Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil, 07. Okt. 2014 - 9 K 3445/14
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
1
Tatbestand:
2Dem 1993 geborenen Kläger wurde am 27. Januar 2012 die Fahrerlaubnis erteilt. Durch Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 17. Juni 2014 wurde bekannt, dass der Kläger am 26. August 2013 eine Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit von 100 km/h um 23 km/h begangen hat. Der Verstoß wurde aufgrund eines seit dem 14. Mai 2014 rechtskräftigen Bußgeldbescheids vom 10. Dezember 2013 mit einer Geldbuße von 70,00 € geahndet.
3Mit Ordnungsverfügung vom 25. Juni 2014 – dem Kläger zugestellt am 3. Juli 2014 – ordnete die Beklagte daraufhin die Teilnahme des Klägers an einem Aufbauseminar an und forderte ihn auf, bis spätestens zum 13. September 2014 eine entsprechende Teilnahmebescheinigung vorzulegen. Sie teilte mit, durch diese Anordnung verlängere sich die Probezeit um zwei Jahre. Sollte der Kläger der Anordnung nicht fristgerecht nachkommen, sei ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen. Mit Schreiben vom 15. September 2014 verlängerte die Beklagte die gesetzte Frist dahingehend, dass der Kläger bis zum 23. September 2014 eine verbindliche Anmeldung in Form eines Vertrags mit einer für die Durchführung von Aufbauseminaren berechtigten Fahrschule beizubringen habe.
4Am 3. August 2014 hat der Kläger Klage erhoben – vertreten durch seine Mutter, die eine Vollmacht des Klägers vorgelegt hat. Zur Begründung trägt er vor: Gegen den Bußgeldbescheid vom 10. Dezember 2013 habe er Einspruch eingelegt und sei durch das über diesen entscheidende Amtsgericht C. ungerecht behandelt worden. Trotz seines unter Vorlage eines ärztlichen Attestes gestellten Verlegungsantrags habe das Amtsgericht C. an dem für die Hauptverhandlung anberaumten Termin festgehalten. Dazu hat der Kläger unter anderem folgende Unterlagen vorgelegt: den Bußgeldbescheid der Stadt C. vom 10. Dezember 2013, die Ladung zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht C. am 8. April 2014, die Kopie einer ärztlichen Bescheinigung zur Vorlage beim Amtsgericht C. vom 7. April 2014, nach der der Kläger weder psychisch noch physisch in der Lage sei, am 8. April 2014 einen Gerichtstermin wahrzunehmen, und ein an den Kläger gerichtetes Schreiben des für das Einspruchsverfahren bevollmächtigten Rechtsanwalts, der mitteilt, er habe wunschgemäß einen Antrag auf Verlegung des Termins gestellt, weise aber nochmals darauf hin, dass die vorgelegte ärztliche Stellungnahme seiner Ansicht nach nicht ausreiche.
5Der Kläger beantragt,
6die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 25. Juni 2014 aufzuheben.
7Die Beklagte beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Sie trägt vor: Mit der Geschwindigkeitsüberschreitung vom 26. August 2013 habe der Kläger während der Probezeit eine schwerwiegende Zuwiderhandlung begangen, weswegen seine Teilnahme an einem Aufbauseminar anzuordnen gewesen sei.
10Entscheidungsgründe:
11Die Einzelrichterin ist zuständig, nachdem ihr die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) durch Beschluss vom 4. September 2014 zur Entscheidung übertragen hat.
12Die Klage ist zulässig. Nach § 67 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 6 VwGO kann sich der Kläger vor dem Verwaltungsgericht durch seine Mutter vertreten lassen.
13Die Klage ist aber nicht begründet. Die angefochtene Ordnungsverfügung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
14Rechtsgrundlage der Anordnung der Teilnahme am Aufbauseminar ist § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alternative 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG). Danach hat die Straßenverkehrsbehörde, wenn gegen den Inhaber einer Fahrerlaubnis wegen einer innerhalb der Probezeit begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, die nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 und 3 StVG in das Fahreignungsregister einzutragen ist, auch noch nach Ablauf der Probezeit seine Teilnahme an einem Aufbauseminar anzuordnen und hierfür eine Frist zu setzen, wenn die Zuwiderhandlung schwerwiegend war. Dabei ist die Behörde gemäß § 2a Abs. 2 Satz 2 StVG an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder Ordnungswidrigkeit gebunden. Ob Zuwiderhandlungen gegen Verkehrsvorschriften als schwerwiegend zu bewerten sind, wird gemäß § 34 Abs. 1 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) zwingend nach dem Katalog der zugehörigen Anlage 12 bestimmt. Nach dessen Ziffer A.2.1 sind Verstöße gegen die vorgeschriebene Geschwindigkeit als schwerwiegend zu bewerten.
15Die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage sind erfüllt. Der Kläger hat ausweislich des in den beigezogenen Verwaltungsvorgängen enthaltenen Auszugs aus dem Fahreignungsregister am 26. August 2013 und damit vor Ablauf seiner regulär am 27. Januar 2014 endenden Probezeit mit der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 24 StVG, § 41 Abs. 1 in Verbindung mit Anlage 2 Straßenverkehrsordnung (StVO) begangen, die aufgrund des rechtskräftigen Bußgeldbescheids mit einer Geldbuße von 70,00 € geahndet worden ist. Die Entscheidung war nach § 28 Abs. 3 Nr. 3 StVG (sowohl in der bis zum 30. April 2014 als auch in der ab dem 1. Mai 2014 geltenden Fassung) in das Fahreignungsregister einzutragen. Der Verstoß ist nach Ziffer A.2.1 der Anlage 12 zu § 34 FeV schwerwiegend.
16Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg seine Ansicht entgegen halten, das Amtsgericht C. hätte den Termin zur Hauptverhandlung über seinen Einspruch antragsgemäß verlegen müssen. Darauf kommt es für das vorliegende Verfahren nicht an. Ob das Amtsgericht C. über den Einspruch des – im dortigen Verfahren anwaltlich vertretenen – Klägers nach § 74 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) in seiner Abwesenheit entscheiden konnte, überprüft das Verwaltungsgericht nicht. Auch ob der Kläger die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen hat – was er nicht bestreitet –, wird im vorliegenden Verfahren nicht geprüft. Nach § 2a Abs. 2 Satz 2 StVG ist die Fahrerlaubnisbehörde – und damit im Folgenden das Verwaltungsgericht – nämlich bei der Entscheidung über Maßnahmen, die gegen den Fahrerlaubnisinhaber zu verhängen sind, an die Feststellungen im rechtskräftigen Bußgeldbescheid gebunden. Diese Bindungswirkung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden; sie verstößt insbesondere nicht gegen Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG).
17Vgl. eingehend OVG NRW, Beschluss vom 18. November 2008 - 16 B 1523/08 - mit weiteren Nachweisen.
18Ob § 2a Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 StVG wegen des Gebots materieller Gerechtigkeit im Einzelfall verfassungskonform dahingehend auszulegen sind, dass fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen unzulässig sind, wenn die im Straf- oder Bußgeldverfahren zulasten des Betroffenen ergangene Entscheidung inhaltlich evident unrichtig ist,
19dies erwägen etwa OVG NRW, Beschluss vom 31. Juli 2009 - 16 B 862/09 -, und Hamb. OVG, Beschluss vom 3. Dezember 1999 - 3 Bs 250/99 -, juris, Rn 6 (= DAR 2000, 227),
20bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Eine solche Evidenz liegt hier nicht vor.
21Die von der Beklagten mitgeteilte Verlängerung der Probezeit um zwei Jahre folgt aus § 2a Abs. 2a Satz 1 StVG.
22Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Gebührenfestsetzung wurden weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich.
23Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
24Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
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