Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss, 17. Okt. 2016 - 2a L 2399/16.A
Tenor
Dem Antragsteller wird für das Verfahren erster Instanz Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin C. aus Dortmund beigeordnet.
Die aufschiebende Wirkung der Klage 2a K gegen die in dem Bescheid vom enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe
21.)
3Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe beruht auf § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit § 114, § 115 Zivilprozessordnung. Der Antragsteller erfüllt die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Die Rechtsverfolgung hat aus den unter 2.) genannten Gründen Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig.
42.)
5Der sinngemäße Antrag,
6die aufschiebende Wirkung der Klage 2a K gegen die in dem Bescheid vom enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen,
7hat Erfolg.
8Die mit dem angefochtenen Bescheid erlassene und auf § 71a Abs. 4 Asylgesetz (AsylG) i. V. m. § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützte Abschiebungsandrohung erweist sich nach der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes allein durchzuführenden summarischen Prüfung nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als rechtswidrig.
9Gemäß § 71a Abs. 4 AsylG gilt die Vorschrift des § 34 AsylG, die das Bundesamt zum Erlass einer Abschiebungsandrohung ermächtigt, entsprechend für den Fall, dass ein weiteres Asylverfahren gemäß den Vorgaben des § 71a Abs. 1 AsylG nicht durchgeführt wird. Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Verfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz vorliegen. Die Annahme eines Zweitantrags im Sinne dieser Vorschrift setzt somit voraus, dass das Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat erfolglos abgeschlossen worden ist.
10Nach diesen Grundsätzen war das Bundesamt aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse nicht befugt, den Asylantrag des Antragstellers vom 00.00.0000 als Zweitantrag nach § 71a AsylG zu werten und eine Abschiebungsandrohung auf Grundlage der §§ 71a Abs. 4, 34 AsylG zu erlassen. Es steht bereits nicht fest, dass das Asylerstverfahren - wie die Antragsgegnerin meint - in Ungarn erfolglos abgeschlossen wurde.
11„Erfolglos" im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG meint zunächst die Abweisung in der Sache. Nur wenn das Bundesamt zu der gesicherten Erkenntnis gelangt, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung abgeschlossen wurde, nur dann kann sich es sich auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken. Erforderlich ist, dass das Bundesamt Kenntnis von der Entscheidung und den Entscheidungsgründen der Ablehnung des Antrags im anderen Mitgliedstaat hat. Der negative Ausgang des Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat muss feststehen.
12Vgl. Bruns, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 71a AsylG, Rn. 3, 9; VG Lüneburg, Urteil vom 4. Juli 2016, ‑ 2 A 127/15 ‑; VG Schwerin, Urteil vom 8. Juli 2016 – 15 A 190/15 As –, Rn. 23; VG Magdeburg, Gerichtsbescheid vom 28.Januar 2016 ‑ 8 A 25/16 ‑, Rn. 10; VG Lüneburg, Beschluss vom 11. Mai 2015 - 2 B 13/15 - Rn. 17; jeweils unter juris.
13Ist der Antragsgenerin der aktuelle Stand des Verfahrens in dem anderen Mitgliedstaat nicht bekannt, muss sie diesbezüglich zunächst weitere Ermittlungen anstellen. Kann sie trotz aller möglichen und zumutbaren Ermittlungen keine gesicherten Erkenntnisse über den Ausgang des Erstverfahrens erlangen, muss sie dem Antragsteller entsprechend den europarechtlichen Vorgaben die Möglichkeit einräumen, das Verfahren fortzuführen, ohne dass es als Folge- bzw. Zweitantrag behandelt wird.
14Vgl. VG Ansbach, Urteil vom 7. Januar 2016 – AN 3 K 15.30960 –, Rn. 34; VG Osnabrück, Beschluss vom 24. April 2015 - 5 B 125/15 -; VG Lüneburg, Beschluss vom 11. Mai 2015 – 2 B 13/15 ‑, Rn. 17; jeweils unter juris.
15Anhaltspunkte für eine Ablehnung des Asylantrags in der Sache durch die ungarischen Behörden liegen nicht vor. Im Verwaltungsvorgang ist eine solche nicht enthalten; das Bundesamt hat hierzu auch keine Ermittlungen angestellt. Wenn es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass das erste Asylbegehren in der Sache negativ beschieden wurde, muss jedenfalls im Verfahren auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes zu Gunsten des Asylbewerbers davon ausgegangen werden, dass eine negative Sachentscheidung bezüglich des Asylerstantrages bislang nicht getroffen wurde.
16Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem EURODAC-Treffer HU1330017000105. Zwar folgt daraus, dass der Antragsteller trotz seiner dies verneinenden Angaben in Ungarn einen Asylantrag gestellt hat, weil ein EURODAC-Treffer der Kategorie 1 im Sinne des Art. 1 Abs. 3 Satz 5 der Verordnung (EG) Nr. 407/2002 des Rates vom 28. Februar 2002 (Eurodac DurchführungsVO) vorliegt. Die Ziffer unmittelbar nach der Länderkennung HU für Ungarn - im vorliegenden Fall eine 1 - gibt den Grund für die Abnahme von Fingerabdrücken an, wobei eine 1 für „Asylbewerber" und damit für die Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz steht.
17Vgl. VG Minden, Urteil vom 15. Februar 2016 – 10 K 376/15.A –, Rn. 27, juris.
18Der Umstand, dass ein solcher EURODAC-Treffer der Kategorie 1 vorliegt, belegt aber nur, dass ein Asylantrag in einem bestimmten sicheren Drittstaat gestellt wurde. Ob dieser Antrag abschließend inhaltlich entschieden worden ist, ist den EURODAC-Angaben nicht zu entnehmen.
19Vgl. VG Osnabrück, Beschluss vom 24. April 2015 ‑ 5 B 125/15 –, Rn. 4; VG Lüneburg, Beschluss vom 11. Mai 2015 - 2 B 13/15 -, Rn. 16; jeweils unter juris.
20Liegt eine Ablehnung in der Sache nicht vor bzw. steht eine solche - wie hier - nicht fest, kann ein erfolgloser Verfahrensabschluss auch nicht aufgrund einer Verfahrenseinstellung bzw. Rücknahmefiktion angenommen werden, die im anderen Mitgliedstaat im Falle des Nichtbetreibens oder einer Ausreise aus dem Mitgliedstaat erfolgt ist.
21Vgl. Bruns, in: Hofmann, Ausländerrecht, § 71a Rn. 3 m.w.N.; VG Magdeburg, Urteil vom 6. Oktober 2014 ‑ 9 A 429/14 ‑ Rn. 20; VG Wiesbaden, Beschluss vom 20. Juni 2016 – 5 L 511/16.WI.A –, Rn. 21; jeweils unter juris.
22Die Antragsgegnerin kann sich hinsichtlich des Vorliegens eines „erfolglosen" Abschlusses des Asylverfahrens in Ungarn daher nicht erfolgreich auf Art. 28 der Richtlinie 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 (VRL) berufen. Denn die von der Antragsgegnerin aus Art. 28 VRL gezogene Schlussfolgerung, mit der Ausreise aus dem sicheren Drittstaat ginge stets ein negativer Abschluss des Asylverfahrens einher, widerspricht dem in der Verfahrensrichtlinie und der Verordnung (EG) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO) enthaltenen Rechtsgedanken, dass ein Asylantrag jedenfalls in einem Mitgliedstaat vollständig geprüft wird.
23Vgl. VG Lüneburg, Beschluss vom 11.Mai 2015 - 2 B 13/15 - Rn. 13; VG Potsdam, Urteil vom 9. Dezember 2015 - VG 6 K 2153/14.A - Rn. 18; VG Osnabrück, Beschluss vom 24. April 2015 – 5 B 125/15 –, Rn. 5; jeweils unter juris.
24Nach Art. 28 Abs. 1 VRL stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Asylbehörde die Antragsprüfung entweder einstellt oder den Antrag als unbegründet ablehnt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass ein Antragsteller seinen Antrag stillschweigend zurückgenommen hat oder das Verfahren nicht weiter betreibt. Von einer stillschweigenden Rücknahme kann dabei u.a. ausgegangen werden, wenn der Antragsteller untergetaucht ist oder seinen Aufenthaltsort ohne Genehmigung verlassen hat. Nach Art. 28 Abs. 2 VRL haben die Mitgliedstaaten allerdings sicher zu stellen, dass ein Antragsteller, der sich nach Einstellung der Antragsprüfung nach Absatz 1 wieder bei der zuständigen Behörde meldet, berechtigt ist, um die Wiedereröffnung des Verfahrens zu ersuchen oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht nach Maßgabe der Art. 40 (Folgeantrag) VRL und Art. 41 VRL geprüft wird.
25Eine ähnliche Regelung enthält Art. 18 Dublin III-VO für das – hier nicht einschlägige ‑ Dublin-Verfahren. Nach Art. 18 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO stellt der für den (Erst)Antrag zuständige Mitgliedstaat nach einer Einstellung eines Verfahrens ohne Sachentscheidung sicher, dass die Prüfung des Antrages abgeschlossen wird, oder ein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt werden kann. Mit diesen europarechtlichen Vorgaben für den (ursprünglich) zuständigen Mitgliedstaat ist die Annahme der Antragsgegnerin, dass im Falle einer Ausreise aus einem Mitgliedstaat, in dem ein Asylerstantrag gestellt wurde, stets ein erfolgloser Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat im Sinne des § 71a Abs. 1 Satz 1 AsylG vorliege, nicht vereinbar. Denn die dargestellten europarechtlichen Vorschriften verlangen ausdrücklich, dass ein Antragsteller die Möglichkeit hat, sein im Mitgliedstaat eingeleitetes Verfahren fortzuführen, auch wenn er zwischenzeitlich in einen anderen Mitgliedstaat gereist ist.
26Vgl. VG Potsdam, Urteil vom 9. Dezember 2015 - VG 6 K 2153/14.A - Rn. 18; VG Magdeburg, Urteil vom 6. Oktober 2014 - 9 A 429/14 -; VG Lüneburg, Beschluss vom 11. Mai 2015 - 2 B 13/15 -, Rn. 14; VG Wiesbaden, Beschluss vom 20. Juni 2016 – 5 L 511/16.WI.A –, Rn. 21, jeweils unter juris.
27Dass die pauschale Annahme der Antragsgegnerin, eine Ausreise aus dem zunächst für die Behandlung des Asylbegehrens zuständigen Mitgliedstaat indiziere stets den erfolglosen Abschluss des Asylerstantrages, nicht zwingend ist, ergibt sich auch aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 00.00.0000 an das Verwaltungsgericht G. . Danach ist bei Personen, die anlässlich ihres ersten Aufenthalts in Ungarn – einem sicheren Drittstaat ‑ bereits einen Asylantrag gestellt hatten (sog „take back“ Fälle) wie folgt zu unterscheiden: Die ungarische Behörde hat, wenn sich jemand dem Asylverfahren wegen Verzugs ins Ausland entzogen hat, die Möglichkeit, das Verfahren einzustellen oder aufgrund der zur Verfügung stehenden Informationen eine Entscheidung zu treffen. In den Fällen, in denen ein vorheriges Asylverfahren ohne Entscheidung in der Sache eingestellt wurde, wird das neue Asylbegehren behandelt wie ein Erstverfahren, d.h. der Antragsteller kann seine im Erstverfahren dargelegten Fluchtgründe erneut vorbringen und erhält ein Aufenthaltsrecht in Ungarn während der Dauer des Asylverfahrens.
28Vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 12. März 2015 an das Verwaltungsgericht G. , S. 2, 3; Bay VGH, Urteil vom 3. Dezember 2015 - 13a B 15.50069, 13a B 113a B 15.50070, 13a B 113a B 15.50071 -, Rn. 25; VG Osnabrück, Beschluss vom 24. April 2015 – 5 B 125/15 –, Rn. 11; jeweils unter juris.
29Dies zeigt, dass gerade nicht in jedem Fall bei einer Ausreise aus dem ersten Mitgliedstaat von einem in der Sache negativen Abschluss des Asylverfahrens ausgegangen werden kann. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auch die Möglichkeit besteht, dass der erste Asylantrag ruht, bis eine weitere Überprüfung des Asylbegehrens möglich ist. Wenn die Antragsgegnerin nach Ablauf der Überstellungsfrist für die Prüfung des Asylbegehrens gem. Art. 29 Abs. 2 der Dublin III-VO zuständig geworden ist, obliegt ihr in diesem Fall die erstmalige vollständige Überprüfung.
30Vgl. VG Osnabrück, Beschluss vom 24. April 2015 ‑ 5 B 125/15 –, Rn. 11, juris.
31Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.
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(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.
(2) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.
(3) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.
(4) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 2 und 3 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.
(5) § 87a Absatz 3 gilt entsprechend.
(6) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 2 und 3 kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.
(7) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 2 bis 6 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.
(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.
(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
(1) Die Partei hat ihr Einkommen einzusetzen. Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Von ihm sind abzusetzen:
- 1.
- a)
die in § 82 Abs. 2 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch bezeichneten Beträge; - b)
bei Parteien, die ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielen, ein Betrag in Höhe von 50 vom Hundert des Regelsatzes, der für den alleinstehenden oder alleinerziehenden Leistungsberechtigten vom Bund gemäß der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch festgesetzt oder fortgeschrieben worden ist;
- 2.
- a)
für die Partei und ihren Ehegatten oder ihren Lebenspartner jeweils ein Betrag in Höhe des um 10 vom Hundert erhöhten Regelsatzes, der für den alleinstehenden oder alleinerziehenden Leistungsberechtigten vom Bund gemäß der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch festgesetzt oder fortgeschrieben worden ist; - b)
bei weiteren Unterhaltsleistungen auf Grund gesetzlicher Unterhaltspflicht für jede unterhaltsberechtigte Person jeweils ein Betrag in Höhe des um 10 vom Hundert erhöhten Regelsatzes, der für eine Person ihres Alters vom Bund gemäß den Regelbedarfsstufen 3 bis 6 nach der Anlage zu § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch festgesetzt oder fortgeschrieben worden ist;
- 3.
die Kosten der Unterkunft und Heizung, soweit sie nicht in einem auffälligen Missverhältnis zu den Lebensverhältnissen der Partei stehen; - 4.
Mehrbedarfe nach § 21 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und nach § 30 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch; - 5.
weitere Beträge, soweit dies mit Rücksicht auf besondere Belastungen angemessen ist; § 1610a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt entsprechend.
(2) Von dem nach den Abzügen verbleibenden Teil des monatlichen Einkommens (einzusetzendes Einkommen) sind Monatsraten in Höhe der Hälfte des einzusetzenden Einkommens festzusetzen; die Monatsraten sind auf volle Euro abzurunden. Beträgt die Höhe einer Monatsrate weniger als 10 Euro, ist von der Festsetzung von Monatsraten abzusehen. Bei einem einzusetzenden Einkommen von mehr als 600 Euro beträgt die Monatsrate 300 Euro zuzüglich des Teils des einzusetzenden Einkommens, der 600 Euro übersteigt. Unabhängig von der Zahl der Rechtszüge sind höchstens 48 Monatsraten aufzubringen.
(3) Die Partei hat ihr Vermögen einzusetzen, soweit dies zumutbar ist. § 90 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch gilt entsprechend.
(4) Prozesskostenhilfe wird nicht bewilligt, wenn die Kosten der Prozessführung der Partei vier Monatsraten und die aus dem Vermögen aufzubringenden Teilbeträge voraussichtlich nicht übersteigen.
(1) Das Bundesamt erlässt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn
- 1.
der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, - 2.
dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, - 2a.
dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt wird, - 3.
die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes ausnahmsweise zulässig ist und - 4.
der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt.
(2) Die Abschiebungsandrohung soll mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, sind die Entscheidungsformel der Abschiebungsandrohung und die Rechtsbehelfsbelehrung dem Ausländer in eine Sprache zu übersetzen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann.
(1) Stellt der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt.
(2) Für das Verfahren zur Feststellung, ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, gelten die §§ 12 bis 25, 33, 44 bis 54 entsprechend. Von der Anhörung kann abgesehen werden, soweit sie für die Feststellung, dass kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, nicht erforderlich ist. § 71 Abs. 8 gilt entsprechend.
(3) Der Aufenthalt des Ausländers gilt als geduldet. Die §§ 56 bis 67 gelten entsprechend.
(4) Wird ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt, sind die §§ 34 bis 36, 42 und 43 entsprechend anzuwenden.
(5) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Zweitantrags einen weiteren Asylantrag, gilt § 71.
(1) Das Bundesamt erlässt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn
- 1.
der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, - 2.
dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, - 2a.
dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt wird, - 3.
die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes ausnahmsweise zulässig ist und - 4.
der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt.
(2) Die Abschiebungsandrohung soll mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, sind die Entscheidungsformel der Abschiebungsandrohung und die Rechtsbehelfsbelehrung dem Ausländer in eine Sprache zu übersetzen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann.
(1) Stellt der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt.
(2) Für das Verfahren zur Feststellung, ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, gelten die §§ 12 bis 25, 33, 44 bis 54 entsprechend. Von der Anhörung kann abgesehen werden, soweit sie für die Feststellung, dass kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, nicht erforderlich ist. § 71 Abs. 8 gilt entsprechend.
(3) Der Aufenthalt des Ausländers gilt als geduldet. Die §§ 56 bis 67 gelten entsprechend.
(4) Wird ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt, sind die §§ 34 bis 36, 42 und 43 entsprechend anzuwenden.
(5) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Zweitantrags einen weiteren Asylantrag, gilt § 71.
Gründe
Bayerisches Verwaltungsgericht Ansbach
Aktenzeichen: AN 3 K 15.30960
Im Namen des Volkes
Urteil
vom 7. Januar 2016
3. Kammer
Sachgebiets-Nr.: 0710
Hauptpunkte:
Behandlung eines Asylantrags als Zweitantrag unzulässig, wenn nicht feststeht,
dass Asylverfahren im Mitgliedstaat abgeschlossen wurde
Rechtsquellen:
In der Verwaltungsstreitsache
..., geb. ...1971 alias ..., geb. ...1971
- Kläger -
bevollmächtigt: Rechtsanwälte ...
gegen
..., vertreten durch: Bundesamt ... Referat Außenstelle ...
- Beklagte -
wegen Verfahrens nach dem AsylVfG/AsylG
erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach, 3. Kammer, durch die Einzelrichterin Richterin am Verwaltungsgericht Kokoska-Ruppert ohne mündliche Verhandlung am 7. Januar 2016 folgendes Urteil:
1. Der Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 2015, Gesch.-Zeichen ..., wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung
in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
den Bescheid des Bundesamtes vom 26.Juni 2015 aufzuheben und die
Beklagte zu verpflichten, ein Asylverfahren für den Kläger durchzuführen.
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach
Hausanschrift: |
Promenade 24 - 28, 91522 Ansbach, oder |
Postfachanschrift: |
Postfach 616, 91511 Ansbach, |
zu beantragen.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt oder die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
Der Antragsschrift sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Beschluss:
Der Gegenstandswert beträgt 5.000,00 EUR (§ 30 Abs. 1 Satz 1 RVG).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 80 AsylG).
Tenor
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 2. Februar 2015 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldnerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrags abzuwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Der nicht durch amtliche Dokumente seines Heimatlands ausgewiesene Kläger gibt an, am 22. Mai 1992 geboren zu sein und aus Somalia zu stammen. Am 19. November 2014 stellte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt schilderte der Kläger, er sei von Libyen aus über Italien in die Europäische Union eingereist. Dort habe er sich etwa einen Monat aufgehalten. Einen Asylantrag habe er dort nicht gestellt; Fingerabdrücke seien ihm dort ebenfalls nicht abgenommen worden. Eine Anfrage des Bundesamts an die Eurodac-Datenbank ergab für den Kläger einen Treffer der Kategorie 1 (IT1RM2DDZZ). Am 30. Dezember 2014 richtete das Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch an die italienischen Behörden, das diese unbeantwortet ließen.
3Mit Bescheid vom 2. Februar 2015, dem Kläger zugestellt am 5. Februar 2014, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Italien an. Dieses Land und nicht die Bundesrepublik Deutschland sei nach den einschlägigen Bestimmungen der Dublin III-Verordnung für die Entscheidung über den Asylantrag des Klägers zuständig.
4Der Kläger hat am 12. Februar 2015 Klage erhoben. Er beantragt schriftsätzlich,
5den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 2. Februar 2015 aufzuheben.
6Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
7die Klage abzuweisen.
8Mit Beschluss vom 22. April 2015 - 10 L 136/15.A - hat das Gericht die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage gegen die im angefochtenen Bescheid enthaltene Abschiebungsanordnung angeordnet. Ferner hat das Gericht dem Kläger mit Beschluss vom 4. Mai 2015 unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten Prozesskostenhilfe bewilligt.
9Der Berichterstatter hat den Kläger am 2. November 2015 zu seinen Lebensumständen in Italien angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anhörungsniederschrift, wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands auf die Gerichtsakten der Verfahren 10 K 376/15.A und 10 L 136/15.A sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamts (ein Hefter) Bezug genommen.
10Entscheidungsgründe:
11Das Gericht kann trotz des Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung eine Entscheidung treffen, da diese ordnungsgemäß geladen und mit der Ladung gemäß § 102 Abs. 2 VwGO darauf hingewiesen wurde, dass auch im Falle ihres Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann.
12Die zulässige Klage ist begründet.
13I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) statthaft. Dies gilt sowohl für die unter Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Ablehnung des Asylantrags als unzulässig
14- vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Oktober 2015 - 1 C 32.14 -, Asylmagazin 2016, 34 (juris Rn. 13 ff.), sowie vom 16. November 2015 - 1 C 4.15 -, juris Rn. 9 -
15als auch für die unter Ziffer 2 verfügte Abschiebungsanordnung.
16Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Oktober 2015 - 1 C 32.14 -, Asylmagazin 2016, 34 (juris Rn. 15), sowie vom 16. November 2015 - 1 C 4.15 -, juris Rn. 9.
17Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Namentlich ist die Klage fristgerecht erhoben. Insoweit lässt die Kammer offen, ob die Klagefrist eine Woche oder zwei Wochen betrug.
18Vgl. zu dieser Frage, die bis zu dem am 24. Oktober 2015 erfolgten Inkrafttreten des § 74 Abs. 1 AsylG in der Fassung des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722) streitig gewesen ist, VG Minden, Urteil vom 19. März 2015 - 10 K 2658/14.A -, juris Rn. 29 bis 32 m.w.N.
19Da dem Kläger der streitgegenständliche Bescheid ausweislich der im Verwaltungsvorgang befindlichen Postzustellungsurkunde am 5. Februar 2015 zugestellt wurde, die vorliegende Klage aber schon sieben Tage später, nämlich am 12. Februar 2015, erhoben wurde, wäre auch eine einwöchige Klagefrist gewahrt.
20II. Die Klage ist auch begründet. Die beiden im angefochtenen Bescheid enthaltenen Verwaltungsakte (s.o. I.) sind in dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG in der Fassung des Gesetzes vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722) maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
211. Die Ablehnung des Asylantrags des Klägers als unzulässig ist rechtswidrig. Gemäß § 27a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach Ansicht der Beklagten ist Italien für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständig. Dies ist jedoch nicht der Fall. Zwar ist nach den Zuständigkeitskriterien der Art. 8 ff. der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180, S. 31, sog. Dublin III-VO) eigentlich Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig [dazu unten a)]. Diese Verordnung und nicht deren Vorgängerverordnung, die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (ABl. L 50, S. 1, sog. Dublin II-VO) ist hier einschlägig, weil der Kläger seinen Asylantrag, d.h. seinen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. b) VO 604/2013, am 19. November 2014 und damit nach dem 1. Januar 2014 als dem gemäß Art. 49 Unterabs. 2 VO 604/2013 für die Eröffnung des Anwendungsbereichs dieser Verordnung maßgeblichen Zeitpunkt gestellt hat. Die Zuständigkeit für das Asylverfahren des Klägers ist auch nicht nachträglich aufgrund Fristablaufs auf die Beklagte übergegangen [dazu unten b)]. Jedoch erweist sich eine Überstellung des Klägers nach Italien als unmöglich, weil die Aufnahmebedingungen in Italien für Asylbewerber, die dort - wie der Kläger - bereits einen Asylantrag gestellt haben und deren Asylverfahren - wie das des Klägers - noch nicht durch eine bestandskräftige Sachentscheidung abgeschlossen ist, systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta (GrCh) mit sich bringen [dazu unten c)]. Aufgrund dessen hat das Bundesamt die Prüfung der Zuständigkeitskriterien der Art. 8 ff. VO 604/2013 fortzusetzen, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann [dazu unten d)].
22a) Nach den Zuständigkeitskriterien der Art. 8 ff. VO 604/2013 ist eigentlich Italien für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständig.
23Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 VO 604/2013 werden Anträge auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft. Welcher Mitgliedstaat dies ist, bestimmt sich nach den Kriterien der Art. 8 ff. VO 604/2013 und zwar in der Rangfolge ihrer Nummerierung (Art. 7 Abs. 1 VO 604/2013). Lässt sich anhand dieser Kriterien nicht bestimmen, welcher Mitgliedstaat zuständig ist, so ist der erste Mitgliedstaat zuständig, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 VO 604/2013).
24Die Zuständigkeit Italiens folgt mangels vorrangiger Kriterien aus Art. 13 Abs. 1 Satz 1 VO 604/2013. Danach ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, dessen Land-, See- oder Luftgrenze der Antragsteller aus einem Drittstaat kommend illegal überschritten hat. Diese Voraussetzungen liegen hier vor: Der Kläger hat anlässlich seiner Anhörung vor dem Bundesamt angegeben, er sei mit dem Schiff von Libyen aus kommend nach Italien eingereist. Dies erfolgte - soweit ersichtlich - ohne einen Aufenthaltstitel und damit illegal.
25Die daraus resultierende Zuständigkeit Italiens hat auch nicht nach Art. 13 Abs. 1 Satz 2 VO 604/2013 geendet. Nach dieser Vorschrift endet die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem Mitgliedstaat ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 7 Abs. 2 VO 604/2013, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es etwa unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
26Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, AuAS 2014, 118 (juris Rn. 46 ff.) m.w.N. zu den im Wesentlichen gleichlautenden Bestimmungen der Art. 10 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 VO 343/2013; Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 1. Auflage 2014, Art. 13 Rn. K13.
27Im vorliegenden Fall hat der Kläger sowohl in Italien als auch in Deutschland vor Ablauf der Frist des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 VO 604/2013 einen Asylantrag gestellt. Zwar lässt sich den Angaben des Klägers nicht entnehmen, wann genau er in Italien angekommen ist. Jedoch hat er sich seinen glaubhaften Angaben zufolge nur etwa einen Monat in Italien aufgehalten, bevor er nach Deutschland eingereist ist. Ausweislich des Übernahmeersuchens des Bundesamts soll der Kläger am 25. September 2014 in Italien einen Asylantrag gestellt haben. Aufgrund des kurzzeitigen Aufenthalts des Klägers in Italien liegt dieses Datum ebenso innerhalb der zwölfmonatigen Frist des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 VO 604/2013 wie das Datum der Stellung eines Asylantrags in Deutschland (19. November 2014).
28Dass der Kläger trotz seiner dies verneinenden Angaben auch in Italien einen Asylantrag gestellt hat, ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 VwGO) daraus, dass für den Kläger bezogen auf Italien ein Eurodac-Treffer der Kategorie 1 vorliegt (IT1RM2DDZZ). Dieser Treffer besteht aus der Länderkennung IT für Italien und einer 8-stelligen Zahlen- und Buchstabenkombination. Die Ziffer unmittelbar nach der Länderkennung - im vorliegenden Fall eine 1 - gibt den Grund für die Abnahme von Fingerabdrücken an, wobei eine 1 für "Asylbewerber" und damit für die Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz und eine 2 für "illegale Einreise" ohne Stellung eines solchen Antrags steht.
29Vgl. Art. 2 Abs. 3 Satz 5 der Verordnung (EG) Nr. 407/2002 des Rates vom 28. Februar 2002 zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) 2725/2000 über die Einrichtung von "Eurodac" für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens (ABl. L 62, S. 1); Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Entscheiderbrief 1/2012, S. 1.
30b) Die Zuständigkeit für das Asylverfahren des Klägers ist auch nicht nachträglich wegen Fristablaufs gemäß Art. 23 Abs. 3 oder Art. 29 Abs. 2 Satz 1 VO 604/2013 auf die Beklagte übergegangen. Die Frist für die Stellung des Wiederaufnahmegesuchs ist eingehalten, die Überstellungsfrist ist noch nicht abgelaufen. Aus diesem Grund bedarf keiner Vertiefung, welche rechtlichen Folgen eine Überschreitung dieser Fristen nach sich ziehen würde.
31aa) Die hier aufgrund des erzielten Eurodac-Treffers einschlägige zweimonatige Frist zur Stellung des Wiederaufnahmegesuchs (Art. 23 Abs. 2 VO 604/2013), die mit dem Vorliegen des Eurodac-Treffers zu laufen beginnt, hat das Bundesamt beachtet: Der Eurodac-Treffer datiert ausweislich des Verwaltungsvorgangs vom 2. Dezember 2014, das Wiederaufnahmegesuch an die italienischen Behörden datiert vom 30. Dezember 2014.
32bb) Die sechsmonatige Frist für die Überstellung des Klägers in den zuständigen Mitgliedstaat (Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 VO 604/2013) ist noch nicht abgelaufen: Die Frist beginnt entweder mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch den ersuchten Mitgliedstaat (Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 1 VO 604/2013) oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 VO 604/2013 aufschiebende Wirkung hat (Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 2 VO 604/2013). Im vorliegenden Fall ist die zweite Alternative einschlägig, da das Gericht vor Ablauf der sechsmonatigen Frist des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 1 VO 604/2013
33- vgl. OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 13 A 2159/14.A -, DVBl. 2016, 59 (juris Rn. 63 f.); VG Minden, Urteil vom 19. März 2015 - 10 K 311/14.A -, juris Rn. 71 ff. -
34die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage gegen die im angefochtenen Bescheid enthaltene Abschiebungsanordnung angeordnet hat. Gemäß Art. 25 Abs.1 VO 604/2013 hat der ersuchte Mitgliedstaat über das Wiederaufnahmegesuch dann, wenn es sich - wie im vorliegenden Fall - auf Angaben aus dem Eurodac-System stützt, innerhalb von zwei Wochen zu entscheiden; anderenfalls ist davon auszugehen, dass dem Ersuchen stattgegeben wird (Art. 25 Abs. 2 VO 604/2013). Das Wiederaufnahmegesuch ist ausweislich des im Verwaltungsvorgang befindlichen elektronischen Empfangsbekenntnisses am 30. Dezember 2014 bei den italienischen Behörden eingegangen. Da diese das Gesuch nicht beantwortet haben, galt ihre Zustimmung am 13. Januar 2015 als erteilt. Damit endete die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 1 VO 604/2013 am 13. Juli 2015. Die aufschiebende Wirkung der Klage hat das Gericht bereits vorher, nämlich mit Beschluss vom 22. April 2015 angeordnet, so dass gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 2 VO 604/2013 mit der Endgültigkeit des vorliegenden Urteils eine neue sechsmonatige Überstellungsfrist zu laufen beginnt.
35c) Eine Überstellung des Klägers nach Italien erweist sich als unmöglich, weil das Gericht davon überzeugt ist, dass die dortigen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber, die dort - wie der Kläger - bereits einen Asylantrag gestellt haben und deren dortiges Asylverfahren - wie das des Klägers - noch nicht durch eine bestandskräftige Sachentscheidung abgeschlossen ist, systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GrCh mit sich bringen.
36aa) Gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 VO 604/2013 setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Art. 8 ff. VO 604/2013 vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GrCh mit sich bringen (Unterabs. 2); kann eine Überstellung an einen aufgrund der Kriterien der Art. 8 ff. VO 604/2013 bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, nicht vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat (Unterabs. 3).
37Der Regelung in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 VO 604/2013 liegt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem zugrunde. Dieses gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll zu dieser Konvention von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden. Es gilt daher die Vermutung, dass Asylbewerbern in jedem Mitgliedstaat eine Behandlung entsprechend den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukommt. Diese Vermutung ist allerdings nicht unwiderleglich. Wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist die Widerlegung der Vermutung aber an hohe Hürden geknüpft, so dass nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder jeder Verstoß gegen Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts geeignet sind, die Vermutung zu widerlegen.
38Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. (N.S. u.a.) -, NVwZ 2012, 417, Rn. 75 ff., sowie vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 (Abdullahi) -, NVwZ 2014, 208, Rn. 52 f.
39Die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 VO 604/2013 liegen vor, wenn das Gericht zu der Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gelangt, dass ein Asylbewerber wegen systemischer Schwachstellen, also strukturell bedingter, größerer Funktionsstörungen, im konkret zu entscheidenden Fall in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird.
40Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1039, Rn. 9; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. November 2014 - A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, 77 (juris Rn. 33); jeweils zur Rechtslage nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003.
41Unerheblich ist dagegen, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Schwachstellen in Einzelfällen zu Grundrechtsverletzungen kommen kann und ob der betreffende Asylbewerber einer solchen tatsächlich schon einmal ausgesetzt gewesen ist. Derartige Erfahrungen sind vielmehr in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob systemische Schwachstellen im Zielland der Abschiebung des Asylbewerbers vorliegen; sie führen auch nicht zu einer Beweislastumkehr für die Frage des Vorliegens derartiger Schwachstellen.
42Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, Asylmagazin 2014, 258 (juris Rn. 6); VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. November 2014 - A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, 77 (juris Rn. 33); jeweils zur Rechtslage nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003.
43Unter „Asylverfahren und Aufnahmebedingungen“ ist das gesamte Asylsystem eines Mitgliedstaats zu verstehen. Dieses umfasst den Zugang zum Asylverfahren, das Asylverfahren selbst, die Behandlung während des Verfahrens, die Handhabung der Anerkennungsvoraussetzungen, das Rechtschutzsystem und auch die Behandlung nach einer ggf. erfolgten Anerkennung.
44Vgl. VG Regensburg, Urteil vom 29. April 2014 - RO 4 K 14.50022 -, juris Rn. 34; VG Kassel, Beschluss vom 24. Juli 2015 - 6 L 1147/15.KS.A -, Abdruck S. 7; Lübbe, ZAR 2014, 105, 108.
45Systemische Schwachstellen sind solche, die entweder bereits im Asyl- und Aufnahmeregime selbst angelegt sind und von denen alle Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar und regelhaft betroffen sind, oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem - aus welchen Gründen auch immer - faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird. Dabei ist der Begriff der systemischen Schwachstelle nicht in einer engen Weise derart zu verstehen, dass er geeignet sein muss, sich auf eine unüberschaubare Vielzahl von Asylbewerbern auszuwirken. Vielmehr kann eine systemische Schwachstelle auch dann vorliegen, wenn sie von vornherein lediglich eine geringe Zahl von Asylbewerbern (z.B. Schwangere oder Personen mit einer psychischen Erkrankung) betreffen kann, sofern sie sich nur vorhersehbar und regelhaft realisieren wird und nicht gewissermaßen dem Zufall oder einer Verkettung unglücklicher Umstände bzw. Fehlleistungen von in das Verfahren involvierten Akteuren geschuldet ist.
46Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. November 2014- A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, 77 (juris Rn. 33); Lübbe, ZAR 2014, 105, 107 f.
47Wesentliche Kriterien für die Beurteilung, ob eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, finden sich in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK, der im Wesentlichen mit Art. 4 GrCh übereinstimmt. Allerdings verpflichtet Art. 3 EMRK nach der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte staatliche Stellen nicht, Flüchtlinge mit einer Wohnung zu versorgen oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
48Vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 - 30696/09 (M.S.S./ Belgien und Griechenland) -, NVwZ 2011, 413, Rn. 249, sowie vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, NVwZ 2015, 127, Rn. 95.
49Einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im vorstehenden Sinne sind Asylbewerber, die vollständig auf staatliche Hilfe angewiesen sind, insbesondere dann ausgesetzt, wenn sie sich in einer mit der menschlichen Würde unvereinbaren Situation ernsthafter Entbehrungen und Not behördlicher Gleichgültigkeit gegenüber sehen.
50Vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 - 30696/09 (M.S.S./ Belgien und Griechenland) -, NVwZ 2011, 413, Rn. 253, sowie vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, NVwZ 2015, 127, Rn. 98; s.a. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, BVerwGE 146, 12 (juris Rn. 24); United Kingdom Supreme Court, Urteil vom 19. Februar 2014 - EM (Eritrea) and others v the Secretary of the State for the Home Department, [2014] UKSC 12 -, Rn. 62.
51Dabei ist zu berücksichtigen, ob staatliche Stellen es durch ihr vorsätzliches Handeln oder Unterlassen Asylbewerbern praktisch verwehren, von ihren gesetzlich verankerten Rechten auf eine Unterkunft und annehmbare materielle Bedingungen Gebrauch zu machen.
52Vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 - 30696/09 (M.S.S./ Belgien und Griechenland) -, NVwZ 2011, 413, Rn. 250; sowie vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, NVwZ 2015, 127, Rn. 96; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, AuAS 2014, 118 (juris Rn. 120).
53Gemäß Art. 17 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180, S. 96, sog. Aufnahmerichtlinie) sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Asylbewerbern ab Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz materielle Leistungen zu gewähren, die einem angemessenen Lebensstandard entsprechen. Werden die materiellen Leistungen in Form von Sachleistungen erbracht, gehört hierzu auch die Unterbringung (Art. 18 RL 2013/33/EU). Insbesondere das Gebot des Art. 1 GrCh, die Menschenwürde zu achten und zu schützen, schließt es aus, einem Asylbewerber nach Einreichung eines Asylantrags, die in der Aufnahmerichtlinie festgelegten Leistungen auch nur vorübergehend zu entziehen.
54Vgl. EuGH, Urteile vom 27. Februar 2014 - C-79/13 (Saciri u.a.) -, InfAuslR 2014, 190, Rn. 35 und vom 27. September 2012 - C-179/11 (Cimade u.a.) -, NVwZ 2012, 1529, Rn. 56, jeweils zur Vorgängerrichtline 2003/9/EG.
55Sind Kinder betroffen, ist entscheidend auf ihre besondere Verletzlichkeit abzustellen, der der Vorrang gegenüber dem Gesichtspunkt ihres Status als illegaler Einwanderer einzuräumen ist.
56Vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tara-khel/Schweiz) -, NVwZ 2015, 127, Rn. 99.
57Im Rahmen der Prognose, ob ein Antragsteller in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, ist nicht allein auf die Rechtslage im betreffenden Mitgliedstaat abzustellen; maßgeblich ist vielmehr deren Umsetzung in die Praxis.
58Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 (M.S.S./ Belgien und Griechenland) -, Hudoc Rn. 359 (insoweit in NVwZ 2011, 413 nicht abgedruckt); Hailbronner, Ausländerrecht, Band 3, Stand: Juni 2014, § 34a AsylVfG Rn. 21.
59Liegt eine systemische Schwachstelle des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vor, kann einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Einzelfall dadurch vorgebeugt werden, dass die Beklagte die Überstellung im Zusammenwirken mit dem ersuchten Mitgliedstaat so organisiert, dass eine solche Behandlung ausgeschlossen wird. Dies ist insbesondere mittels einer konkreten und einzelfallbezogenen Zusicherung des ersuchten Mitgliedstaats möglich, die zu überstellenden Personen in einer bestimmten Weise zu behandeln, insbesondere ihnen eine gesicherte Unterkunft zur Verfügung zu stellen.
60Vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tara-khel/Schweiz) -, NVwZ 2015, 127, Rn. 120 f.; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 17. September 2014 - 2 BvR 732/14 -, AuAS 2014, 244 (juris Rn. 14 ff.), sowie vom 17. April 2015 - 2 BvR 602/15 -, NVwZ 2015, 810 (juris Rn. 5); VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. November 2014 - A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, 77 (juris Rn. 37).
61bb) Bei der Bewertung der in Italien herrschenden Umstände sind nur diejenigen zu berücksichtigen, die für die Situation des Klägers relevant sind. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können).
62Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, AuAS 2014, 118 (juris Rn. 130).
63Dementsprechend ist vorliegend auf die Situation von Dublin-Rückkehrern abzustellen, die in Italien bereits einen Asylantrag gestellt haben und deren Asylverfahren noch nicht durch eine bestandskräftige Sachentscheidung abgeschlossen ist. Dass der Kläger in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hat, ergibt sich - wie bereits dargelegt [s.o. a)] daraus, dass für ihn bezogen auf Italien ein Eurodac-Treffer der Kategorie 1 vorliegt (IT1PA00BWD). Zudem ist das Gericht davon überzeugt, dass das Asylverfahren des Klägers in Italien noch nicht durch eine bestandskräftige Sachentscheidung abgeschlossen ist. Zu dieser Überzeugung gelangt das Gericht schon aufgrund der geringen Aufenthaltsdauer des Klägers in Italien von etwa einem Monat. Aus den Angaben des Klägers und dem Vorbringen des Bundesamts ergibt sich nichts Gegenteiliges.
64cc) Bei Anlegung des vorstehend unter aa) dargelegten Maßstabs kommt das Gericht aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen zu der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass Dublin-Rückkehrern, die in Italien - wie der Kläger - ausweislich eines Eurodac-Treffers der Kategorie 1 bereits einen Asylantrag gestellt haben und deren Asylverfahren - wie das des Klägers - noch nicht durch eine bestandskräftige Sachentscheidung abgeschlossen ist, anders als Dublin-Rückkehrern, die in Italien noch keinen Asylantrag gestellt haben
65- vgl. zu diesen VG Minden, Urteil vom 27. Januar 2016 - 10 K 535/15 -, juris Rn. 65 ff. -,
66im Falle ihrer Überstellung dorthin aufgrund systemischer Schwachstellen der dortigen Aufnahmebedingungen eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GrCh droht.
67(1) Grundsätzlich ist das Asylverfahren in Italien so ausgestaltet, dass Asylbewerber, nachdem sie in Italien angekommen sind, zunächst entweder bei der Grenzpolizei oder beim Migrationsbüro der Polizei (sog. Questura) ihr Asylbegehren äußern, wo ihre Daten aufgenommen, ihnen Fingerabdrücke abgenommen und sie fotografiert werden (sog. fotosegnalamento). In einem zweiten Schritt erfolgt dann eine formale Registrierung bei der Questura, die sog. verbalizzazione. Diese beiden Schritte können zeitlich auseinanderfallen, wobei zwischen beiden zwar grundsätzlich eine Zeitspanne von bis zu zehn Arbeitstagen liegen darf, in der Praxis aber auch längere Wartezeiten, unter Umständen sogar von mehreren Monaten, zu beobachten sind.
68Vgl. Asylum Information Database (aida), Country Report: Italy, Stand: Dezember 2015, S. 20 f. und 62.
69An dieses System knüpft auch die Unterbringung von Asylbewerbern an: Es bestehen Aufnahmeeinrichtungen, in denen Asylbewerber untergebracht werden, während sie noch auf die formale Registrierung, die verbalizzazione, warten. Dabei handelt es sich entweder um sog. CARA, die speziell für die Unterbringung von Asylbewerbern vorgesehen sind, oder um sog. CDA, die eigentlich für Migranten, die nicht um Asyl nachgesucht haben, bereitgehalten werden, oder um sog. CPSA als Erste-Hilfe Einrichtungen. In diesen Unterkünften standen am 10. Oktober 2015 rund 7.300 Plätze zur Verfügung. Des Weiteren kann es auch zu einer Unterbringung in einer Notunterkunft, den sog. CAS, kommen, die am 10. Oktober 2015 über rund 70.000 Plätze verfügten. Nachdem die verbalizzazione erfolgt ist, sollen Asylbewerber in sog. SPRAR-Einrichtungen untergebracht werden. Diese werden von Kommunen, Kirchen und kirchlichen Einrichtungen sowie von anderen Nichtregierungsorganisationen betrieben. Am 10. Oktober 2015 verfügten die SPRAR-Einrichtungen über rund 22.000 Plätze.
70Vgl. aida, Country Report: Italy, Stand: Dezember 2015, S. 60 f. und 66 ff.; Associazione Studi Giuridici sull´Immigrazione (ASGI), The Dublin System and Italy: A Wavering Balance, Stand: März 2015, S. 13 bis 27.
71Hinzu kommen private Unterbringungsmöglichkeiten, die nicht Teil des staatlichen Aufnahmesystems sind und von kirchlichen oder anderen gemeinnützigen Organisationen bereitgestellt werden. Über die Zahl der dort vorhandenen Plätze liegen indes keine belastbaren Daten vor.
72Vgl. aida, Country Report: Italy, Stand: Dezember 2015, S. 69.
73(2) Dublin-Rückkehrer kommen in der Regel an einem der Hauptflughäfen - wie Rom oder Mailand - in Italien an.
74Vgl. aida, Country Report: Italy, Stand: Dezember 2015, S. 40.
75Dort wird denjenigen Dublin-Rückkehrern, die in Italien bereits einen Asylantrag gestellt haben - anders als Dublin-Rückkehrern, die in Italien noch keinen Asylantrag gestellt haben -, keine Unterkunft zugewiesen. Vielmehr wird ihnen eine Aufforderung ausgehändigt, sich bei der Polizeidienststelle zu melden, bei der ihr Asylantrag registriert ist, damit sie dort einen Antrag auf Wiedereröffnung ihres Asylverfahrens stellen. Dies gilt grundsätzlich auch für verletzliche Personen; nur in außergewöhnlichen Fällen werden diese direkt einer Aufnahmeeinrichtung zugewiesen. Alle anderen müssen sich - häufig auf eigene Kosten - zunächst zu der für sie zuständigen Polizeidienststelle begeben und können erst dort Aufnahmeleistungen beantragen.
76Vgl. ASGI, The Dublin System and Italy: A Wavering Balance, Stand: März 2015, S. 31 f.
77Das Verfahren zur Wiedereröffnung des Asylverfahrens gestaltet sich außergewöhnlich langwierig. Hinzu kommt, dass die Betroffenen unzureichend informiert werden, so dass es manchen von ihnen nicht gelingt, ihr Asylverfahren zeitnah wiederzueröffnen. Ohne eine Wiedereröffnung des Asylverfahrens sind Asylbewerber jedoch vom Zugang zu einer Unterkunft und sonstigen Leistungen ausgeschlossen.
78Vgl. ASGI, The Dublin System and Italy: A Wavering Balance, Stand: März 2015, S. 32.
79Die Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung ist aber auch dann nicht garantiert, wenn es den Betroffenen gelingt, ihr Asylverfahren wiederzueröffnen. Asylbewerber, die bereits einmal in einer staatlichen Unterkunft untergebracht gewesen sind, haben regelmäßig keinen Anspruch darauf, dort erneut einen Platz zu bekommen. Die einschlägige gesetzliche Regelung sieht vor, dass Asylbewerber grundsätzlich keinen Anspruch mehr auf Unterbringung in einer staatlichen Einrichtung haben, wenn sie die ihnen zugewiesene staatliche Aufnahmeeinrichtung nicht aufgesucht oder sie diese verlassen haben, ohne die zuständigen Stellen zu benachrichtigen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Gründe hierfür auf höherer Gewalt oder unvorhersehbaren Umständen beruhen. Zudem dürfen Asylbewerber, wenn sie in dem für sie zuständigen Landesteil Italiens keine Unterbringungsmöglichkeit vorfinden, nicht von sich aus in einen anderen Landesteil reisen, um dort nach einer Unterkunft zu suchen.
80Vgl. ASGI, The Dublin System and Italy: A Wavering Balance, Stand: März 2015, S. 32; aida, Country Report: Italy, Stand: Dezember 2015, S. 63 f. und 74 f.
81Ein Anspruch auf Nahrung, Kleidung, Taschengeld und sonstige materielle Leistungen ist in Italien an eine Unterbringung in einer staatlichen Einrichtung geknüpft. Zwar steht Asylbewerbern, die nicht in einer staatlichen Einrichtung untergebracht sind, kraft Gesetzes eine finanzielle Unterstützung in Höhe von 836,70 € monatlich zu. In der Praxis wird diese Regelung allerdings nicht umgesetzt.
82Vgl. aida, Country Report: Italy, Stand: Dezember 2015, S. 64 f.
83Zwar ist aufgrund der Angaben des Klägers und der kurzen Dauer seines Aufenthalts in Italien davon auszugehen, dass er bisher dort nicht in einer staatlichen Aufnahmeeinrichtung untergebracht gewesen ist. Ungeachtet dessen steht aufgrund der vorstehend dargelegten Umstände zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ihm zumindest bis zu einer Wiedereröffnung seines Asylverfahrens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Obdachlosigkeit und damit einhergehend kein gesicherter Zugang zu weiteren materiellen Leistungen, insbesondere Nahrung, droht. Dies droht ihm zur Überzeugung des Gerichts nicht nur für einen zu vernachlässigenden kurzen Zeitraum, sondern für einen längeren Zeitraum, dessen genaue Dauer aufgrund der beschriebenen Hindernisse bei der Wiedereröffnung des Asylverfahrens nicht absehbar ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass Asylbewerbern in Italien grundsätzlich 60 Tage, nachdem sie ihren Asylantrag gestellt haben, der Zugang zum Arbeitsmarkt offensteht.
84Vgl. aida, Country Report: Italy, Stand: Dezember 2015, S. 80 f.
85Tatsächlich ist es für Asylbewerber wegen nicht ausreichender Kenntnisse der italienischen Sprache und der aufgrund der Wirtschaftskrise seit einigen Jahren relativ hohen Arbeitslosenquote kaum möglich, eine Arbeitsstelle zu finden.
86Vgl. aida, Country Report: Italy, Stand: Dezember 2015, S. 82; borderline-europe e.V., Gutachten für das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 10.
87Am 1. Dezember 2015 lag die allgemeine Arbeitslosigkeit bei 11,4 % und die Jugendarbeitslosigkeit bei 37,9 %.
88Vgl. http://de.tradingeconomics.com/italy/unemployment-rate (abgerufen am 23. Februar 2016).
89Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügt, die Kosten für eine angemessene Unterkunft und Nahrung aus eigenen Mitteln zu tragen, liegen nicht vor.
90Die dem Kläger im Falle seiner Überstellung nach Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Obdachlosigkeit und der damit einhergehend fehlende Zugang zu weiteren materiellen Leistungen, insbesondere Nahrung, stellt eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 4 GrCh dar. Denn aufgrund der beschriebenen Zustände verwehren die italienischen Behörden durch ihr vorsätzliches Handeln oder Unterlassen Asylbewerbern, die in Italien bereits einen Asylantrag gestellt haben und deren Asylverfahren noch nicht durch eine bestandskräftige Sachentscheidung abgeschlossen ist, ihre zumindest im Unionsrecht in Art. 17 und 18 RL 2013/33/EU verankerten Rechte auf eine Unterkunft und angemessene materielle Leistungen. Der Anwendungsbereich dieser Richtlinie ist gemäß Art. 3 Abs. 1 RL 2013/33/EU für den Kläger auch im Falle seiner Rückkehr nach Italien eröffnet, da er dort bereits einen Asylantrag gestellt hat und er aufgrund dessen dort vorerst verbleiben darf.
91Vgl. EuGH, Urteil vom 27. September 2012 - C-179/11 (Cimade u.a.) -, NVwZ 2012, 1529, Rn. 37, 38 ff. und 46 ff.
92Offen bleiben kann, ob es sich bei dem Antrag auf Wiedereröffnung des Verfahrens in Italien um einen Folgeantrag i.S.d. Art. 2 lit. q) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180, S. 60, sog. Verfahrensrichtlinie) handelt, für den die Mitgliedstaaten die im Rahmen der Aufnahme gewährten Leistungen in begründeten Ausnahmefällen einschränken oder entziehen können [Art. 20 Abs. 1 lit. c) RL 2013/33/EU]. Denn gemäß Art. 20 Abs. 5 Satz 3 RL 2013/33/EU ist in jedem Fall für alle Antragsteller ein würdiger Lebensstandard zu gewährleisten. Ein solcher ist bei Obdachlosigkeit und dem damit einhergehend fehlenden Zugang zu weiteren materiellen Leistungen nicht sicher gestellt.
93Die dem Kläger im Falle seiner Überstellung nach Italien drohende unmenschliche und erniedrigende Behandlung beruht auch auf systemischen Schwachstellen der italienischen Aufnahmebedingungen. Diese bestehen im vorliegenden Fall darin, dass aufgrund der Langwierigkeit des Wiedereröffnungsverfahrens und mangelhafter Information seitens der italienischen Behörden nicht absehbar ist, innerhalb welcher Zeit Asylbewerber, die in Italien bereits einen Asylantrag gestellt haben und deren Verfahren noch nicht durch eine bestandskräftige Sachentscheidung abgeschlossen ist, ihr Asylverfahren wiedereröffnen können und sie bis zur Wiedereröffnung ihres Asylverfahrens auch dann weder mit einer Unterkunft noch weiteren materiellen Leistungen versorgt werden, wenn sie mittellos sind. Aufgrund der ihm vorliegenden Erkenntnisse ist das Gericht zudem davon überzeugt, dass diese Defizite mit einer gewissen Regelmäßigkeit auftreten und eine größere Anzahl von Personen betreffen und nicht nur auf Zufall oder einer Verkettung unglücklicher Umstände beruhen. Vielmehr gelangt das Gericht aufgrund der vorstehend dargelegten Verhältnisse zu der Überzeugung, dass es auf einer Verkettung glücklicher Umstände beruht, wenn es einem Asylbewerber, der in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hat und dessen Verfahren noch nicht durch eine bestandskräftige Sachentscheidung abgeschlossen ist, gelingt, dass sein Asylverfahren zeitnah wiedereröffnet und er zeitnah mit einer Unterkunft und weiteren materiellen Leistungen versorgt wird.
94Eine individuelle Zusicherung der italienischen Behörden, wonach dem Kläger bei einer Überstellung nach Italien eine ausreichende Unterkunft zur Verfügung stünde, liegt ebenfalls nicht vor. Solche Zusicherungen gibt Italien ausweislich einer Auskunft der Liaisonbeamtin des Bundesamts in Rom auch nicht mehr ab.
95Vgl. E-Mail der Liaisonbeamtin an das Bundesamt zum Aktenzeichen 5846119-284 vom 13. April 2015.
96(3) Dass Italien Anstrengungen unternommen hat und weiter unternimmt, um die im italienischen Asylsystem vorhandenen Defizite - insbesondere durch Erhöhung der zur Verfügung stehenden Unterkunftsplätze - zu beseitigen, führt zu keinem anderen Ergebnis.
97A.A. wohl OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, AuAS 2014, 118 (juris Rn. 164 und 170); VGH Baden-Württem-berg, Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293 (juris Rn. 51); VG Ansbach, Urteil vom 11. Dezember 2015 - AN 14 K 15.50316 -, juris Rn. 27.
98Anstrengungen eines Mitgliedstaats allein reichen nicht aus, vielmehr müssen die Schwachstellen auch tatsächlich beseitigt werden. Dies ergibt sich unmittelbar aus Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 VO 604/2013, wonach ein Antragsteller nicht an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat überstellt werden darf, wenn (bzw. solange) das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in dem betreffenden Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GrCh mit sich bringen. Die vom Gericht festgestellten Schwachstellen - Hindernisse bei der Wiedereröffnung des Verfahrens und die hieran anknüpfende Nichtversorgung von Asylbewerbern, die in Italien bereits einen Asylantrag gestellt haben und deren Asylverfahren noch nicht durch eine bestandskräftige Sachentscheidung abgeschlossen ist - sind bisher (noch) nicht beseitigt.
99(4) Der Überzeugung des Gerichts steht nicht entgegen, dass es keine Empfehlung des UNHCR gibt, Überstellungen von Antragstellern nach Italien wegen der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung auszusetzen. Denn der UNHCR hat in mehreren seiner Stellungnahmen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass aus der Tatsache des Fehlens einer solchen Empfehlung seitens des UNHCR nicht geschlossen werden könne, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehenden Umstände vorlägen oder im Einzelfall vorliegen könnten. Die Äußerungen des UNHCR richteten sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die betreffende Regierung. Es sei Aufgabe der Behörden und Gerichte, im Einzelfall zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung in einen Mitgliedstaat ausschließen.
100Vgl. z.B. UNHCR, Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung "UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien - Juli 2013", März 2014.
101(5) Die jüngsten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, mit denen der Gerichtshof im Fall eines alleinstehenden und gesunden jungen Mannes
102- Urteil vom 13. Januar 2015 - 51428/10 (A.M.E./Niederlande) -, Asylmagazin 2015, 86 (HUDOC Rn. 34 ff.) -
103bzw. im Fall eines psychisch kranken jungen Mannes
104- Urteil vom 30. Juni 2015 - 39350/13 (A.S./Schweiz) -, HUDOC Rn. 36 ff. -
105urteilte, dass diesen in Italien keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, führen ebenfalls zu keiner anderen Bewertung des vorliegenden Falls. Angesichts der vorstehend dargelegten Umstände ist das Gericht davon überzeugt, dass die dargelegten Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten des italienischen Asylsystems mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht nur Familien mit kleinen Kindern
106- vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tara-khel/Schweiz) -, NVwZ 2015, 127, Rn. 120 f. -,
107sondern auch Personen ohne besonderen Schutzbedarf betreffen. Den beiden Entscheidungen des Gerichtshofs lassen sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die italienischen Behörden Dublin-Rückkehrer ohne besonderen Schutzbedarf, die dort bereits einen Asylantrag gestellt haben und deren Asylverfahren noch nicht durch eine bestandskräftige Sachentscheidung abgeschlossen ist, ab dem Zeitpunkt ihrer Ankunft in Italien mit einer angemessenen Unterkunft und daran anknüpfend mit Nahrung versorgen.
108(6) Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus der neueren Rechtsprechung des OVG NRW, die systemische Schwachstellen des Asylsystems und der Aufnahmebedingungen in Italien weiterhin verneint.
109Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Mai 2015 - 19 A 581/14.A -, juris Rn. 14 ff., und Urteil vom 24. April 2015 - 14 A 2356/12.A -, juris Rn. 35 ff.
110Diese Entscheidungen nehmen in erster Linie Bezug auf die obergerichtliche Rechtsprechung aus den Jahren 2013 und 2014 und berücksichtigen nicht die hier zitierten neuesten Erkenntnisse.
111d) Aufgrund der Unmöglichkeit einer Überstellung des Klägers nach Italien hat das Bundesamt die Prüfung der Zuständigkeitskriterien der Art. 8 ff. VO 604/2013 fortzusetzen, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
112Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 - 1 C 32.14 -, Asylmagazin 2016, 34 (juris Rn. 14).
113Kann der Kläger in keinen aufgrund der Kriterien der Art. 8 ff. sowie des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 VO 604/2013 zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden, wird gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 VO 604/2013 die Beklagte für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständig.
114(7) Das Gericht weist abschließend auf Folgendes hin: Der Kläger hat sein Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung unter Hinweis darauf entschuldigt, dass seine Frau ein Kind erwarte und die Geburt unmittelbar bevorstehe. Sollte das Kind inzwischen geboren sein - dies stand zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht fest - dürfte einer Überstellung des Klägers nach Italien schon die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
115- vgl. Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/ Schweiz) -, NVwZ 2015, 127, Rn. 120 und 122 -
116und des Bundesverfassungsgerichts
117- vgl. Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 732/14 -, AuAS 2014, 244 ( juris Rn. 16) -
118entgegenstehen, wonach Familien mit kleinen Kindern nur dann nach Italien abgeschoben werden dürfen, wenn eine individuelle Zusicherung der italienischen Behörden vorliegt, dass dort eine gesicherte Unterkunft zur Verfügung steht, die die gemeinsame Unterbringung der Familie erlaubt.
1192. Die im angefochtenen Bescheid des Bundesamts enthaltene, auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützte Abschiebungsanordnung ist ebenfalls rechtswidrig. Dies folgt schon daraus, dass dem Kläger im Falle seiner Überstellung in den in der Abschiebungsanordnung bezeichneten Staat - wie bereits dargelegt - aufgrund systemischer Schwachstellen der Aufnahmebedingungen in Italien eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GrCh droht.
120Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Tatbestand
- 1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem die Beklagte seinen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ablehnt und begehrt damit die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens.
- 2
Der Kläger ist nach seinen eigenen Angaben syrischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste über die Türkei, Bulgarien und Griechenland kommend auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 28.01.2014 einen Asylantrag.
- 3
Bei der Anhörung des Klägers durch das Bundesamt für am 28.01.2014 gab dieser an, sein Heimatland Syrien aufgrund des dort herrschenden Krieges verlassen zu haben und nicht politisiert zu sein.
- 4
Die Beklagte erzielte unter dem 24.02.2014 hinsichtlich des Klägers zwei Eurodac-Treffer der Kategorie 1 und 2 für den Mitgliedstaat Bulgarien. Die Beklagte richtete am 11.03.2014 ein Wiederaufnahmegesuch an die bulgarischen Behörden unter Verweis auf die Treffermeldungen sowie darauf, dass der Kläger bereits am 08.01.2014 in Bulgarien Asyl beantragt hat. Mit Schreiben vom 21.03.2014 erklärte die Republik Bulgarien gegenüber der Beklagten ihre Bereitschaft, den Kläger auf der Grundlage der Dublinvorschriften wieder aufzunehmen.
- 5
Unter dem 15.10.2014 stellte die Beklagte fest, dass die Überstellungsfrist abgelaufen sei und übernahm den Kläger in das nationale Verfahren.
- 6
Mit Bescheid vom 21.10.2014 lehnte die Beklagte die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab (Ziffer 1. des Bescheides) und stellte fest, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt (Ziffer 2. des Bescheides). Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass der Kläger bereits in Bulgarien Asyl beantragt habe, so dass sein hiesiger Antrag als Zweitantrag i.S.v. § 71a AsylVfG zu behandeln sei. Ein weiteres Asylverfahren sei nur durchzuführen, wenn Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorlägen. Dies sei nicht der Fall, denn der Kläger begründe seinen Folgeantrag allein mit der Bürgerkriegslage in Syrien, so dass sich sein Vortrag allein darauf beschränke, die bereits in seinem früheren Asylverfahren in Bulgarien vorgebrachten Gründe zu wiederholen.
- 7
Gegen die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens hat der Kläger am 12.11.2014 Klage beim erkennenden Gericht erhoben. Zur Begründung trägt er allein vor, dass er in Deutschland mehrfach an Demonstrationen teilgenommen habe und belegt dies durch Vorlage einer Fotografie, die ihn bei einer Demonstration gegen den IS-Terror in Kurdistan am 16.08.2014 in Hannover zeigen soll.
- 8
Der Kläger beantragt sinngemäß,
- 9
den Bescheid der Beklagten vom 21.10.2014 hinsichtlich Ziffer 1. aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen.
- 10
Die Beklagte beantragt,
- 11
die Klage abzuweisen
- 12
und verteidigt ihren Bescheid.
- 13
Die Beteiligten haben übereinstimmend den Verzicht auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung erklärt.
- 14
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
- 15
I.) Die Klage, über die im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg. Denn Ziffer 1. des allein insoweit angefochtenen Bescheides der Beklagten vom 21.10.2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
- 16
Das zu Ausdruck kommende Begehren des Klägers, die Beklagte zu verpflichten, ein weiteres Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen, versteht das Gericht lediglich als Ausfluss des Aufhebungsverlangens (§ 88 VwGO). Es bedarf vor dem Hintergrund der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung keines Verpflichtungsausspruchs, denn es ist nicht erkennbar, dass die Beklagte eine Entscheidung über den Asylantrag im Falle der Aufhebung von Ziffer 1. des Bescheides verweigern würde. Vielmehr hat sie im Rahmen ihrer Zuständigkeit von Amts wegen den Asylantrag sodann sachlich zu prüfen.
- 17
Die unter Ziffer 1. des angefochtenen Bescheides erfolgte Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens erweist sich unter Zugrundelegung der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen gegenwärtigen Sach- und Rechtslage als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Denn die Beklagte ist aufgrund des vorliegenden Sachverhalts nicht berechtigt, die Durchführung des Asylverfahrens auf der Grundlage des § 71a AsylVfG abzulehnen und die Prüfung auf das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen zu begrenzen.
- 18
Rechtlicher Anknüpfungspunkt für die getroffene Entscheidung der Beklagten ist § 71a Abs. 1 AsylVfG. Dieser regelt, dass wenn ein Ausländer der nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat, für den die Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen ist, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt.
- 19
Voranzustellen ist, dass die Beklagte nach eigenem Vorbringen aufgrund Ablaufs der Überstellungsfrist zuständig für die Bearbeitung des Asylbegehrens des Klägers geworden ist (Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO).
- 20
Im hier zu entscheidenden Verfahren kann jedoch nicht von einem erfolglosen Abschluss des Asylverfahrens im Sinne des § 71a AsylVfG ausgegangen werden, denn die Behauptung der Beklagten, dass (nach eigener Einschätzung) das Asylverfahren durch die bulgarischen Behörden mittlerweile eingestellt worden sei, wird weder belegt noch kann eine solche – angenommene – Einstellung des Verfahrens aufgrund Nichtbetreibens oder stillschweigender Rücknahme unter dem Tatbestandsmerkmal "erfolgloser Abschluss" europarechtskonform subsumiert werden (vgl. VG Hannover, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, U. v. 29.04.2015 – A 11 S 121/15 – juris).
- 21
Fest allein steht, dass die Republik Bulgarien aufgrund des Wiederaufnahmegesuchs gegenüber der Beklagten fristgerecht erklärt hat, den Kläger gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO wieder aufzunehmen. Dass eine Einstellungsentscheidung mittlerweile vorliegt, hat die Beklagte nicht ermittelt, obgleich sie hierzu verpflichtet ist. Selbst wenn man davon ausginge, dass eine solche jedenfalls heute vorliegt, da die Beklagte es verabsäumt hat, innerhalb der Fristen des Dublinsystems einen sog. Dublinbescheid zu erlassen, mit der Folge, dass die Beklagte schlussendlich ihre eigene Zuständigkeit nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO angenommen hat (vgl. Vermerk vom 15.10.2014, Bl. 103 Beiakte A), folgt hieraus nicht zwingend, dass im Zeitpunkt des unionsrechtlichen Zuständigkeitsübergangs auf die Beklagte das Verfahren bereits eingestellt war. Dem unionsrechtlichen Zuständigkeitsübergang infolge Fristversäumung ist jedoch immanent, dass der zuständig gewordene Mitgliedsstaat das Verfahren in dem Stadium übernimmt, den es zum Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs erreicht hat. Etwaige Regelungen, wonach hiermit ein formeller oder materieller Rechtsverlust verbunden ist, sind nicht ersichtlich (vgl. VGH Baden-Württemberg, a.a.O.).
- 22
b. Auch im Falle einer belegbaren Einstellung des Verfahrens wegen Nichtbetreibens oder stillschweigender Rücknahme ist die Beklagte nicht berechtigt, den gestellten Asylantrag als Folgeantrag – mithin als Zweitantrag i.S.v. § 71a AsylVfG – zu behandeln. Nach Art. 28 Abs. 2 UA 1 der Richtlinie 2013/32/EU (vom 26.6.2013, Abl. L 180) – Asylverfahrensrichtlinie – sind Antragsteller im Fall einer stillschweigenden Rücknahme oder eines Nichtbetreibens des Verfahrens berechtigt, um eine Wiedereröffnung des Verfahrens zu ersuchen oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht nach Maßgabe der Art. 40 und 41, d. h. nicht als Folgeantrag, geprüft werden darf. Da die Bundesrepublik Deutschland diese Richtlinie nicht bis zum 20.07.2015 in nationales Recht umgesetzt hat, kann sich der Kläger nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, gegenüber der Beklagten auf diese Vorschriften berufen, weil sie inhaltlich unbedingt gefasst ist und hinreichend genaue Bestimmungen enthält. Auch von der Öffnungsklausel des Art. 28 Abs. 2 UA 2 der Asylverfahrensrichtlinie hat die Bundesrepublik bisher, soweit ersichtlich, keinen Gebrauch gemacht (vgl. VG Hannover, a.a.O., m.w.N.). Im Falle der Annahme einer stillschweigenden Rücknahme ist zudem auf die Regelung des Art. 18 Abs. 2 2. UA Dublin III-VO zu verweisen, wonach gleichsam europarechtlich normiert ist, dass der Antragsteller berechtigt ist, eine Sachentscheidung zu verlangen bzw. einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU zu behandeln ist (vgl. VG Hannover, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, a.a.O.)
- 23
Dies zugrunde gelegt, liegt ein Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylVfG dann nicht vor, wenn der betreffende Asylantragsteller – hier der Kläger – im Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs auf die Bundesrepublik Deutschland nach dem nationalen Recht des ersuchten Mitgliedstaats – hier: Bulgariens – einen Anspruch auf Fortführung bzw. formlose Wiedereröffnung des dort betriebenen Verfahrens bzw. die Berechtigung zur Stellung eines neuen Antrags – der nicht als Folgeantrag i.S.v. Art. 40 und 41 Richtlinie 2013/32/EU behandelt werden darf – gehabt hätte. Hiervon ist auszugehen. Anhaltspunkte dafür, dass eine abschließende Sachentscheidung durch die bulgarischen Behörden getroffen wurde, liegen weder vor noch werden solche von der Beklagten behauptet. Diese geht selbst von einer Einstellung des Verfahrens aus.
- 24
Fehlt es damit an einem Zweitantrag, ist es der Beklagten verwehrt, die Durchführung eines (weiteren) Asylverfahrens unter Berufung auf § 71a AsylVfG abzulehnen. Die Beklagte hat das noch offene Asylbegehren als Erstantrag zu behandeln und umfangreich zu prüfen (vgl. im Ergebnis: VG Hannover, a.a.O, VGH Baden-Württemberg, a.a.O.; VG Meinigen, B. v. 13.07.2015 – 8 E 20200/15 Me –; VG Aachen, B. v. 04.08.2015 – 8 L 171/15.A –; VG Cottbus, B. v. 12.01.2015 – 3 L 193/14.A – alle juris).
- 25
II.) Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(1) Stellt der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt.
(2) Für das Verfahren zur Feststellung, ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, gelten die §§ 12 bis 25, 33, 44 bis 54 entsprechend. Von der Anhörung kann abgesehen werden, soweit sie für die Feststellung, dass kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, nicht erforderlich ist. § 71 Abs. 8 gilt entsprechend.
(3) Der Aufenthalt des Ausländers gilt als geduldet. Die §§ 56 bis 67 gelten entsprechend.
(4) Wird ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt, sind die §§ 34 bis 36, 42 und 43 entsprechend anzuwenden.
(5) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Zweitantrags einen weiteren Asylantrag, gilt § 71.
Tatbestand
- 1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem die Beklagte seinen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ablehnt und begehrt damit die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens.
- 2
Der Kläger ist nach seinen eigenen Angaben syrischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste über die Türkei, Bulgarien und Griechenland kommend auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 28.01.2014 einen Asylantrag.
- 3
Bei der Anhörung des Klägers durch das Bundesamt für am 28.01.2014 gab dieser an, sein Heimatland Syrien aufgrund des dort herrschenden Krieges verlassen zu haben und nicht politisiert zu sein.
- 4
Die Beklagte erzielte unter dem 24.02.2014 hinsichtlich des Klägers zwei Eurodac-Treffer der Kategorie 1 und 2 für den Mitgliedstaat Bulgarien. Die Beklagte richtete am 11.03.2014 ein Wiederaufnahmegesuch an die bulgarischen Behörden unter Verweis auf die Treffermeldungen sowie darauf, dass der Kläger bereits am 08.01.2014 in Bulgarien Asyl beantragt hat. Mit Schreiben vom 21.03.2014 erklärte die Republik Bulgarien gegenüber der Beklagten ihre Bereitschaft, den Kläger auf der Grundlage der Dublinvorschriften wieder aufzunehmen.
- 5
Unter dem 15.10.2014 stellte die Beklagte fest, dass die Überstellungsfrist abgelaufen sei und übernahm den Kläger in das nationale Verfahren.
- 6
Mit Bescheid vom 21.10.2014 lehnte die Beklagte die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab (Ziffer 1. des Bescheides) und stellte fest, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt (Ziffer 2. des Bescheides). Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass der Kläger bereits in Bulgarien Asyl beantragt habe, so dass sein hiesiger Antrag als Zweitantrag i.S.v. § 71a AsylVfG zu behandeln sei. Ein weiteres Asylverfahren sei nur durchzuführen, wenn Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorlägen. Dies sei nicht der Fall, denn der Kläger begründe seinen Folgeantrag allein mit der Bürgerkriegslage in Syrien, so dass sich sein Vortrag allein darauf beschränke, die bereits in seinem früheren Asylverfahren in Bulgarien vorgebrachten Gründe zu wiederholen.
- 7
Gegen die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens hat der Kläger am 12.11.2014 Klage beim erkennenden Gericht erhoben. Zur Begründung trägt er allein vor, dass er in Deutschland mehrfach an Demonstrationen teilgenommen habe und belegt dies durch Vorlage einer Fotografie, die ihn bei einer Demonstration gegen den IS-Terror in Kurdistan am 16.08.2014 in Hannover zeigen soll.
- 8
Der Kläger beantragt sinngemäß,
- 9
den Bescheid der Beklagten vom 21.10.2014 hinsichtlich Ziffer 1. aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen.
- 10
Die Beklagte beantragt,
- 11
die Klage abzuweisen
- 12
und verteidigt ihren Bescheid.
- 13
Die Beteiligten haben übereinstimmend den Verzicht auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung erklärt.
- 14
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
- 15
I.) Die Klage, über die im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg. Denn Ziffer 1. des allein insoweit angefochtenen Bescheides der Beklagten vom 21.10.2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
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Das zu Ausdruck kommende Begehren des Klägers, die Beklagte zu verpflichten, ein weiteres Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen, versteht das Gericht lediglich als Ausfluss des Aufhebungsverlangens (§ 88 VwGO). Es bedarf vor dem Hintergrund der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung keines Verpflichtungsausspruchs, denn es ist nicht erkennbar, dass die Beklagte eine Entscheidung über den Asylantrag im Falle der Aufhebung von Ziffer 1. des Bescheides verweigern würde. Vielmehr hat sie im Rahmen ihrer Zuständigkeit von Amts wegen den Asylantrag sodann sachlich zu prüfen.
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Die unter Ziffer 1. des angefochtenen Bescheides erfolgte Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens erweist sich unter Zugrundelegung der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen gegenwärtigen Sach- und Rechtslage als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Denn die Beklagte ist aufgrund des vorliegenden Sachverhalts nicht berechtigt, die Durchführung des Asylverfahrens auf der Grundlage des § 71a AsylVfG abzulehnen und die Prüfung auf das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen zu begrenzen.
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Rechtlicher Anknüpfungspunkt für die getroffene Entscheidung der Beklagten ist § 71a Abs. 1 AsylVfG. Dieser regelt, dass wenn ein Ausländer der nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat, für den die Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen ist, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt.
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Voranzustellen ist, dass die Beklagte nach eigenem Vorbringen aufgrund Ablaufs der Überstellungsfrist zuständig für die Bearbeitung des Asylbegehrens des Klägers geworden ist (Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO).
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Im hier zu entscheidenden Verfahren kann jedoch nicht von einem erfolglosen Abschluss des Asylverfahrens im Sinne des § 71a AsylVfG ausgegangen werden, denn die Behauptung der Beklagten, dass (nach eigener Einschätzung) das Asylverfahren durch die bulgarischen Behörden mittlerweile eingestellt worden sei, wird weder belegt noch kann eine solche – angenommene – Einstellung des Verfahrens aufgrund Nichtbetreibens oder stillschweigender Rücknahme unter dem Tatbestandsmerkmal "erfolgloser Abschluss" europarechtskonform subsumiert werden (vgl. VG Hannover, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, U. v. 29.04.2015 – A 11 S 121/15 – juris).
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Fest allein steht, dass die Republik Bulgarien aufgrund des Wiederaufnahmegesuchs gegenüber der Beklagten fristgerecht erklärt hat, den Kläger gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO wieder aufzunehmen. Dass eine Einstellungsentscheidung mittlerweile vorliegt, hat die Beklagte nicht ermittelt, obgleich sie hierzu verpflichtet ist. Selbst wenn man davon ausginge, dass eine solche jedenfalls heute vorliegt, da die Beklagte es verabsäumt hat, innerhalb der Fristen des Dublinsystems einen sog. Dublinbescheid zu erlassen, mit der Folge, dass die Beklagte schlussendlich ihre eigene Zuständigkeit nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO angenommen hat (vgl. Vermerk vom 15.10.2014, Bl. 103 Beiakte A), folgt hieraus nicht zwingend, dass im Zeitpunkt des unionsrechtlichen Zuständigkeitsübergangs auf die Beklagte das Verfahren bereits eingestellt war. Dem unionsrechtlichen Zuständigkeitsübergang infolge Fristversäumung ist jedoch immanent, dass der zuständig gewordene Mitgliedsstaat das Verfahren in dem Stadium übernimmt, den es zum Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs erreicht hat. Etwaige Regelungen, wonach hiermit ein formeller oder materieller Rechtsverlust verbunden ist, sind nicht ersichtlich (vgl. VGH Baden-Württemberg, a.a.O.).
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b. Auch im Falle einer belegbaren Einstellung des Verfahrens wegen Nichtbetreibens oder stillschweigender Rücknahme ist die Beklagte nicht berechtigt, den gestellten Asylantrag als Folgeantrag – mithin als Zweitantrag i.S.v. § 71a AsylVfG – zu behandeln. Nach Art. 28 Abs. 2 UA 1 der Richtlinie 2013/32/EU (vom 26.6.2013, Abl. L 180) – Asylverfahrensrichtlinie – sind Antragsteller im Fall einer stillschweigenden Rücknahme oder eines Nichtbetreibens des Verfahrens berechtigt, um eine Wiedereröffnung des Verfahrens zu ersuchen oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht nach Maßgabe der Art. 40 und 41, d. h. nicht als Folgeantrag, geprüft werden darf. Da die Bundesrepublik Deutschland diese Richtlinie nicht bis zum 20.07.2015 in nationales Recht umgesetzt hat, kann sich der Kläger nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, gegenüber der Beklagten auf diese Vorschriften berufen, weil sie inhaltlich unbedingt gefasst ist und hinreichend genaue Bestimmungen enthält. Auch von der Öffnungsklausel des Art. 28 Abs. 2 UA 2 der Asylverfahrensrichtlinie hat die Bundesrepublik bisher, soweit ersichtlich, keinen Gebrauch gemacht (vgl. VG Hannover, a.a.O., m.w.N.). Im Falle der Annahme einer stillschweigenden Rücknahme ist zudem auf die Regelung des Art. 18 Abs. 2 2. UA Dublin III-VO zu verweisen, wonach gleichsam europarechtlich normiert ist, dass der Antragsteller berechtigt ist, eine Sachentscheidung zu verlangen bzw. einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU zu behandeln ist (vgl. VG Hannover, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, a.a.O.)
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Dies zugrunde gelegt, liegt ein Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylVfG dann nicht vor, wenn der betreffende Asylantragsteller – hier der Kläger – im Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs auf die Bundesrepublik Deutschland nach dem nationalen Recht des ersuchten Mitgliedstaats – hier: Bulgariens – einen Anspruch auf Fortführung bzw. formlose Wiedereröffnung des dort betriebenen Verfahrens bzw. die Berechtigung zur Stellung eines neuen Antrags – der nicht als Folgeantrag i.S.v. Art. 40 und 41 Richtlinie 2013/32/EU behandelt werden darf – gehabt hätte. Hiervon ist auszugehen. Anhaltspunkte dafür, dass eine abschließende Sachentscheidung durch die bulgarischen Behörden getroffen wurde, liegen weder vor noch werden solche von der Beklagten behauptet. Diese geht selbst von einer Einstellung des Verfahrens aus.
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Fehlt es damit an einem Zweitantrag, ist es der Beklagten verwehrt, die Durchführung eines (weiteren) Asylverfahrens unter Berufung auf § 71a AsylVfG abzulehnen. Die Beklagte hat das noch offene Asylbegehren als Erstantrag zu behandeln und umfangreich zu prüfen (vgl. im Ergebnis: VG Hannover, a.a.O, VGH Baden-Württemberg, a.a.O.; VG Meinigen, B. v. 13.07.2015 – 8 E 20200/15 Me –; VG Aachen, B. v. 04.08.2015 – 8 L 171/15.A –; VG Cottbus, B. v. 12.01.2015 – 3 L 193/14.A – alle juris).
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II.) Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.