleich von privaten und öffentlichen Interessen in einer beiden Seiten gerecht werdenden Weise fort zudenken und ihm Gestalt zu geben. Insofern steht der Wortlaut einer Auslegung, die bei verständiger Würdigung aller Gesichtspunkte schon in der ursprünglichen Fassung des § 40a Abs. 1 KAGG einen impliziten Verweis nicht nur auf § 8b Abs. 2 KStG a.F., sondern auch auf Abs. 3 KStG a.F. sieht, nicht entgegen. Eine solche Auslegung kommt auch nicht erst dann in Betracht, wenn sich anders unerträgliche Wertungswidersprüche auftun. Maßgeblich ist vielmehr, welches Verständnis sich nach Maßgabe der allgemeinen juristischen Auslegungsmethoden als das in der Sache überzeugendste und dem mutmaßlichen Willen des damaligen Gesetzgebers am nächsten kommende erweist.

122

2. Hiervon ausgehend musste auch für die alte Fassung des § 40a Abs. 1 KAGG damit gerechnet werden, dass diese in der Rechtspraxis so verstanden wird, wie der Gesetzgeber dies später klarstellend angeordnet hat. Eine solche Auslegung war auch damals zumindest naheliegend.

123

a) Die Einfügung des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. erfolgte im Gesamtzusammenhang mit der Umstellung des Körperschaftsteuerrechts vom Anrechnungsverfahren auf das Halbeinkünfteverfahren. Man wollte dabei auch die Investmentfonds möglichst systemgerecht in die neue Ordnung einbeziehen. Ausgehend von der Grundidee des § 8b KStG a.F. und in Verbindung mit dem für die Investmentfonds leitenden Transparenzprinzip liegt es insoweit nahe, dass hier Veräußerungsgewinne und -verluste ebenso wie Teilwertab- und -zuschreibungen möglichst systemgerecht, und das heißt gleichförmig und symmetrisch, in das Körperschaftsteuerrecht integriert werden sollten.

124

Der Gesetzgeber hat in den Materialien keinerlei Erklärung erkennen lassen, warum hier unter Abweichung von der Grundkonzeption des § 8b KStG a.F. nur dessen Abs. 2 anwendbar sein soll. Die Erläuterungen weisen die Einführung der §§ 38 ff. KAGG lediglich als Konsequenz der Gesetzesreform aus (vgl. BTDrucks 14/2683, S. 132) und erläutern die spätere Einfügung des § 40a KAGG a.F. nur in einzelnen technischen Aspekten (vgl. BTDrucks 14/3366, S. 126). Hiervon ausgehend spricht wenig dafür, dass mit der Regelung systemwidrig eine Abweichung vom Transparenzprinzip statuiert werden sollte. Zwar darf der Rückgriff auf das Transparenzprinzip in der Tat nicht genutzt werden, um mit systematischen Erwägungen anderweitige Entscheidungen des Gesetzgebers zu überspielen. Das Transparenzprinzip gilt nur insoweit, als der Gesetzgeber hierauf rekurriert (vgl. BFHE 130, 287 <289>; 229, 351 <357>; Schnitger/Schachinger, BB 2007, S. 801). Wenn aber der Gesetzgeber durch nichts zu erkennen gibt, dass ihn irgendwelche Sachgründe angeleitet haben, hier zu anderen Regeln zu greifen, spricht schon dies dafür, hierin eher ein Redaktionsversehen zu sehen als eine bewusste anderweitige Entscheidung.

125

Ein Indiz für ein gesetzgeberisches Redaktionsversehen lässt sich bei genetischer Auslegung im Übrigen auch daraus herleiten, dass § 8b Abs. 2 KStG a.F. nach dem ursprünglichen Stand des Gesetzentwurfs zunächst ausschließlich auf Gewinne im engeren Sinne Anwendung finden sollte, während § 8b Abs. 3 KStG a.F. sowohl Teilwertabschreibungen als auch Veräußerungsverluste erfasste. Ebenso spricht für die steuerrechtliche Gleichbehandlung von Gewinnen und Verlusten die Spezialregelung des § 8b Abs. 7 Satz 1 KStG a.F., wonach die Absätze 1 bis 6 nicht auf Anteile anzuwenden sind, die bei Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsinstituten nach § 1 Abs. 12 des Kreditwesengesetzes a.F. dem Handelsbuch zuzurechnen sind. Damit steht zugleich fest, dass bei Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsinstituten keine Differenzierung dahingehend erfolgt, dass Gewinnminderungen steuerwirksam bleiben, während Veräußerungsgewinne steuerfrei gestellt sind.

126

b) Auch in der Sache ist wenig wahrscheinlich, dass der Gesetzgeber Gewinne aus Anteilen an Investmentfonds von Steuern freistellen wollte, hiermit verbundene Verluste aber steuermindernd anerkennen wollte. Ein Hinweis darauf, dass eine solche steuerliche Form der Privatisierung von Gewinnen bei gleichzeitiger Sozialisierung der Verluste gewollt war, ist nicht ersichtlich, und Sachgründe hierfür sind nicht erkennbar. Allerdings weist das vorlegende Gericht zu Recht darauf, dass für die im konkreten Fall in Frage stehenden Teilwertabschreibungen der Wertungswiderspruch durch § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F. ein Stück weit abgemildert wird. Diese Vorschrift führt dazu, dass Gewinne und Verluste so miteinander verrechnet werden, dass jedenfalls eine doppelte Begünstigung verhindert wird, die dadurch entstehen könnte, dass in einem Jahr erzielte Gewinne steuerfrei bleiben, entsprechende Verluste im nächsten Jahr aber steuermindernd berücksichtigt werden könnten. Dennoch ändert dies nichts an der bei wörtlicher Anwendung der Norm verbleibenden Asymmetrie, dass im Gesamtergebnis die bei Veräußerung erzielten Gewinne steuerfrei sind, während Verluste zu Lasten der Allgemeinheit steuerlich in Ansatz gebracht werden können. Der Verweis auf § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F. führt zu einer Verrechnung nur bezogen auf den jeweiligen Anteil und hilft bei den nur einmalig anfallenden Veräußerungsgewinnen und -verlusten generell nicht. Die Diskrepanz zwischen der steuerlichen Relevanz von Verlusten und Gewinnen kommt hier voll zur Geltung, ohne dass hierfür irgendeine Rechtfertigung ersichtlich wäre. Als fernliegend erscheint es dabei, die Bedeutung des Verweises auf § 8b Abs. 2 KStG a.F. für Teilwertab- und -zuschreibungen anders zu interpretieren als für die Veräußerungsgewinne und -verluste.

127

All diese Verkomplizierungen lösen sich auf, wenn man systematisch folgerichtig § 40a Abs. 1 KAGG a.F. von vornherein so versteht, dass er schon immer nicht nur auf Abs. 2, sondern auch auf Abs. 3 verwiesen hat - wie ja im Übrigen auch unstreitig ist, dass der gleichfalls nicht vom Wortlaut umfasste Abs. 4 anwendbar ist.

128

c) Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, diese Frage abschließend zu klären. Dies wird - in Folge der Mehrheitsmeinung im Senat - nun Aufgabe der Fachgerichte sein. Angesichts der triftigen Argumente, die schon ursprünglich für die Auslegung sprachen, die der Gesetzgeber dann auch ausdrücklich bekräftigt hat, kann die rückwirkende Erstreckung dieser Regelung auf die offen gebliebenen Altfälle dann aber nicht als Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes beurteilt werden. Die klagenden Banken mussten von Anfang an damit rechnen, dass sie ihre Teilwertabschreibungen nicht steuermindernd geltend machen können. Das gilt umso mehr, als die hier in Frage stehenden Auslegungsfragen schon früh bekannt waren und in der Regel Unternehmen, insbesondere Banken mit kompetenten Rechtsabteilungen, betreffen, die solche Unklarheiten im Zweifel schneller erkennen als die Finanzbehörden selbst.

129

3. Dass der Gesetzgeber in dieser Lage nicht selbst auch für die Altfälle eine Regelung treffen darf, leuchtet nicht ein. Die Annahme eines prinzipiellen Reservats der Fachgerichtsbarkeit für die Lösung dieser Fälle überzeugt - wie dargelegt - schon grundsätzlich nicht. Wenig einleuchtend sind aber auch die vom Senat ergänzend herangezogenen Abgrenzungskriterien für die Anerkennung von Ausnahmen.

130

a) Eine rückwirkende Regelung soll nach Ansicht des Senats deshalb ausscheiden, weil die alte Rechtslage zwar ungeklärt und offen, aber in einem normalen Sinne auslegungsfähig war. Verfassungsrechtlich zulässig sei eine rückwirkende Regelung nur, wenn die alte Regelung zu einer durchgreifend unverständlichen oder verworrenen Rechtslage geführt hätte. Dies sei erst dann der Fall, wenn völlig unverständlich sei, welche Bedeutung die fragliche Norm haben solle, oder die Norm völlig wirr sei. Der Gesetzgeber darf also das, was er als Redaktionsfehler ansieht, hier deshalb nicht selbst klären, weil dieser Fehler zu geringfügig war. Er hätte also gravierendere und größere Verwirrung stiftende Fehler begehen müssen - dann wäre er auch nach Ansicht des Senats zu einer rückwirkenden Regelung befugt. Überzeugend sind solche Grenzlinien nicht.

131

b) Die für den Senat maßgebliche Abgrenzung zwischen einer ungeklärten Rechtslage, die ein rückwirkendes Gesetz noch nicht rechtfertigt, und unklarer und verworrener Rechtslage, die ein solches Gesetz rechtfertigen kann, ist eine Wertungsfrage, die für künftige Fälle Spielräume belässt. Es ist zu hoffen, dass hierüber der mit vorliegender Entscheidung vom Senat eingeschlagene Irrweg doch wieder eingefangen werden kann und sich diese Entscheidung dann im Rückblick nur als Einzelfall darstellt.

132

Gerade aber wenn sie nur ein Einzelfall bleibt, muss die Entscheidung auf Widerspruch stoßen. Denn der vorliegende Fall gibt zu einem Abweichen von der Rechtsprechung besonders wenig Anlass: Es geht hier um das Vertrauen insbesondere von Banken in die steuerliche Absetzbarkeit von Verlusten in einem Geschäftsbereich, der insgesamt durch einen spekulativen Charakter geprägt ist. Praktisch dürfte es in den betroffenen Jahren vor allem auch um die Verluste in Folge der durch die Anschläge des 11. September 2001 ausgelösten Kursstürze gehen. Warum nun ausgerechnet in dieser Konstellation strengere Anforderungen an den Gesetzgeber gestellt werden als in den Fällen, in denen es um den Zugang zur Angestelltenversicherung, die Erlangung von Renten oder die Höhe der Beamtenversorgung ging, leuchtet nicht ein.

V.

133

Richtigerweise hätte § 43 Abs. 18 KAGG für verfassungsgemäß erklärt werden müssen. Dabei ist es wenig wichtig, ob man angesichts der ungeklärten Auslegung des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. schon das Vorliegen einer änderungsfähigen Rechtslage und damit überhaupt einer Rückwirkung verneint, ob man von einer nur formellen Rückwirkung ausgeht, die durch die ungeklärte Rechtslage gerechtfertigt ist (vgl. BVerfGE 126, 369 <393 ff.>), oder ob man hier eine Rückwirkung sieht, die jenseits der Alternativen von echter und unechter Rückwirkung oder deklaratorischer oder konstitutiver Rechtsänderung unmittelbar durch Verweis auf die offene Rechtsfrage zu lösen ist (vgl. BVerfGE 50, 177 <193 f.>; 131, 20 <40 ff.>). Maßgeblich ist allein, dass im Ergebnis auf die Frage abgestellt werden muss, in welchem Umfang die bisherige Rechtslage ein berechtigtes Vertrauen begründet hat. Und ein solches Vertrauen besteht im vorliegenden Fall schlicht nicht.

134

Nur durch ein konsequentes Abstellen auf ein berechtigtes Vertrauen in die bestehende Rechtslage behält die Rückwirkungsrechtsprechung ihren Charakter als Schutz individueller Freiheit und Selbstbestimmung. Mit der vorliegenden Entscheidung verformt der Senat die Rückwirkungsrechtsprechung zu einem Instrument der Absicherung eines Reservats der Rechtsprechung. Der Gesetzgeber wird aus seiner Verantwortung gedrängt und der Bereich politisch-parlamentarischer Entscheidung ungerechtfertigt eingeengt. Dies entspricht dem Bild der Demokratie des Grundgesetzes nicht.

Tenor

Die Anträge des Klägers und der Beklagten, die Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 10. Februar 2015 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 4. Kammer - zuzulassen, werden abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens zu 77 % und die Beklagte zu 23 %.

Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 198.290,88 € festgesetzt.

Gründe

1

Die Anträge des Klägers (I.) und der Beklagten (II.) haben keinen Erfolg.

2

I. Der statthafte Antrag des Klägers ist unbegründet.

3

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO macht der Kläger nicht in hinreichender Weise geltend.

4

Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist immer schon dann erfüllt, wenn im Zulassungsverfahren ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Schlüssige Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn mit dem Zulassungsantrag substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (so BVerfG, Beschl. v. 20. Dezember 2010 - 1 BvR 2011/10 -, zit. nach JURIS).

5

Diese Voraussetzung liegt nicht vor.

6

a) Das Kostenbeteiligungssystem des § 23 Abs. 5 StrG LSA findet - wie der beschließende Senat in seinem Urteil vom 24. März 2009 (- 4 L 438/06 -, zit. nach JURIS) im Einzelnen dargelegt hat - keine unmittelbare Anwendung auf vor Inkrafttreten des Straßengesetzes (10. Juli 1993) hergestellte oder erneuerte Abwasseranlagen. Entgegen der Ansicht des Klägers folgt angesichts des Wortlauts der Regelung und des Fehlens von Übergangsvorschriften weder aus der Formulierung „Erfolgt eine Straßenentwässerung…“ noch aus dem Anschlussgrad der Bevölkerung an eine zentrale Abwasserentsorgung im Jahre 1990 eine Erstreckung der Norm auf vor dem Inkrafttreten des Straßengesetzes bereits hergestellte oder erneuerte Anlagen.

7

Auch eine analoge Anwendung des § 23 Abs. 5 StrG LSA kommt mit dem Verwaltungsgericht nicht in Betracht.

8

Jede Art der richterlichen Rechtsfortbildung (hier die Analogie) setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern oder durch eine judikative Lösung ersetzen. Ob eine Gesetzeslücke vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob die vom Regelungsprogramm des Gesetzgebers erfassten Fälle in den gesetzlichen Vorschriften tatsächlich Berücksichtigung gefunden haben. Sie ist zu bejahen, wenn festzustellen ist, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht alle Fälle erfasst, die nach dem Sinn und Zweck der Regelung erfasst sein sollten (so BVerwG, Urt. v. 12. September 2013 - 5 C 35.12 -, zit. nach JURIS, m.w.N.) bzw. wenn der Anwendungsbereich der Norm wegen eines versehentlichen, mit dem Normzweck unvereinbaren Regelungsversäumnisses des Normgebers unvollständig ist (so BVerwG, Urt. v. 25. April 2013 - 6 C 5.12 -, zit. nach JURIS, m.w.N.).

9

Nach diesen Maßgaben liegt schon keine Regelungslücke vor, da ein versehentliches Regelungsversäumnis des Gesetzgebers nicht anzunehmen ist. Dagegen spricht der aus dem Fehlen einer differenzierenden Übergangsregelung herzuleitende Wille des Gesetzgebers, das Kostenbeteiligungssystem des § 23 Abs. 5 StrG ausschließlich auf nach Inkrafttreten des Straßengesetzes hergestellte oder erneuerte Anlagen anzuwenden. Dass nach den maßgeblichen Regelungen der DDR die Einleitung des Straßenoberflächenwasser in Entwässerungseinrichtungen, die dem Bereich der Wasserwirtschaft oder anderen Rechtsträgern zuzuordnen waren, entgeltfrei waren, lässt keine hinreichenden Rückschlüsse auf ein Regelungsversäumnis zu. Denn nach den DDR-Vorschriften gab es gerade - worauf der Kläger selbst hinweist - auch keine Kostenbeteiligungsregelung. Die Bestimmung des § 23 Abs. 2 StrG LSA ist sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach ihrem Sinn und Zweck nicht mit § 23 Abs. 5 StrG LSA vergleichbar.

10

Die Anwendbarkeit des KAG LSA auf die Einleitung von Straßenoberflächenwasser in die Einrichtung einer mit dem Träger der Straßenbaulast nicht identischen Körperschaft wird weiterhin nicht durch § 51 Abs. 8 StrG LSA ausgeschlossen. Danach gelten nach früherem Recht bewilligte Nutzungen an Straßen als Sondernutzungen (§ 18) oder sonstige Nutzungen (§ 23) nach diesem Gesetz (Satz 1). Werden sonstige Nutzungen verändert, ist der Abschluss eines Nutzungsvertrages erforderlich (Satz 2). Dabei geht es aber um die Benutzung der Straße (vgl. § 18 Abs. 1 Satz 1 StrG LSA) bzw. des Eigentums der Straßen (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 1 StrG LSA) durch Dritte. Die dem Straßenbaulastträger zuzurechnende Einleitung von Straßenoberflächenwasser in die Einrichtung einer anderen Körperschaft ist nicht als Nutzung der Straße i.S.d. § 51 Abs. 8 StrG LSA anzusehen.

11

b) Da weder § 22 GO LSA bzw. § 24 Abs. 1 KVG LSA noch die §§ 5 Abs. 1 Satz 1, 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA bestimmen, was als öffentliche (leitungsgebundene) Einrichtung im Sinne dieser Vorschrift gilt, muss die Gemeinde für das Gebühren- und Beitragsrecht der leitungsgebundenen Anlagen grundsätzlich in einer Satzung regeln, ob sie eine oder mehrere öffentliche Einrichtungen betreibt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 28. September 2009 - 4 K 356/08 -, zit. nach JURIS). Welchen Zwecken eine öffentliche Einrichtung dient und welchen Nutzungsumfang sie hat, wird durch ihre Widmung bestimmt (vgl. OVG Niedersachsen, Beschl. v. 11. Dezember 2012 - 10 ME 130/12 -; OVG Thüringen, Urt. v. 8. September 2011 - 4 KO 30/08 -, jeweils zit. nach JURIS). Die Widmung ist vorbehaltlich gesetzlicher Regelungen nicht formgebunden. Sie kann insbesondere auch konkludent erfolgen; dazu ist eine Würdigung der Gesamtumstände erforderlich (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 21. Oktober 2014 - 4 L 195/13 -, zit. nach JURIS, m.w.N.; Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 4 Rdnr. 46, m.w.N.). Danach kann sich die Bestimmung des Zwecks und des Umfangs der Einrichtung sowohl aus der Abgabensatzung als auch der (technischen) Anschlussatzung ergeben (so auch VG Magdeburg, Urt. v. 11. November 2014 - 9 A 150/14 -, zit. nach JURIS; vgl. weiter OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 4. November 2004 - 1 L 252/03 -, zit. nach JURIS). Soweit der Kläger demgegenüber auf eine Literaturmeinung (Driehaus, a.a.O., § 6, Rdnr. 702) abhebt, ergibt sich aus der dort zitierten Entscheidung des für das Kommunalabgabenrecht früher zuständigen 1. Senats (Urt. v. 9. Oktober 2003 - 1 K 459/01 -, zit. nach JURIS) nichts anderes. Zudem ist es auch nach dieser Literaturmeinung nicht ausgeschlossen, die Widmung insgesamt in einer der beiden Satzungen vorzunehmen. Lediglich für den Fall widersprechender Regelungen wird dort die Frage des Vorrangs erörtert (vgl. auch OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 28. September 2009 -, a.a.O.).

12

Mit den auf dieser Grundlage getroffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zum Umfang und Zweck der Einrichtung der Beklagten setzt sich der Kläger schon nicht hinreichend i.S.d. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO auseinander. Das Gericht hat im Einzelnen dargelegt, die Beklagte habe mit den § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 und 2 ihrer Abwasserbeseitigungssatzung vom 25. März 1999 i.d.F. der Änderungssatzung vom 26. August 2004 sowie den § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 2 und 4 ihrer Abwasserbeseitigungssatzungen vom 26. November 2009 und 28. Juli 2011 bestimmt, dass sie eine rechtlich selbständige öffentliche Einrichtung zur Niederschlagswasserbeseitigung betreibe, deren Zweck auch die Beseitigung von Straßenoberflächenwasser umfasse. Die bloße Behauptung des Klägers, die Satzung enthalte keine Definition einer Niederschlagswasserbeseitigungsanlage für Grundstücksoberflächenwasser und Straßenoberflächenwasser, für deren Richtigkeit er lediglich den Wortlaut des § 1 Abs. 1 bis 3 der Abwassersatzung der Beklagten vom 28. Juli 2011 wiedergibt, ist nicht ausreichend.

13

Auf Grund des Fehlens substanziierter Rügen kann danach offen bleiben, ob die Regelungen in den Abwasserbeseitigungssatzungen vom 25. März 1999 i.d.F. der Änderungssatzung vom 26. August 2004 sowie den Abwasserbeseitigungssatzungen vom 26. November 2009 und 28. Juli 2011 auf Grund einer fehlenden Anpassung des Grundstücksbegriffs rechtlichen Bedenken unterliegen (vgl. dazu VG Magdeburg, Urt. v. 11. November 2014, a.a.O.; Driehaus, a.a.O., § 6 Rdnr. 747b) und ob die mit § 15 der Abwassergebührensatzung der Beklagten vom 17. Dezember 2009 i.d.F. der 1. Änderungssatzung vom 27. September 2012 - AGS 2012 - auch für § 2 Abs. 1 AGS 2012 angeordnete Rückwirkung unzulässig ist.

14

c) Eine Zusammenfassung von Anlagen der Trennkanalisation und Mischkanalisation zu einer einheitlichen Einrichtung der Niederschlagswasserbeseitigung ist zulässig.

15

Nach ständiger Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt steht der Gemeinde bei der Frage, ob und mit welchem Umfang sie eine öffentliche Einrichtung betreibt und ob sie dabei technisch getrennte Entsorgungssysteme zusammenfasst oder nicht, ein weites Organisationsermessen zu. Die Grenze des Organisationsermessens einer Gemeinde ist allein das Willkürverbot des Art. 3 GG. Das Willkürverbot ist allerdings erst dann verletzt, wenn technisch voneinander unabhängige Entwässerungssysteme rechtlich zu einer Einrichtung zusammengefasst werden, die infolge ihrer unterschiedlichen Arbeitsweise und/oder Arbeitsergebnisse den anzuschließenden Grundstücken bzw. Flächen so unterschiedliche Vorteile vermitteln, dass sie schlechterdings nicht vergleichbar sind (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 25. Juli 2011 - 4 L 182/10 -; Beschl. v. 28. September 2009 - 4 K 356/08 -, jeweils zit. nach JURIS, m.w.N.).

16

Im Vergleich der Niederschlagswasserbeseitigung im Trenn- und Mischsystem ergeben sich zwar unterschiedliche Arbeitsweisen, da Unterschiede hinsichtlich der Notwendigkeit der Reinigung des Abwassers bestehen. Vor dem Hintergrund, dass von einem eher aufgabenbezogenen Begriff der öffentlichen Einrichtung auszugehen ist und sich daran das Organisationsermessen der Gemeinde misst, treten die technischen Unterschiede zwischen Trenn- und Mischsystem aber hinter dem gemeinsamen Zweck der Abwasserbeseitigung zurück (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 28. September 2009 -, a.a.O.; Beschl. v. 16. Juni 2010 - 4 M 41/10 -; vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 31. Oktober 2012 - 9 A 9/11 -, zit. nach JURIS).

17

Soweit der Kläger ohne weitere Erläuterung geltend macht, es bleibe die „Frage unbeantwortet, in welches System die betroffenen Straßenflächen entwässern - in einen Mischwasserkanal oder einen Regenwasserkanal“, ist schon offen, welche rechtliche Schlussfolgerung er daraus ziehen will.

18

d) Danach ist grundsätzlich auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte für die Niederschlagswasserbeseitigung im Trenn- und im Mischsystem einen einheitlichen Gebührensatz festgelegt hat. Es bestehen keine im gebührenrechtlichen Sinne erheblichen Leistungs- bzw. Benutzungsunterschiede zwischen den an das Trennsystem und den an das Mischsystem angeschlossenen Einleitern von Niederschlagswasser, die deswegen eine getrennte Gebührenfestsetzung erlauben oder sogar gebieten würden. Die Leistung der Beklagten gegenüber den Gebührenschuldnern besteht aus der Abnahme des auf ihren Grundstücken bzw. Flächen anfallenden Oberflächenwassers. Ob dieses Niederschlagswasser sofort in den Vorfluter geleitet oder vorher noch gereinigt wird, ist unabhängig von seiner Beschaffenheit oder von sonstigen durch die Gebührenschuldner beeinflussbaren Faktoren, sondern richtet sich allein nach der Art der Anschlussleitung. Für die Gebührenschuldner ist es zudem unerheblich, welchen Weg das Niederschlagswasser nach dessen Abnahme durch die Beklagte nimmt. Es ist danach durchaus sachgerecht und geboten, die Kosten für den Betrieb der Entwässerungseinrichtung trotz des Bestehens von Trenn- und Mischkanälen innerhalb der Einrichtung nach einheitlichen Gebührensätzen auf alle Nutzer umzulegen (OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 16. Juni 2010 - 4 M 41/10 -, m.w.N.; vgl. auch VG Magdeburg, Urt. v. 11. November 2014 - 9 A 150/14 -; VG Halle, Urt. v. 19. April 2012 - 4 A 298/10 -, jeweils zit. nach JURIS).

19

e) Soweit der Kläger der Feststellung des Verwaltungsgerichts, unter Entwässerungsanlagen i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 StrG LSA seien nur vom Träger der Straßenbaulast für die Ableitung des Straßenoberflächenwassers speziell eingerichtete Anlagen(teile) zu verstehen (vgl. auch Kodal, Straßenrecht, 7. A., S. 274), mit dem Hinweis entgegen tritt, sowohl bei straßeneigenen als auch bei nicht straßeneigenen Abwasseranlagen seien Straßeneinläufe durchaus üblich, setzt er sich schon nicht hinreichend mit der Entscheidung auseinander. Die vom Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf § 23 Abs. 5 StrG LSA getroffene Feststellung wird durch dieses Vorbringen des Klägers von vornherein nicht in Frage gestellt.

20

Selbst wenn im Übrigen Straßeneinläufe und Verbindungsleitungen, durch welche das Straßenoberflächenwasser in die Niederschlagswasserbeseitigungseinrichtung der Beklagten geleitet wird, allein Teil der öffentlichen Straße i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 StrG LSA sein sollten und damit möglicherweise dem Einrichtungsbegriff des Kommunalabgabegesetzes entzogen sind, dürfte damit nicht die Erhebung von Benutzungsgebühren für die Entsorgung des Straßenoberflächenwassers ausgeschlossen sein (a.M. noch OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 24. März 2009, a.a.O.). Vielmehr dürfte allein fraglich sein, ob die auf die Straßeneinläufe und Verbindungsleitungen entfallenden Kosten als Kosten der Einrichtung angesehen werden können (vgl. dazu Driehaus, a.a.O., § 6 Rdnr. 352b, 747d).

21

f) Da das Niederschlagswasser von den Straßenoberflächen unstreitig in die Einrichtung der Beklagten gelangt ist, nahm der Kläger die Einrichtung i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA in Anspruch (so auch VG Magdeburg, Urt. v. 11. November 2014, a.a.O.). Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, es liege keine (freiwillige) Inanspruchnahme vor, weil die Straßenbaulastträger in Bezug auf die Altanlagen die historisch bedingte Anschlusssituation hätte hinnehmen müssen. Ausreichend ist, dass das Niederschlagswasser der Straßenoberflächen in den Gebührenzeiträumen mit Kenntnis des Klägers tatsächlich über die Einrichtung der Beklagten entsorgt worden ist (vgl. auch Driehaus, a.a.O., § 6 Rdnr. 349, m.w.N.; vgl. weiter OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 21. Oktober 2014 - 4 L 195/13 -, zit. nach JURIS zu Schmutzwasser). Eine besondere Motivation des Klägers, insbesondere dessen Bereitschaft, für die Inanspruchnahme auch die anfallenden Gebühren zu zahlen, war nicht erforderlich (vgl. dazu auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 7. Oktober 1996 - 9 A 4145/94 -, zit. nach JURIS).

22

g) Dass die Beklagte nicht von der in § 5 Abs. 1 Satz 2 HS 2 KAG LSA eingeräumten Befugnis hinsichtlich der Gebührenerhebung für Straßenbaulastträger Gebrauch gemacht hat, ist nicht zu beanstanden. Danach können die Landkreise und Gemeinden niedrigere Gebühren erheben oder von Gebühren absehen, soweit daran ein öffentliches Interesse besteht. Dass und warum an einer (teilweisen) Gebührenentlastung für Straßenbaulastträger an sich i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 HS 2 KAG LSA ein öffentliches Interesse bestehen könnte, zeigt der Kläger nicht auf. Sein Hinweis, Straßenbaulastträger erfüllten mit der Vorhaltung entsprechend klassifizierter Straßen eine wesentliche öffentliche Aufgabe, verfehlt den Regelungsgehalt der Bestimmung. Es geht um das öffentliche Interesse daran, die Einrichtung unentgeltlich oder gegen ermäßigte Gebühren zur Verfügung zu stellen (vgl. Rosenzweig/Freese/v. Waldthausen, NKAG, § 5 Rdnr. 57; vgl. auch Driehaus, a.a.O., § 6 Rdnr. 752, 753), nicht aber um das öffentliche Interesse an der Einrichtung selbst oder gar an der konkreten Nutzung der von der Benutzungsgebühr betroffenen Flächen. Dass die Allgemeinheit einen Nutzen davon hat, dass das auf den betroffenen Straßen anfallende Niederschlagswasser ordnungsgemäß abgeleitet und damit die Verkehrssicherheit der Straßen gewährleistet wird, ändert nichts daran, dass die Beklagte damit eine Leistung i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA für den Kläger erbracht hat (vgl. dazu auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24. Juli 2013 - 9 A 1290/12 -, zit. nach JURIS).

23

Nicht entschieden werden muss danach, ob angesichts der Ausgestaltung der Regelung als Ausnahmevorschrift eine ausdrückliche Ausübung der eingeräumten Befugnis überhaupt erforderlich wäre. Es handelt sich nicht um eine Ermessensentscheidung im Sinne der Lehre vom Verwaltungsermessen, so dass die Anforderungen an Ermessensverwaltungsakte nicht übertragen werden können.

24

II. Der Zulassungsantrag der Beklagten ist ebenfalls unbegründet.

25

1. Die von ihr geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nicht.

26

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die in § 15 AGS 2012 enthaltene Rückwirkungsanordnung in Bezug auf § 5 Abs. 4 und 5 AGS 2012 nichtig ist, weil es sich dabei um eine unzulässige echte Rückwirkung handele. Die dagegen erhobenen Einwendungen der Beklagten sind nicht durchgreifend.

27

Die rückwirkende Erweiterung des Kreises der Abgabepflichtigen in einer Abgabesatzung ist mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. § 2 Abs. 1 KAG LSA) grundsätzlich nicht zu vereinbaren. Vertrauensschutz steht auch einer Rückwirkung von Gesetzen zwar dann nicht entgegen, wenn ein solches Vertrauen sachlich nicht gerechtfertigt ist. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine Rückwirkung dann zulässig ist, wenn der Abgabenschuldner in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge zurückbezogen wird, mit dieser rückwirkenden Regelung rechnen musste und sein Verhalten auf diese Regelung einrichten konnte (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 23. August 2011 - 4 L 34/10 - und Beschl. v. 15. November 2007 - 4 L 37/07 -, jeweils zit. nach JURIS, m.w.N.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 15. April 1983 - 8 C 167.81 -, zit. nach JURIS zu einer Benutzungsgebühr). Die bloße Heranziehung eines von der Gebührensatzung nicht erfassten Schuldners zu einer Benutzungsgebühr durch einen Bescheid lässt aber entgegen der Auffassung der Beklagten einen Vertrauensschutz nicht entfallen. Denn nach § 2 Abs. 1 KAG LSA dürfen kommunale Abgaben nur auf Grund einer Satzung erhoben werden, die gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG LSA u.a. den Kreis der Abgabenschuldner bestimmen muss. Dass und warum die tatsächlichen Benutzer der Einrichtung bzw. die Träger der Straßenbaulast infolge des Bescheides vom 8. Januar 2004 trotz der allein auf Gebührenpflichtige i.S.d. § 5 Abs. 5 Satz 2 KAG LSA abstellenden Regelungen in der damals geltenden Abwassergebührensatzung der Beklagten vom 13. Dezember 2001 in der Fassung der Änderungssatzung vom 30. Oktober 2003 erkennen mussten, dass auch sie nach der Satzungslage gebührenpflichtig sein sollten, legt die Beklagte nicht dar. Nach dieser Satzung waren nur die Grundstückseigentümer sowie die sonst dinglich Nutzungsberechtigten der Grundstücke gebührenpflichtig.

28

Ohne Erfolg macht die Beklagte weiter geltend, die Straßenbaulastträger seien Eigentümer im Sinne der Gebührensatzung und verweist dazu auf die Regelung des § 13 Abs. 4 StrG LSA. Danach stehen dem Träger der Straßenbaulast bis zum Erwerb des für die Straßen in Anspruch genommenen Grundstücks nach Maßgabe des Abs. 2 die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Rechte zu (Satz 1) und er hat in diesem Zeitraum auch die Pflichten des Eigentümers wahrzunehmen (Satz 2).

29

Es spricht schon Überwiegendes dafür, dass § 5 Abs. 5 Satz 2 KAG LSA eine abschließende Festlegung auf den zivilrechtlichen Eigentümer des Grundstücks, d.h. den Bucheigentümer, vornimmt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 16. Februar 2006 - 4 L 301/05 -, zit. nach JURIS, m.w.N.; Driehaus, a.a.O., § 6 Rdnr. 718f). Dementsprechend wird auch nach der sonstigen obergerichtlichen Rechtsprechung der Träger der Straßenbaulast trotz der Übernahme der Rechte und Pflichten des Eigentümers satzungsrechtlich nicht als solcher angesehen (vgl. OVG Thüringen, Beschl. v. 11. Juni 2009 - 4 EO 109/06 -; OVG Saarland, Teilurteil v. 5. September 2007 - 1 A 44/07 -; VGH Hessen, Beschl. v. 7. November 2000 - 5 TZ 114/00 -; OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 12. Juli 2000 - 2 L 28/99 -, jeweils zit. nach JURIS). Dies muss aber nicht abschließend entschieden werden.

30

Wenn in einer Abgabensatzung nur auf den „Eigentümer“ abgestellt wird, ist damit bei Fehlen entgegenstehender Hinweise in der Satzung allein der zivilrechtliche Eigentümer gemeint. Dies ergibt sich schon aus dem allgemeinen Sprachgebrauch, der mit dem Begriff „Eigentümer“ nur den zivilrechtlichen Eigentümer (§§ 903 ff. BGB) verknüpft (so OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 16. Februar 2006, a.a.O.). Dass darunter auch der Träger der Straßenbaulast in den Fällen des § 13 Abs. 4 StrG LSA fallen sollte, behauptet die Beklagte lediglich, ohne dies im Einzelnen zu belegen. Der bloße Hinweis, der Träger der Straßenbaulast nehme die Pflichten des Eigentümers wahr, ist nicht ausreichend.

31

2. Weiterhin zeigt die Beklagte keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf.

32

Die Beklagte formuliert schon keine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage. Soweit sie sich auf die „Einzelheiten der Gebührenerhebung“ bezieht und geltend macht, es werde „Rechtsklarheit darüber benötigt, in welchen konkreten Fällen die Gebühren erhoben werden dürfen und wie diese zu geschehen hat“, handelt es sich ebenfalls lediglich um die Angabe eines Themengebietes. Dasselbe gilt für ihr Vorbringen, die Beteiligten stritten „um die Frage, ob es der Beklagten erlaubt ist, gegenüber der Klägerin Niederschlagswassergebühren für die Straßenentwässerung zu erheben“.

33

Im Übrigen fehlen substanziierte Ausführungen der Beklagten zur Entscheidungserheblichkeit und Klärungsbedürftigkeit.

34

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

35

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 3 GKG.

36

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung eines von dem Beklagten als Herstellungsbeitrag II bezeichneten Beitrags.

2

Der Kläger ist seit dem 17.06.1999 Eigentümer des in der Gemarkung A-Stadt, Flur gelegenen Flurstücks, das im Grundbuch von A-Stadt Blatt 6186 unter der laufenden Nr. 1 als Gebäude- und Freifläche, A-Straße mit einer Größe von 641 qm eingetragen ist. Das Grundstück ist zweigeschossig bebaut. Bereits vor dem 15.06.1991 verlief vor dem klägerischen Grundstück ein Hauptsammler für Abwasser.

3

Mit Bescheid vom 21.03.2011 setzte der Beklagte gegenüber dem Kläger für das vorbezeichnete Grundstück einen „Herstellungsbeitrag II Schmutzwasser“ in Höhe von 794,84 EUR ausgehend von einer angeschlossenen Fläche von 641 qm, einem Vollgeschossfaktor von 0,4 für die zweigeschossige Bebauung und einem Beitragssatz von 3,10 EUR/qm fest.

4

Der Kläger hat gegen den Beitragsbescheid unter dem 25.03.2011 Widerspruch mit der Begründung eingelegt, das Grundstück im Dezember 1998 erworben zu haben und im Zuge von Umbaumaßnahmen einen neuen Anschluss erhalten zu haben, den er auch bezahlt habe.

5

Mit dem Kläger am 02.07.2011 zugestelltem Widerspruchsbescheid vom 29.06.2011 wies der Beklagte den klägerischen Widerspruch zurück.

6

Hiergegen hat der Kläger am 29.07.2011 Klage beim erkennenden Gericht erhoben und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Das Gericht hat mit Beschluss vom 12.06.2012 den Eilantrag abgelehnt (Az.: 9 B 91/12 MD).

7

Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger im Wesentlichen vor, dass das im Jahr 1916 bebaute Grundstück im Jahr 1991 nicht angeschlossen gewesen, mithin der Tatbestand des § 5 Abs. 2 der Abgabensatzung nicht erfüllt sei. Der Beklagte gehe in seiner „Beitragsbedarfsberechnung vom 25.03.2002“ (vgl. Generalvorgang) selbst davon aus, dass sein Grundstück erstmals 1994 an die fertig gestellte Anlage angeschlossen gewesen sei bzw. hätte angeschlossen werden können. Beim Erwerb des Hauses im Jahr 1998 sei dieses schon langjährig unbewohnt gewesen und aufgrund des Reparaturstaus überhaupt nicht nutzbar. Die von ihm beauftragte Firma ... GmbH habe im Jahr 1999 mit der Sanierung begonnen, dabei sei festgestellt worden, dass die Pläne des Beklagten hinsichtlich der Anschlusssituation nicht mit dem tatsächlichen Bestand übereingestimmt hätten. Das Grundstück sei nicht angeschlossen gewesen, sondern über Güllegruben entsorgt worden. Vom Vorderhaus seien keinerlei Abflussleitungen zur Straße geführt worden. Die Entwässerung erfolgte rückwärtig zu einer Güllegrube, die im Rahmen der Baumaßnahme verfüllt worden sei.

8

Der Beklagte sei nicht berechtigt, den streitbefangenen Beitrag zu erheben, denn die Anlage sei unter Wahrung ihrer Identität lediglich erneuert worden, da aufgrund Verschleißes eine Modernisierung notwendig gewesen sei. Es komme nicht auf die Identität des Rechtsträgers der Altanlage, sondern auf die Identität der Anlage selbst an. Die Schaffung einer neuen Anlage liege nicht vor. Der Herstellungsbeitrag scheide auch bereits dem Grunde nach aus. Den Gemeinden oblag nach der aufgrund Einigungsvertrags anwendbaren Kommunalverfassung der DDR vom 17.05.1990 bereits vor Inkrafttreten des Landeswassergesetzes Sachsen-Anhalt die Pflicht zur Abwasserentsorgung und Wasserversorgung. Da die Rechtsprechung eine Rechtsnachfolge von DDR-Kommunen ablehne, gewinne entscheidungserheblicher Bedeutung, dass Gemeinden sich faktisch den Altanlagen bemächtigt und jedenfalls konkludent durch Öffnung der Anlage gewidmet haben. In der Folge seien Benutzungsgebühren erhoben und die Eigentümer dem Benutzungszwang unterworfen worden. Den Gemeinden – hier die Stadt A-Stadt – seien die Altanlagen zugeordnet worden. Mit dieser Zuordnung sei die (neue) öffentliche Einrichtung entstanden, hierin sei die erstmalige Herstellung zu erblicken, da sich der Vorteil bereits ergeben habe. Heute erfolgende Baumaßnahmen dürften folglich nicht mehr als erstmalige Herstellung einer Anlage deklariert werden. Die Vorteilslage sei bereits „mit dem Eintritt des Verbandes“ und seinem Benutzungszwang des bestehenden Altsystems gegeben gewesen.

9

Der Alteigentümer werde gegenüber den Neuanschlussnehmern benachteiligt; Vorteilsgerechtigkeit sei nicht gegeben.

10

Der streitbefangene Bescheid sei zu unbestimmt. Umlagefähige Maßnahmen, die ausgeführt worden seien, würden nicht bezeichnet. Welche beitragsfähigen Neuanlagen mit welchem Kostenanteil in die Kalkulation des Herstellungsbeitrags II eingestellt worden seien, werde nicht ansatzweise ausgeführt. Es müsse davon ausgegangen werden, dass der Beklagte unzulässige Sanierungskosten in den Herstellungsbeitrag II eingestellt habe, denn Teile der Anlage stammten aus den 30-er Jahren. Auch Unterhaltungsmaßnahmen seien lediglich gebühren-, jedoch nicht beitragsfähig. Der faktische Austausch der tatsächlich bestehenden Anlage wegen Verschleißes und deren Modernisierung, sei keine Herstellung, denn eine Anlage sei nicht nur rein technisch, sondern auch rechtlich zu verstehen. Eine neue Anlage sei nicht geschaffen worden, da die Identität der Anlage gewahrt geblieben sei.

11

Mit Nichtwissen werde bestritten, dass nach dem maßgebenden Stichtag überhaupt beitragsfähige Anlagenteile geschaffen worden seien.

12

Nicht nachvollziehbar sei, ob der Beklagte denjenigen Aufwand herausgerechnet habe, der ausschließlich Neuanschlussnehmern diene. Es bestehe der Anschein, dass der Beklagte Deckungslücken über Beiträge refinanziert habe, anstatt den nicht beitragsfähigen Investitionsanteil über laufende Benutzungsgebühren zu finanzieren.

13

Der in der Beitragssatzung verwendete Vollgeschossfaktor sei willkürlich gegriffen worden und finde im Gesetz keinen Niederschlag.

14

Der in der Satzung festgelegte Beitragssatz sei überhöht und in wesentlichen Teilen nicht nachprüfbar. Aus den Medien sei bekannt, dass der Beklagte einen Teil seines Herstellungsaufwands durch Gebühren/Entgelte realisiert habe, diese seien vom Aufwand abzusetzen. Die tabellarische Übersicht zeige, dass sich die Gebührensätze seit 1992 auf einem hohen Level befunden hätten. Weshalb es der Einnahme eines Herstellungsbeitrags II aufgrund der Satzung vom 29.09.2010 bedurft habe, sei deshalb nicht erkennbar, weil – wie der frühere Geschäftsführer des Beklagten, Herr P…, in einem Interview im „… Kreisanzeiger“ vom 22.01.2004 erläutert habe – die Senkung der Gebühren deshalb möglich sei, weil „a l l e“ Investitionen durch die Gebühren- und Beitragskalkulation bereits finanziert worden seien. Die Anlagen seien zum Teil schon 12 Jahre alt und damit praktisch schon erwirtschaftet. Mindestens 10,208 Mio. EUR, die der Beklagte in die Kalkulation des Herstellungsbeitrags II eingestellt habe, seien bereits durch Gebühren gedeckt. Das Niveau des Beitragssatzes sei seit 1992 nahezu gleichbleibend, so dass die Vermutung naheliege, dass zuvor eine Gebührenfinanzierung erfolgt sei, d.h. dieser Anteil aus dem beitragsfähigen Investitionsaufwand herauszurechnen sei. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Beklagte zwei Mal abrechne, einmal über Abschreibungen (kalkulatorische Kosten der Anlage) als auch über den Herstellungsbeitrag II. Denn der Beklagte verlange im Rahmen des kalkulatorischen Aufwands faktisch Vorschüsse auf Maßnahmen der nächsten 40 Jahre. Die Kosten für die Erneuerung der Schmutzwasserkanäle und Hausanschlüsse würden durch Abschreibungen über den Gebührenhaushalt refinanziert, so dass sie nicht zum Aufwand des Herstellungsbeitrags II gehören könnten. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass dieser Aufwand bereits in den vorangegangenen Gebührenkalkulationen seinen Niederschlag gefunden habe, mithin nunmehr doppelt berücksichtigt werde.

15

Die Satzung vom 29.09.2010 sei nicht wirksam, weil Altanschließer zeitlich unbeschränkt herangezogen werden dürften und sie dadurch unangemessen benachteiligt würden. Die Änderung des Kommunalabgabengesetzes des Landes (§§ 13b, 18 KAG LSA) habe weder eine Heilung der Satzung noch des Bescheides herbeigeführt. Es sei nicht Wille des Landesgesetzgebers gewesen, eine unwirksame Satzung zu heilen. Die neue Satzung des Beklagten vom 04.02.2015 verstoße gegen das Schlechterstellungsverbot, da in § 10 der Satzung höhere Mahngebühren verlangt würden.

16

Vor Maßnahmebeginn hätte eine Satzung mit einer Verteilungsregel beschlossen sein müssen, ansonsten entstehe keine sachliche Beitragspflicht, eine nachträglich rückwirkende Heilung der Satzung sei ausgeschlossen. Dies müsse auch für den Herstellungsbeitrag II gelten. Auch sei keine Unterrichtung der Beitragspflichtigen gemäß § 6d KAG LSA erfolgt.

17

Der in die Kalkulation eingestellte Aufwand für Druckleitungen und Pumpwerke in Höhe von 1.587.578 EUR bedeute für die Altanschließer keinen Vorteil. Der eingestellte Investitionsaufwand von 20.771.240 EUR enthalte diesen Aufwand, obgleich der Anschluss des Gefechtsübungszentrums L… und der Stadt … an das System A-Stadt keinen Vorteil für die Altanschließer bringe.

18

Die Kalkulation sei nicht nachprüfbar. Dies gelte sowohl für den Aufwand im Einzelnen, als auch die in den Ansatz gebrachten Flächen, da jedenfalls Übertragungs- und Additionsfehler nicht ausgeschlossen werden könnten. Die Höhe der in den Ansatz gebrachten Einzelpositionen werde bestritten, sie würden nicht tief genug vereinzelt. Ohne nähere Angaben und Belege könne die Richtigkeit nicht unterstellt werden. Jede eingestellte Position müsse im Einzelnen namentlich benannt und belegt werden. Nur so könne geprüft werden, ob gebührenfähiger Aufwand oder solcher, der allein Neuanschlussnehmer bevorteile, enthalten sei. Die tabellarisch erfassten Flächen würden aus der Liegenschaftskarte bzw. aus dem Liegenschaftsbuch des Beklagten stammen. Es könne nicht geprüft werden, ob der Beklagte das Flächenmaß aus dem Grundbuch oder dem Kataster richtig übernommen habe, da keine Auszüge vorlägen. Zudem seien öffentliche Verkehrsflächen sowie sonstige öffentliche Flächen zu Unrecht herausgerechnet worden. Schließlich bestehe eine Diskrepanz zwischen der Grundbuchfläche und der Beitragsfläche. Die beim Herstellungsbeitrag I berücksichtigten Flächen stimmten nicht mit denen überein, die bei der Ermittlung des Beitragssatzes des Herstellungsbeitrags II Berücksichtigung gefunden hätten. Der Kläger habe wiederholt Akteneinsicht beantragt, dem sei – auch im gerichtlichen Verfahren – nicht nachgekommen worden.

19

Der Vorteil der Allgemeinheit müsse vom Aufwand abgesetzt werden. Denn der gleiche Vorteil, den die privaten Altanschlussnehmer hätten, habe auch die Allgemeinheit, die die Anlage auch vor dem Stichtag habe nutzen können. Materielle Vorteile der Allgemeinheit seien bspw. die Bereitstellung von Löschwasser, das Durchspülen der Kanalisation, Reinigung der Straßen nach Unfällen, Oberflächenwasserentsorgung (Entwässerung von Straßen, Wegen und Plätzen), Anlagen des Überflutungsschutzes; auch dies müsse bewertet werden.

20

Erneuerungskosten seien keine beitragsfähigen Kosten im Rahmen des Herstellungsbeitrags II. Denn Kosten der Unterhaltung und des Betriebs seien allein gebührenfähig. Die Beitragspflicht erlischt ein für alle mal, wenn die öffentliche Einrichtung hergestellt sei. Dies sei hier der Fall. Auch der Tatbestand der Erweiterung sei nicht erfüllt.

21

Der Beklagte habe zu Unrecht im Rahmen der Kalkulation den Aufwand für Hausanschlüsse berücksichtigt. Diese Kosten müsse jeder Grundstückseigentümer selbst tragen.

22

§ 6 Abs. 3 KAG LSA sei missachtet worden. Die Kläranlage in A-Stadt sei überdimensioniert und nach unrealistischen Einwohnergleichwerten geplant worden (geplanter Großschlachthof, ansässiger Großbetrieb: Asbestzementwerk, A-Stadt war Garnisonsstadt); auch die Leitungen seien so überdimensioniert, dass sie zusätzlich gespült werden müssten. Die hierdurch veranlassten Mehrkosten seien nicht beitragsfähig, da sie nicht notwendig gewesen seien.

23

Die in der Abgabensatzung geregelte Tiefenbegrenzung sei fehlerhaft, da der Beklagte lediglich einen Durchschnittswert ermittelt habe, so dass nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt ein methodischer Fehler vorliege. Die zugrunde gelegten Grundstücke seien nicht repräsentativ. In A-Stadt gebe es 371 Straßen, weshalb die drei vom Beklagten berücksichtigten Straßen gewählt worden seien, bleibe offen. Die im Übrigen berücksichtigten Straßen in den Gemeinden Jävenitz, Altmersleben, Engersen, L.., ..., ...rhorst und Solpke seien bereits deshalb nicht repräsentativ, weil diese Gemeinden am Herstellungsbeitrag II nicht teilnehmen würden.

24

Auch die durchschnittliche Grundstücksgröße sei weder repräsentativ noch nachvollziehbar, sondern willkürlich ermittelt worden.

25

Der Kläger beantragt,

26

den Bescheid des Beklagten vom 21.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2011 aufzuheben.

27

Der Beklagte beantragt,

28

die Klage abzuweisen.

29

Der Beklagte verteidigt seinen Beitragsbescheid.

30

Das Gericht hat mit Beschluss vom 18.06.2013 das ursprünglich unter dem Aktenzeichen 9 A 203/11 MD geführte Verfahren ausgesetzt und am 01.06.2014 wiederaufgenommen.

31

Hinsichtlich des in der mündlichen Verhandlung am 26.03.2015 gestellten und entschiedenen Beweisantrags wird wegen des Inhalts und der begründeten Entscheidung auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang sowie die beim Gericht geführte Generalakte des Beklagten – die insbesondere dessen Satzungsrecht, die Kalkulation des Beitragssatzes des Beklagten vom 14.07.2010 (im Folgenden Kalkulation HB II), die Kalkulation des allgemeinen Herstellungsbeitragssatzes vom 01.07.2010 (im Folgenden: Kalkulation HB I) sowie die Ermittlung der Tiefenbegrenzung enthält – verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.

Entscheidungsgründe

32

I. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

33

Der Bescheid des Beklagten vom 21.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

34

Rechtsgrundlage des Bescheides über einen besonderen Herstellungsbeitrag ist § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA i.V.m. der Satzung über die Erhebung von Beiträgen, Gebühren und Abgaben für die Schmutzwasserbeseitigung des Beklagten vom 29.09.2010 – SBAS 2010 –, die in Entsprechung des § 26 Abs. 1 der Verbandssatzung des Beklagten vom 13.10.2005 ordnungsgemäß im Amtsblatt des Altmarkkreises … und des Landkreises … jeweils vom 20.10.2010 bekanntgemacht worden und am Tag nach ihrer öffentlichen Bekanntmachung in Kraft getreten ist. Danach erheben Landkreise und Gemeinden bzw. Zweckverbände nach wirksam erfolgter Aufgabenübertragung – § 6 GKG-LSA – zur Deckung ihres Aufwandes unter anderem für die erforderliche Herstellung ihrer öffentlichen Einrichtungen von den Beitragspflichtigen im Sinne von § 6 Abs. 8 KAG LSA, denen durch die Inanspruchnahme oder die Möglichkeit derselben ein Vorteil entsteht, Beiträge auf der Grundlage einer Satzung (§ 2 Abs. 1 KAG LSA), soweit der Aufwand nicht durch Gebühren gedeckt ist.

35

Zu Recht erhebt der Beklagte danach von dem Kläger einen Beitrag für die Herstellung seiner öffentlichen Einrichtung zur Schmutzwasserbeseitigung in der Form eines besonderen Herstellungsbeitrages (1.). Die der Beitragserhebung zugrunde liegende Satzung – SBAS – ist wirksam (2.). Auch die übrigen Voraussetzungen für die Erhebung des hier streitigen Beitrages liegen vor (3.).

36

1. Bei den der Beitragserhebung zugrunde liegende Maßnahmen des Beklagten handelt es sich um die Herstellung einer öffentlichen Einrichtung im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA, hier der zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung (vgl. § 1 Abs. 1 lit. a) der Satzung über die Schmutzwasserbeseitigung und den Anschluss an die öffentliche Schmutzwasseranlage vom 29.09.2010 – SAS –, § 1 Abs. 1 lit. a) SBAS 2010).

37

Der Beklagte als für die Abwasserbeseitigung zuständige Körperschaft errichtet abwassertechnische Anlagen zur zentralen Beseitigung des im Verbandsgebiet anfallenden Schmutzwassers entsprechend seines Abwasserbeseitigungskonzepts, nachdem im Verbandsgebiet bis in die 1990-er Jahre Kläranlagen in A-Stadt und … sowie mehrere Oxidationsteiche mit den dazugehörigen Leitungsnetzen betrieben wurden. Diese hat der Beklagte mit Aufgabenübertragung faktisch übernommen. Die zunächst vom Abwasserzweckverband … errichteten Anlagen wurden durch Zusammenschluss des Beklagten und des Abwasserzweckverbandes … am 01.02.2002 Teil der öffentlichen Einrichtung zur zentralen Abwasserbeseitigung. Entsprechend seines Abwasserbeseitigungskonzepts hat der Beklagte die bereits vorhandenen technischen Einrichtungen zur Abwasserbeseitigung (teilweise) dem Stand der Technik angepasst und erschließt bislang noch nicht angeschlossene Grundstücke durch Errichtung neuer Anlagen. Er beabsichtigt, über die drei vorhandenen Kläranlagen (A-Stadt, …, …), die eine Kapazität von ca. 53.7000 Einwohnerwerten (Kalkulationsstichtag 31.12.2009) aufweisen, das Abwasser dauerhaft zu entsorgen. In zulässiger Weise erhebt der Beklagte zur Deckung des insoweit erforderlichen Aufwandes Herstellungsbeiträge deshalb, weil allen davon abwasserseitig erschlossenen Grundstücken erstmalig eine dauerhafte Anschlussmöglichkeit geboten wird.

38

Die Erhebung – auch eines besonderen – Herstellungsbeitrages kommt selbstredend nur dann in Betracht, wenn für das Grundstück bislang zu keiner Zeit eine öffentliche Einrichtung (im Rechtssinne) betriebsbereit zur Verfügung gestellt wurde. Bei dieser Betrachtung ist allein daran anzuknüpfen, ob nach Lage der Dinge davon auszugehen ist, dass bereits vor der Gründung des Beklagten ein Abwasserbeseitigungskonzept beschlossen und eine diesem Konzept entsprechende Anlage vor der Gründung des Beklagten geschaffen worden ist. Hier käme allenfalls die Schaffung einer solchen öffentlichen Einrichtung durch die zum Verband gehörenden Gemeinden in Betracht, was jedoch nicht der Fall war. Mithin kann die gemeindliche Abwasserbeseitigung nach 1990 mittels der vorhandenen Altanlagen nur als (provisorische) Übergangslösung bis zur (erstmaligen) Schaffung der Abwasserbeseitigungsanlage durch den Beklagten angesehen werden (vgl. VG Magdeburg, Urt. v. 22.11.2005 - 9 A 118/04; juris).

39

Aus diesem Grunde vermag auch der Einwand, die Maßnahmen des Beklagten seien keine „Herstellung“ im rechtlichen Sinne, sondern allenfalls solche der „Unterhaltung“ oder „Sanierung“ von durch Zeitablauf mittlerweile sanierungsbedürftiger Anlageteile, nicht zu tragen. Denn der Beklagte stellt – wie dargestellt – nunmehr auch dem Grundstück des Klägers erstmals eine öffentliche Einrichtung zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung zur Verfügung (VG Magdeburg, B. v. 12.06.2012, 9 B 91/12, Rn. 26, juris). Das OVG Berlin-Brandenburg führt in dem Beschluss vom 01.03.2012 (OVG 9 S 9.12; juris) zu einem vergleichbaren Fall aus:

40

„Spätestens aufgrund der Anordnung über die Bildung der VEB Wasserversorgung und Abwasserbehandlung vom 23. März 1964 (GBl. III Nr. 20 S. 206) gab es auf dem Gebiet der damaligen DDR - rechtlich - keine kommunalen Wasser- bzw. Abwasseranlagen mehr. Erst infolge des Einigungsvertrages sind Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung wieder zu Aufgaben der durch die DDR-Kommunalverfassung vom 17. Mai 1990 neu konstituierten Kommunen geworden, so dass öffentliche Einrichtungen der Kommunen in diesem Aufgabenbereich neu entstehen konnten. Eine rechtliche Kontinuität der kommunalen Einrichtungen besteht daher selbst insoweit nicht, wie eine Wasserversorgung bzw. Abwasserbeseitigung schon vor der Neuentstehung der öffentlichen Einrichtung technisch gewährleistet worden ist (vgl. OVG Brandenburg, Urteil vom 12. April 2001 - 2 D 73/00.NE -, S. 15 ff. m. w. N.). Vielmehr sind die alten technischen Anlagen in die neuen rechtlichen Einrichtungen eingegliedert worden und bildeten deren Anfangsbestand.“

41

Der Erhebung eines besonderen Herstellungsbeitrags steht nicht entgegen, dass die den Vorteil vermittelnde öffentliche Einrichtung wesensgleich mit einer technischen Anlage ist, für die ggf. bereits einmal (bspw. vor 1945) ein mit dem heutigen Anschlussbeitrag vergleichbarer Anspruch entstanden war. Ein Fall der Doppelveranlagung liegt nicht vor. Denn eine gegebenenfalls in der Vergangenheit einmal bestehende öffentliche Einrichtung ist (ersatzlos) untergegangen und konnte deshalb auch nicht nach 1990 wieder aufleben. Der Untergang wurde durch den Übergang zu einer nach den Regeln der Planwirtschaft organisierten Abwasserbeseitigung vor dem Hintergrund der in der DDR geltenden Rechtsordnung bewirkt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O.). Das dem Betrieb der ehemaligen öffentlichen Einrichtung von den Kommunen vorgehaltene Vermögen wurde ihnen entzogen, vergesellschaftet und erst durch die Kommunalisierungsvorschriften erneut dem ehemaligen Träger zugeordnet (vgl. Haack in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Kommentar, Stand September 2014, § 8 Rn. 2128). Die Gemeinde haben die (faktisch) bestehenden Abwasserbeseitigungsanlagen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des KAG LSA (15.06.1991) übernommen und diese übergangsweise fortgeführt. Bei diesen technischen Altanlagen handelte es sich nicht um kommunale öffentliche Einrichtungen im Rechtssinne, sie gelten mithin in der Regel nicht als „hergestellt“ im rechtlichen Sinne. Auch wenn die Gemeinde – hier die Stadt A-Stadt – eine solche Altanlage übergangsweise fortbetrieben hatte, führt dies nicht zur Annahme einer „Herstellung“. Denn es besteht keine Vermutung dergestalt, dass die Kommunen damit beabsichtigt hatten, gerade mit dem faktisch übernommenen Abwasserbeseitigungssystem den Grundstückseigentümern eine – wie aus einer Herstellung resultierende – dauerhafte Inanspruchnahmemöglichkeit zu bieten (vgl. OVG LSA, Urt. v. 05.07.2007, 4 L 229/06, juris). Gleiches gilt für den Beklagten in der Zeit, in der sich dieser Anlagen lediglich bediente, um die Abwasserbeseitigung übergangsweise aufrecht zu erhalten, da auch insoweit auf den – rechtlich allein beachtlichen – Planungswillen abzustellen ist (vgl. Haack in Driehaus, a. a. O., § 8 Rn. 2127, m.w.N.).

42

Handelt es sich mithin bei den beitragspflichtig gestellten Maßnahmen um eine Herstellung i. S. v. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA, hat der Beklagte dafür zu Recht keinen allgemeinen, sondern einen besonderen Herstellungsbeitrag festgesetzt. Zwar handelt es sich auch bei diesem Beitragsanspruch um einen Herstellungsbeitrag (vgl. dazu OVG LSA, Urt. v. 19.05.2005, 1 L 252/04, juris; B. v. 18.11.2004, 1 M 61/04; Urt. v. 04.11.2003, a. a. O.), der sich jedoch hinsichtlich seiner Höhe wegen der Regelung in § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA von dem allgemeinen Herstellungsbeitrag unterscheidet. § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA bestimmt zum einen, dass für die Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des KAG LSA am 16. Juni 1991 an eine zentrale öffentliche leitungsgebundene Anlage angeschlossen waren oder eine Anschlussmöglichkeit hatten, in Abweichung von § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA eine Beitragspflicht i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA nicht für Investitionen entsteht, die vor Inkrafttreten des KAG LSA abgeschlossen worden sind. Zum anderen folgt aus der Regelung, dass bei der Bemessung des besonderen Herstellungsbeitrages für die Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des KAG LSA angeschlossen waren oder angeschlossen werden konnten, d. h. bei der Ermittlung der nach dem 15. Juni 1991 getätigten Investitionen, der Aufwand für die nach diesem Zeitpunkt neu erschlossenen oder zu erschließenden Gebiete unberücksichtigt bleiben muss. Obwohl durch diese Maßnahmen im Rahmen der (erstmaligen) Herstellung einer öffentlichen Einrichtung im Rechtssinne (vgl. dazu OVG LSA, Urt. v. 04.12.2003, 1 L 226/01, juris) auch den bereits am 15.06.1991 angeschlossenen Grundstücken eine dauerhaft gesicherte Möglichkeit zum Anschluss geboten wird, unterliegen diese wegen § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA nicht der (allgemeinen) Herstellungsbeitragspflicht, was auch mit Artikel 3 Abs. 1 GG vereinbar ist (OVG LSA, Urt. v. 04.12.2003, a. a. O.). Denn nach § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA bedarf es einer für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht grundstücksbezogenen Betrachtungsweise in Abhängigkeit davon, ob das jeweilige Grundstück zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des KAG LSA am 15.06.1991 bereits von (abgeschlossenen) Investitionen „betroffen“ war, aus denen sich in Bezug auf die Möglichkeit der Abwasserableitung gegenüber den davon nicht „betroffenen“ Grundstücken ein Vorteil ergab. Der vom Gesetzgeber insoweit vorgesehenen Differenzierung unterfallen jedoch nur solche Grundstücke, die vor der Herstellung der öffentlichen Einrichtung bereits von einer wesensgleichen, weil zentralen, von staatlichen Stellen betriebenen Abwasserbeseitigungsanlage bevorteilt waren (dazu OVG LSA, B. v. 10.07.2002, 1 L 335/01; Urt. v. 04.09.2003, 1 L 493/02; Urt. v. 04.12.2003, a. a. O.; zusammenfassend bei Haack in: Driehaus, a.a.O., § 8 Rn. 2217 ff.). Für diese Grundstückseigentümer tritt – wie hier – an die Stelle des Herstellungsbeitrages wegen der durch die abgeschlossenen Investitionen bestehenden Vorteilslage ein besonderer Herstellungsbeitrag (vgl. VG Magdeburg, Urt. v. 22.11.2005, 9 A 118/04, juris).

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2. Die SBAS ist entgegen der Auffassung des Klägers formell und materiell rechtmäßig.

44

2.1. Die Verbandsversammlung des Beklagten hat in der öffentlichen Sitzung vom 29.09.2010 die SBAS beschlossen (vgl. §§ 4 Abs. 2, 16 Abs. 1 GKG, §§ 6 Abs. 1, 50 Abs. 1 GO LSA). Anhaltspunkte für eine fehlende Beschlussfähigkeit (vgl. § 11 Abs. 5 GKG). liegen weder vor und noch werden solche vom Kläger behauptet. Die Verbandsgeschäftsführerin hat am gleichen Tag die Satzung in Entsprechung des § 16 Abs. 1 GKG, § 6 Abs. 2 Satz 2 GO LSA ausgefertigt (vgl. dazu zuletzt OVG LSA, B. v. 23.11.2012, 4 L 158/12) und – wie bereits dargestellt – in den nach der Verbandssatzung vorgeschriebenen Bekanntmachungsorganen öffentlich bekannt gemacht worden (vgl. § 16 Abs. 1 GKG, § 6 Abs. 2 Satz 2 GO LSA). Der Beklagte dürfte schließlich auch seiner Mitteilungspflicht gegenüber der zuständigen Kommunalaufsichtsbehörde gemäß § 16 Abs. 1 GKG i.V.m. § 6 Abs. 2 Satz 3 GO LSA nachgekommen sein. Dies bedarf keiner abschließenden Prüfung, da ein etwaiger Mangel nach § 6 Abs. 4 GO LSA wegen Zeitablaufs die Wirksamkeit der Satzung nicht berührt.

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2.2. Materielle Rechtsmängel haften der SBAS ebenfalls nicht an.

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2.2.1. Die Satzung wird den Anforderungen an § 2 Abs. 1 KAG LSA gerecht. Sie bestimmt in Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht den Kreis der Abgabenschuldner, den die Abgabe begründenden Tatbestand, den Maßstab, die Entstehung der Schuld und den Satz der Abgabe (§§ 2 ff. SBAS). Auch der Umstand, dass nach § 5 Abs. 2 SBAS nur die Grundstücke dem besonderen Herstellungsbeitrag unterliegen, die „bereits am 15. Juni 1991 an damals bestehende Schmutzwasserreinigungsanlagen angeschlossen waren und soweit deren Schmutzwasser nach dem damaligen Stand der Technik zentral behandelt wurde“, steht dem nicht etwa deshalb entgegen, weil nicht nur die angeschossenen, sondern auch die anschließbaren Grundstücke einem (nur) besonderen Herstellungsbeitrag unterliegen. Denn welche Grundstücke bevorteilt bzw. – wie hier – zwar bevorteilt, aber nur zu einem geringeren Beitrag heranzuziehen sind, ergibt sich bereits zwingend aus dem Gesetz (§ Abs. 1 Satz 1 sowie Abs. 6 Satz 3 KAG LSA), weshalb dies gar nicht in der Gestaltungsbefugnis des Satzungsgeber liegt. Verstößt eine Satzung insoweit gegen höherrangiges Recht, führt dies jedoch lediglich zur Teilnichtigkeit der Satzung, weil mit dem in § 5 Abs. 2 SBAS ebenfalls enthaltenen abgesenkten Beitragssatz jedenfalls eine Heranziehung zum besonderen Herstellungsbeitrag weiterhin möglich ist und es wegen der gesetzlichen Regelung auf den mutmaßlichen Willen des Satzungsgebers nicht ankommt (vgl. OVG LSA, Urt. v. 14.04.2008, 4 L 181/07 sowie v. 28.05.2012, 4 L 231/11 jeweils zu Fragen der Teilnichtigkeit von kommunalen Satzungen).

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2.2.2. Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt der in § 5 Abs. 2 SBAS auf 3,10 €/m² Beitragsfläche festgesetzte Beitragssatz weder gegen § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA noch gegen das in § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA normierte Aufwandsüberschreitungsverbot.

48

Den Grundstücken, denen am 15.06.1991 durch die vorhandenen Abwasserbeseitigungsanlagen bereits Vorteil vermittelt wurde, ist durch einen im Vergleich zum allgemeinen Herstellungsbeitrag verminderten Beitrag Rechnung zu tragen.

49

2.2.2.1. Wie oben festgestellt, betreffen die Maßnahmen des Beklagten in Umsetzung seines Abwasserbeseitigungskonzeptes sowohl Alt- als auch Neuanschließer und wirken sich für sie - lediglich in unterschiedlicher Weise - vorteilhaft aus. Aus diesem Grunde bedarf es einer gesonderten Feststellung des auf die Altanschließer entfallenden Anteils am Gesamtaufwand. Der durch § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA erfolgten Privilegierung der Altanschlussnehmer ist dadurch Rechnung zu tragen, dass der Teil des Aufwandes für die nach dem 15.06.1991 geschaffenen Anlagenteile, der dazu dient, neue Flächen durch die zentrale Abwasserbeseitigungsanlage zu erschließen, bei der Bemessung des besonderen Herstellungsbeitrages unberücksichtigt bleibt. Nur dadurch, dass der Aufwand für diese Gruppe gesondert ermittelt wird, kann ihrer „priviligierten“ Stellung innerhalb der Gesamtheit der durch die öffentliche Einrichtung bevorteilten Grundstücke hinreichend Rechnung getragen werden. Dies bedeutet, dass bei der Ermittlung des Beitragssatzes für den besonderen Herstellungsbeitrag nicht nur - wie etwa bei einem Verbesserungsbeitrag - der Aufwand einbezogen werden darf, der notwendig war, um einen im Verhältnis zur ersetzen Anlage größeren Reinigungseffekt zu erzielen (OVG LSA, B. v. 18.11.2004, 1 M 61/04, S. 7 BA; Urt. v. 19.05.2005, 1 L 252/04, juris). Aufwandsfähig sind vielmehr alle Kosten, die zur Erreichung der beitragsfähig gestellten Maßnahme erforderlich sind. Dabei ist es jedoch nicht angezeigt, die zur Zweckerreichung erforderlichen Investitionen in der Abgabensatzung bzw. in einem Abwasserbeseitigungskonzept darzustellen; entsprechende Anforderungen enthalten weder das Kommunalabgabengesetz noch andere einschlägige Fachgesetze (hier z. B. Wassergesetz LSA, GO LSA). Der zur Rechtfertigung des Beitragssatzes berücksichtigungsfähige Aufwand unterliegt allein der Beurteilung danach, ob er aus anlagen- bzw. kostenbezogener Sicht notwendig und erforderlich war, um die Anlage in Erfüllung der Abwasserbeseitigungspflicht herzustellen, was letztendlich - mithin ggf. auch ohne vorherige Kalkulation - der abschließenden Beurteilung des Gerichts obliegt (zur sog. Ergebnisrechtsprechung OVG LSA, B. v. 06.04.2004, 1 L 433/02). Sofern bei der Ermittlung des Aufwandes auch solcher für die "Erneuerung" von Altkanälen berücksichtigt werden soll, muss es sich dabei jedoch um solche Maßnahmen handeln, die noch in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der beabsichtigten endgültigen Herstellung der öffentlichen Einrichtung im Übrigen stehen, wobei insoweit eine das planerische Ermessen des Einrichtungsträgers berücksichtigende großzügige Frist angezeigt ist (vgl. OVG LSA, Urt. v. 28.10.2009, 4 L 117/07, in dem 25 Jahre zwischen der Schaffung der „neuen“ Anlageteile und der „Sanierung der Altkanäle“ unbeanstandet blieb). Regelmäßig dürfte jedoch die Berücksichtigung von solchem Aufwand für das Ersetzen von Altkanälen ausscheiden, der sich erst zu einem Zeitpunkt realisiert, in dem die vom Beklagten errichteten Anlagen gewöhnlicher Weise einer Erneuerung bedürfen. Dem Umstand, dass der besondere Herstellungsbeitrag lediglich ein verminderter Herstellungsbeitrag sein soll, ist zudem dadurch Rechnung zu tragen, dass die gewährten Zuwendungen Dritter, die im Zusammenhang mit der Schaffung der Abwasseranlage insbesondere nach den Richtlinien über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von wasserwirtschaftlichen Vorhaben – RZWasR – (RdErl. des MU v. 07.01.1993, MBl. LSA S. 690, in der Fassung des RdErl. des MRLU v. 05.12.2001, MBl. LSA S. 109, sowie Erl. Des MLU v. 16.03.2009, MBl. LSA S. 289) allen Beitragspflichtigen zu Gute kommen und zwar unabhängig davon, aus Anlass welcher konkreten Maßnahme die Zuwendung erfolgt ist. Der sich um die Zuwendungen Dritter verminderte beitragsfähige Aufwand ist mithin danach zu beurteilen, in welchem Umfang er nur der Gruppe der altangeschlossenen Grundstücke zu dienen bestimmt ist. Daraus folgt, dass Aufwand, der nur der fortdauernden Anschlussmöglichkeit von Altanschlussnehmern dient, diesen „direkt“ zuzuordnen ist. Dienen Anlageteile sowohl Alt- als auch Neuanschließern, ist der Aufwand nach sachgerechten Kriterien dieser Gruppe zuzuordnen. Dabei dürfte im Regelfall zwischen den Anlageteilen Kanalsystem, Pumpstationen/ Überleitungen, Abwasserbehandlungsanlage dann zu unterscheiden sein, wenn sich bei isolierter Betrachtung signifikante Unterschiede in den den Altanschlussnehmern zuzuordnenden Anteilen ergeben. So bestehen keine durchgreifenden Bedenken, wenn der Aufwand für den besonderen Herstellungsbeitrag aus dem Verhältnis ermittelt wird, wie es der Anzahl der Gruppenmitglieder (Einwohner bzw. Einwohner[gleich]werte) entspricht (VG Magdeburg, Urt. v. 22.11.2005, 9 A 118/04, juris). Bei der Ermittlung dieser Anteile ist vorrangig das zukünftige Verhältnis zwischen Alt- und Neuanschließern und sich daraus ggf. ergebende Besonderheiten (ggf. hohe gewerbliche Anteile bei Neuanschließern etc.) in den Blick zu nehmen. Weil der so ermittelte Aufwand für die Bestimmung des besonderen Herstellungsbeitragssatzes immer einrichtungsbezogen ist, da er sich regelmäßig auf die gesamte öffentliche Einrichtung bezieht, ist auch der „besondere Herstellungsaufwand“ zur Ermittlung des Beitragssatzes in das Verhältnis zur gesamten Beitragsfläche des Einrichtungsgebietes zu setzen (so auch OVG LSA, Urt. v. 25.05.2005, a. a. O.;VG Magdeburg, Urt. v. 22.11.2005, 9 A 118/04, juris).

50

Diesen Anforderungen wird der in § 5 Abs. 2 SBAS normierte Beitragssatz gerecht.

51

Bei der Aufwandsermittlung hat der Beklagte den im Zeitraum 1991 bis 2009 realisierten Herstellungsaufwand, dem auf der Grundlage des Abwasserbeseitigungskonzept des Beklagten zukünftigen Herstellungsaufwand und dem bisherigen bzw. künftigen Aufwand für die Erneuerung der bereits zum 15.06.1991 bestandenen Schmutzwasserkanäle (sog. Altkanäle) sowie den bisherigen und zukünftigen Kosten für den ersten Grundstücksanschluss, der nach der Satzungslage des Beklagten Bestandteil des Herstellungsbeitrags ist, zu Recht in seine Berechnung eingestellt. Dies ergibt einen Aufwand für Kläranlagen, Pumpwerke/Überleitungen, Schmutzwasserkanäle und Hausanschlüsse von insgesamt 85.302.438,00 EUR (vgl. Kalkulation HB I). Dieser Aufwand ist um den Anteil zu kürzen, der allein durch die Neuanschließer bedingt ist, so dass sich für die Altanschließer ein anteiliger Aufwand von 22.740.371 EUR (ca. 26 %) ergibt.

52

Dies auf die einzelnen Kostenpositionen aufgeschlüsselt, ergibt folgendes Bild:

53

aa. Der in die Kalkulation des besonderen Herstellungsbeitrags einfließende Kostenanteil für Kläranlagen beträgt 7.296.284 EUR (ca. 26% der in der Kalkulation HB I eingestellten Kläranlagenkosten [27.804.219 EUR]). Hiergegen ist nichts zu erinnern. Denn der Beklagte hat bei der Kostenposition der Kläranlagen insbesondere berücksichtigt, dass an die Kläranlage ... keine Altanschließer partizipieren, so dass diese Investitionsaufwendungen in die Berechnung – wie geschehen – nicht Eingang finden durften. Ausweislich der Seiten 3 und 4 der Kalkulation HB II hat der Beklagte auch lediglich die Kosten der Kläranlagen A-Stadt (18.270.541 EUR) und ... (1.444.843 EUR) bei der Ermittlung des Investitionsaufwandes für die Kläranlagen berücksichtigt. Gegen die Berechnung des Altanschließeranteils ist mit der obigen Darstellung nichts zu erinnern. Ausgehend von der zum Kalkulationsstichtag bestehenden Kapazität der jeweiligen Anlage (KA A-Stadt: 40.000 Einwohnerwerte, KA K...: 3.700 Einwohnerwerte) hat der Beklagte unter Verwendung sachgerechter Kriterien den Altanschließeranteil errechnet, indem er die am 15.06.1991 angeschlossenen Einwohnern ermittelt hat (KA A-Stadt: 10.163 Altanschließer, KA ….: 1.615 Altanschließer), so dass sich unter Berücksichtigung einer „Kapazitätsreserve“ [im Sinne von anderen Nutzern] von jeweils 20% (KA A-Stadt: 2.033 Einwohner, KA … 323 Einwohner) ein bis zum Jahr 2009 realisierter Investitionsaufwand von insgesamt 6.314.461 EUR (KA A-Stadt: 5.572.515 EUR, KA K...: 741.946 EUR) ergibt. Anhaltspunkte dafür, dass die Ermittlung der Einwohnerzahlen fehlerhaft erfolgt ist bzw. ein signifikanter Unterschied zu den zukünftig bevorteilten Altanschlussnehmern besteht, sind weder ersichtlich noch vom Kläger in das Verfahren getragen worden. Der Beklagte war auch berechtigt, in seine Berechnung eine solche „Kapazitätsreserve“ aufzunehmen, da hierdurch berücksichtigt wird, dass mitnichten nur Einwohner an die jeweilige Anlage angeschlossen waren, sondern auch Einwohnergleichwerte (bspw. für gewerblich genutzte Grundstücke, auf denen Abwasser anfiel) Berücksichtigung zu finden haben. Dass diese vom Beklagten in die Berechnung eingestellte „Kapazitätsreserve“ von 20% überhöht wäre, ist nicht ersichtlich, zumal etwaige Anhaltspunkte hierfür vom Kläger auch nicht vorgetragen werden. Entsprechend ist der Beklagte auch bei der Ermittlung der künftigen Aufwendungen für die KA A-Stadt verfahren, indem er die zukünftigen Kosten für die Kläranlage von 3.219.090 EUR (vgl. Kalkulation HB I, Seite 15,16) bei einer Kapazität von 40.000 EW in das Verhältnis zu den Altanschließern (12.200 Einwohnerwerte) gesetzt, mithin ein Betrag von 981.822 EUR ermittelt hat. Dementsprechend beträgt der für die Kläranlagen des Beklagten ermittelte Kostenanteil der Altanschließer 7.296.284 EUR (6.314.461 EUR + 981.822 EUR).

54

Soweit der Kläger vorträgt, die Kläranlage A-Stadt sei überdimensioniert, vermag das Gericht dem nicht zu folgen. Ausweislich der Kalkulation des HB I wird eine etwaige Überdimensionierung der Kläranlagen des Beklagten (A-Stadt, …, …) in den Blick genommen (dort S. 21) und der zukünftige Auslastungsgrad der KA A-Stadt mit 94 % (bei Endausbau, Kapazität: 50.000 Einwohnerwerte), der KA K... mit 95% und der KA ... mit 62% angegeben. Bei der KA A-Stadt geht der Beklagte davon aus, dass im Jahr 2009 21.534 Einwohner angeschlossen sind und daneben 18.000 Einwohnergleichwerten vorliegen, was zu 39.534 Einwohnerwerten führt, die bei einer Anlagenkapazität von 40.000 Einwohnerwerten einen fast 100-igen Auslastungsgrad bedeuten. Von einer Überkapazität kann nicht die Rede sein. Zudem geht das Gericht mit dem Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (Urt. v. 10.03.2011 – 4 L 67/09 –, juris) davon aus, dass eine beitragsrechtliche Überdimensionierung nur dann vorliegt, wenn die Planungen hinsichtlich der Entwicklung der Anschlusszahlen nicht auf sachgerechten Grundlagen beruhten und ob aus den so ermittelten Daten bei der Konzeption der Anlagengröße nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik die zutreffenden Schlussfolgerungen gezogen worden sind (vgl. auch § 6 Abs. 3 Satz 4 KAG LSA). Dabei ist für die Beantwortung der Frage, ob die gewählte Anlagengröße auf sachgerechten Grundlagen und vernünftigen plausiblen Annahmen und Prognosen hinsichtlich der künftigen Entwicklung der Anschlussnahme beruht, grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Planungen abzustellen (so OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 27.04.2006 - 4 L 187/05 -; vgl. auch Urt. v. 06.03.2003, 1 L 318/02; vgl. weiter Driehaus, a.a.O., § 8 Rn. 993; 1640 f.; 1844). Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob eine Anlage im beitragsrechtlichen Sinne überdimensioniert ist, ist danach das Abwasserentsorgungskonzept des Verbandes, dem im Rahmen seines Organisationsermessens ein entsprechender Entscheidungsspielraum eröffnet ist (OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 31.03.2010, 4 L 375/08). Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte diesbezüglich „grob fehlerhaft geplant“ hat bzw. dass das aus der Kalkulation des HB I stammende Zahlenmaterial unrichtig ist, liegen weder vor noch behauptet der Kläger Entsprechendes.

55

bb. Auch gegen den in die Kalkulation des besonderen Herstellungsbeitragssatzes einfließenden Kostenanteil für Pumpwerke und Überleitungen von 1.587.587 EUR (ca. 10% der in der Kalkulation HB I eingestellten Kosten für Pumpwerke und Überleitungen [14.760.433]) ist nichts erinnerlich. In den auf den Seiten 17 und 18 der Kalkulation des HB II dargestellten „Daten des Überleitungssystems“ wurden die einzelnen Pumpwerke und Überleitungen, die auch Altanschließern zu dienen bestimmt sind, lagegenau aufgeschlüsselt und mit Kosten, die ihren Niederschlag in der Kalkulation des HB I finden, untersetzt. In Entsprechung des gewählten Einwohnerschlüssels hat der Beklagte die am Stichtag angeschlossenen Altanschließer zu den Neuanschließern ins Verhältnis gesetzt und die bis zum Jahr 2009 realisierten und zukünftigen Kosten verteilt. Kosten für Überleitungen und Pumpwerke zur KA ..., an der keine Altanschließer partizipieren (s.o. aa.), hat der Beklagte zu Recht nicht mit einbezogen. Soweit der Kläger einwendet, dass Altanschließer keinen Vorteil dadurch hätten, dass das Gefechtsübungszentrum Heer in L.. (GÜZ) und die Stadt .../... an die KA A-Stadt angeschlossen seien, so wird eine solche Sichtweise nicht dem Gesamtanlagenprinzip gerecht. Denn sowohl die Gemeinde L.., die gleichsam an der Überleitung partizipiert als auch die Stadt K.. verfügten zum maßgebenden Stichtag über Altanschließer (Gemeinde L..: 1.195 Einwohner, Stadt K..: 1.388 Einwohner), so dass eine anteilige Berücksichtigung zwingend ist. Anhaltspunkte dafür, dass Kosten für Überleitungen/Pumpwerke vom GÜZ Berücksichtigung gefunden hätten, ohne dass die Altanschließer hieran auch partizipieren, liegen nicht vor. Dass die Stadt K.. zum Stichtag eine eigene Kläranlage vorgehalten, die mit Umschluss auf die KA A-Stadt außer Betrieb genommen worden sei, führt insoweit zu keiner anderen Betrachtung. Ausgehend vom Gesamtanlagenprinzip und dem weitem Planungsermessen des Beklagten, der nunmehr Träger der Abwasserbeseitigungspflicht in der Stadt K.. ist, oblag es diesem, seine öffentlichen Einrichtungen zu bilden, mithin die Entscheidung im gesamten Verbandsgebiet lediglich eine öffentliche Einrichtung zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung zu betreiben. Dass er hierzu drei Kläranlagen betreibt und keine Kläranlage in der Stadt K.. vorhält, ist ohne rechtliche Relevanz, zumal auch die Sanierung der frühren KA K.. mit Kosten verbunden gewesen wäre, die im Rahmen der Kalkulation der Beiträge der öffentlichen Einrichtung zur Schmutzwasserbeseitigung ihren Eingang gefunden hätten. Anhaltspunkte dafür, dass keine sachgerechten Erwägungen der Bildung der öffentlichen Einrichtung zugrunde gelegen haben, sind nicht ersichtlich. Offensichtlich hat sich der Beklagte hierbei vom Solidarprinzip leiten lassen, so dass die Kosten gleichmäßig auf alle Anschlussnehmer im Verbandsgebiet verteilt werden.

56

cc. Der in die Kalkulation des besonderen Herstellungsbeitragssatzes einfließende Kostenanteil für Schmutzwasserkanäle mit 11.136.866 EUR (ca. 33 % der in der Kalkulation HB I eingestellten Kosten für Schmutzwasserkanäle [35.317.875]) findet ebenso seine Rechtfertigung. In den Tabellen „Erfassung des Altkanalbestandes bis 15.06.1991“ (Kalkulation HB II S. 10ff.) hat der Beklagte nach Ortslagen/Straßen die einzelnen Altkanäle unter Benennung des Baujahrs aufgeführt und im Einzelnen dargestellt, welcher Kanal bei Benennung der Kosten erneuert wurde und hinsichtlich welchen Kanals nach dem Abwasserbeseitigungskonzept des Beklagten eine Erneuerung avisiert ist. Hierbei berücksichtigt der Beklagte zum einen das Alter im Zeitpunkt der Erfassung (2009) sowie das Alter im Zeitpunkt der avisierten Fertigstellung. Ausgehend von einer normativen Nutzungsdauer eines Schmutzwasserkanals von 60 Jahren, welche der durchschnittlichen Abschreibungsdauer für Kanalleitungen entspricht, geht der Beklagte dann von einem Erneuerungsbedarf aus, wenn der jeweilige Altkanal im Jahr 2016 die normative Nutzungsdauer überschritten hat, was bedeutet, dass der Beklagte hinsichtlich der in Jahren zwischen 1905 und 1955 gebauten Kanäle von einem Erneuerungsbedarf ausgeht. Hiergegen ist nichts zu erinnern. Damit ist – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht verbunden, dass alle Altkanäle die im Jahr 2016 einen Erneuerungsbedarf aufweisen, bis zu diesem Zeitpunkt zu erneuern sind. Denn dass die öffentliche Einrichtung des Beklagten zu diesem Zeitpunkt endgültig fertig gestellt sein soll, ist weder erforderlich noch vom Beklagten beabsichtigt, so dass die danach ermittelten künftigen Kosten, die zwischen 342 EUR bis 493 EUR je Meter Kanallänge prognostiziert werden, berücksichtigungsfähig sind. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang zudem einwendet, dass die „Zahlenkolonne“ des insoweit eingestellten kalkulatorischen Aufwands nicht überprüfbar sei, bedarf es keiner weiteren Aufklärung durch das Gericht. Das weite, an der normativen Nutzungsdauer der Anlage ausgerichtete Ermessen hat der Beklagte beanstandungsfrei ausgeübt. Anhaltspunkte dafür, dass der zugrunde gelegte Kostensatz (EUR/m) überhöht ist, sind weder ersichtlich, zumal gerichtsbekannt ist, dass die Kosten je Meter Kanallänge sich zwischen 250 € und 600 € bewegen, mithin keine Veranlassung besteht, den Einwendungen des Klägers weiter nachzugehen.

57

Der in die Kalkulation des HB II eingestellte kalkulatorische Aufwand für die Erneuerung von Altkanälen in Höhe von 9.173.487 EUR findet seinen Niederschlag auch in der Kalkulation des allgemeinen Herstellungsbeitrages, was wegen der sich im Verhältnis der Beitragssätze widerspiegelnden Gebotes der Belastungsgleichheit erforderlich ist. Anders gewendet: Was der Ermittlung des besonderen Herstellungsbeitrages zugrunde gelegt wird, muss auch Eingang in die Ermittlung des allgemeinen Herstellungsbeitrages gefunden haben. Nur so kann dem oben erörterten gemeinsamen Wesen dieser Beiträge hinreichend Rechnung getragen werden; gleiches gilt für ggf. beabsichtigte Deckungsquoten (dazu VG Magdeburg, Urt. v. 22.11.2005, 9 A 118/04 MD).

58

dd. Auch die in der Kalkulation ihren Eingang findenden realisierten und zukünftigen Grundstücksanschlusskosten in Höhe von 2.719.643 EUR (ca. 36% der in die Kalkulation HB I eingestellten Grundstücksanschlusskosten [7.419.910 EUR]) begegnen keinen durchgreifenden Bedenken. Zuvorderst ist festzustellen, dass nach § 2 Abs. 2 SBAS der Beitrag – mithin auch der besondere Herstellungsbeitrag – außer bei Hinterliegergrundstücken – die Kosten der erstmaligen Herstellung des ersten Grundstücksanschlusses deckt, so dass gegen die Einstellung von Grundstücksanschlusskosten nichts zu erinnern ist. Die Kostenposition ermittelt der Beklagte, indem er den Altbestand an Grundstücksanschlüssen bis zum Stichtag erfasst und die Ist-Kosten bereits erneuerter Anschlüsse sowie die Plan-Kosten im Fall einer avisierten Erneuerung zugrunde gelegt. Hierbei legt der Beklagte einen durchschnittlichen Aufwand von 1.755 EUR je Anschluss zugrunde. Dass dieser Betrag überhöht ist, ist – vor dem Hintergrund der gerichtsbekannten durchschnittlichen Grundstücksanschlusskosten – nicht ersichtlich. Soweit der Kläger „prüfbare Zahlenkolonnen“ einfordert, um die Höhe des insoweitigen kalkulatorischen Aufwands überprüfen zu können, vermag die Kammer dies angesichts des tabellarisch dargestellten konkreten Erneuerungsbedarfs der Grundstücksanschlüsse und der zugrunde gelegten durchschnittlichen Grundstücksanschlusskosten nicht nachzuvollziehen.

59

ee. Dass der Beklagte sowohl im Rahmen der Ermittlung des allgemeinen Herstellungsbeitrags als auch des besonderen Herstellungsbeitrags den Anteil öffentlicher Verkehrsanlagen als Abzugsposten mit 0 EUR ausweist, ist offensichtlich dadurch bedingt, dass dieser seine öffentliche Einrichtung zur zentralen Entsorgung im Trenn- und nicht im Mischsystem betreibt (vgl. Schmutzwasserbeseitigungssatzung und SBAS) und im Übrigen auch nicht Aufgabenträger hinsichtlich der Niederschlagswasserbeseitigung ist. Damit ist eine Belastung der Anlage des Beklagten durch die Straßenentwässerung auszuschließen. Dergleichen gilt soweit der Kläger meint, dass „Gemeinkosten“ auszugliedern sein. Ein in abzugsfähigen Kosten auszudrückender Anteil der Allgemeinheit bedingt dadurch, dass das Kanalnetz „durchzuspülen“ (Seuchenschutz) sei oder dem Überflutungsschutz diene, vermag die Kammer gleichsam nicht zu erkennen. Etwaige Kosten können insoweit nicht entstehen, wenn die Anlage – wie hier – im Trennsystem arbeitet, mithin Oberflächenwasser nicht aufnimmt.

60

ff. Die sich danach ergebenden Aufwendungen (aa. bis dd.) von insgesamt 22.740.371 EUR (tatsächliche Aufwendungen: 10.207.863 EUR, kalkulatorische Aufwendungen von 2010 bis zur Fertigstellung der öffentlichen Einrichtung) hat der Beklagte sodann um den Anteil der eingenommenen und geplanten Zuwendungen gekürzt. Unter Berücksichtigung des im Rahmen des allgemeinen Herstellungsbeitrags einzustellenden Aufwands von 85.302.438,00 EUR ermittelt sich bei einzustellenden tatsächlichen Zuwendungen (incl. verrechneter Abwasserabgabe) von 17.900.007 EUR und geplanten Zuwendungen von 1.007.500 EUR ein Altanschließeranteil von 1.749.106 EUR bei den realisierten und 220.026 EUR bei den prognostizierten Zuwendungen. Gegen die Berechnung ist dem Grunde als auch rechnerisch nichts zu erinnern.

61

gg. Es bestehen insbesondere keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die öffentliche Einrichtung des Beklagten bereits durch Schmutzwassergebühren refinanziert worden ist. Wäre dies der Fall, würde dies gegen den in § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA enthaltenen Grundsatz streiten, dass Beiträge nur für „eigenen“ [Herstellungs-]Aufwand erhoben werden können. Ist der Aufwand jedoch durch Benutzungsgebühren im Sinne von § 5 KAG LSA refinanziert worden, führt dies ungeachtet deren Rechtswidrigkeit jedoch dazu, dass dieser Aufwand nicht noch einmal über Beiträge eingenommen werden darf. Greifbare Anhaltspunkte ergeben sich weder unter Berücksichtigung der seit dem Jahr 1992 maßgebenden Gebührensätze noch aus den vormals vom Beklagten kalkulierten Beitragssätzen bis 2002 (HB I), die zwischen 29,23 DM bis 21,00 DM lagen. Auch der vom Kläger zitierte Artikel vom 22.01.2004 (Gardelegener Kreisanzeiger „Frohe Botschaft für die Kunden: Das Wasser soll billiger werden“) führt insoweit nicht weiter. Denn allein der Umstand, dass eine positive Bilanz gezogen worden sei, die dazu geführt habe, dass die Schmutzwassergebühr für das Jahr 2004 gesenkt worden sei, lässt einen solchen Schluss nicht zu. Dass alle Investitionen mit der „Gebühren- und Beitragskalkulation“ finanziert worden seien – wie der Kläger behauptet –, kann dem Artikel nicht entnommen werden. Dort wird lediglich ausgeführt, dass der Verbandsgeschäftsführer, …, erläutert habe, dass Gründe für die Gebührensenkung der fast 100%-ige Anschlussgrad sowie Großkunden (GÜZ, Grocholl) seien. Hinzu käme die Reduzierung von Abschreibungen auf technische Anlagen, da diese zum Teil 12 Jahre alt und damit praktisch erwirtschaftet seien. Im Bereich ... habe der Verband durch diverse Sanierungsarbeiten in alten Pumpwerken die Energiekosten reduzieren können. Schließlich spare der Verband auch bei den Zinszahlungen, da ein Großteil der Kredite bereits abgezahlt worden seien. Anhaltspunkte dafür, dass die Kosten bereits refinanziert worden seien, so dass es keiner Beitragserhebung mehr bedarf, ergeben sich hiernach nicht.

62

Die Kammer sieht sich auch deshalb nicht gehalten, den Anregungen des Klägers zu einer diesbezüglichen Sachverhaltsaufklärung weiter nachzugehen, weil die Refinanzierung von Investitionskosten über Benutzungsgebühren in Sachsen-Anhalt unzulässig ist (dazu Haack, a. a. O., § 8 Rn. 2108 m. w. N.; so auch VG Halle, Urt. v. 24.04.2013, 6 A 143/11). Vor dem Hintergrund des an Recht und Gesetz gebundenen Beklagten (Art. 20 Abs. 3 GG) müssten insoweit schon solche Gründe vorgetragen werden bzw. ersichtlich sein, die zwingend für einen Verstoß dagegen sprechen würden.

63

hh. Auch der Vortrag des Klägers, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Beklagte zweimal abgerechnet habe, weil er Abschreibungen sowohl in der der Gebührenkalkulation als auch in der Kalkulation des Herstellungsbeitrags berücksichtigt habe, verfängt nicht. Denn es besteht angesichts der vorliegenden Unterlagen kein Anhalt dafür, dass der Beklagte die gebührenwirksamen Abschreibungen auch im Rahmen des Investitionsaufwands (kalkulatorische Kosten) berücksichtigt hat.

64

Der Klägervertreter verkennt in diesem Zusammenhang die Systematik der Beitrags- und Gebührenkalkulation und -erhebung. Bei der Beitragskalkulation zur Ermittlung des höchstzulässigen Beitragssatzes wird der gesamte beitragsfähige Herstellungsaufwand berechnet. Grundlage dieser Berechnung ist der Investitionsaufwand vom Beginn bis zur endgültigen Herstellung der gesamten Einrichtung. Hinsichtlich der Investitionen, die nach dem Zeitpunkt der Kalkulation erfolgen sollen, ist der Aufwand zu prognostizieren. Ist – wie hier (s.o. im Einzelnen) – die Prognose ordnungsgemäß erfolgt, kommt es auf den tatsächlichen Herstellungsaufwand nicht an. Bei der Gebührenberechnung dürfen dagegen keine Investitionskosten berücksichtigt werden. Die in § 5 Abs. 2a KAGA LSA bezeichneten Anschaffungs- und Herstellungskosten dienen lediglich der Ermittlung der Abschreibungen, wobei der aus Beiträgen aufgebrachte Anteil – ebenso wie die Zuwendungen – außer Betracht bleibt (§ 5 Abs. 2 Satz 5 KAG). Jedenfalls was das hier allein interessierende Anschlussbeitragsrecht betrifft, ist in der Rechtsprechung geklärt, dass kalkulatorische Abschreibungen nicht aufwandsmindernd zu berücksichtigen sind (vgl. OVG Sachsen- Anhalt, B.. v. 01.07.2003, 1 M 492/02, juris; vgl. auch Lohmann in: Driehaus, a.a.O., § 8 Rn. 848 und Klausing, a.a.O., § 8 Rn. 990, wonach Abschreibungen nur für Erneuerungsbeiträge zu berücksichtigen seien).

65

ii. Auch die der Ermittlung des Beitragssatzes zugrunde liegenden (bevorteilten) Grundstücksflächen begegnen in Ansehung der dem Gericht vorliegenden Unterlagen sowie der in das Verfahren getragenen Aspekte keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die sich aus der Kalkulation des HB I ergebende beitragspflichtige Fläche von 5.436.749 qm ist auch im Rahmen der Beitragskalkulation des HB II zugrunde gelegt worden. Insoweit sind auch keine Grundbuchauszüge oder Kataster vorzulegen, aus denen sich in der Addition die zugrunde gelegte Fläche ergibt, zumal durch den Beklagten hinreichend erläutert wurde, dass der Flächenermittlung – amtliche – Dokumente, wie das ALB und ALK zugrunde lagen (vgl. §§ 126 ff. GBO, §§ 19 ff. VermGeoG LSA); daran (unbegründet) zu zweifeln, besteht keine Veranlassung. Denn Anhaltspunkte dafür, dass die Flächenermittlung fehlerhaft ist, liegen weder vor noch werden sie vom Kläger substantiiert in das Verfahren eingeführt. Allein die Behauptung, die Richtigkeit der Flächenangaben sei fraglich, genügt nicht, zumal der Kläger durch die zur Verfügung stehenden Unterlagen (Kalkulation HB I) in die Lage versetzt wird, die Flächenangaben zu überprüfen und Ungereimtheiten aufzuzeigen. Denn ausgehend von der Kalkulation des HB I, in der die berücksichtigungsfähigen Flächen im Verbandsgebiet im Einzelnen gemeindebezogen tabellarisch aufgeführt werden, drängt sich eine – insbesondere zu geringe – unrichtige Berücksichtigung der heranzuziehenden Flächen dem Gericht nicht auf.

66

jj. Soweit der Kläger meint, der Beklagte müsse jede einzelne – in die Kalkulation eingestellte – Investition namentlich benennen und belegen, für was, wann, an wen gezahlt worden sei, damit er in die Lage versetzt werde, überprüfen zu können, dass die Ausgaben nicht bereits durch Gebühren refinanziert worden seien, so besteht hierzu aus Sicht des Gerichts kein Anlass. Maßgebendes Abgrenzungskriterium ist das Vorhandensein tatsächlicher, eine Vermutung oder ein Für-Möglich-Halten rechtfertigende Anhaltspunkte. Finden sich solche im Prozessstoff nicht und nennt auch der Kläger solche nicht, die als Grundlage für seine Vermutung in Frage kommen oder verbietet sich nach seinem sonstigen Vorbringen sogar zweifelsfrei jegliche Vermutung, darf der Schluss gezogen werden, dass die Behauptung aufs Geratewohl aufgestellt worden ist. In einem derartigen Fall geht es dem Kläger nur darum, ermitteln zu lassen, ob seine auf keinerlei Anhaltspunkte gestützte Behauptung nicht vielleicht doch wahr ist (vgl. VG Cottbus, Urt. v. 09.01.2014, 6 K 1079/12, juris). Hier geht es dem Kläger ersichtlich darum, ermitteln zu lassen, ob die auf keinerlei objektivierbare Anhaltspunkte gestützten Behauptungen nicht vielleicht doch wahr sind, so dass kein Anlass besteht, detaillierte Unterlagen vom Beklagten abzufordern und gerichtlich zu überprüfen.

67

Nach Auffassung des Gerichts ist zwar die Frage nach der Einhaltung des sich aus § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA ergebenden Aufwandsüberschreitungsverbots im Zusammenhang mit der Festsetzung des Beitragssatzes jedenfalls dann in Streitigkeiten Gegenstand der gerichtlichen Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO), wenn der Kläger einen Verstoß dagegen nachhaltig rügt bzw. sich ein solcher aufdrängt. Diese Pflicht bedingt dann die Beiziehung einer Kalkulation hinsichtlich des maßgeblichen Beitragssatzes. Denn erst dadurch ist das Gericht überhaupt in der Lage, eine mit dem sogenannten richterlichen Fingerspitzengefühl (dazu BVerwG, Urt. v. 17.04.2002, 9 CN 1.01, juris) verbundene Plausibilitätskontrolle vorzunehmen. Deshalb besteht für die abgabenerhebende Körperschaft die prozessuale Mitwirkungspflicht (§ 86 Abs. 1 Hs.2 VwGO), spätestens im gerichtlichen Verfahren die der Ermittlung des Satzes zugrunde liegende Kalkulation vorzulegen und ggf. entsprechend zu erläutern (dazu im Gebührenrecht: OVG LSA, Urt. v. 27.07.2006, 4 K 253/05). Eine in sich schlüssige und verständliche, mithin prüffähige Kalkulation, ist Grundlage und Ausgangspunkt für die dem Gericht nach § 86 Abs. 1 VwGO obliegende Sachverhaltsaufklärungspflicht.

68

Dieser Pflicht ist der Beklagte vorliegend durch Vorlage seiner Beitragskalkulationen für den allgemeinen und besonderen Herstellungsbeitrag nachgekommen. Dem steht nicht der vom Kläger geltend gemachte Umstand entgegen, dass es sich dabei zugegebenermaßen lediglich um eine Zusammenfassung und Darstellung der Kosten handelt, die sich für die öffentliche Einrichtung aus der Gesamtheit der dem Beklagten entstehenden Kosten im Zusammenhang mit der Abwasserbeseitigung handelt. Ungeachtet des Umstandes, dass die hier vorgelegten Kalkulationen nicht nur auf ihre rechnerische Ergebnisrichtigkeit, sondern auch dahingehend überprüfbar sind, welche wesentlichen Grundsätze der Beitragsermittlung zugrunde lagen (Beitragsfähigkeit der angesetzten Kosten, Herleitung der Kosten aus den jeweiligen Anlagegruppen [Klärwerk, Kanalsystem etc.], Verteilung der Gesamtkosten nach sachgerechten Schlüsseln auf die Altanschließer, Berücksichtigung des in der Abgabensatzung gewählten Maßstabes etc.), genügt ein Beklagter seiner prozessualen Mitwirkungspflicht in der Regel bereits dann, wenn die vorgelegte Kalkulation diesen Anforderungen gerecht wird. Denn der Inhalt einer Kalkulation ist gesetzlich nicht determiniert. Es handelt sich bei derselben aus der Sicht der Behörde um ein Rechenwerk, welches unter Beachtung der abgabenrechtlichen Aspekte geeignet sein muss, den in den einzelnen Vorschriften (§§ 5 Abs. 1 Satz 2, 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA) enthaltenen Ge- und Verboten gerecht zu werden. Eine Pflicht zur Erstellung einer darüber hinausgehenden Kalkulation ergibt sich weder aus den Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes noch aus den für die Zweckverbände entsprechend anwendbaren Vorschriften des Gemeinderechts (vgl. § 16 Abs. 1 GKG LSA). Aus diesem Grunde geht auch die Annahme des Klägers fehl, bereits bei der Beschlussfassung über den Satz müsse der dafür zuständigen Körperschaft eine solche Kalkulation vorliegen (siehe dazu OVG LSA, Urt. v. 27.07.2006, a. a. O.). Der Kläger hat deshalb keinen allgemeinen Anspruch darauf, dass der Beklagte den zugrunde gelegten Aufwand bereits in der Kalkulation nachvollziehbarer darstellt. Diese sind aus sich heraus verständlich und dem Grunde nach nachvollziehbar. Weder die Kalkulation noch sonstige Umstände geben Veranlassung, diese Angaben des Beklagten in Zweifel zu ziehen.

69

Bestehen für ein Gericht aufgrund der vorgelegten Kalkulation keine belastbaren Zweifel daran, dass sich der festgesetzte Beitragssatz darauf zurückführen lässt, so besteht zu einer weitergehenden Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen keine Veranlassung, da dieses zu einer von § 86 Abs. 1 VwGO nicht gebotenen „ungefragten Fehlersuche“ (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.04.2002, a. a. O.) führen würde, die sich auch nicht mit dem damit ggf. eintretenden Rechtsschutzziel des Klägers rechtfertigen ließe. Deshalb muss das Gericht nicht von Amts wegen jede mögliche Alternative erwägen und jedem nur möglichen Gesichtspunkt nachgehen. Aufklärungsmaßnahmen von Amts wegen sind nur dann veranlasst, wenn sich diese nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängen. Gleiches gilt aufgrund allgemein von einer Partei geäußerter Zweifel an der Rechtmäßigkeit behördlichen Handelns; auch dies gebietet es nicht, von Amts wegen in eine dezidierte Fehlersuche einzutreten (dazu Geiger in: Eyermann, VwGO, Komm., 11. Aufl., § 86 Rn. 10 m w. N.).

70

Der Kläger steht auch bei der so angenommenen Reichweite von § 86 Abs. 1 VwGO nicht rechtsschutzlos. Denn das Gericht ist dann zu weiterer Sachverhaltsaufklärung verpflichtet, wenn der Kläger konkrete Einwendungen wegen eines vom Beklagten vorgetragenen Sachverhaltes erhebt. Denn aus den Regelungen in § 82 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 VwGO, in § 86 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 und Abs. 4 VwGO sowie in § 95 Abs. 1 VwGO ergibt sich, dass die Beteiligten selbst verpflichtet sind, bei der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken. Es handelt sich dabei neben der prozessualen Pflicht zugleich um eine materielle Mitwirkungslast (dazu Breuning in: Posser/Wolff, VwGO, Komm., § 86 Rn. 46 m. w. N.). Die Mitwirkung eines Klägers an der Aufklärung von Sachverhalten im Zusammenhang mit Feststellung eines Verstoßes gegen das Kostenüberschreitungsverbot ist ihm auch zumutbar. Sieht ein Gericht von sich aus keine Veranlassung, aufgrund einer vorgelegten Kalkulation weitere Nachforschungen von Amts wegen anzustellen, so ist es einem Beteiligten zuzumuten, seine Zweifel an der Höhe des Beitragssatzes durch konkrete Einwendungen in einer Weise zu substantiieren, aus denen sich für das Gericht eine weitergehende Sachverhaltsaufklärungspflicht ergibt. Die Beantwortung der Frage nach weiterer Sachverhaltsaufklärung richtet sich dabei nach objektiven Kriterien und nicht nach subjektiven Fähigkeiten eines Beteiligten. Dass vielfach das Nachvollziehen von Berechnungen oder technischen Zusammenhängen einen mit der Materie nicht vertrautem Laien überfordert, entbindet den jeweiligen Kläger im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht nicht davon, sich selbst sachkundig zu machen, notfalls sogar mit Hilfe eines selbst in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachtens, dessen Kosten je nach Ausgang des Verfahrens nach § 162 Abs. 1 VwGO, 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO) erstattungsfähig sein können (vgl. BVerwG, B. v. 13.03.1992, 4 B 39/92, juris). Jedenfalls ist es einem Kläger, der die Auffassung vertritt, die in der Satzung festgesetzte Höhe des Beitrages verstoße gegen das Kostenüberschreitungsverbot des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA zumutbar, sich durch detaillierte Fragen in die Lage zu versetzen, derartig konkrete Einwendungen führen zu können und substantiierte Kalkulationsrügen einzubringen. So bleibt es ihm unbenommen, im Widerspruchs- und auch im gerichtlichen Verfahren z. B. zu erfragen, wie sich die einzelnen Kostenpositionen zusammensetzen und auf welcher Grundlage die erfolgten Prognosen beruhen (vgl. zum Vorstehenden auch OVG LSA, B. v. 02.03.2010, 4 L 200/09OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 14.03.2011, 9 S 95.10; BayVGH, B. v. 03.01.2012, 20 ZB 11.1112; alle juris).

71

In dieser Weise hat der Kläger hier nicht vorgetragen. Vielmehr hat er lediglich allgemeine Zweifel an der Richtigkeit der Höhe des Beitragssatzes geäußert und dessen Richtigkeit in Frage gestellt.

72

kk. Aus dem Vorstehenden folgt, dass der in § 5 Abs. 2 SBAS auf 3,10 €/m² Beitragsfläche festgesetzte Beitragssatz weder gegen § 6 Abs. 6 Satz 3 KAG LSA noch gegen das in § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA normierte Aufwandsüberschreitungsverbot verstößt.

73

Soweit hier im Rahmen der Kalkulation sowohl beim allgemeinen als auch beim besonderen Herstellungsbeitrag die verrechnete Abwasserabgabe als Abzugsposten eingestellt worden ist, ist fraglich, ob diese zur Ermittlung des „eigenen [umlagefähigen] Aufwandes“ im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA vom beitragsfähigen Aufwand abzuziehen ist. Zwar hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass es sich dabei aus seiner Sicht um „ersparten [Investitions-]Aufwand“ handelt, selbst wenn dies im Rahmen der Abwasserabgabe (§ 10 Abs. 2 bis 5 AbwAG) realisiert wurde. Das Gericht weist in diesem Zusammenhang jedoch darauf hin, dass die infolge der Verrechnung mit Investitionen eingetretene Folge zu keiner – wie bei direkten Zuwendungen – unmittelbaren Minderung der Investitionskosten für die öffentliche Einrichtung führt, sondern lediglich eine „Ersparnis“ in Bezug auf die eigentlich zu leistende Abwasserabgabe bewirkt (vgl. zu den Auswirkungen für die Erhebung von Benutzungsgebühren nach § 5 KAG LSA auch § 7 Abs. 4 AG AbwAG LSA).

74

Ob die verrechnete Abwasserabgabe wie aufwandsmindernde Zuwendungen Dritter zu behandeln sind, kann schlussendlich deshalb dahinstehen, weil dies allenfalls einen noch höheren berücksichtigungsfähigen Aufwand bewirken würde, der höchstmögliche Beitragssatz mithin über dem ermittelten Beitragssatz von 3,82 €/m² liegen würde. Ein zu geringer Beitragssatz beschwert den Kläger jedoch nicht. Dies ergibt sich aus folgendem:

75

Für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist es erforderlich, dass dieser den Kläger selbst in seinen Rechten einschließlich sog. rechtlich geschützten Interessen verletzt, d. h. Vorschriften oder allgemeine Rechtsgrundsätze verletzt, die zumindest auch den Schutz der Interessen des Klägers zum Ziel haben; sog. Schutznormen (Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 15. Auflage, § 113 Rn. 26; Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 11. Auflage, § 113 Rn. 20 h. M.). Ob und in welchem Umfang eine Norm des objektiven Rechts auch dem Schutz von Individualinteressen zu dienen bestimmt ist, ist eine Frage der Auslegung, die unter Berücksichtigung der gesamten Rechtsordnung und der in dieser wirksamen Schutz- und Zweckbestimmungen mit den üblichen juristischen Methoden der Auslegung zu beantworten ist. Diese führt vorliegend dazu, dass der hier insbesondere einschlägigen Vorschriften des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA ein doppelter Regelungsgehalt innewohnt. Die Norm schützt einerseits den Abgabepflichtigen in Bezug auf Art, Höhe sowie andere Umstände der Abgabe und wirkt andererseits normenkonkretisierend und -ausfüllend im Sinne kommunalrechtlicher Haushaltsvorschriften (§ 91 GO LSA/ § 99 KVG LSA i. V. m. § 16 Abs. 1 GKG LSA). In Bezug auf den Rechtskreis zum potentiell Beitragspflichtigen ist § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA Rechtsgrundlage für die Erhebung von Abgaben. In diesem Sinne ist die Vorschrift notwendige Eingriffs- und Befugnisnorm i. S. v. Art. 20 Abs. 3 GG. Sie schützt ihn insoweit, dass nur solche Abgaben und Abgaben in der Höhe erhoben werden, wie diese von Gesetzes wegen vorgesehen sind, bestimmt mithin Inhalt und Schranken des Eingriffs in seine Rechte. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA erlaubt deshalb eine Beitragserhebung nur für die darin benannten Maßnahmen und nur in aufwandsdeckender Höhe (sog. Aufwandsüberschreitungsverbot).

76

Entfaltet § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA gegenüber einem potentiell Beitragspflichtigen Schutzwirkungen lediglich in diesem Umfang, kann ein Beitragsbescheid, mit dem ein Anschlussbeitrag nach § 6 KAG LSA festgesetzt wird, den Kläger nicht etwa deshalb in eigenen Rechten i. S. v. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzen, weil er auf einer Abgabensatzung mit einem Beitragssatz beruht, der im Ergebnis den Aufwand für die beitragspflichtige Maßnahme nicht im vollen Umfange zu refinanzieren in der Lage ist. Denn erschöpfen sich die Schutzwirkungen einer gesetzlichen Norm darin, die Höhe des Beitrages zu begrenzen, so besteht keine Veranlassung, eine Verletzung in eigenen Rechten i. S. v. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO auch dann anzunehmen, wenn die beitragserhebende Körperschaft mit der auf der Grundlage dieser Vorschrift allein zum Zwecke des Eingriffs in die Rechte des Bürgers erlassenen Beitragssatzung ggf. gegen andere als die in der gesetzlichen Norm selbst angelegten Schutzzwecke verstößt. Von einer die Beitragserhebung nach § 6 KAG LSA umsetzenden Satzung kann mithin nicht mehr an Rechtsverletzung für einen Kläger ausgehen, als diese dem Bürger an Schutz durch die gesetzliche Norm selbst gewährt wird. Soweit § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA i. V. m. § 91 Abs. 1 und 2 GO LSA darüber hinaus zugleich die Verpflichtung zur Erhebung von (aufwandsdeckenden) Beiträgen enthält (zur insoweit bestehenden Beitragserhebungspflicht: Dietzel in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 507), rechtfertigt ein darauf beruhender Rechtsverstoß allenfalls ein kommunalaufsichtsrechtliches Einschreiten nach §§ 136 ff. GO LSA/ §§ 146 ff. KVG LSA. Aus diesen Gründen sind auch Beitragssatzungen, deren Beitragssatz (wesentlich) hinter dem ermittelten bzw. ermittelbaren höchstzulässigen Beitragssatz zurückbleibt, geeignet, (sachliche) Beitragspflichten zu begründen. Deshalb findet das Einschreiten der Kommunalaufsichtsbehörde ihre Rechtfertigung auch nicht in der Unwirksamkeit der Satzung, sondern allein in der Korrektur einer (kommunalrechtlichen) Pflichtverletzung.

77

Vorstehendes unterscheidet sich deshalb von den Rechtsfolgen die eintreten, wenn eine Satzung den Anforderungen des § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG nicht gerecht wird. Denn insoweit schützt § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA den Bürger dahingehend, dass Abgaben nur auf der Grundlage einer wirksamen Satzung erhoben werden dürfen. Diese Schutzvorschrift ist bei einem Verstoß gegen § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG LSA verletzt. Hier wird die Satzung § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG LSA jedoch gerecht, da ein solcher Beitragssatz enthalten ist, der den Anforderungen der Schutznorm des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA entspricht.

78

2.2.2.2. Rechtliche Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der übrigen Regelungen der SBAS mit höherrangigem Recht bestehen ebenfalls nicht.

79

aa. Insbesondere ist der vom Beklagten in § 4 SBAS gewählte modifizierte Flächenmaßstab, der sich an der bevorteilten Grundstücksfläche und dem (zulässigen) Maß der baulichen Nutzung in der Gestalt der Anzahl der Vollgeschosse orientiert, für die Erhebung eines Beitrags zur Herstellung einer zentralen Einrichtung zur Schmutzwasserentsorgung ein zulässiger Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der geeignet ist, dem in § 6 Abs. 5 Satz 1 KAG LSA festgelegten Vorteilsprinzip Rechnung zu tragen (vgl. Haack in Driehaus, a. a. O., § 8, Rn 2173 ff. m. w. N.). Da es sich dabei lediglich um den Maßstab für die Beitragserhebung für die Herstellung der zentralen Schmutzwasseranlage handelt, kommt es nicht darauf an, welcher Maßstab für andere Entsorgungsarten – zentral, dezentral, Niederschlagswasser, Bürgermeisterkanäle – für die Abgabenerhebung geeignet ist. Insoweit betreibt der Beklagte ausweislich seiner SBS zur Beseitigung des in seinem Verbandsgebiet anfallenden Schmutzwassers vier rechtlich selbstständige Anlagen als öffentliche Einrichtung (vgl. § 1 Abs. 1 SBS, § 1 Abs. 1 lit. a bis d SBS). Hierzu zählen neben der hier streitbefangenen Einrichtung zur zentralen Beseitigung und Reinigung von Schmutzwasser die öffentliche Einrichtung zur Aufnahme und Ableitung des in Hauskläranlagen auf den Grundstücken vorbehandelten Schmutzwassers ohne anschließende Reinigung des Schmutzwassers in einem Klärwerk (Bürgermeisterkanal) sowie die öffentlichen Einrichtungen zur dezentralen Schmutzwasserbeseitigung für Schmutzwasser aus Sammelgruben und für Fäkalschlamm aus einzelnen Hausklär- oder gemeinschaftlichen Grundstückskläreinrichtungen. Der Beklagte ist dagegen nicht Träger der Aufgabe der Niederschlagswasserbeseitigung, so dass er insoweit auch keine öffentliche Einrichtung betreibt.

80

bb. Auch die nach Erfahrungen des Gerichts in der jüngsten Vergangenheit vermehrt in den Mittelpunkt der rechtlichen Erörterung getretene Frage nach der Vereinbarkeit der auch hier in § 4 Abs. 3 lit. c) Ziffer 2 SBAS enthaltenen Tiefenbegrenzungsregelung ist vorliegend zu bejahen. Zuvorderst sieht sich das Gericht jedoch veranlasst darauf hinzuweisen, dass deshalb nicht gleichsam jede Satzung insoweit auf ihre Vereinbarkeit mit § 6 Abs. 5 Satz 1 KAG LSA von Amts wegen zu untersuchen ist. Denn dass eine Tiefenbegrenzungsregelung auch im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen grundsätzlich rechtlich zulässig ist, ist hinreichend geklärt. Erst wenn ernstliche Zweifel daran bestehen, dass die der Tiefenbegrenzungsregelung zugrunde liegenden Tatsachen nicht zutreffend sind, besteht für das Gericht in Ansehung von § 86 Abs. 1 VwGO Veranlassung, dem weiter nachzugehen.

81

Nach § 4 Abs. 3 lit. c) Ziffer 2 SBAS gilt als bevorteilte Grundstücksfläche in den Fällen, in denen die Grundstücksfläche teilweise im Innenbereich und teilweise im Außenbereich liegt, die Gesamtfläche des Grundstücks, höchstens jedoch die Fläche zwischen dem Grundstück, in dem der Hauptsammler verläuft (Hauptsammlergrundstück), und einer im Abstand von 40 m dazu verlaufenden Parallelen. Diese Regelung ist vorteilsgerecht, was der alleinige Beurteilungsmaßstab ist, weil sie geeignet ist, orientierend an den örtlichen Verhältnissen, hinreichend den für die Ermittlung des auch im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen für die Beitragsbemessung maßgeblichen (bauplanungsrechtlichen) Innen- vom Außenbereich abzugrenzen (vgl. VG Magdeburg, Urt. v. 11.04.2013, 9 A 158/11 MD; OVG LSA, B. v. 21.10.2014, 4 K 245/1, jeweils m. w. N; BVerwG, Urt. v. 12.11.2014, 9 C 9/13 zum Erschließungsbeitragsrecht; alle juris).

82

Dies gilt auch, sofern das OVG LSA in seinem Beschluss vom 21.10.2014 unter Hinweis auf das dem Normgeber insofern zustehende Ermessen darauf verweist, Voraussetzung für dessen ordnungsgemäße Ausübung sei es, dass er die Verhältnisse sorgfältig und willkürfrei ermittelt und das Gericht die Auswahl repräsentativer Grundstücke, die Entscheidung zur Berücksichtigung von bauakzessorischen Nutzungen und die Gewichtung der Bebauungstiefen nur auf deren Übereinstimmung mit den gesetzlichen Erfordernissen überprüft, jedoch keine eigene Entscheidung an die Stelle der zu überprüfenden Ermessensentscheidung setzen darf. Insofern gilt – im Lichte der Ausführungen der Gerichte in den vorstehend zitierten Entscheidungen – das Folgende:

83

Ist die Aufnahme einer Tiefenbegrenzung in eine Beitragssatzung gesetzlich allein durch den Vorteilsbegriff des § 6 Abs. 5 Satz 1 KAG LSA legitimiert, unterliegt sie in Bezug auf ihre dahingehende Vereinbarkeit der gerichtlichen Kontrolle. Hat das Gericht Veranlassung zu der Annahme, die in einer Satzung festgelegte Tiefenbegrenzung sei damit nicht vereinbar, hat es den Sachverhalt dahingehend aufzuklären, dass es die Körperschaft anhält, Unterlagen vorzulegen, aus denen sich die festgelegte Tiefenbegrenzung ergeben soll. Eine weitergehende „Aufklärung der örtlichen Verhältnisse“ dürfte dagegen regelmäßig nicht angezeigt sein, da insofern die Vermutung besteht, dass bereits solche Unterlagen vorgelegt wurden, die aus der Sicht der Körperschaft das Ergebnis zu tragen in der Lage sind. Dies gilt selbstredend dann nicht, wenn die Unterlagen z. B. von einer ganz anderen Herangehensweise geprägt sind und die nicht nur theoretische Möglichkeit besteht, dass die Tiefenbegrenzung den gesetzlichen Anforderungen entspricht (vgl. dazu VG Magdeburg, Urt. v. 07.03.2012, 9 A 190/10 MD zu § 86 Abs. 1 VwGO). Nicht allein maßgebend ist dagegen, ob und welche Unterlagen zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses vorlagen. Es ist seit geraumer Zeit in der abgabenrechtlichen Rechtsprechung des Landes Sachsen-Anhalt geklärt, dass die Gültigkeit einer untergesetzlichen Norm allein davon abhängt, ob sie mit höherrangigem Recht vereinbar ist (so schon OVG LSA, B. v. 19.06.2001, 1 L 267/01). Dies ist mithin auch der alleinige Maßstab für die gerichtliche Prüfung einer satzungsrechtlichen Tiefenbegrenzungsregelung.

84

Vorteilsgerecht ist die Festlegung einer Tiefenbegrenzung dann, wenn sie unter Berücksichtigung ihrer typisierenden Wirkung geeignet ist, die bevorteilte Grundstücksfläche zu ermitteln. Zu Recht weist das OVG LSA insoweit darauf hin, dass das Gericht die Auswahl repräsentativer Grundstücke, die Entscheidung zur Berücksichtigung von bauakzessorischen Nutzungen und die Gewichtung der Bebauungstiefen nur auf deren Übereinstimmung mit den gesetzlichen Erfordernissen überprüfen darf; diese ergeben sich insoweit aus dem Vorteilsprinzip des § 6 Abs. 5 Satz 1 KAG LSA. Anhand der vorgelegten Unterlagen hat das Gericht schlussendlich die Ermessensentscheidung – die konkrete Festlegung der Tiefe der baulichen Nutzung – auf ihre Vereinbarkeit mit § 6 Abs. 5 Satz 1 KAG LSA zu beurteilen. Da der „Weg“ zum „Ergebnis“ sich – anders als bei der Ermittlung des Beitragssatzes – nicht in einem schlichten Rechenvorgang erschöpft, sondern der Körperschaft Spielräume überlässt, ist die konkrete Festlegung der Tiefe der baulichen Nutzung dann aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn sie sich innerhalb eines „Korridors“ bewegt, der durch die Tiefe der baulichen Nutzungen geprägt wird. Die konkrete Festlegung der Tiefenbegrenzung kann vom Gericht nicht durch eine eigene Entscheidung ersetzt werden; der Behörde steht insofern ein nicht weiter gerichtlich kontrollierbares Satzungsermessen zur Seite.

85

Die Tiefe der baulichen Nutzungen kann auch durch bauakzessorische Flächen geprägt werden (so auch BVerwG, Urt. v. 12.11.2014, a. a. O.). Dabei handelt es sich um solche, die sich zwischen dem Hauptgebäude und dem Außenbereich befinden; bei dem „Hauptgebäude“ kann es sich entweder um ein isoliertes Gebäude (i. d. R. Wohnhaus) oder um einen Gebäudekomplex dann handeln, wenn diese in einem baulichen Zusammenhang stehen (Haus mit Stallungen, Scheune etc.); die sich daran anschließenden Flächen gehören dann zum Innenbereich, wenn darauf solche Nutzungen verwirklicht werden, die von der Hauptnutzung abgleitet sind. Dies dokumentiert sich in erster Linie darin, dass sich dort bauliche Nebenanlagen befinden (Hühnerstall, Gerätehaus, Schuppen, Pool, überdachte Sitzgelegenheiten etc). Aber auch ein Hausgarten, der sich anschließt - und dann ohne Zweifel in den Außenbereich als außenbereichstypische Nutzung übergeht -, kann zum Innenbereich gehören (vgl. zum Vorstehenden Söfker in: Ernst-Zinkhahn-Bielenberg, BauGB, Kommentar, § 34 Rn. 25f.). Bei der Beurteilung, ob ein Hausgarten als akzessorische Nutzung prägend ist, ist ebenfalls auf die konkreten örtlichen Verhältnisse abzustellen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob die Grundstücke im Innenbereich ebenso geprägt sind.

86

In Anbetracht dessen, leidet eine Tiefenbegrenzungsregelung in einer Beitragssatzung nur dann an einem Rechtsfehler, wenn sie diesen gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht wird. Dafür liegen in Ansehung der dem Gericht vorgelegten Unterlagen keine Anhaltspunkte vor. Zwar lässt sich der am 18.03.2010 erstellten und zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 26.03.2015 vorliegenden „Ermittlung der ortsüblichen Tiefe der baulichen Nutzung von Grundstücken“ entnehmen, dass die Bebauungstiefe der Grundstücke, für deren unrepräsentative Auswahl das Gericht keine Anhaltspunkte hat, durchschnittlich 40 m beträgt. Zwar ist die Ermittlung eines Durchschnittswertes für die Festlegung der Tiefenbegrenzung nicht geeignet, die bevorteilten Grundstücksflächen zu ermitteln; vielmehr ist die ortsüblich prägende Tiefe der baulichen Nutzung maßgebend (vgl. VG Magdeburg, Urt. v. 11.04.2013, a. a. O.; OVG LSA, B. v. 21.10.2014, a. a. O.). Den Unterlagen lässt sich jedoch auch entnehmen, dass die in § 4 Abs. 3 lit. c) Ziffer 2 SBAS festgelegte Tiefe von 40 m derjenigen der prägenden baulichen Nutzung entspricht. Dies hat das Gericht unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung anerkannten „Gruppenbildung“ durch Berechnung nachvollzogen. Diese Tiefe liegt jedenfalls nicht außerhalb des „Korridors“, bei dem unter Berücksichtigung der mit einer Tiefenbegrenzung regelmäßig einhergehenden Pauschalierung und Typisierung eine vorteilsgerechte Bestimmung der beitragsfähigen Grundstücksfläche vorgenommen werden kann.

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Das Gericht sieht aus Anlass der Regelung in § 32 SBAS vom 04.02.2015 Anlass zu folgenden Hinweisen:

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Wird eine Tiefenbegrenzung den oben dargelegten Anforderungen nicht gerecht, so dürfte dies regelmäßig zur Unwirksamkeit einer Satzung deshalb führen, weil nicht festgestellt werden kann, ob der Satzungsgeber die Satzung auch ohne eine Tiefenbegrenzungsregelung erlassen hätte (vgl. dazu OVG LSA, Urt. v. 14.04.2008, a. a. O.; v. 28.05.2012, a. a. O. sowie B. v. 21.10.2014, a. a. O.). Zwar könnte der insoweit mutmaßliche Wille des Satzungsgebers durch die Aufnahme einer salvatorischen Klausel in die Satzung dokumentierbar sein. Doch selbst wenn dieser anhand einer salvatorischen Klausel nunmehr festgestellt werden könnte, würde es der Satzung dann an einer Vorschrift für die Bemessung der beitragspflichtigen Fläche für solche Grundstücke, die vom Innen- in den Außenbereich übergehen, mangeln; eine solche dürfte jedoch deshalb zwingend erforderlich sein, weil der Maßstab allgemein an die „Grundstücksfläche“ anknüpft, die dann je nach bauplanungsrechtlicher Situation des Grundstücks wegen der Vielzahl der Anwendungsfälle zwingend in der Satzung zu definieren ist und nicht der Rechtsanwendung im Einzelfall überlassen werden darf (vgl. OVG LSA, B. v. 10.07.2004, 1 M 34/04). Sofern die salvatorische Klausel darüber hinaus für den Fall der Unwirksamkeit der Tiefenbegrenzungsregelung nur die Teile des Grundstücks als bevorteilt erklärt, die im Innenbereich belegen sind – was mithin im Einzelfall zu ermitteln ist –, so dürfte es sich dabei um eine „unter Vorbehalt“ in die Satzung aufgenommene Vorschrift handeln, die rechtsstaatlichen Anforderungen an die Klarheit von Rechtnormen nicht genügt, da der Rechtsunterworfene sein Handeln daran nicht ausrichten kann. Hier wäre das Recht jedoch nur „für den Fall der Unwirksamkeit“ gesetzt, deren Beurteilung entweder der Rechtsunterworfene gar nicht vornehmen kann bzw. nicht in seiner Macht steht.

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3. Auch die übrigen Voraussetzungen für die Erhebung des hier streitigen Beitrages liegen vor. So ist für das Grundstück die sachliche Beitragspflicht entstanden (3.1.). Es bestehen zudem keine Bedenken gegen den Zeitpunkt, zu dem der Beklagte die rechtlichen Voraussetzungen für die Festsetzung des Beitrages geschaffen hat (3.2.); gleiches gilt hinsichtlich des Erlasses des hier streitigen Beitragsbescheides (3.3.).

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3.1. Der Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht ist auch für den besonderen Herstellungsbeitrag in § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA geregelt. Auch für Grundstücke, die dem besonderen Herstellungsbeitrag unterliegen, gilt deshalb, dass die sachliche Beitragspflicht gem. § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA – neben dem dort normierten Satzungserfordernis – entsteht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann (vgl. OVG LSA, B. v. 17.03.2006, 4 L 127/06, juris). Da die Rechtsprechung in erster Linie auf die Schaffung der öffentlichen Einrichtung im Rechtssinne abstellt, ist es jedoch nicht erforderlich, dass sämtliche Teile der übernommenen Anlage – und damit zwingend auch die vor dem beitragspflichtig gestellten Grundstück – erneuert worden sein müssen, damit die sachliche Beitragspflicht entstehen kann. Zwar hängt das Bestehen der Vorteilslage i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA neben der tatsächlichen Möglichkeit der Anschlussnahme auch von der rechtlichen Sicherung ab. Hat aber eine Kommune oder ein Zweckverband nach Inkrafttreten des KAG LSA eine vorhandene Anlagen übernommen und den bei der Übernahme an diese Anlage angeschlossenen Altanschlussnehmern zur Nutzung zur Verfügung gestellt, setzt die dauerhaft gesicherte Anschlussmöglichkeit auch der bereits angeschlossenen Grundstücke die Widmung der Anlage voraus, die nach § 8 Satz 1 Nr. 1 GO LSA/ § 11 Abs. 2 KVG LSA grundsätzlich durch Erlass einer Satzung erfolgt, mit der die Benutzung der öffentlichen Einrichtung geregelt und der Zugang zu ihr eröffnet wird. Damit wird auch den (Alt-)Anschlussnehmern ein Anschlussrecht und eine Befugnis zur Benutzung der öffentlichen Einrichtung eingeräumt (vgl. OVG LSA, B. v. 22.11.2004, 1 L 41/03). Stellen (auch) die übernommenen Altkanäle eine hinreichende und dauerhafte Inanspruchnahmemöglichkeit für die Altanschlussnehmer sicher (vgl. OVG LSA, B. v. 17.03.2006, a. a. O.), so muss die öffentliche Einrichtung im Übrigen jedoch einen solchen Ausbauzustand erreicht haben, wie er für die Entstehung eines allgemeinen Herstellungsbeitrages erforderlich ist. Dies folgt aus dem Umstand, dass es sich bei dem besonderen Herstellungsbeitrag eben um einen Herstellungsbeitrag handelt und trägt damit dem Umstand Rechnung, dass der Beitrag die mit der herzustellenden öffentlichen Einrichtung gebotene Vorteilslage und nicht die in der Vergangenheit bewirkte abgelten soll. Daraus folgt, dass zumindest die nach dem Abwasserbeseitigungskonzept vorgesehene Abwasserbehandlungsanlage betriebsbereit hergestellt sein muss (vgl. OVG LSA, B. v. 12.11.2007, 4 M 253/07 zur Betriebsbereitschaft). Diese Voraussetzungen liegen hier mit dem Erreichen des mittlerweile endgültigen Ausbauzustandes der Kläranlage in A-Stadt vor.

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Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist die vom Beklagten zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung betriebene öffentliche Einrichtung für das – dem besonderen Herstellungsbeitrag unterliegenden – Grundstück betriebsfertig i. S. v. § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA, weshalb sie geeignet ist, dem Grundstück einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht dauerhaften Inanspruchnahmevorteil in Bezug auf die zur öffentlichen Einrichtung gehörenden Anlagen der Abwasserbeseitigung zu vermitteln, der zur Beitragserhebung berechtigt.

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Vorliegend kann offen bleiben, ob das klägerische Grundstück – was zwischen den Beteiligten im Streit steht – zum hier maßgebenden Stichtag (15.06.1991) bereits angeschlossen gewesen war oder etwa wegen des Verlaufs des unstreitig in der Bahnhofstraße vorhandenen Hauptsammlers lediglich eine Anschlussmöglichkeit besessen hat, denn die bloße Anschlussmöglichkeit genügt, um insoweit die Beitragspflicht zu begründen.

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3.2. Werden unter Geltung einer formell oder materiell unwirksamen Satzung oder wie hier in satzungsloser Zeit – denn der Beklagte hat erstmals in seiner Satzung vom 29.09.2010 (SBAS) die Erhebung des besonderen Herstellungsbeitrags normiert – die Voraussetzungen für eine in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht dauerhaften Anschlussmöglichkeit geschaffen, entsteht nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt (vgl. OVG LSA, seit B. v. 10.11.1999, B 3 S 29/98; B. v. 25.01.2011, 4 L 234/09; Urt. v. 06.03.2003, 1 L 318/02, m.w.N.; vgl. auch B. v. 10.11.1999, B 3 S 29/98 ; Driehaus, a.a.O., § 8 Rn. 2202, m.w.N.) die sachliche Beitragspflicht für diese Grundstücke gleichwohl erst mit Inkrafttreten der ersten wirksamen Abgabensatzung (dazu oben 2.). Dies gilt auch in den Fällen des sog. besonderen Herstellungsbeitrags (vgl. VG Magdeburg, Urt. v. 22.11.2005, 9 A 118/04, juris; OVG LSA, B. v. 18.11.2004, 1 M 61/04; B. v. 17.03.2006, 4 L 127/06, juris). Anders gewendet: Die beitragsbegründende Satzung kann der tatsächlichen Schaffung der öffentlichen Einrichtung auch nachfolgen, ohne dass es sich dabei um eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung handelt würde (vgl. OVG LSA, Urt. v. 06.03.2003, 1 L 318/02).

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Dass die Anschlussvoraussetzungen vorliegend bereits Anfang/ Mitte der 1990-er Jahre geschaffen wurden und erst ca. 20 Jahre später die satzungsrechtliche Grundlage für die Erhebung des besonderen Herstellungsbeitrages durch den Beklagten gesetzt wurde, ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Zwar war § 6 Abs. 6 KAG LSA in der bis zum 23.12.2014 geltenden Fassung auf Grund der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, B. v. 05.03.2013, 1 BvR 2457/08, juris) zu dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit im Anschlussbeitragsrecht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar (OVG LSA, B. v. 03.12.2014, 4 L 59/13 zum leitungsgebundenen Abgabenrecht; auch Urt. v. 04.12.2014, 4 L 220/13 zum Straßenausbaubeitragsrecht). Dieses Gebot schützt davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden könnten. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, Regelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherstellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden könnten. Die Legitimation von Beiträgen – so das Bundesverfassungsgericht – liege in der Abgeltung eines tatsächlich eingetretenen Vorteils, der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen sei. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebiete, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen könne, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen müsse. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei stehe ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfG, B. v. 05.03 2013, 1 BvR 2457/08, juris). Danach ist eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit von vorteilsausgleichenden kommunalen Abgaben – je nach landesrechtlicher Regelung zum Entstehen der sachlichen Beitragspflicht – mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar (so BVerwG, B. v.. 26.08.2013, 9 B 13.13; vgl. auch Urt. v. 20.03.2014, 4 C 11.13, zu Sanierungsbeträgen nach § 154 BauGB, jeweils juris). Das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit gilt für alle Fallkonstellationen, in denen eine abzugeltende Vorteilslage eintritt, die daran anknüpfenden Abgaben aber wegen des Fehlens sonstiger Voraussetzungen nicht entstehen und deshalb auch nicht verjähren können (so BVerwG, Urt. v. 20.03.2014, 4 C 11.13; vgl. auch VGH Bayern, Urt. v. 14.11.2013, 6 B 12.704, juris; VG Magdeburg, Urt. v. 25.02.2014, 2 A 44/12 MD; OVG LSA, Urt. v. 04.12.2014, 4 L 59/13; Rottenwallner, KStZ 2014, 145, 147 jeweils zum Erschließungsbeitragsrecht; vgl. weiter Driehaus, a.a.O., § 8 Rn. 487c; ders., KStZ 2014, 181 f.; Bücken-Thielmeyer/Fenzel, LKV 2014, 241 f.; Martensen, LKV 2014, 446; grundsätzlich auch VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 10.07.2014, 2 S 2228/13 sowie OVG Greifswald, Urt. v. 01.04.2014, 1 L 142/13, beide juris). Die dargestellte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts betrifft damit auch den allgemeinen und besonderen Herstellungsbeitrag bei leitungsgebundenen Anlagen i.S.d. § 6 Abs. 1 KAG LSA, was den Gesetzgeber verpflichtet, durch gesetzliche Regelungen sicherzustellen, dass eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme von Beitragsschuldnern besteht, die der Rechtssicherheit genügt.

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Dem ist der Landesgesetzgeber nachgekommen, indem er mit der zum 24.12.2014 in Kraft getretenen Neufassung des Kommunalabgabengesetzes durch das Gesetz zur Änderung kommunalabgabenrechtlicher Vorschriften vom 17.12.2014 (GVBl. LSA S. 522) in §§ 13b Satz 1, 18 Abs. 2 KAG LSA bestimmt hat, dass eine Abgabenfestsetzung unabhängig vom Entstehen einer Abgabenpflicht zum Vorteilsausgleich mit Ablauf des zehnten Kalenderjahres, das auf den Eintritt der Vorteilslage folgt, ausgeschlossen ist, wobei die danach zu bestimmende Ausschlussfrist nicht vor dem Ablauf des Jahres 2015 endet. Dass diese Neuregelung verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, ist im Lichte der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung zur Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben mangels gesetzlicher Regelung (vgl. dazu u. a. BVerwG, Urt. v. 20.03.2014, a. a. O.; OVG LSA, Urt. v. 04.12.2014, a. a. O.; OVG Greifswald, Urt. v. 01.04.2014, 1 L 142/13, alle juris) weder ersichtlich noch wird dies von den Beteiligten geltend gemacht. Für das hier anhängige Verfahren bedeutet dies, dass obgleich die Vorteilslage für das klägerische Grundstück bereits mit der erstmaligen Widmung im Satzungsrecht des Beklagten bereits Anfang der 90-er Jahre entstanden ist, dieser nicht rügen kann, erst im Jahr 2011 zum besonderen Herstellungsbeitrag herangezogen worden zu sein, da die gesetzliche Ausschlussfrist gemäß § 18 Abs. 2 KAG LSA nicht vor dem 31.12.2015 ablaufen kann. Auch wenn die Neufassung des KAG LSA nur ex nunc Geltung beanspruchen würde, führt dies zu keinem anderen rechtlichen Ergebnis, da das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (Urt. v. 04.12.2014, 4 L 220/13) unter Verweis auf das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 20.03.2014, 4 C 11.13, zu sanierungsrechtlichen Ausgleichsbeiträgen, juris) zu Recht ausgeführt hat, dass die Einhaltung des rechtsstaatlichen Gebots der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit und damit die Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Regelung jedenfalls bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Regelung durch die Anwendung des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben in Gestalt des Einwandes der unzulässigen Rechtsausübung sichergestellt werden konnte. Zwar ist es – wie das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 05.03.2013 ausdrücklich festgestellt hat – Sache des Gesetzgebers, im Ergebnis sicherzustellen, dass der Beitrag nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden kann. Dass das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Prüfung der Vereinbarkeit der zugrundeliegenden Normen mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben darauf hingewiesen hat, dass die Beitragsschuldner der Beitragspflicht nach der Rechtsprechung der Fachgerichte im Regelfall nicht durch den Einwand der Verwirkung entgehen könnten, steht dem nicht entgegen. Es handelt sich dabei lediglich um eine im Ergebnis nicht entscheidungserhebliche Erwägung zu den Auswirkungen des Verfassungsverstoßes. Danach ist durch die Möglichkeit einer Anwendung des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben weder eine verfassungskonforme Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen zur Entstehung der sachlichen Beitragspflicht und deren Verjährung ausgeschlossen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, B. v.. 02.10.2014, 4 L 125/13) noch wird den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf die notwendigen gesetzlichen Anpassungen Rechnung getragen (vgl. OVG LSA, Urt. v. 04.12.2014, 4 L 59/13). Allerdings war eine zeitweilige Heranziehung des Instruments des Einwandes der unzulässigen Rechtsausübung bis zum Inkrafttreten der schon im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Ergänzung des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung vom 10.09.2014, LT-Drs 6/3419) vorzunehmen. Eine solche Heranziehung ist zur Sicherstellung der verfassungsrechtlichen Maßgaben dann zulässig und ausreichend, wenn – wie hier – eine gesetzliche Neuregelung in absehbarer Zeit erfolgen wird bzw. erfolgt ist. Für einen derartigen Übergangszeitraum wird die grundsätzliche Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden Norm in noch hinnehmbarer Weise ausgeglichen (vgl. OVG LSA, Urt. v. 04.12.2014, 4 L 220/13), geht man mit dem Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 20.03.2014, 4 C 11/13, juris) davon aus, dass zur Ausfüllung des Treuwidrigkeitstatbestandes auf die Wertungen allgemeiner Verjährungsvorschriften zurückgegriffen werden kann. Zu denken ist etwa an die Regelung in § 53 Abs. 2 VwVfG, wonach eine Verjährungsfrist von 30 Jahren zu laufen beginnt, wenn ein Verwaltungsakt zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers unanfechtbar wird. Diese Vorschrift ist zwar auf die Erhebung von Kommunalabgaben nicht unmittelbar anwendbar. Die darin zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzgebers, die Durchsetzbarkeit des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers auf die längste im Zivilrecht vorgesehene Verjährungsfrist von 30 Jahren (§ 197 BGB) zu beschränken (vgl. auch VGH München, Urt. v. 14.11.2013, 6 B 12.704; BVerwG, Urt. v. 20.03.2014, 4 C 11.13, juris zu Sanierungsbeträgen nach § 154 BauGB; OVG Greifswald, Urt. v. 01.04.2014, 1 L 142/13) und zwar unabhängig vom Entstehen des Anspruchs (vgl. § 199 Abs. 2 und 3 Nr. 2 BGB), kann aber zur Ausfüllung des Treuwidrigkeitstatbestandes übernommen werden.

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3.3. In Anwendung der satzungsrechtlichen Regelung hat der Beklagte den besonderen Herstellungsbeitrag auch der Höhe nach auf 794,84 EUR richtig festgesetzt, indem er der Festsetzung eine Grundstücksfläche von 641 qm, einen Vollgeschossfaktor von 0,4 für die zweigeschossige Bebauung sowie einem Beitragssatz von 3,10 EUR/qm zugrunde gelegt hat. Soweit der Kläger (wohl) geltend macht, der Beklagte habe § 6 c Abs. 2 KAG LSA jedenfalls deshalb fehlerhaft umgesetzt, so ist das Gericht nicht gehalten, dem weiter nachzugehen (vgl. oben 2.2.2.1. jj.). Dies auch deshalb nicht, weil die Ermittlung des durchschnittlich großen Wohngrundstücks im Sinne von § 6 c Abs. 2 KAG LSA keinen Einfluss auf die Höhe des Beitragssatzes hat, sondern als gesetzlich angeordnete Billigkeitsmaßnahme, allein bei der Veranlagung des einzelnen Grundstückseigentümers zu berücksichtigen ist (vgl. dazu Haack in Driehaus, a. a. O., § 8, Rn. 2237 f.). Aus diesen Gründen besteht kein greifbarer Anhaltspunkt dafür, dass sich die Bestimmung des § 6 SBAS, nach der die Durchschnittsgröße 1.156 m² beträgt und das überwiegend zu Wohnzwecken genutzte Grundstück bis 1.503 m² voll herangezogen wird, Einfluss auf die hier maßgebliche Beitragsfestsetzung haben kann.

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Soweit der Kläger rügt, er habe im Verfahren nur unzureichend Akteneinsicht erhalten, ist darauf hinzuweisen, dass sich das Akteneinsichtsrecht nach § 100 VwGO lediglich auf die dem Gericht vorgelegten Akten bezieht. Dass der Kläger in Wahrheit rügt, das Gericht hätte weitere Unterlagen beiziehen müssen, berührt nicht sein Akteneinsichtsrecht, sondern allenfalls sein Recht aus § 86 Abs. 1 VwGO, wonach das Gericht von Amts wegen verpflichtet ist, den Sachverhalt vollständig aufzuklären, sofern dies zu seiner Überzeugungsbildung erforderlich ist (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 12.10.2011, 4 K 31/06, juris). Dass die Beiziehung weiterer Unterlagen im vorstehend bezeichneten Sinne nicht geboten war, ist bereits unter 2.2.2.1. jj. erörtert worden.

98

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

99

III. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 3 GKG i.V.m. Ziffer 3.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.