Verwaltungsgericht Greifswald Urteil, 03. Juli 2018 - 2 A 301/18 HGW

bei uns veröffentlicht am03.07.2018

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der außergerichtlichen Kosten der Beklagten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wohnt im Gemeindegebiet der Beklagten. Bis zum 01.11.2017 hatte er dort seinen Hauptwohnsitz, seitdem einen Nebenwohnsitz.

2

Am 18.09.2017 besuchte der Kläger den öffentlichen Teil der Gemeindevertretungssitzung. Im Anschluss an den öffentlichen Teil führte die Gemeindevertretung einen nicht-öffentlichen Sitzungsteil durch.

3

In der Einwohnerfragestunde der folgenden Gemeindevertretungssitzung am 20.12.2017 forderte der Kläger erfolglos die Bekanntgabe der im nicht-öffentlichen Teil der vorangegangenen Sitzung gefassten Beschlüsse im öffentlichen Teil der laufenden Gemeindevertretungssitzung.

4

Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 12.02.2018 hat der Kläger Klage erhoben.

5

Er macht geltend, durch den erfolgten Ausschluss der Öffentlichkeit in der Sitzung vom 18.09.2017 sowie die nicht erfolgte Bekanntgabe der in nicht-öffentlicher Sitzung gefassten Beschlüsse in einer öffentlichen Sitzung in seinen Rechten verletzt zu sein. Der Ausschluss der Öffentlichkeit habe gegenüber den an der Sitzung teilnehmenden Bürgern Außenwirkung. Er sei in seinen Informations- und Kontrollrechten verletzt worden. Auf die Rechtsprechung des VG Gießen in seinem Urteil vom 25.07.2003 - 8 E 2112/03 – werde insoweit verwiesen. Als an der Sitzung teilnehmender Bürger habe er ein Recht darauf, nicht rechtswidrig von der weiteren Sitzung ausgeschlossen zu werden. Als Bürger habe ihm ein Teilnahmerecht aus § 19 Abs. 1 Kommunalverfassung [KV M-V] zugestanden. In Rechtsprechung und Literatur bestehe Einvernehmen darüber, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen zu den wesentlichen Verfahrensbestimmungen des Gemeinderechts zähle. Die Öffentlichkeit sei im demokratischen Rechtsstaat eines der wichtigsten Mittel, das Interesse der Bürger an der Selbstverwaltung zu wecken und zu erhalten. Die Öffentlichkeit der Entscheidungen und Beratungen solle sicherstellen, dass dem interessierten Bürger Einblick in die Tätigkeit der Vertretungskörperschaften und ihrer einzelnen Mitglieder ermöglicht werde, um eine Grundlage für eine sachgerechte Kritik und die Willensbildung zu schaffen. Darüber hinaus diene der Öffentlichkeitsgrundsatz der Sicherstellung der allgemeinen Kontrolle des Gemeinderates durch die Öffentlichkeit. Der unzulässigen Einwirkung persönlicher Beziehungen, Einflüsse und Interessen auf die Beschlussfassung solle vorgebeugt werden, sodass bereits der Anschein vermieden werde, dass "hinter verschlossenen Türen" unsachliche Motive für eine Entscheidung maßgebend gewesen sein könnten. Der Zweck des Öffentlichkeitsgrundsatzes gehe daher über eine bloße Unterrichtung des Bürgers hinaus. Er diene gerade dem Ziel einer gesetzmäßigen und sachgerechten Arbeit des Gemeinderats sowie der Verhinderung vermeidbarer Missdeutungen seiner Willensbildung und Beschlussfassung. Ein Verstoß gegen das Gebot der Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen begründe daher im Ergebnis nach der Rechtsprechung auch eine schwerwiegende Verfahrensverletzung und die Rechtswidrigkeit des betroffenen Gemeinderatsbeschlusses. Vorliegend sei davon auszugehen, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit in der Sitzung vom 18.09.2017 hinsichtlich der sodann in nicht-öffentlicher Sitzung behandelten Tagesordnungspunkte 4,5,6,7 und 8 nicht den dafür geltenden Vorgaben des § 29 Abs. 5 der KV M-V in Verbindung mit § 3 Abs. 2 der Hauptsatzung der Gemeinde entsprochen habe. Dem Beklagten sei durch das Gericht aufzuerlegen, dem Kläger, jedenfalls aber dem Gericht, das vollständige Protokoll einschließlich der Beschlussfassungen im nicht-öffentlichen Teil zur Prüfung vorzulegen. Die Kammer möge sodann entscheiden, ob das Protokoll einzeln oder in Teilen aufgrund berechtigter Gründe der Geheimhaltung an ihn zur Einsicht weitergeleitet werde oder nicht. Ohne eine Kenntnis der jeweiligen Beschlussgegenstände sowie der Beschlussinhalte könne nicht näher substantiiert zu der hier vorzunehmen gewesenen Einzelfallabwägung der Beibehaltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes vorgetragen werden. Es sei auch zweifelhaft, ob die Hauptsatzung und damit ihr § 3 Abs. 2 formell wirksam sei, was der Kläger näher ausführt.

6

In der fehlenden Bekanntgabe der in nicht-öffentlicher Sitzung am 18.09.2017 gefassten Beschlüsse in einer folgenden öffentlichen Sitzung liege ein Verstoß gegen § 31 Abs. 3 KV M-V, durch den er ebenfalls in seinem subjektiven Recht auf Einhaltung der Öffentlichkeit verletzt werde. Da sich die Bekanntgabe der Beschlüsse noch nachholen lasse, werde insoweit in der Hauptsache deren Umsetzung und lediglich hilfsweise die Feststellung zur Rechtswidrigkeit der nicht erfolgten Bekanntgabe geltend gemacht.

7

Der Kläger beantragt,

8

1. festzustellen, dass die Beratung und Beschlussfassung über die

9

Tagesordnungspunkte 4, 5, 6, 7 und 8 des nicht-öffentlichen Teils laut Protokoll der Gemeindevertretersitzung vom 18.09.2017 rechtswidrig war,

10

2. die zu den in Ziffer 1. genannten Tagesordnungspunkte gefassten Beschlüsse spätestens in der nächsten öffentlichen Sitzung bekannt zu machen,

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hilfsweise zu 2.

12

3. festzustellen, dass die Nichtbekanntgabe der zu den in Ziffer 1. genannten Tagesordnungspunkte gefassten Beschlüsse nicht spätestens in der nächsten Gemeindevertretersitzung rechtswidrig war.

13

Die Beklagte beantragt,

14

die Klage abzuweisen.

15

Sie hält die Klage für unzulässig.

16

Für die mit dem Klageantrag zu 1 geltend gemachte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beratung und Beschlussfassung über die Tagesordnungspunkte 4, 5, 6, 7 und 8 der Gemeindevertretungssitzung vom 18.09.2017 seien die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 43 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO] nicht erfüllt. Der Kläger sei durch den Ausschluss der Öffentlichkeit nicht in subjektiven Rechten betroffen. Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Gemeindevertretersitzungen schütze ausschließlich ein Interesse der Allgemeinheit. Er vermittle keine subjektive Rechtsposition. Der Kläger sei damit nicht Beteiligter eines festzustellenden Rechtsverhältnisses. Es fehle dem Kläger auch an dem berechtigten Feststellungsinteresse bzw. an der Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog. Seine Klage sei eine unzulässige Popularklage. Mit der "Popularfeststellungsklage" würde in Fällen wie dem vorliegenden im Übrigen der Sinn und Zweck der in § 29 Abs. 5 Satz 2 KV M-V gesetzlich vorgesehenen Nichtöffentlichkeit der Sitzung unterlaufen. Dem einzelnen Bewohner räume das Gesetz lediglich ein, an den öffentlichen Sitzungen der Gemeindevertretung teilzunehmen. Dies diene dazu, das Interesse der Einwohner an der Selbstverwaltung zu wecken und zu unterhalten sowie die Volksverbundenheit der Verwaltung zu gewährleisten. Dabei stehe im Vordergrund die Funktion, den Gemeindebürger bzw. sonstigen Interessierten Einblicke in die Tätigkeit der Vertretungskörperschaft und ihre einzelnen Mitglieder zu ermöglichen und dadurch eine auf eigene Kenntnis und Beurteilung beruhende Grundlage für eine sachgerechte Kritik sowie für die Willensbildung bei künftigen Wahlen zu schaffen. Weitergehende Rechte gewähre das Gesetz in Bezug auf die öffentliche Verhandlung den Bewohnern nicht. Insbesondere hätten die Gemeindebürger kein durchsetzbares Recht auf Behandlung bestimmter Beschlussgegenstände in öffentlicher Verhandlung, wenn die Gemeindevertretung oder die Hauptsatzung die Behandlung im nicht-öffentlichen Teil vorsehe.

17

Die Rechte der Gemeindeeinwohner würden sich insoweit auf die Einschaltung bzw. Information der Kommunalaufsichtsbehörde beschränken, die auf entsprechende Anregung oder von Amts wegen zu prüfen und zu entscheiden habe, ob im öffentlichen Interesse ein Einschreiten zur Wahrung des Grundsatzes der Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen geboten sei. Hiervon habe der Kläger im Übrigen auch Gebrauch gemacht.

18

Für die mit dem Klageantrag zu 2 geltend gemachte Leistung, die im nicht-öffentlichen Teil der Gemeindevertretungssitzung vom 18.09.2017 gefassten Beschlüsse in der nächsten Sitzung öffentlich bekannt zu machen, fehle es dem Kläger ebenfalls an der Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog. Auch die allgemeine Leistungsklage sei keine Popularklage, sondern diene allein der Durchsetzung subjektiver Rechte. Die Vorschrift des § 31 Abs. 3 KV M-V vermittelte dem Kläger kein subjektives Recht auf Bekanntmachung der in nicht-öffentlicher Sitzung gefassten Beschlüsse. Gegen ein subjektives Recht spreche im Übrigen, dass nicht oder fehlerhaft bekannt gemachte Beschlüsse aus nicht-öffentlicher Sitzung nicht zu deren Rechtswidrigkeit führten, weil die interne Willensbildung der Gemeindevertreter nicht berührt sei und es sich insofern um eine reine Ordnungsvorschrift handele.

19

Für die mit dem Klageantrag zu 3 hilfsweise geltend gemachten Fortsetzungsfeststellungsklage fehle es mangels subjektiver Rechte an einem Rechtsverhältnis, dessen Bestehen oder Nichtbestehen festgestellt werden könnte und an dem nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderlichen besonderen Feststellungsinteresse.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgangs ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

21

Die Klage hat keinen Erfolg.

1.

22

Die mit Ziffer 1 des Klageantrags erhobene Feststellungsklage ist unzulässig. Sie erfüllt nicht die Sachurteilsvoraussetzungen des § 43 Abs. 1 VwGO. Danach kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.

23

Unter einem Rechtsverhältnis in diesem Sinne sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von natürlichen oder juristischen Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben. Die Feststellungsklage muss sich danach auf einen konkreten, gerade den Kläger betreffenden Sachverhalt beziehen. Mit der Feststellungsklage kann nicht allgemein, also losgelöst von einer eigenen, konkret feststehenden Betroffenheit die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Maßnahme einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung zugeführt werden. Damit soll die Popularklage im Verwaltungsprozess verhindert werden, bei der sich der Kläger zum Sachwalter öffentlicher Interessen oder rechtlich geschützter Interessen Dritter macht (BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2014 – 6 A 1/13 – juris LS 1 und Rn. 20 f.).

24

Die zur Feststellung der Rechtswidrigkeit beantragte Beratung und Beschlussfassung der Gemeindevertretung zu den im Klageantrag zu 1 genannten Tagesordnungspunkten in nicht-öffentlicher Sitzung war kein Sachverhalt, der ein Rechtsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Kläger begründete. Der Kläger kann sich mit der geltend gemachten Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes nicht auf eine ihm durch das Gesetz eingeräumte Rechtsposition und damit nicht auf ein konkretes Rechtsverhältnis berufen. Eine dem Kläger ein subjektives Recht einräumende Rechtsposition, deren Verletzung der Kläger mit einer Feststellungsklage geltend machen könnte, besteht nicht. Ist dem Kläger einer Feststellungsklage eine solche Rechtsposition nicht eingeräumt, ist seine Feststellungklage unzulässig (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.02.1992 – 1 S 2242/91 – Juris Rn. 13).

25

Die Rechtsvorschriften der Kommunalverfassung und der Hauptsatzung der Gemeinde räumen dem Kläger keine subjektiven Rechte auf Öffentlichkeit von Sitzungen der Gemeindevertretung ein.

26

Nach § 29 Abs. 5 Satz 1 KV M-V sind Sitzungen der Gemeindevertretung öffentlich. Davon abweichend ist die Öffentlichkeit nach § 29 Abs. 5 Satz 2 KV M-V in den dort aufgeführten Fällen auszuschließen. Der Ausschluss kann gemäß § 29 Abs. 5 Satz 3 KV durch Hauptsatzung oder Beschluss der Gemeindevertretung angeordnet werden. Nach § 3 der Hauptsatzung der Gemeinde Göhren-Lebbin sind die Gemeindevertretersitzungen öffentlich (Abs. 1) und ist die Öffentlichkeit ist in den mit § 3 Abs. 2 der Hauptsatzung genannten Fällen ausgeschlossen (Satz 1), soweit die Gemeindevertretung eine dieser Angelegenheiten nicht im Einzelfall in öffentlicher Sitzung behandelt (Satz 2).

27

Der Wortlaut der Vorschriften enthält keinen Hinweis auf einen subjektiven Anspruch einer nicht der Gemeindevertretung angehörenden Person darauf, dass eine Sitzung öffentlich ist. Mit der „Öffentlichkeit“ ist dort kein abgrenzbarer Kreis von Rechtssubjekten angesprochen, die Inhaber eines mit der Vorschrift eingeräumten Individualanspruchs auf Einhaltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes sein könnten. Die „Öffentlichkeit“ steht synonym für die Allgemeinheit und verweist damit gerade nicht auf ein einem Individuum zuzuordnendes subjektiv-öffentliches Recht (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 28.10.2010 – 15 A 3225/08 – Juris Rn. 5).

28

Dass der Gesetzgeber mit § 29 Abs. 5 Satz 1 KV M-V einzelnen der Öffentlichkeit zuzurechnenden Personen ein subjektives Recht eingeräumt habe, folgt entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Sitzungsöffentlichkeit, die integrativ wirken, sowie Transparenz und Kontrolle ermöglichen soll und für das demokratische Leben von besonderer Bedeutung ist. Weder diese besondere Bedeutung für das demokratische Leben, noch der mit dem Öffentlichkeitsgrundsatz verfolgte Kontrollzweck rechtfertigen die Annahme, dass die Einhaltung dieser Allgemeininteressen durch einzelne Personen verlangt werden können müsse (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O. Rn. 7 unter Aufgabe der gegenteiligen früheren Ausführungen im Urt. v. 24.04.2001 – 15 A 3021/97 – Juris Rn. 16; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.02.1992 a.a.O. Rn. 14). Mit der kommunalen Rechtsaufsicht bestehen anderweitige rechtliche Instrumentarien zur Einhaltung der Verfahrensvorschriften durch die Gemeindevertretung. Darüber hinaus eröffnet die Umsetzung eines konkreten Beschlusses der Gemeindevertretung für die dadurch in ihren subjektiven Rechten betroffenen Personen Rechtsschutzmöglichkeiten. Das Bestehen eines subjektiven Rechts auf Einhaltung des Öffentlichkeitsgrundsatzes lässt sich daher auch nicht mit der möglichen späteren Rechtsbetroffenheit einzelner durch den Beratungs- und Beschlussgegenstands begründen.

29

Aus der durch den Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen in seinem Urteil vom 25.07.2003 folgt nichts anderes. Um das dort behandelte Recht auf Zugang zu einer öffentlichen Sitzung (VG Gießen, Urt. v. 25.07.2003 – 8 E 2112/13 – juris Rn. 13) geht es hier nicht. Dem Kläger ist Zugang zum öffentlichen Teil der Sitzung der Gemeindevertretungssitzung vom 18.09.2017 gewährt worden. Aus dem subjektiven Recht auf Zugang zu einer öffentlichen Sitzung folgt hingegen nicht auch ein subjektives Recht darauf, dass eine Sitzung öffentlich durchgeführt wird (Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 28.10.2010 a.a.O. Rn. 4). Das aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz [GG] herzuleitende Teilhaberecht an einer öffentlichen Veranstaltung begründet sich gerade auf der erfolgten Öffnung der Veranstaltung für die Öffentlichkeit. Auf nicht-öffentliche Sitzungen oder Sitzungsteile, für die die Teilhabe der Öffentlichkeit nicht eröffnet ist und damit - wie hier – insgesamt ausgeschlossen wird, findet dieses Recht keine Anwendung.

30

Für den die Sitzung einer Gemeindevertretung im öffentlichen Teil besuchenden Bürger ergeben sich entgegen der Auffassung des Klägers auch keine weitergehenden subjektiven Rechte aus § 19 Abs. 1 KV MV. Nach § 19 Abs. 1 KV MV ist die verantwortliche Teilnahme an der gemeindlichen Selbstverwaltung Recht und Pflicht der Bürgerinnen und Bürger. Für Sitzungen der Gemeindevertretung enthält § 29 Abs. 5 KV M-V aber eine speziellere Rechtsvorschrift. Die Sitzungen der Gemeindevertretung gehören zu dem Teil der gemeindlichen Selbstverwaltung, der mit den im Abschnitt 3 der KV M-V stehenden Regelungen der §§ 21 ff. K-V M-V über die Vertretung und Verwaltung durch die Gemeindevertretung und den Bürgermeister als Organe der Gemeinde eine gesonderte gesetzliche Regelung erfahren hat. Mit ihrer Differenzierung zwischen öffentlichen und nicht-öffentlichen Sitzungen und der der Gemeindevertretung vorbehaltenen Entscheidung darüber regelt die Vorschrift, in welchen Fällen ein Teilnahmerecht von Bürgern, Einwohnern oder sonstigen der Öffentlichkeit zuzurechnenden Personen an der Sitzung besteht. § 29 Abs. 5 KV M-V stellt sich insofern als eine die Anwendbarkeit des § 19 Abs. 1 KV M-V ausschließende speziellere Norm dar, da sie mit ihrer Unterscheidung zwischen öffentlichen und nicht-öffentlichen Sitzungen eine abschließende Regelung über das Teilnahmerecht an diesen Veranstaltungen trifft. Ergibt sich aus dem abschließenden Regelungscharakter einer Norm deren Spezialität, so drängt sie die Anwendbarkeit der allgemeineren Vorschrift zurück (BVerwG, Urt. v. 25.06.2015 – 5 C 15/14 – Juris Rn. 14).

31

Auf die in der Rechtsprechung teilweise vertretene Rechtsauffassung, wonach Gemeindevertretungsmitgliedern wegen der ihnen als Funktionsträger übertragenen Antragsrechte und der ihnen aus der Teilnahme an nicht-öffentlicher Sitzung erwachsenen Verschwiegenheitspflicht subjektive Organrechte im Zusammenhang mit der Sitzungsöffentlichkeit zustehen (so OVG Nordrhein-Westfalen Urt. v. 24.04.2001 a.a.O. Rn. 10 ff. und Urt. v. 28.10.2010 Rn. 10; ebenso VG Bremen, Urt. v. 21.03.2018 – 1 K 3698/16 – Juris; ; a.A. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 20.05.1998 – 2 M 66/98 – Juris Rn. 3; VGH Baden-Württemberg a.a.O.), kam es vorliegend nicht an. Den Bürgern und Einwohnern sind die erwähnten Rechte und Pflichten der Gemeindevertreter nicht übertragen. Die Einhaltung der Sitzungsöffentlichkeit kann deshalb auch nach dieser Auffassung nicht von anderen Personen als den Mitgliedern der Vertretung verlangt werden (OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 28.10.2010 a.a.O.).

32

Der vom Kläger begehrten gerichtlichen Aufklärung des Inhalts der Beratungs- und Beschlussgegenstände des nicht-öffentlichen Teils der Sitzung vom 18.09.2017 bedurfte es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht. Dem Kläger steht die Möglichkeit offen, im Fall, dass er durch die Umsetzung eines konkreten Beschlusses der Gemeindevertretung in seinen subjektiven Rechten betroffen sein sollte, dagegen zur gegebenen Zeit Rechtsschutz nach Maßgabe der rechtlichen Möglichkeiten in Anspruch zu nehmen.

2.

33

Der auf Verurteilung des Beklagten zur Bekanntgabe in der öffentlichen Sitzung gerichtete Klageantrag ist ebenfalls unzulässig. Es fehlt an der für die Leistungsklage erforderlichen Klagebefugnis des Klägers analog § 42 Abs. 2 VwGO. Danach muss der Kläger geltend machen, durch die Ablehnung der begehrten Leistung in seinen Rechten verletzt zu sein. Die dafür erforderliche mögliche Verletzung in eigenen Rechten des Klägers ist hier nicht gegeben.

34

Dem Kläger stehen hinsichtlich der Bekanntmachung aber auch keine eigenen Rechte gegen die Gemeinde zu, deren mögliche Verletzung der Kläger hier geltend machen könnte.

35

Die die Bekanntgabe regelnde Vorschrift des § 31 Abs. 3 KV M-V räumt keine subjektiven Rechte ein. Nach § 31 Abs. 3 KV M-V sind in nichtöffentlicher Sitzung gefasste Beschlüsse spätestens in der nächsten öffentlichen Sitzung bekannt zu machen, soweit dadurch der Zweck der Bekanntmachung nicht gefährdet wird.

36

Die Vorschrift vermittelt keine individuelle Rechtsposition. Ihr Zweck liegt in der Herstellung einer größtmöglichen Publizität der in der nicht-öffentlichen Sitzung gefassten Beschlüsse (Wellmann/Willmer, in Schröder / Willner u.a., Kommunalverfassungsrecht Mecklenburg-Vorpommern, Stand 04/2018, § 31 Anm. 4). Sie dient dem Allgemeininteresse an einer Information der Öffentlichkeit über die erfolgten Beschlussfassungen. Dass die Vorschrift darüber hinaus auch den Individualinteressen Einzelner zu dienen bestimmt sei, lässt sich weder dem Wortlaut der Vorschrift noch deren auf Information der Öffentlichkeit gerichteten Sinn und Zweck entnehmen. Eine Klage, die auf die Bekanntgabe eines in nicht öffentlicher Sitzung gefassten Gemeindevertretungsbeschlusses gerichtet ist, stellt sich somit bei Fehlen ausdrücklicher anderweitiger Regelung als unzulässige Popularklage dar (VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.02.1992, a.a.O. Rn. 17).

3.

37

Letzteres gilt auch für die mit dem Klageantrag zu 3. hilfsweise beantragte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Nichtbekanntgabe der Beschlüsse in der nächsten Gemeindevertretersitzung. Die Feststellungsklage ist mangels subjektiven Rechts des Klägers nicht auf die Feststellung eines konkreten Rechtsverhältnisses gerichtet und damit unzulässig.

38

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Vollstreckbarkeitsentscheidung aus den §§ 167 VWGO, 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.

39

Gründe, gemäß § 124a VwGO die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

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(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden. (2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist

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Tatbestand 1 Der Kläger wendet sich gegen die strategische Beschränkung des Telekommunikationsverkehrs durch den Bundesnachrichtendienst im Jahre 2010.

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(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die strategische Beschränkung des Telekommunikationsverkehrs durch den Bundesnachrichtendienst im Jahre 2010.

2

Das Parlamentarische Kontrollgremium unterrichtete unter dem 10. Februar 2012 den Deutschen Bundestag gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz - G 10) über Art und Umfang der im Berichtszeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2010 vorgenommenen Beschränkungsmaßnahmen nach den §§ 3, 5, 7a und 8 G 10 (BTDrucks 17/8639). Zur strategischen Beschränkung nach § 5 G 10 wurde mitgeteilt, dass zu drei der in § 5 Abs. 1 Satz 3 G 10 genannten Gefahrenbereichen Maßnahmen angeordnet und durchgeführt worden seien (BTDrucks 17/8639 S. 6 f.). Im Gefahrenbereich "Internationaler Terrorismus" (§ 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 G 10) hätten sich anhand von 1 944 Suchbegriffen im ersten Halbjahr und 1 808 Suchbegriffen im zweiten Halbjahr insgesamt 10 213 329 Telekommunikationsverkehre "qualifiziert", davon 10 208 525 E-Mails. 29 der erfassten Telekommunikationsverkehre seien als nachrichtendienstlich relevant eingestuft worden (7 Metadatenerfassungen, 17 Webforenerfassungen, 5 Sprachverkehre). Im Gefahrenbereich "Proliferation und konventionelle Rüstung" (§ 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 G 10) seien im ersten Halbjahr 12 843 und im zweiten Halbjahr 13 304 Suchbegriffe angeordnet worden, anhand derer sich insgesamt 27 079 533 Telekommunikationsverkehre "qualifiziert" hätten, 180 davon (12 E-Mail-, 94 Fax- und 74 Sprachverkehre) seien schließlich als nachrichtendienstlich relevant eingestuft worden. Im Gefahrenbereich "Illegale Schleusung" (§ 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 G 10) seien im ersten Halbjahr 313 und im zweiten Halbjahr 321 Suchbegriffe angeordnet, insgesamt 45 655 Telekommunikationsverkehre, darunter 45 599 E-Mails, selektiert und schließlich vier Sprachverkehre als nachrichtendienstlich relevant eingestuft worden. Zu dem Anstieg der Anzahl der selektierten Telekommunikationsverkehre im Vergleich zum Vorjahr 2009, für das der Vorgängerbericht (BTDrucks 17/4278 S. 7) insgesamt 6 841 725 Erfassungen (1 807 580 im Gefahrenbereich "Internationaler Terrorismus" + 5 034 145 im Gefahrenbereich "Proliferation und konventionelle Rüstung") und 278 (69 + 209) als nachrichtendienstlich relevant eingestufte Telekommunikationsverkehre ausweist, habe ein sehr hoher Spam-Anteil beigetragen. Die zur Selektion unerlässliche Verwendung inhaltlicher Suchbegriffe, bei denen es sich auch um gängige und mit dem aktuellen Zeitgeschehen einhergehende Begriffe handeln könne, führe unweigerlich zu einem relativ hohen Spam-Anteil, da viele Spam-Mails solche Begriffe ebenfalls beinhalten könnten.

3

Der Kläger ist Rechtsanwalt. Mit seiner am 25. Februar 2013 erhobenen Klage wendet er sich gegen die strategische Beschränkung des E-Mail-Verkehrs im Jahr 2010. Zur Begründung trägt er vor: Er habe 2010 häufig per E-Mail mit Kollegen, Mandanten und anderen Personen im Ausland kommuniziert, vielfach in Angelegenheiten, die dem Anwaltsgeheimnis unterlegen hätten. Er müsse damit rechnen, dass diese Auslandskommunikation von strategischen Beschränkungsmaßnahmen nach § 5 G 10, von denen er durch Presseberichte frühestens am 25. Februar 2012 Kenntnis erlangt habe, betroffen gewesen sei. Angesichts der Verwendung tausender auch allgemein gängiger Suchbegriffe und ca. 37 Mio. "Treffern" müsse er davon ausgehen, dass auch seine eigene, insbesondere anwaltliche E-Mail-Korrespondenz erfasst und auf nachrichtendienstliche Relevanz hin ausgewertet worden sei. Die Klage sei zulässig, weil er danach mit einiger Wahrscheinlichkeit in seinem Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG betroffen worden sei. Eine stärkere Substantiierung der eigenen Betroffenheit sei ihm wegen der Heimlichkeit der Maßnahmen nicht möglich und könne deshalb auch nicht verlangt werden.

4

Die Klage sei auch begründet. Die angeordneten Telekommunikationsbeschränkungen hätten gegen das Übermaßverbot verstoßen. Insoweit sei bereits die Verfassungsmäßigkeit der zugrunde liegenden gesetzlichen Regelungen zur strategischen Fernmeldeüberwachung zweifelhaft. Jedenfalls aber sei die exzessive Überwachungspraxis des Jahres 2010 unverhältnismäßig. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 14. Juli 1999 - 1 BvR 2226/94 u.a. - (BVerfGE 100, 313) die strategische Fernmeldeüberwachung im Kern für verfassungsgemäß erachtet. Jedoch habe der Gesetzgeber die Überwachungsbefugnisse inzwischen erheblich ausgeweitet, insbesondere durch umfassende Einbeziehung auch der leitungsgebundenen Telekommunikation einschließlich des E-Mail-Verkehrs sowie durch Erhöhung des zulässigen Überwachungsvolumens auf bis zu 20 v.H. des Auslands-Fernmeldeverkehrs (vgl. § 10 Abs. 4 Satz 4 G 10). Im Zusammenspiel mit größeren Überwachungs- und Auswertungskapazitäten infolge des technischen Fortschritts und mangels effektiver gesetzlicher Vorkehrungen zur Eingrenzung des Umfangs der Überwachungsmaßnahmen sei die Grenze zur Unverhältnismäßigkeit damit überschritten worden. Im Übrigen fehle es an einer dem § 3b G 10 entsprechenden Regelung zum Schutz des Anwaltsgeheimnisses im Rahmen der nachrichtendienstlichen Auswertung erfasster Telekommunikationsverkehre. Jedenfalls aber sei die Überwachungspraxis im Jahr 2010 in Anbetracht des Missverhältnisses von 37 Mio. "Treffern" - sowie der dahinter stehenden, noch wesentlich größeren Zahl überwachter Telekommunikationsverkehre - auf der einen Seite und nur 12 als nachrichtendienstlich relevant eingestufter E-Mails auf der anderen Seite verfassungswidrig. Der im Vergleich zu den Vorjahren exorbitante Anstieg der "Trefferzahl" sei weder auf ein Mehr an Suchbegriffen noch auf ein erhöhtes Spam-Aufkommen zurückzuführen und lasse sich deshalb nur mit einer Vergrößerung der technischen Überwachungskapazitäten und/oder der Verwendung besonders gängiger, unspezifischer Suchbegriffe erklären. Diese Ausweitung der Überwachung ohne ein Mehr an verwertbaren Ergebnissen sei willkürlich und unverhältnismäßig gewesen. Den angeordneten Maßnahmen habe bereits die Eignung gefehlt, weil angesichts des zahlenmäßigen Missverhältnisses von überwachten E-Mails und als nachrichtendienstlich relevant eingestuften E-Mails allenfalls von einer zufälligen Förderung des Gefahrenabwehrzwecks des § 5 G 10 die Rede sein könne. Die weitgehende Erfolglosigkeit der Überwachung lasse sich mit dem Einsatz von Verschlüsselungstechnologien erklären. Die mit der strategischen Überwachung des E-Mail-Verkehrs im Jahr 2010 verbundene Beeinträchtigung des Fernmeldegeheimnisses habe auch außer Verhältnis zu den damit verfolgten Zielen gestanden. Die Beeinträchtigung sei schwerwiegend gewesen, weil eine Vielzahl auch unbeteiligter Personen anlasslos, verdachtsunabhängig und weit im Vorfeld einer drohenden Rechtsgutsverletzung betroffen gewesen sei. Der Einzelne habe bei jedem Auslandskontakt per E-Mail mit der Möglichkeit einer Erfassung durch den Bundesnachrichtendienst rechnen müssen, sodass sich ein Gefühl ständigen Überwachtwerdens mit nachteiligen Folgen für die individuelle wie auch die gesamtgesellschaftliche Kommunikation habe einstellen können. Unter Berücksichtigung auch der mangelhaften Effizienz der Überwachungsmaßnahmen habe der damit verfolgte Gefahrenabwehrzweck diese Beeinträchtigungen nicht aufwiegen können. Dies gelte jedenfalls im Hinblick auf seine - des Klägers - besondere Situation als Rechtsanwalt, weil die Auswertungspraxis des Bundesnachrichtendienstes der besonderen Sensibilität anwaltlicher E-Mail-Korrespondenz nicht ansatzweise Rechnung getragen habe, was die Eingriffsintensität zusätzlich erhöht habe.

5

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass der Bundesnachrichtendienst im Jahre 2010 das Fernmeldegeheimnis des Klägers verletzt hat, indem er im Zuge der strategischen Fernmeldeüberwachung E-Mail-Verkehr des Klägers erfasst und weiterbearbeitet hat.

6

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Die Beklagte hält die Klage für unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Ob der Kläger im Jahr 2010 von Maßnahmen der strategischen Fernmeldeüberwachung betroffen gewesen sei, wisse sie nicht. Nicht auszuschließen sei eine Betroffenheit dergestalt, dass ein oder mehrere seiner Telekommunikationsverkehre erfasst, unverzüglich geprüft (§ 6 Abs. 1 Satz 1 G 10) und sodann unverzüglich gelöscht (§ 6 Abs. 1 Satz 2 G 10) worden seien. Selbst wenn man dies unterstelle, fehle es an einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 VwGO. Der Gesetzgeber habe mit dem G 10 den Rechtsweg im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG dahin ausgestaltet, dass in Fällen, in denen Telekommunikationsverkehre nur zufällig und nicht final erfasst sowie unverzüglich geprüft und gelöscht würden, eine Feststellungsklage unzulässig sei. Dies ergebe sich bereits aus § 13 G 10. Wenn danach in den dort genannten Fällen der Rechtsweg vor der Mitteilung der Beschränkungsmaßnahmen an den Betroffenen nicht zulässig sei, lasse sich dem im Umkehrschluss nicht nur entnehmen, dass in allen anderen Fällen der Rechtsweg auch schon vor der Mitteilung offen stehe, sondern darüber hinaus auch, dass nur in Bezug auf mitteilungspflichtige Fernmeldeerfassungen der Rechtsweg eröffnet sei. Derartige mitteilungspflichtige Fernmeldeerfassungen stünden hier nicht in Rede, weil etwaige erfasste Telekommunikationsverkehre des Klägers jedenfalls unverzüglich gelöscht worden seien und deshalb nach § 12 Abs. 2 Satz 1 G 10 keine Mitteilungspflicht bestanden habe.

8

Die Beklagte hat auf Anforderung des Senats den § 5 G 10-Jahreshauptantrag 2010 für den Gefahrenbereich der Begehung internationaler terroristischer Anschläge mit unmittelbarem Bezug zur Bundesrepublik Deutschland in Kopie vorgelegt. Dabei sind unter anderem die beantragten Suchbegriffe geschwärzt worden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung unter anderem beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass der Bundesnachrichtendienst im Jahr 2010 im Zuge der strategischen Fernmeldeüberwachung nach § 5 Abs. 1 G 10-Suchbegriffe wie zum Beispiel Atom, Bombe oder Schleusung verwendet hat, die im allgemeinen Sprachgebrauch Verwendung finden und aufgrund ihrer Alltagsgebräuchlichkeit nicht geeignet sind, zwischen Telekommunikationsverkehren zu differenzieren, die eine Relevanz für die der Überwachung unterliegenden Gefahrenbereiche/Aufklärungsziele haben und solchen Telekommunikationsverkehren, unter anderem derjenigen des Klägers, die keine diesbezügliche Relevanz aufweisen, den § 5 G 10-Jahreshauptantrag des Jahres 2010 für den Gefahrenbereich "Internationaler Terrorismus", den § 5 G 10-Jahreshauptantrag des Jahres 2010 für den Gefahrenbereich "Proliferation und konventionelle Rüstung" sowie den § 5 G 10-Jahreshauptantrag des Jahres 2010 für den Gefahrenbereich "Illegale Schleusung" beizuziehen. Der Senat hat den Beweisantrag insoweit abgelehnt, weil die unter Beweis gestellte Tatsache nicht entscheidungserheblich ist, da die Klage unzulässig ist und die aufzuklärenden Suchbegriffe für den Nachweis eines tatsächlich erfolgten Eingriffs nicht relevant sind. Der Kläger hat sodann beantragt durch Beschluss festzustellen, ob die lediglich geschwärzte Vorlage des § 5 G 10-Jahreshauptantrag des Jahres 2010 für den Gefahrenbereich "Internationaler Terrorismus" insoweit rechtmäßig ist, als dort inhaltliche Suchworte geschwärzt sind. Der Senat hat den Antrag nach Abschluss des Verfahrens dem Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO vorgelegt.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des teilgeschwärzt vorgelegten § 5 G 10-Jahreshauptantrag des Jahres 2010 für den Gefahrenbereich "Internationaler Terrorismus" verwiesen.

Entscheidungsgründe

10

1. Der Senat konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung über die Klage abschließend durch Urteil entscheiden. Zwar hatte der Kläger in der mündlichen Verhandlung den Antrag gestellt, festzustellen, ob die Vorlage des § 5 G 10-Jahreshauptantrag des Jahres 2010 für den Gefahrenbereich "Internationaler Terrorismus" insoweit rechtmäßig ist, als dort die inhaltlichen Suchbegriffe geschwärzt sind. Über die Zulässigkeit und Begründetheit dieses Antrags hatte nicht der Senat, sondern hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO zu entscheiden. Der Senat war aber nicht verpflichtet, das bei ihm anhängige Verfahren der Hauptsache auszusetzen, bis der Fachsenat über den gestellten Antrag im Zwischenverfahren nach § 99 VwGO entschieden hat. Denn die Entscheidung des Fachsenats im Zwischenverfahren nach § 99 VwGO ist in der hier gegebenen Fallgestaltung nicht vorgreiflich für die Entscheidung in der Hauptsache. Über diese Vorgreiflichkeit und damit über die Aussetzung des Verfahrens zu befinden, lag allein in der Zuständigkeit des Senats als Gericht der Hauptsache.

11

Dass die Entscheidung des Fachsenats im Zwischenverfahren in der hier gegebenen Fallgestaltung nicht vorgreiflich für die Entscheidung in der Hauptsache ist, folgt aus der Aufgabenverteilung zwischen dem Gericht der Hauptsache und dem Fachsenat. Eine Entscheidung des Fachsenats nach § 99 Abs. 2 VwGO setzt zum einen voraus, dass das Gericht der Hauptsache die beklagte Behörde gemäß § 99 Abs. 1 VwGO auffordert, bestimmte Urkunden oder Akten vorzulegen oder bestimmte elektronische Dokumente zu übermitteln oder bestimmte Auskünfte zu erteilen, und dabei die Entscheidungserheblichkeit dieser Unterlagen - in der Regel förmlich, insbesondere durch Beweisbeschluss - verlautbart (Beschlüsse vom 24. November 2003 - BVerwG 20 F 13.03 - BVerwGE 119, 229 <230 f.> = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 36 S. 27; vom 2. November 2010 - BVerwG 20 F 4.10 - juris Rn. 16; vom 15. März 2013 - BVerwG 20 F 8.12 - juris Rn. 11 und vom 17. Februar 2014 - BVerwG 20 F 1.14 - juris Rn. 8). Eine Entscheidung nach § 99 Abs. 2 VwGO setzt zum anderen voraus, dass die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage der Urkunden oder Akten, die Übermittlung der elektronischen Dokumente oder die Erteilung der Auskünfte verweigert, weil das Bekanntwerden ihres Inhalts dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder weil die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen (sogenannte Sperrerklärung). Gegenstand des Verfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO ist diese Sperrerklärung. Das Gericht der Hauptsache entscheidet mithin zunächst darüber, ob Unterlagen wegen ihrer Entscheidungserheblichkeit beizuziehen sind, der Fachsenat im Anschluss daran gegebenenfalls darüber, ob eine Weigerung der Behörde, die angeforderten Unterlagen vorzulegen, rechtmäßig ist.

12

Hier hat der Senat als Gericht der Hauptsache auf den Beweisantrag des Klägers bereits die Beiziehung des ungeschwärzten Jahreshauptantrags abgelehnt, weil für seine Entscheidung die Kenntnis der nur geschwärzt vorgelegten Suchbegriffe nicht erheblich ist. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob die Beiziehung eines insoweit ungeschwärzten Jahreshauptantrags darüber hinaus auch deshalb unterbleiben müsste, weil die Beklagte dessen Vorlage aus den Gründen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtmäßig verweigern dürfte. Ob eine solche bisher nicht ausgesprochene Weigerung rechtmäßig oder rechtswidrig wäre, war ohne Einfluss auf den Fortgang des Verfahrens in der Hauptsache. Selbst wenn im Falle einer Aussetzung des Verfahrens der Hauptsache der Fachsenat im Zwischenverfahren den Antrag des Klägers für zulässig und eine Weigerung der Beklagten, den Jahreshauptantrag ungeschwärzt vorzulegen, für rechtswidrig gehalten hätte, wäre dessen Beiziehung unterblieben, weil der Senat als insoweit allein zuständiges Gericht der Hauptsache die vorrangig festzustellende Entscheidungserheblichkeit verneint hat.

13

Das Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO hat nur die Funktion, zu überprüfen, ob die Behörde die Vorlage von Unterlagen rechtmäßig verweigert, die das Gericht der Hauptsache als entscheidungserheblich beiziehen will. Hingegen hat das Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht die Funktion, dem Kläger des Hauptsacheverfahrens eine Möglichkeit an die Hand zu geben, die Vorlage von Akten zu erzwingen, deren Entscheidungserheblichkeit das Gericht der Hauptsache verneint und die es deshalb nicht von der Behörde angefordert hat (Beschluss vom 23. Juli 2013 - BVerwG 20 PKH 1.13 - juris Rn. 8).

14

2. Die Klage ist unzulässig. Zwar ist der Rechtsweg für das Begehren des Klägers nicht ausgeschlossen (a). Auch ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung über die Klage sachlich zuständig (b). Jedoch liegen die besonderen Sachurteilsvoraussetzungen des § 43 Abs. 1 VwGO für eine Feststellungsklage nicht vor (c).

15

a) Der Rechtsweg für das vom Kläger geltend gemachte Begehren ist nicht nach § 13 G 10 ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung ist gegen die Anordnung von Beschränkungsmaßnahmen nach den §§ 3 und 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 G 10 und ihren Vollzug der Rechtsweg vor der Mitteilung an den Betroffenen (vgl. § 12 G 10) nicht zulässig. Dieser partielle Rechtswegausschluss ist gestützt auf Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG, wonach bei einer gesetzlich angeordneten Beschränkung des in Art. 10 Abs. 1 GG verbürgten Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, die dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes dient, das Gesetz bestimmen kann, dass sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und dass an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt. In Fällen des § 13 G 10 erfolgt die parlamentarische Kontrolle im Bereich des Bundes durch das Parlamentarische Kontrollgremium (§ 14 G 10) und die G 10-Kommission (§ 15 G 10).

16

Ein in § 13 G 10 ausdrücklich behandelter Fall liegt hier nicht vor. Aus dem Bereich der strategischen Überwachung nennt § 13 G 10 nur Beschränkungsmaßnahmen nach § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 G 10, also solche zur Aufklärung der Gefahr eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik Deutschland. Derartige Beschränkungsmaßnahmen hat der Bundesnachrichtendienst im Jahr 2010 nicht vorgenommen. Ausweislich des Berichts des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 G 10 (BTDrucks 17/8639 S. 6) wurden im Zeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2010 strategische Beschränkungsmaßnahmen nur in den Gefahrenbereichen "Internationaler Terrorismus" (§ 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 G 10), "Proliferation und konventionelle Rüstung" (§ 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 G 10) sowie "Illegale Schleusungen" (§ 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 G 10) angeordnet.

17

Entgegen der Auffassung der Beklagten darf aus anderen Gesetzesbestimmungen nicht gefolgert werden, dass der Rechtswegausschluss gemäß § 13 G 10 sich weitergehend auf sämtliche Fälle erstreckt, in denen - ungeachtet des betroffenen Gefahrenbereichs - im Rahmen strategischer Beschränkungen nach § 5 G 10 erhobene Daten nach unverzüglicher Prüfung unverzüglich gelöscht worden sind (§ 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 G 10). Die Regelung über den Mitteilungsausschluss in § 12 Abs. 2 Satz 1 G 10 sowie die Regelung in § 6 Abs. 1 Satz 6 G 10 deuten zwar an, dass der Gesetzgeber den als nachrichtendienstlich relevant bewerteten und aus diesem Grund längerfristig gespeicherten Daten größere Bedeutung für den gerichtlichen Rechtsschutz als den gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 G 10 unverzüglich gelöschten Daten beigemessen hat. Dass im Falle der letztgenannten Daten ein gerichtlicher Rechtsschutz gänzlich ausgeschlossen sein soll, hat jedoch im Gesetzeswortlaut an keiner Stelle hinreichenden Niederschlag gefunden.

18

b) Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO erstinstanzlich zuständig. Bei den hier streitigen strategischen Beschränkungen des Fernmeldeverkehrs nach § 5 G 10 handelt es sich um Vorgänge im Geschäftsbereich des Bundesnachrichtendienstes. Daran ändert der Umstand nichts, dass diese Maßnahmen nicht in die alleinige Zuständigkeit des Bundesnachrichtendienstes fielen, sondern auf dessen Antrag (§ 9 G 10) hin vom Bundesministerium des Innern anzuordnen (§ 10 G 10) und von der G 10-Kommission auf ihre Zulässigkeit und Notwendigkeit hin zu überprüfen (§ 15 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 3 G 10) waren (Urteil vom 23. Januar 2008 - BVerwG 6 A 1.07 - BVerwGE 130, 180 Rn. 25 = Buchholz 402.9 G 10 Nr. 2).

19

c) Die Sachurteilsvoraussetzungen des § 43 Abs. 1 VwGO für die erhobene Feststellungsklage liegen nicht vor.

20

aa) Gemäß § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Danach muss die Feststellungsklage sich auf einen konkreten, gerade den Kläger betreffenden Sachverhalt beziehen. Unter einem Rechtsverhältnis in diesem Sinne sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von natürlichen oder juristischen Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben (Urteil vom 23. August 2007 - BVerwG 7 C 2.07 - BVerwGE 129, 199 Rn. 21 = Buchholz 451.221 § 24 KrW-/AbfG Nr. 5; stRspr). Gegenstand der Feststellungsklage kann auch ein vergangenes Rechtsverhältnis sein (Urteil vom 29. April 1997 - BVerwG 1 C 2.95 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127 S. 7). Derartige rechtliche Beziehungen wären zwischen dem Kläger und der Beklagten dann entstanden, wenn feststünde, dass einer oder mehrere seiner E-Mail-Verkehre Gegenstand der strategischen Fernmeldeüberwachung im Jahr 2010 gewesen sind (vgl. Urteil vom 23. Januar 2008 a.a.O. Rn. 26, zur strategischen Überwachung von Telefongesprächen).

21

Ist allerdings nicht sicher, sondern lediglich möglich, dass auch die Telekommunikation gerade des Klägers von strategischen Beschränkungsmaßnahmen betroffen war, fehlt es an der notwendigen Konkretisierung des Rechtsverhältnisses. Gegenstand der Feststellungsklage kann nur ein konkretes Rechtsverhältnis sein, d.h. es muss die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen bestimmten bereits überschaubaren Sachverhalt streitig sein (Urteile vom 8. Juni 1962 - BVerwG 7 C 78.61 - BVerwGE 14, 235 <236> = Buchholz 451.45 § 30 HandwO Nr. 1 S. 1; vom 7. Mai 1987 - BVerwG 3 C 53.85 - BVerwGE 77, 207 <211> = Buchholz 418.711 LMBG Nr. 16 S. 33; vom 16. November 1989 - BVerwG 2 C 23.88 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 106 S. 14 und vom 23. Januar 1992 - BVerwG 3 C 50.89 - BVerwGE 89, 327 <329> = Buchholz 418.711 LMBG Nr. 30 S. 87). Die Feststellungsklage dient hingegen nicht der Klärung abstrakter Rechtsfragen auf der Grundlage eines nur erdachten oder als möglich vorgestellten Sachverhalts (Urteile vom 8. Juni 1962, 7. Mai 1987 und 16. November 1989 jeweils a.a.O.; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 43 Rn. 17; Sodan, in: Sodan/Ziekow , VwGO, 4. Aufl. 2014, § 43 Rn. 43 f.). Damit soll die Popularklage im Verwaltungsprozess verhindert werden, bei der sich der Kläger zum Sachwalter öffentlicher Interessen oder rechtlich geschützter Interessen Dritter macht (Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 12. Aufl. 2009, Rn. 490). Ferner sollen dadurch die Entscheidungsressourcen der Justiz auf tatsächlich vorhandene - statt lediglich hypothetische - Streitfälle konzentriert werden.

22

bb) Zwar lässt sich die Möglichkeit nicht ausschließen, dass auch vom Kläger versandte oder an ihn gerichtete E-Mails im Jahr 2010 von der strategischen Beschränkung des Telekommunikationsverkehrs erfasst waren.

23

Jede Kenntnisnahme, Aufzeichnung und Verwertung von Kommunikationsdaten durch den Staat ist ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 GG (BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1999 - 1 BvR 2226/94 u.a. - BVerfGE 100, 313 <366>), durch den zugleich ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO begründet würde. Eingriff ist dabei schon die Erfassung selbst, insofern sie die Kommunikation für den Bundesnachrichtendienst verfügbar macht und die Basis des nachfolgenden Abgleichs mit den Suchbegriffen bildet. An einem Eingriff fehlt es nur, soweit Telekommunikationsvorgänge zwischen deutschen Anschlüssen ungezielt und allein technikbedingt wieder spurlos ausgesondert werden. Dagegen steht es der Eingriffsqualität nicht entgegen, wenn die erfassten Daten nicht sofort bestimmten Personen zugeordnet werden können. Denn auch in diesen Fällen lässt sich der Personenbezug ohne Schwierigkeit herstellen.

24

Wie sich aus den Erläuterungen ergibt, welche die Beklagte hierzu in der mündlichen Verhandlung gegeben hat, werden in diesem Sinne Telekommunikationsverkehre erfasst, sobald der dazu verpflichtete Betreiber des in der Anordnung bezeichneten Übertragungsweges (Telekommunikationsleitung) den Datenstrom in Gestalt einer Verdoppelung dem Bundesnachrichtendienst zuleitet. Damit stehen die Telekommunikationsverkehre dem Bundesnachrichtendienst zur Verfügung, der sie dann selektiert und anhand der angeordneten Suchbegriffe durchsucht. Mithin werden Telekommunikationsverkehre nicht erst anhand der Suchbegriffe erfasst. Vielmehr dienen die Suchbegriffe nach einer ersten technischen Selektion, bei der Inlandsverkehre aus den erfassten Telekommunikationsverkehren ausgeschieden werden sollen, einer Durchsuchung der schon erfassten Verkehre auf sogenannte Treffer.

25

cc) Der Senat kann jedoch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass über eine bloße nicht auszuschließende Möglichkeit hinaus im Jahr 2010 Telekommunikationsverkehre unter Beteiligung des Klägers im Rahmen strategischer Beschränkungsmaßnahmen nach § 5 Abs. 1 G 10 in diesem Sinne tatsächlich erfasst worden sind.

26

Feststeht, dass kein Telekommunikationsverkehr des Klägers sich unter denjenigen befand, die sich im Ergebnis als nachrichtendienstlich relevant erwiesen und vom Bundesnachrichtendienst insoweit weiterverarbeitet worden sind. Die Beklagte hat mitgeteilt, dass sich unter den im Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums vom 10. Februar 2012 ausgewiesenen 213 Telekommunikationsverkehren, die im Jahr 2010 als nachrichtendienstlich relevant eingestuft wurden, keiner des Klägers befinde. Dies stellt auch der Kläger nicht in Abrede.

27

Nicht mehr ermitteln lässt sich hingegen, ob ein Telekommunikationsverkehr des Klägers zwar zunächst erfasst, anhand angeordneter Suchbegriffe selektiert, gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 G 10 unverzüglich auf nachrichtendienstliche Relevanz überprüft und sodann aber, weil diese Prüfung negativ verlief, als irrelevant gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 G 10 unverzüglich gelöscht worden ist. Aufklärungsbemühungen des Senats waren insoweit nicht erfolgversprechend. Zwar sind sowohl Erfassung und Abgleich mit angeordneten Suchbegriffen als auch die Löschung erhobener personenbezogener Daten zu protokollieren (§ 5 Abs. 2 Satz 4, § 6 Abs. 1 Satz 3 G 10). Die Protokolldaten sind jedoch am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Protokollierung folgt, zu löschen (§ 5 Abs. 2 Satz 6, § 6 Abs. 1 Satz 5 G 10), so dass hier möglicherweise beweiskräftige Protokolldaten seit Ende 2011, spätestens aber - soweit eine Protokollierung erst im Laufe des Jahres 2011 erfolgt wäre - seit Ende 2012 nicht mehr zur Verfügung stehen.

28

Die danach verbleibende Wahrscheinlichkeit für eine solche Erfassung ist jedoch nicht so hoch, dass sie als überwiegend eingestuft werden müsste und damit dem Senat die erforderliche Überzeugung dafür vermitteln könnte, dass die Voraussetzungen eines konkreten Rechtsverhältnisses erfüllt sind. Die Vorschriften über die strategische Beschränkung des Telekommunikationsverkehrs sorgen dafür, dass nur ein geringer Bruchteil aller Telekommunikationsverkehre von dieser Beschränkung erfasst wird.

29

Strategische Beschränkungen gemäß § 5 Abs. 1 G 10 weisen fragmentarischen Charakter auf. Sie sind auf die Übertragungswege beschränkt, die in der Anordnung bezeichnet werden (§ 10 Abs. 4 Satz 1 G 10). Von der Übertragungskapazität, die auf diesen Übertragungswegen zur Verfügung steht, darf ein Anteil von höchstens 20 v.H. überwacht werden (§ 10 Abs. 4 Satz 4 G 10). Nach Angaben der Beklagten wird in der Praxis ein deutlich geringerer Anteil tatsächlich überwacht. Der in der mündlichen Verhandlung anwesende stellvertretende Vorsitzende der G 10-Kommission hat dies bestätigt. Zwar mag theoretisch nicht auszuschließen sein, dass - wie der Kläger vermutet - bei nur geringer Ausnutzung der Übertragungskapazität durch die Betreiber der Übertragungswege mehr als 20 v.H. des tatsächlichen Übertragungsvolumens erfasst werden. Das lässt sich indes nicht mit Hilfe der Jahresanträge weiter aufklären, weil diese nur die Vorgaben dafür enthalten, in welchem Maß die Übertragungskapazität der Übertragungswege erfasst werden darf, aber keine Kenntnisse über das tatsächlich erfasste Übertragungsvolumen vermitteln. Die beantragte Beiziehung der Jahreshauptanträge war deshalb insoweit als Beweismittel nicht geeignet. Unabhängig davon wird der Telekommunikationsverkehr schon dann wirksam begrenzt, wenn nur 20 v.H. der Kapazität aller beantragten und angeordneten Übertragungswege überwacht werden dürfen. Der Bundesnachrichtendienst kann aus allen angeordneten Übertragungswegen jeweils nur solche auswählen und gleichzeitig überwachen, die nicht mehr als 20 v.H. der Kapazität aller angeordneten Übertragungswege ausmachen. Die Beschränkung auf einen Anteil der Gesamtkapazität aller Übertragungswege zwingt mithin zur Auswahl aus den angeordneten Übertragungswegen, die jeweils überwacht werden können.

30

Weil der tatsächliche Umfang der Überwachung entscheidend durch die Beschränkung auf bestimmte Übertragungswege und Übertragungskapazitäten begrenzt wird, ist für die Wahrscheinlichkeit, dass der Telekommunikationsverkehr eines bestimmten Teilnehmers tatsächlich erfasst sein könnte, unerheblich, dass auch Telekommunikationsverkehre erfasst worden sind, die über die größten deutschen Telekommunikationsdienstleister abgewickelt werden, und - bezogen auf den Gefahrenbereich des Internationalen Terrorismus - Telekommunikationsverkehre in und aus 150 Staaten und weiteren 46 Regionen beschränkt worden sind.

31

Für die Wahrscheinlichkeit, mit der auch Telekommunikationsverkehre des Klägers erfasst worden sind, ist schließlich unerheblich, welche Suchbegriffe der Bundesnachrichtendienst verwendet hat, insbesondere welche allgemein gängigen Begriffe sich darunter befunden haben. Selbst deren Kenntnis und ihre Verwendung in der E-Mail-Korrespondenz des Klägers sagen nichts darüber aus, dass diese Korrespondenz erfasst worden ist oder jedenfalls eine hohe Wahrscheinlichkeit für ihre Erfassung besteht.

32

Wie bereits erwähnt, liegt die Erfassung von Telekommunikationsverkehr, mit der gegenüber dem Betroffenen ein Eingriff in sein Grundrecht aus Art. 10 GG einhergeht, vor, wenn die Kommunikation für den Bundesnachrichtendienst technisch verfügbar gemacht wird und so eine Basis des nachfolgenden Abgleichs mit Suchbegriffen bildet. Diese Erfassung ist aber dem Abgleich der erfassten Verkehre anhand der angeordneten Suchbegriffe vorgelagert und wird nicht durch die Suchbegriffe gesteuert. Die verwendeten Suchbegriffe und deren geringe oder hohe Eignung für eine Selektion der erfassten Verkehre sind mithin ohne Bedeutung für die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Telekommunikationsverkehr überhaupt erfasst wird, sondern nur dafür, ob sich ein erfasster Verkehr im weiteren Verlauf für eine weitere Verarbeitung "qualifiziert". Aus diesem Grunde war die Kenntnis der angeordneten und verwendeten Suchbegriffe in dem hier interessierenden Zusammenhang nicht entscheidungserheblich und konnte der Senat deshalb den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag des Klägers ablehnen, bestimmte Jahreshauptanträge des Bundesnachrichtendienstes aus dem Jahr 2010 zum Beweis der Tatsache beizuziehen, dass der Bundesnachrichtendienst übermäßig allgemein gehaltene Suchbegriffe verwendet hat.

33

dd) Die verbleibenden erheblichen Zweifel daran, ob Telekommunikationsverkehr des Klägers im Jahre 2010 von der strategischen Beschränkung nach § 5 G 10 erfasst war und damit das streitige Rechtsverhältnis begründet worden ist, gehen zu Lasten des Klägers. Dies entspricht der allgemeinen Regel, nach der es zu Lasten des Beteiligten geht, der sich auf eine Norm beruft, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen dieser Norm nicht geklärt werden können. Dies gilt auch, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen sich nicht klären lassen, von denen die Zulässigkeit der erhobenen Klage abhängt.

34

Diese Beweislast kann nicht umgekehrt werden. Dass nicht festgestellt werden kann, ob Telekommunikationsverkehr des Klägers von der Beschränkung erfasst war, beruht zwar einerseits auf der Heimlichkeit dieser Maßnahme und andererseits darauf, dass die Daten über die Erfassung und unverzügliche Löschung überprüfter, aber irrelevanter Verkehre ihrerseits gelöscht wurden, ohne dass die Betroffenen hierüber benachrichtigt worden sind. Daraus kann aber nicht der Vorwurf einer Beweisvereitelung und die Folge hergeleitet werden, der Nachteil der Nichterweislichkeit müsse zu Lasten der Beklagten gehen. Denn dieses Vorgehen des Bundesnachrichtendienstes entsprach Vorschriften, die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind, insbesondere mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG in Einklang stehen. Der Gesetzgeber war insbesondere nicht gehalten, in Fällen der unverzüglichen Prüfung und anschließenden unverzüglichen Löschung erfasster Telekommunikationsverkehre (§ 6 Abs. 1 Satz 6 G 10) eine Mitteilungspflicht entsprechend § 12 Abs. 1 G 10 einzuführen, um auf diese Weise die Möglichkeiten nachträglichen Rechtsschutzes zu verbessern. Eine solche Mitteilungspflicht würde massenhafte Recherchezwänge auslösen und dadurch in beträchtlicher Weise den Eingriff vertiefen (vgl. BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08 u.a. - BVerfGE 125, 260 <336>); sie ist daher verfassungsrechtlich nicht geboten (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1999 - 1 BvR 2226/94 u.a. - BVerfGE 100, 313 <398 f.>). Auch die gesetzlichen Löschungsregeln in § 5 Abs. 2 Satz 6 G 10 sowie in § 6 Abs. 1 Satz 5 G 10 sind für die Betroffenen offenkundig in erheblichem Maße grundrechtsschonend und stehen daher trotz ihrer Auswirkungen auf spätere Rechtsschutzmöglichkeiten mit Art. 19 Abs. 4 GG im Einklang.

35

ee) Ebenso wenig gebietet Art. 19 Abs. 4 GG eine Absenkung des Beweismaßes dahingehend, dass an Stelle der vollen richterlichen Überzeugung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit oder gar eine bloße Glaubhaftmachung ausreicht, um eine tatsächliche Betroffenheit des Klägers und damit ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO anzunehmen.

36

Art. 19 Abs. 4 GG vermittelt dem Einzelnen einen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz, d.h. auf eine tatsächlich wirksame und möglichst lückenlose gerichtliche Kontrolle (stRspr; vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2011 - 1 BvR 1932/08 - NVwZ 2012, 694 <695>). Die Voraussetzungen und Bedingungen des Zugangs zum Gericht auszugestalten, bleibt den jeweils geltenden Prozessordnungen überlassen. Dabei kann der Gesetzgeber auch Regelungen treffen, die ein Rechtsschutzbegehren von besonderen Voraussetzungen abhängig machen und sich dadurch für den Rechtsuchenden einschränkend auswirken. Der Anspruch des Einzelnen auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle darf aber nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (stRspr; vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 2000 - 1 BvR 321/96 - BVerfGE 101, 397 <408>).

37

Dass die bloße Möglichkeit einer tatsächlichen Betroffenheit nicht ausreicht, ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO anzunehmen, dient dazu, Popularklagen nichtbetroffener Dritter auszuschließen sowie justizielle Entscheidungsressourcen auf tatsächlich vorhandene - statt lediglich hypothetische - Streitfälle zu konzentrieren. Hierbei handelt es sich um legitime Gemeinwohlanliegen, die durch alternative Maßgaben nicht mit derselben Wirksamkeit oder aber nur auf eine Weise zu verwirklichen wären, die an anderer Stelle zu unannehmbaren grundrechtlichen Einbußen führen müsste. Der Gesetzgeber war insbesondere - wie erwähnt - nicht gehalten, in Fällen der unverzüglichen Prüfung und anschließenden unverzüglichen Löschung erfasster Telekommunikationsverkehre (§ 6 Abs. 1 Satz 6 G 10) eine Mitteilungspflicht entsprechend § 12 Abs. 1 G 10 einzuführen, um auf diese Weise die Möglichkeiten nachträglichen Rechtsschutzes zu verbessern, ohne zugleich die genannten Gemeinwohlanliegen zu beeinträchtigen.

38

Für einen Kläger, dessen Telekommunikationsverkehr tatsächlich erfasst und nach unverzüglicher Prüfung unverzüglich wieder als irrelevant gelöscht worden ist, ist es auch nicht unzumutbar, dass sich die spätere Unerweislichkeit seiner Betroffenheit prozessual zu seinen Lasten auswirkt.

39

Auf der einen Seite ist die Eingriffsintensität bei unverzüglicher Prüfung und Löschung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 G 10 geringer zu veranschlagen als in nachfolgenden Verarbeitungsstadien (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1999 a.a.O. S. 398 f.).

40

Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber im Interesse kompensatorischen Grundrechtsschutzes (vgl. Urteil vom 23. Januar 2008 - BVerwG 6 A 1.07 - BVerwGE 130, 180 Rn. 45 = Buchholz 402.9 G 10 Nr. 2) sämtlicher von strategischen Beschränkungen erfassten Personen die Kontrolle eines unabhängigen, parlamentarisch bestellten Gremiums, nämlich der G 10-Kommission, vorgesehen. Diese entscheidet über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen (§ 15 Abs. 5 Satz 1 G 10), insbesondere im Stadium der Anordnung (vgl. § 15 Abs. 6 G 10). Hierbei unterliegen die wesentlichen Eckdaten strategischer Beschränkungen ihrer Prüfung: Das Vorliegen einer Bestimmung der jeweiligen Telekommunikationsbeziehungen durch das Bundesministerium des Innern mit Zustimmung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (§ 5 Abs. 1 Satz 2 G 10); das Überschreiten der materiellen Eingriffsschwellen des § 5 Abs. 1 Satz 3 G 10; das Vorliegen eines Antrags des Bundesnachrichtendienstes (§ 5 Abs. 1 Satz 1 G 10, § 9 Abs. 1 G 10); das Vorliegen einer Anordnung des Bundesministeriums des Innern (§ 10 Abs. 1 G 10); die Rechtmäßigkeit (insbesondere hinreichende Selektivität) der in der Anordnung benannten Suchbegriffe (§ 10 Abs. 4 Satz 1 G 10, § 5 Abs. 2 G 10); die Beschränkung der Überwachung auf einen Teil der Übertragungskapazitäten (§ 10 Abs. 4 Satz 2 und 3 G 10); die Festlegung der Dauer der Beschränkungsmaßnahme (§ 10 Abs. 2 Satz 2, Abs. 5 G 10). Aufgrund dieser Kontrollpflichten und -befugnisse der G 10-Kommission ist der Grundrechtsschutz der Betroffenen in Bezug auf die Maßnahmenanordnung effektiv. Er ist auch insofern effektiv, als sich bei der G 10-Kommission im Zuge ihrer Tätigkeit spezialisierter Sachverstand herausbilden kann und ihr eine Personal- und Sachausstattung sowie Mitarbeiter mit technischer Expertise zur Verfügung zu stellen sind (§ 15 Abs. 1 G 10).

41

Hinsichtlich des Vollzugs strategischer Beschränkungsmaßnahmen erstreckt sich die Kontrollbefugnis der G 10-Kommission auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach dem Gesetz erlangten personenbezogenen Daten durch Nachrichtendienste des Bundes einschließlich der Entscheidung über die Mitteilung an Betroffene. Hierzu bestehen Fragerechte, ein Recht auf Einsicht in alle Unterlagen (insbesondere in die gespeicherten Daten und die Datenverarbeitungsprogramme) sowie ein Recht auf jederzeitigen Zutritt in alle Diensträume (§ 15 Abs. 5 G 10). Die Vollzugskontrolle kann von Amts wegen vorgenommen, als auch durch Individualbeschwerden (eventuell) Betroffener ausgelöst sein (§ 15 Abs. 5 Satz 1 G 10). Auch insofern erweist sich der Grundrechtsschutz der Betroffenen somit als effektiv. Erst recht stellt die G 10-Kommission die allgemeine Kontrolle durch die Öffentlichkeit sicher, wie sie durch eine Absenkung der Anforderungen an das Beweismaß und die damit einhergehende faktische Ermöglichung einer Popularklage bewirkt würde.

42

ff) Anders als der Kläger meint, lässt sich schließlich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht herleiten, dass er seine tatsächliche Betroffenheit schon dann ausreichend dargelegt habe, wenn er mit einiger Wahrscheinlichkeit durch die angegriffene strategische Beschränkung des Telekommunikationsverkehrs in seinem grundrechtlich geschützten Fernmeldegeheimnis berührt sei. Die von ihm angeführte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1999 - 1 BvR 2226/94 u.a. - BVerfGE 100, 313 <354>) bezieht sich auf eine andere Fallgestaltung, nämlich die Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz. Sie verlangt für ihre Zulässigkeit nicht die Feststellung, dass die in Rede stehende Norm auf den Beschwerdeführer bereits angewandt worden ist, sondern eben nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass er von der Anwendung der Norm betroffen sein könnte. Hingegen hat die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO gerade die Anwendung der Norm auf einen feststehenden Sachverhalt zur Voraussetzung. Sie richtet sich allenfalls inzident gegen die gesetzliche Grundlage, unmittelbar aber gegen den Anwendungsakt, und zwar bezogen auf den Kläger selbst.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung von Ausbildungsförderung für Zeiten, in denen er sich wegen Krankheit vom Studium beurlauben ließ.

2

Der Beklagte bewilligte dem Kläger für sein Studium an der Fachhochschule Ausbildungsförderung für die Zeit von Oktober 2010 bis September 2011 in Höhe von 439 € monatlich. Während seines zweiten Studiensemesters, am 9. Juni 2011, erfuhr der Kläger, dass er an Krebs erkrankt war. Entsprechend ärztlicher Empfehlung, sich körperlich zu schonen, besuchte er in der Zeit vom 13. Juni bis zum 3. Juli 2011 keine Lehrveranstaltungen. Danach nahm er wieder an Vorlesungen teil. Am 13. Juli 2011 entsprach die Fachhochschule dem Antrag des Klägers, ihn für die Zeit vom 1. April bis zum 30. September 2011 wegen Krankheit zu beurlauben. Die Urlaubsbescheinigung enthielt den Hinweis, dass eine Teilnahme an Vorlesungen, Praktika oder Prüfungen nicht möglich sei.

3

Nachdem der Kläger diese Bescheinigung im Oktober 2011 bei dem Beklagten eingereicht hatte, setzte dieser mit Bescheid vom 28. Oktober 2011 den Förderungsbetrag für die Zeit von April bis September 2011 auf Null fest und forderte die für diesen Zeitraum gewährte Ausbildungsförderung zurück. Die Bewilligung habe sich als rechtswidrig herausgestellt, weil für ein Urlaubssemester keine Förderung geleistet werden dürfe. Diesen Bescheid hob der Beklagte auf den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 13. Januar 2012 auf und begrenzte die Rückforderung auf die für die Zeit von Juli bis September 2011 geleistete Ausbildungsförderung in Höhe von 1 317 €.

4

Der erneute Widerspruch des Klägers und die anschließend erhobene Klage blieben ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Rechtmäßigkeit der Rückforderung ergebe sich aus § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG. Der Kläger habe die Ausbildung aus einem von ihm zu vertretenden Grund unterbrochen. Trotz der Erkrankung sei es seine Entscheidung gewesen, das zweite Semester als Urlaubssemester zu nehmen und damit keine förderungsfähige Ausbildung zu absolvieren.

5

Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht die im Streit stehenden Bescheide des Beklagten hinsichtlich der Rückforderung für den Monat Juli 2011 aufgehoben. Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG scheide als Rechtsgrundlage für die Rückforderung aus, weil der Kläger die Unterbrechung seiner Ausbildung nicht zu vertreten habe. Der Schwere seiner Krebserkrankung und der damit verbundenen psychischen Belastungen werde es nicht gerecht, ihm ab Anfang Juli 2011 wieder die volle Studierfähigkeit zu unterstellen. Der Beklagte habe seine Bescheide jedoch zu Recht auf § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG gestützt. Der Kläger habe wegen der rückwirkend ausgesprochenen Beurlaubung ab April 2011 keine förderungsfähige Ausbildung mehr betrieben, auch wenn er tatsächlich bis zur Beurlaubung studiert habe. Allerdings greife der aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende verfassungsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes. Das Vertrauen des Klägers auf den Fortbestand der Bewilligung sei bis einschließlich Juli 2011 schutzwürdig, da er bis dahin nicht damit habe rechnen müssen, aus Krankheitsgründen ein Urlaubssemester nehmen zu müssen. Erst Anfang Juli habe sich herausgestellt, dass er nach der Krebsdiagnose der zusätzlichen Belastung einer Prüfung nicht gewachsen gewesen sei. Mit Beantragung und Bewilligung der Beurlaubung im Juli 2011 habe der Kläger allerdings gewusst oder wissen müssen, dass ihm für die Monate August und September 2011 ein Förderanspruch nicht mehr zustehe. Jeder Bescheid über die Bewilligung von Ausbildungsförderung enthalte den Hinweis, dass eine Unterbrechung der Ausbildung sofort zu melden sei, da sie Auswirkungen auf die Leistung von Ausbildungsförderung habe.

6

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG und des § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG i.V.m. § 50 SGB X. § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG erweise sich trotz zwischenzeitlicher Änderungen im Bundesausbildungsförderungsgesetz weiterhin als Spezialregelung für die Fälle der Unterbrechung des Studiums aus Krankheitsgründen; § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG sei daneben nicht anwendbar. Sofern man dies anders beurteile, liege jedenfalls ein Verstoß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes vor. Er habe darauf vertraut, die erhaltene Ausbildungsförderung auch für die Monate August und September 2011 behalten zu dürfen. Bis auf die dreiwöchige Unterbrechung habe er im gesamten Semester studiert. Die rechtlichen und finanziellen Folgen einer Beurlaubung habe er nicht gekannt und auch nicht kennen müssen.

7

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Er hatte am 7. November 2014 selbst Revision eingelegt, diese jedoch mit Schriftsatz vom 12. November 2014 zurückgenommen.

Entscheidungsgründe

8

Das Verfahren über die Revision des Beklagten wird eingestellt, weil er diese zurückgenommen hat (§ 92 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 VwGO).

9

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das angefochtene Urteil steht mit Bundesrecht in Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

10

Das Oberverwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass sich die angefochtenen Bescheide des Beklagten, die im Revisionsverfahren nur noch bezüglich der Änderung und Rückforderung für die Monate August und September 2011 im Streit stehen, im Ergebnis als rechtmäßig erweisen. Rechtsgrundlage für die Änderung des ursprünglichen Bewilligungsbescheides des Beklagten ist § 53 Satz 1 Nr. 2 des Bundesgesetzes über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1952). Die Befugnis des Beklagten zur Rückforderung der Leistungen folgt aus § 50 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Januar 2001 (BGBl. I S. 130), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. Juli 2013 (BGBl. I S. 2749), - SGB X - in Verbindung mit § 53 Satz 3 Halbs. 2 BAföG.

11

Zwischen den Beteiligten ist zu Recht nicht mehr streitig, dass die Rückforderung des Beklagten für die streitbefangenen Monate August und September 2011 nicht auf § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG gestützt werden kann. Nach dieser Vorschrift hat der Auszubildende den Förderbetrag für den Kalendermonat oder den Teil eines Kalendermonats zurückzuzahlen, in dem er die Ausbildung aus einem von ihm zu vertretenden Grund unterbrochen hat. Zwar lag wegen der vom Kläger beantragten rückwirkenden Bewilligung eines Urlaubssemesters durch die Fachhochschule eine Unterbrechung der Ausbildung auch im streitigen Zeitraum vor. Nicht zu beanstanden ist jedoch die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass der Kläger diese Unterbrechung wegen seiner Krebserkrankung nicht im Sinne von § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG zu vertreten hat. Denn hierfür reicht es nicht aus, wenn der Auszubildende von sich aus die Beurlaubung beantragt und damit in formaler Hinsicht auch die Unterbrechung der Ausbildung veranlasst. Vielmehr hat er den damit gesetzten Grund für die Unterbrechung nur dann zu vertreten, wenn zu der Veranlassung das subjektive Moment der Vorwerfbarkeit oder der Zumutbarkeit, die Unterbrechung zu verhindern, hinzutritt. Dies ist nicht der Fall, wenn - wie hier - die Beantragung des Urlaubssemesters auf eine Erkrankung zurückzuführen ist (BVerwG, Urteil vom 21. Juni 1979 - 5 C 15.78 - BVerwGE 58, 132 <146>).

12

Das Oberverwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Regelung des § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG im vorliegenden Fall anwendbar ist und nicht durch § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG verdrängt wird (1.). Es hat weiter im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Änderung und Rückforderung für die streitbefangenen Monate August und September 2011 von der Rechtsgrundlage des § 53 Satz 1 Nr. 2 und Satz 3 BAföG i.V.m. § 50 Abs. 1 SGB X gedeckt ist und dem schutzwürdiges Vertrauen des Klägers nicht entgegensteht (2.).

13

1. § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG ist als Rechtsgrundlage anwendbar. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers stellt sich § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG im vorliegenden Zusammenhang nicht als Regelung dar, die als vorrangiges Spezialgesetz die Anwendbarkeit des § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG ausschließt.

14

Im Ansatz ist davon auszugehen, dass zwei Rechtsnormen, die - wie die genannten einfachgesetzlichen Regelungen - im gleichen Rangverhältnis zueinander stehen, gleichermaßen Geltung beanspruchen und grundsätzlich nebeneinander anwendbar sind, so dass die an ihre Tatbestände geknüpften Rechtsfolgen gleichrangig nebeneinander eintreten (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 1954 - GSZ 1/54 - BGHZ 13, 88 = juris Rn. 18; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 87 ff. zur sogenannten Anspruchskonkurrenz). Eine Verdrängung der einen Rechtsnorm durch eine andere besondere Rechtsnorm kann aber vorliegen, wenn entweder ein Fall von Spezialität (lex specialis derogat legi generali) gegeben ist, also die verdrängende Rechtsnorm sämtliche Merkmale der allgemeinen Normen enthält und diesen noch ein besonderes Merkmal zur Bildung seines Tatbestandsbegriffes hinzufügt, oder wenn zwar ein auf Spezialität (im engeren Sinne) beruhendes Rangverhältnis der Rechtsnormen nicht festzustellen ist, das Zurücktreten einer Norm jedoch aus einem ausdrücklichen oder stillschweigenden Gesetzesbefehl zu folgern ist (BGH, Urteil vom 12. April 1954 - GSZ 1/54 - BGHZ 13, 88 = juris Rn. 17 f.). So verhält es sich hier nicht.

15

a) Eine Verdrängung kraft Spezialität im engeren Sinne scheidet aus. Das gilt auch dann, wenn man es hierfür genügen lässt, dass - obgleich die abstrakten Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG und die des § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG nicht wörtlich übereinstimmen - die Anwendungsbereiche dieser beiden Rechtsnormen sich jedenfalls in den Fällen überschneiden, in denen eine (krankheitsbedingte) Unterbrechung der Ausbildung vorliegt, und deshalb davon ausgeht, dass § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG im vorgenannten Sinne sämtliche Merkmale der allgemeineren Norm des § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG enthält und diesen noch ein besonderes Merkmal (nämlich das des Vertretens der Unterbrechung) hinzufügt. Ein Zurücktreten der allgemeineren gegenüber der speziellen Norm kann nämlich auch kraft Spezialität (im engeren Sinne) nur dann in Betracht kommen, wenn im konkreten Fall die Tatbestandsmerkmale der speziellen Norm erfüllt sind und deshalb ein Rückgriff auf die allgemeinere Norm ausgeschlossen ist. Die Frage, ob die Rechtsfolgen zweier Rechtssätze nebeneinander eintreten sollen oder ob eine die andere verdrängt, stellt sich nur, wenn auf einen Sachverhalt beide Tatbestände zutreffen. Nur für ihren Anwendungsbereich kann die speziellere die allgemeinere Rechtsnorm verdrängen (vgl. BFH, Beschluss vom 17. Dezember 1997 - I B 96/97 - RIW 1998, 491 <492 f.>; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 89). Danach tritt hier § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG nicht zurück. Denn im vorliegenden Fall ist die Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG schon tatbestandlich nicht einschlägig, weil - wie oben dargelegt - das Merkmal des Vertretens nicht erfüllt ist.

16

b) Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der - hier für die Fallgruppe der Unterbrechung der Ausbildung - spezielleren Rechtsnorm des § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG nicht vor, so kann zwar eine verdrängende Wirkung gegenüber anderen allgemeineren Tatbeständen noch eintreten, wenn ein entsprechender ausdrücklicher oder stillschweigender Gesetzesbefehl dies anordnet (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 1954 - GSZ 1/54 - BGHZ 13, 88 = juris Rn. 18), d.h. wenn aus der Norm im Wege der Auslegung zu folgern ist, dass ihre Rechtsfolge nur dann eintreten soll, sofern ihre besonderen Voraussetzungen erfüllt sind. Ein solcher Gesetzesbefehl, wonach die Heranziehung zur Rückerstattung von Förderungsleistungen, die der Auszubildende während einer (krankheitsbedingten) Unterbrechung seiner Ausbildung bezogen hat, nur unter den Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG zulässig sein soll, ist nicht erkennbar.

17

Entgegen der Rechtsansicht des Klägers regelt § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG die Rückzahlungspflicht wegen krankheitsbedingten Unterbrechens der Ausbildung nicht umfassend und abschließend. Ein Auszubildender kann vielmehr auch dann aufgrund anderer Vorschriften - insbesondere nach § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG - zur Rückzahlung verpflichtet sein, wenn er seine Ausbildung aus Gründen unterbricht (wie hier der Inanspruchnahme eines Urlaubssemesters wegen Krankheit), die er nicht zu vertreten hat. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 1998 - 5 C 33.97 - Buchholz 436.36 § 20 BAföG Nr. 37 S. 4 m.w.N.), an welcher der Senat festhält.

18

aa) Der Wortlaut des § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG liefert keine Anhaltspunkte dafür, dass sich diese Rechtsnorm als abschließend begreift. Ebenso wenig gibt der Wortlaut des § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG etwas dafür her, was auf dessen Subsidiarität gegenüber § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG schließen ließe.

19

bb) Systematische Erwägungen sprechen gegen eine Verdrängungswirkung. Insoweit ist bedeutsam, dass beide Rechtsnormen Unterschiede im Hinblick auf ihre Rechtsfolgen aufweisen. Während § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG an die Unterbrechung der Ausbildung aus einem vom Auszubildenden zu vertretenden Grund die Rechtsfolge knüpft, dass der Förderungsbetrag für den entsprechenden Kalendermonat (oder Teil eines Kalendermonats) zurückzuzahlen ist, ermächtigt und verpflichtet § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG die Verwaltung dazu, den Bewilligungsbescheid vom (nächsten) auf die Änderung eines maßgeblichen Umstands folgenden Monats an zu ändern und die Rückerstattung der Leistungen ab diesem Zeitpunkt zu verlangen. Die Rechtsfolge des § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG ist für den Betroffenen regelmäßig einschneidender. Dafür sind die tatbestandlichen Hürden höher als die des § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG. Entgegen der Ansicht des Klägers trifft es daher nicht zu, dass bei Anwendung des § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG auf die Fälle der krankheitsbedingten Unterbrechung des Studiums das von der Rechtsprechung entwickelte Korrektiv der subjektiven Vorwerfbarkeit vollständig seine Bedeutung verlöre. Ebenso wenig greift sein Einwand durch, dass eine Anwendung des § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG auf denselben Lebenssachverhalt zu Zufälligkeiten bei der Normanwendung führe und daher dem Prinzip der Rechtssicherheit widerspreche.

20

Gegen die Annahme, dass § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG die allgemeinere Regelung des § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG verdrängt, spricht auch der systematische Zusammenhang zu der Bestimmung des § 15 Abs. 2a BAföG. Danach wird Ausbildungsförderung auch dann geleistet, wenn der Auszubildende infolge einer Erkrankung daran gehindert ist, seine Ausbildung durchzuführen, nicht jedoch über das Ende des dritten Kalendermonats nach Beginn der Erkrankung hinaus. Damit hat der Auszubildende im Fall einer Erkrankung die Wahl, ob er von einem Antrag auf Beurlaubung absieht und deshalb den Vorteil erlangt, dass Ausbildungsförderung gemäß § 15 Abs. 2a BAföG trotz krankheitsbedingter Versäumung von Lehrveranstaltungen bis zu drei Monate weiter gezahlt wird, oder ob er sich für eine Beurlaubung entscheidet. Macht der Auszubildende im Falle einer Erkrankung während des Semesters von der Möglichkeit Gebrauch, sich (rückwirkend) beurlauben zu lassen, so steht ihm während dieses Zeitraums Ausbildungsförderung grundsätzlich nicht zu, weil ein Urlaubssemester weder hochschulrechtlich noch förderungsrechtlich auf die Zahl der Fachsemester anzurechnen ist (BVerwG, Urteil vom 25. November 1982 - 5 C 102.80 - BVerwGE 66, 261 <264>). Diesem System entspricht es, dass der einen Antrag auf Beurlaubung stellende Auszubildende zu berücksichtigen hat, dass die für Zeiten der Beurlaubung erteilten Bewilligungsbescheide nach § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG geändert und Leistungen zurückgefordert werden. Ginge man dagegen davon aus, dass die Regelung des § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG in dieser Konstellation schon kraft Verdrängung durch § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG nicht anwendbar wäre, würden die an eine Beurlaubung aus Krankheitsgründen geknüpften Rechtsfolgen systemwidrig vereitelt.

21

cc) Aus dem Sinn und Zweck des § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG lässt sich ebenfalls nicht auf eine Verdrängungswirkung schließen. Die Regelung berücksichtigt den Grundsatz, dass nur für die - und darum auch nur während der - Ausbildung die Lebensgrundlage des Auszubildenden durch Ausbildungsförderung sichergestellt werden soll (vgl. BT-Drs. VI/1975 S. 29 f.). Sie ist - ebenso wie § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG - dazu bestimmt, dem öffentlichen Interesse an einer gesetzmäßigen und gesetzeszweckentsprechenden Verwendung der für die Ausbildungsförderung eingesetzten öffentlichen Finanzmittel zu dienen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 1998 - 5 C 33.97 - Buchholz 436.36 § 20 BAföG Nr. 37 S. 6). Dies spricht gegen die Annahme, dass § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG zugleich dazu bestimmt ist, den Rückgriff auf die allgemeinere Rechtsgrundlage des § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG zu sperren, die ebenfalls eine Rückforderung von Ausbildungsförderung wegen der Unterbrechung der Ausbildung rechtfertigen kann.

22

dd) Die historisch-genetische Auslegung des § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG liefert ebenfalls keine Hinweise darauf, dass es Inhalt dieser Norm ist, die Rückzahlungspflicht wegen der Unterbrechung der Ausbildung umfassend und abschließend zu regeln. Insbesondere lassen sich den Gesetzesmaterialien (wie der Begründung des Entwurfs des Bundesausbildungsförderungsgesetzes - BT-Drs. VI/1975 S. 29 f.) keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG die Rückforderung von Leistungen der Ausbildungsförderung auch dann sperren soll, wenn seine Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Vielmehr spricht die Entstehungsgeschichte der Norm - hier im Sinne der Rechtsentwicklung durch verschiedene Gesetzesänderungen - in gewichtiger Weise gegen die Annahme, der Gesetzgeber habe § 20 Abs. 2 Satz 1 BAföG als abschließende Regelung für Fälle der Ausbildungsunterbrechung konzipiert.

23

Schon zu der Ursprungsfassung von § 20 BAföG vom 26. August 1971 (BGBl. I S. 1409) war anerkannt, dass während einer Unterbrechung der Ausbildung bezogene Förderungsleistungen nicht nur unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 dieser Vorschrift zu erstatten waren, sondern auch dann, wenn die Ausbildung aus einem nicht zu vertretenden Grund unterbrochen worden war (BVerwG, Urteil vom 21. Juni 1979 - 5 C 15.78 - BVerwGE 58, 132 <133 f.>). Auch zu der nach Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches - Zehntes Buch (Verwaltungsverfahren) - geltenden Fassung des § 20 BAföG herrschte Übereinstimmung darüber, dass auf andere Erstattungsregelungen (seinerzeit des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - bzw. Zehnten Buches Sozialgesetzbuch) zurückgegriffen werden konnte, wenn die Voraussetzungen der Sonderregelung des § 20 Abs. 2 BAföG nicht vorlagen (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 17. September 1987 - 5 C 75.84 - Buchholz 436.36 § 20 BAföG Nr. 28).

24

Zwar hatte das Bundesverwaltungsgericht nach Inkrafttreten des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - die Rücknahme und Aufhebung von Bewilligungsbescheiden als Voraussetzung für die Rückforderung geleisteter Förderungsbeträge zunächst grundsätzlich nach den §§ 45 und 48 SGB X beurteilt und angenommen, dass § 53 BAföG auf Fälle "außerhalb des Bereiches der Leistungserstattung" beschränkt sei (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. September 1987 - 5 C 26.84 - BVerwGE 78, 101 <109> und vom 24. September 1981 - 5 C 87.79 - Buchholz 436.36 § 20 BAföG Nr. 13). Diese Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 53 BAföG galt jedoch nur, bis in § 53 BAföG durch Art. 1 Nr. 27 des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 16. Juni 1986 (BGBl. I S. 897) die Bestimmung eingefügt wurde, dass § 48 SGB X keine Anwendung finde und Rückforderungen sich nach § 50 SGB X richteten. Aus der Anordnung des Gesetzgebers, dass § 48 SGB X im gesamten Geltungsbereich des § 53 BAföG unanwendbar sein soll (vgl. auch BT-Drs. 10/5025 S. 14), und aus der ausdrücklichen Verweisung auf die Erstattungsregelung des § 50 SGB X ist zu ersehen, dass § 53 BAföG nach dem Willen des Gesetzgebers an die Stelle von § 48 SGB X treten, er seither also auch im Bereich der Leistungserstattung anwendbar sein sollte. Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass seither auch in Fällen einer nicht zu vertretenden Unterbrechung der Ausbildung § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X einschlägig ist (BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 1998 - 5 C 33.97 - Buchholz 436.36 § 20 BAföG Nr. 37 S. 2 f.). Die vorgenannte Rechtsprechung, die den Rückgriff auf § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG durchweg zugelassen hat, war dem Gesetzgeber bei seinen nachfolgenden Änderungen des Gesetzes jeweils bekannt, ohne dass ihn dies veranlasst hätte, insoweit korrigierend einzugreifen.

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2. Das Oberverwaltungsgericht hat weiter im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die vom Kläger angegriffenen Änderungs- und Rückforderungsbescheide des Beklagten, soweit sie die allein noch streitbefangenen Monate August und September 2011 betreffen, von der Rechtsgrundlage des § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X gedeckt sind (a) und ihnen insoweit ein schützenswertes Vertrauen des Klägers nicht entgegensteht (b). Nach § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG wird, wenn sich ein für die Leistung der Ausbildungsförderung maßgeblicher Umstand ändert, ein Bewilligungsbescheid zuungunsten des Auszubildenden vom Beginn des Monats an geändert, der auf den Eintritt der Änderung folgt. Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten (§ 53 Satz 3 Halbs. 2 BAföG i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X).

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a) Die dem Kläger auf seinen Antrag von der Fachhochschule im Juli 2011 (rückwirkend) gewährte Beurlaubung für das Sommersemester 2011 stellt sich als - hier zuungunsten des Auszubildenden wirkende - Änderung eines maßgeblichen Umstands im Sinne von § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG dar. Zu diesen maßgeblichen Umständen gehört auch eine Unterbrechung der Ausbildung in Form der Beurlaubung wegen Krankheit, die unmittelbare Rechtswirkungen für das Ausbildungsverhältnis hat. Während des Urlaubssemesters, das weder hochschulrechtlich noch förderungsrechtlich auf die Zahl der Fachsemester anzurechnen ist, dauert die förderungsfähige Ausbildung nicht fort mit der Folge, dass dem Auszubildenden insoweit Ausbildungsförderung grundsätzlich nicht zusteht; und zwar auch dann nicht, wenn der Auszubildende vor einer rückwirkend ausgesprochenen Urlaubsbewilligung Lehrveranstaltungen tatsächlich besucht hat. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die auch von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogen wird (BVerwG, Urteile vom 25. November 1982 - 5 C 102.80 - BVerwGE 66, 261 <264> und vom 13. Oktober 1998 - 5 C 33.97 - Buchholz 436.36 § 20 BAföG Nr. 37).

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b) Im Hinblick auf die streitbefangenen Monate August und September 2011 stehen der in § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X angeordneten Rechtsfolge auch nicht Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes entgegen.

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aa) Zwar ist das Förderungsamt nach den vorgenannten Regelungen zum Erlass eines entsprechenden Änderungs- und Rückforderungsbescheids ermächtigt und verpflichtet, ohne dass ihm insoweit ein Ermessensspielraum zusteht (BVerwG, Beschluss vom 20. Februar 1986 - 5 ER 265/84 - Buchholz 436.36 § 53 BAföG Nr. 5). Dennoch ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der nachteiligen Änderung eines Bescheids mit Wirkung auch für zurückliegende Zeiträume ein Mindestmaß an Vertrauensschutz, der verfassungsrechtlich geboten ist, zu wahren (BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1992 - 11 C 6.92 - BVerwGE 91, 306 <311> m.w.N.; kritisch dazu Steinweg, in: Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 5. Aufl. 2014, § 53 Rn. 29). Dementsprechend ist auch bei der Anwendung des § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG eine Abwägung des Gewichtes des Vertrauensschutzinteresses des Auszubildenden gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer gesetzmäßigen und gesetzeszweckentsprechenden Verwendung der für die Ausbildungsförderung eingesetzten öffentlichen Finanzmittel vorzunehmen (BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 1998 - 5 C 33.97 - Buchholz 436.36 § 20 BAföG Nr. 37 S. 6).

29

Von vornherein wenig schutzwürdig ist ein Vertrauen in den unveränderten Bestand eines begünstigenden Verwaltungsakts, wenn sich die Änderung im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält, wenn also der Betroffene mit der Änderung rechnen musste (BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1992 - 11 C 6.92 - BVerwGE 91, 306 <313>). Dies ist der Fall, wenn der Bestand des Bewilligungsbescheids nach den konkreten Umständen schon vor dem Erlass des Änderungsbescheids ernstlich zweifelhaft und seine Änderung bereits zu dem Zeitpunkt, auf den sich diese zurückbezieht, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten war. Dabei wirkt sich nicht - wie nach den weitreichenden Vertrauensschutzregelungen der § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X und § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG - nur grobe Fahrlässigkeit zuungunsten des von der Änderung Betroffenen aus. Auch wenn er mit seinem Vertrauen in den unveränderten Bestand des begünstigenden Verwaltungsakts die ihm zuzumutende Sorgfalt bei der Einschätzung der tatsächlichen Entwicklung und ihrer rechtlichen Folgen lediglich in einem leichten Maße verletzt, verliert das Vertrauensschutzinteresse erheblich an Gewicht (BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1992 - 11 C 6.92 - BVerwGE 91, 306 <313>).

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bb) Von diesen Maßstäben ist das Oberverwaltungsgericht ausdrücklich und in zutreffender Weise ausgegangen. Seine darauf beruhende Würdigung, dass der Rückforderung für die streitbefangenen Monate August und September 2011 schutzwürdiges Vertrauen des Klägers nicht entgegensteht, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Entgegen dem Vorbringen der Revision kann sich der Kläger nicht mit Erfolg darauf berufen, die rechtlichen und finanziellen Folgen der Beurlaubung und einer verspäteten Anzeige gegenüber der Verwaltung nicht gekannt zu haben und auch nicht habe kennen müssen.

31

Zum einen steht der Berufung des Klägers auf die von ihm geltend gemachte (rechtliche) Unkenntnis entgegen, dass diese seiner Verantwortungssphäre zuzurechnen ist. Ihn traf nämlich die Verpflichtung gegenüber dem Beklagten, eine Änderung in den Verhältnissen, die für die Leistung der Ausbildungsförderung erheblich sind, unverzüglich dem Amt für Ausbildungsförderung mitzuteilen (vgl. § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I). Dementsprechend war er gehalten, dem Beklagten die im Juli 2011 bewilligte Beurlaubung für das gesamte Sommersemester 2011 unverzüglich zur Kenntnis zu geben. Auf diese Verpflichtung, dem Beklagten Änderungen - unter anderem die Unterbrechung der Ausbildung - mitzuteilen, ist der Kläger im Bewilligungsbescheid vom 29. November 2010 und im Änderungs- und Rückforderungsbescheid vom 13. Januar 2012 ausdrücklich hingewiesen worden. Das Oberverwaltungsgericht hat hierzu überdies festgestellt, dass jeder Bescheid über die Bewilligung von Ausbildungsförderung den Hinweis enthalte, dass eine Unterbrechung der Ausbildung sofort zu melden sei, da sie Auswirkungen auf die Leistung von Ausbildungsförderung habe. Diese Feststellung, die der Kläger nicht mit erheblichen Verfahrensrügen angegriffen hat, ist für das Revisionsgericht bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO).

32

Zum anderen obliegt es im Falle einer Erkrankung dem Auszubildenden selbst, die förderungsrechtliche Konsequenz einer Beurlaubung, dass ihm die Ausbildungsförderung für das Urlaubssemester nicht zusteht, vor Einreichung eines Antrags zu bedenken und gegebenenfalls entsprechenden Rat einzuholen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1982 - 5 C 102.80 - BVerwGE 66, 261 <264>). Der Kläger hätte wissen müssen, dass er wegen des von ihm beantragten und von der Fachhochschule rückwirkend gewährten Urlaubssemesters jedenfalls für die im Streit stehenden Monate keinen Förderanspruch mehr besaß. Indem er es versäumt hat, sich entsprechend zu informieren, hat er die ihm zuzumutende Sorgfalt bei der Einschätzung der tatsächlichen Entwicklung und ihrer rechtlichen Folgen zumindest in einem leichten Maße verletzt. Ein etwaiges Vertrauen in die unveränderte Weiterförderung - hier für die Monate August und September 2011 - erwies sich daher jedenfalls seit der Bewilligung des Urlaubssemesters im Juli 2011 als nicht mehr schutzwürdig.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO nicht erhoben.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.