Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 31. Jan. 2018 - 5 A 142/17 MD

bei uns veröffentlicht am31.01.2018

Tenor

Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamts vom 13.02.2017 verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin, afghanische Staatsangehörige, vom Volk der Tadschiken und sunnitisch-muslimischen Glaubens, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Nachdem die Klägerin am 11.01.2016 in die Bundesrepublik Deutschland einreiste, stellte sie am 25.05.2016 einen Asylantrag.

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Im Rahmen der Anhörung durch das Bundesamt am 02.09.2016 gab die Klägerin zu ihren Asylgründen im Wesentlichen an, ihr Mann sei von den Taliban erschossen worden. Zuvor habe ihn jemand angerufen und gesagt, dass ihre Tochter gegen seine Partei sei. Ihre Tochter arbeite beim Staatssicherheitsdienst in Kabul und nehme Taliban fest. Sie hätten viele Warnungen bekommen. Nachdem ihr Mann umgebracht worden sei, sei sie erneut angerufen worden. Der Anrufer habe ihr gesagt, dass ihr Mann nur der Anfang gewesen sei und dass der Rest der Familie auch sterben müsse. Nach vier Tagen sei der Mann zu ihnen gekommen und sie hätte die Polizei gerufen. Die Polizei habe gesagt, dass sie aufpassen müssten. Der Mann habe zweimal angerufen und zweimal sei er persönlich bei ihnen gewesen. Sie selbst habe 22 Jahre als Krankenschwester im M. D. K.-Krankenhaus in Kabul gearbeitet.

4

Mit Bescheid vom 13.02.2017 lehnte das Bundesamt den Antrag der Klägerin auf Asylanerkennung ab, erkannte ihr die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus nicht zu und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid verwiesen.

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Am 06.03.2017 hat die Klägerin Klage erhoben.

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Die Klägerin beantragt,

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die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und den Bescheid der Beklagten vom 13.02.2017 insoweit aufzuheben.

8

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

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die Klage abzuweisen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den bei der Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgang sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist auch begründet. Der Klägerin steht im hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) ein Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu. Der Ablehnungsbescheid des Bundesamtes ist rechtswidrig, soweit er dem entgegensteht und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

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Die Klägerin hat Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG.

13

Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet. Einem Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, der nicht den Regelungen des § 3 Abs. 2 bzw. § 3 Abs. 4 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 8 AufenthG unterfällt oder der den in § 3 Abs. 3 AsylG bezeichneten anderweitigen Schutzumfang genießt, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art und Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundliegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3 b AsylG) und den Verfolgungshandlungen muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen (§ 3 a Abs. 3 AsylG).

14

Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, Juris). Insoweit ist neben einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat in den Blick zu nehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 1990- 9 C 14.89 -, BVerwGE 85, 12, juris Rn. 13, m.w.N.). Ausgangspunkt der anhand dessen zu treffenden Prognoseentscheidung ist das bisherige Schicksal des Schutzsuchenden. Wurde der Ausländer in seinem Herkunftsland bereits verfolgt oder hat er einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten, bzw. war er von einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden unmittelbar bedroht (Vorverfolgung), ist dies ein ernsthafter Hinweis auf die Begründetheit seiner Furcht vor Verfolgung.

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Es obliegt dem Schutz vor Verfolgung Suchenden, die Gründe für eine ihm drohende Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen, d.h. unter genauer Angabe von Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - ergibt, dass er bei verständiger Würdigung eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hat. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, B. v. 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, Juris).

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Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist der Klägerin der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen, da sie sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung aufgrund ihrer politischen Überzeugung außerhalb ihres Herkunftslandes befindet (§§ 3 Abs. 1, 3 b Abs. 1 Nr. 5 AsylG).

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Unter dem Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Asylantragsteller in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG (vgl. Art. 6 QRL) genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Asylantragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (§ 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG; Art. 10 Abs. 1 Buchst. e QRL). Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe reicht es aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller von seinem Verfolger lediglich zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG; Art. 10 Abs. 2 QRL). Die Qualifikationsrichtlinie hat sich insofern an dem aus dem angloamerikanischen Rechtsraum bekannten Auslegungsprinzip der ‚imputed political opinion‘ orientiert, wonach es ausreicht, dass ein Verfolger seine Maßnahmen deshalb gegen den Antragsteller richtet, weil er davon ausgeht, dass dieser eine abweichende politische Überzeugung vertritt (VG München, Urteil vom 02.12.2014 – M 24 K 14.30759 – juris m.w.N.). Als politisch ist eine Überzeugung im Gegensatz zu einer rein privaten dann zu qualifizieren, wenn sie sich im weitesten Sinne auf die Auseinandersetzung um die Gestaltung des Zusammenlebens von Menschen und Menschengruppen im gesellschaftlichen und staatlichen Raum bezieht und damit einen öffentlichen Bezug hat. Der verfolgende Akteur greift auf Leib, Leben oder persönliche Freiheit des Schutzsuchenden zu, um dessen oppositionelle Einstellung zu bekämpfen (Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 3 b AsylG Rn. 23).

18

Das Bundesamt ist unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin zu dem Ergebnis gelangt, dass eine staatlich zu verantwortende Verfolgung von der Klägerin nicht vorgebracht worden sei. Die von ihr vorgetragenen Gründe würden sich auf die Bedrohungen durch Taliban beziehen, weil ihre Tochter bei der Staatssicherheit gearbeitet habe. Es liege folglich keine Verfolgungshandlung und auch kein Anknüpfungsmerkmal vor.

19

Indes hat die Klägerin bereits in der Anhörung beim Bundesamt angegeben, dass ihr Mann seitens der Taliban Warnungen aufgrund der Tätigkeit ihrer Tochter für die Staatssicherheit bekommen habe. Nachdem ihr Mann durch die Taliban umgebracht worden sei, sei sie erneut angerufen worden und der Anrufer habe ihr gesagt, dass ihr Mann nur der Anfang gewesen sei und dass der Rest der Familie auch sterben müsse. Nach vier Tagen sei der Mann zu ihnen nach Hause gekommen. Auch gab sie an, dass sie selbst 22 Jahre lang in einem Krankenhaus gearbeitet habe.

20

Hierzu hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung weiter ausgeführt und ihr Vorbringen insgesamt in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise widerspruchsfrei wiederholt und ergänzt. Dabei konnte sie Unklarheiten in ihrem Vorbringen beim Bundesamt durch die eigenen Ausführungen sowie auf Nachfragen ausräumen. Insbesondere glaubt die Einzelrichterin der Klägerin, dass es während der Anhörung vor dem Bundesamt zu Verständigungsschwierigkeiten gekommen ist, sodass einige Dinge fehlerhaft übersetzt worden sind. Die Klägerin selbst, die auf eine Rückübersetzung des Anhörungsprotokolls vom 02.09.2016 nicht verzichtet hat, hat auf diese Verständigungsschwierigkeiten nicht hingewiesen, sondern erst, nachdem sie durch die Einzelrichterin in Ansehung einiger Unstimmigkeiten darauf angesprochen wurde.

21

Die Einzelrichterin glaubt der Klägerin, dass die Familie mehrfach wegen der Tätigkeit ihrer Tochter für die Staatssicherheit bedroht worden ist und nach der Ermordung ihres Mannes sowie ihres Schwiegersohnes durch die Taliban die Bedrohungen weiterhin stattfanden.

22

Das Vorbringen der Klägerin wird durch die Auskunftslage gestützt, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass nicht nur die Klägerin selbst 22 Jahre lang berufstätig war, sondern auch zumindest zwei ihrer Töchter für Sicherheitsbehörden bzw. die Zentralbank tätig waren. Ihre Töchter traten damit im öffentlichen Leben auf, was den verbreitet konservativen gesellschaftlichen Normen grundsätzlich nicht entspricht.

23

In den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 heißt es, dass Berichten zufolge Angriffe auf Frauen im öffentlichen Leben und in öffentlichen Ämtern, einschließlich weiblicher Parlamentsmitglieder, Mitglieder des Provinzrates, Staatsbedienstete, Journalistinnen, Rechtsanwältinnen, Lehrerinnen, Menschenrechtsaktivistinnen und in internationalen Organisationen tätiger Frauen stattfänden. Sie seien von regierungs- feindlichen Kräften – insbesondere in Gebieten, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der regierungsfeindlichen Kräfte befinden – von traditionellen und religiösen Machtinhabern, von Mitgliedern ihrer Gemeinschaften und in einigen Fällen von Regierungsmitarbeitern angegriffen worden. Frauen, die sich am öffentlichen Leben beteiligen, würden oftmals als gesellschaftliche Normen überschreitend wahrgenommen und als "unmoralisch" verurteilt. Diese Frauen würden von Taliban und anderen regierungsfeindlichen Kräften eingeschüchtert, verfolgt oder gewaltsam angegriffen. Frauen im öffentlichen Leben erhielten Berichten zufolge Todesdrohungen, zum Beispiel über Telefonanrufe oder nächtliche Drohbriefe, in denen sie gewarnt würden, ihre Arbeit zu beenden, da sie andernfalls angegriffen würden. Zahlreiche Frauen, die sich im öffentlichen Leben engagiert hätten, seien Berichten zufolge getötet worden. Laut Menschenrechtsaktivisten seien die Strafverfolgungsbehörden nicht gegen die Straflosigkeit in Fällen von Verfolgung und Angriffen auf Frauen aufgrund ihrer Teilnahme am öffentlichen Leben vorgegangen. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) griffen zahlreichen Berichten zufolge Zivilisten an, die der Zusammenarbeit oder der "Spionage" für regierungsnahe Kräfte, darunter für die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte, verdächtigt würden. Berichten zufolge würden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht würden, und denen deshalb unterstellt werde, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen. Es lägen Berichte über Personen vor, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehrten und von regierungsfeindlichen Gruppen als "Ausländer" oder vermeintliche für ein westliches Land tätige Spione gefoltert oder getötet wurden. Ähnlich könne Personen Mitarbeitern von humanitären Hilfs- und Entwicklungsorganisationen und Frauen im öffentlichen Leben von regierungsfeindlichen Gruppen zur Last gelegt werden, Werte und/oder ein Erscheinungsbild übernommen zu haben, die mit westlichen Ländern in Zusammenhang gebracht werden. Auch aus diesem Grund könnten sie Opfer von Angriffen werden.

24

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe führt in ihrer Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Besondere Gefährdung von Frauen vom 24.05.2016 aus, dass Frauen, die als soziale Normen überschreitend wahrgenommen werden, weiterhin sozial stigmatisiert, generell diskriminiert und in ihrer Sicherheit bedroht würden, besonders in ländlichen und von gegen die Regierung gerichteten Gruppen kontrollierten Gebieten. Zu solchen sozialen Normen gehörten Erfordernisse, die die Bewegungsfreiheit von Frauen einschränken, so das Erfordernis, in der Öffentlichkeit von einer männlichen verwandten Begleitperson begleitet zu werden. Frauen ohne männliche Unterstützung und Schutz seien einem besonderen Risiko ausgesetzt.

25

In ihrem Update zur aktuellen Sicherheitslage vom 30.09.2016 legt die Schweizerische Flüchtlingshilfe weiter dar, dass Frauen sich im Alltag bei der Ausübung ihrer politischen, sozialen und kulturellen Rechte mit tiefgreifender Diskriminierung konfrontiert sehen. Traditionelle Werte schränkten Frauen im Zugang zu Bildung, Gesundheit, Polizeischutz und anderen Dienstleistungen wesentlich ein. Trotz Fortschritten träfen Armut und Analphabetismus Frauen überdurchschnittlich. Zwangs- und Kinderheiraten, die erzwungene Isolation der Frau zu Hause und "Ehrenmorde" seien in Afghanistan verbreitet.

26

Die Wahrnehmung ihrer Töchter als verwestlicht bzw. als den sozialen Normen zuwider handelnd fällt unweigerlich auf die Klägerin zurück, die selbst berufstätig war und so in der Familie ein entsprechendes Vorbild für ihre Kinder – sowie auch für ihre Enkelkinder – gegeben hat. Insoweit hat die Klägerin auch beim Bundesamt angegeben, dass ihr Mann mehrfach aufgrund der Tätigkeit seiner Tochter für den Staatsdienst gewarnt worden ist und führte in der mündlichen Verhandlung weiter aus, die Taliban hätten ihm vorgeworfen, die Tätigkeit seiner Tochter und seines Schwiegersohnes nicht zu unterbinden.

27

Der Schwiegersohn der Klägerin ist nach ihrem glaubhaften Vortrag für den TV-Sender Tolo tätig gewesen. Hierzu führt ACCORD in seiner Anfragebeantwortung zu Afghanistan vom 08.02.2017 aus, die afghanische Internetzeitung Khaama Press (KP) habe im Oktober 2015 berichtet, dass die Taliban in einer Pressemitteilung die privaten Fernsehsender 1TV und Tolo zu militärischen Zielen (der Taliban) erklärt hätten und diese vor Anschlägen gewarnt hätten. Die beiden Sender würden die "Speerspitze" unter den "Propagandanetzwerken" bilden, deren Aufgabe es sei, die intellektuelle und kulturelle Invasion durch die "Ungläubigen" zu fördern. Mithilfe der Amerikaner würden diese Netzwerke "gefährliche" Dinge in die Köpfe junger Afghanen einpflanzen wie etwa fehlende Religiosität, Unmoral, Gewalt, Glücksspiel und den gemischten Umgang von Männern und Frauen im Alltag. Der US-Nachrichtensender CNN habe im April 2016 berichtet, dass die Taliban nun begonnen hätten, offen gegen JournalistInnen vorzugehen. So seien im Januar 2016 sieben MitarbeiterInnen des afghanischen Senders Tolo auf dem Weg von der Arbeit nach Hause bei einem Selbstmordanschlag auf ihren Minibus getötet worden. Weitere 26 Menschen seien dabei verletzt worden. Wie die Nachrichtenagentur Reuters bemerkt habe, hätten die Taliban am Tag nach dem Anschlag auf die MitarbeiterInnen von Tolo, zu dem sie sich bekannt hätten, Medienorganisationen davor gewarnt, "Unmoral" und fremde Kultur zu verbreiten.

28

Vor diesem Hintergrund ist die Einzelrichterin überzeugt, dass die Taliban der Klägerin als Mutter bzw. Schwiegermutter von Personen, die ihren Vorstellungen und Überzeugungen zuwiderhandeln, eine politische Überzeugung zugeschrieben haben und zuschreiben werden, die ihrer eigenen entgegensteht. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin aufgrund ihrer geschwächten Position als 70 Jahre alte Frau und Witwe in erheblichem Maße auf die Unterstützung ihrer Familie – und damit gerade ihrer Kinder und Schwiegerkinder – angewiesen ist.

29

UNHCR führt in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 aus, dass Regierungsfeindliche Kräfte Berichten zufolge Familienangehörige von Personen wie etwa von Frauen im öffentlichen Leben als Vergeltungsmaßnahme und gemäß dem Prinzip der Sippenhaft angegriffen hätten. Insbesondere seien Verwandte, darunter Frauen und Kinder, von Regierungsmitarbeitern und Mitgliedern der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte Opfer von Schikanen, Entführungen, Gewalt und Tötungen geworden.

30

Im Fall der Klägerin wiegt besonders schwer, dass bereits ihr Ehemann erschossen worden ist und die Familie - sowohl die Klägerin als auch ihre Tochter - weiterhin bedroht worden ist. Hiermit haben die Taliban jedenfalls psychische Gewalt in einer Form ausgeübt, die die Schwelle des § 3a Abs. 1 AsylG überschreitet. Auch haben die Taliban so deutlich zu verstehen gegeben, dass sie ein besonderes Interesse an der Familie der Klägerin und – wie die Drohungen zeigen ("Er sagte, dass mein Mann nur der Anfang sei und dass der Rest der Familie auch sterben müsse.") – gerade auch an der Person der Klägerin haben, sodass nicht davon auszugehen ist, dass die Klägerin im Fall einer Rückkehr nach Kabul unbehelligt leben könnte.

31

Im Ergebnis bleibt somit festzuhalten, dass die Klägerin Afghanistan vorverfolgt – und zwar verfolgt aufgrund einer ihr zumindest zugeschriebenen politischen Überzeugung – verlassen hat. Stichhaltige Gründe, aufgrund derer davon ausgegangen werden könnte, dass sie einer solchen Verfolgungsgefahr im Fall ihrer Rückkehr nicht mehr unterliegen wird, sind nicht ersichtlich.

32

Die Islamische Republik Afghanistan ist auch erwiesenermaßen nicht in der Lage, Schutz vor der Verfolgung der nichtstaatlichen Akteure zu bieten. Dies wäre dann der Fall, wenn der Staat geeignete Schritte eingeleitet hätte, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung der Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Kläger Zugang zu diesem Schutz hätte (vgl. Art. 7 Abs. 2 QRL). Nach der Auskunftslage sind diese Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt. Eine Schutzfähigkeit des Staates vor Übergriffen Dritter ist im Hinblick auf die Verhältnisse im Herkunftsland der Klägerin nicht gegeben (vgl. etwa EASO: Afghanistan: Security Situation, November 2016; Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 06.11.2015 und 19.10.2016).

33

Nach der derzeitigen Auskunftslage kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin in einem anderen Landesteil Afghanistans ohne Furcht vor Verfolgung leben könnte und ihr somit eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht.

34

Nach § 3e AsylG wird die Flüchtlingseigenschaft dem Ausländer nicht zu erkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat, er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

35

Zur Frage, wann von dem Ausländer "vernünftigerweise erwartet werden kann", dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, hat das Bundesverwaltungsgericht (zur alten Rechtslage) ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes -oberhalb (Hervorhebung durch die Einzelrichterin) der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 20). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können (hierzu ausführlich: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 06.03.2012 – A 11 S 3070/11 – juris). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Die Klägerin ist als Witwe im Alter von 70 Jahren voraussichtlich nicht in der Lage, sich selbstständig überhaupt ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren. Ihre gesamte Familie, bis auf zwei Schwestern, befindet sich nicht mehr in Afghanistan.

36

Das UK Home Office führt in seinem Bericht vom Februar 2016 aus, nach Gewohnheitsrecht erbe eine Frau in der Regel nicht. Die UN in Afghanistan berichte, dass Witwen in Bezug auf Erbrechte besonders schlecht behandelt würden. Sie würden häufig gezwungen, einen anderen Mann aus der Familie zu heiraten, um das Erbe in der Familie zu behalten.

37

ACCORD führt in einer Anfragebeantwortung zu Afghanistan vom 26.08.2016 unter Berufung auf weitere Quellen aus, dass Frauen, die nach dem Tod bzw. der Verwundung ihres Ehemannes als Alleinverdienende zurückgelassen würden, an langfristigen negativen sozioökonomischen Folgen leiden würden und zudem anfällig seien, Opfer von anderen Formen von Gewalt bzw. Misshandlung zu werden. UNAMA habe eine Umfrage unter 60 Witwen durchgeführt. Mehr als ein Viertel von diesen habe angegeben, nach dem Tod ihres Ehemannes zum Ziel von Gewalt (seitens der Verwandtschaft und der weiteren Gemeinschaft) geworden zu sein. Zu den am häufigsten berichteten Formen von Gewalt hätten gezählt: Beschimpfungen, Vertreibung aus dem Familienhaus, erzwungene Wiederverheiratung, körperliche Gewalt und gesellschaftliche Ausgrenzung. In vielen Fällen habe diese Gewalt bereits wenige Tage nach dem Tod des Ehemannes eingesetzt und sei am häufigsten von der Familie des verstorbenen Ehemannes ausgegangen. Bezüglich der Rolle von Verwandten des verstorbenen Ehemannes in Bezug auf Witwen und deren Kinder schreibe Matt Zeller, Fellow an der in Washington ansässigen Denkfabrik Truman National Security Project, in einem im September 2012 veröffentlichten Artikel für die US-amerikanische Onlinezeitung Huffington Post, dass wenn ein afghanischer Mann sterbe, die Verantwortung, sich um dessen Kinder zu kümmern, an den nächsten lebenden Verwandten des Mannes, für gewöhnlich einen der Brüder, übergehe. Mehrere Quellen würden über die (auch zwangsweise) Wiederverheiratung von Witwen mit einem männlichen Verwandten des verstorbenen Ehemannes (Levirat) berichten (ACCORD vom 26.08.2016: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von Witwen (Schutz, Arbeit, Wohlfahrtsstrukturen, abrufbar auf https://www.ecoi.net/en/document/1339828.html).

38

Auch schreibt die Schweizerische Flüchtlingshilfe in ihrer Auskunft vom 15.12.2011 (Afghanistan: Alleinstehende Frau mit Kind), afghanische Frauen hingen ihr Leben lang von ihren Ehemännern, Brüdern oder Vätern ab. Frauen, deren Ehemänner im Ausland lebten, seien von männlichen Verwandten abhängig; sie seien gefährdet, geschlagen und sexuell missbraucht zu werden. Alleinstehende Frauen würden von der Gesellschaft nicht akzeptiert und wenn sie nicht wieder von ihrer Herkunftsfamilie aufgenommen würden, hätten sie kaum einen Ort, wohin sie gehen könnten. Es sei in Afghanistan schlicht nicht möglich, eine Wohnung zu mieten oder sich mit Arbeit durchzuschlagen. Alleinstehende Frauen könnten nur schwer überleben und für sich und ihre Kinder sorgen. Religiöse Autoritäten hätten vermehrt darauf gepocht, dass es sozial inakzeptabel sei, wenn Frauen ohne männlichen Begleiter das Haus verlassen. Ohne männliche Unterstützung hätten Frauen aufgrund der sozialen Restriktionen und der eingeschränkten Bewegungsfreiheit keine Lebensgrundlage. Ohne männliche Begleitung ist ihnen der Zugang zur Arbeit, aber auch zur Bildung und zur Gesundheitsversorgung verwehrt.

39

Ohne die Möglichkeit, auf die Unterstützung ihrer Familie zurückzugreifen und ohne die realistische Chance auf eine ausreichende Existenzsicherung aus eigener Kraft ist es der Klägerin folglich nicht zuzumuten, sich in einem anderen Landesteil außerhalb Kabuls niederzulassen.

40

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83 b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Tenor

I.

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klagepartei zu 1. und der Klagepartei zu 2. die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

II.

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klagepartei zu 3. die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, jedoch erst zu dem Zeitpunkt, in dem die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Klagepartei zu 1. oder der Klagepartei zu 2. rechts- oder bestandskräftig geworden ist.

III.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

IV.

Die Kostenentscheidung ist für die Klagepartei vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klagepartei vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Kläger sind afghanische Staatsangehörige, der Volksgruppe der Hazara zugehörig und schiitischen Glaubens. Der Kläger zu 1. (geb. fiktiv 1.1.1985) und die Klägerin zu 2. (geb. fiktiv 1.1.1986) sind seit ... Mai 2010 verheiratet und lebten in .... Der Kläger zu 3. (geb. ....2013) ist der gemeinsame Sohn.

Die Kläger reisten ca. Mitte Mai 2013 aus Afghanistan aus. Nach ihrer Einreise am 17. Oktober 2013 in das Bundesgebiet stellten sie am 28. Oktober 2013 Asylantrag. Es erfolgte eine getrennte Befragung der Kläger zu 1. und zu 2. am 28. Oktober 2013 zur Vorbereitung der Anhörung gem. § 25 AsylVfG statt. Eine Anhörung gemäß § 25 AsylVfG der Kläger durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) fand nicht statt.

Die Kläger legten dem BAMF durch ihre Bevollmächtigte am 11. Februar 2014 ein umfangreiches Konvolut an Unterlagen und Dokumenten in getrennter Einzelauflistung bezüglich der Kläger vor. Die Bevollmächtigte erbat die schnellstmögliche Festsetzung eines Anhörungstermins. Sie führte aus, die Kläger zu 1. und 2. hätten sich durch ihre beruflichen und politischen Tätigkeiten in Afghanistan stark exponiert. Die Klägerin zu 2. sei Rechtsanwältin und sei über mehrere Jahre politisch tätig gewesen, u. a. als Abgeordnete des ... Regionalparlaments. Sie sei offen im Wahlkampf aufgetreten, d. h. über Wahlplakate sei ihr persönliches Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit präsent gewesen. Sie unterliege allein aufgrund der Tatsache, dass sie weiblich, Angehörige der ethnischen Minderheit der Hazara, akademisch gebildet und politisch aktiv sei, einem Verfolgungsdruck, der in mehrfacher Hinsicht an asylrechtlich relevante Tatsachen anknüpfe. Der Kläger zu 1. sei über viele Jahre für internationale Nicht-Regierungsorganisationen im Sicherheitsbereich tätig gewesen und habe auch für das afghanische Innenministerium gearbeitet. Auch er sei, insbesondere aufgrund seiner Tätigkeit für US-finanzierte Projekte der ernsthaften Gefahr ausgesetzt, zur Zielscheibe staatsfeindlicher, insbesondere islamistischer Kreise zu werden. Als gefahrerhöhend werde sich möglicherweise auch der Umstand auswirken, dass er mit einer Frau verheiratet sei, die sich in vielfacher Weise exponiert habe. Die Asylgründe der Kläger zu 1. und zu 2. gälten zu gleichen Maßen für den Kläger zu 3., da er von Verfolgungsmaßnahmen gegen seine Eltern unmittelbar selbst in seiner Existenz bedroht wäre.

Unter Hinweis auf § 75 VwGO erbat die Klägerbevollmächtigte die Fortführung des Verfahrens. Das BAMF verwies darauf, dass aufgrund der derzeitigen Arbeitsbelastung kein konkreter Anhörungstermin genannt werden könne. Das BAMF mache von seinem Recht der Priorisierung hinsichtlich anderer Herkunftsländer wie auch älterer Verfahren bezüglich des Herkunftslandes Afghanistan Gebrauch.

Die Kläger ließen durch ihre Bevollmächtigte mit Eingang am 11. Juni 2014 beim Verwaltungsgericht München Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO erheben mit dem Antrag,

die Beklagte zu verpflichten, die Kläger als Flüchtlinge i. S. der Genfer Flüchtlingskonvention, § 3 AsylVfG anzuerkennen,

hilfsweise den Klägern subsidiären Schutzstatus hinsichtlich Afghanistan zu gewähren,

höchsthilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Die Kläger hätten ein schützenswertes Interesse an einer zügigen Entscheidung über ihre Asylgesuche, da ihre Asylanträge in der Sache berechtigt seine. Die bisherigen Ausführungen hierzu wurden wiederholt. Die Priorisierungsentscheidung des BAMF komme Herkunftsländern wie Serbien mit einer Anerkennungsquote in 2013 von 0,6% zugute und führe gleichzeitig zu einer längeren, grundrechtseinschränkenden Asylverfahrensdauer bei aussichtsreichen Asylverfahren, insbesondere bei Herkunftsländern mit hoher Anerkennungsquote.

Nachdem die Entscheidung der Rechtsstreitigkeiten mit Beschluss vom 17. Juli 2014 auf den Einzelrichter übertragen worden war, wurde das BAMF zur Nachfristsetzung gemäß § 75 VwGO angehört. Das BAMF äußerte sich zum Vorliegen eines zureichenden Grundes für die noch nicht erfolgte Verbescheidung. Mit Beschluss vom 17. September 2014 setzte das Gericht eine Nachfrist bis zum 17. November 2014 zur Entscheidung über die Asylanträge der Kläger und setzte das Gerichtsverfahren bis zu diesem Zeitpunkt aus. Mit Schreiben vom 6. Oktober 2014 teilte das BAMF mit, dass eine Entscheidung der Asylverfahren aufgrund der Vielzahl momentan anhängiger Asylverfahren nicht möglich sei.

Das BAMF übersandt die Behördenakte und auf gesonderte Anforderung das von den Klägern dem BAMF vorgelegte Konvolut an Unterlagen und Dokumenten.

Das Gericht hat die Kläger zu 1. und zu 2. in der mündlichen Verhandlung vom 2. Dezember 2014 zu ihren Asylgründen angehört und in die vorgelegten Dokumente und Unterlagen Einsicht genommen. Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung ihre Gründe für die geltend gemachte Flüchtlingsanerkennung umfassend vorgetragen und hierzu insbesondere auf die eingereichten Dokumente verwiesen. Auf die detaillierten Schilderungen zu Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 2. Dezember 2014 wird verwiesen.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte verwiesen.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Klagepartei zu 1. und zu 2. haben zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1, § 3 AsylVfG (in der ab 1. Dezember 2013 geltenden Fassung nach dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (BGBl I 2013, 3474); § 113 Abs. 5 VwGO).

1. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl 2013, 3474; nach Maßgabe dessen Art. 7 am1. Dezember 2013 in Kraft getreten) hat die Bundesrepublik Deutschland die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337 v. 20.12.2011, S. 9; sog. (neuere) Qualifikationsrichtlinie, nachfolgend QRL), die die vorausgehende Qualifikationsrichtlinie RL 2004/83/EG (ABl EU Nr. L 304 v. 29. 4. 2004, S. 12) in einer überarbeiteten Fassung ablöste, umgesetzt. In diesem Zuge (vgl. Art. 1 und 2 des Umsetzungsgesetzes) wurde die bisherige Normierung in § 60 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F., die die Flüchtlingsanerkennung auf der Grundlage des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) und den europarechtlichen Abschiebeschutz (nunmehr insgesamt als internationaler Schutz bezeichnet) betraf, zugleich in das AsylVfG transferiert. Die Neufassung der nunmehr umgesetzten Qualifikationsrichtlinie präzisiert eine Reihe von Regelungen und führt zu Statusverbesserungen für international subsidiär Schutzberechtigte (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, § 4 AsylVfG) ohne inhaltliche Änderung in Betreff der Zuerkennungsvoraussetzungen internationalen Schutzes (vgl. Gesetzentwurf BT-Drs 17/13063 A., B., Begründung A. Allgemeiner Teil, II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs, und B. Besonderer Teil, insb. zu Nummer 3 (§ 1), 6 (§ 3), 7 (§§ 3a bis 4), 19 (§ 26), 20 (§ 28), 28 (§ 40)).

In § 3 AsylVfG wird der Flüchtlingsbegriff im Wortlaut der in Art. 1 A GFK und der in der QRL enthaltenen Flüchtlingsdefinition angepasst. Die Untergliederung wurde zur besseren Lesbarkeit des Textes eingefügt. § 3a AsylVfG setzt Art. 9 QRL, § 3b AsylVfG setzt Art. 10 QRL, § 3c AsylVfG setzt Art. 6 QRL, § 3d AsylVfG setzt Art. 7 QRL, § 3e AsylVfG setzt Art. 8 QRL, § 4 AsylVfG setzt Art. 15 und 17 Abs. 2 QRL um. Die Richtlinie 2011/95/EU ist zum Inhalt des zu gewährenden Schutzes ergänzend anzuwenden.

2. Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des GFK, wenn er sich

1. aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet,

2. außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,

a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder

b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

Einem Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylVfG, der nicht den Aberkennungsausnahmen nach § 3 Abs. 2 AsylVfG oder nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG unterfällt oder der den in § 3 Abs. 3 AsylVfG bezeichneten anderweitigen Schutzumfang genießt, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (§ 3 Abs. 4 AsylVfG).

3. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG, des Art. 1 A GFK und der Richtlinie 2011/95/EU gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG; Art. 9 Abs. 1 Buchst. a QRL), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG; Art. 9 Abs. 1 Buchst. b QRL).

4. Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG i. V. m. § 3b AsylVfG) und den Verfolgungshandlungen (den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen, § 3a AsylVfG) muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylVfG; Art. 9 Abs. 3 QRL).

Unter dem Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Asylantragsteller (§ 13 AsylVfG) in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylVfG (vgl. Art. 6 QRL) genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Asylantragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (§ 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylVfG; Art. 10 Abs. 1 Buchst. e QRL). Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe reicht es aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller von seinem Verfolger lediglich zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylVfG; Art. 10 Abs. 2 QRL). Die Qualifikationsrichtlinie hat sich insofern an dem aus dem angloamerikanischen Rechtsraum bekannten Auslegungsprinzip der ‚imputed political opinion‘ orientiert, wonach es ausreicht, dass ein Verfolger seine Maßnahmen deshalb gegen den Antragsteller richtet, weil er davon ausgeht, dass dieser eine abweichende politische Überzeugung vertritt (VG Saarland v. 22.8.2013 - 3 K 16/13 - juris Rn. 16 mit Hinweis auf Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, § 15 Rn. 26; Nachweise aus der Rechtsprechung bei UNHCR, „Auslegung von Artikel 1 des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“, 2001, Fußnote 54 zu Rn. 25). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylgrundrecht des Art. 16a GG kann eine politische Verfolgung dann vorliegen, wenn staatliche Maßnahmen gegen - an sich unpolitische - Personen ergriffen werden, weil sie der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet werden, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist (BVerfG, B. v. 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96). Dienen diese Maßnahmen der Ausforschung der Verhältnisse des Dritten, so kann ihnen die Asylerheblichkeit nicht von vornherein mit dem Argument abgesprochen werden, sie seien nicht gegen die politische Überzeugung des Betroffenen gerichtet (BVerfG, B. v. 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 - juris Rn. 21 - Ausführungen in Betreff von Repressalien des ägyptischen Geheimdienstes).

5. Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr. Dies gilt wegen der Symmetrie der Maßstäbe für Anerkennung und Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft gleichermaßen. Dieser Maßstab wird vom BVerwG mit demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gleichgesetzt (BVerwG U. v. 1.6.2011 - 10 C 25/10 - juris Rn. 20,23). Die Tatsache, dass ein Asylantragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Asylantragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Asylantragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 QRL; vgl. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG a. F., der auf die unveränderte Vorgängernorm in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG verweist). Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei, was etwa bei einem Widerruf der zuerkannten Flüchtlingseigenschaft Relevanz hat. Bei der Beurteilung, ob eine Flüchtlingsanerkennung aufgrund anderer Tatbestände (auch Nachfluchttatbestände nach § 28 AsylVfG) als der vom Asylantragsteller vorgetragenen bzw. früher vorliegenden Tatbeständen auszusprechen ist, ist Art. 4 Abs. 4 QRL nicht anzuwenden. Im Stadium der Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling ist das Anforderungsniveau unterschiedslos gleich (EuGH, U. v. 2.3.2010 - Salahadin Abdulla - C-175/08 - juris; BVerwG, U. v. 1.6.2011 - 10 C 25/10 -, BVerwGE 140, 22).

Die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist (§ 28 Abs. 1a AsylVfG). Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gem. § 28 Abs. 1 AsylVfG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (BVerwG U.v. 18.12.2008 - 10 C 27/07 - juris Rn. 14; OVG SA U. v. 18.7.2012 - 3 L 147/12 - juris RN. 26). Auch insoweit als die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchtgründen beruht, reicht es bei der Prüfung der Verfolgungsgründe aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller von seinem Verfolger lediglich zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylVfG; Art. 10 Abs. 2 QRL).

Hat keine Vorverfolgung entsprechend Art. 4 Abs. 4 QRL stattgefunden, so kann Schutz nach § 3 AsylVfG weiterhin nur derjenige beanspruchen, der politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Dabei gilt unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum inhaltsgleichen bisherigen § 60 Abs. 1 AufenthG a. F., dass eine Verfolgungsgefahr für einen nicht verfolgt Ausgereisten und damit dessen begründete Furcht vor Verfolgung nur dann vorliegt, wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falls mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren.

Entscheidend ist, ob bei „qualifizierender“ Betrachtungsweise aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann und deshalb eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Die Betrachtung ist weder auf einen quantitativ zu ermittelnden überwiegenden Wahrscheinlichkeitseintritt reduziert, noch ist der quantitative Aspekt ausgeschlossen. Bei der vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ müssen die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium bei der Beurteilung, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist. Bei quantitativ nicht überwiegender Wahrscheinlichkeit (mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50%) einer Gefahr kann eine politische Verfolgung gegeben sein, wenngleich die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht ausreicht, da ein vernünftig denkender Mensch sie außer Betracht lässt. Wenn sich aus den Gesamtumständen des Falles die reale Möglichkeit einer Verfolgung ergibt, riskiert kein verständiger Mensch die Rückkehr in das Herkunftsland. Bei der Abwägung aller Umstände bezieht der verständige, besonnen und vernünftig denkende Betrachter neben dem Alter des potentiellen Rückkehrers auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in gewissem Umfang ein. Es besteht ein erheblicher Unterschied, ob die Gefahr z. B. eines Verhörs ohne Folter, einer Inhaftierung über Stunden, Tage, Monate, Jahre, der Folter oder aber des „Verschwindenlassens“ oder der Todesstrafe droht (BVerwG, U. v. 1.6.2011 - 10 C 25/10 - juris; B. v. 7.2.2008 - 10 C 33/07 - juris).

6. Zur Überzeugung des erkennenden Gerichts ist sowohl die Klagepartei zu 1. als auch die Klagepartei zu 2. aufgrund der aktuellen Situation im Fall einer Rückkehr in ihr Heimatland jeweils aus eigenständigen Gründen der Gefahr einer wie oben dargestellten Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt. Staatlicher Schutz ist nicht erreichbar. Ihre Furcht vor Verfolgung i. S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG ist begründet.

Der Kläger zu 1. ist als sog. Ortskraft für die International Military Forces (IMF), vornehmlich für die US-amerikanischen Truppen und NGOs in Zusammenarbeit mit dem afghanischen Innenministerium, der APPF (Afghan Public Protection Forces) im Sicherheits-, Dolmetscher- und Projekt-Evaluierungsbereich - zuletzt sogar in herausgehobener Position - langjährig tätig gewesen. Wenngleich der Kläger zu 1. vor seiner Ausreise unmittelbar selbst keinen Angriffen oder Übergriffen seitens AGEs (Anti Government Elements) ausgesetzt war, berichtet der Kläger zu 1. glaubhaft, dass die Taliban über den Kläger zu 1. und dessen Familie Bescheid wussten und Informationen über ihn gesammelt hatten.

Die Klägerin zu 2. ist als Juristin und Abgeordnete des ... Regionalparlaments, wie auch während ihrer (abgebrochenen) Wiederkandidatur in der Öffentlichkeit im Öffentlichen Raum wahrnehmbar tätig gewesen. Daneben war sie über ihren Wahlkampf mittels Auftritten, Wahl-Plakatierung mit ihrem Konterfei wie auch über Interviews mit Fotos von ihrer Person, die im Internet Verbreitung fanden, in der breiteren Öffentlichkeit bekannt. Daneben war sie auch bei einem Fernsehsender für eine Produktionsfirma als Synchronsprecherin tätig. Die Klägerin zu 2. berichtet glaubhaft, dass sie bereits Bedrohungen, Anfeindungen und Tätlichkeiten verschiedenster Gruppen und aus verschiedensten Richtungen ausgesetzt war, die auch mit einem Brandanschlag auf die Werkstatt ihres Vaters untermauert worden waren, die sie letztlich aus Sicherheitsgründen für sich und ihre Familie dazu bewogen, ihre Wahlkampfkandidatur und ihr öffentliches Auftreten einzustellen und zu beenden.

Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist deshalb beim Kläger zu 1. und bei der Klägerin zu 2. zu bejahen. Das erkennende Gericht stützt seine Bewertung auf die nachfolgend dargestellten Erkenntnisse.

Nach der sich aus der Auswertung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel ist davon auszugehen, dass beide Kläger besonders gefährdeten Personengruppen der Zivilgesellschaft Afghanistans angehören, die verstärkt, systematisch und gezielt Opfer von Anschlägen der AGE, vornehmlich der Taliban, wurden. In dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Updaten- Die aktuelle Sicherheitslage- vom 30. September 2013, wird unter 5. Menschenrechtslage: Gefährdungsprofile als besonders gefährdete Zielgruppe regierungsfeindlicher Gruppierungen oder konservativer Kreise u. a. Beschäftigte von nationalen und internationalen Organisationen und solchen der ausländischen Sicherheitskräfte angeführt, auf die Anschläge verübt werden. Vermehrt sind auch deren Familienangehörige Bedrohungen ausgesetzt (S. 17). Die Gewalt gegenüber Frauen ist in Afghanistan 2012 stark angestiegen. Insbesondere Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, wie etwa Parlamentarierinnen, Beamtinnen, Journalistinnen, Anwältinnen, Frauen- und Menschenrechtsaktivistinnen oder Lehrerinnen werden eingeschüchtert und gezielt getötet. Zu den Tätern gehören neben Angehörigen regierungsfeindlicher Gruppierungen mächtige Kommandierende, traditionelle und religiöse Machthaber, Mitglieder krimineller Banden sowie staatliche Instanzen und Autoritäten (S. 15f.) Nichts anderes geht aus dem UNHCR Bericht vom 6. August 2013 „UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan“ hervor, dort A. 1. c), e) und g), S. 31ff. Gerade in 2012 wie auch in 2013 bis zu den jeweiligen Berichtszeitpunkten ist ein sehr starker Anstieg der Anschläge zu verzeichnen, was insbesondere auch auf die am 2. Mai 2012 von den Taliban verkündete „Al-Farooq“ Frühlingsoffensive, die im Frühjahr 2013 wiederholt wurde, zurückzuführen ist, und zum Ziel hat, gerade auch Personen in Tätigkeitsbereichen wie die Kläger zu 1. und zu 2. zu töten, um insgesamt auch andere in diesem Tätigkeitsbereich abzuschrecken und einzuschüchtern und andererseits dadurch den Einfluss und den Kontrollbereich der AGEs wieder zu erhöhen.

Der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft stehen auch nicht die Aberkennungsausnahmen nach § 3 Abs. 2 AslyVfG und § 3 Abs. 4 AslyVfG i. V. m. § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG entgegen. Anhaltspunkte dafür sind nicht ersichtlich und wurden von der Beklagten auch nicht vorgetragen.

7. Der Klagepartei zu 3. ist als minderjährigem Kind der Klagepartei zu 1. und zu 2. die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 26 Abs. 2 i. V. m. Abs. 5 AsylVfG zu dem Zeitpunkt zuzuerkennen, in dem die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Klagepartei zu 1. oder zu 2. rechts- oder bestandskräftig geworden ist. Damit wird der in § 26 Abs. 2 AsylVfG i. V. m. Abs. 5 genannten Rechtsvoraussetzung, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für einen Elternteil unanfechtbar, d. h. im vorliegenden Fall rechtskräftig geworden sein muss, Rechnung getragen (vgl. VG Freiburg, U.v. 19.4.2006 - A 1 K 11298/05 - juris; VG Karlsruhe, U.v.27.6.2013 - A 8 K 978/11; Marx, AsylVfG, 7. Aufl., 2008, § 26, Rn. 137).

8. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. September 2011 - A 8 K 878/11 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verpflichtet wird, bei dem Kläger das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots (hier: § 60 Abs. 2 AufenthG) hinsichtlich Afghanistans festzustellen.

Die Beklagte trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens im zweiten Rechtszug.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am ...1992 in Denawe Gulbori/Jagato in der Provinz Ghazni geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger schiitischen Glaubens vom Volk der Hazara reiste am 07.02.2010 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 18.02.2010 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, die Taliban hätten ihn unter Bedrohung seiner Eltern im Oktober 2009 zwangsrekrutiert und in ein Ausbildungslager an der Grenze zu Pakistan verschleppt. Von dort sei er desertiert und mit Hilfe seines Vaters und Onkels über Pakistan auf dem Landweg nach Deutschland geflohen. Seine Eltern seien hernach aus Sicherheitsgründen gezwungen gewesen, aus der Provinz Ghazni nach Kabul umzuziehen. Auch heute lebe seine Familie in Kabul und teilweise im Iran. Bei einer Rückkehr in die Heimat drohe ihm Lebensgefahr durch Racheakte der Taliban. In Afghanistan sei er bekannt, weil er von 2007 bis 2009 Mitglied der Ringer-Nationalmannschaft gewesen sei; 2008 habe er in Indonesien eine Goldmedaille für sein Land errungen. 2009 habe er Abitur gemacht und, wie sein Vater, den Beruf des Schneiders erlernt. In Deutschland habe er zwischenzeitlich Integrationskurse und ein Berufsvorbereitungsjahr absolviert. Sportlich sei er in dem „SV ...“ in W. erfolgreich als Ringer aktiv; bei den baden-württembergischen Juniorenmeisterschaften habe er in seiner Gewichtsklasse den ersten Platz belegt.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (- Bundesamt -) vom 22.03.2011 ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Asyl scheide aufgrund der Drittstaatenregelung aus. Die Flüchtlingseigenschaft könne nicht zuerkannt werden, weil der Sachvortrag des Klägers zu unsubstantiiert und damit nicht glaubhaft sei. Auch aus der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara folge keine Gefahr landesweiter Verfolgung. Unionsrechtlich begründete Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG seien nicht gegeben; insbesondere eine Feststellung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheitere daran, dass keine dem Kläger im Rahmen eines bewaffneten Konflikts drohende erhebliche individuelle Gefahren für Leib oder Leben vorliege; spezifische gefahrerhöhende Umstände seien nicht glaubhaft gemacht worden. Auch nationale Abschiebungsverbote seien nicht gegeben. Vor allem in Kabul drohe dem Kläger keine extreme Gefahrenlage, sodass auch eine Feststellung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausscheide.
Am 04.04.2011 hat der Kläger unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts vom 22.03.2011 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG vorliegt, höchst hilfsweise die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG gegeben ist. In der mündlichen Verhandlung vertiefte und ergänzte er sein Vorbringen.
Mit Urteil vom 23.09.2011 - A 8 K 878/11 - hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zu der Feststellung eines Abschiebungsverbots hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verpflichtet, insoweit den Bundesamtsbescheid vom 22.03.2011 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung des stattgebenden Teils seines Urteils hat es im Wesentlichen ausgeführt, im Falle des Klägers würden individuelle gefahrerhöhende Umstände vorliegen. Der Kläger habe glaubhaft dargelegt, dass ihm aufgrund seiner Flucht aus dem Taliban-Camp Verfolgung und Lebensgefahr durch die Taliban drohe. Als ehemaliges Mitglied der afghanischen Ringer-Nationalmannschaft sei er eine auffällige Person, die landesweit nicht in der Menge untertauchen könne.
Der Zulassungsantrag des Klägers insbesondere hinsichtlich § 60 Abs. 1 AufenthG wurde vom Senat mit Beschluss vom 17.11.2011 - A 11 S 3002/11 -auch mangels hinreichender Darlegung der Zulassungsgründe abgelehnt. Mit demselben Beschluss hat der Senat auf den Antrag der Beklagten die Berufung zugelassen, soweit das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben hat. Die Beklagte macht mit ihrer Berufung insbesondere geltend, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sei von dem Verwaltungsgericht zu Unrecht bejaht worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23.09.2011 - A 8 K 878/11 - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt.
10 
Er trägt im Wesentlichen vor, sowohl in seiner Heimatprovinz Ghazni als auch in Kabul herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Ihm drohe aufgrund seiner Desertion landesweit die Hinrichtung durch die Taliban.
11 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 06.03.2012 informatorisch angehört. Dabei wiederholte der Kläger im Wesentlichen die bereits beim Verwaltungsgericht gemachten Angaben.
12 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der Gerichtsakte sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe im Verfahren A 8 K 878/11 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und die Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
13 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -NVwZ 2006, 1420, m.w.N.) der Beklagten hat im Wesentlichen keinen Erfolg. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts kann der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) zwar nicht beanspruchen. Die Beklagte ist jedoch zu der Feststellung verpflichtet, dass im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt, sodass der Anspruch auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots im Ergebnis zutreffend bejaht wurde.
I.
14 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Zwar hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nur nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bejaht, und der Senat hat die Berufung zugelassen, soweit der Klage stattgegeben worden ist. Eine Beschränkung des Streitgegenstands auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist jedoch rechtlich nicht möglich. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 - juris Rn. 16). Die Berufung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11).
II.
15 
In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) liegt zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG vor. Der Senat kann dies im konkreten Einzelfall des Klägers trotz der rechtskräftigen Ablehnung seines Antrags auf Flüchtlingsanerkennung feststellen, selbst wenn er der Sache nach politische Verfolgung geltend machen würde. Zum einen schützt § 60 Abs. 2 AufenthG auch vor politisch motivierten Gefahren (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.12.1993 - A 16 S 2005/93 - juris Rn. 6 zur Vorgängernorm des § 53 AuslG). Zum anderen hat im vorliegenden Fall auch insoweit das Bundesamt im Zusammenhang mit einem Asylverfahren entschieden, sodass sich kein Zuständigkeitskonflikt mit der Ausländerbehörde ergeben kann (vgl. hierzu: Treiber in GK-AsylVfG, 9/2007, § 13 AsylVfG Rn. 56 ff.).
16 
1. Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.).
17 
2. Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.; Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).
18 
3. Für die Feststellung des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG gelten nach § 60 Abs. 11 AufenthG die Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und Art. 6 bis 8 QRL. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für dieses Abschiebungsverbot erklärt (BT-Drs. 16/5065 S. 187). Gemäß Art. 6 QRL muss die Gefahr demnach nicht zwingend vom Staat ausgehen (lit. a). Der Schutz entfaltet sich ebenso gegenüber Gefahren, die von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (lit. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter lit. a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten (lit. c). Darüber hinaus privilegiert Art. 4 Abs. 4 QRL den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010, Rs. C-175/08 u.a. Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 ). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 QRL kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung mehr (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 23)
19 
4. Die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 QRL kommt dem Kläger hier zugute und der Senat kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine stichhaltige Gründe für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erkennen. Denn der Kläger ist von den Taliban zwangsrekrutiert worden und aus deren Ausbildungslager desertiert und schwebte vor seiner Ausreise deshalb in der konkreten Gefahr der unmenschlichen Bestrafung. Der Senat ist aufgrund des schlüssigen und glaubhaften Vortrags des Klägers davon überzeugt, dass er tatsächlich im Oktober 2009 von Taliban-Kämpfern unter Bedrohung seiner Eltern von zu Hause abgeholt und in ein Ausbildungslager an der Grenze zu Pakistan verschleppt worden ist. Ebenso glaubt ihm der Senat, dass er von dort, wie vorgetragen, nach Pakistan und schließlich mithilfe von Schleppern auf dem Landweg nach Deutschland fliehen konnte. Der gesamte Vortrag des Klägers ist widerspruchsfrei und fügt sich stimmig in die dokumentierten Angaben vor dem Bundesamt bei der Erstanhörung am 28.04.2010 sowie vor dem Verwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 23.09.2011. Deshalb ist zu vermuten, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan erneut der konkreten Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK durch die Taliban ausgesetzt wäre. Die Taliban sind auch heute noch eine Organisation, die einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets, nämlich Teile von Süd- und Ostafghanistan gewissermaßen beherrscht (vgl. AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; UNHCR vom 11.11.2011, S. 2). Jedenfalls sind die Taliban als nichtstaatlicher Akteur im Sinne von Art. 6 QRL zu qualifizieren, gegen den derzeit weder der afghanische Staat noch internationale Organisationen in der Lage sind, hinreichenden Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten. Insoweit besteht nach Überzeugung des Senats sogar eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für die konkrete Gefahr unmenschlicher Bestrafung des Klägers durch die Taliban, sollten sie seiner habhaft werden. Über Zwangsrekrutierungen in der Art und Weise, wie sie der Kläger durchlebt hat, wird vielfältig berichtet (vgl. UNHCR vom 11.11.2011, S. 7 f., m.w.N.; Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 4). Würde der Kläger nach seiner Flucht den Taliban in die Hände fallen, hätte er nach aktueller Auskunftslage mit einem drastischen Racheakt bis hin zu seiner Hinrichtung zu rechnen. Sich dem „Dschihad“ durch Flucht zu entziehen, wurde und wird auch heute noch von den Taliban als schwerstes, als „todeswürdiges“ Verbrechen gewertet. Angesichts der weiterhin stattfindenden Kämpfe vor allem im Süden und Osten des Landes bzw. des aus Sicht der Taliban stattfindenden „Dschihads“ muss ein Deserteur auch nach vielen Jahren mit einer sehr harten Strafe rechnen (ai vom 21.12.2010, S. 2 f.). Der Kläger hat nach Auffassung der Taliban ein religiöses Gesetz gebrochen und sich als Abtrünniger außerhalb des Islams gestellt. Ein solches Verbrechen gegen den Islam verjährt bei den Taliban nicht (Dr. Danesch vom 07.10.2010, S. 7). Dass man den Kläger auch nach Jahren der Abwesenheit bei einer Rückkehr nach Afghanistan landesweit wiedererkennen würde, erscheint dem Senat gerade aufgrund seiner gewissen Prominenz als Spitzensportler alles andere als fernliegend, vielmehr als beachtlich wahrscheinlich. Dasselbe gilt für die Gefahr, dass die Taliban an ihm gerade auch in Kabul ein Exempel statuieren würden. Wie die spektakulären Anschläge der letzten Zeit illustrieren, reicht der offenbar gut organisierte und in die staatlichen Strukturen hineinreichende Arm der Taliban auch heute bis nach Kabul. Nach alledem ist im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG begründet.
III.
20 
Damit erübrigt es sich, weitere materielle Anspruchsgrundlagen des einheitlichen prozessualen Anspruchs auf Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots zu prüfen. Für eine Feststellung nach § 60 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (s. hierzu: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.), fehlen ohnehin jegliche Anhaltspunkte.
IV.
21 
Da das Verwaltungsgericht dies zugesprochen hatte und sich die Berufung der Beklagten insbesondere hiergegen richtet, stellt der Senat klar, dass im Falle des Klägers kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gegeben ist. Nach dieser Norm ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
22 
1. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
23 
a) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
24 
Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
25 
b) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die oben unter II. erläuterte Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
26 
c) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
27 
d) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
28 
2. Im Falle des Klägers liegen diese Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor.
29 
a) Da der Kläger vor seiner Zwangsrekrutierung zuletzt im Dorf Jeraton in der Provinz Ghazni gelebt hat, könnte bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, auf diesen Ort abgestellt werden müssen. Die Eltern des Klägers sind jedoch nach seiner Verschleppung durch die Taliban nach Kabul verzogen und leben nach seinen glaubhaften Angaben auch heute noch dort. Deshalb ist es realistischer und daher allein sachgerecht, Kabul als den "tatsächlichen Zielort" des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu bewerten. Bezüglich der Provinz Ghazni wird in der Rechtsprechung ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vereinzelt bejaht (VG Ansbach, Urteil vom 13.05.2011 - AN 11 K 11.30032 -, zitiert nach Asylmagazin 12/2011, S. 418 Fn. 18). Allerdings spricht für den Einwand der Beklagten, dies dürfe nur für einige Teile der Provinz zutreffen, die Einschätzung etwa des UNHCR (vom 11.11.2011, S. 2). Ob das Dorf Jeraton in einem solchen Konfliktgebiet liegt, lässt sich für den Senat anhand der vorliegenden Erkenntnisquellen derzeit nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Dass in Kabul heute ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL gegeben ist, kann hingegen ausgeschlossen werden. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Zuvor hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f; Asylmagazin 12/2011, 418). Letztlich kann es im vorliegenden Fall offenbleiben, ob auf Kabul oder die Provinz Ghazni bzw. das Dorf Jeraton abzustellen ist.
30 
b) Denn dem Kläger droht, gerade auch unter Berücksichtigung der gefahrerhöhenden persönlichen Umstände, weder in Kabul noch in der Provinz Ghazni oder dem Dorf Jeraton im Rechtssinne eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt. Nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, wird der Begriff der „willkürlichen“ Gewalt im Sinne einer „allgemeinen, ungezielten Gewalt“ verstanden. Art. 15 lit. c QRL möchte die Angehörigen der Zivilbevölkerung vor den typischen Gefahren einer kriegerischen Auseinandersetzung schützen (vgl. auch die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/5065 S. 187). Der Kläger aber fürchtet im Wesentlichen keine solche allgemeine, ungezielte Gewalt bei einer Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr fürchtet er mit gutem Grunde gerade die spezifisch gegen ihn gerichtete und gezielte, ja kriminelle Gewalt der Taliban als Rache für seine Desertion aus ihrem Ausbildungslager. Eine solche gezielte Gewalt wird von Art. 15 lit. c QRL und damit von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht umfasst. Diesbezüglich ist vielmehr Art. 15 lit. b QRL einschlägig („Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland“; vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 29), weswegen dem Kläger ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG zugesprochen werden muss.
V.
31 
Nachdem im Falle des Klägers das - unionsrechtlich begründete (weitergehende) - Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zu bejahen ist, fehlt es an einer verfassungswidrigen Schutzlücke für die Feststellung eines - nationalen - Abschiebungsschutzes wegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bzw. einer extremen Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 bzw. Satz 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 12). Über den zulässigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.06.1998 - 9 B 469.98 - juris Rn. 20) Hilfsantrag des Klägers ist hier auch deshalb nicht zu entscheiden (vgl. zur Prüfung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bzgl. Afghanistans das Senatsurteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 - juris).
VI.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO sowie § 83b AsylVfG.
VII.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
13 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -NVwZ 2006, 1420, m.w.N.) der Beklagten hat im Wesentlichen keinen Erfolg. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts kann der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) zwar nicht beanspruchen. Die Beklagte ist jedoch zu der Feststellung verpflichtet, dass im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt, sodass der Anspruch auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots im Ergebnis zutreffend bejaht wurde.
I.
14 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Zwar hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nur nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bejaht, und der Senat hat die Berufung zugelassen, soweit der Klage stattgegeben worden ist. Eine Beschränkung des Streitgegenstands auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist jedoch rechtlich nicht möglich. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 - juris Rn. 16). Die Berufung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11).
II.
15 
In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) liegt zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG vor. Der Senat kann dies im konkreten Einzelfall des Klägers trotz der rechtskräftigen Ablehnung seines Antrags auf Flüchtlingsanerkennung feststellen, selbst wenn er der Sache nach politische Verfolgung geltend machen würde. Zum einen schützt § 60 Abs. 2 AufenthG auch vor politisch motivierten Gefahren (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.12.1993 - A 16 S 2005/93 - juris Rn. 6 zur Vorgängernorm des § 53 AuslG). Zum anderen hat im vorliegenden Fall auch insoweit das Bundesamt im Zusammenhang mit einem Asylverfahren entschieden, sodass sich kein Zuständigkeitskonflikt mit der Ausländerbehörde ergeben kann (vgl. hierzu: Treiber in GK-AsylVfG, 9/2007, § 13 AsylVfG Rn. 56 ff.).
16 
1. Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.).
17 
2. Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.; Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).
18 
3. Für die Feststellung des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG gelten nach § 60 Abs. 11 AufenthG die Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und Art. 6 bis 8 QRL. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für dieses Abschiebungsverbot erklärt (BT-Drs. 16/5065 S. 187). Gemäß Art. 6 QRL muss die Gefahr demnach nicht zwingend vom Staat ausgehen (lit. a). Der Schutz entfaltet sich ebenso gegenüber Gefahren, die von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (lit. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter lit. a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten (lit. c). Darüber hinaus privilegiert Art. 4 Abs. 4 QRL den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010, Rs. C-175/08 u.a. Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 ). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 QRL kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung mehr (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 23)
19 
4. Die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 QRL kommt dem Kläger hier zugute und der Senat kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine stichhaltige Gründe für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erkennen. Denn der Kläger ist von den Taliban zwangsrekrutiert worden und aus deren Ausbildungslager desertiert und schwebte vor seiner Ausreise deshalb in der konkreten Gefahr der unmenschlichen Bestrafung. Der Senat ist aufgrund des schlüssigen und glaubhaften Vortrags des Klägers davon überzeugt, dass er tatsächlich im Oktober 2009 von Taliban-Kämpfern unter Bedrohung seiner Eltern von zu Hause abgeholt und in ein Ausbildungslager an der Grenze zu Pakistan verschleppt worden ist. Ebenso glaubt ihm der Senat, dass er von dort, wie vorgetragen, nach Pakistan und schließlich mithilfe von Schleppern auf dem Landweg nach Deutschland fliehen konnte. Der gesamte Vortrag des Klägers ist widerspruchsfrei und fügt sich stimmig in die dokumentierten Angaben vor dem Bundesamt bei der Erstanhörung am 28.04.2010 sowie vor dem Verwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 23.09.2011. Deshalb ist zu vermuten, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan erneut der konkreten Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK durch die Taliban ausgesetzt wäre. Die Taliban sind auch heute noch eine Organisation, die einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets, nämlich Teile von Süd- und Ostafghanistan gewissermaßen beherrscht (vgl. AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; UNHCR vom 11.11.2011, S. 2). Jedenfalls sind die Taliban als nichtstaatlicher Akteur im Sinne von Art. 6 QRL zu qualifizieren, gegen den derzeit weder der afghanische Staat noch internationale Organisationen in der Lage sind, hinreichenden Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten. Insoweit besteht nach Überzeugung des Senats sogar eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für die konkrete Gefahr unmenschlicher Bestrafung des Klägers durch die Taliban, sollten sie seiner habhaft werden. Über Zwangsrekrutierungen in der Art und Weise, wie sie der Kläger durchlebt hat, wird vielfältig berichtet (vgl. UNHCR vom 11.11.2011, S. 7 f., m.w.N.; Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 4). Würde der Kläger nach seiner Flucht den Taliban in die Hände fallen, hätte er nach aktueller Auskunftslage mit einem drastischen Racheakt bis hin zu seiner Hinrichtung zu rechnen. Sich dem „Dschihad“ durch Flucht zu entziehen, wurde und wird auch heute noch von den Taliban als schwerstes, als „todeswürdiges“ Verbrechen gewertet. Angesichts der weiterhin stattfindenden Kämpfe vor allem im Süden und Osten des Landes bzw. des aus Sicht der Taliban stattfindenden „Dschihads“ muss ein Deserteur auch nach vielen Jahren mit einer sehr harten Strafe rechnen (ai vom 21.12.2010, S. 2 f.). Der Kläger hat nach Auffassung der Taliban ein religiöses Gesetz gebrochen und sich als Abtrünniger außerhalb des Islams gestellt. Ein solches Verbrechen gegen den Islam verjährt bei den Taliban nicht (Dr. Danesch vom 07.10.2010, S. 7). Dass man den Kläger auch nach Jahren der Abwesenheit bei einer Rückkehr nach Afghanistan landesweit wiedererkennen würde, erscheint dem Senat gerade aufgrund seiner gewissen Prominenz als Spitzensportler alles andere als fernliegend, vielmehr als beachtlich wahrscheinlich. Dasselbe gilt für die Gefahr, dass die Taliban an ihm gerade auch in Kabul ein Exempel statuieren würden. Wie die spektakulären Anschläge der letzten Zeit illustrieren, reicht der offenbar gut organisierte und in die staatlichen Strukturen hineinreichende Arm der Taliban auch heute bis nach Kabul. Nach alledem ist im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG begründet.
III.
20 
Damit erübrigt es sich, weitere materielle Anspruchsgrundlagen des einheitlichen prozessualen Anspruchs auf Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots zu prüfen. Für eine Feststellung nach § 60 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (s. hierzu: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.), fehlen ohnehin jegliche Anhaltspunkte.
IV.
21 
Da das Verwaltungsgericht dies zugesprochen hatte und sich die Berufung der Beklagten insbesondere hiergegen richtet, stellt der Senat klar, dass im Falle des Klägers kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gegeben ist. Nach dieser Norm ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
22 
1. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
23 
a) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
24 
Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
25 
b) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die oben unter II. erläuterte Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
26 
c) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
27 
d) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
28 
2. Im Falle des Klägers liegen diese Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor.
29 
a) Da der Kläger vor seiner Zwangsrekrutierung zuletzt im Dorf Jeraton in der Provinz Ghazni gelebt hat, könnte bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, auf diesen Ort abgestellt werden müssen. Die Eltern des Klägers sind jedoch nach seiner Verschleppung durch die Taliban nach Kabul verzogen und leben nach seinen glaubhaften Angaben auch heute noch dort. Deshalb ist es realistischer und daher allein sachgerecht, Kabul als den "tatsächlichen Zielort" des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu bewerten. Bezüglich der Provinz Ghazni wird in der Rechtsprechung ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vereinzelt bejaht (VG Ansbach, Urteil vom 13.05.2011 - AN 11 K 11.30032 -, zitiert nach Asylmagazin 12/2011, S. 418 Fn. 18). Allerdings spricht für den Einwand der Beklagten, dies dürfe nur für einige Teile der Provinz zutreffen, die Einschätzung etwa des UNHCR (vom 11.11.2011, S. 2). Ob das Dorf Jeraton in einem solchen Konfliktgebiet liegt, lässt sich für den Senat anhand der vorliegenden Erkenntnisquellen derzeit nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Dass in Kabul heute ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL gegeben ist, kann hingegen ausgeschlossen werden. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Zuvor hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f; Asylmagazin 12/2011, 418). Letztlich kann es im vorliegenden Fall offenbleiben, ob auf Kabul oder die Provinz Ghazni bzw. das Dorf Jeraton abzustellen ist.
30 
b) Denn dem Kläger droht, gerade auch unter Berücksichtigung der gefahrerhöhenden persönlichen Umstände, weder in Kabul noch in der Provinz Ghazni oder dem Dorf Jeraton im Rechtssinne eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt. Nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, wird der Begriff der „willkürlichen“ Gewalt im Sinne einer „allgemeinen, ungezielten Gewalt“ verstanden. Art. 15 lit. c QRL möchte die Angehörigen der Zivilbevölkerung vor den typischen Gefahren einer kriegerischen Auseinandersetzung schützen (vgl. auch die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/5065 S. 187). Der Kläger aber fürchtet im Wesentlichen keine solche allgemeine, ungezielte Gewalt bei einer Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr fürchtet er mit gutem Grunde gerade die spezifisch gegen ihn gerichtete und gezielte, ja kriminelle Gewalt der Taliban als Rache für seine Desertion aus ihrem Ausbildungslager. Eine solche gezielte Gewalt wird von Art. 15 lit. c QRL und damit von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht umfasst. Diesbezüglich ist vielmehr Art. 15 lit. b QRL einschlägig („Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland“; vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 29), weswegen dem Kläger ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG zugesprochen werden muss.
V.
31 
Nachdem im Falle des Klägers das - unionsrechtlich begründete (weitergehende) - Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zu bejahen ist, fehlt es an einer verfassungswidrigen Schutzlücke für die Feststellung eines - nationalen - Abschiebungsschutzes wegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bzw. einer extremen Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 bzw. Satz 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 12). Über den zulässigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.06.1998 - 9 B 469.98 - juris Rn. 20) Hilfsantrag des Klägers ist hier auch deshalb nicht zu entscheiden (vgl. zur Prüfung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bzgl. Afghanistans das Senatsurteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 - juris).
VI.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO sowie § 83b AsylVfG.
VII.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.