Verwaltungsgericht Köln Urteil, 21. Okt. 2016 - 19 K 4452/15
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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T a t b e s t a n d:
2Die Kläger sind Eltern ihrer am 00.00.0000 und 00.00.0000 geborenen Töchter L. M. und O. N. . Die Tochter L. nahm seit dem 01.08.2013 das Betreuungs-angebot der an der Gemeinschaftsgrundschule N1. eingerichteten Offenen Ganztagsschule (OGS) wahr. Die Tochter O. wurde seit dem 01.08.2015 in der OGS betreut. Grundlage für die Betreuung der Töchter sind die Betreuungsverträge, die die Kläger mit der Beklagten als Träger der OGS im Juni 2013 und April 2015 geschlossen haben. In den Betreuungsverträgen heißt es jeweils:
3„Für die Betreuung gelten die in der jeweils aktuellen Beitragssatzung OGS der Gemeinde...getroffenen Regelungen, die mit der Unterzeichnung des Vertrages anerkannt werden. Auszüge sind als Anlage abgedruckt.“
4§ 3 Abs. 3, 4 der Satzung über die Erhebung von Elternbeiträgen als Benutzungsgebühr für die an den Grundschulen der Gemeinde Marienheide eingerichteteten Offenene Ganztagsschulen (BS OGS) lauten wie folgt:
5„(3) Die Anmeldung verpflichtet zum Besuch der Offenen Ganztagsschule für die Dauer eines Schuljahres (01.08 bis 31.07. des darauf folgenden Jahres). Sie verlängert sich automatisch, wenn der Schüler nicht bis zum 28. Februar des laufenden Schuljahres schriftlich bei der Schulleitung der Schule abgemeldet wird, an der er zum Schulunterricht angemeldet ist.
6(4) An- und Abmeldungen während des laufenden Schuljahres sind nur in begründeten Ausnahmefällen jeweils zum ersten eines Monats möglich (z.B. Wohnungswechsel, unvorhersehbare Förder- und Betreuungsbedarfe, Erkrankung von mehr als vier Wochen.“
7Mit der zum 01.08.2015 in Kraft getretenen Änderung der BS OGS änderte die Beklagte die in § 6 BS OGS vorgesehene Geschwisterermäßigung dahingehend, dass die Beitragsermäßigung auf 50 % der Beiträge nur Anwendung findet auf Beitragsschuldner der Einkommensgruppen 1-4. Auf der Grundlage der bis zum 31.07.2015 geltenden BS OGS bestand die 50%-ige Geschwisterermäßigung für das 2. Kind für alle Einkommensgruppen.
8Mit Bescheid vom 13.07.2015 setzte die Beklagte gegenüber den Klägern für die Zeit ab dem 01.08.2015 „bis auf weiteres“ für die Betreuung ihrer Tochter L. einen Beitrag in Höhe von 170,00 € fest. Für die Betreuung der Tochter O. setzte die Beklagte mit Bescheid vom 27.07.2015 für die Zeit von August 2015 bis Juli 2016 monatliche Beiträge in Höhe von ebenfalls 170,00 € fest. Dabei ordnete die Beklagte die Kläger auf der Grundlage ihrer Einkommenserklärung vom 02.04.2015 der höchsten Einkommensstufe 5 über 49.084,00 € zu. Die Rechtsbehelfsbelehrungen der Bescheide wiesen auf die Möglichkeit zur Klageerhebung hin.
9Der Kläger zu 2) erklärte unter dem 10.11.2015 die Kündigung der für die beiden Kinder geschlossenen Betreuungsverträge zum 01.12.2015 unter Hinweis auf die kurzfristig eingetretene Arbeitslosigkeit der Klägerin zu 1). Die Beklagte teilte den Klägern mit Schreiben vom 18.11.2015 mit, dass sie die Kündigung erst mit Ablauf des 31.07.2016 akzeptiere, weil ein begründeter Ausnahmefall i.S.d. § 3 Abs. 4 BS OGS für eine vorzeitige Kündigung der Betreuungsverträge nicht gegeben sei. Die Töchter der Kläger wurden bis zum 31.07.2016 in der OGS N1. betreut.
10Die Kläger legten die Beitragsbescheide unter dem 12.08.2015 vorsorglich Widerspruch ein. Die Beklagte teilte den Klägern mit Schreiben vom 25.08.2015 mit, dass die Durch-führung eines Widerspruchsverfahren nicht erforderlich sei. Die Beitragsbescheide seien Verwaltungsakte nach dem KAG NRW, für die § 110 Abs. 1 Satz 3 JustG NRW ein Widerspruchsverfahren erst vorsehe, wenn sie nach dem 31.12.2015 erlassen worden seien.
11Die Kläger haben am 06.08.2015 Klage gegen die Beitragsbescheide vom 13.07.2015 und 27.07.2015 erhoben. Zur Begründung tragen sie vor, die BS OGS enthalte für die Beitragserhebung für ein zweites Kind von Eltern der Einkommengruppe 5 keine Ermächtigungsgrundlage. § 6 BS OGS sehe eine Geschwistermäßigung nur für das 2. Kind von Eltern der Einkommensgruppen 1 bis 4 vor. § 4 BS OGS treffe eine Beitragsregelung nur für das 1. Kind. Im Übrigen verstoße die BS OGS gegen Art. 3 GG und das Kostendeckungsprinzip. Eine Mehrbelastung der Eltern der Einkommensstufe 5 sei nicht gerechtfertigt. Diese Eltern hätten den nach BS OGS vorgesehenen Höchstbeitrag von 170,00 € zu zahlen und seien von der 50%-igen Geschwister-mäßigung des § 6 BS OGS ausgenommen. Für die mit der zum 01.08.2015 in Kraft getretene Beitragserhöhung habe kein Anlass bestanden, weil die Beklagte für die OGS N1. im Jahre 2014 einen Überschuss in Höhe von 23.700,00 € erwirtschaftet habe. Im Übrigen sei ein Fall echter Rückwirkung gegeben, weil mit der zum 01.08.2015 getretenen Beitragserhöhung in die bereits bestehenden Betreuungs-verträge eingegriffen werde. Diese echte Rückwirkung begründe ein Sonderkündi-gungsrecht, das eine Abmeldung der betreuten Kinder während eines laufenden Schuljahres nach § 3 Abs. 4 BS OGS möglich mache. Selbst wenn der Betreuungs-vertrag eine Kündigungsmöglichkeit nicht vorsehe, sei ein solches bei Dauerschuld-verhältnissen gem § 314 BGB immer gegeben. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 314 BGB liege bei einer nachträglichen Änderung der Vertragsgrundlagen vor.
12Die Kläger beantragen,
13den Bescheide der Beklagten vom 13.07.2015 und vom 27.07.2015 in der Fassung des Wideerspruchsbescheides vom 25.08.2015 über die Elternbeiträge in der OGS N1. für die Kinder O. und L. S. ab dem 01.08.2015 aufzuheben, hilfsweise
14festzustellen, dass die zwischen den Klägern und der Beklagten bestehenden Betreuungsverträge, die Kinder L. , geb. 15.01.2007 und O. , geb. 29.12.2008 betreffend unter 10.11.2015 wirksam gekündigt wurden, mit der Folge, dass ab dem 01.12.2015 kein Beitrag aus den angefochtenen Bescheiden geschuldet ist.
15Die Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Ihrer Auffassung nach ist die Anfechtungsklage jedenfalls unbegründet. Aus Wortlaut und Systematik der BS OGS ergebe sich, dass für das Zweitkind von Eltern der Einkommensgruppe 5 der Höhe nach ein Beitrag zu zahlen sei, der demjenigen des Erstkindes entspreche. Die BS OGS sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Ihr – der Beklagten - stehe im Kontext kinder- und jugendhilferechtlicher Leistungen ein weit gespanntes Satzungsermessen beim Erlass von Beitragsregelungen zu. Die Beitrags-erhöhung für das Schuljahr 2015/16 sei erforderlich gewesen, weil die Prognose für das Schuljahr 2015/16 ein Defizit von 32.162,00 € ausgewiesen habe. Die zum 01.08.2015 vorgenommene Beitragserhöhung habe eine Erhöhung der Beitragsgruppen 1 bis 4 um jeweils 34 % beinhaltet. In der Beitragsgruppe sei eine Erhöhung für das Erstkind um 13 % und für das Erst- und Zweitkind – unter Berücksichtigung des Wegfalls der Geschwisterermäßigung – eine Erhöhung um 51 % erfolgt. Auf Vertrauensschutz könnten sich die Kläger nicht berufen. Die Änderung der BS OGS zum 01.08.2015 sei erst nach ihrer Bekanntmachung in Kraft getreten. Die hilfsweise erhobene Fest-stellungsklage sei unzulässig. Die Kläger könnten ihrer Rechte gegen die Ablehnung der Kündigung vom 18.11.2015 mit der Gestaltungs- oder Leistungsklage geltend machen.
18Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten.
19E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
20Die Klage hat keinen Erfolg.
21Die mit dem Hauptantrag erhobene Anfechtungsklage ist zwar zulässig. Die Kläger haben das nach § 68 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 110 Abs. 2 Nr. 9 JustG NRW erforderliche Widerspruchsverfahren nachgeholt und den Widerspruchsbescheid vom 25.08.2015 innerhalb der gem. § 58 Abs. 2 VwGO Anwendung findenden Klagefrist von einem Jahr durch die mit Schriftsatz vom 24.09.2015 erfolgte Vorlage des Widerspruchsbescheides sinngemäß in das vorliegende Klageverfahren einbezogen.
22Die Anfechtungsklage ist aber unbegründet. Die Beitragsbescheide der Beklagten vom 13.07.2015 und vom 27.07.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.08.2015 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
23Die Erhebung von monatlichen Elternbeiträgen für die Betreuung der Kinder L. und O. in Höhe von 170,00 € ist von den Bestimmungen der BS OGS gedeckt. Nach § 4 Abs. 1 BS wird von den Eltern entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit für den Besuch der Offenen Ganztagsschule eine Benutzungsgebühr in Form von Eltern-beiträgen gem. der nachfolgenden Beitragstabelle erhoben. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bestimmt sich gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 BS OGS durch die Summe der positiven Einkünfte der Eltern i.S.d. § 2 Abs. 1 und Abs. 2 des Einkommensteuer-gesetzes. Die Beitragstabelle sieht in § 4 Abs. 1 Satz 2 „für das 1. Kind“ in der Ein-kommensstufe über 49.084,00 € einen monatlichen Beitrag von 170,00 € vor. Besucht mehr als ein Kind einer Familie gleichzeitig eine Offene Ganztagsschule, so ermäßigt sich der Elternbeitrag der Elternbeitrag in den Einkommensgruppen 1 bis 4 für das zweite Kind auf 50 %.
24Die Beitragserhebung für das erste Kind der Kläger beruht auf § 4 Abs. 1 BS OGS. Ermächtigungsgrundlage für die Beitragserhebung für das zweite Kind der Kläger ist ebenfalls § 4 Abs. 1 BS OGS. Diese Vorschrift berechtigt die Beklagte dazu, Eltern der Einkommensstufe 5 auch zu Beiträgen für die Betreuung ihres zweiten Kindes zu veranlagen. Die Satzungsbestimmung regelt ihrem Wortlaut nach zwar nur die Beitragserhebung „für das 1. Kind“ der Beitragsschuldner. Aus der Systematik mit der Geschwisterregelung des § 6 BS OGS folgt aber, dass auch für das 2. Kind von Eltern der Einkommensstufe 5 § 4 Abs. 1 BS OGS Anwendung findet. § 6 BS OGS regelt eine ausnahmsweise Beitragsermäßigung für das 2. Kind von Eltern der Einkommensstufen 1 bis 4 und eine Beitragsfreistellung aller weiteren Kinder einer Familie und geht damit unausgesprochen davon aus, dass alle in der Geschwisterregelung nicht genannten Kinder der Beitragspflicht des § 4 BS OGS unterliegen.
25Im Falle der Kinder der Kläger sind die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 BS OGS für die Entstehung der Beitragspflicht gegeben. Das die Beitragspflicht auslösende Merkmal „für den Besuch“ ist allerdings nicht bereits dann erfüllt, wenn das Kind die OGS tatsächlich besucht. Das Merkmal „für den Besuch“ ist vielmehr nur für denjenigen Zeitraum als erfüllt anzusehen, in dem für die Beitragsschuldner ein vertraglicher Anspruch auf Betreuung ihrer Kinder in der OGS besteht. Diese Auslegung des Merkmals „für den Besuch“ ergibt sich aus § 3 Abs. 3 BS OGS, wonach die „Anmeldung“ zum Besuch der OGS für die Dauer des Schuljahres verpflichtet. Mit dieser Regelung wollte der Satzungsgeber erkennbar erreichen, dass der Beitragsschuldner sein Kind nicht kurzfristig abmelden kann und damit grundsätzlich – aus Gründen der Planungssicherheit - für ein volles Schuljahr der Beitragspflicht unterliegt. Die öffentlich-rechtliche Regelung des § 3 Abs. 3 BS OGS ist bei gesetzeskonformer Auslegung im Sinne eines grundsätzlichen Kündigungsausschlusses bzw. einer ordentlichen Kündigungsfrist für den Betreuungsvertrag auszulegen. Soweit der Wortlaut der Vorschrift auf eine Pflicht zur tatsächlichen Nutzung der OGS gerichtet ist, wäre eine solche Verpflichtung von der gesetzlichen Ermächtigung des § 90 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII nicht gedeckt. Die gesetzliche Ermächtigung berechtigt nur zur Beitragserhebung, nicht aber zur Regelung eines Benutzungszwangs.
26Die für die Kinder der Kläger geschlossenen Betreuungsverträge hatten vom 01.08.2015 bis zum 31.07.2016 Bestand. Die Beklagte hat die Kündigung der Kläger in Übereinstimmung mit der den Klägern bekannten in § 3 Abs. 3 BS OGS geregelten Kündigungsfrist erst zum 31.07.2016 akzeptiert. Die Voraussetzungen für eine durch Vertrag oder durch Satzung nicht abdingbare außerordentliche Kündigung gem. § 314 BGB waren nicht gegeben. Nach § 314 Abs. 1 BGB kann jeder Vertragsteil Dauerschuldverhältnisse – wie die hier in Rede stehenden Betreuungsverträge – aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die Kündigungsgründe müssen im Allgemeinen im Risikobereich des Kündigungsgegners liegen, andernfalls ist eine außerordentliche Kündigung nur ausnahmsweise gerechtfertigt,
27vgl. BGH, Urteil vom 20.02.2013 – VIII ZR 339/11 -, NJW 2013, 2021.
28Soweit die Kläger ihre außerordentliche Kündigung auf die mit Änderungssatzung erfolgte Beitragserhöhung und die Beschränkung der Geschwisterermäßigung stützen, haben sie die Kündigungsfrist des § 314 Abs. 3 BGB nicht eingehalten. Die dort geregelte angemessene Kündigungsfrist nach Kenntnis vom Kündigungsgrund war im Zeitpunkt der Erklärung der Kündigung am 10.11.2015 verstrichen. Den Klägern war die Beitragserhöhung nach Bekanntgabe der Beitragsbescheide im Juli 2015 mehr als drei Monate bekannt. Die zum 01.08.2015 erfolgte Beitragserhöhung ist im Übrigen auch kein wichtiger Grund, der zur Kündigung gem. § 314 BGB berechtigte. Die Kläger wurden bei Vertragsschluss auf die Beitragserhebung nach der BS OGS hingewiesen. Sie mussten damit rechnen, dass die in der BS OGS geregelten Beiträge nicht unverändert blieben. Es besteht kein schutzwürdiges Vertrauen in den unveränderten Fortbestand von Abgabensatzungen. Die durch den Wegfall der Geschwistermäßigung für das Zweitkind von Eltern in der Einkommensgruppe 5 bewirkte Beitragserhöhung fällt mit 85,00 € in Relation zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Einkommensgruppe 5 auch nicht unverhältnismäßig hoch aus.
29Die mit der Kündigungserklärung vom 10.11.2015 geltend gemachte kurzfristig eingetretene Arbeitslosigkeit der Klägerin zu 1) stellt ebenfalls keinen wichtigen Grund i.S.v. § 314 BGB dar. Den Klägern konnte auch unter Berücksichtigung des mit der Arbeits-losigkeit eingetretenen Wegfalls der Einkünfte der Klägerin zu 1), die noch in den Monaten August bis Oktober 2015 monatliche Bruttobezüge in Höhe von 948,00 € ausmachten, eine Fortsetzung der Vertragsverhältnisse zugemutet werden. Die für die Betreuung erhobenen Elternbeiträge nehmen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beitragsschuldner Rücksicht. Sie werden gem. § 90 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII gestaffelt nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern erhoben. Nach den von den Klägern vorgelegten Einkommensunterlagen verfügte allein der Kläger zu 1) über Einkünfte, die zur Zuordnung in die nach der BS OGS vorgesehenen Einkommensstufe 5 über 49.084,00 € berechtigten. Für den Fall, dass die Eltern durch die Beitragserhebung aufgrund ihrer individuellen wirtschaftlichen Situation unzumutbar belastet werden, sieht § 90 Abs. 3 SGB VIII vor, dass ihnen der Beitrag auf entsprechenden Antrag unter den Voraussetzungen des § 90 Abs. 4 SGB VIII ganz oder teilweise erlassen werden.
30Im Übrigen ist die Erklärung der fristlosen Kündigung zum 01.12.2015 auch treuwidrig, weil die Kläger ihre Töchter – trotz ihrer Kündigungserklärung – bis zum 31.07.2016 in der OGS tatsächlich haben betreuen lassen. Soweit die Kläger vortragen, ihre Kinder hätten die Betreuung jedenfalls teilweise bis zum 31.07.2016 in Anspruch genommen hätten, vermag dieser unsubstantiierte Vortrag die Richtigkeit der Angaben der Beklagten nicht in Zweifel zu ziehen, dass die Kinder der Kläger die OGS N1. bis zum Ende des Schuljahres 2015/16 besucht haben. Selbst wenn die Beitragsbescheide aufzuheben wären, soweit sie die Kläger ab dem 01.12.2015 zu Beiträgen veranlagen, hätten die Kläger der Beklagten nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung Nutzungsersatz für die Betreuung ihrer Kinder zu leisten. Trotz Aufhebung der Beitragsbescheide könnten sie deshalb nicht die Rückerstattung der gezahlten Beiträge verlangen.
31Bedenken gegen die satzungsmäßig festgelegte Beitragshöhe von 170,00 € bestehen nicht. Rechtsgrundlage für den Erlass der BS für außerunterrichtliche Ganztags- und Betreuungsangebote ist § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII i.V.m. § 5 Abs. 2 des Gesetzes zur frühen Bildung und Förderung von Kindern (Kinderbildungsgesetz - Kibiz NRW). Nach § 90 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII können für die Inanspruchnahme von Angeboten der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege nach den §§ 22 bis 24 SGB VIII Kostenbeiträge festgesetzt werden. Soweit Landesrecht nichts anderes bestimmt, sind Kostenbeiträge, die für die Inanspruchnahme von Tageseinrichtungen und von Kindertagespflege zu entrichten sind, zu staffeln. Als Kriterien können insbesondere das Einkommen, die Anzahl der kindergeldberechtigten Kinder in der Familie und die tägliche Betreuungszeit berücksichtigt werden. Das Landesrecht NRW sieht in § 5 Abs. 1 KiBiz NRW vor, dass das Jugendamt die Verpflichtung nach § 24 Abs. 3 SGB VIII, für Kinder im schulpflichtigen Alter nach Bedarf Plätze in Tageseinrichtungen vorzuhalten, auch durch entsprechende Angebote in Schulen erfüllen kann. Nach § 5 Abs. 2 KiBiz NRW kann das Jugendamt für außerunterrichtliche Angebote im Rahmen offener Ganztagsschulen Beiträge von den Eltern erheben. Das Jugendamt soll eine soziale Staffelung der Beiträge vorsehen. Beiträge für Geschwisterkinder können ermäßigt werden. Dies gilt auch für Kinder, deren Geschwister eine Kindertageseinrichtung besuchen.
32Die satzungsmäßige Staffelung der Beiträge für die Betreuung im Rahmen der OGS genügt diesen gesetzlichen Vorgaben.
33Elternbeiträge sind nicht an den für die Eingriffsverwaltung geltenden strengen Rechtmäßigkeitsmaßstäben – wie etwa dem für andere öffentliche Abgaben geltenden Äquivalenzprinzip – zu messen. Dem Satzungsgeber steht ein weit gespanntes Satzungsermessen zu. Bei den Elternbeiträgen steht die überwiegend staatlich finanzierte Leistungsgewährung nach §§ 22 und 23 SGB VIII, also die Zuteilung staatlicher Förderung im Vordergrund. Die Elternbeiträge sind als ein die staatliche Leistungsgewährung reduzierender Minderungsposten anzusehen. Sie sind keine Belastung, sondern haben ein Weniger an staatlicher Förderung zur Folge. Die Elternbeiträge sollen die Gesamtbetriebskosten der Betreuungseinrichtung nicht vollständig decken. Der überwiegende Anteil der Gesamtbetriebskosten wird durch staatliche Leistungsträger abgedeckt. Die Elternbeiträge werden nicht im Rahmen eines Umlageverfahrens erhoben, so dass Beitragsausfälle nicht zu einer Beitragserhöhung zu Lasten der verbleibenden Beitragspflichtigen führen. Finanzierungslücken gehen zu Lasten der anderen Finanzierungsträger.
34Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.02.2011 – 12 A 266/10 -, juris; Urteil vom 30.09.2005 – 12 A 2184/03 -, juris.
35So ist es auch im Fall der hier streitigen Beiträge für die Betreuung im Rahmen der OGS. Ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Berechnungsunterlagen werden die Gesamtkosten für die OGS im Gemeindegebiet der Beklagten in Höhe von 23,32 % durch Elternbeiträge und in Höhe von 77,64 % durch öffentliche Zuschüsse gedeckt. Für die überwiegend staatlich finanzierte Leistungsgewährung, die damit auch bei der Bereitstellung von Betreuungsangeboten in der OGS im Vordergrund steht, steht dem Normgeber unter dem Aspekt des Art. 3 Abs. 1 GG eine größere Gestaltungsfreiheit zu. Die Grenzen dieser weiten Gestaltungsfreiheit hat die Beklagte als kommunale Satzungsgeberin mit der in der BS OGS geregelten Beitragsstaffelung gewahrt.
36An der Höhe des gegenüber den Kläger festgesetzten Höchstbeitrages von monatlich 170,00 € für ihre beiden Töchter bestehen keine Bedenken, weil dieser Höchstbeitrag (4.080,00 € pro Jahr für zwei Kinder) die jährlichen Kosten für zwei OGS-Betreuungs-plätze von 6.124,71 € € nicht abdeckt.
37Die von den Klägern geltend gemachten Rückwirkungsprobleme stellen sich nicht. Die Beitragserhöhung ist nicht rückwirkend erfolgt. Die Beitragserhöhung erfolgte mit der BS OGS vom 23.06.2015, die erst nach ihrer Veröffentlichung am 02.07.2015 am 01.08.2015 in Kraft trat.
38Die hilfsweise erhobene Feststellungklage hat ebenfalls keinen Erfolg. Sie ist unzulässig, weil Kläger die Wirksamkeit der Betreuungsverträge inzident mit der Anfechtung der Beitragsbescheide überprüfen lassen können (vgl. § 43 Abs. 2 VwGO). Im Übrigen ist sie auch unbegründet. Die zwischen den Klägern und der Beklagten geschlossenen Betreuungsverträge wurden aus den oben genannten Gründen nicht wirksam gekündigt, sondern hatten bis zum 31.07.2016 Bestand.
39Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Köln Urteil, 21. Okt. 2016 - 19 K 4452/15
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Urteil einreichenVerwaltungsgericht Köln Urteil, 21. Okt. 2016 - 19 K 4452/15 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
(1) Dauerschuldverhältnisse kann jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
(2) Besteht der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Vertrag, ist die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Für die Entbehrlichkeit der Bestimmung einer Frist zur Abhilfe und für die Entbehrlichkeit einer Abmahnung findet § 323 Absatz 2 Nummer 1 und 2 entsprechende Anwendung. Die Bestimmung einer Frist zur Abhilfe und eine Abmahnung sind auch entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Kündigung rechtfertigen.
(3) Der Berechtigte kann nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen, nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat.
(4) Die Berechtigung, Schadensersatz zu verlangen, wird durch die Kündigung nicht ausgeschlossen.
(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Einer solchen Nachprüfung bedarf es nicht, wenn ein Gesetz dies bestimmt oder wenn
- 1.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde oder von einer obersten Landesbehörde erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder - 2.
der Abhilfebescheid oder der Widerspruchsbescheid erstmalig eine Beschwer enthält.
(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.
(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.
(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Für die Inanspruchnahme von Angeboten
- 1.
der Jugendarbeit nach § 11, - 2.
der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie nach § 16 Absatz 1, Absatz 2 Nummer 1 und 3 und - 3.
der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege nach den §§ 22 bis 24
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 kann der Kostenbeitrag auf Antrag ganz oder teilweise erlassen oder ein Teilnahmebeitrag auf Antrag ganz oder teilweise vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn
- 1.
die Belastung - a)
dem Kind oder dem Jugendlichen und seinen Eltern oder - b)
dem jungen Volljährigen
- 2.
die Förderung für die Entwicklung des jungen Menschen erforderlich ist.
(3) Im Fall des Absatzes 1 Nummer 3 sind Kostenbeiträge zu staffeln. Als Kriterien für die Staffelung können insbesondere das Einkommen der Eltern, die Anzahl der kindergeldberechtigten Kinder in der Familie und die tägliche Betreuungszeit des Kindes berücksichtigt werden. Werden die Kostenbeiträge nach dem Einkommen berechnet, bleibt das Baukindergeld des Bundes außer Betracht. Darüber hinaus können weitere Kriterien berücksichtigt werden.
(4) Im Fall des Absatzes 1 Nummer 3 wird der Kostenbeitrag auf Antrag erlassen oder auf Antrag ein Teilnahmebeitrag vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen, wenn die Belastung durch Kostenbeiträge den Eltern und dem Kind nicht zuzumuten ist. Nicht zuzumuten sind Kostenbeiträge immer dann, wenn Eltern oder Kinder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch, Leistungen nach dem dritten und vierten Kapitel des Zwölften Buches oder Leistungen nach den §§ 2 und 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes beziehen oder wenn die Eltern des Kindes Kinderzuschlag gemäß § 6a des Bundeskindergeldgesetzes oder Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz erhalten. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat die Eltern über die Möglichkeit einer Antragstellung nach Satz 1 bei unzumutbarer Belastung durch Kostenbeiträge zu beraten. Absatz 2 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.
(1) Dauerschuldverhältnisse kann jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
(2) Besteht der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Vertrag, ist die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Für die Entbehrlichkeit der Bestimmung einer Frist zur Abhilfe und für die Entbehrlichkeit einer Abmahnung findet § 323 Absatz 2 Nummer 1 und 2 entsprechende Anwendung. Die Bestimmung einer Frist zur Abhilfe und eine Abmahnung sind auch entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Kündigung rechtfertigen.
(3) Der Berechtigte kann nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen, nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat.
(4) Die Berechtigung, Schadensersatz zu verlangen, wird durch die Kündigung nicht ausgeschlossen.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Parteien streiten über Kaufpreis- und Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit der Lieferung von Baustoffen zur Verlegung von Fliesen.
- 2
- Die Klägerin wurde von der Arbeitsgemeinschaft "J. V. Z. - C. D. " (im Folgenden: ARGE), die eine pharmazeutische Fabrik in Irland zu errichten hatte, im Jahr 2004 mit der Erstellung der Bodenbeläge auf einer Gesamtfläche von knapp 3.500 m² beauftragt. Die Böden sollten mit Fliesen belegt werden und über die Fugen elektrisch ableitfähig sein. Die Klägerin ih- rerseits beauftragte die - inzwischen insolvente - A. A. GmbH (im Folgenden: A. GmbH) mit der Ausführung der Verlegearbeiten. Sie bestellte bei der Beklagten die dafür erforderlichen Materialien , mit denen nach einer Bestätigung der Beklagten die Herstellung eines ableitfähigen Bodens möglich sein sollte. Hierbei handelte es sich um die Kontaktschlämme B. , den Fugenmörtel Bo. und zugehörige Systemkomponenten ("sonstige Materialien").
- 3
- Der Fugenmörtel besteht aus einer pulverförmigen und einer flüssigen Komponente, die erst unmittelbar vor der Verarbeitung vermischt werden. Der Zeuge L. - ein Mitarbeiter der Beklagten, der die Mitarbeiter der A. GmbH in die Verarbeitung der Baustoffe einzuweisen hatte - legte im Februar 2005 auf der Baustelle das Mischungsverhältnis der Komponenten fest.
- 4
- Eine Teilfläche von knapp 2.100 m² wurde mit dem von der Beklagten gelieferten Fugenmörtel verfugt. Im März 2005 wurden Mängel - Ausblühungen und Abplatzungen - an der Verfugung dieser Fläche reklamiert. Es zeigte sich, dass den Fugenoberflächen teilweise eine ausreichende mechanische Festigkeit fehlte. Sie waren zum Teil brüchig und zeigten keine ausreichende Haftung an den Fliesenflanken. In Teilbereichen fehlte es an einem ausreichenden Verbund zwischen Erst- und Zweitverfugung.
- 5
- Nachdem kein Einvernehmen über die Ursache der Mängel und deren Beseitigung erzielt worden war, entschied die ARGE im April 2005, dass der Boden auf dieser Fläche vollständig entfernt und neu erstellt werden sollte. Die Klägerin teilte der Beklagten die Entscheidung der ARGE mit Schreiben vom 9. Mai 2005 mit und forderte sie unter Fristsetzung bis zum 19. Mai 2005 unter anderem zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 200.000 € auf. Mit den Abbrucharbeiten wurde am 9. Mai 2005 begonnen. Zunächst wurde eine Teil- fläche von 1.700 m² durch eine vollständige Entfernung der bereits verlegten Fliesen und eine Neuverfliesung saniert. Nachdem die verbleibende Fläche von knapp 400 m² im Rahmen eines von der Klägerin eingeleiteten selbständigen Beweisverfahrens von dem Sachverständigen Dr. S. begutachtet worden war, wurde Ende 2005 auch diese Fläche entsprechend saniert.
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- Auf einer weiteren Fläche von 1.382 m² wurden die Fliesen ebenfalls mit der von der Beklagten gelieferten Kontaktschlämme verlegt, aber nicht mehr mit dem Fugenmörtel der Beklagten verfugt. Auf dieser Fläche traten keine Mängel auf.
- 7
- Die Klägerin hat die Beklagte auf Zahlung von Schadensersatz wegen der Sanierungskosten in Höhe von 315.126 € in Anspruch genommen. Die Beklagte hat widerklagend die Bezahlung der von ihr gelieferten und mit 67.918,30 € in Rechnung gestellten Materialien verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat die Klägerin auf die Widerklage hin verurteilt, an die Beklagte 7.225,40 € nebst Zinsen- den Kaufpreis für nicht beanstandete sonstige Materialien - zu zahlen, und hat die Widerklage im Übrigen abgewiesen. Gegen diese Entscheidung haben beide Parteien Berufung eingelegt.
- 8
- Im zweiten Rechtszug hat die Klägerin ihren Schadensersatzanspruch in Höhe von 309.695 € weiterverfolgt.Sie hat mit diesem Anspruch die Aufrechnung erklärt gegenüber der von ihr in Höhe von 13.708,19 € anerkannten Kaufpreisforderung der Beklagten für die Kontaktschlämme B. und die sonstigen Materialien, soweit diese auf der mangelfreien Teilfläche von 1.382 m² verwendet worden sind, und verlangt daher noch Zahlung von 295.986,81 € nebst Zinsen. Die Beklagte hat im zweiten Rechtszug widerklagend den gesamten Kaufpreis für die Kontaktschlämme B. und die sonstigen Materialien (insgesamt 34.425,40 €) geltend gemacht und dement- sprechend die Verurteilung der Klägerin zur Zahlung weiterer 27.200 € nebst Zinsen begehrt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat es die Klägerin verurteilt, an die Beklagte - unter Einschluss der erstinstanzlichen Verurteilung - den anerkannten Betrag von 13.708,19 € nebst Zinsen zu zahlen. Die weitergehende Berufung der Beklagten hat es zurückgewiesen.
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- Die Klägerin begehrt mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision weiterhin Schadensersatz in der im zweiten Rechtszug bezifferten Höhe und vollständige Abweisung der Widerklage. Die Beklagte verfolgt mit der Anschlussrevision ihren Kaufpreisanspruch weiter, soweit er vom Berufungsgericht abgewiesen worden ist.
Entscheidungsgründe:
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- Die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision der Beklagten haben Erfolg.
I.
- 11
- Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
- 12
- 1. Die Berufung der Beklagten habe teilweise Erfolg. Auf die Widerklage hin sei die Klägerin zur Zahlung eines Teilkaufpreises in Höhe von 13.708,19 € zu verurteilen. Insoweit reklamiere die Klägerin keine Mängel; sie räume ein, dass dieser Teil der gelieferten Materialien für sie brauchbar gewesen sei.
- 13
- Ein weitergehender Kaufpreisanspruch der Beklagten bestehe jedoch nicht. Denn hinsichtlich der Materialien für die sanierte Teilfläche von rund 2.100 m² habe die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung aus § 437 Nr. 3, § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB, dessen Geltendmachung zum Erlöschen der weitergehenden Kaufpreisforderung führe. Die Beklagte habe insoweit ihre Verpflichtung nach § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB verletzt, der Klägerin die Kaufsache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu liefern. Ein Sachmangel sei nach § 434 Abs. 2 Satz 2 BGB auch dann gegeben, wenn bei einer zur Montage bestimmten Sache die Montageanleitung fehlerhaft sei. Die Vorgaben des Zeugen L. zur Verarbeitung des Fugenmörtels seien als Montageanleitung im Sinne des § 434 Abs. 2 Satz 2 BGB anzusehen. Diese Anweisungen seien fehlerhaft gewesen und hätten dazu geführt, dass die Verfugung der Teilfläche von rund 2.100 m² unbrauchbar gewesen sei.
- 14
- Für die durch den Zeugen L. begangene Pflichtverletzung habe die Beklagte nach § 278 BGB einzustehen. Einer Fristsetzung zur Nacherfüllung habe es nicht bedurft, weil die Klägerin vor dem Hintergrund der Entscheidung der ARGE, dass die Fliesen auf dieser Fläche insgesamt entfernt und neue Fliesen - ohne den Fugenmörtel der Beklagten - verlegt werden sollten, für eine Nachlieferung der Beklagten keine Verwendung gehabt habe.
- 15
- Gegen das insoweit berechtigte Schadensersatzbegehren der Klägerin könne die Beklagte nicht geltend machen, dass für die Entstehung des Schadensbildes weitere, durch die Mitarbeiter der A. GmbH begangene Verarbeitungsfehler mitursächlich gewesen seien. Unabhängig davon, dass die seitens der Beklagten insoweit behaupteten Fehler zumindest zum Teil schon nicht bewiesen seien, stehe aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen fest, dass bereits die fehlerhaften Verarbeitungshinweise des Zeugen L. für sich genommen die vollständige Unbrauchbarkeit der Leistung der Beklagten bewirkt hätten. Selbst wenn weitere Umstände das dadurch hervorgerufene Schadensbild verschlimmert hätten, könnten diese nicht dazu führen, dass der Beklagten ein Anspruch auf teilweise Bezahlung ihrer Kaufpreisforderungen zustünde.
- 16
- 2. Die Berufung der Klägerin sei dagegen nicht begründet. Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch auf Erstattung der Sanierungskosten für die mangelbehaftete Teilfläche von 2.100 m² aus § 437 Nr. 3, § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB. Die Beklagte müsse sich zwar die durch den Zeugen L. erteilten fehlerhaften Verarbeitungshinweise bezüglich der Anmischung des Fugenmörtels als Pflichtverletzung im Sinne des § 280 BGB zurechnen lassen. Zudem habe es keiner Fristsetzung zur Nacherfüllung bedurft , sondern die sofortige Geltendmachung von Schadensersatz sei wegen besonderer Umstände im Sinne des § 281 Abs. 2 BGB gerechtfertigt gewesen.
- 17
- Gleichwohl bestehe kein Schadensersatzanspruch, weil nicht feststehe, dass die von der Klägerin geltend gemachten Sanierungskosten als ersatzfähiger Schaden anzusehen seien. Die insoweit beweisbelastete Klägerin sei hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität beweisfällig geblieben. Nach dem Ergebnis der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass die Sanierungskosten durch die fehlerhaften Verarbeitungshinweise des Zeugen L. zumindest mitverursacht worden seien.
- 18
- Der Sachverständige habe folgendes ausgeführt: Die Fliesen seien nicht nur fehlerhaft verfugt, sondern auch bereits fehlerhaft verlegt worden. Der Fliesenboden habe daher unabhängig von etwaigen Fehlern der Verfugung entfernt und neu verlegt werden müssen. Bezüglich der Teilfläche von 400 m² habe er schon bei der Probenentnahme mit Hammer und Meißel in nicht unerheblichem Umfang Hohllagen der Fliesen festgestellt. Angesichts dieser durch Abklopfen gewonnenen Erkenntnisse und der bei einem erheblichen Teil der entnommenen Fliesenproben fehlenden Mörtelanhaftungen sei davon auszugehen, dass sich unter der Teilfläche von 400 m² bereits nach der Verlegung des Fliesenbodens in so erheblichem Umfang Hohllagen befunden hätten, dass der Boden unabhängig von der fehlerhaften Verfugung habe vollständig neu verlegt werden müssen. Ein solches Erfordernis bestehe bereits dann, wenn nur etwa 40 % der Gesamtfläche von den Hohllagen betroffen gewesen seien. Ob sich unter der zum Zeitpunkt seiner Beauftragung bereits vollständig sanierten Teilfläche von 1.700 m² ursprünglich in demselben Umfang Hohllagen befunden hätten, könne er nicht mit ausreichender Sicherheit feststellen. Es fehle eine hinreichende Erkenntnisgrundlage.
- 19
- Diese Ausführungen des Sachverständigen seien nachvollziehbar und in sich schlüssig. Für 400 m² der verlegten Fläche sei daher sicher festzustellen, dass die dort im Rüttelverfahren aufgebrachten Fliesen hohl gelegen hätten mit der Folge, dass eine Erneuerung des Bodens bereits deswegen erforderlich gewesen sei. Für die weiteren 1.700 m² der verlegten Fläche sei festzustellen, dass es jedenfalls wahrscheinlich sei, dass die dort aufgebrachten Fliesen ebenfalls hohl gelegen hätten und bereits dies eine Erneuerung des Bodens erforderlich gemacht habe. Es lasse sich mithin nicht feststellen, dass der von der Klägerin reklamierte Schaden (Kosten des Bodenaustausches) auf der Pflichtverletzung der Beklagten (falsche Verarbeitungshinweise für das Fugenmaterial) beruhe.
- 20
- Das gelte zunächst für die 400 m², für die sich sicher feststellen lasse, dass bereits allein die mangelhafte Verlegung im Rüttelverfahren, die einen Verbund der Fliesen mit dem Untergrund nicht hergestellt habe, die Bodenerneuerung erfordert habe. Wirkten sich zwei Ursachen eines Schadens (mangelhafte Verlegung einerseits, falsche Verarbeitungshinweise anderer- seits) zu unterschiedlichen Zeitpunkten (zuerst die Verlegung, danach die Verfugung) unabhängig voneinander aus, gehe es nicht um verschiedene gleichzeitig wirkende Umstände, bei denen die Grundsätze der sogenannten Gesamt- oder Doppelkausalität anzuwenden wären. Vielmehr sei der "Zweitschädiger" in solchen Fällen nur dann für den Schaden verantwortlich, wenn er den bereits durch die erste Ursache (Fliesen ohne Verbund zum Untergrund gelegt) herbeigeführten Schaden (Austausch erforderlich) vergrößert habe. Eine Vergrößerung des Schadens (notwendiger Bodenaustausch) durch die fehlerhafte Anweisung der Beklagten (Einbringung Fugenmaterial) lasse sich nicht feststellen. Die Klägerin habe daher bereits wegen eigener Versäumnisse (kein ausreichender Haftverbund der Fliesen mit der Unterlage) ihrem Auftraggeber den Austausch des Bodens geschuldet.
- 21
- Dies gelte im Ergebnis auch für die weitere Fläche von 1.700 m². Da eine Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass die Fliesen dort ebenfalls hohl gelegen hätten, lasse sich auch hier nicht feststellen, dass die fehlerhafte Anweisung zur Mischung des Fugenmaterials den Schaden verursacht, ihn mitverursacht oder einen bestehenden Schaden vergrößert habe. Es lasse sich nicht ausschließen, dass die für den Austausch dieser Fläche angefallenen Kosten auch ohne die fehlerhaften Verarbeitungshinweise angefallen wären.
II.
- 22
- Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
- 23
- A. Revision der Klägerin
- 24
- 1. Der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus § 437 Nr. 3, § 280 Abs. 1 BGB auf Erstattung der Kosten für den Austausch des Fliesenbelags auf der sanierten Teilfläche von rund 2.100 m² kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden.
- 25
- a) Zu Recht hat das Berufungsgericht die fehlerhaften Hinweise des Zeugen L. zur Verarbeitung des Fugenmörtels, die nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts bereits für sich genommen die vollständige Unbrauchbarkeit der mit dem Fugenmörtel verfugten Teilfläche bewirkt haben, als Sachmangel im Sinne von § 434 Abs. 2 Satz 2 BGB angesehen , den sich die Beklagte als Pflichtverletzung im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB zurechnen lassen muss. Dies ist im Revisionsverfahren nicht im Streit.
- 26
- b) Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, dass diese Pflichtverletzung der Beklagten den erforderlichen Austausch des Fliesenbelags nicht zumindest mitverursacht habe und deshalb das - auch nach Auffassung des Berufungsgerichts - im Grundsatz berechtigte Schadensersatzbegehren an dem von der Klägerin zu erbringenden Nachweis der haftungsausfüllenden Kausalität scheitere. Das Berufungsgericht hat verkannt, dass hier ein Fall der "Doppelkausalität" vorliegt, wenn nicht nur die fehlerhaften Verarbeitungshinweise der Beklagten, sondern - wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist - auch eine der Klägerin zuzurechnende fehlerhafte Verlegung der Fliesen einen kompletten Austausch des Bodenbelags erforderlich gemacht haben.
- 27
- aa) Ist ein bestimmter Schaden durch mehrere gleichzeitig oder nebeneinander wirkende Umstände, etwa durch mehrere Mängel einer Sache, verursacht worden und hätte jede dieser Ursachen für sich allein ausgereicht, um den ganzen Schaden herbeizuführen, dann sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sämtliche Umstände als rechtlich ursächlich zu behandeln, obwohl keiner von ihnen als "conditio sine qua non" qualifiziert werden kann. In diesen Fällen der sogenannten Doppelkausalität bedarf es einer entsprechenden Modifikation der Äquivalenztheorie, weil der eingetretene Schadenserfolg ansonsten auf keine der tatsächlich wirksam gewordenen Ursachen zurückgeführt werden könnte (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 13. März 2012 - II ZR 50/09, WM 2012, 990 Rn. 25; vom 23. März 2006 - IX ZR 134/04, WM 2006, 1211 Rn. 20; vom 7. Mai 2004 - V ZR 77/03, NJW 2004, 2526 unter II 2 a; vom 16. Mai 1983 - III ZR 89/82, VersR 1983, 731 unter II 1 b; vom 6. Mai 1971 - VII ZR 302/69, VersR 1971, 818 unter 4 b; jeweils mwN).
- 28
- Das Berufungsgericht hat in seiner Begründung für die Zulassung der Revision zwar gesehen, dass seine Entscheidung der höchstrichterlichen Rechtsprechung entgegenstehen könnte, hat einen Widerspruch aber zu Unrecht verneint. Dies beruht darauf, dass es den Begriff "gleichzeitig wirkende Umstände" zu eng aufgefasst hat, indem es zusammengehörige Arbeitsvorgänge - hier: Verlegung und Verfugung der Fliesen als notwendige Bestandteile der Herstellung des Bodenbelags - sachwidrig voneinander getrennt hat.
- 29
- bb) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wies der Fliesenbelag nach Abschluss der Arbeiten der als Subunternehmerin tätigen A. GmbH zwei Mängel auf.
- 30
- Zum einen war die Verfugung aufgrund fehlerhafter Verarbeitungshinweise seitens des Mitarbeiters der Beklagten auf der gesamten Fläche von 2.100 m² mangelhaft mit der Folge, dass bereits aus diesem Grund die Fliesen entfernt und neu verlegt werden mussten. Zum anderen lagen die Fliesen auf der vom Sachverständigen begutachteten Teilfläche von 400 m² aufgrund fehlerhafter Verlegung durch die Subunternehmerin der Klägerin, die A. GmbH, in einem Umfang hohl, der ebenfalls eine Erneuerung des Bodenbelags erfor- derlich machte. Hinsichtlich der weiteren Teilfläche von 1.700 m² hat das Berufungsgericht entsprechende Hohllagen als wahrscheinlich angesehen und eine Erneuerungsbedürftigkeit wegen fehlerhafter Verlegung auf dieser Teilfläche ebenfalls seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Davon ist auch im Revisionsverfahren auszugehen. Bereits das Vorliegen eines der beiden Mängel hätte somit ausgereicht, um einen kompletten Austausch des mangelhaften Bodenbelags erforderlich zu machen.
- 31
- Es handelt sich damit um gleichzeitig wirkende Umstände im Sinne der Rechtsprechung zur Doppelkausalität. Denn die Mängel der Verlegung und der Verfugung lagen bei dem fertiggestellten Boden nebeneinander vor. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist hier nicht auf den ohnehin nur sehr geringen zeitlichen Abstand zwischen der fehlerhaften Verlegung der Fliesen und der fehlerhaften Verfugung aufgrund der zuvor erteilten fehlerhaften Verarbeitungshinweise abzustellen. Denn bei der Verlegung und der Verfugung der Fliesen handelt es sich um notwendige und eng zusammengehörige Arbeitsvorgänge zur Herstellung des Bodenbelags, die bei wertender Betrachtung als einheitlicher Vorgang zu beurteilen sind. Ungeachtet der Tatsache, dass diese Arbeiten nacheinander durchgeführt wurden, wirken sich die dabei unterlaufenen Fehler im Ergebnis - bei dem fertiggestellten Boden - nebeneinander aus. Es kommt daher nicht darauf an, in welchem der beiden Arbeitsvorgänge zuerst ein Fehler unterlaufen ist.
- 32
- cc) Soweit die Revisionserwiderung in der fehlerhaften Verlegung der Fliesen eine die Haftung der Beklagten ausschließende Reserveursache sehen will, geht dies bereits deshalb fehl, weil die Verlegung den eingetretenen Schaden nicht nur hypothetisch, sondern real, wenn auch in Konkurrenz mit der Verfugung , herbeigeführt hat (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 2004 - V ZR 77/03, aaO unter II 2 b). Damit liegt ein Fall der entlastenden Reserveursache nicht vor.
- 33
- 2. Die Klägerin kann jedoch von der Beklagten nicht ohne Weiteres in vollem Umfang Ersatz der geltend gemachten Sanierungskosten verlangen. Da die Beklagte nur für eine der beiden Ursachen - die fehlerhafte Verfugung - verantwortlich ist, während die andere Ursache - die fehlerhafte Verlegung der Fliesen - nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachverhalt zumindest teilweise von der Subunternehmerin der Klägerin gesetzt wurde und damit in den Verantwortungsbereich der Klägerin fällt (arg. § 278 BGB), ist die Vorschrift des § 254 Abs. 1 BGB anwendbar (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 1983 - III ZR 89/82, aaO unter II 2). Diese Vorschrift, die zu einer Anspruchsminderung entsprechend dem Gewicht der beiderseitigen Verursachungsanteile führt, hat das Berufungsgericht - infolge seiner unzutreffenden Beurteilung der Kausalität - zu Unrecht nicht in den Blick genommen.
- 34
- Bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile nach § 254 BGB können allerdings nur solche Umstände zu Lasten des Geschädigten anspruchsmindernd berücksichtigt werden, von denen feststeht, dass sie eingetreten und für die Entstehung des Schadens (mit)ursächlich geworden sind (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 2012 - VI ZR 3/11, VersR 2012, 865 Rn. 12). Die Beweislast für die Mitursächlichkeit von Umständen aus dem Verantwortungsbereich des Geschädigten trägt der Schädiger (vgl. BGH, Urteil vom 30. September 2003 - XI ZR 232/02, WM 2003, 2286 unter II 2 b bb (1) (c) mwN). Danach hat die Beklagte - und nicht die Klägerin - zu beweisen, in welchem Umfang die in den Verantwortungsbereich der Klägerin fallende Verlegung fehlerhaft und daher mitursächlich für die Notwendigkeit der Erneuerung des Bodenbelags war.
- 35
- Diesen Beweis hat die Beklagte bislang nur hinsichtlich der vom Sachverständigen begutachteten Teilfläche von 400 m² erbracht, nicht aber hinsichtlich der weiteren Fläche von 1.700 m², für die das Berufungsgericht eine der Klägerin anzulastende fehlerhafte Verlegung bislang lediglich als wahrscheinlich , nicht aber als bewiesen angesehen hat. Hinsichtlich dieser Teilfläche wird das Berufungsgericht die Beweiswürdigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles erneut vorzunehmen haben.
- 36
- a) Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Verlegung auf der vom Sachverständigen begutachteten Teilfläche von 400 m² wegen hohl liegender Fliesen mangelhaft war mit der Folge, dass eine Erneuerung des Bodenbelags auf dieser Fläche nicht nur wegen der fehlerhaften Verfugung , sondern auch aus diesem Grund erforderlich war. Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe die Ausführungen des von der Klägerin vorgelegten Privatgutachtens nicht hinreichend berücksichtigt, bleibt ohne Erfolg.
- 37
- aa) Einwände, die sich aus einem Privatgutachten gegen das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen ergeben, muss das Gericht ernst nehmen, ihnen nachgehen und den Sachverhalt weiter aufklären. Dazu kann es den Sachverständigen zu einer schriftlichen Ergänzung seines Gutachtens veranlassen oder ihn gemäß § 411 Abs. 3 ZPO mündlich - gegebenenfalls unter Gegenüberstellung mit dem Privatgutachter - anhören (BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 2011 - IV ZR 190/08, VersR 2011, 552 Rn. 5; vom 18. Mai 2009 - IV ZR 57/08, VersR 2009, 975 Rn. 7; Senatsurteil vom 9. Januar 2002 - VIII ZR 304/00, NJW 2002, 1651 unter II 3 b; jeweils mwN).
- 38
- bb) Diesen Anforderungen ist das Berufungsgericht nachgekommen. Im Rahmen der Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen ist dieser auch auf das Privatgutachten eingegangen. Der Privatsachverständige war ebenfalls anwesend und hat auch Fragen gestellt. In der Urteilsbegründung hat sich das Berufungsgericht sodann mit rechtsfehlerfreien Erwägungen dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen angeschlossen und entscheidend auf die Umstände abgestellt, die durch das Privatgutachten nicht angezweifelt worden waren. Damit hat das Berufungsgericht das Privatgutachten nicht verfahrensfehlerhaft übergangen.
- 39
- Das Privatgutachten wendet sich allein gegen die Annahme des gerichtlichen Sachverständigen, dass das Fehlen von Mörtelanhaftungen auf den Fliesen auf einen unzureichenden Haftungsverbund mit dem darunter liegenden Boden schließen lasse. Nach Ansicht des Privatgutachtens kann nur durch ein sogenanntes Haftzugverfahren geklärt werden, ob die Fliesen in erforderlichem Maße mit dem Untergrund verbunden sind. Der gerichtliche Sachverständige stützt sich jedoch entscheidend darauf, dass er schon bei den Probeentnahmen durch das Abklopfen der Fläche mit Hammer und Meißel in nicht unerheblichem Umfang Hohllagen der Fliesen festgestellt habe. Das Berufungsgericht ist diesen Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen gefolgt. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
- 40
- b) Hinsichtlich der Teilfläche von 1.700 m² hat das Berufungsgericht festgestellt , es sei nach dem Gutachten wahrscheinlich, wenn auch nicht bewiesen, dass die dort aufgebrachten Fliesen ebenfalls hohl gelegen hätten und bereits dies eine Erneuerung des Bodens erforderlich gemacht habe. Das Berufungsgericht hat mit dieser Wahrscheinlichkeit seine Beweislastentscheidung zum Nachteil der Klägerin hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität begründet. Das ist rechtsfehlerhaft. Das Berufungsgericht hätte, wie die Revision mit Recht rügt, prüfen müssen, ob die Beklagte bewiesen hat, dass die Fliesen auch auf der Teilfläche von 1.700 m² in erheblichem Umfang hohl lagen und dies mitursächlich für die erforderliche Sanierung war. Denn die Beweislast dafür , dass der Klägerin gemäß § 254 BGB eine fehlerhafte Verlegung der Fliesen anspruchsmindernd anzulasten ist, liegt, wie ausgeführt, bei der Beklagten. Das ist keine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität. Es bedarf daher einer er- neuten Beweiswürdigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles (§ 286 ZPO).
- 41
- aa) Im Rahmen des § 286 ZPO kommt es auf die "freie Überzeugung" des Richters von der Wahrheit einer Behauptung an. Diese Überzeugung erfordert keine absolute oder unumstößliche Gewissheit, die kaum je zu erreichen ist. Es genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1993 - VI ZR 221/92, NJW-RR 1994, 567 unter II 2 a mwN).
- 42
- bb) Das Berufungsgericht beruft sich auf den Sachverständigen, der ausgeführt habe, er könne nicht mit ausreichender Sicherheit feststellen, ob sich unter der - zum Zeitpunkt seiner Beauftragung bereits vollständig sanierten - Teilfläche von 1.700 m² ursprünglich in dem gleichen Umfang Hohllagen befunden hätten wie unter der begutachteten Teilfläche von 400 m²; insoweit fehle ihm eine hinreichende Erkenntnisgrundlage. Zwar sprächen einige Umstände mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit dafür, dass auch diese Teilfläche von Anfang an erhebliche Hohllagen aufgewiesen habe, doch lasse sich eine entsprechende Feststellung aus sachverständiger Sicht nicht mit der erforderlichen Sicherheit treffen.
- 43
- Dass der Sachverständige erhebliche Hohllagen auch auf dieser Teilfläche zwar als wahrscheinlich angesehen hat, nach den Regeln seines Fachgebiets aber nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen konnte, schließt nicht ohne Weiteres aus, dass der Tatrichter den für die Überzeugungsbildung gemäß § 286 ZPO ausreichenden Grad an persönlicher Gewissheit vom Vorhandensein solcher Hohllagen gewinnt. Dies hängt von der Würdigung der Umstände ab, aus denen der Sachverständige - und ihm folgend das Berufungsge- richt - hergeleitet hat, dass Hohllagen der Fliesen auch auf dieser Teilfläche (jedenfalls) wahrscheinlich seien.
- 44
- Das Berufungsgericht hat die Frage, ob das Vorhandensein erheblicher Hohllagen (auch) auf der Teilfläche von 1.700 m² bewiesen ist, ersichtlich nicht unter Würdigung aller Umstände abschließend beurteilt. Denn das Berufungsgericht hat bei der haftungsausfüllenden Kausalität seine Beweislastentscheidung zum Nachteil der Klägerin damit begründet, es lasse sich "nicht ausschließen" , dass die für den Austausch der Fliesen auf dieser Fläche entstandenen Kosten auch ohne die fehlerhaften Verarbeitungshinweise der Beklagten angefallen wären. Gemeint sind damit der Klägerin anzulastende Verlegungsfehler der A. GmbH. Insoweit hat das Berufungsgericht jedoch, wie ausgeführt , die Beweislast verkannt. Anzulasten sind der Klägerin etwaige Verlegungsfehler der A. GmbH nicht schon dann, wenn diese nicht auszuschließen sind, sondern nur dann, wenn das Berufungsgericht die gemäß § 286 ZPO erforderliche Überzeugung vom Vorliegen derartiger Fehler gewonnen hat.
- 45
- Das Berufungsgericht wird deshalb unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falles zu prüfen haben, ob der Beklagten der Nachweis gelungen ist, dass die Fliesen nicht nur auf der begutachteten Teilfläche von 400 m², sondern auch auf der vorab sanierten Teilfläche von 1.700 m² aufgrund fehlerhafter Verlegung durch die A. GmbH in erheblichem Umfang hohl lagen. Dabei kann neben den vom Sachverständigen angeführten Umständen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit für solche Fehler sprechen, auch von Bedeutung sein, dass keine Umstände vorgetragen oder ersichtlich sind, aus denen sich ergäbe, dass die Verlegung auf der Teilfläche von 1.700 m² auf andere Weise, unter anderen Gegebenheiten oder durch andere Personen vorgenommen worden wäre als die Verlegung auf der Teilfläche von 400 m², bei der es zu Hohllagen in erheblichem Umfang gekommen ist.
- 46
- c) Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt allerdings keine Beweisvereitelung seitens der Klägerin darin, dass die Klägerin eine Sanierung der Teilfläche von 1.700 m² vor einer Begutachtung durch einen Sachverständigen hat durchführen lassen. Denn dazu war die Klägerin aufgrund der fehlerhaften Verarbeitungshinweise der Beklagten, die zur mangelhaften Verfugung der Fliesen geführt hatten, berechtigt. Der Vorwurf der Beweisvereitelung kann nicht allein daraus hergeleitet werden, dass die Klägerin im Zuge berechtigter Mängelbeseitigung den Bodenbelag verändert hat (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 2008 - VII ZR 64/07, NJW 2009, 360 Rn. 20).
- 47
- B. Anschlussrevision der Beklagten
- 48
- Die Anschlussrevision hat insoweit Erfolg, als über den mit der Widerklage noch geltend gemachten Kaufpreisanspruch der Beklagten in Höhe weiterer 20.717,21 € für die Kontaktschlämme und sonstigen Materialien, die bei der Erstellung des unbrauchbaren Fliesenbelags auf der Teilfläche von 2.100 m² verarbeitet worden sind, nicht entschieden werden kann, bevor nicht feststeht, in welcher Höhe die Klägerin Schadensersatz wegen der fehlerhaften Verarbeitungshinweise der Beklagten hinsichtlich des Fugenmörtels beanspruchen kann. Die weitergehende Widerklage kann deshalb derzeit nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung abgewiesen werden.
- 49
- Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin zur Bezahlung dieser Materialien nicht verpflichtet ist, soweit diese aufgrund der fehlerhaften Verarbeitungshinweise der Beklagten hinsichtlich des Fugenmörtels und der dadurch erforderlich gewordenen Sanierung des Bodenbelags unbrauchbar geworden sind. Denn insoweit steht der Klägerin, wie auch das Berufungsgericht nicht verkannt hat, dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch zu. Von dessen Höhe und insbesondere der Abwägung der beiderseiti- gen Verursachungsanteile nach § 254 BGB, zu der das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffenhat, hängt es ab, ob der Beklagten noch ein Restkaufpreisanspruch für die an sich mangelfreien , infolge der Sanierung aber zerstörten und dadurch wertlos gewordenen Materialien zusteht.
III.
- 50
- Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO).
- 51
- Die Sache ist, da der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die erforderlichen Feststellungen getroffen werden können (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Erst nach der vom Berufungsgericht gemäß § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge der Parteien zur Entstehung des Schadens und der Feststellung der Höhe der Sanierungskosten kann bestimmt werden , in welcher Höhe der Schadensersatzanspruch der Klägerin besteht, ob die Aufrechnung der Klägerin mit ihrem Schadensersatzanspruch gegen die von ihr nicht bestrittene Kaufpreisforderung in Höhe von 13.708,19 € durchgreift und ob der Beklagten der mit der Widerklage geltend gemachte weitere Kaufpreisanspruch in Höhe von 20.717,21 € zusteht.
Dr. Fetzer Dr. Bünger
Vorinstanzen:
LG Essen, Entscheidung vom 09.03.2009 - 44 O 105/05 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 29.09.2011 - I-2 U 101/09 -
(1) Dauerschuldverhältnisse kann jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
(2) Besteht der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Vertrag, ist die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Für die Entbehrlichkeit der Bestimmung einer Frist zur Abhilfe und für die Entbehrlichkeit einer Abmahnung findet § 323 Absatz 2 Nummer 1 und 2 entsprechende Anwendung. Die Bestimmung einer Frist zur Abhilfe und eine Abmahnung sind auch entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Kündigung rechtfertigen.
(3) Der Berechtigte kann nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen, nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat.
(4) Die Berechtigung, Schadensersatz zu verlangen, wird durch die Kündigung nicht ausgeschlossen.
(1) Für die Inanspruchnahme von Angeboten
- 1.
der Jugendarbeit nach § 11, - 2.
der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie nach § 16 Absatz 1, Absatz 2 Nummer 1 und 3 und - 3.
der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege nach den §§ 22 bis 24
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 kann der Kostenbeitrag auf Antrag ganz oder teilweise erlassen oder ein Teilnahmebeitrag auf Antrag ganz oder teilweise vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn
- 1.
die Belastung - a)
dem Kind oder dem Jugendlichen und seinen Eltern oder - b)
dem jungen Volljährigen
- 2.
die Förderung für die Entwicklung des jungen Menschen erforderlich ist.
(3) Im Fall des Absatzes 1 Nummer 3 sind Kostenbeiträge zu staffeln. Als Kriterien für die Staffelung können insbesondere das Einkommen der Eltern, die Anzahl der kindergeldberechtigten Kinder in der Familie und die tägliche Betreuungszeit des Kindes berücksichtigt werden. Werden die Kostenbeiträge nach dem Einkommen berechnet, bleibt das Baukindergeld des Bundes außer Betracht. Darüber hinaus können weitere Kriterien berücksichtigt werden.
(4) Im Fall des Absatzes 1 Nummer 3 wird der Kostenbeitrag auf Antrag erlassen oder auf Antrag ein Teilnahmebeitrag vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen, wenn die Belastung durch Kostenbeiträge den Eltern und dem Kind nicht zuzumuten ist. Nicht zuzumuten sind Kostenbeiträge immer dann, wenn Eltern oder Kinder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch, Leistungen nach dem dritten und vierten Kapitel des Zwölften Buches oder Leistungen nach den §§ 2 und 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes beziehen oder wenn die Eltern des Kindes Kinderzuschlag gemäß § 6a des Bundeskindergeldgesetzes oder Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz erhalten. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat die Eltern über die Möglichkeit einer Antragstellung nach Satz 1 bei unzumutbarer Belastung durch Kostenbeiträge zu beraten. Absatz 2 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.
(1) Ein Kind, das das erste Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist in einer Einrichtung oder in Kindertagespflege zu fördern, wenn
- 1.
diese Leistung für seine Entwicklung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit geboten ist oder - 2.
die Erziehungsberechtigten - a)
einer Erwerbstätigkeit nachgehen, eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder Arbeit suchend sind, - b)
sich in einer beruflichen Bildungsmaßnahme, in der Schulausbildung oder Hochschulausbildung befinden oder - c)
Leistungen zur Eingliederung in Arbeit im Sinne des Zweiten Buches erhalten.
(2) Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend.
(3) Ein Kind, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, hat bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben darauf hinzuwirken, dass für diese Altersgruppe ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung steht. Das Kind kann bei besonderem Bedarf oder ergänzend auch in Kindertagespflege gefördert werden.
(4) Für Kinder im schulpflichtigen Alter ist ein bedarfsgerechtes Angebot in Tageseinrichtungen vorzuhalten. Absatz 1 Satz 3 und Absatz 3 Satz 3 gelten entsprechend.
(5) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder die von ihnen beauftragten Stellen sind verpflichtet, Eltern oder Elternteile, die Leistungen nach den Absätzen 1 bis 4 in Anspruch nehmen wollen, über das Platzangebot im örtlichen Einzugsbereich und die pädagogische Konzeption der Einrichtungen zu informieren und sie bei der Auswahl zu beraten. Landesrecht kann bestimmen, dass die erziehungsberechtigten Personen den zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder die beauftragte Stelle innerhalb einer bestimmten Frist vor der beabsichtigten Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis setzen.
(6) Weitergehendes Landesrecht bleibt unberührt.
(1) Tageseinrichtungen sind Einrichtungen, in denen sich Kinder für einen Teil des Tages oder ganztägig aufhalten und in Gruppen gefördert werden. Kindertagespflege wird von einer geeigneten Kindertagespflegeperson in ihrem Haushalt, im Haushalt des Erziehungsberechtigten oder in anderen geeigneten Räumen geleistet. Nutzen mehrere Kindertagespflegepersonen Räumlichkeiten gemeinsam, ist die vertragliche und pädagogische Zuordnung jedes einzelnen Kindes zu einer bestimmten Kindertagespflegeperson zu gewährleisten. Eine gegenseitige kurzzeitige Vertretung der Kindertagespflegepersonen aus einem gewichtigen Grund steht dem nicht entgegen. Das Nähere über die Abgrenzung von Tageseinrichtungen und Kindertagespflege regelt das Landesrecht.
(2) Tageseinrichtungen für Kinder und Kindertagespflege sollen
- 1.
die Entwicklung des Kindes zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit fördern, - 2.
die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützen und ergänzen, - 3.
den Eltern dabei helfen, Erwerbstätigkeit, Kindererziehung und familiäre Pflege besser miteinander vereinbaren zu können.
(3) Der Förderungsauftrag umfasst Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes und bezieht sich auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes. Er schließt die Vermittlung orientierender Werte und Regeln ein. Die Förderung soll sich am Alter und Entwicklungsstand, den sprachlichen und sonstigen Fähigkeiten, der Lebenssituation sowie den Interessen und Bedürfnissen des einzelnen Kindes orientieren und seine ethnische Herkunft berücksichtigen.
(4) Für die Erfüllung des Förderungsauftrags nach Absatz 3 sollen geeignete Maßnahmen zur Gewährleistung der Qualität der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege weiterentwickelt werden. Das Nähere regelt das Landesrecht.
(1) Die Förderung in Kindertagespflege nach Maßgabe von § 24 umfasst die Vermittlung des Kindes zu einer geeigneten Kindertagespflegeperson, soweit diese nicht von der erziehungsberechtigten Person nachgewiesen wird, deren fachliche Beratung, Begleitung und weitere Qualifizierung sowie die Gewährung einer laufenden Geldleistung an die Kindertagespflegeperson.
(2) Die laufende Geldleistung nach Absatz 1 umfasst
- 1.
die Erstattung angemessener Kosten, die der Kindertagespflegeperson für den Sachaufwand entstehen, - 2.
einen Betrag zur Anerkennung ihrer Förderungsleistung nach Maßgabe von Absatz 2a, - 3.
die Erstattung nachgewiesener Aufwendungen für Beiträge zu einer angemessenen Unfallversicherung sowie die hälftige Erstattung nachgewiesener Aufwendungen zu einer angemessenen Alterssicherung der Kindertagespflegeperson und - 4.
die hälftige Erstattung nachgewiesener Aufwendungen zu einer angemessenen Kranken- und Pflegeversicherung.
(2a) Die Höhe der laufenden Geldleistung wird von den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe festgelegt, soweit Landesrecht nicht etwas anderes bestimmt. Der Betrag zur Anerkennung der Förderungsleistung der Kindertagespflegeperson ist leistungsgerecht auszugestalten. Dabei sind der zeitliche Umfang der Leistung und die Anzahl sowie der Förderbedarf der betreuten Kinder zu berücksichtigen.
(3) Geeignet im Sinne von Absatz 1 sind Personen, die sich durch ihre Persönlichkeit, Sachkompetenz und Kooperationsbereitschaft mit Erziehungsberechtigten und anderen Kindertagespflegepersonen auszeichnen und über kindgerechte Räumlichkeiten verfügen. Sie sollen über vertiefte Kenntnisse hinsichtlich der Anforderungen der Kindertagespflege verfügen, die sie in qualifizierten Lehrgängen erworben oder in anderer Weise nachgewiesen haben.
(4) Erziehungsberechtigte und Kindertagespflegepersonen haben Anspruch auf Beratung in allen Fragen der Kindertagespflege. Für Ausfallzeiten einer Kindertagespflegeperson ist rechtzeitig eine andere Betreuungsmöglichkeit für das Kind sicherzustellen. Zusammenschlüsse von Kindertagespflegepersonen sollen beraten, unterstützt und gefördert werden.
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).
(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.