Verwaltungsgericht Aachen Urteil, 24. Aug. 2015 - 2 K 2738/13.A
Tenor
Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung der Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 9. Oktober 2013 verpflichtet, festzustellen, dass im Falle der Klägerin hinsichtlich Nigeria ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt. Ziffer 4 des Bescheides vom 9. Oktober 2013 wird aufgehoben, soweit damit die Abschiebung nach Nigeria angedroht wird.
Die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen die Beklagte zu ¼ und die Klägerin zu ¾.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
T a t b e s t a n d :
2Die am 00.00.0000 in N. geborene Klägerin ist nigerianische Staatsangehörige. Ihre Mutter ist die am 00.00.0000 geborene nigerianische Staatsangehörige B. C. N1. , die am 15. Juni 2012 Gewährung von Asyl beantragte und Klägerin des vor dem erkennenden Gericht anhängigen Verfahrens 2 K 1785/14.A ist. Mit Urkunde vom 2. September 2013 hat der am 00.00.0000 in Kaduna/Nigeria geborene K. P. , der wohnhaft in München ist sowie ledig und Inhaber eine Aufenthaltserlaubnis ist, die Vaterschaft mit Zustimmung der Mutter der Klägerin anerkannt. Das Standesamt N. lehnte allerdings mit Bescheid vom 13. Oktober 2014 die Eintragung des Herrn K. P. als Kindesvater in das Geburtsregister ab, da die Vaterschaftsanerkennung wegen erheblicher Indizien für eine Ehe der Mutter der Klägerin in Nigeria nicht wirksam sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrens zur Vaterschaftsanerkennung wird Bezug genommen auf den Inhalt des genannten Klageverfahrens der Mutter der Klägerin.
3Unter dem 23. Juli 2012 zeigte die Ausländerbehörde des Kreises Heinsberg gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Geburt der Klägerin an. Mit Schreiben vom 1. August 2012 teilte das Bundesamt der Mutter der Klägerin mit, dass ein Asylverfahren gemäß § 14a des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) eingeleitet worden ist. Zugleich gab das Bundesamt Gelegenheit, auf die Durchführung eines Asylverfahrens zu verzichten bzw. andernfalls Asylgründe binnen eines Monats darzulegen.
4Mit Bescheid vom 9. Oktober 2013 ‑ zugestellt am 21. Oktober 2013 ‑ lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorlägen. Ferner stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorlägen. Das Bundesamt forderte die Klägerin unter Fristsetzung zur Ausreise auf; ihr wurde für den Fall der Nichtausreise die Abschiebung nach Nigeria angedroht.
5Die Klägerin hat am 28. Oktober 2013 Klage erhoben und sich zur Begründung auf das Vorbringen ihrer Mutter in deren Asylverfahren bezogen. Ihr drohe ebenfalls aufgrund des "Ehebruchs der Mutter" Gefahr für Leib und Leben bei einer Rückkehr nach Nigeria.
6Nach teilweiser Zurücknahme der Klage beantragt die Klägerin noch,
7unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 9. Oktober 2013 festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes für ihre Person bezüglich Nigeria vorliegt.
8Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Zur Begründung bezieht sie sich auf die Gründe des angefochtenen Bescheides.
11Der Rechtsstreit ist auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen worden. Diese hat die Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung angehört. Diesbezüglich wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach‑ und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, des Gerichtsakte 2 K 1785/14.A (Mutter der Klägerin) und der hierzu überreichten Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der zuständigen Ausländerbehörde. Ferner wird verwiesen auf die mit der Ladung übersandte Liste der Auskünfte, Stellungnahmen und Gutachten über die Lage in Nigeria (sog. Erkenntnisliste).
13Entscheidungsgründe:
14Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten zur mündlichen Verhandlung über den Rechtsstreit entscheiden, da die Beteiligten darauf bei der Ladung hingewiesen worden sind, § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
15Soweit die Klägerin die Klage (hinsichtlich des Asylantrags, der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Feststellung von unionsrechtlichen Abschiebungsverboten nach nunmehr § 4 AsylVfG - zuvor: § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes a.F. – AufenthG -) zurückgenommen hat, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
16Die noch hinsichtlich der Feststellung nationaler Abschiebungsverbote anhängige Klage ist begründet.
17Der Ablehnungsbescheid des Bundesamtes vom 9. Oktober 2013 ist rechtswidrig, soweit mit Ziffer 3 des Bescheides das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für die Person der Klägerin verneint wird und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 4 des Bescheides ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit der Klägerin darin die Abschiebung in das Zielland Nigeria angedroht wird. Sie ist daher in diesem Umfang aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
18Der hier noch streitgegenständliche nationale Abschiebungsschutz stellt nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I 2007, 1970) – Richtlinienumsetzungsgesetz – wie auch der unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) dar, der im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens nicht weiter abgeschichtet werden kann,
19vgl. dazu Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 8. September 2011 – 10 C 14/10 –, juris Rz.17, vom 29. Juni 2010 – 10 C 10/09 – , juris Rz. 6 und vom 24. Juni 2008 – 10 C 43/07 – juris Rz. 15.
20Ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist nicht gegeben. Es sind insbesondere nach dem Vorbringen der Klägerin keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass ihr in Nigeria eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. von Art. 3 EMRK durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation landesweit droht.
21Darüber hinaus ist die Prüfung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK (Schutz der Familie) im Hinblick auf eine mit einer - hier: hypothetischen - Abschiebung einhergehenden Trennung der Klägerin von ihrer Mutter kein Raum. Diese Prüfung fällt nicht in die Zuständigkeit der Beklagten. Ob die mit einer Durchführung der Abschiebung einhergehende Trennung der Klägerin von ihrer Mutter zulässig ist, ist ausschließlich von der örtlich zuständigen Ausländerbehörde im Rahmen der ihr obliegenden Prüfung im Zusammenhang mit dem Vollzug einer Abschiebung zu prüfen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes beschränkt sich die Zuständigkeit des Bundesamtes auf sog. zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 60 AufenthG. Der Schutz der Familie im Lichte des Art. 8 EMRK oder auch des Art. 6 des Grundgesetzes (GG) im Falle einer Trennung begründet jedoch ein sog. inlandsbezogenes Abschiebungshindernis – auch soweit es sich um trennungsbedingte Gefahren im Zielstaat handelt - für dessen Prüfung die Ausländerbehörde zuständig ist. Dabei hat die Ausländerbehörde mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 und 2 GG auch etwaige durch die Trennung des minderjährigen Kindes von seinen Eltern bedingte Gefahren im Zielstaat der Abschiebung im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Danach kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine solche Gefahrenlage kann möglicherweise entstehen, wenn ohne ihre Eltern abgeschobene Kinder im Zielstaat wegen der Trennung ohne Beistand wären und deshalb alsbald in eine existenzielle Notlage geraten könnten,
22vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 12/99 -, InfAuslR 2000 S. 93.
23Der Klägerin steht jedoch nach der im Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 des Asylverfahrensgesetzes – AsylVfG -) ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Nigeria zu.
24Danach kann von der Abschiebung abgesehen werden, wenn für den Ausländer im Zielstaat eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Maßgebend ist insoweit allein das Bestehen einer konkreten, individuellen Gefahr für die genannten Rechtsgüter (sog. individuelle Gefahren), ohne Rücksicht darauf, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Ursachen sie beruht. Diese Gefahr muss dem Einzelnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen, wobei im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der „konkreten“ Gefahr für „diesen“ Ausländer als zusätzliches Erfordernis eine einfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefahrensituation hinzutreten muss, die überdies landesweit droht,
25vgl. etwa Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteile vom 5. April 2006 – 20 A 5161/04.A -, vom 19. April 2005 – 8 A 273/04.A -, juris;
26zur früheren, gleichlautenden Regelung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bereits: BVerwG, Urteile vom 25. November 1997 - 9 C 58/96 - , BVerwGE 195, S. 383 und vom 21. September 1999 – 9 C 8/99 -, AuAS 2000 S. 14; zur Übertragbarkeit auf die Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG: Beschluss vom 19. Oktober 2005 – 1 B 16/05 -, juris.
27Allerdings sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (allgemeine Gefahr bzw. Gruppengefahr), mit der Folge, dass die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gesperrt ist. Nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Danach soll bei allgemeinen Gefahren über die Gewährung von Abschiebeschutz durch eine politische Leitentscheidung befunden werden. Allgemeine Gefahren können daher auch dann kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen, wenn sie dem Ausländer konkret und in individualisierbarer Weise betreffen. Trotz bestehender konkreter erheblicher Gefahr ist danach die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gesperrt, wenn dieselbe Gefahr zugleich einer Vielzahl von weiteren Personen im Zielstaat droht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darf jedoch im Einzelfall Ausländern, die zwar einer allgemein gefährdeten Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angehören, für welche ein Abschiebestopp nach § 60 a Abs. 1 nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 AufenthG zugesprochen werden, wenn kein anderes Abschiebungsverbot vorliegt und die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Dies ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde,
28vgl. ständige Rspr. BVerwG zur gleichlautenden Vorschrift des § 53 Abs. 6 AuslG: Urteile vom 17. Oktober 1995 – 9 C 9/95 -, vom 27. April 1998 - 9 C 13/97 -, vom 12. Juli 2001 - 1 C 5/01 -, vom 16. Juni 2004 - 1 C 27/03 -, vom 18. Juli 2006 - 1 C 16/05 - und vom 18. Oktober 2006 - 1 C 18/05 -, jeweils juris sowie zu § 60 Abs. 7 AufenthG: Urteile vom 29. Juni 2010 – 10 C 10/09 – und vom 29. September 2011 – 10 C 24/10 -, Beschlüsse vom 17. Juni 2010 – 10 B 8/10 -, vom 8. Februar 2011 – 10 B 1/11 – und vom 8. September 2011 – 10 C 14/10 -, jeweils juris.
29Die extreme Gefahrenlage ist geprägt durch einen erhöhten Wahrscheinlichkeitsmaßstab, d.h. die Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass in zeitlicher Hinsicht sofort bei oder nach der Ankunft mit dem unmittelbaren Eintritt eines schweren Schadens zu rechnen ist. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde,
30vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 12. Juli 2001 – 1 C 5/01 – und vom 29. Juni 2010 – 10 C 10/09.
31Die Klägerin ist auf Grund ihres Alters (derzeit drei Jahre) noch nicht in der Lage selbst für ihren Unterhalt zu sorgen und allein von ihrer Mutter abhängig. Im Rahmen der Gefahrenprognose ist vorliegend für den Fall der Rückkehr der Klägerin im Hinblick auf die derzeit nicht wirksame Vaterschaftsanerkennung und den Umstand, dass der in München lebende Herr K. P. über eine Aufenthaltserlaubnis für das Bundesgebiet verfügt, von einer alleinigen Rückkehr der Klägerin mit ihrer Mutter und nicht von einer Rückkehr im sog. Familienverbund auszugehen,
32vgl. zur grds. Annahme einer gemeinsamen Rückkehr von Familienangehörigen bzw. zum Ausschluss einer derartigen Annahme im Fall einer rechtskräftigen Feststellung nach § 51 Abs. 1 AufenthG a.F.: BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 – 9 C 12/99 -, InfAuslR 2000 S. 93 unter Hinweis auf die Urteile vom 16. August 1993 – 9 C 7/93 -, NVwZ, 1994, 504 und vom 8. September 1992 – 9 C 8/91 -, NVwZ 1993, 190 und zum Ausschluss einer derartigen Annahme: BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 – 9 C 12/99 -, a.a.O..
33Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann sich die Klägerin mit Blick auf die schlechten Lebensbedingungen in Nigeria und die Stellung ihrer Mutter als alleinstehende Frau zunächst nicht auf eine drohende Gefahr i.S. des § 60 Abs. 7 S.1 AufenthG berufen. Angesichts der nach den vorliegenden Erkenntnissen schwierigen ökonomischen Situation in Nigeria und den damit verbundenen Gefahren ist von einer allgemeinen Gefahr bzw. Gruppengefahr auszugehen, da diese Gefahren mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einem Großteil der Bevölkerung und insbesondere der Gruppe der alleinstehenden Frauen in Nigeria drohen. Die Gefahren treffen auf eine Vielzahl von Personen mit gleichem Merkmal zu, mit der Folge, dass grundsätzlich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG eingreift.
34Die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage ist für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nach den vorliegenden Erkenntnissen 70 – 80 % der Bevölkerung, lebt am Existenzminimum bzw. 65 - 70% lebt unterhalb der Armutsgrenze von einem US-Dollar pro Tag. Dieser große Teil der Bevölkerung lebt im Wesentlichen als Bauer, Landarbeiter, oder Tagelöhner vom informellen Handel sowie (Subsistenz-) Landwirtschaft. Die Armutsrate ist seit 1980 beständig gestiegen unter gleichzeitigem hohem Bevölkerungswachstum. Es herrscht hohe Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung – insbesondere bei jungen Menschen -, da Millionen von Menschen keinen Zugang zu wirtschaftlichen Aktivitäten haben. Das Pro-Kopf-Jahreseinkommen ist ungleichmäßig zugunsten einer kleinen Elite und zum Nachteil der Masse der Bevölkerung verteilt. Nach Studien der Weltgesundheitsorganisation hat die Lebenserwartung der Bevölkerung in den letzten Jahren in erschreckender Weise kontinuierlich abgenommen, was auf die schlechte Gesundheitsversorgung zurückzuführen ist. Viele Menschen haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem und auch der Zugang zu Wasser und Strom ist dem größten Teil der Bevölkerung erschwert; Bildungschancen sind sehr ungleich verteilt. Ein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Mittellose existiert nicht,
35vgl. etwa AA, Lageberichte Nigeria vom 28. November 2014, 7. März 2011 und 11. März 2010, jeweils Ziffer IV 1.1, 1.2 bzw. 1.3 und Länderinformation/Nigeria/Wirtschaft unter www.auswaertiges-amt.de, Stand: Juni 2015; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Nigeria Update vom März 2010, S. 21, 22 m.w.Nw.; Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) (zuvor Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ)) unter www.giz.de bzw. www.gtz.de jeweils weltweit-afrika-nigeria ; Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unter www.bmz.de – länder-regionen-subsahahra-nigeria (dort: u.a. "Soziale Schieflage").
36Von dieser Situation ist im besonderen Maße die Gruppe der alleinstehenden Frauen betroffen, da nach der derzeitigen Erkenntnislage die Situation für diese Gruppe besonders schwierig ist. Bereits der größere Teil der von Armut betroffenen Bevölkerung sind Frauen. Die alleinstehenden Frauen sind darüber hinaus vielen Arten von Diskriminierung ausgesetzt und durch das Merkmal „alleinstehend“ vielfach stigmatisiert. Sie finden meist nur schwer eine Unterkunft und eine berufliche Tätigkeit in Nigeria, dies umso weniger, je geringer die Schul- bzw. Berufsausbildung ist. Da es in Nigeria keinerlei staatliche finanzielle oder soziale Unterstützung gibt, sind alleinstehende Frauen meist von finanziellen Zuwendungen durch die Familien, Nachbarn oder Freunde abhängig. Zwar ist es auch für den Personenkreis der alleinstehende Frauen nicht gänzlich unmöglich bzw. ausgeschlossen, sich eine wirtschaftliche Grundexistenz zu schaffen, so etwa im Südwesten des Landes und in den Städten, in denen alleinstehende Frauen eher akzeptiert werden. Mancherorts existieren auch Hilfseinrichtungen bei verschiedenen Kirchengemeinden oder Nicht Regierungs-Organisationen, die verschiedene Hilfestellungen anbieten, deren Inanspruchnahme jedoch von dem persönlichen Wissen und Engagement der betroffenen Frau bzw. ihrer Zugehörigkeit zur dortigen Gemeinschaft abhängig ist. Auch in Lagos hängt die Situation alleinstehender Frauen ganz erheblich von deren persönlichen Voraussetzungen und existierenden Beziehungen zu Verwandten, Freunden, Kirche, etc. ab. Darüber hinaus sind alleinstehende Frauen an fremden Orten von Prostitution und Menschenhandel bedroht - letzteres ist gerade in Nigeria ein großes Problem -. Frauen werden schließlich immer wieder Opfer von Vergewaltigungen, sogar durch staatliche Sicherheitskräften – insbesondere im Niger-Delta -,
37vgl. dazu insgesamt: AA, Lageberichte vom 28. November 2014, 28. August 2013, 7. März 2011 und 11. März 2010: Zusammenfassung, Ziffer II 1.8 und 3. sowie 4.; Auskunft vom 19. Mai 2009 an das VG Karlsruhe, vom 14. Februar 2005 an das VG Berlin; vom 28. April 2003 an das VG Düsseldorf sowie Auskunft an das VG Aachen vom 24. November 2006, die auf die Auskunft vom 14. Februar 2005 verweist; Immigration and Refugee Board of Canada (IRB) vom 19. November 2011, "Whether women who hat their own hausehold, without male or family support, can obtain housing and employment in large northern…and southern cities"; SFH, Nigeria Update vom März 2010, S. 21, 22 m.w.Nw; ACCORD vom 27. März 2015: Informationen zur Lage (unverheirateter oder verwitweter) Frauen m.w.Nw., vom 4. April 2014: 1. Zwangsheirat, 2. Innerstaatliche Fluchtalternativen für eine alleinstehende Frau, 3. Einfluss von Voodoo-Praktiken auf Frauen, vom 5. Juli 2013: Informationen zur einer innerstaatlichen Fluchtalternative (allgemein und in Lagos), vom 21. Juni 2011: Nigeria – Frauen, Kinder, sexuelle Orientierung, Gesundheitsvorsorge, S. 11, vom 14. Juli 2010: Nigeria - Situation alleinstehender Frauen, unter Bezugnahme auf ACCORD vom 27. Februar 2008: Situation alleinstehender, alleinerziehender Frauen ohne familiäre Anknüpfungspunkte; Institut für Afrika-Kunde Auskunft (IAK) vom 28. März 2003 an das VG Düsseldorf; Kurzinformation des Bundesamtes vom April 2002 zur Lage der Frauen in Nigeria; zum Menschenhandel s.a. Bundesamt, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, 2010, S. 153 und Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung von Frauen aus Nigeria, Dezember 2011; zu alleinstehenden Frauen s. auch bereits Urteile des VG Aachen vom 30. Oktober 2008 – 2 K 77/06.A -, vom 11. Juni 2007 – 2 K 1093/06.A –, vom 31. Juli 2007 – 2 K 123/06.A –, vom 22. Mai 2012 - 2051/10.A - sowie des VG Düsseldorf vom 17. Januar 2008 – 1 K 1584/07.A -, VG Münster vom 15. März 2010 – 11 K 413/09.A -, VG Augsburg vom 18. November 2013 - Au 7 K 13.30129 - und VG München vom 28. April 2014 - M 21 K 11.30680 -, jeweils juris.
38Das Gericht hat jedoch die Überzeugung gewonnen, dass konkret für die von ihrer Mutter und deren Lebenssituation als alleinstehende Frau abhängige Klägerin auf Grund der individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation ihrer Mutter bei einer Rückkehr nach Nigeria mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage besteht, da die oben aufgeführten Risikofaktoren auf sie und ihre Mutter zutreffen und sich die dargestellte Situation für sie und ihre Mutter hinsichtlich der Existenzbedingungen in Nigeria zuspitzen. Insoweit geht das Gericht davon aus, dass die Mutter mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sein wird, für sich und die Klägerin eine ausreichende Existenzgrundlage zu schaffen und dass die Klägerin angesichts der drohenden unzulänglichen Versorgung alsbald in eine existentielle Notlage geraten wird. Das Gericht geht allerdings nicht generell davon aus, das grundsätzlich bei alleinstehenden Frauen mit einem Kleinkind eine Extremgefahr zu prognostizieren ist, denn nach den oben genannten Erkenntnisquellen gibt es auch in Nigeria Frauen, die ökonomisch eigenständig alleine leben und auch mit oder ohne Hilfe Dritter überleben. Allein in wenigen besonders gelagerten Einzelfällen kann deshalb ein derartiger Abschiebungsschutz in Betracht kommen.
39Zu der konkreten Situation der Mutter des Klägers hat das Gericht in den Urteilsgründen zum dortigen Verfahren (2 K 1785/14.A - Urteil vom heutigen Tag) ausgeführt:
40"Im vorliegenden Fall wäre die Klägerin im Falle einer Rückkehr als alleinstehende Frau und Mutter eines Kleinkindes ohne familiäre Unterstützung gezwungen, für sich und ihr Kind eigenständig eine wirtschaftliche Existenz in Nigeria aufzubauen. Nach ihren bisherigen Angaben verfügt die Klägerin jedoch über eine lediglich geringfügige Schulausbildung und hat darüber hinaus keinen Beruf erlernt. Bereits bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt hat die Klägerin angegeben, dass sie nur sechs Jahre die Schule besucht und keinen Beruf erlernt habe. In der mündlichen Verhandlung führte die Klägerin ergänzend aus, dass sie bereits im Alter von elf/zwölf Jahren in ihrem Heimatort "Own" gemeinsam mit ihrer Familie auf der Farm des Mannes habe arbeiten müssen, mit dem sie später nach traditionellem Recht als sechste Frau verheiratet worden sei. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Nigeria an irgendeine eigenständige berufliche Tätigkeit zur Erreichung einer existenzsichernden Arbeit anknüpfen kann.
41Das Gericht geht ferner davon aus, dass die Klägerin zum Aufbau einer Existenz nicht auf eine vorhandene – sie und das uneheliche Kind unterstützende – Familienstruktur bzw. auf die damalige Tätigkeit in der Landwirtschaft in ihrem Heimatort zurückgreifen kann. Insoweit hat das Gericht die Überzeugung gewonnen, dass der Klägerin eine Rückkehr zu ihrer Familie in Nigeria oder gar in ihr Heimatdorf nicht möglich ist. Eine Rückkehr in die Dorfgemeinschaft ist bereits mit Blick auf die nach traditionellem Recht geschlossene Ehe und das Verlassen dieses Ehemannes wegen einer außerehelichen Beziehung sowie das "nichtehelich" geborene Kind nachvollziehbar ausgeschlossen. Zwar leben nach Angaben der Klägerin in Nigeria noch ihre Eltern und erwachsenen Geschwister (Bruder und eine Schwester). Allerdings hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass sie keinerlei Kontakt mehr zu ihrer Familie in Nigeria hat und diesen auch nicht wieder herzustellen vermag. Ihren nachvollziehbaren Angaben zufolge ist dieser Kontakt einige Zeit nach ihrer Ankunft im Bundesgebiet abgebrochen, weil ihre Familie wegen ihrer - der Klägerin - Flucht bzw. "Weglaufens" ebenfalls den Heimatort verlassen musste und es deshalb zu einer Auseinandersetzung gekommen ist. Ihren glaubhaften Angaben zufolge hat ihre Familie Probleme in ihrem Heimatdorf mit dem Ehemann aus der traditionellen Ehe bekommen, weil sie ihn wegen eines anderen Mannes (dem späteren Kindesvater) verlassen hat. Die Familie habe deshalb nicht mehr auf dessen Farm arbeiten können und nach Benin City umsiedeln müssen. Wie die Familie ihren Lebensunterhalt derzeit bestreitet, konnte die Klägerin wegen des Kontaktabbruchs nicht mehr darlegen. Nach der oben dargelegten allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Lage ist es für das Gericht allerdings nachvollziehbar, dass die Familie der Klägerin auf Grund des Wegfalls der bisherigen dörflichen Lebensgemeinschaft und dortigen Sicherung der Lebensgrundlage derzeit ebenfalls unter erschwerten Bedingungen in Nigeria lebt. Darüber hinaus wird der Klägerin, die bereits 2011 ihren Heimatort verlassen hat, die Anknüpfung an die - muslimische - Familie noch dadurch erheblich erschwert, dass sie eine - nach traditionellem Recht - außereheliche Beziehung aufgenommen hat und sie Mutter eines "nichtehelichen" Kindes ist. Gegen die Möglichkeit einer Aktivierung familiärer Unterstützung spricht ferner der Umstand, dass die Klägerin erneut schwanger ist und bereits im September 2015 ein zweites Kind erwartet. Anhaltspunkte für andere konkrete familiäre Anbindungen bzw. Kontakte bestehen nicht. Insbesondere kommt insoweit nicht der von der Klägerin vorgetragenen Kontakt zu der Großmutter des Kindesvaters, die im Norden Nigerias lebt und zu der der Kontakt erst mit der Geburt des Kindes hergestellt worden ist, in Betracht. Die bei der Anhörung in der mündlichen Verhandlung spürbare existenzielle Verzweiflung der Klägerin, im Falle einer Abschiebung nicht zu wissen, wo sie hingehen könne und wie sie sich und ihr Kind ernähren könne, ist glaubhaft. Die Klägerin wäre im Falle ihrer Rückkehr mit ihrem Kind auf sich selbst gestellt. Insoweit ist auch nicht davon auszugehen, dass die Klägerin mit einer andauernden Unterstützung in Nigeria durch den in München lebenden Kindesvater, dessen Vaterschaftsanerkennung derzeit noch nicht rechtswirksam ist, rechnen kann. Der Kindesvater verfügt über eine Aufenthaltserlaubnis für das Bundesgebiet und beabsichtigte bereits im Jahr 2011, nachdem die Klägerin ihm nach Lagos gefolgt war, nicht länger in Nigeria zu leben. In der Folgezeit war die (damals schwangere) Klägerin ihren insoweit glaubhaften Angaben zufolge nach Abbruch des Kontaktes zu ihm bereits einmal in Lagos in eine existentielle Notlage geraten. Nach der oben dargestellten Sachlage und den persönlichen Voraussetzungen der Klägerin ist bei einer Rückkehr nach Nigeria mit einer existenziellen lebensbedrohenden Notlage der Klägerin und ihres Kindes in absehbarer Zeit zu rechnen."
42Vor diesem Hintergrund kann auch die im Bundesgebiet geborene Klägerin nicht auf eine familiäre Unterstützung hoffen bzw. daran anknüpfen und es ist davon auszugehen, dass die Klägerin alsbald nach ihrer Rückkehr in eine Lage gerät, in der sich ihre Versorgung lebensbedrohend verschlechtert.
43Die nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung zu beurteilende Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes ist rechtswidrig, soweit der Klägerin die Abschiebung nach Nigeria angedroht wird. Im Übrigen ist sie rechtmäßig. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlässt das Bundesamt nach den §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt, ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zur erkannt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise zulässig ist und er keinen Aufenthaltstitel besitzt. Nach der Vorschrift des § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten dem Erlass der Abschiebungsandrohung nicht entgegensteht. In der Androhung ist jedoch gemäß § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Danach ist jedes Abschiebungsverbot - auch eines nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG - ausdrücklich in der Abschiebungsandrohung zu bezeichnen. Die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Übrigen bleibt bei Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes durch das Verwaltungsgericht unberührt, § 59 Abs. 3 Satz 3 AufenthG.
44Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 83 b AsylVfG.
45Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Aachen Urteil, 24. Aug. 2015 - 2 K 2738/13.A
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Aachen Urteil, 24. Aug. 2015 - 2 K 2738/13.A
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenVerwaltungsgericht Aachen Urteil, 24. Aug. 2015 - 2 K 2738/13.A zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Tenor
Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung der Ziffer 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11. September 2014 verpflichtet, festzustellen, dass im Falle der Klägerin hinsichtlich Nigeria ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt. Ziffer 5 des Bescheides vom 11. September 2014 wird aufgehoben, soweit damit die Abschiebung nach Nigeria angedroht wird.
Die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen die Beklagte zu ¼ und die Klägerin zu ¾.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
T a t b e s t a n d :
2Die ihren Angaben zufolge am 00.00.0000 nahe C. D. geborene Klägerin ist nigerianische Staatsangehörige und ledig. Sie meldete sich am 13. Juni 2012 bei der Ausländerbehörde als Asylsuchende und gab an, ledig und im achten Monat schwanger zu sein. Zu ihrem am 15. Juni 2012 gestellten Asylantrag führte die Klägerin bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 21. Juni 2012 Folgendes aus:
3Sie gehöre den Volksgruppen der Edo und der Own an und verfüge über keine Personalpapiere. Sie stamme aus dem Dorf Own, Edo State, das etwa eine Autostunde von C. D. entfernt sei. Dort habe sie seit ihrer Geburt bis sechs Monate vor ihrer Ausreise gelebt. Anschließend sei sie nach Lagos gegangen. Ihre Eltern seien K. N. und T. N. . Beide Eltern seien Muslime. Sie habe noch zwei Brüder im Alter von sechzehn und achtzehn Jahren, die noch zur Schule gingen, sowie Verwandte in B. , L. und C. . Sie selber habe sechs Jahre die Mittelschule besucht und anschließend keinen Beruf erlernt.
4Im Alter von zwanzig/einundzwanzig Jahren sei sie mit einem schon damals 69 Jahre alten Mann nach den Gebräuchen ihres Stammes verheiratet worden. Sie sei die sechste Frau dieses Mannes gewesen und habe dann zusammen mit den Ehefrauen und Kindern ihres Mannes in dessen Haus gelebt. Ihr Ehemann habe viel Land gehabt und von der Landwirtschaft gelebt. Sie habe insgesamt neun Jahre bei ihm gelebt und auf der Farm gearbeitet. Ihre Eltern hätten ebenfalls für ihren Ehemann gearbeitet und ihr Vater habe von diesem einen Brautpreis für sie bekommen. Sie habe von ihrem Ehemann keine Kinder bekommen und habe ihn im August 2011 verlassen. Zuvor habe sie einen Mann namens K1. in ihrem Dorf kennengelernt, der dort einen Freund besucht habe. Diesem sei sie nach Lagos gefolgt. Er habe für sie ein Appartement in Lagos angemietet. Im September 2011 habe sie bemerkt, dass sie von dem Mann namens K1. schwanger geworden sei. Anfang Dezember 2011 sei K1. erneut nach Nigeria gekommen, einen Monat bei ihr geblieben und sei dann Ende 2011 wieder abgereist. Danach habe er ihr kein Geld mehr geschickt und sie habe die Miete nicht mehr bezahlen können. Eine Lebensmittelhändlerin habe ihr dann geholfen, doch nachdem deren Mann sie habe vergewaltigen wollen, sei sie weggerannt. Als sie der Frau darüber berichtet habe, sei sie auf die Straße geworfen worden. Anschließend habe sie versucht, sich selber zu töten, und habe Bleichmittel für Wäsche getrunken. Sie sei ins Krankenhaus gekommen und habe dort die Missionare getroffen. Sie sei zirka eine Woche im Krankenhaus geblieben. Sie habe Nigeria auf dem Seeweg verlassen und sei von Lagos aus in Begleitung von vier Missionaren aus verschiedenen Ländern bis nach Deutschland gekommen.
5Sie habe Nigeria letztlich verlassen, weil sie außerehelich schwanger geworden sei und ihr bei einer Rückkehr nach Nigeria ihr Bestrafung oder auch eine Tötung des Kindes durch ihre eigene Familie und auch durch die Familie ihres Ehemannes drohe.
6Am 26. Juni 2012 wurde die Tochter der Klägerin ‑ D1. C1. N. ‑ (Klägerin des Verfahrens 2 K 2738/13.A) in N1. geboren. Zu dem Kind hat unter dem 2. September 2013 Herr K1. P. (geboren 00.00.0000 in L1. , ledig), wohnhaft in München und Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis die Vaterschaft mit Zustimmung der Klägerin anerkannt. Das Standesamt N1. lehnte allerdings mit Bescheid vom 13. Oktober 2014 die Eintragung des Herrn K1. P. als Kindesvater in das Geburtsregister ab, da die Vaterschaftsanerkennung wegen erheblicher Indizien für eine Ehe in Nigeria nicht wirksam sei. In dem Verfahren vor dem Standesamt N1. legte die Klägerin die Kopie eines nigerianischen Reisepasses, ausgestellt am 26. März 2010 in C. , eine Declaration of Age vom 14. November 2012 (von T1. C1. N. als Mutter der Klägerin) sowie eine Affidavit of Spinsterhood (ebenfalls von T1. C1. N. ) vor. In einem für das Standesamt N1. am 19. November 2013 ausgefüllten Fragenbogen gab die Klägerin als Vater K. C1. N. und als Mutter T2. C1. N. mit unbekannter Adresse an. Zudem gab sie als jüngere Geschwister K2. , geboren 1994, und K3. , geboren 1990, an. Den Kindesvater habe sie das erste Mal 2011 in ihrer Stadt (Own) getroffen habe; er sei in die Stadt gekommen, um Freunde zu treffen.
7Im April 2014 stellte die Klägerin einen Antrag auf Anfechtung der Vaterschaft gegen Herrn B1. P1. (AG Heinsberg Az.: 10 F 172/14), in dem sie ausführte, dass sie traditionell mit dem Antragsgegner in Nigeria verheiratet sei und eine Heiratsurkunde nicht existiere. Sie habe den Antragsgegner zuletzt im Februar 2011 in Nigeria gesehen. Anschließend habe sie Nigeria verlassen und sei in das Bundesgebiet eingereist, um einen Asylantrag zu stellen. Vater des Kindes sei Herr K1. P. . Mit Beschluss vom 17. November 2014 lehnte das AG Heinsberg den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe der Klägerin ab. Der Antrag sei derzeit nicht begründet, da nicht davon ausgegangen werde, dass die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Geburt der Tochter mit dem Antragsgegner nach nigerianischem Stammesrecht verheiratet gewesen sei. Nachweise für eine Heirat seien nicht vorgelegt worden. Auch habe die Klägerin selbst erklärt, ledig zu sein, und dies durch ein Affidavit of Spinsterhood nachgewiesen. Gegen eine Heirat spreche auch der Umstand, dass weder die Antragstellerin noch das Kind den Namen des Antragsgegners tragen würden, wie es gewohnheitsrechtlich in Nigeria der Fall sei.
8Mit Bescheid vom 11. September 2014 ‑ zugestellt am 16. September 2014 ‑ lehnte das Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und den Antrag auf Asylanerkennung ab. Ferner lehnte das Bundesamt die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorlägen. Das Bundesamt forderte die Klägerin unter Fristsetzung zur Ausreise auf und drohte ihr für den Fall der Nichtausreise die Abschiebung nach Nigeria an.
9Die Klägerin hat am 22. September 2014 Klage erhoben und ausgeführt, dass sie in ihrem Heimatland gegen Zahlung eines Brautpreises im Rahmen einer traditionellen Handlung mit einem Mann, der bereits fünf Frauen gehabt habe, verheiratet worden sei. Ihrer Auffassung nach habe es sich um eine unzulässige Mehrfachehe gehandelt. Da dieser "Ehemann" in Nigeria über großes Landvermögen verfügt habe, habe er immer weitere Arbeitskräfte für seine Landwirtschaft benötigt. Vor diesem Hintergrund sei sie mit ihm verheiratet worden. Zu sexuellen Kontakten mit dem Ehemann sei es nicht gekommen. Später habe sie Herrn K1. P. kennengelernt und eine Beziehung begonnen, aus der eine Schwangerschaft resultiert habe. In traditionellen Kreisen Nigerias gelte ein derartiges Verhalten als schwere Verfehlung und "Ehebruch". Sie müsse mit schwersten Misshandlungen rechnen und es sei schon zu Fällen gekommen, in denen das Kind und die Kindesmutter getötet worden seien. Ihr drohe daher bei einer Rückkehr nach Nigeria Gefahr für Leib und Leben.
10Nach teilweiser Zurücknahme der Klage in der mündlichen Verhandlung beantragt die Klägerin noch,
11unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 11. September 2014 festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes für ihre Person bezüglich Nigeria vorliegt.
12Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Zur Begründung bezieht sie sich auf die Gründe des angefochtenen Bescheides.
15Das Standesamt N1. teilte unter dem 26. Juni 2005 mit, dass die Klägerin einen Antrag nach § 49 des Personenstandsgesetzes beim Personenstandsgericht in Arnsberg gestellt habe (Az.: 23 III 17/15) gegen den Bescheid des Standesamtes vom 13. Oktober 2014. Wegen des Inhalts des Schreibens wird Bezug genommen auf Blatt 82-87 der Gerichtsakte.
16Die Klägerin teilte mit, dass sie erneut schwanger sei und das Kind zum 23. September 2015 erwarte. Kindesvater sei erneut Herr K1. P. , der die Vaterschaft bereits anerkannt habe.
17Der Rechtsstreit ist auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen worden. Diese hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach‑ und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der hierzu überreichten Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der zuständigen Ausländerbehörde. Ferner wird verwiesen auf die mit der Ladung übersandte Liste der Auskünfte, Stellungnahmen und Gutachten über die Lage in Nigeria (sog. Erkenntnisliste).
19Entscheidungsgründe:
20Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten zur mündlichen Verhandlung über den Rechtsstreit entscheiden, da die Beteiligten darauf bei der Ladung hingewiesen worden sind, § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
21Soweit die Klägerin die Klage (hinsichtlich des Asylantrags, der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Feststellung von unionsrechtlichen Abschiebungsverboten nach nunmehr § 4 AsylVfG - zuvor: § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes a.F. – AufenthG -) zurückgenommen hat, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
22Die noch hinsichtlich der Feststellung nationaler Abschiebungsverbote anhängige Klage ist begründet.
23Der Ablehnungsbescheid des Bundesamtes vom 11. September 2014 ist rechtswidrig, soweit mit Ziffer 4 des Bescheides das Vorliegen eines (nationalen) Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für die Person der Klägerin verneint wird und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheides ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit der Klägerin darin die Abschiebung in das Zielland Nigeria angedroht wird. Sie ist daher in diesem Umfang aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
24Der hier noch streitgegenständliche nationale Abschiebungsschutz stellt nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I 2007, 1970) – Richtlinienumsetzungsgesetz – wie auch der unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F. einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) dar, der im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens nicht weiter abgeschichtet werden kann,
25vgl. dazu Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 8. September 2011 – 10 C 14/10 –, juris Rz.17, vom 29. Juni 2010 – 10 C 10/09 – , juris Rz. 6 und vom 24. Juni 2008 – 10 C 43/07 – juris Rz. 15.
26Ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist nicht gegeben. Es sind insbesondere nach dem Vorbringen der Klägerin keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass ihr in Nigeria eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. von Art. 3 EMRK durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation landesweit droht.
27Die Klägerin hat jedoch nach der im Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 des Asylverfahrensgesetzes – AsylVfG -) einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Nigeria.
28Danach kann von der Abschiebung abgesehen werden, wenn für den Ausländer im Zielstaat eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Maßgebend ist insoweit allein das Bestehen einer konkreten, individuellen Gefahr für die genannten Rechtsgüter (sog. individuelle Gefahren), ohne Rücksicht darauf, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Ursachen sie beruht. Diese Gefahr muss dem Einzelnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen, wobei im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der „konkreten“ Gefahr für „diesen“ Ausländer als zusätzliches Erfordernis eine einfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefahrensituation hinzutreten muss, die überdies landesweit droht,
29vgl. etwa Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteile vom 5. April 2006 – 20 A 5161/04.A -, vom 19. April 2005 – 8 A 273/04.A -, juris;
30zur früheren, gleichlautenden Regelung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bereits: BVerwG, Urteile vom 25. November 1997 - 9 C 58/96 - , BVerwGE 195, S. 383 und vom 21. September 1999 – 9 C 8/99 -, AuAS 2000 S. 14; zur Übertragbarkeit auf die Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG: Beschluss vom 19. Oktober 2005 – 1 B 16/05 -, juris.
31Allerdings sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (allgemeine Gefahr bzw. Gruppengefahr), mit der Folge, dass die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gesperrt ist. Nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Danach soll bei allgemeinen Gefahren über die Gewährung von Abschiebeschutz durch eine politische Leitentscheidung befunden werden. Allgemeine Gefahren können daher auch dann kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen, wenn sie dem Ausländer konkret und in individualisierbarer Weise betreffen. Trotz bestehender konkreter erheblicher Gefahr ist danach die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gesperrt, wenn dieselbe Gefahr zugleich einer Vielzahl von weiteren Personen im Zielstaat droht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darf jedoch im Einzelfall Ausländern, die zwar einer allgemein gefährdeten Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angehören, für welche ein Abschiebestopp nach § 60 a Abs. 1 nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 AufenthG zugesprochen werden, wenn kein anderes Abschiebungsverbot vorliegt und die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Dies ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde,
32vgl. ständige Rspr. BVerwG zur gleichlautenden Vorschrift des § 53 Abs. 6 AuslG: Urteile vom 17. Oktober 1995 – 9 C 9/95 -, vom 27. April 1998 - 9 C 13/97 -, vom 12. Juli 2001 - 1 C 5/01 -, vom 16. Juni 2004 - 1 C 27/03 -, vom 18. Juli 2006 - 1 C 16/05 - und vom 18. Oktober 2006 - 1 C 18/05 -, jeweils juris sowie zu § 60 Abs. 7 AufenthG: Urteile vom 29. Juni 2010 – 10 C 10/09 – und vom 29. September 2011 – 10 C 24/10 -, Beschlüsse vom 17. Juni 2010 – 10 B 8/10 -, vom 8. Februar 2011 – 10 B 1/11 – und vom 8. September 2011 – 10 C 14/10 -, jeweils juris.
33Die extreme Gefahrenlage ist geprägt durch einen erhöhten Wahrscheinlichkeitsmaßstab, d.h. die Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass in zeitlicher Hinsicht sofort bei oder nach der Ankunft mit dem unmittelbaren Eintritt eines schweren Schadens zu rechnen ist. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde,
34vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 12. Juli 2001 – 1 C 5/01 – und vom 29. Juni 2010 – 10 C 10/09.
35Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann sich die Klägerin mit Blick auf die schlechten Lebensbedingungen in Nigeria zunächst nicht auf eine drohende Gefahr i.S. des § 60 Abs. 7 S.1 AufenthG berufen. Angesichts der nach den vorliegenden Erkenntnissen schwierigen ökonomischen Situation in Nigeria und den damit verbundenen Gefahren ist von einer allgemeinen Gefahr bzw. Gruppengefahr auszugehen, da diese Gefahren mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einem Großteil der Bevölkerung und insbesondere der Gruppe der alleinstehenden Frauen in Nigeria drohen. Die Gefahren treffen auf eine Vielzahl von Personen mit gleichem Merkmal zu, mit der Folge, dass grundsätzlich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG eingreift.
36Die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage ist für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nach den vorliegenden Erkenntnissen 70 – 80 % der Bevölkerung, lebt am Existenzminimum bzw. 65 - 70% lebt unterhalb der Armutsgrenze von einem US-Dollar pro Tag. Dieser große Teil der Bevölkerung lebt im Wesentlichen als Bauer, Landarbeiter, oder Tagelöhner vom informellen Handel sowie (Subsistenz-) Landwirtschaft. Die Armutsrate ist seit 1980 beständig gestiegen unter gleichzeitigem hohem Bevölkerungswachstum. Es herrscht hohe Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung – insbesondere bei jungen Menschen -, da Millionen von Menschen keinen Zugang zu wirtschaftlichen Aktivitäten haben. Das Pro-Kopf-Jahreseinkommen ist ungleichmäßig zugunsten einer kleinen Elite und zum Nachteil der Masse der Bevölkerung verteilt. Nach Studien der Weltgesundheitsorganisation hat die Lebenserwartung der Bevölkerung in den letzten Jahren in erschreckender Weise kontinuierlich abgenommen, was auf die schlechte Gesundheitsversorgung zurückzuführen ist. Viele Menschen haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem und auch der Zugang zu Wasser und Strom ist dem größten Teil der Bevölkerung erschwert; Bildungschancen sind sehr ungleich verteilt. Ein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Mittellose existiert nicht,
37vgl. etwa AA, Lageberichte Nigeria vom 28. November 2014, 7. März 2011 und 11. März 2010, jeweils Ziffer IV 1.1, 1.2 bzw. 1.3 und Länderinformation/Nigeria/Wirtschaft unter www.auswaertiges-amt.de, Stand: Juni 2015; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Nigeria Update vom März 2010, S. 21, 22 m.w.Nw.; Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) (zuvor Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ)) unter www.giz.de bzw. www.gtz.de jeweils weltweit-afrika-nigeria; Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unter www.bmz.de – länder-regionen-subsahahra-nigeria (dort: u.a. "Soziale Schieflage").
38Von dieser Situation ist im besonderen Maße die Gruppe der alleinstehenden Frauen betroffen, da nach der derzeitigen Erkenntnislage die Situation für diese Gruppe besonders schwierig ist. Bereits der größere Teil der von Armut betroffenen Bevölkerung sind Frauen. Die alleinstehenden Frauen sind darüber hinaus vielen Arten von Diskriminierung ausgesetzt und durch das Merkmal „alleinstehend“ vielfach stigmatisiert. Sie finden meist nur schwer eine Unterkunft und eine berufliche Tätigkeit in Nigeria, dies umso weniger, je geringer die Schul- bzw. Berufsausbildung ist. Da es in Nigeria keinerlei staatliche finanzielle oder soziale Unterstützung gibt, sind alleinstehende Frauen meist von finanziellen Zuwendungen durch die Familien, Nachbarn oder Freunde abhängig. Zwar ist es auch für den Personenkreis der alleinstehende Frauen nicht gänzlich unmöglich bzw. ausgeschlossen, sich eine wirtschaftliche Grundexistenz zu schaffen, so etwa im Südwesten des Landes und in den Städten, in denen alleinstehende Frauen eher akzeptiert werden. Mancherorts existieren auch Hilfseinrichtungen bei verschiedenen Kirchengemeinden oder Nicht Regierungs-Organisationen, die verschiedene Hilfestellungen anbieten, deren Inanspruchnahme jedoch von dem persönlichen Wissen und Engagement der betroffenen Frau bzw. ihrer Zugehörigkeit zur dortigen Gemeinschaft abhängig ist. Auch in Lagos hängt die Situation alleinstehender Frauen ganz erheblich von deren persönlichen Voraussetzungen und existierenden Beziehungen zu Verwandten, Freunden, Kirche, etc. ab. Darüber hinaus sind alleinstehende Frauen an fremden Orten von Prostitution und Menschenhandel bedroht - letzteres ist gerade in Nigeria ein großes Problem -. Frauen werden schließlich immer wieder Opfer von Vergewaltigungen, sogar durch staatliche Sicherheitskräften – insbesondere im Niger-Delta -,
39vgl. dazu insgesamt: AA, Lageberichte vom 28. November 2014, 28. August 2013, 7. März 2011 und 11. März 2010: Zusammenfassung, Ziffer II 1.8 und 3. sowie 4.; Auskunft vom 19. Mai 2009 an das VG Karlsruhe, vom 14. Februar 2005 an das VG Berlin; vom 28. April 2003 an das VG Düsseldorf sowie Auskunft an das VG Aachen vom 24. November 2006, die auf die Auskunft vom 14. Februar 2005 verweist; Immigration and Refugee Board of Canada (IRB) vom 19. November 2011, "Whether women who hat their own hausehold, without male or family support, can obtain housing and employment in large northern…and southern cities"; SFH, Nigeria Update vom März 2010, S. 21, 22 m.w.Nw; ACCORD vom 27. März 2015: Informationen zur Lage (unverheirateter oder verwitweter) Frauen m.w.Nw., vom 4. April 2014: 1. Zwangsheirat, 2. Innerstaatliche Fluchtalternativen für eine alleinstehende Frau, 3. Einfluss von Voodoo-Praktiken auf Frauen, vom 5. Juli 2013: Informationen zur einer innerstaatlichen Fluchtalternative (allgemein und in Lagos), vom 21. Juni 2011: Nigeria – Frauen, Kinder, sexuelle Orientierung, Gesundheitsvorsorge, S. 11, vom 14. Juli 2010: Nigeria - Situation alleinstehender Frauen, unter Bezugnahme auf ACCORD vom 27. Februar 2008: Situation alleinstehender, alleinerziehender Frauen ohne familiäre Anknüpfungspunkte; Institut für Afrika-Kunde Auskunft (IAK) vom 28. März 2003 an das VG Düsseldorf; Kurzinformation des Bundesamtes vom April 2002 zur Lage der Frauen in Nigeria; zum Menschenhandel s.a. Bundesamt, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, 2010, S. 153 und Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung von Frauen aus Nigeria, Dezember 2011; zu alleinstehenden Frauen s. auch bereits Urteile des VG Aachen vom 30. Oktober 2008 – 2 K 77/06.A -, vom 11. Juni 2007 – 2 K 1093/06.A –, vom 31. Juli 2007 – 2 K 123/06.A –, vom 22. Mai 2012 - 2051/10.A - sowie des VG Düsseldorf vom 17. Januar 2008 – 1 K 1584/07.A -, VG Münster vom 15. März 2010 – 11 K 413/09.A -, VG Augsburg vom 18. November 2013 - Au 7 K 13.30129 - und VG München vom 28. April 2014 - M 21 K 11.30680 -, jeweils juris.
40Das Gericht hat jedoch die Überzeugung gewonnen, dass konkret für die (derzeit schwangere) Klägerin als alleinstehende Frau auf Grund ihrer individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation mit einem Kleinkind bei einer Rückkehr nach Nigeria mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage besteht, da die oben aufgeführten Risikofaktoren auf die Klägerin zutreffen und sich die dargestellte Situation für die Person der Klägerin – und ihres Kindes – hinsichtlich der Existenzbedingungen in Nigeria zuspitzen. Das Gericht geht allerdings nicht generell davon aus, das grundsätzlich bei alleinstehenden Frauen mit einem Kleinkind eine Extremgefahr zu prognostizieren ist, denn nach den oben genannten Erkenntnisquellen gibt es auch in Nigeria Frauen, die ökonomisch eigenständig alleine leben und auch mit oder ohne Hilfe Dritter überleben. Allein in wenigen besonders gelagerten Einzelfällen kann deshalb ein derartiger Abschiebungsschutz in Betracht kommen. Im vorliegenden Fall wäre die Klägerin im Falle einer Rückkehr als alleinstehende Frau und Mutter eines Kleinkindes ohne familiäre Unterstützung gezwungen, für sich und ihr Kind eigenständig eine wirtschaftliche Existenz in Nigeria aufzubauen. Nach ihren bisherigen Angaben verfügt die Klägerin jedoch über eine lediglich geringfügige Schulausbildung und hat darüber hinaus keinen Beruf erlernt. Bereits bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt hat die Klägerin angegeben, dass sie nur sechs Jahre die Schule besucht und keinen Beruf erlernt habe. In der mündlichen Verhandlung führte die Klägerin ergänzend aus, dass sie bereits im Alter von elf/zwölf Jahren in ihrem Heimatort "Own" gemeinsam mit ihrer Familie auf der Farm des Mannes habe arbeiten müssen, mit dem sie später nach traditionellem Recht als sechste Frau verheiratet worden sei. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Nigeria an irgendeine eigenständige berufliche Tätigkeit zur Erreichung einer existenzsichernden Arbeit anknüpfen kann.
41Das Gericht geht ferner davon aus, dass die Klägerin zum Aufbau einer Existenz nicht auf eine vorhandene – sie und das uneheliche Kind unterstützende – Familienstruktur bzw. auf die damalige Tätigkeit in der Landwirtschaft in ihrem Heimatort zurückgreifen kann. Insoweit hat das Gericht die Überzeugung gewonnen, dass der Klägerin eine Rückkehr zu ihrer Familie in Nigeria oder gar in ihr Heimatdorf nicht möglich ist. Eine Rückkehr in die Dorfgemeinschaft ist bereits mit Blick auf die nach traditionellem Recht geschlossene Ehe und das Verlassen dieses Ehemannes wegen einer außerehelichen Beziehung sowie das "nichtehelich" geborene Kind nachvollziehbar ausgeschlossen. Zwar leben nach Angaben der Klägerin in Nigeria noch ihre Eltern und erwachsenen Geschwister (Bruder und eine Schwester). Allerdings hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass sie keinerlei Kontakt mehr zu ihrer Familie in Nigeria hat und diesen auch nicht wieder herzustellen vermag. Ihren nachvollziehbaren Angaben zufolge ist dieser Kontakt einige Zeit nach ihrer Ankunft im Bundesgebiet abgebrochen, weil ihre Familie wegen ihrer - der Klägerin - Flucht bzw. "Weglaufens" ebenfalls den Heimatort verlassen musste und es deshalb zu einer Auseinandersetzung gekommen ist. Ihren glaubhaften Angaben zufolge hat ihre Familie Probleme in ihrem Heimatdorf mit dem Ehemann aus der traditionellen Ehe bekommen, weil sie ihn wegen eines anderen Mannes (dem späteren Kindesvater) verlassen hat. Die Familie habe deshalb nicht mehr auf dessen Farm arbeiten können und nach C. D. umsiedeln müssen. Wie die Familie ihren Lebensunterhalt derzeit bestreitet, konnte die Klägerin wegen des Kontaktabbruchs nicht mehr darlegen. Nach der oben dargelegten allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Lage ist es für das Gericht allerdings nachvollziehbar, dass die Familie der Klägerin auf Grund des Wegfalls der bisherigen dörflichen Lebensgemeinschaft und dortigen Sicherung der Lebensgrundlage derzeit ebenfalls unter erschwerten Bedingungen in Nigeria lebt. Darüber hinaus wird der Klägerin, die bereits 2011 ihren Heimatort verlassen hat, die Anknüpfung an die - muslimische - Familie noch dadurch erheblich erschwert, dass sie eine - nach traditionellem Recht - außereheliche Beziehung aufgenommen hat und sie Mutter eines "nichtehelichen" Kindes ist. Gegen die Möglichkeit einer Aktivierung familiärer Unterstützung spricht ferner der Umstand, dass die Klägerin erneut schwanger ist und bereits im September 2015 ein zweites Kind erwartet. Anhaltspunkte für andere konkrete familiäre Anbindungen bzw. Kontakte bestehen nicht. Insbesondere kommt insoweit nicht der von der Klägerin vorgetragenen Kontakt zu der Großmutter des Kindesvaters, die im Norden Nigerias lebt und zu der der Kontakt erst mit der Geburt des Kindes hergestellt worden ist, in Betracht. Die bei der Anhörung in der mündlichen Verhandlung spürbare existenzielle Verzweiflung der Klägerin, im Falle einer Abschiebung nicht zu wissen, wo sie hingehen könne und wie sie sich und ihr Kind ernähren könne, ist glaubhaft. Die Klägerin wäre im Falle ihrer Rückkehr mit ihrem Kind auf sich selbst gestellt. Insoweit ist auch nicht davon auszugehen, dass die Klägerin mit einer andauernden Unterstützung in Nigeria durch den in München lebenden Kindesvater, dessen Vaterschaftsanerkennung derzeit noch nicht rechtswirksam ist, rechnen kann. Der Kindesvater verfügt über eine Aufenthaltserlaubnis für das Bundesgebiet und beabsichtigte bereits im Jahr 2011, nachdem die Klägerin ihm nach Lagos gefolgt war, nicht länger in Nigeria zu leben. In der Folgezeit war die (damals schwangere) Klägerin ihren insoweit glaubhaften Angaben zufolge nach Abbruch des Kontaktes zu ihm bereits einmal in Lagos in eine existentielle Notlage geraten. Nach der oben dargestellten Sachlage und den persönlichen Voraussetzungen der Klägerin ist bei einer Rückkehr nach Nigeria mit einer existenziellen lebensbedrohenden Notlage der Klägerin und ihres Kindes in absehbarer Zeit zu rechnen.
42Die nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung zu beurteilende Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes ist rechtswidrig, soweit der Klägerin die Abschiebung nach Nigeria angedroht wird. Im Übrigen ist sie rechtmäßig. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlässt das Bundesamt nach den §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt, ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zur erkannt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise zulässig ist und er keinen Aufenthaltstitel besitzt. Nach der Vorschrift des § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten dem Erlass der Abschiebungsandrohung nicht entgegensteht. In der Androhung ist jedoch gemäß § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Danach ist jedes Abschiebungsverbot - auch eines nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG - ausdrücklich in der Abschiebungsandrohung zu bezeichnen. Die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Übrigen bleibt bei Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes durch das Verwaltungsgericht unberührt, § 59 Abs. 3 Satz 3 AufenthG.
43Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 83 b AsylVfG.
44Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.
(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.
(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, auch seine Einwilligung voraus. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Klagerücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Rücknahme enthaltenden Schriftsatzes widersprochen wird; das Gericht hat auf diese Folge hinzuweisen.
(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und § 155 Abs. 2 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Das Gericht stellt durch Beschluß fest, daß die Klage als zurückgenommen gilt.
(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein und spricht die sich nach diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Der Beschluß ist unanfechtbar.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren.
- 2
-
Der 1970 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört zur Volksgruppe der Paschtunen und stammt aus der Provinz Kunar. Er reiste im April 2001 nach Deutschland ein und betrieb hier erfolglos ein Asylverfahren. Im Juni 2007 stellte er einen Asylfolgeantrag. Mit Bescheid vom 18. Juni 2007 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und eine Änderung seiner Feststellung zum Nichtvorliegen von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG 1990 ab. Das Verwaltungsgericht hat das Bundesamt im Mai 2008 zu der Feststellung verpflichtet, dass bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
- 3
-
Hiergegen hat nur die Beklagte Berufung eingelegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung im Juni 2009 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Das grundsätzlich vorrangige - europarechtlich begründete - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG sei vorliegend nicht zu prüfen. Zwar sei im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes bereits in Kraft gewesen und der Kläger habe die Feststellung von Abschiebungsverboten "nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG" beantragt. Das Verwaltungsgericht habe über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aber - rechtsirrtümlich - nicht entschieden. Da es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass das Verwaltungsgericht bewusst nur über einen Teil des Streitgegenstandes entscheiden wollte, liege kein Teilurteil vor. Das Urteil sei vielmehr im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehlerhaft. Es verstoße gegen § 88 VwGO, weil es über das europarechtliche Abschiebungsverbot rechtsirrtümlich nicht vorrangig entschieden habe. Der Kläger habe jedoch keinen Zulassungsantrag gestellt und der Antrag des Bundesamts auf Zulassung der Berufung sei auf den stattgebenden Teil des angefochtenen Urteils, also das - nationale - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begrenzt gewesen; nur insoweit sei die Berufung zugelassen worden. Wegen der Dispositionsbefugnis der Beteiligten sei der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens damit hierauf beschränkt. Mit der rechtskräftigen Abweisung der Klage durch das Verwaltungsgericht im Übrigen sei die Rechtshängigkeit des unbeschieden gebliebenen europarechtlich begründeten Abschiebungsverbots des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entfallen.
- 4
-
Dem Kläger sei in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG Abschiebungsschutz zu gewähren. Er gehöre zu der Gruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen Staatsangehörigen, die bei einer Abschiebung nach Kabul ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte seien und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügten. Angehörige dieser Gruppe hätten kaum Aussicht, eine Arbeit zu finden und damit ihren eigenen Lebensunterhalt zu sichern. Unter diesen Umständen würden dem Kläger ausschließlich Tee und Brot als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Angesichts dieser Lebensbedingungen in Afghanistan, insbesondere der derzeit vorherrschenden katastrophalen Versorgungslage, aber auch der medizinischen Versorgung und der Sicherheitslage, bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde. Insbesondere die durch die Mangelernährung erhöhte Infektanfälligkeit werde in Verbindung mit dem ebenfalls ernährungsbedingten Eisenmangel zu schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane führen.
- 5
-
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision beanstandet die Beklagte vor allem, dass sich das Berufungsgericht im Hinblick auf die vom Kläger befürchteten allgemeinen Gefahren auf zu schmaler Tatsachengrundlage über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinweggesetzt habe.
Entscheidungsgründe
- 6
-
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt in mehrfacher Hinsicht Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der Sache nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
- 7
-
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zunächst das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Hierzu zählen in Umsetzung des subsidiären Schutzkonzepts nach Art. 15 und 17 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie - die in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG aufgeführten Abschiebungsverbote. Dieses Begehren ist mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (BGBl I 2007, 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - im August 2007 Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden und ist dies - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nach wie vor. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ferner das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines (nationalen) Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 und 3 AufenthG einschließlich der Feststellung eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG. Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist der Folgeantrag des Klägers hinsichtlich der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung, über den das Verwaltungsgericht rechtskräftig (negativ) entschieden hat. Eine Abschiebungsandrohung ist ebenfalls nicht Gegenstand des Verfahrens. Denn das Bundesamt hat hierzu in seinem angefochtenen Bescheid keine Entscheidung getroffen.
- 8
-
Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht, weil es den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz nicht geprüft hat (1.). Es verletzt ferner Bundesrecht, weil es beim nationalen Abschiebungsschutz den Anforderungen an die verfassungskonforme Auslegung und Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG im Falle allgemeiner Gefahren nicht hinreichend Rechnung getragen hat (2.). Schließlich verletzt es Bundesrecht, weil seine Feststellungen zur Gefahrenprognose bei verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten (3.).
- 9
-
1. Das Berufungsgericht hätte nicht ungeprüft lassen dürfen, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots erfüllt. Dieser Streitgegenstand ist in allen Übergangsfällen, in denen das Bundesamt über die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a.F. entschieden hat und hiergegen Klage erhoben wurde, mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes im August 2007 im gerichtlichen Verfahren angewachsen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats gilt dies jedenfalls dann, wenn das Bundesamt in seinem Ablehnungsbescheid über sämtliche zielstaatsbezogenen aufenthaltsrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden und der Kläger die neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbezogen hat (vgl. Urteile vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 <364 f.> und vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 <228 f.>). An dieser (vorsorglichen) Einschränkung für ein Anwachsen des unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutzes in Übergangsfällen hält der Senat nicht fest; vielmehr wächst dieser Streitgegenstand kraft Gesetzes und unabhängig vom Verfahrenshandeln der Beteiligten an. Dies leitet der Senat - in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur gesetzlichen Erweiterung des Streitgegenstands der Asylklage um die Prüfung der Voraussetzungen des flüchtlingsrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (vgl. u.a. Urteil vom 18. Februar 1992 - BVerwG 9 C 59.91 - Buchholz 402.25 § 7 AsylVfG Nr. 1 = DVBl 1992, 843) - aus folgenden verfahrensrechtlichen und materiellrechtlichen Gründen her:
- 10
-
Verfahrensrechtlich hat der Senat in ständiger Rechtsprechung die dem Asylverfahrensgesetz zugrunde liegende Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime betont, die dafür streitet, möglichst alle Fragen, die sich typischerweise in einem Asylverfahren stellen, in einem Prozess abschließend zu klären und nicht weiteren Verfahren vorzubehalten (vgl. etwa Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O.). Denn das Asylverfahren ist auf eine alle Arten des Schutzes vor zielstaatsbezogenen Gefahren umfassende Entscheidung angelegt (vgl. Urteile vom 20. April 1999 - BVerwG 9 C 29.98 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 18 und vom 20. Oktober 2004 - BVerwG 1 C 15.03 - Buchholz a.a.O. Nr. 82). Würde man im vorliegenden Zusammenhang ein Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes verneinen, könnte und müsste der Kläger dieses Begehren in einem weiteren Verfahren verfolgen, was in aller Regel mit (zusätzlichen) Verzögerungen verbunden ist.
- 11
-
Materiellrechtlich ist ein Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes zunächst im Hinblick auf den nachrangigen nationalen Abschiebungsschutz geboten, soweit es die verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann die gesetzlich angeordnete Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei allgemeinen Gefahren nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht. Eine Schutzlücke besteht für den Kläger indes nicht, falls er die Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots beanspruchen kann. Dies bedeutet im Verhältnis von unionsrechtlichem und nationalem Abschiebungsschutz, dass bei allgemeinen Gefahren ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nicht in Betracht kommt, solange die Zuerkennung von subsidiärem unionsrechtlichen Schutz nicht ausgeschlossen ist (vgl. hierzu zuletzt Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O. m.w.N.). Eine bloße Inzidentprüfung des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes im Rahmen der Entscheidung über die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung wäre keine geeignete Alternative, weil das Ergebnis dieser Prüfung keine Bindungswirkung hätte.
- 12
-
Die gesetzliche Erweiterung des Streitgegenstandes ergibt sich ferner daraus, dass das Gesetz im Fall der Ablehnung des Schutzantrags in der Regel den Erlass einer Abschiebungsandrohung vorsieht. Nach § 34 AsylVfG erlässt das Bundesamt die Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird und er keinen Aufenthaltstitel besitzt. Die Rechtmäßigkeit dieser Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbezeichnung gemäß § 59 Abs. 2 AufenthG kann im Gerichtsverfahren aber nur dann bestätigt werden, wenn das Vorliegen sämtlicher zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote geprüft und verneint worden ist. Würden im gerichtlichen Verfahren zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote - wie die des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes - zunächst ungeprüft bleiben, müsste auch die Überprüfung der Zielstaatsbezeichnung einem weiteren Verfahren vorbehalten bleiben.
- 13
-
Diese materiellrechtlichen Gründe überlagern in ihrer verfahrensrechtlichen Konsequenz das allgemeine Verwaltungsprozessrecht und bewirken, dass in den Fällen, in denen das Bundesamt vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes über das (Nicht-)Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten entschieden hat und hiergegen Klage erhoben worden ist, in den anhängigen gerichtlichen Verfahren der am 28. August 2007 neu hinzugetretene unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz automatisch anwächst und damit zwingend zu prüfen ist. Über dieses Prüfprogramm können die Verfahrensbeteiligten nicht disponieren und damit in Übergangsfällen das Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes während des gerichtlichen Verfahrens nicht verhindern. In diesen Fällen bedarf es keiner ausdrücklichen Einbeziehung des neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsschutzes in das anhängige gerichtliche Verfahren durch einen der Verfahrensbeteiligten (so Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O.). Ist der unionsrechtliche Abschiebungsschutz - wie hier - im erstinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren angewachsen, scheidet er allerdings dann aus dem gerichtlichen Verfahren aus, wenn das Verwaltungsgericht darüber ausdrücklich in der Sache entschieden hat und der unterlegene Beteiligte hiergegen kein Rechtsmittel eingelegt hat. Denn dann ist dieser Streitgegenstand durch eine rechtskräftige Entscheidung abgeschichtet worden. Entsprechendes gilt bei dem Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes im Berufungsverfahren im Falle einer unangefochten bleibenden und damit rechtskräftigen Sachentscheidung durch das Berufungsgericht.
- 14
-
Ein Nichtentscheiden oder irrtümliches Übergehen durch das Verwaltungsgericht reicht nicht aus, um den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz aus dem Verfahren ausscheiden zu lassen, und zwar auch dann nicht, wenn einer der Beteiligten den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz im Verfahren angesprochen hatte. Um Missverständnisse zu vermeiden, weist der Senat auf Folgendes hin: Falls eine gerichtliche Entscheidung, in der das Anwachsen des unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutzes in Übergangsfällen nicht berücksichtigt worden ist, rechtskräftig geworden ist, ist damit die Rechtshängigkeit dieses Teils des Streitgegenstandes entfallen (vgl. Urteil vom 22. März 1994 - BVerwG 9 C 529.93 - BVerwGE 95, 269 <274>). Der Betroffene kann dieses unbeschieden gebliebene Begehren daher beim Bundesamt geltend machen (Urteil vom 22. März 1994 a.a.O. S. 275).
- 15
-
Im Entscheidungsfall fehlt es an einer unanfechtbaren Sachentscheidung zum unionsrechtlichen Abschiebungsschutz. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zwar im Übrigen abgewiesen, diese Teilabweisung aber ersichtlich nicht auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz bezogen. Dass der unionsrechtliche Abschiebungsschutz während des gerichtlichen Verfahrens angewachsen ist, hat das Verwaltungsgericht irrtümlich verkannt. Auch das Berufungsgericht geht von einem rechtsirrtümlichen Nichtentscheiden des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aus (UA S. 6).
- 16
-
Vorliegend ist der unionsrechtliche Abschiebungsschutz demnach im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht angewachsen und entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Das Berufungsgericht muss sich daher in dem erneuten Berufungsverfahren mit diesem Begehren befassen. Nach der Rechtsprechung des Senats handelt es sich insoweit um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand, der eigenständig und vorrangig vor den sonstigen zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverboten zu prüfen ist (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11). Das Berufungsgericht muss deshalb alle entsprechenden Anspruchsgrundlagen in den Blick nehmen, aus denen sich ein Anspruch auf Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan ergeben kann (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG), wobei hier im Hinblick auf die allgemeinen Gefahren und den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG im Vordergrund stehen dürfte.
- 17
-
2. Das Berufungsurteil verletzt auch hinsichtlich des nationalen Abschiebungsschutzes Bundesrecht. Das Berufungsgericht wird sich im Falle der Ablehnung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots auch mit diesem Begehren nochmals befassen müssen. Bei dem nationalen Abschiebungsschutz handelt es sich nach dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes ebenfalls um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (§ 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung). Eine Abschichtung einzelner nationaler Abschiebungsverbote im Laufe des gerichtlichen Verfahrens ist daher ungeachtet des materiellen Nachrangs des Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG nicht möglich. Soweit der Senat im Urteil vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - (BVerwGE 137, 226 Rn. 6) davon ausgegangen ist, dass im dortigen Verfahren nur (noch) § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und nicht (mehr) § 60 Abs. 5 AufenthG Gegenstand des Verfahrens war, handelt es sich um eine vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes erklärte Rücknahme, die nach der früher maßgeblichen Staffelung der Streitgegenstände des nationalen Abschiebungsschutzes (vgl. zur früheren Rechtslage Urteil vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 19.96 - BVerwGE 104, 260) noch zulässig und wirksam war.
- 18
-
Das Berufungsgericht ist an der Feststellung eines Abschiebungsschutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG entgegen der Auffassung der Beklagten allerdings nicht schon deshalb gehindert, weil der Schutzsuchende auch bei Vorliegen einer Extremgefahr auf die Anfechtung einer Abschiebungsandrohung bzw. der darin enthaltenen Zielstaatsbezeichnung beschränkt wäre. Bei Gewährung von Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG ersetzt die gerichtliche Schutzgewähr nicht im Einzelfall eine Anordnung nach § 60a Abs. 1 AufenthG; die gerichtliche Prüfung bleibt im System der positiven Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots (s.a. § 59 Abs. 3 Satz 3 AufenthG). Über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG hat - wie bei anderen aufenthaltsrechtlichen Abschiebungsverboten auch - die Ausländerbehörde zu entscheiden.
- 19
-
Das Berufungsurteil ist aber insoweit mit Bundesrecht nicht vereinbar, als es dem Kläger Abschiebungsschutz nach nationalem Recht in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG zugesprochen hat, ohne das Vorliegen des unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutzes (Abschiebungsverbote u.a. nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG) rechtsfehlerfrei zu prüfen und auszuschließen. Damit hat es sowohl den Vorrang des unionsrechtlichen gegenüber dem nationalen Abschiebungsschutz (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 11) als auch die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Voraussetzungen für die verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in Fällen einer allgemeinen Gefahr verfehlt.
- 20
-
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine derartige Abschiebestopp-Anordnung besteht für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht (mehr). Mit seinem Hinweis insbesondere auf die unzureichende Versorgungslage in Afghanistan, die für Rückkehrer ohne Berufsausbildung und familiäre Unterstützung bestehe, macht der Kläger allgemeine Gefahren geltend, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen können. Diese Sperrwirkung kann, wie ausgeführt, nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht. Eine Schutzlücke besteht für den Kläger nicht, falls ihm unionsrechtlicher Abschiebungsschutz zusteht. Das Berufungsgericht hätte sich daher auch aus diesem Grund mit der Frage des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes befassen müssen, ehe es sich mittels verfassungskonformer Auslegung über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinwegsetzt.
- 21
-
3. Schließlich ist die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Berufungsgericht auch deshalb mit Bundesrecht nicht vereinbar, weil seine Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten. Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, dass eine unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausscheidet, weil der Kläger keine individuellen, nur ihm drohenden Gefahren, sondern allgemeine Gefahren geltend macht. Es ist aber bei der verfassungskonformen Anwendung der Vorschrift hinter den maßgeblichen rechtlichen Anforderungen zurückgeblieben. So ist es zwar zutreffend von den rechtlichen Maßstäben ausgegangen, die der Senat zum Vorliegen einer extremen Gefahrenlage entwickelt hat. Es ist in diesem Zusammenhang aber den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung nicht gerecht geworden und hat seine Entscheidung auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt.
- 22
-
Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Afghanistan erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.
- 23
-
Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O. Rn. 15 m.w.N.).
- 24
-
Das Berufungsgericht hat sich ausdrücklich auf diesen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab bezogen und in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des Senats zitiert. Es spricht davon, dass der Kläger in Afghanistan mangels jeglicher Lebensgrundlage unausweichlich dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre (UA S. 11). In einer Gesamtgefahrenschau müsse deshalb in seinem Falle eine extreme Gefahrenlage bejaht werden (UA S. 24). Diese rechtliche Schlussfolgerung ist durch die getroffenen tatsächlichen Feststellungen und deren Würdigung jedoch nicht gedeckt. Soweit das Berufungsgericht hierfür an der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom 6. Mai 2008 anknüpft, verweist der Senat auf seine dieses Urteil aufhebende Entscheidung vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - (a.a.O.). Indes tragen auch die weitergehenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, das eine weitere Verschärfung der allgemeinen Lebensbedingungen in Afghanistan konstatiert und dies unter anderem mit der inzwischen landesweit schwierigen Sicherheitslage begründet (UA S. 18 ff. und 22 f.), die von ihm vorgenommene Gesamtentscheidung nicht.
- 25
-
Dies zeigt sich insbesondere im Hinblick auf die vom Berufungsgericht festgestellte drohende Mangelernährung und die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken. Das Berufungsgericht geht zwar von einer - gegenüber den vom Oberverwaltungsgericht Koblenz beschriebenen Gegebenheiten - weiteren Zuspitzung der Versorgungslage in Afghanistan aus, bedingt vor allem durch die weiter verschlechterte Sicherheitslage. Das Gericht belegt dies mit der Feststellung, nur noch 37 % der afghanischen Bevölkerung gebe an, sich notwendige Lebensmittel leisten zu können. Jedenfalls für die Mehrheit der auf dem Land lebenden Afghanen gebe es keine Ernährungssicherheit. Die Hälfte aller Kinder bis zum Alter von fünf Jahren gelte als chronisch unterernährt (jeweils UA S. 20). Diese Feststellungen tragen indes nicht den Schluss des Berufungsgerichts, dass in Afghanistan eine derart extreme Gefahr besteht, dass das Leben jedes alleinstehenden jüngeren arbeitsfähigen Mannes - und damit das des Klägers - aufgrund der mangelhaften Versorgungslage akut gefährdet ist. Dies zeigt, dass sich das Berufungsgericht bei der Würdigung dieser zentralen Frage auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt und den erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab verfehlt hat.
- 26
-
Entsprechendes gilt für die durch Mangelernährung ausgelösten gesundheitlichen Risiken. Die Feststellung des Berufungsgerichts, der Kläger würde bei einer Ernährung ausschließlich von Tee und Brot alsbald und unausweichlich in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten (UA S. 12), ist nicht durch hinreichend detaillierte Tatsachen belegt. Dies gilt für die Wahrscheinlichkeit des vom Berufungsgericht befürchteten Krankheitsverlaufs im Allgemeinen, aber auch für die zeitliche Perspektive der lebensbedrohlichen Folgen und die Unausweichlichkeit des prognostizierten Geschehensablaufs.
- 27
-
Bei der Gesamtprognose ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen sich das Berufungsgericht davon überzeugt hat, dass sich die jeweils hohe Eintrittswahrscheinlichkeit bei den Teilkomplexen zu einer entsprechend hohen Eintrittswahrscheinlichkeit insgesamt zusammenfügt. Dies hat der Senat bereits bei der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz beanstandet. Das Berufungsgericht hat ebenfalls im Wesentlichen einzelne Risiken festgestellt und bewertet, sie aber nicht im Rahmen einer umfassenden Gesamtgefahrenprognose gewürdigt (vgl. hierzu Beschluss vom 25. Februar 2000 - BVerwG 9 B 77.00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 31). Dies zeigt sich etwa daran, dass der Zusammenhang zwischen Versorgungslage und Sicherheitslage nicht hinreichend deutlich wird. Beide Teilkomplexe stehen weitgehend unvermittelt nebeneinander.
- 28
-
4. Bei seiner erneuten Befassung mit der Sache ist das Berufungsgericht gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte auseinanderzusetzen (vgl. etwa Urteil des VGH München vom 3. Februar 2011 - 13 a B 10.30394 - juris, das sich seinerseits allerdings auch nicht mit der Rechtsprechung des Berufungsgerichts auseinandersetzt; vgl. dazu auch Urteil des Senats vom 29. Juni 2010 a.a.O. Rn. 22). Sollte es für die Entscheidung weiterhin entscheidungserheblich auf das Vorhandensein einer familiären Unterstützung ankommen, wird das Berufungsgericht ferner auch den familiären Verhältnissen des Klägers in Afghanistan nochmals nachzugehen haben. Der Kläger hat sich für sein Vorbringen, dass Angehörige getötet worden seien, auf einen Brief bezogen, den ein Landsmann Ende 2005 in Deutschland erhalten habe. Der Inhalt dieses Briefes ist aber offenbar unklar (vgl. in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht die Einlassungen des Dolmetschers).
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger erstrebt unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutz wegen Gefahren aufgrund eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts, hilfsweise nationalen Abschiebungsschutz wegen ihm drohender (extremer) Gefahr für Leib und Leben vor allem durch Mangelernährung.
- 2
-
Der 1981 geborene, ledige Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört zur Volksgruppe der Hazara und stammt aus der Provinz Ghazni. Er reiste im Februar 2003 nach Deutschland ein und betrieb hier erfolglos ein Asylverfahren. Im November 2006 stellte er einen Asylfolgeantrag. Mit Bescheid vom 21. Dezember 2006 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und eine Änderung seiner Feststellung zum Nichtvorliegen eines Abschiebungshindernisses ab. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht beschränkte der Kläger seine Klage auf die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im April 2007 stattgegeben.
- 3
-
Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren hat der Kläger geltend gemacht, dass auch die Voraussetzungen des Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG vorlägen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten im Mai 2008 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger sei in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG Abschiebungsschutz zu gewähren. Er sei zwar jung und gesund, verfüge aber nicht über eine Berufsausbildung. Angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt in Afghanistan sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass der Kläger auf Dauer eine Arbeit finden und damit seinen eigenen Lebensunterhalt sichern könne. Auf familiäre Unterstützung könne er nicht rechnen. Unter diesen Umständen würden dem Kläger ausschließlich Tee und Brot als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Diese Versorgungssituation werde durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen nicht wesentlich verbessert. Die Möglichkeit, eine winterfeste Unterkunft zu erlangen, sei für einen mittellosen Rückkehrer, der - wie der Kläger - nicht auf familiäre Hilfe zurückgreifen könne, minimal. Die medizinische Versorgung sei selbst in Kabul völlig unzureichend. Auch die hygienischen Verhältnisse, unter denen der Kläger als mittelloser Rückkehrer leben müsse, seien völlig unzulänglich. Angesichts dieser Lebensbedingungen bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde. Insbesondere die durch die Mangelernährung erhöhte Infektanfälligkeit werde in Verbindung mit dem ebenfalls ernährungsbedingten Eisenmangel zu schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane führen. Den anderen Oberverwaltungsgerichten, die dies gegenteilig beurteilten, hätten die vom Berufungsgericht eingeholten Gutachten nicht vorgelegen. Angesichts dieser Einschätzung erübrige sich eine Entscheidung darüber, ob auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorlägen und dem Kläger deshalb gemeinschaftsrechtlicher subsidiärer Schutz zu gewähren sei.
- 4
-
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision beanstandet die Beklagte vor allem, dass sich das Berufungsgericht im Hinblick auf die vom Kläger befürchteten allgemeinen Gefahren auf zu schmaler Tatsachengrundlage über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinweggesetzt habe.
Entscheidungsgründe
- 5
-
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt in mehrfacher Hinsicht Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der Sache nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
- 6
-
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zunächst das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines - unionsrechtlich begründeten - Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Dieses Begehren ist mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (BGBl I 2007, 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - im August 2007 Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Nach der Rechtsprechung des Senats gilt dies jedenfalls dann, wenn - wie hier - das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - in seinem Ablehnungsbescheid über sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden und der Kläger die neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbezogen hat (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 -, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ferner das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines (nationalen) Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist die Frage eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, nachdem der Kläger seine Klage insoweit - vor der gesetzlichen Neuordnung der Streitgegenstände durch das Richtlinienumsetzungsgesetz - zurückgenommen und den Ablehnungsbescheid des Bundesamts damit hat bestandskräftig werden lassen. Eine Abschiebungsandrohung ist ebenfalls nicht Gegenstand des Verfahrens. Auch insoweit hat der Kläger seine Klage zurückgenommen.
- 7
-
Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht, weil es den Vorrang des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes vor dem nationalen Abschiebungsschutz nicht berücksichtigt hat (1.). Es verletzt ferner Bundesrecht, weil es beim nationalen Abschiebungsschutz den Anforderungen an die verfassungskonforme Auslegung und Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG im Fall allgemeiner Gefahren nicht hinreichend Rechnung getragen hat (2.). Schließlich verletzt es Bundesrecht, weil seine Feststellungen zur Gefahrenprognose bei verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten (3.).
- 8
-
1. Das Berufungsgericht hätte nicht offenlassen dürfen, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots erfüllt. Im Entscheidungsfall kommt in diesem Zusammenhang allein ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Betracht. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 oder 3 AufenthG scheiden auch nach Auffassung des Klägers von vornherein aus.
- 9
-
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, der die Regelung des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie - umgesetzt hat, ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Nach der Rechtsprechung des Senats bildet dieser unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz gegenüber dem sonstigen (nationalen) Abschiebungsschutz einen selbstständigen Streitgegenstand. Die Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG wird nach der typischen Interessenlage des Schutzsuchenden vorrangig vor der Feststellung eines sonstigen zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbots begehrt (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 22, jeweils Rn. 10 ff.).
- 10
-
Dieses Rangverhältnis zwischen dem unionsrechtlichen und dem nationalen Abschiebungsschutz hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt. Es hätte das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG der Sache nach nicht als Hilfsantrag behandeln dürfen, sondern darüber vor dem Begehren auf nationalen Abschiebungsschutz befinden müssen. Zwar hat der Kläger bei seiner Antragstellung im Berufungsverfahren kein bestimmtes Rangverhältnis kenntlich gemacht. Er hat aber auch nicht erkennen lassen, dass der unionsrechtliche Abschiebungsschutz nicht oder erst nach dem nationalen Abschiebungsschutz geprüft werden soll. Bei dieser Verfahrenskonstellation hätte das Berufungsgericht - entsprechend der typischen Interessenlage des Schutzsuchenden - das Begehren des Klägers dahingehend auslegen müssen, dass primär über dessen Hauptantrag auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden werden soll. Auf dieser rechtsfehlerhaften Behandlung der Anträge des Klägers beruht die Entscheidung des Berufungsgerichts. Daran ändert auch die hilfsweise angeführte Begründung des Berufungsgerichts nichts, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG im Übrigen auch nicht erfüllt seien. Denn in dieser Begründung stellt das Berufungsgericht darauf ab, dass selbst bei Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in Afghanistan ein Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift wegen der auch in diesem Fall geltenden Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur bei einer - hier offenbar nicht gegebenen - extremen Gefahr in Betracht komme. Diese Rechtsansicht ist nach dem inzwischen ergangenen Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - (a.a.O. Rn. 30 ff.) nicht mit Bundesrecht vereinbar, da § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG richtlinienkonform dahingehend auszulegen ist, dass er bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie bzw. des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG keine Sperrwirkung entfaltet. Mangels hinreichender Feststellungen im Berufungsurteil zum Vorliegen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist es dem Senat verwehrt, sich selbst näher mit den Voraussetzungen eines derartigen Abschiebungsverbots zu befassen. Im erneuten Berufungsverfahren wird das Oberverwaltungsgericht vorrangig über diesen Hauptantrag zu entscheiden haben.
- 11
-
2. Indem das Berufungsgericht dem Kläger Abschiebungsschutz nach nationalem Recht in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG zugesprochen hat, ohne das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG rechtsfehlerfrei zu prüfen und auszuschließen, hat es auch die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Voraussetzungen für die verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in Fällen einer allgemeinen Gefahr verkannt. Auch insofern ist das Berufungsurteil nicht mit Bundesrecht vereinbar.
- 12
-
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine derartige Abschiebestopp-Anordnung besteht für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht (mehr). Mit seinem Hinweis auf die unzureichende Versorgungslage in Afghanistan, die für Rückkehrer ohne Berufsausbildung und familiäre Unterstützung besteht, macht der Kläger allgemeine Gefahren geltend, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen können. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann diese Sperrwirkung nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - a.a.O. Rn. 32 m.w.N.). Eine Schutzlücke besteht für den Kläger indes nicht, falls er die Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG beanspruchen kann (vgl. hierzu nochmals Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - a.a.O. Rn. 32 m.w.N.). Das Berufungsgericht hätte sich daher auch aus diesem Grund mit der Frage des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes befassen müssen, ehe es sich mittels verfassungskonformer Auslegung über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinwegsetzt.
- 13
-
3. Schließlich ist die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Berufungsgericht auch deshalb mit Bundesrecht nicht vereinbar, weil seine Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten. Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, dass eine unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausscheidet, weil der Kläger keine individuellen, nur ihm drohenden Gefahren, sondern allgemeine Gefahren geltend macht. Es ist aber bei der verfassungskonformen Anwendung der Vorschrift in mehrfacher Hinsicht hinter den maßgeblichen rechtlichen Anforderungen zurückgeblieben. So hat es die vom Senat zum Vorliegen einer extremen Gefahrenlage entwickelten rechtlichen Maßstäbe verfehlt. Es ist in diesem Zusammenhang auch den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung nicht gerecht geworden und hat seine Entscheidung auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt.
- 14
-
Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Afghanistan erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.
- 15
-
Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde" (vgl. Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1 <9 f.> m.w.N.). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. etwa Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 5.01 - a.a.O.).
- 16
-
Das Berufungsgericht hat diese rechtlichen Maßstäbe für die verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zwar im Wesentlichen zutreffend wiedergegeben. Seine rechtliche Subsumtion wird jedoch nicht von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen. Vor allem fehlt eine tatrichterliche Gesamtwürdigung der den Kläger betreffenden Lebensbedingungen in Afghanistan insbesondere im Hinblick auf die bei der verfassungskonformen Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gebotene erhöhte Wahrscheinlichkeit des Eintritts der extremen Gefahren.
- 17
-
Das Berufungsgericht hat sich zwar ausdrücklich auf diesen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab bezogen und in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des Senats zitiert (UA S. 7). Auch spricht es am Ende seiner Entscheidung zusammenfassend von der "hohen Wahrscheinlichkeit", dass der Kläger durch seine Abschiebung nach Afghanistan zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde (UA S. 15). Diese rechtliche Schlussfolgerung ist durch die getroffenen tatsächlichen Feststellungen und deren Würdigung aber nicht gedeckt. So ist das Berufungsgericht maßgeblich davon ausgegangen, dass der Kläger sich ausschließlich von Tee und Brot ernähren müsste. Auf der Grundlage dieser Prämisse hat sich das Berufungsgericht von einer Ernährungsmedizinerin die gesundheitlichen Risiken dieser Mangelernährung schildern lassen. Gleichzeitig hat es sich auf Erkenntnisquellen bezogen, nach denen sich jeder zweite Einwohner von Kabul nur von Tee und Brot ernähren kann, 8,9 % der Bevölkerung von Kabul unter akuter Unterernährung leiden und "fast ein Viertel aller Haushalte" in Afghanistan die Grundversorgung an Nahrungsmitteln nicht selbstständig sichern kann (UA S. 11). Das Berufungsgericht hat weiter erwähnt, dass dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 7. März 2008 zufolge internationale Hilfsorganisationen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern versorgen und sich die Versorgungslage in Kabul grundsätzlich verbessert hat. Es ist dem aber nicht hinreichend nachgegangen, sondern hat ohne nähere Prüfung gefolgert, dass die Versorgungssituation durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen nicht wesentlich verbessert werde (UA S. 11 und 12). All dies macht deutlich, dass sich das Berufungsgericht schon bei der Würdigung dieses zentralen Teilkomplexes auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt und den erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab verfehlt hat.
- 18
-
Dies gilt auch für die Würdigung der anderen Teilkomplexe. Bei der Möglichkeit, sich eine wirtschaftliche Existenz aus eigener Kraft zu sichern, spricht das Berufungsgericht zwar von einer "hohen Wahrscheinlichkeit", dass dem Kläger diese Sicherung nicht gelingen werde. Es stützt sich dabei aber zum Teil auf Erkenntnisquellen, die sich mit den Chancen befassen, "auf Dauer" eine Arbeit zu finden bzw. eine berufliche "Wiedereingliederung" zu erreichen (UA S. 9).
- 19
-
Das Berufungsgericht hat seine Prognose, dass dem Kläger extreme Gefahren drohen, zudem in der Weise gewonnen, dass es bei der Beurteilung der Lebensbedingungen in Afghanistan die erwähnten und weitere sachliche Teilkomplexe u.a. zur Problematik einer winterfesten Unterkunft, medizinischer Versorgung und hygienischer Verhältnisse gebildet hat. Es hat damit die Gefahrenprognose in mehrere hintereinander geschaltete Teilprognosen aufgespalten, deren Schlussfolgerungen aufeinander aufbauen. Die bei dieser Vorgehensweise erforderliche Gesamtprognose, mit der die Lebensbedingungen und die sich daraus für den Kläger ergebenden Risiken anhand des hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs insgesamt gewürdigt werden, ist nicht erfolgt. Der vom Berufungsgericht gezogene Gesamtschluss wäre selbst dann rechtsfehlerhaft, wenn dieses bei jedem der von ihm untersuchten Teilbereiche eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit festgestellt hätte. Denn eine hohe Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Verwirklichung jedes Einzelglieds einer Kausalkette rechtfertigt ohne wertende Gesamtbetrachtung nicht zwingend den Schluss, dass das am Ende stehende Ergebnis ebenfalls mit dem gleichen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad eintritt. Unverzichtbar ist vielmehr eine Gesamtwürdigung dahingehend, dass die von der Ernährungsmedizinerin beschriebenen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr des Klägers eintreten würden.
- 20
-
Dadurch, dass das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung den erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab verfehlt hat, ist auch seine Aussage nicht tragfähig, dass der Kläger "alsbald" in eine extreme Gefahrenlage geraten würde. Im Übrigen spricht viel dafür, dass das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang einen zu weiten Maßstab angewendet hat. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts droht dem Kläger nicht der Hungertod, sondern ein körperlicher Verfallsprozess, der durch Mangelernährung und eine dadurch erhöhte Infektanfälligkeit ausgelöst werden kann. Dass die extreme Gefahr unter diesen Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit "alsbald" eintritt, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
- 21
-
Dadurch, dass das Berufungsgericht die rechtlichen Maßstäbe fehlerhaft angewendet hat, hat es auch seine tatrichterliche Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) fehlerhaft gebildet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Überzeugungsgrundsatz dann verletzt, wenn die Überzeugungsbildung - wie hier - an inneren Mängeln leidet (vgl. etwa Beschluss vom 14. August 1998 - BVerwG 4 B 81.98 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 280). Ein Mangel bei der Überzeugungsbildung liegt zusätzlich auch insoweit vor, als das Berufungsgericht von fehlender familiärer Unterstützung für den Kläger in Afghanistan ausgegangen ist. Der Umstand, ob ein Rückkehrer auf eine derartige Unterstützung rechnen kann, ist für das Berufungsgericht von wesentlicher Bedeutung gewesen. So führt es beispielsweise aus, da in Afghanistan staatliche soziale Sicherungssysteme nicht vorhanden seien, werde die "soziale Absicherung ... (von) Familien und Stammesverbänden" übernommen (UA S. 11). Das Berufungsurteil lässt jedoch nicht erkennen, worauf sich die Überzeugung gründen lässt, dass im Entscheidungsfall eine familiäre Unterstützung fehlt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Kläger ausweislich des Sitzungsprotokolls erklärt, er habe in Afghanistan keine Verwandten und auch keine Bekannten mehr. Jedenfalls habe er "insoweit keinerlei Kontakte mehr". Der Bedeutung dieser Äußerung ist das Berufungsgericht nicht weiter nachgegangen. Das Berufungsgericht hat sich auch nicht damit befasst, von wem der Kläger als Minderjähriger nach dem Tod seiner Eltern bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan unterstützt worden ist. Auch zu denkbaren Unterstützungsmaßnahmen seitens seines Stammes verhält sich das Berufungsurteil nicht.
- 22
-
Bei der Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts und der Darstellung der Gründe, die für seine Überzeugungsbildung leitend gewesen sind, ist schließlich zu beanstanden, dass sich das Berufungsgericht mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte nur unzureichend auseinandergesetzt hat. Vier - vom Berufungsgericht zitierte - Oberverwaltungsgerichte haben verneint, dass Rückkehrern wie dem Kläger extreme Gefahren in Afghanistan drohen. Sie haben insbesondere die Hilfsmaßnahmen internationaler Organisationen und auch die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt in Afghanistan abweichend beurteilt. Zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung hat kein anderes Oberverwaltungsgericht die Einschätzung des Berufungsgerichts geteilt. Das Argument des Berufungsgerichts, den anderen Oberverwaltungsgerichten hätten die von ihm eingeholten Erkenntnismittel nicht vorgelegen, trägt jedenfalls insoweit nicht, als es um die für das Berufungsgericht zentralen Ausführungen der Ernährungsmedizinerin geht. Denn diese ist auf der Grundlage einer vom Berufungsgericht aus dem Gesamtzusammenhang herausgelösten (hypothetischen) Einzelprämisse gehört worden.
- 23
-
Bei der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ein Gericht gehalten, den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung und die gebotene Auseinandersetzung mit abweichender Tatsachen- und Lagebeurteilung anderer (Ober-)Verwaltungsgerichte in besonderer Weise gerecht zu werden. Dies ist dem Berufungsgericht, wie ausgeführt, in mehrfacher Hinsicht nicht gelungen.
- 24
-
Für das erneute Berufungsverfahren weist der Senat darauf hin, dass es sich vorliegend um ein Asylfolgeverfahren handelt und deshalb zunächst die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu prüfen sind (vgl. Urteil vom 20. Oktober 2004 - BVerwG 1 C 15.03 - BVerwGE 122, 103 <105 ff.> m.w.N.). Diese Prüfung hat das Berufungsgericht bisher nicht durchgeführt.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger erstrebt unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutz wegen Gefahren aufgrund eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts, hilfsweise nationalen Abschiebungsschutz wegen ihm drohender (extremer) Gefahr für Leib und Leben vor allem durch Mangelernährung.
- 2
-
Der 1981 geborene, ledige Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört zur Volksgruppe der Hazara und stammt aus der Provinz Ghazni. Er reiste im Februar 2003 nach Deutschland ein und betrieb hier erfolglos ein Asylverfahren. Im November 2006 stellte er einen Asylfolgeantrag. Mit Bescheid vom 21. Dezember 2006 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und eine Änderung seiner Feststellung zum Nichtvorliegen eines Abschiebungshindernisses ab. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht beschränkte der Kläger seine Klage auf die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im April 2007 stattgegeben.
- 3
-
Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren hat der Kläger geltend gemacht, dass auch die Voraussetzungen des Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG vorlägen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten im Mai 2008 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger sei in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG Abschiebungsschutz zu gewähren. Er sei zwar jung und gesund, verfüge aber nicht über eine Berufsausbildung. Angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt in Afghanistan sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass der Kläger auf Dauer eine Arbeit finden und damit seinen eigenen Lebensunterhalt sichern könne. Auf familiäre Unterstützung könne er nicht rechnen. Unter diesen Umständen würden dem Kläger ausschließlich Tee und Brot als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Diese Versorgungssituation werde durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen nicht wesentlich verbessert. Die Möglichkeit, eine winterfeste Unterkunft zu erlangen, sei für einen mittellosen Rückkehrer, der - wie der Kläger - nicht auf familiäre Hilfe zurückgreifen könne, minimal. Die medizinische Versorgung sei selbst in Kabul völlig unzureichend. Auch die hygienischen Verhältnisse, unter denen der Kläger als mittelloser Rückkehrer leben müsse, seien völlig unzulänglich. Angesichts dieser Lebensbedingungen bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde. Insbesondere die durch die Mangelernährung erhöhte Infektanfälligkeit werde in Verbindung mit dem ebenfalls ernährungsbedingten Eisenmangel zu schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane führen. Den anderen Oberverwaltungsgerichten, die dies gegenteilig beurteilten, hätten die vom Berufungsgericht eingeholten Gutachten nicht vorgelegen. Angesichts dieser Einschätzung erübrige sich eine Entscheidung darüber, ob auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorlägen und dem Kläger deshalb gemeinschaftsrechtlicher subsidiärer Schutz zu gewähren sei.
- 4
-
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision beanstandet die Beklagte vor allem, dass sich das Berufungsgericht im Hinblick auf die vom Kläger befürchteten allgemeinen Gefahren auf zu schmaler Tatsachengrundlage über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinweggesetzt habe.
Entscheidungsgründe
- 5
-
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt in mehrfacher Hinsicht Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der Sache nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
- 6
-
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zunächst das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines - unionsrechtlich begründeten - Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Dieses Begehren ist mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (BGBl I 2007, 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - im August 2007 Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Nach der Rechtsprechung des Senats gilt dies jedenfalls dann, wenn - wie hier - das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - in seinem Ablehnungsbescheid über sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden und der Kläger die neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbezogen hat (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 -, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ferner das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines (nationalen) Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist die Frage eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, nachdem der Kläger seine Klage insoweit - vor der gesetzlichen Neuordnung der Streitgegenstände durch das Richtlinienumsetzungsgesetz - zurückgenommen und den Ablehnungsbescheid des Bundesamts damit hat bestandskräftig werden lassen. Eine Abschiebungsandrohung ist ebenfalls nicht Gegenstand des Verfahrens. Auch insoweit hat der Kläger seine Klage zurückgenommen.
- 7
-
Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht, weil es den Vorrang des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes vor dem nationalen Abschiebungsschutz nicht berücksichtigt hat (1.). Es verletzt ferner Bundesrecht, weil es beim nationalen Abschiebungsschutz den Anforderungen an die verfassungskonforme Auslegung und Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG im Fall allgemeiner Gefahren nicht hinreichend Rechnung getragen hat (2.). Schließlich verletzt es Bundesrecht, weil seine Feststellungen zur Gefahrenprognose bei verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten (3.).
- 8
-
1. Das Berufungsgericht hätte nicht offenlassen dürfen, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots erfüllt. Im Entscheidungsfall kommt in diesem Zusammenhang allein ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Betracht. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 oder 3 AufenthG scheiden auch nach Auffassung des Klägers von vornherein aus.
- 9
-
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, der die Regelung des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie - umgesetzt hat, ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Nach der Rechtsprechung des Senats bildet dieser unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz gegenüber dem sonstigen (nationalen) Abschiebungsschutz einen selbstständigen Streitgegenstand. Die Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG wird nach der typischen Interessenlage des Schutzsuchenden vorrangig vor der Feststellung eines sonstigen zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbots begehrt (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 22, jeweils Rn. 10 ff.).
- 10
-
Dieses Rangverhältnis zwischen dem unionsrechtlichen und dem nationalen Abschiebungsschutz hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt. Es hätte das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG der Sache nach nicht als Hilfsantrag behandeln dürfen, sondern darüber vor dem Begehren auf nationalen Abschiebungsschutz befinden müssen. Zwar hat der Kläger bei seiner Antragstellung im Berufungsverfahren kein bestimmtes Rangverhältnis kenntlich gemacht. Er hat aber auch nicht erkennen lassen, dass der unionsrechtliche Abschiebungsschutz nicht oder erst nach dem nationalen Abschiebungsschutz geprüft werden soll. Bei dieser Verfahrenskonstellation hätte das Berufungsgericht - entsprechend der typischen Interessenlage des Schutzsuchenden - das Begehren des Klägers dahingehend auslegen müssen, dass primär über dessen Hauptantrag auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden werden soll. Auf dieser rechtsfehlerhaften Behandlung der Anträge des Klägers beruht die Entscheidung des Berufungsgerichts. Daran ändert auch die hilfsweise angeführte Begründung des Berufungsgerichts nichts, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG im Übrigen auch nicht erfüllt seien. Denn in dieser Begründung stellt das Berufungsgericht darauf ab, dass selbst bei Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in Afghanistan ein Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift wegen der auch in diesem Fall geltenden Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur bei einer - hier offenbar nicht gegebenen - extremen Gefahr in Betracht komme. Diese Rechtsansicht ist nach dem inzwischen ergangenen Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - (a.a.O. Rn. 30 ff.) nicht mit Bundesrecht vereinbar, da § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG richtlinienkonform dahingehend auszulegen ist, dass er bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie bzw. des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG keine Sperrwirkung entfaltet. Mangels hinreichender Feststellungen im Berufungsurteil zum Vorliegen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist es dem Senat verwehrt, sich selbst näher mit den Voraussetzungen eines derartigen Abschiebungsverbots zu befassen. Im erneuten Berufungsverfahren wird das Oberverwaltungsgericht vorrangig über diesen Hauptantrag zu entscheiden haben.
- 11
-
2. Indem das Berufungsgericht dem Kläger Abschiebungsschutz nach nationalem Recht in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG zugesprochen hat, ohne das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG rechtsfehlerfrei zu prüfen und auszuschließen, hat es auch die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Voraussetzungen für die verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in Fällen einer allgemeinen Gefahr verkannt. Auch insofern ist das Berufungsurteil nicht mit Bundesrecht vereinbar.
- 12
-
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine derartige Abschiebestopp-Anordnung besteht für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht (mehr). Mit seinem Hinweis auf die unzureichende Versorgungslage in Afghanistan, die für Rückkehrer ohne Berufsausbildung und familiäre Unterstützung besteht, macht der Kläger allgemeine Gefahren geltend, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen können. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann diese Sperrwirkung nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - a.a.O. Rn. 32 m.w.N.). Eine Schutzlücke besteht für den Kläger indes nicht, falls er die Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG beanspruchen kann (vgl. hierzu nochmals Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - a.a.O. Rn. 32 m.w.N.). Das Berufungsgericht hätte sich daher auch aus diesem Grund mit der Frage des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes befassen müssen, ehe es sich mittels verfassungskonformer Auslegung über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinwegsetzt.
- 13
-
3. Schließlich ist die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Berufungsgericht auch deshalb mit Bundesrecht nicht vereinbar, weil seine Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten. Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, dass eine unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausscheidet, weil der Kläger keine individuellen, nur ihm drohenden Gefahren, sondern allgemeine Gefahren geltend macht. Es ist aber bei der verfassungskonformen Anwendung der Vorschrift in mehrfacher Hinsicht hinter den maßgeblichen rechtlichen Anforderungen zurückgeblieben. So hat es die vom Senat zum Vorliegen einer extremen Gefahrenlage entwickelten rechtlichen Maßstäbe verfehlt. Es ist in diesem Zusammenhang auch den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung nicht gerecht geworden und hat seine Entscheidung auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt.
- 14
-
Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Afghanistan erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.
- 15
-
Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde" (vgl. Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1 <9 f.> m.w.N.). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. etwa Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 5.01 - a.a.O.).
- 16
-
Das Berufungsgericht hat diese rechtlichen Maßstäbe für die verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zwar im Wesentlichen zutreffend wiedergegeben. Seine rechtliche Subsumtion wird jedoch nicht von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen. Vor allem fehlt eine tatrichterliche Gesamtwürdigung der den Kläger betreffenden Lebensbedingungen in Afghanistan insbesondere im Hinblick auf die bei der verfassungskonformen Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gebotene erhöhte Wahrscheinlichkeit des Eintritts der extremen Gefahren.
- 17
-
Das Berufungsgericht hat sich zwar ausdrücklich auf diesen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab bezogen und in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des Senats zitiert (UA S. 7). Auch spricht es am Ende seiner Entscheidung zusammenfassend von der "hohen Wahrscheinlichkeit", dass der Kläger durch seine Abschiebung nach Afghanistan zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde (UA S. 15). Diese rechtliche Schlussfolgerung ist durch die getroffenen tatsächlichen Feststellungen und deren Würdigung aber nicht gedeckt. So ist das Berufungsgericht maßgeblich davon ausgegangen, dass der Kläger sich ausschließlich von Tee und Brot ernähren müsste. Auf der Grundlage dieser Prämisse hat sich das Berufungsgericht von einer Ernährungsmedizinerin die gesundheitlichen Risiken dieser Mangelernährung schildern lassen. Gleichzeitig hat es sich auf Erkenntnisquellen bezogen, nach denen sich jeder zweite Einwohner von Kabul nur von Tee und Brot ernähren kann, 8,9 % der Bevölkerung von Kabul unter akuter Unterernährung leiden und "fast ein Viertel aller Haushalte" in Afghanistan die Grundversorgung an Nahrungsmitteln nicht selbstständig sichern kann (UA S. 11). Das Berufungsgericht hat weiter erwähnt, dass dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 7. März 2008 zufolge internationale Hilfsorganisationen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern versorgen und sich die Versorgungslage in Kabul grundsätzlich verbessert hat. Es ist dem aber nicht hinreichend nachgegangen, sondern hat ohne nähere Prüfung gefolgert, dass die Versorgungssituation durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen nicht wesentlich verbessert werde (UA S. 11 und 12). All dies macht deutlich, dass sich das Berufungsgericht schon bei der Würdigung dieses zentralen Teilkomplexes auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt und den erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab verfehlt hat.
- 18
-
Dies gilt auch für die Würdigung der anderen Teilkomplexe. Bei der Möglichkeit, sich eine wirtschaftliche Existenz aus eigener Kraft zu sichern, spricht das Berufungsgericht zwar von einer "hohen Wahrscheinlichkeit", dass dem Kläger diese Sicherung nicht gelingen werde. Es stützt sich dabei aber zum Teil auf Erkenntnisquellen, die sich mit den Chancen befassen, "auf Dauer" eine Arbeit zu finden bzw. eine berufliche "Wiedereingliederung" zu erreichen (UA S. 9).
- 19
-
Das Berufungsgericht hat seine Prognose, dass dem Kläger extreme Gefahren drohen, zudem in der Weise gewonnen, dass es bei der Beurteilung der Lebensbedingungen in Afghanistan die erwähnten und weitere sachliche Teilkomplexe u.a. zur Problematik einer winterfesten Unterkunft, medizinischer Versorgung und hygienischer Verhältnisse gebildet hat. Es hat damit die Gefahrenprognose in mehrere hintereinander geschaltete Teilprognosen aufgespalten, deren Schlussfolgerungen aufeinander aufbauen. Die bei dieser Vorgehensweise erforderliche Gesamtprognose, mit der die Lebensbedingungen und die sich daraus für den Kläger ergebenden Risiken anhand des hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs insgesamt gewürdigt werden, ist nicht erfolgt. Der vom Berufungsgericht gezogene Gesamtschluss wäre selbst dann rechtsfehlerhaft, wenn dieses bei jedem der von ihm untersuchten Teilbereiche eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit festgestellt hätte. Denn eine hohe Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Verwirklichung jedes Einzelglieds einer Kausalkette rechtfertigt ohne wertende Gesamtbetrachtung nicht zwingend den Schluss, dass das am Ende stehende Ergebnis ebenfalls mit dem gleichen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad eintritt. Unverzichtbar ist vielmehr eine Gesamtwürdigung dahingehend, dass die von der Ernährungsmedizinerin beschriebenen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr des Klägers eintreten würden.
- 20
-
Dadurch, dass das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung den erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab verfehlt hat, ist auch seine Aussage nicht tragfähig, dass der Kläger "alsbald" in eine extreme Gefahrenlage geraten würde. Im Übrigen spricht viel dafür, dass das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang einen zu weiten Maßstab angewendet hat. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts droht dem Kläger nicht der Hungertod, sondern ein körperlicher Verfallsprozess, der durch Mangelernährung und eine dadurch erhöhte Infektanfälligkeit ausgelöst werden kann. Dass die extreme Gefahr unter diesen Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit "alsbald" eintritt, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
- 21
-
Dadurch, dass das Berufungsgericht die rechtlichen Maßstäbe fehlerhaft angewendet hat, hat es auch seine tatrichterliche Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) fehlerhaft gebildet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Überzeugungsgrundsatz dann verletzt, wenn die Überzeugungsbildung - wie hier - an inneren Mängeln leidet (vgl. etwa Beschluss vom 14. August 1998 - BVerwG 4 B 81.98 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 280). Ein Mangel bei der Überzeugungsbildung liegt zusätzlich auch insoweit vor, als das Berufungsgericht von fehlender familiärer Unterstützung für den Kläger in Afghanistan ausgegangen ist. Der Umstand, ob ein Rückkehrer auf eine derartige Unterstützung rechnen kann, ist für das Berufungsgericht von wesentlicher Bedeutung gewesen. So führt es beispielsweise aus, da in Afghanistan staatliche soziale Sicherungssysteme nicht vorhanden seien, werde die "soziale Absicherung ... (von) Familien und Stammesverbänden" übernommen (UA S. 11). Das Berufungsurteil lässt jedoch nicht erkennen, worauf sich die Überzeugung gründen lässt, dass im Entscheidungsfall eine familiäre Unterstützung fehlt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Kläger ausweislich des Sitzungsprotokolls erklärt, er habe in Afghanistan keine Verwandten und auch keine Bekannten mehr. Jedenfalls habe er "insoweit keinerlei Kontakte mehr". Der Bedeutung dieser Äußerung ist das Berufungsgericht nicht weiter nachgegangen. Das Berufungsgericht hat sich auch nicht damit befasst, von wem der Kläger als Minderjähriger nach dem Tod seiner Eltern bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan unterstützt worden ist. Auch zu denkbaren Unterstützungsmaßnahmen seitens seines Stammes verhält sich das Berufungsurteil nicht.
- 22
-
Bei der Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts und der Darstellung der Gründe, die für seine Überzeugungsbildung leitend gewesen sind, ist schließlich zu beanstanden, dass sich das Berufungsgericht mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte nur unzureichend auseinandergesetzt hat. Vier - vom Berufungsgericht zitierte - Oberverwaltungsgerichte haben verneint, dass Rückkehrern wie dem Kläger extreme Gefahren in Afghanistan drohen. Sie haben insbesondere die Hilfsmaßnahmen internationaler Organisationen und auch die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt in Afghanistan abweichend beurteilt. Zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung hat kein anderes Oberverwaltungsgericht die Einschätzung des Berufungsgerichts geteilt. Das Argument des Berufungsgerichts, den anderen Oberverwaltungsgerichten hätten die von ihm eingeholten Erkenntnismittel nicht vorgelegen, trägt jedenfalls insoweit nicht, als es um die für das Berufungsgericht zentralen Ausführungen der Ernährungsmedizinerin geht. Denn diese ist auf der Grundlage einer vom Berufungsgericht aus dem Gesamtzusammenhang herausgelösten (hypothetischen) Einzelprämisse gehört worden.
- 23
-
Bei der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ein Gericht gehalten, den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung und die gebotene Auseinandersetzung mit abweichender Tatsachen- und Lagebeurteilung anderer (Ober-)Verwaltungsgerichte in besonderer Weise gerecht zu werden. Dies ist dem Berufungsgericht, wie ausgeführt, in mehrfacher Hinsicht nicht gelungen.
- 24
-
Für das erneute Berufungsverfahren weist der Senat darauf hin, dass es sich vorliegend um ein Asylfolgeverfahren handelt und deshalb zunächst die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu prüfen sind (vgl. Urteil vom 20. Oktober 2004 - BVerwG 1 C 15.03 - BVerwGE 122, 103 <105 ff.> m.w.N.). Diese Prüfung hat das Berufungsgericht bisher nicht durchgeführt.
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf des ihm zuerkannten Abschiebungsschutzes hinsichtlich Afghanistans.
- 2
-
Der 1986 in Kabul geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volkszugehörigkeit. Er reiste Ende 2000 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Diesen Antrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - im Juli 2001 ab. Zugleich stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2 und 4 AuslG nicht vorliegen. Allerdings stellte es fest, dass zugunsten des Klägers ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Afghanistans vorliegt. Diese Feststellung stützte das Bundesamt auf die dem damals noch minderjährigen Kläger drohende Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban oder die Nordallianz.
- 3
-
Mit Bescheid vom 28. September 2006 widerrief das Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG (Nr. 1) und stellte zugleich fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die innenpolitische Situation in Afghanistan seit dem Sturz der Talibanherrschaft im November 2001 grundlegend geändert habe. Es sei nicht zu erwarten, dass das zerschlagene Talibanregime wieder an die Macht gelange, so dass von den Taliban wieder eine Verfolgungsgefahr ausgehen könne. Es bestünden für Rückkehrer aus Deutschland aufgrund der allgemeinen Versorgungs- und Sicherheitslage auch keine extremen Gefahren, die bei verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach dieser Vorschrift führten.
- 4
-
Das Verwaltungsgericht hat den Widerrufsbescheid im Februar 2008 aufgehoben. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof im Januar 2010 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 73 Abs. 3 AsylVfG für den Widerruf des dem Kläger zugebilligten Abschiebungsverbots lägen nicht vor. Es bestehe für ihn im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere nach Kabul, eine Extremgefahr im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Diese erfordere die Gewährung eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der Kläger habe in Afghanistan keine ordnungsgemäße Schulausbildung erhalten und könne seine Heimatsprache Dari nur eingeschränkt lesen und schreiben. Er sei bei seiner Ausreise erst 14 Jahre alt gewesen und habe in Afghanistan weder eine Ausbildung erhalten noch eine Berufstätigkeit ausgeübt. Nach seinem mehr als neunjährigen Aufenthalt in Deutschland erscheine es kaum denkbar, dass er sein Überleben in den chaotischen Verhältnissen Kabuls selbst sichern könne. Auch seine Sicherheit sei dort hochgradig gefährdet. Er könne nicht auf eine familiäre Unterstützung zurückgreifen. Selbst wenn er aus dem Ausland ab und zu finanzielle Hilfen erhielte, wäre dies nicht geeignet, seine Existenz wirksam zu gewährleisten.
- 5
-
Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage. Sie macht geltend, dass der Widerruf des Abschiebungsverbots rechtmäßig sei. Der Verwaltungsgerichtshof verfehle die Maßstäbe des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer Extremgefahr. Außerdem verletzte er die Anforderungen des § 108 Abs. 1 VwGO an die richterliche Überzeugungsbildung, wenn er es für die Annahme einer derartigen Gefahr ausreichen lasse, dass bestimmte Tatsachen "plausibel" erscheinen, ohne sich hierzu eine Überzeugung zu bilden.
- 6
-
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich an dem Verfahren beteiligt und unterstützt die Revision.
Entscheidungsgründe
- 7
-
Der Senat konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters des Klägers verhandeln und entscheiden, da dieser in der Ladung darauf hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
- 8
-
Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Berufungsentscheidung beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat den auf § 73 Abs. 3 AsylVfG gestützten Widerrufsbescheid deshalb als rechtswidrig angesehen, weil es der Auffassung war, dass dem Kläger in Bezug auf Afghanistan weiterhin Abschiebungsschutz nach nationalem Recht - nunmehr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG - zusteht. Die hierfür angeführte Begründung ist mit Bundesrecht nicht vereinbar. Mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts konnte der Senat nicht selbst abschließend in der Sache entscheiden. Das Verfahren war daher zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
- 9
-
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass Gegenstand des Verfahrens zunächst das Hauptbegehren des Klägers auf Aufhebung des auf § 73 Abs. 3 AsylVfG gestützten Widerrufsbescheids ist. Dieses - hier in erster und zweiter Instanz erfolgreiche - Begehren ist begründet, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für den Widerruf nicht erfüllt sind. Nach § 73 Abs. 3 AsylVfG setzt der Widerruf des nach nationalem Recht gewährten Abschiebungsschutzes voraus, dass die Voraussetzungen für das ursprünglich zuerkannte Abschiebungsverbot (hier nach § 53 Abs. 6 AuslG 1990) nachträglich entfallen sind und auch nicht aus anderen Gründen Abschiebungsschutz nach nationalem Recht (jetzt nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG einschließlich der verfassungskonformen Anwendung von Satz 1 und 3) zu gewähren ist. Dabei sind alle Rechtsgrundlagen für den nationalen Abschiebungsschutz, der jedenfalls seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28. August 2007 einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Streitgegenstand bildet, in die Prüfung einzubeziehen.
- 10
-
Darüber hinaus ist im Falle des Widerrufs eines Abschiebungsschutzes nach nationalem Recht seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes grundsätzlich auch über den neu hinzugekommenen unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutz zu entscheiden, der seinerseits einen selbstständigen, nicht weiter teilbaren Streitgegenstand bildet (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11). Soweit in Übergangsfällen - wie hier - der Widerrufsbescheid des Bundesamts vor dem 28. August 2007 ergangen ist und deshalb den unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutz noch nicht berücksichtigt, ist das Bestehen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutzes im gerichtlichen Verfahren jedenfalls dann (erstmals) zu prüfen, wenn der Widerruf des an sich nachrangigen nationalen Abschiebungsschutzes durchgreift. Denn in diesem Fall ist das Klagebegehren des Klägers regelmäßig - und so auch hier - sachdienlich dahin auszulegen, dass er zumindest hilfsweise für den Fall des Wegfalls des nationalen Abschiebungsschutzes die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots erreichen will. Der vorherigen Durchführung eines Verwaltungsverfahrens beim Bundesamt bedarf es insoweit nicht. Weiterhin kann in diesen Übergangsfällen der Anspruch auf unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutz im Rechtsstreit um den Widerruf des nationalen Abschiebungsschutzes auch mit einem weiteren Hauptantrag und damit unabhängig von dem Wegfall oder Fortbestand des nationalen Abschiebungsschutzes geltend gemacht werden (zur Zulässigkeit eines solchen Antrags: Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 Rn. 16 bis 18). Eine Verpflichtung zur Stellung eines solchen weiteren Hauptantrags zur Durchsetzung des grundsätzlich vorrangigen unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutzes besteht allerdings in den in die Übergangszeit fallenden Widerrufsfällen wie dem vorliegenden nicht, da es Sache des Klägers ist, ob er sich mit dem Fortbestand des bisher gewährten nationalen Abschiebungsschutzes begnügen oder daneben zusätzlich den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz erstreiten will. Anders als bei der Verpflichtungsklage auf erstmalige Feststellung von Abschiebungsverboten bedarf es beim Streit um die Rechtmäßigkeit des Widerrufs eines nach nationalem Recht gewährten Abschiebungsschutzes mit Blick auf die dem Asylverfahrensgesetz zugrunde liegende Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime nicht notwendig der Klärung, ob neben dem einmal gewährten nationalen Abschiebungsschutz auch noch ein unionsrechtlich begründeter besteht (vgl. aber zur Notwendigkeit gestufter Klageanträge in Erst- oder Folgeschutzverfahren: Urteil vom 8. September 2011 - BVerwG 10 C 14.10 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen Rn. 13).
- 11
-
1. Der Widerruf des Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG im Bescheid vom 28. September 2006 ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Maßgeblich ist hierfür die Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids (Beschluss vom 25. November 2008 - BVerwG 10 C 46.07 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- und Asylrecht Nr. 24 Rn. 15). Nach § 73 Abs. 3 AsylVfG in der auch derzeit noch unverändert geltenden Fassung vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) ist die Entscheidung, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegen, zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen.
- 12
-
Dem Widerruf nach § 73 Abs. 3 AsylVfG steht die einjährige Ausschlussfrist des § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG i.V.m. § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG nicht entgegen. Denn diese Frist beginnt erst mit dem Abschluss des Anhörungsverfahrens - hier eingeleitet im Juni 2006 - zu laufen (vgl. Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <292>), so dass zum Zeitpunkt des Widerrufs noch kein Jahr verstrichen war. Die einjährige Ausschlussfrist findet im Übrigen aber für das Widerrufsverfahren nach § 73 Abs. 3 AsylVfG auch keine Anwendung. Das ergibt sich aus der Systematik sowie dem Sinn und Zweck der in § 73 AsylVfG getroffenen Regelungen.
- 13
-
Die Frage, ob die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG auch im Rahmen des Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG a.F. galt, hatte das Bundesverwaltungsgericht zunächst stets offenlassen können, weil es in den zu entscheidenden Fällen nicht darauf ankam. Nach Einführung der Dreijahresfrist für die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der Widerrufsvoraussetzungen mit der Folge des gegebenenfalls zwingenden Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung durch § 73 Abs. 2a AsylVfG zum 1. Januar 2005 hat es allerdings entschieden, dass die Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 VwVfG jedenfalls in den Fällen keine Anwendung findet, in denen die Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung innerhalb der Dreijahresfrist nach Unanfechtbarkeit der Anerkennungsentscheidung widerrufen wird (Urteil vom 12. Juni 2007 - BVerwG 10 C 24.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 Rn. 14 f.). Maßgeblich hierfür war die Erwägung, dass der Gesetzgeber mit der Dreijahresfrist dem Bundesamt einen bestimmten, auf die Besonderheiten des Asyl- und Ausländerrechts abgestimmten zeitlichen Rahmen vorgegeben hat, der nach dem Sinn und Zweck der Regelung erkennbar abschließend ist und nicht durch weitere (allgemeine) Fristen wieder verengt werden sollte. Ob dies auch für den Widerruf von Asyl- und Flüchtlingsanerkennungen nach Ablauf der Dreijahresfrist gilt, hat der Senat offengelassen. Für den Widerruf der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG, der in § 73 Abs. 3 AsylVfG zwingend und ohne jede Einschränkung vorgeschrieben ist, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen, folgt daraus, dass auch hier von einer abschließenden spezialgesetzlichen Regelung auszugehen ist, die eine Anwendung der Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 VwVfG verbietet. Zwar ist für den Widerruf der Feststellung von Abschiebungsverboten kein besonderer zeitlicher Rahmen wie in § 73 Abs. 2a AsylVfG vorgesehen. Es wäre aber ein Wertungswiderspruch, wenn die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung innerhalb der ersten drei Jahre nach ihrer Unanfechtbarkeit unter leichteren formellen Vorraussetzungen, nämlich ohne Beachtung der Jahresfrist, widerrufen werden könnte als eine Gewährung von sonstigem, nachrangigem Abschiebungsschutz. Dies hat der Gesetzgeber, der - wie § 73 Abs. 3 AsylVfG zeigt - den Fortbestand von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG besonders eng und unmittelbar an die materielle Schutzbedürftigkeit binden wollte, erkennbar nicht gewollt. Der Widerruf von Abschiebungsschutz nach § 73 Abs. 3 AsylVfG ist deshalb auch nach Ablauf eines Jahres nach Kenntnis des Bundesamts von den Widerrufsgründen zulässig (so im Ergebnis auch OVG Münster, Beschluss vom 15. Oktober 2010 - 13 A 1639/10.A - juris Rn. 16; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. November 2010 - 3 N 46.09 - juris Rn. 6; OVG Hamburg, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 4 Bf 40/05.AZ - juris).
- 14
-
Dass die einjährige Ausschlussfrist des § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG i.V.m. § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG für das Widerrufsverfahren nach § 73 Abs. 3 AsylVfG keine Anwendung findet, gilt im Übrigen auch für die Rechtslage nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19. August 2007. Durch das Richtlinienumsetzungsgesetz wurden sogar weitere Spezialregelungen zu Widerruf und Rücknahme nach § 73 AsylVfG getroffen (vgl. etwa § 73 Abs. 2b und c, Abs. 4 und 7 AsylVfG). Das bestätigt, dass der Gesetzgeber den Widerruf von Abschiebungsverboten im Asylverfahrensgesetz auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht abschließend regeln wollte.
- 15
-
2a) Ob der Widerruf den materiellen Voraussetzungen entspricht, bestimmt sich nach § 73 Abs. 3 AsylVfG i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970). Danach ist die Entscheidung, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen, zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Der dem Kläger gewährte nationale Abschiebungsschutz ist somit zu widerrufen, wenn sich die Sachlage so verändert hat, dass die Voraussetzungen für das vom Bundesamt im Juli 2001 festgestellte Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG 1990 entfallen sind (1) und auch keine anderen nationalen Abschiebungsverbote vorliegen (2).
- 16
-
(1) § 73 Abs. 3 AsylVfG verlangt für den Widerruf eines Abschiebungshindernisses eine beachtliche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse. Durch neue Tatsachen muss sich eine andere Grundlage für die Gefahrenprognose bei dem jeweiligen Abschiebungsverbot ergeben. Deshalb reicht für den Widerruf eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG 1990 in verfassungskonformer Anwendung (jetzt: § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG) allein der Umstand, dass für den Betroffenen keine verfassungswidrige Schutzlücke mehr besteht, etwa weil er nunmehr unionsrechtlichen Abschiebungsschutz z.B. gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG beanspruchen kann oder die Abschiebung nachträglich durch Ländererlass gemäß § 60a AufenthG vorübergehend ausgesetzt wird, nicht aus. Zwar kann das genannte Abschiebungsverbot in verfassungskonformer Anwendung im Wege einer Durchbrechung der in § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG angeordneten Sperrwirkung für allgemeine Gefahren nur festgestellt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG unvereinbare Schutzlücke bestünde (Urteile vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 Rn. 12 und vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 32 m.w.N.). Die damit einhergehende Subsidiarität dieses Abschiebungsverbots hat indes im Falle des Widerrufs nicht das gleiche Gewicht. Die Voraussetzungen für die Feststellung dieses Abschiebungsverbots einerseits und den Widerruf andererseits sind deshalb insoweit nicht vollends deckungsgleich.
- 17
-
(2) Sind die tatsächlichen Voraussetzungen für das konkret festgestellte Abschiebungsverbot entfallen, ist zu prüfen, ob nationaler Abschiebungsschutz aus anderen Gründen besteht (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG einschließlich der verfassungskonformen Anwendung von Satz 1 und 3). Des Weiteren bestimmt sich der Widerruf ausschließlich nach den Vorschriften des nationalen Rechts. Weder dem Gesetzestext noch den Materialien zum Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 lässt sich entnehmen, dass der Gesetzgeber Vorgaben des Unionsrechts - namentlich Art. 16 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 zum Erlöschen des subsidiären Schutzes - über die unionsrechtlich begründeten Tatbestände des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG hinaus auch auf den nationalen Abschiebungsschutz erstrecken wollte.
- 18
-
b) Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorliegen der Widerrufsvoraussetzungen im Fall des Klägers mit einer Begründung verneint, die mit Bundesrecht nicht vereinbar ist. Denn er hat zugunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG wegen Vorliegens einer Extremgefahr bejaht, dabei aber die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Voraussetzungen für die Annahme eines solchen Abschiebungsverbots verfehlt.
- 19
-
Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Afghanistan erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.
- 20
-
Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O. Rn. 15 m.w.N.).
- 21
-
Der Verwaltungsgerichtshof hat diese rechtlichen Maßstäbe für die verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in wesentlichen Teilen verkannt. Er bezieht sich zwar ausdrücklich auf den Maßstab der Extremgefahr und zitiert in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (UA S. 6). Bei der Rechtsanwendung indes füllt er ihn mit Merkmalen auf, die weit hinter den vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Anforderungen zurückbleiben.
- 22
-
Das Vorliegen einer Extremgefahr begründet der Verwaltungsgerichtshof damit, es erscheine kaum denkbar, dass der Kläger bei Rückkehr nach Afghanistan sein Überleben "in den chaotischen Verhältnissen Kabuls" sichern könne (UA S. 9). Auch eine gelegentliche finanzielle Unterstützung aus dem Ausland sei "letztlich nicht geeignet, seine Existenz wirksam zu gewährleisten" (UA S. 10). Diese im Rahmen der Subsumtion herangezogenen Tatsachen lassen jedoch nicht den Schluss darauf zu, dass der Kläger dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde, wie das den Anforderungen an eine Extremgefahr im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entspricht. Denn die fehlende Möglichkeit einer wirksamen Existenzsicherung führt nicht zwangsläufig zur Existenzvernichtung oder zu schwersten Gesundheitsschäden. Damit verfehlt das Berufungsurteil den Begriff der Extremgefahr.
- 23
-
Der Verwaltungsgerichtshof hat seiner Entscheidung zudem nicht die weiteren für eine verfassungskonforme Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG erforderlichen Voraussetzungen zugrunde gelegt, dass sich die Gefahr mit hoher Wahrscheinlichkeit und alsbald nach der Rückkehr des Klägers realisieren muss. Auf diese Voraussetzungen geht das Berufungsurteil überhaupt nicht ein. Die gewählte Formulierung, eine Sicherung des Überlebens erscheine "kaum denkbar" (UA S. 9) entspricht nicht dem Wahrscheinlichkeitsmaßstab, dass gleichsam sehenden Auges der sichere Tod oder schwerste Verletzungen drohen müssen. Gegen das Erfordernis der alsbaldigen Realisierung der Gefahr spricht, dass das Gericht eine wirksame Existenzsicherung für erforderlich hält, um die Extremgefahr abzuwenden, und damit für die Verneinung der Gefahr auf eine längerfristige Zeitperspektive abstellt.
- 24
-
3a) Bei seiner erneuten Befassung mit der Sache wird das Berufungsgericht unter Zugrundelegung der für die erneute Entscheidung maßgeblichen Erkenntnislage zu prüfen haben, ob die für die ursprüngliche Zubilligung nationalen Abschiebungsschutzes durch das Bundesamt ausschlaggebende Gefahr der Zwangsrekrutierung durch die Taliban bei Rückkehr nach Afghanistan tatsächlich entfallen ist (vgl. hierzu etwa den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 9. Februar 2011 S. 22 und die Auskunft von Amnesty International an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 21. Dezember 2010).
- 25
-
b) Sollte die Gefahr der Zwangsrekrutierung für den Kläger entfallen sein, ist das Berufungsgericht gehalten, sich bei der erneuten Prüfung eines Abschiebungsverbots wegen Vorliegens einer Extremgefahr in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG die vom Bundesverwaltungsgericht hierzu entwickelten rechtlichen Maßstäbe zu beachten und seiner Überzeugungsbildung zugrunde zu legen. Dabei wird es sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte auseinanderzusetzen haben (vgl. etwa Urteil des VGH München vom 3. Februar 2011 - 13 a B 10.30394 - juris, das sich seinerseits allerdings auch nicht mit der gegenteiligen Rechtsprechung des Berufungsgerichts auseinandersetzt; vgl. dazu auch Urteil des Senats vom 29. Juni 2010 a.a.O. Rn. 22).
- 26
-
c) Sollte es für das Vorliegen einer Extremgefahr weiterhin entscheidungserheblich auf die individuellen Möglichkeiten des Klägers ankommen, sich Nahrungsmittel zu beschaffen, wird der Verwaltungsgerichtshof der Frage nachzugehen haben, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Kläger mit finanzieller Unterstützung durch seine im Ausland lebenden Eltern und sonstigen Familienangehörigen rechnen kann, unter anderem durch seine in Deutschland lebende Schwester. Sofern sich für den Verwaltungsgerichtshof weiterhin die Frage stellt, ob der Kläger bei Rückkehr nach Afghanistan einer erhöhten Gefährdung seiner Sicherheit durch eine erfolgte Beschlagnahme eines Hauses seines Vaters in Kabul durch einen Mudschaheddin-General ausgesetzt wäre (UA S. 9), wird zu untersuchen sein, aufgrund welcher konkreten Umstände sich hieraus eine Gefahr für den Kläger auch ohne Geltendmachung eigener Ansprüche an dem Haus ergeben kann.
- 27
-
d) Sollte der Hauptantrag des Klägers, der auf die Aufhebung des Widerrufs des nationalen Abschiebungsschutzes gerichtet ist, keinen Erfolg haben, wird der Verwaltungsgerichtshof über den Hilfsantrag auf Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots zu entscheiden haben. Einen entsprechenden Antrag hat der Kläger schon in seiner Klageschrift angekündigt. Das Verwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof brauchten hierüber bisher nicht entscheiden, da es dem Kläger vorrangig um den Erhalt des ihm bereits gewährten nationalen Abschiebungsschutzes geht, den ihm die Instanzgerichte zugesprochen haben. Der Kläger durfte sein Begehren auch in dieser Form in einen Haupt- und Hilfsantrag kleiden (siehe oben Rn. 10).
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren.
- 2
-
Der 1970 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört zur Volksgruppe der Paschtunen und stammt aus der Provinz Kunar. Er reiste im April 2001 nach Deutschland ein und betrieb hier erfolglos ein Asylverfahren. Im Juni 2007 stellte er einen Asylfolgeantrag. Mit Bescheid vom 18. Juni 2007 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und eine Änderung seiner Feststellung zum Nichtvorliegen von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG 1990 ab. Das Verwaltungsgericht hat das Bundesamt im Mai 2008 zu der Feststellung verpflichtet, dass bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
- 3
-
Hiergegen hat nur die Beklagte Berufung eingelegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung im Juni 2009 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Das grundsätzlich vorrangige - europarechtlich begründete - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG sei vorliegend nicht zu prüfen. Zwar sei im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes bereits in Kraft gewesen und der Kläger habe die Feststellung von Abschiebungsverboten "nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG" beantragt. Das Verwaltungsgericht habe über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aber - rechtsirrtümlich - nicht entschieden. Da es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass das Verwaltungsgericht bewusst nur über einen Teil des Streitgegenstandes entscheiden wollte, liege kein Teilurteil vor. Das Urteil sei vielmehr im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehlerhaft. Es verstoße gegen § 88 VwGO, weil es über das europarechtliche Abschiebungsverbot rechtsirrtümlich nicht vorrangig entschieden habe. Der Kläger habe jedoch keinen Zulassungsantrag gestellt und der Antrag des Bundesamts auf Zulassung der Berufung sei auf den stattgebenden Teil des angefochtenen Urteils, also das - nationale - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begrenzt gewesen; nur insoweit sei die Berufung zugelassen worden. Wegen der Dispositionsbefugnis der Beteiligten sei der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens damit hierauf beschränkt. Mit der rechtskräftigen Abweisung der Klage durch das Verwaltungsgericht im Übrigen sei die Rechtshängigkeit des unbeschieden gebliebenen europarechtlich begründeten Abschiebungsverbots des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entfallen.
- 4
-
Dem Kläger sei in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG Abschiebungsschutz zu gewähren. Er gehöre zu der Gruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen Staatsangehörigen, die bei einer Abschiebung nach Kabul ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte seien und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügten. Angehörige dieser Gruppe hätten kaum Aussicht, eine Arbeit zu finden und damit ihren eigenen Lebensunterhalt zu sichern. Unter diesen Umständen würden dem Kläger ausschließlich Tee und Brot als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Angesichts dieser Lebensbedingungen in Afghanistan, insbesondere der derzeit vorherrschenden katastrophalen Versorgungslage, aber auch der medizinischen Versorgung und der Sicherheitslage, bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde. Insbesondere die durch die Mangelernährung erhöhte Infektanfälligkeit werde in Verbindung mit dem ebenfalls ernährungsbedingten Eisenmangel zu schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane führen.
- 5
-
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision beanstandet die Beklagte vor allem, dass sich das Berufungsgericht im Hinblick auf die vom Kläger befürchteten allgemeinen Gefahren auf zu schmaler Tatsachengrundlage über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinweggesetzt habe.
Entscheidungsgründe
- 6
-
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt in mehrfacher Hinsicht Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der Sache nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
- 7
-
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zunächst das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Hierzu zählen in Umsetzung des subsidiären Schutzkonzepts nach Art. 15 und 17 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie - die in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG aufgeführten Abschiebungsverbote. Dieses Begehren ist mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (BGBl I 2007, 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - im August 2007 Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden und ist dies - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nach wie vor. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ferner das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines (nationalen) Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 und 3 AufenthG einschließlich der Feststellung eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG. Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist der Folgeantrag des Klägers hinsichtlich der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung, über den das Verwaltungsgericht rechtskräftig (negativ) entschieden hat. Eine Abschiebungsandrohung ist ebenfalls nicht Gegenstand des Verfahrens. Denn das Bundesamt hat hierzu in seinem angefochtenen Bescheid keine Entscheidung getroffen.
- 8
-
Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht, weil es den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz nicht geprüft hat (1.). Es verletzt ferner Bundesrecht, weil es beim nationalen Abschiebungsschutz den Anforderungen an die verfassungskonforme Auslegung und Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG im Falle allgemeiner Gefahren nicht hinreichend Rechnung getragen hat (2.). Schließlich verletzt es Bundesrecht, weil seine Feststellungen zur Gefahrenprognose bei verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten (3.).
- 9
-
1. Das Berufungsgericht hätte nicht ungeprüft lassen dürfen, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots erfüllt. Dieser Streitgegenstand ist in allen Übergangsfällen, in denen das Bundesamt über die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a.F. entschieden hat und hiergegen Klage erhoben wurde, mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes im August 2007 im gerichtlichen Verfahren angewachsen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats gilt dies jedenfalls dann, wenn das Bundesamt in seinem Ablehnungsbescheid über sämtliche zielstaatsbezogenen aufenthaltsrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden und der Kläger die neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbezogen hat (vgl. Urteile vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 <364 f.> und vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 <228 f.>). An dieser (vorsorglichen) Einschränkung für ein Anwachsen des unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutzes in Übergangsfällen hält der Senat nicht fest; vielmehr wächst dieser Streitgegenstand kraft Gesetzes und unabhängig vom Verfahrenshandeln der Beteiligten an. Dies leitet der Senat - in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur gesetzlichen Erweiterung des Streitgegenstands der Asylklage um die Prüfung der Voraussetzungen des flüchtlingsrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (vgl. u.a. Urteil vom 18. Februar 1992 - BVerwG 9 C 59.91 - Buchholz 402.25 § 7 AsylVfG Nr. 1 = DVBl 1992, 843) - aus folgenden verfahrensrechtlichen und materiellrechtlichen Gründen her:
- 10
-
Verfahrensrechtlich hat der Senat in ständiger Rechtsprechung die dem Asylverfahrensgesetz zugrunde liegende Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime betont, die dafür streitet, möglichst alle Fragen, die sich typischerweise in einem Asylverfahren stellen, in einem Prozess abschließend zu klären und nicht weiteren Verfahren vorzubehalten (vgl. etwa Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O.). Denn das Asylverfahren ist auf eine alle Arten des Schutzes vor zielstaatsbezogenen Gefahren umfassende Entscheidung angelegt (vgl. Urteile vom 20. April 1999 - BVerwG 9 C 29.98 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 18 und vom 20. Oktober 2004 - BVerwG 1 C 15.03 - Buchholz a.a.O. Nr. 82). Würde man im vorliegenden Zusammenhang ein Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes verneinen, könnte und müsste der Kläger dieses Begehren in einem weiteren Verfahren verfolgen, was in aller Regel mit (zusätzlichen) Verzögerungen verbunden ist.
- 11
-
Materiellrechtlich ist ein Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes zunächst im Hinblick auf den nachrangigen nationalen Abschiebungsschutz geboten, soweit es die verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann die gesetzlich angeordnete Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei allgemeinen Gefahren nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht. Eine Schutzlücke besteht für den Kläger indes nicht, falls er die Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots beanspruchen kann. Dies bedeutet im Verhältnis von unionsrechtlichem und nationalem Abschiebungsschutz, dass bei allgemeinen Gefahren ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nicht in Betracht kommt, solange die Zuerkennung von subsidiärem unionsrechtlichen Schutz nicht ausgeschlossen ist (vgl. hierzu zuletzt Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O. m.w.N.). Eine bloße Inzidentprüfung des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes im Rahmen der Entscheidung über die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung wäre keine geeignete Alternative, weil das Ergebnis dieser Prüfung keine Bindungswirkung hätte.
- 12
-
Die gesetzliche Erweiterung des Streitgegenstandes ergibt sich ferner daraus, dass das Gesetz im Fall der Ablehnung des Schutzantrags in der Regel den Erlass einer Abschiebungsandrohung vorsieht. Nach § 34 AsylVfG erlässt das Bundesamt die Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird und er keinen Aufenthaltstitel besitzt. Die Rechtmäßigkeit dieser Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbezeichnung gemäß § 59 Abs. 2 AufenthG kann im Gerichtsverfahren aber nur dann bestätigt werden, wenn das Vorliegen sämtlicher zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote geprüft und verneint worden ist. Würden im gerichtlichen Verfahren zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote - wie die des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes - zunächst ungeprüft bleiben, müsste auch die Überprüfung der Zielstaatsbezeichnung einem weiteren Verfahren vorbehalten bleiben.
- 13
-
Diese materiellrechtlichen Gründe überlagern in ihrer verfahrensrechtlichen Konsequenz das allgemeine Verwaltungsprozessrecht und bewirken, dass in den Fällen, in denen das Bundesamt vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes über das (Nicht-)Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten entschieden hat und hiergegen Klage erhoben worden ist, in den anhängigen gerichtlichen Verfahren der am 28. August 2007 neu hinzugetretene unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz automatisch anwächst und damit zwingend zu prüfen ist. Über dieses Prüfprogramm können die Verfahrensbeteiligten nicht disponieren und damit in Übergangsfällen das Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes während des gerichtlichen Verfahrens nicht verhindern. In diesen Fällen bedarf es keiner ausdrücklichen Einbeziehung des neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsschutzes in das anhängige gerichtliche Verfahren durch einen der Verfahrensbeteiligten (so Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O.). Ist der unionsrechtliche Abschiebungsschutz - wie hier - im erstinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren angewachsen, scheidet er allerdings dann aus dem gerichtlichen Verfahren aus, wenn das Verwaltungsgericht darüber ausdrücklich in der Sache entschieden hat und der unterlegene Beteiligte hiergegen kein Rechtsmittel eingelegt hat. Denn dann ist dieser Streitgegenstand durch eine rechtskräftige Entscheidung abgeschichtet worden. Entsprechendes gilt bei dem Anwachsen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes im Berufungsverfahren im Falle einer unangefochten bleibenden und damit rechtskräftigen Sachentscheidung durch das Berufungsgericht.
- 14
-
Ein Nichtentscheiden oder irrtümliches Übergehen durch das Verwaltungsgericht reicht nicht aus, um den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz aus dem Verfahren ausscheiden zu lassen, und zwar auch dann nicht, wenn einer der Beteiligten den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz im Verfahren angesprochen hatte. Um Missverständnisse zu vermeiden, weist der Senat auf Folgendes hin: Falls eine gerichtliche Entscheidung, in der das Anwachsen des unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutzes in Übergangsfällen nicht berücksichtigt worden ist, rechtskräftig geworden ist, ist damit die Rechtshängigkeit dieses Teils des Streitgegenstandes entfallen (vgl. Urteil vom 22. März 1994 - BVerwG 9 C 529.93 - BVerwGE 95, 269 <274>). Der Betroffene kann dieses unbeschieden gebliebene Begehren daher beim Bundesamt geltend machen (Urteil vom 22. März 1994 a.a.O. S. 275).
- 15
-
Im Entscheidungsfall fehlt es an einer unanfechtbaren Sachentscheidung zum unionsrechtlichen Abschiebungsschutz. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zwar im Übrigen abgewiesen, diese Teilabweisung aber ersichtlich nicht auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz bezogen. Dass der unionsrechtliche Abschiebungsschutz während des gerichtlichen Verfahrens angewachsen ist, hat das Verwaltungsgericht irrtümlich verkannt. Auch das Berufungsgericht geht von einem rechtsirrtümlichen Nichtentscheiden des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aus (UA S. 6).
- 16
-
Vorliegend ist der unionsrechtliche Abschiebungsschutz demnach im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht angewachsen und entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Das Berufungsgericht muss sich daher in dem erneuten Berufungsverfahren mit diesem Begehren befassen. Nach der Rechtsprechung des Senats handelt es sich insoweit um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand, der eigenständig und vorrangig vor den sonstigen zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverboten zu prüfen ist (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11). Das Berufungsgericht muss deshalb alle entsprechenden Anspruchsgrundlagen in den Blick nehmen, aus denen sich ein Anspruch auf Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan ergeben kann (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG), wobei hier im Hinblick auf die allgemeinen Gefahren und den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG im Vordergrund stehen dürfte.
- 17
-
2. Das Berufungsurteil verletzt auch hinsichtlich des nationalen Abschiebungsschutzes Bundesrecht. Das Berufungsgericht wird sich im Falle der Ablehnung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots auch mit diesem Begehren nochmals befassen müssen. Bei dem nationalen Abschiebungsschutz handelt es sich nach dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes ebenfalls um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (§ 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung). Eine Abschichtung einzelner nationaler Abschiebungsverbote im Laufe des gerichtlichen Verfahrens ist daher ungeachtet des materiellen Nachrangs des Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG nicht möglich. Soweit der Senat im Urteil vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - (BVerwGE 137, 226 Rn. 6) davon ausgegangen ist, dass im dortigen Verfahren nur (noch) § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und nicht (mehr) § 60 Abs. 5 AufenthG Gegenstand des Verfahrens war, handelt es sich um eine vor Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes erklärte Rücknahme, die nach der früher maßgeblichen Staffelung der Streitgegenstände des nationalen Abschiebungsschutzes (vgl. zur früheren Rechtslage Urteil vom 15. April 1997 - BVerwG 9 C 19.96 - BVerwGE 104, 260) noch zulässig und wirksam war.
- 18
-
Das Berufungsgericht ist an der Feststellung eines Abschiebungsschutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG entgegen der Auffassung der Beklagten allerdings nicht schon deshalb gehindert, weil der Schutzsuchende auch bei Vorliegen einer Extremgefahr auf die Anfechtung einer Abschiebungsandrohung bzw. der darin enthaltenen Zielstaatsbezeichnung beschränkt wäre. Bei Gewährung von Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG ersetzt die gerichtliche Schutzgewähr nicht im Einzelfall eine Anordnung nach § 60a Abs. 1 AufenthG; die gerichtliche Prüfung bleibt im System der positiven Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots (s.a. § 59 Abs. 3 Satz 3 AufenthG). Über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG hat - wie bei anderen aufenthaltsrechtlichen Abschiebungsverboten auch - die Ausländerbehörde zu entscheiden.
- 19
-
Das Berufungsurteil ist aber insoweit mit Bundesrecht nicht vereinbar, als es dem Kläger Abschiebungsschutz nach nationalem Recht in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG zugesprochen hat, ohne das Vorliegen des unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutzes (Abschiebungsverbote u.a. nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG) rechtsfehlerfrei zu prüfen und auszuschließen. Damit hat es sowohl den Vorrang des unionsrechtlichen gegenüber dem nationalen Abschiebungsschutz (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 11) als auch die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Voraussetzungen für die verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in Fällen einer allgemeinen Gefahr verfehlt.
- 20
-
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine derartige Abschiebestopp-Anordnung besteht für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht (mehr). Mit seinem Hinweis insbesondere auf die unzureichende Versorgungslage in Afghanistan, die für Rückkehrer ohne Berufsausbildung und familiäre Unterstützung bestehe, macht der Kläger allgemeine Gefahren geltend, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen können. Diese Sperrwirkung kann, wie ausgeführt, nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht. Eine Schutzlücke besteht für den Kläger nicht, falls ihm unionsrechtlicher Abschiebungsschutz zusteht. Das Berufungsgericht hätte sich daher auch aus diesem Grund mit der Frage des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes befassen müssen, ehe es sich mittels verfassungskonformer Auslegung über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinwegsetzt.
- 21
-
3. Schließlich ist die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Berufungsgericht auch deshalb mit Bundesrecht nicht vereinbar, weil seine Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten. Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, dass eine unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausscheidet, weil der Kläger keine individuellen, nur ihm drohenden Gefahren, sondern allgemeine Gefahren geltend macht. Es ist aber bei der verfassungskonformen Anwendung der Vorschrift hinter den maßgeblichen rechtlichen Anforderungen zurückgeblieben. So ist es zwar zutreffend von den rechtlichen Maßstäben ausgegangen, die der Senat zum Vorliegen einer extremen Gefahrenlage entwickelt hat. Es ist in diesem Zusammenhang aber den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung nicht gerecht geworden und hat seine Entscheidung auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt.
- 22
-
Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Afghanistan erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.
- 23
-
Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. Urteil vom 29. Juni 2010 a.a.O. Rn. 15 m.w.N.).
- 24
-
Das Berufungsgericht hat sich ausdrücklich auf diesen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab bezogen und in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des Senats zitiert. Es spricht davon, dass der Kläger in Afghanistan mangels jeglicher Lebensgrundlage unausweichlich dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre (UA S. 11). In einer Gesamtgefahrenschau müsse deshalb in seinem Falle eine extreme Gefahrenlage bejaht werden (UA S. 24). Diese rechtliche Schlussfolgerung ist durch die getroffenen tatsächlichen Feststellungen und deren Würdigung jedoch nicht gedeckt. Soweit das Berufungsgericht hierfür an der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom 6. Mai 2008 anknüpft, verweist der Senat auf seine dieses Urteil aufhebende Entscheidung vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - (a.a.O.). Indes tragen auch die weitergehenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, das eine weitere Verschärfung der allgemeinen Lebensbedingungen in Afghanistan konstatiert und dies unter anderem mit der inzwischen landesweit schwierigen Sicherheitslage begründet (UA S. 18 ff. und 22 f.), die von ihm vorgenommene Gesamtentscheidung nicht.
- 25
-
Dies zeigt sich insbesondere im Hinblick auf die vom Berufungsgericht festgestellte drohende Mangelernährung und die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken. Das Berufungsgericht geht zwar von einer - gegenüber den vom Oberverwaltungsgericht Koblenz beschriebenen Gegebenheiten - weiteren Zuspitzung der Versorgungslage in Afghanistan aus, bedingt vor allem durch die weiter verschlechterte Sicherheitslage. Das Gericht belegt dies mit der Feststellung, nur noch 37 % der afghanischen Bevölkerung gebe an, sich notwendige Lebensmittel leisten zu können. Jedenfalls für die Mehrheit der auf dem Land lebenden Afghanen gebe es keine Ernährungssicherheit. Die Hälfte aller Kinder bis zum Alter von fünf Jahren gelte als chronisch unterernährt (jeweils UA S. 20). Diese Feststellungen tragen indes nicht den Schluss des Berufungsgerichts, dass in Afghanistan eine derart extreme Gefahr besteht, dass das Leben jedes alleinstehenden jüngeren arbeitsfähigen Mannes - und damit das des Klägers - aufgrund der mangelhaften Versorgungslage akut gefährdet ist. Dies zeigt, dass sich das Berufungsgericht bei der Würdigung dieser zentralen Frage auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt und den erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab verfehlt hat.
- 26
-
Entsprechendes gilt für die durch Mangelernährung ausgelösten gesundheitlichen Risiken. Die Feststellung des Berufungsgerichts, der Kläger würde bei einer Ernährung ausschließlich von Tee und Brot alsbald und unausweichlich in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten (UA S. 12), ist nicht durch hinreichend detaillierte Tatsachen belegt. Dies gilt für die Wahrscheinlichkeit des vom Berufungsgericht befürchteten Krankheitsverlaufs im Allgemeinen, aber auch für die zeitliche Perspektive der lebensbedrohlichen Folgen und die Unausweichlichkeit des prognostizierten Geschehensablaufs.
- 27
-
Bei der Gesamtprognose ist nicht erkennbar, aus welchen Gründen sich das Berufungsgericht davon überzeugt hat, dass sich die jeweils hohe Eintrittswahrscheinlichkeit bei den Teilkomplexen zu einer entsprechend hohen Eintrittswahrscheinlichkeit insgesamt zusammenfügt. Dies hat der Senat bereits bei der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz beanstandet. Das Berufungsgericht hat ebenfalls im Wesentlichen einzelne Risiken festgestellt und bewertet, sie aber nicht im Rahmen einer umfassenden Gesamtgefahrenprognose gewürdigt (vgl. hierzu Beschluss vom 25. Februar 2000 - BVerwG 9 B 77.00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 31). Dies zeigt sich etwa daran, dass der Zusammenhang zwischen Versorgungslage und Sicherheitslage nicht hinreichend deutlich wird. Beide Teilkomplexe stehen weitgehend unvermittelt nebeneinander.
- 28
-
4. Bei seiner erneuten Befassung mit der Sache ist das Berufungsgericht gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte auseinanderzusetzen (vgl. etwa Urteil des VGH München vom 3. Februar 2011 - 13 a B 10.30394 - juris, das sich seinerseits allerdings auch nicht mit der Rechtsprechung des Berufungsgerichts auseinandersetzt; vgl. dazu auch Urteil des Senats vom 29. Juni 2010 a.a.O. Rn. 22). Sollte es für die Entscheidung weiterhin entscheidungserheblich auf das Vorhandensein einer familiären Unterstützung ankommen, wird das Berufungsgericht ferner auch den familiären Verhältnissen des Klägers in Afghanistan nochmals nachzugehen haben. Der Kläger hat sich für sein Vorbringen, dass Angehörige getötet worden seien, auf einen Brief bezogen, den ein Landsmann Ende 2005 in Deutschland erhalten habe. Der Inhalt dieses Briefes ist aber offenbar unklar (vgl. in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht die Einlassungen des Dolmetschers).
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger erstrebt unionsrechtlich begründeten Abschiebungsschutz wegen Gefahren aufgrund eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts, hilfsweise nationalen Abschiebungsschutz wegen ihm drohender (extremer) Gefahr für Leib und Leben vor allem durch Mangelernährung.
- 2
-
Der 1981 geborene, ledige Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört zur Volksgruppe der Hazara und stammt aus der Provinz Ghazni. Er reiste im Februar 2003 nach Deutschland ein und betrieb hier erfolglos ein Asylverfahren. Im November 2006 stellte er einen Asylfolgeantrag. Mit Bescheid vom 21. Dezember 2006 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und eine Änderung seiner Feststellung zum Nichtvorliegen eines Abschiebungshindernisses ab. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht beschränkte der Kläger seine Klage auf die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im April 2007 stattgegeben.
- 3
-
Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren hat der Kläger geltend gemacht, dass auch die Voraussetzungen des Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG vorlägen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten im Mai 2008 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger sei in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG Abschiebungsschutz zu gewähren. Er sei zwar jung und gesund, verfüge aber nicht über eine Berufsausbildung. Angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt in Afghanistan sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass der Kläger auf Dauer eine Arbeit finden und damit seinen eigenen Lebensunterhalt sichern könne. Auf familiäre Unterstützung könne er nicht rechnen. Unter diesen Umständen würden dem Kläger ausschließlich Tee und Brot als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Diese Versorgungssituation werde durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen nicht wesentlich verbessert. Die Möglichkeit, eine winterfeste Unterkunft zu erlangen, sei für einen mittellosen Rückkehrer, der - wie der Kläger - nicht auf familiäre Hilfe zurückgreifen könne, minimal. Die medizinische Versorgung sei selbst in Kabul völlig unzureichend. Auch die hygienischen Verhältnisse, unter denen der Kläger als mittelloser Rückkehrer leben müsse, seien völlig unzulänglich. Angesichts dieser Lebensbedingungen bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde. Insbesondere die durch die Mangelernährung erhöhte Infektanfälligkeit werde in Verbindung mit dem ebenfalls ernährungsbedingten Eisenmangel zu schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane führen. Den anderen Oberverwaltungsgerichten, die dies gegenteilig beurteilten, hätten die vom Berufungsgericht eingeholten Gutachten nicht vorgelegen. Angesichts dieser Einschätzung erübrige sich eine Entscheidung darüber, ob auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorlägen und dem Kläger deshalb gemeinschaftsrechtlicher subsidiärer Schutz zu gewähren sei.
- 4
-
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision beanstandet die Beklagte vor allem, dass sich das Berufungsgericht im Hinblick auf die vom Kläger befürchteten allgemeinen Gefahren auf zu schmaler Tatsachengrundlage über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinweggesetzt habe.
Entscheidungsgründe
- 5
-
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt in mehrfacher Hinsicht Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der Sache nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
- 6
-
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zunächst das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines - unionsrechtlich begründeten - Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Dieses Begehren ist mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (BGBl I 2007, 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - im August 2007 Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Nach der Rechtsprechung des Senats gilt dies jedenfalls dann, wenn - wie hier - das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - in seinem Ablehnungsbescheid über sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden und der Kläger die neuen, auf Unionsrecht beruhenden subsidiären Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbezogen hat (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 -, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen). Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ferner das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines (nationalen) Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist die Frage eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, nachdem der Kläger seine Klage insoweit - vor der gesetzlichen Neuordnung der Streitgegenstände durch das Richtlinienumsetzungsgesetz - zurückgenommen und den Ablehnungsbescheid des Bundesamts damit hat bestandskräftig werden lassen. Eine Abschiebungsandrohung ist ebenfalls nicht Gegenstand des Verfahrens. Auch insoweit hat der Kläger seine Klage zurückgenommen.
- 7
-
Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht, weil es den Vorrang des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes vor dem nationalen Abschiebungsschutz nicht berücksichtigt hat (1.). Es verletzt ferner Bundesrecht, weil es beim nationalen Abschiebungsschutz den Anforderungen an die verfassungskonforme Auslegung und Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG im Fall allgemeiner Gefahren nicht hinreichend Rechnung getragen hat (2.). Schließlich verletzt es Bundesrecht, weil seine Feststellungen zur Gefahrenprognose bei verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten (3.).
- 8
-
1. Das Berufungsgericht hätte nicht offenlassen dürfen, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots erfüllt. Im Entscheidungsfall kommt in diesem Zusammenhang allein ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Betracht. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 oder 3 AufenthG scheiden auch nach Auffassung des Klägers von vornherein aus.
- 9
-
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, der die Regelung des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie - umgesetzt hat, ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Nach der Rechtsprechung des Senats bildet dieser unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz gegenüber dem sonstigen (nationalen) Abschiebungsschutz einen selbstständigen Streitgegenstand. Die Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG wird nach der typischen Interessenlage des Schutzsuchenden vorrangig vor der Feststellung eines sonstigen zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbots begehrt (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 22, jeweils Rn. 10 ff.).
- 10
-
Dieses Rangverhältnis zwischen dem unionsrechtlichen und dem nationalen Abschiebungsschutz hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt. Es hätte das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG der Sache nach nicht als Hilfsantrag behandeln dürfen, sondern darüber vor dem Begehren auf nationalen Abschiebungsschutz befinden müssen. Zwar hat der Kläger bei seiner Antragstellung im Berufungsverfahren kein bestimmtes Rangverhältnis kenntlich gemacht. Er hat aber auch nicht erkennen lassen, dass der unionsrechtliche Abschiebungsschutz nicht oder erst nach dem nationalen Abschiebungsschutz geprüft werden soll. Bei dieser Verfahrenskonstellation hätte das Berufungsgericht - entsprechend der typischen Interessenlage des Schutzsuchenden - das Begehren des Klägers dahingehend auslegen müssen, dass primär über dessen Hauptantrag auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden werden soll. Auf dieser rechtsfehlerhaften Behandlung der Anträge des Klägers beruht die Entscheidung des Berufungsgerichts. Daran ändert auch die hilfsweise angeführte Begründung des Berufungsgerichts nichts, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG im Übrigen auch nicht erfüllt seien. Denn in dieser Begründung stellt das Berufungsgericht darauf ab, dass selbst bei Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in Afghanistan ein Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift wegen der auch in diesem Fall geltenden Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur bei einer - hier offenbar nicht gegebenen - extremen Gefahr in Betracht komme. Diese Rechtsansicht ist nach dem inzwischen ergangenen Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - (a.a.O. Rn. 30 ff.) nicht mit Bundesrecht vereinbar, da § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG richtlinienkonform dahingehend auszulegen ist, dass er bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie bzw. des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG keine Sperrwirkung entfaltet. Mangels hinreichender Feststellungen im Berufungsurteil zum Vorliegen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist es dem Senat verwehrt, sich selbst näher mit den Voraussetzungen eines derartigen Abschiebungsverbots zu befassen. Im erneuten Berufungsverfahren wird das Oberverwaltungsgericht vorrangig über diesen Hauptantrag zu entscheiden haben.
- 11
-
2. Indem das Berufungsgericht dem Kläger Abschiebungsschutz nach nationalem Recht in verfassungskonformer Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG zugesprochen hat, ohne das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG rechtsfehlerfrei zu prüfen und auszuschließen, hat es auch die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Voraussetzungen für die verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in Fällen einer allgemeinen Gefahr verkannt. Auch insofern ist das Berufungsurteil nicht mit Bundesrecht vereinbar.
- 12
-
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine derartige Abschiebestopp-Anordnung besteht für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht (mehr). Mit seinem Hinweis auf die unzureichende Versorgungslage in Afghanistan, die für Rückkehrer ohne Berufsausbildung und familiäre Unterstützung besteht, macht der Kläger allgemeine Gefahren geltend, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen können. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann diese Sperrwirkung nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht (vgl. Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - a.a.O. Rn. 32 m.w.N.). Eine Schutzlücke besteht für den Kläger indes nicht, falls er die Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG beanspruchen kann (vgl. hierzu nochmals Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - a.a.O. Rn. 32 m.w.N.). Das Berufungsgericht hätte sich daher auch aus diesem Grund mit der Frage des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes befassen müssen, ehe es sich mittels verfassungskonformer Auslegung über die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG hinwegsetzt.
- 13
-
3. Schließlich ist die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Berufungsgericht auch deshalb mit Bundesrecht nicht vereinbar, weil seine Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten. Das Berufungsgericht hat zwar zutreffend erkannt, dass eine unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausscheidet, weil der Kläger keine individuellen, nur ihm drohenden Gefahren, sondern allgemeine Gefahren geltend macht. Es ist aber bei der verfassungskonformen Anwendung der Vorschrift in mehrfacher Hinsicht hinter den maßgeblichen rechtlichen Anforderungen zurückgeblieben. So hat es die vom Senat zum Vorliegen einer extremen Gefahrenlage entwickelten rechtlichen Maßstäbe verfehlt. Es ist in diesem Zusammenhang auch den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung nicht gerecht geworden und hat seine Entscheidung auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt.
- 14
-
Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Afghanistan erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.
- 15
-
Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde" (vgl. Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1 <9 f.> m.w.N.). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. etwa Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 5.01 - a.a.O.).
- 16
-
Das Berufungsgericht hat diese rechtlichen Maßstäbe für die verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zwar im Wesentlichen zutreffend wiedergegeben. Seine rechtliche Subsumtion wird jedoch nicht von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen. Vor allem fehlt eine tatrichterliche Gesamtwürdigung der den Kläger betreffenden Lebensbedingungen in Afghanistan insbesondere im Hinblick auf die bei der verfassungskonformen Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gebotene erhöhte Wahrscheinlichkeit des Eintritts der extremen Gefahren.
- 17
-
Das Berufungsgericht hat sich zwar ausdrücklich auf diesen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab bezogen und in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des Senats zitiert (UA S. 7). Auch spricht es am Ende seiner Entscheidung zusammenfassend von der "hohen Wahrscheinlichkeit", dass der Kläger durch seine Abschiebung nach Afghanistan zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde (UA S. 15). Diese rechtliche Schlussfolgerung ist durch die getroffenen tatsächlichen Feststellungen und deren Würdigung aber nicht gedeckt. So ist das Berufungsgericht maßgeblich davon ausgegangen, dass der Kläger sich ausschließlich von Tee und Brot ernähren müsste. Auf der Grundlage dieser Prämisse hat sich das Berufungsgericht von einer Ernährungsmedizinerin die gesundheitlichen Risiken dieser Mangelernährung schildern lassen. Gleichzeitig hat es sich auf Erkenntnisquellen bezogen, nach denen sich jeder zweite Einwohner von Kabul nur von Tee und Brot ernähren kann, 8,9 % der Bevölkerung von Kabul unter akuter Unterernährung leiden und "fast ein Viertel aller Haushalte" in Afghanistan die Grundversorgung an Nahrungsmitteln nicht selbstständig sichern kann (UA S. 11). Das Berufungsgericht hat weiter erwähnt, dass dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 7. März 2008 zufolge internationale Hilfsorganisationen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern versorgen und sich die Versorgungslage in Kabul grundsätzlich verbessert hat. Es ist dem aber nicht hinreichend nachgegangen, sondern hat ohne nähere Prüfung gefolgert, dass die Versorgungssituation durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen nicht wesentlich verbessert werde (UA S. 11 und 12). All dies macht deutlich, dass sich das Berufungsgericht schon bei der Würdigung dieses zentralen Teilkomplexes auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt und den erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab verfehlt hat.
- 18
-
Dies gilt auch für die Würdigung der anderen Teilkomplexe. Bei der Möglichkeit, sich eine wirtschaftliche Existenz aus eigener Kraft zu sichern, spricht das Berufungsgericht zwar von einer "hohen Wahrscheinlichkeit", dass dem Kläger diese Sicherung nicht gelingen werde. Es stützt sich dabei aber zum Teil auf Erkenntnisquellen, die sich mit den Chancen befassen, "auf Dauer" eine Arbeit zu finden bzw. eine berufliche "Wiedereingliederung" zu erreichen (UA S. 9).
- 19
-
Das Berufungsgericht hat seine Prognose, dass dem Kläger extreme Gefahren drohen, zudem in der Weise gewonnen, dass es bei der Beurteilung der Lebensbedingungen in Afghanistan die erwähnten und weitere sachliche Teilkomplexe u.a. zur Problematik einer winterfesten Unterkunft, medizinischer Versorgung und hygienischer Verhältnisse gebildet hat. Es hat damit die Gefahrenprognose in mehrere hintereinander geschaltete Teilprognosen aufgespalten, deren Schlussfolgerungen aufeinander aufbauen. Die bei dieser Vorgehensweise erforderliche Gesamtprognose, mit der die Lebensbedingungen und die sich daraus für den Kläger ergebenden Risiken anhand des hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs insgesamt gewürdigt werden, ist nicht erfolgt. Der vom Berufungsgericht gezogene Gesamtschluss wäre selbst dann rechtsfehlerhaft, wenn dieses bei jedem der von ihm untersuchten Teilbereiche eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit festgestellt hätte. Denn eine hohe Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Verwirklichung jedes Einzelglieds einer Kausalkette rechtfertigt ohne wertende Gesamtbetrachtung nicht zwingend den Schluss, dass das am Ende stehende Ergebnis ebenfalls mit dem gleichen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad eintritt. Unverzichtbar ist vielmehr eine Gesamtwürdigung dahingehend, dass die von der Ernährungsmedizinerin beschriebenen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr des Klägers eintreten würden.
- 20
-
Dadurch, dass das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung den erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsmaßstab verfehlt hat, ist auch seine Aussage nicht tragfähig, dass der Kläger "alsbald" in eine extreme Gefahrenlage geraten würde. Im Übrigen spricht viel dafür, dass das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang einen zu weiten Maßstab angewendet hat. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts droht dem Kläger nicht der Hungertod, sondern ein körperlicher Verfallsprozess, der durch Mangelernährung und eine dadurch erhöhte Infektanfälligkeit ausgelöst werden kann. Dass die extreme Gefahr unter diesen Umständen mit hoher Wahrscheinlichkeit "alsbald" eintritt, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
- 21
-
Dadurch, dass das Berufungsgericht die rechtlichen Maßstäbe fehlerhaft angewendet hat, hat es auch seine tatrichterliche Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) fehlerhaft gebildet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Überzeugungsgrundsatz dann verletzt, wenn die Überzeugungsbildung - wie hier - an inneren Mängeln leidet (vgl. etwa Beschluss vom 14. August 1998 - BVerwG 4 B 81.98 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 280). Ein Mangel bei der Überzeugungsbildung liegt zusätzlich auch insoweit vor, als das Berufungsgericht von fehlender familiärer Unterstützung für den Kläger in Afghanistan ausgegangen ist. Der Umstand, ob ein Rückkehrer auf eine derartige Unterstützung rechnen kann, ist für das Berufungsgericht von wesentlicher Bedeutung gewesen. So führt es beispielsweise aus, da in Afghanistan staatliche soziale Sicherungssysteme nicht vorhanden seien, werde die "soziale Absicherung ... (von) Familien und Stammesverbänden" übernommen (UA S. 11). Das Berufungsurteil lässt jedoch nicht erkennen, worauf sich die Überzeugung gründen lässt, dass im Entscheidungsfall eine familiäre Unterstützung fehlt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Kläger ausweislich des Sitzungsprotokolls erklärt, er habe in Afghanistan keine Verwandten und auch keine Bekannten mehr. Jedenfalls habe er "insoweit keinerlei Kontakte mehr". Der Bedeutung dieser Äußerung ist das Berufungsgericht nicht weiter nachgegangen. Das Berufungsgericht hat sich auch nicht damit befasst, von wem der Kläger als Minderjähriger nach dem Tod seiner Eltern bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan unterstützt worden ist. Auch zu denkbaren Unterstützungsmaßnahmen seitens seines Stammes verhält sich das Berufungsurteil nicht.
- 22
-
Bei der Überzeugungsbildung des Berufungsgerichts und der Darstellung der Gründe, die für seine Überzeugungsbildung leitend gewesen sind, ist schließlich zu beanstanden, dass sich das Berufungsgericht mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte nur unzureichend auseinandergesetzt hat. Vier - vom Berufungsgericht zitierte - Oberverwaltungsgerichte haben verneint, dass Rückkehrern wie dem Kläger extreme Gefahren in Afghanistan drohen. Sie haben insbesondere die Hilfsmaßnahmen internationaler Organisationen und auch die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt in Afghanistan abweichend beurteilt. Zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung hat kein anderes Oberverwaltungsgericht die Einschätzung des Berufungsgerichts geteilt. Das Argument des Berufungsgerichts, den anderen Oberverwaltungsgerichten hätten die von ihm eingeholten Erkenntnismittel nicht vorgelegen, trägt jedenfalls insoweit nicht, als es um die für das Berufungsgericht zentralen Ausführungen der Ernährungsmedizinerin geht. Denn diese ist auf der Grundlage einer vom Berufungsgericht aus dem Gesamtzusammenhang herausgelösten (hypothetischen) Einzelprämisse gehört worden.
- 23
-
Bei der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ein Gericht gehalten, den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung und die gebotene Auseinandersetzung mit abweichender Tatsachen- und Lagebeurteilung anderer (Ober-)Verwaltungsgerichte in besonderer Weise gerecht zu werden. Dies ist dem Berufungsgericht, wie ausgeführt, in mehrfacher Hinsicht nicht gelungen.
- 24
-
Für das erneute Berufungsverfahren weist der Senat darauf hin, dass es sich vorliegend um ein Asylfolgeverfahren handelt und deshalb zunächst die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu prüfen sind (vgl. Urteil vom 20. Oktober 2004 - BVerwG 1 C 15.03 - BVerwGE 122, 103 <105 ff.> m.w.N.). Diese Prüfung hat das Berufungsgericht bisher nicht durchgeführt.
(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen:
- 1.
Ablauf seiner Geltungsdauer, - 2.
Eintritt einer auflösenden Bedingung, - 3.
Rücknahme des Aufenthaltstitels, - 4.
Widerruf des Aufenthaltstitels, - 5.
Ausweisung des Ausländers, - 5a.
Bekanntgabe einer Abschiebungsanordnung nach § 58a, - 6.
wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist, - 7.
wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist, - 8.
wenn ein Ausländer nach Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß der §§ 22, 23 oder § 25 Abs. 3 bis 5 einen Asylantrag stellt;
(1a) Die Gültigkeit einer nach § 19 erteilten ICT-Karte erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie 2014/66/EU vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des unternehmensinternen Transfers in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen. Die Gültigkeit einer nach § 16b oder § 18d erteilten Aufenthaltserlaubnis erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie (EU) 2016/801 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des Studiums oder des Forschungsvorhabens in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen.
(2) Die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis seines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten erlöschen nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn deren Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Die Niederlassungserlaubnis eines mit einem Deutschen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ausländers erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Zum Nachweis des Fortbestandes der Niederlassungserlaubnis stellt die Ausländerbehörde am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts auf Antrag eine Bescheinigung aus.
(3) Der Aufenthaltstitel erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 7, wenn die Frist lediglich wegen Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Heimatstaat überschritten wird und der Ausländer innerhalb von drei Monaten nach der Entlassung aus dem Wehrdienst wieder einreist.
(4) Nach Absatz 1 Nr. 7 wird in der Regel eine längere Frist bestimmt, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde ausreisen will und eine Niederlassungserlaubnis besitzt oder wenn der Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient. Abweichend von Absatz 1 Nummer 6 und 7 erlischt der Aufenthaltstitel eines Ausländers nicht, wenn er die Voraussetzungen des § 37 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 erfüllt, rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch innerhalb von zehn Jahren seit der Ausreise, wieder einreist.
(5) Die Befreiung vom Erfordernis des Aufenthaltstitels entfällt, wenn der Ausländer ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben wird; § 11 Absatz 2 bis 5 findet entsprechende Anwendung.
(6) Räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen nach diesem und nach anderen Gesetzen bleiben auch nach Wegfall des Aufenthaltstitels oder der Aussetzung der Abschiebung in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist.
(7) Im Falle der Ausreise eines Asylberechtigten oder eines Ausländers, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, erlischt der Aufenthaltstitel nicht, solange er im Besitz eines gültigen, von einer deutschen Behörde ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge ist. Der Ausländer hat auf Grund seiner Anerkennung als Asylberechtigter oder der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keinen Anspruch auf erneute Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn er das Bundesgebiet verlassen hat und die Zuständigkeit für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge auf einen anderen Staat übergegangen ist.
(8) Vor der Aufhebung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1, vor einer Ausweisung eines Ausländers, der eine solche Aufenthaltserlaubnis besitzt und vor dem Erlass einer gegen ihn gerichteten Abschiebungsanordnung nach § 58a gibt die zuständige Behörde in dem Verfahren nach § 91c Absatz 2 über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn die Abschiebung in ein Gebiet erwogen wird, in dem diese Rechtsstellung nicht erworben werden kann. Geht die Stellungnahme des anderen Mitgliedstaates rechtzeitig ein, wird sie von der zuständigen Behörde berücksichtigt.
(8a) Soweit die Behörden anderer Schengen-Staaten über Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009, die durch die Ausländerbehörden getroffen wurden, zu unterrichten sind, erfolgt dies über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden unterrichten die Behörden anderer Schengen-Staaten unmittelbar über ihre Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009.
(9) Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU erlischt nur, wenn
- 1.
ihre Erteilung wegen Täuschung, Drohung oder Bestechung zurückgenommen wird, - 2.
der Ausländer ausgewiesen oder ihm eine Abschiebungsanordnung nach § 58a bekannt gegeben wird, - 3.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des Gebiets aufhält, in dem die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erworben werden kann; der Zeitraum beträgt 24 aufeinanderfolgende Monate bei einem Ausländer, der zuvor im Besitz einer Blauen Karte EU war, und bei seinen Familienangehörigen, die zuvor im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 30, 32, 33 oder 36 waren, - 4.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von sechs Jahren außerhalb des Bundesgebiets aufhält oder - 5.
der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwirbt.
(10) Abweichend von Absatz 1 Nummer 7 beträgt die Frist für die Blaue Karte EU und die Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 30, 32, 33 oder 36, die den Familienangehörigen eines Inhabers einer Blauen Karte EU erteilt worden sind, zwölf Monate. Gleiches gilt für die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis eines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Tenor
Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung der Ziffer 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11. September 2014 verpflichtet, festzustellen, dass im Falle der Klägerin hinsichtlich Nigeria ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt. Ziffer 5 des Bescheides vom 11. September 2014 wird aufgehoben, soweit damit die Abschiebung nach Nigeria angedroht wird.
Die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen die Beklagte zu ¼ und die Klägerin zu ¾.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
T a t b e s t a n d :
2Die ihren Angaben zufolge am 00.00.0000 nahe C. D. geborene Klägerin ist nigerianische Staatsangehörige und ledig. Sie meldete sich am 13. Juni 2012 bei der Ausländerbehörde als Asylsuchende und gab an, ledig und im achten Monat schwanger zu sein. Zu ihrem am 15. Juni 2012 gestellten Asylantrag führte die Klägerin bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 21. Juni 2012 Folgendes aus:
3Sie gehöre den Volksgruppen der Edo und der Own an und verfüge über keine Personalpapiere. Sie stamme aus dem Dorf Own, Edo State, das etwa eine Autostunde von C. D. entfernt sei. Dort habe sie seit ihrer Geburt bis sechs Monate vor ihrer Ausreise gelebt. Anschließend sei sie nach Lagos gegangen. Ihre Eltern seien K. N. und T. N. . Beide Eltern seien Muslime. Sie habe noch zwei Brüder im Alter von sechzehn und achtzehn Jahren, die noch zur Schule gingen, sowie Verwandte in B. , L. und C. . Sie selber habe sechs Jahre die Mittelschule besucht und anschließend keinen Beruf erlernt.
4Im Alter von zwanzig/einundzwanzig Jahren sei sie mit einem schon damals 69 Jahre alten Mann nach den Gebräuchen ihres Stammes verheiratet worden. Sie sei die sechste Frau dieses Mannes gewesen und habe dann zusammen mit den Ehefrauen und Kindern ihres Mannes in dessen Haus gelebt. Ihr Ehemann habe viel Land gehabt und von der Landwirtschaft gelebt. Sie habe insgesamt neun Jahre bei ihm gelebt und auf der Farm gearbeitet. Ihre Eltern hätten ebenfalls für ihren Ehemann gearbeitet und ihr Vater habe von diesem einen Brautpreis für sie bekommen. Sie habe von ihrem Ehemann keine Kinder bekommen und habe ihn im August 2011 verlassen. Zuvor habe sie einen Mann namens K1. in ihrem Dorf kennengelernt, der dort einen Freund besucht habe. Diesem sei sie nach Lagos gefolgt. Er habe für sie ein Appartement in Lagos angemietet. Im September 2011 habe sie bemerkt, dass sie von dem Mann namens K1. schwanger geworden sei. Anfang Dezember 2011 sei K1. erneut nach Nigeria gekommen, einen Monat bei ihr geblieben und sei dann Ende 2011 wieder abgereist. Danach habe er ihr kein Geld mehr geschickt und sie habe die Miete nicht mehr bezahlen können. Eine Lebensmittelhändlerin habe ihr dann geholfen, doch nachdem deren Mann sie habe vergewaltigen wollen, sei sie weggerannt. Als sie der Frau darüber berichtet habe, sei sie auf die Straße geworfen worden. Anschließend habe sie versucht, sich selber zu töten, und habe Bleichmittel für Wäsche getrunken. Sie sei ins Krankenhaus gekommen und habe dort die Missionare getroffen. Sie sei zirka eine Woche im Krankenhaus geblieben. Sie habe Nigeria auf dem Seeweg verlassen und sei von Lagos aus in Begleitung von vier Missionaren aus verschiedenen Ländern bis nach Deutschland gekommen.
5Sie habe Nigeria letztlich verlassen, weil sie außerehelich schwanger geworden sei und ihr bei einer Rückkehr nach Nigeria ihr Bestrafung oder auch eine Tötung des Kindes durch ihre eigene Familie und auch durch die Familie ihres Ehemannes drohe.
6Am 26. Juni 2012 wurde die Tochter der Klägerin ‑ D1. C1. N. ‑ (Klägerin des Verfahrens 2 K 2738/13.A) in N1. geboren. Zu dem Kind hat unter dem 2. September 2013 Herr K1. P. (geboren 00.00.0000 in L1. , ledig), wohnhaft in München und Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis die Vaterschaft mit Zustimmung der Klägerin anerkannt. Das Standesamt N1. lehnte allerdings mit Bescheid vom 13. Oktober 2014 die Eintragung des Herrn K1. P. als Kindesvater in das Geburtsregister ab, da die Vaterschaftsanerkennung wegen erheblicher Indizien für eine Ehe in Nigeria nicht wirksam sei. In dem Verfahren vor dem Standesamt N1. legte die Klägerin die Kopie eines nigerianischen Reisepasses, ausgestellt am 26. März 2010 in C. , eine Declaration of Age vom 14. November 2012 (von T1. C1. N. als Mutter der Klägerin) sowie eine Affidavit of Spinsterhood (ebenfalls von T1. C1. N. ) vor. In einem für das Standesamt N1. am 19. November 2013 ausgefüllten Fragenbogen gab die Klägerin als Vater K. C1. N. und als Mutter T2. C1. N. mit unbekannter Adresse an. Zudem gab sie als jüngere Geschwister K2. , geboren 1994, und K3. , geboren 1990, an. Den Kindesvater habe sie das erste Mal 2011 in ihrer Stadt (Own) getroffen habe; er sei in die Stadt gekommen, um Freunde zu treffen.
7Im April 2014 stellte die Klägerin einen Antrag auf Anfechtung der Vaterschaft gegen Herrn B1. P1. (AG Heinsberg Az.: 10 F 172/14), in dem sie ausführte, dass sie traditionell mit dem Antragsgegner in Nigeria verheiratet sei und eine Heiratsurkunde nicht existiere. Sie habe den Antragsgegner zuletzt im Februar 2011 in Nigeria gesehen. Anschließend habe sie Nigeria verlassen und sei in das Bundesgebiet eingereist, um einen Asylantrag zu stellen. Vater des Kindes sei Herr K1. P. . Mit Beschluss vom 17. November 2014 lehnte das AG Heinsberg den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe der Klägerin ab. Der Antrag sei derzeit nicht begründet, da nicht davon ausgegangen werde, dass die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Geburt der Tochter mit dem Antragsgegner nach nigerianischem Stammesrecht verheiratet gewesen sei. Nachweise für eine Heirat seien nicht vorgelegt worden. Auch habe die Klägerin selbst erklärt, ledig zu sein, und dies durch ein Affidavit of Spinsterhood nachgewiesen. Gegen eine Heirat spreche auch der Umstand, dass weder die Antragstellerin noch das Kind den Namen des Antragsgegners tragen würden, wie es gewohnheitsrechtlich in Nigeria der Fall sei.
8Mit Bescheid vom 11. September 2014 ‑ zugestellt am 16. September 2014 ‑ lehnte das Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und den Antrag auf Asylanerkennung ab. Ferner lehnte das Bundesamt die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorlägen. Das Bundesamt forderte die Klägerin unter Fristsetzung zur Ausreise auf und drohte ihr für den Fall der Nichtausreise die Abschiebung nach Nigeria an.
9Die Klägerin hat am 22. September 2014 Klage erhoben und ausgeführt, dass sie in ihrem Heimatland gegen Zahlung eines Brautpreises im Rahmen einer traditionellen Handlung mit einem Mann, der bereits fünf Frauen gehabt habe, verheiratet worden sei. Ihrer Auffassung nach habe es sich um eine unzulässige Mehrfachehe gehandelt. Da dieser "Ehemann" in Nigeria über großes Landvermögen verfügt habe, habe er immer weitere Arbeitskräfte für seine Landwirtschaft benötigt. Vor diesem Hintergrund sei sie mit ihm verheiratet worden. Zu sexuellen Kontakten mit dem Ehemann sei es nicht gekommen. Später habe sie Herrn K1. P. kennengelernt und eine Beziehung begonnen, aus der eine Schwangerschaft resultiert habe. In traditionellen Kreisen Nigerias gelte ein derartiges Verhalten als schwere Verfehlung und "Ehebruch". Sie müsse mit schwersten Misshandlungen rechnen und es sei schon zu Fällen gekommen, in denen das Kind und die Kindesmutter getötet worden seien. Ihr drohe daher bei einer Rückkehr nach Nigeria Gefahr für Leib und Leben.
10Nach teilweiser Zurücknahme der Klage in der mündlichen Verhandlung beantragt die Klägerin noch,
11unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 11. September 2014 festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes für ihre Person bezüglich Nigeria vorliegt.
12Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Zur Begründung bezieht sie sich auf die Gründe des angefochtenen Bescheides.
15Das Standesamt N1. teilte unter dem 26. Juni 2005 mit, dass die Klägerin einen Antrag nach § 49 des Personenstandsgesetzes beim Personenstandsgericht in Arnsberg gestellt habe (Az.: 23 III 17/15) gegen den Bescheid des Standesamtes vom 13. Oktober 2014. Wegen des Inhalts des Schreibens wird Bezug genommen auf Blatt 82-87 der Gerichtsakte.
16Die Klägerin teilte mit, dass sie erneut schwanger sei und das Kind zum 23. September 2015 erwarte. Kindesvater sei erneut Herr K1. P. , der die Vaterschaft bereits anerkannt habe.
17Der Rechtsstreit ist auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen worden. Diese hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach‑ und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der hierzu überreichten Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der zuständigen Ausländerbehörde. Ferner wird verwiesen auf die mit der Ladung übersandte Liste der Auskünfte, Stellungnahmen und Gutachten über die Lage in Nigeria (sog. Erkenntnisliste).
19Entscheidungsgründe:
20Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten zur mündlichen Verhandlung über den Rechtsstreit entscheiden, da die Beteiligten darauf bei der Ladung hingewiesen worden sind, § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
21Soweit die Klägerin die Klage (hinsichtlich des Asylantrags, der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Feststellung von unionsrechtlichen Abschiebungsverboten nach nunmehr § 4 AsylVfG - zuvor: § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes a.F. – AufenthG -) zurückgenommen hat, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
22Die noch hinsichtlich der Feststellung nationaler Abschiebungsverbote anhängige Klage ist begründet.
23Der Ablehnungsbescheid des Bundesamtes vom 11. September 2014 ist rechtswidrig, soweit mit Ziffer 4 des Bescheides das Vorliegen eines (nationalen) Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für die Person der Klägerin verneint wird und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheides ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit der Klägerin darin die Abschiebung in das Zielland Nigeria angedroht wird. Sie ist daher in diesem Umfang aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
24Der hier noch streitgegenständliche nationale Abschiebungsschutz stellt nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I 2007, 1970) – Richtlinienumsetzungsgesetz – wie auch der unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F. einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) dar, der im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens nicht weiter abgeschichtet werden kann,
25vgl. dazu Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 8. September 2011 – 10 C 14/10 –, juris Rz.17, vom 29. Juni 2010 – 10 C 10/09 – , juris Rz. 6 und vom 24. Juni 2008 – 10 C 43/07 – juris Rz. 15.
26Ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist nicht gegeben. Es sind insbesondere nach dem Vorbringen der Klägerin keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass ihr in Nigeria eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. von Art. 3 EMRK durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation landesweit droht.
27Die Klägerin hat jedoch nach der im Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 des Asylverfahrensgesetzes – AsylVfG -) einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Nigeria.
28Danach kann von der Abschiebung abgesehen werden, wenn für den Ausländer im Zielstaat eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Maßgebend ist insoweit allein das Bestehen einer konkreten, individuellen Gefahr für die genannten Rechtsgüter (sog. individuelle Gefahren), ohne Rücksicht darauf, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Ursachen sie beruht. Diese Gefahr muss dem Einzelnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen, wobei im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der „konkreten“ Gefahr für „diesen“ Ausländer als zusätzliches Erfordernis eine einfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefahrensituation hinzutreten muss, die überdies landesweit droht,
29vgl. etwa Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteile vom 5. April 2006 – 20 A 5161/04.A -, vom 19. April 2005 – 8 A 273/04.A -, juris;
30zur früheren, gleichlautenden Regelung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bereits: BVerwG, Urteile vom 25. November 1997 - 9 C 58/96 - , BVerwGE 195, S. 383 und vom 21. September 1999 – 9 C 8/99 -, AuAS 2000 S. 14; zur Übertragbarkeit auf die Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG: Beschluss vom 19. Oktober 2005 – 1 B 16/05 -, juris.
31Allerdings sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (allgemeine Gefahr bzw. Gruppengefahr), mit der Folge, dass die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gesperrt ist. Nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Danach soll bei allgemeinen Gefahren über die Gewährung von Abschiebeschutz durch eine politische Leitentscheidung befunden werden. Allgemeine Gefahren können daher auch dann kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen, wenn sie dem Ausländer konkret und in individualisierbarer Weise betreffen. Trotz bestehender konkreter erheblicher Gefahr ist danach die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gesperrt, wenn dieselbe Gefahr zugleich einer Vielzahl von weiteren Personen im Zielstaat droht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darf jedoch im Einzelfall Ausländern, die zwar einer allgemein gefährdeten Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angehören, für welche ein Abschiebestopp nach § 60 a Abs. 1 nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 AufenthG zugesprochen werden, wenn kein anderes Abschiebungsverbot vorliegt und die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Dies ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde,
32vgl. ständige Rspr. BVerwG zur gleichlautenden Vorschrift des § 53 Abs. 6 AuslG: Urteile vom 17. Oktober 1995 – 9 C 9/95 -, vom 27. April 1998 - 9 C 13/97 -, vom 12. Juli 2001 - 1 C 5/01 -, vom 16. Juni 2004 - 1 C 27/03 -, vom 18. Juli 2006 - 1 C 16/05 - und vom 18. Oktober 2006 - 1 C 18/05 -, jeweils juris sowie zu § 60 Abs. 7 AufenthG: Urteile vom 29. Juni 2010 – 10 C 10/09 – und vom 29. September 2011 – 10 C 24/10 -, Beschlüsse vom 17. Juni 2010 – 10 B 8/10 -, vom 8. Februar 2011 – 10 B 1/11 – und vom 8. September 2011 – 10 C 14/10 -, jeweils juris.
33Die extreme Gefahrenlage ist geprägt durch einen erhöhten Wahrscheinlichkeitsmaßstab, d.h. die Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass in zeitlicher Hinsicht sofort bei oder nach der Ankunft mit dem unmittelbaren Eintritt eines schweren Schadens zu rechnen ist. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde,
34vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 12. Juli 2001 – 1 C 5/01 – und vom 29. Juni 2010 – 10 C 10/09.
35Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann sich die Klägerin mit Blick auf die schlechten Lebensbedingungen in Nigeria zunächst nicht auf eine drohende Gefahr i.S. des § 60 Abs. 7 S.1 AufenthG berufen. Angesichts der nach den vorliegenden Erkenntnissen schwierigen ökonomischen Situation in Nigeria und den damit verbundenen Gefahren ist von einer allgemeinen Gefahr bzw. Gruppengefahr auszugehen, da diese Gefahren mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einem Großteil der Bevölkerung und insbesondere der Gruppe der alleinstehenden Frauen in Nigeria drohen. Die Gefahren treffen auf eine Vielzahl von Personen mit gleichem Merkmal zu, mit der Folge, dass grundsätzlich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG eingreift.
36Die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage ist für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nach den vorliegenden Erkenntnissen 70 – 80 % der Bevölkerung, lebt am Existenzminimum bzw. 65 - 70% lebt unterhalb der Armutsgrenze von einem US-Dollar pro Tag. Dieser große Teil der Bevölkerung lebt im Wesentlichen als Bauer, Landarbeiter, oder Tagelöhner vom informellen Handel sowie (Subsistenz-) Landwirtschaft. Die Armutsrate ist seit 1980 beständig gestiegen unter gleichzeitigem hohem Bevölkerungswachstum. Es herrscht hohe Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung – insbesondere bei jungen Menschen -, da Millionen von Menschen keinen Zugang zu wirtschaftlichen Aktivitäten haben. Das Pro-Kopf-Jahreseinkommen ist ungleichmäßig zugunsten einer kleinen Elite und zum Nachteil der Masse der Bevölkerung verteilt. Nach Studien der Weltgesundheitsorganisation hat die Lebenserwartung der Bevölkerung in den letzten Jahren in erschreckender Weise kontinuierlich abgenommen, was auf die schlechte Gesundheitsversorgung zurückzuführen ist. Viele Menschen haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem und auch der Zugang zu Wasser und Strom ist dem größten Teil der Bevölkerung erschwert; Bildungschancen sind sehr ungleich verteilt. Ein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Mittellose existiert nicht,
37vgl. etwa AA, Lageberichte Nigeria vom 28. November 2014, 7. März 2011 und 11. März 2010, jeweils Ziffer IV 1.1, 1.2 bzw. 1.3 und Länderinformation/Nigeria/Wirtschaft unter www.auswaertiges-amt.de, Stand: Juni 2015; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Nigeria Update vom März 2010, S. 21, 22 m.w.Nw.; Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) (zuvor Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ)) unter www.giz.de bzw. www.gtz.de jeweils weltweit-afrika-nigeria; Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unter www.bmz.de – länder-regionen-subsahahra-nigeria (dort: u.a. "Soziale Schieflage").
38Von dieser Situation ist im besonderen Maße die Gruppe der alleinstehenden Frauen betroffen, da nach der derzeitigen Erkenntnislage die Situation für diese Gruppe besonders schwierig ist. Bereits der größere Teil der von Armut betroffenen Bevölkerung sind Frauen. Die alleinstehenden Frauen sind darüber hinaus vielen Arten von Diskriminierung ausgesetzt und durch das Merkmal „alleinstehend“ vielfach stigmatisiert. Sie finden meist nur schwer eine Unterkunft und eine berufliche Tätigkeit in Nigeria, dies umso weniger, je geringer die Schul- bzw. Berufsausbildung ist. Da es in Nigeria keinerlei staatliche finanzielle oder soziale Unterstützung gibt, sind alleinstehende Frauen meist von finanziellen Zuwendungen durch die Familien, Nachbarn oder Freunde abhängig. Zwar ist es auch für den Personenkreis der alleinstehende Frauen nicht gänzlich unmöglich bzw. ausgeschlossen, sich eine wirtschaftliche Grundexistenz zu schaffen, so etwa im Südwesten des Landes und in den Städten, in denen alleinstehende Frauen eher akzeptiert werden. Mancherorts existieren auch Hilfseinrichtungen bei verschiedenen Kirchengemeinden oder Nicht Regierungs-Organisationen, die verschiedene Hilfestellungen anbieten, deren Inanspruchnahme jedoch von dem persönlichen Wissen und Engagement der betroffenen Frau bzw. ihrer Zugehörigkeit zur dortigen Gemeinschaft abhängig ist. Auch in Lagos hängt die Situation alleinstehender Frauen ganz erheblich von deren persönlichen Voraussetzungen und existierenden Beziehungen zu Verwandten, Freunden, Kirche, etc. ab. Darüber hinaus sind alleinstehende Frauen an fremden Orten von Prostitution und Menschenhandel bedroht - letzteres ist gerade in Nigeria ein großes Problem -. Frauen werden schließlich immer wieder Opfer von Vergewaltigungen, sogar durch staatliche Sicherheitskräften – insbesondere im Niger-Delta -,
39vgl. dazu insgesamt: AA, Lageberichte vom 28. November 2014, 28. August 2013, 7. März 2011 und 11. März 2010: Zusammenfassung, Ziffer II 1.8 und 3. sowie 4.; Auskunft vom 19. Mai 2009 an das VG Karlsruhe, vom 14. Februar 2005 an das VG Berlin; vom 28. April 2003 an das VG Düsseldorf sowie Auskunft an das VG Aachen vom 24. November 2006, die auf die Auskunft vom 14. Februar 2005 verweist; Immigration and Refugee Board of Canada (IRB) vom 19. November 2011, "Whether women who hat their own hausehold, without male or family support, can obtain housing and employment in large northern…and southern cities"; SFH, Nigeria Update vom März 2010, S. 21, 22 m.w.Nw; ACCORD vom 27. März 2015: Informationen zur Lage (unverheirateter oder verwitweter) Frauen m.w.Nw., vom 4. April 2014: 1. Zwangsheirat, 2. Innerstaatliche Fluchtalternativen für eine alleinstehende Frau, 3. Einfluss von Voodoo-Praktiken auf Frauen, vom 5. Juli 2013: Informationen zur einer innerstaatlichen Fluchtalternative (allgemein und in Lagos), vom 21. Juni 2011: Nigeria – Frauen, Kinder, sexuelle Orientierung, Gesundheitsvorsorge, S. 11, vom 14. Juli 2010: Nigeria - Situation alleinstehender Frauen, unter Bezugnahme auf ACCORD vom 27. Februar 2008: Situation alleinstehender, alleinerziehender Frauen ohne familiäre Anknüpfungspunkte; Institut für Afrika-Kunde Auskunft (IAK) vom 28. März 2003 an das VG Düsseldorf; Kurzinformation des Bundesamtes vom April 2002 zur Lage der Frauen in Nigeria; zum Menschenhandel s.a. Bundesamt, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, 2010, S. 153 und Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung von Frauen aus Nigeria, Dezember 2011; zu alleinstehenden Frauen s. auch bereits Urteile des VG Aachen vom 30. Oktober 2008 – 2 K 77/06.A -, vom 11. Juni 2007 – 2 K 1093/06.A –, vom 31. Juli 2007 – 2 K 123/06.A –, vom 22. Mai 2012 - 2051/10.A - sowie des VG Düsseldorf vom 17. Januar 2008 – 1 K 1584/07.A -, VG Münster vom 15. März 2010 – 11 K 413/09.A -, VG Augsburg vom 18. November 2013 - Au 7 K 13.30129 - und VG München vom 28. April 2014 - M 21 K 11.30680 -, jeweils juris.
40Das Gericht hat jedoch die Überzeugung gewonnen, dass konkret für die (derzeit schwangere) Klägerin als alleinstehende Frau auf Grund ihrer individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation mit einem Kleinkind bei einer Rückkehr nach Nigeria mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage besteht, da die oben aufgeführten Risikofaktoren auf die Klägerin zutreffen und sich die dargestellte Situation für die Person der Klägerin – und ihres Kindes – hinsichtlich der Existenzbedingungen in Nigeria zuspitzen. Das Gericht geht allerdings nicht generell davon aus, das grundsätzlich bei alleinstehenden Frauen mit einem Kleinkind eine Extremgefahr zu prognostizieren ist, denn nach den oben genannten Erkenntnisquellen gibt es auch in Nigeria Frauen, die ökonomisch eigenständig alleine leben und auch mit oder ohne Hilfe Dritter überleben. Allein in wenigen besonders gelagerten Einzelfällen kann deshalb ein derartiger Abschiebungsschutz in Betracht kommen. Im vorliegenden Fall wäre die Klägerin im Falle einer Rückkehr als alleinstehende Frau und Mutter eines Kleinkindes ohne familiäre Unterstützung gezwungen, für sich und ihr Kind eigenständig eine wirtschaftliche Existenz in Nigeria aufzubauen. Nach ihren bisherigen Angaben verfügt die Klägerin jedoch über eine lediglich geringfügige Schulausbildung und hat darüber hinaus keinen Beruf erlernt. Bereits bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt hat die Klägerin angegeben, dass sie nur sechs Jahre die Schule besucht und keinen Beruf erlernt habe. In der mündlichen Verhandlung führte die Klägerin ergänzend aus, dass sie bereits im Alter von elf/zwölf Jahren in ihrem Heimatort "Own" gemeinsam mit ihrer Familie auf der Farm des Mannes habe arbeiten müssen, mit dem sie später nach traditionellem Recht als sechste Frau verheiratet worden sei. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Nigeria an irgendeine eigenständige berufliche Tätigkeit zur Erreichung einer existenzsichernden Arbeit anknüpfen kann.
41Das Gericht geht ferner davon aus, dass die Klägerin zum Aufbau einer Existenz nicht auf eine vorhandene – sie und das uneheliche Kind unterstützende – Familienstruktur bzw. auf die damalige Tätigkeit in der Landwirtschaft in ihrem Heimatort zurückgreifen kann. Insoweit hat das Gericht die Überzeugung gewonnen, dass der Klägerin eine Rückkehr zu ihrer Familie in Nigeria oder gar in ihr Heimatdorf nicht möglich ist. Eine Rückkehr in die Dorfgemeinschaft ist bereits mit Blick auf die nach traditionellem Recht geschlossene Ehe und das Verlassen dieses Ehemannes wegen einer außerehelichen Beziehung sowie das "nichtehelich" geborene Kind nachvollziehbar ausgeschlossen. Zwar leben nach Angaben der Klägerin in Nigeria noch ihre Eltern und erwachsenen Geschwister (Bruder und eine Schwester). Allerdings hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass sie keinerlei Kontakt mehr zu ihrer Familie in Nigeria hat und diesen auch nicht wieder herzustellen vermag. Ihren nachvollziehbaren Angaben zufolge ist dieser Kontakt einige Zeit nach ihrer Ankunft im Bundesgebiet abgebrochen, weil ihre Familie wegen ihrer - der Klägerin - Flucht bzw. "Weglaufens" ebenfalls den Heimatort verlassen musste und es deshalb zu einer Auseinandersetzung gekommen ist. Ihren glaubhaften Angaben zufolge hat ihre Familie Probleme in ihrem Heimatdorf mit dem Ehemann aus der traditionellen Ehe bekommen, weil sie ihn wegen eines anderen Mannes (dem späteren Kindesvater) verlassen hat. Die Familie habe deshalb nicht mehr auf dessen Farm arbeiten können und nach C. D. umsiedeln müssen. Wie die Familie ihren Lebensunterhalt derzeit bestreitet, konnte die Klägerin wegen des Kontaktabbruchs nicht mehr darlegen. Nach der oben dargelegten allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Lage ist es für das Gericht allerdings nachvollziehbar, dass die Familie der Klägerin auf Grund des Wegfalls der bisherigen dörflichen Lebensgemeinschaft und dortigen Sicherung der Lebensgrundlage derzeit ebenfalls unter erschwerten Bedingungen in Nigeria lebt. Darüber hinaus wird der Klägerin, die bereits 2011 ihren Heimatort verlassen hat, die Anknüpfung an die - muslimische - Familie noch dadurch erheblich erschwert, dass sie eine - nach traditionellem Recht - außereheliche Beziehung aufgenommen hat und sie Mutter eines "nichtehelichen" Kindes ist. Gegen die Möglichkeit einer Aktivierung familiärer Unterstützung spricht ferner der Umstand, dass die Klägerin erneut schwanger ist und bereits im September 2015 ein zweites Kind erwartet. Anhaltspunkte für andere konkrete familiäre Anbindungen bzw. Kontakte bestehen nicht. Insbesondere kommt insoweit nicht der von der Klägerin vorgetragenen Kontakt zu der Großmutter des Kindesvaters, die im Norden Nigerias lebt und zu der der Kontakt erst mit der Geburt des Kindes hergestellt worden ist, in Betracht. Die bei der Anhörung in der mündlichen Verhandlung spürbare existenzielle Verzweiflung der Klägerin, im Falle einer Abschiebung nicht zu wissen, wo sie hingehen könne und wie sie sich und ihr Kind ernähren könne, ist glaubhaft. Die Klägerin wäre im Falle ihrer Rückkehr mit ihrem Kind auf sich selbst gestellt. Insoweit ist auch nicht davon auszugehen, dass die Klägerin mit einer andauernden Unterstützung in Nigeria durch den in München lebenden Kindesvater, dessen Vaterschaftsanerkennung derzeit noch nicht rechtswirksam ist, rechnen kann. Der Kindesvater verfügt über eine Aufenthaltserlaubnis für das Bundesgebiet und beabsichtigte bereits im Jahr 2011, nachdem die Klägerin ihm nach Lagos gefolgt war, nicht länger in Nigeria zu leben. In der Folgezeit war die (damals schwangere) Klägerin ihren insoweit glaubhaften Angaben zufolge nach Abbruch des Kontaktes zu ihm bereits einmal in Lagos in eine existentielle Notlage geraten. Nach der oben dargestellten Sachlage und den persönlichen Voraussetzungen der Klägerin ist bei einer Rückkehr nach Nigeria mit einer existenziellen lebensbedrohenden Notlage der Klägerin und ihres Kindes in absehbarer Zeit zu rechnen.
42Die nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung zu beurteilende Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes ist rechtswidrig, soweit der Klägerin die Abschiebung nach Nigeria angedroht wird. Im Übrigen ist sie rechtmäßig. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlässt das Bundesamt nach den §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt, ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zur erkannt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise zulässig ist und er keinen Aufenthaltstitel besitzt. Nach der Vorschrift des § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten dem Erlass der Abschiebungsandrohung nicht entgegensteht. In der Androhung ist jedoch gemäß § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Danach ist jedes Abschiebungsverbot - auch eines nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG - ausdrücklich in der Abschiebungsandrohung zu bezeichnen. Die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Übrigen bleibt bei Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes durch das Verwaltungsgericht unberührt, § 59 Abs. 3 Satz 3 AufenthG.
43Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 83 b AsylVfG.
44Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn
- 1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder - 2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
- 1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder - 2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.
(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.
(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.
(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.
(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.
(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn
- 1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder - 2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn
- 1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder - 2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
- 1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder - 2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.
(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.
(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.
(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.
(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.
(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn
- 1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder - 2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn
- 1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder - 2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
- 1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder - 2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.
(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.
(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.
(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.
(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.
(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn
- 1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder - 2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.