Verwaltungsgericht Greifswald Urteil, 15. Jan. 2019 - 3 A 867/18 HGW

bei uns veröffentlicht am15.01.2019

Tenor

1. Die Bescheide des Beklagten vom 21. Dezember 2016 in der Gestalt der jeweiligen Widerspruchsbescheide vom 27. April 2018 werden aufgehoben.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der Vollstreckungsschuld abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Heranziehung zu Anschlussbeiträgen Schmutzwasser.

2

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks G 1 welches sie im Jahr 2010 erworben hat. Das Grundstück liegt innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils. Zum Zeitpunkt des Erwerbes war das Grundstück auf einer kleinen Teilfläche mit einem eingeschossigen Gebäude bebaut. Das eingeschossige Gebäude wurde im Jahr 2012 abgerissen. Die Klägerin errichtete dann ein viergeschossiges Gebäude mit 11 Ferienwohnungen, welches im Jahr 2013 fertiggestellt wurde. In diesem Zusammenhang erfolgte im Jahr 2013 erstmals die Herstellung eines Grundstücksanschlusses mit einem Kontrollschacht. Die Aufteilung in Wohneigentum wurde am 16. Oktober 2015 im Grundbuch eingetragen.

3

Bereits mit Bescheid vom 25. Mai 2009 hatte der Beklagte die vormalige Eigentümerin des Grundstücks zu einem Anschlussbeitrag Schmutzwasser in Höhe von 953,93 Euro herangezogen. Der Berechnung lagen die gesamte Grundstücksfläche von 790 m² und ein Vollgeschoss zugrunde.

4

Mit Bescheiden vom 21. Dezember 2016 zog der Beklagte die Klägerin entsprechend den jeweiligen Miteigentumsanteilen zu einem Anschlussbeitrag zwischen 109 Euro und 243 Euro heran. Dabei wurde der ermittelte Anschlussbeitrag für das Grundstück um den durch die Voreigentümerin geleisteten Betrag in Höhe von 953,93 Euro reduziert. Der Berechnung liegen die gesamte Grundstücksfläche und eine maßgebliche Zahl der Vollgeschosse von 4 zugrunde. Die dagegen eingelegten Widersprüche wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 27. April 2018, zugestellt am 28. April 2018, zurück.

5

Die Klägerin hat am 28. Mai 2018 Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, dass die Heranziehung unzulässig sei. Die Nacherhebung widerspreche dem Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung. Darüber hinaus sei die Beitragserhebung verjährt, da die erste wirksame Satzung im Jahr 2011 bestanden habe.

6

Die Klägerin beantragt,

7

die Bescheide des Beklagten vom 21. Dezember 2016 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 27. April 2018 aufzuheben.

8

Der Beklagte beantragt,

9

die Klage abzuweisen.

10

Zur Begründung nimmt er auf seine Bescheide Bezug.

11

Die Klägerin hat sich mit Schreiben vom 12. Juli 2018 und der Beklagte mit Schreiben vom 4. Dezember 2018 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

12

Das Gericht hat mit Beschluss vom 14. Januar 2019 den Rechtsstreit zur Entscheidung auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

14

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung –VwGO).

II.

15

1. Die zulässige Klage ist begründet. Die Bescheide des Beklagten in der Gestalt des jeweiligen Widerspruchsbescheides sind rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

16

Die nochmalige Heranziehung der Klägerin zu Anschlussbeiträgen für die öffentliche Abwasserbeseitigung, zusätzlich zu dem durch Anschlussbeitragsbescheid vom 25. Mai 2009 ursprünglich festgesetzten und bezahlten Beitrag in Höhe von 953,93 Euro, findet seine Rechtsgrundlage nicht in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung des Zweckverbands Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung Insel Usedom vom 19. Oktober 2011 in der Fassung der 1. Änderungssatzung vom 13. Dezember 2012 (Beitragssatzung 2012). Dies gilt unabhängig davon, dass die Satzung nach jetziger Erkenntnis wirksam ist (so OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 56 ff. zur im Wesentlichen inhaltsgleichen Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung – Insel Usedom vom 18. März 2005 in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 16. Mai 2011). Denn eine Nacherhebung ist entgegen dem Vorbringen des Beklagten unter den vorliegenden Sachverhaltsgegebenheiten unzulässig. Der Heranziehung der Klägerin steht der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung entgegen, da der Beklagte den Beitrag für das klägerische Grundstück bereits mit Bescheid vom 25. Mai 2009 voll ausgeschöpft hat.

17

 a. Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung und das hieraus folgende Verbot der Doppelbelastung besagen, dass die sachliche Beitragspflicht für ein Grundstück bezogen auf eine beitragsfähige Ausbaumaßnahme einer bestimmten Anlage nur einmal und endgültig in Höhe des nach Maßgabe der Satzung abzugeltenden Vorteils entsteht und dass der entsprechende Aufwand durch einen einmaligen Beitrag in der entstandenen Höhe gedeckt wird. Ist die sachliche Beitragspflicht aufgrund einer wirksamen Satzung entstanden und der Beitragstatbestand erfüllt, ist die erneute Entstehung einer Beitragspflicht im Grundsatz gesperrt (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 15.12.2009 – 1 L 323/06 –, juris Rn. 49 m.w.N.). Die Einmaligkeit der Leistung des Anschlussbeitrags folgt aus dem Wesen des Beitrags, der an einen bestimmten Zustand ("Möglichkeit der Inanspruchnahme") anknüpft und der den bei Verwirklichung des Zustands gebotenen wirtschaftlichen Vorteil insgesamt abgelten soll. Der Grundstückseigentümer erbringt die "Gegenleistung" für den ihm durch die Anschlussmöglichkeit gebotenen wirtschaftlichen Vorteil, der der Natur der Sache nach mit der Anschlussmöglichkeit entsteht und auch in der Zukunft in der Regel nicht verändert wird. Die Einmaligkeit der Beitragserhebung ist auch Folge des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Vertrauensschutzgedankens (vgl. VGH München, Urt. v. 15.04.1999 - 23 B 97.1108 -, juris; vgl. zum Ganzen OVG Greifswald, Beschl. v. 25.05.2009 - 1 M 157/08 -, juris).
Nach Maßgabe von § 9 Abs. 3 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG M-V) (vgl. auch § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. und die dazu ergangene Rspr. des OVG Greifswald, etwa Beschl. v. 21.07.2006 - 1 M 60/06 -, juris) und der entsprechenden satzungsrechtlichen Regelung des § 4 Abs. 1 Beitragssatzung 2012 entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Mit dem Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung geht das Landesrecht und in Folge dessen auch das Satzungsrecht des Beklagten davon aus, dass der beitragsrelevante Vorteil mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung bereits vollständig ausgebildet ist und die Erhebung des Beitrags in voller Höhe rechtfertigt. Auch die Höhe des Beitrags, mit dem das bevorteilte Grundstück zu den Herstellungskosten herangezogen wird, steht auf der Grundlage der - wirksamen - Beitragssatzung zu diesem Zeitpunkt endgültig fest. Der Beitrag ruht - in Höhe der sachlichen Beitragspflicht - als öffentliche Last auf dem Grundstück (§ 7 Abs. 6 KAG M-V).
Ist der beitragsrelevante Vorteil bereits mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung vollständig ausgebildet, ist es grundsätzlich unzulässig, einen zusätzlichen Beitrag für dasselbe Grundstück zu erheben, wenn sich nach dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse auf dem Grundstück verändert haben und nunmehr eine erhöhte Ausnutzbarkeit des Grundstücks möglich ist, z.B. durch nachträgliche Erhöhung des zulässigen baulichen Nutzungsmaßes, intensivere Bebauung durch Gebäudeaufstockung oder Neubau nach Abriss (sogenannte Ergänzungsbeiträge) (vgl. Petermann in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand 09/2015, § 8 Rn. 1480 zur vergleichbaren Rechtslage in Thüringen m.w.N.). Insoweit sieht auch schon die Beitragssatzung 2012 des Beklagten keine entsprechende Regelung vor. Eine solche wäre auch unwirksam, da sie keine gesetzliche Grundlage im Kommunalabgabengesetz M-V findet. Eine gesetzliche Bestimmung, die für die Fälle einer nachträglichen intensiveren Grundstücksnutzung eine (zusätzliche) Beitragspflicht entstehen lässt, sieht das Kommunalabgabenrecht M-V nur in den Fällen des § 9 Abs. 7 KAG M-V vor (vgl. Aussprung in: Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, Stand 11/2015, § 9 Anm. 12). Danach kann ein zusätzlicher Beitrag erhoben werden, wenn sich im Fall der Beitragsbemessung nach Absatz 4 oder Absatz 5 die für die Beitragsbemessung maßgebenden Umstände nachträglich ändern und sich dadurch der Vorteil erhöht. Eine weitergehende Regelung, wie etwa das bayrische Kommunalabgabengesetz in Artikel 5 Abs. 2a, nachdem ein zusätzliche Beitrag entsteht, wenn sich die für die Beitragsbemessung maßgeblichen Umstände nachträglich ändern und sich dadurch der Vorteil erhöht, enthält das Kommunalabgabengesetz dagegen nicht. Nacherhebungstatbestände in einer Beitragssatzung, die eine zusätzliche Beitragspflicht für dasselbe Grundstück daran knüpfen, dass sich nach dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse auf dem Grundstück verändert haben, sind damit grundsätzlich unzulässig (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 15.12.2009 – 1 L 323/06 –, juris Rn. 50; ebenso zur Rechtslage in Thüringen OVG Weimar, Beschl. v. 29.04.2008 - 4 ZKO 610/07 -, juris). Auch das Innenministerium führt in seinen Erwägungen in dem Einführungserlass vom 14. Juni 2005 (Az.: II 330 - 179.00.06), Ziffer 6.4.3, Seite 19f. aus:

18

„Ist bereits eine Anschlussbeitragserhebung ohne Regelungen im Sinne von § 9 Abs. 4 und 5 KAG M-V erfolgt, kann Absatz 7 grundsätzlich nicht angewandt werden; hier bleiben Nachveranlagungen z.B. wegen Vergrößerung des Gebäudes nach wie vor ausgeschlossen. Etwas anderes gilt insoweit lediglich im Zusammenhang mit einer schlichten Tiefenbegrenzungsregelung, wenn danach beitragsfrei gebliebene Grundstücksteile nachträglich in die Beitragspflicht „hineinwachsen“.“

19

 Demgegenüber ist – unter dem Blickwinkel des Grundsatzes der Einmaligkeit der Beitragserhebung – eine Nacherhebung prinzipiell zulässig, wenn der erste Beitragsbescheid die sachliche Beitragspflicht für ein bestimmtes Grundstück noch nicht vollständig ausgeschöpft hat. Dies ist etwa der Fall, wenn die Beitragsfestsetzung wegen eines Rechenfehlers zu niedrig war bzw. nunmehr bebaubare Grundstücksflächen, die zuvor nicht Gegenstand der Beitragserhebung waren, herangezogen werden. Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung ist nicht gleichbedeutend mit einem Grundsatz der Einmaligkeit des Beitragsbescheides (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 15.12.2009 – 1 L 323/06 –, juris Rn. 51f.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.05.2013 – OVG 9 S 75.12 -, juris Rn. 20). Denn das Beitragsschuldverhältnis entsteht entsprechend § 38 Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V mit der Verwirklichung des Beitragstatbestandes und erlischt nicht mit einer bestandskräftigen Beitragsfestsetzung, sondern entsprechend § 47 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V insbesondere durch Zahlung, Aufrechnung, Erlass oder Verjährung.

20

b. Unter Beachtung dieser Maßgaben handelt es sich vorliegend nicht um eine zulässige Nachveranlagung des auf dem klägerischen Grundstück ruhenden Beitrages, sondern um einen sogenannten Ergänzungsbeitrag. Denn bereits mit Beitragsbescheid vom 25. Mai 2009 wurde die später entstandene – davon sogleich – sachliche Beitragspflicht voll ausgeschöpft.

21

Die sachliche Beitragspflicht ist für das klägerische Grundstück mit Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung im Juni 2011 entstanden. Die Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung – Insel Usedom – vom 18. März 2005 in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 16. Mai 2011 (Beitragssatzung 2011) stellt die erste wirksame Satzung des Beklagten dar (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 56 ff.). Der Wirksamkeit der Satzung steht nicht entgegen, dass das Kommunalabgabengesetz zu diesem Zeitpunkt keine Regelung einer zeitlichen Obergrenze für eine Verjährung eines Abschlussbeitrages vorsah (sog. Verflüchtigungsrechtsstreit). Denn die Problematik der fehlenden Regelung einer Verflüchtigungsobergrenze hatte keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Satzung, sondern stellte lediglich ein Erhebungshindernis dar. Das OVG Greifswald (Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 83) hat in diesen Zusammenhang ausgeführt: „Gegenstand des Rechtsstreits um das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit („Verflüchtigungsrechtsstreit“) war nicht etwa eine gesetzliche Regelung, die verfassungswidrig sei, sondern die Tatsache, dass eine Gesetzeslücke gesehen wurde, die die Anwendung des im Übrigen verfassungsgemäßen KAG M-V ab einem gewissen vom Gesetzgeber festzulegenden Stichtag verfassungswidrig machen würde“. Zwischenzeitlich wurde der Rechtsmangel mit Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016 (GOVBl. M-V S. 584) geheilt. § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V enthält nunmehr eine Höchstfrist für die Beitragsfestsetzung. Mit dieser Regelung genügt das Landesrecht den vom Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143) aufgestellten Anforderungen an die zeitliche Begrenzung der Festsetzung vorteilsausgleichender kommunaler Abgaben (OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 - 1 L 212/13 -, juris Rn. 68 ff.; OVG Greifswald, Beschl. v. 17.12.2017 – 1 LZ 557/17 –, juris Rn. 18).

22

Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Beitragssatzung 2011 bestand für das klägerische Grundstück auch die Möglichkeit der Anschlussnahme. Zu diesem Zeitpunkt war das Grundstück mit einem eingeschossigen Gebäude bebaut und lag mit seiner gesamten Grundstücksfläche im unbeplanten Innenbereich. Die Veranlagung erfolgte demnach mit Bescheid vom 25. Mai 2009 gegenüber der vormaligen Eigentümerin des Grundstücks im Hinblick auf die Art der Nutzung nach § 5 Abs. 1 Buchst. c) Beitragssatzung 2011 und im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung nach § 5 Abs. 3 Buchst. d) Beitragssatzung 2011. Danach gilt als Grundstücksfläche bei Grundstücken, für die kein Bebauungsplan besteht und die ganz oder teilweise innerhalb eines im Zusammenhang gebauten Ortsteils liegen, die Fläche, die sich innerhalb des im Zusammenhang bebauten Ortsteils befindet. Als Zahl der Vollgeschosse nach Absatz 2 gilt, soweit kein Bebauungsplan besteht, bei bebauten Grundstücken die höchste Zahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse. Bei der Berechnung des Beitrages wurde somit in nicht zu beanstandender Weise die gesamte Grundstücksfläche mit einer eingeschossigen Bebauung berücksichtigt, so dass sich ein Anschlussbeitrag für die Anlage der öffentlichen Abwasserbeseitigung in Höhe von 953,93 Euro ergab. Mit Erlass des Bescheides wurde damit das abstrakte Beitragsschuldverhältnis konkretisiert. Auch wenn dem Bescheid zum Zeitpunkt seines Erlasses keine wirksame Beitragssatzung zugrunde lag, wurde dieser Fehler mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung im Jahr 2011 geheilt (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 53), so dass die sachliche Beitragspflicht in diesem Moment entstanden ist. Der Beklagte hat damit mit Beitragsbescheid vom 25. Mai 2009 den Beitrag voll ausgeschöpft.

23

c. Da der Bescheid schon aufgrund der o.g. Erwägungen rechtswidrig ist, kommt es auf die von der Klägerin aufgeworfene Frage des Ablaufes der Festsetzungsfrist nicht mehr entscheidungserheblich an.

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(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 22. August 2013 – 3 A 291/10 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenansatzes vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung der Klägerin zu Anschlussbeiträgen (Schmutzwasser).

2

Der Zweckverband, dem der Beklagte vorsteht, betreibt im Ostseebad Heringsdorf die zentrale Abwasserbeseitigung durch die in seiner Beitragssatzung als öffentliche Einrichtung II bezeichnete Anlage.

3

Die Klägerin ist als Wohnungseigentümerin (Mit-)Eigentümerin des Grundstücks Flurstück ../.. und ../.., Flur .., Gemarkung H…, welches an die Einrichtung II des Zweckverbandes angeschlossen ist.

4

Bereits mit Bescheiden vom 25. Februar 1999 zog der Beklagte die Klägerin zu Anschlussbeiträgen Schmutzwasser für das Grundstück Flurstück /.., Flur .., Gemarkung H… in Höhe von 4.089,18 DM und für das Grundstück Flurstück ../.., Flur .., Gemarkung H… in Höhe von 1.470,25 DM heran (Rechtsgrundlage Beitragssatzung 1996). Die Bescheide wurden bestandskräftig.

5

Mit Bescheiden vom 15. Oktober 2009 zog der Beklagte die Klägerin unter Anrechnung der bereits geleisteten Beiträge zu Anschlussbeiträgen für das Wohnungs- und Teileigentum in Höhe von insgesamt 30.974,76 Euro heran (Rechtsgrundlage Beitragssatzung 2005).

6

Die Klägerin legte mit Schreiben vom 11. November 2009 Widerspruch ein.

7

Mit Änderungs- und Widerspruchsbescheid vom 1. März 2010 stellte der Beklagte unter Ziffer 1 klar, dass ein Beitrag von insgesamt 30.974,76 Euro zu zahlen sei. Unter Ziffer 2 des Bescheides werden die in der Anlage l aufgeführten Bescheide wegen offenbarer Unrichtigkeit auf Seite 2, Zeile 3 dahingehend berichtigt, dass nur die Bescheide vom 25. Februar 1999 (und nicht auch vom 11. Februar 1999) geändert werden sollen. Im Übrigen werden die Widersprüche zurückgewiesen.

8

Die Klägerin hat am 30. März 2010 Klage erhoben.

9

Sie ist der Ansicht, ihre Heranziehung sei rechtswidrig.

10

Der Beklagte habe den Widerspruchsbescheid nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen begründet, da er nur einen Widerspruchsbescheid erlassen habe und hinsichtlich der gesamten 135 Kanalbauanschlussbeitragsbescheide auf eine dem Widerspruchsbescheid als Anlage l beigefügte Liste verwiesen habe.

11

Die Bescheide seien (auch) materiell rechtswidrig. Sie verstießen gegen den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung. Der Beklagte habe die Klägerin bereits mit Beitragsbescheiden vom 25. Februar 1999 zu Anschlussbeiträgen (Schmutzwasser) herangezogen, und diese Bescheide seien bestandskräftig geworden. Der Beitrag sei voll ausgeschöpft worden.

12

Der nochmaligen Veranlagung stehe darüber hinaus der Grundsatz der Verwirkung entgegen. Im Übrigen habe der Gesetzgeber erst mit der Änderung des KAG M-V im Jahr 2005 entschieden, dass die sachliche Beitragspflicht mit der ersten wirksamen Satzung entstehe (Änderung des § 9 Abs. 3 KAG M-V), sodass nach der alten Rechtslage die Beitragspflicht bereits entstanden und damit verjährt sei. Diese gesetzliche Änderung habe echte Rückwirkung entfaltet. Auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – werde Bezug genommen. Nach Ablauf von mehr als zehn Jahren habe die Klägerin auch nicht mehr mit dem Erlass eines weiteren Beitragsbescheides rechnen müssen.

13

Weiterhin sei die dem Beitragssatz zugrunde liegende Kalkulation fehlerhaft. Die Gemeinde Seebad Heringsdorf habe im Jahr 2011 einen Bebauungsplan Nr. 23 „Ortszentrum an der Delbrückstraße 1 in Heringsdorf“ aufgestellt, nach welchem anstelle eines bisherigen Parkplatzes und eines dreigeschossigen Einkaufszentrums ein maximal 25,9 m hoher Hotelkomplex zwischen der S-straße und der D-straße entstehen solle. Diese Planungen seien bei der Flächenermittlung nicht berücksichtigt worden. Auch im Bereich Neu-Sallenthin, Alt-Sallenthin weise die Flächenberechnung lediglich eine eingeschossige Nutzungsfläche auf. Dies sei fehlerhaft. In der Gemeinde gebe es eine Reihe zweigeschossiger Gebäude, wie beispielsweise in der Straße „An den Krebsseen" Nummer 1, 8, 16, 39 und 42. Das in Neu-Sallenthin vorhandene Hotel „B" sei darüber hinaus dreigeschossig. Die Fortschreibung der Beitragskalkulation enthalte eine Ermittlung der Erstattung von Abwasserabgaben. Hierbei handele es sich nicht um eine Fortschreibung, da die Angaben aus den Jahren 2006 bis 2008 stammten.

14

Die Klägerin hat beantragt,

15

die Kanalbaubeitragsbescheide des Beklagten – Bescheidnummern … bis … – vom 15. Oktober 2009 in der Fassung des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 aufzuheben.

16

Der Beklagte hat beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Er hat im Wesentlichen vorgetragen, der Nachveranlagung könne weder der Grundsatz der einmaligen Beitragserhebung noch Verwirkung entgegengehalten werden. Dies habe auch das OVG Greifswald zwischenzeitlich bestätigt. Erst mit Erlass der angefochtenen Bescheide, gestützt auf die Beitragssatzung vom 16. März 2005, habe der Beklagte seinen Beitragsanspruch voll ausgeschöpft, da die Vorgängersatzungen allesamt unwirksam gewesen seien.

19

Gegen die Kalkulation beständen keine Bedenken. Die aktuelle Fortschreibung der Kalkulation sei bis 2015 erfolgt. Da der Bebauungsplan Nr. 23 der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf bislang nicht wirksam sei, sei das Grundstück auch nur mit der tatsächlichen Bebauung mit drei Vollgeschossen bei der Flächenermittlung berücksichtigt worden.

20

Durch Urteil vom 22. August 2013 – 3 A 291/10 – hat das Verwaltungsgericht Greifswald die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

21

Die zulässige Klage habe keinen Erfolg. Die Beitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in Gestalt des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten.

22

Die Bescheide seien formell rechtmäßig; sie genügten dem Begründungserfordernis. Im Änderungs- und Widerspruchsbescheid werde ausführlich erläutert, wie sich die einzelnen für die Miteigentumsanteile festgesetzten Beiträge errechneten. Der errechnete Betrag sei für jeden Miteigentumsanteil anhand der Bescheidnummern genau bestimmbar.

23

Die Bescheide seien materiell rechtmäßig. Die der Beitragssatzung zugrundeliegenden Normen des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern – KAG M-V –, insbesondere § 9 Abs. 3 KAG M-V, verstießen nicht gegen höherrangiges Recht. Dies gelte auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, da die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern in entscheidungserheblichen Punkten nicht mit der des Bayrischen Kommunalabgabengesetzes – BayKAG – vergleichbar sei. Eine „Verflüchtigung“ des Vorteils wie im bayrischen Landesrecht sei im Landesrecht Mecklenburg-Vorpommern nicht möglich.

24

Die Beitragsbescheide fänden ihre nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung – Insel Usedom – (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 18. März 2005 in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 20. Mai 2011. Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung beständen nicht.

25

Die dem Beitragssatz für die Einrichtung II zugrundeliegende, in der Verbandssitzung am 16. Mai 2011 beschlossene Globalkalkulation sei nicht zu beanstanden. Der Einwand der Klägerseite, es sei rechtsfehlerhaft, dass der Beklagte die mit dem Bebauungsplan Nr. 23 erfolgten Planungen der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf bei der Flächenermittlung nicht berücksichtigt habe, verfange nicht. Zwar sei es zutreffend, dass bei der Beschlussfassung über die Kalkulation in der Verbandsversammlung am 16. Mai 2011 der Bebauungsplan Nr. 23 bereits beschlossen und bekannt gemacht worden war. Allerdings sei der Beklagte nicht verpflichtet, (zukünftige) Baulandflächen zu berücksichtigen, die auf einem unwirksamen Bebauungsplan beruhten. Dies sei vorliegend der Fall. Das OVG Greifswald habe in seiner rechtskräftigen Entscheidung vom 21. November 2012 - Az. 3 K 22/11 - den Bebauungsplan Nr. 23 für unwirksam erklärt. Der Einwand der Klägerin, die Einstufung der in der Ortschaft Neu-Sallenthin gelegenen Grundstücke als insgesamt eingeschossig bebaut, sei teilweise unrichtig, führe nicht zur Fehlerhaftigkeit der Kalkulation. Zwar habe der Beklagte eingeräumt, dass die in der Straße „An den K“ Nr. 1, 8, 16 und 42 gelegenen Grundstücke zweigeschossig bebaut seien und auch das Hotel „B“ über zwei Vollgeschosse verfüge. Dieser Fehler wirke sich jedoch wegen seiner Geringfügigkeit bei einer ermittelten Gesamtfläche von 2.290.027 m² weder auf den kalkulatorisch höchstzulässigen ermittelten Beitragssatz für die Einrichtung II von 8,29 Euro noch auf den festgesetzten Beitragssatz von 4,83 Euro wesentlich aus. Die Auswirkungen auf den Deckungsgrad seien gering und der beschlossene Beitrag von 4,83 Euro sei noch weit von dem höchstzulässigen Beitrag entfernt. Die der Verbandsversammlung unterbreitete Kalkulation sei damit nicht in einem für den Abgabensatz wesentlichen Punkt mangelhaft und auch nicht methodisch fehlerhaft, sodass die Verbandsversammlung trotz dieses Fehlers das ihr bei der Festsetzung des Abgabensatzes eingeräumte Ermessen fehlerfrei habe ausüben können. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angeführt habe, es könne aus der fehlerhaften Flächenermittlung im Bereich der Ortschaft Neu-Sallenthin geschlossen werden, dass auch für die übrigen Gebiete der Einrichtung II die Flächen fehlerhaft ermittelt worden seien, treffe das nicht zu. Zum einen gebe es einen solchen Erfahrungssatz nicht. Zum anderen habe der Beklagte unwidersprochen ausgeführt, dass die Ortschaft Neu-Sallenthin abwasserseitig noch nicht erschlossen sei. Da insoweit die exakten Daten über das Maß der baulichen Nutzung fehlten, sei eine Schätzung auf repräsentativer Grundlage erfolgt. Demgegenüber seien 80 v. H. der im Einzugsbereich der Einrichtung II gelegenen Grundstücke tatsächlich angeschlossen, sodass insoweit auch die exakten Daten über das Maß der baulichen Nutzung vorlägen und bei der Kalkulation berücksichtigt worden seien. Im Übrigen sei es Sache der Klägerin, etwaige Satzungs- oder Rechtsanwendungsfehler hinreichend bestimmt darzulegen. Das Gericht sei nicht gehalten, von sich aus auf Fehlersuche zu gehen. Denn dies liefe auf eine auch vom verwaltungsprozessualen Untersuchungsgrundsatz (§ 86 VwGO) nicht mehr gedeckte Fehlersuche „ins Blaue“ hinaus.

26

Nicht zu beanstanden sei die aufwandsmindernde Berücksichtigung der zurückerstatteten Beträge aus der Abwasserabgabe in der Kalkulation (als „Leistungen Dritter“). Dass der Beklagte die Verrechnung der Abwassergabe nicht fortgeschrieben habe, sei rechtsfehlerfrei. Denn eine Verrechnung der Abwasserabgabe sei in der Zukunft nicht zu erwarten, da alle in der Einrichtung II anfallenden Abwässer entweder durch Überleitung in die Kläranlage Swinemünde oder zum Zweckverband Wolgast gereinigt würden. Eine eigene Klärung des Abwassers durch den Zweckverband entfalle damit im Bereich der Einrichtung II. Daher sei auch keine Abwasserabgabe durch den Zweckverband zu entrichten; eine Verrechnungsmöglichkeit entfalle.

27

Rechtmäßig sei auch die Nachberechnung des Beitrags, obwohl bereits mit Bescheiden vom 25. Februar 1999 für dasselbe Grundstück ein Anschlussbeitrag erhoben worden sei. Der dem Bescheid vom 25. Februar 1999 zugrunde gelegte Beitragssatz beruhte auf einer unwirksamen Kalkulation, da die am 4. November 1996 beschlossene Beitragssatzung in § 5 ABS u. a. zwischen erstmalig und bereits an einen Mischkanal angeschlossen gewesene Grundstücke differenziert und dafür unterschiedliche Beitragssätze vorgesehen habe. Die Regelung eines sog. gespaltenen Beitragssatzes sei gleichheitswidrig und habe zur Unwirksamkeit des Beitragssatzes geführt. Der Beklagte sei daher gehalten gewesen, eine dem nunmehr festgesetzten Beitragssatz für die Einrichtung II von 4,83 Euro entsprechende Nachforderung zu erheben. Auf die Frage, wer den Veranlagungsfehler 1999 verschuldet habe, komme es für die Rechtmäßigkeit der Nacherhebung nicht an.

28

Der Nachveranlagung des Beitrages stehe auch der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht entgegen. Dieser sei dann nicht verletzt, wenn der bereits gezahlte Betrag – wie hier – auf die Beitragsschuld angerechnet werde. Gleiches gelte für die Bestandskraft des früheren Beitragsbescheides und die Regelungen der §§ 170 ff. AbgabenordnungAO –.

29

Der Beitragsanspruch sei nicht durch Festsetzungsverjährung erloschen. Gemäß § 12 Abs. 2 KAG M-V betrage die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und Steuern vier Jahre. Nach § 170 Abs. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V beginne die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden sei. Obwohl das Grundstück bereits seit längerem an die Anlage angeschlossen worden sei, sei die sachliche Beitragspflicht erst im Kalenderjahr 2011 entstanden, sodass die vierjährige Festsetzungsfrist am 31. Dezember 2011 anlaufe und frühestens am 31. Dezember 2015 ablaufe.

30

Gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V entstehe die Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden könne, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Gemeint gewesen sei auch nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F. eine wirksame (gültige) Satzung, denn auf Grundlage einer unwirksamen Satzung könnten Beitragspflichten von vornherein nicht entstehen. Der Einwand der Klägerin, der Gesetzgeber habe erst mit Änderung des KAG M-V im Jahr 2005 entschieden, dass die sachliche Beitragspflicht erst mit der ersten wirksamen Satzung entstehe, verfange damit nicht.

31

Gleiches gilt für ihren Einwand, der Lauf der Festsetzungsfrist sei bereits durch den tatsächlichen Anschluss ausgelöst worden, da § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F. im Lichte der eingangs erwähnten Rechtsprechung des BVerfG im strengen Wortsinne auszulegen sei, denn die Erwägungen des BVerfG seien auf die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern nicht übertragbar.

32

In dem Anknüpfen der Verjährungsfrist an den Erlass der ersten wirksamen Beitragssatzung liege schließlich auch keine im Regelfall nach Art. 20 Abs. 3 GG unzulässige (echte) Rückwirkung, sondern lediglich eine sogenannte tatbestandliche Rückanknüpfung (unechte Rückwirkung), die allgemein zulässig sei. Der Gesetzgeber regele keinen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt mit Wirkung für die Vergangenheit neu, sondern nehme einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt zum Anlass, daran Rechtsfolgen für die Zukunft – die Beitragspflicht – zu knüpfen.

33

Das Gericht gehe davon aus, dass die ABS vom 18. März 2005 in Gestalt der 7. Änderungssatzung vom 20. März 2011 die erste wirksame Beitragssatzung des Zweckverbandes sei und die sachliche Beitragspflicht daher frühestens auf Grundlage dieser Satzung habe entstehen können. Frühere Beitragssatzungen des Zweckverbandes aus den Jahren 1996, 2001 und 2004 seien unwirksam gewesen.

34

Die am 4. November 1996 beschlossene erste Beitragssatzung habe unterschiedliche Beitragssätze für sogenannte altangeschlossene und neuangeschlossene Grundstücke aufgewiesen und daher gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Der Beitragssatzung vom 22. November 2001 habe es an einer widerspruchsfreien Abgrenzung zwischen öffentlicher Einrichtung und Grundstücksanschlüssen gefehlt, was auch durch die Abwasseranschluss- und Beseitigungssatzung – AAS – vom 9. Oktober 2002 nicht geändert worden sei. Der ABS vom 16. April 2004 habe es an wirksam beschlossenen Beitragssätzen gefehlt. Die ABS vom 18. März 2005 habe nicht den nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderlichen Mindestinhalt aufgewiesen, da die Maßstabsregel unvollständig gewesen sei.

35

Die Klägerin hat am 11. Oktober 2013 die Zulassung der Berufung beantragt. Durch Beschluss vom 17. September 2015 hat der Senat die Berufung zugelassen.

36

Zur Begründung ihrer Berufung verweist die Klägerin ergänzend auf die Beschlüsse des BVerfG vom 12. November 2015 und auf die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG – vom 15. April 2015. Danach sei eine Beitragserhebung in Mecklenburg-Vorpommern nur bis zum 31. Dezember 2008 zulässig gewesen (§ 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V a. F.). Die Beiträge seien somit verjährt. Zudem sei auch die Beitragskalkulation fehlerhaft.

37

Auch das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016, mit dem die Verjährungsregelung des § 12 Abs. 2 KAG M-V geändert worden sei, habe die Beitragserhebung nicht nachträglich rechtlich zulässig gemacht. Das BVerfG habe im Beschluss vom 5. März 2013 (Orientierungssatz 3 und Rn. 49 ff.) dem Bayerischen Landesgesetzgeber eine Frist bis zum 31. März 2014 eingeräumt, eine gesetzlich zulässige Regelung zur Bestimmung der Verjährungsfrist zu schaffen. Wegen der Bindungswirkung des § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BVerfGG – gelte diese Frist auch für den Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern, der diese Frist habe verstreichen lassen, sodass die gesetzliche Änderung von 14. Juli 2016 die Beitragserhebung nicht mehr habe heilen können.

38

Die Klägerin beantragt,

39

die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 22. August 2013 abzuändern und die Kanalbaubeitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 – … - … – in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 aufzuheben und dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

40

Der Beklagte beantragt,

41

Die Berufung zurückzuweisen.

42

Er tritt der Berufung entgegen.

43

Am 14. Juli 2016 hat der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes erlassen und dort unter anderem eine neue Verjährungsregelung eingefügt. Das Gesetz ist im GVOBl. M-V 2016 S. 584, Heft Nr. 15 vom 29. Juli 2016, veröffentlicht und nach Art. 2 des Gesetzes am Tag nach seiner Verkündung in Kraft getreten.

44

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

45

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die angefochtenen Beitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in der Fassung des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

46

Die Beitragsbescheide finden ihre nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung – Insel Usedom – (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 18. März 2005 in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 16. Mai 2011, ausgefertigt am 20. März 2011. Dies ist die erste rechtswirksame Abwasserbeseitigungssatzung des Beklagten (zu 1). Erst das Inkrafttreten dieser Satzung hat die sachliche Beitragspflicht ausgelöst; einer Rückwirkung dieser Satzung hat es nicht bedurft (zu 2). Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung hat der Senat – in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts – VG – nicht (zu 3). Die Heranziehung der Klägerin im vorliegenden Einzelfall ist rechtmäßig (zu 4).

47

1. Die früheren Satzungen des Beklagten aus den Jahren 1996, 2001 und 2004 waren unwirksam; so zutreffend das VG im angefochtenen Urteil. Dem ist die Klägerseite zum einen nicht substantiiert entgegengetreten. Zum anderen hat die Prüfung des Senats von Amts wegen nichts Abweichendes ergeben.

48

Die ABS vom 4. November 1996 hat in § 5 für jede der drei Einrichtungen (I bis III) drei Beitragstatbestände enthalten, nämlich einen Beitragssatz für den „erstmaligen Anschluss eines Grundstücks an die öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtung“, einen geminderten Beitragssatz für Grundstücke, die bereits den Überlauf der Grundstücksentwässerungsanlage an einen Mischkanal besaßen, und – zum Dritten – für Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des KAG M-V voll an die gemeindliche Kläranlage angeschlossen gewesen waren. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates, an der festgehalten wird, lag in dem dritten Beitragstatbestand eine unwirksame, weil gegen Art. 3 Grundgesetz – GG – verstoßende Altanschließerregelung. Den Altanschließern wird durch die nach der Wende geschaffene öffentliche Einrichtung des Aufgabenträgers derselbe Vorteil geboten wie denjenigen Anschlussnehmern, deren Grundstück erstmalig nach der Wende an eine öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossen worden ist (vgl. OVG Greifswald in ständiger Rechtsprechung seit Beschl. vom 21. April 1999 – 1 M 12/99 –, LKV 2000 S. 161).

49

Die Beitragssatzung vom 21. November 2001 hat diese fehlerhafte Ungleichbehandlung der Altanschließer in ihrem § 5 noch weiter vertieft, indem sie nicht nur einen reduzierten Beitragssatz für die Altanschließer vorgesehen hat, sondern diese vollständig von der Beitragspflicht hat freistellen wollen. Es gibt in der ABS 2001 nur noch den Beitragstatbestand für den „erstmaligen Anschluss“ eines Grundstücks an die öffentliche Entwässerungsbeseitigung.

50

Der Satzung vom 31. März 2004 fehlte es an wirksam beschlossenen Beitragssätzen. Denn dieser Satzung hat keine wirksame Kalkulation des Beitragssatzes zugrunde gelegen. Die Beitragskalkulation vom November 2001 (vgl. VG Greifswald, Beschl. vom 24. August 2004 – 3 B 1625/04 –) hat ihre Gültigkeit verloren, weil sie auf einer anderen Organisationsentscheidung des Beklagten beruht. Ausweislich § 1 Abs. 4 der Abwasseranschluss- und -beseitigungssatzung des Zweckverbandes Wasserversorgung vom 9. Oktober 2002 – AAS 2002 – waren seinerzeit die Grundstücksanschlüsse noch Bestandteil der öffentlichen Einrichtung. Nach § 1 Abs. 2c ABS 2004 gehörten diese nicht mehr zur öffentlichen Einrichtung, sodass eine diese Organisationsentscheidung berücksichtigende Fortschreibung der Kalkulation im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die ABS 2004 der Zweckverbandsversammlung hätte vorliegen müssen. Zum einen stellt sich somit der Umfang der öffentlichen Einrichtung als widersprüchlich definiert dar. Zum anderen hätte auf der Kostenseite der Kalkulation berücksichtigt werden müssen, dass nach der ABS 2004 die Kosten für die Erstellung der Grundstücksanschlüsse keine Kosten der öffentlichen Einrichtung mehr sind (methodischer Fehler).

51

Die Beitragssatzung vom 31. März 2005 wies (ebenfalls) nicht den nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderlichen Mindestinhalt auf, da die Maßstabsregeln unvollständig waren. In der Satzung 2005 fehlte eine Maßstabsregelung für Grundstücke, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes liegen, der keine Regelung über die Anzahl der zulässigen Vollgeschosse trifft, aber eine maximale Höhe und eine Baumassenzahl festsetzt. Dies hat bereits das VG zutreffend herausgearbeitet.

52

2. Damit hat die sachliche Beitragspflicht erst im Jahre 2011 unter Geltung der 7. Änderungssatzung entstehen können. Denn seit Inkrafttreten des KAG vom 11. April 1991 hat das OVG Greifswald stets die Rechtsauffassung vertreten, dass (nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1991, heute § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V) ohne einewirksame Satzung keine sachliche Beitragspflicht entstehen kann und mithin auch der Lauf der regelmäßigen Verjährung nicht in Gang gesetzt wird (vgl. insoweit die Rechtsprechungsnachweise bei Aussprung in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 9 Anm. 7.2 mit weiteren Nachweisen). Insbesondere wird auf die älteste dort zitierte Entscheidung, nämlich den Beschl. des OVG Greifswald vom 8. April 1999 – 1 M 41/99 –, verwiesen. Seit diesem Zeitpunkt ist das KAG (M-V) stets in dieser Weise durch das OVG Greifswald ausgelegt worden. Daran wird auch in dem vorliegenden Urteil festgehalten.

53

Weil nach der ständigen Rechtsprechung des OVG Greifswald eine wirksame Satzung der Anschlussmöglichkeit auch nachfolgen kann, hat es einer Rückwirkung der ABS nicht bedurft. Eine nachträglich erlassene wirksame Abgabensatzung heilt dann einen eventuell zuvor bei Erlass der Bescheide bestehenden rechtlichen Mangel. Erst mit Inkrafttreten der wirksamen ABS im Jahre 2011 ist die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist (§ 12 KAG M-V i. V. m. § 169 Abs. 2 AO) angelaufen; denknotwendigerweise ist sie im Jahre 2009 – bei Erlass der hier streitigen Abgabenbescheide – auch nicht abgelaufen gewesen. Auch wenn die Heranziehungsbescheide im Jahre 2009 – wegen des vorgenannten Satzungsmangels – noch rechtswidrig gewesen sind, sind sie im Jahre 2011 geheilt worden und unterliegen daher nicht mehr der verwaltungsgerichtlichen Aufhebung (Grundsatz der Aufrechterhaltung). Hierdurch werden Abgabepflichtige nicht in rechtswidriger Weise benachteiligt. Die Klägerseite hätte das Inkrafttreten der wirksamen Satzung zum Anlass nehmen können, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären, um nicht die Kosten für einen zunächst aussichtsreichen, dann aber – wegen des Inkrafttretens einer wirksamen Satzung – erfolglos gewordenen Verwaltungsprozesses tragen zu müssen.

54

Die Klägerseite kann sich – im Hinblick auf das Erfordernis einer wirksamen Satzung – nicht mit Erfolg auf die abweichende Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg berufen. Nicht nur nach Auffassung des OVG Greifswald, sondern nach ganz herrschender, seit Jahrzehnten gefestigter Rechtsprechung fast aller Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe setzt das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht voraus, dass eine wirksame Abgabensatzung vorhanden ist. Denn eine unwirksame Abgabensatzung ist nichtig und daher im Ergebnis nicht existent. Eine gesetzliche Formulierung, das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht setze eine „wirksame Satzung“ voraus, ist im Ergebnis ein „weißer Schimmel“. Der Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern hat durch die KAG-Änderung 2005 lediglich das klargestellt, was nach der Rechtsprechung des OVG Greifswald seit Gründung dieses Gerichtes gegolten hatte.

55

Dass es auf die Auslegung des Landesrechtes durch das oberste Landesgericht ankommt, wird auch aus dem Beschluss des BVerfG, 2. Kammer, vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –, LKV 2016 S. 25 ff., deutlich (siehe unter 4c), wo an mehreren Stellen darauf abgestellt wird, wie das in dem dortigen Fall vorgehende OVG Berlin-Brandenburg seit dem Jahre 2000 das KAG BB ausgelegt hat. Erst durch den Wechsel der Auslegung des Landesrechts von Brandenburg sei, so das BVerfG, die Sach- und Rechtslage in Brandenburg dergestalt „umgestaltet“ worden, dass es auf die erste Satzung ankomme, auch wenn sie nicht wirksam gewesen sein sollte.

56

3. Zweifel an der Gültigkeit der ABS (Fassung 2011) sind – abgesehen von der Beitragskalkulation – nicht vorgetragen worden. Solche Zweifel sind auch sonst für den Senat nicht ersichtlich.

57

Die der ABS 2005 in der Fassung 2011 zugrunde liegende Beitragskalkulation ist nach Auffassung des Senates ausreichend, eine ordnungsgemäße ortsgesetzgeberische Ermessensentscheidung zu tragen.

58

Insbesondere hat der Verbandsversammlung am 16. Mai 2011 eine aktuelle Kalkulation vorgelegen, die beschlossen worden ist (Fortschreibung der Beitragskalkulation von März 2011). Für die hier in Rede stehende Einrichtung II ist ein Beitragssatz von 8,29 Euro/m² kalkuliert worden; festgesetzt worden ist durch die Verbandsversammlung ein Beitragssatz von 4,83 Euro/m². Als umlagefähig sind angesehen worden Kosten in Höhe von 18.975.383 Euro. Die beitragspflichtige Fläche ist mit 2.290.027 m² ermittelt worden.

59

Die Beitragskalkulation ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zutreffend hat das VG ausgeführt, dass zwar „kleine Ungenauigkeiten“ vorgelegen haben mögen. Es sind aber insgesamt insbesondere keine schweren methodischen Fehler erkennbar geworden. Insbesondere ist kein methodischer Fehler unter dem Gesichtspunkt festzustellen, dass in erheblichem Umfang nicht beitragsfähiger Aufwand in die Ermittlung des Beitragssatzes eingestellt worden wäre. Insoweit kann auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden.

60

Vor dem Hintergrund, dass die ermittelte beitragspflichtige Fläche 2.290.027 m² beträgt, steht für den Senat fest, dass eine eventuell fehlerhafte Bewertung einzelner Grundstücke im Verbandsgebiet nur zu kleinen Ungenauigkeiten führen kann.

61

Im Hinblick auf den Bebauungsplan Nr. 23 ist der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu folgen. Ein Bebauungsplan eröffnet Planungsrecht. Es liegt nach Erlass eines Bebauungsplanes nicht mehr in der Hand der Gemeinde, ob die Planung auch umgesetzt wird. Etwas anderes mag nur dann gelten, wenn ein Baugebot festgesetzt worden ist. Daher liegt es im ortsgesetzgeberischen Ermessen, ob der räumliche Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, der gerade erst in Kraft getreten ist, einbezogen wird oder nicht. Die Nichteinstellung des räumlichen Geltungsbereichs dieses Bebauungsplanes Nr. 23 kann auch auf der Einschätzung beruhen, dass sich der Bebauungsplan als von Anfang an unwirksam erwiesen hat.

62

Im Hinblick auf die Ortschaft Neu-Sallenthin, die im Zeitpunkt der Kalkulation noch nicht abwasserseitig angeschlossen gewesen ist, kommt bei der Erstellung einer Globalkalkulation nur eine überschlägige Schätzung der beitragspflichtigen Flächen in Betracht. Sinn einer Globalkalkulation ist es nicht, das gesamte Verbandsgebiet Quadratmeter genau zu ermitteln. Erst im Rahmen der Beitragsfestsetzung für einzelne Grundstücke wird es dann Aufgabe des Beklagten sein, das jeweilige Grundstück genau zu betrachten. Daher ist es für die Rechtmäßigkeit der Kalkulation bedeutungslos, ob das eine oder andere Grundstück in Neu-Sallenthin und auch zum Beispiel das Hotel Bergmühle mit einem, zwei oder drei Vollgeschossen bebaut ist. Insoweit liegt nicht einmal ein Fehler der Kalkulation vor.

63

Aus den vom Verwaltungsgericht dargelegten Gründen hat die Frage der Abwasserabgabe im Hinblick auf die Beitragskalkulation auch für den Senat keine Relevanz.

64

Zudem ist festzustellen, dass der Beklagte nur eine teilweise Deckung seiner Aufwendungen durch Beiträge angestrebt hat, da er einen „politischen Beitrag“ erhebt, der nur etwas mehr als die Hälfte des kalkulierten Beitragssatzes ausmacht. Eine Kostenüberdeckung durch Beiträge ist damit definitiv ausgeschlossen (Beitragssatz von 8,29 Euro/m² wurde als höchstzulässiger Beitragssatz kalkuliert; festgesetzt worden ist durch die Verbandsversammlung „nur“ ein Beitragssatz von 4,83 Euro/m²). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates ist es rechtlich zulässig, im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen eine sich aus Beiträgen und Gebühren zusammensetzende Finanzierung vorzunehmen, wie der Beklagte das im vorliegenden Fall tut.

65

4. Die Heranziehung der Klägerin im vorliegenden Einzelfall ist rechtmäßig.

66

Die Anwendung der ABS (Fassung 2011) auf den vorliegenden Einzelfall ist in rechtmäßiger Weise erfolgt; sowohl die Beitragsfestsetzungen als auch das Zahlungsgebot erweisen sich als rechtmäßig (zu a). Die Beitragserhebungsmöglichkeit hat sich weder „verflüchtigt“ (b) noch verstößt sie gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (c) oder liegt eine unzulässige Doppelveranlagung vor (d).

67

a) Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Bestimmtheit ist nicht gegeben. Die komplizierte Materie einer Wohnungseigentümergemeinschaft erfordert auch komplizierte Bescheide. Daher ist es ein adäquates Vorgehen des Beklagten, 135 Bescheide zu erlassen, diese aber dann letztlich objektbezogen in einem Widerspruchsbescheid zu bündeln. Im Widerspruchsbescheid ist hinreichend klargestellt, auf welchen Betrag sich das Leistungsgebot der Veranlagung bezieht und dass die zuvor bezahlten Beiträge angerechnet werden. Zutreffend hat der Beklagte berücksichtigt, dass die im Jahre 2011 entstandenen Beiträge durch die auf die Bescheide von 1999 geleisteten Zahlungen teilweise durch Erfüllung erloschen sind. Daher hat das Leistungsgebot diese Zahlungen zutreffend berücksichtigt.

68

b) Das vom BVerfG im Beschluss vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 = NVwZ 2013 S. 1004, entwickelte Rechtsinstitut der „Verflüchtigung“ greift im Ergebnis nicht durch. Danach kann ein zwar nicht verjährter Beitrag aus rechtsstaatlichen Gründen eventuell nicht mehr erhoben werden (vgl. hierzu im Einzelnen Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, § 7 Erläuterung 8.1.4.2, Seite 60 ff.).

69

Der Leitsatz des Beschlusses des BVerfG vom 5. März 2013 lautet im Wesentlichen, das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlange Regelungen, die sicherstellten, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden könnten. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden könne.

70

In dem genannten Beschluss hat das BVerfG – ausweislich der Nr. 1 des Tenors – den anzuwendenden Art. 13 des BayKAG für mit dem Grundgesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) „unvereinbar“ erklärt, nicht aber für nichtig. Dies hat entscheidende Bedeutung für die weitere Möglichkeit des bayerischen Landesgesetzgebers, diesen Mangel zu beseitigen. So führt das BVerfG dann auch aus (Orientierungssatz 3 und Rn. 49 ff.), dem Gesetzgeber ständen mehrere Möglichkeiten zur Beseitigung des verfassungswidrigen Zustandes zur Verfügung, und zunächst komme nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht. „Nichtigkeit“ trete jedoch zum 1. April 2014 ein, wenn der Gesetzgeber auf eine Sonderregelung des Beginns der Festsetzungsfrist verzichte.

71

Das BVerwG (Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 15.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 139/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 16.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 140/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 17.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 142/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 18.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 143/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 19.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 207/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 20.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 208/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 21.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 210/13 –; vgl. hierzu Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, KAG M-V, § 7 Erläuterung 8.1.4.6 Seite 86) hat für die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern durch Urteile vom 15. April 2015 die Revisionen der dortigen Kläger gegen die Urteile des OVG Greifswald vom 1. April 2014 zurückgewiesen, weil die Beitragserhebung noch innerhalb der Übergangsfrist des § 12 Abs. 2 KAG M-V in der bis zum 29. Juli 2016 geltenden Fassung erfolgt sind, d. h. bis zum 31. Dezember 2008. Ferner hat das BVerwG in einem umfassenden obiter dictum weitere „Segelanweisungen“ gegeben.

72

Ausdrücklich hat das BVerwG, a. a. O., dem Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern die Möglichkeit offen gelassen, eine weitergehende und längere Festsetzungsverjährungsfrist als den 31. Dezember 2008 zu bestimmen und im Einzelnen ausgeführt:

73

„Denn es ist Aufgabe des Gesetzgebers, in Wahrnehmung seines weiten Gestaltungsspielraums einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen einerseits der Allgemeinheit an der Beitragserhebung und andererseits der Beitragspflichtigen an einer zeitlich nicht unbegrenzten Inanspruchnahme zu schaffen (BVerfG, Beschl. vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 Rn. 42). Mit diesem Gestaltungsauftrag ist – nicht zuletzt angesichts der Vielzahl der vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten, jedoch gerade nicht den Verweis auf die Höchstverjährungsfrist einschließenden Lösungsmöglichkeiten wie auch der Unterschiedlichkeit der in einzelnen Ländern erlassenen und zudem deutlich kürzeren Ausschlussfristen – der schematische Rückgriff auf § 53 Abs. 2 VwVfG M-V wohl unvereinbar, zumal die Vorschrift gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG M-V nicht für Verfahren gilt, die – wie vorliegend – nach den Vorschriften der Abgabenordnung durchzuführen sind.“

74

Eine solche Fristbestimmung hat der Landesgesetzgeber jetzt durch Gesetz vom 14. Juli 2016 getroffen; ebenso wie zahlreiche andere Bundesländer bereits ihre Verjährungsregelungen nachgebessert haben.

75

Der Senat hat keine Zweifel daran, dass diese gesetzliche Neuregelung den von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht gemachten Vorgaben entspricht, sodass der Senat die geänderte Fassung des § 12 Abs. 2 KAG MV seiner Entscheidung zugrunde legen kann. Der Gesetzgeber hat jetzt eine Regelung geschaffen, nach der eine zeitlich unbefristete Heranziehung zu (Anschluss-) Beiträgen nicht mehr möglich ist.

76

§ 12 Abs. 2 in der jetzt geltenden Fassung lautet u. a.:

77

§ 169 der Abgabenordnung gilt mit der Maßgabe, dass

78

1. über § 169 Absatz 1 Satz 1 der Abgabenordnung hinaus die Festsetzung eines Beitrages unabhängig von dem Entstehen der Beitragspflicht spätestens 20 Jahren nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig ist, wobei der Lauf der Frist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2000 beginnt, …"

79

Diese Frist ist ersichtlich im Jahre 2009 noch nicht abgelaufen gewesen, weil im vorliegenden Fall – wie oben ausgeführt – noch nicht einmal die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist nach § 169 Abs. 2 AO an- und erst Recht nicht abgelaufen ist.

80

Zur weiteren Klarstellung hat der Landesgesetzgeber noch in § 22 KAG M-V folgenden Abs. 3 angefügt:

81

„Soweit sich für bestehende Abgabensatzung ein Rechtsmangel daraus ergibt, dass das Kommunalabgabengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. April 2005 (GVOBl. M-V S. 146), das zuletzt durch Art. 2 des Gesetzes vom 13. Juli 2011 (GVOBl. M-V S. 777, 833) geändert worden ist, die Heranziehung zu Beiträgen keiner zeitlichen Obergrenze unterwirft, ist dieser Rechtsmangel mit Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016 (GVOBl. M-V S. 584) unbeachtlich.“

82

Nach Auffassung des Senates hätte es dieser salvatorischen Klausel nicht bedurft, da jedes Gesetz, soweit nichts anderes geregelt ist, mit Inkrafttreten seine Gültigkeit beansprucht. Nach den bisherigen Regelungen war lediglich keine zeitliche Obergrenze für eine Verjährung eines Anschlussbeitrages geregelt. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der Anschlussbeitrag verjährt wäre.

83

Da das BVerwG in seinen Urteilen vom 15. April 2015 dem Gesetzgeber gerade die Möglichkeit eröffnet, entsprechend seiner Gesetzgebungskompetenz eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen und die Länge der Verjährungsfrist zu bestimmen, hätte eine diesbezügliche Neuregelung ausgereicht. Gegenstand des Rechtsstreits um das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit („Verflüchtigungsrechtsstreit“) war nicht etwa eine gesetzliche Regelung, die verfassungswidrig sei, sondern die Tatsache, dass eine Gesetzeslücke gesehen wurde, die die Anwendung des im Übrigen verfassungsgemäßen KAG M-V ab einem gewissen vom Gesetzgeber festzulegenden Stichtag verfassungswidrig machen würde. Einer weitergehenden deklaratorischen Klausel hätte es nicht bedurft; als deklaratorische Klausel ist die Regelung des § 22 Abs. 3 KAG M-V (Fassung 16. Juli 2016) aber „unschädlich“.

84

Der Senat hat keine Bedenken, dass die nunmehr bestimmte Festsetzungsfrist die Interessen der Abgabepflichtigen in Mecklenburg-Vorpommern in adäquater Weise behandelt. Die Festsetzungsfrist betrifft ein neues Bundesland, in dem die landesrechtlichen Grundlagen für einen Anschlussbeitrag erst geschaffen werden mussten, und bleibt unterhalb der in der Rechtsordnung bekannten längsten Verjährungsfrist von 30 Jahren. Der Landesgesetzgesetzgeber hat sich innerhalb des gesetzgeberischen Spielraumes bewegt und sich von folgenden Erwägungen leiten lassen (Gesetzentwurf der Landesregierung vom 11. März 2016, LT-Dr. 6/5257 S. 2 f.):

85

„Bei der konkreten Ausgestaltung einer landesgesetzlichen Festlegung einer zeitlichen Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum hinsichtlich des gesetzlich zu schaffenden Ausgleichs zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für Vorteile (hier: durch Anschluss an eine gemeindliche Einrichtung) einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann, zu (BVerwG, Urteil vom 15.04.2015 – 9 C 15/14 – u. a.; vergleiche BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, a. a. O.).

86

Nach Auffassung des BVerfG bleibt es dem Landesgesetzgeber überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die der Rechtssicherheit genügt. So könnte der Landesgesetzgeber etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt.

87

Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt. Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143-163, Rn. 50).

88

Die Bundesländer Sachsen, Brandenburg, Bayern, Thüringen und Sachsen-Anhalt haben bei einer mit Mecklenburg-Vorpommern vergleichbaren Rechtslage ihre Kommunalabgabengesetze bereits an die Forderungen des BVerfG (Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –) angepasst. Insofern wird die Änderung des KAG M-V auch in Kenntnis der in diesen Bundesländern erfolgten landesgesetzlichen Regelungen vorgenommen. Maßgebliches Ziel des Landesgesetzgebers ist es, die kommunalen Aufgabenträger im Falle nichtigen Satzungsrechts vor Beitragsausfällen infolge Verjährungseintritts zu bewahren, ohne dabei gegen das Verbot zu verstoßen, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festzusetzen.

89

In Abwägung der Interessen der kommunalen Aufgabenträger und der Abgabenpflichtigen wird deshalb eine 20-jährige Verjährungsfrist geregelt, wobei aufgrund der Sondersituation nach der Deutschen Einheit der Lauf der Frist bis zum Ablauf des Jahres 2000 gehemmt ist („…wobei der Lauf der Frist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2000 beginnt.“). Damit ist die maximal mögliche Verjährungsfrist von 30 Jahren deutlich unterschritten und in Kombination mit einer Regelung zur Verjährungshemmung gleichwohl eine Beitragserhebung bis 2020 ermöglicht. Mit der Regelung zur Verjährungshemmung hatte auch der Landesgesetzgeber Brandenburg auf die Forderungen des BVerfG reagiert.“

90

Da der Senat die neue Festsetzungsfrist als verfassungsgemäß ansieht, hat er keine Veranlassung, den Rechtsstreit dem BVerfG vorzulegen (Art. 100 Abs. 1 GG).

91

c) Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, wie er in dem stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG, 2. Kammer, Beschl. vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –, LKV 2016 S. 25 ff., vorgehend OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 29. September 2014 – OVG 9 N 40.14 –, vorgehend BVerwG, Beschl. vom 11. September 2014 – 9 B 21.14 –, vorgehend OVG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 13. November 2013 – OVG 9 B 35.12 – konkretisiert worden ist, führt gleichfalls nicht zur Rechtswidrigkeit der hier streitigen Abgabenerhebung

92

In dem dortigen Kammerbeschluss nimmt das BVerfG im Kern eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG an durch rückwirkende Erhebung kommunaler Abwasseranschlussbeiträge – hier: Abgabenerhebung gem. § 8 Abs. 7 S. 2 KAG BB i. d. F. vom 17. 12. 2003 – in Fällen, in denen die Beiträge nicht mehr nach § 8 Abs. 7 S. 2 KAG BB i. d. F vom 27.06.1991 hätten erhoben werden können, da mit Entstehen der Beitragspflicht durch rückwirkendes Inkrafttreten einer wirksamen Beitragssatzung zugleich Festsetzungsverjährung eingetreten wäre.

93

Nach Auffassung des Senates ist der Beschluss des BVerfG, der grundsätzlich nach § 31 BVerfGG in seinem Tenor und seinen tragenden Gründen auch für das OVG Greifswald Bindungswirkung entfaltet (vgl. Aussprung in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 7 Anm. 8.1.4.6.), nicht einschlägig, sodass gerade keine Bindungswirkung eintritt. Denn der vom Senat zu entscheidende Sachverhalt unterscheidet sich von dem Sachverhalt, der den Verfahren aus Berlin-Brandenburg zugrunde gelegen hat, sodass eine Bindung des OVG Greifswald an die tragenden Gründe des Kammerbeschlusses vom 12. November 2015 ausscheidet.

94

Die Kernaussage des BVerfG in seinem Beschluss vom 12. November 2015 ist, dass es gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot verstößt, wenn eine gesetzliche Vorschrift dergestalt geändert wird, dass nunmehr Beiträge erhoben werden sollen, die nach der Vorgängervorschrift nicht mehr hätten erhoben werden dürfen (vgl. z. B. Rn. 39, a. a. O.). In den Fällen aus Brandenburg wären nach alter Rechtslage die Beitragsschulden wegen Festsetzungsverjährung erloschen (Rn. 64, a. a. O.). Dass in einem solchen Fall eine gesetzliche Vorschrift, die rückwirkend die angelaufene und eine logische Sekunde später auch abgelaufene Festsetzungsverjährung „aus den Angeln hebt“, sich als echte Rückwirkung darstellt und den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundsatzes des Vertrauensschutzes nicht genügt, wird auch vom Senat in gleicher Weise gesehen.

95

Wie bereits oben ausgeführt, unterscheidet sich die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern elementar von der in Brandenburg. Seit Inkrafttreten des KAG vom 11. April 1991 hat das OVG Greifswald stets die Rechtsauffassung vertreten, dass (nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1991, heute § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V) ohne eine wirksame Satzung keine sachliche Beitragspflicht entstehen kann und mithin auch der Lauf der regelmäßigen Verjährung nicht in Gang gesetzt wird (vgl. zur ähnlichen Rechtslage in Sachsen-Anhalt, OVG Magdeburg, Beschl. vom 17. Februar 2016 – 4 L 119/15 –, Rn. 58 und 59 und OVG Weimar, Urt. vom 12. Januar 2016 – 4 KO 850/09 –, juris Rn. 48, zur Rechtslage in Thüringen).

96

Dass es auf die Auslegung des Landesrechtes durch das oberste Landesgericht ankommt, wird auch aus dem Beschluss des BVerfG vom 12. November 2015 deutlich, wo an mehreren Stellen darauf abgestellt wird, wie das OVG Berlin-Brandenburg seit dem Jahre 2000 das dortige Landesrecht ausgelegt hat. Erst durch den Wechsel der Auslegung des Landesrechts von Brandenburg ist die „Sach- und Rechtslage“ in Brandenburg dergestalt „umgestaltet“ worden, dass es auf die erste Satzung ankomme, auch wenn sie nicht wirksam gewesen sein sollte. In Rn. 52 spricht das BVerfG sogar von „Gesetzeslage“, und versteht darunter nicht nur § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG BB a. F., sondern auch und gerade, wie das OVG Berlin-Brandenburg diese Bestimmung ausgelegt hat.

97

Anzumerken ist schließlich noch, dass seit Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes, jetzt BauGB, im Jahr 1960 das BVerwG im Erschließungsbeitragsrecht stets auf die Wirksamkeit der Satzung abgestellt hat. Diese gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung hat das OVG Greifswald auf das Anschlussbeitragsrecht übertragen. Diese Rechtsprechung, die ca. 50 Jahre alt ist, ist für das Erschließungsbeitragsrecht höchstrichterlich noch nie infrage gestellt worden.

98

Der Senat schließt sich der Auffassung des OVG Magdeburg, a. a. O. (Rn. 62), insoweit an, dass die Abgabenpflichtigen vor der Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013 nicht haben darauf vertrauen können, dass ihnen gegenüber aufgrund eines langen Zeitraumes seit Entstehen einer Vorteilslage keine Abgabe mehr festgesetzt werden könnte. Insoweit kam es allein darauf an, ob und in welcher Weise der Landesgesetzgeber auf die Entscheidung des BVerfG reagieren würde.

99

Schließlich kann die Klägerin mit ihrer Auffassung nicht durchdringen, der Landesgesetzgeber M-V sei wegen der Bindungswirkung des § 31 BVerfGG auch an die dem bayerischen Landesgesetzgeber im Beschluss des BVerfG vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – gesetzte Frist gebunden, bis zum 31. März 2014 (Ziffer 1 des Tenors) eine gesetzliche Neuregelung vorzunehmen. Diese Frist ist ausschließlich für den bayerischen Landesgesetzgeber maßgeblich gewesen. Nur er ist von dem Beschlusstenor gebunden, wonach die bayerische Regelung des Art. 13 BayKAG mit dem Grundgesetz unvereinbar sei. Nur er hat die Gesetzgebungskompetenz, diesen Art. 13 BayKAG zu ändern. In der Sache hat das BVerfG somit das Abgabenerhebungsverfahren ausgesetzt (siehe Rn. 52), um dem bayerischen Gesetzgeber die Gelegenheit zur verfassungsgemäßen Neuregelung zu geben. Zudem hat das BVerfG den Verwaltungsgerichten die Kompetenz eröffnet, das Landesrecht verfassungskonform auszulegen (Rn. 52).

100

Zutreffend ist zwar, dass nicht nur der Tenor einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung Bindungswirkung entfaltet, sondern auch die tragenden Gründe. Die gegenüber dem bayerischen Landesgesetzgeber ausgesprochene zeitliche Höchstgrenze für eine gesetzliche Neuregelung in Bayern ist aber kein tragender Entscheidungsgrund, der sich über das bayerische Landesrecht hinausgehende Bedeutung beimisst.

101

d) Die Abgabenerhebung aus dem Jahre 1999 steht nicht unter dem Blickwinkel einer „unzulässigen Doppelveranlagung“ oder „unzulässigen Nacherhebung“ der Rechtmäßigkeit der hier angefochtenen Abgabenbescheide aus dem Jahre 2009 entgegen. Das Problem der Nachveranlagung oder auch Doppelveranlagung ist (vgl. Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, KAG M-V, § 12 Erläuterungen 50 ff., Seite 71 ff.) in der Rechtsprechung des OVG Greifswald geklärt (vgl. OVG Greifswald, Urt. vom 15. Dezember 2009 – 1 L 323/06 –, OVG Greifswald Urt. vom 15. Dezember 2010 – 1 L 1/09 –, ferner Beschl. vom 28. Januar 2010 – 1 L 217/09 – und Beschl. vom 28. Januar 2010 – 1 M 181/09 –). Dort hat das OVG Greifswald den Grundsatz aufgestellt, dass bei leitungsgebundenen Einrichtungen die Aufgabenträger grundsätzlich berechtigt und verpflichtet sind, eine Nacherhebung in dem Sinne vorzunehmen, dass sie einen wirksam entstandenen Anschlussbeitragsanspruch voll ausschöpfen. Einer solchen Nacherhebung stehen der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung, die Rechtsfolgen der Bestandskraft des erster Heranziehungsbescheides und der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ebenso wenig entgegen wie die Bestimmung des § 12 Abs. 1 KAG M-V und die darin enthaltene Verweisung auf die Bestimmungen der Abgabenordnung (Aussprung, a. a. O., Erläuterung 50.2.3, Seite 76 f.). An dieser Auffassung hält der Senat fest.

102

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; insoweit kommt auch eine Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht in Betracht.

103

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor. Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist der Vorteilsbegriff landesrechtlich determiniert. Auch der Fragenkomplex, ob eine Abgabenerhebung in Mecklenburg-Vorpommern in der vorliegenden Fallkonstellation rechtlich noch zulässig ist, beruht auf der Auslegung des Landesrechts. Dies gilt insbesondere auch für die Frage der Nacherhebung eines noch nicht ausgeschöpften Beitragsanspruches, weil auch die anzuwendende Abgabenordnung im Bereich des Kommunalabgabenrechts Landesrecht ist. Zudem sind die grundsätzlichen Rechtsfragen der „Verflüchtigung“ eines beitragsrechtlichen Vorteils und des Vertrauensschutzes durch die im Urteil zitierte Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG geklärt.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kostenschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten des Kostengläubigers abzuwenden, wenn nicht der Kostengläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Nacherhebung eines Anschlussbeitrages für die Schmutzwasserbeseitigung.

2

Der Kläger ist Eigentümer des mit einem zweigeschossigen Einfamilienhaus und einem Ferienhaus bebauten und 2.191 qm großen Grundstücks Gemarkung ##, Flur #, Flurstück ###. Es ist an die von der Gemeinde Zingst betriebene zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen. Mit Bescheid vom 28. Juni 1995 hatte der Beklagte den Kläger zu Anschlussbeiträgen in Höhe von 5.076,36 EUR (9.928,50 DM) herangezogen, mit Nachveranlagungsbescheid vom 15. Oktober 1999 zu weiteren 1.514,47 (2.962,05 DM). Der Berechnung des Beitrages gemäß Bescheid vom 28. Juni 1995 war eine Grundstücksfläche von 1.500 m² (x 4,65 DM = 6.975,00 DM) und eine Geschossfläche von 179 m² (x 16,50 DM = 2.953,50 DM) zugrunde gelegt worden. Der Nachveranlagungsbescheid vom 15. Oktober 1999 legte eine beitragspflichtige Grundstücksfläche von 2.137 m² zugrunde (2.191 abzüglich 54 m² Wasserfläche), von der die bereits veranlagte Fläche von 1.500 m² in Abzug gebracht wurde. Den Betrag von 5.076,36 EUR zahlte der Kläger. Ein gegen den Bescheid vom 15. Oktober 1999 anhängig gemachtes Klageverfahren (VG Greifswald, Az. 3 A 1288/01) ist nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestellt worden.

3

Mit dem streitgegenständlichen Änderungsbescheid vom 16. Juni 2003 zum Nachveranlagungsbescheid vom 15. Oktober 1999 setzte der Beklagte im Wege der Nacherhebung einen Anschlussbeitrag in Höhe von 12.263,10 EUR fest. Im Bescheid heißt es, die Differenz zwischen dem bereits gezahlten und dem neu festgesetzten Anschlussbeitrag betrage 7.186,74 .

4

Auf den unter dem 23. Juni 2003 dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers reduzierte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 2004, zugestellt am 18. August 2004, den zu zahlenden Beitrag auf 3.656,80 EUR und wies den Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte u.a. aus, die bereits 1995 veranlagte Teilfläche von 1.500 m² habe wegen des Grundsatzes der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht erneut veranlagt werden dürfen. Für die Restfläche von 637 m² errechne sich eine beitragspflichtige Fläche von 891,80 m² (erstes Vollgeschoss: 100 %, zweites Vollgeschoss: 40 % - § 4 Abs. 3 der Abwasserbeitragssatzung). Bei einem Beitragssatz von 4,10 EUR ergebe sich ein Nacherhebungsbeitrag von 3.656,38 EUR.

5

Dagegen hat der Kläger am 20. September 2004 (Montag) Klage erhoben.

6

Zu ihrer Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt,

7

seine Heranziehung sei rechtswidrig. Es fehle an einer wirksamen Satzungsgrundlage. Die Abwasserbeitragssatzung des Beklagten vom 10. April 2003 sei bereits nicht ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden. Der "Zingster Strandbote", jedenfalls dessen Ausgabe vom April 2003, genüge wegen eines Verstoßes gegen § 6 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3 und 4 KV-DVO a. F nicht den gesetzlichen Anforderungen für ein amtliches Bekanntmachungsblatt. Die Satzung sei auch materiell-rechtlich unwirksam. §4 Abs. 2 Buchst. d ABS verstoße gegen den Gleichheitssatz. Zudem halte § 3 Abs. 2 ABS einer rechtlichen Überprüfung nicht stand, indem die Bestimmung ein Abweichen vom Buchgrundstücksbegriff zugunsten des wirtschaftlichen Grundstücksbegriffes auch dann zulasse, wenn die Anwendung des Buchgrundstücksbegriffes nicht zu gröblich unangemessenen Ergebnissen führen würde. Die Satzungsanwendung sei ebenfalls fehlerhaft. Eine Nacherhebung sei wegen des Grundsatzes der Einmaligkeit der Beitragserhebung unzulässig.

8

Der Kläger hat beantragt,

9

den Beitragsbescheid des Beklagten vom 16.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.08.2004 aufzuheben.

10

Der Beklagte hat beantragt,

11

die Klage abzuweisen.

12

Er hat vorgetragen,

13

die formell-rechtlichen Einwände gegen die Wirksamkeit der Abwasserbeitragssatzung seien unbegründet. Gleichwohl sei der "Zingster Strandbote" in seinem Erscheinungsbild geändert und die Abwasserbeitragssatzung im Februar 2005 vorsorglich erneut bekannt gemacht worden. § 4 Abs. 2 Buchst. d ABS verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Es sei rechtlich zulässig, die Grenze der baulichen oder gewerblichen Nutzung bei der am weitesten entfernten Gebäudegrenze zu ziehen. Außerdem gebe es in der Gemeinde Zingst keine übergreifende, nicht-bauliche gewerbliche Nutzung und damit den vom Kläger angesprochenen Fall nicht. Auch § 3 Abs. 2 ABS sei nicht zu beanstanden. Die Regelung sei auch kein einziges Mal angewendet, sondern stets das Grundstück im grundbuchrechtlichen Sinne zugrundegelegt und herangezogen worden.

14

Mit dem angefochtenen Urteil vom 20. September 2006 - 3 A 2268/04 - hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der rechtmäßige Bescheid finde seine Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung in der Gemeinde Seeheilbad Zingst (Abwasserbeitragssatzung) vom 10. April 2003, bekanntgemacht durch Veröffentlichung im "Zingster Strandboten" vom 16. April 2003. Die Vorgängersatzungen vom 26. Juni 1993 und

15

24. Mai 1996 seien unwirksam und schieden deswegen als Rechtsgrundlage aus.

16

Die Abwasserbeitragssatzung vom 10. April 2003 sei rechtswirksam. Sie sei ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden. Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 der Hauptsatzung der Gemeinde Ostseebad Zingst vom 07. Dezember 2001 erfolgten öffentliche Bekanntmachungen von Satzungen im amtlichen Bekanntmachungsorgan der Gemeinde, dem monatlich erscheinenden "Zingster Strandboten". Dieser genüge den Anforderungen des §6 Abs. 1 KV-DVO, insoweit werde auf den Beschluss der Kammer vom 11. Februar 2005 - 3 B 3820/04 - Bezug genommen. Darüber hinaus dürfte der klägerische Einwand wegen der Neubekanntmachung im "Zingster Strandboten" vom 18. Februar 2005 hinfällig geworden sein.

17

Die Satzung sei auch materiell-rechtlich wirksam und weise den erforderlichen Mindestinhalt auf.

18

Entgegen der Auffassung des Klägers sei insbesondere § 4 Abs. 2 Buchst. d ABS fehlerfrei. Die Bestimmung finde ihre Rechtfertigung darin, dass die in der Tiefenbegrenzung liegende Vermutung, wonach jenseits der Tiefengrenze der Außenbereich beginne, in Fällen sogenannter übergreifender baulicher bzw. gewerblicher Nutzung widerlegt sei und daher in diesen Fällen die beitragspflichtige Fläche durch die hintere Grenze der Nutzung begrenzt werde. Wenn der Kläger meine, dass die Regelung eine übergreifende gewerbliche Nutzung, die nicht zugleich bauliche Nutzung sei, nicht erfasse, berücksichtige er nicht, dass eine "nur gewerbliche" Nutzung, die nicht auch bauliche Nutzung sei, in Bezug auf die Schmutzwasserentsorgung kaum denkbar sei. Der Hinweis auf "zahlreiche" gewerbliche Grundstücksnutzungen, deren Grenze nicht durch eine bauliche Anlage gezogen werde, treffe nicht zu. Mit Blick auf den Grundsatz der konkreten Vollständigkeit habe der Beklagte zudem unwidersprochen dargelegt, dass es jedenfalls im Gebiet der Gemeinde Zingst kein Grundstück gebe, das jenseits der Tiefenbegrenzungslinie "nur gewerblich" genutzt würde, ohne dass zugleich eine (übergreifende) Gebäudenutzung vorhanden wäre. Fehlerhaft und damit unwirksam sei allerdings § 3 Abs. 2 ABS, wenn die Gemeinde nach dieser Bestimmung ermächtigt werde, unter dort näher genannten Voraussetzungen im Einzelfall den wirtschaftlichen Grundstücksbegriff anzuwenden. Der Fehler wirke sich aber auf die Rechtswirksamkeit der Satzung insgesamt nicht aus. An die Stelle der insoweit nichtigen Regelung trete der gesetzliche Grundstücksbegriff mit der Folge, dass die Satzung weiterhin zur Beitragserhebung geeignet sei. Der Satzungsfehler in § 3 Abs. 2 ABS habe sich auch nicht auf die Rechtmäßigkeit der Beitragskalkulation ausgewirkt. Der Beklagte habe unwidersprochen vorgetragen, dass die Regelung für die Berechnung der Beitragseinheiten in keinem einzigen Fall angewendet worden sei.

19

Auch die Satzungsanwendung sei nicht zu beanstanden. Rechtmäßig sei insbesondere die Nacherhebung des Beitrages. Ihr stehe der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht entgegen. In diesem Zusammenhang gehe das Verwaltungsgericht von folgenden Grundsätzen - nach Maßgabe seines Beschlusses vom 27. Februar 2006 - 3 B 3023/05 - aus: Dem Beitragswesen immanent sei das Merkmal der Einmaligkeit. Der Grundsatz der Einmaligkeit schränke zugleich auch die Möglichkeit einer Nacherhebung ein. Jedoch schließe die grundsätzlich bestehende - auch nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V fortgeltende - Verpflichtung, Beiträge nach Maßgabe der geltenden landes- und ortsrechtlichen Vorschriften zu erheben, die Verpflichtung ein, einen entstandenen Beitragsanspruch in vollem Umfang geltend zu machen. Sei ein Beitragspflichtiger - etwa weil die für sein Grundstück verteilungsrelevante Fläche ohne rechtfertigenden Grund (versehentlich) nur zum Teil berücksichtigt worden sei - oder seien alle Beitragspflichtigen - etwa weil ein Rechnungsposten bei der Ermittlung des beitragsfähigen Aufwandes übersehen worden sei - zu niedrig veranlagt worden, sei die Gemeinde regelmäßig gehalten, bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung durch selbständige Bescheide entsprechende Nachforderungen zu erheben, um dadurch ihren Beitragsanspruch voll auszuschöpfen. Die Bestandskraft eines Heranziehungsbescheides, mit dem ein zu niedriger Beitrag verlangt worden sei, stehe einer Nacherhebung durch einen weiteren (selbständigen) Bescheid, mit dem der noch nicht ausgeschöpfte Teil eines entstandenen Beitragsanspruch gefordert werde, nicht entgegen. Insbesondere hinderten Vertrauensschutzgesichtspunkte eine Nacherhebung nicht. Denn der Betroffene müsse sich entgegenhalten lassen, dass die Gemeinde ihre Leistungen unter anderem auch zu seinen Gunsten erbracht habe und dass sie und die hinter ihr stehende Allgemeinheit die volle dafür nach dem Gesetz entstandene Gegenleistung fordern könnten, und zwar nicht nur im Interesse des Haushalts der Gemeinde, sondern auch im Interesse der Beitragsgerechtigkeit. Allerdings seien über die Verweisung des § 12 Abs. 1 KAG M-V die §§ 172 ff. AO über die nachträgliche Aufhebung und Änderung von bestandskräftigen Steuerbescheiden entsprechend anwendbar. Diese Vorschriften stünden aber einer Nachveranlagung nicht entgegen, weil durch den Nacherhebungsbescheid der (bestandskräftige) frühere Heranziehungsbescheid nicht im Sinne der genannten Vorschriften aufgehoben oder abgeändert, sondern lediglich der Beitragsanspruch ausgeschöpft werde. Die Gegenauffassung berücksichtige nicht genügend das den Entgeltabgaben zugrunde liegende Prinzip von Leistung und Gegenleistung. Die §§ 172 ff. AO basierten auf einem vorrangigen Vertrauensschutz gegenüber bestandskräftigen Steuerbescheiden, wobei Steuern ohne Gegenleistung geschuldet würden. Bei Entgeltabgaben stehe demgegenüber die Zahlungspflicht in unmittelbarer Beziehung zu einer von der Allgemeinheit erbrachten Leistung. Es sei kein sachlicher Grund erkennbar, dass eine fehlerhafte Abgabenfestsetzung nicht innerhalb der Festsetzungsfrist auch zu Lasten des Abgabenschuldners behoben werden sollte. Dabei sei zu beachten, dass die Unabänderbarkeit fehlerhafter Bescheide, die Beiträge zu niedrig festgesetzt hätten, zu einem Defizit führen würde, das entweder durch Abgabenerhöhung von den übrigen Benutzern der Einrichtung oder vom Steuerzahler getragen werden müsste.

20

Gemessen an diesen Grundsätzen sei die in dem angefochtenen Bescheid erfolgte Nachveranlagung nicht zu beanstanden. Der Beklagte habe lediglich den in den vorherigen Beitragsbescheiden unberücksichtigt gebliebenen Teilbetrag des Anschlussbeitrags festgesetzt. Hierzu sei er nach der Beitragssatzung und dem genannten Grundsatz, den entstandenen Beitragsanspruch in vollem Umfang geltend zu machen, auch verpflichtet gewesen. Im Übrigen komme es für die Frage, ob die Einmaligkeit der Beitragserhebung verletzt sei, auf den Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht an. Das bedeute, eine Nacherhebung sei immer dann zulässig und geboten, wenn - wie vorliegend - der (niedrigere) Beitrag zunächst auf Grundlage einer Satzung errechnet und erhoben worden sei, die sich später als rechtsunwirksam erwiesen habe. Hier sei zu berücksichtigen, dass die sachliche Beitragspflicht erstmals mit Inkrafttreten der Abwasserbeitragssatzung von 2003 entstanden sei. Offen bleiben könne, ob die Reduzierung des Nacherhebungsbetrages im Widerspruchsbescheid rechtmäßig gewesen sei. Denn dies verletze den Kläger jedenfalls nicht in seinen Rechten. Schließlich sei die Beitragsforderung nicht in Folge Festsetzungsverjährung erloschen.

21

Das Urteil ist dem Kläger am 02. Oktober 2006 zugestellt worden. Auf den am 01. November 2006 eingegangenen und unter dem 04. Dezember 2006 (Montag) begründeten Antrag hin hat der Senat mit Beschluss vom 22. Oktober 2009, dem Kläger am 26. Oktober 2009 zugestellt, die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Unter dem 16. November 2009 hat der Kläger seine Berufung begründet.

22

Er hält die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dem angefochtenen Nacherhebungsbescheid stünde trotz Bestandskraft des ursprünglichen Heranziehungsbescheides §12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. den §§172 ff. AO nicht entgegen, für unzutreffend. Gegenstand der Kanalbaubeitragspflicht sei nach dem KAG M-V (a.F.) der auf die Eigentümer der bevorteilten Grundstücke umzulegende Aufwand für die - hier erstmalige - Herstellung der öffentlichen Abwasseranlagen der Gemeinde Zingst, wobei die Beiträge "nach den Vorteilen zu bemessen" seien. Die Vorteilsbemessung bzw. gleichheitsgerechte Verteilung des Aufwandes auf die Eigentümer der bevorteilten Grundstücke habe der Gesetzgeber den Kommunen überlassen. Anknüpfungspunkt für die gleichheitsgerechte Bemessung des Beitragssatzes für einen Kanalbaubeitrag könne richtigerweise nur die Größe bzw. Bebaubarkeit des bevorteilten Grundstücks selbst sein. Hieran habe sich die Gemeinde Zingst mit ihren Vorgängersatzungen vom 26. Juni 1993 und vom 24. Mai 1996 auch gehalten, selbst wenn diese Satzungen - wovon auch er ausgehe - im Ergebnis nichtig gewesen seien. Im vorliegenden Fall habe sich weder die Grundstücksfläche noch die Bebaubarkeit seines Grundstücks im Zuge der Nacherhebung verändert. Die Nacherhebung sei nichts anderem geschuldet gewesen als dem mehrfach geänderten Satzungsrecht der Gemeinde Zingst, nicht aber dem Umstand, dass sein Grundstück etwa "nur teilweise" von den Vorgängersatzungen berücksichtigt und veranlagt worden sei, sodass er "für" sein Grundstück mit dem Ursprungsbescheid hinsichtlich des Herstellungsaufwandes für die öffentlichen Abwasseranlagen der Gemeinde Zingst bereits "vollständig" und bestandskräftig veranlagt worden sei. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die §§ 172 ff. AO vorliegend deswegen nicht anwendbar seien, weil Steuern grundsätzlich ohne, Beiträge dagegen für eine Gegenleistung des Staates erhoben würden, möge allenfalls als Hinweis an den Gesetzgeber verstanden werden. Dieser habe nämlich auch mit § 12 Abs. 1 KAG M-V n. F. geregelt, dass auf Kommunalabgaben die Vorschriften der Abgabenordnung entsprechend anwendbar seien, während eine ganze Anzahl von Bundesländern mit ihren Kommunalabgabengesetzen insoweit Einschränkungen gemacht hätten. Es bedürfe keiner richterlichen "Korrektur" des § 12 Abs. 1 KAG M-V im Sinne der Gesetze anderer Bundesländer. Der Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern habe nämlich den Abgaben erhebenden Behörden durch vorbehaltlose Anordnung der entsprechenden Anwendung der Abgabenordnung genügend Instrumente an die Hand gegeben, im Zweifel genau die Probleme zugunsten der öffentlichen Haushalte zu lösen, die das Verwaltungsgericht wegen Satzungsfehlern - d. h. wegen Fehlern von Rechtsnormen - zulasten der Bürger lösen wolle. Denn eine Abgaben erhebende Behörde sei durch nichts daran gehindert (gewesen), wegen § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 164 AO einen Kanalbaubeitragsbescheid unter den Vorbehalt der Nachprüfung zu stellen. Dass die Behörden dies regelmäßig nicht tun würden, dürfe die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht dazu veranlassen, entgegen § 12 Abs. 1 KAG M-V die Abgabenordnung nur auf kommunale Steuern anzuwenden. Angesichts dessen, dass kommunale Steuern gegenüber Beiträgen und Gebühren nur einen verschwindend geringen Anteil ausmachten, wäre es nicht erklärlich, wenn der Gesetzgeber die §§172 ff. AO nur auf kommunale Steuern angewendet wissen wollte. Im Hinblick auf die Bestimmung des § 12 Abs. 1 KAG M-V sei nicht mehr zu fragen, ob auch auf Kanalbaubeiträge die §§ 172 AO ff. "entsprechend" anwendbar seien. Schließlich seien dem Gesetzgeber im Hinblick auf die Kommentierungen zum KAG a. F. die Konsequenzen für eine Nacherhebung bekannt gewesen, wenn er die Anwendung der §§ 172 ff. AO nicht bei Novellierung des KAG ausschließen würde. Er habe dennoch an der uneingeschränkten Verweisung in § 12 Abs. 1 KAG M-V festgehalten.

23

Er, der Kläger, halte außerdem die Abwasserbeitragssatzung der Gemeinde Zingst vom 10. April 2003 (ABS) auch in ihrer Fassung der 1. Änderungssatzung vom 25. April 2008 deshalb für nichtig, weil sie einen fehlerhaften Beitragsmaßstab aufweise. So regele § 4 Abs. 2 Buchst. e ABS den Fall einer gegenüber einer baulichen oder gewerblichen Nutzung eines Grundstücks "sonstigen" Nutzung, also eine solche, die gerade nicht baulich oder gewerblich sei. Es sei widersprüchlich, dass die Regelung für eine sonstige Nutzung zur Bestimmung der maßgeblichen Grundstücksfläche gleichwohl an eine anschließbare Baulichkeit und weitergehend gar an ein auf dem Grundstück stehendes Gebäude anknüpfe. Zudem sei auch § 4 Abs. 2 Buchst. c Satz 2 ABS rechtswidrig. Wegen der mit dieser Regelung erfolgenden "doppelten" Anwendung der Tiefenbegrenzung wäre ein 140 m tiefes Grundstück, welches in dieser Tiefe beidseits durch jeweils eine Straße erschlossen wäre, ohne sachlichen Grund beitragsfrei. Er halte schließlich daran fest, dass eine Beitragssatzung nur dann ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht werden könne, wenn die Hauptsatzung der Gemeinde in Bezug auf ihre Regelungen über die öffentliche Bekanntmachung von Satzungen ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden sei.

24

Der Kläger beantragt,

25

das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 20. September 2006 - 3 A 2268/04 - zu ändern und den Änderungsbescheid des Beklagten vom 16. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2004 aufzuheben.

26

Der Beklagte beantragt,

27

die Berufung zurückzuweisen.

28

Er verteidigt das angefochtene Urteil und trägt im Wesentlichen vor, der Grundsatz der Einmaligkeit stehe einer Nacherhebung nicht entgegen; dieser sei nicht gleichbedeutend mit einem Grundsatz der Einmaligkeit des Beitragsbescheides. Der Kläger gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass § 12 Abs. 1 KAG M-V die Anwendung der Abgabenordnung vorbehaltlos anordne. Denn die Abgabenordnung gelte nur "entsprechend". Die Aufnahme des Begriffs "entsprechend" berücksichtige die Unterschiede bei den Regelungsgegenständen der Abgabenordnung einerseits und des Kommunalabgabenrechts andererseits. Es sei jeweils zu prüfen, ob eine in der Abgabenordnung getroffene, sich auf Steuern beziehende Regelung dem Wesen etwa kommunaler Entgeltabgaben gerecht werde. Das den Entgeltabgaben zugrundeliegende Prinzip von Leistung und Gegenleistung verlange, dass eine - gleichgültig aus welchem Grunde - zu niedrig festgesetzte Abgabe innerhalb der Festsetzungsfrist bis zur richtigen Höhe nacherhoben werden müsse, um die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung herzustellen. Diesem Prinzip stünden die §§ 172 ff. AO von ihrem Sinn und Zweck her nicht unproblematisch, wenn nicht sogar unvereinbar gegenüber. Sie könnten daher im Bereich der Entgeltangaben keine strikte Anwendung finden. So habe das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern bereits entschieden, dass die §§ 172 ff. AO auf Erschließungsbeiträge nicht anwendbar seien. Entsprechendes müsse für Anschlussbeiträge gelten. § 9 Abs. 1 KAG M-V verlange eine Ausschöpfung des Beitragsanspruchs. Jedenfalls habe er sein ihm in der Gesamtschau der Regelungen der §§ 172 ff. AO zustehendes Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Ein hinsichtlich der Beitragshöhe zu niedriger Bescheid sei im Übrigen ein ausschließlich belastender Verwaltungsakt, der keine begünstigenden Elemente aufweise. Eine Begünstigung liege nur vor, soweit sie im Verwaltungsakt ausdrücklich ausgesprochen worden sei, wenn also die Behörde ausnahmsweise und verbindlich zum Ausdruck bringe, dass sie von einer Mehrforderung absehen wolle. Einen solchen Anschein habe er nicht erweckt. Auch das rechtsstaatliche Gebot des Vertrauensschutzes stehe einem Nachveranlagungsbescheid nicht entgegen. Der Beitragsschuldner müsse sich im Rahmen einer Interessenabwägung entgegenhalten lassen, dass der Beitrag ein Entgelt für eine Leistung der Gemeinde sei. Er könne nicht erwarten, diese zu Lasten der Allgemeinheit ohne volle Gegenleistung und kostengünstiger als andere zu erhalten. Erst durch die Nacherhebung sei eine "nach den Vorteilen zu bemessende" Veranlagung erfolgt. Der Beklagte verteidigt schließlich die Maßstabsregelungen des §4 Abs. 2 Buchst. c Satz 2 und Buchst. e ABS.

29

Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, die Gerichtsakte im Verfahren Az. 1 L 324/06 samt Beiakten sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

30

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Änderungsbescheid vom 16. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2004 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

31

Der angefochtene Bescheid findet seine nach § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung in der Gemeinde Seeheilbad Zingst (Abwasserbeitragssatzung - ABS) vom 10. April 2003; der Senat legt dabei in Übereinstimmung mit den Beteiligten und dem Verwaltungsgericht zugrunde, dass die Vorläufersatzungen nicht wirksam gewesen sind (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 09.04.2002 - 1 M 1/02 -, juris; VG Greifswald, Urt. v. 12.01.2005 - 3 A 2331/01 -). Die Satzung ist wirksam (1.) und die konkrete Rechtsanwendung nicht zu beanstanden (2.).

32

1. Die Wirksamkeit der Abwasserbeitragssatzung unterliegt weder unter dem Blickwinkel ihrer ordnungsgemäßen Bekanntmachung (a) noch hinsichtlich ihrer seitens des Klägers angegriffenen Maßstabsregelungen (b) durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

33

a) Der Senat stimmt dem Verwaltungsgericht zunächst darin zu, dass die Abwasserbeitragssatzung - jedenfalls zwischenzeitlich - wirksam bekannt gemacht worden sei (§ 130b Satz 2 VwGO). Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Bekanntmachung im "Zingster Strandboten" im April 2003 auch mit Blick darauf nicht zu beanstanden ist, dass nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 KV-DVO a.F. das amtliche Bekanntmachungsblatt durch seine Bezeichnung auf seinen amtlichen Charakter und den Träger der öffentlichen Verwaltung, der es herausgibt, hinweisen muss. Denn insoweit sind - ohne dass dies den normunterworfenen Bürger überfordern würde - "Zingster Strandbote" und die konkrete Beilage, in der die Abwasserbeitragssatzung abgedruckt worden ist, im Zusammenhang zu betrachten. Schon die äußere Gestaltung der Beilage mit dem Aufdruck "Gemeinde Seeheilbad Zingst", dem darunter befindlichen Gemeindewappen, das sich - worauf das Verwaltungsgericht hingewiesen hat - auch auf dem "Zingster Strandboten" findet, und der Auflistung der verschiedenen Satzungen, die im Inhalt zu finden sind, lässt keinen Zweifel am amtlichen Charakter des Bekanntmachungsblattes und hinsichtlich des herausgebenden Trägers der öffentlichen Verwaltung zu (vgl. auch das Impressum der Beilage, in dem die Gemeindeverwaltung Zingst als Herausgeber bezeichnet ist). Zudem ist die Bekanntmachung jedenfalls im Februar 2005 wirksam nachgeholt worden. Soweit der Kläger - nachdem er den rechtlichen Gesichtspunkt der Bekanntmachung zunächst zweitinstanzlich nicht mehr thematisiert hatte - in seinem Schriftsatz vom 07. Dezember 2009 vorgetragen hat, er halte daran fest, dass eine Beitragssatzung nur dann ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht werden könne, wenn die Hauptsatzung der Gemeinde in Bezug auf ihre Regelungen über die öffentliche Bekanntmachung von Satzungen selbst ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden sei, handelt es sich lediglich um eine rechtliche Feststellung. Der Kläger trägt damit schon selbst nicht ausdrücklich vor, dass die Bekanntmachung der Hauptsatzung fehlerhaft gewesen sein könnte. Jedenfalls ist dieses Vorbringen dermaßen unspezifiziert, dass der Senat keine Veranlassung gesehen hat, hier gleichsam "ins Blaue" weitere Ermittlungen von Amts wegen vorzunehmen. Schließlich spricht mit Blick auf das vorliegende Exemplar der Hauptsatzung, das als Beilage zum "Zingster Strandboten" im Dezember 2001 erschienen ist, unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen nichts für einen Bekanntmachungsfehler.

34

b) Die in der Abwasserbeitragssatzung enthaltenen, vom Kläger angegriffenen maßstäblichen Regelungen sind wirksam.

35

Soweit der Kläger rügt, die Maßstabsregelung des § 4 Abs. 2 Buchst. e ABS sei mit Blick auf die Bestimmungen, die Grundstücke mit baulicher bzw. möglicher baulicher Nutzung erfassten, widersprüchlich und damit gleichheitswidrig, dringt er damit nicht durch.

36

Nach § 4 Abs. 2 Buchst. e Satz 1 ABS gilt als Grundstücksfläche bei Grundstücken, für die im B-Plan eine sonstige Nutzung (z.B. als Sportplatz, Grünfläche, Friedhof) festgesetzt ist oder die innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles (§ 34 BauGB) tatsächlich so genutzt werden, die Grundfläche der an die Anlage zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung anschließbaren Baulichkeiten geteilt durch die Grundflächenzahl 0,2, höchstens jedoch die tatsächliche Grundstücksgröße. In den nachfolgenden Sätzen schließen sich Regelungen zur Zuordnung der so ermittelten Abgeltungsfläche an.

37

Diese Vorschrift regele - so meint der Kläger - den Fall einer gegenüber einer baulichen oder gewerblichen Nutzung eines Grundstücks "sonstigen" Nutzung, also nur eine solche, die gerade nicht baulich oder gewerblich sei. Es sei daher ein Widerspruch in sich, dass die Regelung für eine sonstige Nutzung in diesem Sinne zur Bestimmung der maßgeblichen Grundstücksfläche gleichwohl an eine anschließbare Baulichkeit und sodann weitergehend gar an ein auf dem Grundstück stehendes Gebäude anknüpfe.

38

Dieses Vorbringen geht fehl. Das Merkmal der "sonstigen" Nutzung will nicht besagen, dass mit der Satzungsregelung nur Grundstücke ohne jede Bebauung/Bebauungsmöglichkeit erfasst werden sollen, sondern will - so das zutreffende Vorbringen des Beklagten - Grundstücke mit bestimmten "sonstigen" (= untergeordneten baulichen) Nutzungen wie Sportplätze durch einen Artabschlag erfassen und begünstigen, ohne dass damit auf den entsprechenden Flächen angeschlossene oder anschließbare Baulichkeiten ausgeschlossen würden. Eine solche Regelung, die den atypisch niedrigen Vorteil solcher Flächen berücksichtigen will, begegnet keinen Bedenken und liegt im ortsgesetzgeberischen Ermessen (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 24.03.2004 - 1 L 58/02 -, juris).

39

Auch die Rüge, die Maßstabsregelung des § 4 Abs. 2 Buchst. c Satz 2 ABS stelle als "doppelte" Anwendung der Tiefenbegrenzung eine sachwidrige Privilegierung dar, führt nicht zum Erfolg der Berufung. Gemäß § 4 Abs. 2 Buchst. c ABS gilt als Grundstücksfläche bei Grundstücken, für die kein B-Plan besteht und die innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegen (§34 BauGB), die Gesamtfläche des Grundstücks, höchstens jedoch die Fläche zwischen der Straßengrenze der dem Innenbereich zugewandten Straße und einer im Abstand von siebzig Meter dazu verlaufenden Parallelen (Satz 1). Liegt das Grundstück an mehreren Straßen, so ist die Tiefenbegrenzung von jeder einer Straßenseite zugewandten Grundstücksseite anzusetzen (Satz 2).

40

Der Kläger meint, wegen der in Satz 2 der Regelung aus seiner Sicht vorgesehenen "doppelten" Anwendung der Tiefenbegrenzung wäre ein 140 m tiefes Grundstück, welches beidseits durch eine Straße erschlossen ist, beitragsfrei. Wie der Beklagte zutreffend ausführt, ist jedoch das Gegenteil der Fall, die Gesamtfläche wäre in diesem Fall beitragspflichtig. Die von jeweils einer Straße aus gesehen der Beitragspflicht unterliegende Fläche mit einer Tiefe von siebzig Metern geht der Freistellung derselben Fläche durch die Tiefenbegrenzung ausgehend von der anderen Straße vor.

41

2. Die mit dem streitgegenständlichen Bescheid vorgenommene Beitragsnacherhebung, mit der der Kläger zusätzlich zu dem durch Anschlussbeitragsbescheid vom 28. Juni 1995 ursprünglich festgesetzten und bezahlten Beitrag von 5.076,36 EUR (9.928,50 DM) nochmals zu einem Betrag 3.656,38 EUR herangezogen wird, ist rechtmäßig.

42

Eine solche Nacherhebung ist unter den vorliegenden Sachverhaltsgegebenheiten, insbesondere der Unwirksamkeit der Vorgängersatzungen, grundsätzlich zulässig und auch in der konkreten Rechtsanwendung ohne Rechtsfehler durchgeführt worden.

43

Der Beklagte ist nach Maßgabe des Kommunalabgabengesetzes M-V und auf der Grundlage der Abwasserbeitragssatzung grundsätzlich berechtigt und verpflichtet, eine Nacherhebung in dem Sinne vorzunehmen, dass er einen wirksam entstandenen Anschlussbeitragsanspruch voll ausschöpft, soweit dies noch nicht durch eine erste Beitragserhebung erfolgt ist. Einer solchen Nacherhebung stehen der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragerhebung, die Rechtsfolgen der Bestandskraft des Erstheranziehungsbescheides und der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ebenso wenig entgegen wie die Bestimmung des § 12 Abs. 1 KAG M-V und die darin enthaltene Verweisung auf die Bestimmungen der Abgabenordnung.

44

Eine Nacherhebung ist zwar weder ausdrücklich Gegenstand der der Beitragserhebung zugrunde liegenden Abwasserbeitragssatzung noch finden sich insoweit Bestimmungen im Kommunalabgabengesetz M-V, die ausdrücklich die Möglichkeit einer Nacherhebung in Fällen der vorliegenden Art vorsehen. Auch ist die Beitragserhebung im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen insoweit nicht bundesrechtlich determiniert und die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschl. v. 10.09.1998 - 8 B 103.98 -, juris; Beschl. v. 10.09.1998 - 8 B 102.98 -, juris; Urt. v. 26.01.1996 - 8 C 14.94 -, NVwZ-RR 1996, 465; Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 115.86 -, NVwZ 1988, 938; Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163; vgl. auch Beschl. v. 19.05.1999 - 8 B 61.99 -, NVwZ 1999, 1218; Beschl. v. 05.03.1997 - 8 B 37.97 -, Buchholz 406.11 § 127 BauGB Nr. 86; Beschl. v. 12.08.1991 - 8 B 108.91 -; Urt. v. 07.07.1989 - 8 C 86.87 -, BVerwGE 82, 215 - jeweils zitiert nach juris; vgl. auch OVG Greifswald, Beschl. v. 19.11.2007 - 1 L 1/07 -, juris) zur Verpflichtung der Kommunen, einen entstandenen Erschließungsbeitragsanspruch ggfs. auch im Wege der Nacherhebung auszuschöpfen, nicht unmittelbar einschlägig. Die Frage der rechtlichen Zulässigkeit einer Nacherhebung ist eine solche des irrevisiblen Landesrechts (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.09.1998 - 8 B 103.98 -, juris; Beschl. v. 10.09.1998 - 8 B 102.98 -, juris).

45

Wie im Erschließungsbeitragsrecht ergibt sich jedoch aus den landesrechtlichen Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes M-V grundsätzlich auch im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen das Recht und die Verpflichtung der beitragserhebenden Körperschaft, eine Nacherhebung in dem Sinne vorzunehmen, dass sie einen wirksam entstandenen Anschlussbeitragsanspruch voll ausschöpft, soweit dies etwa auf der Basis einer früheren unwirksamen Satzung noch nicht durch eine erste Beitragserhebung erfolgt ist.

46

Die rechtliche Zulässigkeit der Nacherhebung und die Pflicht zur Ausschöpfung der kommunalen Beitragsanspruchs lässt sich - so zutreffend das Verwaltungsgericht - zunächst grundsätzlich § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V (wie schon der Vorläuferbestimmung des § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG a. F.) entnehmen.

47

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V sollen zur Deckung des Aufwandes für die Anschaffung und Herstellung der notwendigen öffentlichen Einrichtungen zur leitungsgebundenen Versorgung mit Wasser oder Wärme oder zur leitungsgebundenen Abwasserentsorgung Anschlussbeiträge erhoben werden. Nur in atypischen Situationen kann von dieser "Soll"-Bestimmung abgewichen werden (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 25.05.2009 - 1 M 157/08 -, juris). Beiträge sind dabei Geldleistungen, die dem Ersatz des Aufwandes insbesondere für die Herstellung öffentlicher Einrichtungen dienen (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V). Sie werden nach näheren gesetzlichen Maßgaben als Gegenleistung dafür erhoben, dass den Beitragspflichtigen durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme Vorteile geboten werden (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V). Aus diesem Regelungszusammenhang ergibt sich die grundsätzliche Vorstellung des Landesgesetzgebers, dass die Herstellungskosten einer öffentlichen Einrichtung - ggfs. bis zur Höhe eines in rechtmäßiger Ausübung ortsgesetzgeberischen Ermessens festgesetzten bzw. mit der Beitragserhebung zu erzielenden Kostendeckungsgrades - vollständig als Gegenleistung für die Verschaffung der Möglichkeit einer Inanspruchnahme der Ver- oder Entsorgungseinrichtung durch Beiträge gedeckt werden sollen. Daraus folgt, dass grundsätzlich im Falle einer bei erstmaliger Heranziehung unterbliebenen Ausschöpfung des Beitragsanspruchs für die beitragserhebende Körperschaft die Möglichkeit bestehen muss, eine solche Ausschöpfung - zeitlich limitiert bis zur Grenze der Festsetzungsverjährung - durch eine Nacherhebung zu erreichen. Dies galt erst recht nach Maßgabe von § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V a.F. Diese Vorschrift regelte noch strenger als § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V, dass Beiträge "zu erheben sind".

48

Dieser Annahme steht zunächst - anders als der Kläger meint - nicht der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung entgegen, der insbesondere nach Maßgabe der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern auch im Abgabenrecht des Landes Mecklenburg Vorpommern Geltung beansprucht.

49

Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung besagt zum einen, dass die sachliche Beitragspflicht (abstrakte Beitragsschuld) für dieselbe öffentliche Einrichtung bzw. Teileinrichtung zu Lasten eines Grundstücks nur einmal entsteht. Ist sie entstanden, kann sie nicht nachträglich zu einem anderen Zeitpunkt und in anderer Höhe noch einmal entstehen. Zum anderen schließt der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung das Verbot der Doppelbelastung in dem Sinne ein, dass ein Grundstück für dieselbe öffentliche Einrichtung bzw. Teileinrichtung - hinsichtlich desselben Aufwands - grundsätzlich nur einmal zu einem Beitrag herangezogen werden darf (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 25.05.2009 - 1 M 157/08 -, juris; Beschl. v. 08.07.2004 - 1 M 170/04 -, juris; Beschl. v. 20.11.2003 - 1 M 180/03 -, NordÖR 2004, 262; OVG Berlin/Brandenburg, Urt. v. 06.06.2007 - 9 A 77.05 -, LKV 2008, 377; OVG Weimar, Beschl. v. 03.05.2007 - 4 EO 101/07 -, juris; VGH München, Urt. v. 15.04.1999 - 23 B 97.1108 -; VGH Mannheim, Beschl. v. 05.11.1992 - 2 S 152/90 -; Beschl. v. 20.03.1991 - 2 S 1313/89 -Beschl. v. 20.03.1991 - 2 S 1313/89 -; Beschl. v. 19.07.1990 - 2 S 412/90 -: jeweils juris; VG Potsdam, Urt. v. 18.09.2008 - 9 K 1128/05 -, juris; VG Bayreuth, Urt. v. 07.07.2004 - B 4 K 04.578 -, juris; vgl. auch VGH Kassel, Beschl. v. 12.04.2005 - 5 TG 116/05 -, NVwZ-RR 2006, 143 - zitiert nach juris). Die Einmaligkeit der Leistung des Kanalanschlussbeitrags folgt aus dem Wesen des Beitrags, der an einen bestimmten Zustand ("Möglichkeit der Inanspruchnahme") anknüpft und der den bei Verwirklichung des Zustands gebotenen wirtschaftlichen Vorteil insgesamt abgelten soll. Der Grundstückseigentümer erbringt die "Gegenleistung" für den ihm durch die Anschlussmöglichkeit gebotenen wirtschaftlichen Vorteil, der der Natur der Sache nach mit der Anschlussmöglichkeit entsteht und auch in der Zukunft in der Regel nicht verändert wird. Die Einmaligkeit der Beitragserhebung ist auch Folge des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Vertrauensschutzgedankens (vgl. VGH München, Urt. v. 15.04.1999 - 23 B 97.1108 -, juris; vgl. zum Ganzen OVG Greifswald, Beschl. v. 25.05.2009 - 1 M 157/08 -, juris).

50

Nach Maßgabe von § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V (vgl. auch § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. und die dazu ergangenen Rspr. des OVG Greifswald, etwa Beschl. v. 21.07.2006 - 1 M 60/06 -, juris) entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Mit dem Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung geht das Landesrecht davon aus, dass der beitragsrelevante Vorteil mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung bereits vollständig ausgebildet ist und die Erhebung des Beitrags in voller Höhe rechtfertigt. Auch die Höhe des Beitrags, mit dem das bevorteilte Grundstück zu den Herstellungskosten herangezogen wird, steht auf der Grundlage der - wirksamen - Beitragssatzung zu diesem Zeitpunkt endgültig fest. Der Beitrag ruht - in Höhe der sachlichen Beitragspflicht - als öffentliche Last auf dem Grundstück (§ 7 Abs. 6 KAG M-V). Daraus folgt, dass - vorbehaltlich der Regelung des § 9 Abs. 7 KAG M-V - jedenfalls Nacherhebungstatbestände in einer Beitragssatzung, die eine zusätzliche Beitragspflicht für dasselbe Grundstück daran knüpfen, dass sich nach dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht - was eine rechtswirksame Satzung voraussetzt - die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse auf dem Grundstück verändert haben, grundsätzlich unzulässig sind (vgl. ebenso zur Rechtslage in Thüringen OVG Weimar, Beschl. v. 29.04.2008 - 4 ZKO 610/07 -, LKV 2009, 35 - zitiert nach juris).

51

Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung bedeutet danach zusammengefasst, dass die sachliche Beitragspflicht nur einmal und endgültig in der Höhe des nach Maßgabe der wirksamen Satzung abzugeltenden Vorteils entsteht und dass der entsprechende Aufwand durch einen einmaligen Beitrag in dieser Höhe gedeckt wird. Daraus kann aber noch nicht geschlossen werden, dass ein ergangener Beitragsbescheid in keinem Fall durch einen weiteren Bescheid ergänzt oder ersetzt werden dürfte. Dem Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung entspricht keineswegs ein ebenso strikter - so plastisch das Thüringische OVG - Grundsatz der Einmaligkeit des Beitragsbescheids. Der Umstand, dass erst der Beitragsbescheid das Beitragsschuldverhältnis für den Beitragsschuldner konkretisiert (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V) und mit der Festsetzung des Beitrags die Grundlage für die Zahlungsaufforderung in bestimmter Höhe schafft, vermag nicht zu begründen, dass die Einmaligkeit und Endgültigkeit, die für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht gilt, auch für den Beitragsbescheid gelten solle (vgl. zum Ganzen ebenso OVG Weimar, Beschl. v. 29.04.2008 - 4 ZKO 610/07 -, a.a.O.). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat für das Erschließungsbeitragsrecht - insoweit auf das Anschlussbeitragsrecht übertragbar - angenommen, dass sich die Rechtswidrigkeit eines Nacherhebungsbescheids nicht mit einem aus dem materiellen Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragspflicht herzuleitenden Verbot einer Doppelveranlagung begründen lasse, da jedenfalls sicher sei, dass sich ein solches Verbot allenfalls auf eine zweite Veranlagung zu ein und demselben Beitragsbetrag beziehen könnte, nicht aber auf eine Nacherhebung im hier in Rede stehenden Sinne, die lediglich einen noch nicht ausgeschöpften bzw. nicht bescheidmäßig festgesetzten Teil des Beitragsanspruchs einfordert (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 115.86 -, NVwZ 1988, 938 - zitiert nach juris).

52

Somit ist die Frage, ob und inwieweit der Beitragsschuldner sich auf die Endgültigkeit eines ihm gegenüber ergangenen Beitragsbescheides verlassen darf, nicht schon mit dem Hinweis auf den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung beantwortet. Denn dieser Grundsatz lässt das Recht und die Pflicht des Einrichtungsträgers zur vollständigen Erhebung des Beitrags in Höhe der - wirksam - entstandenen sachlichen Beitragspflicht unberührt. Wenn der Einrichtungsträger in einem ersten Beitragsbescheid den Beitrag - wie hier - etwa auf der Basis einer im Nachhinein als unwirksam erkannten Beitragssatzung fehlerhaft in einer Höhe festgesetzt hat, die die später tatsächlich entstandene sachliche Beitragspflicht der Höhe nach nicht ausschöpft, hat er grundsätzlich das Recht und darüber hinaus eine Pflicht zur Nachforderung (vgl. auch OVG Magdeburg, Beschl. v. 16.11.2006 - 4 L 191/06 -, LKV 2008, 139; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: Juli 2009, § 8 Rn 26 ff.). Nur wenn der Beitragsbescheid die sachliche Beitragspflicht bereits voll ausgeschöpft hat, steht der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung und das daraus folgende Verbot der Doppelbelastung im Ergebnis auch jedem weiteren Nachforderungsbescheid oder einer Ersetzung durch einen Bescheid mit höherer Beitragsforderung für die gleiche Maßnahme entgegen. Wenn der Erstbescheid dagegen die - einmalig und endgültig entstandene - sachliche Beitragspflicht in der Höhe noch nicht ausgeschöpft hat, führt dieser Erstbescheid regelmäßig auch nicht zur Beendigung des Beitragsschuldverhältnisses. Denn das Beitragsschuldverhältnis entsteht entsprechend § 38 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V mit der Verwirklichung des Beitragstatbestandes und erlischt nicht mit einer bestandskräftigen Beitragsfestsetzung, sondern entsprechend § 47 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V insbesondere durch Zahlung, Aufrechnung, Erlass oder Verjährung (vgl. zum Ganzen OVG Weimar, Beschl. v. 29.04.2008 - 4 ZKO 610/07 -, a.a.O.).

53

Die streitgegenständliche Nacherhebung wird auch nicht mit Blick auf eine Bestandskraft des Anschlussbeitragsbescheids vom 28. Juni 1995 ausgeschlossen. Die Frage, ob der Eintritt der Bestandskraft des Anschlussbeitragsbescheids vom 28. Juni 1995 das durch das Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflicht begründete Beitragsschuldverhältnis zwischen dem Beklagten und dem Kläger beendet hat, ist nach dem einschlägigen materiellen Recht zu beantworten (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 115.86 -, NVwZ 1988, 938 - zitiert nach juris; VGH München, Beschl. v. 23.04.2009 - 22 ZB 07.819 -, juris), hier also nach den Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes. Diesen liegt - wie ausgeführt - die Vorstellung zugrunde, dass die der Abgaben erhebenden Körperschaft zustehenden Beitragsansprüche grundsätzlich in vollem Umfang bzw. dem Betrag nach voll auszuschöpfen sind.

54

Das landesrechtliche Gebot der Ausschöpfung des Beitragsanspruchs schließt nicht nur die Auffassung aus, die Bestandskraft eines den entstandenen Beitragsanspruch nicht voll ausschöpfenden Heranziehungsbescheids könne zur Beendigung eines Beitragsschuldverhältnisses führen, sondern zwingt überdies zu der Annahme, dass ein solches Schuldverhältnis unabhängig vom Erlass eines Heranziehungsbescheids und dessen Bestandskraft erst in dem Zeitpunkt endet, in dem - aus welchen Gründen immer - der Beitragsanspruch selbst erlischt. Diese Betrachtungsweise liegt auch der vom Gesetzgeber in § 7 Abs. 6 KAG M-V (§ 8 Abs. 11 KAG a.F.) getroffenen Regelung zur dinglichen Sicherung des Beitragsanspruchs durch das Institut der öffentlichen Last zugrunde. Die dingliche Sicherung einer Beitragsforderung beginnt mit ihrem Entstehen, d.h. mit dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht, und sie endet unabhängig vom Erlass eines Heranziehungsbescheids und dem Eintritt von dessen Bestandskraft erst mit dem Erlöschen der sachlichen Beitragspflicht (vgl. zum Ganzen entsprechend zum Erschließungsbeitragsrecht BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163; Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 115.86 -, NVwZ 1988, 938 - jeweils zitiert nach juris). § 7 Abs. 6 KAG M-V geht damit ebenfalls von der Pflicht zur Ausschöpfung des Beitragsanspruchs aus: Es erschiene widersinnig, auf der einen Seite eine öffentliche Last im vollen Umfang der sachlich entstandenen Beitragspflicht anzunehmen, auf der anderen Seite aber der Abgaben erhebenden Körperschaft im Falle einer erstmalig zu niedrigen Beitragsfestsetzung im hier erörterten Sinne zu verwehren, den Beitragsanspruch in entsprechender Höhe zu realisieren. Wollte man diesen Standpunkt einnehmen, hätte dies zur Folge, dass die öffentliche Last zwar fortbestünde, soweit der Beitragsanspruch nicht befriedigt oder anderweitig erloschen ist, für die Behörde jedoch keinerlei Möglichkeit mehr bestünde, den durch die öffentliche Last auch insoweit gesicherten Beitragsanspruch durchzusetzen.

55

Vor diesem Hintergrund enthält die Beitragsfestsetzung in bestimmter Höhe regelmäßig auch keine - begünstigende - verbindliche Regelung dahingehend, dass eine spätere Nacherhebung ausgeschlossen sein soll. Ein Beitragsbescheid ist nach seinem Tenor grundsätzlich ausschließlich belastender Verwaltungsakt und enthält keine begünstigende Regelung des Inhalts, "mehr" werde von dem jeweiligen Beitragsschuldner nicht verlangt (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163; vgl. auch Beschl. v. 19.05.1999 - 8 B 61.99 -, NVwZ 1999, 1218 - jeweils zitiert nach juris). Wenn der Regelungsgehalt des Erstbescheids somit in der Regel nicht einer späteren vollständigen Ausschöpfung der entstandenen Beitragspflicht entgegensteht, bedarf es auch nicht zwingend einer Aufhebung des Erstbescheids. Vielmehr kann ein neuer Bescheid den Erstbescheid ergänzen und den Differenzbetrag zwischen ursprünglicher Festsetzung und tatsächlich entstandener Beitragspflicht festsetzen. Lediglich klarstellende Bedeutung hätte dann eine Mitteilung der mit beiden Bescheiden insgesamt festgesetzten Beitragshöhe (vgl. zum Ganzen OVG Weimar, Beschl. v. 29.04.2008 - 4 ZKO 610/07 -, a.a.O.). Diesen grundsätzlichen Erwägungen entsprechend enthält der Anschlussbeitragsbescheid vom 28. Juni 1995 keine verbindliche Regelung dahingehend, dass eine spätere Nacherhebung ausgeschlossen sein soll.

56

Auch das im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 und 28 GG) verankerte Gebot des Vertrauensschutzes rechtfertigt nicht die Annahme, mit Rücksicht auf den bestandskräftig gewordenen Anschlussbeitragsbescheid vom 28. Juni 1995 sei der angefochtene Änderungs- bzw. Nacherhebungsbescheid wegen eines Verstoßes gegen dieses Gebot rechtswidrig. Zwar ist ein Bescheid, mit dem ein entstandener Beitragsanspruch nicht voll ausgeschöpft, d.h. mit dem ein zu niedriger Beitrag verlangt wird, ein nach seinem Tenor ausschließlich belastender Verwaltungsakt. Auch ein solcher Bescheid kann allerdings ein geeigneter Gegenstand für ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen sein. Ein solches Vertrauen setzt jedoch außer einer adäquaten Vertrauensbetätigung des Betroffenen und der Schutzwürdigkeit dieser Vertrauensbetätigung voraus, dass im Zuge der bei Vorliegen dieser Voraussetzungen gebotenen Abwägung die Interessen des Betroffenen die der Allgemeinheit überwiegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163 - zitiert nach juris). An alledem fehlt es hier. Insoweit kann auf die zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts zum öffentlichen Interesse an der Ausschöpfung des Beitragsanspruchs verwiesen werden. Da sich die Abwasserbeitragssatzung vom 10. April 2003 ausweislich ihres § 10 keine Rückwirkung beigemessen hat und sie dies auch nicht musste, weil maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage vorliegend der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz ist - insoweit kommt es auf das materielle Recht an, hier § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V bzw. § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. mit der Regelung zur sachlichen Beitragspflicht -, stellen sich keine weiteren Fragen im Zusammenhang mit dem früher in § 2 Abs. 5 Satz 4 KAG a.F. normierten einfachgesetzlichen Schlechterstellungsverbot.

57

Schließlich ergibt sich auch aus der in § 12 Abs. 1 KAG M-V enthaltenen Verweisung auf die Bestimmungen der Abgabenordnung nicht, dass eine Nacherhebung allgemein oder im konkreten Fall des Klägers nicht in Betracht käme. Gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V sind auf Kommunalabgaben die Vorschriften der Abgabenordnung in der jeweiligen Fassung entsprechend anzuwenden, soweit nicht dieses Gesetz oder andere Gesetze besondere Vorschriften enthalten.

58

Die Vorschriften der Abgabenordnung, die vorliegend von Bedeutung sein könnten, finden sich vor allem in den Bestimmungen der §§ 172 ff. AO, die eine erhöhte Bestandskraft von Steuerbescheiden zum Gegenstand haben, indem sie die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden einschränkenden Voraussetzungen unterwerfen. Der Verweis des § 12 Abs. 1 KAG M-V führt zu der Frage, ob auch Anschlussbeitragsbescheiden eine dermaßen erhöhte Bestandskraft innewohnt. Diese Frage ist nach Auffassung des Senats zu verneinen.

59

Nach Maßgabe des Vorstehenden greift hinsichtlich der Nacherhebung von Anschlussbeiträgen bereits der Vorbehalt der "besonderen Vorschriften nach diesem Gesetz" gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V: Wie ausgeführt enthält dieses Gesetz im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen das "besondere" Gebot der Ausschöpfung des Beitragsanspruchs, das keinen einschränkenden Voraussetzungen unterliegt. Die Anwendung der §§ 172 ff. AO würde in zahlreichen Fällen dazu führen, dass die Ausschöpfung des Anschlussbeitragsanspruchs nicht möglich wäre, und infolgedessen dem entsprechenden gesetzlichen Ziel zuwider laufen. Damit ist bereits grundsätzlich eine entsprechende Anwendung der §§ 172 ff. AO im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen ausgeschlossen, soweit sie einer Ausschöpfung des Beitragsanspruchs entgegensteht; eine solche Anwendung im Bereich andersartiger Abgaben bleibt davon unberührt. Dabei kann dahin stehen, ob dem Kläger darin gefolgt werden kann, wenn er vorträgt, die Erhebung von Steuern durch die Kommunen mache im Vergleich mit dem Aufkommen aus Gebühren und Beiträgen nur einen geringen Teil der kommunalen Abgaben aus. Denn jedenfalls bliebe für die Verweisung des § 12 Abs. 1 KAG M-V auf die Abgabenordnung hinsichtlich der Erhebung kommunaler Steuern grundsätzlich insbesondere auch ein Anwendungsbereich für die §§ 172 ff. AO.

60

Darüber hinaus folgt der Senat dem Wortlautargument des Verwaltungsgerichts, demzufolge die Ausschöpfung des Beitragsanspruchs den früheren Beitragsbescheid nicht "ändern" oder "aufheben" (vgl. § 172 AO), sondern ergänzen will. Auch vorliegend soll der zwar hinsichtlich seiner Begründung fehlerhafte, aber bezüglich des festgesetzten Betrages zu niedrige und damit jedenfalls - weil nicht belastend - der Höhe nach nicht zu beanstandende Erstheranziehungsbescheid unverändert bleiben. Nach dem Inhalt von Nachveranlagungsbescheid und streitgegenständlichem Änderungsbescheid ist auch vorliegend nicht ersichtlich, dass der bestandskräftige Bescheid vom 28. Juni 1995 geändert oder aufgehoben werden sollte.

61

Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen "passen" die §§ 172 ff. AO in ihrem ausdifferenzierten Regelungsgehalt und ihrem Wortlaut nach jedenfalls für die Nacherhebung von Anschlussbeiträgen im hier in Rede stehenden Sinne offensichtlich nicht ohne weiteres. Dies gilt umso mehr, als die Fälle der vorliegenden Art dadurch geprägt sind, dass die Erstheranziehung deshalb zu niedrig ausgefallen ist, weil ihr eine fehlerhafte bzw. im Nachhinein als unwirksam erkannte Satzung bzw. Rechtsgrundlage zugrundelag und die sachliche Beitragspflicht in der "richtigen" Höhe gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V erst mit der ersten wirksamen Satzung entstanden ist. Diese Situation und Rechtslage sowie die daraus resultierende Interessenlage haben die §§ 172 ff. AO erkennbar nicht vor Augen; zudem hat das Verwaltungsgericht zutreffend auf das dem Beitragsrecht im Unterschied zur Steuererhebung zugrunde liegende Prinzip von Leistung und Gegenleistung verwiesen, das ebenfalls die unterschiedliche Interessenlage in den beiden Gebieten der Abgabenerhebung erhellt. Da es nach Auffassung des Senats an hinreichend schlüssigen rechtlichen Konstruktionen zu einer Transformation des Regelungssystems der §§ 172 ff. AO für die Beitragsnacherhebung im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen fehlt, spricht auch dies grundsätzlich gegen eine Anwendbarkeit der §§ 172 ff. AO in diesem Bereich.

62

Insoweit führt auch der Hinweis des Klägers auf § 164 AO (i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V) und die mit dieser Vorschrift eröffnete Möglichkeit, einen Steuerbescheid unter den Vorbehalt der Nachprüfung stellen zu können, nicht weiter. Dieses Vorbringen lässt bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 164 Abs. 1 Satz 1 AO unberücksichtigt. Steuern können nach § 164 Abs. 1 Satz 1 AO, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne dass es einer Begründung bedarf. Ein Anschlussbeitragsbescheid ergeht jedoch grundsätzlich nach abschließender Prüfung des Abgabenfalles in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, so dass die einzige Voraussetzung für die Beifügung eines Vorbehalts regelmäßig nicht erfüllt ist. Die Abgaben erhebende Behörde darf nicht trotz abschließender Prüfung eine Vorbehaltsfestsetzung vornehmen, nur um den Abgabenfall offen zu halten (vgl. Rüsken, in: Klein, AO, 9. Aufl., § 164 Rn. 13). § 164 AO dient der Beschleunigung des Veranlagungsverfahrens. Der Vorbehalt ermöglicht im Interesse des Fiskus eine rasche Steuererhebung ohne Notwendigkeit zur sofortigen und abschließenden Prüfung, andererseits wird der Steuerfall im Interesse sowohl des Staates als auch des Steuerpflichtigen offen gehalten (vgl. Rüsken, in: Klein, AO, 9. Aufl., § 164 Rn. 1). Diese Vorschrift ist jedoch nicht dafür gedacht, eine Beitragserhebung generell wegen des bloßen Verdachts oder der theoretischen Möglichkeit, die als Rechtsgrundlage herangezogene Satzung könnte unwirksam sein, einem Nachprüfungsvorbehalt zu unterwerfen. Eine solche Möglichkeit eröffnet auch § 165 AO im Übrigen in der Regel nicht, da die vorläufige Festsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO ungewisse Tatsachen voraussetzt und die steuerrechtliche Würdigung von Tatsachen selbst hiervon nicht erfasst wird. Diese rechtfertigt vielmehr nur unter den Voraussetzungen des § 165 Abs. 1 Satz 2 AO eine vorläufige Festsetzung, die jedoch im Bereich der kommunalen Beitragserhebung regelmäßig nicht vorliegen werden.

63

Im Sinne der vorstehenden Erwägungen hat der Senat in seinem Beschluss vom 19. November 2007 - 1 L 1/07 - (juris) ausgeführt, der Gesetzgeber in M-V habe keine "vorbehaltlose Anordnung der entsprechenden Anwendung der AO" getroffen. Zum einen liege schon in dem Begriff der "entsprechenden" Anwendung eine Einschränkung; diese erfordere bei jeder Einzelnorm der Abgabenordnung die Prüfung ihrer Zielsetzung und der Vergleichbarkeit der Anwendungsbereiche (siehe auch Aussprung, in: Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 12 Anm. 1.2). Daher könne allein aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern im Unterschied zu einigen anderen Bundesländern nicht bestimmte Regelungen der Abgabenordnung ausdrücklich für unanwendbar erklärt hat, nicht umgekehrt geschlossen werden, sie seien grundsätzlich anwendbar.

64

Der Senat hat zudem bereits in seinem Beschluss vom 28. November 2005 - 1 M 140/05 - (juris) darauf hingewiesen, dass klärungsbedürftig sei, wie die "entsprechend" anzuwendenden Vorschriften der §§ 172 und 173 AO ihrem Sinn und Zweck nach vom bundesrechtlichen Steuerrecht auf das Kommunale Abgabenrecht (und hier speziell auf das Beitragsrecht) zu übertragen sein können. Insbesondere § 172 Abs. 1 AO sei erkennbar auf bundesrechtliche Steuern zugeschnitten. Eine Unterscheidung zwischen Verbrauchssteuern (§ 172 Abs. 1 Nr. 1 AO) und anderen Steuern (§ 172 Abs. 1 Nr. 2 AO) sei dem kommunalen Abgabenrecht fremd. Daher seien auch die einzelnen, gleichfalls speziell auf das bundesrechtliche Steuerrecht zugeschnittenen Tatbestände des § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht ohne Weiteres auf das Kommunale Abgabenrecht "1 zu 1" zu übertragen. Der Senat hat deshalb dort in Erwägung gezogen, aus einer Gesamtschau der Regelungen des § 172 Abs. 1 AO im Bereich des Kommunalen Abgabenrechts eine im Ermessen der Abgaben erhebenden Behörde stehende Kompetenz zu bejahen, Abgabenbescheide zu ändern, ebenso wie dies bundesrechtlich für die Verbrauchssteuern geregelt ist. Nimmt man die Regelung des § 173 Abs. 1 AO hinzu, die eine Aufhebungs- oder Änderungspflicht normiert, spräche auch einiges dafür, den Sachverhalt der zunächst unerkannt fehlerhaften Rechtsgrundlage, der zu einer zu niedrigen Steuerfestsetzung geführt hat, "entsprechend" (§ 12 Abs. 1 KAG M-V) dem nachträglichen Bekanntwerden neuer Tatsachen gleichzustellen, die zu höheren Steuern führen. Bei - unabhängig von den obigen Ausführungen - unterstellter Anwendbarkeit der §§ 172 ff. AO wäre nach Auffassung des Senats mit Blick auf die erörterte Ausschöpfungspflicht und die "Regelungspole" der §§ 172 und 173 AO aufgrund der durch § 12 Abs. 1 KAG M-V angeordneten "entsprechenden" Anwendung der §§ 172 ff. AO jedenfalls von einer Regelverpflichtung zur Nacherhebung im Sinne einer "Soll"-Bestimmung auszugehen. Dafür spricht auch nachhaltig der schon angesprochene Aspekt, dass der Beitragsanspruch mit Entstehung der sachlichen Beitragspflicht in der zu diesem Zeitpunkt in Anwendung einer wirksamen Satzung errechneten Höhe als öffentliche Last auf dem Grundstück ruht. Es wäre - wie gesagt - nicht folgerichtig sondern widersprüchlich, würde man einerseits eine öffentliche Last in entsprechender Höhe annehmen, der beitragserhebenden Kommune andererseits aber unter Rückgriff auf die §§ 172 ff. AO die Geltendmachung des Beitragsanspruchs in dieser Höhe erschweren oder gar verwehren. Bejahte man eine grundsätzliche Anwendbarkeit der §§ 172 ff. AO mit einem Regelungsgehalt in diesem Sinne, gelangte man folglich regelmäßig und auch vorliegend nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung der Zulässigkeit der Nacherhebung.

65

Schließlich kann für die Annahme der grundsätzlichen Ausschöpfungspflicht im Anschlussbeitragsrecht nach Maßgabe des Landesrechts die Erwägung angeführt werden, dass dem Gesetzgeber die gefestigte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Nacherhebungs- und Ausschöpfungspflicht im Erschließungsbeitragsrecht bekannt war.

66

Angesichts der insoweit für den Bereich etwa des Anschlussbeitragsrechts geringen Regelungsdichte des § 12 Abs. 1 KAG M-V und der erläuterten, nicht von der Hand zu weisenden Auslegungsschwierigkeiten bei einer "entsprechenden" Anwendung der §§ 172 ff. AO erscheint die Annahme ausgeschlossen, der Gesetzgeber habe für das Anschlussbeitragsrecht gegenüber dem Erschließungsrecht bewusst Abweichendes regeln wollen. Dies gilt erst recht, nimmt man die insoweit identische Interessenlage in den Blick: Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht - was in vollem Umfang auch für den Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen gilt - ausgeführt, ein Kläger müsse sich im Rahmen einer Interessenabwägung jedenfalls durchgreifend entgegenhalten lassen, dass der Einrichtungsträger seine Leistung u.a. auch zugunsten des Klägers erbracht habe und dass er und die hinter ihm stehende Allgemeinheit die volle dafür nach dem Gesetz entstandene Gegenleistung fordern können, und zwar nicht nur im Interesse des Haushalts des Einrichtungsträgers, sondern auch im Interesse der Beitragsgerechtigkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163 - zitiert nach juris). Demgegenüber tritt der vom Kläger angeführte Umstand, dass dem Gesetzgeber im Hinblick auf Kommentierungen zum Kommunalabgabengesetz a. F. die Konsequenzen für eine Nacherhebung bekannt gewesen sein müssten, wenn er die Anwendung der §§ 172 ff. AO nicht im Zuge der Novellierung des KAG ausschließe, zurück.

67

Die Rechtsanwendung des Beklagten im Übrigen führt nicht zum Erfolg der Berufung. Soweit die Reduzierung des Nacherhebungsbetrages durch den Widerspruchsbescheid mit Blick auf die vorstehenden Erwägungen rechtlichen Bedenken unterliegt, wäre der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Soweit der Widerspruchsbescheid in seinem Tenor zu Ziffer 1. einen Betrag von 3.656,80 EUR statt wie in der Begründung zutreffend errechnet von 3.656,38 EUR angibt, handelt es sich offensichtlich um ein Versehen. Der Tenor ist entsprechend korrigierend auszulegen.

68

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beurteilt sich nach § 167 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

69

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 27. Oktober 2008 - 3 B 1161/08 - zu Ziffer 1. wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 3.139,29 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit des Umfangs der Heranziehung der Antragstellerin zu Gebühren für den Bezug von Trinkwasser im Monat Januar 2008 für die Verbrauchsstelle der Antragstellerin unter der Anschrift .... .

2

Mit streitgegenständlichem Änderungsbescheid vom 04. März 2008 setzte der Antragsgegner in Abweichung zu seinem vorherigen Bescheid vom 07. Februar 2008 für den Abrechnungszeitraum 01. bis 31. Januar 2008 Wassergebühren in Höhe von 61.986,33 Euro fest. Der Bescheid vom 07. Februar 2008 hatte zuvor für denselben Zeitraum und dieselbe Verbrauchsmenge eine Gebühr von 49.429,16 Euro vorgesehen.

3

Dem Änderungsbescheid vom 04. März 2008 lag eine zwischenzeitliche Veränderung des maßgeblichen Satzungsrechts des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbehandlung Rügen (ZWAR) betreffend die Refinanzierung der Kosten für die Herstellung der zentralen Anlage der Trinkwasserversorgung zugrunde: Ursprünglich sah die Wasserversorgungsbeitragssatzung vom 09. Oktober 2002 i. d. F. der 1. Satzung zur Änderung der Satzung vom 18. Juni 2004 in ihrem § 1 Abs. 2 Buchst. a) die Erhebung von Anschlussbeiträgen vor. Auf entsprechende Anfrage des Senats hat der Antragsgegner im Beschwerdeverfahren mitgeteilt, dass auf dieser rechtlichen Grundlage Trinkwasseranschlussbeiträge im Umfang von rund 5 bis 6 Mio. Euro erhoben worden seien, was ca. 6 bis 8 % des gesamten zu erhebenden Beitragsvolumens entspreche. In annähernd allen offenen Fällen wäre - so der Antragsgegner - bei unterstellter Wirksamkeit der Wasserversorgungsbeitragssatzung mit Ablauf des 31. Dezember 2008 Festsetzungsverjährung eingetreten.

4

Am 28. August 2008 hat die Verbandsversammlung des ZWAR die Satzung des ZWAR zur Aufhebung der Wasserversorgungsbeitragssatzung (Aufhebungssatzung) beschlossen, die am 03. September 2008 ausgefertigt wurde. Die Aufhebungssatzung enthält zwei Bestimmungen:

5

§ 1
Aufhebung

6

Die Wasserversorgungsbeitragssatzung vom 09. Oktober 2002, in der Fassung der 1. Satzung zur Änderung der Satzung vom 18. Juni 2004, wird ersatzlos aufgehoben.

7

§ 2
Inkrafttreten

8

Diese Satzung tritt rückwirkend zum 01. Januar 2008 in Kraft.

9

In der Beschlussvorlage zur Aufhebungssatzung heißt es u.a.: "Vorgelegt wird ein förmlicher Satzungsbeschluss zur Aufhebung der Satzung rückwirkend zum 1. Januar 2008".

10

Dem Erlass der Aufhebungssatzung vorausgegangen war ein - von der Kommunalaufsicht wegen seiner Form als ungeeignet zur Aufhebung der Wasserversorgungsbeitragssatzung bewerteter - einfacher Beschluss der Verbandsversammlung vom 27. Februar 2008 über die Aufhebung der Wasserversorgungsbeitragssatzung. In der Beschlussvorlage dazu hieß es im Wesentlichen, § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V eröffne als "Soll-Regelung" bei Vorliegen einer atypischen Situation die Möglichkeit, auf eine Beitragserhebung zu verzichten und eine reine Gebührenfinanzierung zu installieren. Eine solche atypische Situation werde im Verbandsgebiet gesehen. Insbesondere die unterschiedliche saisonale Auslastung der Wasserversorgungsanlagen und die Heranziehung der überwiegend großen Grundstücke im ländlichen Raum der Insel Rügen zu Beiträgen ließen ein reines Gebührenmodell opportun erscheinen. Durch das Innenministerium sei mit Schreiben vom 24. Januar 2008 bestätigt worden, dass bei Einführung des sogenannten Gebührenmodells keinerlei rechtsaufsichtliche Beanstandungen erfolgen würden.

11

Unter dem 27. Januar 2008 hatte die Verbandsversammlung die Satzung des ZWAR über die Erhebung von Gebühren für die Wasserversorgung - Wasserversorgungsgebührensatzung (nachfolgend: WVGS) beschlossen, ausgefertigt am 20. März 2008. Auch diese Satzung trat rückwirkend zum 01. Januar 2008 in Kraft. In § 1 Abs. 1 Buchst. a) WVGS heißt es, der ZWAR erhebe nach Maßgabe der Wasserversorgungsgebührensatzung Gebühren für die Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung Wasserversorgung zur Deckung der Kosten gemäß § 6 Abs. 2 KAG M-V sowie zum Ersatz des Aufwandes für die Herstellung öffentlicher Wasserversorgungsanlagen. Die Zusatzgebühr (auch Mengen- oder Verbrauchsgebühr) beträgt gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 WVGS 1,77 Euro/cbm. Demgegenüber regelte die Vorläuferbestimmung des § 3 Abs. 2 Satz 1 WVGS 2005 vom 03. November 2005 insoweit einen Gebührensatz von 1,41 Euro/cbm.

12

Den am 28. März 2008 beim Antragsgegner eingegangenen Widerspruch der Antragstellerin gegen den Änderungsbescheid, der u. a. darauf verwies, dass der erhöhte Gebührensatz bei ihr - als Vielfaches der "Anschlussgebühren" - zu jährlichen Mehrkosten in der Größenordnung von 72.000,00 Euro führe, hat dieser mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2008 - zugestellt am 19. Juli 2008 - zurückgewiesen und dabei erklärt, eine weitere Vollziehungsaussetzung werde nicht erfolgen.

13

Dem darauf beschränkten Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der - am 01. August 2008 erhobenen - Klage (Az. 3 A 1156/08 VG Greifswald) gegen den Änderungsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides insoweit anzuordnen, als die Festsetzung den Betrag von 49.429,16 Euro übersteigt, hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss vom 27. Oktober 2008 zu Ziffer 1. stattgegeben.

II.

14

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den ihm am 03. November 2008 zugestellten Beschluss, die mit dem am 07. November 2008 eingegangenen Schriftsatz fristgemäß (§ 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) eingelegt und ebenso fristgerecht (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) begründet worden ist, hat im Ergebnis keinen Erfolg.

15

§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO bestimmt, dass die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen ist. Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerdebegründung einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.

16

In Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist der Gegenstand der gerichtlichen Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO darauf beschränkt, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts an Hand derjenigen Gründe nachzuprüfen, die der Beschwerdeführer darlegt. Wie sich aus § 146 Abs. 4 Sätze 1 und 3 VwGO ergibt, können nur solche Gründe in die Prüfung einbezogen werden, die der Beschwerdeführer innerhalb der einmonatigen gesetzlichen Begründungsfrist vorbringt. Nach Ablauf dieser Frist können zwar fristgerecht - dem Darlegungserfordernis genügend - geltend gemachte Gründe vertieft, nicht aber neue Gründe in das Beschwerdeverfahren eingeführt werden. Die Beschwerde bleibt erfolglos, wenn sich die erstinstanzliche Entscheidung aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig erweist und - soweit die entsprechenden Umstände bzw. rechtlichen Überlegungen bislang nicht Gegenstand des Rechtsstreits waren - den Beteiligten hierzu zuvor rechtliches Gehör gewährt worden ist.

17

1. Dem Verwaltungsgericht ist im Ergebnis darin zuzustimmen, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Gebührenbescheides bestehen, weil es dem Bescheid an einer gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V erforderlichen wirksamen Rechtsgrundlage jedenfalls insoweit fehlt, als der vorliegend allein streitgegenständliche "Erhöhungsbetrag" von 12.500,00 Euro in Rede steht; insoweit war die Beschwerde zurückzuweisen.

18

Mangels wirksamer Regelung zum Abgabensatz gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V ist die Satzung des ZWAR über die Erhebung von Gebühren für die Wasserversorgung - Wasserversorgungsgebührensatzung - vom 20. März 2008 (WVGS) unwirksam. Die Bestimmung gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 WVGS, wonach die Zusatzgebühr 1,77 Euro beträgt, beruht auf einer methodisch fehlerhaften Kalkulation.

19

Nach Maßgabe der Beschlussvorlage betreffend die Trinkwassergebührenkalkulation 2008 vom 22. Februar 2008 ist "in dieser Kalkulation ... die Nichterhebung von Trinkwasserbeiträgen eingeflossen". Dies kann nur so verstanden werden, dass insbesondere die gemäß der erstinstanzlich vom Antragsgegner übermittelten Übersicht vom 08. September 2008 bis einschließlich 2007 bereits in einem Umfang von ca. 6,5 Mio. Euro erhobenen Trinkwasserbeiträge bei der Kalkulation der Zusatzgebühr, mit der auch der Aufwand für die Herstellung öffentlicher Wasserversorgungsanlagen ersetzt werden soll, außer Betracht geblieben sind. Dies zeigen die unter den laufenden Nummern 4 und 5 der tabellarischen Übersicht "Gebührenkalkulation Trinkwasser 2008" ausgewiesenen Beträge für "Fördermittel/Zuschüsse/Beiträge per 31.12.2008" und "Fördermittel/Zuschüsse/Beiträge", die deutlich niedriger als die entsprechenden Beträge in der "Zusammenstellung Gebührenkalkulation Trinkwasser 2005 - 2007" unter der dortigen laufenden Nr. 4 sind. Außerdem hat der ZWAR ausweislich des Berichts der B... über die Prüfung des Lageberichts und des Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2007 bereits eine Rückstellung für die Rückzahlung der vereinnahmten Trinkwasserbeiträge innerhalb der sonstigen Rückstellungen in Höhe von 6.543.000,00 Euro ausgewiesen. Diese Rückzahlung hat er laut Presseberichten öffentlichkeitswirksam für das Jahr 2009 angekündigt; sie ist allerdings laut Antwort auf eine entsprechende Anfrage des Senats noch nicht ins Werk gesetzt worden. Der Antragsgegner hat zwischenzeitlich ausdrücklich noch einmal bestätigt, dass die Trinkwassergebührenkalkulation dem vollzogenen Systemwechsel gemäß so angelegt sei, als habe es gleichsam nie Trinkwasserbeiträge gegeben; mithin sei insbesondere keinerlei aufwandsmindernde Berücksichtigung vereinnahmter Beiträge erfolgt, da diese ja vollständig an die Berechtigten ausgekehrt werden würden. Diese Nichtberücksichtigung der bis einschließlich 2007 vereinnahmten Trinkwasserbeiträge im Rahmen der Gebührenkalkulation 2008 erweist sich auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Antragsgegners mit Schriftsätzen vom 19. und 20. Mai 2009 als methodisch fehlerhaft, da auf der Grundlage des derzeitigen Standes des Satzungsrechts rechtlich nicht haltbar.

20

Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern muss dem normsetzenden Organ, hier der Verbandsversammlung, - neben der Beschlussvorlage über die Satzung - eine Kalkulation bei der Beschlussfassung über die Abgabensatzung vorliegen. Wird dem Rechtsetzungsorgan vor oder bei seiner Beschlussfassung über den Abgabensatz eine solche Kalkulation nicht zur Billigung unterbreitet oder ist die unterbreitete Abgabenkalkulation in einem für die Abgabensatzhöhe wesentlichen Punkt mangelhaft, hat dies die Ungültigkeit des Abgabensatzes zur Folge, weil das Rechtsetzungsorgan das ihm bei der Festsetzung der Abgabensätze eingeräumte Ermessen nicht fehlerfrei hat ausüben können (st. Rspr. des OVG Greifswald, vgl. z.B. Urt. v. 02.06.2004 - 4 K 38/02 -, DVBl. 2005, 64 = juris; Urt. v. 15.11.2000 - 4 K 8/99 -, VwRR MO 2001, 175 = ZKF 2001, 160 = KStZ 2001, 174 = LKV 2001, 516 = DÖV 2001, 610 = DVBl. 2001, 1376 = FiWi 2002, 251 = Überblick 2001, 249; Urt. v. 25.02.1998 - 4 K 8/97 -, 1998 NordÖR 1998, 256 = VwRR MO 1998, 227 = KStZ 2000, 12 = NJ 1998, 609 = NVwZ-RR 1999, 144 = ZKF 1999, 111 = GemH 1999, 234 = Überblick 1998, 518; Urt. v. 15.03.1995 - 4 K 22/94 -, RAnB 1995, 229 = FiWi 1995, 259 = KStZ 1996, 114 = NJ 1995, 448 = MDR 1995, 972 = ZKF 1995, 230 = DVBl. 1995, 1146 = Überblick 1995, 324; ebenso VGH Mannheim, Beschl. v. 29. Oktober 2003 - 2 S 1019/02 -, NVwZ-RR 2004, 286, 289, Urt. v. 04.12.2003 - 2 S 2669/02 -, NVwZ-RR 2004, 293 ff.).

21

Die Ungültigkeit einer Abgabensatzung ist dann anzunehmen, wenn erstens in erheblichem Umfang nicht beitrags- oder gebührenfähiger Aufwand angesetzt und daher gegen das Aufwandsüberschreitungsverbot verstoßen wird, oder zweitens, wenn erhebliche methodische Fehler die Feststellung unmöglich machen, ob das Aufwandsüberschreitungsverbot beachtet ist oder nicht (OVG Greifswald, Urt. v. 02.06.2004 - 4 K 38/02 -, DVBl. 2005, 64 = juris; Urt. v. 7.11.1996 - 4 K 11/96 -, RAnB 1997, 179 = VwRR MO 1997, 13 = FiWi 1999, 234 = NJ 1997, 280 = ZKF 1997, 157 = DVBl. 1997, 1072 = LKV 1997, 422 = Überblick 1997, 298). Die Ungültigkeit eines Abgabensatzes tritt als zwingende Folge immer dann ein, wenn die unterbreitete Kalkulation in einem für die Abgabenhöhe wesentlichen Punkt mangelhaft ist, weil das Vertretungsorgan ansonsten ein Ermessen nicht fehlerfrei ausüben kann (OVG Greifswald, Urt. v. 02.06.2004 - 4 K 38/02 -, DVBl. 2005, 64 = juris; Urt. v. 25.02.1998 - 4 K 8/97 -, NordÖR 1998, 256 = VwRR MO 1998, 227 = KStZ 2000, 12 = NJ 1998, 609 = NVwZ-RR 1999, 144 = ZKF 1999, 111 = GemH 1999, 234 = Überblick 1998, 518).

22

Die Nichtberücksichtigung der bis einschließlich 2007 vereinnahmten Trinkwasserbeiträge im Rahmen der Gebührenkalkulation 2008 war und ist jedenfalls auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats rechtlich nicht zulässig und infolgedessen methodisch fehlerhaft:

23

Die Wasserversorgungsbeitragssatzung vom 09. Oktober 2002 i. d. F. der 1. Satzung zur Änderung der Satzung vom 18. Juni 2004 sah in ihrem § 1 Abs. 2 Buchst. a) die Erhebung von Anschlussbeiträgen vor. Aufgrund von entsprechenden Trinkwasserbeitragsbescheiden sind Beiträge im genannten Umfang erhoben worden.

24

Die Aufhebungssatzung des ZWAR vom 03. September 2008 hat die Wasserversorgungsbeitragssatzung vom 09. Oktober 2002 i. d. F. der 1. Satzung zur Änderung der Satzung vom 18. Juni 2004 zwar gemäß ihrem § 1 ersatzlos aufgehoben. Nach diesem Wortlaut ist nichts dafür ersichtlich, dass diese Aufhebung ex tunc, also von Anfang an, erfolgen sollte. Insbesondere folgt dies entgegen dem Vorbringen des Antragsgegners nicht aus der Verwendung des Begriffs "ersatzlos". Eine "ersatzlose" Aufhebung kann auch mit Wirkung für die Zukunft erfolgen, ist also nicht gleichbedeutend mit einer rückwirkenden Aufhebung der Wasserversorgungsbeitragssatzung vom 09. Oktober 2002 auf den Zeitpunkt ihres Inkrafttretens. Da die rückwirkende Aufhebung einer Beitragssatzung in diesem Sinne in erheblichem Ausmaß Rückabwicklungsfragen impliziert, wäre auch eine insoweit schon nach dem Wortlaut eindeutige Regelung zu erwarten gewesen.

25

Systematisch betrachtet spricht zudem § 2 der Aufhebungssatzung gegen eine im vorstehenden Sinne rückwirkende Aufhebung der Wasserversorgungsbeitragssatzung "von Anfang an": Nach ihrem § 2 sollte die Aufhebungssatzung rückwirkend zum 01. Januar 2008 in Kraft treten. Hätte bereits ihr § 1 die Wasserversorgungsbeitragssatzung vom 09. Oktober 2002 auf den Zeitpunkt ihres Inkrafttretens ex tunc aufheben sollen, ist nicht ersichtlich, wieso es dann einer rückwirkenden Inkraftsetzung der Aufhebungssatzung - auf den 01. Januar 2008 - bedurft hätte. Dann enthielte die Aufhebungssatzung gleichsam eine doppelte Rückwirkungsregelung. Der Antragsgegner räumt selbst ein, dass die Rückwirkung gemäß § 2 der Aufhebungssatzung dann "schlechterdings entbehrlich" wäre. Schließlich erfordert eine Systemumstellung auch nicht zwingend eine rückwirkende Aufhebung der Wasserversorgungsbeitragssatzung "von Anfang an".

26

Vor diesem Hintergrund verbietet sich die Annahme eines Redaktionsversehens mit der doppelten Konsequenz, § 1 der Aufhebungssatzung einen ergänzenden Inhalt entnehmen und in § 2 die dort geregelte - begrenzte - Rückwirkung ausblenden zu müssen.

27

Auch die Entstehungsgeschichte liefert für die vom Antragsgegner bevorzugte "Auslegung" der Aufhebungssatzung keine genügenden Anhaltspunkte. Weder im Beschluss vom 27. Februar 2008 noch in der entsprechenden Beschlussvorlage findet sich die Aussage, die Aufhebung der Wasserversorgungsbeitragssatzung solle rückwirkend erfolgen. Die Stellungnahme der Rechtsaufsichtsbehörde vom 24. April 2008 mag Anlass für die Rückwirkungsregelung in § 2 gewesen sein; im Sinne des Beschwerdevorbringens ist sie unergiebig. Gegen das Verständnis des Antragsgegners spricht zudem die Erläuterung der Beschlussvorlage zum TOP 8.4 der Verbandsversammlung vom 28. August 2008, in der es heißt, "vorgelegt wird ein förmlicher Satzungsbeschluss zur Aufhebung der Satzung rückwirkend zum 1. Januar 2008". Hier ist also gerade davon die Rede, dass die Wasserversorgungsbeitragssatzung rückwirkend zum 1. Januar 2008 aufgehoben werden soll. Angesichts dieser Erläuterung spricht Überwiegendes dafür, dass auch die Mitglieder der Verbandsversammlung bei ihrer Beschlussfassung über die Aufhebungssatzung davon ausgegangen sind, die Wasserversorgungsbeitragssatzung solle - nur - rückwirkend zum 1. Januar 2008 aufgehoben werden. Dieser Umstand steht erst recht der Annahme eines redaktionellen (= unbeachtlichen) Versehens bei der Formulierung der Aufhebungssatzung entgegen.

28

Im Übrigen kann der Antragsgegner schon wegen § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO mit seinem vorstehend wiedergegebenen Vorbringen nicht durchdringen, da das Verwaltungsgericht ausdrücklich davon ausgegangen ist, dass "jedenfalls die vor dem 31.12.2007 entstandenen sachlichen Beitragspflichten ... durch die rückwirkende Aufhebung der Wasserversorgungsbeitragssatzung nicht berührt worden (sind), da die Rückwirkung nur bis zum 01.01.2008 reicht"; innerhalb der Begründungsfrist ist der Antragsgegner diesen Erwägungen des Verwaltungsgerichts nicht entgegen getreten, so dass sein entsprechender Vortrag mit Schriftsatz vom 19. Mai 2009 auch nicht als Vertiefung bisherigen fristgemäßen Vorbringens betrachtet werden kann.

29

Im Ergebnis hat die Aufhebungssatzung die Rechtsgrundlage für eine Beitragserhebung in Gestalt der Wasserversorgungsbeitragssatzung vom 09. Oktober 2002 i. d. F. der 1. Satzung zur Änderung der Satzung vom 18. Juni 2004 erst ab dem 01. Januar 2008 zukunftsgerichtet entfallen lassen. Die Wasserversorgungsbeitragssatzung vom 09. Oktober 2002 i. d. F. der 1. Satzung zur Änderung der Satzung vom 18. Juni 2004 ist folglich hinsichtlich der bis einschließlich 2007 erlassenen Trinkwasserbeitragsbescheide nach wie vor wirksame Rechtsgrundlage. Da der Antragsgegner nach Maßgabe des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung an das Satzungsrecht des ZWAR auch insoweit gebunden bzw. zum Vollzug der Satzung verpflichtet ist, bestand und besteht - jedenfalls derzeit noch - für ihn keine - ohne Weiteres - rechtlich zulässige Möglichkeit, die Trinkwasserbeitragsbescheide aufzuheben bzw. die Beitragserhebung rückgängig zu machen. Auch sonst ist insbesondere keine satzungsrechtliche Bestimmung ersichtlich, die ihm dies erlauben würde. In diesem Sinne bzw. die bereits erfolgte Beitragserhebung betreffend ist dem Verwaltungsgericht darin zuzustimmen, wenn es ausführt, der Antragsgegner könne über bereits entstandene - und befriedigte - Ansprüche (auf Beitragszahlungen) nicht frei verfügen bzw. solche Ansprüche aufgeben.

30

Auch der Vortrag des Antragsgegners gemäß Schriftsatz vom 20. Mai 2009, er habe nicht die Absicht, von seinem "Recht zum Behalten der vereinnahmten Beiträge Gebrauch zu machen", und insoweit verschiedene Möglichkeiten, dies zu dokumentieren bzw. umzusetzen, vermag an diesen Erwägungen nichts zu ändern. Abgesehen davon, dass der Antragsgegner von den seinerseits angesprochenen Optionen augenscheinlich noch keinen Gebrauch gemacht hat, verkennt dieses Vorbringen, dass nicht nur ein "Recht zum Behalten der vereinnahmten Beiträge" besteht, sondern nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen eine entsprechende Pflicht, die jedenfalls derzeit das vom Antragsgegner erwogene Vorgehen verbieten dürfte. Die Frage der Modalitäten der Rückabwicklung im Falle gezahlter Beiträge stellt sich zumindest deshalb derzeit nicht bzw. ist im vorliegenden Kontext unerheblich.

31

Folglich mussten die vereinnahmten Trinkwasserbeiträge - was nicht geschehen ist - im Rahmen der Gebührenkalkulation 2008 aufwandsmindernd berücksichtigt werden.

32

2. Auch wenn es hierauf nicht mehr entscheidungserheblich ankommt, sieht der Senat im Interesse der Beteiligten Anlass zu folgenden Hinweisen betreffend die vom Verwaltungsgericht angenommenen Verstöße der Wasserversorgungsgebührensatzung 2008 gegen die "Soll-Regelung" des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V (a) und gegen den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung (b).

33

a) § 1 Abs. 1 Buchst. a) WVGS 2008 bestimmt, dass der ZWAR nach Maßgabe der Wasserversorgungsgebührensatzung Gebühren für die Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung Wasserversorgung zur Deckung der Kosten gemäß § 6 Abs. 2 KAG M-V sowie zum Ersatz des Aufwandes für die Herstellung öffentlicher Wasserversorgungsanlagen erhebt. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts verstößt diese Bestimmung hinsichtlich der Regelung zur Deckung des Aufwandes für die Herstellungskosten gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V.

34

Nach dieser Vorschrift sollen zur Deckung des Aufwandes für die Anschaffung und Herstellung der notwendigen öffentlichen Einrichtungen zur leitungsgebundenen Versorgung mit Wasser oder Wärme oder zur leitungsgebundenen Abwasserentsorgung Anschlussbeiträge erhoben werden.

35

Eine im Sinne dieser "Soll-Bestimmung" erforderliche atypische Situation (vgl. hierzu etwa VG Schwerin, Urt. v. 26.04.2007 - 4 A 1319/06 -; VG Bayreuth, Urt. v. 07.07.1004 - B 4 K 04.578 -, juris), die es erlaubte von einer Beitragserhebung vollständig abzusehen, liege im Falle des ZWAR nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht vor.

36

Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass die Refinanzierung des beitragsfähigen Aufwandes für die in § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V genannten Maßnahmen in der Regel ganz oder zumindest zum überwiegenden Teil durch eine Beitragserhebung erfolgen müsse. Dem werde dadurch Rechnung getragen, dass ein Deckungsgrad von 70 % oder mehr angestrebt werde (S. 7 des Beschlusses). Das Verwaltungsgericht beruft sich dabei - mit "vgl. " - auf das Urteil des OVG Mecklenburg-Vorpommern vom 02. Juni 2004 - 4 K 38/02 - (DVBl. 2005, 64 = juris). Diesen Ansatz greift es dann später mit seiner Annahme auf, eine am Regelungsziel des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V orientierte Ausnahme sei immer dann gegeben, wenn die Eigenkapitalausstattung für die betreffende Maßnahme - aus welchen Gründen auch immer - so gut sei, dass der Kreditbedarf des Aufgabenträgers bei einer überwiegenden Gebührenfinanzierung der Anlage ein Maß von etwa 1/3 der Herstellungskosten nicht deutlich übersteige. Für die Bemessung der Quote sei maßgeblich, dass § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V den Aufgabenträger nicht dazu zwinge, bei der Erhebung von Anschlussbeiträgen einen Deckungsgrad von 100 % anzustreben; vielmehr sei der Deckungsgrad von nur 70 % nach der bereits genannten Rechtsprechung des OVG Mecklenburg-Vorpommern "voraussetzungslos" zulässig. Damit werde akzeptiert, dass die Refinanzierung von 30 % der Herstellungskosten durch Gebühren erfolge und insoweit ein Kreditbedarf des Aufgabenträgers bestehen könne, wobei diese Quote nicht als feste Grenze, sondern als Richtwert zu verstehen sei.

37

An diese Maßgaben anknüpfend nimmt das Verwaltungsgericht dann in den Blick, ob der ZWAR hinsichtlich der von ihm vorgesehenen reinen Gebührenfinanzierung des Herstellungsaufwandes die zulässige Kreditquote deutlich übersteigt.

38

Hierzu ist zunächst zu bemerken, dass die - wesentlich mit entscheidungstragenden - Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts den Eindruck erwecken, das OVG Mecklenburg-Vorpommern habe in seinem Urteil vom 02. Juni 2004 - 4 K 38/02 - (a.a.O.) im Kontext des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG (M-V) eine Mindestgrenze für die Deckung des Herstellungsaufwandes durch Beiträge dergestalt festgelegt, dass ein Deckungsgrad von 70 % oder mehr angestrebt werde bzw. anzustreben sei und jedenfalls ein solcher Deckungsgrad "voraussetzungslos" zulässig sei. Derartige Aussagen, die diese und die daran anknüpfenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts stützen könnten, lassen sich diesem in Bezug genommenen Urteil jedoch nicht entnehmen. Zwar ist in dem Urteil der Gesichtspunkt des Deckungsgrades angesprochen, dies jedoch in einem anderen Zusammenhang: In dem dortigen Verfahren ging es ausschließlich um die Frage, ob die sich aus einem Schreibfehler in der Kalkulation ergebende geringfügige Verschiebung des tatsächlichen Deckungsgrades durch Beiträge (71,24 %) gegenüber dem beschlossen Deckungsgrad von 70,01 % unter verschiedenen rechtlichen Blickwinkeln einen beachtlichen Mangel der angegriffenen Satzung begründet habe (dort verneint). Mit dem erforderlichen Maß der beitragsfinanzierten Deckung befasst sich das Urteil demgegenüber nicht; es enthält - mangels diesbezüglicher Rügen - keine näheren Erwägungen hierzu. Allenfalls kann man der Entscheidung entnehmen, dass das Oberverwaltungsgericht den beschlossenen bzw. tatsächlichen Deckungsgrad nicht in einer Weise für offensichtlich problematisch erachtet hat, die eine nähere Auseinandersetzung erfordert hätte.

39

Die vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte "kritische Grenze" einer Kreditquote von etwa 1/3 bzw. 30 % findet demzufolge in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern keine Rechtfertigung. Das Verwaltungsgericht nennt auch keine rechtliche Grundlage, die - zumal nach dem Prüfungsmaßstab des summarischen Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes - eine solche Grenzziehung erlaubte; insoweit wäre im Hinblick auf die Annahme einer solchen "Kreditquote" der Rahmen einer zulässigen richterlichen Rechtsauslegung bzw. Rechtsfortbildung zu bedenken. Im Übrigen müsste jedenfalls geprüft werden, ob eine entsprechende Grenze ggfs. anders zu ziehen wäre und ob nicht darüber hinaus den Umständen des Einzelfalles - dafür spricht das Erfordernis atypischer Umstände - maßgebliche Bedeutung zukommen müsste. Jedenfalls nach dem Prüfungsmaßstab der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO) kann eine Grenzziehung im Sinne der angegriffenen Entscheidung nicht ohne Weiteres zum Erfolg des Antrages auf vorläufigen Rechtsschutz führen.

40

Selbst wenn man der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Grenzziehung folgen wollte, erschließt sich aus der Begründung des angegriffenen Beschlusses nicht, warum es vorliegend unter diesem Blickwinkel die aufschiebende Wirkung der Klage nach dem Prüfungsmaßstab der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes im beantragten Umfang angeordnet hat. Das Verwaltungsgericht stellt ausdrücklich fest, die Frage der Kreditquote sei im vorliegenden Fall "offen"; die Angaben des Antragsgegners seien ungenau. Es gelangt dabei sogar zu der Annahme, dass die kritische Grenze durch den ZWAR unter bestimmten Voraussetzungen nicht überschritten bzw. eine "Punktlandung" erreicht worden sein könnte. Anschließend wirft es jedoch wiederum Gesichtspunkte in Form offener Fragen auf, die sich - bei entsprechender Klärung - im Ergebnis zu Lasten des ZWAR auswirken könnten. Diese Erwägungen münden schließlich darin, dass aus Sicht des Verwaltungsgerichts zweifelhaft sei, ob die Frage des Überschreitens der "kritischen" Grenze im Hauptsacheverfahren abschließend geklärt werden könne, wobei der Antragsgegner das Risiko der Nichterweislichkeit trage, was aus §9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V folge. Gelinge ihm der Beweis einer Ausnahme - also einer atypischen Situation - nicht, sei von einem Verstoß gegen die Grundregel auszugehen.

41

Hinsichtlich dieser abschließenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts ist zu fragen, in welchem Verhältnis sie zu der Schlussfolgerung, die Frage der Kreditquote sei offen, stehen. Ist das Verwaltungsgericht der Auffassung, die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides sei unter dem hier erörterten Blickwinkel offen, wäre - abgesehen von der bereits angeschnittenen Frage des Maßstabes nach § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO - ggfs. eine Interessenabwägung unabhängig von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu erwarten gewesen. Eine vorweggenommene Beweiswürdigung und hypothetische Beweislastentscheidung für das Hauptsacheverfahren bei gleichzeitiger Unterstellung, dass der Antragsgegner den aus Sicht des Verwaltungsgerichts erforderlichen Nachweis im Hauptsacheverfahren möglicherweise nicht würde führen können, erscheint nicht zulässig und setzt sich zudem in Widerspruch zu der Annahme, die Frage der "Kreditquote" sei offen. Die Aussage, wer sich auf eine Ausnahme berufe, müsse das Vorliegen ihrer Voraussetzungen darlegen und ggfs. auch beweisen, steht - zumal sich diese Erwägung auf das Hauptsacheverfahren bezieht - zudem nicht in Einklang mit dem Untersuchungsgrundsatz gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

42

Hinsichtlich der Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur Frage des Verhältnisses von § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V zu § 44 Abs. 3 KV M-V und der sich daraus nach seinem Dafürhalten ergebenden Auslegung von § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V ist über die im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 03. Dezember 2008 - 4 M 158/08 - hierzu enthaltenen Überlegungen hinausgehend - vorläufig - Folgendes anzumerken:

43

Die zentrale - systematisch abgeleitete - Argumentation des Verwaltungsgerichts geht dahin, dass die vollständige Refinanzierung des Herstellungsaufwandes über eine Gebührenerhebung einen deutlich höheren Kreditbedarf nach sich ziehe als eine Beitragsfinanzierung. Deshalb sei eine solche Gebührenfinanzierung grundsätzlich unzulässig bzw. nach Maßgabe der "Soll-Bestimmung" des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V nur ausnahmsweise zulässig. Für die Ermittlung atypischer Ausnahmen im Sinne dieser Vorschrift komme es allein auf die Höhe der Kreditfinanzierungsquote an.

44

Diese Überlegungen wendet das Verwaltungsgericht aber schon selbst nicht konsequent an, wenn es von einem Deckungsgrad von 70 % aufwärts an eine teilweise Gebührenfinanzierung - "voraussetzungslos" - für zulässig erachtet. Es wird nicht nachvollziehbar erläutert, warum die in diesem Fall im Sinne der Ausführungen des Verwaltungsgerichts anzunehmenden höheren Kreditkosten für die Vorfinanzierung eines Anteils an den Herstellungskosten von kleiner bzw. gleich einem Drittel ohne Weiteres, also gleichsam ohne Beachtung der "Soll-Bestimmung", zulässig sein sollen.

45

Zudem berücksichtigen die Überlegungen des Verwaltungsgerichts nicht, dass auch im Falle einer Beitragserhebung regelmäßig aus verschiedenen Gründen (z. B. Dauer des Heranziehungsverfahrens, unwirksame Rechtsgrundlagen, erst zukünftige Schaffung von Anschlussmöglichkeiten, Stundung) ein nicht unwesentlicher Teil der Herstellungskosten zunächst über Kredite gedeckt werden muss, so dass sich die Kreditkosten beider Refinanzierungsmöglichkeiten regelmäßig tatsächlich nicht in dem vom Verwaltungsgericht angenommenen Umfang unterscheiden dürften. Diese Frage bedarf einer sorgfältigen Klärung im Hauptsacheverfahren. Ihre Beantwortung kann das Gewicht des Arguments des Verwaltungsgerichts, § 44 Abs. 3 KV M-V zwinge zu der von ihm vorgenommenen Auslegung des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V, nachhaltig beeinflussen.

46

Ob die vom Antragsgegner angeführten Gründe die Annahme einer atypischen Situation im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 KV M-V rechtfertigen können (insbesondere unterschiedliche saisonale Auslastung der Wasserversorgungsanlagen und die Heranziehung der überwiegend großen Grundstücke im ländlichen Raum), stellt sich hinsichtlich ihrer tatsächlichen Grundlagen nach dem Maßstab des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens als offen dar; die Klärung dieser Frage dürfte - auch mit Blick auf das umfangreiche Vorbringen der Antragstellerin hierzu - dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten sein.

47

Zu beachten könnte zudem Folgendes sein: Zwischenzeitlich ist nach entsprechender Mitteilung des Antragsgegners wohl in nahezu allen Fällen, in denen ursprünglich - soweit noch nicht geschehen - eine Beitragserhebung hätte erfolgen können und nach Maßgabe der vormaligen Wasserversorgungsbeitragssatzung auch hätte erfolgen müssen, Festsetzungsverjährung eingetreten (vgl. § 12 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz KAG M-V). Dies beträfe gut 90 % des ursprünglichen Beitragsvolumens. In diesen Fällen bzw. in diesem Umfang dürfte folglich eine Refinanzierung des entsprechenden Herstellungsaufwandes durch Beiträge nicht mehr möglich sein. Wollte man nun in der Konsequenz der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts auch eine Gebührenfinanzierung aus Rechtsgründen für unzulässig erachten, wäre überhaupt keine Heranziehung der durch die Herstellung der Trinkwasserversorgungsanlage Bevorteilten zur Deckung der Herstellungskosten mehr möglich. Im Ergebnis würden diese entgegen den Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes M-V der Allgemeinheit aufgebürdet. Damit würde jedenfalls ein mit Blick auf § 44 Abs. 3 KV M-V und § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V deutlich gesetzesfernerer Zustand zu verzeichnen sein, als ihn das Verwaltungsgericht in der Systemumstellung von Beitragserhebung auf Gebührenfinanzierung erblickt. Insoweit wäre zu erwägen, ob der Umstand, dass eine andere - vollständige - Refinanzierung des Herstellungsaufwandes nach dem Kommunalabgabengesetz M-V als diejenige über eine Gebührenerhebung nicht mehr möglich wäre, als atypische Situation im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V zu werten sein könnte. Insoweit könnte dem ZWAR nach derzeitigem Erkenntnisstand auch wohl nicht vorgeworfen werden, er habe diese Situation absichtsvoll herbeigeführt, um letztlich damit den angestrebten Systemwechsel erreichen zu können. Denn der ZWAR ist - selbst wenn sich seine entsprechenden Erwägungen im Ergebnis nicht als tragfähig erweisen sollten - im Vorfeld jedenfalls davon ausgegangen, dass er sich auf atypische Umstände im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V berufen könne. Er hat sich insoweit auch entsprechend beim Innenministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern rückversichert; die untere Rechtsaufsichtsbehörde ist der Systemumstellung ebenfalls nicht entgegen getreten. In dieser Situation könnte es dem Antragsgegner wohl nicht vorgehalten werden, dass er im Vertrauen auf das Zustandekommen des Systemwechsels offensichtlich - weiterhin - davon Abstand genommen hat, gewissermaßen vorsichtshalber tausende von Beitragsbescheiden zu versenden, um einer möglichen Festsetzungsverjährung zu entgehen, falls der angestrebte Wechsel letztlich fehlschlagen sollte (vgl. hierzu auch OVG Greifswald, Beschl. v. 03.12.2008 - 4 M 158/08 -). Dass die "Soll-Bestimmung" des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V gerade in solchen Fällen zum Tragen kommen soll, erscheint nicht fernliegend. Der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern hat in dem zitierten Beschluss - im vorliegenden Kontext passend (der Antragsgegner hat jahrelang ohne Konsequenzen seitens der Rechtsaufsichtsbehörden sein eigenes Satzungsrecht faktisch weitgehend nicht angewandt) - in Erwägung gezogen, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V möglicherweise auch eine ggfs. bisherige rechtswidrige Verwaltungspraxis bestimmter Aufgabenträger im Bereich der Wasserversorgung legalisieren wollte. Dafür sprechen folgende Gesichtspunkte: Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (LTDrs. 4/1576 zu Nummer 10, S. 75) führen aus, die Regelung über die Erhebung von Anschlussbeiträgen als Soll-Vorschrift "würde auch den Fällen gerecht werden, bei denen es in begründeten Ausnahmen bislang nicht zur Erhebung von Beiträgen gekommen sei. Zur Wahrung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden sollte das Gesetz diesen Umständen Rechnung tragen und eine Soll-Regelung aufgreifen, die in atypischen Fällen gleichsam einen Verzicht auf die Erhebung von Beiträgen ermögliche". Entsprechend hat der Abgeordnete Müller für die Fraktion der SPD in der zweiten Lesung und Schlussabstimmung des Gesetzentwurfs der Landesregierung - Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes, Drs. 4/1307, ausgeführt (Plenarprotokoll 4/53 vom 09.03.2005, S. 2980, 2985 f.):

48

"Ich hielte es auch für einen vernünftigen Grund, auf Beitragserhebungen zu verzichten, wenn das bisherige Verfahren - wir leben ja nicht im luftleeren Raum, sondern in einer Wirklichkeit - eine Beitragssatzung als nicht durchsetzbar erscheinen lässt, wenn wir beispielsweise, und diesen Fall gibt es ja im Land, eine Situation haben, wo einst Beiträge erhoben worden sind, wo man auf eine reine Gebührenfinanzierung umgestiegen ist. Wenn wir jetzt in einer solchen Situation sagen würden, nein, wir gehen jetzt wieder zurück auf die Beiträge, ich glaube, dann würden wir uns öffentlich zum Affen machen. In einem solchen Fall soll die Ausnahmeregelung greifen."

49

Daneben nennt er weitere Umstände, die aus seiner Sicht bzw. der Sicht der Fraktion der SPD einen atypischen Fall begründen könnten (vgl. aber auch die Stellungnahme der Abgeordneten Schulz für die Fraktion des PDS, Plenarprotokoll 4/53 vom 09.03.2005, S. 2980, 2987).

50

Vor diesem Hintergrund gibt es zwar, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, keine "normative Kraft des Faktischen", aber möglicherweise eine normative Anerkennung des Faktischen durch den Gesetzgeber.

51

Das Verwaltungsgericht meint demgegenüber in seinem zwischen denselben Beteiligten ergangenen Beschluss vom 13. Januar 2009 - 3 B 2079/08 - (Beschwerdeverfahren Az. 1 M 19/09) unter Bezugnahme auf Sauthoff (in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: 09/05, § 8 Rn. 1614), auch eine die Entstehungsgeschichte der Vorschrift berücksichtigende Auslegung des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V führe zu der Annahme, dass der vom Zweckverband durchgeführte Wechsel des Refinanzierungssystems "jedenfalls im ländlichen Raum - wozu auch das Geschäftsgebiet des Antragsgegners zählt - unzulässig ist"; mit dieser Auffassung habe sich das OVG Mecklenburg-Vorpommern in seinem Beschluss vom 03. Dezember 2008 - 4 M 158/08 - nicht auseinandergesetzt. Hierzu ist zu bemerken, dass unter der angegebenen Fundstelle zu der Aussage des Verwaltungsgerichts lediglich die Stellungnahme des Landesrechnungshofes aus der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses (LTDrs. 4/1576, S. 43, 45) in einem kurzen Ausschnitt wiedergegeben wird, die zudem auch nicht dahin geht, dass pauschal jedenfalls im ländlichen Raum eine reine Gebührenfinanzierung bzw. Systemumstellung unzulässig sei, sondern dahin, dass "im ländlichen Raum ... dagegen der Verzicht auf die Beitragserhebung zu ökonomisch und sozial nicht mehr verträglichen Gebühren mit entsprechenden Vermeidungseffekten führen (dürfte)". Führte - was eine Überprüfung im Einzelfall erforderte - der Verzicht auf eine Beitragserhebung nicht zu derartigen Effekten, wäre folglich auch nach Auffassung des Landesrechnungshofes wohl eine Systemumstellung nicht von vornherein ausgeschlossen. Zudem verweist der Landesrechnungshof auch darauf, dass "nur dort, wo nur relativ wenige Beiträge entrichtet worden seien, ... daher verantwortbar die Rückzahlung der Beiträge in Erwägung gezogen werden (könne)". Diese Voraussetzungen könnten beim ZWAR gerade erfüllt sein. In seinem Beschluss vom 03. Dezember 2008 - 4 M 158/08 - hatte der 4. Senat auch keine Veranlassung, die Entstehungsgeschichte des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V umfassend zu würdigen; dennoch sind insoweit auch Gesichtspunkte angesprochen worden, die im zu entscheidenden Fall entstehungsgeschichtlich gegen einen Systemwechsel hätten sprechen können (unter Angabe einer Fundstelle, die auch bei Sauthoff, a.a.O., zitiert wird). Im Übrigen ist zum Gesichtspunkt der Entstehungsgeschichte auf die vorstehenden Erwägungen zu verweisen.

52

Die in demselben Beschluss des Verwaltungsgerichts enthaltene Argumentation gegen ein mögliche Interpretation des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V im vorstehenden Sinne, diese erscheine mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip und die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG bedenklich, ist für den Senat nicht nachvollziehbar, da sie ja ggfs. für die rechtliche Zulässigkeit eines Systemwechsels sprechen könnte. Wieso mit Blick auf die Soll-Bestimmung des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V und deren Auslegung "Fehler, die irreparabel und daher besonders schwerwiegend sind, abgabenrechtlich folgelos blieben", ist aufgrund der Pauschalität dieser Annahme nicht verständlich. Gleiches gilt für das Beispiel der "Überdimensionierung einer Anlage", die "im Rahmen einer Beitrags- oder Gebührenerhebung unbeachtlich sei".

53

b) Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung unabhängig tragend auch darauf gestützt, dass die Wasserversorgungsgebührensatzung vom 20. März 2008 i. d. F. der Änderung vom 03. September 2008 die aus dem Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragerhebung folgenden Anforderungen nicht hinreichend berücksichtige. Dem Verwaltungsgericht ist im Grundsatz darin zuzustimmen, dass dieser Grundsatz bzw. das Verbot der Doppelbelastung unter bestimmten Voraussetzungen einer Gebührenerhebung - teilweise - entgegenstehen kann; zweifelhaft erscheint jedoch seine Annahme, Grundlage des Verbots einer Doppelbelastung sei bereits das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht.

54

Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung besagt zum einen, dass die sachliche Beitragspflicht (abstrakte Beitragsschuld) für dieselbe öffentliche Einrichtung bzw. Teileinrichtung zu Lasten eines Grundstücks nur einmal entsteht. Ist sie entstanden, kann sie nach diesem Grundsatz nicht nachträglich zu einem anderen Zeitpunkt und in anderer Höhe noch einmal entstehen. Zum anderen schließt der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung das Verbot der Doppelbelastung in dem Sinne ein, dass ein Grundstück für dieselbe öffentliche Einrichtung bzw. Teileinrichtung - hinsichtlich desselben Aufwands - grundsätzlich nur einmal zu einem Beitrag herangezogen werden darf (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 08.07.2004 - 1 M 170/04 -, juris; Beschl. v. 20.11.2003 - 1 M 180/03 -, NordÖR 2004, 262; OVG Berlin/Brandenburg, Urt. v. 06.06.2007 - 9 A 77.05 -, LKV 2008, 377; OVG Weimar, Beschl. v. 03.05.2007 - 4 EO 101/07 -, juris; VGH München, Urt. v. 15.04.1999 - 23 B 97.1108 -; VGH Mannheim, Beschl. v. 05.11.1992 - 2 S 152/90 -; Beschl. v. 20.03.1991 - 2 S 1313/89 -Beschl. v. 20.03.1991 - 2 S 1313/89 -; Beschl. v. 19.07.1990 - 2 S 412/90 -: jeweils juris; VG Potsdam, Urt. v. 18.09.2008 - 9 K 1128/05 -, juris; VG Bayreuth, Urt. v. 07.07.1004 - B 4 K 04.578 -, juris; vgl. auch VGH Kassel, Beschl. v. 12.04.2005 - 5 TG 116/05 -, NVwZ-RR 2006, 143 - zitiert nach juris).

55

Die Einmaligkeit der Leistung des Kanalanschlussbeitrags folgt aus dem Wesen des Beitrags, der an einen bestimmten Zustand ("Möglichkeit der Inanspruchnahme") anknüpft und der den bei Verwirklichung des Zustands gebotenen wirtschaftlichen Vorteil insgesamt abgelten soll. Der Grundstückseigentümer erbringt die "Gegenleistung" für den ihm durch die Anschlussmöglichkeit gebotenen wirtschaftlichen Vorteil, der der Natur der Sache nach mit der Anschlussmöglichkeit entsteht und auch in der Zukunft in der Regel nicht verändert wird. Der Kanalanschlussbeitrag ist daher grundsätzlich nur einmal zu leisten (vgl. OVG Münster, Urt. v. 17.09.1980 - 2 A 1653/79 -, DVBl. 1981, 831 - zitiert nach juris). Die Einmaligkeit der Beitragserhebung ist Folge des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Vertrauensschutzgedankens (vgl. VGH München, Urt. v. 15.04.1999 - 23 B 97.1108 -, juris).

56

Das Bundesverwaltungsgericht spricht in seinem Urteil vom 16. September 1981 - 8 C 48.81 - (DVBl. 1982, 76 - zitiert nach juris) die Situation desjenigen, der bereits einen Anschlussbeitrag geleistet hat und der nach einer Systemumstellung zu Gebühren herangezogen werden soll, unter dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes bzw. Äquivalenzprinzips wie folgt an:

57

"Zwar trifft es zu, daß die Heranziehung zu Benutzungsgebühren nach einem für alle Benutzer geltenden einheitlichen Gebührensatz den Gleichheitssatz und ggf. das Äquivalenzprinzip im Hinblick auf solche Grundstückseigentümer verletzen kann, die im Gegensatz zu anderen Benutzern der Abwasseranlage Leistungen auf den Investitionsaufwand erbracht haben, der gemäß § 8 KAG durch Beiträge gedeckt werden kann. Wie das Berufungsgericht im Rahmen seiner das Landesrecht betreffenden Erwägungen dargelegt hat, wirkt sich die Erhebung von Beiträgen auf die Höhe der Benutzungsgebühren aus: Erhebt eine kommunale Körperschaft Beiträge, so führt dies zu einem niedrigeren Gebührensatz, weil bei der Ermittlung der Höhe der Kosten der aus Beiträgen aufgebrachte Anteil am Aufwand für die Abwasseranlage bei der Verzinsung unberücksichtigt bleibt (§ 6 Abs. 2 Satz 3 KAG). Sieht die kommunale Körperschaft von einer Beitragserhebung ab, erhöhen sich die Kosten und damit der Gebührensatz um die nunmehr (voll) zu berücksichtigenden Zinsen. Im Fall der Nichterhebung von Beiträgen verstößt die undifferenzierte Erhebung von Gebühren von denjenigen Benutzern der Abwasseranlage, die zu deren Aufwand beigetragen haben, im Verhältnis zu den übrigen Benutzern gegen den Gleichheitssatz. Denn erstere haben im Unterschied zu den übrigen Benutzern mit ihrer auf den Aufwand der Abwasseranlage bezogenen Leistung wirtschaftlich gesehen Anteile an den hier maßgebenden (höheren) Zinsen mittelbar erbracht. (Gleiche Rechtsfragen treten auf, wenn eine Gemeinde, die Beiträge und Gebühren erhoben hat, in Zukunft nur noch Gebühren erhebt oder wenn eine Gemeinde, die Beiträge erhoben hat, in eine Gemeinde eingegliedert wird, welche keine Beiträge, sondern nur Gebühren erhebt.) Zahlt die kommunale Körperschaft die erbrachte Leistung nicht zurück, so führt der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu der Pflicht, in der Satzung entsprechend unterschiedliche Gebührensätze festzusetzen oder bei Vorliegen von Einzelfällen den Ausgleich durch eine Billigkeitsregelung im Rahmen des Heranziehungsverfahrens vorzunehmen. ..."

58

Hieran anknüpfend hat das Bundesverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf das aus dem Gleichheitssatz folgende, durch ihn aber zugleich auch inhaltlich festgelegte sogenannte Verbot der Doppelbelastung oder Doppelveranlagung ausgeführt, eine abgabenrechtliche Doppelbelastung "k a n n" gegen den Gleichheitssatz verstoßen. Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht ausgesprochen, dass eine Pflicht der Gemeinde zur Differenzierung bei Benutzungsgebühren für eine Abwasseranlage beispielsweise dann bestehe, wenn ein Teil der Benutzer bereits zu Beiträgen für die Errichtung der Anlage herangezogen wurde, ein anderer Teil hingegen nicht. Anderenfalls würden die Benutzer, die bereits Beiträge entrichtet haben, unter Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz doppelt belastet. Ferner ist im Urteil vom 11. November 1987 - 8 C 49.86 - (BVerwGE 78, 275, 280) im Zusammenhang mit einer abwasserabgabenrechtlichen Umlage ausgeführt, für den Fall, dass bei der Bemessung dieser Umlage etwaige (Gebühren-)Vorleistungen außer Betracht blieben, führe das zu einer nicht mit dem Gleichheitssatz vereinbaren Doppelbelastung einzelner Umlageschuldner. Der Sache nach ging es in diesen Entscheidungen jeweils um Konstellationen, in denen eine Gruppe von Grundeigentümern im Verhältnis zu einer anderen Gruppe deshalb unterschiedlich belastet wurde, weil die Angehörigen der ersten Gruppe anders als die der zweiten Gruppe für die gleiche gemeindliche Leistung (Abwasserbeseitigung) in der einen oder anderen Weise "vorbelastet" waren und sich deshalb die nunmehr erfolgende gleichmäßige Abgabenerhebung als gleichheitswidrige Doppelbelastung auswirken konnte (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 26.02.1992 - 8 C 70.89 -, NVwZ 1992, 668; vgl. auch VG Bayreuth, Urt. v. 07.07.1004 - B 4 K 04.578 -, juris).

59

Im Ergebnis kann deshalb mit Blick auf die vom ZWAR vorgenommene Systemumstellung das Verbot der Doppelbelastung nicht nur einer nochmaligen Heranziehung zu einem Beitrag für denselben Aufwand entgegenstehen, sondern auch einer äquivalenten Gebührenerhebung.

60

Insoweit spricht vom Grundgedanken her Vieles dafür, dass jedenfalls diejenigen, die vom Antragsgegner bereits zu Trinkwasserbeiträgen herangezogen worden sind und diese tatsächlich entrichtet haben, nicht durch eine Gebührenerhebung, die teilweise zur Refinanzierung des Herstellungsaufwandes bestimmt ist, doppelt belastet werden dürfen. Entscheidet sich ein Aufgabenträger nachträglich für die Finanzierung des Herstellungsaufwandes seiner Anlage ausschließlich über Benutzungsgebühren, muss er einen entsprechenden Ausgleich vornehmen, um eine solche doppelte Belastung zu vermeiden. Dabei bieten sich vom Grundsatz her verschiedene Möglichkeiten an: Zunächst könnten unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen (vgl. dazu auch vorstehend unter 1.) die vereinnahmten Beiträge zurückgezahlt werden. In Betracht käme die Schaffung einer ortsgesetzlichen Regelung mit unterschiedlichen Gebührensätzen einerseits für die Grundstückseigentümer, die bereits einen Beitrag entrichtet haben, und andererseits für diejenigen, die dies noch nicht getan haben. Als weitere Option an Stelle der Schaffung einer satzungsrechtlichen Ausgleichsbestimmung wäre an eine Billigkeitsentscheidung im Einzelfall zu denken (§§ 163 Abs. 1 Satz 1, 227 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V; vgl. zum Ganzen OVG Münster, Urt. v. 17.09.1980 - 2 A 1653/79 -, DVBl. 1981, 831; BVerwG, Beschl. v. 22.03.2007 - 10 BN 5/06 -, NVwZ 2007, 955; Urt. v. 16.09.1981 - 8 C 48.81 -, DVBl. 1982, 76 -; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 06.06.2007 - 9 A 77.05 -, LKV 2008, 377; jeweils zitiert nach juris; OVG Weimar, Beschl. v. 03.05.2007 - 4 EO 101/07 -, juris; VG Potsdam, Urt. v. 18.09.2008 - 9 K 1128/05 -, juris). Die letztgenannte Vorgehensweise könnte allerdings einerseits fraglich sein, da vorliegend wohl nicht "Einzelfälle" im Sinne vereinzelter Fälle in Rede stehen und infolgedessen eine Satzungsbestimmung zu fordern sein könnte (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.09.1981 - 8 C 48.81 -, a.a.O.). Andererseits könnte eine möglicherweise zu hohe Komplexität einer solchen Bestimmung wiederum aus Gründen der Praktikabilität eine Billigkeitsentscheidung erlauben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.03.2007 - 10 BN 5/06 -, NVwZ 2007, 955; OVG Weimar, Beschl. v. 03.05.2007 - 4 EO 101/07 -, juris).

61

Vor diesem Hintergrund führte der Umstand, dass die Wasserversorgungsgebührensatzung 2008 keine satzungsrechtliche Ausgleichsbestimmung enthält, nicht ohne Weiteres bereits zur Annahme ihrer Gesamtunwirksamkeit bzw. zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Gebührenbescheides.

62

Wurde in der Vergangenheit ein Grundstück durch einen Bescheid wirksam zu einem Beitrag veranlagt und wurde der Beitrag entsprechend entrichtet, ist im Übrigen zu erwägen, ob nur dann Raum für eine erneute Heranziehung eines Grundstückseigentümers zu Benutzungsgebühren für denselben Aufwand besteht, wenn jener Bescheid bestandskräftig oder doch zumindest in sofort vollziehbarer Weise (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) oder durch rechtskräftiges Urteil aufgehoben worden ist (vgl. VGH München, Urt. v. 15.04.1999 - 23 B 97.1108 -; VGH Mannheim, Beschl. v. 05.11.1992 - 2 S 152/90 -; Beschl. v. 20.03.1991 - 2 S 1313/89 -; Beschl. v. 19.07.1990 - 2 S 412/90 -; jeweils juris). Dabei gewinnt wiederum der Umstand Bedeutung, ob nach Maßgabe des Ortsrechts überhaupt eine entsprechende Aufhebung rechtlich zulässig wäre (vgl. dazu unter 1.).

63

Da die Antragstellerin noch nicht zu einem Trinkwasserbeitrag herangezogen worden ist, fällt sie allerdings nicht unter die vorstehend umrissene Fallgruppe und könnte sich unter diesem Blickwinkel nicht auf das Verbot der Doppelbelastung berufen.

64

Das Verwaltungsgericht hat sich allerdings auf den Standpunkt gestellt, die Wasserversorgungsgebührensatzung 2008 berücksichtige die aus dem Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragerhebung folgenden Anforderungen nicht hinreichend, der ZWAR dürfte bei dem von ihm favorisierten reinen Gebührenmodell trotz einer beabsichtigten Rückzahlung der vereinnahmten Beiträge nicht ohne gespaltene bzw. gestaffelte Gebührensätze auskommen.

65

Abgesehen davon, dass das Verwaltungsgericht sich dabei nicht mit der - vorstehend erörterten - Frage befasst, ob dem ZWAR nicht noch eine andere Option zur Verfügung steht, begegnet seine hierfür maßgebliche rechtliche Erwägung im Hinblick auf den Maßstab der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Gebührenbescheides Bedenken. Das Verwaltungsgericht nimmt dabei den Standpunkt ein, Grundlage des Verbots einer Doppelbelastung und des daraus resultierenden Vertrauensschutzes sei nicht die Zahlung des Beitrags, sondern das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht, die durch die Aufhebung der Wasserversorgungsbeitragssatzung nicht berührt werde. Folglich führe die Rückzahlung vereinnahmter Beiträge nicht zu einem Wegfall des Verbots der Doppelbelastung. Alle diejenigen, zu deren Lasten die sachlichen Beitragspflichten entstanden seien, könnten sich vielmehr auf dieses Verbot berufen.

66

Soweit das Verwaltungsgericht in diesem Kontext der Auffassung ist, die Aufhebung der Wasserversorgungsbeitragssatzung könne keine Auswirkungen auf den Ablauf der Festsetzungsfrist haben, dürfte dem zwar zu folgen sein; eine Festsetzungsverjährung könnte nicht dadurch umgangen werden, dass eine rechtmäßige Beitragssatzung rückwirkend aufgehoben wird, nur um anschließend eine neue derartige Satzung zu erlassen. Es erscheint jedoch bereits vom Begriff des "Verbots der Doppelbelastung" fraglich, ob von einer doppelten Belastung im Wortsinne gesprochen werden kann, wenn es auf der einen Seite um die Belastung durch die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht ohne eine entsprechende Veranlagung durch Bescheid mit anschließender Zahlung geht, auf der anderen Seite aber um die von ihrer Qualität her andersartige Zahlung aufgrund einer Gebührenpflicht; anders formuliert ist zu erwägen, ob nicht eine "doppelte" Belastung eine gleichartige Belastung in Gestalt von - konkretisierten - Geldzahlungspflichten erfordert. Soweit ersichtlich wird das vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte Verständnis vom Inhalt des Verbots der Doppelbelastung anknüpfend allein an die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht in keiner der veröffentlichen Gerichtsentscheidungen hierzu vertreten (vgl. insoweit die oben angeführten Zitate). Vielmehr ist diesen Entscheidungen gemein, dass sie das Verbot der Doppelbelastung nur für Fälle einer bereits erfolgten Beitragsveranlagung durch entsprechenden Bescheid mit daraufhin erfolgter Zahlung in den Blick nehmen. Dies erscheint auch folgerichtig: In den betreffenden Entscheidungen werden grundsätzlich zwei Gruppen von Beitragspflichtigen gegenübergestellt, einerseits diejenigen, die bereits zu Beiträgen herangezogen worden sind, andererseits diejenigen, bei denen dies noch nicht erfolgt ist. Für diese unterschiedlichen Gruppen müssten dann im Rahmen der Gebührenerhebung Differenzierungen vorgenommen werden. Wäre die Auffassung des Verwaltungsgerichts richtig, müssten diese Gruppen anders, nämlich dergestalt gebildet werden, dass einerseits diejenigen zu betrachten wären, für die die sachliche Beitragspflicht entstanden ist, und andererseits diejenigen, für die dies nicht zutrifft. Eine solche Differenzierung wird jedoch - soweit ersichtlich - in der Rechtsprechung nicht vorgenommen.

67

Darüber hinaus ist zu beachten, dass etwa der VGH Baden-Württemberg das Eingreifen des Verbots der Doppelbelastung davon abhängig macht, dass das abstrakte, auf die Entstehung einer einmaligen Beitragsschuld grundsätzlich beschränkte Beitragsschuldverhältnis durch einen Beitragsbescheid konkretisiert worden ist (vgl. Beschl. v. 20.03.1991 - 2 S 1313/89 -; Beschl. v. 19.07.1990 - 2 S 412/90 -; jeweils juris).

68

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

69

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3, 47 GKG, wobei der streitige Abgabenbetrag - Differenz zwischen den festgesetzten Gebühren gemäß Bescheiden vom 07. Februar 2008 und 04. März 2008 - nach ständiger Rechtsprechung des Senats im Eilverfahren zu vierteln ist.

70

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kostenschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten des Kostengläubigers abzuwenden, wenn nicht der Kostengläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Nacherhebung eines Anschlussbeitrages für die Schmutzwasserbeseitigung.

2

Der Kläger ist Eigentümer des mit einem zweigeschossigen Einfamilienhaus und einem Ferienhaus bebauten und 2.191 qm großen Grundstücks Gemarkung ##, Flur #, Flurstück ###. Es ist an die von der Gemeinde Zingst betriebene zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen. Mit Bescheid vom 28. Juni 1995 hatte der Beklagte den Kläger zu Anschlussbeiträgen in Höhe von 5.076,36 EUR (9.928,50 DM) herangezogen, mit Nachveranlagungsbescheid vom 15. Oktober 1999 zu weiteren 1.514,47 (2.962,05 DM). Der Berechnung des Beitrages gemäß Bescheid vom 28. Juni 1995 war eine Grundstücksfläche von 1.500 m² (x 4,65 DM = 6.975,00 DM) und eine Geschossfläche von 179 m² (x 16,50 DM = 2.953,50 DM) zugrunde gelegt worden. Der Nachveranlagungsbescheid vom 15. Oktober 1999 legte eine beitragspflichtige Grundstücksfläche von 2.137 m² zugrunde (2.191 abzüglich 54 m² Wasserfläche), von der die bereits veranlagte Fläche von 1.500 m² in Abzug gebracht wurde. Den Betrag von 5.076,36 EUR zahlte der Kläger. Ein gegen den Bescheid vom 15. Oktober 1999 anhängig gemachtes Klageverfahren (VG Greifswald, Az. 3 A 1288/01) ist nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestellt worden.

3

Mit dem streitgegenständlichen Änderungsbescheid vom 16. Juni 2003 zum Nachveranlagungsbescheid vom 15. Oktober 1999 setzte der Beklagte im Wege der Nacherhebung einen Anschlussbeitrag in Höhe von 12.263,10 EUR fest. Im Bescheid heißt es, die Differenz zwischen dem bereits gezahlten und dem neu festgesetzten Anschlussbeitrag betrage 7.186,74 .

4

Auf den unter dem 23. Juni 2003 dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers reduzierte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 2004, zugestellt am 18. August 2004, den zu zahlenden Beitrag auf 3.656,80 EUR und wies den Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte u.a. aus, die bereits 1995 veranlagte Teilfläche von 1.500 m² habe wegen des Grundsatzes der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht erneut veranlagt werden dürfen. Für die Restfläche von 637 m² errechne sich eine beitragspflichtige Fläche von 891,80 m² (erstes Vollgeschoss: 100 %, zweites Vollgeschoss: 40 % - § 4 Abs. 3 der Abwasserbeitragssatzung). Bei einem Beitragssatz von 4,10 EUR ergebe sich ein Nacherhebungsbeitrag von 3.656,38 EUR.

5

Dagegen hat der Kläger am 20. September 2004 (Montag) Klage erhoben.

6

Zu ihrer Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt,

7

seine Heranziehung sei rechtswidrig. Es fehle an einer wirksamen Satzungsgrundlage. Die Abwasserbeitragssatzung des Beklagten vom 10. April 2003 sei bereits nicht ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden. Der "Zingster Strandbote", jedenfalls dessen Ausgabe vom April 2003, genüge wegen eines Verstoßes gegen § 6 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3 und 4 KV-DVO a. F nicht den gesetzlichen Anforderungen für ein amtliches Bekanntmachungsblatt. Die Satzung sei auch materiell-rechtlich unwirksam. §4 Abs. 2 Buchst. d ABS verstoße gegen den Gleichheitssatz. Zudem halte § 3 Abs. 2 ABS einer rechtlichen Überprüfung nicht stand, indem die Bestimmung ein Abweichen vom Buchgrundstücksbegriff zugunsten des wirtschaftlichen Grundstücksbegriffes auch dann zulasse, wenn die Anwendung des Buchgrundstücksbegriffes nicht zu gröblich unangemessenen Ergebnissen führen würde. Die Satzungsanwendung sei ebenfalls fehlerhaft. Eine Nacherhebung sei wegen des Grundsatzes der Einmaligkeit der Beitragserhebung unzulässig.

8

Der Kläger hat beantragt,

9

den Beitragsbescheid des Beklagten vom 16.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.08.2004 aufzuheben.

10

Der Beklagte hat beantragt,

11

die Klage abzuweisen.

12

Er hat vorgetragen,

13

die formell-rechtlichen Einwände gegen die Wirksamkeit der Abwasserbeitragssatzung seien unbegründet. Gleichwohl sei der "Zingster Strandbote" in seinem Erscheinungsbild geändert und die Abwasserbeitragssatzung im Februar 2005 vorsorglich erneut bekannt gemacht worden. § 4 Abs. 2 Buchst. d ABS verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Es sei rechtlich zulässig, die Grenze der baulichen oder gewerblichen Nutzung bei der am weitesten entfernten Gebäudegrenze zu ziehen. Außerdem gebe es in der Gemeinde Zingst keine übergreifende, nicht-bauliche gewerbliche Nutzung und damit den vom Kläger angesprochenen Fall nicht. Auch § 3 Abs. 2 ABS sei nicht zu beanstanden. Die Regelung sei auch kein einziges Mal angewendet, sondern stets das Grundstück im grundbuchrechtlichen Sinne zugrundegelegt und herangezogen worden.

14

Mit dem angefochtenen Urteil vom 20. September 2006 - 3 A 2268/04 - hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der rechtmäßige Bescheid finde seine Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung in der Gemeinde Seeheilbad Zingst (Abwasserbeitragssatzung) vom 10. April 2003, bekanntgemacht durch Veröffentlichung im "Zingster Strandboten" vom 16. April 2003. Die Vorgängersatzungen vom 26. Juni 1993 und

15

24. Mai 1996 seien unwirksam und schieden deswegen als Rechtsgrundlage aus.

16

Die Abwasserbeitragssatzung vom 10. April 2003 sei rechtswirksam. Sie sei ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden. Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 der Hauptsatzung der Gemeinde Ostseebad Zingst vom 07. Dezember 2001 erfolgten öffentliche Bekanntmachungen von Satzungen im amtlichen Bekanntmachungsorgan der Gemeinde, dem monatlich erscheinenden "Zingster Strandboten". Dieser genüge den Anforderungen des §6 Abs. 1 KV-DVO, insoweit werde auf den Beschluss der Kammer vom 11. Februar 2005 - 3 B 3820/04 - Bezug genommen. Darüber hinaus dürfte der klägerische Einwand wegen der Neubekanntmachung im "Zingster Strandboten" vom 18. Februar 2005 hinfällig geworden sein.

17

Die Satzung sei auch materiell-rechtlich wirksam und weise den erforderlichen Mindestinhalt auf.

18

Entgegen der Auffassung des Klägers sei insbesondere § 4 Abs. 2 Buchst. d ABS fehlerfrei. Die Bestimmung finde ihre Rechtfertigung darin, dass die in der Tiefenbegrenzung liegende Vermutung, wonach jenseits der Tiefengrenze der Außenbereich beginne, in Fällen sogenannter übergreifender baulicher bzw. gewerblicher Nutzung widerlegt sei und daher in diesen Fällen die beitragspflichtige Fläche durch die hintere Grenze der Nutzung begrenzt werde. Wenn der Kläger meine, dass die Regelung eine übergreifende gewerbliche Nutzung, die nicht zugleich bauliche Nutzung sei, nicht erfasse, berücksichtige er nicht, dass eine "nur gewerbliche" Nutzung, die nicht auch bauliche Nutzung sei, in Bezug auf die Schmutzwasserentsorgung kaum denkbar sei. Der Hinweis auf "zahlreiche" gewerbliche Grundstücksnutzungen, deren Grenze nicht durch eine bauliche Anlage gezogen werde, treffe nicht zu. Mit Blick auf den Grundsatz der konkreten Vollständigkeit habe der Beklagte zudem unwidersprochen dargelegt, dass es jedenfalls im Gebiet der Gemeinde Zingst kein Grundstück gebe, das jenseits der Tiefenbegrenzungslinie "nur gewerblich" genutzt würde, ohne dass zugleich eine (übergreifende) Gebäudenutzung vorhanden wäre. Fehlerhaft und damit unwirksam sei allerdings § 3 Abs. 2 ABS, wenn die Gemeinde nach dieser Bestimmung ermächtigt werde, unter dort näher genannten Voraussetzungen im Einzelfall den wirtschaftlichen Grundstücksbegriff anzuwenden. Der Fehler wirke sich aber auf die Rechtswirksamkeit der Satzung insgesamt nicht aus. An die Stelle der insoweit nichtigen Regelung trete der gesetzliche Grundstücksbegriff mit der Folge, dass die Satzung weiterhin zur Beitragserhebung geeignet sei. Der Satzungsfehler in § 3 Abs. 2 ABS habe sich auch nicht auf die Rechtmäßigkeit der Beitragskalkulation ausgewirkt. Der Beklagte habe unwidersprochen vorgetragen, dass die Regelung für die Berechnung der Beitragseinheiten in keinem einzigen Fall angewendet worden sei.

19

Auch die Satzungsanwendung sei nicht zu beanstanden. Rechtmäßig sei insbesondere die Nacherhebung des Beitrages. Ihr stehe der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht entgegen. In diesem Zusammenhang gehe das Verwaltungsgericht von folgenden Grundsätzen - nach Maßgabe seines Beschlusses vom 27. Februar 2006 - 3 B 3023/05 - aus: Dem Beitragswesen immanent sei das Merkmal der Einmaligkeit. Der Grundsatz der Einmaligkeit schränke zugleich auch die Möglichkeit einer Nacherhebung ein. Jedoch schließe die grundsätzlich bestehende - auch nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V fortgeltende - Verpflichtung, Beiträge nach Maßgabe der geltenden landes- und ortsrechtlichen Vorschriften zu erheben, die Verpflichtung ein, einen entstandenen Beitragsanspruch in vollem Umfang geltend zu machen. Sei ein Beitragspflichtiger - etwa weil die für sein Grundstück verteilungsrelevante Fläche ohne rechtfertigenden Grund (versehentlich) nur zum Teil berücksichtigt worden sei - oder seien alle Beitragspflichtigen - etwa weil ein Rechnungsposten bei der Ermittlung des beitragsfähigen Aufwandes übersehen worden sei - zu niedrig veranlagt worden, sei die Gemeinde regelmäßig gehalten, bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung durch selbständige Bescheide entsprechende Nachforderungen zu erheben, um dadurch ihren Beitragsanspruch voll auszuschöpfen. Die Bestandskraft eines Heranziehungsbescheides, mit dem ein zu niedriger Beitrag verlangt worden sei, stehe einer Nacherhebung durch einen weiteren (selbständigen) Bescheid, mit dem der noch nicht ausgeschöpfte Teil eines entstandenen Beitragsanspruch gefordert werde, nicht entgegen. Insbesondere hinderten Vertrauensschutzgesichtspunkte eine Nacherhebung nicht. Denn der Betroffene müsse sich entgegenhalten lassen, dass die Gemeinde ihre Leistungen unter anderem auch zu seinen Gunsten erbracht habe und dass sie und die hinter ihr stehende Allgemeinheit die volle dafür nach dem Gesetz entstandene Gegenleistung fordern könnten, und zwar nicht nur im Interesse des Haushalts der Gemeinde, sondern auch im Interesse der Beitragsgerechtigkeit. Allerdings seien über die Verweisung des § 12 Abs. 1 KAG M-V die §§ 172 ff. AO über die nachträgliche Aufhebung und Änderung von bestandskräftigen Steuerbescheiden entsprechend anwendbar. Diese Vorschriften stünden aber einer Nachveranlagung nicht entgegen, weil durch den Nacherhebungsbescheid der (bestandskräftige) frühere Heranziehungsbescheid nicht im Sinne der genannten Vorschriften aufgehoben oder abgeändert, sondern lediglich der Beitragsanspruch ausgeschöpft werde. Die Gegenauffassung berücksichtige nicht genügend das den Entgeltabgaben zugrunde liegende Prinzip von Leistung und Gegenleistung. Die §§ 172 ff. AO basierten auf einem vorrangigen Vertrauensschutz gegenüber bestandskräftigen Steuerbescheiden, wobei Steuern ohne Gegenleistung geschuldet würden. Bei Entgeltabgaben stehe demgegenüber die Zahlungspflicht in unmittelbarer Beziehung zu einer von der Allgemeinheit erbrachten Leistung. Es sei kein sachlicher Grund erkennbar, dass eine fehlerhafte Abgabenfestsetzung nicht innerhalb der Festsetzungsfrist auch zu Lasten des Abgabenschuldners behoben werden sollte. Dabei sei zu beachten, dass die Unabänderbarkeit fehlerhafter Bescheide, die Beiträge zu niedrig festgesetzt hätten, zu einem Defizit führen würde, das entweder durch Abgabenerhöhung von den übrigen Benutzern der Einrichtung oder vom Steuerzahler getragen werden müsste.

20

Gemessen an diesen Grundsätzen sei die in dem angefochtenen Bescheid erfolgte Nachveranlagung nicht zu beanstanden. Der Beklagte habe lediglich den in den vorherigen Beitragsbescheiden unberücksichtigt gebliebenen Teilbetrag des Anschlussbeitrags festgesetzt. Hierzu sei er nach der Beitragssatzung und dem genannten Grundsatz, den entstandenen Beitragsanspruch in vollem Umfang geltend zu machen, auch verpflichtet gewesen. Im Übrigen komme es für die Frage, ob die Einmaligkeit der Beitragserhebung verletzt sei, auf den Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht an. Das bedeute, eine Nacherhebung sei immer dann zulässig und geboten, wenn - wie vorliegend - der (niedrigere) Beitrag zunächst auf Grundlage einer Satzung errechnet und erhoben worden sei, die sich später als rechtsunwirksam erwiesen habe. Hier sei zu berücksichtigen, dass die sachliche Beitragspflicht erstmals mit Inkrafttreten der Abwasserbeitragssatzung von 2003 entstanden sei. Offen bleiben könne, ob die Reduzierung des Nacherhebungsbetrages im Widerspruchsbescheid rechtmäßig gewesen sei. Denn dies verletze den Kläger jedenfalls nicht in seinen Rechten. Schließlich sei die Beitragsforderung nicht in Folge Festsetzungsverjährung erloschen.

21

Das Urteil ist dem Kläger am 02. Oktober 2006 zugestellt worden. Auf den am 01. November 2006 eingegangenen und unter dem 04. Dezember 2006 (Montag) begründeten Antrag hin hat der Senat mit Beschluss vom 22. Oktober 2009, dem Kläger am 26. Oktober 2009 zugestellt, die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Unter dem 16. November 2009 hat der Kläger seine Berufung begründet.

22

Er hält die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dem angefochtenen Nacherhebungsbescheid stünde trotz Bestandskraft des ursprünglichen Heranziehungsbescheides §12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. den §§172 ff. AO nicht entgegen, für unzutreffend. Gegenstand der Kanalbaubeitragspflicht sei nach dem KAG M-V (a.F.) der auf die Eigentümer der bevorteilten Grundstücke umzulegende Aufwand für die - hier erstmalige - Herstellung der öffentlichen Abwasseranlagen der Gemeinde Zingst, wobei die Beiträge "nach den Vorteilen zu bemessen" seien. Die Vorteilsbemessung bzw. gleichheitsgerechte Verteilung des Aufwandes auf die Eigentümer der bevorteilten Grundstücke habe der Gesetzgeber den Kommunen überlassen. Anknüpfungspunkt für die gleichheitsgerechte Bemessung des Beitragssatzes für einen Kanalbaubeitrag könne richtigerweise nur die Größe bzw. Bebaubarkeit des bevorteilten Grundstücks selbst sein. Hieran habe sich die Gemeinde Zingst mit ihren Vorgängersatzungen vom 26. Juni 1993 und vom 24. Mai 1996 auch gehalten, selbst wenn diese Satzungen - wovon auch er ausgehe - im Ergebnis nichtig gewesen seien. Im vorliegenden Fall habe sich weder die Grundstücksfläche noch die Bebaubarkeit seines Grundstücks im Zuge der Nacherhebung verändert. Die Nacherhebung sei nichts anderem geschuldet gewesen als dem mehrfach geänderten Satzungsrecht der Gemeinde Zingst, nicht aber dem Umstand, dass sein Grundstück etwa "nur teilweise" von den Vorgängersatzungen berücksichtigt und veranlagt worden sei, sodass er "für" sein Grundstück mit dem Ursprungsbescheid hinsichtlich des Herstellungsaufwandes für die öffentlichen Abwasseranlagen der Gemeinde Zingst bereits "vollständig" und bestandskräftig veranlagt worden sei. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die §§ 172 ff. AO vorliegend deswegen nicht anwendbar seien, weil Steuern grundsätzlich ohne, Beiträge dagegen für eine Gegenleistung des Staates erhoben würden, möge allenfalls als Hinweis an den Gesetzgeber verstanden werden. Dieser habe nämlich auch mit § 12 Abs. 1 KAG M-V n. F. geregelt, dass auf Kommunalabgaben die Vorschriften der Abgabenordnung entsprechend anwendbar seien, während eine ganze Anzahl von Bundesländern mit ihren Kommunalabgabengesetzen insoweit Einschränkungen gemacht hätten. Es bedürfe keiner richterlichen "Korrektur" des § 12 Abs. 1 KAG M-V im Sinne der Gesetze anderer Bundesländer. Der Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern habe nämlich den Abgaben erhebenden Behörden durch vorbehaltlose Anordnung der entsprechenden Anwendung der Abgabenordnung genügend Instrumente an die Hand gegeben, im Zweifel genau die Probleme zugunsten der öffentlichen Haushalte zu lösen, die das Verwaltungsgericht wegen Satzungsfehlern - d. h. wegen Fehlern von Rechtsnormen - zulasten der Bürger lösen wolle. Denn eine Abgaben erhebende Behörde sei durch nichts daran gehindert (gewesen), wegen § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 164 AO einen Kanalbaubeitragsbescheid unter den Vorbehalt der Nachprüfung zu stellen. Dass die Behörden dies regelmäßig nicht tun würden, dürfe die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht dazu veranlassen, entgegen § 12 Abs. 1 KAG M-V die Abgabenordnung nur auf kommunale Steuern anzuwenden. Angesichts dessen, dass kommunale Steuern gegenüber Beiträgen und Gebühren nur einen verschwindend geringen Anteil ausmachten, wäre es nicht erklärlich, wenn der Gesetzgeber die §§172 ff. AO nur auf kommunale Steuern angewendet wissen wollte. Im Hinblick auf die Bestimmung des § 12 Abs. 1 KAG M-V sei nicht mehr zu fragen, ob auch auf Kanalbaubeiträge die §§ 172 AO ff. "entsprechend" anwendbar seien. Schließlich seien dem Gesetzgeber im Hinblick auf die Kommentierungen zum KAG a. F. die Konsequenzen für eine Nacherhebung bekannt gewesen, wenn er die Anwendung der §§ 172 ff. AO nicht bei Novellierung des KAG ausschließen würde. Er habe dennoch an der uneingeschränkten Verweisung in § 12 Abs. 1 KAG M-V festgehalten.

23

Er, der Kläger, halte außerdem die Abwasserbeitragssatzung der Gemeinde Zingst vom 10. April 2003 (ABS) auch in ihrer Fassung der 1. Änderungssatzung vom 25. April 2008 deshalb für nichtig, weil sie einen fehlerhaften Beitragsmaßstab aufweise. So regele § 4 Abs. 2 Buchst. e ABS den Fall einer gegenüber einer baulichen oder gewerblichen Nutzung eines Grundstücks "sonstigen" Nutzung, also eine solche, die gerade nicht baulich oder gewerblich sei. Es sei widersprüchlich, dass die Regelung für eine sonstige Nutzung zur Bestimmung der maßgeblichen Grundstücksfläche gleichwohl an eine anschließbare Baulichkeit und weitergehend gar an ein auf dem Grundstück stehendes Gebäude anknüpfe. Zudem sei auch § 4 Abs. 2 Buchst. c Satz 2 ABS rechtswidrig. Wegen der mit dieser Regelung erfolgenden "doppelten" Anwendung der Tiefenbegrenzung wäre ein 140 m tiefes Grundstück, welches in dieser Tiefe beidseits durch jeweils eine Straße erschlossen wäre, ohne sachlichen Grund beitragsfrei. Er halte schließlich daran fest, dass eine Beitragssatzung nur dann ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht werden könne, wenn die Hauptsatzung der Gemeinde in Bezug auf ihre Regelungen über die öffentliche Bekanntmachung von Satzungen ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden sei.

24

Der Kläger beantragt,

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das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 20. September 2006 - 3 A 2268/04 - zu ändern und den Änderungsbescheid des Beklagten vom 16. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2004 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

28

Er verteidigt das angefochtene Urteil und trägt im Wesentlichen vor, der Grundsatz der Einmaligkeit stehe einer Nacherhebung nicht entgegen; dieser sei nicht gleichbedeutend mit einem Grundsatz der Einmaligkeit des Beitragsbescheides. Der Kläger gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass § 12 Abs. 1 KAG M-V die Anwendung der Abgabenordnung vorbehaltlos anordne. Denn die Abgabenordnung gelte nur "entsprechend". Die Aufnahme des Begriffs "entsprechend" berücksichtige die Unterschiede bei den Regelungsgegenständen der Abgabenordnung einerseits und des Kommunalabgabenrechts andererseits. Es sei jeweils zu prüfen, ob eine in der Abgabenordnung getroffene, sich auf Steuern beziehende Regelung dem Wesen etwa kommunaler Entgeltabgaben gerecht werde. Das den Entgeltabgaben zugrundeliegende Prinzip von Leistung und Gegenleistung verlange, dass eine - gleichgültig aus welchem Grunde - zu niedrig festgesetzte Abgabe innerhalb der Festsetzungsfrist bis zur richtigen Höhe nacherhoben werden müsse, um die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung herzustellen. Diesem Prinzip stünden die §§ 172 ff. AO von ihrem Sinn und Zweck her nicht unproblematisch, wenn nicht sogar unvereinbar gegenüber. Sie könnten daher im Bereich der Entgeltangaben keine strikte Anwendung finden. So habe das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern bereits entschieden, dass die §§ 172 ff. AO auf Erschließungsbeiträge nicht anwendbar seien. Entsprechendes müsse für Anschlussbeiträge gelten. § 9 Abs. 1 KAG M-V verlange eine Ausschöpfung des Beitragsanspruchs. Jedenfalls habe er sein ihm in der Gesamtschau der Regelungen der §§ 172 ff. AO zustehendes Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Ein hinsichtlich der Beitragshöhe zu niedriger Bescheid sei im Übrigen ein ausschließlich belastender Verwaltungsakt, der keine begünstigenden Elemente aufweise. Eine Begünstigung liege nur vor, soweit sie im Verwaltungsakt ausdrücklich ausgesprochen worden sei, wenn also die Behörde ausnahmsweise und verbindlich zum Ausdruck bringe, dass sie von einer Mehrforderung absehen wolle. Einen solchen Anschein habe er nicht erweckt. Auch das rechtsstaatliche Gebot des Vertrauensschutzes stehe einem Nachveranlagungsbescheid nicht entgegen. Der Beitragsschuldner müsse sich im Rahmen einer Interessenabwägung entgegenhalten lassen, dass der Beitrag ein Entgelt für eine Leistung der Gemeinde sei. Er könne nicht erwarten, diese zu Lasten der Allgemeinheit ohne volle Gegenleistung und kostengünstiger als andere zu erhalten. Erst durch die Nacherhebung sei eine "nach den Vorteilen zu bemessende" Veranlagung erfolgt. Der Beklagte verteidigt schließlich die Maßstabsregelungen des §4 Abs. 2 Buchst. c Satz 2 und Buchst. e ABS.

29

Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, die Gerichtsakte im Verfahren Az. 1 L 324/06 samt Beiakten sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

30

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Änderungsbescheid vom 16. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2004 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

31

Der angefochtene Bescheid findet seine nach § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung in der Gemeinde Seeheilbad Zingst (Abwasserbeitragssatzung - ABS) vom 10. April 2003; der Senat legt dabei in Übereinstimmung mit den Beteiligten und dem Verwaltungsgericht zugrunde, dass die Vorläufersatzungen nicht wirksam gewesen sind (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 09.04.2002 - 1 M 1/02 -, juris; VG Greifswald, Urt. v. 12.01.2005 - 3 A 2331/01 -). Die Satzung ist wirksam (1.) und die konkrete Rechtsanwendung nicht zu beanstanden (2.).

32

1. Die Wirksamkeit der Abwasserbeitragssatzung unterliegt weder unter dem Blickwinkel ihrer ordnungsgemäßen Bekanntmachung (a) noch hinsichtlich ihrer seitens des Klägers angegriffenen Maßstabsregelungen (b) durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

33

a) Der Senat stimmt dem Verwaltungsgericht zunächst darin zu, dass die Abwasserbeitragssatzung - jedenfalls zwischenzeitlich - wirksam bekannt gemacht worden sei (§ 130b Satz 2 VwGO). Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Bekanntmachung im "Zingster Strandboten" im April 2003 auch mit Blick darauf nicht zu beanstanden ist, dass nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 KV-DVO a.F. das amtliche Bekanntmachungsblatt durch seine Bezeichnung auf seinen amtlichen Charakter und den Träger der öffentlichen Verwaltung, der es herausgibt, hinweisen muss. Denn insoweit sind - ohne dass dies den normunterworfenen Bürger überfordern würde - "Zingster Strandbote" und die konkrete Beilage, in der die Abwasserbeitragssatzung abgedruckt worden ist, im Zusammenhang zu betrachten. Schon die äußere Gestaltung der Beilage mit dem Aufdruck "Gemeinde Seeheilbad Zingst", dem darunter befindlichen Gemeindewappen, das sich - worauf das Verwaltungsgericht hingewiesen hat - auch auf dem "Zingster Strandboten" findet, und der Auflistung der verschiedenen Satzungen, die im Inhalt zu finden sind, lässt keinen Zweifel am amtlichen Charakter des Bekanntmachungsblattes und hinsichtlich des herausgebenden Trägers der öffentlichen Verwaltung zu (vgl. auch das Impressum der Beilage, in dem die Gemeindeverwaltung Zingst als Herausgeber bezeichnet ist). Zudem ist die Bekanntmachung jedenfalls im Februar 2005 wirksam nachgeholt worden. Soweit der Kläger - nachdem er den rechtlichen Gesichtspunkt der Bekanntmachung zunächst zweitinstanzlich nicht mehr thematisiert hatte - in seinem Schriftsatz vom 07. Dezember 2009 vorgetragen hat, er halte daran fest, dass eine Beitragssatzung nur dann ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht werden könne, wenn die Hauptsatzung der Gemeinde in Bezug auf ihre Regelungen über die öffentliche Bekanntmachung von Satzungen selbst ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden sei, handelt es sich lediglich um eine rechtliche Feststellung. Der Kläger trägt damit schon selbst nicht ausdrücklich vor, dass die Bekanntmachung der Hauptsatzung fehlerhaft gewesen sein könnte. Jedenfalls ist dieses Vorbringen dermaßen unspezifiziert, dass der Senat keine Veranlassung gesehen hat, hier gleichsam "ins Blaue" weitere Ermittlungen von Amts wegen vorzunehmen. Schließlich spricht mit Blick auf das vorliegende Exemplar der Hauptsatzung, das als Beilage zum "Zingster Strandboten" im Dezember 2001 erschienen ist, unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen nichts für einen Bekanntmachungsfehler.

34

b) Die in der Abwasserbeitragssatzung enthaltenen, vom Kläger angegriffenen maßstäblichen Regelungen sind wirksam.

35

Soweit der Kläger rügt, die Maßstabsregelung des § 4 Abs. 2 Buchst. e ABS sei mit Blick auf die Bestimmungen, die Grundstücke mit baulicher bzw. möglicher baulicher Nutzung erfassten, widersprüchlich und damit gleichheitswidrig, dringt er damit nicht durch.

36

Nach § 4 Abs. 2 Buchst. e Satz 1 ABS gilt als Grundstücksfläche bei Grundstücken, für die im B-Plan eine sonstige Nutzung (z.B. als Sportplatz, Grünfläche, Friedhof) festgesetzt ist oder die innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles (§ 34 BauGB) tatsächlich so genutzt werden, die Grundfläche der an die Anlage zur zentralen Schmutzwasserbeseitigung anschließbaren Baulichkeiten geteilt durch die Grundflächenzahl 0,2, höchstens jedoch die tatsächliche Grundstücksgröße. In den nachfolgenden Sätzen schließen sich Regelungen zur Zuordnung der so ermittelten Abgeltungsfläche an.

37

Diese Vorschrift regele - so meint der Kläger - den Fall einer gegenüber einer baulichen oder gewerblichen Nutzung eines Grundstücks "sonstigen" Nutzung, also nur eine solche, die gerade nicht baulich oder gewerblich sei. Es sei daher ein Widerspruch in sich, dass die Regelung für eine sonstige Nutzung in diesem Sinne zur Bestimmung der maßgeblichen Grundstücksfläche gleichwohl an eine anschließbare Baulichkeit und sodann weitergehend gar an ein auf dem Grundstück stehendes Gebäude anknüpfe.

38

Dieses Vorbringen geht fehl. Das Merkmal der "sonstigen" Nutzung will nicht besagen, dass mit der Satzungsregelung nur Grundstücke ohne jede Bebauung/Bebauungsmöglichkeit erfasst werden sollen, sondern will - so das zutreffende Vorbringen des Beklagten - Grundstücke mit bestimmten "sonstigen" (= untergeordneten baulichen) Nutzungen wie Sportplätze durch einen Artabschlag erfassen und begünstigen, ohne dass damit auf den entsprechenden Flächen angeschlossene oder anschließbare Baulichkeiten ausgeschlossen würden. Eine solche Regelung, die den atypisch niedrigen Vorteil solcher Flächen berücksichtigen will, begegnet keinen Bedenken und liegt im ortsgesetzgeberischen Ermessen (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 24.03.2004 - 1 L 58/02 -, juris).

39

Auch die Rüge, die Maßstabsregelung des § 4 Abs. 2 Buchst. c Satz 2 ABS stelle als "doppelte" Anwendung der Tiefenbegrenzung eine sachwidrige Privilegierung dar, führt nicht zum Erfolg der Berufung. Gemäß § 4 Abs. 2 Buchst. c ABS gilt als Grundstücksfläche bei Grundstücken, für die kein B-Plan besteht und die innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegen (§34 BauGB), die Gesamtfläche des Grundstücks, höchstens jedoch die Fläche zwischen der Straßengrenze der dem Innenbereich zugewandten Straße und einer im Abstand von siebzig Meter dazu verlaufenden Parallelen (Satz 1). Liegt das Grundstück an mehreren Straßen, so ist die Tiefenbegrenzung von jeder einer Straßenseite zugewandten Grundstücksseite anzusetzen (Satz 2).

40

Der Kläger meint, wegen der in Satz 2 der Regelung aus seiner Sicht vorgesehenen "doppelten" Anwendung der Tiefenbegrenzung wäre ein 140 m tiefes Grundstück, welches beidseits durch eine Straße erschlossen ist, beitragsfrei. Wie der Beklagte zutreffend ausführt, ist jedoch das Gegenteil der Fall, die Gesamtfläche wäre in diesem Fall beitragspflichtig. Die von jeweils einer Straße aus gesehen der Beitragspflicht unterliegende Fläche mit einer Tiefe von siebzig Metern geht der Freistellung derselben Fläche durch die Tiefenbegrenzung ausgehend von der anderen Straße vor.

41

2. Die mit dem streitgegenständlichen Bescheid vorgenommene Beitragsnacherhebung, mit der der Kläger zusätzlich zu dem durch Anschlussbeitragsbescheid vom 28. Juni 1995 ursprünglich festgesetzten und bezahlten Beitrag von 5.076,36 EUR (9.928,50 DM) nochmals zu einem Betrag 3.656,38 EUR herangezogen wird, ist rechtmäßig.

42

Eine solche Nacherhebung ist unter den vorliegenden Sachverhaltsgegebenheiten, insbesondere der Unwirksamkeit der Vorgängersatzungen, grundsätzlich zulässig und auch in der konkreten Rechtsanwendung ohne Rechtsfehler durchgeführt worden.

43

Der Beklagte ist nach Maßgabe des Kommunalabgabengesetzes M-V und auf der Grundlage der Abwasserbeitragssatzung grundsätzlich berechtigt und verpflichtet, eine Nacherhebung in dem Sinne vorzunehmen, dass er einen wirksam entstandenen Anschlussbeitragsanspruch voll ausschöpft, soweit dies noch nicht durch eine erste Beitragserhebung erfolgt ist. Einer solchen Nacherhebung stehen der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragerhebung, die Rechtsfolgen der Bestandskraft des Erstheranziehungsbescheides und der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ebenso wenig entgegen wie die Bestimmung des § 12 Abs. 1 KAG M-V und die darin enthaltene Verweisung auf die Bestimmungen der Abgabenordnung.

44

Eine Nacherhebung ist zwar weder ausdrücklich Gegenstand der der Beitragserhebung zugrunde liegenden Abwasserbeitragssatzung noch finden sich insoweit Bestimmungen im Kommunalabgabengesetz M-V, die ausdrücklich die Möglichkeit einer Nacherhebung in Fällen der vorliegenden Art vorsehen. Auch ist die Beitragserhebung im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen insoweit nicht bundesrechtlich determiniert und die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschl. v. 10.09.1998 - 8 B 103.98 -, juris; Beschl. v. 10.09.1998 - 8 B 102.98 -, juris; Urt. v. 26.01.1996 - 8 C 14.94 -, NVwZ-RR 1996, 465; Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 115.86 -, NVwZ 1988, 938; Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163; vgl. auch Beschl. v. 19.05.1999 - 8 B 61.99 -, NVwZ 1999, 1218; Beschl. v. 05.03.1997 - 8 B 37.97 -, Buchholz 406.11 § 127 BauGB Nr. 86; Beschl. v. 12.08.1991 - 8 B 108.91 -; Urt. v. 07.07.1989 - 8 C 86.87 -, BVerwGE 82, 215 - jeweils zitiert nach juris; vgl. auch OVG Greifswald, Beschl. v. 19.11.2007 - 1 L 1/07 -, juris) zur Verpflichtung der Kommunen, einen entstandenen Erschließungsbeitragsanspruch ggfs. auch im Wege der Nacherhebung auszuschöpfen, nicht unmittelbar einschlägig. Die Frage der rechtlichen Zulässigkeit einer Nacherhebung ist eine solche des irrevisiblen Landesrechts (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.09.1998 - 8 B 103.98 -, juris; Beschl. v. 10.09.1998 - 8 B 102.98 -, juris).

45

Wie im Erschließungsbeitragsrecht ergibt sich jedoch aus den landesrechtlichen Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes M-V grundsätzlich auch im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen das Recht und die Verpflichtung der beitragserhebenden Körperschaft, eine Nacherhebung in dem Sinne vorzunehmen, dass sie einen wirksam entstandenen Anschlussbeitragsanspruch voll ausschöpft, soweit dies etwa auf der Basis einer früheren unwirksamen Satzung noch nicht durch eine erste Beitragserhebung erfolgt ist.

46

Die rechtliche Zulässigkeit der Nacherhebung und die Pflicht zur Ausschöpfung der kommunalen Beitragsanspruchs lässt sich - so zutreffend das Verwaltungsgericht - zunächst grundsätzlich § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V (wie schon der Vorläuferbestimmung des § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG a. F.) entnehmen.

47

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V sollen zur Deckung des Aufwandes für die Anschaffung und Herstellung der notwendigen öffentlichen Einrichtungen zur leitungsgebundenen Versorgung mit Wasser oder Wärme oder zur leitungsgebundenen Abwasserentsorgung Anschlussbeiträge erhoben werden. Nur in atypischen Situationen kann von dieser "Soll"-Bestimmung abgewichen werden (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 25.05.2009 - 1 M 157/08 -, juris). Beiträge sind dabei Geldleistungen, die dem Ersatz des Aufwandes insbesondere für die Herstellung öffentlicher Einrichtungen dienen (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V). Sie werden nach näheren gesetzlichen Maßgaben als Gegenleistung dafür erhoben, dass den Beitragspflichtigen durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme Vorteile geboten werden (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V). Aus diesem Regelungszusammenhang ergibt sich die grundsätzliche Vorstellung des Landesgesetzgebers, dass die Herstellungskosten einer öffentlichen Einrichtung - ggfs. bis zur Höhe eines in rechtmäßiger Ausübung ortsgesetzgeberischen Ermessens festgesetzten bzw. mit der Beitragserhebung zu erzielenden Kostendeckungsgrades - vollständig als Gegenleistung für die Verschaffung der Möglichkeit einer Inanspruchnahme der Ver- oder Entsorgungseinrichtung durch Beiträge gedeckt werden sollen. Daraus folgt, dass grundsätzlich im Falle einer bei erstmaliger Heranziehung unterbliebenen Ausschöpfung des Beitragsanspruchs für die beitragserhebende Körperschaft die Möglichkeit bestehen muss, eine solche Ausschöpfung - zeitlich limitiert bis zur Grenze der Festsetzungsverjährung - durch eine Nacherhebung zu erreichen. Dies galt erst recht nach Maßgabe von § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V a.F. Diese Vorschrift regelte noch strenger als § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V, dass Beiträge "zu erheben sind".

48

Dieser Annahme steht zunächst - anders als der Kläger meint - nicht der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung entgegen, der insbesondere nach Maßgabe der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern auch im Abgabenrecht des Landes Mecklenburg Vorpommern Geltung beansprucht.

49

Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung besagt zum einen, dass die sachliche Beitragspflicht (abstrakte Beitragsschuld) für dieselbe öffentliche Einrichtung bzw. Teileinrichtung zu Lasten eines Grundstücks nur einmal entsteht. Ist sie entstanden, kann sie nicht nachträglich zu einem anderen Zeitpunkt und in anderer Höhe noch einmal entstehen. Zum anderen schließt der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung das Verbot der Doppelbelastung in dem Sinne ein, dass ein Grundstück für dieselbe öffentliche Einrichtung bzw. Teileinrichtung - hinsichtlich desselben Aufwands - grundsätzlich nur einmal zu einem Beitrag herangezogen werden darf (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 25.05.2009 - 1 M 157/08 -, juris; Beschl. v. 08.07.2004 - 1 M 170/04 -, juris; Beschl. v. 20.11.2003 - 1 M 180/03 -, NordÖR 2004, 262; OVG Berlin/Brandenburg, Urt. v. 06.06.2007 - 9 A 77.05 -, LKV 2008, 377; OVG Weimar, Beschl. v. 03.05.2007 - 4 EO 101/07 -, juris; VGH München, Urt. v. 15.04.1999 - 23 B 97.1108 -; VGH Mannheim, Beschl. v. 05.11.1992 - 2 S 152/90 -; Beschl. v. 20.03.1991 - 2 S 1313/89 -Beschl. v. 20.03.1991 - 2 S 1313/89 -; Beschl. v. 19.07.1990 - 2 S 412/90 -: jeweils juris; VG Potsdam, Urt. v. 18.09.2008 - 9 K 1128/05 -, juris; VG Bayreuth, Urt. v. 07.07.2004 - B 4 K 04.578 -, juris; vgl. auch VGH Kassel, Beschl. v. 12.04.2005 - 5 TG 116/05 -, NVwZ-RR 2006, 143 - zitiert nach juris). Die Einmaligkeit der Leistung des Kanalanschlussbeitrags folgt aus dem Wesen des Beitrags, der an einen bestimmten Zustand ("Möglichkeit der Inanspruchnahme") anknüpft und der den bei Verwirklichung des Zustands gebotenen wirtschaftlichen Vorteil insgesamt abgelten soll. Der Grundstückseigentümer erbringt die "Gegenleistung" für den ihm durch die Anschlussmöglichkeit gebotenen wirtschaftlichen Vorteil, der der Natur der Sache nach mit der Anschlussmöglichkeit entsteht und auch in der Zukunft in der Regel nicht verändert wird. Die Einmaligkeit der Beitragserhebung ist auch Folge des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Vertrauensschutzgedankens (vgl. VGH München, Urt. v. 15.04.1999 - 23 B 97.1108 -, juris; vgl. zum Ganzen OVG Greifswald, Beschl. v. 25.05.2009 - 1 M 157/08 -, juris).

50

Nach Maßgabe von § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V (vgl. auch § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. und die dazu ergangenen Rspr. des OVG Greifswald, etwa Beschl. v. 21.07.2006 - 1 M 60/06 -, juris) entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Mit dem Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung geht das Landesrecht davon aus, dass der beitragsrelevante Vorteil mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung bereits vollständig ausgebildet ist und die Erhebung des Beitrags in voller Höhe rechtfertigt. Auch die Höhe des Beitrags, mit dem das bevorteilte Grundstück zu den Herstellungskosten herangezogen wird, steht auf der Grundlage der - wirksamen - Beitragssatzung zu diesem Zeitpunkt endgültig fest. Der Beitrag ruht - in Höhe der sachlichen Beitragspflicht - als öffentliche Last auf dem Grundstück (§ 7 Abs. 6 KAG M-V). Daraus folgt, dass - vorbehaltlich der Regelung des § 9 Abs. 7 KAG M-V - jedenfalls Nacherhebungstatbestände in einer Beitragssatzung, die eine zusätzliche Beitragspflicht für dasselbe Grundstück daran knüpfen, dass sich nach dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht - was eine rechtswirksame Satzung voraussetzt - die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse auf dem Grundstück verändert haben, grundsätzlich unzulässig sind (vgl. ebenso zur Rechtslage in Thüringen OVG Weimar, Beschl. v. 29.04.2008 - 4 ZKO 610/07 -, LKV 2009, 35 - zitiert nach juris).

51

Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung bedeutet danach zusammengefasst, dass die sachliche Beitragspflicht nur einmal und endgültig in der Höhe des nach Maßgabe der wirksamen Satzung abzugeltenden Vorteils entsteht und dass der entsprechende Aufwand durch einen einmaligen Beitrag in dieser Höhe gedeckt wird. Daraus kann aber noch nicht geschlossen werden, dass ein ergangener Beitragsbescheid in keinem Fall durch einen weiteren Bescheid ergänzt oder ersetzt werden dürfte. Dem Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung entspricht keineswegs ein ebenso strikter - so plastisch das Thüringische OVG - Grundsatz der Einmaligkeit des Beitragsbescheids. Der Umstand, dass erst der Beitragsbescheid das Beitragsschuldverhältnis für den Beitragsschuldner konkretisiert (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V) und mit der Festsetzung des Beitrags die Grundlage für die Zahlungsaufforderung in bestimmter Höhe schafft, vermag nicht zu begründen, dass die Einmaligkeit und Endgültigkeit, die für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht gilt, auch für den Beitragsbescheid gelten solle (vgl. zum Ganzen ebenso OVG Weimar, Beschl. v. 29.04.2008 - 4 ZKO 610/07 -, a.a.O.). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat für das Erschließungsbeitragsrecht - insoweit auf das Anschlussbeitragsrecht übertragbar - angenommen, dass sich die Rechtswidrigkeit eines Nacherhebungsbescheids nicht mit einem aus dem materiellen Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragspflicht herzuleitenden Verbot einer Doppelveranlagung begründen lasse, da jedenfalls sicher sei, dass sich ein solches Verbot allenfalls auf eine zweite Veranlagung zu ein und demselben Beitragsbetrag beziehen könnte, nicht aber auf eine Nacherhebung im hier in Rede stehenden Sinne, die lediglich einen noch nicht ausgeschöpften bzw. nicht bescheidmäßig festgesetzten Teil des Beitragsanspruchs einfordert (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 115.86 -, NVwZ 1988, 938 - zitiert nach juris).

52

Somit ist die Frage, ob und inwieweit der Beitragsschuldner sich auf die Endgültigkeit eines ihm gegenüber ergangenen Beitragsbescheides verlassen darf, nicht schon mit dem Hinweis auf den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung beantwortet. Denn dieser Grundsatz lässt das Recht und die Pflicht des Einrichtungsträgers zur vollständigen Erhebung des Beitrags in Höhe der - wirksam - entstandenen sachlichen Beitragspflicht unberührt. Wenn der Einrichtungsträger in einem ersten Beitragsbescheid den Beitrag - wie hier - etwa auf der Basis einer im Nachhinein als unwirksam erkannten Beitragssatzung fehlerhaft in einer Höhe festgesetzt hat, die die später tatsächlich entstandene sachliche Beitragspflicht der Höhe nach nicht ausschöpft, hat er grundsätzlich das Recht und darüber hinaus eine Pflicht zur Nachforderung (vgl. auch OVG Magdeburg, Beschl. v. 16.11.2006 - 4 L 191/06 -, LKV 2008, 139; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: Juli 2009, § 8 Rn 26 ff.). Nur wenn der Beitragsbescheid die sachliche Beitragspflicht bereits voll ausgeschöpft hat, steht der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung und das daraus folgende Verbot der Doppelbelastung im Ergebnis auch jedem weiteren Nachforderungsbescheid oder einer Ersetzung durch einen Bescheid mit höherer Beitragsforderung für die gleiche Maßnahme entgegen. Wenn der Erstbescheid dagegen die - einmalig und endgültig entstandene - sachliche Beitragspflicht in der Höhe noch nicht ausgeschöpft hat, führt dieser Erstbescheid regelmäßig auch nicht zur Beendigung des Beitragsschuldverhältnisses. Denn das Beitragsschuldverhältnis entsteht entsprechend § 38 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V mit der Verwirklichung des Beitragstatbestandes und erlischt nicht mit einer bestandskräftigen Beitragsfestsetzung, sondern entsprechend § 47 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V insbesondere durch Zahlung, Aufrechnung, Erlass oder Verjährung (vgl. zum Ganzen OVG Weimar, Beschl. v. 29.04.2008 - 4 ZKO 610/07 -, a.a.O.).

53

Die streitgegenständliche Nacherhebung wird auch nicht mit Blick auf eine Bestandskraft des Anschlussbeitragsbescheids vom 28. Juni 1995 ausgeschlossen. Die Frage, ob der Eintritt der Bestandskraft des Anschlussbeitragsbescheids vom 28. Juni 1995 das durch das Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflicht begründete Beitragsschuldverhältnis zwischen dem Beklagten und dem Kläger beendet hat, ist nach dem einschlägigen materiellen Recht zu beantworten (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 115.86 -, NVwZ 1988, 938 - zitiert nach juris; VGH München, Beschl. v. 23.04.2009 - 22 ZB 07.819 -, juris), hier also nach den Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes. Diesen liegt - wie ausgeführt - die Vorstellung zugrunde, dass die der Abgaben erhebenden Körperschaft zustehenden Beitragsansprüche grundsätzlich in vollem Umfang bzw. dem Betrag nach voll auszuschöpfen sind.

54

Das landesrechtliche Gebot der Ausschöpfung des Beitragsanspruchs schließt nicht nur die Auffassung aus, die Bestandskraft eines den entstandenen Beitragsanspruch nicht voll ausschöpfenden Heranziehungsbescheids könne zur Beendigung eines Beitragsschuldverhältnisses führen, sondern zwingt überdies zu der Annahme, dass ein solches Schuldverhältnis unabhängig vom Erlass eines Heranziehungsbescheids und dessen Bestandskraft erst in dem Zeitpunkt endet, in dem - aus welchen Gründen immer - der Beitragsanspruch selbst erlischt. Diese Betrachtungsweise liegt auch der vom Gesetzgeber in § 7 Abs. 6 KAG M-V (§ 8 Abs. 11 KAG a.F.) getroffenen Regelung zur dinglichen Sicherung des Beitragsanspruchs durch das Institut der öffentlichen Last zugrunde. Die dingliche Sicherung einer Beitragsforderung beginnt mit ihrem Entstehen, d.h. mit dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht, und sie endet unabhängig vom Erlass eines Heranziehungsbescheids und dem Eintritt von dessen Bestandskraft erst mit dem Erlöschen der sachlichen Beitragspflicht (vgl. zum Ganzen entsprechend zum Erschließungsbeitragsrecht BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163; Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 115.86 -, NVwZ 1988, 938 - jeweils zitiert nach juris). § 7 Abs. 6 KAG M-V geht damit ebenfalls von der Pflicht zur Ausschöpfung des Beitragsanspruchs aus: Es erschiene widersinnig, auf der einen Seite eine öffentliche Last im vollen Umfang der sachlich entstandenen Beitragspflicht anzunehmen, auf der anderen Seite aber der Abgaben erhebenden Körperschaft im Falle einer erstmalig zu niedrigen Beitragsfestsetzung im hier erörterten Sinne zu verwehren, den Beitragsanspruch in entsprechender Höhe zu realisieren. Wollte man diesen Standpunkt einnehmen, hätte dies zur Folge, dass die öffentliche Last zwar fortbestünde, soweit der Beitragsanspruch nicht befriedigt oder anderweitig erloschen ist, für die Behörde jedoch keinerlei Möglichkeit mehr bestünde, den durch die öffentliche Last auch insoweit gesicherten Beitragsanspruch durchzusetzen.

55

Vor diesem Hintergrund enthält die Beitragsfestsetzung in bestimmter Höhe regelmäßig auch keine - begünstigende - verbindliche Regelung dahingehend, dass eine spätere Nacherhebung ausgeschlossen sein soll. Ein Beitragsbescheid ist nach seinem Tenor grundsätzlich ausschließlich belastender Verwaltungsakt und enthält keine begünstigende Regelung des Inhalts, "mehr" werde von dem jeweiligen Beitragsschuldner nicht verlangt (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163; vgl. auch Beschl. v. 19.05.1999 - 8 B 61.99 -, NVwZ 1999, 1218 - jeweils zitiert nach juris). Wenn der Regelungsgehalt des Erstbescheids somit in der Regel nicht einer späteren vollständigen Ausschöpfung der entstandenen Beitragspflicht entgegensteht, bedarf es auch nicht zwingend einer Aufhebung des Erstbescheids. Vielmehr kann ein neuer Bescheid den Erstbescheid ergänzen und den Differenzbetrag zwischen ursprünglicher Festsetzung und tatsächlich entstandener Beitragspflicht festsetzen. Lediglich klarstellende Bedeutung hätte dann eine Mitteilung der mit beiden Bescheiden insgesamt festgesetzten Beitragshöhe (vgl. zum Ganzen OVG Weimar, Beschl. v. 29.04.2008 - 4 ZKO 610/07 -, a.a.O.). Diesen grundsätzlichen Erwägungen entsprechend enthält der Anschlussbeitragsbescheid vom 28. Juni 1995 keine verbindliche Regelung dahingehend, dass eine spätere Nacherhebung ausgeschlossen sein soll.

56

Auch das im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 und 28 GG) verankerte Gebot des Vertrauensschutzes rechtfertigt nicht die Annahme, mit Rücksicht auf den bestandskräftig gewordenen Anschlussbeitragsbescheid vom 28. Juni 1995 sei der angefochtene Änderungs- bzw. Nacherhebungsbescheid wegen eines Verstoßes gegen dieses Gebot rechtswidrig. Zwar ist ein Bescheid, mit dem ein entstandener Beitragsanspruch nicht voll ausgeschöpft, d.h. mit dem ein zu niedriger Beitrag verlangt wird, ein nach seinem Tenor ausschließlich belastender Verwaltungsakt. Auch ein solcher Bescheid kann allerdings ein geeigneter Gegenstand für ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen sein. Ein solches Vertrauen setzt jedoch außer einer adäquaten Vertrauensbetätigung des Betroffenen und der Schutzwürdigkeit dieser Vertrauensbetätigung voraus, dass im Zuge der bei Vorliegen dieser Voraussetzungen gebotenen Abwägung die Interessen des Betroffenen die der Allgemeinheit überwiegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163 - zitiert nach juris). An alledem fehlt es hier. Insoweit kann auf die zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts zum öffentlichen Interesse an der Ausschöpfung des Beitragsanspruchs verwiesen werden. Da sich die Abwasserbeitragssatzung vom 10. April 2003 ausweislich ihres § 10 keine Rückwirkung beigemessen hat und sie dies auch nicht musste, weil maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage vorliegend der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz ist - insoweit kommt es auf das materielle Recht an, hier § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V bzw. § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F. mit der Regelung zur sachlichen Beitragspflicht -, stellen sich keine weiteren Fragen im Zusammenhang mit dem früher in § 2 Abs. 5 Satz 4 KAG a.F. normierten einfachgesetzlichen Schlechterstellungsverbot.

57

Schließlich ergibt sich auch aus der in § 12 Abs. 1 KAG M-V enthaltenen Verweisung auf die Bestimmungen der Abgabenordnung nicht, dass eine Nacherhebung allgemein oder im konkreten Fall des Klägers nicht in Betracht käme. Gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V sind auf Kommunalabgaben die Vorschriften der Abgabenordnung in der jeweiligen Fassung entsprechend anzuwenden, soweit nicht dieses Gesetz oder andere Gesetze besondere Vorschriften enthalten.

58

Die Vorschriften der Abgabenordnung, die vorliegend von Bedeutung sein könnten, finden sich vor allem in den Bestimmungen der §§ 172 ff. AO, die eine erhöhte Bestandskraft von Steuerbescheiden zum Gegenstand haben, indem sie die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden einschränkenden Voraussetzungen unterwerfen. Der Verweis des § 12 Abs. 1 KAG M-V führt zu der Frage, ob auch Anschlussbeitragsbescheiden eine dermaßen erhöhte Bestandskraft innewohnt. Diese Frage ist nach Auffassung des Senats zu verneinen.

59

Nach Maßgabe des Vorstehenden greift hinsichtlich der Nacherhebung von Anschlussbeiträgen bereits der Vorbehalt der "besonderen Vorschriften nach diesem Gesetz" gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V: Wie ausgeführt enthält dieses Gesetz im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen das "besondere" Gebot der Ausschöpfung des Beitragsanspruchs, das keinen einschränkenden Voraussetzungen unterliegt. Die Anwendung der §§ 172 ff. AO würde in zahlreichen Fällen dazu führen, dass die Ausschöpfung des Anschlussbeitragsanspruchs nicht möglich wäre, und infolgedessen dem entsprechenden gesetzlichen Ziel zuwider laufen. Damit ist bereits grundsätzlich eine entsprechende Anwendung der §§ 172 ff. AO im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen ausgeschlossen, soweit sie einer Ausschöpfung des Beitragsanspruchs entgegensteht; eine solche Anwendung im Bereich andersartiger Abgaben bleibt davon unberührt. Dabei kann dahin stehen, ob dem Kläger darin gefolgt werden kann, wenn er vorträgt, die Erhebung von Steuern durch die Kommunen mache im Vergleich mit dem Aufkommen aus Gebühren und Beiträgen nur einen geringen Teil der kommunalen Abgaben aus. Denn jedenfalls bliebe für die Verweisung des § 12 Abs. 1 KAG M-V auf die Abgabenordnung hinsichtlich der Erhebung kommunaler Steuern grundsätzlich insbesondere auch ein Anwendungsbereich für die §§ 172 ff. AO.

60

Darüber hinaus folgt der Senat dem Wortlautargument des Verwaltungsgerichts, demzufolge die Ausschöpfung des Beitragsanspruchs den früheren Beitragsbescheid nicht "ändern" oder "aufheben" (vgl. § 172 AO), sondern ergänzen will. Auch vorliegend soll der zwar hinsichtlich seiner Begründung fehlerhafte, aber bezüglich des festgesetzten Betrages zu niedrige und damit jedenfalls - weil nicht belastend - der Höhe nach nicht zu beanstandende Erstheranziehungsbescheid unverändert bleiben. Nach dem Inhalt von Nachveranlagungsbescheid und streitgegenständlichem Änderungsbescheid ist auch vorliegend nicht ersichtlich, dass der bestandskräftige Bescheid vom 28. Juni 1995 geändert oder aufgehoben werden sollte.

61

Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen "passen" die §§ 172 ff. AO in ihrem ausdifferenzierten Regelungsgehalt und ihrem Wortlaut nach jedenfalls für die Nacherhebung von Anschlussbeiträgen im hier in Rede stehenden Sinne offensichtlich nicht ohne weiteres. Dies gilt umso mehr, als die Fälle der vorliegenden Art dadurch geprägt sind, dass die Erstheranziehung deshalb zu niedrig ausgefallen ist, weil ihr eine fehlerhafte bzw. im Nachhinein als unwirksam erkannte Satzung bzw. Rechtsgrundlage zugrundelag und die sachliche Beitragspflicht in der "richtigen" Höhe gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V erst mit der ersten wirksamen Satzung entstanden ist. Diese Situation und Rechtslage sowie die daraus resultierende Interessenlage haben die §§ 172 ff. AO erkennbar nicht vor Augen; zudem hat das Verwaltungsgericht zutreffend auf das dem Beitragsrecht im Unterschied zur Steuererhebung zugrunde liegende Prinzip von Leistung und Gegenleistung verwiesen, das ebenfalls die unterschiedliche Interessenlage in den beiden Gebieten der Abgabenerhebung erhellt. Da es nach Auffassung des Senats an hinreichend schlüssigen rechtlichen Konstruktionen zu einer Transformation des Regelungssystems der §§ 172 ff. AO für die Beitragsnacherhebung im Recht der leitungsgebundenen Einrichtungen fehlt, spricht auch dies grundsätzlich gegen eine Anwendbarkeit der §§ 172 ff. AO in diesem Bereich.

62

Insoweit führt auch der Hinweis des Klägers auf § 164 AO (i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V) und die mit dieser Vorschrift eröffnete Möglichkeit, einen Steuerbescheid unter den Vorbehalt der Nachprüfung stellen zu können, nicht weiter. Dieses Vorbringen lässt bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 164 Abs. 1 Satz 1 AO unberücksichtigt. Steuern können nach § 164 Abs. 1 Satz 1 AO, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne dass es einer Begründung bedarf. Ein Anschlussbeitragsbescheid ergeht jedoch grundsätzlich nach abschließender Prüfung des Abgabenfalles in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, so dass die einzige Voraussetzung für die Beifügung eines Vorbehalts regelmäßig nicht erfüllt ist. Die Abgaben erhebende Behörde darf nicht trotz abschließender Prüfung eine Vorbehaltsfestsetzung vornehmen, nur um den Abgabenfall offen zu halten (vgl. Rüsken, in: Klein, AO, 9. Aufl., § 164 Rn. 13). § 164 AO dient der Beschleunigung des Veranlagungsverfahrens. Der Vorbehalt ermöglicht im Interesse des Fiskus eine rasche Steuererhebung ohne Notwendigkeit zur sofortigen und abschließenden Prüfung, andererseits wird der Steuerfall im Interesse sowohl des Staates als auch des Steuerpflichtigen offen gehalten (vgl. Rüsken, in: Klein, AO, 9. Aufl., § 164 Rn. 1). Diese Vorschrift ist jedoch nicht dafür gedacht, eine Beitragserhebung generell wegen des bloßen Verdachts oder der theoretischen Möglichkeit, die als Rechtsgrundlage herangezogene Satzung könnte unwirksam sein, einem Nachprüfungsvorbehalt zu unterwerfen. Eine solche Möglichkeit eröffnet auch § 165 AO im Übrigen in der Regel nicht, da die vorläufige Festsetzung nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO ungewisse Tatsachen voraussetzt und die steuerrechtliche Würdigung von Tatsachen selbst hiervon nicht erfasst wird. Diese rechtfertigt vielmehr nur unter den Voraussetzungen des § 165 Abs. 1 Satz 2 AO eine vorläufige Festsetzung, die jedoch im Bereich der kommunalen Beitragserhebung regelmäßig nicht vorliegen werden.

63

Im Sinne der vorstehenden Erwägungen hat der Senat in seinem Beschluss vom 19. November 2007 - 1 L 1/07 - (juris) ausgeführt, der Gesetzgeber in M-V habe keine "vorbehaltlose Anordnung der entsprechenden Anwendung der AO" getroffen. Zum einen liege schon in dem Begriff der "entsprechenden" Anwendung eine Einschränkung; diese erfordere bei jeder Einzelnorm der Abgabenordnung die Prüfung ihrer Zielsetzung und der Vergleichbarkeit der Anwendungsbereiche (siehe auch Aussprung, in: Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 12 Anm. 1.2). Daher könne allein aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern im Unterschied zu einigen anderen Bundesländern nicht bestimmte Regelungen der Abgabenordnung ausdrücklich für unanwendbar erklärt hat, nicht umgekehrt geschlossen werden, sie seien grundsätzlich anwendbar.

64

Der Senat hat zudem bereits in seinem Beschluss vom 28. November 2005 - 1 M 140/05 - (juris) darauf hingewiesen, dass klärungsbedürftig sei, wie die "entsprechend" anzuwendenden Vorschriften der §§ 172 und 173 AO ihrem Sinn und Zweck nach vom bundesrechtlichen Steuerrecht auf das Kommunale Abgabenrecht (und hier speziell auf das Beitragsrecht) zu übertragen sein können. Insbesondere § 172 Abs. 1 AO sei erkennbar auf bundesrechtliche Steuern zugeschnitten. Eine Unterscheidung zwischen Verbrauchssteuern (§ 172 Abs. 1 Nr. 1 AO) und anderen Steuern (§ 172 Abs. 1 Nr. 2 AO) sei dem kommunalen Abgabenrecht fremd. Daher seien auch die einzelnen, gleichfalls speziell auf das bundesrechtliche Steuerrecht zugeschnittenen Tatbestände des § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht ohne Weiteres auf das Kommunale Abgabenrecht "1 zu 1" zu übertragen. Der Senat hat deshalb dort in Erwägung gezogen, aus einer Gesamtschau der Regelungen des § 172 Abs. 1 AO im Bereich des Kommunalen Abgabenrechts eine im Ermessen der Abgaben erhebenden Behörde stehende Kompetenz zu bejahen, Abgabenbescheide zu ändern, ebenso wie dies bundesrechtlich für die Verbrauchssteuern geregelt ist. Nimmt man die Regelung des § 173 Abs. 1 AO hinzu, die eine Aufhebungs- oder Änderungspflicht normiert, spräche auch einiges dafür, den Sachverhalt der zunächst unerkannt fehlerhaften Rechtsgrundlage, der zu einer zu niedrigen Steuerfestsetzung geführt hat, "entsprechend" (§ 12 Abs. 1 KAG M-V) dem nachträglichen Bekanntwerden neuer Tatsachen gleichzustellen, die zu höheren Steuern führen. Bei - unabhängig von den obigen Ausführungen - unterstellter Anwendbarkeit der §§ 172 ff. AO wäre nach Auffassung des Senats mit Blick auf die erörterte Ausschöpfungspflicht und die "Regelungspole" der §§ 172 und 173 AO aufgrund der durch § 12 Abs. 1 KAG M-V angeordneten "entsprechenden" Anwendung der §§ 172 ff. AO jedenfalls von einer Regelverpflichtung zur Nacherhebung im Sinne einer "Soll"-Bestimmung auszugehen. Dafür spricht auch nachhaltig der schon angesprochene Aspekt, dass der Beitragsanspruch mit Entstehung der sachlichen Beitragspflicht in der zu diesem Zeitpunkt in Anwendung einer wirksamen Satzung errechneten Höhe als öffentliche Last auf dem Grundstück ruht. Es wäre - wie gesagt - nicht folgerichtig sondern widersprüchlich, würde man einerseits eine öffentliche Last in entsprechender Höhe annehmen, der beitragserhebenden Kommune andererseits aber unter Rückgriff auf die §§ 172 ff. AO die Geltendmachung des Beitragsanspruchs in dieser Höhe erschweren oder gar verwehren. Bejahte man eine grundsätzliche Anwendbarkeit der §§ 172 ff. AO mit einem Regelungsgehalt in diesem Sinne, gelangte man folglich regelmäßig und auch vorliegend nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung der Zulässigkeit der Nacherhebung.

65

Schließlich kann für die Annahme der grundsätzlichen Ausschöpfungspflicht im Anschlussbeitragsrecht nach Maßgabe des Landesrechts die Erwägung angeführt werden, dass dem Gesetzgeber die gefestigte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Nacherhebungs- und Ausschöpfungspflicht im Erschließungsbeitragsrecht bekannt war.

66

Angesichts der insoweit für den Bereich etwa des Anschlussbeitragsrechts geringen Regelungsdichte des § 12 Abs. 1 KAG M-V und der erläuterten, nicht von der Hand zu weisenden Auslegungsschwierigkeiten bei einer "entsprechenden" Anwendung der §§ 172 ff. AO erscheint die Annahme ausgeschlossen, der Gesetzgeber habe für das Anschlussbeitragsrecht gegenüber dem Erschließungsrecht bewusst Abweichendes regeln wollen. Dies gilt erst recht, nimmt man die insoweit identische Interessenlage in den Blick: Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht - was in vollem Umfang auch für den Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen gilt - ausgeführt, ein Kläger müsse sich im Rahmen einer Interessenabwägung jedenfalls durchgreifend entgegenhalten lassen, dass der Einrichtungsträger seine Leistung u.a. auch zugunsten des Klägers erbracht habe und dass er und die hinter ihm stehende Allgemeinheit die volle dafür nach dem Gesetz entstandene Gegenleistung fordern können, und zwar nicht nur im Interesse des Haushalts des Einrichtungsträgers, sondern auch im Interesse der Beitragsgerechtigkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.03.1988 - 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163 - zitiert nach juris). Demgegenüber tritt der vom Kläger angeführte Umstand, dass dem Gesetzgeber im Hinblick auf Kommentierungen zum Kommunalabgabengesetz a. F. die Konsequenzen für eine Nacherhebung bekannt gewesen sein müssten, wenn er die Anwendung der §§ 172 ff. AO nicht im Zuge der Novellierung des KAG ausschließe, zurück.

67

Die Rechtsanwendung des Beklagten im Übrigen führt nicht zum Erfolg der Berufung. Soweit die Reduzierung des Nacherhebungsbetrages durch den Widerspruchsbescheid mit Blick auf die vorstehenden Erwägungen rechtlichen Bedenken unterliegt, wäre der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Soweit der Widerspruchsbescheid in seinem Tenor zu Ziffer 1. einen Betrag von 3.656,80 EUR statt wie in der Begründung zutreffend errechnet von 3.656,38 EUR angibt, handelt es sich offensichtlich um ein Versehen. Der Tenor ist entsprechend korrigierend auszulegen.

68

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beurteilt sich nach § 167 Abs. 1, 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

69

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entstehen, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft.

Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlöschen insbesondere durch Zahlung (§§ 224, 224a, 225), Aufrechnung (§ 226), Erlass (§§ 163, 227), Verjährung (§§ 169 bis 171, §§ 228 bis 232), ferner durch Eintritt der Bedingung bei auflösend bedingten Ansprüchen.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 22. August 2013 – 3 A 291/10 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenansatzes vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung der Klägerin zu Anschlussbeiträgen (Schmutzwasser).

2

Der Zweckverband, dem der Beklagte vorsteht, betreibt im Ostseebad Heringsdorf die zentrale Abwasserbeseitigung durch die in seiner Beitragssatzung als öffentliche Einrichtung II bezeichnete Anlage.

3

Die Klägerin ist als Wohnungseigentümerin (Mit-)Eigentümerin des Grundstücks Flurstück ../.. und ../.., Flur .., Gemarkung H…, welches an die Einrichtung II des Zweckverbandes angeschlossen ist.

4

Bereits mit Bescheiden vom 25. Februar 1999 zog der Beklagte die Klägerin zu Anschlussbeiträgen Schmutzwasser für das Grundstück Flurstück /.., Flur .., Gemarkung H… in Höhe von 4.089,18 DM und für das Grundstück Flurstück ../.., Flur .., Gemarkung H… in Höhe von 1.470,25 DM heran (Rechtsgrundlage Beitragssatzung 1996). Die Bescheide wurden bestandskräftig.

5

Mit Bescheiden vom 15. Oktober 2009 zog der Beklagte die Klägerin unter Anrechnung der bereits geleisteten Beiträge zu Anschlussbeiträgen für das Wohnungs- und Teileigentum in Höhe von insgesamt 30.974,76 Euro heran (Rechtsgrundlage Beitragssatzung 2005).

6

Die Klägerin legte mit Schreiben vom 11. November 2009 Widerspruch ein.

7

Mit Änderungs- und Widerspruchsbescheid vom 1. März 2010 stellte der Beklagte unter Ziffer 1 klar, dass ein Beitrag von insgesamt 30.974,76 Euro zu zahlen sei. Unter Ziffer 2 des Bescheides werden die in der Anlage l aufgeführten Bescheide wegen offenbarer Unrichtigkeit auf Seite 2, Zeile 3 dahingehend berichtigt, dass nur die Bescheide vom 25. Februar 1999 (und nicht auch vom 11. Februar 1999) geändert werden sollen. Im Übrigen werden die Widersprüche zurückgewiesen.

8

Die Klägerin hat am 30. März 2010 Klage erhoben.

9

Sie ist der Ansicht, ihre Heranziehung sei rechtswidrig.

10

Der Beklagte habe den Widerspruchsbescheid nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen begründet, da er nur einen Widerspruchsbescheid erlassen habe und hinsichtlich der gesamten 135 Kanalbauanschlussbeitragsbescheide auf eine dem Widerspruchsbescheid als Anlage l beigefügte Liste verwiesen habe.

11

Die Bescheide seien (auch) materiell rechtswidrig. Sie verstießen gegen den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung. Der Beklagte habe die Klägerin bereits mit Beitragsbescheiden vom 25. Februar 1999 zu Anschlussbeiträgen (Schmutzwasser) herangezogen, und diese Bescheide seien bestandskräftig geworden. Der Beitrag sei voll ausgeschöpft worden.

12

Der nochmaligen Veranlagung stehe darüber hinaus der Grundsatz der Verwirkung entgegen. Im Übrigen habe der Gesetzgeber erst mit der Änderung des KAG M-V im Jahr 2005 entschieden, dass die sachliche Beitragspflicht mit der ersten wirksamen Satzung entstehe (Änderung des § 9 Abs. 3 KAG M-V), sodass nach der alten Rechtslage die Beitragspflicht bereits entstanden und damit verjährt sei. Diese gesetzliche Änderung habe echte Rückwirkung entfaltet. Auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – werde Bezug genommen. Nach Ablauf von mehr als zehn Jahren habe die Klägerin auch nicht mehr mit dem Erlass eines weiteren Beitragsbescheides rechnen müssen.

13

Weiterhin sei die dem Beitragssatz zugrunde liegende Kalkulation fehlerhaft. Die Gemeinde Seebad Heringsdorf habe im Jahr 2011 einen Bebauungsplan Nr. 23 „Ortszentrum an der Delbrückstraße 1 in Heringsdorf“ aufgestellt, nach welchem anstelle eines bisherigen Parkplatzes und eines dreigeschossigen Einkaufszentrums ein maximal 25,9 m hoher Hotelkomplex zwischen der S-straße und der D-straße entstehen solle. Diese Planungen seien bei der Flächenermittlung nicht berücksichtigt worden. Auch im Bereich Neu-Sallenthin, Alt-Sallenthin weise die Flächenberechnung lediglich eine eingeschossige Nutzungsfläche auf. Dies sei fehlerhaft. In der Gemeinde gebe es eine Reihe zweigeschossiger Gebäude, wie beispielsweise in der Straße „An den Krebsseen" Nummer 1, 8, 16, 39 und 42. Das in Neu-Sallenthin vorhandene Hotel „B" sei darüber hinaus dreigeschossig. Die Fortschreibung der Beitragskalkulation enthalte eine Ermittlung der Erstattung von Abwasserabgaben. Hierbei handele es sich nicht um eine Fortschreibung, da die Angaben aus den Jahren 2006 bis 2008 stammten.

14

Die Klägerin hat beantragt,

15

die Kanalbaubeitragsbescheide des Beklagten – Bescheidnummern … bis … – vom 15. Oktober 2009 in der Fassung des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 aufzuheben.

16

Der Beklagte hat beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Er hat im Wesentlichen vorgetragen, der Nachveranlagung könne weder der Grundsatz der einmaligen Beitragserhebung noch Verwirkung entgegengehalten werden. Dies habe auch das OVG Greifswald zwischenzeitlich bestätigt. Erst mit Erlass der angefochtenen Bescheide, gestützt auf die Beitragssatzung vom 16. März 2005, habe der Beklagte seinen Beitragsanspruch voll ausgeschöpft, da die Vorgängersatzungen allesamt unwirksam gewesen seien.

19

Gegen die Kalkulation beständen keine Bedenken. Die aktuelle Fortschreibung der Kalkulation sei bis 2015 erfolgt. Da der Bebauungsplan Nr. 23 der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf bislang nicht wirksam sei, sei das Grundstück auch nur mit der tatsächlichen Bebauung mit drei Vollgeschossen bei der Flächenermittlung berücksichtigt worden.

20

Durch Urteil vom 22. August 2013 – 3 A 291/10 – hat das Verwaltungsgericht Greifswald die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

21

Die zulässige Klage habe keinen Erfolg. Die Beitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in Gestalt des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten.

22

Die Bescheide seien formell rechtmäßig; sie genügten dem Begründungserfordernis. Im Änderungs- und Widerspruchsbescheid werde ausführlich erläutert, wie sich die einzelnen für die Miteigentumsanteile festgesetzten Beiträge errechneten. Der errechnete Betrag sei für jeden Miteigentumsanteil anhand der Bescheidnummern genau bestimmbar.

23

Die Bescheide seien materiell rechtmäßig. Die der Beitragssatzung zugrundeliegenden Normen des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern – KAG M-V –, insbesondere § 9 Abs. 3 KAG M-V, verstießen nicht gegen höherrangiges Recht. Dies gelte auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, da die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern in entscheidungserheblichen Punkten nicht mit der des Bayrischen Kommunalabgabengesetzes – BayKAG – vergleichbar sei. Eine „Verflüchtigung“ des Vorteils wie im bayrischen Landesrecht sei im Landesrecht Mecklenburg-Vorpommern nicht möglich.

24

Die Beitragsbescheide fänden ihre nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung – Insel Usedom – (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 18. März 2005 in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 20. Mai 2011. Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung beständen nicht.

25

Die dem Beitragssatz für die Einrichtung II zugrundeliegende, in der Verbandssitzung am 16. Mai 2011 beschlossene Globalkalkulation sei nicht zu beanstanden. Der Einwand der Klägerseite, es sei rechtsfehlerhaft, dass der Beklagte die mit dem Bebauungsplan Nr. 23 erfolgten Planungen der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf bei der Flächenermittlung nicht berücksichtigt habe, verfange nicht. Zwar sei es zutreffend, dass bei der Beschlussfassung über die Kalkulation in der Verbandsversammlung am 16. Mai 2011 der Bebauungsplan Nr. 23 bereits beschlossen und bekannt gemacht worden war. Allerdings sei der Beklagte nicht verpflichtet, (zukünftige) Baulandflächen zu berücksichtigen, die auf einem unwirksamen Bebauungsplan beruhten. Dies sei vorliegend der Fall. Das OVG Greifswald habe in seiner rechtskräftigen Entscheidung vom 21. November 2012 - Az. 3 K 22/11 - den Bebauungsplan Nr. 23 für unwirksam erklärt. Der Einwand der Klägerin, die Einstufung der in der Ortschaft Neu-Sallenthin gelegenen Grundstücke als insgesamt eingeschossig bebaut, sei teilweise unrichtig, führe nicht zur Fehlerhaftigkeit der Kalkulation. Zwar habe der Beklagte eingeräumt, dass die in der Straße „An den K“ Nr. 1, 8, 16 und 42 gelegenen Grundstücke zweigeschossig bebaut seien und auch das Hotel „B“ über zwei Vollgeschosse verfüge. Dieser Fehler wirke sich jedoch wegen seiner Geringfügigkeit bei einer ermittelten Gesamtfläche von 2.290.027 m² weder auf den kalkulatorisch höchstzulässigen ermittelten Beitragssatz für die Einrichtung II von 8,29 Euro noch auf den festgesetzten Beitragssatz von 4,83 Euro wesentlich aus. Die Auswirkungen auf den Deckungsgrad seien gering und der beschlossene Beitrag von 4,83 Euro sei noch weit von dem höchstzulässigen Beitrag entfernt. Die der Verbandsversammlung unterbreitete Kalkulation sei damit nicht in einem für den Abgabensatz wesentlichen Punkt mangelhaft und auch nicht methodisch fehlerhaft, sodass die Verbandsversammlung trotz dieses Fehlers das ihr bei der Festsetzung des Abgabensatzes eingeräumte Ermessen fehlerfrei habe ausüben können. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angeführt habe, es könne aus der fehlerhaften Flächenermittlung im Bereich der Ortschaft Neu-Sallenthin geschlossen werden, dass auch für die übrigen Gebiete der Einrichtung II die Flächen fehlerhaft ermittelt worden seien, treffe das nicht zu. Zum einen gebe es einen solchen Erfahrungssatz nicht. Zum anderen habe der Beklagte unwidersprochen ausgeführt, dass die Ortschaft Neu-Sallenthin abwasserseitig noch nicht erschlossen sei. Da insoweit die exakten Daten über das Maß der baulichen Nutzung fehlten, sei eine Schätzung auf repräsentativer Grundlage erfolgt. Demgegenüber seien 80 v. H. der im Einzugsbereich der Einrichtung II gelegenen Grundstücke tatsächlich angeschlossen, sodass insoweit auch die exakten Daten über das Maß der baulichen Nutzung vorlägen und bei der Kalkulation berücksichtigt worden seien. Im Übrigen sei es Sache der Klägerin, etwaige Satzungs- oder Rechtsanwendungsfehler hinreichend bestimmt darzulegen. Das Gericht sei nicht gehalten, von sich aus auf Fehlersuche zu gehen. Denn dies liefe auf eine auch vom verwaltungsprozessualen Untersuchungsgrundsatz (§ 86 VwGO) nicht mehr gedeckte Fehlersuche „ins Blaue“ hinaus.

26

Nicht zu beanstanden sei die aufwandsmindernde Berücksichtigung der zurückerstatteten Beträge aus der Abwasserabgabe in der Kalkulation (als „Leistungen Dritter“). Dass der Beklagte die Verrechnung der Abwassergabe nicht fortgeschrieben habe, sei rechtsfehlerfrei. Denn eine Verrechnung der Abwasserabgabe sei in der Zukunft nicht zu erwarten, da alle in der Einrichtung II anfallenden Abwässer entweder durch Überleitung in die Kläranlage Swinemünde oder zum Zweckverband Wolgast gereinigt würden. Eine eigene Klärung des Abwassers durch den Zweckverband entfalle damit im Bereich der Einrichtung II. Daher sei auch keine Abwasserabgabe durch den Zweckverband zu entrichten; eine Verrechnungsmöglichkeit entfalle.

27

Rechtmäßig sei auch die Nachberechnung des Beitrags, obwohl bereits mit Bescheiden vom 25. Februar 1999 für dasselbe Grundstück ein Anschlussbeitrag erhoben worden sei. Der dem Bescheid vom 25. Februar 1999 zugrunde gelegte Beitragssatz beruhte auf einer unwirksamen Kalkulation, da die am 4. November 1996 beschlossene Beitragssatzung in § 5 ABS u. a. zwischen erstmalig und bereits an einen Mischkanal angeschlossen gewesene Grundstücke differenziert und dafür unterschiedliche Beitragssätze vorgesehen habe. Die Regelung eines sog. gespaltenen Beitragssatzes sei gleichheitswidrig und habe zur Unwirksamkeit des Beitragssatzes geführt. Der Beklagte sei daher gehalten gewesen, eine dem nunmehr festgesetzten Beitragssatz für die Einrichtung II von 4,83 Euro entsprechende Nachforderung zu erheben. Auf die Frage, wer den Veranlagungsfehler 1999 verschuldet habe, komme es für die Rechtmäßigkeit der Nacherhebung nicht an.

28

Der Nachveranlagung des Beitrages stehe auch der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht entgegen. Dieser sei dann nicht verletzt, wenn der bereits gezahlte Betrag – wie hier – auf die Beitragsschuld angerechnet werde. Gleiches gelte für die Bestandskraft des früheren Beitragsbescheides und die Regelungen der §§ 170 ff. AbgabenordnungAO –.

29

Der Beitragsanspruch sei nicht durch Festsetzungsverjährung erloschen. Gemäß § 12 Abs. 2 KAG M-V betrage die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und Steuern vier Jahre. Nach § 170 Abs. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V beginne die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden sei. Obwohl das Grundstück bereits seit längerem an die Anlage angeschlossen worden sei, sei die sachliche Beitragspflicht erst im Kalenderjahr 2011 entstanden, sodass die vierjährige Festsetzungsfrist am 31. Dezember 2011 anlaufe und frühestens am 31. Dezember 2015 ablaufe.

30

Gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V entstehe die Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden könne, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Gemeint gewesen sei auch nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F. eine wirksame (gültige) Satzung, denn auf Grundlage einer unwirksamen Satzung könnten Beitragspflichten von vornherein nicht entstehen. Der Einwand der Klägerin, der Gesetzgeber habe erst mit Änderung des KAG M-V im Jahr 2005 entschieden, dass die sachliche Beitragspflicht erst mit der ersten wirksamen Satzung entstehe, verfange damit nicht.

31

Gleiches gilt für ihren Einwand, der Lauf der Festsetzungsfrist sei bereits durch den tatsächlichen Anschluss ausgelöst worden, da § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F. im Lichte der eingangs erwähnten Rechtsprechung des BVerfG im strengen Wortsinne auszulegen sei, denn die Erwägungen des BVerfG seien auf die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern nicht übertragbar.

32

In dem Anknüpfen der Verjährungsfrist an den Erlass der ersten wirksamen Beitragssatzung liege schließlich auch keine im Regelfall nach Art. 20 Abs. 3 GG unzulässige (echte) Rückwirkung, sondern lediglich eine sogenannte tatbestandliche Rückanknüpfung (unechte Rückwirkung), die allgemein zulässig sei. Der Gesetzgeber regele keinen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt mit Wirkung für die Vergangenheit neu, sondern nehme einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt zum Anlass, daran Rechtsfolgen für die Zukunft – die Beitragspflicht – zu knüpfen.

33

Das Gericht gehe davon aus, dass die ABS vom 18. März 2005 in Gestalt der 7. Änderungssatzung vom 20. März 2011 die erste wirksame Beitragssatzung des Zweckverbandes sei und die sachliche Beitragspflicht daher frühestens auf Grundlage dieser Satzung habe entstehen können. Frühere Beitragssatzungen des Zweckverbandes aus den Jahren 1996, 2001 und 2004 seien unwirksam gewesen.

34

Die am 4. November 1996 beschlossene erste Beitragssatzung habe unterschiedliche Beitragssätze für sogenannte altangeschlossene und neuangeschlossene Grundstücke aufgewiesen und daher gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Der Beitragssatzung vom 22. November 2001 habe es an einer widerspruchsfreien Abgrenzung zwischen öffentlicher Einrichtung und Grundstücksanschlüssen gefehlt, was auch durch die Abwasseranschluss- und Beseitigungssatzung – AAS – vom 9. Oktober 2002 nicht geändert worden sei. Der ABS vom 16. April 2004 habe es an wirksam beschlossenen Beitragssätzen gefehlt. Die ABS vom 18. März 2005 habe nicht den nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderlichen Mindestinhalt aufgewiesen, da die Maßstabsregel unvollständig gewesen sei.

35

Die Klägerin hat am 11. Oktober 2013 die Zulassung der Berufung beantragt. Durch Beschluss vom 17. September 2015 hat der Senat die Berufung zugelassen.

36

Zur Begründung ihrer Berufung verweist die Klägerin ergänzend auf die Beschlüsse des BVerfG vom 12. November 2015 und auf die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG – vom 15. April 2015. Danach sei eine Beitragserhebung in Mecklenburg-Vorpommern nur bis zum 31. Dezember 2008 zulässig gewesen (§ 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V a. F.). Die Beiträge seien somit verjährt. Zudem sei auch die Beitragskalkulation fehlerhaft.

37

Auch das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016, mit dem die Verjährungsregelung des § 12 Abs. 2 KAG M-V geändert worden sei, habe die Beitragserhebung nicht nachträglich rechtlich zulässig gemacht. Das BVerfG habe im Beschluss vom 5. März 2013 (Orientierungssatz 3 und Rn. 49 ff.) dem Bayerischen Landesgesetzgeber eine Frist bis zum 31. März 2014 eingeräumt, eine gesetzlich zulässige Regelung zur Bestimmung der Verjährungsfrist zu schaffen. Wegen der Bindungswirkung des § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BVerfGG – gelte diese Frist auch für den Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern, der diese Frist habe verstreichen lassen, sodass die gesetzliche Änderung von 14. Juli 2016 die Beitragserhebung nicht mehr habe heilen können.

38

Die Klägerin beantragt,

39

die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 22. August 2013 abzuändern und die Kanalbaubeitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 – … - … – in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 aufzuheben und dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

40

Der Beklagte beantragt,

41

Die Berufung zurückzuweisen.

42

Er tritt der Berufung entgegen.

43

Am 14. Juli 2016 hat der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes erlassen und dort unter anderem eine neue Verjährungsregelung eingefügt. Das Gesetz ist im GVOBl. M-V 2016 S. 584, Heft Nr. 15 vom 29. Juli 2016, veröffentlicht und nach Art. 2 des Gesetzes am Tag nach seiner Verkündung in Kraft getreten.

44

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

45

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die angefochtenen Beitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in der Fassung des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

46

Die Beitragsbescheide finden ihre nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung – Insel Usedom – (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 18. März 2005 in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 16. Mai 2011, ausgefertigt am 20. März 2011. Dies ist die erste rechtswirksame Abwasserbeseitigungssatzung des Beklagten (zu 1). Erst das Inkrafttreten dieser Satzung hat die sachliche Beitragspflicht ausgelöst; einer Rückwirkung dieser Satzung hat es nicht bedurft (zu 2). Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung hat der Senat – in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts – VG – nicht (zu 3). Die Heranziehung der Klägerin im vorliegenden Einzelfall ist rechtmäßig (zu 4).

47

1. Die früheren Satzungen des Beklagten aus den Jahren 1996, 2001 und 2004 waren unwirksam; so zutreffend das VG im angefochtenen Urteil. Dem ist die Klägerseite zum einen nicht substantiiert entgegengetreten. Zum anderen hat die Prüfung des Senats von Amts wegen nichts Abweichendes ergeben.

48

Die ABS vom 4. November 1996 hat in § 5 für jede der drei Einrichtungen (I bis III) drei Beitragstatbestände enthalten, nämlich einen Beitragssatz für den „erstmaligen Anschluss eines Grundstücks an die öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtung“, einen geminderten Beitragssatz für Grundstücke, die bereits den Überlauf der Grundstücksentwässerungsanlage an einen Mischkanal besaßen, und – zum Dritten – für Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des KAG M-V voll an die gemeindliche Kläranlage angeschlossen gewesen waren. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates, an der festgehalten wird, lag in dem dritten Beitragstatbestand eine unwirksame, weil gegen Art. 3 Grundgesetz – GG – verstoßende Altanschließerregelung. Den Altanschließern wird durch die nach der Wende geschaffene öffentliche Einrichtung des Aufgabenträgers derselbe Vorteil geboten wie denjenigen Anschlussnehmern, deren Grundstück erstmalig nach der Wende an eine öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossen worden ist (vgl. OVG Greifswald in ständiger Rechtsprechung seit Beschl. vom 21. April 1999 – 1 M 12/99 –, LKV 2000 S. 161).

49

Die Beitragssatzung vom 21. November 2001 hat diese fehlerhafte Ungleichbehandlung der Altanschließer in ihrem § 5 noch weiter vertieft, indem sie nicht nur einen reduzierten Beitragssatz für die Altanschließer vorgesehen hat, sondern diese vollständig von der Beitragspflicht hat freistellen wollen. Es gibt in der ABS 2001 nur noch den Beitragstatbestand für den „erstmaligen Anschluss“ eines Grundstücks an die öffentliche Entwässerungsbeseitigung.

50

Der Satzung vom 31. März 2004 fehlte es an wirksam beschlossenen Beitragssätzen. Denn dieser Satzung hat keine wirksame Kalkulation des Beitragssatzes zugrunde gelegen. Die Beitragskalkulation vom November 2001 (vgl. VG Greifswald, Beschl. vom 24. August 2004 – 3 B 1625/04 –) hat ihre Gültigkeit verloren, weil sie auf einer anderen Organisationsentscheidung des Beklagten beruht. Ausweislich § 1 Abs. 4 der Abwasseranschluss- und -beseitigungssatzung des Zweckverbandes Wasserversorgung vom 9. Oktober 2002 – AAS 2002 – waren seinerzeit die Grundstücksanschlüsse noch Bestandteil der öffentlichen Einrichtung. Nach § 1 Abs. 2c ABS 2004 gehörten diese nicht mehr zur öffentlichen Einrichtung, sodass eine diese Organisationsentscheidung berücksichtigende Fortschreibung der Kalkulation im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die ABS 2004 der Zweckverbandsversammlung hätte vorliegen müssen. Zum einen stellt sich somit der Umfang der öffentlichen Einrichtung als widersprüchlich definiert dar. Zum anderen hätte auf der Kostenseite der Kalkulation berücksichtigt werden müssen, dass nach der ABS 2004 die Kosten für die Erstellung der Grundstücksanschlüsse keine Kosten der öffentlichen Einrichtung mehr sind (methodischer Fehler).

51

Die Beitragssatzung vom 31. März 2005 wies (ebenfalls) nicht den nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderlichen Mindestinhalt auf, da die Maßstabsregeln unvollständig waren. In der Satzung 2005 fehlte eine Maßstabsregelung für Grundstücke, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes liegen, der keine Regelung über die Anzahl der zulässigen Vollgeschosse trifft, aber eine maximale Höhe und eine Baumassenzahl festsetzt. Dies hat bereits das VG zutreffend herausgearbeitet.

52

2. Damit hat die sachliche Beitragspflicht erst im Jahre 2011 unter Geltung der 7. Änderungssatzung entstehen können. Denn seit Inkrafttreten des KAG vom 11. April 1991 hat das OVG Greifswald stets die Rechtsauffassung vertreten, dass (nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1991, heute § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V) ohne einewirksame Satzung keine sachliche Beitragspflicht entstehen kann und mithin auch der Lauf der regelmäßigen Verjährung nicht in Gang gesetzt wird (vgl. insoweit die Rechtsprechungsnachweise bei Aussprung in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 9 Anm. 7.2 mit weiteren Nachweisen). Insbesondere wird auf die älteste dort zitierte Entscheidung, nämlich den Beschl. des OVG Greifswald vom 8. April 1999 – 1 M 41/99 –, verwiesen. Seit diesem Zeitpunkt ist das KAG (M-V) stets in dieser Weise durch das OVG Greifswald ausgelegt worden. Daran wird auch in dem vorliegenden Urteil festgehalten.

53

Weil nach der ständigen Rechtsprechung des OVG Greifswald eine wirksame Satzung der Anschlussmöglichkeit auch nachfolgen kann, hat es einer Rückwirkung der ABS nicht bedurft. Eine nachträglich erlassene wirksame Abgabensatzung heilt dann einen eventuell zuvor bei Erlass der Bescheide bestehenden rechtlichen Mangel. Erst mit Inkrafttreten der wirksamen ABS im Jahre 2011 ist die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist (§ 12 KAG M-V i. V. m. § 169 Abs. 2 AO) angelaufen; denknotwendigerweise ist sie im Jahre 2009 – bei Erlass der hier streitigen Abgabenbescheide – auch nicht abgelaufen gewesen. Auch wenn die Heranziehungsbescheide im Jahre 2009 – wegen des vorgenannten Satzungsmangels – noch rechtswidrig gewesen sind, sind sie im Jahre 2011 geheilt worden und unterliegen daher nicht mehr der verwaltungsgerichtlichen Aufhebung (Grundsatz der Aufrechterhaltung). Hierdurch werden Abgabepflichtige nicht in rechtswidriger Weise benachteiligt. Die Klägerseite hätte das Inkrafttreten der wirksamen Satzung zum Anlass nehmen können, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären, um nicht die Kosten für einen zunächst aussichtsreichen, dann aber – wegen des Inkrafttretens einer wirksamen Satzung – erfolglos gewordenen Verwaltungsprozesses tragen zu müssen.

54

Die Klägerseite kann sich – im Hinblick auf das Erfordernis einer wirksamen Satzung – nicht mit Erfolg auf die abweichende Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg berufen. Nicht nur nach Auffassung des OVG Greifswald, sondern nach ganz herrschender, seit Jahrzehnten gefestigter Rechtsprechung fast aller Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe setzt das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht voraus, dass eine wirksame Abgabensatzung vorhanden ist. Denn eine unwirksame Abgabensatzung ist nichtig und daher im Ergebnis nicht existent. Eine gesetzliche Formulierung, das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht setze eine „wirksame Satzung“ voraus, ist im Ergebnis ein „weißer Schimmel“. Der Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern hat durch die KAG-Änderung 2005 lediglich das klargestellt, was nach der Rechtsprechung des OVG Greifswald seit Gründung dieses Gerichtes gegolten hatte.

55

Dass es auf die Auslegung des Landesrechtes durch das oberste Landesgericht ankommt, wird auch aus dem Beschluss des BVerfG, 2. Kammer, vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –, LKV 2016 S. 25 ff., deutlich (siehe unter 4c), wo an mehreren Stellen darauf abgestellt wird, wie das in dem dortigen Fall vorgehende OVG Berlin-Brandenburg seit dem Jahre 2000 das KAG BB ausgelegt hat. Erst durch den Wechsel der Auslegung des Landesrechts von Brandenburg sei, so das BVerfG, die Sach- und Rechtslage in Brandenburg dergestalt „umgestaltet“ worden, dass es auf die erste Satzung ankomme, auch wenn sie nicht wirksam gewesen sein sollte.

56

3. Zweifel an der Gültigkeit der ABS (Fassung 2011) sind – abgesehen von der Beitragskalkulation – nicht vorgetragen worden. Solche Zweifel sind auch sonst für den Senat nicht ersichtlich.

57

Die der ABS 2005 in der Fassung 2011 zugrunde liegende Beitragskalkulation ist nach Auffassung des Senates ausreichend, eine ordnungsgemäße ortsgesetzgeberische Ermessensentscheidung zu tragen.

58

Insbesondere hat der Verbandsversammlung am 16. Mai 2011 eine aktuelle Kalkulation vorgelegen, die beschlossen worden ist (Fortschreibung der Beitragskalkulation von März 2011). Für die hier in Rede stehende Einrichtung II ist ein Beitragssatz von 8,29 Euro/m² kalkuliert worden; festgesetzt worden ist durch die Verbandsversammlung ein Beitragssatz von 4,83 Euro/m². Als umlagefähig sind angesehen worden Kosten in Höhe von 18.975.383 Euro. Die beitragspflichtige Fläche ist mit 2.290.027 m² ermittelt worden.

59

Die Beitragskalkulation ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zutreffend hat das VG ausgeführt, dass zwar „kleine Ungenauigkeiten“ vorgelegen haben mögen. Es sind aber insgesamt insbesondere keine schweren methodischen Fehler erkennbar geworden. Insbesondere ist kein methodischer Fehler unter dem Gesichtspunkt festzustellen, dass in erheblichem Umfang nicht beitragsfähiger Aufwand in die Ermittlung des Beitragssatzes eingestellt worden wäre. Insoweit kann auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden.

60

Vor dem Hintergrund, dass die ermittelte beitragspflichtige Fläche 2.290.027 m² beträgt, steht für den Senat fest, dass eine eventuell fehlerhafte Bewertung einzelner Grundstücke im Verbandsgebiet nur zu kleinen Ungenauigkeiten führen kann.

61

Im Hinblick auf den Bebauungsplan Nr. 23 ist der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu folgen. Ein Bebauungsplan eröffnet Planungsrecht. Es liegt nach Erlass eines Bebauungsplanes nicht mehr in der Hand der Gemeinde, ob die Planung auch umgesetzt wird. Etwas anderes mag nur dann gelten, wenn ein Baugebot festgesetzt worden ist. Daher liegt es im ortsgesetzgeberischen Ermessen, ob der räumliche Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, der gerade erst in Kraft getreten ist, einbezogen wird oder nicht. Die Nichteinstellung des räumlichen Geltungsbereichs dieses Bebauungsplanes Nr. 23 kann auch auf der Einschätzung beruhen, dass sich der Bebauungsplan als von Anfang an unwirksam erwiesen hat.

62

Im Hinblick auf die Ortschaft Neu-Sallenthin, die im Zeitpunkt der Kalkulation noch nicht abwasserseitig angeschlossen gewesen ist, kommt bei der Erstellung einer Globalkalkulation nur eine überschlägige Schätzung der beitragspflichtigen Flächen in Betracht. Sinn einer Globalkalkulation ist es nicht, das gesamte Verbandsgebiet Quadratmeter genau zu ermitteln. Erst im Rahmen der Beitragsfestsetzung für einzelne Grundstücke wird es dann Aufgabe des Beklagten sein, das jeweilige Grundstück genau zu betrachten. Daher ist es für die Rechtmäßigkeit der Kalkulation bedeutungslos, ob das eine oder andere Grundstück in Neu-Sallenthin und auch zum Beispiel das Hotel Bergmühle mit einem, zwei oder drei Vollgeschossen bebaut ist. Insoweit liegt nicht einmal ein Fehler der Kalkulation vor.

63

Aus den vom Verwaltungsgericht dargelegten Gründen hat die Frage der Abwasserabgabe im Hinblick auf die Beitragskalkulation auch für den Senat keine Relevanz.

64

Zudem ist festzustellen, dass der Beklagte nur eine teilweise Deckung seiner Aufwendungen durch Beiträge angestrebt hat, da er einen „politischen Beitrag“ erhebt, der nur etwas mehr als die Hälfte des kalkulierten Beitragssatzes ausmacht. Eine Kostenüberdeckung durch Beiträge ist damit definitiv ausgeschlossen (Beitragssatz von 8,29 Euro/m² wurde als höchstzulässiger Beitragssatz kalkuliert; festgesetzt worden ist durch die Verbandsversammlung „nur“ ein Beitragssatz von 4,83 Euro/m²). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates ist es rechtlich zulässig, im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen eine sich aus Beiträgen und Gebühren zusammensetzende Finanzierung vorzunehmen, wie der Beklagte das im vorliegenden Fall tut.

65

4. Die Heranziehung der Klägerin im vorliegenden Einzelfall ist rechtmäßig.

66

Die Anwendung der ABS (Fassung 2011) auf den vorliegenden Einzelfall ist in rechtmäßiger Weise erfolgt; sowohl die Beitragsfestsetzungen als auch das Zahlungsgebot erweisen sich als rechtmäßig (zu a). Die Beitragserhebungsmöglichkeit hat sich weder „verflüchtigt“ (b) noch verstößt sie gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (c) oder liegt eine unzulässige Doppelveranlagung vor (d).

67

a) Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Bestimmtheit ist nicht gegeben. Die komplizierte Materie einer Wohnungseigentümergemeinschaft erfordert auch komplizierte Bescheide. Daher ist es ein adäquates Vorgehen des Beklagten, 135 Bescheide zu erlassen, diese aber dann letztlich objektbezogen in einem Widerspruchsbescheid zu bündeln. Im Widerspruchsbescheid ist hinreichend klargestellt, auf welchen Betrag sich das Leistungsgebot der Veranlagung bezieht und dass die zuvor bezahlten Beiträge angerechnet werden. Zutreffend hat der Beklagte berücksichtigt, dass die im Jahre 2011 entstandenen Beiträge durch die auf die Bescheide von 1999 geleisteten Zahlungen teilweise durch Erfüllung erloschen sind. Daher hat das Leistungsgebot diese Zahlungen zutreffend berücksichtigt.

68

b) Das vom BVerfG im Beschluss vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 = NVwZ 2013 S. 1004, entwickelte Rechtsinstitut der „Verflüchtigung“ greift im Ergebnis nicht durch. Danach kann ein zwar nicht verjährter Beitrag aus rechtsstaatlichen Gründen eventuell nicht mehr erhoben werden (vgl. hierzu im Einzelnen Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, § 7 Erläuterung 8.1.4.2, Seite 60 ff.).

69

Der Leitsatz des Beschlusses des BVerfG vom 5. März 2013 lautet im Wesentlichen, das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlange Regelungen, die sicherstellten, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden könnten. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden könne.

70

In dem genannten Beschluss hat das BVerfG – ausweislich der Nr. 1 des Tenors – den anzuwendenden Art. 13 des BayKAG für mit dem Grundgesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) „unvereinbar“ erklärt, nicht aber für nichtig. Dies hat entscheidende Bedeutung für die weitere Möglichkeit des bayerischen Landesgesetzgebers, diesen Mangel zu beseitigen. So führt das BVerfG dann auch aus (Orientierungssatz 3 und Rn. 49 ff.), dem Gesetzgeber ständen mehrere Möglichkeiten zur Beseitigung des verfassungswidrigen Zustandes zur Verfügung, und zunächst komme nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht. „Nichtigkeit“ trete jedoch zum 1. April 2014 ein, wenn der Gesetzgeber auf eine Sonderregelung des Beginns der Festsetzungsfrist verzichte.

71

Das BVerwG (Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 15.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 139/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 16.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 140/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 17.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 142/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 18.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 143/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 19.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 207/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 20.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 208/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 21.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 210/13 –; vgl. hierzu Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, KAG M-V, § 7 Erläuterung 8.1.4.6 Seite 86) hat für die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern durch Urteile vom 15. April 2015 die Revisionen der dortigen Kläger gegen die Urteile des OVG Greifswald vom 1. April 2014 zurückgewiesen, weil die Beitragserhebung noch innerhalb der Übergangsfrist des § 12 Abs. 2 KAG M-V in der bis zum 29. Juli 2016 geltenden Fassung erfolgt sind, d. h. bis zum 31. Dezember 2008. Ferner hat das BVerwG in einem umfassenden obiter dictum weitere „Segelanweisungen“ gegeben.

72

Ausdrücklich hat das BVerwG, a. a. O., dem Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern die Möglichkeit offen gelassen, eine weitergehende und längere Festsetzungsverjährungsfrist als den 31. Dezember 2008 zu bestimmen und im Einzelnen ausgeführt:

73

„Denn es ist Aufgabe des Gesetzgebers, in Wahrnehmung seines weiten Gestaltungsspielraums einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen einerseits der Allgemeinheit an der Beitragserhebung und andererseits der Beitragspflichtigen an einer zeitlich nicht unbegrenzten Inanspruchnahme zu schaffen (BVerfG, Beschl. vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 Rn. 42). Mit diesem Gestaltungsauftrag ist – nicht zuletzt angesichts der Vielzahl der vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten, jedoch gerade nicht den Verweis auf die Höchstverjährungsfrist einschließenden Lösungsmöglichkeiten wie auch der Unterschiedlichkeit der in einzelnen Ländern erlassenen und zudem deutlich kürzeren Ausschlussfristen – der schematische Rückgriff auf § 53 Abs. 2 VwVfG M-V wohl unvereinbar, zumal die Vorschrift gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG M-V nicht für Verfahren gilt, die – wie vorliegend – nach den Vorschriften der Abgabenordnung durchzuführen sind.“

74

Eine solche Fristbestimmung hat der Landesgesetzgeber jetzt durch Gesetz vom 14. Juli 2016 getroffen; ebenso wie zahlreiche andere Bundesländer bereits ihre Verjährungsregelungen nachgebessert haben.

75

Der Senat hat keine Zweifel daran, dass diese gesetzliche Neuregelung den von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht gemachten Vorgaben entspricht, sodass der Senat die geänderte Fassung des § 12 Abs. 2 KAG MV seiner Entscheidung zugrunde legen kann. Der Gesetzgeber hat jetzt eine Regelung geschaffen, nach der eine zeitlich unbefristete Heranziehung zu (Anschluss-) Beiträgen nicht mehr möglich ist.

76

§ 12 Abs. 2 in der jetzt geltenden Fassung lautet u. a.:

77

§ 169 der Abgabenordnung gilt mit der Maßgabe, dass

78

1. über § 169 Absatz 1 Satz 1 der Abgabenordnung hinaus die Festsetzung eines Beitrages unabhängig von dem Entstehen der Beitragspflicht spätestens 20 Jahren nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig ist, wobei der Lauf der Frist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2000 beginnt, …"

79

Diese Frist ist ersichtlich im Jahre 2009 noch nicht abgelaufen gewesen, weil im vorliegenden Fall – wie oben ausgeführt – noch nicht einmal die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist nach § 169 Abs. 2 AO an- und erst Recht nicht abgelaufen ist.

80

Zur weiteren Klarstellung hat der Landesgesetzgeber noch in § 22 KAG M-V folgenden Abs. 3 angefügt:

81

„Soweit sich für bestehende Abgabensatzung ein Rechtsmangel daraus ergibt, dass das Kommunalabgabengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. April 2005 (GVOBl. M-V S. 146), das zuletzt durch Art. 2 des Gesetzes vom 13. Juli 2011 (GVOBl. M-V S. 777, 833) geändert worden ist, die Heranziehung zu Beiträgen keiner zeitlichen Obergrenze unterwirft, ist dieser Rechtsmangel mit Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016 (GVOBl. M-V S. 584) unbeachtlich.“

82

Nach Auffassung des Senates hätte es dieser salvatorischen Klausel nicht bedurft, da jedes Gesetz, soweit nichts anderes geregelt ist, mit Inkrafttreten seine Gültigkeit beansprucht. Nach den bisherigen Regelungen war lediglich keine zeitliche Obergrenze für eine Verjährung eines Anschlussbeitrages geregelt. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der Anschlussbeitrag verjährt wäre.

83

Da das BVerwG in seinen Urteilen vom 15. April 2015 dem Gesetzgeber gerade die Möglichkeit eröffnet, entsprechend seiner Gesetzgebungskompetenz eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen und die Länge der Verjährungsfrist zu bestimmen, hätte eine diesbezügliche Neuregelung ausgereicht. Gegenstand des Rechtsstreits um das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit („Verflüchtigungsrechtsstreit“) war nicht etwa eine gesetzliche Regelung, die verfassungswidrig sei, sondern die Tatsache, dass eine Gesetzeslücke gesehen wurde, die die Anwendung des im Übrigen verfassungsgemäßen KAG M-V ab einem gewissen vom Gesetzgeber festzulegenden Stichtag verfassungswidrig machen würde. Einer weitergehenden deklaratorischen Klausel hätte es nicht bedurft; als deklaratorische Klausel ist die Regelung des § 22 Abs. 3 KAG M-V (Fassung 16. Juli 2016) aber „unschädlich“.

84

Der Senat hat keine Bedenken, dass die nunmehr bestimmte Festsetzungsfrist die Interessen der Abgabepflichtigen in Mecklenburg-Vorpommern in adäquater Weise behandelt. Die Festsetzungsfrist betrifft ein neues Bundesland, in dem die landesrechtlichen Grundlagen für einen Anschlussbeitrag erst geschaffen werden mussten, und bleibt unterhalb der in der Rechtsordnung bekannten längsten Verjährungsfrist von 30 Jahren. Der Landesgesetzgesetzgeber hat sich innerhalb des gesetzgeberischen Spielraumes bewegt und sich von folgenden Erwägungen leiten lassen (Gesetzentwurf der Landesregierung vom 11. März 2016, LT-Dr. 6/5257 S. 2 f.):

85

„Bei der konkreten Ausgestaltung einer landesgesetzlichen Festlegung einer zeitlichen Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum hinsichtlich des gesetzlich zu schaffenden Ausgleichs zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für Vorteile (hier: durch Anschluss an eine gemeindliche Einrichtung) einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann, zu (BVerwG, Urteil vom 15.04.2015 – 9 C 15/14 – u. a.; vergleiche BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, a. a. O.).

86

Nach Auffassung des BVerfG bleibt es dem Landesgesetzgeber überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die der Rechtssicherheit genügt. So könnte der Landesgesetzgeber etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt.

87

Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt. Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143-163, Rn. 50).

88

Die Bundesländer Sachsen, Brandenburg, Bayern, Thüringen und Sachsen-Anhalt haben bei einer mit Mecklenburg-Vorpommern vergleichbaren Rechtslage ihre Kommunalabgabengesetze bereits an die Forderungen des BVerfG (Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –) angepasst. Insofern wird die Änderung des KAG M-V auch in Kenntnis der in diesen Bundesländern erfolgten landesgesetzlichen Regelungen vorgenommen. Maßgebliches Ziel des Landesgesetzgebers ist es, die kommunalen Aufgabenträger im Falle nichtigen Satzungsrechts vor Beitragsausfällen infolge Verjährungseintritts zu bewahren, ohne dabei gegen das Verbot zu verstoßen, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festzusetzen.

89

In Abwägung der Interessen der kommunalen Aufgabenträger und der Abgabenpflichtigen wird deshalb eine 20-jährige Verjährungsfrist geregelt, wobei aufgrund der Sondersituation nach der Deutschen Einheit der Lauf der Frist bis zum Ablauf des Jahres 2000 gehemmt ist („…wobei der Lauf der Frist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2000 beginnt.“). Damit ist die maximal mögliche Verjährungsfrist von 30 Jahren deutlich unterschritten und in Kombination mit einer Regelung zur Verjährungshemmung gleichwohl eine Beitragserhebung bis 2020 ermöglicht. Mit der Regelung zur Verjährungshemmung hatte auch der Landesgesetzgeber Brandenburg auf die Forderungen des BVerfG reagiert.“

90

Da der Senat die neue Festsetzungsfrist als verfassungsgemäß ansieht, hat er keine Veranlassung, den Rechtsstreit dem BVerfG vorzulegen (Art. 100 Abs. 1 GG).

91

c) Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, wie er in dem stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG, 2. Kammer, Beschl. vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –, LKV 2016 S. 25 ff., vorgehend OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 29. September 2014 – OVG 9 N 40.14 –, vorgehend BVerwG, Beschl. vom 11. September 2014 – 9 B 21.14 –, vorgehend OVG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 13. November 2013 – OVG 9 B 35.12 – konkretisiert worden ist, führt gleichfalls nicht zur Rechtswidrigkeit der hier streitigen Abgabenerhebung

92

In dem dortigen Kammerbeschluss nimmt das BVerfG im Kern eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG an durch rückwirkende Erhebung kommunaler Abwasseranschlussbeiträge – hier: Abgabenerhebung gem. § 8 Abs. 7 S. 2 KAG BB i. d. F. vom 17. 12. 2003 – in Fällen, in denen die Beiträge nicht mehr nach § 8 Abs. 7 S. 2 KAG BB i. d. F vom 27.06.1991 hätten erhoben werden können, da mit Entstehen der Beitragspflicht durch rückwirkendes Inkrafttreten einer wirksamen Beitragssatzung zugleich Festsetzungsverjährung eingetreten wäre.

93

Nach Auffassung des Senates ist der Beschluss des BVerfG, der grundsätzlich nach § 31 BVerfGG in seinem Tenor und seinen tragenden Gründen auch für das OVG Greifswald Bindungswirkung entfaltet (vgl. Aussprung in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 7 Anm. 8.1.4.6.), nicht einschlägig, sodass gerade keine Bindungswirkung eintritt. Denn der vom Senat zu entscheidende Sachverhalt unterscheidet sich von dem Sachverhalt, der den Verfahren aus Berlin-Brandenburg zugrunde gelegen hat, sodass eine Bindung des OVG Greifswald an die tragenden Gründe des Kammerbeschlusses vom 12. November 2015 ausscheidet.

94

Die Kernaussage des BVerfG in seinem Beschluss vom 12. November 2015 ist, dass es gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot verstößt, wenn eine gesetzliche Vorschrift dergestalt geändert wird, dass nunmehr Beiträge erhoben werden sollen, die nach der Vorgängervorschrift nicht mehr hätten erhoben werden dürfen (vgl. z. B. Rn. 39, a. a. O.). In den Fällen aus Brandenburg wären nach alter Rechtslage die Beitragsschulden wegen Festsetzungsverjährung erloschen (Rn. 64, a. a. O.). Dass in einem solchen Fall eine gesetzliche Vorschrift, die rückwirkend die angelaufene und eine logische Sekunde später auch abgelaufene Festsetzungsverjährung „aus den Angeln hebt“, sich als echte Rückwirkung darstellt und den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundsatzes des Vertrauensschutzes nicht genügt, wird auch vom Senat in gleicher Weise gesehen.

95

Wie bereits oben ausgeführt, unterscheidet sich die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern elementar von der in Brandenburg. Seit Inkrafttreten des KAG vom 11. April 1991 hat das OVG Greifswald stets die Rechtsauffassung vertreten, dass (nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1991, heute § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V) ohne eine wirksame Satzung keine sachliche Beitragspflicht entstehen kann und mithin auch der Lauf der regelmäßigen Verjährung nicht in Gang gesetzt wird (vgl. zur ähnlichen Rechtslage in Sachsen-Anhalt, OVG Magdeburg, Beschl. vom 17. Februar 2016 – 4 L 119/15 –, Rn. 58 und 59 und OVG Weimar, Urt. vom 12. Januar 2016 – 4 KO 850/09 –, juris Rn. 48, zur Rechtslage in Thüringen).

96

Dass es auf die Auslegung des Landesrechtes durch das oberste Landesgericht ankommt, wird auch aus dem Beschluss des BVerfG vom 12. November 2015 deutlich, wo an mehreren Stellen darauf abgestellt wird, wie das OVG Berlin-Brandenburg seit dem Jahre 2000 das dortige Landesrecht ausgelegt hat. Erst durch den Wechsel der Auslegung des Landesrechts von Brandenburg ist die „Sach- und Rechtslage“ in Brandenburg dergestalt „umgestaltet“ worden, dass es auf die erste Satzung ankomme, auch wenn sie nicht wirksam gewesen sein sollte. In Rn. 52 spricht das BVerfG sogar von „Gesetzeslage“, und versteht darunter nicht nur § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG BB a. F., sondern auch und gerade, wie das OVG Berlin-Brandenburg diese Bestimmung ausgelegt hat.

97

Anzumerken ist schließlich noch, dass seit Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes, jetzt BauGB, im Jahr 1960 das BVerwG im Erschließungsbeitragsrecht stets auf die Wirksamkeit der Satzung abgestellt hat. Diese gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung hat das OVG Greifswald auf das Anschlussbeitragsrecht übertragen. Diese Rechtsprechung, die ca. 50 Jahre alt ist, ist für das Erschließungsbeitragsrecht höchstrichterlich noch nie infrage gestellt worden.

98

Der Senat schließt sich der Auffassung des OVG Magdeburg, a. a. O. (Rn. 62), insoweit an, dass die Abgabenpflichtigen vor der Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013 nicht haben darauf vertrauen können, dass ihnen gegenüber aufgrund eines langen Zeitraumes seit Entstehen einer Vorteilslage keine Abgabe mehr festgesetzt werden könnte. Insoweit kam es allein darauf an, ob und in welcher Weise der Landesgesetzgeber auf die Entscheidung des BVerfG reagieren würde.

99

Schließlich kann die Klägerin mit ihrer Auffassung nicht durchdringen, der Landesgesetzgeber M-V sei wegen der Bindungswirkung des § 31 BVerfGG auch an die dem bayerischen Landesgesetzgeber im Beschluss des BVerfG vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – gesetzte Frist gebunden, bis zum 31. März 2014 (Ziffer 1 des Tenors) eine gesetzliche Neuregelung vorzunehmen. Diese Frist ist ausschließlich für den bayerischen Landesgesetzgeber maßgeblich gewesen. Nur er ist von dem Beschlusstenor gebunden, wonach die bayerische Regelung des Art. 13 BayKAG mit dem Grundgesetz unvereinbar sei. Nur er hat die Gesetzgebungskompetenz, diesen Art. 13 BayKAG zu ändern. In der Sache hat das BVerfG somit das Abgabenerhebungsverfahren ausgesetzt (siehe Rn. 52), um dem bayerischen Gesetzgeber die Gelegenheit zur verfassungsgemäßen Neuregelung zu geben. Zudem hat das BVerfG den Verwaltungsgerichten die Kompetenz eröffnet, das Landesrecht verfassungskonform auszulegen (Rn. 52).

100

Zutreffend ist zwar, dass nicht nur der Tenor einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung Bindungswirkung entfaltet, sondern auch die tragenden Gründe. Die gegenüber dem bayerischen Landesgesetzgeber ausgesprochene zeitliche Höchstgrenze für eine gesetzliche Neuregelung in Bayern ist aber kein tragender Entscheidungsgrund, der sich über das bayerische Landesrecht hinausgehende Bedeutung beimisst.

101

d) Die Abgabenerhebung aus dem Jahre 1999 steht nicht unter dem Blickwinkel einer „unzulässigen Doppelveranlagung“ oder „unzulässigen Nacherhebung“ der Rechtmäßigkeit der hier angefochtenen Abgabenbescheide aus dem Jahre 2009 entgegen. Das Problem der Nachveranlagung oder auch Doppelveranlagung ist (vgl. Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, KAG M-V, § 12 Erläuterungen 50 ff., Seite 71 ff.) in der Rechtsprechung des OVG Greifswald geklärt (vgl. OVG Greifswald, Urt. vom 15. Dezember 2009 – 1 L 323/06 –, OVG Greifswald Urt. vom 15. Dezember 2010 – 1 L 1/09 –, ferner Beschl. vom 28. Januar 2010 – 1 L 217/09 – und Beschl. vom 28. Januar 2010 – 1 M 181/09 –). Dort hat das OVG Greifswald den Grundsatz aufgestellt, dass bei leitungsgebundenen Einrichtungen die Aufgabenträger grundsätzlich berechtigt und verpflichtet sind, eine Nacherhebung in dem Sinne vorzunehmen, dass sie einen wirksam entstandenen Anschlussbeitragsanspruch voll ausschöpfen. Einer solchen Nacherhebung stehen der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung, die Rechtsfolgen der Bestandskraft des erster Heranziehungsbescheides und der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ebenso wenig entgegen wie die Bestimmung des § 12 Abs. 1 KAG M-V und die darin enthaltene Verweisung auf die Bestimmungen der Abgabenordnung (Aussprung, a. a. O., Erläuterung 50.2.3, Seite 76 f.). An dieser Auffassung hält der Senat fest.

102

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; insoweit kommt auch eine Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht in Betracht.

103

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor. Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist der Vorteilsbegriff landesrechtlich determiniert. Auch der Fragenkomplex, ob eine Abgabenerhebung in Mecklenburg-Vorpommern in der vorliegenden Fallkonstellation rechtlich noch zulässig ist, beruht auf der Auslegung des Landesrechts. Dies gilt insbesondere auch für die Frage der Nacherhebung eines noch nicht ausgeschöpften Beitragsanspruches, weil auch die anzuwendende Abgabenordnung im Bereich des Kommunalabgabenrechts Landesrecht ist. Zudem sind die grundsätzlichen Rechtsfragen der „Verflüchtigung“ eines beitragsrechtlichen Vorteils und des Vertrauensschutzes durch die im Urteil zitierte Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG geklärt.

Tenor

1. Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 775) ist mit Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) unvereinbar. Ersetzt der Gesetzgeber Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes nicht bis zum 1. April 2014 durch eine verfassungsgemäße Neuregelung, tritt Nichtigkeit der Vorschrift ein.

2. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Mai 2008 - 20 ZB 08.903 - und das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 28. Februar 2008 - M 10 K 06.2850 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wird aufgehoben und die Sache an ihn zurückverwiesen.

3. ...

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob die Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes (BayKAG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S. 775) mit den in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Verfassungsgrundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vereinbar ist.

I.

2

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs setzt das Entstehen einer Beitragspflicht für den Anschluss an leitungsgebundene Einrichtungen neben dem Erschlossensein des Grundstücks durch eine insgesamt betriebsfertige Einrichtung (sogenannte Vorteilslage) zwingend das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus (vgl. BayVGH, Urteil vom 14. April 2011 - 20 BV 11.133 -, BayVBl 2012, S. 45 <46>; Urteil vom 29. April 2010 - 20 BV 09.2010 -, BayVBl 2011, S. 240; Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, juris). Eine wirksame Satzung ist somit Beitragsentstehungsvoraussetzung. Die Satzung muss nach Art. 5 Abs. 8 BayKAG nicht bereits im Zeitpunkt des Entstehens der Vorteilslage in Kraft sein. Es genügt vielmehr, wenn sie nach deren Entstehung in Kraft tritt.

3

2. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung führt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b BayKAG in Verbindung mit § 47 der Abgabenordnung (AO) zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Abgabenschuldverhältnis. Die Festsetzungsfrist, nach deren Ablauf der Erlass eines Beitragsbescheids unzulässig ist, beträgt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb Spiegelstrich 2 BayKAG in Verbindung mit § 169 Abs. 2 Satz 1 AO einheitlich vier Jahre.

4

3. Durch das am 31. Dezember 1992 verkündete Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S. 775) wurde der Beginn der Festsetzungsfrist mit Wirkung zum 1. Januar 1993 neu geregelt. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc BayKAG erhielt folgende Fassung:

5

Art. 13

Anwendung von Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977)

(1) Soweit gesetzlich nicht anders bestimmt, sind in ihrer jeweils geltenden Fassung vorbehaltlich Absatz 6 folgende Bestimmungen der Abgabenordnung entsprechend anzuwenden:

(…)

4. aus dem Vierten Teil - Durchführung der Besteuerung -

(…)

b) über das Festsetzungs- und Feststellungsverfahren:

(…)

cc) § 170 Abs. 1 mit der Maßgabe,

- dass die Festsetzungsfrist dann, wenn die Forderung im Zeitpunkt des Entstehens aus tatsächlichen Gründen noch nicht berechnet werden kann, erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Berechnung möglich ist und

- dass im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem die gültige Satzung bekanntgemacht worden ist, (…).

6

Die in Bezug genommene Vorschrift des § 170 Abs. 1 AO lautet:

7

Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist.

8

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 1 BayKAG entspricht der bis dahin geltenden Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG vom 26. März 1974 (GVBl S. 109, ber. 252) in der Fassung vom 4. Februar 1977 (GVBl S. 82). Mit dem Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 wurde Spiegelstrich 2 neu in die gesetzliche Regelung eingefügt.

9

4. Der Gesetzgeber beabsichtigte hiermit ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs eine gesetzliche Klarstellung (LTDrucks 12/8082, S. 13). Bisher sei es in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs umstritten gewesen, ob in den Fällen, in denen eine nichtige Satzung rückwirkend durch eine gültige Satzung ersetzt werde, die Festsetzungsfrist mit dem Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens der Satzung (so BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 - 6 B 82 A.1075 -, BayGT 1985, S. 60) oder erst mit Ablauf des Jahres zu laufen beginne, in dem die rückwirkende Satzung bekanntgemacht worden sei (so BayVGH 23. Senat, Urteil vom 30. März 1984 - 23 B 81 A.1967 -, BayVBl 1985, S. 656 <658>). Mit der Einfügung einer weiteren Maßgabe in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG werde die den Bedürfnissen der Praxis entgegen kommende Auffassung des 23. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gesetzlich klargestellt. Nach der gegenteiligen Ansicht könne nämlich eine rückwirkend entstandene Forderung gleichzeitig festsetzungsverjährt sein, wenn sich die Rückwirkungsfrist über die Verjährungsfrist hinaus erstrecke.

II.

10

1. Der Beschwerdeführer war von 1992 bis 1996 Eigentümer eines bereits an die öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossenen bebauten Grundstücks. Bei einer Ortsbesichtigung im Jahr 1992 stellte die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die Gemeinde, in der das Grundstück gelegen ist (im Folgenden: Beklagte), fest, dass das Dachgeschoss des Gebäudes ausgebaut worden war.

11

Mit Bescheid vom 5. April 2004 zog sie den Beschwerdeführer erstmals auf der Grundlage ihrer Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 5. Mai 2000 zu einem Kanalherstellungsbeitrag in Höhe von 1.197,32 € heran. Der Herstellungsbeitrag wurde gemäß § 5 Abs. 1 dieser Beitrags- und Gebührensatzung nach der Grundstücks- und Geschossfläche berechnet. Die Satzung war zur Heilung einer als nichtig beurteilten Vorgängersatzung rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft gesetzt worden.

12

Während des Widerspruchsverfahrens erwies sich auch die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 als unwirksam. Die Beklagte erließ daraufhin die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 18. April 2005 und setzte sie rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft. Diese Satzung wurde am 26. April 2005 im Amtsblatt der Beklagten bekannt gemacht.

13

2. Die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid und den Widerspruchsbescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Zwar seien die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000, auf die der Bescheid gestützt worden sei, sowie auch sämtliche Vorgängersatzungen aus den Jahren 1995, 1992, 1987, 1980, 1973 und 1960 in den Beitragsteilen nichtig gewesen. Eine wirksame Rechtsgrundlage für den Bescheid sei aber mit der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 geschaffen worden. Auf der Grundlage dieser Satzung sei die Beitragsschuld für die bislang nicht veranlagte Geschossflächenmehrung erstmals am 1. April 1995 entstanden. Der Beschwerdeführer sei als zu diesem Zeitpunkt ins Grundbuch eingetragener Grundstückseigentümer Beitragsschuldner. Eine Verjährung der Beitragsforderung sei nicht eingetreten, da nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG in Verbindung mit § 170 Abs. 1 AO im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die vierjährige Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginne, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden sei.

14

Der Beschwerdeführer könne hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, diese Regelung verstoße gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes und müsse daher, insbesondere im Fall eines zwischenzeitlichen Eigentümerwechsels, abweichend von ihrem Wortlaut einschränkend ausgelegt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bestünden gegen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Ersichtliches Ziel des Gesetzgebers sei es gewesen, die Gemeinden im Falle nichtigen Satzungsrechts vor Beitragsausfällen infolge Verjährungseintritts zu bewahren. Im Übrigen sei keiner der jetzigen oder ehemaligen Grundstückseigentümer in seiner Erwartung geschützt, von der Nichtigkeit früheren Satzungsrechts profitieren zu können; denn ein abgeschlossener Beitragstatbestand liege nicht vor. Welchen der Eigentümer die Beitragspflicht treffe, hänge von der Bestimmung des Zeitpunkts der Rückwirkung ab. Sei dieser - wie im vorliegenden Fall - ohne Verstoß gegen das Willkürverbot gewählt, bestehe kein Grund für eine rechtliche Beanstandung.

15

3. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung ab. Das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass der Beitragsanspruch zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids nicht verjährt gewesen sei. Die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Gesetzgeber habe hiermit eine Regelung getroffen, die der bis dahin ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs entsprochen habe (Hinweis auf BayVGH, Urteil vom 30. März 1984 - 23 B 81 A.1967 -, BayVBl 1985, S. 656 <658>). Die Norm enthalte nach Inhalt, Zweck und Ausmaß eine klare Aussage über den Lauf der Festsetzungsfrist, gegen die durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestünden. Eine unzulässige echte Rückwirkung liege schon deshalb nicht vor, weil kein abgeschlossener Beitragstatbestand gegeben sei. Denn bei leitungsgebundenen Einrichtungen setze die Entstehung einer Beitragspflicht nach ständiger Rechtsprechung das Vorhandensein einer gültigen Abgabensatzung voraus. Eine wirksame Abgabensatzung habe erstmals im Jahr 2005 vorgelegen. Soweit der Beschwerdeführer geltend mache, die rückwirkende Inkraftsetzung einer Abgabensatzung müsse wenigstens zeitlich auf die einschlägigen Verjährungsvorschriften beschränkt werden, lasse er außer Acht, dass nur eine bereits entstandene Beitragsforderung verjähren könne. Bei fehlgeschlagenem Satzungsrecht müsse ein bisher nicht veranlagter Beitragspflichtiger damit rechnen, zu einem späteren Zeitpunkt herangezogen zu werden. Er könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen.

III.

16

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG.

17

1. Die in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene uneingeschränkte Anwendung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG auf rückwirkend in Kraft gesetzte Satzungen verstoße wegen der damit verbundenen echten Rückwirkung gegen die aus Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Es sei geboten, die Rückwirkung einer Satzung durch Festsetzungsfristen zu begrenzen. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung dürfe nicht beliebig hinausgeschoben werden. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG sei im Fall des rückwirkenden Inkraftsetzens einer Satzung entweder nicht anzuwenden oder verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die Verjährung rückwirkend zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung beginne.

18

2. Die Ausgangsgerichte hätten Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil sie ihm nicht hinreichend rechtliches Gehör gewährt hätten. Er habe mit der verwaltungsgerichtlichen Klage geltend gemacht, dass der Beitragsanspruch wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung erloschen sei. Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte beginne die Festsetzungsfrist nur zu laufen, wenn eine wirksame Beitragssatzung vorliege. Die Beklagte und die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen hätten sich darauf berufen, dass sämtliche Satzungen, die der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 vorausgingen, nichtig gewesen seien, was durch diverse Entscheidungen der Verwaltungsgerichte bereits geklärt worden sei. Er habe deshalb die Vorlage dieser Entscheidungen außergerichtlich und schließlich auch vor dem Verwaltungsgericht begehrt. Die maßgeblichen Entscheidungen seien ihm jedoch nicht vollständig zugänglich gemacht worden. Ihm sei es deshalb nicht möglich gewesen, zur Frage der Nichtigkeit sämtlicher Satzungen ausreichend Stellung zu nehmen.

IV.

19

Die Beklagte, die Bayerische Staatsregierung und der Deutsche Städte- und Gemeindebund haben ebenso wie das Bundesverwaltungsgericht zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen.

20

1. Die Beklagte ist der Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig. Der Beschwerdeführer habe eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht hinreichend dargelegt. Darüber hinaus sei der Rechtsweg nicht erschöpft, weil der Beschwerdeführer keine Anhörungsrüge erhoben habe.

21

Die Verfassungsbeschwerde sei im Übrigen nicht begründet. Der Beschwerdeführer könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn ein Vertrauen darauf, dass eine als nichtig erkannte Regelung aufrechterhalten bleibe und nicht durch eine neue, rückwirkende Satzung ersetzt werde, sei nicht schützenswert. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer sein Grundstück veräußert habe, bedeute nicht, dass dadurch ein für seine Beitragspflicht maßgeblicher Tatbestand abgeschlossen sei und er in der Folge nicht mehr zur Beitragszahlung herangezogen werden dürfe. Er habe vielmehr den für die Entstehung der Beitragspflicht maßgeblichen Vorteil der Möglichkeit der Anschlussnahme entgegengenommen und mit dem Grundstücksverkauf nicht verloren. Dieser Vorteil habe den Wert seines Grundstücks erhöht mit der Folge, dass er für das Grundstück einen höheren Kaufpreis habe erzielen können.

22

2. Die Bayerische Staatsregierung hält Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG für verfassungsgemäß. Die Ersetzung einer als nichtig erkannten durch eine wirksame Beitragssatzung stelle keinen Fall einer echten, sondern allenfalls einer unechten Rückwirkung dar. Es sei kein abgeschlossener Lebenssachverhalt gegeben, in den nachträglich eingegriffen worden sei. Denn die Beitragsentstehung setze das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus. Ohne diese sei eine Berechnung des Beitrags in Ermangelung eines Beitragsmaßstabs nicht möglich.

23

Das Vertrauen des Beschwerdeführers wäre selbst bei Annahme einer echten Rückwirkung nicht schutzwürdig, weil er damit habe rechnen müssen, dass eine vorhandene, aber als nichtig erkannte Satzung durch eine gültige Satzung ersetzt werde, mit der die von Anfang an von der Gemeinde angestrebte Beitragspflicht herbeigeführt werde. Es seien keine Umstände erkennbar, die ein Vertrauen darauf rechtfertigten, dass die Gemeinde es bei einer nichtigen Beitragssatzung belassen und auf eine Beitragserhebung verzichten würde.

24

Eine zeitliche Beschränkung der Rückwirkung auf die Festsetzungsfristen sei aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht geboten. Der bayerische Gesetzgeber habe mit Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG eine Lösung gewählt, die sowohl die Gemeinden vor Beitragsausfällen aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung bewahre als auch dem Vorteilsgedanken Rechnung trage. Die Gemeinden würden nach Erlass der gültigen Satzung erstmals in die Lage versetzt, Beiträge nach den Maßstäben dieser gültigen Satzung korrekt festzusetzen und die öffentliche Einrichtung auf der Grundlage rechtsstaatlicher Regelungen zu refinanzieren. Bei Abwägung des öffentlichen Interesses mit den privaten Interessen der betroffenen Beitragspflichtigen überwiege das öffentliche Interesse. Ein Grundstückseigentümer müsse damit rechnen, zu einem Beitrag herangezogen zu werden. Sein Vertrauen darauf, dass eine nichtige Satzung nicht durch eine gültige Satzung ersetzt werde, sei nicht schutzwürdig. Verjährungsvorschriften dienten der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Im vorliegenden Fall liege kein Vorgang vor, auf dessen Abschluss der Bürger sich einstellen und auf dessen Ende er vertrauen könne. Da dem Beitragspflichtigen kein schützenswertes Vertrauen zur Seite stehe, komme dem öffentlichen Interesse an der Beitragserhebung das entscheidende Gewicht zu.

25

3. Das Bundesverwaltungsgericht teilt mit, es sei mit der Frage nach dem Lauf der Festsetzungsfrist bei der rückwirkenden "Reparatur" nichtiger Abgabennormen bisher nur am Rande befasst gewesen. Nach seiner gefestigten Rechtsprechung sei es allerdings mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar, kommunale Anschluss- und Erschließungsbeitragssatzungen rückwirkend in Kraft zu setzen, um früher erlassene, auf eine nichtige Vorgängersatzung gestützte Beitragsbescheide zu heilen (Hinweis auf BVerwGE 50, 2 <7 f.>; 67, 129 <130 ff.>; BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 1996 - BVerwG 8 B 13.96 -, Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 36, S. 3 <4>). Werde eine ungültige durch eine gültige Satzung ersetzt, liege darin keine echte Rückwirkung, da eine Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der rechtswirksamen Beitragssatzung entstehen könne und diese Satzung somit nicht in einen bereits abgeschlossenen Tatbestand eingreife (Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 22. Januar 1986 - BVerwG 8 B 123.84 -, NVwZ 1986, S. 483 <484>).

26

Die Festsetzungsverjährung sei im Abgabenrecht der Länder geregelt (Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1977 - BVerwG IV C 84-92.74 -, Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 20, S. 20<25> sowie NJW 1977, S. 1740 <1741>). Die Anknüpfung der Verjährung an die rückwirkende Entstehung der Beitragspflicht stehe mit Bundesrecht in Einklang. Die Frage der bundesrechtlichen Unbedenklichkeit einer Anknüpfung an die Verkündung der neuen Satzung sei in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht weiter problematisiert worden.

27

Gegen die in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG getroffene Regelung bestünden keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Das rückwirkende Inkrafttreten der neuen Satzung habe zwar zur Folge, dass bereits zu einem zurückliegenden Zeitpunkt (frühestens zum Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens) die Beitragsvoraussetzungen erfüllt sein könnten. Es sei aber kein verfassungsrechtlicher Grundsatz ersichtlich, der dazu zwinge, die Festsetzungsverjährung in Rückwirkungsfällen an das Entstehen der Beitragsforderung anzuknüpfen. Da die Behörde erst mit der Verkündung der neuen Satzung in den Stand versetzt werde, einen rechtlich tragfähigen Beitragsbescheid zu erlassen, beziehungsweise erst mit der Verkündung ein auf die frühere nichtige Satzung gestützter Beitragsbescheid geheilt werde, sprächen Sachgründe für den im Bayerischen Kommunalabgabengesetz gewählten zeitlichen Anknüpfungspunkt der Festsetzungsverjährung. Die Regelung verstoße daher nicht gegen das Willkürverbot.

28

Mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbaren Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit dürfte die Regelung gleichfalls in Einklang stehen. Das Institut der Festsetzungsverjährung diene dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit (Hinweis auf BFH, Urteil vom 15. Juni 1988 - I R 68/86 -, BFH/NV 1990, S. 128). Die Anknüpfung des Verjährungsbeginns an die Verkündung der neuen Satzung führe zwar dazu, dass ein sehr langer Zeitraum zwischen dem die Beitragsforderung begründenden Sachverhalt und dem Ablauf der Verjährungsfrist liegen könne. Es sei aber zu bedenken, dass die mit der Festsetzungsverjährung verfolgten Ziele in einem Spannungsverhältnis zu dem Belang materieller Gerechtigkeit und dem fiskalischen Interesse an der Durchsetzung des Abgabenanspruchs stünden. Für die Aufgabe, zwischen den Polen in diesem Spannungsverhältnis einen verhältnismäßigen Ausgleich zu schaffen, sei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Gehe man mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass der Beitragspflichtige sich gegenüber dem rückwirkenden Inkraftsetzen einer neuen Beitragssatzung nicht auf Vertrauensschutz berufen könne, und berücksichtige man zusätzlich die besondere Fehleranfälligkeit kommunaler Beitragssatzungen und das daraus resultierende gesteigerte Interesse an einer effektiven Nutzbarkeit der Heilungsmöglichkeiten, dürfte sich die Verjährungsregelung des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes innerhalb dieses Gestaltungsspielraums halten.

29

4. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund weist darauf hin, dass der rückwirkende Erlass einer Satzung, welche die "Reparatur" einer unwirksamen Satzung bezwecke, eine Ausnahme darstelle und im vorliegenden Fall verwaltungspraktische Gründe gehabt habe. Die auf der Grundlage der Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 erlassenen Bescheide wären sonst im Fall eines Eigentümerwechsels bei einem Teil der früheren Eigentümer bestandskräftig geworden und hätten bei nicht bestandskräftigen Bescheiden aufgehoben und gegenüber dem neuen Eigentümer neu erlassen werden müssen. Dadurch wäre es zu Ungleichbehandlungen gekommen. Der rückwirkende Erlass einer Satzung sei in der Praxis auch dann erforderlich, wenn andernfalls die Einbringung von Forderungen, zum Beispiel wegen Insolvenz oder Zwangsversteigerungsverfahren, gefährdet wäre. Eine Rückwirkung erstrecke sich üblicherweise nicht auf einen Zeitraum von zehn Jahren. Dieser lange Zeitraum ergebe sich im vorliegenden Fall daraus, dass die Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 den in der Vorgängersatzung normierten Rückwirkungszeitpunkt beibehalten habe, was einen atypischen, sozusagen "verdoppelten" Rückwirkungszeitraum zur Folge gehabt habe.

B.

30

Die mit der Verfassungsbeschwerde vorgebrachten Rügen sind nur teilweise zulässig.

I.

31

Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG geltend macht, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da sie nicht hinreichend begründet wurde (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Der Beschwerdeführer hat insoweit die Möglichkeit eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht substantiiert dargelegt (vgl. BVerfGE 7, 95 <99>; 60, 313 <318>; 86, 133 <147>).

II.

32

Soweit die Verfassungsbeschwerde einen Verstoß gegen die aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes betrifft, ist sie zulässig.

33

Der Beschwerdeführer war - trotz Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG - nicht gehalten, zur Erschöpfung des Rechtswegs gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG eine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO zu erheben. Wird im fachgerichtlichen Rechtsmittelverfahren die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht und bestätigt das Rechtsmittelgericht die angefochtene Entscheidung, so muss die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts - sofern kein eigenständiger neuer Gehörsverstoß durch das Rechtsmittelgericht geltend gemacht wird - nicht mit der Anhörungsrüge angegriffen werden, um dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu genügen (vgl. BVerfGE 107, 395 <410 f.>).

C.

34

Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet. Die mittelbar angegriffene Regelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBl S. 775) sowie die hierauf beruhenden, unmittelbar angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen verstoßen gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit.

I.

35

1. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verletzt im vorliegenden Fall nicht die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Zulässigkeit rückwirkender Gesetze.

36

Der rechtsstaatliche Vertrauensschutz begrenzt die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen, die in einen in der Vergangenheit begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt eingreifen (vgl. BVerfGE 95, 64 <86 f.>; 101, 239 <263>; 126, 369 <393>).

37

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG selbst entfaltet dem Beschwerdeführer gegenüber keine Rückwirkung. Die Vorschrift regelt den Beginn der Verjährungsfrist für die Festsetzung von Beiträgen, die auf Abgabensatzungen gestützt sind, welche eine frühere unwirksame Satzung wirksam heilen. Bei ihrem Inkrafttreten zum 1. Januar 1993 lag eine solche wirksam heilende Satzung im Fall des Beschwerdeführers noch nicht vor und wurde auch später nicht rückwirkend zum oder vor dem 1. Januar 1993 in Kraft gesetzt, so dass die Verjährungsfrist unabhängig von der Neuregelung noch nicht zu laufen begonnen hatte. Solange der Lauf der Verjährungsfrist mangels gültiger Satzung nicht begonnen hat, betrifft die gesetzliche Neuregelung des Beginns der Verjährung mit der Wirkung einer Verjährungsverlängerung jedoch noch nicht einmal einen in der Vergangenheit begonnenen und nicht abgeschlossenen Sachverhalt.

38

Die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung bereits bestehende Vorteilslage begründet für den Beschwerdeführer ebenfalls keinen bereits begonnenen Sachverhalt, in den die Neuregelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG im Wege einer Rückwirkung eingegriffen hätte. Denn die Neuregelung beschränkt sich auf das Hinausschieben des Beginns der Verjährung. Eine solche konnte ohne wirksame Satzung aber nicht zu laufen beginnen.

39

2. Sollte der Beschwerdeführer mit Rücksicht auf die unwirksame Satzung auf den Schein eines Verjährungslaufs vertraut haben, so kann dahinstehen, ob und in welchem Zusammenhang das Vertrauen in den scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verfassungsrechtlichen Schutz verdient. Nach den Feststellungen der Ausgangsgerichte hätte die Festsetzungsfrist selbst bei Wirksamkeit der unwirksamen Satzung frühestens mit Ablauf des Jahres 1992 begonnen. Das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes wurde aber bereits am 31. Dezember 1992 und damit sogar noch vor dem scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verkündet.

II.

40

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verstößt jedoch gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gebot der Rechtssicherheit als wesentlichem Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips (vgl. BVerfGE 30, 392 <403>; 43, 242 <286>; 60, 253 <267>). Er erlaubt, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der Vorteilslage festzusetzen. Der Gesetzgeber hat damit den Ausgleich zwischen der Erwartung der Beitragspflichtigen auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung und dem berechtigten öffentlichen Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus dem Anschluss an die Entwässerungsanlage verfehlt und in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise einseitig zu Lasten der Beitragsschuldner entschieden.

41

1. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz gewährleisten im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug (vgl. BVerfGE 60, 253 <267 f.>; 63, 343 <357>; BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 -, DStR 2012, S. 2322 <2325>). Die Bürgerinnen und Bürger sollen die ihnen gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können (vgl. BVerfGE 13, 261 <271>; 63, 215 <223>). Dabei knüpft der Grundsatz des Vertrauensschutzes an ihr berechtigtes Vertrauen in bestimmte Regelungen an. Er besagt, dass sie sich auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen in gewissem Umfang verlassen dürfen. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet darüber hinaus aber unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben, oder wenn Umstände einem solchen Vertrauen sogar entgegenstehen. Es schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Als Elemente des Rechtsstaatsprinzips sind Rechtssicherheit und Vertrauensschutz eng miteinander verbunden, da sie gleichermaßen die Verlässlichkeit der Rechtsordnung gewährleisten.

42

2. Für die Auferlegung einer Beitragspflicht zum Vorteilsausgleich in Anknüpfung an zurückliegende Tatbestände ist die Regelung einer Verjährung als abschließende Zeitgrenze, bis zu der Beiträge geltend gemacht werden können, verfassungsrechtlich geboten. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.

43

a) Ausdruck der Gewährleistung von Rechtssicherheit sind auch Verjährungsregelungen. Sie sollen sicherstellen, dass Einzelne nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr mit Forderungen überzogen werden. Die Verjährung von Geldleistungsansprüchen der öffentlichen Hand soll einen gerechten Ausgleich zwischen dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit an der umfassenden und vollständigen Realisierung dieser Ansprüche auf der einen Seite und dem schutzwürdigen Interesse der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite bewirken, irgendwann nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen zu müssen und entsprechend disponieren zu können. Während das staatliche Interesse an der vollständigen Durchsetzung von Geldleistungspflichten vornehmlich von den Grundsätzen der richtigen Rechtsanwendung und der materiellen Gerechtigkeit (Belastungsgleichheit) sowie von fiskalischen Erwägungen getragen wird, steht dem auf Seiten der Bürger das Prinzip der Rechtssicherheit gegenüber.

44

Dabei ist es den Verjährungsregelungen eigen, dass sie ohne individuell nachweisbares oder typischerweise vermutetes, insbesondere ohne betätigtes Vertrauen greifen. Sie schöpfen ihre Berechtigung und ihre Notwendigkeit vielmehr aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit, demzufolge Einzelne auch gegenüber dem Staat die Erwartung hegen dürfen, irgendwann nicht mehr mit einer Geldforderung überzogen zu werden, wenn der berechtigte Hoheitsträger über einen längeren Zeitraum seine Befugnis nicht wahrgenommen hat.

45

b) Auch für die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, ist der Gesetzgeber verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Die Legitimation von Beiträgen liegt - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils, der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist (vgl. BVerfGE 49, 343 <352 f.>; 93, 319 <344>). Je weiter dieser Zeitpunkt bei der Beitragserhebung zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge. Zwar können dabei die Vorteile auch in der Zukunft weiter fortwirken und tragen nicht zuletzt deshalb eine Beitragserhebung auch noch relativ lange Zeit nach Anschluss an die entsprechende Einrichtung. Jedoch verliert der Zeitpunkt des Anschlusses, zu dem der Vorteil, um dessen einmalige Abgeltung es geht, dem Beitragspflichtigen zugewendet wurde, deshalb nicht völlig an Bedeutung. Der Bürger würde sonst hinsichtlich eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs dauerhaft im Unklaren gelassen, ob er noch mit Belastungen rechnen muss. Dies ist ihm im Lauf der Zeit immer weniger zumutbar. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet vielmehr, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss.

46

c) Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es dem Gesetzgeber jedoch, die berechtigten Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung der Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt.

47

3. Der Gesetzgeber hat in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den erforderlichen Ausgleich zwischen Rechtssicherheit auf der einen Seite und Rechtsrichtigkeit und Fiskalinteresse auf der anderen Seite verfehlt. Dadurch, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den Verjährungsbeginn bei der Heilung ungültiger Abgabensatzungen ohne zeitliche Obergrenze auf den Ablauf des Kalenderjahres festlegt, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden ist, löst der Gesetzgeber den Interessenkonflikt einseitig zu Lasten des Bürgers. Zwar schließt er damit die Verjährung von Beitragsansprüchen nicht völlig aus. Indem er den Verjährungsbeginn jedoch ohne zeitliche Obergrenze nach hinten verschiebt, lässt er die berechtigte Erwartung des Bürgers darauf, geraume Zeit nach Entstehen der Vorteilslage nicht mehr mit der Festsetzung des Beitrags rechnen zu müssen, gänzlich unberücksichtigt. Die Verjährung kann so unter Umständen erst Jahrzehnte nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage beginnen.

48

Der Beitragspflicht können die Bürgerinnen und Bürger im Regelfall nicht durch den Einwand der Verwirkung entgehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. August 2011 - BVerwG 3 B 36.11 -, BeckRS 2011, 53777; Beschluss vom 12. Januar 2004 - BVerwG 3 B 101.03 -, NVwZ-RR 2004, S. 314) und des Bundesfinanzhofs (vgl. BFH, Urteil vom 8. Oktober 1986 - II R 167/84 -, BFHE 147, 409 <412>) erfordert Verwirkung nicht nur, dass seit der Möglichkeit der Geltendmachung eines Rechts längere Zeit verstrichen ist. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Diese Voraussetzung dürfte selbst in den Fällen der Beitragserhebung nach scheinbarem Ablauf der Festsetzungsfrist regelmäßig nicht erfüllt sein.

D.

I.

49

Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift führt in der Regel zu ihrer Nichtigkeit (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG). Hier kommt zunächst jedoch nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht, da dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl. BVerfGE 130, 240 <260 f.>; stRspr).

50

Es bleibt ihm überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die nach Maßgabe der Grundsätze dieses Beschlusses der Rechtssicherheit genügt. So könnte er etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt. Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 -, NVwZ-RR 2000, S. 535 <536 f.>). Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (zur derzeitigen Rechtslage gemäß Art. 5 Abs. 5 BayKAG vgl. BayVGH, Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, BayVBl 1985, S. 211; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 128 ).

II.

51

Der angegriffene Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen. Die Unvereinbarkeitserklärung führt dazu, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG von Gerichten und Verwaltungsbehörden nicht mehr angewendet werden darf (vgl. BVerfGE 111, 115 <146>). Laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren, in denen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG entscheidungserheblich ist, bleiben bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens aber bis zum 1. April 2014, ausgesetzt oder sind auszusetzen.

52

Die Aussetzung gibt dem Gesetzgeber Gelegenheit zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung. Verzichtet er auf eine Sonderregelung des Beginns der Festsetzungsfrist, tritt zum 1. April 2014 Nichtigkeit ein. Dann wäre es Aufgabe der Verwaltungsgerichte, das Landesrecht entsprechend verfassungskonform auszulegen (vgl. etwa für den Fall des rückwirkenden Inkraftsetzens heilender Satzungen BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 - 6 B 82 A.1075 -, BayGT 1985, S. 60).

III.

53

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 22. August 2013 – 3 A 291/10 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenansatzes vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung der Klägerin zu Anschlussbeiträgen (Schmutzwasser).

2

Der Zweckverband, dem der Beklagte vorsteht, betreibt im Ostseebad Heringsdorf die zentrale Abwasserbeseitigung durch die in seiner Beitragssatzung als öffentliche Einrichtung II bezeichnete Anlage.

3

Die Klägerin ist als Wohnungseigentümerin (Mit-)Eigentümerin des Grundstücks Flurstück ../.. und ../.., Flur .., Gemarkung H…, welches an die Einrichtung II des Zweckverbandes angeschlossen ist.

4

Bereits mit Bescheiden vom 25. Februar 1999 zog der Beklagte die Klägerin zu Anschlussbeiträgen Schmutzwasser für das Grundstück Flurstück /.., Flur .., Gemarkung H… in Höhe von 4.089,18 DM und für das Grundstück Flurstück ../.., Flur .., Gemarkung H… in Höhe von 1.470,25 DM heran (Rechtsgrundlage Beitragssatzung 1996). Die Bescheide wurden bestandskräftig.

5

Mit Bescheiden vom 15. Oktober 2009 zog der Beklagte die Klägerin unter Anrechnung der bereits geleisteten Beiträge zu Anschlussbeiträgen für das Wohnungs- und Teileigentum in Höhe von insgesamt 30.974,76 Euro heran (Rechtsgrundlage Beitragssatzung 2005).

6

Die Klägerin legte mit Schreiben vom 11. November 2009 Widerspruch ein.

7

Mit Änderungs- und Widerspruchsbescheid vom 1. März 2010 stellte der Beklagte unter Ziffer 1 klar, dass ein Beitrag von insgesamt 30.974,76 Euro zu zahlen sei. Unter Ziffer 2 des Bescheides werden die in der Anlage l aufgeführten Bescheide wegen offenbarer Unrichtigkeit auf Seite 2, Zeile 3 dahingehend berichtigt, dass nur die Bescheide vom 25. Februar 1999 (und nicht auch vom 11. Februar 1999) geändert werden sollen. Im Übrigen werden die Widersprüche zurückgewiesen.

8

Die Klägerin hat am 30. März 2010 Klage erhoben.

9

Sie ist der Ansicht, ihre Heranziehung sei rechtswidrig.

10

Der Beklagte habe den Widerspruchsbescheid nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen begründet, da er nur einen Widerspruchsbescheid erlassen habe und hinsichtlich der gesamten 135 Kanalbauanschlussbeitragsbescheide auf eine dem Widerspruchsbescheid als Anlage l beigefügte Liste verwiesen habe.

11

Die Bescheide seien (auch) materiell rechtswidrig. Sie verstießen gegen den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung. Der Beklagte habe die Klägerin bereits mit Beitragsbescheiden vom 25. Februar 1999 zu Anschlussbeiträgen (Schmutzwasser) herangezogen, und diese Bescheide seien bestandskräftig geworden. Der Beitrag sei voll ausgeschöpft worden.

12

Der nochmaligen Veranlagung stehe darüber hinaus der Grundsatz der Verwirkung entgegen. Im Übrigen habe der Gesetzgeber erst mit der Änderung des KAG M-V im Jahr 2005 entschieden, dass die sachliche Beitragspflicht mit der ersten wirksamen Satzung entstehe (Änderung des § 9 Abs. 3 KAG M-V), sodass nach der alten Rechtslage die Beitragspflicht bereits entstanden und damit verjährt sei. Diese gesetzliche Änderung habe echte Rückwirkung entfaltet. Auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – werde Bezug genommen. Nach Ablauf von mehr als zehn Jahren habe die Klägerin auch nicht mehr mit dem Erlass eines weiteren Beitragsbescheides rechnen müssen.

13

Weiterhin sei die dem Beitragssatz zugrunde liegende Kalkulation fehlerhaft. Die Gemeinde Seebad Heringsdorf habe im Jahr 2011 einen Bebauungsplan Nr. 23 „Ortszentrum an der Delbrückstraße 1 in Heringsdorf“ aufgestellt, nach welchem anstelle eines bisherigen Parkplatzes und eines dreigeschossigen Einkaufszentrums ein maximal 25,9 m hoher Hotelkomplex zwischen der S-straße und der D-straße entstehen solle. Diese Planungen seien bei der Flächenermittlung nicht berücksichtigt worden. Auch im Bereich Neu-Sallenthin, Alt-Sallenthin weise die Flächenberechnung lediglich eine eingeschossige Nutzungsfläche auf. Dies sei fehlerhaft. In der Gemeinde gebe es eine Reihe zweigeschossiger Gebäude, wie beispielsweise in der Straße „An den Krebsseen" Nummer 1, 8, 16, 39 und 42. Das in Neu-Sallenthin vorhandene Hotel „B" sei darüber hinaus dreigeschossig. Die Fortschreibung der Beitragskalkulation enthalte eine Ermittlung der Erstattung von Abwasserabgaben. Hierbei handele es sich nicht um eine Fortschreibung, da die Angaben aus den Jahren 2006 bis 2008 stammten.

14

Die Klägerin hat beantragt,

15

die Kanalbaubeitragsbescheide des Beklagten – Bescheidnummern … bis … – vom 15. Oktober 2009 in der Fassung des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 aufzuheben.

16

Der Beklagte hat beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Er hat im Wesentlichen vorgetragen, der Nachveranlagung könne weder der Grundsatz der einmaligen Beitragserhebung noch Verwirkung entgegengehalten werden. Dies habe auch das OVG Greifswald zwischenzeitlich bestätigt. Erst mit Erlass der angefochtenen Bescheide, gestützt auf die Beitragssatzung vom 16. März 2005, habe der Beklagte seinen Beitragsanspruch voll ausgeschöpft, da die Vorgängersatzungen allesamt unwirksam gewesen seien.

19

Gegen die Kalkulation beständen keine Bedenken. Die aktuelle Fortschreibung der Kalkulation sei bis 2015 erfolgt. Da der Bebauungsplan Nr. 23 der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf bislang nicht wirksam sei, sei das Grundstück auch nur mit der tatsächlichen Bebauung mit drei Vollgeschossen bei der Flächenermittlung berücksichtigt worden.

20

Durch Urteil vom 22. August 2013 – 3 A 291/10 – hat das Verwaltungsgericht Greifswald die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

21

Die zulässige Klage habe keinen Erfolg. Die Beitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in Gestalt des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten.

22

Die Bescheide seien formell rechtmäßig; sie genügten dem Begründungserfordernis. Im Änderungs- und Widerspruchsbescheid werde ausführlich erläutert, wie sich die einzelnen für die Miteigentumsanteile festgesetzten Beiträge errechneten. Der errechnete Betrag sei für jeden Miteigentumsanteil anhand der Bescheidnummern genau bestimmbar.

23

Die Bescheide seien materiell rechtmäßig. Die der Beitragssatzung zugrundeliegenden Normen des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern – KAG M-V –, insbesondere § 9 Abs. 3 KAG M-V, verstießen nicht gegen höherrangiges Recht. Dies gelte auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, da die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern in entscheidungserheblichen Punkten nicht mit der des Bayrischen Kommunalabgabengesetzes – BayKAG – vergleichbar sei. Eine „Verflüchtigung“ des Vorteils wie im bayrischen Landesrecht sei im Landesrecht Mecklenburg-Vorpommern nicht möglich.

24

Die Beitragsbescheide fänden ihre nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung – Insel Usedom – (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 18. März 2005 in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 20. Mai 2011. Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung beständen nicht.

25

Die dem Beitragssatz für die Einrichtung II zugrundeliegende, in der Verbandssitzung am 16. Mai 2011 beschlossene Globalkalkulation sei nicht zu beanstanden. Der Einwand der Klägerseite, es sei rechtsfehlerhaft, dass der Beklagte die mit dem Bebauungsplan Nr. 23 erfolgten Planungen der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf bei der Flächenermittlung nicht berücksichtigt habe, verfange nicht. Zwar sei es zutreffend, dass bei der Beschlussfassung über die Kalkulation in der Verbandsversammlung am 16. Mai 2011 der Bebauungsplan Nr. 23 bereits beschlossen und bekannt gemacht worden war. Allerdings sei der Beklagte nicht verpflichtet, (zukünftige) Baulandflächen zu berücksichtigen, die auf einem unwirksamen Bebauungsplan beruhten. Dies sei vorliegend der Fall. Das OVG Greifswald habe in seiner rechtskräftigen Entscheidung vom 21. November 2012 - Az. 3 K 22/11 - den Bebauungsplan Nr. 23 für unwirksam erklärt. Der Einwand der Klägerin, die Einstufung der in der Ortschaft Neu-Sallenthin gelegenen Grundstücke als insgesamt eingeschossig bebaut, sei teilweise unrichtig, führe nicht zur Fehlerhaftigkeit der Kalkulation. Zwar habe der Beklagte eingeräumt, dass die in der Straße „An den K“ Nr. 1, 8, 16 und 42 gelegenen Grundstücke zweigeschossig bebaut seien und auch das Hotel „B“ über zwei Vollgeschosse verfüge. Dieser Fehler wirke sich jedoch wegen seiner Geringfügigkeit bei einer ermittelten Gesamtfläche von 2.290.027 m² weder auf den kalkulatorisch höchstzulässigen ermittelten Beitragssatz für die Einrichtung II von 8,29 Euro noch auf den festgesetzten Beitragssatz von 4,83 Euro wesentlich aus. Die Auswirkungen auf den Deckungsgrad seien gering und der beschlossene Beitrag von 4,83 Euro sei noch weit von dem höchstzulässigen Beitrag entfernt. Die der Verbandsversammlung unterbreitete Kalkulation sei damit nicht in einem für den Abgabensatz wesentlichen Punkt mangelhaft und auch nicht methodisch fehlerhaft, sodass die Verbandsversammlung trotz dieses Fehlers das ihr bei der Festsetzung des Abgabensatzes eingeräumte Ermessen fehlerfrei habe ausüben können. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angeführt habe, es könne aus der fehlerhaften Flächenermittlung im Bereich der Ortschaft Neu-Sallenthin geschlossen werden, dass auch für die übrigen Gebiete der Einrichtung II die Flächen fehlerhaft ermittelt worden seien, treffe das nicht zu. Zum einen gebe es einen solchen Erfahrungssatz nicht. Zum anderen habe der Beklagte unwidersprochen ausgeführt, dass die Ortschaft Neu-Sallenthin abwasserseitig noch nicht erschlossen sei. Da insoweit die exakten Daten über das Maß der baulichen Nutzung fehlten, sei eine Schätzung auf repräsentativer Grundlage erfolgt. Demgegenüber seien 80 v. H. der im Einzugsbereich der Einrichtung II gelegenen Grundstücke tatsächlich angeschlossen, sodass insoweit auch die exakten Daten über das Maß der baulichen Nutzung vorlägen und bei der Kalkulation berücksichtigt worden seien. Im Übrigen sei es Sache der Klägerin, etwaige Satzungs- oder Rechtsanwendungsfehler hinreichend bestimmt darzulegen. Das Gericht sei nicht gehalten, von sich aus auf Fehlersuche zu gehen. Denn dies liefe auf eine auch vom verwaltungsprozessualen Untersuchungsgrundsatz (§ 86 VwGO) nicht mehr gedeckte Fehlersuche „ins Blaue“ hinaus.

26

Nicht zu beanstanden sei die aufwandsmindernde Berücksichtigung der zurückerstatteten Beträge aus der Abwasserabgabe in der Kalkulation (als „Leistungen Dritter“). Dass der Beklagte die Verrechnung der Abwassergabe nicht fortgeschrieben habe, sei rechtsfehlerfrei. Denn eine Verrechnung der Abwasserabgabe sei in der Zukunft nicht zu erwarten, da alle in der Einrichtung II anfallenden Abwässer entweder durch Überleitung in die Kläranlage Swinemünde oder zum Zweckverband Wolgast gereinigt würden. Eine eigene Klärung des Abwassers durch den Zweckverband entfalle damit im Bereich der Einrichtung II. Daher sei auch keine Abwasserabgabe durch den Zweckverband zu entrichten; eine Verrechnungsmöglichkeit entfalle.

27

Rechtmäßig sei auch die Nachberechnung des Beitrags, obwohl bereits mit Bescheiden vom 25. Februar 1999 für dasselbe Grundstück ein Anschlussbeitrag erhoben worden sei. Der dem Bescheid vom 25. Februar 1999 zugrunde gelegte Beitragssatz beruhte auf einer unwirksamen Kalkulation, da die am 4. November 1996 beschlossene Beitragssatzung in § 5 ABS u. a. zwischen erstmalig und bereits an einen Mischkanal angeschlossen gewesene Grundstücke differenziert und dafür unterschiedliche Beitragssätze vorgesehen habe. Die Regelung eines sog. gespaltenen Beitragssatzes sei gleichheitswidrig und habe zur Unwirksamkeit des Beitragssatzes geführt. Der Beklagte sei daher gehalten gewesen, eine dem nunmehr festgesetzten Beitragssatz für die Einrichtung II von 4,83 Euro entsprechende Nachforderung zu erheben. Auf die Frage, wer den Veranlagungsfehler 1999 verschuldet habe, komme es für die Rechtmäßigkeit der Nacherhebung nicht an.

28

Der Nachveranlagung des Beitrages stehe auch der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht entgegen. Dieser sei dann nicht verletzt, wenn der bereits gezahlte Betrag – wie hier – auf die Beitragsschuld angerechnet werde. Gleiches gelte für die Bestandskraft des früheren Beitragsbescheides und die Regelungen der §§ 170 ff. AbgabenordnungAO –.

29

Der Beitragsanspruch sei nicht durch Festsetzungsverjährung erloschen. Gemäß § 12 Abs. 2 KAG M-V betrage die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und Steuern vier Jahre. Nach § 170 Abs. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V beginne die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden sei. Obwohl das Grundstück bereits seit längerem an die Anlage angeschlossen worden sei, sei die sachliche Beitragspflicht erst im Kalenderjahr 2011 entstanden, sodass die vierjährige Festsetzungsfrist am 31. Dezember 2011 anlaufe und frühestens am 31. Dezember 2015 ablaufe.

30

Gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V entstehe die Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden könne, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Gemeint gewesen sei auch nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F. eine wirksame (gültige) Satzung, denn auf Grundlage einer unwirksamen Satzung könnten Beitragspflichten von vornherein nicht entstehen. Der Einwand der Klägerin, der Gesetzgeber habe erst mit Änderung des KAG M-V im Jahr 2005 entschieden, dass die sachliche Beitragspflicht erst mit der ersten wirksamen Satzung entstehe, verfange damit nicht.

31

Gleiches gilt für ihren Einwand, der Lauf der Festsetzungsfrist sei bereits durch den tatsächlichen Anschluss ausgelöst worden, da § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F. im Lichte der eingangs erwähnten Rechtsprechung des BVerfG im strengen Wortsinne auszulegen sei, denn die Erwägungen des BVerfG seien auf die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern nicht übertragbar.

32

In dem Anknüpfen der Verjährungsfrist an den Erlass der ersten wirksamen Beitragssatzung liege schließlich auch keine im Regelfall nach Art. 20 Abs. 3 GG unzulässige (echte) Rückwirkung, sondern lediglich eine sogenannte tatbestandliche Rückanknüpfung (unechte Rückwirkung), die allgemein zulässig sei. Der Gesetzgeber regele keinen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt mit Wirkung für die Vergangenheit neu, sondern nehme einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt zum Anlass, daran Rechtsfolgen für die Zukunft – die Beitragspflicht – zu knüpfen.

33

Das Gericht gehe davon aus, dass die ABS vom 18. März 2005 in Gestalt der 7. Änderungssatzung vom 20. März 2011 die erste wirksame Beitragssatzung des Zweckverbandes sei und die sachliche Beitragspflicht daher frühestens auf Grundlage dieser Satzung habe entstehen können. Frühere Beitragssatzungen des Zweckverbandes aus den Jahren 1996, 2001 und 2004 seien unwirksam gewesen.

34

Die am 4. November 1996 beschlossene erste Beitragssatzung habe unterschiedliche Beitragssätze für sogenannte altangeschlossene und neuangeschlossene Grundstücke aufgewiesen und daher gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Der Beitragssatzung vom 22. November 2001 habe es an einer widerspruchsfreien Abgrenzung zwischen öffentlicher Einrichtung und Grundstücksanschlüssen gefehlt, was auch durch die Abwasseranschluss- und Beseitigungssatzung – AAS – vom 9. Oktober 2002 nicht geändert worden sei. Der ABS vom 16. April 2004 habe es an wirksam beschlossenen Beitragssätzen gefehlt. Die ABS vom 18. März 2005 habe nicht den nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderlichen Mindestinhalt aufgewiesen, da die Maßstabsregel unvollständig gewesen sei.

35

Die Klägerin hat am 11. Oktober 2013 die Zulassung der Berufung beantragt. Durch Beschluss vom 17. September 2015 hat der Senat die Berufung zugelassen.

36

Zur Begründung ihrer Berufung verweist die Klägerin ergänzend auf die Beschlüsse des BVerfG vom 12. November 2015 und auf die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG – vom 15. April 2015. Danach sei eine Beitragserhebung in Mecklenburg-Vorpommern nur bis zum 31. Dezember 2008 zulässig gewesen (§ 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V a. F.). Die Beiträge seien somit verjährt. Zudem sei auch die Beitragskalkulation fehlerhaft.

37

Auch das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016, mit dem die Verjährungsregelung des § 12 Abs. 2 KAG M-V geändert worden sei, habe die Beitragserhebung nicht nachträglich rechtlich zulässig gemacht. Das BVerfG habe im Beschluss vom 5. März 2013 (Orientierungssatz 3 und Rn. 49 ff.) dem Bayerischen Landesgesetzgeber eine Frist bis zum 31. März 2014 eingeräumt, eine gesetzlich zulässige Regelung zur Bestimmung der Verjährungsfrist zu schaffen. Wegen der Bindungswirkung des § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BVerfGG – gelte diese Frist auch für den Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern, der diese Frist habe verstreichen lassen, sodass die gesetzliche Änderung von 14. Juli 2016 die Beitragserhebung nicht mehr habe heilen können.

38

Die Klägerin beantragt,

39

die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 22. August 2013 abzuändern und die Kanalbaubeitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 – … - … – in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 aufzuheben und dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

40

Der Beklagte beantragt,

41

Die Berufung zurückzuweisen.

42

Er tritt der Berufung entgegen.

43

Am 14. Juli 2016 hat der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes erlassen und dort unter anderem eine neue Verjährungsregelung eingefügt. Das Gesetz ist im GVOBl. M-V 2016 S. 584, Heft Nr. 15 vom 29. Juli 2016, veröffentlicht und nach Art. 2 des Gesetzes am Tag nach seiner Verkündung in Kraft getreten.

44

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

45

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die angefochtenen Beitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in der Fassung des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

46

Die Beitragsbescheide finden ihre nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung – Insel Usedom – (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 18. März 2005 in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 16. Mai 2011, ausgefertigt am 20. März 2011. Dies ist die erste rechtswirksame Abwasserbeseitigungssatzung des Beklagten (zu 1). Erst das Inkrafttreten dieser Satzung hat die sachliche Beitragspflicht ausgelöst; einer Rückwirkung dieser Satzung hat es nicht bedurft (zu 2). Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung hat der Senat – in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts – VG – nicht (zu 3). Die Heranziehung der Klägerin im vorliegenden Einzelfall ist rechtmäßig (zu 4).

47

1. Die früheren Satzungen des Beklagten aus den Jahren 1996, 2001 und 2004 waren unwirksam; so zutreffend das VG im angefochtenen Urteil. Dem ist die Klägerseite zum einen nicht substantiiert entgegengetreten. Zum anderen hat die Prüfung des Senats von Amts wegen nichts Abweichendes ergeben.

48

Die ABS vom 4. November 1996 hat in § 5 für jede der drei Einrichtungen (I bis III) drei Beitragstatbestände enthalten, nämlich einen Beitragssatz für den „erstmaligen Anschluss eines Grundstücks an die öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtung“, einen geminderten Beitragssatz für Grundstücke, die bereits den Überlauf der Grundstücksentwässerungsanlage an einen Mischkanal besaßen, und – zum Dritten – für Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des KAG M-V voll an die gemeindliche Kläranlage angeschlossen gewesen waren. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates, an der festgehalten wird, lag in dem dritten Beitragstatbestand eine unwirksame, weil gegen Art. 3 Grundgesetz – GG – verstoßende Altanschließerregelung. Den Altanschließern wird durch die nach der Wende geschaffene öffentliche Einrichtung des Aufgabenträgers derselbe Vorteil geboten wie denjenigen Anschlussnehmern, deren Grundstück erstmalig nach der Wende an eine öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossen worden ist (vgl. OVG Greifswald in ständiger Rechtsprechung seit Beschl. vom 21. April 1999 – 1 M 12/99 –, LKV 2000 S. 161).

49

Die Beitragssatzung vom 21. November 2001 hat diese fehlerhafte Ungleichbehandlung der Altanschließer in ihrem § 5 noch weiter vertieft, indem sie nicht nur einen reduzierten Beitragssatz für die Altanschließer vorgesehen hat, sondern diese vollständig von der Beitragspflicht hat freistellen wollen. Es gibt in der ABS 2001 nur noch den Beitragstatbestand für den „erstmaligen Anschluss“ eines Grundstücks an die öffentliche Entwässerungsbeseitigung.

50

Der Satzung vom 31. März 2004 fehlte es an wirksam beschlossenen Beitragssätzen. Denn dieser Satzung hat keine wirksame Kalkulation des Beitragssatzes zugrunde gelegen. Die Beitragskalkulation vom November 2001 (vgl. VG Greifswald, Beschl. vom 24. August 2004 – 3 B 1625/04 –) hat ihre Gültigkeit verloren, weil sie auf einer anderen Organisationsentscheidung des Beklagten beruht. Ausweislich § 1 Abs. 4 der Abwasseranschluss- und -beseitigungssatzung des Zweckverbandes Wasserversorgung vom 9. Oktober 2002 – AAS 2002 – waren seinerzeit die Grundstücksanschlüsse noch Bestandteil der öffentlichen Einrichtung. Nach § 1 Abs. 2c ABS 2004 gehörten diese nicht mehr zur öffentlichen Einrichtung, sodass eine diese Organisationsentscheidung berücksichtigende Fortschreibung der Kalkulation im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die ABS 2004 der Zweckverbandsversammlung hätte vorliegen müssen. Zum einen stellt sich somit der Umfang der öffentlichen Einrichtung als widersprüchlich definiert dar. Zum anderen hätte auf der Kostenseite der Kalkulation berücksichtigt werden müssen, dass nach der ABS 2004 die Kosten für die Erstellung der Grundstücksanschlüsse keine Kosten der öffentlichen Einrichtung mehr sind (methodischer Fehler).

51

Die Beitragssatzung vom 31. März 2005 wies (ebenfalls) nicht den nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderlichen Mindestinhalt auf, da die Maßstabsregeln unvollständig waren. In der Satzung 2005 fehlte eine Maßstabsregelung für Grundstücke, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes liegen, der keine Regelung über die Anzahl der zulässigen Vollgeschosse trifft, aber eine maximale Höhe und eine Baumassenzahl festsetzt. Dies hat bereits das VG zutreffend herausgearbeitet.

52

2. Damit hat die sachliche Beitragspflicht erst im Jahre 2011 unter Geltung der 7. Änderungssatzung entstehen können. Denn seit Inkrafttreten des KAG vom 11. April 1991 hat das OVG Greifswald stets die Rechtsauffassung vertreten, dass (nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1991, heute § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V) ohne einewirksame Satzung keine sachliche Beitragspflicht entstehen kann und mithin auch der Lauf der regelmäßigen Verjährung nicht in Gang gesetzt wird (vgl. insoweit die Rechtsprechungsnachweise bei Aussprung in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 9 Anm. 7.2 mit weiteren Nachweisen). Insbesondere wird auf die älteste dort zitierte Entscheidung, nämlich den Beschl. des OVG Greifswald vom 8. April 1999 – 1 M 41/99 –, verwiesen. Seit diesem Zeitpunkt ist das KAG (M-V) stets in dieser Weise durch das OVG Greifswald ausgelegt worden. Daran wird auch in dem vorliegenden Urteil festgehalten.

53

Weil nach der ständigen Rechtsprechung des OVG Greifswald eine wirksame Satzung der Anschlussmöglichkeit auch nachfolgen kann, hat es einer Rückwirkung der ABS nicht bedurft. Eine nachträglich erlassene wirksame Abgabensatzung heilt dann einen eventuell zuvor bei Erlass der Bescheide bestehenden rechtlichen Mangel. Erst mit Inkrafttreten der wirksamen ABS im Jahre 2011 ist die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist (§ 12 KAG M-V i. V. m. § 169 Abs. 2 AO) angelaufen; denknotwendigerweise ist sie im Jahre 2009 – bei Erlass der hier streitigen Abgabenbescheide – auch nicht abgelaufen gewesen. Auch wenn die Heranziehungsbescheide im Jahre 2009 – wegen des vorgenannten Satzungsmangels – noch rechtswidrig gewesen sind, sind sie im Jahre 2011 geheilt worden und unterliegen daher nicht mehr der verwaltungsgerichtlichen Aufhebung (Grundsatz der Aufrechterhaltung). Hierdurch werden Abgabepflichtige nicht in rechtswidriger Weise benachteiligt. Die Klägerseite hätte das Inkrafttreten der wirksamen Satzung zum Anlass nehmen können, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären, um nicht die Kosten für einen zunächst aussichtsreichen, dann aber – wegen des Inkrafttretens einer wirksamen Satzung – erfolglos gewordenen Verwaltungsprozesses tragen zu müssen.

54

Die Klägerseite kann sich – im Hinblick auf das Erfordernis einer wirksamen Satzung – nicht mit Erfolg auf die abweichende Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg berufen. Nicht nur nach Auffassung des OVG Greifswald, sondern nach ganz herrschender, seit Jahrzehnten gefestigter Rechtsprechung fast aller Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe setzt das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht voraus, dass eine wirksame Abgabensatzung vorhanden ist. Denn eine unwirksame Abgabensatzung ist nichtig und daher im Ergebnis nicht existent. Eine gesetzliche Formulierung, das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht setze eine „wirksame Satzung“ voraus, ist im Ergebnis ein „weißer Schimmel“. Der Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern hat durch die KAG-Änderung 2005 lediglich das klargestellt, was nach der Rechtsprechung des OVG Greifswald seit Gründung dieses Gerichtes gegolten hatte.

55

Dass es auf die Auslegung des Landesrechtes durch das oberste Landesgericht ankommt, wird auch aus dem Beschluss des BVerfG, 2. Kammer, vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –, LKV 2016 S. 25 ff., deutlich (siehe unter 4c), wo an mehreren Stellen darauf abgestellt wird, wie das in dem dortigen Fall vorgehende OVG Berlin-Brandenburg seit dem Jahre 2000 das KAG BB ausgelegt hat. Erst durch den Wechsel der Auslegung des Landesrechts von Brandenburg sei, so das BVerfG, die Sach- und Rechtslage in Brandenburg dergestalt „umgestaltet“ worden, dass es auf die erste Satzung ankomme, auch wenn sie nicht wirksam gewesen sein sollte.

56

3. Zweifel an der Gültigkeit der ABS (Fassung 2011) sind – abgesehen von der Beitragskalkulation – nicht vorgetragen worden. Solche Zweifel sind auch sonst für den Senat nicht ersichtlich.

57

Die der ABS 2005 in der Fassung 2011 zugrunde liegende Beitragskalkulation ist nach Auffassung des Senates ausreichend, eine ordnungsgemäße ortsgesetzgeberische Ermessensentscheidung zu tragen.

58

Insbesondere hat der Verbandsversammlung am 16. Mai 2011 eine aktuelle Kalkulation vorgelegen, die beschlossen worden ist (Fortschreibung der Beitragskalkulation von März 2011). Für die hier in Rede stehende Einrichtung II ist ein Beitragssatz von 8,29 Euro/m² kalkuliert worden; festgesetzt worden ist durch die Verbandsversammlung ein Beitragssatz von 4,83 Euro/m². Als umlagefähig sind angesehen worden Kosten in Höhe von 18.975.383 Euro. Die beitragspflichtige Fläche ist mit 2.290.027 m² ermittelt worden.

59

Die Beitragskalkulation ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zutreffend hat das VG ausgeführt, dass zwar „kleine Ungenauigkeiten“ vorgelegen haben mögen. Es sind aber insgesamt insbesondere keine schweren methodischen Fehler erkennbar geworden. Insbesondere ist kein methodischer Fehler unter dem Gesichtspunkt festzustellen, dass in erheblichem Umfang nicht beitragsfähiger Aufwand in die Ermittlung des Beitragssatzes eingestellt worden wäre. Insoweit kann auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden.

60

Vor dem Hintergrund, dass die ermittelte beitragspflichtige Fläche 2.290.027 m² beträgt, steht für den Senat fest, dass eine eventuell fehlerhafte Bewertung einzelner Grundstücke im Verbandsgebiet nur zu kleinen Ungenauigkeiten führen kann.

61

Im Hinblick auf den Bebauungsplan Nr. 23 ist der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu folgen. Ein Bebauungsplan eröffnet Planungsrecht. Es liegt nach Erlass eines Bebauungsplanes nicht mehr in der Hand der Gemeinde, ob die Planung auch umgesetzt wird. Etwas anderes mag nur dann gelten, wenn ein Baugebot festgesetzt worden ist. Daher liegt es im ortsgesetzgeberischen Ermessen, ob der räumliche Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, der gerade erst in Kraft getreten ist, einbezogen wird oder nicht. Die Nichteinstellung des räumlichen Geltungsbereichs dieses Bebauungsplanes Nr. 23 kann auch auf der Einschätzung beruhen, dass sich der Bebauungsplan als von Anfang an unwirksam erwiesen hat.

62

Im Hinblick auf die Ortschaft Neu-Sallenthin, die im Zeitpunkt der Kalkulation noch nicht abwasserseitig angeschlossen gewesen ist, kommt bei der Erstellung einer Globalkalkulation nur eine überschlägige Schätzung der beitragspflichtigen Flächen in Betracht. Sinn einer Globalkalkulation ist es nicht, das gesamte Verbandsgebiet Quadratmeter genau zu ermitteln. Erst im Rahmen der Beitragsfestsetzung für einzelne Grundstücke wird es dann Aufgabe des Beklagten sein, das jeweilige Grundstück genau zu betrachten. Daher ist es für die Rechtmäßigkeit der Kalkulation bedeutungslos, ob das eine oder andere Grundstück in Neu-Sallenthin und auch zum Beispiel das Hotel Bergmühle mit einem, zwei oder drei Vollgeschossen bebaut ist. Insoweit liegt nicht einmal ein Fehler der Kalkulation vor.

63

Aus den vom Verwaltungsgericht dargelegten Gründen hat die Frage der Abwasserabgabe im Hinblick auf die Beitragskalkulation auch für den Senat keine Relevanz.

64

Zudem ist festzustellen, dass der Beklagte nur eine teilweise Deckung seiner Aufwendungen durch Beiträge angestrebt hat, da er einen „politischen Beitrag“ erhebt, der nur etwas mehr als die Hälfte des kalkulierten Beitragssatzes ausmacht. Eine Kostenüberdeckung durch Beiträge ist damit definitiv ausgeschlossen (Beitragssatz von 8,29 Euro/m² wurde als höchstzulässiger Beitragssatz kalkuliert; festgesetzt worden ist durch die Verbandsversammlung „nur“ ein Beitragssatz von 4,83 Euro/m²). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates ist es rechtlich zulässig, im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen eine sich aus Beiträgen und Gebühren zusammensetzende Finanzierung vorzunehmen, wie der Beklagte das im vorliegenden Fall tut.

65

4. Die Heranziehung der Klägerin im vorliegenden Einzelfall ist rechtmäßig.

66

Die Anwendung der ABS (Fassung 2011) auf den vorliegenden Einzelfall ist in rechtmäßiger Weise erfolgt; sowohl die Beitragsfestsetzungen als auch das Zahlungsgebot erweisen sich als rechtmäßig (zu a). Die Beitragserhebungsmöglichkeit hat sich weder „verflüchtigt“ (b) noch verstößt sie gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (c) oder liegt eine unzulässige Doppelveranlagung vor (d).

67

a) Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Bestimmtheit ist nicht gegeben. Die komplizierte Materie einer Wohnungseigentümergemeinschaft erfordert auch komplizierte Bescheide. Daher ist es ein adäquates Vorgehen des Beklagten, 135 Bescheide zu erlassen, diese aber dann letztlich objektbezogen in einem Widerspruchsbescheid zu bündeln. Im Widerspruchsbescheid ist hinreichend klargestellt, auf welchen Betrag sich das Leistungsgebot der Veranlagung bezieht und dass die zuvor bezahlten Beiträge angerechnet werden. Zutreffend hat der Beklagte berücksichtigt, dass die im Jahre 2011 entstandenen Beiträge durch die auf die Bescheide von 1999 geleisteten Zahlungen teilweise durch Erfüllung erloschen sind. Daher hat das Leistungsgebot diese Zahlungen zutreffend berücksichtigt.

68

b) Das vom BVerfG im Beschluss vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 = NVwZ 2013 S. 1004, entwickelte Rechtsinstitut der „Verflüchtigung“ greift im Ergebnis nicht durch. Danach kann ein zwar nicht verjährter Beitrag aus rechtsstaatlichen Gründen eventuell nicht mehr erhoben werden (vgl. hierzu im Einzelnen Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, § 7 Erläuterung 8.1.4.2, Seite 60 ff.).

69

Der Leitsatz des Beschlusses des BVerfG vom 5. März 2013 lautet im Wesentlichen, das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlange Regelungen, die sicherstellten, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden könnten. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden könne.

70

In dem genannten Beschluss hat das BVerfG – ausweislich der Nr. 1 des Tenors – den anzuwendenden Art. 13 des BayKAG für mit dem Grundgesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) „unvereinbar“ erklärt, nicht aber für nichtig. Dies hat entscheidende Bedeutung für die weitere Möglichkeit des bayerischen Landesgesetzgebers, diesen Mangel zu beseitigen. So führt das BVerfG dann auch aus (Orientierungssatz 3 und Rn. 49 ff.), dem Gesetzgeber ständen mehrere Möglichkeiten zur Beseitigung des verfassungswidrigen Zustandes zur Verfügung, und zunächst komme nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht. „Nichtigkeit“ trete jedoch zum 1. April 2014 ein, wenn der Gesetzgeber auf eine Sonderregelung des Beginns der Festsetzungsfrist verzichte.

71

Das BVerwG (Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 15.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 139/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 16.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 140/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 17.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 142/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 18.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 143/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 19.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 207/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 20.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 208/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 21.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 210/13 –; vgl. hierzu Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, KAG M-V, § 7 Erläuterung 8.1.4.6 Seite 86) hat für die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern durch Urteile vom 15. April 2015 die Revisionen der dortigen Kläger gegen die Urteile des OVG Greifswald vom 1. April 2014 zurückgewiesen, weil die Beitragserhebung noch innerhalb der Übergangsfrist des § 12 Abs. 2 KAG M-V in der bis zum 29. Juli 2016 geltenden Fassung erfolgt sind, d. h. bis zum 31. Dezember 2008. Ferner hat das BVerwG in einem umfassenden obiter dictum weitere „Segelanweisungen“ gegeben.

72

Ausdrücklich hat das BVerwG, a. a. O., dem Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern die Möglichkeit offen gelassen, eine weitergehende und längere Festsetzungsverjährungsfrist als den 31. Dezember 2008 zu bestimmen und im Einzelnen ausgeführt:

73

„Denn es ist Aufgabe des Gesetzgebers, in Wahrnehmung seines weiten Gestaltungsspielraums einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen einerseits der Allgemeinheit an der Beitragserhebung und andererseits der Beitragspflichtigen an einer zeitlich nicht unbegrenzten Inanspruchnahme zu schaffen (BVerfG, Beschl. vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 Rn. 42). Mit diesem Gestaltungsauftrag ist – nicht zuletzt angesichts der Vielzahl der vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten, jedoch gerade nicht den Verweis auf die Höchstverjährungsfrist einschließenden Lösungsmöglichkeiten wie auch der Unterschiedlichkeit der in einzelnen Ländern erlassenen und zudem deutlich kürzeren Ausschlussfristen – der schematische Rückgriff auf § 53 Abs. 2 VwVfG M-V wohl unvereinbar, zumal die Vorschrift gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG M-V nicht für Verfahren gilt, die – wie vorliegend – nach den Vorschriften der Abgabenordnung durchzuführen sind.“

74

Eine solche Fristbestimmung hat der Landesgesetzgeber jetzt durch Gesetz vom 14. Juli 2016 getroffen; ebenso wie zahlreiche andere Bundesländer bereits ihre Verjährungsregelungen nachgebessert haben.

75

Der Senat hat keine Zweifel daran, dass diese gesetzliche Neuregelung den von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht gemachten Vorgaben entspricht, sodass der Senat die geänderte Fassung des § 12 Abs. 2 KAG MV seiner Entscheidung zugrunde legen kann. Der Gesetzgeber hat jetzt eine Regelung geschaffen, nach der eine zeitlich unbefristete Heranziehung zu (Anschluss-) Beiträgen nicht mehr möglich ist.

76

§ 12 Abs. 2 in der jetzt geltenden Fassung lautet u. a.:

77

§ 169 der Abgabenordnung gilt mit der Maßgabe, dass

78

1. über § 169 Absatz 1 Satz 1 der Abgabenordnung hinaus die Festsetzung eines Beitrages unabhängig von dem Entstehen der Beitragspflicht spätestens 20 Jahren nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig ist, wobei der Lauf der Frist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2000 beginnt, …"

79

Diese Frist ist ersichtlich im Jahre 2009 noch nicht abgelaufen gewesen, weil im vorliegenden Fall – wie oben ausgeführt – noch nicht einmal die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist nach § 169 Abs. 2 AO an- und erst Recht nicht abgelaufen ist.

80

Zur weiteren Klarstellung hat der Landesgesetzgeber noch in § 22 KAG M-V folgenden Abs. 3 angefügt:

81

„Soweit sich für bestehende Abgabensatzung ein Rechtsmangel daraus ergibt, dass das Kommunalabgabengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. April 2005 (GVOBl. M-V S. 146), das zuletzt durch Art. 2 des Gesetzes vom 13. Juli 2011 (GVOBl. M-V S. 777, 833) geändert worden ist, die Heranziehung zu Beiträgen keiner zeitlichen Obergrenze unterwirft, ist dieser Rechtsmangel mit Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016 (GVOBl. M-V S. 584) unbeachtlich.“

82

Nach Auffassung des Senates hätte es dieser salvatorischen Klausel nicht bedurft, da jedes Gesetz, soweit nichts anderes geregelt ist, mit Inkrafttreten seine Gültigkeit beansprucht. Nach den bisherigen Regelungen war lediglich keine zeitliche Obergrenze für eine Verjährung eines Anschlussbeitrages geregelt. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der Anschlussbeitrag verjährt wäre.

83

Da das BVerwG in seinen Urteilen vom 15. April 2015 dem Gesetzgeber gerade die Möglichkeit eröffnet, entsprechend seiner Gesetzgebungskompetenz eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen und die Länge der Verjährungsfrist zu bestimmen, hätte eine diesbezügliche Neuregelung ausgereicht. Gegenstand des Rechtsstreits um das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit („Verflüchtigungsrechtsstreit“) war nicht etwa eine gesetzliche Regelung, die verfassungswidrig sei, sondern die Tatsache, dass eine Gesetzeslücke gesehen wurde, die die Anwendung des im Übrigen verfassungsgemäßen KAG M-V ab einem gewissen vom Gesetzgeber festzulegenden Stichtag verfassungswidrig machen würde. Einer weitergehenden deklaratorischen Klausel hätte es nicht bedurft; als deklaratorische Klausel ist die Regelung des § 22 Abs. 3 KAG M-V (Fassung 16. Juli 2016) aber „unschädlich“.

84

Der Senat hat keine Bedenken, dass die nunmehr bestimmte Festsetzungsfrist die Interessen der Abgabepflichtigen in Mecklenburg-Vorpommern in adäquater Weise behandelt. Die Festsetzungsfrist betrifft ein neues Bundesland, in dem die landesrechtlichen Grundlagen für einen Anschlussbeitrag erst geschaffen werden mussten, und bleibt unterhalb der in der Rechtsordnung bekannten längsten Verjährungsfrist von 30 Jahren. Der Landesgesetzgesetzgeber hat sich innerhalb des gesetzgeberischen Spielraumes bewegt und sich von folgenden Erwägungen leiten lassen (Gesetzentwurf der Landesregierung vom 11. März 2016, LT-Dr. 6/5257 S. 2 f.):

85

„Bei der konkreten Ausgestaltung einer landesgesetzlichen Festlegung einer zeitlichen Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum hinsichtlich des gesetzlich zu schaffenden Ausgleichs zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für Vorteile (hier: durch Anschluss an eine gemeindliche Einrichtung) einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann, zu (BVerwG, Urteil vom 15.04.2015 – 9 C 15/14 – u. a.; vergleiche BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, a. a. O.).

86

Nach Auffassung des BVerfG bleibt es dem Landesgesetzgeber überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die der Rechtssicherheit genügt. So könnte der Landesgesetzgeber etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt.

87

Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt. Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143-163, Rn. 50).

88

Die Bundesländer Sachsen, Brandenburg, Bayern, Thüringen und Sachsen-Anhalt haben bei einer mit Mecklenburg-Vorpommern vergleichbaren Rechtslage ihre Kommunalabgabengesetze bereits an die Forderungen des BVerfG (Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –) angepasst. Insofern wird die Änderung des KAG M-V auch in Kenntnis der in diesen Bundesländern erfolgten landesgesetzlichen Regelungen vorgenommen. Maßgebliches Ziel des Landesgesetzgebers ist es, die kommunalen Aufgabenträger im Falle nichtigen Satzungsrechts vor Beitragsausfällen infolge Verjährungseintritts zu bewahren, ohne dabei gegen das Verbot zu verstoßen, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festzusetzen.

89

In Abwägung der Interessen der kommunalen Aufgabenträger und der Abgabenpflichtigen wird deshalb eine 20-jährige Verjährungsfrist geregelt, wobei aufgrund der Sondersituation nach der Deutschen Einheit der Lauf der Frist bis zum Ablauf des Jahres 2000 gehemmt ist („…wobei der Lauf der Frist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2000 beginnt.“). Damit ist die maximal mögliche Verjährungsfrist von 30 Jahren deutlich unterschritten und in Kombination mit einer Regelung zur Verjährungshemmung gleichwohl eine Beitragserhebung bis 2020 ermöglicht. Mit der Regelung zur Verjährungshemmung hatte auch der Landesgesetzgeber Brandenburg auf die Forderungen des BVerfG reagiert.“

90

Da der Senat die neue Festsetzungsfrist als verfassungsgemäß ansieht, hat er keine Veranlassung, den Rechtsstreit dem BVerfG vorzulegen (Art. 100 Abs. 1 GG).

91

c) Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, wie er in dem stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG, 2. Kammer, Beschl. vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –, LKV 2016 S. 25 ff., vorgehend OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 29. September 2014 – OVG 9 N 40.14 –, vorgehend BVerwG, Beschl. vom 11. September 2014 – 9 B 21.14 –, vorgehend OVG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 13. November 2013 – OVG 9 B 35.12 – konkretisiert worden ist, führt gleichfalls nicht zur Rechtswidrigkeit der hier streitigen Abgabenerhebung

92

In dem dortigen Kammerbeschluss nimmt das BVerfG im Kern eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG an durch rückwirkende Erhebung kommunaler Abwasseranschlussbeiträge – hier: Abgabenerhebung gem. § 8 Abs. 7 S. 2 KAG BB i. d. F. vom 17. 12. 2003 – in Fällen, in denen die Beiträge nicht mehr nach § 8 Abs. 7 S. 2 KAG BB i. d. F vom 27.06.1991 hätten erhoben werden können, da mit Entstehen der Beitragspflicht durch rückwirkendes Inkrafttreten einer wirksamen Beitragssatzung zugleich Festsetzungsverjährung eingetreten wäre.

93

Nach Auffassung des Senates ist der Beschluss des BVerfG, der grundsätzlich nach § 31 BVerfGG in seinem Tenor und seinen tragenden Gründen auch für das OVG Greifswald Bindungswirkung entfaltet (vgl. Aussprung in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 7 Anm. 8.1.4.6.), nicht einschlägig, sodass gerade keine Bindungswirkung eintritt. Denn der vom Senat zu entscheidende Sachverhalt unterscheidet sich von dem Sachverhalt, der den Verfahren aus Berlin-Brandenburg zugrunde gelegen hat, sodass eine Bindung des OVG Greifswald an die tragenden Gründe des Kammerbeschlusses vom 12. November 2015 ausscheidet.

94

Die Kernaussage des BVerfG in seinem Beschluss vom 12. November 2015 ist, dass es gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot verstößt, wenn eine gesetzliche Vorschrift dergestalt geändert wird, dass nunmehr Beiträge erhoben werden sollen, die nach der Vorgängervorschrift nicht mehr hätten erhoben werden dürfen (vgl. z. B. Rn. 39, a. a. O.). In den Fällen aus Brandenburg wären nach alter Rechtslage die Beitragsschulden wegen Festsetzungsverjährung erloschen (Rn. 64, a. a. O.). Dass in einem solchen Fall eine gesetzliche Vorschrift, die rückwirkend die angelaufene und eine logische Sekunde später auch abgelaufene Festsetzungsverjährung „aus den Angeln hebt“, sich als echte Rückwirkung darstellt und den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundsatzes des Vertrauensschutzes nicht genügt, wird auch vom Senat in gleicher Weise gesehen.

95

Wie bereits oben ausgeführt, unterscheidet sich die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern elementar von der in Brandenburg. Seit Inkrafttreten des KAG vom 11. April 1991 hat das OVG Greifswald stets die Rechtsauffassung vertreten, dass (nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1991, heute § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V) ohne eine wirksame Satzung keine sachliche Beitragspflicht entstehen kann und mithin auch der Lauf der regelmäßigen Verjährung nicht in Gang gesetzt wird (vgl. zur ähnlichen Rechtslage in Sachsen-Anhalt, OVG Magdeburg, Beschl. vom 17. Februar 2016 – 4 L 119/15 –, Rn. 58 und 59 und OVG Weimar, Urt. vom 12. Januar 2016 – 4 KO 850/09 –, juris Rn. 48, zur Rechtslage in Thüringen).

96

Dass es auf die Auslegung des Landesrechtes durch das oberste Landesgericht ankommt, wird auch aus dem Beschluss des BVerfG vom 12. November 2015 deutlich, wo an mehreren Stellen darauf abgestellt wird, wie das OVG Berlin-Brandenburg seit dem Jahre 2000 das dortige Landesrecht ausgelegt hat. Erst durch den Wechsel der Auslegung des Landesrechts von Brandenburg ist die „Sach- und Rechtslage“ in Brandenburg dergestalt „umgestaltet“ worden, dass es auf die erste Satzung ankomme, auch wenn sie nicht wirksam gewesen sein sollte. In Rn. 52 spricht das BVerfG sogar von „Gesetzeslage“, und versteht darunter nicht nur § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG BB a. F., sondern auch und gerade, wie das OVG Berlin-Brandenburg diese Bestimmung ausgelegt hat.

97

Anzumerken ist schließlich noch, dass seit Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes, jetzt BauGB, im Jahr 1960 das BVerwG im Erschließungsbeitragsrecht stets auf die Wirksamkeit der Satzung abgestellt hat. Diese gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung hat das OVG Greifswald auf das Anschlussbeitragsrecht übertragen. Diese Rechtsprechung, die ca. 50 Jahre alt ist, ist für das Erschließungsbeitragsrecht höchstrichterlich noch nie infrage gestellt worden.

98

Der Senat schließt sich der Auffassung des OVG Magdeburg, a. a. O. (Rn. 62), insoweit an, dass die Abgabenpflichtigen vor der Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013 nicht haben darauf vertrauen können, dass ihnen gegenüber aufgrund eines langen Zeitraumes seit Entstehen einer Vorteilslage keine Abgabe mehr festgesetzt werden könnte. Insoweit kam es allein darauf an, ob und in welcher Weise der Landesgesetzgeber auf die Entscheidung des BVerfG reagieren würde.

99

Schließlich kann die Klägerin mit ihrer Auffassung nicht durchdringen, der Landesgesetzgeber M-V sei wegen der Bindungswirkung des § 31 BVerfGG auch an die dem bayerischen Landesgesetzgeber im Beschluss des BVerfG vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – gesetzte Frist gebunden, bis zum 31. März 2014 (Ziffer 1 des Tenors) eine gesetzliche Neuregelung vorzunehmen. Diese Frist ist ausschließlich für den bayerischen Landesgesetzgeber maßgeblich gewesen. Nur er ist von dem Beschlusstenor gebunden, wonach die bayerische Regelung des Art. 13 BayKAG mit dem Grundgesetz unvereinbar sei. Nur er hat die Gesetzgebungskompetenz, diesen Art. 13 BayKAG zu ändern. In der Sache hat das BVerfG somit das Abgabenerhebungsverfahren ausgesetzt (siehe Rn. 52), um dem bayerischen Gesetzgeber die Gelegenheit zur verfassungsgemäßen Neuregelung zu geben. Zudem hat das BVerfG den Verwaltungsgerichten die Kompetenz eröffnet, das Landesrecht verfassungskonform auszulegen (Rn. 52).

100

Zutreffend ist zwar, dass nicht nur der Tenor einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung Bindungswirkung entfaltet, sondern auch die tragenden Gründe. Die gegenüber dem bayerischen Landesgesetzgeber ausgesprochene zeitliche Höchstgrenze für eine gesetzliche Neuregelung in Bayern ist aber kein tragender Entscheidungsgrund, der sich über das bayerische Landesrecht hinausgehende Bedeutung beimisst.

101

d) Die Abgabenerhebung aus dem Jahre 1999 steht nicht unter dem Blickwinkel einer „unzulässigen Doppelveranlagung“ oder „unzulässigen Nacherhebung“ der Rechtmäßigkeit der hier angefochtenen Abgabenbescheide aus dem Jahre 2009 entgegen. Das Problem der Nachveranlagung oder auch Doppelveranlagung ist (vgl. Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, KAG M-V, § 12 Erläuterungen 50 ff., Seite 71 ff.) in der Rechtsprechung des OVG Greifswald geklärt (vgl. OVG Greifswald, Urt. vom 15. Dezember 2009 – 1 L 323/06 –, OVG Greifswald Urt. vom 15. Dezember 2010 – 1 L 1/09 –, ferner Beschl. vom 28. Januar 2010 – 1 L 217/09 – und Beschl. vom 28. Januar 2010 – 1 M 181/09 –). Dort hat das OVG Greifswald den Grundsatz aufgestellt, dass bei leitungsgebundenen Einrichtungen die Aufgabenträger grundsätzlich berechtigt und verpflichtet sind, eine Nacherhebung in dem Sinne vorzunehmen, dass sie einen wirksam entstandenen Anschlussbeitragsanspruch voll ausschöpfen. Einer solchen Nacherhebung stehen der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung, die Rechtsfolgen der Bestandskraft des erster Heranziehungsbescheides und der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ebenso wenig entgegen wie die Bestimmung des § 12 Abs. 1 KAG M-V und die darin enthaltene Verweisung auf die Bestimmungen der Abgabenordnung (Aussprung, a. a. O., Erläuterung 50.2.3, Seite 76 f.). An dieser Auffassung hält der Senat fest.

102

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; insoweit kommt auch eine Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht in Betracht.

103

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor. Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist der Vorteilsbegriff landesrechtlich determiniert. Auch der Fragenkomplex, ob eine Abgabenerhebung in Mecklenburg-Vorpommern in der vorliegenden Fallkonstellation rechtlich noch zulässig ist, beruht auf der Auslegung des Landesrechts. Dies gilt insbesondere auch für die Frage der Nacherhebung eines noch nicht ausgeschöpften Beitragsanspruches, weil auch die anzuwendende Abgabenordnung im Bereich des Kommunalabgabenrechts Landesrecht ist. Zudem sind die grundsätzlichen Rechtsfragen der „Verflüchtigung“ eines beitragsrechtlichen Vorteils und des Vertrauensschutzes durch die im Urteil zitierte Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG geklärt.

Tenor

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 15. Juni 2017 – 3 A 244/13 – wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 2.657,60 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Durch Bescheid vom 15. Februar 2013 zog der Beklagte die Kläger für ihr im Satzungsgebiet des Beklagten belegenes Grundstück (Flurstück .../2, Flur ..., Gemarkung G...) einem Schmutzwasserbeitrag in Höhe von 2.657,60 € heran. Das Grundstück ist seit 1972 an die öffentlichen Entwässerungsanlagen angeschlossen. Den Widerspruch der Kläger wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 4. März 2013 zurück. Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 15. Juni 2017 abgewiesen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.

2

Die Kläger machen geltend, die Berufung sei gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Rügen der Kläger gegen die Beitragssatzung 2017 zurückgewiesen. Die Beitragserhebung verstoße zudem gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit, Belastungsklarheit und Belastungsvorhersehbarkeit. Bei den Regelungen in § 12 Abs. 2 KAG M-V 2016 und § 22 Abs. 3 KAG M-V 2016 handele es sich um einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot.

3

Die Maßstabsregelung des § 5 Beitragssatzung 2017 sei unwirksam. Insbesondere sei § 5 Ab. 3 Buchstabe g) unvollständig und verstoße gegen den Grundsatz der konkreten Vollständigkeit. Die Regelungen des § 5 Abs. 3 Buchstaben e) bzw. f) seien widersprüchlich.

4

Das Grundstück der Kläger sei bereits im Jahr 1972 an die zentrale öffentliche Schmutzwasserbeseitigungsanlage angeschlossen worden. Der Vorteil dieses Anschlusses habe sich bis zur Beitragserhebung im Jahre 2013 verflüchtigt. Im vorliegenden Fall komme der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 zum Tragen, wonach das Rechtstaatsprinzip und die hierin enthaltenen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einer Beitragserhebung nunmehr entgegenständen. Dies ergebe sich auch aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. April 2015 und aus den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts zum Aktenzeichen 9 C 15.14 u. a. Daraus folge, dass § 9 Abs. 3 KAG M-V dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht entspreche. Die nunmehr in das KAG M-V 2016 eingeführte neue Regelung des § 12 Abs. 2 KAG M-V stelle keinen angemessenen Interessenausgleich im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung dar. Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Interessenabwägung habe offensichtlich nicht stattgefunden. Die neue Verjährungsregelung des KAG M-V 2016 sei wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsgebot verfassungswidrig.

5

Die Regelung des § 22 Abs. 3 KAG M-V 2016 stelle einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot dar. Diese Regelung enthalte eine echte Rückwirkung. Mit Ablauf des 31. Dezember 2008 sei die Erhebung von Anschlussbeiträgen in den Fällen der Altanschließer nicht mehr möglich.

II.

6

Der gem. § 124a Abs. 4 VwGO fristgerecht gestellte und ebenso fristgerecht begründete Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der angefochtenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.

7

Die hier anzuwendenden Regelungen der §§ 9, 12 und 22 KAG M-V (zu 1 und 2) sind verfassungsgemäß. Die Rügen gegen die Maßstabsregelung des § 5 der Schmutzwasserbeseitigungssatzung zur Abwasserbeseitigungssatzung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung Grimmen vom 8. März 2017 – SBS 2017 – greifen nicht durch (zu 3) und Fehler bei der Heranziehung im Einzelfall sind im Zulassungsverfahren nicht dargelegt worden.

8

1. Die Frage, ob eine sachliche Beitragspflicht frühestens mit Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung entstehen kann (§ 9 Abs. 3 KAG M-V), ist zu bejahen. Dies ist zwischenzeitlich höchstrichterlich geklärt.

9

Soweit die Kläger im Zulassungsantrag vortragen, es bestünden ernstliche Zweifel an dem angefochtenen Urteil im Hinblick auf die aktuellen (Verjährungs-)regelung in § 12 Abs. 2 KAG M-V, geht dieser Einwand bereits im Grundsatz fehl. Insoweit wird übersehen, dass das Oberverwaltungsgericht Greifswald in seinen Urteilen vom 6. September 2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 68 ff. und – 1 L 217/13 –; beide rechtskräftig durch BVerwG, Beschlüsse vom 18. Mai 2017 – 9 B 71.16 –, juris, und – 9 B 72.16 –, sich mit dieser Norm befasst hat. Das Bundesverwaltungsgericht, a. a. O., hat die Auslegung des Senates gebilligt.

10

In Mecklenburg-Vorpommern bestehen somit aktuell - zum einen - die Regelungen über die Verjährung von abgabenrechtlichen Ansprüchen (§ 12 Abs. 2 Nr. 2 KAG M-V i. V. m. § 47 AO). Beitragsansprüche nach § 9 KAG M-V entstehen frühestens mit der ersten wirksamen Satzung. Diese ist erst 2017 erlassen worden, sodass die vierjährige Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Zum anderen besteht daneben eine Höchstfrist für eine Abgabenerhebung, die lediglich an das Bestehen einer tatsächlichen Vorteilslage anknüpft, nicht aber das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht voraussetzt. Auch diese Erhebungssperrfrist des § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V ist noch nicht abgelaufen, da die diesbezügliche Frist frühestens ab 31. Dezember 2000 hat zu laufen beginnen und der 20-Jahreszeitraum noch nicht verstrichen ist. Im vorliegenden Fall ist das Verwaltungsgericht daher zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass weder die Festsetzungsfrist abgelaufen und damit keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist, noch hat sich die Vorteilslage „verflüchtigt“, noch ist den Klägern Vertrauensschutz zuzubilligen, künftig von einer Abgabenfestsetzung bzw. Abgabenerhebung verschont zu bleiben.

11

Schließlich vermag auch die von der Klägerseite in der Zulassungsschrift benannte Altanschließerproblematik die Zulassung der Berufung nicht zu rechtfertigen. Diese ist in der Rechtsprechung des Senates und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.

12

Zur weiteren Erläuterung verweist der Senat auf die wesentlichen Inhalte seiner Rechtsprechung und die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts: Das OVG Greifswald, Urt. vom 6. September 2016 – 1 L 212/13 –, vorgehend VG Greifswald, Urt. vom 22. August 2013 – 3 A 291/10 –, ähnlich OVG Greifswald, Urt. vom 6. September 2016 – 1 L 217/13 –, vorgehend VG Greifswald, Urt. vom 22. August 2013 – 3 A 1130/11 – hat in seinen ersten Urteilen zum KAG M-V 2016 insoweit ausgeführt:

13

„Erst das Inkrafttreten der ersten wirksamen Anschlussbeitragssatzung kann die sachliche Beitragspflicht auslösen. Einer Rückwirkung dieser Satzung bedarf es in Mecklenburg-Vorpommern nicht (st. Rechtsprechung des OVG Greifswald seit Beschluss vom 8. April 1999 – 1 M 41/99 –).“

14

Die ersten wirksamen Beitragssatzungen des Beklagten datieren vom 8. März 2017 (siehe unter 3), denn die Vorgängersatzungen haben sich als unwirksam erwiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die beiden Normenkontrollurteile des Senates vom 5. Dezember 2016 – 1 K 8 /13 – (Schmutzwasser) und – 1 K 9/13 – (Niederschlagswasser) verwiesen. Des Weiteren hat der Senat in seinen oben genannten Urteilen vom 6. September 2016 ausgeführt:

15

„Das vom BVerfG im Beschluss vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 = NVwZ 2013 S. 1004, entwickelte Rechtsinstitut der „Verflüchtigung“ greift im vorliegenden Fall nicht durch. Denn das BVerwG (Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 15.14 u. a. –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 139/13 u. a. – hat dem Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern die Möglichkeit offen gelassen, eine weitergehende und längere Festsetzungsverjährungsfrist als den 31. Dezember 2008 zu bestimmen. Eine solche Fristbestimmung hat der Landesgesetzgeber jetzt durch Gesetz vom 14. Juli 2016 getroffen. Der Senat hat keine Zweifel daran, dass diese gesetzliche Neuregelung (§ 12 Abs. 2 KAG M-V Fassung 2016) den von BVerfG und BVerwG gemachten Vorgaben entspricht. Eine zeitlich unbefristete Heranziehung zu (Anschluss-)Beiträgen ist nicht mehr möglich.

16

Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, wie er in dem stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG, 2. Kammer, Beschl. vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –, LKV 2016 S. 25 ff., für Berlin-Brandenburg konkretisiert worden ist, ist im vorliegenden Verfahren - wegen der abweichenden Sach- und Rechtslage - nicht einschlägig, sodass er keine Bindungswirkung nach § 31 BVerfGG entfaltet. Seit Inkrafttreten des KAG vom 11. April 1991 hat das OVG Greifswald stets die Rechtsauffassung vertreten, dass (nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1991, heute § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V) ohne eine wirksame Satzung keine sachliche Beitragspflicht entstehen kann und mithin auch der Lauf der regelmäßigen Verjährung nicht in Gang gesetzt wird (vgl. zur ähnlichen Rechtslage in Sachsen-Anhalt, OVG Magdeburg, Beschl. vom 17. Februar 2016 – 4 L 119/15 –, Rn. 58 und 59 und OVG Weimar, Urt. vom 12. Januar 2016 – 4 KO 850/09 –, Juris Rn. 48, zur Rechtslage in Thüringen).

17

Die im Beschluss des BVerfG vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – gesetzte Frist, bis zum 31. März 2014 eine gesetzliche Neuregelung vorzunehmen, ist ausschließlich für den bayerischen Landesgesetzgeber maßgeblich gewesen.“

18

An diesen Erwägungen ist uneingeschränkt festzuhalten, zumal das Bundesverwaltungsgericht, Beschl. vom 8. März 2017 - 9 B 19.16 -, vorgehend OVG Magdeburg, Beschl. vom 17. Februar 2016 - 4 L 119/15 –, sich in einer auf Mecklenburg-Vorpommern übertragbaren Weise zu den Fragen der Vereinbarkeit von Anschlussbeiträgen mit dem Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit und zur Ausschlussfrist geäußert hat:

19

„Das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit schützt den Bürger davor, für lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge zeitlich unbegrenzt zu Beiträgen herangezogen zu werden. Der Gesetzgeber hat einen weiten Gestaltungsspielraum bei seiner Aufgabe, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der einzelnen Vorteilsempfänger an Rechtssicherheit zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen (im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 – BVerfGE 133, 143) (Rn. 7).“

20

Insbesondere in Rn. 26 und 29 führt das Bundesverwaltungsgericht aus:

21

„Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss es sich um eine beitragsrelevante Vorteilslage handeln. Damit stimmt insbesondere auch eine Rechtsprechung überein, nach der die Vorteilslage nicht an eine tatsächliche Anschlussnahme anknüpft, sondern erst in dem Zeitpunkt entsteht, in dem den Beitragspflichtigen erstmals der rechtlich gesicherte Vorteil geboten worden ist, ihr Schmutzwasser mittels einer öffentlichen Einrichtung entsorgen zu können (BVerwG, Urteil vom 15. April 2015 - 9 C 19.14 -, Buchholz 11 Art. 20 Nr. 218 Rn. 16).

22

Hintergrund der Fragestellung ist, dass § 6 Abs. 6 KAG-LSA a. F., nach dem die Beitragspflicht mit der Beendigung der beitragspflichtigen Maßnahmen entstand, vom Oberverwaltungsgericht wie § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG-LSA ausgelegt wurde, sodass die Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung entstehen konnte und Beiträge entgegen dem verfassungsrechtlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit zeitlich unbegrenzt erhoben werden konnten. Dies hat nach Auffassung des Berufungsgerichts zur Folge, dass der neu eingefügte § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG LSA keine unzulässige Rückwirkung entfaltete, da sich die Rechtslage durch das Änderungsgesetz nicht geändert hat. Vielmehr war die neue Regelung nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts lediglich deklaratorischer Natur (BA S. 16; ebenso nun LVerfG Dessau, Urt. vom 24. Januar 2017 - LVG 1/16 -, UA Rn. 61).“

23

Eine endgültige Klärung der von der Zulassungsschrift angesprochenen Fragen folgt aus den beiden Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Mai 2017 - 9 B 72.16 – und - 9 B 71.16 -, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 6. September 2016 - 1 L 217/13 – und - 1 L 212/13 –. Darin führt das Bundesverwaltungsgericht für das Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern unter anderem aus:

24

„Weder das Bundesverfassungsgericht noch das Bundesverwaltungsgericht haben den Rechtssatz aufgestellt, es sei unzulässig, die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht vom Vorliegen einer wirksamen Satzungsgrundlage abhängig zu machen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem von der Beschwerde zitierten Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143 Rn. 45) nicht die Anknüpfung des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht an eine wirksame Satzung für unzulässig erachtet, sondern es mit dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit für unvereinbar erklärt, wenn der Gesetzgeber ganz von einer Regelung absieht, die der Abgabenerhebung eine bestimmte zeitliche Grenze setzt. Auch der Senat hat in seinem Urteil vom 15. April 2015 - 9 C 19.14 - lediglich das Fehlen einer zeitlichen Höchstgrenze für eine Beitragserhebung in § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V a. F. beanstandet (Rn. 3).

25

Das Berufungsgericht ist auch nicht konkludent von dem vorgenannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen. Danach wirkte sich die Verfassungswidrigkeit von § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V aufgrund der in § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V a. F. geregelten Übergangsfrist (erst) nach deren Ablauf am 31. Dezember 2008 aus. Ausführungen zu den ab diesem Zeitpunkt eintretenden rechtlichen Folgen enthält das vorgenannte Urteil nicht. Diese ergeben sich vielmehr aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - (BVerfGE 133, 143 Rn. 49, 51). Die Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift, die eine zeitlich unbegrenzte Abgabenerhebung ermöglichte, führte danach nicht zu deren Nichtigkeit, sondern nur zur Unwirksamkeit mit der weiteren Folge, dass sie nicht mehr angewandt werden dürfte und laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren bis zu einer gesetzlichen Neuregelung auszusetzen waren. Das Berufungsgericht hat eine solche Neuregelung in § 12 Abs. 2 KAG M-V in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016 (GVBl. M-V S. 584) gesehen und deren Verfassungsmäßigkeit bestätigt. Seine Schlussfolgerung, dass einer Beitragserhebung damit nicht mehr das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit entgegensteht, widerspricht folglich auch insoweit nicht dem vorstehenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts Rn. 4).

26

Das Oberverwaltungsgericht hat auch nicht im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zum Vertrauensschutz (UA S. 23 ff.) einen von dem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14 u. a. – (NVwZ 2016 S. 300) abweichenden Rechtssatz aufgestellt. Es hat vielmehr die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts deswegen nicht für einschlägig erachtet, weil der dort zugrunde liegende Sachverhalt mit dem vorliegenden nicht vergleichbar sei. In dem aus Brandenburg stammenden Fall sei nach alter Rechtslage die Beitragsforderung im Zeitpunkt der Gesetzesänderung erloschen gewesen. Dass in einem solchen Fall eine gesetzliche Vorschrift, die rückwirkend eine abgelaufene Festsetzungsverjährung „aus den Angeln hebe“, eine echte Rückwirkung darstelle, sei nicht zweifelhaft. Der Unterschied liege aber darin, dass sich die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern elementar von der in Brandenburg unterscheide. Im Gegensatz zu Mecklenburg-Vorpommern sei es nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg stets auf die erste Satzung angekommen, gleichgültig, ob diese wirksam gewesen sei Rn. 5).“

27

2. Schließlich vermag auch der Hinweis der Kläger auf § 22 Abs. 3 KAG M-V 2016 dem Senat keine ernstlichen Zweifel an der angefochten Entscheidung zu vermitteln. Der Senat hat sich bereits mit oben genannten Urteilen vom 6. September 2016 mit dieser Regelung befasst und ausgeführt: Es hätte dieser salvatorischen Klausel nicht bedurft. Jedes Gesetz, soweit es nichts anderes regele, beanspruche mit Inkrafttreten seine Gültigkeit. Nach den bisherigen Regelungen des KAG M-V sei lediglich keine zeitliche Obergrenze für eine Verjährung eines Anschlussbeitrages geregelt gewesen. Daraus habe aber nicht geschlossen werden können, dass ein Anschlussbeitrag verjährt sei. Der Senat hat die Rechtslage vor Inkrafttreten des KAG M-V 2016 dahingehend bewertet, dass die Anwendung des im Übrigen verfassungsgemäßen KAG M-V ab einem gewissen vom Gesetzgeber festzulegenden Stichtag verfassungswidrig wäre. Die gesetzliche Neuregelung 2016 beinhaltet jetzt in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V die erforderliche gesetzgeberische Entscheidung, die die widerstreitenden Interessen abwägt. Einer weitergehenden deklaratorischen Klausel hätte es nicht bedurft. Als deklaratorische Klausel ist die Regelung des § 22 Abs. 3 KAG M-V aber unschädlich (Senatsurteile vom 6. September 2016; vgl. auch Aussprung in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 7 Erl. 8.1.6).

28

3. Die von Klägerseite vorgetragenen Einwendungen gegen die Maßstabsregelung des § 5 SBS 2017 greifen nicht durch.

29

Die Kläger machen zum einen geltend, die Maßstabsregelung sei unvollständig, als Grundstücke nicht erfasst würden, auf denen zwar kein Vollgeschoss verwirklicht werden könne, die aber gleichwohl baulich oder gewerblich nutzbar seien. Die vom Verwaltungsgericht vertretene Ansicht, wonach entsprechende Bebauungssituation bei Kleingartengrundstücken, Campingplätzen, Sportplätzen oder Garagen auftreten könnten und diese von § 5 Abs. 3 Buchstabe g) SBS 2017 erfasst seien, könne nicht gefolgt werden. So beziehe sich diese Regelung ausschließlich nur auf Garagen und Stellplätze. Die gewerbliche Nutzung setze jedoch nicht zwingend eine Bebauung voraus. Für diese gewerbliche Nutzung liege eine Maßstabsregelung nicht vor.

30

Mit diesem Vortrag sind beim Senat keine ernstlichen Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung, konkret des Beitragsmaßstabes, geweckt worden. Bereits zur Vorgängersatzung hat der Senat im Normenkontrollurteil vom 5. Dezember 2016 – 1 K 8/13 -, juris Rn. 48, ausgeführt: Zwar gelte auch im Beitragsrecht der Grundsatz der konkreten Vollständigkeit. Nach diesem Grundsatz müsse eine Beitragssatzung für alle Beitragsfälle im Beitragsgebiet einen wirksamen Maßstab vorsehen (grundlegend OVG Greifswald, Urteil vom 15. März 1995 – 4 K 22/94 –). Allerdings liege ein Verstoß gegen diesen Grundsatz dann nicht vor, wenn im Satzungsgebiet keine Anwendungsfälle für die fehlenden Maßstabsregelungen bestünden.

31

An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Es wäre daher Sache des Zulassungsantrages gewesen darzulegen, in welcher Sachverhaltskonstellation eine Maßstabslücke auftrete und dass es einen solchen Fall tatsächlich im Verbandsgebiet gibt. Wird davon ausgegangen, dass der Klägerseite ein nur gewerblich nutzbares Grundstück vorschwebt, das aber nicht bebaut ist, hätte die Klägerseite zusätzlich darlegen müssen, dass auf diesem Grundstück eine abwasserrelevante Nutzung ausgeübt wird bzw. ausgeübt werden kann. Wird zum Beispiel ein Lagerplatz in den Blick genommen, wird wohl nur im Bereich von Sanitäreinrichtungen Abwasser anfallen, das der öffentlichen Schmutzwasserbeseitigungsanlage zuzuführen ist. In einem solchen Fall wird dort aber ein Sanitärgebäude errichtet oder ein Container dauerhaft aufgestellt sein, d. h., es wird eine bauliche Anlage existieren. Zum anderen enthält § 5 Abs. 3 Buchstabe f) SBS 2017 eine Maßstabsregelung für Grundstücke, für die eine „sonstige Nutzung“ oder eine „nur untergeordnete Bebauung“ festgesetzt ist bzw. die im unbeplanten Innenbereich tatsächlich so genutzt werden. Durch diese Regelungen wird ein gewerblich nutzbares Grundstück zwanglos erfasst.

32

Aus den vorstehend gemachten Ausführungen folgt ferner, dass auch der Einwand der Klägerseite, der Beitragsmaßstab in § 5 SBS 2017 erfasse nicht alle Arten von Bebauungsplänen und insbesondere fehle eine Maßstabsregelung für den Fall, dass ein Bebauungsplan lediglich die Größe der Grundfläche festsetze, nicht durchgreift. Zum einen hat das Verwaltungsgericht insoweit darauf verwiesen, dass ein solcher Bebauungsplan nicht vorhanden sei. Dem ist die Klägerseite nicht entgegengetreten. Wenn die Kläger - zum anderen - meinen, der Verteilungsmaßstab müsse für alle im Entsorgungsgebiet denkbaren Anwendungsfälle eine Regelung treffen, so entspricht dies nicht der oben genannten Rechtsprechung des Senates im Urteil vom 5. Dezember 2016. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der konkreten Vollständigkeit liegt gerade dann nicht vor, wenn es im Satzungsgebiet keinen Anwendungsfall für eine nicht getroffene Maßstabsregelung gibt. Eine solche Maßstabsregelung „fehlt“ mithin nicht im Rechtssinne. Wäre sie getroffen worden, so wäre sie überflüssig.

33

Die in § 5 Abs. 3 Buchstabe e) und f) SBS 2017 verwendete Formulierung, „die Zahl von einem Vollgeschoss, mindestens aber die Zahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse“ ist nicht in sich widersprüchlich, sondern der Auslegung zugänglich. In beiden Fällen soll bei den dort genannten Nutzungen im Grundsatz eine Beitragsermittlung mit einem Vollgeschoss erfolgen. Für den Fall, dass aber rein tatsächlich eine höhere Zahl der Vollgeschosse auf dem Grundstück verwirklicht ist, ist auch dieser Vorteil durch den Ansatz einer höheren Vollgeschosszahl abzugelten. Einen Widerspruch zu der Vollgeschossdefinition, die in § 5 Abs. 1 SBS 2017 enthalten ist, sieht der Senat nicht.

34

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 GKG i. V. m. § 52 Abs. 3 GKG.

35

Hinweis:

36

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 22. August 2013 – 3 A 291/10 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenansatzes vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung der Klägerin zu Anschlussbeiträgen (Schmutzwasser).

2

Der Zweckverband, dem der Beklagte vorsteht, betreibt im Ostseebad Heringsdorf die zentrale Abwasserbeseitigung durch die in seiner Beitragssatzung als öffentliche Einrichtung II bezeichnete Anlage.

3

Die Klägerin ist als Wohnungseigentümerin (Mit-)Eigentümerin des Grundstücks Flurstück ../.. und ../.., Flur .., Gemarkung H…, welches an die Einrichtung II des Zweckverbandes angeschlossen ist.

4

Bereits mit Bescheiden vom 25. Februar 1999 zog der Beklagte die Klägerin zu Anschlussbeiträgen Schmutzwasser für das Grundstück Flurstück /.., Flur .., Gemarkung H… in Höhe von 4.089,18 DM und für das Grundstück Flurstück ../.., Flur .., Gemarkung H… in Höhe von 1.470,25 DM heran (Rechtsgrundlage Beitragssatzung 1996). Die Bescheide wurden bestandskräftig.

5

Mit Bescheiden vom 15. Oktober 2009 zog der Beklagte die Klägerin unter Anrechnung der bereits geleisteten Beiträge zu Anschlussbeiträgen für das Wohnungs- und Teileigentum in Höhe von insgesamt 30.974,76 Euro heran (Rechtsgrundlage Beitragssatzung 2005).

6

Die Klägerin legte mit Schreiben vom 11. November 2009 Widerspruch ein.

7

Mit Änderungs- und Widerspruchsbescheid vom 1. März 2010 stellte der Beklagte unter Ziffer 1 klar, dass ein Beitrag von insgesamt 30.974,76 Euro zu zahlen sei. Unter Ziffer 2 des Bescheides werden die in der Anlage l aufgeführten Bescheide wegen offenbarer Unrichtigkeit auf Seite 2, Zeile 3 dahingehend berichtigt, dass nur die Bescheide vom 25. Februar 1999 (und nicht auch vom 11. Februar 1999) geändert werden sollen. Im Übrigen werden die Widersprüche zurückgewiesen.

8

Die Klägerin hat am 30. März 2010 Klage erhoben.

9

Sie ist der Ansicht, ihre Heranziehung sei rechtswidrig.

10

Der Beklagte habe den Widerspruchsbescheid nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen begründet, da er nur einen Widerspruchsbescheid erlassen habe und hinsichtlich der gesamten 135 Kanalbauanschlussbeitragsbescheide auf eine dem Widerspruchsbescheid als Anlage l beigefügte Liste verwiesen habe.

11

Die Bescheide seien (auch) materiell rechtswidrig. Sie verstießen gegen den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung. Der Beklagte habe die Klägerin bereits mit Beitragsbescheiden vom 25. Februar 1999 zu Anschlussbeiträgen (Schmutzwasser) herangezogen, und diese Bescheide seien bestandskräftig geworden. Der Beitrag sei voll ausgeschöpft worden.

12

Der nochmaligen Veranlagung stehe darüber hinaus der Grundsatz der Verwirkung entgegen. Im Übrigen habe der Gesetzgeber erst mit der Änderung des KAG M-V im Jahr 2005 entschieden, dass die sachliche Beitragspflicht mit der ersten wirksamen Satzung entstehe (Änderung des § 9 Abs. 3 KAG M-V), sodass nach der alten Rechtslage die Beitragspflicht bereits entstanden und damit verjährt sei. Diese gesetzliche Änderung habe echte Rückwirkung entfaltet. Auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – werde Bezug genommen. Nach Ablauf von mehr als zehn Jahren habe die Klägerin auch nicht mehr mit dem Erlass eines weiteren Beitragsbescheides rechnen müssen.

13

Weiterhin sei die dem Beitragssatz zugrunde liegende Kalkulation fehlerhaft. Die Gemeinde Seebad Heringsdorf habe im Jahr 2011 einen Bebauungsplan Nr. 23 „Ortszentrum an der Delbrückstraße 1 in Heringsdorf“ aufgestellt, nach welchem anstelle eines bisherigen Parkplatzes und eines dreigeschossigen Einkaufszentrums ein maximal 25,9 m hoher Hotelkomplex zwischen der S-straße und der D-straße entstehen solle. Diese Planungen seien bei der Flächenermittlung nicht berücksichtigt worden. Auch im Bereich Neu-Sallenthin, Alt-Sallenthin weise die Flächenberechnung lediglich eine eingeschossige Nutzungsfläche auf. Dies sei fehlerhaft. In der Gemeinde gebe es eine Reihe zweigeschossiger Gebäude, wie beispielsweise in der Straße „An den Krebsseen" Nummer 1, 8, 16, 39 und 42. Das in Neu-Sallenthin vorhandene Hotel „B" sei darüber hinaus dreigeschossig. Die Fortschreibung der Beitragskalkulation enthalte eine Ermittlung der Erstattung von Abwasserabgaben. Hierbei handele es sich nicht um eine Fortschreibung, da die Angaben aus den Jahren 2006 bis 2008 stammten.

14

Die Klägerin hat beantragt,

15

die Kanalbaubeitragsbescheide des Beklagten – Bescheidnummern … bis … – vom 15. Oktober 2009 in der Fassung des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 aufzuheben.

16

Der Beklagte hat beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Er hat im Wesentlichen vorgetragen, der Nachveranlagung könne weder der Grundsatz der einmaligen Beitragserhebung noch Verwirkung entgegengehalten werden. Dies habe auch das OVG Greifswald zwischenzeitlich bestätigt. Erst mit Erlass der angefochtenen Bescheide, gestützt auf die Beitragssatzung vom 16. März 2005, habe der Beklagte seinen Beitragsanspruch voll ausgeschöpft, da die Vorgängersatzungen allesamt unwirksam gewesen seien.

19

Gegen die Kalkulation beständen keine Bedenken. Die aktuelle Fortschreibung der Kalkulation sei bis 2015 erfolgt. Da der Bebauungsplan Nr. 23 der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf bislang nicht wirksam sei, sei das Grundstück auch nur mit der tatsächlichen Bebauung mit drei Vollgeschossen bei der Flächenermittlung berücksichtigt worden.

20

Durch Urteil vom 22. August 2013 – 3 A 291/10 – hat das Verwaltungsgericht Greifswald die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

21

Die zulässige Klage habe keinen Erfolg. Die Beitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in Gestalt des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten.

22

Die Bescheide seien formell rechtmäßig; sie genügten dem Begründungserfordernis. Im Änderungs- und Widerspruchsbescheid werde ausführlich erläutert, wie sich die einzelnen für die Miteigentumsanteile festgesetzten Beiträge errechneten. Der errechnete Betrag sei für jeden Miteigentumsanteil anhand der Bescheidnummern genau bestimmbar.

23

Die Bescheide seien materiell rechtmäßig. Die der Beitragssatzung zugrundeliegenden Normen des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern – KAG M-V –, insbesondere § 9 Abs. 3 KAG M-V, verstießen nicht gegen höherrangiges Recht. Dies gelte auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, da die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern in entscheidungserheblichen Punkten nicht mit der des Bayrischen Kommunalabgabengesetzes – BayKAG – vergleichbar sei. Eine „Verflüchtigung“ des Vorteils wie im bayrischen Landesrecht sei im Landesrecht Mecklenburg-Vorpommern nicht möglich.

24

Die Beitragsbescheide fänden ihre nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung – Insel Usedom – (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 18. März 2005 in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 20. Mai 2011. Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung beständen nicht.

25

Die dem Beitragssatz für die Einrichtung II zugrundeliegende, in der Verbandssitzung am 16. Mai 2011 beschlossene Globalkalkulation sei nicht zu beanstanden. Der Einwand der Klägerseite, es sei rechtsfehlerhaft, dass der Beklagte die mit dem Bebauungsplan Nr. 23 erfolgten Planungen der Gemeinde Ostseebad Heringsdorf bei der Flächenermittlung nicht berücksichtigt habe, verfange nicht. Zwar sei es zutreffend, dass bei der Beschlussfassung über die Kalkulation in der Verbandsversammlung am 16. Mai 2011 der Bebauungsplan Nr. 23 bereits beschlossen und bekannt gemacht worden war. Allerdings sei der Beklagte nicht verpflichtet, (zukünftige) Baulandflächen zu berücksichtigen, die auf einem unwirksamen Bebauungsplan beruhten. Dies sei vorliegend der Fall. Das OVG Greifswald habe in seiner rechtskräftigen Entscheidung vom 21. November 2012 - Az. 3 K 22/11 - den Bebauungsplan Nr. 23 für unwirksam erklärt. Der Einwand der Klägerin, die Einstufung der in der Ortschaft Neu-Sallenthin gelegenen Grundstücke als insgesamt eingeschossig bebaut, sei teilweise unrichtig, führe nicht zur Fehlerhaftigkeit der Kalkulation. Zwar habe der Beklagte eingeräumt, dass die in der Straße „An den K“ Nr. 1, 8, 16 und 42 gelegenen Grundstücke zweigeschossig bebaut seien und auch das Hotel „B“ über zwei Vollgeschosse verfüge. Dieser Fehler wirke sich jedoch wegen seiner Geringfügigkeit bei einer ermittelten Gesamtfläche von 2.290.027 m² weder auf den kalkulatorisch höchstzulässigen ermittelten Beitragssatz für die Einrichtung II von 8,29 Euro noch auf den festgesetzten Beitragssatz von 4,83 Euro wesentlich aus. Die Auswirkungen auf den Deckungsgrad seien gering und der beschlossene Beitrag von 4,83 Euro sei noch weit von dem höchstzulässigen Beitrag entfernt. Die der Verbandsversammlung unterbreitete Kalkulation sei damit nicht in einem für den Abgabensatz wesentlichen Punkt mangelhaft und auch nicht methodisch fehlerhaft, sodass die Verbandsversammlung trotz dieses Fehlers das ihr bei der Festsetzung des Abgabensatzes eingeräumte Ermessen fehlerfrei habe ausüben können. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angeführt habe, es könne aus der fehlerhaften Flächenermittlung im Bereich der Ortschaft Neu-Sallenthin geschlossen werden, dass auch für die übrigen Gebiete der Einrichtung II die Flächen fehlerhaft ermittelt worden seien, treffe das nicht zu. Zum einen gebe es einen solchen Erfahrungssatz nicht. Zum anderen habe der Beklagte unwidersprochen ausgeführt, dass die Ortschaft Neu-Sallenthin abwasserseitig noch nicht erschlossen sei. Da insoweit die exakten Daten über das Maß der baulichen Nutzung fehlten, sei eine Schätzung auf repräsentativer Grundlage erfolgt. Demgegenüber seien 80 v. H. der im Einzugsbereich der Einrichtung II gelegenen Grundstücke tatsächlich angeschlossen, sodass insoweit auch die exakten Daten über das Maß der baulichen Nutzung vorlägen und bei der Kalkulation berücksichtigt worden seien. Im Übrigen sei es Sache der Klägerin, etwaige Satzungs- oder Rechtsanwendungsfehler hinreichend bestimmt darzulegen. Das Gericht sei nicht gehalten, von sich aus auf Fehlersuche zu gehen. Denn dies liefe auf eine auch vom verwaltungsprozessualen Untersuchungsgrundsatz (§ 86 VwGO) nicht mehr gedeckte Fehlersuche „ins Blaue“ hinaus.

26

Nicht zu beanstanden sei die aufwandsmindernde Berücksichtigung der zurückerstatteten Beträge aus der Abwasserabgabe in der Kalkulation (als „Leistungen Dritter“). Dass der Beklagte die Verrechnung der Abwassergabe nicht fortgeschrieben habe, sei rechtsfehlerfrei. Denn eine Verrechnung der Abwasserabgabe sei in der Zukunft nicht zu erwarten, da alle in der Einrichtung II anfallenden Abwässer entweder durch Überleitung in die Kläranlage Swinemünde oder zum Zweckverband Wolgast gereinigt würden. Eine eigene Klärung des Abwassers durch den Zweckverband entfalle damit im Bereich der Einrichtung II. Daher sei auch keine Abwasserabgabe durch den Zweckverband zu entrichten; eine Verrechnungsmöglichkeit entfalle.

27

Rechtmäßig sei auch die Nachberechnung des Beitrags, obwohl bereits mit Bescheiden vom 25. Februar 1999 für dasselbe Grundstück ein Anschlussbeitrag erhoben worden sei. Der dem Bescheid vom 25. Februar 1999 zugrunde gelegte Beitragssatz beruhte auf einer unwirksamen Kalkulation, da die am 4. November 1996 beschlossene Beitragssatzung in § 5 ABS u. a. zwischen erstmalig und bereits an einen Mischkanal angeschlossen gewesene Grundstücke differenziert und dafür unterschiedliche Beitragssätze vorgesehen habe. Die Regelung eines sog. gespaltenen Beitragssatzes sei gleichheitswidrig und habe zur Unwirksamkeit des Beitragssatzes geführt. Der Beklagte sei daher gehalten gewesen, eine dem nunmehr festgesetzten Beitragssatz für die Einrichtung II von 4,83 Euro entsprechende Nachforderung zu erheben. Auf die Frage, wer den Veranlagungsfehler 1999 verschuldet habe, komme es für die Rechtmäßigkeit der Nacherhebung nicht an.

28

Der Nachveranlagung des Beitrages stehe auch der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht entgegen. Dieser sei dann nicht verletzt, wenn der bereits gezahlte Betrag – wie hier – auf die Beitragsschuld angerechnet werde. Gleiches gelte für die Bestandskraft des früheren Beitragsbescheides und die Regelungen der §§ 170 ff. AbgabenordnungAO –.

29

Der Beitragsanspruch sei nicht durch Festsetzungsverjährung erloschen. Gemäß § 12 Abs. 2 KAG M-V betrage die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und Steuern vier Jahre. Nach § 170 Abs. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V beginne die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden sei. Obwohl das Grundstück bereits seit längerem an die Anlage angeschlossen worden sei, sei die sachliche Beitragspflicht erst im Kalenderjahr 2011 entstanden, sodass die vierjährige Festsetzungsfrist am 31. Dezember 2011 anlaufe und frühestens am 31. Dezember 2015 ablaufe.

30

Gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V entstehe die Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden könne, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Gemeint gewesen sei auch nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F. eine wirksame (gültige) Satzung, denn auf Grundlage einer unwirksamen Satzung könnten Beitragspflichten von vornherein nicht entstehen. Der Einwand der Klägerin, der Gesetzgeber habe erst mit Änderung des KAG M-V im Jahr 2005 entschieden, dass die sachliche Beitragspflicht erst mit der ersten wirksamen Satzung entstehe, verfange damit nicht.

31

Gleiches gilt für ihren Einwand, der Lauf der Festsetzungsfrist sei bereits durch den tatsächlichen Anschluss ausgelöst worden, da § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F. im Lichte der eingangs erwähnten Rechtsprechung des BVerfG im strengen Wortsinne auszulegen sei, denn die Erwägungen des BVerfG seien auf die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern nicht übertragbar.

32

In dem Anknüpfen der Verjährungsfrist an den Erlass der ersten wirksamen Beitragssatzung liege schließlich auch keine im Regelfall nach Art. 20 Abs. 3 GG unzulässige (echte) Rückwirkung, sondern lediglich eine sogenannte tatbestandliche Rückanknüpfung (unechte Rückwirkung), die allgemein zulässig sei. Der Gesetzgeber regele keinen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt mit Wirkung für die Vergangenheit neu, sondern nehme einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt zum Anlass, daran Rechtsfolgen für die Zukunft – die Beitragspflicht – zu knüpfen.

33

Das Gericht gehe davon aus, dass die ABS vom 18. März 2005 in Gestalt der 7. Änderungssatzung vom 20. März 2011 die erste wirksame Beitragssatzung des Zweckverbandes sei und die sachliche Beitragspflicht daher frühestens auf Grundlage dieser Satzung habe entstehen können. Frühere Beitragssatzungen des Zweckverbandes aus den Jahren 1996, 2001 und 2004 seien unwirksam gewesen.

34

Die am 4. November 1996 beschlossene erste Beitragssatzung habe unterschiedliche Beitragssätze für sogenannte altangeschlossene und neuangeschlossene Grundstücke aufgewiesen und daher gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Der Beitragssatzung vom 22. November 2001 habe es an einer widerspruchsfreien Abgrenzung zwischen öffentlicher Einrichtung und Grundstücksanschlüssen gefehlt, was auch durch die Abwasseranschluss- und Beseitigungssatzung – AAS – vom 9. Oktober 2002 nicht geändert worden sei. Der ABS vom 16. April 2004 habe es an wirksam beschlossenen Beitragssätzen gefehlt. Die ABS vom 18. März 2005 habe nicht den nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderlichen Mindestinhalt aufgewiesen, da die Maßstabsregel unvollständig gewesen sei.

35

Die Klägerin hat am 11. Oktober 2013 die Zulassung der Berufung beantragt. Durch Beschluss vom 17. September 2015 hat der Senat die Berufung zugelassen.

36

Zur Begründung ihrer Berufung verweist die Klägerin ergänzend auf die Beschlüsse des BVerfG vom 12. November 2015 und auf die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG – vom 15. April 2015. Danach sei eine Beitragserhebung in Mecklenburg-Vorpommern nur bis zum 31. Dezember 2008 zulässig gewesen (§ 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V a. F.). Die Beiträge seien somit verjährt. Zudem sei auch die Beitragskalkulation fehlerhaft.

37

Auch das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016, mit dem die Verjährungsregelung des § 12 Abs. 2 KAG M-V geändert worden sei, habe die Beitragserhebung nicht nachträglich rechtlich zulässig gemacht. Das BVerfG habe im Beschluss vom 5. März 2013 (Orientierungssatz 3 und Rn. 49 ff.) dem Bayerischen Landesgesetzgeber eine Frist bis zum 31. März 2014 eingeräumt, eine gesetzlich zulässige Regelung zur Bestimmung der Verjährungsfrist zu schaffen. Wegen der Bindungswirkung des § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BVerfGG – gelte diese Frist auch für den Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern, der diese Frist habe verstreichen lassen, sodass die gesetzliche Änderung von 14. Juli 2016 die Beitragserhebung nicht mehr habe heilen können.

38

Die Klägerin beantragt,

39

die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 22. August 2013 abzuändern und die Kanalbaubeitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 – … - … – in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 aufzuheben und dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

40

Der Beklagte beantragt,

41

Die Berufung zurückzuweisen.

42

Er tritt der Berufung entgegen.

43

Am 14. Juli 2016 hat der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern das Erste Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes erlassen und dort unter anderem eine neue Verjährungsregelung eingefügt. Das Gesetz ist im GVOBl. M-V 2016 S. 584, Heft Nr. 15 vom 29. Juli 2016, veröffentlicht und nach Art. 2 des Gesetzes am Tag nach seiner Verkündung in Kraft getreten.

44

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

45

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die angefochtenen Beitragsbescheide des Beklagten vom 15. Oktober 2009 in der Fassung des Änderungs- und Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

46

Die Beitragsbescheide finden ihre nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung – Insel Usedom – (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 18. März 2005 in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 16. Mai 2011, ausgefertigt am 20. März 2011. Dies ist die erste rechtswirksame Abwasserbeseitigungssatzung des Beklagten (zu 1). Erst das Inkrafttreten dieser Satzung hat die sachliche Beitragspflicht ausgelöst; einer Rückwirkung dieser Satzung hat es nicht bedurft (zu 2). Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung hat der Senat – in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts – VG – nicht (zu 3). Die Heranziehung der Klägerin im vorliegenden Einzelfall ist rechtmäßig (zu 4).

47

1. Die früheren Satzungen des Beklagten aus den Jahren 1996, 2001 und 2004 waren unwirksam; so zutreffend das VG im angefochtenen Urteil. Dem ist die Klägerseite zum einen nicht substantiiert entgegengetreten. Zum anderen hat die Prüfung des Senats von Amts wegen nichts Abweichendes ergeben.

48

Die ABS vom 4. November 1996 hat in § 5 für jede der drei Einrichtungen (I bis III) drei Beitragstatbestände enthalten, nämlich einen Beitragssatz für den „erstmaligen Anschluss eines Grundstücks an die öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtung“, einen geminderten Beitragssatz für Grundstücke, die bereits den Überlauf der Grundstücksentwässerungsanlage an einen Mischkanal besaßen, und – zum Dritten – für Grundstücke, die bereits vor Inkrafttreten des KAG M-V voll an die gemeindliche Kläranlage angeschlossen gewesen waren. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates, an der festgehalten wird, lag in dem dritten Beitragstatbestand eine unwirksame, weil gegen Art. 3 Grundgesetz – GG – verstoßende Altanschließerregelung. Den Altanschließern wird durch die nach der Wende geschaffene öffentliche Einrichtung des Aufgabenträgers derselbe Vorteil geboten wie denjenigen Anschlussnehmern, deren Grundstück erstmalig nach der Wende an eine öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossen worden ist (vgl. OVG Greifswald in ständiger Rechtsprechung seit Beschl. vom 21. April 1999 – 1 M 12/99 –, LKV 2000 S. 161).

49

Die Beitragssatzung vom 21. November 2001 hat diese fehlerhafte Ungleichbehandlung der Altanschließer in ihrem § 5 noch weiter vertieft, indem sie nicht nur einen reduzierten Beitragssatz für die Altanschließer vorgesehen hat, sondern diese vollständig von der Beitragspflicht hat freistellen wollen. Es gibt in der ABS 2001 nur noch den Beitragstatbestand für den „erstmaligen Anschluss“ eines Grundstücks an die öffentliche Entwässerungsbeseitigung.

50

Der Satzung vom 31. März 2004 fehlte es an wirksam beschlossenen Beitragssätzen. Denn dieser Satzung hat keine wirksame Kalkulation des Beitragssatzes zugrunde gelegen. Die Beitragskalkulation vom November 2001 (vgl. VG Greifswald, Beschl. vom 24. August 2004 – 3 B 1625/04 –) hat ihre Gültigkeit verloren, weil sie auf einer anderen Organisationsentscheidung des Beklagten beruht. Ausweislich § 1 Abs. 4 der Abwasseranschluss- und -beseitigungssatzung des Zweckverbandes Wasserversorgung vom 9. Oktober 2002 – AAS 2002 – waren seinerzeit die Grundstücksanschlüsse noch Bestandteil der öffentlichen Einrichtung. Nach § 1 Abs. 2c ABS 2004 gehörten diese nicht mehr zur öffentlichen Einrichtung, sodass eine diese Organisationsentscheidung berücksichtigende Fortschreibung der Kalkulation im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die ABS 2004 der Zweckverbandsversammlung hätte vorliegen müssen. Zum einen stellt sich somit der Umfang der öffentlichen Einrichtung als widersprüchlich definiert dar. Zum anderen hätte auf der Kostenseite der Kalkulation berücksichtigt werden müssen, dass nach der ABS 2004 die Kosten für die Erstellung der Grundstücksanschlüsse keine Kosten der öffentlichen Einrichtung mehr sind (methodischer Fehler).

51

Die Beitragssatzung vom 31. März 2005 wies (ebenfalls) nicht den nach § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderlichen Mindestinhalt auf, da die Maßstabsregeln unvollständig waren. In der Satzung 2005 fehlte eine Maßstabsregelung für Grundstücke, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes liegen, der keine Regelung über die Anzahl der zulässigen Vollgeschosse trifft, aber eine maximale Höhe und eine Baumassenzahl festsetzt. Dies hat bereits das VG zutreffend herausgearbeitet.

52

2. Damit hat die sachliche Beitragspflicht erst im Jahre 2011 unter Geltung der 7. Änderungssatzung entstehen können. Denn seit Inkrafttreten des KAG vom 11. April 1991 hat das OVG Greifswald stets die Rechtsauffassung vertreten, dass (nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1991, heute § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V) ohne einewirksame Satzung keine sachliche Beitragspflicht entstehen kann und mithin auch der Lauf der regelmäßigen Verjährung nicht in Gang gesetzt wird (vgl. insoweit die Rechtsprechungsnachweise bei Aussprung in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 9 Anm. 7.2 mit weiteren Nachweisen). Insbesondere wird auf die älteste dort zitierte Entscheidung, nämlich den Beschl. des OVG Greifswald vom 8. April 1999 – 1 M 41/99 –, verwiesen. Seit diesem Zeitpunkt ist das KAG (M-V) stets in dieser Weise durch das OVG Greifswald ausgelegt worden. Daran wird auch in dem vorliegenden Urteil festgehalten.

53

Weil nach der ständigen Rechtsprechung des OVG Greifswald eine wirksame Satzung der Anschlussmöglichkeit auch nachfolgen kann, hat es einer Rückwirkung der ABS nicht bedurft. Eine nachträglich erlassene wirksame Abgabensatzung heilt dann einen eventuell zuvor bei Erlass der Bescheide bestehenden rechtlichen Mangel. Erst mit Inkrafttreten der wirksamen ABS im Jahre 2011 ist die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist (§ 12 KAG M-V i. V. m. § 169 Abs. 2 AO) angelaufen; denknotwendigerweise ist sie im Jahre 2009 – bei Erlass der hier streitigen Abgabenbescheide – auch nicht abgelaufen gewesen. Auch wenn die Heranziehungsbescheide im Jahre 2009 – wegen des vorgenannten Satzungsmangels – noch rechtswidrig gewesen sind, sind sie im Jahre 2011 geheilt worden und unterliegen daher nicht mehr der verwaltungsgerichtlichen Aufhebung (Grundsatz der Aufrechterhaltung). Hierdurch werden Abgabepflichtige nicht in rechtswidriger Weise benachteiligt. Die Klägerseite hätte das Inkrafttreten der wirksamen Satzung zum Anlass nehmen können, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären, um nicht die Kosten für einen zunächst aussichtsreichen, dann aber – wegen des Inkrafttretens einer wirksamen Satzung – erfolglos gewordenen Verwaltungsprozesses tragen zu müssen.

54

Die Klägerseite kann sich – im Hinblick auf das Erfordernis einer wirksamen Satzung – nicht mit Erfolg auf die abweichende Rechtsprechung des OVG Berlin-Brandenburg berufen. Nicht nur nach Auffassung des OVG Greifswald, sondern nach ganz herrschender, seit Jahrzehnten gefestigter Rechtsprechung fast aller Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe setzt das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht voraus, dass eine wirksame Abgabensatzung vorhanden ist. Denn eine unwirksame Abgabensatzung ist nichtig und daher im Ergebnis nicht existent. Eine gesetzliche Formulierung, das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht setze eine „wirksame Satzung“ voraus, ist im Ergebnis ein „weißer Schimmel“. Der Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern hat durch die KAG-Änderung 2005 lediglich das klargestellt, was nach der Rechtsprechung des OVG Greifswald seit Gründung dieses Gerichtes gegolten hatte.

55

Dass es auf die Auslegung des Landesrechtes durch das oberste Landesgericht ankommt, wird auch aus dem Beschluss des BVerfG, 2. Kammer, vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –, LKV 2016 S. 25 ff., deutlich (siehe unter 4c), wo an mehreren Stellen darauf abgestellt wird, wie das in dem dortigen Fall vorgehende OVG Berlin-Brandenburg seit dem Jahre 2000 das KAG BB ausgelegt hat. Erst durch den Wechsel der Auslegung des Landesrechts von Brandenburg sei, so das BVerfG, die Sach- und Rechtslage in Brandenburg dergestalt „umgestaltet“ worden, dass es auf die erste Satzung ankomme, auch wenn sie nicht wirksam gewesen sein sollte.

56

3. Zweifel an der Gültigkeit der ABS (Fassung 2011) sind – abgesehen von der Beitragskalkulation – nicht vorgetragen worden. Solche Zweifel sind auch sonst für den Senat nicht ersichtlich.

57

Die der ABS 2005 in der Fassung 2011 zugrunde liegende Beitragskalkulation ist nach Auffassung des Senates ausreichend, eine ordnungsgemäße ortsgesetzgeberische Ermessensentscheidung zu tragen.

58

Insbesondere hat der Verbandsversammlung am 16. Mai 2011 eine aktuelle Kalkulation vorgelegen, die beschlossen worden ist (Fortschreibung der Beitragskalkulation von März 2011). Für die hier in Rede stehende Einrichtung II ist ein Beitragssatz von 8,29 Euro/m² kalkuliert worden; festgesetzt worden ist durch die Verbandsversammlung ein Beitragssatz von 4,83 Euro/m². Als umlagefähig sind angesehen worden Kosten in Höhe von 18.975.383 Euro. Die beitragspflichtige Fläche ist mit 2.290.027 m² ermittelt worden.

59

Die Beitragskalkulation ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zutreffend hat das VG ausgeführt, dass zwar „kleine Ungenauigkeiten“ vorgelegen haben mögen. Es sind aber insgesamt insbesondere keine schweren methodischen Fehler erkennbar geworden. Insbesondere ist kein methodischer Fehler unter dem Gesichtspunkt festzustellen, dass in erheblichem Umfang nicht beitragsfähiger Aufwand in die Ermittlung des Beitragssatzes eingestellt worden wäre. Insoweit kann auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden.

60

Vor dem Hintergrund, dass die ermittelte beitragspflichtige Fläche 2.290.027 m² beträgt, steht für den Senat fest, dass eine eventuell fehlerhafte Bewertung einzelner Grundstücke im Verbandsgebiet nur zu kleinen Ungenauigkeiten führen kann.

61

Im Hinblick auf den Bebauungsplan Nr. 23 ist der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu folgen. Ein Bebauungsplan eröffnet Planungsrecht. Es liegt nach Erlass eines Bebauungsplanes nicht mehr in der Hand der Gemeinde, ob die Planung auch umgesetzt wird. Etwas anderes mag nur dann gelten, wenn ein Baugebot festgesetzt worden ist. Daher liegt es im ortsgesetzgeberischen Ermessen, ob der räumliche Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, der gerade erst in Kraft getreten ist, einbezogen wird oder nicht. Die Nichteinstellung des räumlichen Geltungsbereichs dieses Bebauungsplanes Nr. 23 kann auch auf der Einschätzung beruhen, dass sich der Bebauungsplan als von Anfang an unwirksam erwiesen hat.

62

Im Hinblick auf die Ortschaft Neu-Sallenthin, die im Zeitpunkt der Kalkulation noch nicht abwasserseitig angeschlossen gewesen ist, kommt bei der Erstellung einer Globalkalkulation nur eine überschlägige Schätzung der beitragspflichtigen Flächen in Betracht. Sinn einer Globalkalkulation ist es nicht, das gesamte Verbandsgebiet Quadratmeter genau zu ermitteln. Erst im Rahmen der Beitragsfestsetzung für einzelne Grundstücke wird es dann Aufgabe des Beklagten sein, das jeweilige Grundstück genau zu betrachten. Daher ist es für die Rechtmäßigkeit der Kalkulation bedeutungslos, ob das eine oder andere Grundstück in Neu-Sallenthin und auch zum Beispiel das Hotel Bergmühle mit einem, zwei oder drei Vollgeschossen bebaut ist. Insoweit liegt nicht einmal ein Fehler der Kalkulation vor.

63

Aus den vom Verwaltungsgericht dargelegten Gründen hat die Frage der Abwasserabgabe im Hinblick auf die Beitragskalkulation auch für den Senat keine Relevanz.

64

Zudem ist festzustellen, dass der Beklagte nur eine teilweise Deckung seiner Aufwendungen durch Beiträge angestrebt hat, da er einen „politischen Beitrag“ erhebt, der nur etwas mehr als die Hälfte des kalkulierten Beitragssatzes ausmacht. Eine Kostenüberdeckung durch Beiträge ist damit definitiv ausgeschlossen (Beitragssatz von 8,29 Euro/m² wurde als höchstzulässiger Beitragssatz kalkuliert; festgesetzt worden ist durch die Verbandsversammlung „nur“ ein Beitragssatz von 4,83 Euro/m²). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senates ist es rechtlich zulässig, im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen eine sich aus Beiträgen und Gebühren zusammensetzende Finanzierung vorzunehmen, wie der Beklagte das im vorliegenden Fall tut.

65

4. Die Heranziehung der Klägerin im vorliegenden Einzelfall ist rechtmäßig.

66

Die Anwendung der ABS (Fassung 2011) auf den vorliegenden Einzelfall ist in rechtmäßiger Weise erfolgt; sowohl die Beitragsfestsetzungen als auch das Zahlungsgebot erweisen sich als rechtmäßig (zu a). Die Beitragserhebungsmöglichkeit hat sich weder „verflüchtigt“ (b) noch verstößt sie gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (c) oder liegt eine unzulässige Doppelveranlagung vor (d).

67

a) Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Bestimmtheit ist nicht gegeben. Die komplizierte Materie einer Wohnungseigentümergemeinschaft erfordert auch komplizierte Bescheide. Daher ist es ein adäquates Vorgehen des Beklagten, 135 Bescheide zu erlassen, diese aber dann letztlich objektbezogen in einem Widerspruchsbescheid zu bündeln. Im Widerspruchsbescheid ist hinreichend klargestellt, auf welchen Betrag sich das Leistungsgebot der Veranlagung bezieht und dass die zuvor bezahlten Beiträge angerechnet werden. Zutreffend hat der Beklagte berücksichtigt, dass die im Jahre 2011 entstandenen Beiträge durch die auf die Bescheide von 1999 geleisteten Zahlungen teilweise durch Erfüllung erloschen sind. Daher hat das Leistungsgebot diese Zahlungen zutreffend berücksichtigt.

68

b) Das vom BVerfG im Beschluss vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 = NVwZ 2013 S. 1004, entwickelte Rechtsinstitut der „Verflüchtigung“ greift im Ergebnis nicht durch. Danach kann ein zwar nicht verjährter Beitrag aus rechtsstaatlichen Gründen eventuell nicht mehr erhoben werden (vgl. hierzu im Einzelnen Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, § 7 Erläuterung 8.1.4.2, Seite 60 ff.).

69

Der Leitsatz des Beschlusses des BVerfG vom 5. März 2013 lautet im Wesentlichen, das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlange Regelungen, die sicherstellten, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden könnten. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden könne.

70

In dem genannten Beschluss hat das BVerfG – ausweislich der Nr. 1 des Tenors – den anzuwendenden Art. 13 des BayKAG für mit dem Grundgesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) „unvereinbar“ erklärt, nicht aber für nichtig. Dies hat entscheidende Bedeutung für die weitere Möglichkeit des bayerischen Landesgesetzgebers, diesen Mangel zu beseitigen. So führt das BVerfG dann auch aus (Orientierungssatz 3 und Rn. 49 ff.), dem Gesetzgeber ständen mehrere Möglichkeiten zur Beseitigung des verfassungswidrigen Zustandes zur Verfügung, und zunächst komme nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht. „Nichtigkeit“ trete jedoch zum 1. April 2014 ein, wenn der Gesetzgeber auf eine Sonderregelung des Beginns der Festsetzungsfrist verzichte.

71

Das BVerwG (Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 15.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 139/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 16.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 140/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 17.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 142/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 18.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 143/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 19.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 207/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 20.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 208/13 –; BVerwG, Urt. vom 15. April 2015 – 9 C 21.14 –, vorgehend OVG Greifswald, Urt. vom 1. April 2014 – 1 L 210/13 –; vgl. hierzu Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, KAG M-V, § 7 Erläuterung 8.1.4.6 Seite 86) hat für die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern durch Urteile vom 15. April 2015 die Revisionen der dortigen Kläger gegen die Urteile des OVG Greifswald vom 1. April 2014 zurückgewiesen, weil die Beitragserhebung noch innerhalb der Übergangsfrist des § 12 Abs. 2 KAG M-V in der bis zum 29. Juli 2016 geltenden Fassung erfolgt sind, d. h. bis zum 31. Dezember 2008. Ferner hat das BVerwG in einem umfassenden obiter dictum weitere „Segelanweisungen“ gegeben.

72

Ausdrücklich hat das BVerwG, a. a. O., dem Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern die Möglichkeit offen gelassen, eine weitergehende und längere Festsetzungsverjährungsfrist als den 31. Dezember 2008 zu bestimmen und im Einzelnen ausgeführt:

73

„Denn es ist Aufgabe des Gesetzgebers, in Wahrnehmung seines weiten Gestaltungsspielraums einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen einerseits der Allgemeinheit an der Beitragserhebung und andererseits der Beitragspflichtigen an einer zeitlich nicht unbegrenzten Inanspruchnahme zu schaffen (BVerfG, Beschl. vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 Rn. 42). Mit diesem Gestaltungsauftrag ist – nicht zuletzt angesichts der Vielzahl der vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten, jedoch gerade nicht den Verweis auf die Höchstverjährungsfrist einschließenden Lösungsmöglichkeiten wie auch der Unterschiedlichkeit der in einzelnen Ländern erlassenen und zudem deutlich kürzeren Ausschlussfristen – der schematische Rückgriff auf § 53 Abs. 2 VwVfG M-V wohl unvereinbar, zumal die Vorschrift gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG M-V nicht für Verfahren gilt, die – wie vorliegend – nach den Vorschriften der Abgabenordnung durchzuführen sind.“

74

Eine solche Fristbestimmung hat der Landesgesetzgeber jetzt durch Gesetz vom 14. Juli 2016 getroffen; ebenso wie zahlreiche andere Bundesländer bereits ihre Verjährungsregelungen nachgebessert haben.

75

Der Senat hat keine Zweifel daran, dass diese gesetzliche Neuregelung den von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht gemachten Vorgaben entspricht, sodass der Senat die geänderte Fassung des § 12 Abs. 2 KAG MV seiner Entscheidung zugrunde legen kann. Der Gesetzgeber hat jetzt eine Regelung geschaffen, nach der eine zeitlich unbefristete Heranziehung zu (Anschluss-) Beiträgen nicht mehr möglich ist.

76

§ 12 Abs. 2 in der jetzt geltenden Fassung lautet u. a.:

77

§ 169 der Abgabenordnung gilt mit der Maßgabe, dass

78

1. über § 169 Absatz 1 Satz 1 der Abgabenordnung hinaus die Festsetzung eines Beitrages unabhängig von dem Entstehen der Beitragspflicht spätestens 20 Jahren nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig ist, wobei der Lauf der Frist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2000 beginnt, …"

79

Diese Frist ist ersichtlich im Jahre 2009 noch nicht abgelaufen gewesen, weil im vorliegenden Fall – wie oben ausgeführt – noch nicht einmal die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist nach § 169 Abs. 2 AO an- und erst Recht nicht abgelaufen ist.

80

Zur weiteren Klarstellung hat der Landesgesetzgeber noch in § 22 KAG M-V folgenden Abs. 3 angefügt:

81

„Soweit sich für bestehende Abgabensatzung ein Rechtsmangel daraus ergibt, dass das Kommunalabgabengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. April 2005 (GVOBl. M-V S. 146), das zuletzt durch Art. 2 des Gesetzes vom 13. Juli 2011 (GVOBl. M-V S. 777, 833) geändert worden ist, die Heranziehung zu Beiträgen keiner zeitlichen Obergrenze unterwirft, ist dieser Rechtsmangel mit Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 2016 (GVOBl. M-V S. 584) unbeachtlich.“

82

Nach Auffassung des Senates hätte es dieser salvatorischen Klausel nicht bedurft, da jedes Gesetz, soweit nichts anderes geregelt ist, mit Inkrafttreten seine Gültigkeit beansprucht. Nach den bisherigen Regelungen war lediglich keine zeitliche Obergrenze für eine Verjährung eines Anschlussbeitrages geregelt. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der Anschlussbeitrag verjährt wäre.

83

Da das BVerwG in seinen Urteilen vom 15. April 2015 dem Gesetzgeber gerade die Möglichkeit eröffnet, entsprechend seiner Gesetzgebungskompetenz eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen und die Länge der Verjährungsfrist zu bestimmen, hätte eine diesbezügliche Neuregelung ausgereicht. Gegenstand des Rechtsstreits um das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit („Verflüchtigungsrechtsstreit“) war nicht etwa eine gesetzliche Regelung, die verfassungswidrig sei, sondern die Tatsache, dass eine Gesetzeslücke gesehen wurde, die die Anwendung des im Übrigen verfassungsgemäßen KAG M-V ab einem gewissen vom Gesetzgeber festzulegenden Stichtag verfassungswidrig machen würde. Einer weitergehenden deklaratorischen Klausel hätte es nicht bedurft; als deklaratorische Klausel ist die Regelung des § 22 Abs. 3 KAG M-V (Fassung 16. Juli 2016) aber „unschädlich“.

84

Der Senat hat keine Bedenken, dass die nunmehr bestimmte Festsetzungsfrist die Interessen der Abgabepflichtigen in Mecklenburg-Vorpommern in adäquater Weise behandelt. Die Festsetzungsfrist betrifft ein neues Bundesland, in dem die landesrechtlichen Grundlagen für einen Anschlussbeitrag erst geschaffen werden mussten, und bleibt unterhalb der in der Rechtsordnung bekannten längsten Verjährungsfrist von 30 Jahren. Der Landesgesetzgesetzgeber hat sich innerhalb des gesetzgeberischen Spielraumes bewegt und sich von folgenden Erwägungen leiten lassen (Gesetzentwurf der Landesregierung vom 11. März 2016, LT-Dr. 6/5257 S. 2 f.):

85

„Bei der konkreten Ausgestaltung einer landesgesetzlichen Festlegung einer zeitlichen Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum hinsichtlich des gesetzlich zu schaffenden Ausgleichs zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für Vorteile (hier: durch Anschluss an eine gemeindliche Einrichtung) einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann, zu (BVerwG, Urteil vom 15.04.2015 – 9 C 15/14 – u. a.; vergleiche BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, a. a. O.).

86

Nach Auffassung des BVerfG bleibt es dem Landesgesetzgeber überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die der Rechtssicherheit genügt. So könnte der Landesgesetzgeber etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt.

87

Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt. Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (BVerfG, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143-163, Rn. 50).

88

Die Bundesländer Sachsen, Brandenburg, Bayern, Thüringen und Sachsen-Anhalt haben bei einer mit Mecklenburg-Vorpommern vergleichbaren Rechtslage ihre Kommunalabgabengesetze bereits an die Forderungen des BVerfG (Beschluss vom 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –) angepasst. Insofern wird die Änderung des KAG M-V auch in Kenntnis der in diesen Bundesländern erfolgten landesgesetzlichen Regelungen vorgenommen. Maßgebliches Ziel des Landesgesetzgebers ist es, die kommunalen Aufgabenträger im Falle nichtigen Satzungsrechts vor Beitragsausfällen infolge Verjährungseintritts zu bewahren, ohne dabei gegen das Verbot zu verstoßen, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festzusetzen.

89

In Abwägung der Interessen der kommunalen Aufgabenträger und der Abgabenpflichtigen wird deshalb eine 20-jährige Verjährungsfrist geregelt, wobei aufgrund der Sondersituation nach der Deutschen Einheit der Lauf der Frist bis zum Ablauf des Jahres 2000 gehemmt ist („…wobei der Lauf der Frist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2000 beginnt.“). Damit ist die maximal mögliche Verjährungsfrist von 30 Jahren deutlich unterschritten und in Kombination mit einer Regelung zur Verjährungshemmung gleichwohl eine Beitragserhebung bis 2020 ermöglicht. Mit der Regelung zur Verjährungshemmung hatte auch der Landesgesetzgeber Brandenburg auf die Forderungen des BVerfG reagiert.“

90

Da der Senat die neue Festsetzungsfrist als verfassungsgemäß ansieht, hat er keine Veranlassung, den Rechtsstreit dem BVerfG vorzulegen (Art. 100 Abs. 1 GG).

91

c) Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, wie er in dem stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG, 2. Kammer, Beschl. vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 –, LKV 2016 S. 25 ff., vorgehend OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 29. September 2014 – OVG 9 N 40.14 –, vorgehend BVerwG, Beschl. vom 11. September 2014 – 9 B 21.14 –, vorgehend OVG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 13. November 2013 – OVG 9 B 35.12 – konkretisiert worden ist, führt gleichfalls nicht zur Rechtswidrigkeit der hier streitigen Abgabenerhebung

92

In dem dortigen Kammerbeschluss nimmt das BVerfG im Kern eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG an durch rückwirkende Erhebung kommunaler Abwasseranschlussbeiträge – hier: Abgabenerhebung gem. § 8 Abs. 7 S. 2 KAG BB i. d. F. vom 17. 12. 2003 – in Fällen, in denen die Beiträge nicht mehr nach § 8 Abs. 7 S. 2 KAG BB i. d. F vom 27.06.1991 hätten erhoben werden können, da mit Entstehen der Beitragspflicht durch rückwirkendes Inkrafttreten einer wirksamen Beitragssatzung zugleich Festsetzungsverjährung eingetreten wäre.

93

Nach Auffassung des Senates ist der Beschluss des BVerfG, der grundsätzlich nach § 31 BVerfGG in seinem Tenor und seinen tragenden Gründen auch für das OVG Greifswald Bindungswirkung entfaltet (vgl. Aussprung in Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, § 7 Anm. 8.1.4.6.), nicht einschlägig, sodass gerade keine Bindungswirkung eintritt. Denn der vom Senat zu entscheidende Sachverhalt unterscheidet sich von dem Sachverhalt, der den Verfahren aus Berlin-Brandenburg zugrunde gelegen hat, sodass eine Bindung des OVG Greifswald an die tragenden Gründe des Kammerbeschlusses vom 12. November 2015 ausscheidet.

94

Die Kernaussage des BVerfG in seinem Beschluss vom 12. November 2015 ist, dass es gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot verstößt, wenn eine gesetzliche Vorschrift dergestalt geändert wird, dass nunmehr Beiträge erhoben werden sollen, die nach der Vorgängervorschrift nicht mehr hätten erhoben werden dürfen (vgl. z. B. Rn. 39, a. a. O.). In den Fällen aus Brandenburg wären nach alter Rechtslage die Beitragsschulden wegen Festsetzungsverjährung erloschen (Rn. 64, a. a. O.). Dass in einem solchen Fall eine gesetzliche Vorschrift, die rückwirkend die angelaufene und eine logische Sekunde später auch abgelaufene Festsetzungsverjährung „aus den Angeln hebt“, sich als echte Rückwirkung darstellt und den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundsatzes des Vertrauensschutzes nicht genügt, wird auch vom Senat in gleicher Weise gesehen.

95

Wie bereits oben ausgeführt, unterscheidet sich die Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern elementar von der in Brandenburg. Seit Inkrafttreten des KAG vom 11. April 1991 hat das OVG Greifswald stets die Rechtsauffassung vertreten, dass (nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1991, heute § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V) ohne eine wirksame Satzung keine sachliche Beitragspflicht entstehen kann und mithin auch der Lauf der regelmäßigen Verjährung nicht in Gang gesetzt wird (vgl. zur ähnlichen Rechtslage in Sachsen-Anhalt, OVG Magdeburg, Beschl. vom 17. Februar 2016 – 4 L 119/15 –, Rn. 58 und 59 und OVG Weimar, Urt. vom 12. Januar 2016 – 4 KO 850/09 –, juris Rn. 48, zur Rechtslage in Thüringen).

96

Dass es auf die Auslegung des Landesrechtes durch das oberste Landesgericht ankommt, wird auch aus dem Beschluss des BVerfG vom 12. November 2015 deutlich, wo an mehreren Stellen darauf abgestellt wird, wie das OVG Berlin-Brandenburg seit dem Jahre 2000 das dortige Landesrecht ausgelegt hat. Erst durch den Wechsel der Auslegung des Landesrechts von Brandenburg ist die „Sach- und Rechtslage“ in Brandenburg dergestalt „umgestaltet“ worden, dass es auf die erste Satzung ankomme, auch wenn sie nicht wirksam gewesen sein sollte. In Rn. 52 spricht das BVerfG sogar von „Gesetzeslage“, und versteht darunter nicht nur § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG BB a. F., sondern auch und gerade, wie das OVG Berlin-Brandenburg diese Bestimmung ausgelegt hat.

97

Anzumerken ist schließlich noch, dass seit Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes, jetzt BauGB, im Jahr 1960 das BVerwG im Erschließungsbeitragsrecht stets auf die Wirksamkeit der Satzung abgestellt hat. Diese gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung hat das OVG Greifswald auf das Anschlussbeitragsrecht übertragen. Diese Rechtsprechung, die ca. 50 Jahre alt ist, ist für das Erschließungsbeitragsrecht höchstrichterlich noch nie infrage gestellt worden.

98

Der Senat schließt sich der Auffassung des OVG Magdeburg, a. a. O. (Rn. 62), insoweit an, dass die Abgabenpflichtigen vor der Entscheidung des BVerfG vom 5. März 2013 nicht haben darauf vertrauen können, dass ihnen gegenüber aufgrund eines langen Zeitraumes seit Entstehen einer Vorteilslage keine Abgabe mehr festgesetzt werden könnte. Insoweit kam es allein darauf an, ob und in welcher Weise der Landesgesetzgeber auf die Entscheidung des BVerfG reagieren würde.

99

Schließlich kann die Klägerin mit ihrer Auffassung nicht durchdringen, der Landesgesetzgeber M-V sei wegen der Bindungswirkung des § 31 BVerfGG auch an die dem bayerischen Landesgesetzgeber im Beschluss des BVerfG vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – gesetzte Frist gebunden, bis zum 31. März 2014 (Ziffer 1 des Tenors) eine gesetzliche Neuregelung vorzunehmen. Diese Frist ist ausschließlich für den bayerischen Landesgesetzgeber maßgeblich gewesen. Nur er ist von dem Beschlusstenor gebunden, wonach die bayerische Regelung des Art. 13 BayKAG mit dem Grundgesetz unvereinbar sei. Nur er hat die Gesetzgebungskompetenz, diesen Art. 13 BayKAG zu ändern. In der Sache hat das BVerfG somit das Abgabenerhebungsverfahren ausgesetzt (siehe Rn. 52), um dem bayerischen Gesetzgeber die Gelegenheit zur verfassungsgemäßen Neuregelung zu geben. Zudem hat das BVerfG den Verwaltungsgerichten die Kompetenz eröffnet, das Landesrecht verfassungskonform auszulegen (Rn. 52).

100

Zutreffend ist zwar, dass nicht nur der Tenor einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung Bindungswirkung entfaltet, sondern auch die tragenden Gründe. Die gegenüber dem bayerischen Landesgesetzgeber ausgesprochene zeitliche Höchstgrenze für eine gesetzliche Neuregelung in Bayern ist aber kein tragender Entscheidungsgrund, der sich über das bayerische Landesrecht hinausgehende Bedeutung beimisst.

101

d) Die Abgabenerhebung aus dem Jahre 1999 steht nicht unter dem Blickwinkel einer „unzulässigen Doppelveranlagung“ oder „unzulässigen Nacherhebung“ der Rechtmäßigkeit der hier angefochtenen Abgabenbescheide aus dem Jahre 2009 entgegen. Das Problem der Nachveranlagung oder auch Doppelveranlagung ist (vgl. Aussprung in Aussprung/Siemens/Holz, KAG M-V, § 12 Erläuterungen 50 ff., Seite 71 ff.) in der Rechtsprechung des OVG Greifswald geklärt (vgl. OVG Greifswald, Urt. vom 15. Dezember 2009 – 1 L 323/06 –, OVG Greifswald Urt. vom 15. Dezember 2010 – 1 L 1/09 –, ferner Beschl. vom 28. Januar 2010 – 1 L 217/09 – und Beschl. vom 28. Januar 2010 – 1 M 181/09 –). Dort hat das OVG Greifswald den Grundsatz aufgestellt, dass bei leitungsgebundenen Einrichtungen die Aufgabenträger grundsätzlich berechtigt und verpflichtet sind, eine Nacherhebung in dem Sinne vorzunehmen, dass sie einen wirksam entstandenen Anschlussbeitragsanspruch voll ausschöpfen. Einer solchen Nacherhebung stehen der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung, die Rechtsfolgen der Bestandskraft des erster Heranziehungsbescheides und der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ebenso wenig entgegen wie die Bestimmung des § 12 Abs. 1 KAG M-V und die darin enthaltene Verweisung auf die Bestimmungen der Abgabenordnung (Aussprung, a. a. O., Erläuterung 50.2.3, Seite 76 f.). An dieser Auffassung hält der Senat fest.

102

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; insoweit kommt auch eine Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht in Betracht.

103

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor. Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist der Vorteilsbegriff landesrechtlich determiniert. Auch der Fragenkomplex, ob eine Abgabenerhebung in Mecklenburg-Vorpommern in der vorliegenden Fallkonstellation rechtlich noch zulässig ist, beruht auf der Auslegung des Landesrechts. Dies gilt insbesondere auch für die Frage der Nacherhebung eines noch nicht ausgeschöpften Beitragsanspruches, weil auch die anzuwendende Abgabenordnung im Bereich des Kommunalabgabenrechts Landesrecht ist. Zudem sind die grundsätzlichen Rechtsfragen der „Verflüchtigung“ eines beitragsrechtlichen Vorteils und des Vertrauensschutzes durch die im Urteil zitierte Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG geklärt.