Verwaltungsgericht Arnsberg Beschluss, 05. Mai 2014 - 12 L 381/14
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 7.500 € festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Der sinngemäße Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 12 K 949/14 gegen den Bescheid des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes vom 25. März 2014 wiederherzustellen,
4hat keinen Erfolg.
5Der nach § 80 Abs.5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag ist unbegründet.
6Ihm ist nicht bereits deshalb zu entsprechen, weil die im Bescheid vom 25. März 2014 ausgesprochene Anordnung der sofortigen Vollziehung dem formellen Begründungserfordernis des § 80 Abs.3 S.1 VwGO nicht genügen würde. Der Antragsgegner hat in seinen diesbezüglichen Ausführungen eingehend dargelegt, weshalb er im Streitfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides als gegeben ansieht und das Interesse der Antragstellerin am Bestehen der grundsätzlich vorgesehenen aufschiebenden Wirkung ihrer Klage ausnahmsweise zurückzutreten hat. Ob die angeführten Gründe den Sofortvollzug in der Sache rechtfertigen und ob sie erschöpfend und zutreffend dargelegt sind, ist für die Beurteilung der formellen Rechtmäßigkeit der Vollziehungsanordnung unerheblich.
7Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 7. Mai 2009 - 5 B 510/09 -, abrufbar in NRW-E.
8Bei der gemäß § 80 Abs.5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung kommt dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 25. März 2014 Vorrang vor dem gegenläufigen Interesse der Antragstellerin zu, von einer Vollziehung einstweilen verschont zu bleiben. Maßgeblich hierfür ist, dass sich der angefochtene Bescheid, mit dem der Antragsgegner einen Beauftragten für die Beschlussfassung über einen genehmigungsfähigen Haushaltssanierungsplan 2014 bestellt hat, bei der im vorliegenden Verfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig erweist und ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse vorliegt.
9Rechtsgrundlage für die Bestellung des Beauftragten sind die §§ 6 und 8 des Gesetzes zur Unterstützung der kommunalen Haushaltskonsolidierung im Rahmen des Stärkungspakts Stadtfinanzen (Stärkungspaktgesetz – StPG -).
10Gemäß § 6 StPG müssen die pflichtig am Stärkungspakt teilnehmenden Gemeinden ‑ wie die Antragstellerin ‑ der Bezirksregierung einen vom Rat beschlossenen Haushaltssanierungsplan vorlegen, der jährlich fortzuschreiben und zu genehmigen ist (Abs.1 S.1 i.V.m. Abs.2 S.1, Abs.3). Die Genehmigung kann nur erteilt werden, wenn im Haushaltssanierungsplan u.a. der Haushaltsausgleich gemäß § 75 Abs.2 S.1 und 2 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein- Westfalen (GO NRW) unter Einbeziehung der nach dem StPG zu gewährenden Konsolidierungshilfe zum nächstmöglichen Zeitpunkt, bei pflichtig teilnehmenden Gemeinden in der Regel spätestens ab dem Jahr 2016 erreicht wird (Abs.2 S.2 Nr.1).
11Kommt die Gemeinde ihrer Pflicht zur Vorlage eines Haushaltssanierungsplans nicht nach, weicht sie vom Haushaltssanierungsplan ab oder werden dessen Ziele aus anderen Gründen nicht erreicht, setzt die Bezirksregierung der Gemeinde eine angemessene Frist, in deren Lauf die Maßnahmen zu treffen sind, die notwendig sind, um die Vorgaben des StPG und die Ziele des Haushaltssanierungsplans einzuhalten (§ 8 Abs.1 S.1 StPG). Sofern die Gemeinde diese Maßnahmen innerhalb der gesetzten Frist nicht ergreift, ist durch das für Kommunales zuständige Ministerium ein Beauftragter gemäß § 124 GO NRW zu bestellen (§ 8 Abs.1 S.2 StPG).
12Ernstliche Zweifel an der Verfassungsgemäßheit dieser Regelungen – zumal solche, die im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes durchschlagen würden – hat die Kammer nicht. Dies gilt namentlich auch mit Blick darauf, dass § 8 Abs.1 S.2 StPG dann, wenn eine Gemeinde ihre Pflicht zur Vorlage eines Haushaltssanierungsplans – der inhaltlich selbstredend den Anforderungen nach § 6 StPG genügen muss - auch nach Aufforderung zur Nachbesserung verletzt, zwingend die Bestellung eines Beauftragten vorsieht. Insbesondere liegt hierin entgegen der Ansicht der Antragstellerin keine unverhältnismäßige Beschränkung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts.
13Zum Recht der kommunalen Selbstverwaltung gehört auch die Finanzhoheit der Gemeinden, die eine eigenverantwortliche Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft gewährleistet. Das kommunale Selbstverwaltungsrecht ist allerdings nur im Rahmen der Gesetze gewährleistet und unterliegt normativer Prägung durch den Gesetzgeber, der sie inhaltlich ausformen und begrenzen darf. Die kommunale Finanzhoheit besteht nicht darin, dass die Gemeinde nach Belieben frei schalten kann, sondern darin, dass sie verantwortlich disponiert und bei ihren Maßnahmen auch ihre Stellung innerhalb der Selbstverwaltung des modernen Verwaltungsstaates und die sich daraus ergebende Notwendigkeit des Finanzausgleichs in Betracht zieht. Daher ist anerkannt, dass der Gesetzgeber aufsichtsrechtliche Instrumente vorsehen darf, mit denen auf schwere Haushaltsnotlagen von Kommunen – wie sie im Falle der pflichtig am Stärkungspakt teilnehmenden Gemeinden vorliegen – reagiert werden kann, wobei die entsprechenden Vorschriften ihrerseits den Kern der kommunalen Finanzhoheit und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren müssen.
14Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen(OVG NRW), Beschluss vom 22. Juli 2009 – 15 A 2324/07 – und nachgehend Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 27. Oktober 2010 – 8 C 43/09 -, jeweils abrufbar in JURIS.
15Hieran gemessen ist die im Falle einer Nichterfüllung der in § 8 Abs.2 S.1 StPG umschriebenen Pflichten zwingend vorgesehene Bestellung eines Beauftragten nicht zu beanstanden.
16Aus dem Regelungszusammenhang der §§ 6 und 8 StPG folgt entgegen einzelnen Ausführungen der Antragstellerin nicht, dass die Verfehlung des in § 6 Abs.2 S.2 Nr.1 StPG vorgesehenen Haushaltsausgleichs stets und ohne jede Berücksichtigung der hierfür maßgeblichen Gründe die Bestellung eines Beauftragten zur Folge hätte.
17Zunächst ist mit dem „nächstmöglichen Zeitpunkt“, zu dem nach § 6 Abs.2 S.2 Nr.1 StPG von den pflichtig teilnehmenden Gemeinden ein unter Einbeziehung der Konsolidierungshilfe ausgeglichener Haushalt gefordert wird, nicht der rein technisch nächstmögliche Zeitpunkt gemeint, der unter Ausnutzung aller denkbaren Einsparungen und Einnahmeerhöhungen erreichbar wäre, sondern der zumutbarerweise nächstmögliche Zeitpunkt des Haushaltsausgleichs.
18Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Juli 2009 – 15 A 2324/07 -, a.a.O. zur vergleichbaren Regelung des § 75 Abs.4 S.2 GO NRW a.F.
19Soweit das Gesetz von den pflichtig teilnehmenden Gemeinden hieran anknüpfend einen Haushaltsausgleich bis spätestens 2016 fordert, gilt dies ausdrücklich nur „in der Regel“, so dass schon hiernach die Möglichkeit besteht, in besonderen Ausnahmefällen von diesem Zeitpunkt abzuweichen, was die Antragstellerin vorliegend für sich selbst in Anspruch nimmt. Darüber hinaus lässt § 8 Abs.2 StPG ausdrücklich Raum dafür, bei nicht absehbaren und von der Gemeinde nicht zu beeinflussenden erheblichen Veränderungen der finanziellen Situation der Gemeinde eine Anpassung des Haushaltssanierungsplans zu genehmigen, so dass die in § 6 Abs.2 S.2 Nr.1 - und auch Nr.2 - StPG normierten Pflichten zum termingerechten Haushaltsausgleich nicht ausnahmslos bestehen und eine Überschreitung der vorgesehenen Fristen nicht ohne jede Rücksicht auf die konkreten Umstände stets die Bestellung eines Beauftragten zur Folge hat. Darüber hinaus ist in Rechnung zu stellen, dass die Erstellung eines den gesetzlichen Anforderungen genügenden Haushaltssanierungsplans zunächst in Händen der – in einer schweren Haushaltsnotlage befindlichen - Gemeinde liegt, der bei Vorlage eines nicht genehmigungsfähigen Konzepts noch einmal die Möglichkeit einer Nachbesserung eingeräumt wird. Erst wenn auch diese nicht genutzt und lediglich ein - auch unter Berücksichtigung der angeführten Ausnahmeregelungen - nicht genehmigungsfähiger Sanierungsplan vorgelegt wird, ist wegen dieser anhaltenden Pflichtverletzung der Gemeinde ein Beauftragter zu bestellen ist, wobei jedoch weiterhin ein Ermessen der Aufsichtsbehörde besteht, in welchem Umfang diesem Aufgaben der Gemeinden übertragen werden. Denn der Beauftragte kann nach § 8 Abs.1 S.2 StPG i.V.m. § 124 GO NRW „alle oder einzelne Aufgaben der Gemeinde“ wahrnehmen, was der Aufsichtsbehörde bei seiner Bestellung ebenfalls noch Spielräume zur Berücksichtigung der gemeindlichen Interessen lässt. Dies wird nicht zuletzt im vorliegenden Fall deutlich, in dem zwar dem Rat der Antragstellerin die Beschlussfassung über den Haushaltssanierungsplan entzogen, die Vorbereitung der Beschlussfassung aber ausdrücklich der Stadtverwaltung belassen wurde.
20Sehen die gesetzlichen Regelungen mithin ausreichende Mechanismen vor, um der konkreten Situation und Interessenlage der betroffenen Gemeinden in einer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechenden Weise Rechnung zu tragen, so begegnen sie im Hinblick auf das kommunale Selbstverwaltungsrecht umso weniger Bedenken, als das gesetzliche Erfordernis zur Aufstellung eines Haushaltssanierungsplans mit der Gewährung erheblicher Konsolidierungshilfen an die betroffenen Kommunen einhergeht. Diese tragen beträchtlich zur Wiederherstellung ihrer stark eingeschränkten finanziellen Handlungsfähigkeit bei und dienen, wie das mit dem Stärkungspaktgesetz verfolgte Ziel einer nachhaltigen Konsolidierung der Kommunalfinanzen überhaupt, letztlich dem Erhalt der kommunalen Selbstverwaltung, die ohne hinreichende finanzielle Mittel nicht verwirklicht werden kann.
21Begegnen die maßgeblichen Regelungen des StPG mithin keinen verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Finanzhoheit der betroffenen Kommunen, so liegen im Fall der Antragstellerin auch die gesetzlich normierten Voraussetzungen für die Bestellung eines Beauftragten vor.
22Die Fortschreibung des Haushaltssanierungsplans der Antragstellerin für das Jahr 2014 genügt nicht den Anforderungen des § 6 Abs.2 S.2 Nr.1 StPG, wonach der Haushaltsausgleich in der Regel spätestens ab dem Jahr 2016 zu erreichen ist, denn ein unter Einbeziehung der Konsolidierungshilfe ausgeglichener Haushalts im Jahr 2016 wird hierin nicht dargestellt und es liegt auch kein Ausnahmefall vor, der die von der Antragstellerin begehrte Abweichung von diesem Zeitpunkt rechtfertigen würde.
23Es spricht bereits vieles dafür, dass die maßgebliche, einer rechtlichen Überprüfung zugängliche Fortschreibung des Haushaltssanierungsplans für das Jahr 2014 hier allein diejenige Fortschreibung ist, die vom Rat der Antragstellerin am 2. Dezember 2013 beschlossen und der Bezirksregierung – außerhalb der in § 6 Abs.3 StPG normierten Frist – mit Schreiben vom 4. Dezember 2013 vorgelegt wurde.
24Zwar hat der Rat der Antragstellerin nach Beanstandung dieser Fortschreibung im Rahmen des nach § 8 Abs.1 S.1 StPG durchgeführten Nachbesserungsverfahrens am 10. Februar 2014 einen Beschluss gefasst, mit dem abweichend von der zunächst am 2. Dezember 2013 beschlossenen Fortschreibung, die einen Haushaltsausgleich unter Einbeziehung der Konsolidierungshilfe erst im Jahr 2020 vorgesehen hatte, dieser Haushaltsausgleich unter bestimmten Bedingungen auf das Jahr 2018 vorgezogen werden sollte. Es ist allerdings zweifelhaft, ob die am 10. Februar 2014 beschlossene Modifizierung der Fortschreibung des Haushaltssanierungsplans rechtlich beachtlich ist. Abgesehen davon, dass der Ratsbeschluss vom 10. Februar 2014 womöglich nicht hinreichend in den Haushaltssanierungsplan eingearbeitet wurde, ist schon fraglich, ob die Beschlussfassung über einen Haushaltssanierungsplan überhaupt unter einer Bedingung erfolgen kann. Zudem dürfte ausgeschlossen sein, dass die „auflösende Bedingung“ – gemeint ist wohl: „aufschiebende Bedingung“ -, unter der nach dem Willen des Rates die Erhöhung der Grundsteuer und der Gewerbesteuer im Jahr 2017 allein vorgenommen werden sollte, nämlich die „Genehmigung der Haushaltssanierungspläne 2013 und 2014“, eintreten wird. Denn der Haushaltssanierungsplan der Antragstellerin für das – im Übrigen ohnehin bereits abgelaufene - Haushaltsjahr 2013 dürfte jedenfalls wegen eines weit überhöhten Ansatzes von Schlüsselzuweisungen, den die Antragstellerin selbst nicht mehr in Abrede stellt, nicht genehmigungsfähig sein.
25Sollte aus den vorgenannten Gründen lediglich der Haushaltssanierungsplan in der am 2. Dezember 2013 beschlossenen Fassung rechtlich beachtlich sein, so spricht schon deshalb alles gegen dessen Genehmigungsfähigkeit, weil der Rat der Antragstellerin von dem hierin erst für das Jahr 2020 vorgesehenen Haushaltsausgleich später selbst Abstand genommen und in seinem Beschluss vom 10. Februar 2014 ausdrücklich erklärt hat, dass er einen Haushaltsausgleich im Jahr 2018 für „gerade noch vertretbar“ hält.
26Letztlich kann jedoch dahinstehen, ob die Modifizierung des Haushaltssanierungsplans vom 10. Februar 2014 mit der dort beschlossenen Erhöhung der Grundsteuer B auf einen Hebesatz von 766 v.H. und der Gewerbesteuer auf 445 v.H. und dem damit nach Berechnungen der Antragstellerin zu erreichenden Haushaltsausgleich im Jahr 2018 überhaupt zu berücksichtigen ist. Denn selbst wenn man zugunsten der Antragstellerin hiervon ausgeht, wird der nach dem Stärkungspaktgesetz regelmäßig einzuhaltende Zeitpunkt für einen Ausgleich des Haushalts unter Einschluss der Konsolidierungshilfe (2016) hiermit deutlich verfehlt, ohne dass dies rechtfertigende Besonderheiten vorlägen.
27Insofern ist in Rechnung zu stellen, dass das Stärkungspaktgesetz darauf abzielt, die gravierenden strukturellen Defizite in der Haushaltswirtschaft der pflichtig teilnehmenden Kommunen, die in ihrer drohenden Überschuldung (vgl. § 3 StPG) zum Ausdruck kommen und je nach Kommune auf einer Vielzahl unterschiedlicher Gründe beruhen mögen, einheitlich und nachhaltig zurückzuführen. Dem dazu mit dem StPG etablierten Regelungssystem liegt dabei die gesetzgeberische Einschätzung zugrunde, dass grundsätzlich alle pflichtig teilnehmenden Kommunen bei der gebotenen Anspannung ihrer Kräfte ab dem Jahr 2016 einen Haushaltsausgleich unter Einbeziehung der Konsolidierungshilfe und ab dem Jahr 2021 einen Haushaltsausgleich ohne Konsolidierungshilfe erreichen können. Diese gesetzgeberische Konzeption schließt es aus, die für die schlechte finanzielle Lage der jeweils betroffenen Kommune grundlegenden Umstände oder auch Schwankungen bei Einnahmen oder Ausgaben, die die Finanzausstattung der Kommune regelmäßig mitbestimmen und dem Gesetzgeber bekannt sind, zur Begründung eines Ausnahmefalls heranzuziehen, der es rechtfertigt, die gesetzlich vorgesehenen Zeitpunkte für den Haushaltsausgleich hinauszuschieben. Ein ausnahmsweises Abweichen von den insoweit normierten Fristen kann mithin nur in einem atypischen Sonderfall gerechtfertigt sein, der durch vom Gesetzgeber nicht bereits mitberücksichtigte, insbesondere kurzfristig wirkende Faktoren begründet wird (vgl. insoweit auch § 8 Abs.2 StPG). Die Annahme eines Ausnahmefalls kann hingegen nicht auf Umstände gestützt werden, die ihrerseits struktureller Natur sind bzw. regelhaft die Finanzkraft der Kommunen beeinflussen, denn das Bestehen einer ‑ hierdurch stets mitbestimmten ‑ finanziellen Notlage ist gerade Grund und Anknüpfungspunkt für das gesetzgeberische Handeln mit dem vorgegebenen Zeitpunkt der Zielerreichung im Jahr 2016 gewesen.
28Hiervon ausgehend führen die von der Antragstellerin angeführten Gründe, derentwegen sie von einem Haushaltsausgleich im Jahr 2016 absehen und diesen auf das Jahr 2018 hinausschieben will, nicht auf einen atypischen Ausnahmefall, der ein solches Abweichen von der gesetzlichen Regel rechtfertigen würde.
29Dies gilt zunächst, soweit die Antragstellerin auf den erheblichen Bevölkerungsrückgang in ihrem Stadtgebiet und die damit verbundenen finanziellen Nachteile verweist. Wie sie selbst dargelegt hat, ist diese Entwicklung bereits seit Jahrzehnten zu konstatieren und daher zweifelsohne ein strukturelles Problem, das maßgeblich zum Entstehen ihrer finanziellen Notlage beigetragen hat und diese bis in die Gegenwart mitbestimmt. Der von ihr weiter angeführte erhebliche Rückgang von Schlüsselzuweisungen ab dem Jahr 2013 ist ebenfalls vom Ansatz her ungeeignet, einen Ausnahmefall zu begründen, denn die jährlichen Schlüsselzuweisungen, die namentlich aufgrund ihrer Korrelation zur gemeindlichen Steuerkraft bekanntermaßen stets Schwankungen unterliegen, sind integraler Bestandteil des staatlichen Finanzausgleichsystems und daher vom Gesetzgeber bei der Bemessung der Fristen zum Haushaltsausgleich zweifellos mit in den Blick genommen worden. Eine Ausnahme wegen des „unvorhersehbaren Wegbrechens“ von Schlüsselzuweisungen, das die Antragstellerin für sich in Anspruch nehmen möchte, kann dabei im Übrigen umso weniger angenommen werden, als die annähernd doppelt so hohen Schlüsselzuweisungen der Jahre 2011 und 2012, auf die sich die Antragstellerin in diesem Zusammenhang beruft, im längerfristigen Vergleich keineswegs die Regel, sondern ihrerseits die Ausnahme darstellten (vgl. Anlagen 8 und 9 der Antragserwiderung vom 15. April 2014).
30Auch der weiter hervorgehobene Umstand, dass im Falle der Antragstellerin angesichts der bereits eingeleiteten Konsolidierungsmaßnahmen keine relevanten Einsparpotentiale mehr zu erkennen seien, so dass nur noch eine Erhöhung der Grund- und / oder Gewerbesteuer bleibe, kann ein Hinausschieben des Zeitpunkts des Haushaltsausgleichs nicht rechtfertigen. Die Erhöhung der gemeindlichen (Steuer-) Einnahmen ist neben der Reduzierung der Ausgaben angesichts der haushaltsrechtlichen Pflicht einer Kommune, auch durch Erhöhung ihrer Einnahmen das Ziel eines Haushaltsausgleichs so schnell wie möglich zu erreichen,
31vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Juli 2009 – 15 A 2324/07 -, JURIS
32vom Gesetzgeber selbstredend als ein mögliches Mittel des herbeizuführenden Haushaltsausgleichs angesehen worden, so dass die Notwendigkeit einer hierzu erforderlichen Steuererhöhung für einen Ausnahmefall im Grundsatz nichts hergibt.
33Ob insofern ausnahmsweise anderes gelten könnte, wenn im Falle einer zur Herbeiführung des Haushaltsausgleichs allein noch möglichen Steuererhöhung auf der Hand läge, dass diese, etwa wegen der hierdurch ausgelösten Gefahr einer massiven Abwanderung der Bevölkerung, das gesetzgeberische Ziel einer nachhaltigen Haushaltskonsolidierung letztlich unterlaufen würde, kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, denn für das Vorliegen einer solchen Fallgestaltung spricht hier nichts.
34Dabei geht die Kammer zugunsten der Antragstellerin davon aus, dass ihr ‑ entsprechend der Einschätzung der Gemeindeprüfungsanstalt und weiterer Stellen ‑ über die schon geplanten Konsolidierungsmaßnahmen hinaus tatsächlich keine erheblichen Einsparungen mehr möglich sind und dass ein Haushaltsausgleich im Jahr 2016 entsprechend ihren Angaben im Verwaltungsverfahren, die sie im gerichtlichen Verfahren nicht abgeändert oder ergänzt hat, eine Erhöhung der Grundsteuer B auf 969 Punkte im Jahr 2016 und eine gleichzeitige Erhöhung der Gewerbesteuer von 435 auf 465 Hebesatzpunkte voraussetzen würde.
35Auch wenn diese Annahmen zutreffen sollten, erscheint es bei lebensnaher Betrachtung fernliegend, dass diese Maßnahmen zu einer derart nachhaltigen Abwanderung von Einwohnern oder Unternehmen führen könnten, dass trotz des hierdurch rechnerisch zu erreichenden fristgerechten Haushaltsausgleichs wegen dieses Folgeeffekts das Ziel einer nachhaltigen Haushaltskonsolidierung letztlich konterkariert würde. Hinsichtlich der veranschlagten Erhöhung der Gewerbesteuer gilt dies schon deshalb, weil sich der Hebesatz von 465 Punkten immer noch unterhalb des Durchschnitts der in den Stärkungspaktkommunen beschlossenen Hebesätze bewegen würde. Hinsichtlich einer Erhöhung der Grundsteuer B auf 969 Punkte ist der Antragstellerin zwar zuzugeben, dass sie sich hiermit auch im Vergleich zu anderen Stärkungspaktkommunen im obersten Bereich der Grundsteuerhebesätze bewegen würde, doch ist auch insoweit nicht ernstlich mit einer hierdurch ausgelösten massiven Verringerung der Einwohnerzahl zu rechnen.
36Auch wenn man mit der Antragstellerin davon ausgeht, dass bei einer Zusammenschau der Grundsteuer mit den in ihrem Fall relativ hohen Wasser- und Abwassergebühren die Belastung einer vierköpfigen Familie derzeit um rund 500 € jährlich (42 € monatlich) höher liegt als in den umliegenden Gemeinden, betrüge die mit der in Rede stehenden Grundsteuererhöhung verbundene Mehrbelastung nach ihren eigenen Angaben etwa 400 € / Jahr, d.h. rund 35 € im Monat. Diese schon für sich genommen überschaubaren Beträge würden sich zudem nur bezogen auf das Jahr 2016 ergeben, während der Hebesatz für die Folgejahre aufgrund der mit den Konsolidierungsmaßnahmen einhergehenden Verbesserungen des Jahresergebnisses wieder erheblich gesenkt werden könnte. So ergäbe sich bei Annahme eines Grundsteuermehraufkommens von ca. 560.000 € pro 100 Hebesatzpunkte ausgehend vom Haushaltssanierungsplan (Stand 2.12.2013) schon für das Jahr 2017 mit einem gegenüber 2016 um rund 700.000 € besseren Jahresergebnis eine mögliche Reduzierung um über 100 Punkte, die in den Folgejahren weiter fortgesetzt werden könnte. Wird weiter berücksichtigt, dass die Höhe der Realsteuerhebesätze regelmäßig nicht der zentrale Grund für die Entscheidung ist, in welcher Gemeinde Personen Wohnung nehmen,
37vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Juli 2009 – 15 A 2324/07 -, JURIS
38und dass das Niveau der Grundstückspreise und Mieten im Stadtgebiet der Antragstellerin im regionalen Vergleich eher niedrig ist, erscheint es daher ausgeschlossen, dass eine Erhöhung der Grundsteuer um das in Rede stehende Ausmaß Folgen haben könnte, die nach den aufgezeigten Maßstäben zur Annahme eines den Aufschub des Haushaltsausgleichs rechtfertigenden Ausnahmefalls im Sinne des § 6 Abs.2 S.2 Nr.1 bzw. § 8 Abs.2 StPG führen mögen.
39Ist die Antragstellerin nach allem ihrer Pflicht zur Vorlage eines den gesetzlichen Anforderungen genügenden Haushaltssanierungsplans auch innerhalb der ihr hierfür gesetzten Nachfrist nicht nachgekommen, so begegnet die seitens des Antragsgegners verfügte Bestellung eines Beauftragten auch in Ansehung der weiteren hiergegen vorgebrachten Einwände keinen rechtlichen Bedenken.
40Ihr steht nicht entgegen, dass die Bezirksregierung B die Genehmigung der von der Antragstellerin vorgelegten Fortschreibung des Haushaltssanierungsplans für 2014 nicht förmlich versagt bzw. ihren Antrag auf ein ausnahmsweises Hinausschieben des Zeitpunkts des Haushaltsausgleichs nicht förmlich beschieden hat. Der Wortlaut des § 8 Abs.1 StPG gibt nichts dafür her, dass vor der Bestellung eines Beauftragten eine förmliche Ablehnung der Genehmigung eines Haushaltssanierungsplans bzw. des Ausnahmeverlangens erfolgen müsste, sondern knüpft an die bloße Nichterfüllung der Pflicht zur Vorlage eines Haushaltssanierungsplans durch die Gemeinde an. Es sind auch keine sonstigen Gründe erkennbar, die es gebieten würden, die Bestellung eines Beauftragten erst nach förmlicher Ablehnung eines Haushaltssanierungsplans – oder gar erst nach deren Bestandskraft - vorzunehmen. Auch ohne förmliche Verbescheidung des Genehmigungsantrags tritt eine im Lichte des Art.19 Abs.4 des Grundgesetzes (GG) bzw. Art.78 der Landesverfassung (LVerf) bedenkliche Rechtsschutzverkürzung zu Lasten der Gemeinden nicht ein, da bei der gerichtlichen Überprüfung, ob zu Recht ein Beauftragter bestellt wurde, wie vorstehend geschehen inzident darüber zu befinden ist, ob ein vorgelegter Haushaltssanierungsplan genehmigungsfähig ist oder nicht. Die gerichtliche Inzidentprüfung, ob ein das Einschreiten der Kommunalaufsicht rechtfertigender Gesetzesverstoß der Gemeinde vorliegt, ist dabei keine Besonderheit des Stärkungspaktgesetzes, sondern der im allgemeinen Kommunalaufsichtsrecht gegebene Regelfall. Hierbei unterliegt auch die Frage, ob die Aufsichtsbehörden im Rahmen ihres Tätigwerdens die Grenzen der Rechtsaufsicht eingehalten haben, der gerichtlichen Kontrolle, so dass sich auch insofern rechtliche Bedenken gegen ein Verständnis des § 8 Abs.1 StPG im dargelegten Sinne nicht erschließen.
41Soweit anderen Stärkungspaktkommunen seitens der jeweiligen Bezirksregierungen ein Aufschub des Haushaltsausgleichs bis zum Jahr 2017 zugebilligt bzw. in Aussicht gestellt wurde, begegnet die vom Antragsgegner verfügte Bestellung eines Beauftragten auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten keinen rechtlichen Bedenken. Sollten die Fallgestaltungen bei den in Rede stehenden Kommunen mit der vorliegenden überhaupt vergleichbar sein – wobei allerdings schon das Gewähren eines Aufschubs nur bis zum Jahr 2017 einen wesentlichen Unterschied zu dem von der Antragstellerin begehrten Aufschub bis zum Jahr 2018 darstellen dürfte –, wäre die Genehmigung der Haushaltssanierungspläne in diesen Fällen zu Unrecht erfolgt; auf eine Gleichbehandlung im Unrecht hat die Antragstellerin jedoch keinen Anspruch.
42Schließlich ist auch der Umfang der Aufgabenübertragung auf den Beauftragten nicht zu beanstanden. Der Einwand der Antragstellerin, es hätte mangels anderer Möglichkeiten zur Haushaltskonsolidierung genügt, diesem die Befugnis zur Erhöhung der Grund- und Gewerbesteuer zu übertragen, greift nicht durch, da nicht ersichtlich ist, inwiefern sie durch die stattdessen angeordnete Übertragung der Beschlussfassung über den Haushaltssanierungsplan 2014 und über die in § 41 Abs.1 S.2 lit. h) GO NRW genannten Angelegenheiten stärker beschwert sein sollte. Die seitens des Antragsgegners getroffene Regelung ermöglicht es der Antragstellerin in Zusammenschau mit der der Stadtverwaltung belassenen Möglichkeit, die Beschlussfassung über den Haushaltssanierungsplan und die Haushaltssatzung vorzubereiten, vielmehr, doch noch Alternativen zu der von ihr abgelehnten Steuererhöhung zu entwickeln, die sich – auch wenn sie derzeit nicht ersichtlich sein mögen – zumindest in Zukunft ergeben könnten. Abgesehen davon dürften auch im Haushalt der Antragstellerin noch geringfügige Spielräume zur Änderung von Einnahme- oder Ausgabepositionen vorhanden sein, die zu einer entsprechenden Reduzierung des zum Haushaltsausgleich erforderlichen Hebesatzes der Grund- oder Gewerbesteuer genutzt werden könnten.
43Erweist sich der angefochtene Bescheid mithin als offensichtlich rechtmäßig, so liegt darüber hinaus auch ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse vor. Dies ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin die für das laufende Haushaltsjahr aufzustellende Fortschreibung ihres Haushaltssanierungsplans – wie gezeigt ‑ auf einen Haushaltsausgleich im Jahr 2016 auszurichten hat. Die hierfür alsbald erforderlichen Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung könnten indes nicht umgesetzt werden, wenn mangels sofortiger Vollziehbarkeit der angegriffenen Verfügung zunächst über mehrere Jahre eines Hauptsacheverfahrens hinweg die vom Rat der Antragstellerin beabsichtigten Haushalte mit der Planung eines Ausgleichs frühestens in 2018 realisiert würden.
44Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs.1 VwGO.
45Die Streitwertfestsetzung in Höhe der Hälfte des im Hauptsacheverfahren anzusetzenden Streitwerts i.H.v. 15.000 € (vgl. Ziffer 22.5 des Streitwertkatalogs 2013) beruht auf §§ 52 Abs.1, 53 Abs.2 des Gerichtskostengesetzes (GKG).
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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
Tatbestand
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Die Klage richtet sich gegen die Aufhebung eines Satzungsbeschlusses des Rates der Klägerin über die Festsetzung der Hebesätze für die Gewerbesteuer und die Grundsteuer B durch den beklagten Landrat als Kommunalaufsichtsbehörde.
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Die Klägerin ist eine kreisangehörige Gemeinde, die seit 1999 weder über einen ausgeglichenen Haushalt noch über ein genehmigtes Haushaltssicherungskonzept verfügt. Für das Haushaltsjahr 2003 setzte der Beklagte im Wege der Ersatzvornahme die Hebesätze der Klägerin für die Grundsteuer B auf 391 v.H. (im Vorjahr 350 v.H.) und für die Gewerbesteuer auf 413 v.H. (im Vorjahr 400 v.H.) des Steuermessbetrages fest.
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Durch Beschluss vom 5. Juli 2005 senkte der Rat der Klägerin für das Haushaltsjahr 2005 die Hebesätze für die Grundsteuer B auf 350 v.H. und für die Gewerbesteuer auf 400 v.H. des Steuermessbetrages. Nach der auf Anweisung des Beklagten erfolgten Beanstandung des Beschlusses durch den Bürgermeister und nach dem Beschluss des Rates vom 1. September 2005, den beanstandeten Beschluss nicht aufzuheben, hob der Beklagte mit der streitgegenständlichen Verfügung vom 23. Dezember 2005 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den Beschluss des Rates vom 5. Juli 2005 auf.
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Der dagegen von der Klägerin erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 28. Juni 2007 stattgegeben und die Verfügung des Beklagten vom 23. Dezember 2005 aufgehoben.
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Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 130a VwGO mit Beschluss vom 22. Juli 2009 das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die angefochtene Verfügung des Beklagten vom 23. Dezember 2005 sei zu Recht auf § 122 Abs. 1 Satz 2 der Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (GO NRW) gestützt. Der aufgehobene Ratsbeschluss vom 5. Juli 2005 verletze geltendes Recht, weil er gegen § 75 Abs. 3 GO NRW in der gemäß Art. 1 § 9 des Gesetzes über ein Neues Kommunales Finanzmanagement für die Gemeinden im Land Nordrhein-Westfalen vom 16. November 2004 (NKFG NRW) auch nach dem 31. Dezember 2004 noch anwendbaren Fassung (GO NRW a.F.) verstoße, wonach die Gemeinden die Pflicht haben, den Haushalt in jedem Jahr auszugleichen. Wenn der Haushaltsausgleich nicht erreicht werden könne, sei dieser gemäß § 75 Abs. 4 Satz 2 GO NRW a.F. zum nächstmöglichen Zeitpunkt wiederherzustellen. Daraus ergebe sich die haushaltsrechtliche Pflicht für die Gemeinden, alles zu unternehmen, um durch Zurückführung der Ausgaben und Erhöhung der Einnahmen dieses Ziel so schnell wie möglich zu erreichen. Insbesondere beinhalte dies die Pflicht, von Einnahmen mindernden Maßnahmen - wie hier der Senkung der Realsteuerhebesätze - grundsätzlich abzusehen. Diese Pflicht sei allerdings auf das Zumutbare begrenzt. Die Zumutbarkeit des haushaltsrechtlich gebotenen Verhaltens bestimme sich einerseits nach den jeweiligen rechtlichen Vorgaben für das in Rede stehende Tun oder Unterlassen sowie danach, ob das Verhalten auch unter Berücksichtigung des im Rahmen des Grundsatzes sparsamer und wirtschaftlicher Haushaltsführung (§ 75 Abs. 2 GO NRW a.F.) eröffneten Handlungsspielraums der betroffenen Gemeinde geboten sei. Dabei sei der Spielraum umso enger, je größer oder andauernder das Haushaltsdefizit und je unabsehbarer sein Ende sei. Diesen Vorgaben des kommunalen Haushaltsrechts werde der beanstandete Ratsbeschluss der Klägerin vom 5. Juli 2005 nicht gerecht. Mit ihm wäre die Grundsteuer B mit 350 v.H. des Steuermessbetrages und die Gewerbesteuer mit 400 v.H. auf ein Niveau reduziert worden, das im Landesdurchschnitt zuletzt 1994 bzw. 1992 erreicht worden sei. Der Hebesatz für die Grundsteuer B wäre 2005 im Landkreis der niedrigste gewesen; beim Hebesatz für die Gewerbesteuer hätte sich die Klägerin zusammen mit der Gemeinde Dahlem im landkreisinternen Vergleich ebenfalls an der unteren Belastungsgrenze befunden. Für die Klägerin sei es auch zumutbar gewesen, auf die Absenkung zu verzichten. Die Annahme, die beschlossene Senkung der Realsteuerhebesätze werde wegen der damit bewirkten Steigerung der Attraktivität der Klägerin zu höheren Einnahmen führen, sei allenfalls eine Hoffnung, deren tatsächliche Grundlage dünn sei. Denn die Höhe der Realsteuerhebesätze sei regelmäßig nicht der zentrale Grund für die Entscheidung, in welcher Gemeinde sich ein Unternehmen ansiedle bzw. Personen ihren Wohnsitz nähmen. Die Absenkung der Realsteuerhebesätze könne nicht mit dem Hinweis auf die sonstige Abgabenbelastung der Bürger im Bereich der Klägerin, insbesondere mit hohen Entwässerungsgebühren, begründet werden. Weder die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG noch Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG stünden der angefochtenen Verfügung entgegen. Ferner sei ein Verstoß gegen § 25 Abs. 1 GrStG und § 16 Abs. 1 GewStG nicht ersichtlich.
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Gegen den Beschluss hat die Klägerin die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen: Dem Beklagten fehle es an der Kompetenz, auf die Höhe der kommunalen Hebesätze für die Grundsteuer B und die Gewerbesteuer Einfluss zu nehmen. Denn Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG räume allein den Gemeinden das Recht ein, die Hebesätze für diese Steuern im Rahmen der Gesetze festzusetzen. Da der Bundesgesetzgeber im Grundsteuer- und im Gewerbesteuergesetz keine Regelung geschaffen habe, die Landesbehörden eine Reglementierung des originär den Gemeinden zustehenden Rechts zur Bestimmung der Höhe der Hebesätze eröffne, gelte dies auch für den Beklagten als staatliche Kommunalaufsichtsbehörde. Zwar gebe die angefochtene Aufhebungsverfügung des Beklagten nach ihrem Wortlaut der Klägerin keinen exakten Hebesatz vor. Die Verfügung laufe im Ergebnis jedoch darauf hinaus, dass für das Haushaltsjahr 2005 der Hebesatz für die Grundsteuer B auf 391 v.H. und für die Gewerbesteuer auf 413 v.H. des Steuermessbetrages festzusetzen sei. Damit werde der gemeindliche Handlungsspielraum missachtet, obwohl die Festlegung der Hebesätze auch in kritischen Haushaltssituationen immer noch eine - auch für soziale und wirtschaftspolitische Motive offene - kommunale Ermessensentscheidung sei.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beschluss des Oberwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Juli 2009 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 28. Juni 2007 zurückzuweisen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angegriffene Urteil.
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Der Vertreter des öffentlichen Interesses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren, hat jedoch keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung und Anwendung der Regelungen der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung (§ 122 Abs. 1 Satz 2 GO NRW sowie § 75 Abs. 3 und 4 Satz 2 GO NRW a.F.), auf die die angefochtene Verfügung des Beklagten vom 23. Dezember 2005 über die Aufhebung des Ratsbeschlusses vom 5. Juli 2005 gestützt ist, verstößt weder gegen Art. 28 Abs. 2 GG noch gegen Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG i.V.m. § 25 Abs. 1 GrStG und § 16 Abs. 1 GewStG oder gegen sonstiges Bundesrecht.
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Die revisionsgerichtliche Prüfung muss von dem Inhalt der irrevisiblen Vorschriften des Landesrechts ausgehen, den das Berufungsgericht durch Auslegung ermittelt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (§ 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO). Das Revisionsgericht kann insoweit lediglich nachprüfen, ob Bundesrecht - insbesondere Bundesverfassungsrecht - ein anderes Ergebnis gebietet (stRspr; vgl. u.a. Urteile vom 12. November 1993 - BVerwG 7 C 23.93 - BVerwGE 94, 288 = Buchholz 160 Wahlrecht Nr. 38 S. 21 <23 f.> und vom 9. Dezember 2009 - BVerwG 8 C 17.08 - NVwZ 2010, 834 m.w.N.).
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Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen muss gemäß § 75 Abs. 3 GO NRW a.F. der Haushalt einer Gemeinde in jedem Jahr ausgeglichen sein. Wenn der Haushaltsausgleich nicht erreicht werden kann, ist dieser gemäß § 75 Abs. 4 Satz 2 GO NRW a.F. zum nächstmöglichen Zeitpunkt wiederherzustellen. Das Berufungsgericht hat die Vorschrift dahin ausgelegt, dass sich daraus für die Klägerin in ihrer angespannten Haushaltssituation die Pflicht ergibt, alles zu unternehmen, um durch Zurückführung der Ausgaben und Erhöhung der Einnahmen dieses Ziel im Rahmen des Zumutbaren so schnell wie möglich zu erreichen. Das haushaltsrechtlich gebotene Verhalten bestimmt sich dabei einerseits nach den jeweiligen rechtlichen Vorgaben für das in Rede stehende Tun oder Unterlassen sowie danach, ob das Verhalten auch unter Berücksichtigung des im Rahmen des Grundsatzes sparsamer und wirtschaftlicher Haushaltsführung (§ 75 Abs. 2 GO NRW a.F.) eröffneten Handlungsspielraums der Gemeinde zumutbar ist, wobei dieser Spielraum um so enger ist, je größer oder andauernder das Haushaltsdefizit und je unabsehbarer sein Ende ist. Daraus hat das Berufungsgericht die weitere Schlussfolgerung gezogen, dass in der Haushaltssituation, in der sich die Klägerin im Haushaltsjahr 2005 befand, von die Einnahmen mindernden Maßnahmen - wie hier der Senkung der Realsteuerhebesätze - grundsätzlich abzusehen ist. Der Ratsbeschluss der Klägerin vom 5. Juli 2005 wird nach den Feststellungen des Berufungsgerichts diesen Anforderungen nicht gerecht und verstößt damit gegen das zum maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens der Verfügung des Beklagten vom 23. Dezember 2005 geltende Recht, so dass dieser ihn deshalb nach § 122 Abs. 1 Satz 2 GO NRW zu Recht aufgehoben hat.
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Diese Annahme verletzt weder Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG noch die der Klägerin durch Art. 28 Abs. 2 GG garantierte gemeindliche Selbstverwaltung in Gestalt ihrer kommunalen Finanzhoheit. Sie stellt auch keinen unverhältnismäßigen Eingriff in diese Rechte dar.
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Nach Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG ist den Gemeinden das Recht einzuräumen, die Hebesätze der Grundsteuer und der Gewerbesteuer im Rahmen der Gesetze festzusetzen. Nach Art. 105 Abs. 2 GG hat der Bund - neben der nach § 105 Abs. 1 GG ihm zugewiesenen Gesetzgebung über die Zölle und Finanzmonopole - für die "übrigen Steuern" die Kompetenz zur konkurrierenden Gesetzgebung, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen. Das Aufkommen der beiden Steuern steht nicht nach Art. 106 Abs. 1 GG dem Bund, sondern nach Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG den Gemeinden zu, so dass der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nur nach Maßgabe des Art. 72 Abs. 2 GG Gebrauch machen durfte, was er mit dem Grundsteuergesetz und dem Gewerbesteuergesetz getan hat. Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken dagegen bestehen im Hinblick auf Art. 72 Abs. 2 GG oder andere Regelungen des Grundgesetzes nicht (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2010 - 2 BvR 2185/04, 2 BvR 22 BvR 2189/04 - DVBl 2010, 509 = juris Rn. 56 ff.). Der Bundesgesetzgeber ist durch § 25 Abs. 1 GrStG und § 16 Abs. 1 GewStG dem Gesetzgebungsauftrag des Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG nachgekommen, wonach den Gemeinden das Recht einzuräumen ist, die Hebesätze der Grundsteuer und der Gewerbesteuer im Rahmen der Gesetze festzusetzen.
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Das durch Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG i.V.m. § 25 Abs. 1 GrStG und § 16 Abs. 1 GewStG eingeräumte Hebesatzrecht dient der Sicherung einer angemessenen Finanzausstattung der Gemeinden. Einerseits ermöglicht es ihnen, Unterschiede in der Belastung und in der Ergiebigkeit der zugewiesenen Steuerquellen auszugleichen. Die Gemeinden sollen die Möglichkeit haben, ihre Einnahmen durch Anhebung der Gewerbesteuer an den Finanzbedarf anzupassen und damit angesichts wachsender Haushaltslasten handlungsfähig zu bleiben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2010 a.a.O. juris Rn. 86 m.w.N.). Die Gewährleistung des Hebesatzrechts ermöglicht andererseits aber auch eine Anpassung nach unten und damit den Einsatz niedriger Hebesätze im interkommunalen Wettbewerb um die Ansiedlung von Unternehmen. In dem Spannungsverhältnis zwischen dem Streben nach einem möglichst hohen Niveau der öffentlichen Leistungen und einer möglichst niedrigen Steuerbelastung, das bei der Einführung der Verfassungsgarantie des gemeindlichen Hebesatzrechts als unentbehrlich für eine eigenverantwortliche Selbstverwaltung hervorgehoben wurde (vgl. BTDrucks V/2861 S. 39 Nr. 183), wird das Streben nach einer möglichst niedrigen Steuerbelastung gerade durch die Bedeutung der Gewerbesteuerbelastung im Standortwettbewerb befördert (BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2010 a.a.O. juris Rn. 86).
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Die durch Bundesrecht in Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG in Verbindung mit den Ausführungsregelungen in § 16 Abs. 1 GewStG und § 25 Abs. 1 GrStG erfolgte Zuweisung der ausschließlichen Kompetenz der Gemeinden zur Festsetzung der Hebesätze für die Gewerbe- und die Grundsteuer ist vom Bundesgesetzgeber in beiden Gesetzen allerdings in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt worden. So hat er für die Gewerbesteuer einen Mindesthebesatz von 200 v.H. des Steuermessbetrages vorgeschrieben (§ 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG). Die Gemeinden dürfen damit weder auf die Erhebung der Gewerbesteuer verzichten noch einen den Mindesthebesatz unterschreitenden Hebesatz festsetzen. Ausweislich der Gesetzesbegründung dienten die Einführung der Pflicht zur Erhebung der Gewerbesteuer und die Normierung eines Mindesthebesatzes vor allem der Vermeidung von "Gewerbesteueroasen" sowie der Verhinderung von Ausfällen bei der Gewerbesteuerumlage (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2010 a.a.O. juris Rn. 95 ff. unter Verweis auf BTDrucks 15/481 S. 16; BTDrucks 15/1517 S. 17, 19; Protokoll der 786. Sitzung des Bundesrates vom 14. März 2003, S. 48). Andererseits werden die Bundesländer ermächtigt, sowohl für die Grundsteuer als auch für die Gewerbesteuer einen das Hebesatzrecht der Gemeinden begrenzenden Höchsthebesatz zu normieren (§ 16 Abs. 5 GewStG, § 26 GrStG). Das ist nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen in Nordrhein-Westfalen bisher nicht geschehen. Des Weiteren ist in den beiden Bundesgesetzen als letzter Zeitpunkt für den Fall einer Erhöhung des Hebesatzes verbindlich der 30. Juni eines Jahres festgelegt (§ 16 Abs. 3 GewStG, § 25 Abs. 3 GrStG). Außerdem ist in beiden Bundesgesetzen näher bestimmt, inwieweit bei der Erhebung von Grund- und Gewerbesteuern Differenzierungen zwischen Unternehmen, Betrieben bzw. Grundstücken zulässig sind (§ 16 Abs. 4 Satz 1 GewStG, § 25 Abs. 4 Satz 1 GrStG). Schließlich gestatten das Gewerbe- und das Grundsteuergesetz den Ländern bei Gebietsänderungen, vorübergehend verschiedene Hebesätze innerhalb des Hoheitsgebiets einer Gemeinde zuzulassen (§ 16 Abs. 4 Satz 3 GewStG, § 25 Abs. 4 Satz 2 GrStG). Weitergehende Beschränkungen des den Gemeinden im Rahmen der Gesetze gewährleisteten Rechts zur Festsetzung der Hebesätze für die Grundsteuer und für die Gewerbesteuer lassen sich beiden Bundesgesetzen nicht entnehmen.
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Nach Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG ist das Hebesatzrecht für die Grund- und die Gewerbesteuer den Gemeinden allerdings nur "im Rahmen der Gesetze" gewährleistet. Dies entspricht der Regelung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2010 a.a.O. juris Rn. 77 m.w.N.), der den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln, ebenfalls nur im Rahmen der Gesetze garantiert. Das in Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG i.V.m. § 16 Abs. 1 GewStG und § 25 Abs. 1 GrStG den Gemeinden gewährleistete Hebesatzrecht für die Grundsteuer und die Gewerbesteuer ist eine spezielle Ausprägung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie und konkretisiert diese. Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie unterliegt normativer Prägung durch den Gesetzgeber, der sie inhaltlich ausformen und begrenzen darf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 1994 - 2 BvR 445/91 - BVerfGE 91, 228 <240> m.w.N.). Die im Rahmen der Gesetze garantierte finanzielle Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden stellt sich als notwendiges Korrelat zur verfassungsrechtlich gewährleisteten eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung dar (Knemeyer, Der Städtetag, 1988, 330 <331>; Corsten, Der Gemeindehaushalt, 1990, 57 <58>). Die kommunale Finanzhoheit besteht jedoch nicht darin, dass die Gemeinde nach Belieben frei schalten kann, sondern darin, dass sie verantwortlich disponiert und bei ihren Maßnahmen auch ihre Stellung innerhalb der Selbstverwaltung des modernen Verwaltungsstaates und die sich daraus ergebende Notwendigkeit des Finanzausgleichs in Betracht zieht (BVerfG, Beschluss vom 21. Mai 1968 - 2 BvL 2/61 - BVerfGE 23, 353 = juris Rn. 57). Daran hat die durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994 (BGBl I S. 3146) erfolgte Ergänzung des Art. 28 Abs. 2 GG um einen Satz 3 ("Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfasst auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung.") nichts geändert. Mit dieser Regelung, die auf eine Empfehlung der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat zurückgeht (BTDrucks 12/6000 S. 46 ff.), sollten nach der Vorstellung des verfassungsändernden Gesetzgebers keine über die im Grundgesetz verankerte Finanzverfassung hinausgehenden finanziellen Absicherungen geschaffen werden (vgl. BTDrucks 12/6000 S. 1 <48>; Schwarz, Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, 1996, S. 44). Der kommunalen Finanzhoheit sollte allerdings ein ausdrücklicher Stellenwert eingeräumt und diese damit gestärkt werden (BTDrucks 12/6633 S. 7). Vor dem Hintergrund gewachsener Belastungen der Gemeinden bei der Erfüllung ihrer vielfältigen staatlichen Aufgaben sollte so klargestellt werden, dass die finanzielle Eigenverantwortung zum Recht auf kommunale Selbstverwaltung gehört (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2010 a.a.O. juris Rn. 70 unter Berufung auf den Abschlussbericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BTDrucks 12/6000 S. 46). Die durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 28 und Art. 106) vom 20. Oktober 1997 (BGBl I S. 2470) erfolgte Einfügung eines weiteren Halbsatzes in Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG ("zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle") garantiert den Gemeinden über Art. 106 Abs. 2 Satz 2 GG hinaus, dass die wirtschaftskraftbezogene Gewerbesteuer nicht abgeschafft wird, ohne dass die Gemeinden an ihrer Stelle eine andere wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle mit Hebesatzrecht erhalten. Die kommunale Finanzautonomie sollte so durch die Garantie des Bestandes der Gewerbeertragsteuer oder einer anderen an der Wirtschaftskraft orientierten Steuer mit Verfassungsrang gewährleistet werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2010 a.a.O. juris Rn. 71 unter Berufung auf BTDrucks 13/8488 S. 5; 13/8340 S. 2).
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Die verfassungsrechtlich in dieser Weise geschützte kommunale Selbstverwaltungsfreiheit kann allerdings vom Gesetzgeber beschränkt werden. Hinsichtlich des den Gemeinden in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten Rechts zur Aufgabenerledigung "in eigener Verantwortung" ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut, dass dieses nur "im Rahmen der Gesetze" besteht. Demnach genießen die gemeindlichen Selbstverwaltungskörperschaften einerseits zwar die durch Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistete kommunale Autonomie. Andererseits müssen sie jedoch den Vorrang der staatlichen Gesetze beachten. Der sowohl in Art. 28 Abs. 2 GG als auch in Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG normierte Gesetzesvorbehalt gilt auch für die kommunale Finanzhoheit als Teil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie (vgl. dazu BVerfG, Entscheidungen vom 21. Mai 1968 - 2 BvL 2/61 - BVerfGE 23, 353 <369>, vom 10. Juni 1969 - 2 BvR 480/61 - BVerfGE 26, 172 <181>, vom 24. Juni 1969 - 2 BvR 446/64 - BVerfGE 26, 228 <244>, vom 24. Juli 1979 - 2 BvK 1/78 - BVerfGE 52, 95 <117> und vom 15. Oktober 1985 - 2 BvR 1808/82, 2 BvR 1809/82, 2 BvR 1810/82 - BVerfGE 71, 25 <36>), die die Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens beinhaltet (vgl. u.a. BVerfG; Entscheidung vom 24. Juni 1969 - 2 BvR 446/64 - a.a.O. <244>).
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Das Recht auf gemeindliche Selbstverwaltung einschließlich der kommunalen Finanzautonomie steht allerdings nicht zur vollständigen Disposition des einfachen Gesetzgebers (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 27. Januar 2010 a.a.O. juris Rn. 91 und vom 23. November 1988 - 2 BvR 1619/83, 2 BvR 1628/83 - BVerfGE 79, 127 <143>). Es ist in seinem Kern gesetzgebungsfest gewährleistet. Dem beschränkenden Zugriff des Gesetzgebers sind insoweit verfassungsrechtliche Schranken gesetzt. Die durch Art. 28 Abs. 2 GG garantierten wesentlichen Hoheitsrechte, die der Staat den Gemeinden im Interesse einer funktionsgerechten Aufgabenwahrnehmung gewährleistet, darunter die Finanzhoheit, müssen den Gemeinden im Kern erhalten bleiben (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Juli 1979 a.a.O. <117>). Der Gesetzgeber darf nicht in den Kernbereich der gemeindlichen Selbstverwaltung eingreifen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2010 a.a.O. juris Rn. 91 unter Verweis auf BVerfGE 79, 127 <143>; 83, 363 <381>; 91, 228 <238>; 107, 1 <2>; stRspr). Was zu dem Bereich gehört, der verfassungskräftig gegen jede Schmälerung durch gesetzgeberische Eingriffe geschützt ist, lässt sich nicht abstrakt-allgemein umschreiben, sondern ergibt sich einmal aus der geschichtlichen Entwicklung und sodann aus den verschiedenen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung (BVerfG, Entscheidungen vom 10. Juni 1969 a.a.O. juris Rn. 31, vom 26. November 1963 - 2 BvL 12/62 - BVerfGE 17, 172 <182> = juris Rn. 38 m.w.N. und vom 27. Januar 2010 a.a.O. juris Rn. 92 m.w.N.). Den absoluten Schutz der Kernbereichsgarantie genießt jedoch nicht jede einzelne Ausformung der den Gemeinden durch Art. 28 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 6 GG garantierten Hoheitsrechte (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 7. Mai 2001 - 2 BvK 1/00 - BVerfGE 103, 332 <366> und vom 27. Januar 2010 a.a.O. juris Rn. 93; Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 11. Aufl. 2008, Art. 28 Rn. 78). Der Kernbereich ist dann verletzt, wenn das Recht auf kommunale Selbstverwaltung beseitigt wird oder kein hinreichender Spielraum für seine Ausübung mehr übrig bleibt (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 7. Mai 2001 a.a.O. <366> und vom 27. Januar 2010 a.a.O. juris Rn. 93; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl. 2009, Art. 28 Rn. 22; Mückl, Finanzverfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Selbstverwaltung, 1998, S. 59; Stern, Staatsrecht Bd. I, 2. Aufl. 1984, § 12 II 4, S. 416).
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Außerdem unterliegt der Gesetzgeber bei Beschränkungen der Gewährleistung der gemeindlichen Selbstverwaltung und der kommunalen Finanzhoheit dem verfassungsrechtlichen Gebot zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (BVerfG, Entscheidungen vom 24. Juni 1969 a.a.O. <241>, vom 7. Oktober 1980 - 2 BvR 584/76, 2 BvR 598/76, 2 BvR 599/76, 2 BvR 604/76 - BVerfGE 56, 298 <313>, vom 23. Juni 1987 - 2 BvR 826/83 - BVerfGE 76, 107 <121 ff.> sowie vom 27. Januar 2010 a.a.O. juris Rn. 94 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 4. August 1983 - BVerwG 7 C 2.81 - BVerwGE 67, 321 = DVBl 1983, 1152 f. = juris Rn. 13 und 20; von Mutius, Kommunalrecht, 1996, Rn. 866; Knemeyer, JuS 2000, 521 <522>; Franz, JuS 2004, 937; Schmidt-Assmann, Kommunale Selbstverwaltung "nach Rastede", Festschrift für Horst Sendler, 1991, S. 121 <132>; Selmer/Hummel, NVwZ 2006, S. 14 <18 ff.>). Wie die Selbstverwaltungsgarantie im Allgemeinen und die Finanzhoheit als eines ihrer wesentlichen Elemente darf auch das in Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG und in Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG gewährleistete Hebesatzrecht nicht unverhältnismäßig beschränkt werden. Beschränkungen müssen danach zur Erreichung eines nach dem Grundgesetz zulässigen Zwecks geeignet sowie erforderlich und (im engeren Sinne) verhältnismäßig sein.
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Unter den in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG normierten Gesetzesvorbehalt fallen (auch) gesetzliche Regelungen des Landesrechts, wie sie nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in Nordrhein-Westfalen für den Bereich der kommunalen Haushaltswirtschaft in § 75 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 2 GO NRW a.F. sowie für die staatliche Kommunalaufsicht in § 122 Abs. 1 Satz 2 GO NRW bestehen. Das ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Die staatliche Rechtsaufsicht über die Gemeinden ist ein von Verfassungs wegen vorgesehenes Korrelat der kommunalen Selbstverwaltung. Nach der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes steht die staatliche Aufsicht über die Gemeinden ausschließlich dem jeweiligen Bundesland zu. Bei der Wahrnehmung der Aufgaben des eigenen Wirkungskreises der Gemeinden, zu denen jedenfalls freiwillige Selbstverwaltungsangelegenheiten sowie pflichtige, aber weisungsfreie Selbstverwaltungsaufgaben gehören, unterliegen die Kommunen nur der staatlichen Rechts-, jedoch keiner Fachaufsicht. Eine über die Rechtmäßigkeitskontrolle hinausgehende Zweckmäßigkeitskontrolle mit Weisungsrechten der staatlichen Kommunalaufsichtsbehörden wäre mit der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG und der kommunalen Finanzhoheit nicht zu vereinbaren. Dass die Staatsaufsicht in Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Kommunen auf die Kontrolle der Gesetzmäßigkeit (Rechtsaufsicht) beschränkt ist, ist in der Regel in den Landesverfassungen und in den Gemeindeordnungen der Bundesländer ausdrücklich angeordnet. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist dies in Nordrhein-Westfalen nach Maßgabe des Art. 78 Abs. 4 Satz 1 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen in § 122 Abs. 1 GO NRW angeordnet.
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Der aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Selbstverwaltungsrechts und der Finanzhoheit der Gemeinden resultierende Gestaltungsspielraum wird nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in Nordrhein-Westfalen durch die in § 75 Abs. 3 und 4 Satz 2 GO NRW a.F. geregelte Pflicht beschränkt, einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen und gegebenenfalls den Haushaltsausgleich zum nächstmöglichen Zeitpunkt wieder herbeizuführen. Die Annahme des Berufungsgerichts, dies schränke das Recht der Gemeinden zur Senkung der Hebesätze in Fällen einer schweren Haushaltsnotlage von unabsehbarer Dauer ein, ist weder verfassungsrechtlich zu beanstanden noch verstößt sie gegen sonstiges Bundesrecht.
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Die Erfüllung der den Gemeinden nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in § 75 Abs. 4 Satz 2 GO NRW a.F. auferlegten rechtlichen Verpflichtung, im Falle eines unausgeglichenen Haushalts den Haushaltsausgleich zum nächstmöglichen Zeitpunkt wiederherzustellen, ist auf der Einnahmeseite nicht nur von Art und Höhe der Erhebung kommunaler Gebühren und Beiträge sowie der Gemeinde zustehender Steuern wie der Gewerbe- und Grundsteuer abhängig. Vielmehr wird diese Einnahmesituation entscheidend auch von den Finanzzuweisungen des Landes (Schlüsselzuweisungen, zweckgebundene Zuweisungen, Sonderbedarfszuweisungen) beeinflusst. Ebenso wird auch die kommunale Ausgabenseite in starkem Maße von den den Kommunen durch Bund und Land auferlegten (Pflicht-)Aufgaben mitgeprägt. Wegen der in Art. 28 Abs. 2 GG erfolgten verfassungsrechtlichen Gewährleistung der gemeindlichen Selbstverwaltung und kommunalen Finanzhoheit ist es daher grundsätzlich Aufgabe des Rates und der Verwaltung einer Gemeinde, alle notwendigen Maßnahmen - sowohl auf der Ertrags- als auch auf der Aufwandsseite - zu ergreifen, um den gesetzlich vorgegebenen Haushaltsausgleich zu erreichen. Innerhalb des den Gemeinden zustehenden Gestaltungsspielraums ist es der Kommunalaufsicht deshalb grundsätzlich untersagt, der Gemeinde im Falle eines unausgeglichenen Haushalts alternativlos vorzuschreiben, was sie zu tun hat. Auch wenn die Finanzlage der betreffenden Gemeinde sehr angespannt und unter Umständen selbst die Erfüllung der Pflichtaufgaben nicht mehr sichergestellt ist, liegt es innerhalb des Gestaltungsspielraums der Gemeinde, durch ihre demokratisch gewählten Organe zu entscheiden, wie die notwendige Reduzierung freiwilliger Leistungen und die Erzielung zusätzlicher Einnahmen (z.B. durch Abgaben und Steuern) erfolgen soll.
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Auf der Ausgabenseite ist die Aufsichtsbehörde grundsätzlich darauf beschränkt, eine Reduzierung der Mittel für freiwillige Leistungen der Gemeinde insgesamt anzumahnen, ohne ein konkretes Mittel oder einzelne geförderte Projekte für die gebotene Einsparung vorzuschreiben (BayVGH, Urteil vom 27. Mai 1992 - 4 B 91.190 - NVwZ-RR 1993, 373 <375> = juris Rn. 22; Brüning, DÖV 2010, 553 <557>). Entsprechendes muss angesichts der verfassungsrechtlichen Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung für Anordnungen der Kommunalaufsicht hinsichtlich der Einnahmeseite gelten, also für die Entscheidung über die zu ergreifenden Maßnahmen zur Erhöhung der kommunalen Einnahmen und Erträge.
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Die staatliche Kommunalaufsichtsbehörde ist jedoch - unabhängig von der Frage einer aufgabenadäquaten Finanzausstattung der Gemeinde durch das Land - bei sachgerechter Ausübung des ihr zustehenden Entschließungs- und Auswahlermessens im Rahmen der Rechtsaufsicht befugt, bei Nichterfüllung einer der Gemeinde obliegenden rechtlichen Verpflichtung einzugreifen und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots eine gegen diese Verpflichtung verstoßende Maßnahme zu beanstanden und aufzuheben. Unter welchen Voraussetzungen im Rahmen der Rechtsaufsicht auch weitergehende Eingriffe der staatlichen Kommunalaufsichtsbehörden in die gemeindliche Selbstverwaltung und kommunale Finanzhoheit in Betracht kommen, bedarf hier keiner näheren Prüfung und Entscheidung.
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Weder Art. 28 Abs. 2 noch Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG i.V.m. § 6 Abs. 1 GewStG und § 25 Abs. 1 GrStG schließen eine Beanstandung der Senkung der Hebesätze für die Grund- und die Gewerbesteuer aus, wenn die betreffende Gemeinde sich in einer anhaltenden Haushaltsnotlage befindet und das von ihr vorgelegte - gesetzlich vorgeschriebene - Haushaltssicherungskonzept nicht erkennen lässt, wie der durch die Hebesatzabsenkung unmittelbar bewirkte Einnahmeverlust hinreichend verlässlich ausgeglichen werden soll. In einer solchen Situation darf die betroffene Gemeinde die Hebesätze nicht auf ein deutlich niedrigeres Niveau festsetzen, wenn ein Ausgleich des Einnahmeausfalls weder konkret in der Haushaltsplanung vorgesehen noch hinreichend konkret absehbar ist.
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Eine solche Beschränkung des Rechts zur Festsetzung der Hebesätze für die Grund- und für die Gewerbesteuer wahrt den Kernbereich des in Art. 28 Abs. 2 GG gewährleisteten gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts und der kommunalen Finanzhoheit. Denn es belässt weiterhin der Gemeinde die Entscheidung, wie der Haushaltsausgleich angestrebt und erreicht werden soll. Reichen die Einnahmen nicht aus, um die zur Erfüllung der Aufgaben der Gemeinde erforderlichen Ausgaben zu decken (sog. kameralistischer Rechnungsstil) oder deckt der Gesamtbetrag der Erträge nicht die Höhe des Gesamtbetrages der Aufwendungen (neues Rechnungswesen), ist zu prüfen, inwieweit der Ausgleich durch Beschränkung der Ausgaben bzw. der Aufwendungen oder Erhöhung der Einnahmen bzw. Erträge herbeigeführt werden kann. Die angefochtene kommunalaufsichtliche Verfügung des Beklagten belässt der Klägerin den notwendigen grundsätzlichen Gestaltungsspielraum, da keine konkreten Vorgaben für die Zurückführung bestimmter Ausgaben/Aufwendungen und die Erhöhung bestimmter Einnahmen/Erträge erteilt werden. Sie beanstandet allein, dass die von dem Rat der Klägerin beschlossene Senkung der Hebesätze für die Grund- und für die Gewerbesteuer in einer anhaltenden Haushaltsnotlage der Klägerin vorgenommen wurde, obwohl ein Ausgleich des damit bewirkten Einnahmeausfalls, der nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung im Haushaltsjahr 2005 ca. 300 000 € betrug, weder konkret in die Haushaltsplanung eingestellt noch auf der Basis eines genehmigungsfähigen Haushaltssicherungskonzepts für die Folgejahre in nachvollziehbarer Weise hinreichend verlässlich absehbar war.
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Die angefochtene kommunalaufsichtliche Verfügung des Beklagten schränkt die gemeindliche Finanzhoheit und das daraus fließende Hebesatzrecht auch nicht unverhältnismäßig ein.
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Sie ist ersichtlich auf das Ziel ausgerichtet, Einnahmeausfälle im Haushalt der Klägerin zu unterbinden, solange deren Ausgleich durch anderweitige Einnahmeerhöhungen und/oder Ausgabenminderungen nicht in hinreichendem Maße absehbar ist. Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen verfügt die Klägerin seit 1999 weder über einen ausgeglichenen Haushalt noch über ein genehmigtes Haushaltssicherungskonzept gemäß § 75 Abs. 4 Satz 1 GO NRW a.F. Sie befand sich im maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens der angegriffenen Verfügung des Beklagten seit Jahren im Zustand vorläufiger Haushaltsführung. Das vom Rat der Klägerin zusammen mit der Haushaltssatzung für das Haushaltsjahr 2005 am 31. Mai 2005 beschlossene und dem Beklagten vorgelegte Haushaltssicherungskonzept wurde lediglich für die Jahre 2004 bis 2008 erstellt. Bei der Beschlussfassung über die Senkung der Hebesätze am 5. Juli 2005 erfolgte insoweit keine Änderung. Das vorliegende Haushaltssicherungskonzept war nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen auch nicht genehmigungsfähig, weil aus ihm entgegen § 75 Abs. 4 GO NRW a.F bzw. § 76 GO NRW a.F. jedenfalls nicht hervorging, dass spätestens im auf das Haushaltsjahr 2005 folgenden vierten Jahr (= 2009) die Einnahmen die Ausgaben (ohne Abdeckung von Fehlbeträgen aus Vorjahren) decken werden. Auch der Bürgermeister der Klägerin hatte danach das vorgelegte Haushaltssicherungskonzept nicht für genehmigungsfähig gehalten. Wenn der Rat der Klägerin auf dieser gesetzwidrigen Grundlage eine Senkung der Hebesätze für die Grundsteuer B und für die Gewerbesteuer beschloss, ohne die sich daraus ergebenden Konsequenzen für ihre Einnahmesituation und den notwendigen Haushaltsausgleich hinreichend zu ermitteln und in das vom Gesetz vorgeschriebene Haushaltssicherungskonzept einzustellen, konnte das Berufungsgericht ohne Bundesrechtsverstoß die Rechtswidrigkeit dieses Handelns feststellen. Die Unterbindung eines solchen rechtswidrigen Verhaltens der Klägerin ist ein nach dem Grundgesetz zulässiges, ja gebotenes Ziel der staatlichen Kommunalaufsicht.
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Die angefochtene Verfügung des Beklagten war auch geeignet, zur Erreichung dieses Zieles beizutragen. Denn sie bewirkte jedenfalls, dass wenigstens die durch die Hebesatzsenkungen unmittelbar veranlassten Einnahmeausfälle, die sich nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Haushaltsjahr 2005 in einer Größenordnung von etwa 300 000 € bewegten und deren Ausgleich nicht hinreichend verlässlich absehbar war, vermieden wurden.
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Eine gleichermaßen wirksame, die Klägerin weniger belastende Maßnahme ist nicht ersichtlich. Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen beruht die Annahme der Klägerin, die beschlossene Senkung der Realsteuerhebesätze werde wegen der damit bewirkten Steigerung der Standortattraktivität der Klägerin zu höheren Einnahmen führen, auf vagen Hoffnungen, deren tatsächliche Grundlage "dünn", also unzureichend ist. Die prognostischen Grundlagen der nach dem Vorbringen der Klägerin mit der beschlossenen Senkung der Hebesätze angestrebten Verbesserung ihrer Standortattraktivität und ihrer Haushaltsnotlage sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts weder dem Beklagten als Kommunalaufsichtsbehörde dargelegt worden noch sonst ersichtlich. Diese berufungsgerichtlichen Feststellungen hat die Klägerin im Revisionsverfahren nicht angegriffen.
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Eine Rüge mangelnder Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) ist nicht ordnungsgemäß erhoben worden. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zudem auf Befragen bestätigt, dass nach seiner Kenntnis seitens der Klägerin keine näheren Untersuchungen oder Erhebungen über die konkreten Auswirkungen der für das Haushaltsjahr 2005 von ihrem Rat beschlossenen Senkung der Hebesätze auf den Haushaltsausgleich erstellt worden sind und vorliegen.
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Die auf § 122 Abs. 1 Satz 2 GO NRW gestützte Verfügung des Beklagten beschränkt das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht und die kommunale Finanzhoheit der Klägerin zudem ersichtlich weniger gravierend als eine Festsetzung der Hebesätze im Wege der Ersatzvornahme oder die Bestellung eines Beauftragten der Kommunalaufsicht nach § 123 Abs. 2 GO NRW. Denn sie hebt zwar die erfolgte Senkung der Hebesätze für das Haushaltsjahr 2005 auf, belässt jedoch im Übrigen der Klägerin die weitere Entscheidung darüber, mit welchen anderen Mitteln der Haushaltsausgleich zum nächstmöglichen Zeitpunkt wiederhergestellt werden soll. Anders als bei der Bestellung eines Beauftragten nach § 124 GO NRW durch die Kommunalaufsichtsbehörde verbleibt den zuständigen Organen der Klägerin weiterhin das Recht, die ihnen zustehenden gesetzlichen Befugnisse eigenverantwortlich auszuüben.
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Die angefochtene Verfügung ist im Hinblick auf das angestrebte gesetzlich vorgegebene Ziel, zum Haushaltsausgleich der Klägerin zum nächstmöglichen Zeitpunkt beizutragen, auch nicht unverhältnismäßig im engeren Sinne. Es bleibt weiterhin der Klägerin überlassen, die - mit Ausnahme der aufgehobenen, für das Haushaltsjahr 2005 beschlossenen Senkung der Hebesätze - aus ihrer Sicht gebotenen Maßnahmen zum Haushaltsausgleich zu prüfen und zu treffen sowie in die Haushaltsplanung (Haushaltssicherungskonzept) einzustellen. Indem der Beklagte sich auf die Aufhebung des Beschlusses der Klägerin über die Senkung der Hebesätze beschränkt und gerade nicht angeordnet hat, welche konkrete(n) Maßnahme(n) zur Wiederherstellung des Haushaltsausgleichs getroffen werden sollen, hat er den Gestaltungsspielraum der Klägerin anerkannt und respektiert.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.
(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.
(4) In Verfahren
- 1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro, - 2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro, - 3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und - 4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.
(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert
- 1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, - 2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.
(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.
(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:
- 1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen, - 2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts, - 3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung), - 4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und - 5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.
(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:
- 1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung, - 2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung, - 3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung, - 4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und - 5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.