Gericht

Sozialgericht Regensburg

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales - Region Oberpfalz vom 21.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Zentrums Bayern Familie und Soziales - Landesversorgungsamt vom 07.09.2017 wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Versorgungsrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Mit Antrag vom 20.04.2012 machte die Klägerin erstmalig Ansprüche auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG geltend. Vorgebracht wurde ein sexueller Missbrauch durch ihren Bruder A. vor dem 4. Lebensjahr.

Am 20.04.2012 führte der Beklagte eine persönliche Einvernahme der Klägerin durch. Die Klägerin gab dabei einen sexuellen Missbrauch in der Frühkindheit an. Es seien immer die gleichen Bilder, die sie eigentlich schon lange habe, also so ein Film, der da immer ablaufe. Sie sehe sich als kleines Kind. Nach ihrer Rekonstruktion anhand der Räumlichkeiten müsse es vor ihrem 4. Lebensjahr gewesen sein. Sie sehe sich, wie sie von der Mutter in das Schlafzimmer (der ältesten Schwester, eines Bruders und der jüngsten Schwester) geführt werde. Dann ende der Film, setze aber gleichzeitig dann wieder ein, wo sie in diesem Bett liege; ihr Bruder sei über ihr, sie spüre nur diese Schmerzen am Schultergürtel im Kopf, weil sie an den Händen festgehalten worden sei, und wie er in sie eindringe. Dieses Erinnerungsstück habe sie, seit sie zehn Jahre alt sei und es tauche immer wieder auf. Sie könne nicht sagen, wie oft das passiert sei. Die Erinnerungen quälten sie, sie habe auch daran gezweifelt. Das erste Erinnerungsstück gehöre eindeutig in den Lebensbereich vor dem Umzug; der zweite Bereich, der eigentliche Missbrauch, habe auch in einem späteren Alter stattfinden können. Auf den weiteren Inhalt wird verwiesen.

Der Beklagte führte in der Folgezeit schriftliche Zeugenbefragungen durch. Der beschuldigte Bruder A. bestritt im Schreiben vom 06.07.2012 die Vorwürfe. Der Schwester B. sei nichts aufgefallen, ebenso wenig den Brüdern C. und D. sowie der Mutter E. Die Schwester F. konnte ebenfalls keine Beobachtungen zu sexuellen Übergriffen auf die Klägerin machen, teilte aber mit, dass ihr Bruder A. in (ihrem) Alter von 5 oder 6 Jahren gewollt habe, dass sie seinen Penis streicheln solle; im Alter von 16 oder 17 Jahren habe er auch einmalig ihre Scheide berührt, dann aber sofort von ihr abgelassen. Auf den Inhalt der Zeugenbefragungen wird verwiesen.

Mit Schreiben vom 24.05.2013 nahm die Klägerin den Antrag nach dem OEG wegen noch ungeklärter Umstände und aus persönlichen Gründen zurück.

Am 30.11.2015 stellte die Klägerin erneut einen Antrag nach dem OEG.

Beigebracht wurde u.a. eine Aussage ihrer Mutter E. vom 20.09.2016 (Befragung und Niederschrift durch die Klägerin selbst; Unterschrift der Mutter); auf den Inhalt wird verwiesen, unmittelbare Tatbeobachtungen wurden nicht geschildert.

Auch der Beklagte nahm Ermittlungen in Form weiterer schriftlicher Zeugenbefragungen vor. Auf den Inhalt der Äußerungen der Zeugen F., G., H., I., B. und A. wird verwiesen, unmittelbare Tatbeobachtungen bzgl. der vorgebrachten tätlichen Angriffe auf die Klägerin wurden nicht geschildert.

Mit Bescheid vom 21.07.2017 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Ein Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs liege nicht vor. Nach ausführlichen Ermittlungen und eingehender Prüfung stünden sich die verschiedenen Aussagen mit nicht ausräumbaren Widersprüchen gegenüber, ohne dass eine der Aussagen für sich einen höheren Beweiswert in Anspruch nehmen könne.

Nach Gewährung von Akteneinsicht legte die Klägerin am 02.08.2017 Widerspruch gegen diese Entscheidung ein und berief sich hierbei auf § 15 KOVVfG.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.09.2017 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Ein Nachweis sei nicht gelungen. Auch die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG könne dem Widerspruch nicht zum Erfolg verhelfen. Zum einen stehe der Täter als Zeuge zur Verfügung. Zum anderen ließen sich konkrete Feststellungen zum Beweisnotstand nur schwer treffen, da die Klägerin weder zum Zeitpunkt noch zur Anzahl der Übergriffe oder zum Rahmengeschehen Angaben gemacht habe, so dass sich der Beklagte kein Bild habe machen können, ob es plausibel sei, dass kein einziges Familienmitglied außer dem Schädiger jemals etwas von dem Vorfall mitbekommen habe. Zuletzt spreche gegen die Annahme eines unverschuldeten Beweisnotstandes die Unterlassung einer Strafanzeige auch im Alter der Volljährigkeit.

Am 19.09.2017 erhob die Klägerin hiergegen Klage zum Sozialgericht Regensburg.

Das Gericht führte am 21.03.2018 einen Erörterungs- und Beweisaufnahmetermin mit Zeugenbefragungen durch:

Die Klägerin gab dabei eingangs an, dass die Erinnerungen in Form der Bilder des Films weiterhin wie damals bestünden; zur persönlichen Einvernahme durch den Beklagten am 20.12.2012 gebe es nichts zu ergänzen. In Bezug auf den Zeitpunkt des Übergriffs habe sie diesen festgemacht im Hinblick auf den Umzug in das neue Haus; es sei also keine Erinnerung an sie als drei- oder vierjähriges Kind, sondern allein an dieses Zimmer. Die beiden Erinnerungsteile kämen allerdings immer gemeinsam, nie auseinandergerissen.

Die Zeugin F. (ca. zweieinhalb Jahre ältere Schwester der Klägerin) gab nach Belehrung über bestehende Zeugnisverweigerungsrechte zu Protokoll, dass sie selbst im Alter von etwa fünf Jahren im Bett ihres Bruders A. gesessen sei und seinen Penis habe streicheln sollen; sie wisse nicht mehr genau, ob sie dies getan habe, jedenfalls habe sie das Bett verlassen und sei in ihr eigenes Bett im selben Zimmer gegangen, eventuell sei sie von ihm auch weggeschickt worden. Sie glaube sich zu erinnern, dass die Klägerin damals mit im Bett von A. gesessen habe. Später sei es im Alter von etwa 17 Jahren noch ein zweites Mal zu einem sexuellen Übergriff durch A. auf sie gekommen, als sie morgens davon wach geworden sei, dass er seine Hand zwischen ihre Oberschenkel geschoben habe; er habe dann auch von ihr abgelassen. Auf den weiteren Inhalt der Zeugenbefragung wird verwiesen.

Die Zeugin B. (über 14 Jahre ältere Schwester der Klägerin) teilte nach Belehrung über bestehende Zeugnisverweigerungsrechte mit, dass sie zu sexuellen Übergriffen auf die Klägerin keine eigenen Beobachtungen gemacht habe. Auch zu sexuellen Übergriffen auf andere Familienmitglieder habe sie nichts mitbekommen. Sie selbst sei nie Opfer eines sexuellen Missbrauchs geworden. Auf den weiteren Inhalt der Zeugenbefragung wird verwiesen.

Der Zeuge A. (ca. 11 Jahre älterer Bruder der Klägerin) gab nach Belehrung über bestehende Zeugnisverweigerungsrechte zu Protokoll, dass der Vorwurf der Klägerin bzgl. eines sexuellen Übergriffs haltlos sei. Bereits früher sei er diesen Vorwürfen der Klägerin entgegengetreten. Auf Vorhalt der Aussage der Zeugin F. zu deren eigenen Missbrauchsschilderungen gab er an, daran keine Erinnerung zu haben; aus seinen eigenen Erinnerungen heraus schließe er es aus. Auf den weiteren Inhalt der Zeugenbefragung wird verwiesen.

Die Klägerin brachte im weiteren Prozessverlauf noch ein Attest des Neurologen und Psychiater Dr. B. vom 28.06.2018 bei; nach seiner Einschätzung seien die geschilderten Erinnerungen im Alter von etwa vier Jahren nicht fremdinduziert entstanden, sondern als eigene aktive Erinnerungen einzuschätzen.

Mit Änderungsbescheid vom 23.04.2015 nach dem SGB IX wurde bei der Klägerin ein Geamt-GdB von 60 anerkannt; hiervon entfiel auf die Gesundheitsstörung „Posttraumatische Belastungsstörung, Depression, Essstörung“ ein Einzel-GdB von 50.

Sachverständigengutachten wurden nicht eingeholt.

Die Klägerin bringt vor, als Folgen des sexuellen Missbrauchs durch ihren Bruder A. an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer Depression, einer sozialen Phobie, einer Essstörung sowie unter Problemen mit Sexualität und Partnerschaft zu leiden. § 15 KOVVfG sei entgegen den Ausführungen des Beklagten anwendbar. Die Erinnerungen liefen als Film ab, da sie sie sonst nicht ertragen könne; es sei gewissermaßen eine Strategie des Selbstschutzes, welche aber den Wahrheitsgehalt der eigenen Erinnerung nicht beeinflusse. Es könne auch nicht einfach unterstellt werden, dass die tatrelevanten Erinnerungen im Rahmen einer Therapie generiert worden seien. Ihre eigenen Erinnerungen reichten zurück bis ins Grundschulalter, in Therapie habe sie sich erst mit 22 Jahren begeben. Innerhalb der Therapien seien zu keinem Zeitpunkt Verfahren angewandt worden, welche verdrängte traumatische Inhalte ins Bewusstsein fördern könnten. Zudem sei auch ihre Schwester F. vom Bruder missbraucht worden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, 

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids des Zentrums Bayern Familie und Soziales - Region Oberpfalz vom 21.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Zentrums Bayern Familie und Soziales - Landesversorgungsamt vom 07.09.2017 zu verurteilen, der Klägerin Beschädigtenversorgungsrente nach dem OEG i.V.m. dem BVG zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte bezieht sich zum Klageabweisungsantrag auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Die Beteiligten wurden mit gerichtlichem Schreiben vom 26.06.2018 zur Stellungnahme im Hinblick auf ein Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG aufgefordert; die Beteiligten erklärten sich hiermit einverstanden (Schriftsätze vom 02.07.2018 und 05.07.2018).

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Versorgungsakte des Beklagten (samt Behindertenakte) und die Akte des Sozialgerichts verwiesen. Sämtliche Unterlagen und Dokumente wurden Gegenstand der gerichtlichen Würdigung.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet: Es besteht kein Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs auf die Klägerin im Kindesalter.

Die Kammer konnte nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 SGG lagen vor; insbesondere erteilten die Beteiligten das hierfür erforderliche Einverständnis.

Die Zeugenaussagen aus dem Beweisaufnahmetermin am 21.03.2018 wurden den ehrenamtlichen Richtern durch Verlesung zur Kenntnis gebracht.

I.

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage liegen vor, insbesondere wurde die Klage form- und fristgerecht erhoben; das Gericht ist sachlich und örtlich zuständig. Das Gericht geht dabei in Auslegung des klägerischen Begehrens (§ 133 BGB) von einem Antrag auf Gewährung einer Versorgungsrente aus.

II.

Die Klage ist aber nicht begründet:

Nach § 1 Abs. 1 S. 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, wer infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat.

Die vorgebrachten Gewalttaten sind möglicherweise vor dem 16.05.1976 geschehen (eine genaue zeitliche Einordnung ist der Klägerin nicht möglich). Zu diesem Zeitpunkt war das OEG noch nicht in Kraft getreten. Ansprüche hieraus können deswegen nur nach Maßgabe der so genannten Härtefallregelung des § 10a OEG gewährt werden. Danach erhalten Menschen, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung im Umfang nach § 10a OEG, solange sie 1. allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind (= Grad der Schädigung 50 oder mehr; dies entspricht dem Grad einer Schwerbehinderung), 2. bedürftig sind (wirtschaftliche Betrachtungsweise) und 3. im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

Die anspruchsbegründenden Tatsachen (Vorsatz des Täters, Rechtswidrigkeit des tätlichen Angriffs und gesundheitliche Schädigung) müssen nach dem OEG grundsätzlich im Vollbeweis nachgewiesen sein. Ein Nachweis liegt dann vor, wenn eine Tatsache unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände und Beweismittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit oder zumindest ohne vernünftigen Zweifel feststeht (BSG, Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R m.w.N.; Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 1 OEG - Rn. 169 m.w.N.). Verbleibende Restzweifel sind bei der Überzeugungsbildung unschädlich, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten. Auch solche Restzweifel, die durchaus einer Diskussion offenstehen, jedoch im Einzelnen nicht überzeugen können, stehen der richterlichen Überzeugungsbildung nicht entgegen; es muss sich nicht um nur völlig unbedeutende Restzweifel handeln (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 10. April 2018 - L 15 BL 4/16). Lässt sich der Sachverhalt gleichwohl nicht aufklären, so geht dies nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Antragstellers.

In Fällen des unverschuldeten Beweisnotstands sind die Angaben eines Antragstellers der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (§ 15 KOVVfG). Hierfür müssen andere erfolgversprechende Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung ausgeschöpft sein und zu keinem ausreichenden Ergebnis geführt haben; neben einer eingehenden Tatsachenschilderung durch den Antragsteller sind auch Auskünfte und Aussagen von Auskunftspersonen zu berücksichtigen. Bei Widersprüchen über wesentliche Tatsachen muss die Verwaltung um Aufklärung bemüht sein; erscheinen die Angaben nach Abwägung aller Umstände glaubhaft, sind sie der Entscheidung zugrunde zu legen (Verwaltungsvorschrift Nr. 1 zu § 15 KOVVfG).

Vorliegend liegt ein Nachweis weder im Vollbeweis vor (vgl. nachfolgend 1.) noch kann es infolge einer Anwendung der Grundsätze des Beweisnotstandes zu einer Glaubhaftmachung kommen (vgl. nachfolgend 2.). Eine weitere Beweisaufnahme war nicht mehr angezeigt (vgl. nachfolgend 3.). 1. Kein Nachweis eines sexuellen Übergriffs im Vollbeweis Unter Anwendung der obigen Ausführungen liegt ein Vollbeweis eines OEG-Grundtatbestands (vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff, s.o.) nicht vor. Zu dem vorgebrachten sexuellen Übergriff liegen keine objektiven Beweismittel vor. Der beschuldigte Zeuge A. bestreitet die Vorwürfe. Weitere Zeugen gibt es nicht.

Insbesondere konnte auch die Zeugin F. keine eigenen Beobachtungen zu Übergriffen auf die Klägerin machen, obgleich sie in ihrer Zeugenaussage am 21.03.2018 angab, dass die Klägerin nach ihrer Erinnerung damals mit im Bett saß, als der Zeuge A. die Zeugin F. dazu bringen wollte, seinen Penis zu streicheln. Wäre es in diesem Zusammenhang zu einem anschließenden Übergriff auf die Klägerin gekommen, wären Erinnerungen zumindest zu erwarten gewesen, jedenfalls dann, wenn es sich um Übergriffe im Sinne der von der Klägerin geschilderten Vergewaltigung gehandelt hätte; schließlich lief die Zeugin F. nach ihrer Schilderung nicht aus dem Zimmer, sondern ging nur in ihr eigenes Bett im selben Zimmer.

2. Kein Nachweis eines sexuellen Übergriffs selbst bei Anwendung des § 15 KOVVfG Der Beklagte verneinte vorliegend bereits die Anwendbarkeit des § 15 KOVVfG, welcher einen herabgesetzten Beweismaßstab - den der Glaubhaftigkeit anstelle des Vollbeweises - vorsieht. Auch wenn das Gericht im Ergebnis zu derselben Einschätzung gelangt (vgl. nachfolgend d.), verfangen die Argumente des Beklagten nur teilweise.

a. Vorliegen eines Beweisnotstands

Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile v. 17.04.2013 - B 9 V 1/12 R sowie B 9 V 3 /12 R) auch dann heranzuziehen, wenn es für den schädigenden Vorgang an Tatzeugen mangelt, weitere Zeugen aber vorhanden sind, wobei der als Zeuge im sozialgerichtlichen Verfahren zu vernehmende beschuldigte Täter kein Zeuge im Sinne dieser Rechtsprechung sein soll.

Gegen eine solch weitgehende Auslegung wendet sich mit guten Argumenten das Bayerische Landessozialgericht (vgl. LSG Bayern, Urteil vom 30.04.2015 - Aktenzeichen L 15 VG 24/09; ebenso zweifelnd Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 22. September 2016 - L 6 VG 1927/15): Die Annahme, dass die Beweisnot des Opfers identisch sei in den Fällen einerseits des leugnenden und andererseits des unerkannt gebliebenen Täters, erscheine sachlich nicht unangreifbar. Selbst der leugnende Täter werde in vielen Fällen (unbewusst) Angaben machen, die eine Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit zuließen oder die für den Anspruch der Kläger des sozialgerichtlichen Verfahrens durchaus förderlich sein könnten. Auch sei die Beschränkung auf „Tatzeugen“ nicht nachvollziehbar, da schon der Begriff des „Tatzeugen“ aufgrund der Vielfältigkeit der möglichen Tatumstände nicht klar definierbar sei. Zudem liege zwar nahe, dass eine vergleichbare Beweisnot des Opfers bestehe, wenn überhaupt kein Zeuge im Umfeld der Tat vorhanden sei. Wenn jedoch z.B. Zeugen vorhanden seien, die unmittelbar Wahrnehmungen aus eigener Anschauung bezüglich unmittelbar im Anschluss an die strafrechtliche Tatbeendigung erfolgter Geschehensabläufe wiedergeben könnten oder die während der Tat diese selbst zwar nicht beobachtet, jedoch entsprechende eindeutige Beobachtungen gemacht hätten, könne von einer vergleichbaren Beweisnot nicht die Rede sein.

Die Kammer folgt demgegenüber der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hierzu und sieht die Eingangsvoraussetzung des Beweisnotstandes vorliegend für gegeben an, obgleich der beschuldigte Zeuge A. und auch die Zeugin F. Angaben zur Sache machten. Gerade der vorliegende Fall zeigt die Auswirkungen der unterschiedlichen Auffassungen deutlich auf: Während nach dem Bundessozialgericht die Glaubhaftmachung der Angaben der Klägerin genügen würden, wäre nach der Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts der Vollbeweis zu fordern. Obgleich das LSG dies dadurch etwas „entschärft“, dass selbst auf der Vollbeweisebene verbleibende Restzweifel bei der Überzeugungsbildung unschädlich sein können, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (s.o., Urteil vom 10. April 2018 - L 15 BL 4/16), müssten solche gewichtigen (verdichteten) Zweifel aufgrund der Angaben des Zeugen A. wohl angenommen werden.

Dabei bedeutet die Anwendung des § 15 KOVVfG nicht automatisch die kritiklose Übernahme der Angaben des Betroffenen. Vielmehr ist eine Tatsache erst dann als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (§ 23 I 2 SGB X). Nach der Rechtsprechung des BSG bedeutet Glaubhaftmachung das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d.h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (Beschluss vom 08.08.2001, B 9 23/01 B; Urteil vom 31.05.1979, 9 RVg 3/89; Beschluss vom 28.07.1999, B 9 VG 6/99). Das Überwiegen der Wahrscheinlichkeit kann aber auch auf dieser Ebene noch verneint werden (dazu mehr unten unter d.).

Dass die Zeugin F. sich zu erinnern glaubte, dass die Klägerin beim Übergriff des Bruders auf die Zeugin mit im selben Bett saß und dass die Zeugin das Zimmer anschließend nicht verließ, gleichwohl keine Beobachtungen zu einem Übergriff auf die Klägerin machen konnte (siehe oben unter a.), schließt das Vorliegen eines Beweisnotstandes vorliegend ebenso wenig aus: Denn ist nicht klar, ob sich der von der Klägerin geschilderte Vorfall in dieser Situation oder zu einer anderen Zeit zutrug.

b. Beweisnotstand ohne Verschulden der Klägerin

Der Beklagte bejahte einen verschuldeten Beweisnotstand im Widerspruchsbescheid unter Hinweis auf eine „ohne ersichtlichen Grund“ unterbliebene Strafanzeige.

Nach einer Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts (vgl. BayLSG, Urteil vom 22.11.2011 - L 15 VG 15/10) ist § 15 KOVVfG nur dann anwendbar, wenn eine „apriorische Ohnmacht“ des Betroffenen besteht, geeignete Beweismittel außer der eigenen Einlassung beizubringen, wenn also von vornherein keine Nachweismöglichkeit mit Hilfe anderer Beweismittel als der Einlassung des Betroffenen besteht.

Diese objektive Komponente ist nach Auffassung der Kammer um eine subjektive (Verschuldens-) Komponente zu ergänzen, insbesondere dann, wenn es zwar zu einem bestimmten Zeitpunkt Beweismittel gab, diese aber später durch Zeitablauf weggefallen sind und der Betroffene erst dann einen Antrag nach dem OEG stellt. Das bedeutet, dass eine Verstärkung der Beweisnot jedenfalls dann zu Lasten des Antragstellers geht, wenn kein tragfähiger Grund bestand, den Antrag nicht schon in einer Zeit zu stellen, als noch bessere Beweismöglichkeiten bestanden (so im Recht der Kriegsopferentschädigung: BSG, Urteil vom 13.12.1994 - 9/9a RV 9/92; auf dem Gebiet der Opferentschädigung: Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.06.2016 - L 4 VG 2/16; ebenso Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27.01.2016 - L 4 VS 6/14 im Bereich der Soldatenentschädigung).

Ob tragfähige Gründe bestanden, von einer rechtzeitigen Stellung einer Strafanzeige abzusehen, ist im Wege der Amtsermittlung zu erforschen. Erst nach Ausschöpfung der Amtsermittlung gehen verbleibende Zweifel nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten eines Antragstellers nach dem OEG, d.h. erst dann kann die Anwendungsvoraussetzung „ohne Verschulden“ im Rahmen des § 15 KOVVfG nicht bejaht werden. Der bloße Verweis auf eine „ohne ersichtlichen Grund“ unterbliebene Strafanzeige genügt den Anforderungen an die Grundsätze der Amtsermittlung nicht.

Vorliegend hätte im Hinblick auf die Frage der Anwendbarkeit des § 15 KOVVfG im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes eine Sachaufklärung erfolgen müssen, warum eine Strafanzeige unterblieb. Hierbei sind für die Frage, ob eine Strafanzeige (subjektiv) möglich und zumutbar ist, alle relevanten Umstände zu berücksichtigen und einer umfassenden abschließenden Würdigung zu unterziehen:

(1) Persönliche Umstände

Zunächst ist zu ermitteln, ob eine Strafanzeige aus persönlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar war. Anzuführen sind hier etwa folgende Umstände:

Es können beispielsweise krankheitsbedingte Beeinträchtigungen bestehen, die eine Anzeigenerstattung ausschließen oder unzumutbar machen (insb. bei psychischen Erkrankungen die glaubhafte Gefahr einer Verschlimmerung o.ä.).

Weiter kann eine konkrete Bedrohungs- oder Gefährdungslage seitens des Beschuldigten (oder Dritter) dazu führen, dass eine Anzeigenerstattung unzumutbar ist, wenn die Bedrohungslage glaubhaft und durch Indizien gestützt ist.

(2) Umfeld-Umstände

Auch mittelbare Umfeld-Umstände können die Zumutbarkeit einer Strafanzeige ausschließen:

So kann bei minderjährigen Betroffenen eine mangelnde Unterstützung seitens der Erziehungsberechtigten sowohl die Möglichkeit als auch die Zumutbarkeit einer Anzeigenerstattung ausschließen.

In eine Abwägung einzubeziehen sind auch nahe liegende familiäre Folgen für das Opfer bei Anzeigeerstattung (vor allem, wenn der Beschuldigte ebenfalls Familienmitglied ist).

Auch etwaige gesellschaftliche Folgen für das Opfer im Falle einer Anzeigenerstattung sind zu berücksichtigen. Dies betrifft insbesondere Zeiten, in denen allein das Ansprechen von Sexualdelikten ein gesellschaftliches Tabu darstellte oder das Opfer der Gefahr einer gesellschaftlichen Ausgrenzung ausgesetzt hätte.

(3) Rechtliche Umstände

Schließlich können auch rechtliche Umstände dazu führen, dass eine Strafanzeige nicht in jedem Fall zu fordern ist:

So kann eine bereits eingetretene strafrechtliche Verjährung eine Anzeigenerstattung obsolet erscheinen lassen (wenn eine frühere Anzeigenerstattung in nicht verjährter Zeit auch schon unzumutbar war).

Auch kann nach dem Tod des Beschuldigten keine Anzeigenerstattung mehr verlangt werden (die Staatsanwaltschaft leitet in derartigen Fällen aufgrund eines Verfahrenshindernisses kein Ermittlungsverfahren ein).

In die Abwägung einzubeziehen sind auch bestehende Zeugnisverweigerungsrechte des Opfers bei Taten von Familienangehörigen. So wird teilweise eine Versagung von Leistungen nach § 2 Abs. 2 OEG unter Bezugnahme auf eine entsprechende Anwendung des § 65 Abs. 3 SGB I verneint, wenn Zeugnisverweigerungsrechte bestehen (vgl. Rademacker in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 2 OEG - Rn. 37; explizit offen gelassen durch BSG, Urteil vom 24. April 1991 - 9a/9 RVg 5/89 -, BSGE 68, 248-253). Das Gericht ist der Auffassung, dass dieser Umstand bei § 15 KOVVfG im Rahmen der Verschuldensprüfung zu berücksichtigen ist.

(4) Gesamtabwägung der Umstände

Alle diese Umstände führen nicht für sich gesehen zu einer automatischen Verneinung des „Verschuldens eines Beweisnotstands“. Vielmehr muss eine Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls das Ergebnis tragen, dass die Erstattung einer Strafanzeige möglich und zumutbar gewesen wäre.

Diese Überlegungen gelten entsprechend bei der Frage, ob der Beweisnotstand nach § 15 KOVVfG verschuldet ist, wenn ein OEG-Antrag verspätet gestellt wurde und Beweismittel aus diesem Grunde durch Zeitablauf verloren gegangen sind.

Diese Auslegung ergibt sich bereits aus dem Begriff „ohne Verschulden“ in § 15 KOVVfG: Verschulden setzt (neben der reinen Kausalität für den Beweismittelverlust) auch eine Vorwerfbarkeit voraus, für die ein subjektiver Bewertungsmaßstab gelten muss.

Weiter orientiert sich das Gericht bei dieser Auslegung an der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Leistungsversagung nach § 2 Abs. 2 OEG: Während dort die genannten Abwägungskriterien im Rahmen der Ermessensausübung („können“) zu berücksichtigen sind, fließen diese bei § 15 KOVVfG in die Beurteilung des Verschuldens ein. Denn das Gericht hält es für nicht gerechtfertigt, den Beweismaßstab des § 15 KOVVfG in Fällen zu verneinen, in denen nicht gleichzeitig auch eine Versagung von Leistungen nach § 2 Abs. 2 OEG möglich wäre.

Letztlich kommt es im vorliegenden Fall aber nicht auf eine Entscheidung hierzu an (vgl. unten d.), so dass eine weitere Beweisaufnahme dazu unterbleiben konnte. c. Glaubhaftmachung nicht bereits wegen überformter Erinnerungen in Therapien ausgeschlossen Dem Beklagten ist zwar im Ergebnis zu beizupflichten, wenn er eine Glaubhaftmachung eines sexuellen Übergriffs auf die Klägerin nicht annehmen konnte (vgl. dazu nachfolgend d.).

Allerdings liegt dies nicht daran, dass eine Überformung der Erinnerungen durch therapeutischen Einfluss nachgewiesen wäre.

Werden erste eigene Erinnerungen erst nach vielen Jahren Traumatherapie zutage gefördert, so ist besonders zu prüfen, ob es sich um authentische Erinnerungen handelt (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21.04.2015 - L 6 VG 2096/13). Dabei können nach einer Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (Urteil vom 23.06.2016 - L 6 VG 5048/15) Angaben eines Betroffenen zweifelhaft sein, wenn in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (siehe auch Bayerisches LSG, Urteil vom 26.01.2016 - L 15 VG 30/09).

Jedoch können aus den bisherigen Ermittlungen des Beklagten keine hinreichenden Nachweise für eine solche Überformung oder Rekonstruktion von Gedächtnisinhalten bei der Klägerin entnommen werden.

Es genügt aber für eine Verneinung der Glaubhaftmachung nach § 15 KOVVfG nicht, dass eine solche Verformung nicht ausgeschlossen ist; vielmehr müssen im Rahmen der Amtsermittlung zunächst einmal Umstände (also: Therapiemethoden) nachgewiesen werden, die eine solche Möglichkeit nahelegen. Erst dann können diese Umstände in die Abwägungsentscheidung zur „guten Möglichkeit“ bei der Glaubhaftmachung einbezogen werden. d. Vorliegend gleichwohl keine Glaubhaftmachung der Angaben möglich Nach der Rechtsprechung sind allerdings bloße Erinnerungsfetzen, Traumelemente oder Bildsegmente in Flash-back-Situationen keine „Angaben“ im Sinne des § 15 KOVVfG, die einer Anerkennung nach dem OEG zugrunde gelegt werden können (vgl. hierzu Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 08.11.2005 - L 2 VG 7/02; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 27.08.2009 - L 15 VG 22/07).

Vorausgeschickt sei, dass dies nicht bedeutet, dass das Gericht deshalb von unwahren Äußerungen der Klägerin ausgeht. Nur kann vorliegend keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Schilderungen der Klägerin im Vergleich zu den Schilderungen des Zeugen A. bejaht werden. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:

Zwar kam es nach Auffassung der Kammer zu zwei sexuellen Übergriffen des Zeugen A. auf die Zeugin F. Trotz des Bestreitens des Zeugen hält das Gericht die Angaben der Zeugin für zutreffend. Sie schilderte die Umstände ohne Belastungseifer. Gründe für eine Falschbezichtigung sind nicht erkennbar. Auch eine Gefälligkeitsaussage für die Klägerin kann nicht angenommen werden; denn zum einen hatte die Zeugin den Kontakt zur Klägerin bereits seit längerem abgebrochen; zum anderen wäre bei einer Gefälligkeitsaussage auch zu erwarten gewesen, dass sie Schilderungen zu Übergriffen auf die Klägerin macht. Der Umstand, dass es durch den Zeugen A. zu Übergriffen innerhalb der Familie kam, ist als Indiz in die Wahrscheinlichkeitsabwägung bei der Glaubhaftmachung zugunsten der Klägerin einzustellen. Denn es erscheint dadurch sehr wohl möglich, dass es durch ihn auch bei anderen Familienmitgliedern (also bei der Klägerin) zu Übergriffen gekommen sein konnte.

Die bloße Möglichkeit, ist aber nicht gleichzusetzen mit der „guten Möglichkeit“ im Sinne der BSG-Rechtsprechung zur Glaubhaftmachung. Diese kann die Kammer unter Abwägung der weiteren Umstände nicht sehen:

- Wie bereits eingangs dargelegt werden in der Rechtsprechung bloße „Film-Sequenzen“ oder ähnliches nicht als ausreichende Grundlage einer Glaubhaftmachung angesehen.

- Unabhängig davon hat bereits die Klägerin selbst massive Schwierigkeiten bei der zeitlichen Einordnung der Vorfälle. Sie kann nicht ausschließen, dass sich die beiden Film-Versatzstücke ggf. zu unterschiedlichen Zeiten ereigneten.

- Sollte es tatsächlich zu einem Übergriff vor dem vierten Lebensjahr der Klägerin gekommen sein, ist es in Anbetracht des geschilderten Eindringens kaum nachvollziehbar, dass es nicht zu schweren Intimverletzungen bei der Klägerin gekommen war, welche eigentlich hätten auffallen müssen. Zudem ist nach der Rechtsprechung bei der Abgrenzung verwertbarer Erinnerungen von sog. Pseudoerinnerungen bei Vorfällen in einem Altersbereich von unter vier Jahren im Regelfall von einer fehlenden Aussagetüchtigkeit auszugehen; diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21.04.2015 - L 6 VG 2096/13).

- Kam es dagegen zu dem sexuellen Übergriff durch Eindringen erst deutlich später, sind die bestehenden Erinnerungs- und zeitlichen Zuordnungslücken kaum in Einklang zu bringen mit einem realen Erlebnisbezug. Jedenfalls ist dem Beklagten dann beizupflichten, wenn ihm für die Bejahung der Glaubhaftmachung weitere Angaben zum Kern- und Rahmengeschehen fehlen.

- Schließlich ist nicht auszuschließen, dass die Klägerin als kleines Kind den von der Zeugin F. geschilderten Übergriff auf die Zeugin sah (sie saß nach Angaben der Zeugin im Tatzeitpunkt ja mit im Bett), und dass sie Teile hiervon in der Verarbeitung dieser Situation auf sich selbst bezog.

Was sich tatsächlich zugetragen hat, konnte die Kammer daher trotz umfangreicher Ermittlungen nicht weiter aufklären, so dass weder ein Nachweis im Vollbeweis noch im Sinne des § 15 KOVVfG vorliegt. 3. Keine weitere Beweiserhebung Die Kammer fühlte sich nicht gedrängt, weitere Beweiserhebungen vorzunehmen. Insbesondere war die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens mit denselben Argumenten abzulehnen, mit denen oben unter 2. d. die überwiegende Wahrscheinlichkeit verneint werden musste.

Ohnedies besteht in der Regel keine Pflicht zur Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens; vielmehr richtet sich die Entscheidung nach den Umständen des Einzelfalls und steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (BSG, Beschluss vom 24. 5. 2012 - B 9 V 4/12 B). Dabei gehört die Würdigung von Aussagen nicht nur Erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen, zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut (BayLSG, Urteil vom 30.04.2015 - L 15 VG 24/09 m.w.N.). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens, also einer aussagepsychologischen Begutachtung über den Wahrheitsgehalt bestimmter Angaben, kann nur in Ausnahmefällen geboten sein, wenn Sachverhalt oder Aussageperson Besonderheiten aufweisen, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (BayLSG, Urteil vom 30.04.2015 - L 15 VG 24/09 m.w.N.). Dies war vorliegend nicht der Fall.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Sozialgericht Regensburg Urteil, 18. Sept. 2018 - S 13 VG 23/17

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Sozialgericht Regensburg Urteil, 18. Sept. 2018 - S 13 VG 23/17 zitiert 14 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 133 Auslegung einer Willenserklärung


Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 124


(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. (2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. (3) Entscheidungen des Gerichts, d

Opferentschädigungsgesetz - OEG | § 1 Anspruch auf Versorgung


(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche

Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) - SGB 1 | § 65 Grenzen der Mitwirkung


(1) Die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 bestehen nicht, soweit 1. ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht oder2. ihre Erfüllung dem Betroffenen aus eine

Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung - KOVVfG | § 15


Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verl

Opferentschädigungsgesetz - OEG | § 10a Härteregelung


(1) Personen, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschädigt worden sind, erhalten auf Antrag Versorgung, solange sie 1. allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind und2. bedürftig sind und3. im Geltungsbereich dieses Gesetze

Opferentschädigungsgesetz - OEG | § 2 Versagungsgründe


(1) Leistungen sind zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Leistungen sind auc

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Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

(1) Personen, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschädigt worden sind, erhalten auf Antrag Versorgung, solange sie

1.
allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind und
2.
bedürftig sind und
3.
im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Versorgung nach Maßgabe des Satzes 1 erhalten auch Personen, die in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zum Zeitpunkt der Schädigung hatten, wenn die Schädigung in der Zeit vom 7. Oktober 1949 bis zum 2. Oktober 1990 in dem vorgenannten Gebiet eingetreten ist. § 31 Abs. 4 Satz 2 erster Halbsatz des Bundesversorgungsgesetzes gilt.

(2) Bedürftig ist ein Anspruchsteller, wenn sein Einkommen im Sinne des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes den Betrag, von dem an die nach der Anrechnungsverordnung (§ 33 Abs. 6 Bundesversorgungsgesetz) zu berechnenden Leistungen nicht mehr zustehen, zuzüglich des Betrages der jeweiligen Grundrente, der Schwerstbeschädigtenzulage sowie der Pflegezulage nicht übersteigt.

(3) Übersteigt das Einkommen den Betrag, von dem an die vom Einkommen beeinflußten Versorgungsleistungen nicht mehr zustehen, so sind die Versorgungsbezüge in der Reihenfolge Grundrente, Schwerstbeschädigtenzulage und Pflegezulage um den übersteigenden Betrag zu mindern. Bei der Berechnung des übersteigenden Betrages sind die Einkünfte aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit vor den übrigen Einkünften zu berücksichtigen. § 33 Abs. 4, § 33a Abs. 2 und § 33b Abs. 6 des Bundesversorgungsgesetzes gelten nicht.

(4) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der §§ 38 bis 52 des Bundesversorgungsgesetzes, solange sie bedürftig sind und im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt haben. Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend. Unabhängig vom Zeitpunkt des Todes des Beschädigten sind für die Witwenbeihilfe die Anspruchsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1, 5 und 6 des Bundesversorgungsgesetzes in der im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung maßgebend.

(5) Die Versorgung umfaßt alle nach dem Bundesversorgungsgesetz vorgesehenen Leistungen mit Ausnahme von Berufsschadens- und Schadensausgleich.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

Tenor

I. Auf die Berufung werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 9. Februar 2016 und der Bescheid des Beklagten vom 4. September 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. April 2014 aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 1. Oktober 2014 Blindengeld nach dem BayBlindG zu gewähren.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 9/10 zu tragen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den Blindengeldanspruch der Klägerin nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG).

Die 1970 geborene Klägerin stellte erstmals 2011 Antrag auf Blindengeld nach dem BayBlindG beim Beklagten. Dieser und ein weiterer Antrag vom selben Jahr wurden vom Beklagten mangels Nachweises der Blindheit abgelehnt. Bereits am 21.08.2012 stellte die Klägerin den nächsten Antrag auf Blindengeld. In diesem Verwaltungsverfahren erstellte Prof. Dr. K. im Auftrag des Beklagten ein augenfachärztliches Gutachten, in dem er zu dem Ergebnis kam, dass sich bei der Untersuchung Unstimmigkeiten zwischen den subjektiv gemachten Angaben und den objektiv erhobenen Befunden ergeben hätten. Insbesondere die Verhaltensbeobachtungen, die Ergebnisse der visuell evozierten Potenziale (VEP), die Untersuchung am Bjerrumschirm als auch die Auslösbarkeit des Optokinetischen Nystagmus (OKN) würden eine bessere als die angegebene Sehschärfe und ein besseres Gesichtsfeld erwarten lassen. Nach einer versorgungsmedizinischen Stellungnahme lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 24.01.2013 den Antrag ab. Der Widerspruch hiergegen blieb erfolglos.

Am 15.07.2013 stellte die Klägerin den gegenständlichen Antrag. Es sei nun endlich eine Diagnose für die Sehbehinderung gefunden worden, so die Klägerin. Im Verwaltungsverfahren wertete der Beklagte den ärztlichen Bericht des Universitätsklinikums U-Stadt, Prof. Dr. L., vom 01.08.2013 aus. Darin wurden ein Fernvisus ohne Korrektion von Fingerzählen (rechts) und 0,05 (links) festgehalten und als Diagnose unter anderem Verdacht auf Retinopathia pigmentosa gestellt. Allgemein bestehe ein Anettevon-Droste-Hülshoff-Syndrom.

Mit Bescheid vom 04.09.2013 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die Voraussetzungen des BayBlindG lägen nicht mit der erforderlichen Sicherheit vor. Entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B. vom 30.08.2013 wies der Beklagte in dem Bescheid darauf hin, dass sich aktuell der Visus gegenüber dem von Prof. Dr. K. erhobenen Vorbefund gebessert habe. Bereits bei der früheren Begutachtung sei noch ein kleineres Gesichtsfeld zu erheben gewesen. Allerdings habe durch verschiedene Untersuchungen nachgewiesen werden können, dass eine bessere Sehschärfe und ein besseres Gesichtsfeld zu erwarten gewesen wären. Diesbezüglich ergäben sich auch nach dem jetzigen Gutachten keine neuen Erkenntnisse. Allein die Diagnose Retinopathia pigmentosa könne die Glaubhaftigkeit beim jetzigen Gesichtsfeldbefund nicht erhöhen.

Hiergegen erhob die Klägerin über ihre Bevollmächtigte am 26.09.2013 Widerspruch. Darin wurde darauf hingewiesen, dass bei der Untersuchung am 01.08.2013 auch Korrekturen keine Besserung des Visus ermöglicht hätten. Zudem sei anzumerken, dass seitens der Universitätsklinik U-Stadt eine Gesichtsfeldmessung am rechten Auge überhaupt nicht versucht worden sei, da dies nach Ansicht der behandelnden Augenärztin keinen Sinn mehr ergeben hätte aufgrund einer Sehschärfe von unter 2% (Fingerzählen). Aufgrund dieser Sehschärfe sei für die Entscheidung bzgl. des Blindengelds das Gesichtsfeld auch nicht mehr ausschlaggebend.

Im Widerspruchsverfahren berücksichtigte der Beklagte einen neuen Befundbericht des Universitätsklinikums U-Stadt vom 17.12.2013. Nach einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10.03.2014 von Dr. P. wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2014 den Widerspruch als unbegründet zurück. Ursache des schlechten Sehvermögens der Klägerin seien Netzhautveränderungen nach Frühgeborenenretinopathie beidseits sowie ein Zustand nach Netzhautablösung mit operativer Behandlung. Ferner bestehe eine Kunstlinse beidseits. Der Visus von 0,1 bzw. 0,2 sei fast 30 Jahre lang - bis zum Jahr 2011 - stabil geblieben. Ab 2011 seien bei unveränderten morphologischen Befunden Visusschwankungen dokumentiert. Ob der im Juni 2013 in U-Stadt geäußerte Verdacht auf eine Retinopathia pigmentosa abschließend abgeklärt worden sei, sei aus den Unterlagen nicht ersichtlich. Bei einer solchen Erkrankung, die eine Gesichtsfeldeinengung auf weniger als 10° bzw. 5° verursache, sei das skotopische Elektroretinogramm (ERG) in der Regel komplett erloschen; bei der Klägerin seien die Amplituden jedoch nur reduziert gewesen. Bei der Begutachtung durch Prof. Dr. K. sei ein auf weniger als 5° eingeengtes zentrales Rechtsgesichtsfeld angegeben worden, was mit dem bei der Klägerin beobachteten Verhalten nicht zu vereinbaren gewesen sei.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 05.05.2014 Klage zum Sozialgericht (SG) Augsburg erhoben. In der Klagebegründung hat die Klägerin mit Blick auf die o.g. elektrophysiologische Untersuchung darauf hingewiesen, dass der Aggravationsverdacht hinreichend widerlegt sei. Sie versuche, den Nachweis zu erbringen, dass sie keine Frühgeburt gewesen sei und die Sehbehinderung deshalb nicht hierauf zurückgeführt werden könne. Weiter solle die Frage der Diagnose gezielt geklärt werden. Ungeachtet dessen sei aufgrund der aktuellen Befunde Blindheit im Sinne des Gesetzes seit Juni 2013 zweifelsfrei nachgewiesen.

Das SG hat Beweis erhoben durch ein augenfachärztliches Gutachten von Dr. K. vom 30.12.2014. Der Sachverständige hat folgende Visuswerte erhoben (Sehschärfe mit Korrektion - Gläser bessern nicht):

– rechtes Auge: Erkennen von Handbewegungen, kein Fingerzählen in 30 cm Entfernung, kein Erkennen von Sehzeichen in 4 m Entfernung und in näherer Entfernung.

– Linkes Auge: 0,05 (Landoltringe in 4 m Entfernung),

– beidäugig: 0,063 (Landoltringe).

Hinsichtlich der Gesichtsfeldmessungen (mit dem Goldmann-Kugel-Perimeter) hat Dr. K. Folgendes festgehalten:

– Rechtes Auge: Die Außengrenzen würden massiv konzentrisch eingeschränkt angegeben; sie reichten bei der Reizmarke III/4e maximal bis 6 Grad (90-Grad-Meridian). Die Reizmarke V/4 werde mit etwas weiteren Außengrenzen als wahrgenommen angegeben. Die Mittelpunktfixation sei aufgenommen worden. Blickziel- und Augenfolgebewegungen seien nicht beobachtbar, dagegen aber ein leichter Spontannystagmus.

– Linkes Auge: Die Außengrenzen würden massiv konzentrisch eingeschränkt angegeben. Sie reichten bei der Reizmarke III/4e maximal bis 2 Grad (90-Grad-Meridian). Die Reizmarke V/4 werde mit etwas weiteren Außengrenzen als wahrgenommen angegeben. Die Mittelpunktfixation werde aufgenommen. Blickzielbewegungen und Augenfolgebewegungen seien nicht beobachtbar, dagegen aber ein leichter Spontannystagmus.

Dr. K. hat auch mit dem Bjerrum-Schirm (binokular) untersucht: Nach Abstandsvergrößerung werde eine deutliche „Aufweitung“ des Gesichtsfelds (zwei- bis dreifach) angegeben. Die Reizmarke werde dabei von 10 auf 20 mm Durchmesser vergrößert; der Mittelpunkt werde entsprechend vergrößert, so dass dessen Fixation gewährleistet sei. Beim Kontrastmuster-VEP hätten sich, so Dr. K., keine sicher identifizierbaren und reproduzierbaren Reizantworten kortikal ableiten lassen. Dies könne aber alleine schon auf das spontane Augenzittern zurückgeführt werden. Beim Blitz-VEP hätten sich bei der Stimulation des rechten Auges noch mäßig reproduzierbare und identifizierbare Reizantworten ableiten lassen.

Die Klägerin habe sich in für sie ungewohnter Umgebung unsicher und vorsichtig orientiert. Sie habe leidlich zielsicher nach den Stuhl-Armlehnen und der Untersucherhand gegriffen. Die zentrale Fixation sei im Gespräch nicht aufgenommen worden. Die Klägerin habe einmal auf einen ca. 1 m entfernten Befund verwiesen, bei dem sie aber eine Netzhautskizze mit einem Gesichtsfeldauszug verwechselt habe.

Der Sachverständige hat festgestellt, dass diese Befunde unter Berücksichtigung der Aktenlage wohl mindestens auch seit 01.07.2013 vorgelegen hätten.

Dr. K. hat die folgenden Diagnosen gestellt:

Rechtes Auge:

* Myopie nach OP des Grauen Stars (Pseudophakie),

* Astigmatismus,

* Akkomodationslosigkeit bei Pseudophakie, Nachstarbildung (Kapselfibrose und Kapselphimose),

* Missbildung und Dezentrierung der Makula (Makuladysgenesie mit Netzhautstrangbildung und Ektopie der Makula),

* Verdacht auf Amblyopie bei Makuladysgenesie, Schielen, angeborenem Nystagmus und Fehlsichtigkeiten,

* Netzhautdegeneration im Sinne einer Zapfen-Stäbchen-Dystrophie, Verdacht auf Missbildung und Degeneration des Sehnerven (Opticusdysplasie und anterograde partielle Opticusatrophie),

* Verdacht auf Sicca-Syndrom.

Linkes Auge:

* Hyperopie nach OP des Grauen Stars (Pseudophakie),

* Astigmatismus,

* Akkumodationslosigkeit bei Pseudophakie,

* Nachstarbildung (Kapselfibrose und Kapselphimose),

* Makuladysgenesie und Netzhautstrangbildung und Ektopie der Makula, Verdacht auf Amblyopie bei Makuladysgenesie, Schielen und angeborenem Nystagmus sowie Fehlsichtigkeiten,

* Netzhautdegeneration im Sinne einer Zapfen-Stäbchen-Dystrophie, Verdacht auf Missbildung und Degeneration des Sehnervs, Opticusdysplasie und anterograde partielle Opticusatrophie),

* Verdacht auf Sicca-Syndrom.

Die Stelle des schärfsten Sehens sei anatomisch nicht identifizierbar, weil dort eine Strangbildung der Netzhaut beobachtbar sei. Nach Aktenlage sei dieser Befund seit frühester Kindheit - wohl seit Geburt - vorliegend. Er gleiche dem einer fortgeschrittenen Frühgeborenen-Netzhauterkrankung (Retinopathia praematuorum). Mangels einer Frühgeburt (glaubhafte Versicherung der Klägerin) lägen, so Dr. K., sehr wahrscheinlich keine Retinopathia praematurorum und kein von-Droste-Hülshoff-Syndrom vor. Deshalb seien die wesentlichen sichtbaren Veränderungen der Netzhaut und der Sehnervenköpfe als Missbildung unbekannter Ursache zu interpretieren. Durch die mangelnde Ausbildung der Stelle des schärfsten Sehens und deren Verlagerung ergäben sich erhebliche Konsequenzen und machten viele Befunde verständlich. Auf die Missbildung der Netzhaut (Netzhautdysgenesie) insbesondere im zentralen Bereich (Makuladysplasie) und der Sehnerven (Optikusdysgenesie oder -dysplasie) zusammen mit der Ausbildung einer Schwachsichtigkeit sei seines, Dr. Ks, Erachtens bereits ein Großteil der Sehschärfeminderung zurückzuführen.

Die heute angegebene relevante Sehschärfe von 0,05 am besseren linken Auge bzw. von 0,063 beidäugig sei alleine vor dem Hintergrund der Sehschärfeentwicklung der letzten beiden Jahre nicht dramatisch schlechter, zumal auch heute mit den schwerer zu erkennenden Landoltringen geprüft worden sei. Die Sehschärfeverschlechterung in den letzten zwei Jahren könne angesichts der 30-jährigen Stabilität - wie von Dr. P. angedeutet - aber auch nicht auf die Fehlbildungen von Sehnerven und Netzhaut zurückgeführt werden. Dennoch könne allein schon anhand der Abblasssung der Papillen sehr wohl eine auch morphologisch sichtbare Veränderung im Sinne einer zunehmenden Degeneration anhand der Akten nachvollzogen werden.

Von großer Bedeutung sei, so der Sachverständige, die Beurteilung der objektiven Funktionsentwicklung, vor allem der Verlauf der Amplitudenminderung im ERG; leider liege nach der Aktenlage aber nur ein ERG von 2013 vor. Heute könne die Amplitudenminderung im ERG sehr wohl bestätigt werden. Die gemessenen Amplituden der Zapfenantwort seien massiv (und nicht nur etwas) reduziert und würden bei aller Vorsicht der Vergleichbarkeit eine Verschlechterung im Sinne einer Degeneration anzeigen. Dr. P. sei aber recht zu geben, dass bei einer Retinopathia pigmentosa mit einem derart eingeschränkten Gesichtsfeld wie von der Klägerin angegeben, die ERG-Potenziale nicht mehr messbar sein dürften. Weder die genetische Untersuchung noch der ERG-Befund weise auf das Vollbild einer Retinopathia pigmentosa hin. Es sei eher von einer Zapfen-Stäbchen-Dystrophie auszugehen. Die Vorerkrankungen (Operation der Netzhautablösung) ließen auch die Möglichkeit offen, dass Pigmentverschiebungen (Pigmentansammlungen) nicht unbedingt einer Retinopathia pigmentosa zugeschrieben werden müssten, das heiße, dass Pigmentansammlungen von der Operation herrühren könnten. Damit werde seines, Dr. K.s, Erachtens klar, dass neben der Netzhautdysgenesie (angeborene Fehlbildung) ein massiver degenerativer Netzhautschaden auf der Ebene der Fotorezeptoren, der mit der massiven Amplitudenminderung im ERG objektiviert sei, vorliege und zunehme. Er sei geeignet, sowohl die Sehschärfe zusätzlich zu reduzieren als auch das Gesichtsfeld massiv einzuschränken und stelle eine plausible Erklärung für die subjektiven Angaben zur Sehschärfe und auch zum Gesichtsfeld - insbesondere in deren Verlauf der letzten Jahre - dar. Somit liege ganz klar ein morphologisches bzw. funktionell objektivierbares Substrat über die weitere Sehschärfeminderung und für den zunehmenden Gesichtsfeldausfall vor.

In seinem Gutachten hat sich der Sachverständige zudem intensiv mit den Vorbefunden auseinandergesetzt.

Heute liege eine einer Sehschärfeminderung von 0,02 gleichzuachtende Sehstörung vor, die zwischen den Fallgruppen liege. Interpoliert und augenfachärztlicherseits auch sinnvoll begründbar reiche dann bei einer glaubhaften Sehschärfe von 0,063 zur Anerkennung von Blindheit nach dem Gesetz eine Gesichtsfeldeinschränkung auf ca. 11-12° Mittelpunktabstand oder weniger aus, um einer Sehschärfeminderung auf 0,02 analog zu den beiden Fallgruppen

– Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

– bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben, gleichgeachtet zu werden. Diese liege mit einer Sehschärfe von 0,063 und maximalen Außengrenzen von 6° so weit im Toleranzbereich, dass bei allen Messunschärfen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Blindheit angenommen werden müsse.

Auf das Gutachten hat Dr. P. des Beklagten darauf hingewiesen, dass sich der Sachverständige nicht dazu geäußert habe, wie das bei seiner Begutachtung deutlich reproduzierbare ERG nach Dunkeladaption mit der Angabe eines weiterhin hochgradig eingeschränkten Gesichtsfelds zu vereinbaren sei.

In einer kurzen ergänzenden Stellungnahme vom 24.03.2015 hat Dr. K. hervorgehoben, dass eine Retinopathia pigmentosa nicht zwangsläufig und nicht wahrscheinlich vorliege, sondern an beiden Augen eine Kombination aus Netzhautdysgenesie (Fehlbildung), Zustand nach Netzhautablösung und fortschreitender Degeneration, die noch am besten als Zapfen-Stäbchen-Dystrophie (Zapfen mehr betroffen als Stäbchen im Gegensatz zur Stäbchen-Zapfen-Dystrophie) bezeichnet werden könne. Weiter hat er betont, dass für eine klassische Retinopathia pigmentosa so typisch erloschene ERG-Potenziale nicht auf andere Krankheitsbilder (zum Beispiel isolierte Zapfen-Dystrophie) übertragen werden könnten. Das bedeute, dass die Reizantworten nicht erloschen sein müssten, um mit dem angegebenen Gesichtsfeldrest vereinbar zu sein. Unberücksichtigt bleibe darüber hinaus noch die zusätzliche Einschränkung des Sehvermögens durch die Sehnervenerkrankung.

Mit Schriftsatz vom 01.07.2015 hat der Beklagte weiterhin Klageabweisung beantragt. Der Nachweis von Blindheit sei nicht erbracht. Der Beklagte hat insoweit auf den Grundsatz der objektiven Beweislast hingewiesen. Dabei hat er auf eine von ihm eingeholte Stellungnahme des Ophthalmologen Prof. Dr. U. vom 17.06.2015 verwiesen. Prof. Dr. U. hat darin zunächst festgestellt, dass man „rein fachlich“ den Ausführungen von Dr. K. „durchaus folgen“ könne. Die Problematik an sich liege hier in der schwierigen Untersuchungsart der Klägerin, die ihrerseits sehr gutachtenserfahren sei und „sicherlich auch … sehr gut beraten“ werde. Nach der Diskussion im vorangegangenen Schriftverkehr hinsichtlich einer Aufweitung der Gesichtsfeldaußengrenzen am Bjerrumschirm - der Patient erhalte ja Einsicht in die Unterlagen - sei es „nun auch prompt“ zu einer Aufweitung bei Vergrößerung des Abstands im Bereich der Außengrenzen gekommen. Es falle auf, dass Dr. K. in der Diskussion seiner Untersuchungsbefunde schlussfolgere, dass kein OKN auslösbar gewesen sei; bei einer Patientin mit einem congenitalen Nystagmus sei diese Untersuchung selbstredend sehr schwierig. Andererseits beschreibe Dr. K., dass mit einem Streifenband am rechten Auge zeitweise ein horizontaler und modularer Nystagmus auslösbar und am linken Auge ein horizontaler und vertikaler OKN erkennbar gewesen sei. Zusammenfassend könne man nur sagen, dass das BayBlindG seine Kriterien sehr streng definiere und dass die klinische und elektrophysiologische Untersuchung bei derart gutachtenserfahrenen und gut beratenen Patienten grundsätzlich an Grenzen stoße. Da genetisch eine Retinopathia pigmentosa mit Ausnahme einer doch seltenen Neumutation ausgeschlossen habe werden können, sei die weitere Erklärung der progressiven Verschlechterung der Netzhautfunktion lediglich auf die o.g. elektrophysiologische Untersuchung zurückzuführen. Ob es sich aber nun tatsächlich um eine Stäbchen-Zapfen-Dystrophie handle, bleibe trotz allem etwas spekulativ. Letztlich bleibe das Krankheitsbild bei der Klägerin „etwas unklar“. Viele Aspekte wie die Makulaektopie und die stattgehabten Neigung zur Netzhautablösung würden, so Prof. Dr. U., sicherlich für eine Erkrankung sprechen, wie man sie ansonsten bei Retinopathia praematororum sehe. Da die Klägerin kein Frühgeborenes gewesen sei, bleibe auch diese Diagnose letztlich unbefriedigend.

Dr. P. hat am 25.06.2015 u.a. darauf hingewiesen, dass es in dem Fall letztlich darum gehe, ob man der Klägerin die Angaben zum Sehvermögen glaube, was letztendlich der richterlichen Beweiswürdigung obliege und nicht allein von medizinischer Seite beurteilt werden könne. Dabei sollte jedoch, so Dr. P., nicht vergessen werden, dass die Zweifel an den Gesichtsfeldangaben auch nach Auffassung von Dr. K. nicht vollends ausgeräumt hätten werden können und dass er zudem bestätigt habe, dass bei Patienten mit einem derart eingeschränkten Gesichtsfeld ERG-Potenziale eigentlich nicht mehr messbar seien.

Hierauf hat die Klägerseite am 01.09.2015 betont, dass die Darlegungen von Prof. Dr. U. nicht geeignet seien, die persönliche Untersuchung des gerichtlich bestellten Gutachters zu entkräften. Schließlich ist auf eine Untersuchung von Dr. R. der Augenklinik der LMU M-Stadt vom 08.12.2014 verwiesen worden.

Hierzu hat wiederum der Beklagte Stellung genommen. Der Befundbericht der Augenklinik würde die bereits geäußerten Zweifel am Vorliegen von Blindheit bestätigen. Bei der Untersuchung am 08.12.2014 sei am rechten Auge ein Visus von 0,16 (in 30 cm Entfernung) angegeben worden, wogegen bei der Untersuchung durch Dr. K. am 23.10.2014, also nur etwa 6 Wochen zuvor, in 30 cm nicht einmal Finger gezählt hätten werden können. Nachdem sich das Sehvermögen, so Dr. P., innerhalb dieser 6 Wochen wohl kaum gebessert haben dürfte, müsse die Zuverlässigkeit der Visusangaben bei Dr. K. in Zweifel gezogen werden. Die doch erhebliche Differenz der Visuswerte könne auch nicht alleine mit der Unterschiedlichkeit der Optotypen erklärt werden (Zahlen-Optotypen versus Landoltringe). Dass eine sehr schwerwiegende Sehminderung vorliege, sei unbestritten. Blindheit werde jedoch auch von Dr. R. in dem Arztbrief nicht bestätigt.

Mit Gerichtsbescheid vom 09.02.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Dabei hat es sich der Begründung der streitgegenständlichen Verwaltungsakte des Beklagten angeschlossen und von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, nach § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abzusehen. Ergänzend hat es darauf hingewiesen, dass nach allen vorliegenden Befunden, den ärztlichen Stellungnahmen des Beklagten und dem gerichtlich eingeholten Gutachten von Dr. K. sowie der ärztlichen Stellungnahme von Prof. U. keine der Konstellationen der Blindheit im Sinne des BayBlindG im Vollbeweis nachgewiesen sei. Es verblieben Zweifel, so das SG, am Vorliegen der Voraussetzungen, insbesondere auch wegen der bestehenden Diskrepanz zwischen den objektiv erhobenen Befunden und den subjektiven Angaben der Klägerin. Wie sowohl Dr. K. als auch Prof. Dr. U. darlegen würden und die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 17.09.2015 betone, sei eben keine der Konstellationen der Blindheit im Sinne der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG, Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung) eindeutig gegeben.

Am 02.03.2016 hat die Klägerin Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) mit dem Vortrag erhoben, dass der Entscheidung des SG nicht gefolgt werden könne. Unverständlich sei vor allem, dass das SG dem Gutachten von Dr. K. nicht gefolgt sei, ohne eine umfassende sachliche Auseinandersetzung durchzuführen. Weiter hat der Bevollmächtigte gerügt, dass das SG bestehende Zweifel nicht durch Einholung einer ergänzenden Stellungnahme bzw. Einvernahme des Gutachters im Termin zur mündlichen Verhandlung aufgeklärt habe. Es seien keine Gründe ersichtlich, weshalb den Einwendungen des Beklagten aufgrund einer Aktenlage-Stellungnahme (ohne weitergehende Aufklärung) der Vorrang gegeben worden sei. Nach den vom Gutachter getroffenen Feststellungen seien die Voraussetzungen für die Blindheit unter Beachtung der VG erfüllt.

Am 02.11.2016 hat der Beklagte - basierend auf einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 19.10.2016 - die Zurückweisung der Berufung beantragt. Darin hat Dr. P. auf das Schreiben des Instituts für Humangenetik der Universitätsklinik U-Stadt vom 09.01.2016 hingewiesen, in dem das Ergebnis der humangenetischen Beratung im Jahr 2014 in R-Stadt bestätigt worden sei; eine Retinopathia pigmentosa als Erklärung für die Gesichtsfeldbefunde sei daher weiterhin nicht nachgewiesen. Dass eine nicht genetisch bedingte Form dieser Erkrankung oder eine Neumutation als Möglichkeiten genannt worden seien, ändere an dem Sachverhalt nichts, so der Beklagte. Wesentlich an dem vorgelegten Arztbrief der D. vom 20.07.2016 sei der Befund des Ganzfeld-ERG, das skotopisch und photopisch erniedrigte Amplituden zeige, also reproduzierbar bzw. messbar gewesen sei. Es sei von einem deutlich größeren Gesichtsfeld auszugehen, zumal es bisher weder ein morphologisches Korrelat noch eine Diagnose gebe, die eine vollständige Auslöschung der Gesichtsfelder beider Augen bis auf eine zentrale Gesichtsfeldinsel von ca. 5° - wie bei der Begutachtung durch Dr. K. - plausibel erklären könnten. Vielmehr sei im Arztbrief aus D-Stadt erneut auf die Stabilität der Befunde hingewiesen worden. Die zentral gelegenen Gesichtsfeldinseln stünden, so die Ärztin in der Stellungnahme des Beklagten, des Weiteren im Widerspruch zur angegebenen Sehschärfe; bei einem auf Handbewegungen bzw. 0,02 reduzierten Visus wäre zumindest am rechten Auge ein Zentralskotom zu erwarten gewesen. Ergänzend hat Dr. P. angemerkt, dass es für die von Dr. K. postulierte fortschreitende Degeneration angesichts der über die Jahre beschriebenen Stabilität der Befunde keinen Beleg gebe. Die erneute Diskrepanz zwischen den Angaben zum Sehvermögen und den elektrophysiologischen Untersuchungen könne als weiterer Beleg für unzutreffende Angaben gewertet werden.

Am 25.11.2016 hat sich die Klägerin direkt an den Senat gewandt und darauf hingewiesen, dass sie nichts dafür könne, kein eindeutiges Krankenbild zu haben. Jedoch bestätige ihr jeder Augenarzt, die Bedingungen für das Blindengeld zu erfüllen. Alle Universitäten, in denen sie zur Untersuchung gewesen sei, hätten der Klägerin versichert, dass sie die maßgeblichen Werte erfülle. Die Unterstellung, zu lügen, belaste die Klägerin sehr. Zudem ist ein Bericht des Universitätsklinikums U-Stadt, Prof. Dr. K., vom 03.05.2017 vorgelegt worden. Als Diagnosen sind dort insbesondere Retinopathia pigmentosa, Opticusatrophie, feinschlägiger Rucknystagmus mit rotatorischer Komponente, Pseudophakie - allgemein von-Droste-Hülshoff-Syndrom gestellt und als Fernvisus rechts Handbewegungen und links 1/25 festgehalten worden. Beim Goldmann-Gesichtsfeld sei am rechten Auge keine Messung möglich gewesen, am linken Auge hätten die Außengrenzen bei der Marke III/4 unter 5 Grad gelegen. Im Rahmen der Optischen Cohärenztomographie (OCT) der Makula habe sich in beiden Augen eine zentrale Ausdünnung ergeben. Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass aufgrund des weit fortgeschrittenen Funktionsverlusts beidseits der Erhalt von Blindengeld als indiziert anzusehen sei.

Am 31.05.2017 hat ein Erörterungstermin des Senats stattgefunden.

Im Folgenden ist die Begutachtung gemäß § 109 SGG durch Prof. Dr. C. beantragt worden. Der Sachverständige hat in seinem ophthalmologischen Gutachten vom 24.10.2017 u.a. die nachfolgend beschriebenen Untersuchungsbefunde erhoben.

Beide Augen: Am Augenhintergrund sei bei deutlich reduziertem Einblick die Sehnervenscheibe entrundet, scharf begrenzt und wachsgelb gefärbt; sie zeige eine minimale Prominenz. Die Gefäße seien erheblich verdünnt und erheblich nach schläfenwärts unten gestreckt bei deutlicher Verziehung der Makula. Am hinteren Pol seien leichte Hyperpigmentierungen zu erkennen. Nach schläfenwärts erkenne man zusätzliche weißliche Narben. Die Netzhaut sei allseits anliegend, es seien keine Vorstufen einer Netzhautablösung erkennbar. Die periphere Netzhaut sei nicht sicher einzusehen.

Visus (Fernvisus mit Landoltringen und Korrektion):

– rechtes Auge Handbewegungen,

– linkes Auge 0,04.

In 4 m nach DIN 58220 sei kein Sehzeichen erkannt worden, daher sei der Arbeitsabstand verkürzt worden.

Gesichtsfeld (Goldmann-Projektionsperimeter, Reizmarke III/4e):

– Rechts: Es werde ein deutlich eingeengtes Gesichtsfeld angegeben, das nach rechts bis 5, nach oben bis 7, nach links bis 8 und nach unten bis 6 Grad reiche.

– Links: Ebenfalls ein deutlich eingeengtes Gesichtsfeld, das nach rechts bis 8, nach oben bis 6, nach links bis 9 und nach unten bis 10 Grad reiche.

– Beidäugig: Auch hier werde mit der Reizmarke III/4e eine Einengung festgestellt, nämlich nur 10 Grad nach links, 8 nach unten, 16 nach rechts und 8 nach oben. Für die größere Reizmarke V/4 werde ein deutlich größeres Gesichtsfeld angegeben. Bei nochmaliger Prüfung mit der Reizmarke III/4 werde ein etwas kleineres Gesichtsfeld als initial angegeben.

Bei Prüfung des rechten Auges im Muster-VEP seien keine reproduzierbaren Reizantworten feststellbar gewesen, am linken Auge seien Reizantworten mit normaler Latenz und deutlich reduzierter Amplitude zu erhalten gewesen. Im skotopischen ERG sei eine in der Amplitude massiv reduzierte Antwort nachweisbar gewesen (beide Augen), die Amplituden seien am rechten Auge kaum noch nachweisbar und geringer als im linken Auge gewesen. Das photopische ERG habe am linken Auge eine Antwort mit erheblich reduzierter Amplitude und unauffälliger Latenz gezeigt, am rechten Auge seien nur fragliche Antworten nachweisbar gewesen. OCT: Hier sei keinerlei normale Topographie der Sehgrube feststellbar, die Netzhaut sei erheblich verdünnt; hierbei liege insbesondere eine erhebliche Verminderung der retinalen Nervenfaserschicht vor. Beim OCT der peripapillären Netzhaut sei insgesamt von einer erheblichen Schädigung dieser Nervenfaserschicht auszugehen.

Prof. Dr. C. hat festgehalten, dass die genaue Einordnung der bei der Klägerin bestehenden Augenerkrankung unverändert schwierig sei. Der Sachverständige hat hinsichtlich der Annahme einer Netzhautveränderung nach Frühgeburtlichkeit, die in der Vergangenheit diagnostiziert worden sei, darauf hingewiesen, dass die Klägerin wiederholt angegeben habe, dass bei ihr kein solcher Zustand nach Frühgeburt vorliege und dass auch in den Akten zumindest ein normales Geburtsgewicht dokumentiert sei, was eine wesentliche Frühgeburt sicher ausschließe. Zusätzlich werde, so der Sachverständige, 1983 der Sehnervenkopf vollkommen unauffällig beschrieben. Die Entwicklung einer Netzhautablösung sei trotz hoher Kurzsichtigkeit bei einer 27 bzw. 30 Jahre alten Patientin ungewöhnlich. Aus diesem Grund sei auch denkbar, dass bei der Klägerin eine etwas untypische familiäre exsudative Vitreoretinopathie Criswick-Schepen vorliege, die mit ähnlichen Netzhautveränderungen einhergehe und häufig zu Netzhautablösungen führe.

Dem Einwand von Dr. P. vom 10.03.2014 (zu den Sehschärfeangaben der Klägerin), dass die Wahrnehmung der Reizmarke I/4 gegen einen Visus von 1/35 spreche, sei zu entgegnen, dass sich die Erkennungssehschärfe grundlegend vom Auflösungsvermögen des Auges unterscheide und die Wahrnehmung eines hellen Punkts durchaus auch bei sehr geringer Sehschärfe denkbar sei. Wenn Dr. P. für den Beklagten zutreffend darstelle, dass bei der Klägerin über Jahrzehnte hinweg zunächst eine stabile Sehschärfe bestanden habe, die dann ab 2012 nahezu plötzlich abfalle, müsse hierzu angemerkt werden, dass die Befunde bis 2012 nahezu alle nicht unter gutachtlichen Bedingungen erhoben worden seien. Zu beachten sei, dass die Prüfung der Sehschärfe zu einem quantiativen Ergebnis führe, das mit seiner Zahl eine Genauigkeit vorgebe, die in Wirklichkeit nicht existiere. Darüber hinaus unterscheide sich eine gutachtlich korrekte Sehschärfeprüfung (nach DIN 58220) mit Landoltringen und definiertem Abbruchkriterium erheblich von einer im Rahmen einer augenärztlichen Untersuchung oder Behandlung durchgeführten Sehschärfeprüfung.

Wenn man die Sehschärfe anlässlich der Begutachtung durch Dr. K. (23.10.2014) betrachte, so seien dies nur zwei Visusstufen weniger als die früher über lange Zeit erreichte Sehschärfe von 0,1 gewesen. Anlässlich der jetzigen Untersuchung sei die Sehschärfe links auf 0,04 reduziert, auch bei beidäugiger Prüfung sei keine bessere Sehschärfe angegeben worden.

Dr. P. habe in ihrer Stellungnahme vom 17.09.2015 ihre Zweifel am Vorliegen von Blindheit zusätzlich mit den unterschiedlichen Sehschärfeangaben bei Dr. K. rechts am 23.10.2014 (weniger als Fingerzählen in 30 cm) und in U-Stadt am 11.12.2014 (0,16 in 30 cm) begründet. Dieser Widerspruch, so Prof. Dr. C., der offensichtlich wesentlich zu den Zweifeln des SG beigetragen habe, sei jedoch ein Verständnisfehler. Die Angabe der Sehschärfe im Befundbericht von Prof. Dr. R. sei eindeutig so zu verstehen, dass auf einer Sehtafel für 5 m eine Sehschärfe von 0,16 angegeben worden sei, was bei Prüfung in 30 cm eben nur einer Sehschärfe von etwa 0,01 entspreche. Damit sei aber eben nicht von einer Sehschärfe von 0,16 auszugehen und es bestehe auch kein Widerspruch zu den Angaben bei Dr. K., da ein fehlendes Erkennen von Fingerzählen zumindest auf eine Sehschärfe von unter 0,014 hindeute.

Der Sachverständige hat sich in seinem Gutachten auch im Einzelnen mit der Frage der Glaubwürdigkeit der klägerischen Angaben zum Gesichtsfeld auseinandergesetzt. Wesentlicher Grund für die Klageabweisung des SG seien wohl die Zweifel an diesen Angaben der Klägerin gewesen. Er, Prof. Dr. C., halte diese Zweifel auch aufgrund der jetzt erhobenen zusätzlichen Befunde für nicht gut begründet.

Bei der Klägerin, die früher hochgradig kurzsichtig gewesen sei, sei davon auszugehen, dass das ERG immer schon niedrige Amplituden gehabt habe; darüber hinaus führe auch eine Netzhautablösung und selbst eine Operation derselben (mittels Glaskörperausschneidung) zu einer zusätzlichen Schädigung. Daher sei auch denkbar, dass die Klägerin nicht an einer erblichen Netzhautdystrophie leide, sondern dass sich in diesem Befund nur verschiedene andere Schädigungen oder Veränderungen bemerkbar machen würden. Dann wäre auch eine Gesichtsfeldeinengung nicht allein durch einen krankhaften Befund im ERG erklärt.

Allerdings habe bereits Dr. K. darauf hingewiesen, dass die an beiden Augen bestehende Sehnervenschädigung früher wohl nicht bestanden habe (zumindest sei der Sehnervenkopf 1983 als vollkommen normal beschrieben worden). Eine Sehnervenschädigung könne durchaus einen auch erheblichen Gesichtsfeldausfall erklären. Die Vermessung der peripapillären Faserschicht (Nervenfaserschicht um den Sehnervenkopf herum) sei bei der Klägerin nur eingeschränkt möglich gewesen, habe aber eindeutig eine schwerwiegende Veränderung gezeigt. Bereits anlässlich der ersten dokumentierten Gesichtsfelduntersuchung im Jahr 2000 sei das Gesichtsfeld an beiden Augen erheblich eingeengt gewesen. Auch wenn bei seitengetrennter Untersuchung inzwischen eine stärkere Einengung angegeben werde, so sei das beidäugige Gesichtsfeld jetzt doch relativ ähnlich, die nach rechts verschobene Erweiterung sei dabei der Lage des Kopfes geschuldet, der nicht zentral in der Kuppel angeordnet gewesen sei.

Der Sachverständige hat hervorgehoben, dass er keinerlei Zweifel an den jetzigen subjektiven Angaben zum Gesichtsfeld habe, und hat auf die Fallgruppen der VG sowie die Untersuchungsergebnisse bei Dr. K. hingewiesen. Er stimme Dr. K. vollumfänglich zu, dass bei dieser Konstellation, obwohl sie weder die Fallgruppe bb. noch cc. komplett erfülle, ebenfalls von Blindheit auszugehen sei. Allerdings sei bei der jetzigen Untersuchung vor allem bei der beidäugigen Gesichtsfeldprüfung ein doch größeres Gesichtsfeld angegeben worden. Auch hier sei aber zu beachten, dass natürlich neben der Sehschärfe auch das Gesichtsfeld bei verschiedenen Untersuchungen nicht vollkommen identisch sei und gewisse Schwankungen einfach untersuchungsbedingt bestehen könnten.

Bei der Klägerin sei in der Kindheit und Jugend das rechte Auge das bessere und das Führungsauge bei Schielamblyopie des linken Auges gewesen. Aus diesem Grund sei davon auszugehen, dass mit der erheblichen Verschlechterung des Sehvermögens rechts, aufgrund derer dann das linke Auge zum besseren geworden sei, dennoch gewisse Probleme vor allem beim Lesen eingetreten seien, die sich bei alleiniger Berücksichtigung der Sehschärfe als Funktionsparameter nicht ausreichend abbilden würden. Darüber hinaus sei auch davon auszugehen, dass angesichts der erheblichen Trübung der verbliebenen Linsenkapsel an beiden Augen bei der Klägerin eine erheblich stärkere Blendungsempfindlichkeit bestehe, als man es aufgrund der Veränderungen an den Augen ohnehin bereits annehmen würde. Insofern lägen durchaus weitere Funktionsstörungen vor, die neben den in den VG vorgegebenen Einschränkungen bei der Bewertung einer faktischen Blindheit zu berücksichtigen seien.

Die Beweisfragen des Gerichts hat Prof. Dr. C. wie folgt beantwortet:

– Im Wesentlichen bestehe an beiden Augen eine Verziehung der Stelle des schärfsten Sehens bei deutlichem langen Bau der Augen. Darüber hinaus sei es an beiden Augen zu einer Netzhautablösung gekommen, die operativ versorgt worden sei, auch sei die natürliche Linse durch eine Kunstlinse ersetzt worden. Neben einer seit jeher bestehenden deutlichen Sehschärfereduktion sei in den letzten Jahren eine weitere Verschlechterung eingetreten. Die wesentlichen morphologischen Befunde hätten sich dabei seit 15.07.2013 höchstens minimal verändert; so entspreche der Vorderabschnittsbefund an beiden Augen demjenigen, den Dr. K. anlässlich seines Gutachtens 2014 fotographisch dokumentiert habe. Bei den ebenfalls in den Akten enthaltenen Aufnahmen des Augenhintergrundes werde deutlich, dass infolge der Veränderungen des Vorderabschnittts und insbesondere der nur relativ kleinen Kapsellücke ein genügend sicherer Einblick in tiefere Augenabschnitte nicht möglich sei. Dies führe gleichzeitig zu einer zusätzlichen Funktionseinschränkung.

– Die Klägerin sei nicht vollständig erblindet.

– Die Sehschärfe betrage mehr als 1/50, nämlich am linken Auge sowie beidäugig 0,04. Eindeutig sei anlässlich der jetzigen Untersuchung (18.10.2017) mit einer korrigierten Sehschärfe von 0,04 links sowie beidäugig und bei einer gleichzeitig bestehenden Gesichtsfeldeinengung auf weniger als 15 Grad vom Zentrum des Restgesichtsfelds eine einer Sehschärfeminderung auf 1/50 gleichzuachtende Störung des Sehvermögens nachgewiesen.

Bereits anlässlich der Untersuchung durch Dr. K. habe dieser (bei einer Sehschärfe von 0,06 und einem bis auf 6 Grad eingeengten Gesichtsfeld) Blindheit für nachgewiesen erachtet. Dieser Einschätzung könne er, Prof. Dr. C., sich prinzipiell anschließen; selbst unter Berücksichtigung des nunmehr wieder größeren Gesichtsfelds könne man bei einer Sehschärfe von 0,06 eine einer Sehschärfe von 1/50 gleichzuachtende Funktionsstörung diskutieren, aber grundsätzlich sei auch nicht davon auszugehen, dass die Sehschärfe bis jetzt stabil geblieben sei und es umgekehrt kurz nach der Untersuchung durch Dr. K. zu einer Verbesserung des Gesichtsfelds gekommen sei. Insofern halte er, Prof. Dr. C., einen dauerhaften Zustand mit einer Funktionsminderung bezüglich der Blindheit, d.h. das Vorliegen einer faktischen Blindheit ab dem 23.10.2014 für nachgewiesen. Auch anlässlich der folgenden Untersuchungen in M-Stadt und D-Stadt liege kein besseres Sehvermögen vor.

– Auch wenn bei der Untersuchung durch Dr. K. eine Funktionsschädigung außerhalb der normierten Fallgruppen vorgelegen habe, so sei die Begründung von Dr. K. überzeugend, in der dieser darlege, dass die Beeinträchtigung von Sehschärfe und Gesichtsfeld gerade unter Berücksichtigung der beiden genannten Fallkonstellationen eindeutig auch einer Beeinträchtigung der Sehschärfe auf 1/50 gleichzuachten sei. Hierbei seien weiter bei der Klägerin vorhandene Einschränkungen mit erhöhter Blendungsempfindlichkeit und Schielstellung des rechten Auges und vor allem die seit jeher bestehende Schwachsichtigkeit dieses linken Auges, die funktionell trotz einer Sehschärfe von 0,04 eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung erkläre, nicht berücksichtigt. Der Sachverständige hat ausdrücklich festgehalten, dass für ihn jetzt unzweifelhaft auch nach dem BayBlindG dauerhaft Blindheit vorliege.

Auch diesem Gutachten ist der Beklagte jedoch nicht gefolgt. Im Schriftsatz vom 20.11.2017 hat er erneut auf die Zweifel an den Eigenangaben der Klägerin bzw. den Visusverlauf abgestellt. Zweifel am anhaltenden Vorliegen der gerade bei Begutachtungen angegebenen Befunde seien im Hinblick auf den Verlauf der Befundangaben durchaus berechtigt, zumal in den Unterlagen immer wieder von einem stabilen Befund die Rede sei. Es überrasche auch, dass im Befundbericht von November 2016 festgehalten sei, dass die Klägerin mit einem Bildschirmlesegerät und einer elektrischen Lupe bei einem Visus von nur 0,025 und nun wieder 1 m rechts und 0,04 links sowie einem höchstgradig eingeschränkten Gesichtsfeld gut zurechtkomme. An der Größe der angegebenen Gesichtsfeldausdehnung ergäben sich auch Zweifel im Hinblick auf die Auslösbarkeit des Retinogramms.

Am 09.01.2018 hat der Beklagte ein Vergleichsangebot abgegeben und sich bereit erklärt, der Klägerin ab 01.01.2018 Blindengeld für hochgradig Sehbehinderte gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG zu gewähren. In der zugrundeliegenden Stellungnahme von Dr. L. vom 20.12.2017 ist u.a. betont worden, dass im Hinblick auf die wechselnden Befundangaben doch begründete Zweifel bestünden, ob tatsächlich anhaltend über sechs Monate eine einer Blindheit gleichzuachtende Sehstörung vorliege. Es lasse sich nicht einmal die Frage, ob zumindest eine hochgradige Sehbehinderung vorliege, mit letzter Sicherheit beantworten. Es spreche aber doch sehr viel dafür, dass es grenzwertig vertretbar sei, ab 01.01.2018 „ein abgesenktes Blindengeld“ zu erbringen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 09.02.2016 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 04.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2014 zu verurteilen, ihr ab 01.07.2013 Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG) und ganz überwiegend auch begründet.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin blind im Sinne des BayBlindG ist und ihr deshalb (ab dem Monat der Antragstellung Blindengeld) zusteht. Dies hat das SG verneint, für die Zeit ab Oktober 2014 zu Unrecht. Die Klägerin hat ab diesem Zeitpunkt Anspruch auf Blindengeld. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 04.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.04.2014 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG erhalten blinde Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166 S. 1, ber. ABl L 200 S. 1, 2007 ABl L 204 S. 30) in der jeweils geltenden Fassung dies vorsieht, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld. Dabei beinhaltet nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), an die sich der Senat gebunden fühlt, die Formulierung „zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen“ keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung (vgl. BSG, Urteil vom 26.10.2004 - B 7 SF 2/03 R).

Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,

  • 1.deren Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 0,02 (1/50) beträgt oder

  • 2.bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.

Hochgradig sehbehindert ist gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG, wer nicht blind in diesem Sinne (Art. 1 Abs. 2 BayBlindG) ist und

1. wessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 0,05 (1/20) beträgt oder

2. wer so schwere Störungen des Sehvermögens hat, dass sie einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bedingen.

Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.

Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) folgend, vor allem bei folgenden Fallgruppen vor (siehe VG, Teil A Nr. 6):

a. bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

b. bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

c. bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

d. bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

e. bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,

f. bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,

g. bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.

Die Klägerin hat ab Oktober 2014 Anspruch auf Blindengeld. Blindheit im Sinne des BayBlindG ist seitdem nachgewiesen.

Zwar liegt weder Lichtlosigkeit gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG vor noch sind die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BayBlindG erfüllt. Allerdings ist bei der Klägerin eine der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachtende Sehstörung gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG (faktische Blindheit) erfüllt.

Dies steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R). Der Senat stützt sich dabei insbesondere auf die besonders fundierten und plausiblen Sachverständigengutachten von Dr. K. und Prof. Dr. C.. Der Senat macht sich diese Feststellungen, die auch nicht im Widerspruch zu den vorliegenden Befunddokumentationen stehen, zu eigen.

Freilich übersieht der Senat nicht, dass in dem vorliegenden - medizinisch-wissenschaft-lich komplexen - Fall gewisse Zweifel an der Blindheit der Klägerin verbleiben. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Senat vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG überzeugt ist, wie unten im Einzelnen dargestellt wird.

Wie der Senat bereits mehrfach darauf hingewiesen hat (z.B. Urteil vom 16.11.2015 - L 15 VG 28/13), muss sich das Gericht für den Vollbeweis die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache, wie hier der Blindheit der Klägerin, verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen mit der Folge, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R, m.w.N.). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugungsbildung zu begründen (BSG, a.a.O.).

Die vorliegend verbleibenden Restzweifel in dem vorgenannten Sinn stehen der vollen Überzeugungsbildung nicht entgegen. Dabei ist u.a. auch zu beachten, „dass sich die Gerichte mit demjenigen Gewissheitsgrad zu begnügen haben, den die medizinische Wissenschaft im Einzelfall leisten kann“ (Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Aufl. 2012, S. 51, mit Verweis auf Bender/Nack/Treuer). Unter Berücksichtigung der allen medizinischen Beurteilungen immanenten Unsicherheiten (vgl. a.a.O., S. 49 f.) müssen somit nicht nur völlig unbedeutende Restzweifel außen vor bleiben, sondern auch solche, die durchaus einer medizinisch-wissenschaftlichen Diskussion offenstehen, jedoch im Einzelnen nicht überzeugen können. Andernfalls wäre ein Blindheitsnachweis in sozialgerichtlichen Verfahren so gut wie unmöglich. Denn dann könnte in keinem Fall, wo nur eine ernsthafte medizinische Zweifelsfrage im Raum steht, für die mehrere Antworten nicht ganz ausgeschlossen sind, der Blindheitsnachweis durch den Kläger grundsätzlich nicht erbracht werden. Ein solches Verständnis vom Blindheitsnachweis ist aber mit der Rechtsprechung des BSG nicht vereinbar. Zwar hat das BSG im Urteil vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14 R) eindeutig festgelegt, dass die objektive Beweislast für die den Blindengeldanspruch begründende Tatbestandsvoraussetzungen grundsätzlich den sehbehinderten bzw. blinden Anspruchsteller/Kläger trifft und dass etwaige Beweiserleichterungen (des sozialen Entschädigungsrechts) nicht zum Tragen kommen. Dass hier aber wegen der Vernachlässigung der bestehenden besonderen Erkenntnisschwierigkeiten (s.o.) übertriebene Anforderungen an den Vollbeweis zu stellen wären, lässt sich dieser Rechtsprechung keinesfalls entnehmen. Im Gegenteil hat das BSG (im Urteil vom 11.08.2015, a.a.O.) in einem Teilbereich - nämlich der Diagnostik spezifischer Sehstörungen - sogar darauf aufmerksam gemacht, dass die „mit dem Beweisrecht verbundene typisierende Annahme, dass die relevanten Tatsachen im Ansatz hinreichend verlässlich feststellbar sind“, nicht gerechtfertigt ist.

Zusammenfassend ist somit aus Sicht des Senats darauf zu achten, dass die verbleibenden Zweifel unter Beachtung dieser aufgezeigten Problematik zutreffend gewichtet werden.

Diese Gewichtung ergibt vorliegend, dass der Klägerin das Augenlicht nicht vollständig fehlt und dass bei ihr faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BayBlindG nicht vorliegt, dass jedoch eine der Herabsetzung der Sehschärft auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG nachgewiesen ist, was aus den vorliegenden Untersuchungsbefunden der genannten Sachverständigen und der Berücksichtigung der weiteren Beeinträchtigung durch die erhebliche Blendempfindlichkeit der Klägerin sowie durch die Schielstellung ihres rechten Auges folgt.

1. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist auszuschließen, dass der Klägerin das Augenlicht vollständig fehlen würde; hierauf muss angesichts der vorliegenden offenkundigen Befunde nicht näher eingegangen werden.

2. Der Annahme faktischer Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BayBlindG stehen bereits die von den Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. erhobenen Visusbefunde entgegen. Denn danach beträgt die Sehschärfe bei der Klägerin im Zeitraum ab Antragstellung (knapp) mehr als 0,02, nämlich 0,04 bzw. 0,06 (vgl. im Einzelnen oben).

3. Bei der Klägerin liegt jedoch zur Überzeugung des Senat faktische Blindheit nach Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG vor; dies ergibt sich, wie bereits oben ausgeführt, aus den überzeugenden Sachverständigengutachten von Dr. K. und Prof. Dr. C..

Zwar hat letzterer Zweifel geäußert, ob man bei einer - wie von Dr. K. angenommenen - Sehschärfe von 0,06 (und den gemessenen Gesichtsfeldgrenzen bei max. 6 Grad) von einem Vollbeweis der Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG ausgehen könne. Auch hat Prof. Dr. C. unter Zugrundelegung einer Sehschärfe von 0,04 bei der Messung des beidäugigen Gesichtsfelds immerhin noch einen Wert von 16 Grad festgestellt (vgl. Fallgruppe bb. VG Teil A, Nr. 6). Somit könnte fraglich sein, ob faktische Blindheit im Hinblick auf die o.g. Fallgruppen nachgewiesen ist.

Allerdings können den Senat diese Zweifel nicht überzeugen. So sind hinsichtlich der von Dr. K. ermittelten Werte die der Fallgruppe cc. VG Teil A, Nr. 6 erfüllt. Bei dem von Prof. Dr. C. ermittelten Gesichtsfeld handelt es sich um einen Grenzfall, der denkbar knapp - nämlich um ein Grad - über der Grenze liegt. Wie der Beklagte (Stellungnahme vom 22.03.2018) zu Recht hervorhebt, liegt das Problem vorliegend auch nicht darin, dass die bei den Untersuchungen ermittelten Werte, also die subjektiven Angaben der Klägerin, einer faktischen Blindheit nicht entsprechen würden, sondern in der Nachvollziehbarkeit dieser Angaben, von der der Senat in Übereinstimmung mit den Sachverständigen (siehe im Einzelnen unten) ausgeht.

Letztlich können diese Zweifel an der Erfüllung der Voraussetzungen der genannten Fallgruppen bei den vorliegend ermittelten Sehschärfewerten (0,06 und 0,04) unerörtert bleiben. Denn die Sachverständigen gehen im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats zutreffend und plausibel davon aus, dass hier jedenfalls die Annahme faktischer Blindheit nach der genannten Vorschrift wegen den besonderen Voraussetzungen bei der Klägerin durch die zusätzlich hinzukommende besondere Blendempfindlichkeit und die Schielstellung des rechten Auges gerechtfertigt ist, unabhängig von der Frage, ob der Wortlaut der Fallgruppen nun erfüllt ist oder nicht. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. die Urteile vom 31.01.2013 - L 15 BL 6/07 - und vom 05.07.2016 - L 15 BL 17/12) ist in besonderen Ausnahmefällen spezieller Krankheitsbilder die Annahme von Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der VG bzw. der DOG nicht ausgeschlossen. Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 31.01.2013 (a.a.O.) Folgendes ausgeführt:

„Es ist unstrittig, dass die in den VG übernommenen DOG-Richtlinien nicht exklusiv sämtliche der Blindheit gleichzuachtenden kombinierten Sehstörungen aufführen, dass also die Kriterien gemäß Teil A Ziff. 6 b) VG nur beispielhaft sind […].

Der materielle Charakter der (medizinischen) Festlegungen und auch der Wortlaut der VG lassen es zu, zur Annahme faktischer Blindheit in Ausnahmefällen Sehstörungen ausreichen zu lassen, auch wenn die jeweiligen Voraussetzungen einer der VG-Fallgruppen nicht in vollem Umfang erfüllt sind. Denn die DOG-Richtlinien, auf denen die VG beruhen, sind nichts anderes als allgemeine medizinische Erfahrungssätze, die als fraglos gesichert und gänzlich verlässlich aus der Fülle des übrigen medizinischen Erfahrungswissens herausgenommen sind (vgl. hierzu Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Auflage, S. 36; Keller, in: Mayer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 128, Rdnr. 11). Zu diesen Erfahrungssätzen gehört jedoch nicht, dass sie Exklusivität beanspruchen. Dies folgt nicht nur aus medizinischer Sicht (vgl. z.B. Lachenmayr, a.a.O.), sondern auch bereits daraus, dass ein solcher Erfahrungssatz eine Tendenz zur Veränderung in sich birgt (vgl. Kater, a.a.O.) und auch insoweit bereits hinsichtlich der Absolutheit („fraglos gesichert“) selbst wieder in Frage zu stellen ist, was auch daraus ersichtlich wird, dass dem Vernehmen nach demnächst eine Änderung der Fallgruppen in den VG vorgenommen werden wird. Vor allem sind aus Sicht des Senats auch keine Gründe und auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es die Richtlinien der DOG bzw. die Festlegungen der VG ausschließen wollten, in besonderen Ausnahmefällen einem speziellen Behinderungsbild ausreichend gerecht zu werden.“

Auch die normative Bindungswirkung der VG (vgl. z.B. Francke/Gagel, Der Sachverständigenbeweis im Sozialrecht, 1. Aufl., S. 119, m.w.N. der Rechtsprechung; ferner BayLSG vom 06.11.2012 - L 15 VS 13/08 ZVW) bzw. die intendierte möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe und somit die Ziele einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung sprechen nach Auffassung des Senats wegen der Begrenzung der über den Fallgruppenkatalog hinausgehenden Annahme faktischer Blindheit auf außergewöhnliche Fallkonstellationen nicht entgegen.

Somit sind vorliegend nicht nur die in der Herabsetzung des Visus und der Begrenzung des Gesichtsfelds zum Ausdruck kommende Sehstörung, sondern entsprechend der plausiblen Darlegung von Prof. Dr. C. auch die Blendempfindlichkeit beider Augen und die Schielstellung des rechten Auges zu berücksichtigen. Ob darüber hinaus auch noch die von ihm erwähnte untypische Farbsinnstörung geeignet ist, einen besonderen Ausnahmefall bzw. ein spezielles Behinderungsbild zu begründen, kann vorliegend offenbleiben, da es hierauf nicht mehr entscheidend ankommt; weitergehende Ermittlungen waren daher nicht veranlasst.

Die „seit jeher bestehende Schwachsichtigkeit“ (so der Sachverständige) des linken Auges dürften hingegen nicht hierzu beitragen, da sich die Schwachsichtigkeit unmittelbar in einem niedrigen Visus und ggf. eingeschränkten Gesichtsfeld niederschlägt, also nicht zusätzlich zu den Einschränkungen der Fallgruppen zu berücksichtigen ist. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Annahme eines speziellen Behinderungsbildes in dem vorgenannten Sinn unvertretbar wäre. Denn die genannten zusätzlichen Einschränkungen sind erheblich und stellten eine wesentliche zusätzliche Einschränkung dar. Es ist unbestritten, dass - neben Sehschärfe und Gesichtsfeld - vor allem das räumliche Sehen, das Farbsehvermögen, das Dämmerungs- und Kontrastsehen und die Blendungsempfindlichkeit insoweit eine wesentliche Rolle spielen (vgl. z.B. C., Augenärztliche Begutachtung im sozialen Entschädigungs- und Schwerbehindertenrecht und bei Blindheit, in: MedSach 2012, 5 <8>).

Dass hier ein Ausnahmefall im o.g. Sinn und somit Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der VG bzw. der DOG vorliegt, steht im Übrigen auch nicht das oben erwähnte Urteil des Senats vom 05.07.2016 (L 15 BL 17/12) entgegen. Zwar hat der Senat in dieser Entscheidung festgelegt, dass Voraussetzung für die Berücksichtigung in den speziellen Fällen auch außerhalb der normierten Fallgruppen stets ist, dass feststeht, ob die Visus- und Gesichtsfeldwerte unter die normierten Grenzen herabgesunken sind. Ein allgemeiner, pauschaler Vergleich genügt nicht. Ein solcher Fall ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Anders als in dem der genannten Entscheidung zugrundeliegenden Fall sind (grundsätzlich verlässliche) Messungen und Untersuchungen bei der Klägerin möglich gewesen; lediglich die Plausibilität einzelner Angaben ist hier zu diskutieren. Bei der Klägerin liegt aber weder eine Einschränkung aller Sinnesfunktionen noch eine zerebrale, allgemeine Beeinträchtigung vor. Anders als im Fall der genannten Entscheidung betrifft die Wertung der Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. vorliegend die zusätzlichen Beeinträchtigungen (durch Blendempfindlichkeit und Schielstellung) und nicht die allgemeine Unmöglichkeit, Visusbzw. Gesichtsfeldwerte zu erheben. Die Entscheidung vom 05.07.2016 (a.a.O.) schließt es gerade nicht aus, in wie hier vorliegenden Grenzfällen die Rechtsprechung des Senats (31.01.2013, a.a.O.) zur Annahme von Blindheit außerhalb der normierten Fallgruppen anzuwenden.

Dass vorliegend die Voraussetzungen für die Annahme faktischer Blindheit gegeben sind - im Einzelnen, dass die erhobenen Visus- und Gesichtsfeldbefunde grundsätzlich zutreffend sind (s. im Einzelnen unten) und die Annahme faktischer Blindheit unter Berücksichtigung der zusätzlichen Einschränkung durch die besondere Blendempfindlichkeit und Schielstellung des Auges gerechtfertigt ist - ergibt sich, wie bereits mehrfach betont, aus den genannten Sachverständigengutachten.

Danach leidet die Klägerin jedenfalls an Myopie, Astigmatismus, Makulaektopie, Opticusatrophie und Innenschielstellung (rechts) und untypischer Farbsinnstörung (rechts) sowie Pseudophakie.

Wie sich aufgrund der umfangreichen Befunddokumentation und der übereinstimmenden Beurteilung der Sachverständigen und des Beklagten ergibt, ist die genaue Einordnung der bei der Klägerin bestehenden Augenerkrankungen schwierig. Problematisch bei der Beurteilung der zugrunde liegenden Augenerkrankungen ist u.a., dass infolge der Veränderungen des Vorderabschnitts der Augen und insbesondere der nur relativ kleinen Kapsellücke ein genügend sicherer Einblick in tiefere Augenabschnitte nicht möglich ist, was, wie der Sachverständige Prof. Dr. C. plausibel hervorgehoben hat, auch gleichzeitig zu einer zusätzlichen Funktionseinschränkung führt. Letztlich nicht geklärt werden konnte, ob bei der Klägerin eine Retinopathia pigmentosa (gegebenenfalls in einer seltenen Neumutation) vorliegt. Wie der vom Beklagten beauftragte Ophthalmologe Prof. Dr. U. darauf hingewiesen hat, bleibt es „etwas spekulativ“, ob es sich tatsächlich um eine Stäbchen-Zapfen-Dystrophie handelt. Nicht feststeht auch, ob bei der Klägerin die „etwas untypische“ familiäre exsudative Vitreoretinopathie Criswick-Schepens (vgl. die Darlegungen von Prof. Dr. C.) vorliegt.

Diese Fragen und weiteren Unsicherheiten sind jedoch letztlich nur teilweise beachtlich; die exakten Diagnosen, die der massiven Sehbeeinträchtigung der Klägerin zugrunde liegen, können letztlich offen bleiben. Wie oben im Einzelnen bereits zur Frage des Nachweises der Blindheit dargelegt, sind auch diese diagnostischen Einordnungen im Hinblick auf die grundsätzliche Problematik der medizinisch-wissenschaftlichen Feststellungen (s.o.) nur von sekundärer Bedeutung. Feststeht nach allen Darlegungen durch ophthalmologische Behandler und Gutachter, dass die Klägerin jedenfalls an erheblichen Schädigungen der Retina leidet und dass auch der Nervus opticus geschädigt ist. Wie Prof. Dr. C. nachvollziehbar dargelegt hat, steht eine Verziehung der Stelle des schärfsten Sehens an beiden Augen im Mittelpunkt der Sehbeeinträchtigung der Klägerin; darüber hinaus ist es an beiden Augen zu einer Netzhautablösung gekommen, die operativ versorgt worden ist. Neben einer seit jeher bestehenden deutlichen Sehschärfereduktion ist es zudem in den letzten Jahren zu einer weiteren Verschlechterung gekommen, wobei sich die wesentlichen morphologischen Befunde seit 15.07.2013 höchstens minimal verändert haben.

Auf die diagnostische Einordnung kommt es im Einzelnen nur insoweit an, als sich dadurch Rückschlüsse bezüglich der von der Klägerin angegebenen Sehbeeinträchtigungen ergeben (vgl. z.B. auch die Vorgabe der VG in Teil B, Vorbemerkung Nr. 4, wonach der morphologische Befund die Sehbeeinträchtigung zu erklären hat). Durch die hier festgestellten Diagnosen sind die massiven Sehstörungen der Klägerin zur Überzeugung des Senats, die zur Annahme faktischer Blindheit (gem. Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG) führen, ausreichend begründet, ohne dass die konkrete Einordnung entscheidend wäre. So gesteht selbst der vom Beklagten beauftragte, den Angaben der Klägerin sehr kritisch gegenüberstehende Ophthalmologe Prof. Dr. U. u.a. zu, dass selbst ohne eine „fragliche“ Stäbchen-Zapfen-Dystrophie eine funktionelle Verschlechterung des Sehnerven über die Jahre durchaus durch die von Geburt an bestehende Malformation des Sehnerven zu erklären sei. Im Übrigen ist es auch nicht Sinn eines sozialgerichtlichen Verfahrens, die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft voranzutreiben oder in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen Position zu beziehen, wie der Senat in Übereinstimmung mit dem BSG bereits in zahlreichen Entscheidungen dargelegt hat (vgl. z.B. die Urteile vom 11.07.2017 - L 15 VJ 6/14 - sowie vom 26.09.2017 - L 15 BL 8/14, mit Verweis auf das Urteil des BSG vom 16.09.20107 - 1 RK 28/95). Aus diesem Grund war im Übrigen auch nicht veranlasst, hier noch weiter zu ermitteln.

Im Mittelpunkt der (für den Senat nur Rest-) Zweifel an der Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG, wie sie insbesondere vom Beklagten artikuliert wurden, stehen vielmehr die vorgetragenen Aspekte, nach denen den Angaben der Klägerin zu Visus- und Gesichtsfeld nicht (vollständig) geglaubt werden könne. Dies gilt insbesondere für die unterschiedlichen Visus- und Gesichtsfeldangaben der Klägerin, auf die der Beklagte mehrfach in Übereinstimmung mit den vorliegenden Befunden hingewiesen hat.

Der Senat stellt nicht in Abrede, dass jeweils voneinenader abweichende Visus- und Gesichtsfeldangaben eines betroffenen sehbehinderten Menschen grundsätzlich u.U. durchaus zu gewichtigen Zweifeln führen und letztlich einen Blindheitsnachweis vereiteln können; dies ist in der ständigen Rechtsprechung des Senats auch fest verankert. Mit dem Sachverständigen Prof. Dr. C. und im Ergebnis auch mit Dr. K. geht der Senat jedoch davon aus, dass vorliegend die Angaben der Klägerin der Annahme von faktischer Blindheit im o.g. Sinn nicht entgegenstehen.

Auch wenn der Senat die Angaben der Klägerin anlässlich der Untersuchung bei Prof. Dr. K. im Jahr 2012 durchaus als widersprüchlich und insoweit (besonders wegen der Angaben bei den jeweils unterschiedlichen Abständen am Bjerrumschirm) nur bedingt als glaubhaft ansieht, geht er entsprechend der zutreffenden Feststellung des Sachverständigen Prof. Dr. C. davon aus, dass „deshalb nicht dauerhaft und für alle Zeit an den Angaben … gezweifelt werden“ kann, vor allem, wenn - worauf der Sachverständige ebenfalls zu Recht hingewiesen hat - zahlreiche objektive Befunde und auch der morphologische Befund eindeutig eine ausgeprägte Schädigung dokumentieren. Allerdings sind die Angaben sicherlich kritisch zu hinterfragen, was die Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. auch im Einzelnen getan haben.

Im Ergebnis teilt der Senat die Auffassung von Prof. Dr. C., der die Sehschärfeangaben als glaubhaft betrachtet und „keinerlei Zweifel an den jetzigen subjektiven Angaben zum Gesichtsfeld“ hat.

Wie dieser zutreffend hervorgehoben hat, stehen die Schwankungen bzgl. der Angaben bei beiden Prüfungen dem nicht entgegen.

Nach der plausiblen Darlegung des beauftragten Ophthalmologen ist hinsichtlich der über Jahre hinweg angegebenen stabilen Sehschärfe und dem Abfall ab 2012 u.a. zu berücksichtigen, dass es sich bei den Befunden bis 2012 nahezu ausschließlich um klinische Untersuchungen ohne gutachtliche Bedingungen gehandelt hat. Eine gutachtlich korrekte Sehschärfeprüfung (nach DIN 58220 mit Landoltringen und definiertem Abbruchkriterium) unterscheidet sich erheblich von einer im Rahmen einer augenärztlichen Untersuchung oder Behandlung durchgeführten Prüfung. Es ist daher nicht verwunderlich, dass gutachterliche Ergebnisse mit Landoltringen typischerweise niedriger liegen als Ergebnisse bei letzteren Prüfungen.

Vor allem aber hat der Gutachter festgestellt, dass sich bei der Sehschärfeprüfung im Vergleich von Ferne, Nähe und Vergrößerungsbedarf kein Anhalt für widersprüchliche oder nicht glaubhafte Angaben seitens der Klägerin ergeben hat.

Zudem hat der Sachverständige auch nachvollziehbar dargestellt, dass die Prüfung der Sehschärfe zu einem quantitativen Ergebnis führt, das eine Genauigkeit vorgibt, die in Wirklichkeit nicht existiert, worauf der Senat in seiner Rechtsprechung bereits hingewiesen hat (Urteil vom 16.11.2017 - L 15 BL 12/17). So ist die Sehschärfeprüfung (als subjektive Untersuchungsmethode) keine exakte Messung, bei der nicht einmal bei baldiger Wiederholung stets dieselbe Sehschärfe resultiert. Dies muss erst recht bei späteren Wiederholungen an einem anderen Tag gelten (vgl. d. Problem der „Tagesform“). Der Senat hat - im Ergebnis übereinstimmend nun auch mit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C. - festgestellt (a.a.O.):

„Im Übrigen ist aus Sicht des Senats nicht außer Acht zu lassen, dass jeder Visusbestimmung, also auch der mit den grundsätzlich vorgeschriebenen Landoltringen, eine gewisse Unschärfe eigen ist, die sich durchaus als im Sinn der Blindheitsbegutachtung relevant darstellen kann. Hierzu zählen nicht nur die Fälle von Aggravation im Hinblick darauf, dass es sich bei Visus (und Gesichtsfeld) insoweit um subjektive Befunderhebungen handelt, sondern hinzu kommt auch die Problematik der nur eingeschränkten Reproduzierbarkeit von Sehschärfemessungen. Bekanntlich ist davon auszugehen, dass nur bei einem Drittel aller Wiederholungen eines Tests derselbe Sehschärfewert ermittelbar ist; bei einem Sechstel aller Wiederholungen könnte der Unterschied sogar zwei Visusstufen betragen (vgl. z.B. bereits die Darlegungen von Bach/Kommerell, Sehschärfebestimmung nach Europäischer Norm, in: Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde 1998; 212: S. 190 bis 195).“

In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige auch plausibel auf die vorliegend starken Schwankungen der Angaben zur Brechkraft der Augen der Klägerin hingewiesen. So sind die deutlichen Schwankungen vor allem der Achse der Hornhautverkrümmung links einerseits Ausdruck der durch die erhebliche Trübung der Linsenkapsel hervorgerufenen Einschränkung der Optik dieses Auges, und somit ein zusätzlicher Erklärungspunkt für eine Sehschärfereduktion. Andererseits haben diese Schwankungen, wie der Sachverständige hervorgehoben hat, auch einen möglichen Einfluss auf die Sehschärfe.

Nach den plausiblen Darlegungen von Prof. Dr. C. haben die kurzfristigen Schwankungen der Sehschärfe im Jahr 2014 im Übrigen gar nicht stattgefunden.

Mit dem Sachverständigen geht der Senat auch davon aus, dass die Angaben der Klägerin zum Gesichtsfeld grundsätzlich stimmig sind, auch wenn - worauf der Beklagte, zuletzt in der mündlichen Verhandlung, zutreffend hingewiesen hat - ein schwankender Verlauf dokumentiert ist. Gerade bei einer starken Kurzsichtigkeit ist nach der nachvollziehbaren Darlegung des Sachverständigen eine u.U. sogar erhebliche Gesichtsfeldeinengung manchmal ohne eindeutige Erklärung aber durchaus nicht unüblich.

Vor allem ist bei der Untersuchung durch Prof. Dr. C. von der Klägerin ein nun aber wieder größeres Gesichtsfeld angegeben worden. Auch hier ist jedoch entsprechend den Feststellungen des Sachverständigen zu beachten, dass natürlich neben der Sehschärfe auch das Gesichtsfeld bei verschiedenen Untersuchungen nicht vollkommen identisch ist und gewissen Schwankungen unterliegt. Auch ist zu beachten, dass diese Schwankungen untersuchungsbedingt entstehen können; dass daneben - bei der gegebenen subjektiven Untersuchungsmethode - auch die „Tagesform“ der Klägerin eine gewisse Rolle spielen kann, ist selbstverständlich. Ob das Ausmaß der vorliegenden Schwankungen hiermit vereinbar ist, kann der Senat aufgrund eigener Sachkunde nicht definitiv entscheiden. Der Senat sieht aber keinen Anhalt dafür, dass die plausiblen Darlegungen des anerkannten Sachverständigen insoweit unzutreffend sein könnten; er macht sich auch diese sachverständigen Feststellungen zu eigen.

In diesem Zusammenhang ist freilich auch zu beachten, dass die zahlreichen objektiven Untersuchungsergebnisse sowohl des morphologischen als auch des objektiven Funktionsbefunds (d.h. der elektrophysiologischen Ergebnisse) eindeutig eine ganz ausgeprägte Schädigung der Klägerin dokumentieren (zum morphologischen Befund siehe u.a. bereits oben). Entsprechend der ausdrücklichen Feststellung von Prof. Dr. C. haben die objektiven Befunde eine wie angegeben hochgradige Störung der Sehschärfe erklärt, selbst wenn eine eindeutige Veränderung des Befundes nicht dokumentiert ist. Der Sachverständigen hat jedoch plausibel festgestellt, dass in solchen Fällen angesichts der ohnehin schon bestehenden (starken) Schädigung eine eindeutige Dokumentierung einer solchen Veränderung oft nicht mehr möglich ist.

Dabei ist mit Blick auf die morphologische Situation auch zu berücksichtigen, dass, wie der Sachverständige Dr. K. plausibel darauf hingewiesen hat, unterstellt werden muss, dass die Netzhautdegeneration zugenommen hat. Wegen der massiven strukturellen Vorveränderungen der Netzhaut ist eine weitere Degeneration durch Inaugenscheinnahme nur noch schwer heraus zu differenzieren, d.h. zu erkennen, zumal die Augenhintergrundspiegelung wegen des reduzierten Einblicks (s.o.) bei der Klägerin ohnehin sehr schwierig ist. Wie Dr. K. nachvollziehbar festgestellt hat, ist es also nicht verwunderlich, „wenn dann angesichts der Fülle an Vorschäden bei massiv erschwertem Einblick zusätzliche chronisch-degenerative, also langsam zunehmende Schäden nicht erkannt bzw. nicht dokumentiert“ worden sind. Wie der Sachverständige zutreffend festgestellt hat, bedeutet die Tatsache, dass keine zusätzlichen Fundusschäden in der fraglichen Zeit dokumentiert worden sind, entgegen der Argumentation des Beklagten nicht automatisch, dass sich keine entwickelt hätten. Zudem können sich durchaus funktionelle Verschlechterungen einstellen, ohne dass unbedingt eine sichtbare Strukturveränderung erkennbar sein muss. Im Übrigen ist hinsichtlich der Veränderung des morphologischen Befundes auch auf die Feststellung von Dr. K. zu verweisen, dass allein schon anhand der Abblasung der Papillen sehr wohl eine auch morphologisch sichtbare Veränderung im Sinne einer zunehmenden Degeneration (anhand der Akten) nachvollzogen werden kann.

Wie Prof. Dr. C. plausibel dargelegt hat, gelingt die Einschätzung einer (diffusen) Schädigung der Sinneszellen der Netzhaut am ehesten durch das Ganzfeld-Elektroretinogramm. Doch auch diese objektiven Befunde der elektrophysiologischen Untersuchung haben bei der Klägerin von Untersuchungsort zu Untersuchungsort und auch zwischen den unterschiedlichen Geräten geschwankt. Die Befunde sind jedoch durchwegs im unteren Bereich der Nachweisbarkeit gelegen.

Hinsichtlich des OKN geht der Senat in seiner Rechtsprechung (vgl. z.B. das Urteil vom 26.09.2017 - L 15 BL 8/14, m.w.N.) zwar davon aus, dass eine Auslösbarkeit zu erheblichen Zweifeln an einer niedrig angegebenen Sehschärfe (von nur noch Handbewegungen) Anlass gibt. Solche massiven Zweifel können vorliegend jedoch nicht durchgreifen. Wie der Sachverständige Prof. Dr. C. (im Hinblick auf die Ausführungen von Prof. Dr. U.) plausibel angemerkt hat, ist es bei einem gleichzeitig bestehenden Spontannystagmus grundsätzlich schwierig, den OKN von Letzterem zu differenzieren. Daneben aber ist auch wesentlich, dass vor allem bei vorbestehender Schwachsichtigkeit auch bei erheblich reduzierter Sehschärfe ein Nystagmus auslösbar sein kann. Ferner ist der Reiz einer Nystagmustrommel sehr großflächig und bei Annäherung auch mit einem leicht erkennbaren Strichmuster verbunden, so dass die Auslösbarkeit eines Nystagmus mit einer Trommel eine deutlich bessere als die subjektiv angegebene Sehschärfe nicht sicher beweist. Gerade angesichts einer Sehschärfe im Bereich wie vorliegend von 0,04 bis 0,06 gegenüber früheren Werten von 0,1 oder 0,125 ist der Unterschied nur so gering, dass sich ein solcher auch mit dieser objektiven Untersuchungsmethode nicht beweisen oder ausschließen lässt.

Der Sachverständige Prof. Dr. C. hat aus Sicht des Senats plausibel auch festgestellt, dass das Verhalten der Klägerin nicht gegen ihre subjektiven Angaben gesprochen hat. Bei einem Gesichtsfeld, das bis etwa 16 Grad vom Fixierpunkt erhalten ist, ist ein Betroffener, der sich über Jahre an eine solche Einengung gewöhnt hat, durchaus in der Lage, sich zögernd zu orientieren (und einen Stuhl zu finden oder die Hand zu reichen). Im Übrigen hat der Senat bereits längst entschieden (z.B. Urteil vom 16.09.2015 - L 15 BL 2/13), dass bei der Blindheitsbegutachtung im Rahmen von Plausibilitätskontrollen unter anderem auch Verhaltensbeobachtungen berücksichtigt werden können, dass dabei jedoch zu beachten ist, dass eine Verhaltensbeobachtung grundsätzlich nur eine grobe Einschätzung des Sehvermögens erlaubt. Sie ist grundsätzlich nicht geeignet, zwischen einer hochgradigen Sehbehinderung (im untechnischen Sinne) und einer Blindheit im Sinne des Art: 1 Abs. 2 BayBlindG mit der erforderlichen Zuverlässigkeit zu differenzieren.

Etwas anderes ergibt sich im Übrigen auch nicht aus dem vom Beklagten ins Verfahren eingeführten (Partei-)Gutachten, d.h. der Stellungnahme von Prof. Dr. U. vom 17.06.2015. Dieser hat im Wesentlichen die Glaubwürdigkeit der klägerischen Angaben problematisiert und darauf hingewiesen, dass die Klägerin ihrerseits sehr gutachtenserfahren und insoweit gut beraten sei. Zudem hat er im Einzelnen auf die Möglichkeiten der Beeinflussung elektrophysiologischer Untersuchungen (durch mangelnde Fixation des Bildschirms) thematisiert. Eine solche Untersuchung stoße in einem Fall wie dem der Klägerin „grundsätzlich an Grenzen“. Diese Ausführungen des - erfahrenen - Ophthalmologen sind aber nicht geeignet, die insoweit bestehenden positiven Feststellungen der Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. in Frage zu stellen oder zu entkräften.

Schließlich hindert nach Auffassung des Senats auch die Angabe im Befundbericht vom 14.11.2016, dass die Klägerin mit einem Bildschirmlesegerät und einer elektrischen Lupe gut zurechtkomme, nicht an der Annahme von Blindheit. Denn zur Beurteilung, ob die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG vorliegen, gelten die allgemeinen Regeln (VG Teil B, Vorbem. 4), nach denen es auf den Fernvisus ankommt. Wie der Senat im Urteil vom 26.09.2017 (L 15 BL 8/14) entschieden hat, gilt dies (im Fall einer Makuladegeneration) auch dann, wenn ein (fast) vollständiger Verlust der Lesefähigkeit vorliegt und die Sehschärfe in der Ferne deutlich besser ist. Umgekehrt gilt dies ebenfalls, wenn zwar gelesen werden kann, die Sehschärfe in der Ferne aber schlechter ist. Aus der Tatsache, dass unter Zuhilfenahme klassischer Lesehilfen Sehleistungen in der Nähe noch erbracht werden können, lässt sich nicht schlussfolgern, dass vorliegend die Angaben der Klägerin falsch gewesen wären. Im Übrigen kann dahinstehen, wie die Formulierung des Arztes, die Klägerin komme mit den Geräten gut zurecht, tatsächlich zu verstehen ist.

Entsprechend den nachvollziehbaren Darlegungen der Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. sieht der Senat Blindheit der Klägerin jedoch erst ab dem 23.10.2014, also ab dem Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. K., als nachgewiesen an (vgl. Art. 5 Abs. 2 S. 1 BayBlindG). Vor dem genannten Zeitpunkt ist der Blindheitsnachweis nicht erbracht; hier liegen noch gewichtige Zweifel in o.g. Sinn vor. Die Berufung ist daher insoweit zurückzuweisen.

Die Berufung hat somit im tenorierten Umfang Erfolg. Der Beklagte ist unter Aufhebung der entgegenstehenden Verwaltungsentscheidungen zur Gewährung von Blindengeld ab dem genannten Zeitpunkt zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 aufgehoben, soweit es einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Die 1962 geborene Klägerin beantragte am 16.9.1999 beim damals zuständigen Versorgungsamt B. Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab an, ihre Gesundheitsstörungen seien Folge von Gewalttaten und sexuellem Missbrauch im Elternhaus sowie von sexuellem Missbrauch durch einen Fremden. Die Taten hätten sich zwischen ihrem Geburtsjahr 1962 mit abnehmender Tendenz bis 1980 zugetragen.

3

Nachdem das Versorgungsamt die Klägerin angehört, eine Vielzahl von Arztberichten, insbesondere über psychiatrische Behandlungen der Klägerin, sowie eine schriftliche Aussage ihrer Tante eingeholt hatte, stellte die Ärztin für Neurologie und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. W. mit Gutachten vom 26.9.2001 für das Versorgungsamt zusammenfassend fest, die Untersuchung der Klägerin habe nur in Ansätzen detaillierte Angaben zu den geltend gemachten Misshandlungen und dem sexuellen Missbrauch erbracht. Diagnostisch sei von einer Persönlichkeitsstörung auszugehen. Aufgrund der Symptomatik sei nicht zu entscheiden, ob die psychische Störung der Klägerin ein Milieuschaden im weitesten Sinne sei oder mindestens gleichwertig auf Gewalttaten im Sinne des OEG zurückzuführen sei. Das Versorgungsamt lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab: Die psychische Störung könne nicht als Folge tätlicher Gewalt anerkannt werden. Zwar seien einzelne körperliche Misshandlungen, Schläge und sexueller Missbrauch geschildert worden, insbesondere aber insgesamt zerrüttete Familienverhältnisse. Vor allem diese frühere, allgemeine familiäre Situation sei für die psychischen Probleme verantwortlich (Bescheid vom 15.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2002).

4

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die - zunächst gegen das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) und ab 1.1.2008 gegen den jetzt beklagten Landschaftsverband gerichtete - Klage nach Anhörung der Klägerin, Vernehmung mehrerer Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin und Sozialmedizin Dr. S. vom 23.6.2005 sowie eines Zusatzgutachtens der Diplom-Psychologin H. vom 5.4.2005 auf aussagepsychologischem Gebiet durch Urteil vom 29.8.2008 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) NRW hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 16.12.2011), nachdem es ua zur Frage der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin ein auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG erstattetes Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Sp. vom 25.9.2009 sowie eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. S. vom 20.4.2011 beigezogen hatte. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

5

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgung nach § 1 OEG iVm § 31 BVG, weil sich vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe auf die Klägerin, die zur Verursachung der bei ihr bestehenden Gesundheitsschäden geeignet wären, nicht hätten feststellen lassen. Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens sei es nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß wahrscheinlich, dass die Klägerin in ihrer Kindheit und Jugend Opfer der von ihr behaupteten körperlichen und sexuellen Misshandlungen und damit von Angriffen iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei. Keiner der durch das SG vernommenen Zeugen habe die von der Klägerin behaupteten anhaltenden und wiederholten Gewalttätigkeiten durch ihren Vater und ihre Mutter und erst recht nicht den von ihrem Vater angeblich verübten sexuellen Missbrauch bestätigt. Das LSG folge der Beweiswürdigung des SG, das keine generellen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen dargelegt habe. Es habe daher das ihm eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, die Zeugen nicht erneut zu vernehmen. Angesichts des langen Zeitablaufs seit der Zeugenvernehmung durch das SG und mangels neuer Erkenntnisse zu den angeschuldigten Ereignissen, die noch wesentlich länger zurücklägen, gehe das LSG davon aus, dass eine erneute Zeugenvernehmung nicht ergiebig gewesen wäre und lediglich die Aussagen aus der ersten Instanz bestätigt hätte. Zudem hätten die Mutter der Klägerin sowie einer ihrer Brüder gegenüber dem LSG schriftlich angekündigt, im Fall einer Vernehmung erneut das Zeugnis aus persönlichen Gründen zu verweigern. Das LSG habe deswegen auf ihre erneute Ladung zur Vernehmung verzichtet.

6

Ebenso wenig habe sich das LSG allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG bilden können, da es ihre Angaben in wesentlichen Teilen nicht als glaubhaft betrachte. Denn sie widersprächen im Kern den Aussagen ihres Vaters und ihres anderen Bruders. Die dadurch begründeten ernstlichen Zweifel am Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen habe die aussagepsychologische Begutachtung der Klägerin durch die vom SG beauftragte Sachverständige H. nicht ausgeräumt, sondern sogar bestärkt. Die vom Sachverständigen Sp. geäußerte Kritik an der aussagepsychologischen Begutachtung überzeuge das LSG nicht. Denn theoretischer Ansatz und methodische Vorgehensweise des vom SG eingeholten aussagepsychologischen Gutachtens entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Das Gutachten stütze sich insoweit zu Recht ausdrücklich auf die in der Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) in Strafsachen (Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellten Grundsätze der aussagepsychologischen Begutachtung für Glaubhaftigkeitsgutachten, wie sie die Strafgerichte seitdem in ständiger Rechtsprechung anwendeten. Diese aussagepsychologischen Grundsätze seien auf den Sozialgerichtsprozess übertragbar. Dabei könne dahinstehen, ob im Strafprozess grundsätzlich andere Beweismaßstäbe gälten als im Sozialgerichtsprozess. Denn die genannten wissenschaftlichen Prinzipien der Glaubhaftigkeitsbegutachtung beanspruchten Allgemeingültigkeit und entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Ihre Anwendung sei der anschließenden Beweiswürdigung, die etwaigen Besonderheiten des jeweiligen Prozessrechts Rechnung tragen könne, vorgelagert und lasse sich davon trennen.

7

Die nach diesen aussagepsychologischen Grundsätzen von der Sachverständigen H. gebildete Alternativhypothese, dass es sich bei den Schilderungen der Klägerin um irrtümliche, dh auf Gedächtnisfehlern beruhende Falschangaben handele, lasse sich nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen nicht widerlegen, sondern gut mit den vorliegenden Daten vereinbaren. Hierfür sprächen die großen Erinnerungslücken der Klägerin hinsichtlich ihrer frühen Kindheit, wobei in der aussagepsychologischen Forschung ohnehin umstritten sei, ob es überhaupt aktuell nicht abrufbare, aber trotzdem zuverlässig gespeicherte Erinnerungen an lange zurückliegende Ereignisse gebe. Es könne dahingestellt bleiben, ob sich das Gericht bei der Beurteilung "wiedergefundener" Erinnerungen sachverständiger Hilfe nicht nur bedienen könne, sondern sogar bedienen müsse, obwohl die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen sowie Beteiligten und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen grundsätzlich richterliche Aufgabe sei. Die Entscheidung des SG für eine aussagepsychologische Begutachtung sei angesichts der Besonderheiten der Aussageentstehung bei der Klägerin jedenfalls ermessensgerecht. Auf der Grundlage des wissenschaftlichen Kenntnisstands habe die Sachverständige H. darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Wahrnehmung durch die jahrelange psychotherapeutisch unterstützte mentale Auseinandersetzung der Klägerin mit den fraglichen Gewalterlebnissen durch nachträgliche Bewertungen überlagert und damit unzugänglich geworden sein könne. Daher hätten die Angaben der Klägerin, um als erlebnisbegründet angesehen zu werden, wegen der Gefahr einer möglichen Verwechslung von Gedächtnisquellen besonders handlungs- und wahrnehmungsnahe, raum-zeitlich vernetzte Situationsschilderungen enthalten müssen, die konsistent in die berichtete Gesamtdynamik eingebettet und konstant wiedergegeben würden. Diese Qualitätsanforderungen erfüllten die Schilderungen der Klägerin nicht, da sie nicht das erforderliche Maß an Detailreichtum, Konkretheit und Konstanz aufwiesen und nicht ausreichend situativ eingebettet seien.

8

Das Gutachten des Sachverständigen Sp. habe das Ergebnis der aussagepsychologischen Begutachtung nicht entkräften können. Da er weder eine hypothesengeleitete Analyse der Angaben der Klägerin nach den genannten wissenschaftlichen Grundsätzen vorgenommen noch ein Wortprotokoll seiner Exploration habe zur Verfügung stellen können, sei die objektive Überprüfbarkeit seiner Untersuchungsergebnisse stark eingeschränkt. Er habe eingeräumt, als Psychiater die aussagepsychologische Begutachtung nicht überprüfen und bewerten zu können und seinerseits durch seinen klinisch-psychiatrischen Zugang nicht zur Wahrheitsfindung in der Lage zu sein. Schließlich sei der von ihm vorgenommene Rückschluss von psychiatrischen Krankheitsanzeichen der Klägerin, konkret dem Vorliegen einer von ihm festgestellten posttraumatischen Belastungsstörung, auf konkrete schädigende Ereignisse iS des § 1 OEG in der Kindheit der Klägerin wegen der Vielzahl möglicher Ursachen einer Traumatisierung methodisch nicht haltbar.

9

Der abgesenkte Beweismaßstab des § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) komme der Klägerin nicht zugute. Zwar sei diese Regelung analog anzuwenden, wenn andere Beweismittel, wie zB Zeugen, nicht vorhanden seien. Lägen dagegen - wie hier - Beweismittel vor und stützten diese das Begehren des Anspruchstellers nicht, könne die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG nicht angewendet werden, weil diese Norm gerade das Fehlen von Beweismitteln voraussetze. Selbst bei Anwendung des Beweismaßstabs der Glaubhaftigkeit bliebe allerdings die Berufung der Klägerin ohne Erfolg. Denn aufgrund des methodisch einwandfreien und inhaltlich überzeugenden aussagepsychologischen Gutachtens der Sachverständigen H. stehe für das LSG fest, dass die Angaben der Klägerin nicht als ausreichend glaubhaft angesehen werden könnten, weil zu viele Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer Erinnerungen verblieben.

10

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 15 S 1 KOVVfG, des § 128 Abs 1 S 1 SGG sowie des § 1 Abs 1 OEG. Hierzu führt sie im Wesentlichen aus: Das LSG habe seiner Entscheidung nicht die Regelung des § 15 S 1 KOVVfG zugrunde gelegt und damit den anzulegenden Beweismaßstab verkannt. Richtigerweise hätte es hinsichtlich des von ihr behaupteten sexuellen Missbrauchs der Erbringung des Vollbeweises nicht bedurft; vielmehr wäre insoweit eine Glaubhaftmachung allein aufgrund ihrer Angaben ausreichend gewesen. Denn bezüglich dieses Vorbringens seien - bis auf ihren Vater als möglichen Täter - keine Zeugen vorhanden. Die Möglichkeit, dass sich die von ihr beschriebenen Vorgänge tatsächlich so zugetragen hätten, sei nicht auszuschließen; das Verbleiben gewisser Zweifel schließe die Glaubhaftmachung nicht aus. Dem stehe auch nicht entgegen, dass sie sich erst durch Therapien im Laufe des Verwaltungsverfahrens an die Geschehnisse habe erinnern können.

11

Das LSG habe ferner gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG verstoßen, da es ein aussagepsychologisches Gutachten berücksichtigt habe. Ein solches Gutachten habe nicht eingeholt und berücksichtigt werden dürfen, da aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen keine geeigneten Mittel der Sachverhaltsfeststellung darstellten. Die Arbeitsweise bei aussagepsychologischen Gutachten lasse sich entgegen der Auffassung des LSG nicht ohne Weiteres auf sozialrechtliche Entschädigungsprozesse übertragen, da diese nicht mit Strafverfahren vergleichbar seien. Denn in Strafverfahren sei die richterliche Überzeugung vom Vorliegen bestimmter Tatsachen in der Weise gefordert, dass ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit bestehe, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht laut werden dürften. Das OEG hingegen sehe gemäß § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 S 1 KOVVfG einen herabgesetzten Beweismaßstab vor. Ein weiterer Grund, weshalb aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen nicht eingeholt werden dürften, sei die darin erfolgende Zugrundelegung der sog Nullhypothese. Diese entspreche im Strafverfahren dem Grundsatz "in dubio pro reo", sodass als Arbeitshypothese von der Unschuld des Angeklagten auszugehen sei; mit sozialgerichtlichen Verfahren sei dies jedoch nicht in Einklang zu bringen. Zudem unterscheide sich die Art der Gutachtenerstattung in den beiden Verfahrensordnungen; in sozialgerichtlichen Verfahren erstatte der Sachverständige das Gutachten aufgrund der Aktenlage und einer Untersuchung der Person, wohingegen der Sachverständige im Strafprozess während der gesamten mündlichen Verhandlung anwesend sei und dadurch weitere Eindrücke von dem Angeklagten gewinne. Schließlich könne eine aussagepsychologische Untersuchung der Aussage eines erwachsenen Zeugen zu kindlichen Traumatisierungen auf keinerlei empirisch gesicherte Datenbasis hinsichtlich der Unterscheidung zwischen auto- oder fremdsuggerierten und erlebnisbasierten Erinnerungen zurückgreifen und sei daher wissenschaftlich nicht sinnvoll.

12

Ein weiterer Verstoß gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG liege in einer widersprüchlichen, mitunter nicht nachvollziehbaren und teilweise einseitigen Beweiswürdigung des LSG begründet, womit es die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten habe. Das LSG habe den Aussagen ihres Bruders sowie ihres Vaters ein höheres Gewicht als ihren eigenen Angaben beigemessen und sich nicht kritisch mit den Zeugenaussagen auseinandergesetzt. Es sei einerseits von einer unberechenbaren Aggressivität des Vaters, einer aggressiven Atmosphäre und emotionalen Vernachlässigung in der Familie sowie einigen nachgewiesenen körperlichen Misshandlungen ausgegangen, halte andererseits jedoch ihre Angaben zu den Misshandlungen nicht für glaubhaft. Kaum berücksichtigt habe es zudem die Aussage ihrer Tante. Das LSG habe ferner ihre teilweise fehlenden, ungenauen oder verspäteten Erinnerungen nur einseitig zu ihrem Nachteil gewürdigt und dabei nicht in Erwägung gezogen, dass diese Erinnerungsfehler Folgen ihres Alters zum Zeitpunkt der Vorfälle, der großen Zeitspanne zwischen den Taten und dem durchgeführten Verfahren sowie ihrer Krankheit sein könnten. Im Rahmen des OEG könnten auch bruchstückhafte, lückenhafte oder voneinander abweichende Erinnerungen als Grundlage für eine Überzeugungsbildung ausreichen. Nicht umfassend gewürdigt habe das LSG schließlich das aussagepsychologische Gutachten, das selbst Anlass zur Kritik biete. Auch dieses habe nicht berücksichtigt, dass die Erinnerungslücken und Abweichungen in den Angaben eine Erscheinungsform ihrer Krankheit sein könnten. Dieses Gutachten entspreche daher nicht den erforderlichen wissenschaftlichen Standards und könne auch aus diesem Grunde nicht berücksichtigt werden. Zudem hätte das Gutachten von einem auf Traumatisierung spezialisierten Psychologen erstattet werden müssen.

13

Das LSG habe darüber hinaus verkannt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 OEG bereits durch ihre grobe Vernachlässigung als Schutzbefohlenen erfüllt seien. Das Verhalten ihrer Eltern sei nicht durch ein Züchtigungsrecht gedeckt gewesen. Die familiäre Atmosphäre sei - wie von den Vorinstanzen festgestellt - von elterlicher Aggression, gestörten Beziehungen und emotionaler Vernachlässigung geprägt gewesen. Zudem habe das LSG einige Schläge als erwiesen erachtet. Auch die fachärztlichen Gutachten hätten ergeben, dass ihre psychische Störung jedenfalls durch die aggressive Familienatmosphäre verursacht worden sei.

14

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 sowie des Sozialgerichts Detmold vom 29. August 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Oktober 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2002 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen von sexuellem Missbrauch sowie körperlichen und seelischen Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

15

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

16

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

17

Der Senat hat die Bundesrepublik Deutschland auf deren Antrag hin beigeladen (Beschluss vom 29.1.2013). Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

18

Die Revision der Klägerin ist zulässig.

19

Sie ist vom LSG zugelassen worden und damit statthaft (§ 160 Abs 1 SGG). Die Klägerin hat bei der Einlegung und Begründung der Revision Formen und Fristen eingehalten (§ 164 Abs 1 und 2 SGG). Die Revisionsbegründung genügt den Voraussetzungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Entschädigungsanspruch nach dem OEG auf eine Vielzahl von schädigenden Vorgängen stützt. Demnach ist der Streitgegenstand derart teilbar, dass die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision für jeden durch einen abgrenzbaren Sachverhalt bestimmten Teil gesondert zu prüfen ist (vgl BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 9a V 2/05 R - SozR 4-3100 § 1 Nr 3). Dabei bietet es sich hier an, die verschiedenen Vorgänge in drei Gruppen zusammenzufassen: seelische Misshandlungen (Vernachlässigung, beeinträchtigende Familienatmosphäre), körperliche Misshandlungen und sexueller Missbrauch.

20

Soweit die Klägerin Entschädigung wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern geltend macht, hat sie einen Verstoß gegen materielles Recht hinreichend dargetan. Sie ist der Ansicht, die betreffenden Vorgänge würden von § 1 OEG erfasst. Soweit das LSG umfangreichere körperliche Misshandlungen der Klägerin im Elternhaus sowie sexuellen Missbrauch durch ihren Vater bzw einen Fremden verneint hat, rügt die Klägerin zunächst substantiiert eine Verletzung von § 15 S 1 KOVVfG, also eine unzutreffende Verneinung der Anwendbarkeit einer besonderen Beweiserleichterung(vgl dazu BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 124 f = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass insbesondere dafür, ob sie Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sei, Beweismittel vorhanden seien. Im Hinblick darauf, dass die Vorinstanz hilfsweise auf § 15 S 1 KOVVfG abgestellt hat, bedarf es auch dazu einer ausreichenden Revisionsbegründung. Diese sieht der Senat vornehmlich in der Rüge der Klägerin, das LSG habe, indem es in diesem Zusammenhang auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 Bezug genommen habe, ein ungeeignetes Beweismittel verwertet (vgl allgemein dazu zB BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527; BGH Beschluss vom 15.3.2007 - 4 StR 66/07 - NStZ 2007, 476) und damit seiner Entscheidung zugleich einen falschen Beweismaßstab zugrunde gelegt. Dazu trägt die Klägerin ua vor, dass die Sachverständige H. ihr Glaubhaftigkeitsgutachen nach anderen Kriterien erstellt habe, als im Rahmen einer Glaubhaftmachung nach § 15 S 1 KOVVfG maßgebend seien.

21

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), soweit das Berufungsurteil einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft. Im Übrigen - also hinsichtlich Folgen seelischer Misshandlungen - ist die Revision unbegründet.

22

1. Einer Sachentscheidung entgegenstehende, von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse bestehen nicht.

23

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass bereits während des Klageverfahrens ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden hat und seit dem 1.1.2008 der beklagte Landschaftsverband passiv legitimiert ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 20 mwN). Denn § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482) hat die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung zum 1.1.2008 auf die Landschaftsverbände übertragen. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass die Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben der Kriegsopferversorgung, der Soldatenversorgung sowie der Opferentschädigung auf die kommunalen Landschaftsverbände in NRW nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des GG verstößt (vgl hierzu Urteile vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, RdNr 21, und - B 9 V 3/07 R - Juris RdNr 22; vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 24; vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26). Diese Übertragung hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann, sodass sich die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG)ab 1.1.2008 gemäß § 6 Abs 1 OEG gegen den für die Klägerin örtlich zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe zu richten hat. Darüber hinaus hat die Klägerin in der mündlichen Revisionsverhandlung klargestellt, dass sie im vorliegenden Verfahren ausschließlich einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente verfolgt (vgl dazu BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 12).

24

2. Für einen Anspruch der Klägerin auf eine Beschädigtenrente nach dem OEG iVm dem BVG sind folgende rechtliche Grundsätze maßgebend:

25

a) Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs 1 S 1 OEG gegeben sind(vgl hierzu BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 27 mwN). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs 1 S 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

26

In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.5.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.5.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S 2 OEG iVm § 10a Abs 1 S 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie (1.) allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und (2.) bedürftig sind und (3.) im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

27

b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (stRspr seit 1995; vgl hierzu BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32 mwN). Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben. Leitlinie des erkennenden Senats ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger bzw rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (stRspr; vgl nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36 mwN).

28

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat den Begriff des tätlichen Angriffs noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 28 mwN). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG sein(BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f, und - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f). Diese erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten. Eine Erstreckung dieses Begriffsverständnisses auf andere Fallgruppen hat das Bundessozialgericht (BSG) bislang abgelehnt (vgl BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

29

Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung iS des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs 1 S 1 OEG vor. Nach § 1631 Abs 2 BGB haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind.

30

Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten sein kann; tätliche Angriffe liegen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt wird, wie zB durch einen Fußtritt (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

31

Auch in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, in denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, ist maßgeblich auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib und Leben des Opfers abzustellen. Die Grenze der Wortlautinterpretation hinsichtlich des Begriffs des tätlichen Angriffs sieht der Senat jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 44 mwN). So ist beim "Stalking" die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - erst überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen das Opfer begangen und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 69 mwN).

32

c) Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrundezulegen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

33

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN).

34

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs 3 S 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht(vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 mwN). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

35

Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 15).

36

3. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern.

37

Entgegen der Ansicht der Klägerin stellen die von den Vorinstanzen angenommenen allgemeinen Verhältnisse in der Familie der Klägerin keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG dar. Das SG hat hierzu festgestellt, die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen seien mehr auf ein Zusammenwirken atmosphärisch ungünstiger Entwicklungsbedingungen (ablehnende Haltung der Mutter gegenüber der Klägerin, unberechenbare Aggressivität sowie grenzüberschreitende weinerliche Anhänglichkeit des Vaters) zurückzuführen (S 23 des Urteils). Darauf hat das LSG Bezug genommen. Die Verhaltensweise der Eltern hat danach zwar seelische Misshandlungen der Klägerin umfasst, es fehlt insoweit jedoch an dem Merkmal der Gewaltanwendung im Sinne einer gegen den Körper der Klägerin gerichteten Tätlichkeit.

38

4. Soweit die Klägerin Beschädigtenrente nach dem OEG wegen der Folgen körperlicher Misshandlungen und sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter beansprucht, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung unmöglich. Derartige schädigende Vorgänge werden zwar von § 1 Abs 1 S 1 OEG erfasst, soweit sie nicht von dem seinerzeit noch anerkannten elterlichen Züchtigungsrecht(vgl BGH Beschluss vom 25.11.1986 - 4 StR 605/86 - JZ 1988, 617) gedeckt waren. Es fehlen jedoch hinreichende verwertbare Tatsachenfeststellungen.

39

a) Das LSG hat unterstellt, dass als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe einzelne Schläge durch die Eltern (ein heftiger Schlag durch den Vater sowie zwei "Ohrfeigen" durch die Mutter) nachgewiesen seien. Diese hätten jedoch nicht genügt, um die gravierenden seelischen Erkrankungen der Klägerin zu verursachen. Das LSG verweist hierbei auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. S. sowie auf die Ausführungen des SG, wonach diese Taten keine posttraumatische Belastungsstörung hätten auslösen können. Die hierauf gründende tatrichterliche Wertung des LSG ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Weder lässt sich feststellen, dass die Vorinstanz insoweit von unrichtigen Rechtsbegriffen ausgegangen ist, noch hat die Klägerin die betreffenden Tatsachenfeststellungen mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen.

40

b) Den überwiegenden Teil der von der Klägerin angegebenen körperlichen Misshandlungen durch deren Eltern sowie den behaupteten sexuellen Missbrauch durch deren Vater und einen Fremden hat das LSG nicht als nachgewiesen erachtet. Diese Beurteilung vermag der Senat nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht zu bestätigen. Denn sie beruht auf einer Auslegung des § 15 S 1 KOVVfG, die der Senat nicht teilt.

41

Nach § 15 S 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind(vgl grundlegend BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 125 = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind(vgl BSG Beschluss vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/99 B - Juris RdNr 6).

42

Diesen Kriterien hat das LSG nicht hinreichend Rechnung getragen, indem es eine Anwendbarkeit des § 15 S 1 KOVVfG mit der pauschalen Begründung verneint hat, es lägen Beweismittel vor. Zwar hat sich das LSG hinsichtlich der Verneinung umfangreicher körperlicher Misshandlungen der Klägerin durch ihre Eltern, insbesondere durch den Vater, auch auf die Zeugenaussage des Bruders T. der Klägerin gestützt. Es hätte insoweit jedoch näher prüfen müssen, inwiefern die Klägerin Misshandlungen behauptet hat, die dieser Zeuge (insbesondere wegen Abwesenheit) nicht wahrgenommen haben kann. Soweit es den angegebenen sexuellen Missbrauch betrifft, ist nicht ersichtlich, dass diesen eine als Zeuge in Betracht kommende Person wahrgenommen haben kann.

43

c) Soweit das LSG den § 15 S 1 KOVVfG hilfsweise herangezogen hat, lassen seine Ausführungen nicht hinreichend deutlich erkennen, dass es dabei den von dieser Vorschrift eröffneten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zugrunde gelegt hat. Aus der einschränkungslosen Bezugnahme auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 lässt sich eher der Schluss ziehen, dass das LSG insoweit einen unzutreffenden, nämlich zu strengen Beweismaßstab angewendet hat. Diese Sachlage gibt dem Senat Veranlassung, grundsätzlich auf die Verwendung von sog Glaubhaftigkeitsgutachten in Verfahren betreffend Ansprüche nach dem OEG einzugehen.

44

aa) Die Einholung und Berücksichtigung psychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten ist im sozialen Entschädigungsrecht nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten zulässig.

45

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sogenannten Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl grundlegend BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182; BGH Urteil vom 16.5.2002 - 1 StR 40/02 - Juris RdNr 22). Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - Juris RdNr 6; Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 22). Die Entscheidung, ob eine solche Fallgestaltung vorliegt und ob daher ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen ist, beurteilt und trifft das Tatsachengericht im Rahmen der Amtsermittlung nach § 103 SGG. Fußt seine Entscheidung auf einem hinreichenden Grund, so ist deren Überprüfung dem Revisionsgericht entzogen (vgl BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 20, 23).

46

Von Seiten des Gerichts muss im Zusammenhang mit der Einholung, vor allem aber mit der anschließenden Würdigung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens stets beachtet werden, dass sich die psychologische Begutachtung von Aussagen nicht darauf beziehen kann, Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts zu machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, dh einen Erlebnishintergrund haben. Darüber hinaus besteht die Kompetenz und damit auch die Aufgabe des Sachverständigen darin abzuklären, ob sich dieser Erlebnishintergrund in der sog Wachwirklichkeit befindet, anstatt auf Träumen, Halluzinationen oder Vorstellungen zu beruhen. Ausschließlich auf diesen Aspekt des Wirklichkeitsbezuges einer Aussage kann sich die Glaubhaftigkeitsbegutachtung beziehen (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 27, 49). In einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung trifft der Sachverständige erfahrungswissenschaftlich gestützte Feststellungen zu Erlebnishaltigkeit und Zuverlässigkeit von Sachverhaltskonstruktionen, die ein Zeuge oder ein Beteiligter vorträgt. Durch das Gutachten vermittelt er dem Gericht daher auf den Einzelfall bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse und stellt diesem aufgrund von Befundtatsachen wissenschaftlich gestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 280 f). Die umfassende rechtliche Würdigung dieser Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen obliegt sodann dem Gericht.

47

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergeben sich aus den Ausführungen in dem Urteil des LSG NRW vom 28.11.2007 - L 10 VG 13/06 - (Juris RdNr 25) keine Hinweise auf die Unzulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialrechtlichen Verfahren. Vielmehr hat das LSG NRW hierbei lediglich die Amtsermittlung des erstinstanzlichen Gerichts gerügt, das anstelle der Vernehmung der durch die dortige Klägerin benannten Zeugen ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte (ua mit der Beweisfrage "Steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - dh es darf kein begründbarer Zweifel bestehen - fest, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs - in welchem Zeitraum, in welcher Weise - geworden ist?"; Juris RdNr 9). Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn das LSG NRW zum einen die Vernehmung der Zeugen gefordert und zum anderen festgestellt hat, dass die an die Sachverständigen gestellte Frage keinem Beweis durch ein medizinisches oder aussagepsychologisches Sachverständigengutachten zugänglich sei, sondern dass das Gericht diese Tatsache selbst aufzuklären habe. Ausdrücklich zu aussagepsychologischen Gutachten hat das LSG NRW ferner zutreffend festgestellt, auch bei diesen dürfe dem Sachverständigen nicht die Entscheidung überlassen werden, ob eine behauptete Tat stattgefunden habe oder nicht. Vielmehr dürfe dieser nur beurteilen, ob aussagepsychologische Kriterien für oder gegen den Wahrheitsgehalt der Angaben Betroffener sprächen und/oder ob die Aussagen und Erklärungen möglicherweise trotz subjektiv wahrheitsgemäßer Angaben nicht auf eigenen tatsächlichen Erinnerungen der Betroffenen beruhten (LSG NRW, aaO, Juris RdNr 25). Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht der Schluss ziehen, das LSG NRW gehe grundsätzlich davon aus, dass in sozialrechtlichen Verfahren keine Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt und berücksichtigt werden könnten.

48

bb) Für die Erstattung von Glaubhaftigkeitsgutachten gelten auch im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts zunächst die Grundsätze, die der BGH in der Entscheidung vom 30.7.1999 (1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellt hat. Mit dieser Entscheidung hat der BGH die wissenschaftlichen Standards und Methoden für die psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen zusammengefasst. Nicht das jeweilige Prozessrecht schafft diese Anforderungen (zum Straf- und Strafprozessrecht vgl Fabian/Greuel/Stadler, StV 1996, 347 f), vielmehr handelt es sich hierbei um wissenschaftliche Erkenntnisse der Aussagepsychologie (vgl Vogl, NJ 1999, 603), die Glaubhaftigkeitsgutachten allgemein zu beachten haben, damit diese überhaupt belastbar sind und verwertet werden können (so auch BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f; vgl grundlegend hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 48 ff; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 16 ff). Die grundsätzlichen wissenschaftlichen Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten stellen sich wie folgt dar (vgl zum Folgenden BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167 ff mwN; basierend ua auf dem Gutachten von Steller/Volbert, wiedergegeben in Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46 ff):

Bei der psychologischen Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen besteht das methodische Grundprinzip darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit einer bestimmten Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Der wissenschaftlich ausgebildete psychologische Sachverständige arbeitet (gedanklich) also zunächst mit der Unwahrannahme als sog Nullhypothese (Steller/Volbert, Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46, 61; den Begriff der Nullhypothese sowie das Ausgehen von dieser kritisierend Stanislawski/Blumer, Streit 2000, 65, 67 f). Der Sachverständige bildet dazu neben der "Wirklichkeitshypothese" (die Aussage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert) die Gegenhypothese, die Aussage sei unwahr. Bestehen mehrere Möglichkeiten, aus welchen Gründen eine Aussage keinen Erlebnishintergrund haben könnte, hat der Sachverständige bezogen auf den konkreten Einzelfall passende Null- bzw Alternativhypothesen zu bilden (vgl beispielhaft hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 52 f; ebenso, zudem mit den jeweiligen diagnostischen Bezügen Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 61 ff). Die Bildung relevanter, also auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmter Hypothesen ist von ausschlaggebender Bedeutung für Inhalt und (methodischen) Ablauf einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung. Sie stellt nach wissenschaftlichen Prinzipien einen wesentlichen, unerlässlichen Teil des Begutachtungsprozesses dar. Im weiteren Verlauf hat der Sachverständige jede einzelne Alternativhypothese darauf zu untersuchen, ob diese mit den erhobenen Fakten in Übereinstimmung stehen kann; wird dies für sämtliche Null- bzw Alternativhypothesen verneint, gilt die Wirklichkeitshypothese, wonach es sich um eine wahre Aussage handelt.

49

Die zentralen psychologischen Konstrukte, die den Begriff der Glaubhaftigkeit - aus psychologischer Sicht - ausfüllen und somit die Grundstruktur der psychodiagnostischen Informationsaufnahme und -verarbeitung vorgeben, sind Aussagetüchtigkeit (verfügt die Person über die notwendigen kognitiven Grundvoraussetzungen zur Erstattung einer verwertbaren Aussage?), Aussagequalität (weist die Aussage Merkmale auf, die in erlebnisfundierten Schilderungen zu erwarten sind?) sowie Aussagevalidität (liegen potentielle Störfaktoren vor, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussage begründen können?). Erst wenn die Aussagetüchtigkeit bejaht wird, kann der mögliche Erlebnisbezug der Aussage unter Berücksichtigung ihrer Qualität und Validität untersucht werden (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49; zur eventuell erforderlichen Hinzuziehung eines Psychiaters zur Bewertung der Aussagetüchtigkeit Schumacher, StV 2003, 641 ff). Das abschließende gutachterliche Urteil über die Glaubhaftigkeit einer Aussage kann niemals allein auf einer einzigen Konstruktebene (zB der Ebene der Aussagequalität) erfolgen, sondern erfordert immer eine integrative Betrachtung der Befunde in Bezug auf sämtliche Ebenen (Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 62).

50

Die wesentlichen methodischen Mittel, die der Sachverständige zur Überprüfung der gebildeten Hypothesen anzuwenden hat, sind die - die Aussagequalität überprüfende - Aussageanalyse (Inhalts- und Konstanzanalyse) und die - die Aussagevalidität betreffende - Fehlerquellen-, Motivations- sowie Kompetenzanalyse. Welche dieser Analyseschritte mit welcher Gewichtung durchzuführen sind, ergibt sich aus den zuvor gebildeten Null- bzw Alternativhypothesen; bei der Abgrenzung einer wahren Darstellung von einer absichtlichen Falschaussage sind andere Analysen erforderlich als bei deren Abgrenzung von einer subjektiv wahren, aber objektiv nicht zutreffenden, auf Scheinerinnerungen basierenden Darstellung (vgl hierzu Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 17 ff).

51

Diese Prüfungsschritte müssen nicht in einer bestimmten Prüfungsstrategie angewendet werden und verlangen keinen vom Einzelfall losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau. Die einzelnen Elemente der Begutachtung müssen auch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge geprüft werden (vgl BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f). Es ist vielmehr ausreichend, wenn sich aus einer Gesamtbetrachtung des Gutachtens ergibt, dass der Sachverständige das dargestellte methodische Grundprinzip angewandt hat. Vor allem muss überprüfbar sein, auf welchem Weg er zu seinen Ergebnissen gelangt ist.

52

cc) Die aufgrund der dargestellten methodischen Vorgehensweise, insbesondere aufgrund des Ausgehens von der sog Nullhypothese, vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen Verfahren (vgl hierzu SG Fulda Urteil vom 30.6.2008 - S 6 VG 16/06 - Juris RdNr 33 aE; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8.7.2010 - L 13 VG 25/07 - Juris RdNr 36; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.6.2012 - L 4 VG 13/09 - Juris RdNr 44 ff; offenlassend, aber Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese äußernd LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.12.2011 - L 6 VG 584/11 - ZFSH/SGB 2012, 203, 206) überzeugen nicht.

53

Nach derzeitigen Erkenntnissen gibt es für einen psychologischen Sachverständigen keine Alternative zu dem beschriebenen Vorgehen. Der Erlebnisbezug einer Aussage ist nicht anders als durch systematischen Ausschluss von Alternativhypothesen zur Wahrannahme zu belegen (Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 20, 22). Nach dem gegenwärtigen psychologischen Kenntnisstand kann die Wirklichkeitshypothese selbst nicht überprüft werden, da eine erlebnisbasierte Aussage eine hohe, aber auch eine niedrige Aussagequalität haben kann. Die Prüfung hat daher an der Unwahrhypothese bzw ihren möglichen Alternativen anzusetzen. Erst wenn sämtliche Unwahrhypothesen ausgeschlossen werden können, ist die Wahrannahme belegt (vgl Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 22). Zudem hat diese Vorgehensweise zur Folge, dass sämtliche Unwahrhypothesen geprüft werden, womit ein ausgewogenes Analyseergebnis erzielt werden kann (Schoreit, StV 2004, 284, 286).

54

Es ist zutreffend, dass dieses methodische Vorgehen ein recht strenges Verfahren der Aussageprüfung darstellt (so auch Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 205), denn die Tatsache, dass eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, bedeutet nicht zwingend, dass diese Hypothese tatsächlich zutrifft. Gleichwohl würde das Gutachten in einem solchen Fall zu dem Ergebnis gelangen, dass eine wahre Aussage nicht belegt werden kann. Insoweit korrespondieren das methodische Grundprinzip der Aussagepsychologie und die rechtlichen Anforderungen in Strafverfahren besonders gut miteinander (vgl dazu Volbert, aaO S 20). Denn auch die Unschuldsvermutung hat zugunsten des Angeklagten bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten. Durch beide Prinzipien soll auf jeden Fall vermieden werden, dass eine tatsächlich nicht zutreffende Aussage als glaubhaft klassifiziert wird. Zwar soll möglichst auch der andere Fehler unterbleiben, dass also eine wahre Aussage als nicht zutreffend bewertet wird. In Zweifelsfällen gilt aber eine klare Entscheidungspriorität (vgl Volbert, aaO): Bestehen noch Zweifel hinsichtlich einer Unwahrhypothese, kann diese also nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, so gilt der Erlebnisbezug der Aussage als nicht bewiesen und die Aussage als nicht glaubhaft.

55

Diese Konsequenz führt nicht dazu, dass Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialrechtlichen Entschädigungsverfahren nach dem OEG als Beweismittel schlichtweg ungeeignet sind. Soweit der Vollbeweis gilt, ist damit die Anwendung dieser methodischen Prinzipien der Aussagepsychologie ohne Weiteres zu vereinbaren. Denn dabei gilt eine Tatsache erst dann als bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Bestehen in einem solchen Verfahren noch Zweifel daran, dass eine Aussage erlebnisfundiert ist, weil eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, geht dies zu Lasten des Klägers bzw der Klägerin (von der Zulässigkeit von Glaubhaftigkeitsgutachten ausgehend LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 9.9.2008 - L 11 VG 33/08 - Juris RdNr 24 ff; LSG NRW Urteil vom 29.9.2010 - L 6 (7) VG 16/05 - Juris RdNr 24; ebenso, jedoch bei Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG Bayerisches LSG Urteil vom 30.6.2005 - L 15 VG 13/02 - Juris RdNr 40; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 5.6.2008 - L 13 VG 1/05 - Juris RdNr 34 sowie Urteil vom 16.9.2011 - L 10 VG 26/07 - Juris RdNr 38 ff).

56

Die grundsätzliche Bejahung der Beweiseignung von Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialen Entschädigungsrecht wird auch dadurch gestützt, dass nach der dargestellten hypothesengeleiteten Methodik - unter Einschluss der sog Nullhypothese - erstattete Gutachten nicht nur in Strafverfahren Anwendung finden, sondern auch in Zivilverfahren (vgl BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527, 2528 f; Saarländisches OLG Urteil vom 13.7.2011 - 1 U 32/08 - Juris RdNr 50 ff) und in arbeitsrechtlichen Verfahren (vgl LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.7.2011 - 26 Sa 1269/10 - Juris RdNr 64 ff). In diesen Verfahren ist der Vollbeweis der anspruchsbegründenden Tatsachen bzw der Voraussetzungen für einen Kündigungsgrund (zumeist eine erhebliche Pflichtverletzung) ebenfalls erforderlich.

57

dd) Soweit allerdings nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG eine Glaubhaftmachung ausreicht, ist ein nach der dargestellten Methodik erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten nicht ohne Weiteres geeignet, zur Entscheidungsfindung des Gerichts beizutragen. Das folgt schon daraus, dass es im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG ausreicht, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann, während ein aussagepsychologischer Sachverständiger diese Angaben erst dann als glaubhaft ansieht, wenn er alle Alternativhypothesen ausschließen kann. Da ein sachgerecht erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten den Vollbeweis ermöglichen soll, muss ein für die Auskunftsperson ungünstiges Ergebnis eines solchen Gutachtens nicht bedeuten, dass die betreffenden Angaben nicht iS des § 15 S 1 KOVVfG als glaubhaft erscheinen können.

58

Will sich ein Gericht auch bei Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG eines aussagepsychologischen Gutachtens bedienen, so hat es den Sachverständigen mithin auf den insoweit geltenden Beweismaßstab hinzuweisen und mit ihm zu klären, ob er sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten kann. Dabei sind auch die Beweisfragen entsprechend zu fassen. Im Falle von Glaubhaftigkeitsbegutachtungen lautet die übergeordnete psychologische Untersuchungsfragestellung: "Können die Angaben aus aussagepsychologischer Sicht als mit (sehr) hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert klassifiziert werden?" (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49). Demgegenüber sollte dann, wenn eine Glaubhaftmachung ausreicht, darauf abgestellt werden, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können.

59

Damit das Gericht den rechtlichen Begriff der Glaubhaftmachung in eigener Beweiswürdigung ausfüllen kann und nicht durch die Feststellung einer Glaubhaftigkeit seitens des Sachverständigen festgelegt ist, könnte es insoweit hilfreich sein, dem Sachverständigen aufzugeben, solange systematisch und unvoreingenommen nach Fakten zu den verschiedenen Hypothesen zu suchen, bis sich ein möglichst klarer Unterschied in ihrer Geltungswahrscheinlichkeit bzw praktischen Gewissheit ergibt (für eine solche Vorgehensweise im Asylverfahren vgl Lösel/Bender, Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Bd 7, 2001, S 175, 184). Denn dem Tatsachengericht ist am ehesten gedient, wenn der psychologische Sachverständige im Rahmen des Möglichen die Wahrscheinlichkeiten bzw Wahrscheinlichkeitsgrade für die unterschiedlichen Hypothesen darstellt.

60

Diesen Maßgaben wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Das LSG hat sich bei seiner Verneinung einer Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin nach § 15 S 1 KOVVfG ohne Weiteres auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 gestützt. Dieses Glaubhaftigkeitsgutachten ist vom SG zu den Fragen eingeholt worden:

        

Sind die Angaben der Klägerin zu den Misshandlungen durch die Eltern und zum sexuellen Missbrauch durch den Vater (…) unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlich-aussagepsychologischen Kenntnisstandes insgesamt oder in Teilen glaubhaft? Sind die Angaben insbesondere inhaltlich konsistent und konstant und sind aussagerelevante Besonderheiten der Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin zu berücksichtigen? Welche Gründe sprechen insgesamt für und gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben?

61

Ein Hinweis auf den im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG geltenden Beweismaßstab der Glaubhaftmachung ist dabei nach Aktenlage nicht erfolgt. Dementsprechend lässt das Gutachten der Sachverständigen H. nicht erkennen, dass sich diese der daraus folgenden Besonderheiten bewusst gewesen ist. Vielmehr hat die Sachverständige in der Einleitung zu ihrem Gutachten ("Formaler Rahmen der Begutachtung") erklärt, dass sich das Vorgehen bei der Begutachtung und die Darstellung der Ergebnisse nach den Standards wissenschaftlich fundierter Glaubhaftigkeitsbegutachtung richte, wie sie im Grundsatzurteil des BGH vom 30.7.1999 (BGHSt 45, 164 = NJW 1999, 2746) dargelegt seien (S 1 des Gutachtens).

62

Da das Berufungsurteil mithin - soweit es die Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG betrifft - offenbar auf einer Tatsachenwürdigung beruht, der ein unzutreffender Beweismaßstab zugrunde liegt, vermag der erkennende Senat die Beurteilung des LSG auch zu diesem Punkt nicht zu bestätigen.

63

5. Der erkennende Senat sieht sich zu einer Aufhebung des Berufungsurteils und einer Zurückverweisung der Sache an das LSG veranlasst (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), weil die jetzt nach zutreffenden Beweismaßstäben vorzunehmenden Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 SGG).

64

6. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

I. Auf die Berufung werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 9. Februar 2016 und der Bescheid des Beklagten vom 4. September 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. April 2014 aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 1. Oktober 2014 Blindengeld nach dem BayBlindG zu gewähren.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 9/10 zu tragen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den Blindengeldanspruch der Klägerin nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG).

Die 1970 geborene Klägerin stellte erstmals 2011 Antrag auf Blindengeld nach dem BayBlindG beim Beklagten. Dieser und ein weiterer Antrag vom selben Jahr wurden vom Beklagten mangels Nachweises der Blindheit abgelehnt. Bereits am 21.08.2012 stellte die Klägerin den nächsten Antrag auf Blindengeld. In diesem Verwaltungsverfahren erstellte Prof. Dr. K. im Auftrag des Beklagten ein augenfachärztliches Gutachten, in dem er zu dem Ergebnis kam, dass sich bei der Untersuchung Unstimmigkeiten zwischen den subjektiv gemachten Angaben und den objektiv erhobenen Befunden ergeben hätten. Insbesondere die Verhaltensbeobachtungen, die Ergebnisse der visuell evozierten Potenziale (VEP), die Untersuchung am Bjerrumschirm als auch die Auslösbarkeit des Optokinetischen Nystagmus (OKN) würden eine bessere als die angegebene Sehschärfe und ein besseres Gesichtsfeld erwarten lassen. Nach einer versorgungsmedizinischen Stellungnahme lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 24.01.2013 den Antrag ab. Der Widerspruch hiergegen blieb erfolglos.

Am 15.07.2013 stellte die Klägerin den gegenständlichen Antrag. Es sei nun endlich eine Diagnose für die Sehbehinderung gefunden worden, so die Klägerin. Im Verwaltungsverfahren wertete der Beklagte den ärztlichen Bericht des Universitätsklinikums U-Stadt, Prof. Dr. L., vom 01.08.2013 aus. Darin wurden ein Fernvisus ohne Korrektion von Fingerzählen (rechts) und 0,05 (links) festgehalten und als Diagnose unter anderem Verdacht auf Retinopathia pigmentosa gestellt. Allgemein bestehe ein Anettevon-Droste-Hülshoff-Syndrom.

Mit Bescheid vom 04.09.2013 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die Voraussetzungen des BayBlindG lägen nicht mit der erforderlichen Sicherheit vor. Entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B. vom 30.08.2013 wies der Beklagte in dem Bescheid darauf hin, dass sich aktuell der Visus gegenüber dem von Prof. Dr. K. erhobenen Vorbefund gebessert habe. Bereits bei der früheren Begutachtung sei noch ein kleineres Gesichtsfeld zu erheben gewesen. Allerdings habe durch verschiedene Untersuchungen nachgewiesen werden können, dass eine bessere Sehschärfe und ein besseres Gesichtsfeld zu erwarten gewesen wären. Diesbezüglich ergäben sich auch nach dem jetzigen Gutachten keine neuen Erkenntnisse. Allein die Diagnose Retinopathia pigmentosa könne die Glaubhaftigkeit beim jetzigen Gesichtsfeldbefund nicht erhöhen.

Hiergegen erhob die Klägerin über ihre Bevollmächtigte am 26.09.2013 Widerspruch. Darin wurde darauf hingewiesen, dass bei der Untersuchung am 01.08.2013 auch Korrekturen keine Besserung des Visus ermöglicht hätten. Zudem sei anzumerken, dass seitens der Universitätsklinik U-Stadt eine Gesichtsfeldmessung am rechten Auge überhaupt nicht versucht worden sei, da dies nach Ansicht der behandelnden Augenärztin keinen Sinn mehr ergeben hätte aufgrund einer Sehschärfe von unter 2% (Fingerzählen). Aufgrund dieser Sehschärfe sei für die Entscheidung bzgl. des Blindengelds das Gesichtsfeld auch nicht mehr ausschlaggebend.

Im Widerspruchsverfahren berücksichtigte der Beklagte einen neuen Befundbericht des Universitätsklinikums U-Stadt vom 17.12.2013. Nach einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10.03.2014 von Dr. P. wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2014 den Widerspruch als unbegründet zurück. Ursache des schlechten Sehvermögens der Klägerin seien Netzhautveränderungen nach Frühgeborenenretinopathie beidseits sowie ein Zustand nach Netzhautablösung mit operativer Behandlung. Ferner bestehe eine Kunstlinse beidseits. Der Visus von 0,1 bzw. 0,2 sei fast 30 Jahre lang - bis zum Jahr 2011 - stabil geblieben. Ab 2011 seien bei unveränderten morphologischen Befunden Visusschwankungen dokumentiert. Ob der im Juni 2013 in U-Stadt geäußerte Verdacht auf eine Retinopathia pigmentosa abschließend abgeklärt worden sei, sei aus den Unterlagen nicht ersichtlich. Bei einer solchen Erkrankung, die eine Gesichtsfeldeinengung auf weniger als 10° bzw. 5° verursache, sei das skotopische Elektroretinogramm (ERG) in der Regel komplett erloschen; bei der Klägerin seien die Amplituden jedoch nur reduziert gewesen. Bei der Begutachtung durch Prof. Dr. K. sei ein auf weniger als 5° eingeengtes zentrales Rechtsgesichtsfeld angegeben worden, was mit dem bei der Klägerin beobachteten Verhalten nicht zu vereinbaren gewesen sei.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 05.05.2014 Klage zum Sozialgericht (SG) Augsburg erhoben. In der Klagebegründung hat die Klägerin mit Blick auf die o.g. elektrophysiologische Untersuchung darauf hingewiesen, dass der Aggravationsverdacht hinreichend widerlegt sei. Sie versuche, den Nachweis zu erbringen, dass sie keine Frühgeburt gewesen sei und die Sehbehinderung deshalb nicht hierauf zurückgeführt werden könne. Weiter solle die Frage der Diagnose gezielt geklärt werden. Ungeachtet dessen sei aufgrund der aktuellen Befunde Blindheit im Sinne des Gesetzes seit Juni 2013 zweifelsfrei nachgewiesen.

Das SG hat Beweis erhoben durch ein augenfachärztliches Gutachten von Dr. K. vom 30.12.2014. Der Sachverständige hat folgende Visuswerte erhoben (Sehschärfe mit Korrektion - Gläser bessern nicht):

– rechtes Auge: Erkennen von Handbewegungen, kein Fingerzählen in 30 cm Entfernung, kein Erkennen von Sehzeichen in 4 m Entfernung und in näherer Entfernung.

– Linkes Auge: 0,05 (Landoltringe in 4 m Entfernung),

– beidäugig: 0,063 (Landoltringe).

Hinsichtlich der Gesichtsfeldmessungen (mit dem Goldmann-Kugel-Perimeter) hat Dr. K. Folgendes festgehalten:

– Rechtes Auge: Die Außengrenzen würden massiv konzentrisch eingeschränkt angegeben; sie reichten bei der Reizmarke III/4e maximal bis 6 Grad (90-Grad-Meridian). Die Reizmarke V/4 werde mit etwas weiteren Außengrenzen als wahrgenommen angegeben. Die Mittelpunktfixation sei aufgenommen worden. Blickziel- und Augenfolgebewegungen seien nicht beobachtbar, dagegen aber ein leichter Spontannystagmus.

– Linkes Auge: Die Außengrenzen würden massiv konzentrisch eingeschränkt angegeben. Sie reichten bei der Reizmarke III/4e maximal bis 2 Grad (90-Grad-Meridian). Die Reizmarke V/4 werde mit etwas weiteren Außengrenzen als wahrgenommen angegeben. Die Mittelpunktfixation werde aufgenommen. Blickzielbewegungen und Augenfolgebewegungen seien nicht beobachtbar, dagegen aber ein leichter Spontannystagmus.

Dr. K. hat auch mit dem Bjerrum-Schirm (binokular) untersucht: Nach Abstandsvergrößerung werde eine deutliche „Aufweitung“ des Gesichtsfelds (zwei- bis dreifach) angegeben. Die Reizmarke werde dabei von 10 auf 20 mm Durchmesser vergrößert; der Mittelpunkt werde entsprechend vergrößert, so dass dessen Fixation gewährleistet sei. Beim Kontrastmuster-VEP hätten sich, so Dr. K., keine sicher identifizierbaren und reproduzierbaren Reizantworten kortikal ableiten lassen. Dies könne aber alleine schon auf das spontane Augenzittern zurückgeführt werden. Beim Blitz-VEP hätten sich bei der Stimulation des rechten Auges noch mäßig reproduzierbare und identifizierbare Reizantworten ableiten lassen.

Die Klägerin habe sich in für sie ungewohnter Umgebung unsicher und vorsichtig orientiert. Sie habe leidlich zielsicher nach den Stuhl-Armlehnen und der Untersucherhand gegriffen. Die zentrale Fixation sei im Gespräch nicht aufgenommen worden. Die Klägerin habe einmal auf einen ca. 1 m entfernten Befund verwiesen, bei dem sie aber eine Netzhautskizze mit einem Gesichtsfeldauszug verwechselt habe.

Der Sachverständige hat festgestellt, dass diese Befunde unter Berücksichtigung der Aktenlage wohl mindestens auch seit 01.07.2013 vorgelegen hätten.

Dr. K. hat die folgenden Diagnosen gestellt:

Rechtes Auge:

* Myopie nach OP des Grauen Stars (Pseudophakie),

* Astigmatismus,

* Akkomodationslosigkeit bei Pseudophakie, Nachstarbildung (Kapselfibrose und Kapselphimose),

* Missbildung und Dezentrierung der Makula (Makuladysgenesie mit Netzhautstrangbildung und Ektopie der Makula),

* Verdacht auf Amblyopie bei Makuladysgenesie, Schielen, angeborenem Nystagmus und Fehlsichtigkeiten,

* Netzhautdegeneration im Sinne einer Zapfen-Stäbchen-Dystrophie, Verdacht auf Missbildung und Degeneration des Sehnerven (Opticusdysplasie und anterograde partielle Opticusatrophie),

* Verdacht auf Sicca-Syndrom.

Linkes Auge:

* Hyperopie nach OP des Grauen Stars (Pseudophakie),

* Astigmatismus,

* Akkumodationslosigkeit bei Pseudophakie,

* Nachstarbildung (Kapselfibrose und Kapselphimose),

* Makuladysgenesie und Netzhautstrangbildung und Ektopie der Makula, Verdacht auf Amblyopie bei Makuladysgenesie, Schielen und angeborenem Nystagmus sowie Fehlsichtigkeiten,

* Netzhautdegeneration im Sinne einer Zapfen-Stäbchen-Dystrophie, Verdacht auf Missbildung und Degeneration des Sehnervs, Opticusdysplasie und anterograde partielle Opticusatrophie),

* Verdacht auf Sicca-Syndrom.

Die Stelle des schärfsten Sehens sei anatomisch nicht identifizierbar, weil dort eine Strangbildung der Netzhaut beobachtbar sei. Nach Aktenlage sei dieser Befund seit frühester Kindheit - wohl seit Geburt - vorliegend. Er gleiche dem einer fortgeschrittenen Frühgeborenen-Netzhauterkrankung (Retinopathia praematuorum). Mangels einer Frühgeburt (glaubhafte Versicherung der Klägerin) lägen, so Dr. K., sehr wahrscheinlich keine Retinopathia praematurorum und kein von-Droste-Hülshoff-Syndrom vor. Deshalb seien die wesentlichen sichtbaren Veränderungen der Netzhaut und der Sehnervenköpfe als Missbildung unbekannter Ursache zu interpretieren. Durch die mangelnde Ausbildung der Stelle des schärfsten Sehens und deren Verlagerung ergäben sich erhebliche Konsequenzen und machten viele Befunde verständlich. Auf die Missbildung der Netzhaut (Netzhautdysgenesie) insbesondere im zentralen Bereich (Makuladysplasie) und der Sehnerven (Optikusdysgenesie oder -dysplasie) zusammen mit der Ausbildung einer Schwachsichtigkeit sei seines, Dr. Ks, Erachtens bereits ein Großteil der Sehschärfeminderung zurückzuführen.

Die heute angegebene relevante Sehschärfe von 0,05 am besseren linken Auge bzw. von 0,063 beidäugig sei alleine vor dem Hintergrund der Sehschärfeentwicklung der letzten beiden Jahre nicht dramatisch schlechter, zumal auch heute mit den schwerer zu erkennenden Landoltringen geprüft worden sei. Die Sehschärfeverschlechterung in den letzten zwei Jahren könne angesichts der 30-jährigen Stabilität - wie von Dr. P. angedeutet - aber auch nicht auf die Fehlbildungen von Sehnerven und Netzhaut zurückgeführt werden. Dennoch könne allein schon anhand der Abblasssung der Papillen sehr wohl eine auch morphologisch sichtbare Veränderung im Sinne einer zunehmenden Degeneration anhand der Akten nachvollzogen werden.

Von großer Bedeutung sei, so der Sachverständige, die Beurteilung der objektiven Funktionsentwicklung, vor allem der Verlauf der Amplitudenminderung im ERG; leider liege nach der Aktenlage aber nur ein ERG von 2013 vor. Heute könne die Amplitudenminderung im ERG sehr wohl bestätigt werden. Die gemessenen Amplituden der Zapfenantwort seien massiv (und nicht nur etwas) reduziert und würden bei aller Vorsicht der Vergleichbarkeit eine Verschlechterung im Sinne einer Degeneration anzeigen. Dr. P. sei aber recht zu geben, dass bei einer Retinopathia pigmentosa mit einem derart eingeschränkten Gesichtsfeld wie von der Klägerin angegeben, die ERG-Potenziale nicht mehr messbar sein dürften. Weder die genetische Untersuchung noch der ERG-Befund weise auf das Vollbild einer Retinopathia pigmentosa hin. Es sei eher von einer Zapfen-Stäbchen-Dystrophie auszugehen. Die Vorerkrankungen (Operation der Netzhautablösung) ließen auch die Möglichkeit offen, dass Pigmentverschiebungen (Pigmentansammlungen) nicht unbedingt einer Retinopathia pigmentosa zugeschrieben werden müssten, das heiße, dass Pigmentansammlungen von der Operation herrühren könnten. Damit werde seines, Dr. K.s, Erachtens klar, dass neben der Netzhautdysgenesie (angeborene Fehlbildung) ein massiver degenerativer Netzhautschaden auf der Ebene der Fotorezeptoren, der mit der massiven Amplitudenminderung im ERG objektiviert sei, vorliege und zunehme. Er sei geeignet, sowohl die Sehschärfe zusätzlich zu reduzieren als auch das Gesichtsfeld massiv einzuschränken und stelle eine plausible Erklärung für die subjektiven Angaben zur Sehschärfe und auch zum Gesichtsfeld - insbesondere in deren Verlauf der letzten Jahre - dar. Somit liege ganz klar ein morphologisches bzw. funktionell objektivierbares Substrat über die weitere Sehschärfeminderung und für den zunehmenden Gesichtsfeldausfall vor.

In seinem Gutachten hat sich der Sachverständige zudem intensiv mit den Vorbefunden auseinandergesetzt.

Heute liege eine einer Sehschärfeminderung von 0,02 gleichzuachtende Sehstörung vor, die zwischen den Fallgruppen liege. Interpoliert und augenfachärztlicherseits auch sinnvoll begründbar reiche dann bei einer glaubhaften Sehschärfe von 0,063 zur Anerkennung von Blindheit nach dem Gesetz eine Gesichtsfeldeinschränkung auf ca. 11-12° Mittelpunktabstand oder weniger aus, um einer Sehschärfeminderung auf 0,02 analog zu den beiden Fallgruppen

– Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

– bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben, gleichgeachtet zu werden. Diese liege mit einer Sehschärfe von 0,063 und maximalen Außengrenzen von 6° so weit im Toleranzbereich, dass bei allen Messunschärfen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Blindheit angenommen werden müsse.

Auf das Gutachten hat Dr. P. des Beklagten darauf hingewiesen, dass sich der Sachverständige nicht dazu geäußert habe, wie das bei seiner Begutachtung deutlich reproduzierbare ERG nach Dunkeladaption mit der Angabe eines weiterhin hochgradig eingeschränkten Gesichtsfelds zu vereinbaren sei.

In einer kurzen ergänzenden Stellungnahme vom 24.03.2015 hat Dr. K. hervorgehoben, dass eine Retinopathia pigmentosa nicht zwangsläufig und nicht wahrscheinlich vorliege, sondern an beiden Augen eine Kombination aus Netzhautdysgenesie (Fehlbildung), Zustand nach Netzhautablösung und fortschreitender Degeneration, die noch am besten als Zapfen-Stäbchen-Dystrophie (Zapfen mehr betroffen als Stäbchen im Gegensatz zur Stäbchen-Zapfen-Dystrophie) bezeichnet werden könne. Weiter hat er betont, dass für eine klassische Retinopathia pigmentosa so typisch erloschene ERG-Potenziale nicht auf andere Krankheitsbilder (zum Beispiel isolierte Zapfen-Dystrophie) übertragen werden könnten. Das bedeute, dass die Reizantworten nicht erloschen sein müssten, um mit dem angegebenen Gesichtsfeldrest vereinbar zu sein. Unberücksichtigt bleibe darüber hinaus noch die zusätzliche Einschränkung des Sehvermögens durch die Sehnervenerkrankung.

Mit Schriftsatz vom 01.07.2015 hat der Beklagte weiterhin Klageabweisung beantragt. Der Nachweis von Blindheit sei nicht erbracht. Der Beklagte hat insoweit auf den Grundsatz der objektiven Beweislast hingewiesen. Dabei hat er auf eine von ihm eingeholte Stellungnahme des Ophthalmologen Prof. Dr. U. vom 17.06.2015 verwiesen. Prof. Dr. U. hat darin zunächst festgestellt, dass man „rein fachlich“ den Ausführungen von Dr. K. „durchaus folgen“ könne. Die Problematik an sich liege hier in der schwierigen Untersuchungsart der Klägerin, die ihrerseits sehr gutachtenserfahren sei und „sicherlich auch … sehr gut beraten“ werde. Nach der Diskussion im vorangegangenen Schriftverkehr hinsichtlich einer Aufweitung der Gesichtsfeldaußengrenzen am Bjerrumschirm - der Patient erhalte ja Einsicht in die Unterlagen - sei es „nun auch prompt“ zu einer Aufweitung bei Vergrößerung des Abstands im Bereich der Außengrenzen gekommen. Es falle auf, dass Dr. K. in der Diskussion seiner Untersuchungsbefunde schlussfolgere, dass kein OKN auslösbar gewesen sei; bei einer Patientin mit einem congenitalen Nystagmus sei diese Untersuchung selbstredend sehr schwierig. Andererseits beschreibe Dr. K., dass mit einem Streifenband am rechten Auge zeitweise ein horizontaler und modularer Nystagmus auslösbar und am linken Auge ein horizontaler und vertikaler OKN erkennbar gewesen sei. Zusammenfassend könne man nur sagen, dass das BayBlindG seine Kriterien sehr streng definiere und dass die klinische und elektrophysiologische Untersuchung bei derart gutachtenserfahrenen und gut beratenen Patienten grundsätzlich an Grenzen stoße. Da genetisch eine Retinopathia pigmentosa mit Ausnahme einer doch seltenen Neumutation ausgeschlossen habe werden können, sei die weitere Erklärung der progressiven Verschlechterung der Netzhautfunktion lediglich auf die o.g. elektrophysiologische Untersuchung zurückzuführen. Ob es sich aber nun tatsächlich um eine Stäbchen-Zapfen-Dystrophie handle, bleibe trotz allem etwas spekulativ. Letztlich bleibe das Krankheitsbild bei der Klägerin „etwas unklar“. Viele Aspekte wie die Makulaektopie und die stattgehabten Neigung zur Netzhautablösung würden, so Prof. Dr. U., sicherlich für eine Erkrankung sprechen, wie man sie ansonsten bei Retinopathia praematororum sehe. Da die Klägerin kein Frühgeborenes gewesen sei, bleibe auch diese Diagnose letztlich unbefriedigend.

Dr. P. hat am 25.06.2015 u.a. darauf hingewiesen, dass es in dem Fall letztlich darum gehe, ob man der Klägerin die Angaben zum Sehvermögen glaube, was letztendlich der richterlichen Beweiswürdigung obliege und nicht allein von medizinischer Seite beurteilt werden könne. Dabei sollte jedoch, so Dr. P., nicht vergessen werden, dass die Zweifel an den Gesichtsfeldangaben auch nach Auffassung von Dr. K. nicht vollends ausgeräumt hätten werden können und dass er zudem bestätigt habe, dass bei Patienten mit einem derart eingeschränkten Gesichtsfeld ERG-Potenziale eigentlich nicht mehr messbar seien.

Hierauf hat die Klägerseite am 01.09.2015 betont, dass die Darlegungen von Prof. Dr. U. nicht geeignet seien, die persönliche Untersuchung des gerichtlich bestellten Gutachters zu entkräften. Schließlich ist auf eine Untersuchung von Dr. R. der Augenklinik der LMU M-Stadt vom 08.12.2014 verwiesen worden.

Hierzu hat wiederum der Beklagte Stellung genommen. Der Befundbericht der Augenklinik würde die bereits geäußerten Zweifel am Vorliegen von Blindheit bestätigen. Bei der Untersuchung am 08.12.2014 sei am rechten Auge ein Visus von 0,16 (in 30 cm Entfernung) angegeben worden, wogegen bei der Untersuchung durch Dr. K. am 23.10.2014, also nur etwa 6 Wochen zuvor, in 30 cm nicht einmal Finger gezählt hätten werden können. Nachdem sich das Sehvermögen, so Dr. P., innerhalb dieser 6 Wochen wohl kaum gebessert haben dürfte, müsse die Zuverlässigkeit der Visusangaben bei Dr. K. in Zweifel gezogen werden. Die doch erhebliche Differenz der Visuswerte könne auch nicht alleine mit der Unterschiedlichkeit der Optotypen erklärt werden (Zahlen-Optotypen versus Landoltringe). Dass eine sehr schwerwiegende Sehminderung vorliege, sei unbestritten. Blindheit werde jedoch auch von Dr. R. in dem Arztbrief nicht bestätigt.

Mit Gerichtsbescheid vom 09.02.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Dabei hat es sich der Begründung der streitgegenständlichen Verwaltungsakte des Beklagten angeschlossen und von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, nach § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abzusehen. Ergänzend hat es darauf hingewiesen, dass nach allen vorliegenden Befunden, den ärztlichen Stellungnahmen des Beklagten und dem gerichtlich eingeholten Gutachten von Dr. K. sowie der ärztlichen Stellungnahme von Prof. U. keine der Konstellationen der Blindheit im Sinne des BayBlindG im Vollbeweis nachgewiesen sei. Es verblieben Zweifel, so das SG, am Vorliegen der Voraussetzungen, insbesondere auch wegen der bestehenden Diskrepanz zwischen den objektiv erhobenen Befunden und den subjektiven Angaben der Klägerin. Wie sowohl Dr. K. als auch Prof. Dr. U. darlegen würden und die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 17.09.2015 betone, sei eben keine der Konstellationen der Blindheit im Sinne der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG, Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung) eindeutig gegeben.

Am 02.03.2016 hat die Klägerin Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) mit dem Vortrag erhoben, dass der Entscheidung des SG nicht gefolgt werden könne. Unverständlich sei vor allem, dass das SG dem Gutachten von Dr. K. nicht gefolgt sei, ohne eine umfassende sachliche Auseinandersetzung durchzuführen. Weiter hat der Bevollmächtigte gerügt, dass das SG bestehende Zweifel nicht durch Einholung einer ergänzenden Stellungnahme bzw. Einvernahme des Gutachters im Termin zur mündlichen Verhandlung aufgeklärt habe. Es seien keine Gründe ersichtlich, weshalb den Einwendungen des Beklagten aufgrund einer Aktenlage-Stellungnahme (ohne weitergehende Aufklärung) der Vorrang gegeben worden sei. Nach den vom Gutachter getroffenen Feststellungen seien die Voraussetzungen für die Blindheit unter Beachtung der VG erfüllt.

Am 02.11.2016 hat der Beklagte - basierend auf einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 19.10.2016 - die Zurückweisung der Berufung beantragt. Darin hat Dr. P. auf das Schreiben des Instituts für Humangenetik der Universitätsklinik U-Stadt vom 09.01.2016 hingewiesen, in dem das Ergebnis der humangenetischen Beratung im Jahr 2014 in R-Stadt bestätigt worden sei; eine Retinopathia pigmentosa als Erklärung für die Gesichtsfeldbefunde sei daher weiterhin nicht nachgewiesen. Dass eine nicht genetisch bedingte Form dieser Erkrankung oder eine Neumutation als Möglichkeiten genannt worden seien, ändere an dem Sachverhalt nichts, so der Beklagte. Wesentlich an dem vorgelegten Arztbrief der D. vom 20.07.2016 sei der Befund des Ganzfeld-ERG, das skotopisch und photopisch erniedrigte Amplituden zeige, also reproduzierbar bzw. messbar gewesen sei. Es sei von einem deutlich größeren Gesichtsfeld auszugehen, zumal es bisher weder ein morphologisches Korrelat noch eine Diagnose gebe, die eine vollständige Auslöschung der Gesichtsfelder beider Augen bis auf eine zentrale Gesichtsfeldinsel von ca. 5° - wie bei der Begutachtung durch Dr. K. - plausibel erklären könnten. Vielmehr sei im Arztbrief aus D-Stadt erneut auf die Stabilität der Befunde hingewiesen worden. Die zentral gelegenen Gesichtsfeldinseln stünden, so die Ärztin in der Stellungnahme des Beklagten, des Weiteren im Widerspruch zur angegebenen Sehschärfe; bei einem auf Handbewegungen bzw. 0,02 reduzierten Visus wäre zumindest am rechten Auge ein Zentralskotom zu erwarten gewesen. Ergänzend hat Dr. P. angemerkt, dass es für die von Dr. K. postulierte fortschreitende Degeneration angesichts der über die Jahre beschriebenen Stabilität der Befunde keinen Beleg gebe. Die erneute Diskrepanz zwischen den Angaben zum Sehvermögen und den elektrophysiologischen Untersuchungen könne als weiterer Beleg für unzutreffende Angaben gewertet werden.

Am 25.11.2016 hat sich die Klägerin direkt an den Senat gewandt und darauf hingewiesen, dass sie nichts dafür könne, kein eindeutiges Krankenbild zu haben. Jedoch bestätige ihr jeder Augenarzt, die Bedingungen für das Blindengeld zu erfüllen. Alle Universitäten, in denen sie zur Untersuchung gewesen sei, hätten der Klägerin versichert, dass sie die maßgeblichen Werte erfülle. Die Unterstellung, zu lügen, belaste die Klägerin sehr. Zudem ist ein Bericht des Universitätsklinikums U-Stadt, Prof. Dr. K., vom 03.05.2017 vorgelegt worden. Als Diagnosen sind dort insbesondere Retinopathia pigmentosa, Opticusatrophie, feinschlägiger Rucknystagmus mit rotatorischer Komponente, Pseudophakie - allgemein von-Droste-Hülshoff-Syndrom gestellt und als Fernvisus rechts Handbewegungen und links 1/25 festgehalten worden. Beim Goldmann-Gesichtsfeld sei am rechten Auge keine Messung möglich gewesen, am linken Auge hätten die Außengrenzen bei der Marke III/4 unter 5 Grad gelegen. Im Rahmen der Optischen Cohärenztomographie (OCT) der Makula habe sich in beiden Augen eine zentrale Ausdünnung ergeben. Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass aufgrund des weit fortgeschrittenen Funktionsverlusts beidseits der Erhalt von Blindengeld als indiziert anzusehen sei.

Am 31.05.2017 hat ein Erörterungstermin des Senats stattgefunden.

Im Folgenden ist die Begutachtung gemäß § 109 SGG durch Prof. Dr. C. beantragt worden. Der Sachverständige hat in seinem ophthalmologischen Gutachten vom 24.10.2017 u.a. die nachfolgend beschriebenen Untersuchungsbefunde erhoben.

Beide Augen: Am Augenhintergrund sei bei deutlich reduziertem Einblick die Sehnervenscheibe entrundet, scharf begrenzt und wachsgelb gefärbt; sie zeige eine minimale Prominenz. Die Gefäße seien erheblich verdünnt und erheblich nach schläfenwärts unten gestreckt bei deutlicher Verziehung der Makula. Am hinteren Pol seien leichte Hyperpigmentierungen zu erkennen. Nach schläfenwärts erkenne man zusätzliche weißliche Narben. Die Netzhaut sei allseits anliegend, es seien keine Vorstufen einer Netzhautablösung erkennbar. Die periphere Netzhaut sei nicht sicher einzusehen.

Visus (Fernvisus mit Landoltringen und Korrektion):

– rechtes Auge Handbewegungen,

– linkes Auge 0,04.

In 4 m nach DIN 58220 sei kein Sehzeichen erkannt worden, daher sei der Arbeitsabstand verkürzt worden.

Gesichtsfeld (Goldmann-Projektionsperimeter, Reizmarke III/4e):

– Rechts: Es werde ein deutlich eingeengtes Gesichtsfeld angegeben, das nach rechts bis 5, nach oben bis 7, nach links bis 8 und nach unten bis 6 Grad reiche.

– Links: Ebenfalls ein deutlich eingeengtes Gesichtsfeld, das nach rechts bis 8, nach oben bis 6, nach links bis 9 und nach unten bis 10 Grad reiche.

– Beidäugig: Auch hier werde mit der Reizmarke III/4e eine Einengung festgestellt, nämlich nur 10 Grad nach links, 8 nach unten, 16 nach rechts und 8 nach oben. Für die größere Reizmarke V/4 werde ein deutlich größeres Gesichtsfeld angegeben. Bei nochmaliger Prüfung mit der Reizmarke III/4 werde ein etwas kleineres Gesichtsfeld als initial angegeben.

Bei Prüfung des rechten Auges im Muster-VEP seien keine reproduzierbaren Reizantworten feststellbar gewesen, am linken Auge seien Reizantworten mit normaler Latenz und deutlich reduzierter Amplitude zu erhalten gewesen. Im skotopischen ERG sei eine in der Amplitude massiv reduzierte Antwort nachweisbar gewesen (beide Augen), die Amplituden seien am rechten Auge kaum noch nachweisbar und geringer als im linken Auge gewesen. Das photopische ERG habe am linken Auge eine Antwort mit erheblich reduzierter Amplitude und unauffälliger Latenz gezeigt, am rechten Auge seien nur fragliche Antworten nachweisbar gewesen. OCT: Hier sei keinerlei normale Topographie der Sehgrube feststellbar, die Netzhaut sei erheblich verdünnt; hierbei liege insbesondere eine erhebliche Verminderung der retinalen Nervenfaserschicht vor. Beim OCT der peripapillären Netzhaut sei insgesamt von einer erheblichen Schädigung dieser Nervenfaserschicht auszugehen.

Prof. Dr. C. hat festgehalten, dass die genaue Einordnung der bei der Klägerin bestehenden Augenerkrankung unverändert schwierig sei. Der Sachverständige hat hinsichtlich der Annahme einer Netzhautveränderung nach Frühgeburtlichkeit, die in der Vergangenheit diagnostiziert worden sei, darauf hingewiesen, dass die Klägerin wiederholt angegeben habe, dass bei ihr kein solcher Zustand nach Frühgeburt vorliege und dass auch in den Akten zumindest ein normales Geburtsgewicht dokumentiert sei, was eine wesentliche Frühgeburt sicher ausschließe. Zusätzlich werde, so der Sachverständige, 1983 der Sehnervenkopf vollkommen unauffällig beschrieben. Die Entwicklung einer Netzhautablösung sei trotz hoher Kurzsichtigkeit bei einer 27 bzw. 30 Jahre alten Patientin ungewöhnlich. Aus diesem Grund sei auch denkbar, dass bei der Klägerin eine etwas untypische familiäre exsudative Vitreoretinopathie Criswick-Schepen vorliege, die mit ähnlichen Netzhautveränderungen einhergehe und häufig zu Netzhautablösungen führe.

Dem Einwand von Dr. P. vom 10.03.2014 (zu den Sehschärfeangaben der Klägerin), dass die Wahrnehmung der Reizmarke I/4 gegen einen Visus von 1/35 spreche, sei zu entgegnen, dass sich die Erkennungssehschärfe grundlegend vom Auflösungsvermögen des Auges unterscheide und die Wahrnehmung eines hellen Punkts durchaus auch bei sehr geringer Sehschärfe denkbar sei. Wenn Dr. P. für den Beklagten zutreffend darstelle, dass bei der Klägerin über Jahrzehnte hinweg zunächst eine stabile Sehschärfe bestanden habe, die dann ab 2012 nahezu plötzlich abfalle, müsse hierzu angemerkt werden, dass die Befunde bis 2012 nahezu alle nicht unter gutachtlichen Bedingungen erhoben worden seien. Zu beachten sei, dass die Prüfung der Sehschärfe zu einem quantiativen Ergebnis führe, das mit seiner Zahl eine Genauigkeit vorgebe, die in Wirklichkeit nicht existiere. Darüber hinaus unterscheide sich eine gutachtlich korrekte Sehschärfeprüfung (nach DIN 58220) mit Landoltringen und definiertem Abbruchkriterium erheblich von einer im Rahmen einer augenärztlichen Untersuchung oder Behandlung durchgeführten Sehschärfeprüfung.

Wenn man die Sehschärfe anlässlich der Begutachtung durch Dr. K. (23.10.2014) betrachte, so seien dies nur zwei Visusstufen weniger als die früher über lange Zeit erreichte Sehschärfe von 0,1 gewesen. Anlässlich der jetzigen Untersuchung sei die Sehschärfe links auf 0,04 reduziert, auch bei beidäugiger Prüfung sei keine bessere Sehschärfe angegeben worden.

Dr. P. habe in ihrer Stellungnahme vom 17.09.2015 ihre Zweifel am Vorliegen von Blindheit zusätzlich mit den unterschiedlichen Sehschärfeangaben bei Dr. K. rechts am 23.10.2014 (weniger als Fingerzählen in 30 cm) und in U-Stadt am 11.12.2014 (0,16 in 30 cm) begründet. Dieser Widerspruch, so Prof. Dr. C., der offensichtlich wesentlich zu den Zweifeln des SG beigetragen habe, sei jedoch ein Verständnisfehler. Die Angabe der Sehschärfe im Befundbericht von Prof. Dr. R. sei eindeutig so zu verstehen, dass auf einer Sehtafel für 5 m eine Sehschärfe von 0,16 angegeben worden sei, was bei Prüfung in 30 cm eben nur einer Sehschärfe von etwa 0,01 entspreche. Damit sei aber eben nicht von einer Sehschärfe von 0,16 auszugehen und es bestehe auch kein Widerspruch zu den Angaben bei Dr. K., da ein fehlendes Erkennen von Fingerzählen zumindest auf eine Sehschärfe von unter 0,014 hindeute.

Der Sachverständige hat sich in seinem Gutachten auch im Einzelnen mit der Frage der Glaubwürdigkeit der klägerischen Angaben zum Gesichtsfeld auseinandergesetzt. Wesentlicher Grund für die Klageabweisung des SG seien wohl die Zweifel an diesen Angaben der Klägerin gewesen. Er, Prof. Dr. C., halte diese Zweifel auch aufgrund der jetzt erhobenen zusätzlichen Befunde für nicht gut begründet.

Bei der Klägerin, die früher hochgradig kurzsichtig gewesen sei, sei davon auszugehen, dass das ERG immer schon niedrige Amplituden gehabt habe; darüber hinaus führe auch eine Netzhautablösung und selbst eine Operation derselben (mittels Glaskörperausschneidung) zu einer zusätzlichen Schädigung. Daher sei auch denkbar, dass die Klägerin nicht an einer erblichen Netzhautdystrophie leide, sondern dass sich in diesem Befund nur verschiedene andere Schädigungen oder Veränderungen bemerkbar machen würden. Dann wäre auch eine Gesichtsfeldeinengung nicht allein durch einen krankhaften Befund im ERG erklärt.

Allerdings habe bereits Dr. K. darauf hingewiesen, dass die an beiden Augen bestehende Sehnervenschädigung früher wohl nicht bestanden habe (zumindest sei der Sehnervenkopf 1983 als vollkommen normal beschrieben worden). Eine Sehnervenschädigung könne durchaus einen auch erheblichen Gesichtsfeldausfall erklären. Die Vermessung der peripapillären Faserschicht (Nervenfaserschicht um den Sehnervenkopf herum) sei bei der Klägerin nur eingeschränkt möglich gewesen, habe aber eindeutig eine schwerwiegende Veränderung gezeigt. Bereits anlässlich der ersten dokumentierten Gesichtsfelduntersuchung im Jahr 2000 sei das Gesichtsfeld an beiden Augen erheblich eingeengt gewesen. Auch wenn bei seitengetrennter Untersuchung inzwischen eine stärkere Einengung angegeben werde, so sei das beidäugige Gesichtsfeld jetzt doch relativ ähnlich, die nach rechts verschobene Erweiterung sei dabei der Lage des Kopfes geschuldet, der nicht zentral in der Kuppel angeordnet gewesen sei.

Der Sachverständige hat hervorgehoben, dass er keinerlei Zweifel an den jetzigen subjektiven Angaben zum Gesichtsfeld habe, und hat auf die Fallgruppen der VG sowie die Untersuchungsergebnisse bei Dr. K. hingewiesen. Er stimme Dr. K. vollumfänglich zu, dass bei dieser Konstellation, obwohl sie weder die Fallgruppe bb. noch cc. komplett erfülle, ebenfalls von Blindheit auszugehen sei. Allerdings sei bei der jetzigen Untersuchung vor allem bei der beidäugigen Gesichtsfeldprüfung ein doch größeres Gesichtsfeld angegeben worden. Auch hier sei aber zu beachten, dass natürlich neben der Sehschärfe auch das Gesichtsfeld bei verschiedenen Untersuchungen nicht vollkommen identisch sei und gewisse Schwankungen einfach untersuchungsbedingt bestehen könnten.

Bei der Klägerin sei in der Kindheit und Jugend das rechte Auge das bessere und das Führungsauge bei Schielamblyopie des linken Auges gewesen. Aus diesem Grund sei davon auszugehen, dass mit der erheblichen Verschlechterung des Sehvermögens rechts, aufgrund derer dann das linke Auge zum besseren geworden sei, dennoch gewisse Probleme vor allem beim Lesen eingetreten seien, die sich bei alleiniger Berücksichtigung der Sehschärfe als Funktionsparameter nicht ausreichend abbilden würden. Darüber hinaus sei auch davon auszugehen, dass angesichts der erheblichen Trübung der verbliebenen Linsenkapsel an beiden Augen bei der Klägerin eine erheblich stärkere Blendungsempfindlichkeit bestehe, als man es aufgrund der Veränderungen an den Augen ohnehin bereits annehmen würde. Insofern lägen durchaus weitere Funktionsstörungen vor, die neben den in den VG vorgegebenen Einschränkungen bei der Bewertung einer faktischen Blindheit zu berücksichtigen seien.

Die Beweisfragen des Gerichts hat Prof. Dr. C. wie folgt beantwortet:

– Im Wesentlichen bestehe an beiden Augen eine Verziehung der Stelle des schärfsten Sehens bei deutlichem langen Bau der Augen. Darüber hinaus sei es an beiden Augen zu einer Netzhautablösung gekommen, die operativ versorgt worden sei, auch sei die natürliche Linse durch eine Kunstlinse ersetzt worden. Neben einer seit jeher bestehenden deutlichen Sehschärfereduktion sei in den letzten Jahren eine weitere Verschlechterung eingetreten. Die wesentlichen morphologischen Befunde hätten sich dabei seit 15.07.2013 höchstens minimal verändert; so entspreche der Vorderabschnittsbefund an beiden Augen demjenigen, den Dr. K. anlässlich seines Gutachtens 2014 fotographisch dokumentiert habe. Bei den ebenfalls in den Akten enthaltenen Aufnahmen des Augenhintergrundes werde deutlich, dass infolge der Veränderungen des Vorderabschnittts und insbesondere der nur relativ kleinen Kapsellücke ein genügend sicherer Einblick in tiefere Augenabschnitte nicht möglich sei. Dies führe gleichzeitig zu einer zusätzlichen Funktionseinschränkung.

– Die Klägerin sei nicht vollständig erblindet.

– Die Sehschärfe betrage mehr als 1/50, nämlich am linken Auge sowie beidäugig 0,04. Eindeutig sei anlässlich der jetzigen Untersuchung (18.10.2017) mit einer korrigierten Sehschärfe von 0,04 links sowie beidäugig und bei einer gleichzeitig bestehenden Gesichtsfeldeinengung auf weniger als 15 Grad vom Zentrum des Restgesichtsfelds eine einer Sehschärfeminderung auf 1/50 gleichzuachtende Störung des Sehvermögens nachgewiesen.

Bereits anlässlich der Untersuchung durch Dr. K. habe dieser (bei einer Sehschärfe von 0,06 und einem bis auf 6 Grad eingeengten Gesichtsfeld) Blindheit für nachgewiesen erachtet. Dieser Einschätzung könne er, Prof. Dr. C., sich prinzipiell anschließen; selbst unter Berücksichtigung des nunmehr wieder größeren Gesichtsfelds könne man bei einer Sehschärfe von 0,06 eine einer Sehschärfe von 1/50 gleichzuachtende Funktionsstörung diskutieren, aber grundsätzlich sei auch nicht davon auszugehen, dass die Sehschärfe bis jetzt stabil geblieben sei und es umgekehrt kurz nach der Untersuchung durch Dr. K. zu einer Verbesserung des Gesichtsfelds gekommen sei. Insofern halte er, Prof. Dr. C., einen dauerhaften Zustand mit einer Funktionsminderung bezüglich der Blindheit, d.h. das Vorliegen einer faktischen Blindheit ab dem 23.10.2014 für nachgewiesen. Auch anlässlich der folgenden Untersuchungen in M-Stadt und D-Stadt liege kein besseres Sehvermögen vor.

– Auch wenn bei der Untersuchung durch Dr. K. eine Funktionsschädigung außerhalb der normierten Fallgruppen vorgelegen habe, so sei die Begründung von Dr. K. überzeugend, in der dieser darlege, dass die Beeinträchtigung von Sehschärfe und Gesichtsfeld gerade unter Berücksichtigung der beiden genannten Fallkonstellationen eindeutig auch einer Beeinträchtigung der Sehschärfe auf 1/50 gleichzuachten sei. Hierbei seien weiter bei der Klägerin vorhandene Einschränkungen mit erhöhter Blendungsempfindlichkeit und Schielstellung des rechten Auges und vor allem die seit jeher bestehende Schwachsichtigkeit dieses linken Auges, die funktionell trotz einer Sehschärfe von 0,04 eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung erkläre, nicht berücksichtigt. Der Sachverständige hat ausdrücklich festgehalten, dass für ihn jetzt unzweifelhaft auch nach dem BayBlindG dauerhaft Blindheit vorliege.

Auch diesem Gutachten ist der Beklagte jedoch nicht gefolgt. Im Schriftsatz vom 20.11.2017 hat er erneut auf die Zweifel an den Eigenangaben der Klägerin bzw. den Visusverlauf abgestellt. Zweifel am anhaltenden Vorliegen der gerade bei Begutachtungen angegebenen Befunde seien im Hinblick auf den Verlauf der Befundangaben durchaus berechtigt, zumal in den Unterlagen immer wieder von einem stabilen Befund die Rede sei. Es überrasche auch, dass im Befundbericht von November 2016 festgehalten sei, dass die Klägerin mit einem Bildschirmlesegerät und einer elektrischen Lupe bei einem Visus von nur 0,025 und nun wieder 1 m rechts und 0,04 links sowie einem höchstgradig eingeschränkten Gesichtsfeld gut zurechtkomme. An der Größe der angegebenen Gesichtsfeldausdehnung ergäben sich auch Zweifel im Hinblick auf die Auslösbarkeit des Retinogramms.

Am 09.01.2018 hat der Beklagte ein Vergleichsangebot abgegeben und sich bereit erklärt, der Klägerin ab 01.01.2018 Blindengeld für hochgradig Sehbehinderte gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG zu gewähren. In der zugrundeliegenden Stellungnahme von Dr. L. vom 20.12.2017 ist u.a. betont worden, dass im Hinblick auf die wechselnden Befundangaben doch begründete Zweifel bestünden, ob tatsächlich anhaltend über sechs Monate eine einer Blindheit gleichzuachtende Sehstörung vorliege. Es lasse sich nicht einmal die Frage, ob zumindest eine hochgradige Sehbehinderung vorliege, mit letzter Sicherheit beantworten. Es spreche aber doch sehr viel dafür, dass es grenzwertig vertretbar sei, ab 01.01.2018 „ein abgesenktes Blindengeld“ zu erbringen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 09.02.2016 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 04.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2014 zu verurteilen, ihr ab 01.07.2013 Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG) und ganz überwiegend auch begründet.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin blind im Sinne des BayBlindG ist und ihr deshalb (ab dem Monat der Antragstellung Blindengeld) zusteht. Dies hat das SG verneint, für die Zeit ab Oktober 2014 zu Unrecht. Die Klägerin hat ab diesem Zeitpunkt Anspruch auf Blindengeld. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 04.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.04.2014 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG erhalten blinde Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166 S. 1, ber. ABl L 200 S. 1, 2007 ABl L 204 S. 30) in der jeweils geltenden Fassung dies vorsieht, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld. Dabei beinhaltet nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), an die sich der Senat gebunden fühlt, die Formulierung „zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen“ keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung (vgl. BSG, Urteil vom 26.10.2004 - B 7 SF 2/03 R).

Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,

  • 1.deren Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 0,02 (1/50) beträgt oder

  • 2.bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.

Hochgradig sehbehindert ist gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG, wer nicht blind in diesem Sinne (Art. 1 Abs. 2 BayBlindG) ist und

1. wessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 0,05 (1/20) beträgt oder

2. wer so schwere Störungen des Sehvermögens hat, dass sie einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bedingen.

Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.

Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) folgend, vor allem bei folgenden Fallgruppen vor (siehe VG, Teil A Nr. 6):

a. bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

b. bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

c. bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

d. bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

e. bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,

f. bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,

g. bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.

Die Klägerin hat ab Oktober 2014 Anspruch auf Blindengeld. Blindheit im Sinne des BayBlindG ist seitdem nachgewiesen.

Zwar liegt weder Lichtlosigkeit gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG vor noch sind die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BayBlindG erfüllt. Allerdings ist bei der Klägerin eine der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachtende Sehstörung gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG (faktische Blindheit) erfüllt.

Dies steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R). Der Senat stützt sich dabei insbesondere auf die besonders fundierten und plausiblen Sachverständigengutachten von Dr. K. und Prof. Dr. C.. Der Senat macht sich diese Feststellungen, die auch nicht im Widerspruch zu den vorliegenden Befunddokumentationen stehen, zu eigen.

Freilich übersieht der Senat nicht, dass in dem vorliegenden - medizinisch-wissenschaft-lich komplexen - Fall gewisse Zweifel an der Blindheit der Klägerin verbleiben. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Senat vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG überzeugt ist, wie unten im Einzelnen dargestellt wird.

Wie der Senat bereits mehrfach darauf hingewiesen hat (z.B. Urteil vom 16.11.2015 - L 15 VG 28/13), muss sich das Gericht für den Vollbeweis die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache, wie hier der Blindheit der Klägerin, verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen mit der Folge, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R, m.w.N.). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugungsbildung zu begründen (BSG, a.a.O.).

Die vorliegend verbleibenden Restzweifel in dem vorgenannten Sinn stehen der vollen Überzeugungsbildung nicht entgegen. Dabei ist u.a. auch zu beachten, „dass sich die Gerichte mit demjenigen Gewissheitsgrad zu begnügen haben, den die medizinische Wissenschaft im Einzelfall leisten kann“ (Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Aufl. 2012, S. 51, mit Verweis auf Bender/Nack/Treuer). Unter Berücksichtigung der allen medizinischen Beurteilungen immanenten Unsicherheiten (vgl. a.a.O., S. 49 f.) müssen somit nicht nur völlig unbedeutende Restzweifel außen vor bleiben, sondern auch solche, die durchaus einer medizinisch-wissenschaftlichen Diskussion offenstehen, jedoch im Einzelnen nicht überzeugen können. Andernfalls wäre ein Blindheitsnachweis in sozialgerichtlichen Verfahren so gut wie unmöglich. Denn dann könnte in keinem Fall, wo nur eine ernsthafte medizinische Zweifelsfrage im Raum steht, für die mehrere Antworten nicht ganz ausgeschlossen sind, der Blindheitsnachweis durch den Kläger grundsätzlich nicht erbracht werden. Ein solches Verständnis vom Blindheitsnachweis ist aber mit der Rechtsprechung des BSG nicht vereinbar. Zwar hat das BSG im Urteil vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14 R) eindeutig festgelegt, dass die objektive Beweislast für die den Blindengeldanspruch begründende Tatbestandsvoraussetzungen grundsätzlich den sehbehinderten bzw. blinden Anspruchsteller/Kläger trifft und dass etwaige Beweiserleichterungen (des sozialen Entschädigungsrechts) nicht zum Tragen kommen. Dass hier aber wegen der Vernachlässigung der bestehenden besonderen Erkenntnisschwierigkeiten (s.o.) übertriebene Anforderungen an den Vollbeweis zu stellen wären, lässt sich dieser Rechtsprechung keinesfalls entnehmen. Im Gegenteil hat das BSG (im Urteil vom 11.08.2015, a.a.O.) in einem Teilbereich - nämlich der Diagnostik spezifischer Sehstörungen - sogar darauf aufmerksam gemacht, dass die „mit dem Beweisrecht verbundene typisierende Annahme, dass die relevanten Tatsachen im Ansatz hinreichend verlässlich feststellbar sind“, nicht gerechtfertigt ist.

Zusammenfassend ist somit aus Sicht des Senats darauf zu achten, dass die verbleibenden Zweifel unter Beachtung dieser aufgezeigten Problematik zutreffend gewichtet werden.

Diese Gewichtung ergibt vorliegend, dass der Klägerin das Augenlicht nicht vollständig fehlt und dass bei ihr faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BayBlindG nicht vorliegt, dass jedoch eine der Herabsetzung der Sehschärft auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG nachgewiesen ist, was aus den vorliegenden Untersuchungsbefunden der genannten Sachverständigen und der Berücksichtigung der weiteren Beeinträchtigung durch die erhebliche Blendempfindlichkeit der Klägerin sowie durch die Schielstellung ihres rechten Auges folgt.

1. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist auszuschließen, dass der Klägerin das Augenlicht vollständig fehlen würde; hierauf muss angesichts der vorliegenden offenkundigen Befunde nicht näher eingegangen werden.

2. Der Annahme faktischer Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BayBlindG stehen bereits die von den Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. erhobenen Visusbefunde entgegen. Denn danach beträgt die Sehschärfe bei der Klägerin im Zeitraum ab Antragstellung (knapp) mehr als 0,02, nämlich 0,04 bzw. 0,06 (vgl. im Einzelnen oben).

3. Bei der Klägerin liegt jedoch zur Überzeugung des Senat faktische Blindheit nach Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG vor; dies ergibt sich, wie bereits oben ausgeführt, aus den überzeugenden Sachverständigengutachten von Dr. K. und Prof. Dr. C..

Zwar hat letzterer Zweifel geäußert, ob man bei einer - wie von Dr. K. angenommenen - Sehschärfe von 0,06 (und den gemessenen Gesichtsfeldgrenzen bei max. 6 Grad) von einem Vollbeweis der Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG ausgehen könne. Auch hat Prof. Dr. C. unter Zugrundelegung einer Sehschärfe von 0,04 bei der Messung des beidäugigen Gesichtsfelds immerhin noch einen Wert von 16 Grad festgestellt (vgl. Fallgruppe bb. VG Teil A, Nr. 6). Somit könnte fraglich sein, ob faktische Blindheit im Hinblick auf die o.g. Fallgruppen nachgewiesen ist.

Allerdings können den Senat diese Zweifel nicht überzeugen. So sind hinsichtlich der von Dr. K. ermittelten Werte die der Fallgruppe cc. VG Teil A, Nr. 6 erfüllt. Bei dem von Prof. Dr. C. ermittelten Gesichtsfeld handelt es sich um einen Grenzfall, der denkbar knapp - nämlich um ein Grad - über der Grenze liegt. Wie der Beklagte (Stellungnahme vom 22.03.2018) zu Recht hervorhebt, liegt das Problem vorliegend auch nicht darin, dass die bei den Untersuchungen ermittelten Werte, also die subjektiven Angaben der Klägerin, einer faktischen Blindheit nicht entsprechen würden, sondern in der Nachvollziehbarkeit dieser Angaben, von der der Senat in Übereinstimmung mit den Sachverständigen (siehe im Einzelnen unten) ausgeht.

Letztlich können diese Zweifel an der Erfüllung der Voraussetzungen der genannten Fallgruppen bei den vorliegend ermittelten Sehschärfewerten (0,06 und 0,04) unerörtert bleiben. Denn die Sachverständigen gehen im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats zutreffend und plausibel davon aus, dass hier jedenfalls die Annahme faktischer Blindheit nach der genannten Vorschrift wegen den besonderen Voraussetzungen bei der Klägerin durch die zusätzlich hinzukommende besondere Blendempfindlichkeit und die Schielstellung des rechten Auges gerechtfertigt ist, unabhängig von der Frage, ob der Wortlaut der Fallgruppen nun erfüllt ist oder nicht. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. die Urteile vom 31.01.2013 - L 15 BL 6/07 - und vom 05.07.2016 - L 15 BL 17/12) ist in besonderen Ausnahmefällen spezieller Krankheitsbilder die Annahme von Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der VG bzw. der DOG nicht ausgeschlossen. Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 31.01.2013 (a.a.O.) Folgendes ausgeführt:

„Es ist unstrittig, dass die in den VG übernommenen DOG-Richtlinien nicht exklusiv sämtliche der Blindheit gleichzuachtenden kombinierten Sehstörungen aufführen, dass also die Kriterien gemäß Teil A Ziff. 6 b) VG nur beispielhaft sind […].

Der materielle Charakter der (medizinischen) Festlegungen und auch der Wortlaut der VG lassen es zu, zur Annahme faktischer Blindheit in Ausnahmefällen Sehstörungen ausreichen zu lassen, auch wenn die jeweiligen Voraussetzungen einer der VG-Fallgruppen nicht in vollem Umfang erfüllt sind. Denn die DOG-Richtlinien, auf denen die VG beruhen, sind nichts anderes als allgemeine medizinische Erfahrungssätze, die als fraglos gesichert und gänzlich verlässlich aus der Fülle des übrigen medizinischen Erfahrungswissens herausgenommen sind (vgl. hierzu Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Auflage, S. 36; Keller, in: Mayer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 128, Rdnr. 11). Zu diesen Erfahrungssätzen gehört jedoch nicht, dass sie Exklusivität beanspruchen. Dies folgt nicht nur aus medizinischer Sicht (vgl. z.B. Lachenmayr, a.a.O.), sondern auch bereits daraus, dass ein solcher Erfahrungssatz eine Tendenz zur Veränderung in sich birgt (vgl. Kater, a.a.O.) und auch insoweit bereits hinsichtlich der Absolutheit („fraglos gesichert“) selbst wieder in Frage zu stellen ist, was auch daraus ersichtlich wird, dass dem Vernehmen nach demnächst eine Änderung der Fallgruppen in den VG vorgenommen werden wird. Vor allem sind aus Sicht des Senats auch keine Gründe und auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es die Richtlinien der DOG bzw. die Festlegungen der VG ausschließen wollten, in besonderen Ausnahmefällen einem speziellen Behinderungsbild ausreichend gerecht zu werden.“

Auch die normative Bindungswirkung der VG (vgl. z.B. Francke/Gagel, Der Sachverständigenbeweis im Sozialrecht, 1. Aufl., S. 119, m.w.N. der Rechtsprechung; ferner BayLSG vom 06.11.2012 - L 15 VS 13/08 ZVW) bzw. die intendierte möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe und somit die Ziele einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung sprechen nach Auffassung des Senats wegen der Begrenzung der über den Fallgruppenkatalog hinausgehenden Annahme faktischer Blindheit auf außergewöhnliche Fallkonstellationen nicht entgegen.

Somit sind vorliegend nicht nur die in der Herabsetzung des Visus und der Begrenzung des Gesichtsfelds zum Ausdruck kommende Sehstörung, sondern entsprechend der plausiblen Darlegung von Prof. Dr. C. auch die Blendempfindlichkeit beider Augen und die Schielstellung des rechten Auges zu berücksichtigen. Ob darüber hinaus auch noch die von ihm erwähnte untypische Farbsinnstörung geeignet ist, einen besonderen Ausnahmefall bzw. ein spezielles Behinderungsbild zu begründen, kann vorliegend offenbleiben, da es hierauf nicht mehr entscheidend ankommt; weitergehende Ermittlungen waren daher nicht veranlasst.

Die „seit jeher bestehende Schwachsichtigkeit“ (so der Sachverständige) des linken Auges dürften hingegen nicht hierzu beitragen, da sich die Schwachsichtigkeit unmittelbar in einem niedrigen Visus und ggf. eingeschränkten Gesichtsfeld niederschlägt, also nicht zusätzlich zu den Einschränkungen der Fallgruppen zu berücksichtigen ist. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Annahme eines speziellen Behinderungsbildes in dem vorgenannten Sinn unvertretbar wäre. Denn die genannten zusätzlichen Einschränkungen sind erheblich und stellten eine wesentliche zusätzliche Einschränkung dar. Es ist unbestritten, dass - neben Sehschärfe und Gesichtsfeld - vor allem das räumliche Sehen, das Farbsehvermögen, das Dämmerungs- und Kontrastsehen und die Blendungsempfindlichkeit insoweit eine wesentliche Rolle spielen (vgl. z.B. C., Augenärztliche Begutachtung im sozialen Entschädigungs- und Schwerbehindertenrecht und bei Blindheit, in: MedSach 2012, 5 <8>).

Dass hier ein Ausnahmefall im o.g. Sinn und somit Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der VG bzw. der DOG vorliegt, steht im Übrigen auch nicht das oben erwähnte Urteil des Senats vom 05.07.2016 (L 15 BL 17/12) entgegen. Zwar hat der Senat in dieser Entscheidung festgelegt, dass Voraussetzung für die Berücksichtigung in den speziellen Fällen auch außerhalb der normierten Fallgruppen stets ist, dass feststeht, ob die Visus- und Gesichtsfeldwerte unter die normierten Grenzen herabgesunken sind. Ein allgemeiner, pauschaler Vergleich genügt nicht. Ein solcher Fall ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Anders als in dem der genannten Entscheidung zugrundeliegenden Fall sind (grundsätzlich verlässliche) Messungen und Untersuchungen bei der Klägerin möglich gewesen; lediglich die Plausibilität einzelner Angaben ist hier zu diskutieren. Bei der Klägerin liegt aber weder eine Einschränkung aller Sinnesfunktionen noch eine zerebrale, allgemeine Beeinträchtigung vor. Anders als im Fall der genannten Entscheidung betrifft die Wertung der Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. vorliegend die zusätzlichen Beeinträchtigungen (durch Blendempfindlichkeit und Schielstellung) und nicht die allgemeine Unmöglichkeit, Visusbzw. Gesichtsfeldwerte zu erheben. Die Entscheidung vom 05.07.2016 (a.a.O.) schließt es gerade nicht aus, in wie hier vorliegenden Grenzfällen die Rechtsprechung des Senats (31.01.2013, a.a.O.) zur Annahme von Blindheit außerhalb der normierten Fallgruppen anzuwenden.

Dass vorliegend die Voraussetzungen für die Annahme faktischer Blindheit gegeben sind - im Einzelnen, dass die erhobenen Visus- und Gesichtsfeldbefunde grundsätzlich zutreffend sind (s. im Einzelnen unten) und die Annahme faktischer Blindheit unter Berücksichtigung der zusätzlichen Einschränkung durch die besondere Blendempfindlichkeit und Schielstellung des Auges gerechtfertigt ist - ergibt sich, wie bereits mehrfach betont, aus den genannten Sachverständigengutachten.

Danach leidet die Klägerin jedenfalls an Myopie, Astigmatismus, Makulaektopie, Opticusatrophie und Innenschielstellung (rechts) und untypischer Farbsinnstörung (rechts) sowie Pseudophakie.

Wie sich aufgrund der umfangreichen Befunddokumentation und der übereinstimmenden Beurteilung der Sachverständigen und des Beklagten ergibt, ist die genaue Einordnung der bei der Klägerin bestehenden Augenerkrankungen schwierig. Problematisch bei der Beurteilung der zugrunde liegenden Augenerkrankungen ist u.a., dass infolge der Veränderungen des Vorderabschnitts der Augen und insbesondere der nur relativ kleinen Kapsellücke ein genügend sicherer Einblick in tiefere Augenabschnitte nicht möglich ist, was, wie der Sachverständige Prof. Dr. C. plausibel hervorgehoben hat, auch gleichzeitig zu einer zusätzlichen Funktionseinschränkung führt. Letztlich nicht geklärt werden konnte, ob bei der Klägerin eine Retinopathia pigmentosa (gegebenenfalls in einer seltenen Neumutation) vorliegt. Wie der vom Beklagten beauftragte Ophthalmologe Prof. Dr. U. darauf hingewiesen hat, bleibt es „etwas spekulativ“, ob es sich tatsächlich um eine Stäbchen-Zapfen-Dystrophie handelt. Nicht feststeht auch, ob bei der Klägerin die „etwas untypische“ familiäre exsudative Vitreoretinopathie Criswick-Schepens (vgl. die Darlegungen von Prof. Dr. C.) vorliegt.

Diese Fragen und weiteren Unsicherheiten sind jedoch letztlich nur teilweise beachtlich; die exakten Diagnosen, die der massiven Sehbeeinträchtigung der Klägerin zugrunde liegen, können letztlich offen bleiben. Wie oben im Einzelnen bereits zur Frage des Nachweises der Blindheit dargelegt, sind auch diese diagnostischen Einordnungen im Hinblick auf die grundsätzliche Problematik der medizinisch-wissenschaftlichen Feststellungen (s.o.) nur von sekundärer Bedeutung. Feststeht nach allen Darlegungen durch ophthalmologische Behandler und Gutachter, dass die Klägerin jedenfalls an erheblichen Schädigungen der Retina leidet und dass auch der Nervus opticus geschädigt ist. Wie Prof. Dr. C. nachvollziehbar dargelegt hat, steht eine Verziehung der Stelle des schärfsten Sehens an beiden Augen im Mittelpunkt der Sehbeeinträchtigung der Klägerin; darüber hinaus ist es an beiden Augen zu einer Netzhautablösung gekommen, die operativ versorgt worden ist. Neben einer seit jeher bestehenden deutlichen Sehschärfereduktion ist es zudem in den letzten Jahren zu einer weiteren Verschlechterung gekommen, wobei sich die wesentlichen morphologischen Befunde seit 15.07.2013 höchstens minimal verändert haben.

Auf die diagnostische Einordnung kommt es im Einzelnen nur insoweit an, als sich dadurch Rückschlüsse bezüglich der von der Klägerin angegebenen Sehbeeinträchtigungen ergeben (vgl. z.B. auch die Vorgabe der VG in Teil B, Vorbemerkung Nr. 4, wonach der morphologische Befund die Sehbeeinträchtigung zu erklären hat). Durch die hier festgestellten Diagnosen sind die massiven Sehstörungen der Klägerin zur Überzeugung des Senats, die zur Annahme faktischer Blindheit (gem. Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG) führen, ausreichend begründet, ohne dass die konkrete Einordnung entscheidend wäre. So gesteht selbst der vom Beklagten beauftragte, den Angaben der Klägerin sehr kritisch gegenüberstehende Ophthalmologe Prof. Dr. U. u.a. zu, dass selbst ohne eine „fragliche“ Stäbchen-Zapfen-Dystrophie eine funktionelle Verschlechterung des Sehnerven über die Jahre durchaus durch die von Geburt an bestehende Malformation des Sehnerven zu erklären sei. Im Übrigen ist es auch nicht Sinn eines sozialgerichtlichen Verfahrens, die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft voranzutreiben oder in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen Position zu beziehen, wie der Senat in Übereinstimmung mit dem BSG bereits in zahlreichen Entscheidungen dargelegt hat (vgl. z.B. die Urteile vom 11.07.2017 - L 15 VJ 6/14 - sowie vom 26.09.2017 - L 15 BL 8/14, mit Verweis auf das Urteil des BSG vom 16.09.20107 - 1 RK 28/95). Aus diesem Grund war im Übrigen auch nicht veranlasst, hier noch weiter zu ermitteln.

Im Mittelpunkt der (für den Senat nur Rest-) Zweifel an der Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG, wie sie insbesondere vom Beklagten artikuliert wurden, stehen vielmehr die vorgetragenen Aspekte, nach denen den Angaben der Klägerin zu Visus- und Gesichtsfeld nicht (vollständig) geglaubt werden könne. Dies gilt insbesondere für die unterschiedlichen Visus- und Gesichtsfeldangaben der Klägerin, auf die der Beklagte mehrfach in Übereinstimmung mit den vorliegenden Befunden hingewiesen hat.

Der Senat stellt nicht in Abrede, dass jeweils voneinenader abweichende Visus- und Gesichtsfeldangaben eines betroffenen sehbehinderten Menschen grundsätzlich u.U. durchaus zu gewichtigen Zweifeln führen und letztlich einen Blindheitsnachweis vereiteln können; dies ist in der ständigen Rechtsprechung des Senats auch fest verankert. Mit dem Sachverständigen Prof. Dr. C. und im Ergebnis auch mit Dr. K. geht der Senat jedoch davon aus, dass vorliegend die Angaben der Klägerin der Annahme von faktischer Blindheit im o.g. Sinn nicht entgegenstehen.

Auch wenn der Senat die Angaben der Klägerin anlässlich der Untersuchung bei Prof. Dr. K. im Jahr 2012 durchaus als widersprüchlich und insoweit (besonders wegen der Angaben bei den jeweils unterschiedlichen Abständen am Bjerrumschirm) nur bedingt als glaubhaft ansieht, geht er entsprechend der zutreffenden Feststellung des Sachverständigen Prof. Dr. C. davon aus, dass „deshalb nicht dauerhaft und für alle Zeit an den Angaben … gezweifelt werden“ kann, vor allem, wenn - worauf der Sachverständige ebenfalls zu Recht hingewiesen hat - zahlreiche objektive Befunde und auch der morphologische Befund eindeutig eine ausgeprägte Schädigung dokumentieren. Allerdings sind die Angaben sicherlich kritisch zu hinterfragen, was die Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. auch im Einzelnen getan haben.

Im Ergebnis teilt der Senat die Auffassung von Prof. Dr. C., der die Sehschärfeangaben als glaubhaft betrachtet und „keinerlei Zweifel an den jetzigen subjektiven Angaben zum Gesichtsfeld“ hat.

Wie dieser zutreffend hervorgehoben hat, stehen die Schwankungen bzgl. der Angaben bei beiden Prüfungen dem nicht entgegen.

Nach der plausiblen Darlegung des beauftragten Ophthalmologen ist hinsichtlich der über Jahre hinweg angegebenen stabilen Sehschärfe und dem Abfall ab 2012 u.a. zu berücksichtigen, dass es sich bei den Befunden bis 2012 nahezu ausschließlich um klinische Untersuchungen ohne gutachtliche Bedingungen gehandelt hat. Eine gutachtlich korrekte Sehschärfeprüfung (nach DIN 58220 mit Landoltringen und definiertem Abbruchkriterium) unterscheidet sich erheblich von einer im Rahmen einer augenärztlichen Untersuchung oder Behandlung durchgeführten Prüfung. Es ist daher nicht verwunderlich, dass gutachterliche Ergebnisse mit Landoltringen typischerweise niedriger liegen als Ergebnisse bei letzteren Prüfungen.

Vor allem aber hat der Gutachter festgestellt, dass sich bei der Sehschärfeprüfung im Vergleich von Ferne, Nähe und Vergrößerungsbedarf kein Anhalt für widersprüchliche oder nicht glaubhafte Angaben seitens der Klägerin ergeben hat.

Zudem hat der Sachverständige auch nachvollziehbar dargestellt, dass die Prüfung der Sehschärfe zu einem quantitativen Ergebnis führt, das eine Genauigkeit vorgibt, die in Wirklichkeit nicht existiert, worauf der Senat in seiner Rechtsprechung bereits hingewiesen hat (Urteil vom 16.11.2017 - L 15 BL 12/17). So ist die Sehschärfeprüfung (als subjektive Untersuchungsmethode) keine exakte Messung, bei der nicht einmal bei baldiger Wiederholung stets dieselbe Sehschärfe resultiert. Dies muss erst recht bei späteren Wiederholungen an einem anderen Tag gelten (vgl. d. Problem der „Tagesform“). Der Senat hat - im Ergebnis übereinstimmend nun auch mit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C. - festgestellt (a.a.O.):

„Im Übrigen ist aus Sicht des Senats nicht außer Acht zu lassen, dass jeder Visusbestimmung, also auch der mit den grundsätzlich vorgeschriebenen Landoltringen, eine gewisse Unschärfe eigen ist, die sich durchaus als im Sinn der Blindheitsbegutachtung relevant darstellen kann. Hierzu zählen nicht nur die Fälle von Aggravation im Hinblick darauf, dass es sich bei Visus (und Gesichtsfeld) insoweit um subjektive Befunderhebungen handelt, sondern hinzu kommt auch die Problematik der nur eingeschränkten Reproduzierbarkeit von Sehschärfemessungen. Bekanntlich ist davon auszugehen, dass nur bei einem Drittel aller Wiederholungen eines Tests derselbe Sehschärfewert ermittelbar ist; bei einem Sechstel aller Wiederholungen könnte der Unterschied sogar zwei Visusstufen betragen (vgl. z.B. bereits die Darlegungen von Bach/Kommerell, Sehschärfebestimmung nach Europäischer Norm, in: Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde 1998; 212: S. 190 bis 195).“

In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige auch plausibel auf die vorliegend starken Schwankungen der Angaben zur Brechkraft der Augen der Klägerin hingewiesen. So sind die deutlichen Schwankungen vor allem der Achse der Hornhautverkrümmung links einerseits Ausdruck der durch die erhebliche Trübung der Linsenkapsel hervorgerufenen Einschränkung der Optik dieses Auges, und somit ein zusätzlicher Erklärungspunkt für eine Sehschärfereduktion. Andererseits haben diese Schwankungen, wie der Sachverständige hervorgehoben hat, auch einen möglichen Einfluss auf die Sehschärfe.

Nach den plausiblen Darlegungen von Prof. Dr. C. haben die kurzfristigen Schwankungen der Sehschärfe im Jahr 2014 im Übrigen gar nicht stattgefunden.

Mit dem Sachverständigen geht der Senat auch davon aus, dass die Angaben der Klägerin zum Gesichtsfeld grundsätzlich stimmig sind, auch wenn - worauf der Beklagte, zuletzt in der mündlichen Verhandlung, zutreffend hingewiesen hat - ein schwankender Verlauf dokumentiert ist. Gerade bei einer starken Kurzsichtigkeit ist nach der nachvollziehbaren Darlegung des Sachverständigen eine u.U. sogar erhebliche Gesichtsfeldeinengung manchmal ohne eindeutige Erklärung aber durchaus nicht unüblich.

Vor allem ist bei der Untersuchung durch Prof. Dr. C. von der Klägerin ein nun aber wieder größeres Gesichtsfeld angegeben worden. Auch hier ist jedoch entsprechend den Feststellungen des Sachverständigen zu beachten, dass natürlich neben der Sehschärfe auch das Gesichtsfeld bei verschiedenen Untersuchungen nicht vollkommen identisch ist und gewissen Schwankungen unterliegt. Auch ist zu beachten, dass diese Schwankungen untersuchungsbedingt entstehen können; dass daneben - bei der gegebenen subjektiven Untersuchungsmethode - auch die „Tagesform“ der Klägerin eine gewisse Rolle spielen kann, ist selbstverständlich. Ob das Ausmaß der vorliegenden Schwankungen hiermit vereinbar ist, kann der Senat aufgrund eigener Sachkunde nicht definitiv entscheiden. Der Senat sieht aber keinen Anhalt dafür, dass die plausiblen Darlegungen des anerkannten Sachverständigen insoweit unzutreffend sein könnten; er macht sich auch diese sachverständigen Feststellungen zu eigen.

In diesem Zusammenhang ist freilich auch zu beachten, dass die zahlreichen objektiven Untersuchungsergebnisse sowohl des morphologischen als auch des objektiven Funktionsbefunds (d.h. der elektrophysiologischen Ergebnisse) eindeutig eine ganz ausgeprägte Schädigung der Klägerin dokumentieren (zum morphologischen Befund siehe u.a. bereits oben). Entsprechend der ausdrücklichen Feststellung von Prof. Dr. C. haben die objektiven Befunde eine wie angegeben hochgradige Störung der Sehschärfe erklärt, selbst wenn eine eindeutige Veränderung des Befundes nicht dokumentiert ist. Der Sachverständigen hat jedoch plausibel festgestellt, dass in solchen Fällen angesichts der ohnehin schon bestehenden (starken) Schädigung eine eindeutige Dokumentierung einer solchen Veränderung oft nicht mehr möglich ist.

Dabei ist mit Blick auf die morphologische Situation auch zu berücksichtigen, dass, wie der Sachverständige Dr. K. plausibel darauf hingewiesen hat, unterstellt werden muss, dass die Netzhautdegeneration zugenommen hat. Wegen der massiven strukturellen Vorveränderungen der Netzhaut ist eine weitere Degeneration durch Inaugenscheinnahme nur noch schwer heraus zu differenzieren, d.h. zu erkennen, zumal die Augenhintergrundspiegelung wegen des reduzierten Einblicks (s.o.) bei der Klägerin ohnehin sehr schwierig ist. Wie Dr. K. nachvollziehbar festgestellt hat, ist es also nicht verwunderlich, „wenn dann angesichts der Fülle an Vorschäden bei massiv erschwertem Einblick zusätzliche chronisch-degenerative, also langsam zunehmende Schäden nicht erkannt bzw. nicht dokumentiert“ worden sind. Wie der Sachverständige zutreffend festgestellt hat, bedeutet die Tatsache, dass keine zusätzlichen Fundusschäden in der fraglichen Zeit dokumentiert worden sind, entgegen der Argumentation des Beklagten nicht automatisch, dass sich keine entwickelt hätten. Zudem können sich durchaus funktionelle Verschlechterungen einstellen, ohne dass unbedingt eine sichtbare Strukturveränderung erkennbar sein muss. Im Übrigen ist hinsichtlich der Veränderung des morphologischen Befundes auch auf die Feststellung von Dr. K. zu verweisen, dass allein schon anhand der Abblasung der Papillen sehr wohl eine auch morphologisch sichtbare Veränderung im Sinne einer zunehmenden Degeneration (anhand der Akten) nachvollzogen werden kann.

Wie Prof. Dr. C. plausibel dargelegt hat, gelingt die Einschätzung einer (diffusen) Schädigung der Sinneszellen der Netzhaut am ehesten durch das Ganzfeld-Elektroretinogramm. Doch auch diese objektiven Befunde der elektrophysiologischen Untersuchung haben bei der Klägerin von Untersuchungsort zu Untersuchungsort und auch zwischen den unterschiedlichen Geräten geschwankt. Die Befunde sind jedoch durchwegs im unteren Bereich der Nachweisbarkeit gelegen.

Hinsichtlich des OKN geht der Senat in seiner Rechtsprechung (vgl. z.B. das Urteil vom 26.09.2017 - L 15 BL 8/14, m.w.N.) zwar davon aus, dass eine Auslösbarkeit zu erheblichen Zweifeln an einer niedrig angegebenen Sehschärfe (von nur noch Handbewegungen) Anlass gibt. Solche massiven Zweifel können vorliegend jedoch nicht durchgreifen. Wie der Sachverständige Prof. Dr. C. (im Hinblick auf die Ausführungen von Prof. Dr. U.) plausibel angemerkt hat, ist es bei einem gleichzeitig bestehenden Spontannystagmus grundsätzlich schwierig, den OKN von Letzterem zu differenzieren. Daneben aber ist auch wesentlich, dass vor allem bei vorbestehender Schwachsichtigkeit auch bei erheblich reduzierter Sehschärfe ein Nystagmus auslösbar sein kann. Ferner ist der Reiz einer Nystagmustrommel sehr großflächig und bei Annäherung auch mit einem leicht erkennbaren Strichmuster verbunden, so dass die Auslösbarkeit eines Nystagmus mit einer Trommel eine deutlich bessere als die subjektiv angegebene Sehschärfe nicht sicher beweist. Gerade angesichts einer Sehschärfe im Bereich wie vorliegend von 0,04 bis 0,06 gegenüber früheren Werten von 0,1 oder 0,125 ist der Unterschied nur so gering, dass sich ein solcher auch mit dieser objektiven Untersuchungsmethode nicht beweisen oder ausschließen lässt.

Der Sachverständige Prof. Dr. C. hat aus Sicht des Senats plausibel auch festgestellt, dass das Verhalten der Klägerin nicht gegen ihre subjektiven Angaben gesprochen hat. Bei einem Gesichtsfeld, das bis etwa 16 Grad vom Fixierpunkt erhalten ist, ist ein Betroffener, der sich über Jahre an eine solche Einengung gewöhnt hat, durchaus in der Lage, sich zögernd zu orientieren (und einen Stuhl zu finden oder die Hand zu reichen). Im Übrigen hat der Senat bereits längst entschieden (z.B. Urteil vom 16.09.2015 - L 15 BL 2/13), dass bei der Blindheitsbegutachtung im Rahmen von Plausibilitätskontrollen unter anderem auch Verhaltensbeobachtungen berücksichtigt werden können, dass dabei jedoch zu beachten ist, dass eine Verhaltensbeobachtung grundsätzlich nur eine grobe Einschätzung des Sehvermögens erlaubt. Sie ist grundsätzlich nicht geeignet, zwischen einer hochgradigen Sehbehinderung (im untechnischen Sinne) und einer Blindheit im Sinne des Art: 1 Abs. 2 BayBlindG mit der erforderlichen Zuverlässigkeit zu differenzieren.

Etwas anderes ergibt sich im Übrigen auch nicht aus dem vom Beklagten ins Verfahren eingeführten (Partei-)Gutachten, d.h. der Stellungnahme von Prof. Dr. U. vom 17.06.2015. Dieser hat im Wesentlichen die Glaubwürdigkeit der klägerischen Angaben problematisiert und darauf hingewiesen, dass die Klägerin ihrerseits sehr gutachtenserfahren und insoweit gut beraten sei. Zudem hat er im Einzelnen auf die Möglichkeiten der Beeinflussung elektrophysiologischer Untersuchungen (durch mangelnde Fixation des Bildschirms) thematisiert. Eine solche Untersuchung stoße in einem Fall wie dem der Klägerin „grundsätzlich an Grenzen“. Diese Ausführungen des - erfahrenen - Ophthalmologen sind aber nicht geeignet, die insoweit bestehenden positiven Feststellungen der Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. in Frage zu stellen oder zu entkräften.

Schließlich hindert nach Auffassung des Senats auch die Angabe im Befundbericht vom 14.11.2016, dass die Klägerin mit einem Bildschirmlesegerät und einer elektrischen Lupe gut zurechtkomme, nicht an der Annahme von Blindheit. Denn zur Beurteilung, ob die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG vorliegen, gelten die allgemeinen Regeln (VG Teil B, Vorbem. 4), nach denen es auf den Fernvisus ankommt. Wie der Senat im Urteil vom 26.09.2017 (L 15 BL 8/14) entschieden hat, gilt dies (im Fall einer Makuladegeneration) auch dann, wenn ein (fast) vollständiger Verlust der Lesefähigkeit vorliegt und die Sehschärfe in der Ferne deutlich besser ist. Umgekehrt gilt dies ebenfalls, wenn zwar gelesen werden kann, die Sehschärfe in der Ferne aber schlechter ist. Aus der Tatsache, dass unter Zuhilfenahme klassischer Lesehilfen Sehleistungen in der Nähe noch erbracht werden können, lässt sich nicht schlussfolgern, dass vorliegend die Angaben der Klägerin falsch gewesen wären. Im Übrigen kann dahinstehen, wie die Formulierung des Arztes, die Klägerin komme mit den Geräten gut zurecht, tatsächlich zu verstehen ist.

Entsprechend den nachvollziehbaren Darlegungen der Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. sieht der Senat Blindheit der Klägerin jedoch erst ab dem 23.10.2014, also ab dem Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. K., als nachgewiesen an (vgl. Art. 5 Abs. 2 S. 1 BayBlindG). Vor dem genannten Zeitpunkt ist der Blindheitsnachweis nicht erbracht; hier liegen noch gewichtige Zweifel in o.g. Sinn vor. Die Berufung ist daher insoweit zurückzuweisen.

Die Berufung hat somit im tenorierten Umfang Erfolg. Der Beklagte ist unter Aufhebung der entgegenstehenden Verwaltungsentscheidungen zur Gewährung von Blindengeld ab dem genannten Zeitpunkt zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Leistungen sind zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Leistungen sind auch zu versagen, wenn der Geschädigte oder Antragsteller

1.
an politischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt ist oder war und die Schädigung darauf beruht oder
2.
an kriegerischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt ist oder war und Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß die Schädigung hiermit in Zusammenhang steht, es sei denn, er weist nach, daß dies nicht der Fall ist oder
3.
in die organisierte Kriminalität verwickelt ist oder war oder einer Organisation, die Gewalttaten begeht, angehört oder angehört hat, es sei denn, er weist nach, daß die Schädigung hiermit nicht in Zusammenhang steht.

(2) Leistungen können versagt werden, wenn der Geschädigte es unterlassen hat, das ihm Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung des Täters beizutragen, insbesondere unverzüglich Anzeige bei einer für die Strafverfolgung zuständigen Behörde zu erstatten.

(1) Die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 bestehen nicht, soweit

1.
ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht oder
2.
ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann oder
3.
der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann.

(2) Behandlungen und Untersuchungen,

1.
bei denen im Einzelfall ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann,
2.
die mit erheblichen Schmerzen verbunden sind oder
3.
die einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeuten,
können abgelehnt werden.

(3) Angaben, die dem Antragsteller, dem Leistungsberechtigten oder ihnen nahestehende Personen (§ 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 der Zivilprozeßordnung) die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, können verweigert werden.

(1) Leistungen sind zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Leistungen sind auch zu versagen, wenn der Geschädigte oder Antragsteller

1.
an politischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt ist oder war und die Schädigung darauf beruht oder
2.
an kriegerischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt ist oder war und Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß die Schädigung hiermit in Zusammenhang steht, es sei denn, er weist nach, daß dies nicht der Fall ist oder
3.
in die organisierte Kriminalität verwickelt ist oder war oder einer Organisation, die Gewalttaten begeht, angehört oder angehört hat, es sei denn, er weist nach, daß die Schädigung hiermit nicht in Zusammenhang steht.

(2) Leistungen können versagt werden, wenn der Geschädigte es unterlassen hat, das ihm Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung des Täters beizutragen, insbesondere unverzüglich Anzeige bei einer für die Strafverfolgung zuständigen Behörde zu erstatten.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Leistungen sind zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Leistungen sind auch zu versagen, wenn der Geschädigte oder Antragsteller

1.
an politischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt ist oder war und die Schädigung darauf beruht oder
2.
an kriegerischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt ist oder war und Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß die Schädigung hiermit in Zusammenhang steht, es sei denn, er weist nach, daß dies nicht der Fall ist oder
3.
in die organisierte Kriminalität verwickelt ist oder war oder einer Organisation, die Gewalttaten begeht, angehört oder angehört hat, es sei denn, er weist nach, daß die Schädigung hiermit nicht in Zusammenhang steht.

(2) Leistungen können versagt werden, wenn der Geschädigte es unterlassen hat, das ihm Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung des Täters beizutragen, insbesondere unverzüglich Anzeige bei einer für die Strafverfolgung zuständigen Behörde zu erstatten.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Leistungen sind zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Leistungen sind auch zu versagen, wenn der Geschädigte oder Antragsteller

1.
an politischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt ist oder war und die Schädigung darauf beruht oder
2.
an kriegerischen Auseinandersetzungen in seinem Heimatstaat aktiv beteiligt ist oder war und Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß die Schädigung hiermit in Zusammenhang steht, es sei denn, er weist nach, daß dies nicht der Fall ist oder
3.
in die organisierte Kriminalität verwickelt ist oder war oder einer Organisation, die Gewalttaten begeht, angehört oder angehört hat, es sei denn, er weist nach, daß die Schädigung hiermit nicht in Zusammenhang steht.

(2) Leistungen können versagt werden, wenn der Geschädigte es unterlassen hat, das ihm Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung des Täters beizutragen, insbesondere unverzüglich Anzeige bei einer für die Strafverfolgung zuständigen Behörde zu erstatten.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt die Anerkennung, Opfer schädigender Ereignisse in Form von sexuellem Missbrauch zwischen 1966 und 1978 geworden zu sein und infolgedessen unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bzw. einer rezidivierenden depressiven Störung und schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen zu leiden.
Die am ... Januar 1962 geborene Klägerin zog im Alter von 16 Jahren aus dem Elternhaus aus, wo sie bis dahin mit zwei älteren und einem jüngeren Bruder aufgewachsen war. Sie machte den Hauptschulabschluss, danach zunächst eine Ausbildung zur Kinderpflegerin, später zur Wochenpflegerin, Arzthelferin und Krankenschwester. Im Jahr 1980 heiratete sie und bekam drei Kinder, geboren 1981, 1984 und 1988. Sie war erwerbstätig als Arzthelferin, als Nachtwache im Krankenhaus, als Kinderpflegerin und als sozialpädagogische Familienhelferin. 1985 kollabierte sie während eines Nachtdienstes, litt anschließend unter Schlafstörungen, Kraftlosigkeit, Appetitstörungen und machte eine Kur in Bad S. wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände und damals fraglicher depressiver Episode. 1992 führte sie eine Mutter-Kind-Kur in C. wegen starker Erschöpfung durch, ob eine depressive Episode vorlag, ist nicht unbekannt (GA Dr. F. Bl. 68 SG-Akte). Sie machte zahlreiche Fortbildungen: Im März 2004 bildete sie sich im Selbststudium zur beratenden Kinderpsychologin (nicht anerkannt) fort, im selben Jahr besuchte sie den Fachtag Dokumentation und Beobachtung in der offenen Kita-Arbeit, 2007 den Fachtag Suchtprobleme am Arbeitsplatz, wurde Betriebshelferin für Erste Hilfe, nahm an einer Veranstaltung zum Thema: „riskante Kinderwelten brauchen Schutz“ teil, am Fachtag Suchtprävention, am G.-V. Kinder und Jugendliche in der Schule, 2008 am Fachtag frühe Hilfen im O. sowie an der Fortbildung: „Risikoverhalten in der Pubertät“.
Im Jahr 2006 wurde die Ehe geschieden. Von 2008 bis 2013 führte die Klägerin eine Klage vor dem Amtsgericht H. (AG) wegen nachehelichen Ehegattenunterhalts, in dessen Verlauf sie zwecks Feststellung des Umfangs ihrer Erwerbsfähigkeit mehrfach u. a. von PD Dr. F. (aufgrund der partiellen Amnesie könne die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden, es spräche mehr gegen die Diagnose einer PTBS) begutachtet wurde. Seit 1. Februar 2009 bezieht sie unbefristet Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (Bescheid Bl. 62 VV), zwischenzeitlich auch eine bis 2015 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung (Entlassbericht Bl. 137 Senatsakte). In seinem Gutachten für die D. R. vom 28. April 2009 stellte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. die Diagnosen einer PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, eines psychophysischen Erschöpfungszustands und einer reaktiven Depression. Über die ersten 16 Jahre ihres Lebens habe die Klägerin keine Erinnerung, was sie berichte, habe sie von Angehörigen erfahren. Im Alter von drei Jahren habe sie wohl an einer Enzephalitis und Meningitis gelitten, Unterlagen gebe es in der Kinderklinik in G. nicht mehr. Anschließend seien regelmäßig Elektroenzephalogramme (EEGs) abgeleitet worden und sie habe bis etwa zum 15. Lebensjahr Mylepsinum einnehmen müssen. Ihr sei berichtet worden, sie habe von 1968 bis 1977 die Grund- und Hauptschule in D. besucht. Man habe ihr berichtet, sie habe keine Klassenarbeiten mitschreiben dürfen, da sie sich nicht aufregen oder freuen dürfe.
Nach der Geburt ihres Sohnes K. 1984 sei sie Anfang 1985 während eines Nachtdienstes zusammengebrochen. Sie sei zur Kur nach Bad S. gekommen. Darüber gebe es keine Unterlagen. Nach der Schwangerschaft mit ihrer Tochter 1988 habe sie ein „normales“ Leben gelebt. Bis 1994 sei sie psychisch relativ stabil gewesen, sie habe „funktioniert“. Im Rahmen einer schweren Erkrankung ihres Sohnes K. - schwere Operation mit protrahiertem Verlauf nach Platzen eines Meckel´schen Divertikels - sei der Verdacht entstanden, die Heilung des Sohnes verzögere sich oder werde unmöglich durch ihre eigenen Ängste. Daraufhin sei sie zu Dr. T. in Psychotherapie gegangen. Im Dezember 1995 sei ihr Vater gestorben und habe ihr zuvor am Sterbebett eröffnet, sie sei vom Liebhaber ihrer Mutter sexuell missbraucht worden. Anschließend habe sie sich in Therapie bei Psychotherapeutin (nach dem Heilpraktikergesetz - HPG) C. begeben. Im Rahmen der Therapie habe sich herausgestellt, dass sie wohl innerfamiliär in der Kindheit über Jahre hinweg sexuelle Missbrauchserfahrungen erlitten habe, in deren Folge es zu Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen gekommen sei.
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. stellte in seinem Gutachten für das AG vom 9. November 2008 die Diagnosen histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen (ICD-10 F 60.4, F 43.1), berichtete depressive Stimmungsschwankungen und zurückliegende Essstörung (derzeit nicht aktuell). Allgemeine Erschöpfungszustände, Stimmungsschwankungen und zugleich eher fahrige Schilderungen ließen sich unter einer histrionischen Strukturierung einordnen. Zwar kämen dissoziative Störungen auch bei einer PTBS vor, der anamnestische Kontext spreche aber weniger für die Zuordnung zu einer PTBS. Anhaltende Erinnerungen, eindeutiges und spezifisches Wiedererleben eines früheren Traumas, aufdringliche Nachhallerinnerungen würden nicht berichtet, auch kein Vermeidungsverhalten, etwa gegenüber Situationen, die Flashbacks hervorriefen oder mit der Belastungssituation in Zusammenhang gebracht würden. Sie berichte über gynäkologische Untersuchungen, die ganz komisch gewesen seien. Es sei ihr noch völlig unklar, was überhaupt passiert sei. Ihre Amnesie werde inzwischen nur partiell durchbrochen, sie habe viel erfahren, was für andere unvorstellbar sei. Hierbei assoziiere sie allerdings weniger eigene Missbrauchserfahrungen als vielmehr die Besonderheiten in ihrer Familienstruktur, die „Männerbeziehungen“ der Mutter, wo auch noch „der Vater gegenüber“ gesessen habe. Auffällig sei, dass sie - im Zusammenhang etwas abrupt - darauf zu sprechen gekommen sei, vom Vater nicht missbraucht worden zu sein.
Gegenüber dem Gutachter Dr. S. gab die Klägerin am 8. September 2008 an, sie habe bis zum 16. Lebensjahr überhaupt keine Erinnerung an ihr Leben. Das sei alles nur erforscht und berichtet.
PD Dr. F. stellte in seinem Gutachten vom 25. Oktober 2010 an das AG die Diagnose einer PTBS, differentialdiagnostisch einer generalisierten Angststörung. Das Trauma-A-Kriterium sei durch die psychiatrische Exploration nicht zu beweisen. Es bestünden deutliche Hinweise auf eine frühkindliche Traumatisierung. Aufgrund der Amnesie könne jedoch die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden. Ein False-memory-Syndrome liege nicht vor, denn die Symptomatik sei nicht durch genaue Befragungen und Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen, sondern durch die Berichte des sterbenden Vaters ausgelöst worden. Bis zum Alter von 16 Jahren habe sie zunächst keinerlei Erinnerungen an ihr Leben gehabt. Alles was sie heute wisse, seien Inhalte aus Erzählungen anderer und Erinnerungsbruchstücke, die sie in langen Jahren der Psychotherapie mit plötzlich einschießenden Bildern und nachfolgendem intensivem Nachforschen erfahren habe. Sie habe keinen Sport und keine Prüfungen machen dürfen, da man unter jeder Art von Stress einen epileptischen Anfall befürchtet habe. Die Kommunion habe sie allein erhalten, der Pfarrer habe die Beichte bei ihr zu Hause abgenommen. Sie habe teilweise bis zu 15 Medikamente bekommen. Mit 12 oder 13 Jahren sei sie innerhalb des Hauses zu ihren Großeltern mütterlicherseits gezogen und von diesen weiter aufgezogen worden. Mit 16 sei sie zu Hause ausgezogen, seitdem habe sie regelmäßige Erinnerungen an ihr Leben. Bis 1995 habe sie keine Alpträume und keine belastenden Bilder, die sie überfielen, gehabt. Ihr Vater habe ihr kurz vor seinem Tod viel Belastendes aus ihrer Kindheit und Jugend erzählt. Er habe berichtet, Onkel H. habe ihr etwas Schlimmes angetan, er habe ihr weh getan und etwas getan, was man Kindern nicht antun sollte. Er, der Vater, habe sie nicht schützen können, nicht den Mut gehabt und sich in seine Arbeit gestürzt. Es habe viele wechselnde Liebhaber der Mutter gegeben. Diese seien nach Vermutung der Klägerin ebenfalls fragliche Täter sexuellen Missbrauchs an ihr. Die Berichte ihres Vaters hätten einige Bilder zusammengeführt, die in ihrem Kopf gewesen seien und mit denen sie bis dahin nichts habe anfangen können. Leider erinnere sie sich heute nicht mehr genau an alles, was ihr Vater ihr erzählt habe. Nach dem Tod des Vaters seien ihr immer wieder belastende Bilder in den Kopf gedrängt. Inzwischen erinnere sie sich an mehrfachen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Sie habe eine Erinnerung an eine Vergewaltigung, gegen die sie sich gewehrt habe, als er sie im Schlafzimmer der Eltern aufs Bett gelegt und festgehalten habe. Sie habe ihn gebissen und versucht, ihn zu schlagen. Während der einschießenden Bilder höre sie oft seine Sprüche von Onkel H.. Er habe sie „Bettchen“ genannt, wenn sie zu ihm habe kommen sollen. Er habe gesagt, sie solle zu ihm kommen, um eine „Spritztour“ zu machen. Das sei ein Synonym für sexuelle Handlungen gewesen. Im Alter von 5 Jahren habe sie sich beim Arzt geweigert, sich auszuziehen. Ihre Mutter habe zu dem Arzt gesagt, er müsse sagen, sie solle „Striptease“ machen, dann würde sie sich ausziehen. Daher denke sie, dass zu diesem Zeitpunkt schon vieles vorgefallen sei, was mit sexuellem Missbrauch zu tun habe. Zur späteren Narkose bei der Tonsillektomie habe man sie festhalten müssen, weil sie getobt habe. Sie habe auch Erinnerungen an sexuelle Belästigungen der Haushälterin und der Freundin ihres Bruders durch Onkel H. sowie sexuelle Handlungen zwischen diesem und der Mutter auf der Wohnzimmercouch, während sie, ihre Geschwister und der Vater anwesend gewesen seien. 1996 habe sie Onkel H. gesucht, aber nicht gefunden. Ihre Familie sei nicht bereit gewesen, über die Vergangenheit zu sprechen, habe gesagt, dass sie verrückt sei. 2003 habe sie den Kontakt zu ihrer Primärfamilie aufgrund der immer vermehrt auftretenden Kindheitserinnerungen abgebrochen. An aktuellen Beschwerden habe sie berichtet, belastende Bilder würden einschießen. Sie sehe z. B. die Gestalt ihrer Patentante, auch Onkel H. mit dunklen Haaren, sehe seine Hände, höre seine Stimme. Sie habe auch schon die Form einer Flasche gesehen. Nachforschungen hätten ergeben, dass dies eine Whiskyflasche der Marke „Racke rauchzart“ sei. Ihre Mutter habe oft gesagt, sie müsse noch „Racke rauchzart“ kaufen. Sie sehe Bilder von sich im Kindes- und Jugendalter aus verschiedenen Perspektiven, neben sich, über sich oder aus ihren eigenen Augen, als sei sie selbst beteiligt. Sie habe sich in einer Ecke mit einer Decke über sich gesehen, so als habe sie sich schützen wollen. Sie habe auch immer wieder Bilder aus einem Behandlungszimmer in einem Krankenhaus gesehen. Wenn sie viele Bilder von sexuellem Missbrauch überfielen, hätten diese oft mit Onkel H. zu tun. Einmal habe sie während der Begutachtung berichtet, ein Bild würde immer wieder kommen und dann vor ihren Augen stehen bleiben. Es habe mit einem sexuellen Missbrauch an ihr zu tun, genauer könne sie es nicht beschreiben.
2004 nahm sie den dritten Vornamen P. an, 2007 machte sie diesen dritten Vornamen zum Rufnamen, nahm zwei weitere Vornamen an und behielt den Ehenamen als Nachnamen, heißt somit nun nicht mehr B. B., sondern P. D., geb. D..
Die Klägerin litt im Kleinkindalter an einer Meningoenzephalitis (Gehirnentzündung/Hirnhautentzündung) im Alter von drei Jahren, weshalb bis zum 16. Lebensjahr eine Therapie mit Primidon, einem Antikonvulsivum, durchgeführt wurde (Bericht Epilepsiezentrum K. vom 26. September 1993, betr. den Sohn der Klägerin K. D., Anlagenkovolut zur AG-Akte). Sie führte in den Jahren 1984 und 1992 stationäre Reha-Maßnahmen wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände durch. Vom 19. Dezember 2000 bis 4. Januar 2001 war sie in stationärer psychotherapeutischer Behandlung in der H. Bad Z., wegen eines Erschöpfungszustands infolge von „harter Arbeit in ambulanter Psychotherapie“, in der sie traumatische Erlebnisse in ihrer Kindheit bearbeitet habe. Dort wurde die Diagnose einer rezidivierenden mittelgradigen depressiven Störung und die Verdachtsdiagnose einer psychogenen Amenorrhoe seit 1998 gestellt (Bl. 14 VV). Ab Mai 1994 führte sie eine Psychotherapie bei Dr. T., Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, durch, seit August 1996 bei M. C., Psychotherapeutin nach dem HPG (ohne Kassenzulassung). Frau C. gab in einer Stellungnahme vom 15. August 2008 gegenüber dem Beklagten an, die Klägerin leide an Depressionen infolge schwerer Anpassungsstörungen, aufgrund über Jahre fortgesetzter schwerster Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, in deren Folge es zu Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen gekommen sei. Als Kind seien ihr Psychopharmaka, zeitweilig in Verbindung mit Alkohol, verabreicht worden. Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit März 2008 anerkannt (Bescheid vom 17. Dezember 2008, Bl. 23 VV).
10 
Am 4. Februar 2009 stellte sie über den Weißen Ring einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Der Weiße Ring gab darin an, die Klägerin sei in ihrer Kindheit Opfer eines schweren sexuellen Missbrauchs geworden. Dies führe dazu, dass sie an ca. 16 Lebensjahre keine Erinnerung habe. In langjährigen Therapien seien als Ursache hierfür Geschehnisse in der Kindheit ermittelt worden. In ihrem Antrag gab die Klägerin als schädigendes Ereignis an: sexueller Missbrauch, ca. 1965 – 1978, “als Gesundheitsstörung eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Amnesie von ca. 16 Lebensjahren, keine Zeugen, Namen der schädigenden Personen nicht bekannt“. Mit Bescheid vom 23. März 2009 wurde der Antrag abgelehnt (Bl. 28 VV). Es sei nicht objektiv nachgewiesen, dass die Klägerin Opfer einer Gewalttat geworden sei. Die Beweiserleichterung für den Fall, dass unverschuldet kein Nachweis erbracht und keine Zeugen benannt werden könnten, greife nicht ein, weil die Klägerin den Sachverhalt aufgrund der Amnesie nicht aus eigener Erinnerung beschreiben könne. Die ärztlichen Befundberichte reichten für eine Beweisführung nicht aus, weil aus dem vorliegenden psychiatrischen Störungsbild keine Rückschlüsse auf ein spezifisches Ereignis gezogen werden könnten und kein Profil psychiatrischer Symptome eindeutig auf eine traumatische Vergangenheit hinweise.
11 
Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr. E. vor (Bl. 57 VV), der sie seit 1997 betreute. Demnach stehe im Vordergrund der zweimal monatlichen Konsultationen ein psycho-physischer Erschöpfungszustand bei posttraumatischer Belastungsstörung nach kindlicher Missbrauchserfahrung. Sie könne sich an Einzelheiten in ihrer Kindheit und Jugend nicht erinnern. Diese seien erst nach mehrjährigen mehrfachen Psychotherapien in einem extrem belastenden Prozess wieder aufgetaucht. Sie leide häufig unter ausgeprägter körperlicher Schwäche und somatischen Beschwerden ohne somatisches Korrelat, Bauchschmerzen, Leistenschmerzen, Schmerzen im linken Bein und Sensibilitätsstörungen in der linken Gesichtshälfte. 1999 habe sie bis auf 42 kg abgenommen und in den letzten Jahren bis auf 75 kg zugenommen. Beim Neurologen und Psychiater S. war sie seit 2001 nur in mehrjährigen Abständen. 2001 nahm sie an einer geleiteten Frauengruppe des Vereins „A.“ mit dem Anliegen, eigene Selbstzweifel bezüglich ihrer Gewalterfahrungen zu klären, teil (Bl. 61 VV). Weiterhin legte sie eine Stellungnahme der Frau C. vom 13. Oktober 2009 (Bl. 88 VV) vor. Darin schildert diese die „Geschichte“ der Klägerin, die nicht in der Lage sei, selbst darüber zu berichten. Seit dem Tod des Vaters, der ihr auf dem Sterbebett über Familiengeheimnisse berichtet habe, seien sie und ihr Sohn immer kränker geworden, ohne dass die Ärzte hätten sagen können, was ihr fehle. Der kleinen B. sei ein absolutes Redeverbot unter Androhung härtester Strafen auferlegt worden. „…H. ist der offizielle Liebhaber der Mutter und thront ab 1962 im Wohnzimmer auf dem Sofa neben der Mutter, vor sich eine Flasche Whisky. … Ab kleinster Kindheit (ca. 4 - 5 Jahre) wird P. vom Liebhaber H. sexuell missbraucht. Sie wird auch in fremde Häuser gebracht, man gibt ihr Alkohol und Medikamente, damit sie ruhig bleibt. … Sie wird oral und anal vergewaltigt, regelmäßig, von verschiedenen Männern, wird zeitweise währenddessen fixiert, wird eingesperrt. Andere Kinder sind auch dabei, auch manchmal ihr Bruder M., vor allem eine gleichaltrige Tochter von H.. … Eine zweite Frau scheint allgegenwärtig im System und dokumentiert alles, wie wenn es ein Experiment wäre: Tante G., Schwester des Vaters (medizintechnische Assistentin in einem Versuchslabor). Bei vielen „Experimenten“ an den Kindern waren die Männer als Arzt verkleidet (weißer Kittel und Stethoskop). Damit keine Informationen über die Familie nach außen drängen, werden Kontakte zu anderen Kindern unterbunden, B. darf nicht zum Sport, alles mit der Erklärung, das Kind sei psychisch labil, hätte epileptische Anfälle. Mit 12 Jahren wird B.-P. schwanger, unter dem Vorwand einer Blinddarmoperation wird sie nach N. zu Tante K. gebracht, wo sie „operiert“ wird, wo eine Abtreibung vorgenommen wurde…“. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück (Bl. 83 VV).
12 
Am 10. Juni 2010 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihre Mutter habe an den Missbrauchshandlungen mitgewirkt. Sie selbst habe an ihre ersten 15 bis 16 Lebensjahre kaum oder lediglich bruchstückhafte Erinnerungen. Im Rahmen sogenannter Flashbacks habe sie mit ihrer Therapeutin in langjähriger Therapie zahlreiche Vorfälle sexuellen Missbrauchs zusammentragen können. Ihr Bruder M., dessen Aufenthaltsort sie nicht kenne, sei bei den sexuellen Übergriffen zum Teil zugegen gewesen und habe am Sterbebett des Vaters dessen Berichte mitgehört. Sie habe alles Zumutbare zur Sachverhaltsaufklärung getan, so dass die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG eintrete. Die bei ihr vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ergäben eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für sexuellen Missbrauch, auch die nur bruchstückhafte Erinnerung. Dies sei durch Gutachten belegt.
13 
Frau C. hat in ihrer Auskunft an das SG vom 7. Januar 2011 angegeben, es bestehe der Verdacht auf eine PTBS nach ICD-10 F 43.1 und der Verdacht auf dissoziative Amnesien sowie dissoziativen Stupor und dissoziative Bewegungsstörungen nach ICD-10 F 44.0, F 44.2.0 und F 44.7. Man müsse davon ausgehen, dass diese dissoziativen Zustände zur Zeit der Traumatisierung als emotional-physiologische Notlösung des Gehirns entstanden seien, das sonst keine Möglichkeit gehabt habe, die massiven, sadistisch geprägten sexuellen Übergriffe zu bearbeiten. Die ursprüngliche Symptomatik habe bereits darauf hingedeutet, dass sie an den Folgen einer langjährigen schwersten Traumatisierung leide. Zur Stabilisierungsphase habe der totale Bruch mit der Ursprungsfamilie mit Namensänderung 2007 gehört. Ab 1998 seien Erinnerungsfetzen an die Oberfläche gekommen, die allerdings nicht sprachlich, dafür aber mit nonverbalen Methoden hätten aufgedeckt werden können. Bis vor 1 – 2 Jahren habe noch das Redeverbot auf der Klägerin gelastet. Die Schaffung eines Zugangs zum Traumamaterial habe nur mit Hilfe von Psychopharmaka verkraftet werden können, jetzt sei die Klägerin teilweise abhängig von Benzodiazepinen, um sich gegen überflutende traumaartige Bilder zu wehren und schlafen zu können. Bis heute könne keine Traumaexposition durchgeführt werden, weil mit einer erneuten Destabilisierung zu rechnen sei. Die wiederholten Explorationen zur Erstellung von Gutachten hätten jeweils eine schwerwiegende Retraumatisierungssymptomatik provoziert. Die Scheidung 2005 habe neue Belastungsfaktoren in Form einer Unterhaltsklage mit sich gebracht. Im Hintergrund der vorliegenden Auseinandersetzung stehe das Bedürfnis, mit ihrer Geschichte gehört und anerkannt zu werden, damit ihr existentielles Bedürfnis nach Gerechtigkeit gestillt werden könne.
14 
Das SG hat die Klägerin in mündlicher Verhandlung am 16. September 2011 gehört (Niederschrift Bl. 88 SG-Akte). Sie hat angegeben, nach konkreten Erinnerungen an ihre Kinder- und frühe Jugendzeit befragt, könne sie sich tatsächlich nicht an Details, d. h. Gesichter oder Räumlichkeiten oder Sachverhalte erinnern. Vielmehr habe sie aus Erzählungen Dritter, z. B. zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, die sie im Kinder- und Jugendalter gehabt habe, Informationen erhalten. Diese halte sie für die Realität. Hierauf beschränkten sich letztlich ihre “Erinnerungen“ an diese Zeit. Da sie ab dem dritten Lebensjahr wegen ihrer angeblichen Erkrankungen mit Medikamenten versorgt worden sei, nehme sie an, dass die an ihr verübten Taten zu diesem Zeitpunkt begonnen haben müssten.
15 
Das SG hat den Bruder der Klägerin, den Zeugen R.-M. B., Rufname M., und die Haushälterin der Familie, die Zeugin B. S., durch einen ersuchten Richter beim Sozialgericht S. vernehmen lassen. Die Mutter der Klägerin hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Der Zeuge B. hat in seiner Vernehmung angegeben, die Klägerin habe ca. 1964 eine Hirnhautentzündung gehabt und sei dadurch sehr zurückgeworfen gewesen, in der Schule und so. Das habe sich erst in der Lehre gebessert. Sein Vater habe nach 18 Uhr ein Bier oder ein Glas Wein getrunken, er habe ihn aber nicht betrunken erlebt. Die Hausangestellte sei nur stundenweise gekommen. Onkel H., ein weitläufiger Verwandter seines Vaters, habe nicht im Haus gewohnt. Seines Wissens seien keine sexuellen Handlungen an der Klägerin vorgefallen, er habe auch nichts hierüber gehört. Von einer Schwangerschaft der Klägerin ca. 1974 wisse er nichts. Sein Vater habe vor seinem Tod eine Lebensbeichte abgelegt, alles vom Krieg bis zu seinem Sterbedatum erzählt. Über die Klägerin habe er nicht gesprochen. Onkel H. sei öfter nach Feierabend zu Besuch gewesen, allerdings habe er, der Zeuge, da nicht mehr zu Hause gelebt. Gegenstand der Lebensbeichte des Vaters sei auch gewesen, dass der jüngere Bruder M. nicht sein Sohn, sondern Onkel H. dessen Vater sei. Die Zeugin S. hat bekundet, sie habe sich meist abends stundenweise um die Klägerin gekümmert. Onkel H. sei gelegentlich dort im Haus gewesen. Zu einem sexuellen Missbrauch könne sie nichts sagen, weder aus eigenen Wahrnehmungen noch vom Hörensagen. Zu einer Schwangerschaft der Klägerin Mitte der Siebziger Jahre könne sie keine Angaben machen. Sie sei zu diesem Zeitpunkt noch regelmäßig dort gewesen. Ihr sei nichts aufgefallen. Sie habe bis heute Kontakt zur Mutter der Klägerin und dem jüngeren Bruder M..
16 
Die Klägerin hat Fotos vorgelegt (Bl. 253 SG-Akte), auf denen eine von ihr als Onkel H. bezeichnete männliche Person auf einem Sofa neben der Mutter sitzt, neben der Klägerin – beide rauchend – den Arm um sie legend, stehend neben der Zeugin S., die den Arm um ihn legt, Urlaubsbilder und Bilder ihrer Trauung, bei der sie neben Onkel H. zu sehen ist.
17 
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22. März 2013 abgewiesen. Ausgangspunkt für die Feststellung eines schädigenden Ereignisses sei das Vorbringen der Klägerin. Bei ihr bestünden an den fraglichen Zeitraum, mithin auch an die geltend gemachten Taten, keine konkreten Erinnerungen. Vorhanden seien lediglich die im Rahmen der Psychotherapie bei Frau C. zutage geförderten bruchstückhaften Erinnerungen, die sich als einschießende Bilder mit belastender psychischer Reaktion darstellten. Dabei sei klar, dass es sich bei den Bildern, die der Klägerin spontan vor Augen träten, nicht um Erinnerungen an konkrete Geschehensabläufe in der Vergangenheit handele, sondern um bildhaft innerpsychische Vorgänge, die einer Interpretation bzw. Deutung bedürften. Daher sei nicht die Frage, ob die Angaben der Klägerin überzeugend und glaubhaft seien, sondern ob diese den Schluss zuließen, dass sich die geltend gemachten Geschehensabläufe tatsächlich zugetragen hätten. Dies sei nach dem Beweisergebnis nicht der Fall. Es schließe sich der Beurteilung des PD Dr. F. an, der dargelegt habe, dass die einschießenden Bilder nicht den zwingenden Schluss zuließen, das sich der Missbrauch so zugetragen und daher nur die Verdachtsdiagnose einer PTBS gestellt habe. Die entgegenstehende Stellungnahme der behandelnden Psychotherapeutin, die keine Facharztausbildung habe und deren Stellungnahmen jegliche professionelle Distanz vermissen ließen, hätten dagegen nicht überzeugt. Die Angaben der Klägerin außerhalb des Kerngeschehens hätten sich ebenfalls nicht bestätigen lassen, so das Vorbringen, ihr Bruder M. sei zugegen gewesen, als ihr Vater auf dem Sterbebett Hinweise auf die Missbrauchshandlungen gegeben habe. Auch das Kerngeschehen, nämlich dass ihr Bruder M. teilweise bei den Missbrauchshandlugen zugegen gewesen sei, habe dieser nicht bestätigt. Die Zeugin S. habe das Klagevorbringen ebenfalls nicht bestätigt, wobei nichts gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben spreche. Die vorgelegten Fotos bewiesen zwar ein gewisses Näheverhältnis der abgebildeten Personen, aber nichts darüber hinaus. Die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG führe zu keinem anderen Ergebnis, da die Klägerin ausdrücklich zugebe, keine Angaben machen zu können, da sie sich nicht erinnere. Es halte die Schilderung der Klägerin hinsichtlich der einschießenden Bilder und des angegebenen Inhalts durchaus für glaubhaft. Dies ändere nichts daran, dass mit diesen Bildern nicht der Nachweis eines tatsächlichen Geschehensablaufs in der Vergangenheit geführt werden könne.
18 
Gegen das am 16. April 2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Mai 2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Die Zeugen seien nicht glaubwürdig. Der Zeuge B. habe nicht bekennen wollen, selbst Missbrauchsopfer zu sein. Er habe ihr einen Brief geschrieben und erklärt, „…auch ich habe mir in den letzten Jahren die gleichen Fragen gestellt, wie du“. Die Zeugin S. habe sich in einem Interessenkonflikt befunden. Die vorgelegten Fotos belegten eindeutig einen mehr als vertrauten Umgang zwischen ihrer Mutter, Onkel H. und ihr selbst. Sie habe durchaus Erinnerungen, verspüre aber ein innerliches Redeverbot im Sinne eines Schweigegebots. Mit Schriftsatz vom Juni 2014 hat sie über ihre neue Bevollmächtigte mitgeteilt, einige Vorgänge schildern zu können. Sie erinnere sich an einen Urlaub in einem Waldgebiet, den sie gemeinsam mit ihrer Mutter und Onkel H. verbracht habe. Man habe in einer gemieteten Hütte gewohnt. Onkel H. habe sie im kindlichen Alter gebadet und danach ihre Genitalien untersucht. Sie erinnere sich an einen Übergriff im Gartenzimmer am Ende des Elternhauses. Onkel H. sie damals dort im kindlichen Alter aufgesucht, sei zu ihr ans Bett gekommen und habe ihr etwas aus einem Schnapsglas zu trinken gegeben. Er habe sich zu ihr ins Bett gelegt und sie am Körper berührt. Sie sei unbekleidet zurückgeblieben und habe in den Morgenstunden starke Übelkeit verspürt. Im Alter von 14 Jahren hätten sich die Übergriffe des Onkels gesteigert. An einem Tag habe sie sich im Schlafzimmer der Eltern befunden. Onkel H. habe das Zimmer betreten, sie gepackt, auf die Bettseite der Mutter geworfen und sich auf sie gelegt. Er habe ihr im Alter von 14 Jahren die Arme festgehalten und einen Zungenkuss gegeben. Sodann habe er sie gegen ihren erkennbaren Willen zwischen den Beinen berührt. Erst durch die massive Gegenwehr habe er von ihr abgelassen.
19 
Die Klägerin beantragt,
20 
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 aufzuheben und eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen,
21 
hilfsweise, eine rezidivierende depressive Störung bei aktuell nicht vorhandener depressiver Episode und unter schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen.
22 
Der Beklagte beantragt,
23 
die Berufung zurückzuweisen.
24 
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig. Der Rückschluss von einer Diagnose auf ein ursächliches schädigendes Ereignis sei nicht möglich. Es gebe keine Zeugenaussagen, die die behaupteten Missbrauchshandlungen bestätigten.
25 
Zuletzt hat die Klägerin einen Behandlungsbericht von Dr. E., Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über ambulante Behandlungen am 2. Oktober sowie 6. und 18. November 2014 vorgelegt. Darin wird eine stationäre Traumatherapie empfohlen, deren Voraussetzung aber eine stabile Abstinenz von Benzodiazepinen und kein laufendes Rentenverfahren sei. Die Klägerin strebe die Verlängerung der 2015 auslaufenden Rente wegen voller Erwerbsminderung an. Einen zunächst gestellten Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens hat die Klägerin zurückgenommen.
26 
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 21.04.2015 gehört. Sie hat bekundet, sie könne nunmehr Vorfälle schildern, an die sie sich erinnere. Diese habe ihr nicht ihr Vater berichtet. Der schlimmste Vorfall sei im Alter von ca. 10 Jahren gewesen. Sie habe, bekleidet mit einem Unterhemd, auf einem Tisch gekniet und ein Mann, sie wisse nicht wer, habe einen Finger in ihre Scheide eingeführt. Sie erinnere sich daran, dass Onkel H. wiederholt verlangt habe, dass sie ihre Unterhose ausziehe, um zu sehen, ob sie sauber sei. Er habe sie oft in ihrem Kinderzimmer aufgesucht, ohne dass jemand dies bemerkt habe. Sie könne sich erinnern, mehrfach in ihrem Zimmer in eine Decke gehüllt sitzend aufgewacht und nicht mehr in ihrem Bett gewesen zu sein. Onkel H. habe sein Auto hinter dem Haus geparkt. Er habe auch einen Hausschlüssel gehabt. Als sie ein anderes Zimmer näher bei ihren Großeltern bezogen habe, habe Onkel H. öfter mit ihr sog. Spritztouren gemacht, d. h., er habe sie im Auto mitgenommen. Sie sei mehrmals mit ihrer Mutter und Onkel H. ohne ihren Vater in den Urlaub gefahren. Dort habe Onkel H. sie oft gebadet und gewaschen. Als sie 12 Jahre alt gewesen sei, habe er ihr einmal auf der Strandpromenade die Schleifen der Bikinihose aufgezogen und sie habe ohne Hose dagestanden. Sie könne sich erinnern, dass sie ihn habe anfassen müssen. Er sei ausgezogen gewesen und sie habe sein Glied streicheln müssen. Er sei auch mehrfach, wohl mit den Händen, in sie eingedrungen. Er habe große, stark dunkel behaarte Hände gehabt, wie ein Affe.
27 
Bei der angeblichen Blinddarmoperation im Alter von 12 Jahren sei sie gynäkologisch untersucht worden, obwohl sie nicht weit entwickelt gewesen sei. Sie habe danach eine kleine Narbe gehabt und eine Menstruationsblutung. Man habe ihr erklärt, wie sie eine Binde verwende.
28 
Es habe ein Redeverbot gegeben. Onkel H. habe gesagt, wenn sie ihrer Mutter etwas erzähle, müsse diese sterben. Sie habe das geglaubt, weil ihre Mutter Herzanfälle gehabt habe und sie von ihr abgeschirmt worden sei. Man sei öfter über die sog. Lügenbrücke im Ort spazieren gegangen und ihr sei gesagt worden, wenn sie lüge, breche die Brücke zusammen. Im Alter von ca. 8 Jahren habe sie ihrem Kindermädchen, der Zeugin S., berichtet, dass sie Blut in der Unterhose habe. Diese habe gesagt, das müsse vom Schaukeln kommen. Sie habe auch öfter gesagt, sie wisse ja Bescheid, müsse doch aber immer wieder dorthin kommen. Mit ca. 8 Jahren habe sie bei ihrer Tante G., die sie als Vertrauensperson angesehen habe, auf eine mit PVC bezogene Kommode einen Mann gemalt, der ein Kind anfasse. Tante G. habe mit ihr geschimpft. Mit 15 Jahren habe sie ihren ersten Freund gehabt. Sie wisse nicht, ob sie mit ihm intim gewesen sei. Er sei zu ihrer Mutter gegangen und habe gesagt, mit ihr stimme etwas nicht. Danach habe sie ihn nicht mehr gesehen. Die von Frau C. beschriebenen Gruppenvergewaltigungen mehrerer Erwachsener mit mehreren kindlichen Opfern seien Flashbacks gewesen. Sie könne nicht sagen, ob es wirkliche Erinnerungen seien.
29 
Manchmal seien Erinnerungen gleich weggewesen, das könne an den Medikamenten gelegen haben. Sie wisse nicht, warum das Redeverbot bis heute noch wirke.
30 
Ihr Bruder M. sei bei der Lebensbeichte des Vaters nicht die ganze Zeit anwesend gewesen, weil er habe arbeiten müssen. Er sei selbst stark traumatisiert, sei lange untergetaucht gewesen und habe Alkoholprobleme gehabt. Die Zeugin S. sei zu ihrer Zeugenvernehmung von Onkel H. Sohn M. begleitet worden. Vielleicht habe sie deshalb nicht die Wahrheit gesagt.
31 
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ein Schreiben an den Senat vorgelegt.
32 
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 21.04.2015, auf die Prozessakten beider Instanzen, den Verwaltungsvorgang des Beklagten, die Schwerbehindertenakte und die Akten des AG H. zu Az. 1 F 646/07 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
33 
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
35 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
36 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
37 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
38 
Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
39 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
40 
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
41 
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
42 
Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
43 
Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
44 
Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
46 
Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
47 
Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
48 
PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
50 
Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
51 
Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
53 
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
54 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
55 
Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
33 
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
35 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
36 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
37 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
38 
Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
39 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
40 
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
41 
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
42 
Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
43 
Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
44 
Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
46 
Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
47 
Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
48 
PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
50 
Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
51 
Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
53 
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
54 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
55 
Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. Oktober 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Die Klägerin wurde 1973 als Einzelkind geboren. Während eines dreimonatigen stationären Aufenthaltes in der M.-B.-Klinik in K., einer Fachklinik für Psychosomatik und Ganzheitsmedizin, Anfang 1998 beschrieb sie die Beziehung zur Mutter seit jeher als höchst ambivalent und von Abhängigkeit geprägt. Diese habe ihr Zuneigung und körperliche Nähe vorenthalten. Ihr Vater habe in ihrem Erleben zwischen äußerster Freundlichkeit bis hin zur Bösartigkeit sehr geschwankt, vor allem wenn er unter Alkoholeinfluss gestanden habe. Die Ehe der Eltern sei von häufigen Streitereien und Handgreiflichkeiten geprägt gewesen. Das Familienleben sei wegen der von ihren Eltern betriebenen Gaststätten sehr chaotisch gewesen. Sie habe als Mädchen immer das Gefühl gehabt, zu kurz zu kommen. Sie sei für ihre Mutter ein offensichtlich ungewolltes Kind gewesen und wegen deren Ausbildungsabsichten bereits nach der Geburt zu Pflegefamilien gegeben worden, wogegen sie sich zwar laut, aber erfolglos gewehrt habe. Im Alter von zwei Jahren fand die Klägerin den Nachbarn tot im Garten. Ein Jahr später erlebte sie den Suizidversuch ihres alkoholabhängigen depressiven Vaters mit. Als sie elf Jahre alt war, trennten sich ihre Eltern. Zwei Jahre später ließen sie sich scheiden (Entlassungsbericht vom 5. Mai 1998). Die Klägerin heiratete 2004 einen Mann, zu dem sie bereits seit 1998 eine Beziehung unterhielt.
Nach dem Hauptschulabschluss im Jahre 1990 besuchte sie erfolgreich die einjährige Hauswirtschaftliche Schule in B.. Anschließend leistete sie ein zweiwöchiges Praktikum in der Krankenpflege im Städtischen Krankenhaus in S.. Die im Oktober 1991 begonnene Ausbildung zur Krankenpflegehelferin in Düsseldorf brach sie bereits zum Jahresende aus gesundheitlichen Gründen ab. Nach zwei stationären Klinikaufenthalten in der neurologischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses S. von Ende Februar bis Mitte März 1992 und in der Psychotherapeutischen Klinik in S. von April bis September 1992 nahm sie eine Aushilfstätigkeit an, bevor sie im August 1993 einen einjährigen Grundbildungslehrgang für Jugendliche beim Berufsfortbildungswerk in S. belegte. Eine im September 1994 begonnene Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel brach sie wiederum aus gesundheitlichen Gründen ab. Ab Januar 1997 war sie ein Jahr L. als Bürohilfskraft bei einer Hausverwaltung tätig. Die im September 1998 begonnene Ausbildung zur Bürokauffrau im Berufsbildungswerk N. schloss sie, unterbrochen durch einen stationären Klinikaufenthalt in der Fachklinik am H. in Wald-M., Ende August 2003 ab. Ab Mitte Mai 2004 wurde sie sechs Wochen zur Call-Center-Agentin ausgebildet, was sie anschließend bis Anfang August 2004 im Rahmen eines Praktikums ausübte. In der Folgezeit war sie arbeitsuchend. Anfang September 2010 war sie in den Arbeitsbereich. der Werkstatt für Menschen mit Behinderung in N. aufgenommen worden. Die Deutsche Rentenversicherung Bund gewährt ihr, nach vorherigen Befristungen, seit 1. März 2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (Bescheid vom 4. Dezember 2013).
Zwischenzeitlich war sie von März 1993 bis Dezember 1997 von dem Dipl.-Psych. U. betreut worden, anfangs im Rahmen der Hilfe für junge Volljährige (§§ 27 ff. Kinder- und Jugendhilfegesetz - KJHG), später als Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung (§§ 39 ff. Bundessozialhilfegesetz - BSHG). Während dieser Zeit lebte sie bis Juli 1994 in einer Wohngemeinschaft der Einrichtung „Therapeutische Wohngemeinschaften E.“ in P., anschließend mit einem Freund in S..
Bei ihr wurde der Grad der Behinderung mit 50 seit 17. September 2008 festgestellt (Bescheid des Landratsamtes Böblingen vom 25. März 2009). Dieser Feststellung lag die versorgungsärztliche Einschätzung von Dr. M.-T. vom 18. März 2009 zugrunde, wonach die Funktionsbeeinträchtigungen „Persönlichkeitsstörung, funktionelle Organbeschwerden, Fibromyalgiesyndrom“ mit einem Teil-GdB von 40 und „Bronchialasthma, Allergie, chronische Nebenhöhlenentzündung“ mit einem Teil-GdB von 20 bewertet wurden.
Während die Klägerin an einer Rehabilitationsmaßnahme teilnahm, erstattete sie am 20. Juli 1995 bei der Polizeidirektion B. Anzeige wegen sexuellen Missbrauchs. Sie gab an, der Tierarzt Dr. M. (im Folgenden: M.), der möglicherweise K. mit Vornamen heiße, habe sie vor etwa sechzehn Jahren, möglicherweise auch 1978, sexuell missbraucht. Sie sei seit etwa zehn Jahren regelmäßig in psychotherapeutischer Behandlung. Bereits im Alter von sechs oder sieben Jahren habe sie psychotherapeutische Gespräche geführt, wobei es sich um eine Spieltherapie gehandelt habe. Durch die Psychotherapie in den vergangenen Jahren sei letztlich herausgekommen, dass ihre ganze seelische Verfassung zum größten Teil darauf basiere, dass sie im Alter von fünf Jahren von M. sexuell missbraucht worden sei. Als sie vier Jahre alt gewesen sei, seien ihre Eltern nach St. gezogen, wo diese im Stadtteil D. die Vereinsgaststätte des H Club e. V. gepachtet hätten. M. sei dort Gast gewesen. Es sei schließlich zu dem Übergriff gekommen. Sie erstatte erst jetzt Anzeige, da sie erst mit zehn oder elf Jahren die ersten Vermutungen gehegt habe und eigentlich erst seit eineinhalb Jahren sicher wisse, dass sie sexuell missbraucht worden sei. Sie wohne derzeit zusammen mit einem Freund, U. L., in S.. Sie seien nicht intim befreundet, sondern hätten lediglich eine Wohngemeinschaft. Die Staatsanwaltschaft S stellte das Verfahren mit Verfügung vom 13. September 1995 nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung wegen Strafverfolgungsverjährung ein. Mit Schreiben vom 19. Juni 1997 teilte die Staatsanwaltschaft S der Klägerin auf ihr erneutes Begehren, ein Ermittlungsverfahren gegen M. durchzuführen, mit, es liege kein Fall von § 78 b Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) vor. Diese Regelung sei am 30. Juni 1994 in Kraft getreten und erfasse nur Taten, deren Verfolgung zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt gewesen seien. Die von der Klägerin angezeigten Taten hätten sich demgegenüber 1978 oder im Folgejahr ereignet, weshalb diese jedenfalls 1989 verjährt gewesen seien. Daran habe das im Jahre 1994 erlassene Gesetz nichts geändert.
Über einen stationären Aufenthalt vom 1. April bis 30. September 1992 berichtete der Ärztliche Direktor der Psychotherapeutischen Klinik in St., Dr. Sch., es seien eine schwere Adoleszentenkrise bei retardierter Persönlichkeitsentwicklung und vorwiegend depressiv-hysterisch-schizoiden Anteilen auf dem Boden einer Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert worden. Es bestehe ein Zustand nach Derealisationserscheinungen. Es seien multiple Körpersymptome wie Kreislaufbeschwerden, Schwindel, Kopfschmerzen, Herzrasen und Hautausschlag aufgetreten. Eine ambulante psychotherapeutische Behandlung von etwa sechzig Stunden habe in B. stattgefunden. Die Therapie sei wegen der begonnenen Ausbildung zur Krankenpflegerin in Düsseldorf nicht fortgesetzt worden. Diese Tätigkeit habe die Klägerin jedoch bereits während der Probezeit aus Krankheitsgründen abgebrochen. Sie sei wieder zu ihren Eltern zurückgekehrt. Bei der Aufnahme habe sie den Beginn ihrer Erkrankung in Zusammenhang mit panikartigen Angstanfällen während eines Jugendlagers im März 1991 gebracht. Einen Bekannten habe sie für einen Verfolger und Vergewaltiger gehalten und sei in starker Erregung schreiend in den Wald gelaufen. Nur mühsam habe sie ihr gleichfalls anwesender Freund wieder beruhigen können. Weil sie unter der großen Entfernung und den häufigen Trennungen von ihm gelitten habe, habe sie auf sein Zureden hin eine Lehrstelle in einem Krankenhaus in Düsseldorf angenommen. Entgegen ihren Hoffnungen sei es ihr dort noch wesentlich schlechter ergangen. Sie habe die Belastung im Pflegeberuf nicht ertragen können, sei häufig umgekippt oder habe wegen Kopf- und Bauchschmerzen des Öfteren fernbleiben müssen. Sie habe unter zunehmender Platzangst, Luftnot und Herzrasen sowie unter Ängsten und Selbstmordgedanken gelitten. Die erhoffte Hilfe von Seiten des fünf Jahre älteren, noch sehr muttergebundenen und durch angeborene Hüftluxation belasteten Freundes sei ausgeblieben. Er habe sich überfordert gefühlt. Die Beziehung sei schließlich gescheitert. Mit dem Ausbruch der Ängste im Jugendlager seien traumatische frühe Kindheitserfahrungen wiederbelebt worden. Die Klägerin habe vermutet, dass sie als Kind sexuell missbraucht worden sei, ohne sich jedoch im Einzelnen an ein derartiges Erlebnis erinnern zu können. Jedenfalls sei sie als kleines Mädchen einem Mann gefolgt, habe sich in sein Gartenhaus mitnehmen lassen und sei erst Stunden später total zerstört von den Eltern in der Nähe des Hauses wiedergefunden worden. Sie habe sich außerdem immer von einer Hand bedroht gefühlt und noch weitere Angstbilder mit sich herumgetragen.
Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. berichtete in einem Attest vom 10. September 1993 zur Vorlage bei der Führerscheinstelle, aufgrund von psychischen Problemen komme es des Öfteren zu Ohnmachtsanfällen, welche die Klägerin als Kreislaufdysregulationen schildere. Wegen einer neurotischen Störung sei sie in psychologischer Behandlung. Sie neige zu konversionssymptomen und hyperventilationstetanischen Anfällen. Es lägen deutliche narzisstische Züge vor. Sie sei psychisch und physisch vermindert belastbar.
Im Gutachten des Dipl.-Psych. G. nach einer Untersuchung der Klägerin am 29. Mai 1996 zur Beurteilung ihrer beruflichen Eingliederung führte dieser aus, es existierten Ängste, Probleme mit Konfliktsituationen und eine herabgesetzte Kritikfähigkeit. Den Anforderungen einer Ausbildung auf dem freien Arbeitsmarkt sei sie im Augenblick nicht gewachsen. Sie bedürfe wegen der beschriebenen Probleme besonderer Hilfe.
10 
Dr. D., Chefarzt der Kitzberg-Klinik in Bad M., einer Fachklinik für psychosomatische Medizin, berichtete über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 17. Juli bis 30. Oktober 1996, er habe eine Reifungskrise bei Verdacht auf eine Borderline-Persönlichkeitsstörung mit hysterischen Anteilen (ICD-10 F60.31) und eine Somatisierungsstörung (ICD-10 F45.0) diagnostiziert. Die Klägerin habe über multiple körperliche Beschwerden wie etwa Kopf-, Bauch- und Knochenschmerzen geklagt. Seit ihrem elften Lebensjahr habe sie psychogene Anfälle, auch werde sie sehr häufig ohnmächtig. Weiter leide sie unter starken, hauptsächlich nächtlichen Ängsten. Sie habe Albträume und Schlafschwierigkeiten. Bisweilen hege sie Selbstmordgedanken. Vor allem in Menschengruppen fühle sie sich äußerst unwohl und verunsichert. Nähe könne sie kaum aushalten, sehne sich aber andererseits danach. In Beziehungen habe sie die Tendenz, sich an andere zu klammern. Es falle ihr schwer, alleine in ihrer Wohnung zu sein. Sie habe bereits einen Selbstmordversuch hinter sich und verletze sich bisweilen selbst, indem sie mit dem Kopf gegen die Wand schlage. Die Klägerin habe alleine in einer vom Sozialamt geförderten Wohnung gelebt. Die Eltern hätten sich 1984 getrennt und zwei Jahre später scheiden lassen, als die Klägerin dreizehn Jahre alt gewesen sei. Ab diesem Zeitpunkt hätten die psychogenen Anfälle begonnen. Mit neunzehn Jahren sei sie eine symbiotische Partnerschaft zu einem elf Jahre älteren Mann eingegangen, von dem sie sich vor drei Monaten wegen seines Alkoholkonsums getrennt habe. Sie habe jedoch weiterhin Kontakt zu ihm. Mit acht Jahren sei sie erstmals psychotherapeutisch behandelt worden. Im Alter von neunzehn Jahren sei ein sechsmonatiger stationärer Therapieaufenthalt erfolgt, ein Jahr später ein achtwöchiger. Von 1993 bis zum Folgejahr habe sie sich in einer Einrichtung des betreuten Wohnens aufgehalten, sei dann mit ihrem gemeinsamen Freund in eine eigene Wohnung gezogen. Bei der Untersuchung auffällig gewesen sei, dass sie mehrmals erwähnt habe, sexuell missbraucht worden zu sein. Mit ihrem beharrlichen Willen und dem langen Redefluss erzeuge sie im Gegenüber das Gefühl von Ungeduld. Auffällig gewesen sei auch die Diskrepanz zwischen ihrer eigenen Schilderung ihrer Schwächen und Ängste sowie ihrer zielstrebigen Beharrlichkeit, hinter der eine große Energie stecke. Die Klägerin habe sich als eher feindselig und im Kontakt abweisend beschrieben, weshalb sie auch einsam sei. Psychische Probleme und Niedergeschlagenheit würden dadurch überspielt. Sie vermeide Konflikte, reagiere schnell verbittert oder enttäuscht und sei leicht kränkbar. Sie neige zu impulsiven Verhaltensausbrüchen und leide unter einer ausgeprägten Minderwertigkeitsproblematik. Weiter hätten sich Hinweise auf eine sehr geringe Bereitschaft zur Selbstöffnung bei jedoch intensivem Leidensdruck und massiven Angstgefühlen sowie großen Schwierigkeiten bei vernunftorientierter Steuerung von destruktiven Impulsen ergeben. Insgesamt hätten eindeutige Anhaltspunkte auf eine ausgeprägte frühe Störung vorgelegen. Zu Beginn der Behandlung habe die Klägerin hauptsächlich ihre Ängste, ihre soziale Inkompetenz und ihre „schlimme Vergangenheit“ benutzt, um in Kontakt zu treten. Nachvollziehbarerweise habe sie bald Ungeduld oder Ablehnung erfahren und habe sich missverstanden oder vernachlässigt gefühlt. In dieser Spirale habe sie zu Eskalationen in Form verbalen Ausagierens bei Konflikten, plötzlichem Umfallen oder Abtriften in ihre Phantasiewelt geneigt.
11 
Dr. K., Chefarzt der M.-B.-Klinik, diagnostizierte nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin vom 27. Januar bis 24. April 1998 eine emotionale instabile Persönlichkeitsstörung, Borderline-Typus (ICD-10 F60.31) mit histrionischen und aggressiven Zügen. Als belastende Erlebnisse habe die Klägerin angeführt, im Alter von zwei Jahren den Nachbar tot im Garten gefunden zu haben. Ein Jahr später habe sie erlebt, wie sich ihr Vater das Leben habe nehmen wollen. Im Alter von fünf Jahren sei sie von einem ihr gut vertrauten Mann, einem Tierarzt, der ihr eine Katze geschenkt habe, im elterlichen Gaststättenbetrieb sexuell oral missbraucht worden. Da der Mann ihr gedroht habe, wenn sie über dieses Erlebnis anderen erzähle, werde die Katze ihm das berichten, habe sie in ihrer Verzweiflung versucht, diese zu ertränken, was allerdings misslungen sei. Die Klägerin habe als Kind im Verhältnis zu einem offenbar unberechenbaren, da mal gewalttätigen, mal sehr zugewandten Vater und in ambivalenter Abhängigkeit von einer sich oft verweigernden Mutter wenig emotionalen Halt für ihre Entwicklung erfahren. Ihre stark nach Unterstützung fordernde Eigenart und ihre große Verletzbarkeit sei den Eltern schon früh offenbar oft lästig geworden. Die Mutter habe, oft von Schuldgefühlen geplagt, sich dem Kind nur scheinbar zugewandt. Es habe sich bereits früh ein brüchiges Selbst ausgebildet, welches durch ängstigende Gewalterlebnisse und einen offenbar sehr frühen sexuellen Missbrauch durch einen bekannten älteren Mann traumatisiert worden sei. Der Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt zur Mutter sei bis zum heutigen Zeitpunkt nicht wirklich gelöst. In Beziehungen erfahre die Klägerin wegen ihres anklammernden und fordernden Verhaltens immer wieder ihr unverständliche Zurückweisungen, welche sie depressiv verarbeite.
12 
Dr. T., Leitender Arzt der Fachklinik am H. in Wald-M., einer Klinik für Abhängigkeitserkrankungen sowie Psychosomatik und Psychotherapie, diagnostizierte nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin vom 2. Mai bis 22. Juli 2001 eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD-10 F62.0) mit posttraumatischer Belastungsstörung nach erneuter Traumatisierung (ICD-10 F43.1), Zwangsgedanken und
-handlungen gemischt (ICD-10 F42.2) sowie eine Panikstörung (ICD-10 F41.0). Die Klägerin sei im Gespräch zugänglich und kooperativ sowie psychomotorisch unauffällig gewesen. Die Stimmung habe sich während der Aufnahmesituation adäquat gezeigt, verbunden mit einem leichten Misstrauen. Sie sei ausreichend schwingungsfähig gewesen. Der Antrieb habe sich in der Norm gehalten. Das Denken sei formal und inhaltlich geordnet, ferner seien keine wahnhaften Störungen zu eruieren gewesen. Ängste und Phobien hätten sich auf Mitmenschen bezogen. Zwänge seien zumindest als Zwangsgedanken wahrgenommen worden.
13 
Dr. C., Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Tagesklinik im Sch. in N., einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, berichtete Anfang Juli 2002, er gehe von einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ aus (ICD-10 F60.31). Zudem habe die Klägerin über eine Traumatisierung berichtet, die sie in der Vorgesprächssituation nicht näher habe benennen wollen. Sie habe eine phobische und generalisiert angstvolle Symptomatik angeführt.
14 
Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie K.-E. berichtete nach einer Untersuchung der Klägerin am 12. November 2002, diese leide an einer Persönlichkeitsstörung und Kopfschmerzen ungeklärter Ätiologie. Zudem bestehe der Verdacht auf Spannungskopfschmerzen. Bei der Klägerin handele es sich um eine Borderline-Persönlichkeit. Sie habe deshalb mehrere Traumatherapien und andere psychotherapeutische Klinikaufenthalte hinter sich. Sie nehme jedoch grundsätzlich keine Psychopharmaka ein, nur Baldrian und Johanniskraut. Sie lebe mit einem Partner zusammen. Wegen ihrer schweren Traumata sei das Zusammenleben jedoch nicht einfach. Der Kontakt mit ihr habe sich als äußerst schwierig gestaltet, da sie jegliche Behandlungsvorschläge vehement entwertet habe, gleichzeitig aber sehr fordernd aufgetreten sei. Nachdem sie versucht habe, ihr versuchsweise Amitriptylin, 25 mg zur Kopfschmerzprophylaxe aufzuschreiben, habe sie sehr unzufrieden die Praxis verlassen.
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Nach dem Attest der Ärztin für Psychotherapeutische Medizin J. vom 3. Dezember 2002 litt die Klägerin an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung mit ausgeprägter Angst, das Haus zu verlassen.
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Prof. Dr. P., Ärztlicher Direktor des Psychotherapeutischen Zentrums Bad M., diagnostizierte nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin vom 9. Mai bis 27. Juni 2006 eine dissoziative Störung (Konversionsstörungen) gemischt (ICD-10 F44.7), Angst und depressive Störung, gemischt (ICD-10 F41.2), eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.4), eine chronifizierte komplexe posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1) sowie eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.31). Die Klägerin sei zusammen mit ihrem Ehemann erschienen, welcher bei dem ersten Teil der Anamnese anwesend gewesen sei. Die beiden hätten Händchen gehalten. Die Klägerin habe ein Missbrauchserlebnis mit fünf Jahren durch einen Tierarzt angegeben, ohne dass sie danach gefragt worden sei. Nach der Scheidung der Eltern habe die Klägerin erstmals psychogene Ohnmachtsanfälle gehabt. Diesbezüglich sei sie öfter in einem Krankenhaus gewesen. Eine Ursache für die Anfälle sei nirgends gefunden worden. Die psychogenen Krampfanfälle träten überwiegend in Stresssituationen auf. Die Klägerin habe mit monotoner Stimme berichtet. Es habe eine deutliche Aggravationstendenz bestanden. So habe sie etwa über Schmerzen am ganzen Körper berichtet, an die sie sich gewöhnt habe. Kleinste Beschwerden seien als Krankheit definiert worden. Während der Untersuchung habe mehrmals die Neigung zur Dissoziation bestanden, sie habe aber durch das Gespräch in Kontakt gehalten werden können. Die Kontaktaufnahme sei freundlich, der Affekt allerdings depressiv herabgedrückt gewesen. Die affektive Schwingungsfähigkeit sei eingeschränkt erhalten gewesen. Die Klägerin habe auffällig unkonkret über ihre Beschwerden berichtet und habe gewirkt, als ob sie deren Kenntnis eigentlich voraussetze. Die Psychomotorik sei leicht angespannt sowie der Antrieb, die Gestik und die Mimik ebenfalls leicht reduziert gewesen. Eine einfach strukturierte Auffassungsfähigkeit sei aufgefallen. Die Klägerin habe kurz andauernde psychotische Episoden beschrieben, in denen sie einen Mann mit einem Messer real vor sich gesehen habe, etwa dass dieser durch die Steckdose gekommen sei. Auch habe sie ein nicht existentes großes Spinnennetz wahrgenommen. Die Klägerin habe von zwei länger zurückliegenden Suizidversuchen mit fünf und fünfzehn Jahren berichtet, wobei aktuell keine Suizidalität bestanden habe. Sie sei mit fünf Jahren sexuell missbraucht worden, woraufhin sie begonnen habe, wieder einzunässen. Sie habe zudem unter Bauch- und Kopfschmerzen sowie Albträumen gelitten. Mit sechs Jahren sei sie zum ersten Mal in einer psychologischen Beratungsstelle gewesen. Zum Entlassungszeitpunkt habe weiterhin eine hohe Tendenz zur Verantwortungsabgabe und stark dysfunktionalen Interaktionsstrategien bestanden.
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Über ein psychosomatisches Heilverfahren zur medizinischen Rehabilitation in der Klinik am H. in Bad W. vom 22. Juli bis 2. September 2008 berichtete der Chefarzt der Abteilung Psychosomatik Dr. Sch., es seien eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1), eine Fibromyalgie (M79.70) und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.4) diagnostiziert worden. Der Vater der Klägerin sei alkoholabhängig gewesen. Die Klägerin habe sich bereits seit acht Jahren in psychotherapeutischer Behandlung befunden. Sie habe über anhaltende Flashbacks bis zum achtzehnten Lebensjahr berichtet, nach einer Vergewaltigung im fünften Lebensjahr. Ihre Mutter habe damals indes gemeint, sie sei hysterisch und solle sich nicht so anstellen. Ihr zweiter Freund, von dem sie sich nach drei Jahren getrennt habe, sei Alkoholiker gewesen. Danach seien Panikzustände und zunehmend Ganzkörperschmerzen aufgetreten. Es sei ihre Rettung gewesen, dass sie mit ihrem jetzigen Ehemann im Jahre 1998 eine Partnerschaft eingegangen sei. Durch dessen Unterstützung habe sie ihren Aktionsradius deutlich erweitern können. In der Beziehung gebe es seit acht Jahren keine sexuellen Kontakte. Sie wohnten zur Miete im Haus ihrer Großmutter. Die Wohnumgebung stelle eine Retraumatisierung für sie dar. Denn im Hof des Hauses befinde sich eine Gastwirtschaft. Die Gäste, der Lärm und der Küchengeruch erinnerten sie an das dramatische Erlebnis in ihrer Kindheit. Die Klägerin sei in einem behüteten Elternhaus aufgewachsen, wobei ihr wenig Verantwortung für das eigene Handeln übertragen worden sei. Es sei ein vorwiegend ängstlich-vermeidender Interaktionsstil zu finden gewesen, so dass die Klägerin wenig Möglichkeiten gehabt habe, Strategien zur Problembewältigung zu erlernen. Erschwerend habe sich als Organismusvariable eine vegetative Hyperreagibilität ausgewirkt. Die Persönlichkeitsstruktur sei vorrangig von dependenten und selbstunsicheren Charaktermerkmalen geprägt gewesen. Auslösende Bedingungen für die Symptomatik seien Konfrontationen mit angstauslösenden Situationen gewesen, wie etwa ein Fahrstuhl, das Alleinsein, soziale Situationen, der Verlust von Bezugspersonen oder die Konfrontation mit Krankheiten. Auf kognitiver Ebene seien vorrangig katastrophisierende Gedanken aufgetreten, welche auf emotionaler Ebene mit Angst verbunden gewesen seien. Weiterhin hätten Gefühle von Hilflosigkeit, Resignation, Selbstunsicherheit und Angst bestanden. Auf körperlicher Ebene sei es zu vegetativen Begleitsymptomen in Form von Schwindel, Herzrasen, Blutdruckanstieg, Atemnot, Schwitzen oder Zittern im Rahmen der sympathikotonen Reaktion gekommen. Die Verhaltensebene sei von einem ausgeprägten Vermeidungsverhalten angstauslösender Situationen geprägt gewesen. Dies habe kurzfristig zu einer Symptomreduktion geführt, sei jedoch als negative und langfristige Konsequenz eine Generalisierung der Angst auf weitere Situationen gewesen. Bewältigungsstrategien seien häufige Arztbesuche bei körperlichen Beschwerden zur Absicherung, die Einnahme von Beruhigungsmitteln oder das Hinzuziehen von Begleitpersonen gewesen. Die Funktionalität der Symptomatik habe unter anderem darin bestanden, Sozialpartner an sich zu binden und das Alleinsein zu vermeiden.
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Der Arzt für Anästhesiologie und spezielle Schmerztherapie Dr. B., bei dem sich die Klägerin ab Ende Februar 2008 in Behandlung befand, berichtete Anfang Mai 2008, schmerztherapeutisch habe eine ausgeprägte Fibromyalgie im Vordergrund gestanden. Es hätten schwerpunktmäßig Kopfschmerzen vorgelegen, daneben Syndrome in den Bereichen der Halswirbelsäule sowie der Schulter und im ganzen Arm, ferner eine Lumbalgie. Biographisch habe eine posttraumatische Belastungsstörung bestanden.
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Die Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. L.-K. teilte in ihrer Bescheinigung von Anfang August 2013 mit, die Klägerin habe sich von Dezember 2002 bis April 2008 und dann wieder ab Mai 2010 in ihrer psychotherapeutischen Behandlung befunden. Diagnostiziert worden seien eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1) mit dissoziativen Krampfanfällen (ICD-10 F44.5), eine dissoziative Fugue (ICD-10 F44.1), dissoziative Lähmungen und Sensibilitätsstörungen von Extremitäten, ein Sprachverlust, eine rezidivierende depressive Störung (ICD-10 F38.10) sowie eine somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.40). Differentialdiagnostisch habe ein Fibromyalgiesyndrom vorgelegen. Die zeitweise gestellte Borderline-Diagnose habe bei Testung in der Sprechstunde der Psychiatrischen Institutsambulanz des Universitätsklinikums T. Ende Mai 2013 nicht vollständig erhärtet werden können. Bei ihrer Untersuchung habe sich ebenfalls kein aktueller Hinweis auf eine solche Erkrankung gezeigt, so dass lediglich von einer Akzentuierung auszugehen gewesen sei (ICD-10 Z73.1). Im Vordergrund der Symptomatik habe demgegenüber eine Traumafolgestörung bestanden, welche auf Traumatisierungen in der Kindheit und Jugend durch Vergewaltigung und weitere sexuelle Übergriffe, die fehlende Geborgenheit in der elterlichen Gastwirtschaft sowie dem Erleben von körperlicher Gewalt zurückzuführen sei. Dabei erscheine das Bindungsverhalten der Klägerin überwiegend von Abhängigkeit und Trennungsängsten bestimmt.
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Prof. Dr. E., Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der A. Kliniken in B.-B. diagnostizierte nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin vom 22. Juni bis zum 9. Juli 2011 unter anderem ein Fibromyalgiesyndrom, eine vorbekannte posttraumatische Belastungsstörung, eine vorbekannte anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine rezidivierende Depression. Die Aufnahme der Klägerin sei wegen einer akuten Schmerzexacerbation trotz Ausschöpfens der ambulanten Therapiemaßnahmen erfolgt. Der Schwerpunkt der Behandlung habe auf der abgestuften medikamentösen Schmerztherapie gelegen sowie auch auf dem ganzen Spektrum der aktiven und passiven physikalischen Therapie und der psychologischen Schmerz- und Entspannungstherapie. Medikamentös habe mit Lyrica, beginnend mit 25 mg und später mit 50 mg zur Nacht, eine Verbesserung der neuropathischen Schmerzsymptomatik und des Nachtschlafes erreicht werden können. Bei einem akuten Schmerzschub könne die Klägerin bedarfsweise mit Ibuprofen, 400 mg entgegenwirken.
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Nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin in der Klinik für Neurologie und Neurophysiologie des Klinikums S.-B. vom 9. bis 11. März 2011 diagnostizierte der Chefarzt Prof. Dr. A. eine dissoziative Gangstörung bei einem Zustand nach wiederholter Traumatisierung und ein Fibromyalgiesyndrom.
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Die Klägerin hatte erstmals am 13. November 2000 einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG gestellt, der mit Bescheid vom 5. August 2002 abgelehnt wurde. Der Nachweis, dass sie Opfer einer Gewalttat geworden sei, habe nicht erbracht werden können. Das durch ihre Anzeige eingeleitete Strafverfahren sei wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Strafverfolgungsverjährung eingestellt worden. Durch das in Auftrag gegebene neurologisch-psychiatrische Fachgutachten vom 6. März 2001 sei bestätigt worden, dass die Klägerin an einer Borderline-Störung leide. Vom Weißen Ring e. V. erhielt sie Ende 2002 wegen der „durch die Straftat eingetretenen besonderen Lebenslage“ eine Beihilfe in Höhe von 1.500 EUR. Der Antrag der Klägerin, die Verwaltungsentscheidung im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu überprüfen, wurde mit bestandskräftigem Bescheid vom 9. Juni 2011 abgelehnt. Die getroffene negative Feststellung sei aufgrund des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von März 2001 erfolgt. Danach habe der Nachweis des geltend gemachten schädigenden Ereignisses nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erbracht werden können. Zwischenzeitlich hatte die Klägerin Anfang März 2006 schriftlich festgehalten, dass sie mit fünf Jahren auf der Kegelbahn einer Gaststätte von einem Gast sexuell missbraucht worden sei, welcher ihr eine Katze geschenkt habe und das als Gegenleistung erwartet habe. Sie habe versucht, das Tier in der Badewanne zu ertränken. Vermutlich sei das nicht das einzige Erlebnis dieser Art gewesen. Sie habe oft Bauchschmerzen gehabt und wieder angefangen einzunässen.
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Unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgericht (BSG) vom 17. April 2013 (Az. B 9 V 1/12 R) stellte die Klägerin am 17. Juni 2013 sinngemäß erneut einen Überprüfungsantrag in Bezug auf die Gewährung einer Beschädigtenrente. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung könnten Versorgungsleistungen beansprucht werden, selbst wenn kein Tatzeuge vorhanden sei. Sie gab an, als Kind im Ser Stadtteil D. zweimal sexuell missbraucht worden zu sein. Ein Tierarzt habe sie auf der Kegelbahn der von ihren Eltern betriebenen Gaststätte zum Oralverkehr gezwungen und ihr als Gegenleistung ein Kätzchen geschenkt. Er habe gesagt, wenn sie etwas äußere, höre diese es, worüber sie ihm berichte. Daher habe sie das Tier vermutlich ertränken wollen. Ein zweiter Missbrauch sei in einer Schrebergartensiedlung in der Nähe ihres Elternhauses erfolgt. Sie sei von einem Mann mit Hund angesprochen und gefragt worden, ob sie sehen möchte, wo dieser schlafe. Sie sei mit ihm gegangen. Sie wisse jedoch nur noch, in einem Gartenhäuschen etwas getrunken zu haben. Sie könne sich indes an nichts mehr erinnern. Mit hoher Wahrscheinlichkeit seien ihr so genannte. „K.-o.-Tropfen“ verabreicht worden, wodurch sie das Bewusstsein verloren habe. Vermutlich sei es zu einem Ritus gekommen, denn sie habe immer Erinnerungen an drei schwarze Kapuzenmenschen. Sie habe weitere einschneidende Erlebnisse in ihrer Kindheit erfahren. Die sexuellen Übergriffe seien jedoch die schlimmsten gewesen. Der ganze Alltag richte sich nach den Traumata aus. In der Küche habe sie weder Messer noch Scheren mit schwarzen Griffen. An manchen Tagen könne sie nicht zum Frisör gehen, weil sie Panik vor einer Schere habe. Sie könne nicht im Erdgeschoss wohnen. Wegen der oralen Vergewaltigung nutze sie eine elektronische Zahnbürste, was für sie stressfreier sei. Zahnarztbesuche seien blanker Horror und hätten früher nicht selten mit einem dissoziativen Krampfanfall geendet. Selbst eine Banane könne sie nicht normal essen. Sie könne weder arbeiten gehen noch alleine Bus oder S-Bahn fahren. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 18. Juli 2013 abgelehnt, der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 2013 zurückgewiesen.
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Hiergegen hat die Klägerin am 23. Dezember 2013 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, welches verschiedene, sie behandelnde Ärztinnen und Ärzte als sachverständige Zeugen befragt hat.
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Dr. L.-K. hat im April 2014 im Wesentlichen den Inhalt ihrer Bescheinigung von Anfang August 2013 wiedergegeben und ergänzend ausgeführt, die depressiven Episoden, welche zum Teil Tage bis unter zwei Wochen, manchmal auch Monate anhielten, hätten eine teils mittelgradige, teils schwere Ausprägung mit Suizidgedanken, also bis hin zur Lebensmüdigkeit. Der Klägerin werde ein Antidepressivum in Form von Doxepin, 75 mg abends verabreicht. Bei den gemischten dissoziativen Zuständen handele es sich um eine dissoziative Fugue (ICD-10 F44.1), wobei sich die Klägerin in einem kindlich-ängstlichen Ich-Zustand befinde, und um dissoziative Krampfanfälle (ICD-10 F44.5), nach Fremdanamnese zum Teil mit Somnolenz. Ein beginnendes Krampfen habe sie in Verbindung mit traumatischen Erinnerungen an einen Schrebergarten beobachtet. Anamnestisch habe zeitweise die Stimme in Erregungszuständen versagt, in denen die Klägerin getriggert gewesen sei. Zudem seien Taubheits- und Lähmungserscheinungen in den Extremitäten aufgetreten. Diese dissoziativen Zustände in Verbindung mit Flashbacks seien als Traumafolgezustände zu werten und ergänzten die Symptomatik der posttraumatischen Belastungsstörung. Bei der Überwindung agoraphobischer Ängste unterstütze sie ihr Ehemann, auch der Hund helfe ihr. Alleinsein in der Wohnung über viele Stunden führe wiederholt zu Angst- und Panikzuständen.
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Von Dr. L.-K. ist unter anderem der Bericht des Oberarztes der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie mit Poliklinik des Universitätsklinikums T., Prof. Dr. E., vom 29. Mai 2013 über ambulante Vorstellungen der Klägerin am 24. Mai und „angeblich“ 3. Juni 2013 vorgelegt worden, wonach eine Akzentuierung von Persönlichkeitszügen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (ICD-10 Z73.1) sowie der Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Zwangsstörung diagnostiziert worden seien. Eine inhaltliche Denkstörung in Form von Verfolgungsideen sei gegeben gewesen. Ein Anhalt für Halluzinationen habe nicht bestanden. Es hätten jedoch andere Wahrnehmungsstörungen in Form von dissoziativen Anfällen vorgelegen. Zudem seien Ich-Störungen in Form von Depersonalisations- und Derealisationserleben unter Belastung gegeben gewesen. Zwänge in Form von Kontaminierungs- und Kathastrophisierungsängsten sowie Wasch- und Kontrollzwänge seien erkannt worden. Die Stimmung sei leicht gedrückt sowie die Klägerin im Antrieb etwas unruhig und im Gespräch teilweise schwer zu begrenzen gewesen. Ein Anhalt für eine Selbst- oder Fremdgefährdung habe sich nicht gefunden. Im Ergebnis hätten aktuell keine ausreichenden Hinweise auf eine Borderline-Persönlichkeitsstörung vorgelegen, so dass lediglich von einer Akzentuierung auszugehen gewesen sei.
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Die Frauenärztin Dr. Dipl.-Psych. V. hat im Juli 2014 kundgetan, bei der Klägerin erstmals Mitte Oktober 2006 eine gynäkologische Vorsorgeuntersuchung durchgeführt zu haben. Zuletzt sei sie Anfang September 2010 zu einem Gesprächstermin in Begleitung ihres Ehemannes mit dem Wunsch nach stationärer Einweisung wegen einer Psychose in ihrer Praxis gewesen. Es habe unter anderem ein Zustand nach einer posttraumatischen Belastungsstörung mit dissoziativen Zuständen mit Erstdiagnose im Jahre 2006 bestanden. Es habe sich um eine schwergradige posttraumatische Belastungsstörung mit Panikattacken und schwergradigen psychosomatischen Beschwerden gehandelt.
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Die Ärztin für Psychotherapeutische Medizin J. hat im April 2014 mitgeteilt, dass die Klägerin nicht in ihrer psychologischen Behandlung gewesen sei. Die Dipl.-Psych. O. hat die Anfrage mit dem Vermerk zurückgeschickt, dass ihr diese unbekannt sei. Die Dipl.-Psych. E. hat Ende Juni 2014 mitgeteilt, keine Unterlagen über sie nach dem Jahre 2000 mehr gefunden zu haben.
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In nichtöffentlichen Sitzungen am 16. April, 14. Juli und 13. August 2015 sind die Klägerin gehört sowie M. und ihre leiblichen Eltern H. H. und H. L. als Zeugin und Zeugen befragt worden.
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Die Klägerin hat im April 2015 berichtet, sie habe damals auf der Kegelbahn allein gespielt. Sie sei auf die Toilette gegangen. Nach der Rückkehr von dort sei ihr aufgefallen, dass der Kühlschrank offen gestanden sei. Schließlich sei die Tür zugegangen und M. sei vor ihr gestanden. Sie habe ihn gekannt, da er ihr bereits zuvor eine schwarzweiße Katze geschenkt habe. Er habe dann scheinbar eine Art Gegenleistung von ihr gewollt, was sie jedoch nicht mehr genau wisse. Es sei zum Missbrauch gekommen. Er habe gesagt, die Katze sehe und höre alles, wenn sie etwas erzähle. Diese berichte ihm davon. Dann passiere etwas Schlimmes. Was genau, wisse sie nicht mehr. An den Namen von M. könne sie sich erst jetzt wieder erinnern. lange sei er ihr nicht bekannt gewesen. Sie sehe nur eine schwarze Gestalt mit Vollbart und Brille vor sich. Ihr Vater habe spontan geäußert, M. habe ausgesehen wie der Räuber Hotzenplotz. Damit erkläre sich nun für sie, weshalb sie sich als Kind vor dieser Figur immer geekelt habe. M. sei Tierarzt gewesen. Sie habe bereits mit zehn Jahren Albträume gehabt. Irgendwie habe sich alles wie ein Puzzle zusammengefügt. Sie habe angefangen zu malen, das sei ihr einziges Sprachrohr gewesen. Ihr sei ja ein Schweigegelübde eingehämmert worden. Später als Jugendliche habe sie eine Katze gehabt, da habe sich das Ganze fortgesetzt. Sie könne sich an einen Vorfall erinnern, bei dem sie das Gefühl gehabt habe, diese beobachte sie. Sie sei auf dem Fensterbrett gegessen. Schließlich habe sie einen Schrei losgelassen, bis ihr klar geworden sei, dass es sich um ihr eigenes Tier gehandelt habe. Sie wolle klarstellen, dass sie bereits vor dem zehnten Lebensjahr häufiger unter Albträumen gelitten habe. Ab diesem Zeitpunkt habe sie jedoch einen ganz prägnanten gehabt. Sie habe ein erigiertes Glied mit einem Kondom angefasst. Bereits als Kind sei sie in einer Spieltherapie gewesen. Allerdings sei nichts aus ihr herausgebracht worden. Wahrscheinlich sei das Schweigegelübde so stark in ihr verankert gewesen, dass es nicht funktioniert habe. Sie habe immer Albträume mit Hunden, Blut und Schlangen gehabt, was noch anhalte. Sie träume auch davon, am Hals gewürgt zu werden. Dies komme wohl daher, dass M. sie damals an dieser Stelle gepackt habe. Mittlerweile wisse sie, dass es einen Griff gebe, welcher verhindere, dass zugebissen werden könne. M. habe als Tierarzt sicherlich Kenntnis von dieser Technik gehabt. Dies erkläre ihre Kopf-, Hals- und Genickschmerzen. Zu dem Vorfall im Schrebergarten könne sie nur sagen, dass sie mit einem Mann mitgegangen sei, um dessen Hunde anzusehen. Er habe ihr zeigen wollen, wo diese schlafen. Sie habe ihr blaues Fahrrad dabei gehabt. Sie wisse noch, dass sie an einem Tisch gesessen sei und etwas getrunken habe. Dann sei alles weg. Ihre Therapeutin habe gesagt, wegen der krampfhaften Anfälle müsse etwas Extremes passiert sein, was über einen normalen Missbrauch hinausgegangen sei. Sie könne nicht mehr sagen, welcher Vorfall sich zuerst ereignet habe. Beide ereigneten sich jedoch als sie im Ser Stadtteil D. gewohnt hätten. Das sei wohl in der Zeit von 1977/78 bis 1981 gewesen. Sicher sei sie sich aber auch hier nicht. Jedenfalls hätten sich dort die Vorkommnisse ereignet. Sie könne sich nicht mehr an den Zeitpunkt oder die Jahreszeit erinnern, als sie auf der Kegelbahn missbraucht worden sei. Sie sei etwa vier oder fünf Jahre alt gewesen. Der Täter müsse K. geheißen haben. Sicher sei sie sich jedoch nicht. Er sei jedenfalls Clubmitglied gewesen. Vor etwa zwanzig Jahren sei sie zusammen mit ihrem Therapeuten nochmals am Ort des Geschehens im Vereinsheim gewesen. Die Kegelbahn habe indes nicht mehr existiert, da ein Umbau vorgenommen worden sei. Sie habe die Kegelbahn immer wieder gezeichnet. Als ihre Mutter ein Bild gesehen habe, habe sie spontan gesagt, genau so habe es damals ausgesehen. Später sei sie nochmal mit ihrem Ehemann in S-D. gewesen. An die Person des Täters könne sie sich nicht mehr erinnern. Sie wisse nur noch, dass er große, riesige Hände gehabt habe. Er müsse wohl zwischen dreißig und vierzig Jahre alt gewesen sein. Dies wisse sie aber nicht mehr genau. M. habe sie auf einen Tisch gesetzt und festgehalten. Er habe sie dann oral missbraucht. Ihr Kopf habe gegen seine Rippen geschlagen. Er sei höchstwahrscheinlich zum Samenerguss gekommen, daran erinnern könne sie sich hingegen nicht. Sie habe heute noch massive Probleme, eine Banane zu essen oder sich die Zähne zu putzen. Sie habe mittlerweile herausgefunden, dass es mit einer elektrischen Zahnbürste einfacher sei, da sie diese nicht in den Mund hinein- und wieder herausführen müsse, sondern kreisende Bewegungen vornehmen könne. Sie befinde sich noch immer in einer EMDR-Therapie. Sie habe etwa mit siebzehn oder achtzehn Jahren realisiert, dass in Richtung eines Missbrauches etwas gewesen sein müsse. Mit sechzehn oder siebzehn Jahren habe sie ihren ersten Freund gehabt. Damals habe sie festgestellt, dass mit ihr etwas nicht stimme. Sie habe das schon einmal erlebt und habe gedacht, dass könne ja nicht sein, sie habe noch gar keinen Freund gehabt. Zu den von ihr gemalten und im Termin vorgelegten Bildern hat sie ausgeführt, diese seien teilweise in der Therapie entstanden. Es sei Teil davon gewesen, die gemalten Erinnerungen in einen Tresor wegzustecken, wo sie auch aufbewahrt würden. Zu dem Geschehen im Schrebergarten habe sie einzig von ihr nachträglich gemalte Bilder, welche schwarze Kapuzenmänner mit weißen Augen zeigten. Sie könne sich nur noch daran erinnern, dass da ein oder zwei Hunde gewesen seien. Nach ihrer Erinnerung habe dort eine Frau gestanden. Dann sei ein Mann anwesend gewesen, der sich als Frau verkleidet habe. Sie wisse aber nicht mehr mit letzter Sicherheit, ob es sich dabei um den Missbrauch im Schrebergartenhäuschen handele.
31 
Der Zeuge M. hat im Juli 2015 ausgesagt, er sei aktiver H.spieler in S-D. gewesen. Er sei auch als X im Vorstand gewesen. Ob dies im Jahre 1978 oder 1979 gewesen sei, könne er nicht mehr sagen. Zu seiner aktiven Zeit habe er ein- bis zweimal in der Woche trainiert und am Wochenende gespielt. Er habe sich auch in der Vereinsgaststätte aufgehalten. In seiner Vorstandsfunktion sei er für den Bereich Sport zuständig gewesen, nicht Wirtschaft. Er habe daher auch nicht die Pachtverträge mit den jeweiligen Betreibenden der Gaststätte geschlossen. An die Pächter könne er sich nicht mehr erinnern, diese hätten damals schnell gewechselt. Er könne sich auch nicht an ein Kind von Pächtern erinnern. Er würde einem Kind nie eine Katze schenken. Das sei das Allerschlimmste, was getan werden könne. Insbesondere als Tierarzt gehe das nicht. Dies sei ein ethisches Problem. Tiere sollten nicht verschenkt werden. Zu den ihm entgegengehaltenen Vorwürfen könne er nichts sagen. Der Name der Klägerin sei ihm unbekannt. Er könne sich nicht mehr daran erinnern, ob zu der Vereinsgaststätte eine Kegelbahn gehört habe. Möglich sei es, er habe jedenfalls nie gekegelt. In der damaligen Zeit habe er sicher einen Bart getragen. Er sei damals knallig schwarz und dunkel gewesen. Wenn er einen getragen habe, dann stets einen Vollbart. Er habe etwa schulterlange Haare gehabt. Eine Brille habe er eigentlich schon immer getragen, auch als Kind. Denn er habe sehr schlechte Augen.
32 
Die Zeugin H. hat im August 2015 geäußert, sie seien ungefähr von September 1978 bis September 1981 in S-D. gewesen. Die Klägerin sei schon anhänglich gewesen, bevor sie dorthin gezogen seien. Sie sei mit etwa siebzehn Jahren für ein halbes Jahr in der S. Klinik in S. gewesen, wo sie therapeutisch behandelt worden sei. Nach der Vermutung der Therapeuten habe es nahegelegen, dass sie missbraucht worden sei. Sie gehe davon aus, dass es der Klägerin zu dieser Zeit bewusst geworden sei. Während der Zeit in S-D. sei sie noch anhänglicher und ängstlicher geworden. Diese habe von M. eine Katze geschenkt bekommen. Sie könne sich jedoch nicht daran erinnern, bei der Übergabe des Tieres dabei gewesen zu sein. Es könne auch sein, dass die Katze zugelaufen sei und die Klägerin M. nur gefragt habe, ob das Tier gut oder gesund sei. Jedenfalls habe sie über die Katze einen Bezug zu M. hergestellt. An einen Missbrauchsvorfall in einem Schrebergartenhäuschen könne sie sich nicht genau erinnern. Die Klägerin sei zwar einmal für ein paar Stunden verschwunden gewesen. Sie könne allerdings nichts dazu sagen, was passiert sei.
33 
Der Zeuge L. hat im August 2015 kundgetan, M. habe sich als Gast häufiger in der Vereinsgaststätte aufgehalten. Er sei Mitglied der H.mannschaft gewesen. Er erinnere sich daran, dass irgendwann bei der Klägerin Bauchschmerzen aufgetreten seien, insbesondere am Wochenende. Er denke, dass es im Zusammenhang mit einem Urlaub im Bayerischen Wald gewesen sei. Entweder dort oder kurz danach hätten die Auffälligkeiten angefangen. Er könne sich auch an eine schwarze Katze erinnern. Sie sei von M. gewesen. Diese hätten sie damals nur ein paar Wochen gehabt. Die Katze sei nicht zugelaufen. Er gehe sehr stark davon aus, dass sie ein Geschenk gewesen sei. M. habe auch Tiere zur Betreuung gehabt, weshalb er annehme, dass sie von ihm gewesen sei. M. habe die Klägerin auf jeden Fall gekannt. Beide hätten sich insbesondere am Wochenende gesehen. Er könne sich nicht daran erinnern, dass diese ihm speziell aus dem Weg gegangen sei oder sich ihm zugewandt habe. Er sei jedoch als Koch in der Küche tätig gewesen und habe nur wenig davon mitbekommen, was sich in der Vereinsgaststätte abgespielt habe. Wann die Katze abgegeben oder wohin diese gebracht worden sei, könne er nicht sagen. An einen Missbrauch in einem Schrebergartenhäuschen habe er keine Erinnerung.
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Im Termin im April 2015 hat das SG darauf hingewiesen, dass die Feststellungsklage vorliegend die richtige Klageart sein dürfte und der Streitgegenstand darauf zu begrenzen sei, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei. In der Niederschrift über den Termin am 14. Juli 2015, bei dem die Klägerin nicht anwesend gewesen ist, sondern von einem ihrer Prozessbevollmächtigten vertreten worden ist, ist aufgeführt: „Die Klägerin beantragt sodann, es wird festgestellt, dass sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Alter von fünf bis sechs Jahren auf dem Gelände des H. gewesen ist.“ und „laut diktiert und genehmigt“. Mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 2. August 2015 ist vorgetragen worden, trotz des gerichtlichen Hinweises im Erörterungstermin am 16. April 2015 halte sie unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BSG vom 16. Dezember 2014 (Az. B 9 V 1/13 R) am kombinierten Feststellungs- und Leistungsantrag fest.
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In der mündlichen Verhandlung am 27. Oktober 2015 hat die Klägerin schließlich beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung und unter Abänderung des Bescheides vom 5. August 2002 den Beklagten zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem OEG ab 13. November 2000 zu gewähren. Das SG hat die Klage durch Urteil mit der Begründung abgewiesen, selbst unter Zugrundelegung des abgesenkten Beweismaßstabes der Glaubhaftmachung sei es nicht gut möglich, dass die Klägerin 1978 oder im Folgejahr Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden sei, insbesondere in Bezug auf den vorgetragenen sexuellen Missbrauch durch den Zeugen M. Angesichts der detaillierten Schilderung des vermeintlichen sexuellen Missbrauches durch die Klägerin seit Beginn des Verwaltungsverfahrens und im gerichtlichen Verfahren sei es nicht nachvollziehbar, weshalb diese angesichts ihrer vielfältigen ambulanten und stationären psychotherapeutischen Gespräche und Behandlungen in der Zeit seit 1979 bis zu ihrer Erkenntnis im Jahre 1994, sexuell missbraucht worden zu sein, niemals eine sexuelle oder sonstige Gewalttätigkeit auch nur angedeutet habe. Die ersten Schilderungen von Übergriffen seien erst im Rahmen einer mehrjährigen Psychotherapie erfolgt und daher mit Vorsicht zu betrachten. Die Aussage der Klägerin sei erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem sie sich wegen der streitgegenständlichen Gesundheitsstörungen bereits in Therapie befunden habe. Es sei daher nicht auszuschließen, dass etwa im Zusammenhang mit den therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden seien. Die Klägerin habe erstmals im Alter von sechs oder sieben Jahren psychotherapeutische Gespräche geführt. Seit etwa dem elften Lebensjahr habe sie sich in psychotherapeutischer Behandlung befunden. Sie habe im Rahmen der Anzeigenerstattung im Jahre 1995 angegeben, erst mit zehn oder elf Jahren die ersten Vermutung gehegt zu haben. Erst etwa eineinhalb Jahren zuvor sei sie sicher gewesen, von M. sexuell missbraucht worden zu sein. Nach dem Klinikaufenthalt in St. mit etwa siebzehn Jahren habe sie an ihre Eltern vermehrt Fragen zu den Gästen in S-D. gerichtet. Ob es sich um ihre eigene Erinnerung gehandelt habe, sei jedoch fraglich. Darüber hinaus habe sie im Laufe ihres Lebens trotz der immer weiter zurückliegenden Ereignisse neue Episoden wie etwa den Vorfall im Schrebergartenhaus oder den Namen des vermeintlichen Täters geschildert. Nach ihrer eigenen Aussage habe sich alles nach und nach wie ein Puzzle zusammengesetzt. Als besonders problematisch seien jedoch solch vermeintlich wiederentdeckten Aussagen etwa dann zu betrachten, wenn mit oder ohne therapeutische Unterstützung explizite Bemühungen vorgenommen worden seien, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern, wenn Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden seien, wenn im Laufe der Zeit immer mehr Erlebnisse berichtet würden oder wenn die berichteten Erlebnisse bizarre oder extreme Erfahrungen beinhalteten. Die Kammer habe sich nicht davon überzeugen können, dass die Erinnerungen der Klägerin nicht in den Therapien erzeugt oder verändert worden seien. Bereits bei der nervenärztlichen Begutachtung im Jahre 2006 habe die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie E. beschrieben, es habe der Eindruck bestanden, die Klägerin wisse aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrung mit Psychotherapeuten genau, welche Argumente sie bei Untersuchungen vorbringen müsse. Auch die Aussagen der gehörten Zeugen hätten die Kammer nicht von der guten Möglichkeit des Tatgeschehens überzeugen können. Die Zeugin H. und der Zeuge L. hätten sich trotz des geschilderten Vorfalles in der Badewanne nicht daran erinnern können, was mit der Katze geschehen sei. Diese hätten im Wesentlichen lediglich die Erinnerungen der Klägerin bestätigt, welche sie über Jahre wiederholt von ihr berichtet bekommen hätten. Zwar gehe die Kammer davon aus, dass die Klägerin selbst von dem von ihr geschilderten Tatgeschehen auf der Kegelbahn überzeugt sei. Diese habe allerdings im Laufe ihres Lebens eine Vielzahl von Schicksalsschlägen erleiden müssen. Sie sei trotz heftiger Gegenwehr zeitweise durch eine Pflegefamilie betreut worden. Die Ehe ihrer Eltern sei von häufigen Streitereien und Handgreiflichkeiten geprägt gewesen. Als sie etwa elf Jahre alt gewesen sei, hätten diese sich getrennt und zwei Jahre später schließlich scheiden lassen. Als Kind habe die Klägerin immer das Gefühl gehabt, zu kurz zu kommen. Die ersten psychogenen Ohnmachtsanfälle seien nach der Scheidung der Eltern erfolgt. Zudem habe sie im Alter von zwei Jahren den Nachbarn tot im Garten gefunden. Ein Jahr später habe ihr Vater einen Suizidversuch unternommen, bei dem sie ihn aufgefunden habe. Es sei daher nicht ausgeschlossen, dass der geschilderte Missbrauch für die Klägerin lediglich eine Erklärung für ihre gesundheitlichen, insbesondere psychischen Leiden darstelle. Zur Überzeugung der Kammer spreche daher nach der Gesamtwürdigung aller Umstände nicht besonders viel für den von der Klägerin behaupteten Vorgang. Hinsichtlich eines etwaigen Missbrauches in einem Schrebergartenhaus sei der abgesenkte Beweismaßstab der Glaubhaftmachung bereits nicht anwendbar. Dieser erfordere zumindest, dass die Betroffenen Bekundungen aus eigenem Wissen, jedenfalls aber überhaupt Angaben machten. Die Klägerin habe indes angegeben, sie könne sich nur teilweise an den Übergriff erinnern. Sie wisse lediglich noch, einen Mann zu einem Schrebergartenhäuschen begleitet zu haben, welcher einen Hund mitgeführt habe. Dort habe sie etwas getrunken und anschließend einen Blackout gehabt. Sie wisse nur noch, wie sie von ihren Eltern gefunden und mit nach Hause genommen worden sei. Ein tätlicher Angriff müsse vorgefallen sein, da sie Bilder aus ihrer Erinnerung male, die durch jahrelange Therapie mittlerweile ans Licht gekommen seien. An einen eigentlichen Übergriff könne sie sich jedoch nicht erinnern. Auch die gehörten Zeugen hätten insoweit nichts zur Sachverhaltsaufklärung beitragen können. Zu weiteren, über die Auswertung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen hinausgehenden medizinischen Ermittlungen habe kein Anlass bestanden. Ein Rückschluss von einer psychiatrischen Erkrankung auf die zugrundeliegende Tat sei nicht möglich, sondern beinhalte einen Zirkelschluss. Auch gäben die psychischen Probleme der Klägerin nicht einmal einen brauchbaren Hinweis auf die Möglichkeit der Faktizität des geltend gemachten Geschehens. Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens von Amts wegen sei nicht erforderlich. Eine solche aussagepsychologische Begutachtung komme nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, etwa wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehle. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Weder weise die Aussageperson Besonderheiten auf, noch sei der Sachverhalt besonders gelagert. Es handele sich um eine durchaus typische Fallgestaltung für das Recht der Opferentschädigung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung sei gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden seien, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden seien. Zu berücksichtigen sei, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterlägen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt seien. Dies sei bei der Klägerin auch aufgrund des persönlichen Eindruckes der Kammer der Fall. Nach alledem sei der Nachweis für das Vorliegen eines Angriffes nicht erbracht.
36 
Gegen die den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 5. November 2015 zugestellte Entscheidung hat diese am Montag, 7. Dezember 2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt.
37 
Mit gerichtlichem Schreiben vom 4. April 2016 ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mitgeteilt worden, dass nicht beabsichtigt ist, von Amts wegen weitere Ermittlungen durchzuführen, insbesondere ein Gutachten zur Feststellung der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben einzuholen. Weiter sind sie darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass beabsichtigt ist, den Rechtsstreit am 23. Juni 2016 mündlich zu verhandeln. Nachdem ihnen die Ladung am 25. April 2016 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 3. Mai 2016 beantragt, Dr. H. im Rahmen von § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gutachtlich zu hören.
38 
Die in der mündlichen Verhandlung anwesende Klägerin trägt im Wesentlichen vor, das SG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass sie den sexuellen Missbrauch im Kindesalter nicht glaubhaft gemacht habe. Es habe maßgeblich darauf abgestellt, dass ihre ersten Schilderungen der sexuellen Übergriffe erst im Rahmen einer mehrjährigen Psychotherapie erfolgt und daher mit Vorsicht zu betrachten seien. Der Umstand, dass sie erst mit siebzehn oder achtzehn Jahren davon gesprochen habe, könne ihr jedoch nicht zum Nachteil gereichen. Dies sei vielmehr normal. Kinder, die Missbrauchserfahrungen machten, verarbeiteten diese in der Regel so, dass sie verdrängt und nicht ausgesprochen würden. Nur so sei ein Schutz möglich. Vor diesem Hintergrund sei auch die Verjährungsregelung für die Straftatbestände im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch von Minderjährigen geändert worden. Die Verjährung beginne erst mit der Volljährigkeit des Opfers. Das SG hätte daher nicht auf das Alter oder die Zeitdauer zwischen dem sexuellen Missbrauch und ihrer erstmaligen Äußerung dazu abstellen dürfen. Vielmehr sei zu bewerten, ob ihre Aussagen in sich stimmig und nach mehrmaligen Wiederholungen gleichbleibend seien. Sie habe im Verlaufe ihrer Behandlungen und den Schilderungen über den sexuellen Missbrauch nichts weggelassen oder hinzuerfunden. Ferner habe sie sich nicht in Widersprüche verwickelt. Ihre Aussagen seien auch durch die Angaben ihrer Eltern gestützt worden, die hierzu passten. Selbst die Angaben des Zeugen M. stimmten mit ihrem Vortrag überein. Lediglich die Tat bestreite dieser vollumfänglich. Dessen Äußerungen seien insoweit indes nicht glaubhaft. Angeblich erinnere er sich nicht an eine Kegelbahn, obwohl er in dem Verein jahrelang regelmäßig ein- und ausgegangen und dort im Vereinsvorstand tätig gewesen sei. Dass er nie gekegelt habe, sei eine Lüge. Ihr Vater habe ihr gegenüber ausdrücklich bestätigt, dass er sich daran erinnern könne, der Zeuge M. habe in der Vereinsgaststätte diese Freizeittätigkeit ausgeübt. Der Antrag nach § 109 SGG sei im Übrigen rechtzeitig gestellt worden.
39 
Die Klägerin beantragt,
40 
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. Oktober 2015 und den Bescheid vom 18. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 5. August 2002 zurückzunehmen und ihr Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz zu gewähren,
41 
hilfsweise Dr. F. H., T. 21, 10559 B. nach § 109 Sozialgerichtsgesetz gutachtlich dazu zu hören, dass ihre Angaben zum sexuellen Missbrauch durch den Zeugen M. glaubhaft sind.
42 
Der Beklagte beantragt,
43 
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
44 
Er trägt im Wesentlichen vor, ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff sei von der Klägerin weiterhin nicht glaubhaft gemacht worden.
45 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakte des Beklagten (3 Bände) verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
46 
Die am Montag, 7. Dezember 2015 eingelegte Berufung der Klägerin gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 5. November 2015 zugestellte Urteil des SG ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 i. V. m. § 64 Abs. 3 SGG) erfolgt sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 SGG), aber unbegründet.
47 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die angefochtene Entscheidung des SG vom 27. Oktober 2015, soweit damit die in der dortigen mündlichen Verhandlung als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 11. April 2013 - B 2 U 34/11 R -, SozR 4-2700 § 200 Nr. 4, Rz. 30 m. w. N. zur Zulässigkeit einer Kombination von solchen Klagen) erhobene Klage, mit welcher die Klägerin sinngemäß unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2013 die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme des Bescheides vom 5. August 2002 und Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG verfolgt hat, abgewiesen worden ist.
48 
Die Berufung der Klägerin ist nicht bereits wegen der Unzulässigkeit der Klage unbegründet. Die Klägerin konnte diese zwar neben der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nicht zulässigerweise auf die isolierte Feststellung beschränken (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2009 - L 8 U 5884/08 -, juris, Rz. 32 ff. zu einer Teilrücknahme der Klage durch spätere Antragsbeschränkung), dass sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffes im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG geworden ist, wie sie es in der nichtöffentlichen Sitzung am 14. Juli 2015 beim SG ausweislich der hierüber erstellten Niederschrift (§ 122 SGG i. V. m. § 165 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO) vornahm. Ein solches Feststellungsbegehren kann weder auf § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG noch auf § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG gestützt werden, da nur eine isolierte Feststellung von Schädigungsfolgen im Sinne des OEG zulässig ist, nicht aber die Klärung einzelner Elemente als Vorfrage des Anspruches nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 21, Rz. 10 ff.). In der mündlichen Verhandlung am 27. Oktober 2015 erfolgte indes die bereits mit Schriftsatz vom 2. August 2015 angekündigte und wegen § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG mögliche Erweiterung der Hauptsache (vgl. Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 99 Rz. 4), weshalb die Klägerin im Übrigen durch die ablehnende Entscheidung des SG insoweit auch beschwert ist (vgl. Leitherer, a. a. O., vor § 143 Rz. 6). Die Anfechtungsklage ist zudem bis zuletzt durchgängig aufrechterhalten worden, weshalb die mit Bescheid vom 18. Juli 2013 getroffene negative Regelung nicht bestandskräftig geworden und die Klägerin klagebefugt im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG ist.
49 
Soweit die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage die Beseitigung des ablehnenden Bescheides vom 18. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2013 sowie die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme der Verwaltungsentscheidung vom 5. August 2002 und die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG begehrt, ist die Berufung indes wegen der Unbegründetheit der Klage nicht begründet. Denn mangels Vorliegen der Voraussetzungen für die Leistungsgewährung ist die negative Feststellung im Bescheid vom 5. August 2002 nicht rechtswidrig und folglich auch nicht zurückzunehmen gewesen. Eine Regelung wurde darin, gestützt auf die Anzeige der Klägerin bei der Polizeidirektion B., allerdings nur in Anknüpfung an einen sexuellen Missbrauch durch den Zeugen M. als vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff getroffen. Das von der Klägerin angeführte mögliche Geschehen in einem Schrebergarten im S. Stadtteil D. hat dieser Verwaltungsentscheidung nicht zugrunde gelegen, weshalb die Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Bezug darauf nicht Gegenstand einer materiell-rechtlichen Prüfung in diesem Berufungsverfahren sein kann.
50 
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 1 SGB X ist, soweit es sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
51 
Ziel dieser Norm ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer aufzulösen (vgl. BSG, Urteil vom 4. Februar 1998 - B 9 V 16/96 R -, SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, haben Betroffene einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob dieser durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSG, Urteil vom 28. Januar 1981 - 9 RV 29/80 -, BSGE 51, 139 <141>). Auch wenn Betroffene, wie die Klägerin, schon einmal einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt haben, darf die Verwaltung ein erneutes Begehren nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen. Entsprechend dem Umfang des Vorbringens muss sie in eine erneute Prüfung eintreten und Antragstellende bescheiden (BSG, Urteil vom 5. September 2006 - B 2 U 24/05 R -, BSGE 97, 54 <57>). Dem ist der Beklagte hinreichend nachgekommen. Die Klägerin hat den weiteren Überprüfungsantrag insbesondere unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 17. April 2013 (Az. B 9 V 1/12 R) gestellt.
52 
Die Voraussetzungen von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind vorliegend indes nicht erfüllt. Der Beklagte hat bei Erlass seines Ausgangsbescheides vom 5. August 2002 über die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG aufgrund des von der Klägerin angeführten sexuellen Missbrauches durch den Zeugen M. weder das Recht unrichtig angewandt noch ist er von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist. Dass der Beklagte einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde legte, hat auch die Klägerin nicht behauptet. Sie meint im Kern nur, der Beklagte habe es aufgrund einer fehlerhaften Rechtsanwendung unterlassen, ihr Beschädigtenversorgung nach dem OEG zu gewähren. Ihre Ansicht trifft indes nicht zu.
53 
Für einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) sind folgende rechtlichen Grundsätze maßgebend (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, BSGE 113, 205 <208 ff.>):
54 
Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2009 - B 9 VG 1/08 R -, juris, Rz. 27 m. w. N). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind. In Altfällen, also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 und dem Inkrafttreten des OEG am 16. Mai 1976 (BGBl I S. 1181), müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 Satz 2 OEG in Verbindung mit § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in diesem Zeitraum geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind sowie im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
55 
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffes "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen, wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht, hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 32 m. w. N.). Dabei sind je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben worden. Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffes hat das BSG daher aus der Sicht von objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist es in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger oder rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 25 m. w. N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 36 m. w. N.). Ein solcher Angriff setzt eine unmittelbar auf den Körper einer anderen Person zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus; die bloße Drohung mit einer wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht hierfür demgegenüber nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, juris, Rz. 23 ff.).
56 
In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern im Sinne von § 176 StGB hat das BSG den Begriff des tätlichen Angriffes noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Es ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 28 m. w. N.). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG sein (BSG, Urteile vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 4/93 -, BSGE 77, 7, <8 f.> und - 9 RVg 7/93 -, BSGE 77, 11 <13>). Diese erweiternde Auslegung des Begriffes des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten.
57 
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennen das soziale Entschädigungsrecht und damit auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
58 
Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rz. 3b m. w. N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2010 - B 11 AL 35/09 R -, juris, Rz. 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller, a. a. O.).
59 
Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 m. w. N.). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 18 ff.) angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.
60 
Bei dem "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller, a. a. O., Rz. 3d m. w. N.), also der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 f. m. w. N.). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, also es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, a. a. O.), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses, aber kein deutliches Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Tatsachengericht ist allerdings mit Blick auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 15). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" in ihrer am 1. Oktober 1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend - seit Juli 2004 - den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Teil C, Nrn. 1 bis 3 und 12 der Anlage zu § 2 VersMedV; vgl. BR-Drucks 767/1/08 S. 3, 4) inhaltsgleich ersetzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 17).
61 
Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen des behaupteten sexuellen Missbrauches durch den Zeugen M. Nicht erwiesen ist, dass es einen solchen tätlichen Angriff gegeben hat. Es besteht nach den umfassenden Ermittlungen des SG noch nicht einmal die gute Möglichkeit einer derartigen Einwirkung.
62 
Nach § 15 Satz 1 KOVVfG sind die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden der Antragstellenden oder ihrer Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind (vgl. BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3/89 -, BSGE 65, 123 <125>). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 Satz 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen etwa, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 383 ff. ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als solche Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine für die Tatbegehung in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 Satz 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn Angreifende unerkannt geblieben oder flüchtig sind. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, juris, Rz. 41 m. w. N.). Eine solche, vom Anwendungsbereich des § 15 Satz 1 KOVVfG erfasste Konstellation liegt vor, da M. als für die Tatbegehung von der Klägerin benannte Person den Tathergang bei der Vernehmung durch das SG in der nichtöffentlichen Sitzung am 14. Juli 2015 bestritten hat. Für den behaupteten schädigenden Vorgang sind auch sonst keine unmittelbaren Tatzeugen vorhanden, die Eltern haben die angeschuldigte Tat nur von der Klägerin erfahren.
63 
Es ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, dass der Zeuge M. die Klägerin, wie sie behauptet, Ende der 1970er Jahre auf der Kegelbahn der Vereinsgaststätte des H. Club e. V. sexuell missbrauchte und dieser, um sich der wegen der Verfolgungsverjährung (§ 78 StGB) zwar nicht strafrechtlichen, aber doch moralischen Verantwortung für eine begangene Straftat zu entziehen, bei der Vernehmung durch das SG Erinnerungslücken angeführt hat, ohne dass solche wirklich bestanden haben. Mehr als bloß möglich erscheint dies jedoch nicht. Zur Begründung nimmt der Senat auf die überzeugenden ausführlichen und die jüngere Entscheidung des Senats vom 21. April 2015 (L 6 VG 2096/13, juris) hinreichend beachtenden Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil vom 27. Oktober 2015 Bezug und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Im Hinblick auf das weitere Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren ist lediglich ergänzend darauf hinzuweisen, dass der Senat ihren Angaben nicht deshalb kein größeres Gewicht beigemessen hat, weil sie die Umstände des sexuellen Missbrauches nicht vor dem 18. Lebensjahr angeführt hat, sondern dass nicht auszuschließen gewesen ist, dass bei ihr Gedächtnisinhalte erst im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen erzeugt worden sind, die bei ihr in diesem Alter erfolgten.
64 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens von Amts wegen (§ 103 SGG) war unabhängig davon, ob die Klägerin überhaupt über die erforderliche Aussagetüchtigkeit verfügt, nicht erforderlich. Der Senat konnte, nachdem das SG die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren anhörte und sie im Übrigen in der mündlichen Verhandlung beim LSG anwesend war, entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich einem Tatgericht anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt. Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, welche eine Richterin oder ein Richter normalerweise nicht haben (Urteil des Senats vom 21. April 2015, a. a. O., Rz. 49). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im Opferentschädigungsrecht eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (Urteil des Senats vom 21. April 2015, a. a. O., Bayerisches LSG, Urteil vom 26. Januar 2016 -, juris, Rz. 83). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats ausweislich der vorliegenden Entlassungsberichte über mehrere mehrwöchige und sogar mehrmonatige stationäre Klinikaufenthalte gegeben.
65 
Dem hilfsweisen Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens bei Dr. H. nach § 109 SGG war nicht stattzugeben. Das Gericht kann ein solches Gesuch gemäß § 109 Abs. 2 SGG ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Eine Verzögerung in diesem Sinne tritt ein, wenn sich wegen der Beweisaufnahme nach § 109 SGG der durch eine erfolgte oder bevorstehende Terminierung bereits ins Auge gefasste Zeitpunkt der Verfahrensbeendigung verschieben würde (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 109 Rz. 11). Dies wäre vorliegend der Fall gewesen, denn der Antrag wurde erst gestellt, nachdem die mündliche Verhandlung am 23. Juni 2016 anberaumt wurde. Zudem handelte die Klägerin, welcher das Verhalten ihrer Prozessbevollmächtigten zuzurechnen ist, aus grober Nachlässigkeit. Diese liegt beim Verabsäumen jeglicher prozessualer Sorgfalt vor (BSG, Urteil vom 10. Juni 1958 - 9 RV 836/55 -, BSGE 7, 218). Daher müssen Beteiligte den Antrag spätestens innerhalb einer angemessenen Frist stellen, wenn sie erkennen müssen, dass das Gericht keine - weiteren - Erhebungen von Amts wegen durchführt (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Januar 2015 - L 13 SB 348/11 -, juris, Rz. 32; Keller, a. a. O.). Dies hat die Klägerin versäumt. Das Gesuch ist am 3. Mai 2016 und damit erst mehr als eine Woche nach der am 25. April 2016 erfolgten Ladung zur mündlichen Verhandlung angebracht und damit offensichtlich überhaupt erst durch diese veranlasst worden, obwohl der Berichterstatter mit Schreiben vom 4. April 2016 der Klägerin mitgeteilt hat, dass in diesem Verfahren keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen durchgeführt werden, insbesondere kein Gutachten zur Feststellung der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben eingeholt wird.
66 
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
67 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
68 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
46 
Die am Montag, 7. Dezember 2015 eingelegte Berufung der Klägerin gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 5. November 2015 zugestellte Urteil des SG ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 i. V. m. § 64 Abs. 3 SGG) erfolgt sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 SGG), aber unbegründet.
47 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die angefochtene Entscheidung des SG vom 27. Oktober 2015, soweit damit die in der dortigen mündlichen Verhandlung als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 11. April 2013 - B 2 U 34/11 R -, SozR 4-2700 § 200 Nr. 4, Rz. 30 m. w. N. zur Zulässigkeit einer Kombination von solchen Klagen) erhobene Klage, mit welcher die Klägerin sinngemäß unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2013 die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme des Bescheides vom 5. August 2002 und Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG verfolgt hat, abgewiesen worden ist.
48 
Die Berufung der Klägerin ist nicht bereits wegen der Unzulässigkeit der Klage unbegründet. Die Klägerin konnte diese zwar neben der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nicht zulässigerweise auf die isolierte Feststellung beschränken (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2009 - L 8 U 5884/08 -, juris, Rz. 32 ff. zu einer Teilrücknahme der Klage durch spätere Antragsbeschränkung), dass sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffes im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG geworden ist, wie sie es in der nichtöffentlichen Sitzung am 14. Juli 2015 beim SG ausweislich der hierüber erstellten Niederschrift (§ 122 SGG i. V. m. § 165 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO) vornahm. Ein solches Feststellungsbegehren kann weder auf § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG noch auf § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG gestützt werden, da nur eine isolierte Feststellung von Schädigungsfolgen im Sinne des OEG zulässig ist, nicht aber die Klärung einzelner Elemente als Vorfrage des Anspruches nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 21, Rz. 10 ff.). In der mündlichen Verhandlung am 27. Oktober 2015 erfolgte indes die bereits mit Schriftsatz vom 2. August 2015 angekündigte und wegen § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG mögliche Erweiterung der Hauptsache (vgl. Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 99 Rz. 4), weshalb die Klägerin im Übrigen durch die ablehnende Entscheidung des SG insoweit auch beschwert ist (vgl. Leitherer, a. a. O., vor § 143 Rz. 6). Die Anfechtungsklage ist zudem bis zuletzt durchgängig aufrechterhalten worden, weshalb die mit Bescheid vom 18. Juli 2013 getroffene negative Regelung nicht bestandskräftig geworden und die Klägerin klagebefugt im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG ist.
49 
Soweit die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage die Beseitigung des ablehnenden Bescheides vom 18. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2013 sowie die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme der Verwaltungsentscheidung vom 5. August 2002 und die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG begehrt, ist die Berufung indes wegen der Unbegründetheit der Klage nicht begründet. Denn mangels Vorliegen der Voraussetzungen für die Leistungsgewährung ist die negative Feststellung im Bescheid vom 5. August 2002 nicht rechtswidrig und folglich auch nicht zurückzunehmen gewesen. Eine Regelung wurde darin, gestützt auf die Anzeige der Klägerin bei der Polizeidirektion B., allerdings nur in Anknüpfung an einen sexuellen Missbrauch durch den Zeugen M. als vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff getroffen. Das von der Klägerin angeführte mögliche Geschehen in einem Schrebergarten im S. Stadtteil D. hat dieser Verwaltungsentscheidung nicht zugrunde gelegen, weshalb die Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Bezug darauf nicht Gegenstand einer materiell-rechtlichen Prüfung in diesem Berufungsverfahren sein kann.
50 
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 1 SGB X ist, soweit es sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
51 
Ziel dieser Norm ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer aufzulösen (vgl. BSG, Urteil vom 4. Februar 1998 - B 9 V 16/96 R -, SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, haben Betroffene einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob dieser durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSG, Urteil vom 28. Januar 1981 - 9 RV 29/80 -, BSGE 51, 139 <141>). Auch wenn Betroffene, wie die Klägerin, schon einmal einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt haben, darf die Verwaltung ein erneutes Begehren nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen. Entsprechend dem Umfang des Vorbringens muss sie in eine erneute Prüfung eintreten und Antragstellende bescheiden (BSG, Urteil vom 5. September 2006 - B 2 U 24/05 R -, BSGE 97, 54 <57>). Dem ist der Beklagte hinreichend nachgekommen. Die Klägerin hat den weiteren Überprüfungsantrag insbesondere unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 17. April 2013 (Az. B 9 V 1/12 R) gestellt.
52 
Die Voraussetzungen von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind vorliegend indes nicht erfüllt. Der Beklagte hat bei Erlass seines Ausgangsbescheides vom 5. August 2002 über die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG aufgrund des von der Klägerin angeführten sexuellen Missbrauches durch den Zeugen M. weder das Recht unrichtig angewandt noch ist er von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist. Dass der Beklagte einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde legte, hat auch die Klägerin nicht behauptet. Sie meint im Kern nur, der Beklagte habe es aufgrund einer fehlerhaften Rechtsanwendung unterlassen, ihr Beschädigtenversorgung nach dem OEG zu gewähren. Ihre Ansicht trifft indes nicht zu.
53 
Für einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) sind folgende rechtlichen Grundsätze maßgebend (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, BSGE 113, 205 <208 ff.>):
54 
Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2009 - B 9 VG 1/08 R -, juris, Rz. 27 m. w. N). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind. In Altfällen, also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 und dem Inkrafttreten des OEG am 16. Mai 1976 (BGBl I S. 1181), müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 Satz 2 OEG in Verbindung mit § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in diesem Zeitraum geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind sowie im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
55 
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffes "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen, wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht, hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 32 m. w. N.). Dabei sind je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben worden. Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffes hat das BSG daher aus der Sicht von objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist es in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger oder rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 25 m. w. N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 36 m. w. N.). Ein solcher Angriff setzt eine unmittelbar auf den Körper einer anderen Person zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus; die bloße Drohung mit einer wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht hierfür demgegenüber nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, juris, Rz. 23 ff.).
56 
In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern im Sinne von § 176 StGB hat das BSG den Begriff des tätlichen Angriffes noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Es ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 28 m. w. N.). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG sein (BSG, Urteile vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 4/93 -, BSGE 77, 7, <8 f.> und - 9 RVg 7/93 -, BSGE 77, 11 <13>). Diese erweiternde Auslegung des Begriffes des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten.
57 
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennen das soziale Entschädigungsrecht und damit auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
58 
Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rz. 3b m. w. N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2010 - B 11 AL 35/09 R -, juris, Rz. 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller, a. a. O.).
59 
Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 m. w. N.). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 18 ff.) angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.
60 
Bei dem "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller, a. a. O., Rz. 3d m. w. N.), also der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 f. m. w. N.). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, also es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, a. a. O.), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses, aber kein deutliches Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Tatsachengericht ist allerdings mit Blick auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 15). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" in ihrer am 1. Oktober 1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend - seit Juli 2004 - den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Teil C, Nrn. 1 bis 3 und 12 der Anlage zu § 2 VersMedV; vgl. BR-Drucks 767/1/08 S. 3, 4) inhaltsgleich ersetzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 17).
61 
Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen des behaupteten sexuellen Missbrauches durch den Zeugen M. Nicht erwiesen ist, dass es einen solchen tätlichen Angriff gegeben hat. Es besteht nach den umfassenden Ermittlungen des SG noch nicht einmal die gute Möglichkeit einer derartigen Einwirkung.
62 
Nach § 15 Satz 1 KOVVfG sind die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden der Antragstellenden oder ihrer Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind (vgl. BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3/89 -, BSGE 65, 123 <125>). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 Satz 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen etwa, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 383 ff. ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als solche Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine für die Tatbegehung in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 Satz 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn Angreifende unerkannt geblieben oder flüchtig sind. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, juris, Rz. 41 m. w. N.). Eine solche, vom Anwendungsbereich des § 15 Satz 1 KOVVfG erfasste Konstellation liegt vor, da M. als für die Tatbegehung von der Klägerin benannte Person den Tathergang bei der Vernehmung durch das SG in der nichtöffentlichen Sitzung am 14. Juli 2015 bestritten hat. Für den behaupteten schädigenden Vorgang sind auch sonst keine unmittelbaren Tatzeugen vorhanden, die Eltern haben die angeschuldigte Tat nur von der Klägerin erfahren.
63 
Es ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, dass der Zeuge M. die Klägerin, wie sie behauptet, Ende der 1970er Jahre auf der Kegelbahn der Vereinsgaststätte des H. Club e. V. sexuell missbrauchte und dieser, um sich der wegen der Verfolgungsverjährung (§ 78 StGB) zwar nicht strafrechtlichen, aber doch moralischen Verantwortung für eine begangene Straftat zu entziehen, bei der Vernehmung durch das SG Erinnerungslücken angeführt hat, ohne dass solche wirklich bestanden haben. Mehr als bloß möglich erscheint dies jedoch nicht. Zur Begründung nimmt der Senat auf die überzeugenden ausführlichen und die jüngere Entscheidung des Senats vom 21. April 2015 (L 6 VG 2096/13, juris) hinreichend beachtenden Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil vom 27. Oktober 2015 Bezug und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Im Hinblick auf das weitere Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren ist lediglich ergänzend darauf hinzuweisen, dass der Senat ihren Angaben nicht deshalb kein größeres Gewicht beigemessen hat, weil sie die Umstände des sexuellen Missbrauches nicht vor dem 18. Lebensjahr angeführt hat, sondern dass nicht auszuschließen gewesen ist, dass bei ihr Gedächtnisinhalte erst im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen erzeugt worden sind, die bei ihr in diesem Alter erfolgten.
64 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens von Amts wegen (§ 103 SGG) war unabhängig davon, ob die Klägerin überhaupt über die erforderliche Aussagetüchtigkeit verfügt, nicht erforderlich. Der Senat konnte, nachdem das SG die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren anhörte und sie im Übrigen in der mündlichen Verhandlung beim LSG anwesend war, entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich einem Tatgericht anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt. Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, welche eine Richterin oder ein Richter normalerweise nicht haben (Urteil des Senats vom 21. April 2015, a. a. O., Rz. 49). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im Opferentschädigungsrecht eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (Urteil des Senats vom 21. April 2015, a. a. O., Bayerisches LSG, Urteil vom 26. Januar 2016 -, juris, Rz. 83). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats ausweislich der vorliegenden Entlassungsberichte über mehrere mehrwöchige und sogar mehrmonatige stationäre Klinikaufenthalte gegeben.
65 
Dem hilfsweisen Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens bei Dr. H. nach § 109 SGG war nicht stattzugeben. Das Gericht kann ein solches Gesuch gemäß § 109 Abs. 2 SGG ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Eine Verzögerung in diesem Sinne tritt ein, wenn sich wegen der Beweisaufnahme nach § 109 SGG der durch eine erfolgte oder bevorstehende Terminierung bereits ins Auge gefasste Zeitpunkt der Verfahrensbeendigung verschieben würde (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 109 Rz. 11). Dies wäre vorliegend der Fall gewesen, denn der Antrag wurde erst gestellt, nachdem die mündliche Verhandlung am 23. Juni 2016 anberaumt wurde. Zudem handelte die Klägerin, welcher das Verhalten ihrer Prozessbevollmächtigten zuzurechnen ist, aus grober Nachlässigkeit. Diese liegt beim Verabsäumen jeglicher prozessualer Sorgfalt vor (BSG, Urteil vom 10. Juni 1958 - 9 RV 836/55 -, BSGE 7, 218). Daher müssen Beteiligte den Antrag spätestens innerhalb einer angemessenen Frist stellen, wenn sie erkennen müssen, dass das Gericht keine - weiteren - Erhebungen von Amts wegen durchführt (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Januar 2015 - L 13 SB 348/11 -, juris, Rz. 32; Keller, a. a. O.). Dies hat die Klägerin versäumt. Das Gesuch ist am 3. Mai 2016 und damit erst mehr als eine Woche nach der am 25. April 2016 erfolgten Ladung zur mündlichen Verhandlung angebracht und damit offensichtlich überhaupt erst durch diese veranlasst worden, obwohl der Berichterstatter mit Schreiben vom 4. April 2016 der Klägerin mitgeteilt hat, dass in diesem Verfahren keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen durchgeführt werden, insbesondere kein Gutachten zur Feststellung der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben eingeholt wird.
66 
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
67 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
68 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Tenor

I.

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 17. September 2009 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten wegen Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Die 1978 geborene Klägerin, für die mit Änderungsbescheid vom 26.11.2013 des Beklagten ein Grad der Behinderung von derzeit 20 festgestellt worden ist, stellte am 26.09.2000 erstmals Antrag auf Versorgung nach dem OEG, da sie als kleines Kind sieben Jahre lang von ihrem Großvater L. E. missbraucht worden sei. Mit Bescheid vom 01.08.2001 wurde der Antrag abgelehnt, da die Anspruchsvoraussetzungen nicht nachgewiesen seien. In dem daraufhin neu aufgenommenen Verfahren wurde die Klägerin am 02.10.2001 von einer Mitarbeiterin des Beklagten im Rahmen der Sonderbetreuung aufgesucht. Dieser gegenüber machte die Klägerin die folgenden Angaben: Sie sei von ihrem Großvater missbraucht worden. Bis zum 18. Lebensjahr habe sie niemandem davon erzählt, weil es ihr eh niemand geglaubt hätte und weil der Großvater gedroht habe, dass er ihre Mutter umbringen werde und sie, die Klägerin, dabei zuschauen müsse. Die Klägerin habe sehr viel Angst vor ihrem Großvater gehabt, welcher zwischenzeitlich verstorben sei. Dieser habe ihr auch beigebracht, sich auf Befehl mit Gift umzubringen. Sie sei derzeit dabei, alles in Therapien aufzuarbeiten. Ihr Ex-Freund habe sie zu Drogen gebracht, sie geschlagen und sie vergewaltigt. Er sei ein Nazi gewesen, der sozusagen in die Rolle des Großvaters geschlüpft sei. In der ganzen Familie bestünden Missbrauchsfälle. Ihre Mutter, die Zeugin D., sei von deren älterem Bruder missbraucht worden, die Schwester der Mutter, die Zeugin F., von demselben Täter wie die Klägerin. Als Schädigungsfolgen machte die Klägerin eine multiple Persönlichkeitsstörung, autoaggressives Verhalten seit frühester Kindheit und Suizidgefährdung, momentan gebessert, geltend.

Im Verwaltungsverfahren wertete der Beklagte die zahlreichen vorliegenden medizinischen Unterlagen aus. Der Facharzt für psychotherapeutische Medizin und Psychotherapie S. stellte in seinem Bericht vom 25.10.2001 die Diagnose einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung mit Borderline-Beziehungsstruktur und ausgeprägten dissoziativen Mechanismen. Im Entlassungsbericht des Bezirkskrankenhauses (BKH)

A-Stadt bzgl. eines Aufenthalts vom 10.03. bis 14.05.1997 wurde die Diagnose akute Belastungsreaktion bei Trennungskonflikt bei unreifer Persönlichkeit gestellt. Die Aufnahme sei erfolgt, weil die Klägerin sich eine Schnittverletzung am linken Unterarm zugefügt habe, nachdem sie ihr Freund wegen ihrer langjährigen besten Freundin verlassen habe. Der Großvater sei Alkoholiker gewesen. Sie verachte ihn; sie habe mitanschauen müssen, wie er die Großmutter verprügelt habe. Sie habe Angst vor ihm gehabt, obwohl sie seine Lieblingsenkelin gewesen sei. Überhaupt habe es in dieser Familie sehr viele Übergriffe gegeben.

Im Rahmen des früheren Betreuungsverfahrens - eine Betreuung besteht für die Klägerin derzeit nicht - erstellte der Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W. am 04.04.2001 ein Gutachten für das Amtsgericht B-Stadt. Die ersten fünf Jahre ihres Lebens, so die Klägerin, würden ihr fehlen. Ihr Großvater habe sie unsittlich angefasst. Dr. W. stellte die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung im Sinne einer emotional instabilen Persönlichkeit vom Borderline-Typ. Weiter stellte er „Selbstverletzungsverhalten, z. B. Halluzinose, z. B. manische Symptomatik“ fest. Es bestehe eine posttraumatische Belastungsstörung durch massive Misshandlungen durch den Ex-Partner der Klägerin (H. B.). Die Klägerin habe berichtet, dass die schlimmsten Misshandlungen in ihrem Leben durch diesen erfolgt seien. Die psychische Beeinträchtigung sei wohl auch im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung zu sehen, so Dr. W.. In dem Gutachten ist auch von Drogenkonsum die Rede. Im Rahmen der Borderline-Symptomatik, so Dr. W., seien offenbar - auch durch Drogenkonsum induziert - in deutlichem Umfang psychotische Elemente vorhanden.

Am 26.03.2001 sagte die Mutter der Klägerin, die Zeugin D., vor der Amtsrichterin in B-Stadt u. a. aus, dass die Klägerin drogenabhängig sei und in ihrer Kindheit von ihrem Großvater „wohl sexuell missbraucht“ worden sei. Im Befundbericht an den Beklagten vom 30.11.2001 berichtete die Sozialpädagogin D. von W. e.V., Arbeitsgemeinschaft gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen, u. a. davon, dass die Klägerin ihr erstes Beratungsgespräch Ende Juli 1996 wahrgenommen habe. Thema der Beratung sei ein möglicher sexueller Missbrauch durch den Großvater gewesen. Als kleines Kind habe die Klägerin viel Zeit bei den Großeltern verbracht. Die Klägerin habe zwar keine konkreten Erinnerungen an missbräuchliche Handlungen durch den Großvater, es hätten jedoch einige Hinweise dafür gesprochen, dass es möglicherweise sexuelle Übergriffe gegeben haben könnte. Bei der Mutter der Klägerin seien lange verschüttete Erinnerungen an sexuellen Missbrauch durch ihren Vater zurückgekehrt. Zu diesem Zeitpunkt habe sich die Klägerin sehr massiv absichtlich selbst verletzt. Weiterhin habe sie suizidale Gedanken geäußert. Darüber hinaus habe es massive Konflikte im Elternhaus gegeben. Die Klägerin habe es nur schwer verstehen können, dass ihre Mutter, die selbst sexuelle Gewalt durch den Vater als Täter erlebt habe, sie als Kind genau diesem ausgeliefert habe. Im Befundbericht vom 25.02.2002 der A-Klinik O-Stadt, Fachklinik für Psychosomatik und Psychotherapie, bzgl. eines Aufenthalts der Klägerin vom 11.12.2001 bis 08.02.2002 wurden die Diagnosen posttraumatische Belastungsstörung, Bulimia nervosa, Verdacht auf nicht näher bezeichnete dissoziative Störungen, Polytoxikomanie, Verdacht auf Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetypus und Adipositas gestellt. Die Klägerin habe von sexuellem Missbrauch, der über sieben Jahre durch verschiedene Täter an ihr begangen worden sei, berichtet. Ebenso habe sie nach eigenen Angaben psychische und seelische Grausamkeiten über sich ergehen lassen müssen. Im Moment verspüre sie einen ständigen Dauerdruck, sich selbst zu verletzen. Sie komme mit den Erinnerungen an ihre damalige Beziehung nicht zurecht. Ebenso habe sie im Oktober 2001 eine Fehlgeburt erlitten, die sie sehr mitnehme. Zurzeit leide sie auch unter starken Verlassenheitsängsten und Autoaggressionen.

Im Rahmen eines Hausbesuchs wurde am 21.02.2003 die Mutter der Klägerin, die Zeugin D., vom Beklagten einvernommen. Sie sagte aus, dass die Klägerin zunächst ein normales Kind gewesen sei. Im Alter von drei oder vier Jahren sei sie mit den Großeltern und den jüngeren Geschwistern der Mutter in den Urlaub gefahren. Sie, die Mutter, und ihr Mann hätten erst nach einer Woche nachkommen können. Ab dem Zeitpunkt, da sie und ihr Mann am Urlaubsort angekommen seien, habe sie ihre Tochter verändert erlebt. Diese habe sie angesehen, als wolle sie sie fragen, wo sie, die Mutter, gewesen sei. Sie sei ängstlich und in sich zurückgezogen gewesen und habe „geklammert“. Sie habe starke Hustenanfälle bekommen, ohne dass ärztlicherseits ein Befund vorgelegen habe. Sie habe dann auch Essstörungen entwickelt. Auch habe sie Schlafstörungen gehabt und begonnen, ständig hinzufallen sowie sich selbst zu verletzen. Die Klägerin sei öfter alleine übers Wochenende bei den Großeltern gewesen. Der Großvater habe sie immer wieder in ein Bastelzimmer mitgenommen, um mit ihr alleine zu sein. Er sei zu seiner Enkelin auch sehr großzügig gewesen im Hinblick auf Geschenke, die sie aber grundsätzlich zerstört habe. Erst im Alter von 16 habe die Klägerin ihr, der Mutter, dann mitgeteilt, dass sie sich selbst verletze. Beim ersten Aufenthalt im BKH A-Stadt 1997 habe die Klägerin dann ihrer Mutter erstmals von dem sexuellen Missbrauch erzählt. Die Mutter berichtete Folgendes:

„Nach ihren Angaben musste sie ihren Großvater sowohl mit der Hand als auch oral befriedigen. Er hat sie auch anal vergewaltigt. Sie musste mit ihm zusammen Pornofilme ansehen, die er dann mit ihr nachgespielt hat. Er hat ihr auch gewaltverherrlichende Filme, zum Teil mit toten Kindern, die zerstückelt werden, gezeigt und ihr gedroht, wenn sie etwas verraten würde, dann würde er dasselbe mit ihrer Mama machen. Die Tathergänge waren nicht immer gleich. hat mir bis zu zehn verschiedene Varianten erzählt. Es kam wohl immer auf die Umstände und auch die Zeit an, die er zur Verfügung hatte.“

Die Klägerin habe zu Anfang nur darüber gesprochen, dass sie missbraucht worden sei. Wer der Täter sei oder ob es verschiedene Personen gewesen seien, sei der Klägerin selbst zu Anfang noch nicht richtig bewusst gewesen. Erst später, als das Bild des Täters wieder klar in ihrem Bewusstsein aufgetaucht sei, habe sie konkret ihren Großvater benannt. Der Missbrauch habe sich von dem besagten Urlaub in relativ regelmäßigen Abständen kontinuierlich bis zum elften Lebensjahr der Klägerin erstreckt. Nach einem Streit habe die Mutter der Klägerin den Kontakt mit ihrem Großvater verboten. Seit dem Urlaub habe sie, die Mutter, immer das Gefühl gehabt, dass die Klägerin etwas erlebt haben müsse. In der Zeit, als ihre Tochter mit H. B. befreundet gewesen sei, habe dieser sie einmal im schwangeren Zustand die Treppe hinabgestoßen; bei diesem Sturz habe sie dann das Kind verloren. Durch dieses Ereignis sei in ihrem Inneren etwas „aufgegangen“ und die Kindheitserlebnisse wohl „hochgekommen“.

Mit Bescheid vom 11.08.2003 lehnte der Beklagte den Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG unter Verweis auf die objektive Beweislast ab. Zum Tathergang gebe es lediglich die Aussagen der Klägerin, jedoch keine Zeugen, die diesen schildern könnten. Zwar lägen mit den Aussagen der Mutter der Klägerin und der persönlichen „psychologischen“ Situation der Klägerin Indizien für eine Missbrauchssituation im Kindesalter vor. Allerdings stünden die Angaben der Mutter und die vorliegenden ärztlichen Anamneseerhebungen des BKH A-Stadt und der A-Klinik O-Stadt sowie die Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft W. in erheblichem Widerspruch zueinander. In diesen Unterlagen sei u. a. festgehalten, dass die Klägerin selbst keine konkreten Erinnerungen an eine Missbrauchssituation habe bzw. dass dies aus medizinischer Sicht auch in keinster Weise angedeutet oder gar bestätigt worden sei. Aufgrund dieser Ungereimtheiten sei der Sachverhalt nicht zur „Zufriedenheit und Überzeugtheit“ aufgeklärt. Es bestünden weiterhin begründete Zweifel.

Hiergegen legte die Klägerin am 10.09.2003 Widerspruch ein. Von Seiten des Beklagten, so die Begründung, seien noch nicht alle Beweismittel ausgeschöpft worden; auch hätten sich neue Zeugen aufgetan. Zudem wies die Klägerin darauf hin, dass es für sie nicht nachvollziehbar sei, dass sich die Angaben ihrer Mutter und der Bericht der A-Klinik widersprechen sollten.

Ohne weitere Ermittlungen wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.11.2003 als unbegründet zurück. Bezüglich der erlittenen Missbrauchshandlungen bestünden von Seiten der Klägerin keine konkreten zeitlichen und örtlichen Einordnungen. Es werde nur von derartigen Handlungen gesprochen. Auch die Mutter der Klägerin vermöge hierzu keine genaueren Angaben zu machen. Der mutmaßliche Täter sei bereits 1992 verstorben. Aufgrund der vorliegenden Ermittlungen bestehe lediglich die Möglichkeit einer Gewalttat, was nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) jedoch nicht ausreiche. Neben den eigenen Angaben der Klägerin bestünden keinerlei weiteren Hinweise, insbesondere aus dem schulischen und beruflichen Verlauf als äußere Umstände deute nichts auf eine erlittene Gewalttat hin.

Mit Schreiben vom 23.12.2003 hat die Klägerin hiergegen Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben. Zur Klagebegründung hat die Klägerin ihre Mutter und ihren Stiefvater als Zeugen benannt ( D. und C.) sowie auf die aktuellen Behandlungen verwiesen.

Im Entlassungsbericht der Fachklinik H. hinsichtlich einer stationären Behandlung vom 29.12.2004 bis 02.03.2005, in dem die Diagnosen Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr und emotional instabile Persönlichkeitsstörung, Borderline-Typus, sowie posttraumatische Belastungsstörung genannt sind, wird von einem massiven Selbstverletzungsdruck sowie davon berichtet, dass die Klägerin bereits viel an ihren kindlichen Missbrauchsthemen therapeutisch gearbeitet habe („sieben Jahre Missbrauch durch Großvater mütterlicherseits im Kleinkindalter“). Gegenwärtig fühle sie sich etwas stabilisiert, so dass sie an den Themen der Traumatisierungen während ihrer ca. vier Jahre andauernden Beziehung zu einem „kriminellen, gewalttätigen, zur rechtsradikalen Szene gehörenden Mann“ arbeiten könne.

Mit Urteil vom 17.09.2009 ist die Klage abgewiesen worden. Die Angaben der Klägerin seien zu vage, so dass sie einer Beweiserhebung nicht zugänglich seien. Das klägerische Vorbringen beschränke sich auf Andeutungen. Die Klägerin habe viele Gelegenheiten zu Präzisierungen „über Jahre“ nicht wahrgenommen.

Am 06.11.2009 hat die Klägerin Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) erhoben. Zur Begründung hat sie auf die Traumaforschung verwiesen und klargestellt, dass sie gezielt befragt werden wolle. Sie könne nicht ohne gezielte Fragestellung an Traumasequenzen kommen. Zudem hat die Klägerin einige abstrakte Kurzbeschreibungen von Missbrauchshandlungen ohne konkrete Zuordnungen mitgeteilt. Weiter hat die Klägerin fünf Zeugen genannt, die sie, die Klägerin, als Opfer kennen würden und den Täter erlebt hätten.

Auf die Anfragen des Gerichts zu den Quellen hinsichtlich der von der Klägerin erwähnten Traumaforschung hat die Klägerin nicht mehr mitgewirkt. Erst am 03.11.2013 hat sie sodann aktuelle Erklärungen über die Entbindung von der Schweigepflicht unterzeichnet und im Folgenden eine ärztliche Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr. S. vom 04.11.2013 übersandt, derzufolge die Klägerin unter den Folgen einer posttraumatischen Belastungsstörung mit emotional instabiler Persönlichkeitsstörung als Folge eines wiederholten vom Großvater verübten sexuellen Missbrauchs als Kind zwischen dem vierten und elften Lebensjahr leide.

Am 21.11.2013 hat ein Erörterungstermin des Senats stattgefunden, in dem vor allem die Aussagemöglichkeiten der fünf benannten Zeugen besprochen worden sind.

Mit Schriftsatz vom 12.12.2013 hat der Beklagte u. a. darauf hingewiesen, dass vorliegend eine Anwendung von § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) grundsätzlich in Betracht komme, da die übrigen Zeugen die Taten nach den Angaben der Klägerin nicht beobachtet hätten. Bei Anwendung der Vorschrift sei bei der Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens zu beachten, dass der danach anzuwendende Beweismaßstab der Glaubhaftmachung geringere Anforderungen stelle als in einem aussagepsychologischen Gutachten.

Zudem ist von Klägerseite ein Schreiben der Klägerin (vom 10.01.2014) vorgelegt worden. Darin hat diese hervorgehoben, dass sie sich nicht alleine zu Hause mit dem Thema beschäftigen und alles aufschreiben könne, auch wenn das Gericht eine genaue Schilderung der Übergriffe mit Datum erbitte. Sie könne sich mit dem Thema nicht ohne ärztliche Unterstützung im notwendigen Umfang auseinandersetzen, dies könne ansonsten schlimme psychische Auswirkungen auf sie haben. Im Schreiben vom 04.02.2014 hat die Klägerin Stellung genommen, bei welchem Anlass sie sich erstmals an die Missbrauchserlebnisse erinnert habe. Dazu könne sie nur sagen, dass die Erinnerungen immer da gewesen seien, erst als sie jedoch älter geworden sei, habe sie das verstanden. Zudem habe sie noch die verdrängten Erinnerungen gehabt, die so schlimm gewesen und erst später „hochgekommen“ seien.

Am 27.06.2014 hat ein Beweisaufnahmetermin des Senats stattgefunden. Darin hat die Zeugin D. im Wesentlichen ausgesagt, dass sie keine Tatzeugin eines sexuellen Missbrauchs sei. Sie hat jedoch Verhaltensänderungen ihrer Tochter „hinterher“ geschildert und insbesondere von einem Urlaub in der Pfalz in den 1980er Jahren berichtet, den die Klägerin zunächst ohne ihre Eltern, jedoch u. a. gemeinsam mit den Großeltern verbracht habe. Die Klägerin sei nach Hinzukommen der Eltern „komplett verändert“ gewesen. Sie, die Zeugin, habe ihre Tochter dann als sehr introvertiert erlebt; sie sei wie ausgewechselt gewesen. Diese Veränderung sei bestehen geblieben.

Weiter hat die Zeugin angegeben, dass sie selbst als Kind missbraucht worden sei und begonnen habe, dies Anfang der 1990er Jahre aufzuarbeiten; sie habe darauf vorsichtig hingewiesen. Ihre Tochter habe hierauf ungewöhnlich stark reagiert und auch im Übrigen entsprechende Situationen z. B. im Fernsehen gut zu deuten gewusst, soweit Kindesmissbrauch das Thema gewesen sei. Nach dem Tod des Großvaters habe sie dann Näheres vom Missbrauch berichtet. Sie habe erzählt, dass sie mit dem Großvater Filme ansehen habe müssen, in denen Leichen geschändet und tote Kinder missbraucht worden seien. Sie habe auch von einer Tätowierung des Großvaters am inneren Oberarm berichtet, die keiner jemals gesehen habe. Die Klägerin habe ihr, der Zeugin, berichtet, dass sie von ihrem Großvater anal vergewaltigt worden sei. Anhand der Datierung von Fotos habe sie das Geschehen zeitlich zugeordnet. Die Zeugin hat hierzu Fotos vorgelegt. Ihre Tochter sei in dem Raum, in dem der Großvater geschnitzt habe, dem sogenannten Vogelzimmer, missbraucht worden. Der Täter habe auf den Teddybär der Klägerin ejakuliert. Sie selbst, so die Zeugin, sei nicht von ihrem Vater missbraucht worden, sondern von ihrem - mittlerweile toten - Bruder.

Der Zeuge E. (Onkel der Klägerin) hat zu einem sexuellen Übergriff auf die Klägerin keine Angaben machen können. Auch über andere Fälle sexuellen Missbrauchs in der Familie könne er keine ordnungsgemäße Aussage treffen, weil er entweder noch nicht auf der Welt gewesen sei und auch sonst die Vorfälle nur vom Hörensagen kenne. Der Zeuge hat angegeben, sich an keinerlei Begebenheiten erinnern zu können, dass es zu Vorfällen gegenüber den Enkelkindern seines Vaters gekommen sei. Es habe regelmäßigen Kontakt zwischen seinem Vater, dem Großvater der Klägerin, und dieser gegeben habe, bei welchem er, der Zeuge, auch anwesend gewesen sei. Auffälligkeiten am Verhältnis zwischen der Klägerin und seinem Vater habe er nicht in Erinnerung.

Auch die Zeugin F. (Tante der Klägerin) hat keine Angaben über einen sexuellen Missbrauch bzgl. der Klägerin aus eigener Kenntnis machen können. Die Klägerin habe ihr, der Zeugin, als Erstere Anfang 20 gewesen sei, erzählt, dass sie von ihrem Großvater sexuell missbraucht worden sei. Sie sei von ihm anal vergewaltigt worden, nämlich in dem sogenannten Vogelzimmer. Er habe die Klägerin nach deren Angaben auch bedroht, indem er ihr Kriegserlebnisse erzählt und angedroht habe, ihr Ähnliches anzutun, wenn sie etwas von dem Missbrauch erzählen würde. Sie habe auch von Übergriffen in L-Stadt in der Pfalz im Urlaub erzählt; an Näheres hat sich die Zeugin aber nicht mehr erinnern können. Anfang der 1980er Jahre habe sie, die Zeugin, mit ihren Eltern, eine „depressive“ Stimmung in der Familie der Klägerin (damals Familie C.) bemerkt, die sich auch auf die Klägerin ausgewirkt habe. Als Schulkind etwa zehn Jahre später habe diese begonnen, sich selbst zu verletzen. Der Grund für diese Stimmungslage sei ihr, der Zeugin, damals nicht ersichtlich gewesen. Heute erkläre sie sich diese auch mit dem Missbrauch. D. sei wohl mit ihrem damaligen Ehemann C. auch nicht glücklich gewesen. Die Zeugin hat weiter angegeben, selbst - im Alter von weniger als zwei Jahren - von L. E. missbraucht worden zu sein. Hinsichtlich des Urlaubs in der Pfalz hat die Zeugin keine besonderen Auffälligkeiten in Erinnerung gehabt. Ferner hat sie berichtet, dass ihre Mutter sie davor gewarnt habe, als sie ein Kleinkind gewesen sei, zu Hause in Strumpfhosen herumzulaufen, um ihren Vater, den Großvater der Klägerin, „nicht auf falsche Gedanken zu bringen“. Beim gemeinsamen Baden in der Badewanne mit ihrem Vater habe sie Badekleidung tragen müssen. Schließlich hat sich die Zeugin an Missbrauchsspuren an ihrer Nichte Y. während eines gemeinsamen Urlaubs u. a. mit dem Großvater der Klägerin ca. 1976 erinnert.

Die Großmutter der Klägerin (und Witwe des beschuldigten Täters) E. hat gegenüber dem Gericht am 26.08.2014 erklärt, sich an nichts mehr erinnern zu können und von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen.

Der Stiefvater der Klägerin C. hat gegenüber dem Gericht im Schreiben vom 16.07.2014 im Wesentlichen berichtet, dass er erst im Jahr 2000 von der Klägerin in einem Brief Kenntnis von dem sexuellen Missbrauch erhalten habe. Diesen habe die Klägerin bestimmt nicht erfunden. An besondere Auffälligkeiten im Verhältnis zwischen der Klägerin und ihrem Großvater hat sich der Zeuge nicht erinnert.

Der Onkel der Klägerin E. hat am 31.08.2014 gegenüber dem Gericht erklärt, über den sexuellen Missbrauch nichts berichten zu können. Er habe nur durch Erzählungen Kenntnis von den Vorwürfen. Irgendwelche allgemeinen Auffälligkeiten im Verhältnis zwischen dem Beschuldigten und der Klägerin seien ihm nicht in Erinnerung; auch habe er keine Veränderungen an der Klägerin zwischen 1980 und 1990 festgestellt. Weitere sachdienliche Aussagen könne er nicht machen.

Im Folgenden hat sich die Zeugin D. schriftlich an das Gericht gewandt und weitere Hinweise gegeben, u. a. zu einem „spürbaren sexualisierten Verhalten“ des Großvaters der Klägerin.

Mit Schreiben vom 21.07.2014 hat die Bevollmächtigte ein an sie gerichtetes Schreiben der Klägerin an das Gericht übersandt. Darin hat die Klägerin berichtet, dass sie sich nun einen geschützten Rahmen geschaffen habe. Zu dem Missbrauch hat sie nun konkretere Angaben gemacht. Insbesondere hat sie angegeben, dass sie von ihrem Großvater über Jahre anal, vaginal und oral missbraucht worden sei.

Mit gerichtlichem Schreiben ist die Klägerseite sodann darauf hingewiesen worden, dass die Klägerin in dem Schreiben vom 21.07.2014 erstmals nun doch detailliertere Angaben über den von ihr erlittenen sexuellen Missbrauch gemacht habe, wenn auch nicht zeitlich näher bestimmt. Diese Angaben dürften mehr als bloße bruchstückhafte Bildsegmente darstellen. Der Klägerseite ist Gelegenheit gegeben worden, darzulegen, weshalb nun plötzlich doch detaillierte Angaben über den sexuellen Missbrauch möglich seien. Hierauf hat die Klägerin am 19.09.2014 geantwortet und dabei auf die Berufungsbegründung verwiesen, in der bereits Einzelheiten zum sexuellen Missbrauch vorgetragen worden seien, wenn auch schlagwortartig verkürzt.

Am 22.04.2015 hat sich der Beklagte in einem ausführlichen Schriftsatz zu allen entscheidungserheblichen Aspekten des Rechtsstreits geäußert.

Zunächst hat der Beklagte die Auffassung vertreten, dass einige der geschilderten Handlungen bereits aus Rechtsgründen keinen tätlichen Angriff im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG darstellen würden. Auch in den Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern habe das BSG, so der Beklagte, nicht auf das Erfordernis der körperlichen Einwirkung des Täters auf das Opfer verzichtet. Weiter hat der Beklagte näher dargelegt, dass nach seiner Auffassung nur Verbrechen als schwere vorsätzliche Gewalttaten geeignet seien, dass ein Sekundäropfer, das Augenzeuge der entsprechenden Tat werde, hierauf einen Schockschaden stützen könne. Es komme also nicht darauf an, ob die Klägerin Augenzeugin von Körperverletzungen des beschuldigten Täters gegenüber der Großmutter geworden sei.

Allein die geschilderte anale, vaginale und orale Misshandlung durch den Großvater der Klägerin sowie gegebenenfalls das stichwortartig beschriebene Anfassen des Großvaters an den Genitalien würden tätliche Angriffe im Sinne der genannten Vorschrift darstellen. Ein Tatnachweis lasse sich, so der Beklagte, mit dem Beweismaßstab des Vollbeweises vorliegend aber nicht führen. Auch die Voraussetzungen des § 15 Satz 1 KOVVfG, wonach die Angaben der Klägerin glaubhaft erscheinen müssten, lägen nicht vor. Die Angaben der Klägerin über den sexuellen Missbrauch durch ihren Großvater könnten wegen der hohen Wahrscheinlichkeit von bloßen Scheinerinnerungen der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden. Zudem hat der Beklagte die begünstigenden Faktoren und Kennzeichen für Scheinerinnerungen nach der maßgeblichen aussagepsychologischen Fachliteratur dargelegt und im Einzelnen herausgearbeitet, dass sich vorliegend mehrere der genannten Faktoren und Kennzeichen für Scheinerinnerungen finden würden. Die Aussagen der vernommenen Zeugen (vom Hörensagen) könnten, so der Beklagte, die aufgezeigten Anhaltspunkte für das Vorliegen von Scheinerinnerungen nicht entkräften.

Zur Frage einer aussagepsychologischen Begutachtung hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass vorliegend die Einholung eines solchen Sachverständigengutachtens nicht zwingend und dass sogar möglich sei, dass eine Rekonstruktion der Aussageentstehung und Aussageentwicklung mangels Masse an verwertbaren vorangegangenen Aussagen der Klägerin an Grenzen stoße; die Untersuchung der Aktenlage erweise sich nämlich als problematisch, wenn lediglich zu einem bestimmten Zeitpunkt (hier mit Schreiben vom 21.07.2014) detaillierte Ausführungen gemacht und sich die Ausführungen des Probanden im Übrigen in stichwortartigen Andeutungen erschöpfen würden. Vorliegend sei zudem fraglich, ob die Klägerin über die erforderliche Aussagetüchtigkeit verfüge; diese Zweifel ergäben sich aus dem bisherigen Aussageverhalten der Klägerin, die sich jahrelang nicht in der Lage gesehen habe, detaillierte Ausführungen zu machen. Im Übrigen hat der Beklagte keinen Ansatz für weitere zielführende Ermittlungen gesehen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG vom 17.09.2009 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 11.08.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.11.2003 zu verurteilen, als Schädigungsfolgen im Sinne des OEG Folgen einer posttraumatischen Belastungsstörung mit emotional instabiler Persönlichkeitsstörung sowie autoaggressives Verhalten (Borderline) festzustellen und Versorgung zu gewähren,

sowie hilfsweise,

die Ermittlungen von Amts wegen fortzuführen und ein aussagepsychologisches Gutachten einzuholen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Das SG hat zu Recht die Klage gegen den Bescheid vom 11.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.11.2003 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist formell und materiell rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff auf die Klägerin im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist, wie das SG zutreffend entschieden hat, nicht nachgewiesen.

Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Über die Voraussetzung hinaus, dass der tätliche Angriff im strafrechtlichen Sinn rechtswidrig sein muss, bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG, dass Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.

Bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG (und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette) geht der Senat von folgenden rechtlichen Maßgaben aus (vgl. z. B. Urteile v. 05.02.2013, Az.: L 15 VG 22/09, vom 20.10.2015, Az.: L 15 VG 23/11, und 16.11.2015, Az.: L 15 VG 28/13; zum Ganzen vgl. auch BSG, Urteile v. 17.04.2013, Az.: B 9 V 1/12 R sowie Az.: B 9 V 3 /12 R, und v. 16.12.2014, Az.: B 9 V 1/13 R):

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist zu berücksichtigen, dass die Verletzungshandlung im OEG entsprechend dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt ist (vgl. BSG, Urteil v. 07.04.2011, Az.: B 9 VG 2/10 R, m. w. N.). Gleichwohl orientiert sich die Auslegung an der im Strafrecht gewonnenen Bedeutung des auch dort verwendeten rechtstechnischen Begriffs des „tätlichen Angriffs“ (vgl. insbesondere BSG, Urteil v. 28.03.1984, Az.: B 9a RVg 1/83). Die Auslegung hat sich mit Rücksicht auf den das OEG prägenden Gedanken des lückenlosen Opferschutzes aber weitestgehend von subjektiven Merkmalen (z. B. einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) gelöst (st. Rspr. seit 1995; vgl. BSG, Urteil v. 07.04.2011, a. a. O., m. w. N.). Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat das BSG vornehmlich aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden (vgl. z. B. Urteil v. 29.04.2010, Az.: B 9 VG 1/09 R).

Der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist also grundsätzlich unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§ 113, 121 StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (vgl. BSG, a. a. O., m. w. N.).

Soweit eine gewaltsame Einwirkung vorausgesetzt wird, hat das BSG entschieden, dass der Gesetzgeber durch den Begriff des „tätlichen Angriffs“ den schädigenden Vorgang im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise begrenzt und den im Strafrecht uneinheitlich verwendeten Gewaltbegriff eingeschränkt hat (vgl. BSG, Urteil v. 07.04.2011, a. a. O., m. w. N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (vgl. hierzu z. B. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 240, Rdnr. 8 ff, m. w. N.) zeichnet sich der tätliche Angriff gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, d. h. er wirkt physisch auf einen anderen ein (vgl. das strafrechtliche Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB).

Ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG liegt im Regelfall bei einem gewaltsamen, handgreiflichen Vorgehen gegen eine Person vor (vgl. BSG, a. a. O., m. w. N.), setzt jedoch nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus; das BSG ist einem an Aggression orientierten Begriffsverständnis des tätlichen Angriffs letztlich nicht gefolgt (st. Rspr. seit 1995; vgl. BSG, Urteile vom 18.10.1995, Az.: B 9 RVg 4/93 und B 9 RVg 7/93 bzgl. sexuellen Missbrauchs an Kindern). Dahinter steht der Gedanke, dass auch nicht zum (körperlichen) Widerstand fähige Opfer von Straftaten den Schutz des OEG genießen sollen (vgl. BSG v. 07.04.2011, a. a. O.); in Fällen sexuellen Missbrauchs an Kindern ist für die „unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Kindes“ entscheidend, dass die Begehensweise, nämlich die sexuelle Handlung, eine Straftat war, unabhängig davon, ob bei der Tatbegehung das gewaltsam handgreifliche (oder das spielerische) Moment im Vordergrund steht (vgl. BSG, a. a. O., m. w. N.).

Die von der Klägerin geltend gemachte Handlung der Vergewaltigung bzw. des sexuellen Missbrauchs durch den Beschuldigten muss jedoch nachgewiesen sein. Wie der Senat wiederholt (vgl. z. B. Urteile vom 05.05.2015, Az.: L 15 VG 31/12, 18.05.2015, Az. L 15 VG 17/09 ZVW, und 20.10.2015, a. a. O.) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d. h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92; Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 128, Rdnr. 3b).

Unter Beachtung dieser Maßgaben vermag sich das Gericht nicht im Sinne des Vollbeweises davon zu überzeugen, dass die Klägerin von ihrem Großvater L. E. sexuell missbraucht worden ist.

Auch die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG verhilft der Klägerin nicht zum Erfolg.

Nach dieser Vorschrift sind die Angaben des Antrag S.s, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen, „wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antrag S.s oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind“. Die Beweiserleichterung kann prinzipiell auch im Hinblick auf solche Tatsachen anwendbar sein, die in Zusammenhang mit einer Schädigung stehen, welche vom OEG erfasst wird. Zwar wollte der Gesetzgeber ursprünglich nur der Beweisnot entgegenwirken, in der sich Antrag S. befanden, weil sie durch Kriegsereignisse (wie Flucht, Vertreibung, Bombenangriffe etc.) die über sie geführten Krankengeschichten, Befundberichte, Urkunden etc. nicht mehr erlangen konnten. Mit der Verweisung in § 6 Abs. 3 OEG hat der Gesetzgeber jedoch der Beweisnot derjenigen Verbrechensopfer Rechnung tragen wollen, bei denen die Tat ohne Zeugen geschehen ist und bei denen sich der Täter einer Feststellung entzogen hat, mithin andere Beweismittel als die eigenen Angaben des Betroffenen nicht zur Verfügung stehen (vgl. BSG v. 31.05.1989, Az.: B 9 RVg 3/89; BSG v. 17.04.2013, a. a. O.; vgl. auch die Entscheidungen des Senats v. 17.08.2011, Az.: L 15 VG 21/10, und v. 21.04.2015, Az.: L 15 VG 24/09).

Die Beweiserleichterung gilt nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil v. 31.05.1989, a. a. O.) - gewissermaßen in einer zweiten Stufe einer erweiternden Auslegung - zudem nicht nur für das Verwaltungsverfahren, sondern auch im gerichtlichen Verfahren, weil sie, so das BSG, nicht nur das Verfahren der Verwaltung regle, sondern „materielles Beweisrecht“ enthalte (a. a. O.).

Ob sie weiter darüber hinaus (dritte Stufe) sogar in Fällen wie dem vorliegenden anwendbar ist, in denen Zeugen als Beweismittel vorhanden sind (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013, a. a. O.), kann hier offen bleiben (zu den grundlegenden Bedenken des Senats vgl. die Darlegungen im Urteil vom 21.04.2015, a. a. O.). Denn selbst wenn man den genannten Maßstab der Glaubhaftigkeit genügen lassen wollte, würde das der Berufung der Klägerin nicht zum Erfolg verhelfen. Nach Auffassung des Senats können die Aussagen der Klägerin nicht als glaubhaft angesehen werden, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für die Möglichkeit des sexuellen Missbrauchs der Klägerin durch ihren Großvater sprechen würde (vgl. BSG v. 17.04.2013, a. a. O.). Von den in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten kommt der eines solchen Angriffs auf die Klägerin im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch L. E. nicht einmal ein gewisses Übergewicht zu. Aus Sicht des Senats besteht allenfalls eine (geringe) Möglichkeit für das von der Klägerin geschilderte Geschehen.

Dies ergibt sich aus Folgendem:

Objektive Tatzeugen gibt es nicht. Nach den einzelnen Missbrauchshandlungen, die von der Klägerin behauptet werden, ist keine körperliche Untersuchung durchgeführt worden. Weitere objektive Beweismittel sind nicht vorhanden.

1. Keiner der einvernommenen Zeugen hat den sexuellen Missbrauch bestätigen können. Die Aussagen der Zeugen waren eher vage und bestanden in der Regel nur aus Vermutungen. Letztlich haben die Zeugenaussagen kaum Greifbares ergeben. Exemplarisch ist hierfür die Aussage des Stiefvaters der Klägerin C. vom 16.07.2014, in der er wörtlich geäußert hat, dass „in dieser Richtung eigentlich alles möglich“ sei. Konkretere Angaben konnten die Zeugen - mit Ausnahme der Mutter der Klägerin, D. (s. u.) - jedoch nicht machen.

Zwar haben die Zeuginnen D. und F. eine Wesensveränderung der Klägerin Anfang der 1980er Jahre behauptet. Wie der Beklagte jedoch zutreffend hervorgehoben hat, handelt es sich lediglich um ihre nachträgliche subjektive Interpretation. Aus keiner der Schilderungen der Zeugen ergibt sich eine spezifische und glaubhafte Veränderung der Klägerin nach der behaupteten Tat.

Insbesondere was den Urlaub in der Pfalz und etwaige Auffälligkeiten am Verhalten der Klägerin betrifft, lassen sich daraus keine Rückschlüsse auf ein mögliches Missbrauchserlebnis ziehen. Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, wenn nicht sogar naheliegend, dass die Klägerin dort entsprechend der Aussage des Zeugen C. an Keuchhusten erkrankt war und sich deshalb anders als gewöhnlich verhalten hat, z. B. als dann ihre Mutter am Urlaubsort eingetroffen war.

Vielmehr ergeben sich aus den Zeugenaussagen sogar Hinweise, die gegen einen sexuellen Missbrauch durch den beschuldigten Großvater der Klägerin sprechen. So haben die Zeugen E., E. und C. eine Veränderung im Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Beschuldigten gerade nicht bestätigen können. Vielmehr hat der Zeuge E. im Beweisaufnahmetermin des Senats auf Nachfrage ausdrücklich erklärt, dass es regelmäßigen Kontakt zwischen dem Großvater und seiner Enkelin gegeben habe, bei welchem er, der Zeuge, auch anwesend gewesen sei. Auffälligkeiten am Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Beschuldigten hatte der Zeuge nicht in Erinnerung.

Auch aus der Zeugenaussage und den weiteren Angaben der Mutter der Klägerin, D., ergibt sich nicht, dass die Angaben der Klägerin als glaubhaft im Sinne von § 15 Satz 1 KOVVfG anzusehen wären. Zwar könnten die Aussagen der Mutter, vor allem im Rahmen des Hausbesuchs am 21.02.2003 wie auch im Beweisaufnahmetermin am 27.06.2014 u. U. als (gewisses) Indiz für das Vorliegen einer Missbrauchssituation im Kindesalter gewertet werden. Zur Überzeugung des Senats steht jedoch fest, dass die Zeugin, die ein eigenes Berufungsverfahren beim BayLSG führt (Az.: L 18 VG 42/12), entsprechend ihrer eigenen Aussage seit Anfang der 1990er Jahre einen (angeblich) selbst erlittenen sexuellen Missbrauch aufarbeitet. Insoweit ist nicht von der Hand zu weisen, dass mit Blick auf das Eigeninteresse der Zeugin hier erhebliche Objektivitätsdefizite bestehen könnten. Die Zeugin spielt aus Sicht des Senats im Hinblick auf die Angaben der Klägerin eine zentrale Rolle. Sie hat versucht, mit der Klägerin deren (angebliche) Missbrauchserlebnisse aufzuarbeiten; der Beklagte hat in seinem Schriftsatz vom 22.04.2015 im Einzelnen zu Recht darauf hingewiesen, dass es von der Zeugin insoweit suggestive Informationen (als respektierte Autoritätsperson) hinsichtlich des angeblichen sexuellen Missbrauchs der Klägerin gegeben hat (vgl. auch unten).

2. Auch die Aussagen der Klägerin führen nicht zu der Wertung, dass besonders viel für die Möglichkeit eines sexuellen Missbrauchs zu ihren Lasten sprechen würde. Trotz der im Schreiben vom 21.07.2014 - schließlich doch - gemachten konkreteren Angaben über einen anal, vaginal und oral „über Jahre“ erfolgten sexuellen Missbrauch sieht sich der Senat nicht in der Lage, mehr als eine geringe Möglichkeit für das von der Kläger geschilderte Geschehen anzunehmen. Es kann somit letztlich offen bleiben, ob der Annahme eines solchen Missbrauchs entgegensteht, dass die einzelnen Missbrauchshandlungen im Rahmen der Beweiserhebung zeitlich nicht genau fixierbar waren und der Tathergang nicht näher rekonstruiert werden konnte (vgl. hierzu offenbar das Urteil des BSG vom 18.11.2015, Az.: B 9 V 1/14 R, das dem Senat jedoch immer noch nicht vorliegt). Denn aus Sicht des Senats sprechen jedenfalls zu viele Aspekte dagegen, um diese Angaben als glaubhaft ansehen zu können.

Zum einen ist dies die nicht konstante Schilderung der Klägerin. Vor allem aber besteht nach Überzeugung des Senats vorliegend eine deutlich erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass bei der Klägerin Scheinerinnerungen gegeben sind. Schließlich ist auch nicht fernliegend, dass bei der Klägerin pathologische Störungen des Wahrnehmungsvorgangs oder eine Gedächtnistäuschung etc. bestehen. Wie aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen ohne Weiteres hervorgeht, spielten bei der Klägerin im Rahmen der Borderline-Symptomatik in deutlichem Umfang auch psychotische Elemente eine Rolle (vgl. Gutachten Dr. W. vom 04.04.2001; s. auch unten). Es ist gut möglich, dass tatsächlich nicht erfolgte Handlungen für die Klägerin reelle Tatsachen dargestellt haben könnten. Schließlich könnten auch der vorübergehende Drogenkonsum durch die Klägerin und weitere sie belastende Lebensereignisse, die in dem Verfahren bereits thematisiert worden sind (s.o.), die geltend gemachten Schädigungsfolgen erklären.

a) Die Angaben der Klägerin zum sexuellen Missbrauch sind nicht konstant. Dabei ist nicht maßgeblich, dass die Schilderungen erst zu einem späten Zeitpunkt konkret geworden sind, sondern, dass die Klägerin voneinander abweichende Angaben gemacht hat. So hat die Klägerin Ende Juli 1996 entsprechend einem Bericht der Beratungsstelle W. einen möglichen sexuellen Missbrauch durch den Großvater angegeben. Im Befundbericht vom 25.02.2002 der A. Klinik O-Stadt, Fachklinik für Psychosomatik und Psychotherapie hat die Klägerin dagegen von sexuellem Missbrauch über sieben Jahre durch verschiedene Täter berichtet. Erst später hat die Klägerin dann wieder von einem sexuellen Missbrauch durch ihren Großvater gesprochen.

b) Die Angaben der Klägerin zum sexuellen Missbrauch sind nach Auffassung des Senats auch deshalb nicht glaubhaft, da die Möglichkeit, dass es sich lediglich um Scheinerinnerungen handelt, nicht weniger wahrscheinlich ist, als die Möglichkeit, dass sich die geschilderten Taten tatsächlich ereignet haben. So finden sich entsprechend den plausiblen und fundierten Darlegungen des Beklagten vorliegend für Scheinerinnerungen begünstigende Faktoren, die nach der aussagepsychologischen Fachliteratur anerkannt sind (vgl. z. B. Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 1. Aufl., S. 117 ff.). Diese Faktoren wirken begünstigend für die Übernahme induzierter Erinnerungen. Der Senat teilt vorliegend die Auffassung des Beklagten, dass diese Erinnerungen nicht in erster Linie im Rahmen einer medizinischen Therapie induziert worden sind, sondern im Rahmen der Aufarbeitung des vermuteten Missbrauchs mit der eigenen Mutter, der Zeugin D. (s. im Einzelnen den Schriftsatz des Beklagten vom 22.04.2015, S. 14 ff.). Im vorliegenden Fall sind zahlreiche typische Kennzeichen für Scheinerinnerungen gegeben. So war im relevanten Umfeld der Klägerin bereits im Jahr 1996 die Annahme gegeben, ein bisher nicht aufgedeckter sexueller Missbrauch zulasten der Klägerin liege vor. U. a. durch Vorzeigen von Fotos aus der fraglichen Zeit wurden zudem ausdrückliche Bemühungen unternommen, damit sich die Klägerin an den Missbrauch erinnern und diesen genau datieren könne. Zudem sind bei der Klägerin wohl infolge dieser Bemühungen Erinnerungen entstanden; mit Blick auf den oben genannten Bericht der Beratungsstelle W. waren diese Erinnerungen bei der Klägerin zunächst noch nicht vorhanden. Wie sich aus dem Akteninhalt und den einzelnen Ausführungen der Klägerin hinsichtlich der Missbrauchserlebnisse klar ergibt, hat im Laufe der Zeit die Zahl der Erinnerungen bzw. der geschilderten Vorfälle eindeutig zugenommen (insoweit kann auf die näheren Darlegungen im oben genannten Schriftsatz des Beklagten, dort S. 17, Bezug genommen werden). Weiter kann als Indiz für Scheinerinnerungen auch die Angabe der Klägerin im Schreiben vom 21.07.2014 gewertet werden, noch zu wissen, dass sie bereits seit ca. 1980 oder 1981 autoaggressives Verhalten gezeigt habe, da die Klägerin insoweit Verhaltensweisen aus frühester Kindheit geschildert hat. Der Senat hält es im Übrigen aufgrund der Zeugenaussage der Tante der Klägerin, F., zudem für erwiesen, dass die Klägerin autoaggressives Verhalten erst als Schulkind, etwa zehn Jahre später, gezeigt hat. Weiter sind auch die bizarren und extremen Erfahrungen in den Schilderungen der Klägerin, soweit sie den Inhalt der mit dem Großvater angeblich angeschauten Filme betreffen, ein typisches Kennzeichen für das Vorliegen von Scheinerinnerungen. Vor allem kommt hinzu, dass die Schilderungen der Klägerin in mehrfacher Hinsicht nicht konstant sind. Dies spricht aus Sicht des Senats nicht nur gegen die Glaubwürdigkeit der klägerischen Angaben (s. oben Ziff. a), sondern ist ebenfalls ein eigenständiges Kennzeichen von Scheinerinnerungen. Wie der Beklagte auch insoweit zutreffend dargelegt hat, ist die fehlende Konstanz der klägerischen Aussagen auf drei Ebenen feststellbar. Zum einen gilt dies hinsichtlich der Ausführungen, inwieweit Erinnerungen an die geschilderten Ereignisse durchgängig vorhanden waren bzw. zurückgewonnen wurden (ab welchem Lebensalter diese Erinnerungen vorhanden sind, s. oben). Zudem gilt dies - wie bereits dargelegt - hinsichtlich der Zahl der Täter. Schließlich fehlt es an Konstanz auch bezüglich der einzelnen Tathandlungen. So finden sich manche Tathandlungen aus der Berufungsbegründung (26.04.2010) in der detaillierten Beschreibung vom 21.07.2014 nicht mehr (wie das Anfassen des Täters an den Genitalien und die Nötigung zur Einnahme von unbekannten Medikamenten). Andererseits sind im zuletzt genannten Schreiben Einzelheiten erstmalig erwähnt worden (in erster Linie der Umstand, dass die Leichen in den Filmen zerstückelt worden seien, jedoch auch die zentrale Behauptung der Misshandlung über Jahre). Auch die ungefähre Tathandlung ist entsprechend der nachvollziehbaren Ansicht des Beklagten aber „Bestandteil des Kerngeschehens, hinsichtlich dessen auch bei Beschreibungen zu verschiedenen Zeitpunkten Konstanz zu erwarten ist, wenn es sich um ein real erlebtes Geschehen handelt“ (Schriftsatz vom 22.04.2015, S. 18 ff.).

3. Eine Glaubhaftmachung des behaupteten sexuellen Missbrauchs der Klägerin ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass in der Familie der Klägerin u. U. (andere) sexuelle Missbrauchstaten gegen weitere Familienmitglieder verübt worden sein könnten. Zu betrachten ist nämlich der konkrete Einzelfall der Klägerin. Ein Rückschluss von anderen Taten im Familienkreis auf einen Missbrauch der Klägerin ergibt sich daraus per se nicht. Es kann daher offen bleiben, ob weitere Missbrauchstaten geschehen sind.

4. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. z. B. Urteil vom 26.01.2016, Az.: L 15 VG 29/13, m. w. N.) kann ferner auch nicht allein aus einer Diagnose auf ein bestimmtes Geschehen geschlossen werden, da es nach überwiegender medizinischer Lehrmeinung keine eindeutige kausale Beziehung zwischen sexuellem Missbrauch im Kindesalter und einer spezifischen Psychopathologie im Kindes- oder Erwachsenenalter gibt. Eine Glaubhaftmachung ergibt sich also auch nicht aus den bei der Klägerin (auf psychiatrischem Fachgebiet) vorhandenen Gesundheitsstörungen.

Nach alldem ist zwar nicht völlig ausgeschlossen, dass die Klägerin in ihrer Kindheit von dem genannten Täter sexuell missbraucht worden sein könnte. Aufgrund der zahlreichen Anhaltspunkte dafür, dass die klägerischen Angaben nicht der Realität entsprechen könnten, sieht sich der Senat aber nicht in der Lage, davon auszugehen, dass der sexuelle Missbrauch überwiegend wahrscheinlich wäre. Angesichts der massiven Zweifel besteht nicht die „gute Möglichkeit“, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wie von der Klägerin geschildert (s. oben, BSG vom 17.04.2013, a. a. O.). Erst recht ist der Nachweis im Sinne des Vollbeweises nicht erbracht. Inwieweit zu dem Fehlverhalten des Großvaters (Alkoholkonsum, Gewalttätigkeit gegenüber der Großmutter der Klägerin), von dem nach den Zeugenaussagen auszugehen sein dürfte, Angriffe im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegen die Klägerin hinzugekommen sind, muss, nicht zuletzt auch wegen des beträchtlichen Zeitablaufs, heute als nicht mehr aufklärbar betrachtet werden.

Im Übrigen wäre auch ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang zwischen einem sexuellen Missbrauch und den geltend gemachten Gesundheitsschäden nicht als wahrscheinlich nachgewiesen.

Im Hinblick auf die weiteren Mitverursachungsbeiträge, die u. a. aus dem Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W. vom 04.04.2001 hervorgehen, würde die Klage mit Blick auf die Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 16.12.2014, Az.: B 9 V 6/13 R; eine Gewalttat ist nur dann rechtlich wesentliche Ursache, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Ursachen zusammen) auch insoweit ohne Erfolg bleiben. So hat Dr. W. eine posttraumatische Belastungsstörung aufgrund massiver Misshandlungen durch den Ex-Partner H. B. festgestellt; die Klägerin, so der Arzt, habe berichtet, dass die schlimmsten Misshandlungen in ihrem Leben durch H. B. erfolgt seien. In dem o.g. Gutachten ist wie bereits erwähnt auch von Drogenkonsum die Rede und von für die Klägerin schwierigen Familienverhältnissen; ihr Stiefvater, der Zeuge C., habe sie wie einen Hund dressiert. Diese Vorkommnisse sind nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Auf die Frage des Zusammenhangs kommt es aber letztlich nicht mehr an. Medizinische Ermittlungen, die insoweit im Raum stehen, sind somit nicht erforderlich.

Auch zu sonstigen Ermittlungen besteht keine Veranlassung und erst recht keine verfahrensrechtliche Pflicht.

1. Es gibt keinen Grund, eine psychotraumatologische Befragung oder Ähnliches, wie anfangs noch von der Klägerin beantragt, durchführen zu lassen, um - vereinfacht ausgedrückt - der Klägerin zu ermöglichen, sich an einzelne, konkrete Missbrauchserlebnisse (erstmals) wieder zu erinnern. Dies ergibt sich zunächst bereits daraus, dass für das Gericht keine Veranlassung und Verpflichtung besteht, Ermittlungen „ins Blaue hinein“ durchzuführen (vgl. BSG, Beschluss vom 05.02.2009, Az.: B 13 RS 85/08 B; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., a. a. O., § 103, Rdnr. 8a). Der Antrag bezüglich einer traumatologischen Befragung, der von der Klägerin dann auch nicht mehr aufrechterhalten worden ist, zielte auf die Erschließung von Erkenntnisquellen, die es - zumindest aus Sicht der Klägerin - erst ermöglichen sollen, bestimmte Tatsachen zu behaupten und sodann unter Beweis zu stellen (vgl. BSG, a. a. O., zum bloßen Beweisermittlungsantrag). Nach dem vorliegenden Sachverhalt stellte sich der pauschale Vortrag der Klägerin, sexuell missbraucht worden zu sein, ähnlich wie sog. „Behauptungen aufs Geratewohl“ dar (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl., Vorb. zu § 284, Rdnr. 8c). Vor allem aber kann bei nicht erwiesenen Sachverhalten ein psychotraumatologisches Gutachten zur Klärung grundsätzlich auch nichts beitragen (vgl. Högenauer, Neue Aspekte in der Beurteilung psychoreaktiver und neuropsychologischer Störungen als Leistungsgrund - aus der Sicht der Gutachter des Versorgungsärztlichen Dienstes, MedSach 2006, S. 67 <69>); der Senat hat auch starke Bedenken, dass bei psychotraumatologischen Befragungen etc. suggestive Einflüsse besondere Bedeutung erlangen könnten (vgl. zur gesamten Problematik der Abgrenzung zwischen wiederentdeckten und Pseudoerinnerungen z. B. Volbert, a. a. O., S. 122 ff.). Seine Überzeugung könnte der Senat daher nicht auf ein solches Gutachten stützen.

2. Schließlich ist auch kein aussagepsychologisches Gutachten (hinsichtlich der von der Klägerin bereits vorgetragenen Angaben zum sexuellen Missbrauch) einzuholen.

Gegen ein solches Gutachten sprechen zum einen grundsätzliche Erwägungen der Rechtsprechung (s. hierzu unter a.). Hinzu kommt, dass im vorliegenden Fall wegen der Besonderheiten in der Person der Klägerin und der bestehenden Problemkonstellationen ein aussagepsychologisches Gutachten nach Überzeugung des Senats, die dieser aufgrund der plausiblen sachverständigen Darlegungen und der Auswertungen medizinischer Erfahrungssätze gewonnen hat, nicht geeignet ist, einen sexuellen Missbrauch der Klägerin nachzuweisen oder (im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG) glaubhaft zu machen. Durch ein aussagepsychologisches Gutachten ist vorliegend keine rechtssichere Beantwortung der Frage möglich, ob die Angaben der Klägerin erlebnisfundiert und glaubhaft sind (s. hierzu unter b.-d.).

a. Zum einen gehört die Würdigung von Aussagen nicht nur Erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut (st. Rspr. des Senats, vgl. Urteile vom 05.02.2013, a. a. O., 21.04.2015, a. a. O., 18.05.2015, a. a. O., und 20.10.2015, a. a. O.). Wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Beschluss vom 16.12.2002 (Az.: 2 BvR 2099/01) festgestellt hat, stellen die bei der Beweiswürdigung als einem Teil der Rechtsanwendung sich ergebenden aussagepsychologischen Fragen keine abgelegene, sondern eine für Richter ebenso wie für Anwälte zentrale, in der juristischen Fachliteratur ausführlich abgehandelte Materie dar, so dass die Auffassung nachvollziehbar ist, zur Würdigung der Zeugenaussagen sei, mangels besonderer zusätzliche psychologische Kenntnisse erfordernder Umstände, eine Inanspruchnahme sachverständiger Hilfe nicht erforderlich. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt (vgl. die Urteile des Senats, a. a. O., sowie das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 15.12.2011, Az.: L 6 VG 584/11) daher nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, wenn nämlich dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt. Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens kann nach Auffassung des Senats - gerade auch unter Beachtung des o. g. Beschlusses des BVerfG - also nur geboten sein, wenn Sachverhalt oder Aussageperson solche Besonderheiten aufweisen, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist die Würdigung der Aussagen etc. Aufgabe des Tatrichters.

Ein Sonderfall ist hier nicht gegeben. Vielmehr handelt es sich vorliegend um die klassische Problemkonstellation.

b. Zudem hat der Senat ebenfalls bereits entschieden (st. Rspr., vgl. z. B. Urteile vom 30.06.2009, Az.: L 15 VG 17/05, 05.02.2013, a. a. O., und 20.10.2015, a. a. O.), dass in einem Fall, in dem die Aussageperson (u. a.) an einer wahnhaften Störung leidet, die Durchführung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nicht sinnvoll ist. Wie in dem mit Urteil vom 30.06.2009 (a. a. O.) bereits entschiedenen Fall von dem damals beauftragten medizinischen Sachverständigen dargelegt worden ist, hat die dortige Klägerin an einer wahnhaften Störung gelitten und ist somit unverrückt von den entsprechenden Wahninhalten überzeugt gewesen. Wahninhalte können für die betreffenden Patienten - wie der medizinische Sachverständige für die dortige Klägerin festgestellt hat - reelle Tatsachen darstellen, so dass in einer weiteren Verhaltensanalyse im Rahmen einer Begutachtung keine weiteren wesentlichen Erkenntnisse zu erwarten sind (a. a. O.). Somit ist davon auszugehen, dass ein Glaubhaftigkeitsgutachten auch im hier vorliegenden Fall ein untaugliches Beweismittel wäre: Wie aus dem Gutachten von Dr. W. vom 04.04.2001 ausdrücklich hervorgeht, waren bei der Klägerin im Rahmen der Borderline-Symptomatik in deutlichem Umfang auch psychotische Elemente vorhanden. Damit scheidet ein aussagepsychologisches Gutachten hier grundsätzlich aus.

c. Hinzu kommt, dass, worauf der Beklagte zutreffend hingewiesen hat (Schriftsatz vom 22.04.2015, S. 24), eine aussagepsychologische Begutachtung ausscheiden muss, wenn eine Rekonstruktion der Aussageentstehung und Aussageentwicklung mangels Masse an verwertbaren vorangegangenen Aussagen der Aussageperson auf enge Grenzen stößt, wie es vorliegend der Fall ist.

d. Schließlich steht die Tatsache, dass im Falle wiederentdeckter Erinnerungen, wie sie vorliegend jedenfalls zum Teil gegeben sind, eine hohe Wahrscheinlichkeit für Scheinerinnerungen besteht, der Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens von vornherein entgegen.

Wie dem Senat aus zahlreichen ähnlich gelagerten Verfahren aufgrund sachverständiger Äußerungen der vergangenen Jahre bekannt ist, sind Scheinerinnerungen normalpsychologische Gedächtnisvorgänge, die nicht mit Halluzinationen oder Wahnvorstellungen von psychotisch erkrankten Personen zu verwechseln sind. Sie setzen keine Psychopathologie auf Seiten der betroffenen Person voraus, ihre Entstehung wird aber durch psychische Labilisierungen erleichtert. Der Sachverständige Prof. Dr. S. (Fachpsychologe für Rechtspsychologie und Facharzt für forensische Psychiatrie, Institut für Forensische Psychiatrie, Charité Universitätsmedizin Berlin) hat in einem für das vor dem Senat vormals anhängige Berufungsverfahren (Az.: L 15 VG 40/14) relevanten Gutachten vom 25.07.2012 zur Überzeugung des Senats dargelegt, dass die Annahme, es seien nach Ablauf von vielen Jahren nach Verdrängung ausschließlich zutreffende Vorstellungen (also tatsächliche Erinnerungen) aufgetaucht, wissenschaftliche Erkenntnisse über die Vulnerabilität des menschlichen Gedächtnisses vernachlässigt. Die Scheinerinnerungshypothese kann, so der (damalige) Sachverständige, durch eine aussagepsychologische Analyse aber nicht widerlegt werden. Dies ist dadurch begründet, dass Aussagen, die auf Scheinerinnerungen beruhen, eine vergleichbar hohe Qualität haben können wie Aussagen, die auf tatsächliches Erleben zurückgehen. Eine inhaltsanalytische positive „Beweisführung“ ist also nach einer Vorgeschichte mit potenziellen suggestiven Faktoren nicht mehr möglich. Die Aussagekraft der inhaltsanalytischen Methodik wird auch weiter eingeschränkt bzw. ganz aufgehoben, wenn psychotherapeutische Behandlung bzw. Beratung erfolgt wie vorliegend im Fall der Klägerin.

Gegen aussagepsychologische Begutachtungen in den Fällen, in denen mit therapeutischer Unterstützung explizite Erinnerungsbemühungen unternommen wurden, und auch in Fällen, in denen diese Erinnerungen nicht primär im Rahmen einer Therapie induziert wurden, sondern im Rahmen der Aufarbeitung eines vermuteten Missbrauchs in der eigenen Familie wie hier mit der eigenen Mutter, bestehen nach Überzeugung des Senats gravierende Bedenken. So ist dem Senat aus zahlreichen vergleichbaren Fällen bekannt, dass nach herrschender wissenschaftlicher Ansicht bereits problematisch ist, wenn ein vermeintlicher Übergriff sehr lange zurückliegt. Wie der Sachverständige Prof. Dr. N. im Rahmen der vormals beim Senat anhängigen Berufungsverfahren Aktenzeichen L 15 VG 23/11 und L 15 VG 25/09 plausibel dargelegt hat, ist es regelmäßig unwahrscheinlich, dass zu einem Zeitpunkt Jahre oder sogar Jahrzehnte nach den in Frage stehenden Sachverhalten noch hinreichend zuverlässige Informationen erlangt werden könnten. Es ist eine gesicherte Erkenntnis der aussagepsychologischen Forschung, insbesondere der Suggestionsforschung, dass psychotherapeutische Gespräche über mutmaßliche Erlebnisse die diesbezüglichen Gedächtnisinhalte beeinflussen, verändern und überlagern können, ohne dass im Nachhinein mit den verfügbaren diagnostischen Methoden noch festgestellt werden kann, was in einem zeitlich später gegebenen Bericht eigene ursprüngliche Erinnerungen sind und was durch die therapeutischen Gespräche nachträglich verändert oder hinzugefügt worden ist. Gerade in den Fällen wie dem vorliegenden (vgl. die Darlegung der hier als besonders problematisch zu bezeichnenden Faktoren durch den Beklagten im Schriftsatz vom 22.04.2015, dort S. 15 ff.) erscheint der Weg über ein aussagepsychologisches Gutachten als nicht gangbar. Kommen ernstere psychiatrische Erkrankungen der Aussageperson hinzu, sind auch die personalen Voraussetzungen für ein solches Gutachten nicht mehr gegeben (s. o. Ziff. 2b, vgl. Högenauer, a. a. O.).

3. Im Übrigen besteht kein Anlass, weitere Zeugen einzuvernehmen. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass z. B. weitere Familienangehörige sachdienliche Hinweise geben könnten. Insbesondere spricht nichts dafür, die Ehefrau des beschuldigten Täters, die Großmutter der Klägerin, vorzuladen und persönlich einzuvernehmen.

Die Berufung kann somit keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

Tenor

Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 17. Oktober 2001 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung von Gesundheitsstörungen und von Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz.

2

Die 1972 geborene Klägerin beantragte am 16. August 1999 bei dem beklagten Land die Gewährung von Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Sie gab an, im Alter von zwei Jahren Opfer sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater geworden zu sein. Bei einem Aufenthalt in einer Gastfamilie in Australien in den Jahren 1989/1990 sei es außerdem zu einem versuchten sexuellen Übergriff durch den Gastvater gekommen. Sie leide an einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung auf dem Boden frühkindlicher Traumatisierung, und sie sei seit Ende des Jahres 1974 an Diabetes mellitus Typ I erkrankt. Weiterhin bestehe eine Bulimieerkrankung. Eine erste vage Erinnerung an den sexuellen Missbrauch sei in Form eines sog. Flash-Back im Jahre 1994 aufgetreten. 1997 habe sie sich entschlossen, sich komplett und unwiderruflich von ihrer Familie zu lösen. Sie habe einen neuen Vor- wie auch Familiennamen angenommen. Ferner nahm die Klägerin Bezug auf einen Lebenslauf (Bl. 8 - 14 Verwaltungsakte) sowie eine Bescheinigung des St. V.-Stifts vom 26. März 1997. Das beklagte Land holte eine nach Aktenlage erstellte Stellungnahme des beratenden Nervenarztes Dr. S. vom 6. Oktober 1999 ein, der mitteilte, er tendiere als Arzt zu der Einschätzung, dass an eine „false memory" zu denken sei. Im Streitfall müssten ein eingehendes psychiatrisches Gutachten und eine ausführliche Exploration und psychologische Testung durch einen anerkannten Fachmann erstellt werden. Daraufhin fragte das beklagte Land bei der Klägerin an, ob sie mit einer eingehenden Befragung aller Personen, die 1974 gemeinsam mit ihr in einem Haushalt gewohnt haben, einverstanden sei. Insbesondere müsse der Beschuldigte eingehend zu den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs angehört werden. Die Klägerin teilte dazu mit, dass sie einer Befragung der Familie nicht zustimme; eine Aufklärung des Sachverhalts sei dadurch ohnehin nicht zu erwarten. Sie sei aber bereit, sich im Rahmen einer Begutachtung einer Untersuchung zu unterziehen.

3

Mit Bescheid vom 25. Januar 2000 lehnte das beklagte Land den Antrag der Klägerin ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Für den im vorliegenden Lebenslauf der Klägerin angegebenen versuchten sexuellen Übergriff durch den Gastvater in Melbourne/Australien könne Versorgung nach dem OEG nicht gewährt werden, weil das Ereignis nicht im Geltungsbereich des OEG geschehen sei. Der sexuelle Übergriff durch den Vater der Klägerin sei nicht erwiesen. Eine Anhörung der Eltern zu der Beschuldigung sei auf Grund der Erklärung der Klägerin nicht möglich. Mit der von der Klägerin angeregten fachpsychiatrischen Begutachtung könne der Nachweis, dass es sich bei einem eventuellen Trauma um einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 OEG handele, nicht geführt werden. Auch § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren in der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) könne der Klägerin nicht zugute kommen, weil sie keine konkreten Angaben zu dem schädigenden Ereignis gemacht habe und dies auch nicht könne. Das Ereignis habe sich etwa im zweiten Lebensjahr abgespielt und falle deshalb in die Zeit der sog. frühkindlichen Amnesie. Nach dem im sozialen Entschädigungsrecht geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast habe die Antragstellerin die Folgen der Beweislosigkeit des schädigenden Ereignisses zu tragen.

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Zur Begründung des dagegen am 28. Februar 2000 eingelegten Widerspruchs rügte die Klägerin im Wesentlichen eine nicht ordnungsgemäße Aufklärung des Sachverhalts durch das beklagte Land. Obwohl sie die behandelnden Ärzte und Therapeuten detailliert angegeben und von der Schweigepflicht entbunden habe, habe das beklagte Land keine weiteren Ermittlungen durchgeführt und insbesondere keine Untersuchung durch einen Gutachter veranlasst.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 6. April 2000 wies das beklagte Land den Widerspruch der Klägerin zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Die von der Klägerin beantragte Begutachtung sei entbehrlich, weil jedenfalls der Nachweis eines schädigenden Ereignisses im Sinne des § 1 OEG nicht geführt werden könne. Zur Vermeidung von Wiederholungen werde auf die Gründe des angefochtenen Bescheides Bezug genommen. Die nach eigenen Angaben der Klägerin im Jahr 1994 aufgetretene „vage" Erinnerung in Form eines sog. „Flash-Back" an einen sexuellen Missbrauch im Alter von zwei Jahren reiche als Nachweis nicht aus. Da die Klägerin das Einverständnis mit der Befragung der Personen, die im fraglichen Zeitraum mit ihr in einem Haushalt gelebt hätten, nicht erteilt habe, stünden keine Ermittlungsmöglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts zur Verfügung.

6

Gegen den am 11. April 2000 abgesandten Widerspruchsbescheid hat sich die Klägerin mit der am Montag, 15. Mai 2000 beim Sozialgericht Kiel eingegangenen Klage gewandt, zu deren Begründung sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft hat. Ergänzend hat sie im Wesentlichen ausgeführt: Die Problematik verzögerter traumatischer Erinnerungen an sexuellen Missbrauch in der Kindheit sei Gegenstand umfangreicher wissenschaftlicher Diskussion und Forschung. Es existierten zahlreiche Studien darüber, dass sich Kinder nach frühem und wiederholtem sexuellen Missbrauch durch Dissoziation schützten. Auch belegten diverse Studien unterschiedliche Formen des bewussten und unbewussten Erinnerungsprozesses und auch Erinnerungen durch sog. „Flash-Bracks". Auch deshalb hätte eine Begutachtung erfolgen müssen. Zu Unrecht fordere das beklagte Land von der Klägerin den Vollbeweis. Nach § 15 KOVVfG könnten Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung in Zusammenhang stehende Tat beziehen, zu Grunde gelegt werden, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erschienen. Eine persönliche Begutachtung unter Hinzuziehung von Krankenunterlagen wäre geeignet gewesen, die Glaubhaftigkeit der Angaben festzustellen. Ihr sei durch die mangelhafte Ermittlungstätigkeit des beklagten Landes von vornherein die Möglichkeit genommen worden, sich dem ärztlichen Gutachter in einem persönlichen Gespräch über die ihr zugefügten Verletzungen anzuvertrauen und die daraus entstandenen Folgen anhand ärztlicher Berichte darzulegen.

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Die Klägerin hat beantragt,

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den Bescheid des Versorgungsamtes Münster vom 27. (richtig: 25.) Januar 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Landesversorgungsamtes vom 6. April 2000 aufzuheben und das beklagte Land zu verurteilen, ihr auf ihren Antrag vom 13. August 1999 unter Anerkennung einer chronischen Essstörung, einer schweren Depression und fraglicher multipler Persönlichkeitsanteile Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 v. H. zu zahlen.

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Das beklagte Land hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

11

Das beklagte Land bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.

12

Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung am 17. Oktober 2001 den Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums K. Prof. Dr. A. als Sachverständigen gehört. Mit Urteil vom selben Tag hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt: Nach § 1 Abs. 3 BVG genüge zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges. Die Klägerin trage die objektive Beweislast. Ein Vollbeweis sei hier nicht möglich. Das Problem bestehe im vorliegenden Fall darin, dass die von der Klägerin vorgetragene sexuelle Gewalt nicht bewiesen werden könne. Beweiskräftige Aussagen könnten nicht erzielt werden. Wenn der Vater der Klägerin zu dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs gehört würde, läge es außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit, dass er - auch wenn er die Tat begangen hätte - dies zugeben würde. Ähnlich verhalte es sich mit der Mutter, die - wenn sie davon gewusst hätte - nach aller Wahrscheinlichkeit aus Scham über die Nichtverteidigung der Tochter schweigen würde. Aus diesem Grunde halte die Kammer es nicht für notwendig und sinnvoll, eine Befragung der Eltern der Klägerin durchzusetzen. Gemäß § 15 KOVVfG sei bei Fehlen von Urkunden oder Zeugen auf die nach den Umständen glaubhaften Angaben der Antragstellerin abzustellen. Im vorliegenden Fall seien die Angaben der Klägerin glaubhaft. Hierzu habe die Kammer den Sachverständigen befragt. Dieser habe nach eigener Untersuchung der Klägerin ausführlich begründet, dass er deren Angaben für glaubhaft halte. Problematisch sei insbesondere das junge Alter der Klägerin. In diesem Alter sei es sehr schwer, konkrete Angaben zu erzielen, da häufig eine frühkindliche Amnesie vorliege. Der Sachverständige habe ausgeführt, es sei stimmig, dass die Klägerin sich erst nach vielen Jahren im Rahmen von sog. „Flash-Back" an Einzelheiten des Vorganges erinnern könne. Insbesondere das Stück Tapete des Raumes, in dem sie ihre Kindheit verbracht habe und an das sie sich erinnern könne, weise darauf hin, dass hier Erinnerungen der Klägerin an das frühkindliche Alter vorhanden seien und jetzt verbalisiert werden könnten. Auch die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen seien typisch für Missbrauchsopfer. Die Angaben der Klägerin seien glaubhaft. Zwar habe der Sachverständige nicht mit letzter Sicherheit ausschließen können, dass die Erinnerungen an den Missbrauch erst durch die Auseinandersetzung mit dem Thema entstanden seien und einer eigenen Interpretation entsprächen. Dies habe der Sachverständige aber für äußerst unwahrscheinlich gehalten. Der Sachverständige sei auf dem hier vorliegenden Gebiet außerordentlich erfahren. Das Ergebnis der Beweisaufnahme stehe auch nicht im Widerspruch zu anderen festgestellten Tatsachen. Das Ergebnis widerspreche auch nicht der Lebenserfahrung. Der durch die Beweisaufnahme bestätigte Beteiligtenvortrag reiche zur Überzeugungsbildung des Gerichts aus. Die Beweisaufnahme habe weiter ergeben, dass die haftungsausfüllende Kausalität vorliege und die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen, nämlich Dissoziation, Depression und Essstörungen, im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch stünden. Gerade das Vorliegen von Essstörungen sei bei sexuell missbrauchten Kindern ausgesprochen typisch. In der Literatur werde - so der Sachverständige - in 70 % der Fälle gerade bei diesen Gesundheitsstörungen ein Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch beschrieben. Auch in der Traumaforschung werde dies bestätigt. Gerade dieser gehäufte Zusammenhang spreche auch für den rechtlich maßgeblichen Zusammenhang. Die Gewalttat sei jedenfalls geeignet, die seelische Krankheit zu verursachen. Es hätten sich keine Hinweise dafür ergeben, dass die bei der Klägerin vorliegenden psychischen Gesundheitsstörungen überwiegend auf persönlichkeitseigene, nicht schädigungsbedingte Faktoren zurückzuführen seien. Die Schwere der Schädigung, die eine jahrzehntelange psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung erforderlich mache, spreche auch für eine MdE von 60 v. H. Diese von dem Sachverständigen vorgeschlagene MdE entspreche den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und im Schwerbehindertenrecht (AHP). Dagegen sei ein Zusammenhang des Diabetes mit der Gewalttat unter medizinischen Gesichtspunkten nicht zu begründen.

13

Gegen das dem beklagten Land am 17. Januar 2002 zugestellte Urteil wendet sich dieses mit der am 13. Februar 2002 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangenen Berufung und trägt zur Begründung im Wesentlichen vor: Das Urteil des Sozialgerichts enthalte keine ausreichenden Feststellungen zur behaupteten Gewalttat, und es fehlten hinreichende Ermittlungen zu daraus eventuell resultierenden Gesundheitsstörungen. Die Gründe, die das Sozialgericht dafür angeführt habe, die Eltern nicht zu hören, stellten einen geradezu klassischen Verfahrensmangel der vorweggenommenen Beweiswürdigung dar. Das Sozialgericht habe seine Beurteilung zu Unrecht auf § 15 KOVVfG gestützt. Denn die Anwendung dieser Norm setze voraus, dass die Antragstellerin überhaupt Angaben machen könne, die sich auf die mit der Schädigung in Zusammenhang stehenden Tatsachen bezögen. Die Ausführungen im angefochtenen Urteil gingen auf das Problem der frühkindlichen Amnesie nicht ein. Stattdessen beziehe sich das Gericht auf Entscheidungen, die nicht geeignet seien, die vertretene Auffassung zu stützen und denen ganz anders gelagerte Sachverhalte zu Grunde gelegen hätten. Das Sozialgericht hätte den Versuch unternehmen müssen, durch Ermittlungen zum Kindergartenbesuch, zur Einschulung und zum Schulbesuch Feststellungen für die Zeit ab 1974 (behauptete Tat) zu treffen, die zumindest Indizien liefern könnten. Außerdem werde ein professionelles Glaubwürdigkeitsgutachten für erforderlich gehalten.

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Das beklagte Land beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 17. Oktober 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

18

Zutreffend habe das Sozialgericht § 15 KOVVfG herangezogen. Das beklagte Land übersehe, dass sie gegenüber dem Gutachter im Zuge der Exploration konkrete Angaben gemacht und detaillierte Erinnerungen geschildert habe. Der Sachverständige habe in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht ausgeführt, dass insbesondere die konkrete Zuordnung dieser Erinnerung auf das zweite Lebensjahr anhand der Einrichtung des Kinderzimmers die Glaubwürdigkeit der Aussage der Klägerin stütze. Das Bundessozialgericht fordere für eine Anwendbarkeit des § 15 KOVVfG, dass der Antragsteller aus eigenem Wissen überhaupt Angaben machen könne. Diese Voraussetzung sei erfüllt. Auch habe sich das Sozialgericht in seiner Entscheidung mit der Problematik der frühkindlichen Amnesie beschäftigt. Das Sozialgericht habe ihre glaubhaften Angaben zu Recht zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht, sodass der Vorwurf der vorweggenommenen Beweiswürdigung ungerechtfertigt sei. Es erscheine völlig ausgeschlossen, dass die Vernehmung des Schädigers als Zeuge sachdienliche Erkenntnisse erbringen werde.

19

Der Senat hat den Entlassungsbericht der Fachklinik St. V.-Stift, Va., vom 10. Oktober 1997 (stationäre Behandlung vom 30. September 1996 bis 29. März 1997), Befund- und Behandlungsberichte des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sa. vom 15. Juni 2003, der Ärzte für innere Medizin Dres. Ka. und D. vom 16. Juni 2003, des Arztes für innere Medizin Dr. B. vom 17. Juni 2003 sowie die Entlassungsberichte der G.-Klinik, F., vom 24. April 1995 über die stationäre Behandlung der Klägerin in der Zeit vom 6. Februar bis zum 5. April 1995 sowie vom 16. Oktober 1995 über die stationäre Behandlung vom 29. Mai bis zum 11. Oktober 1995 und den psychologischen Kurzbericht der Psychotherapeutin P. vom 30. Juli 2003 beigezogen.

20

In der mündlichen Verhandlung am 19. April 2005 hat der Senat die Klägerin befragt und deren Eltern sowie die Schwester als Zeugen vernommen. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift einschließlich der Anlagen und die vom Vater der Klägerin zur Akte gereichten Briefe der Klägerin (Ablichtungen) Bezug genommen. Ferner hat der Senat das schriftliche Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sb. vom 31. August 2005 zu der Frage eingeholt, ob aus den bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen und den von der Klägerin geschilderten Flash-Bracks darauf geschossen werden kann, dass sie Opfer eines sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater geworden ist. Wegen des Inhalts des Gutachtens wird auf Blatt 262 bis Blatt 306 der Gerichtsakte verwiesen.

21

Die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten des beklagten Landes und die Prozessakte haben dem Senat vorgelegen; diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf ihren Inhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung des beklagten Landes ist zulässig und auch begründet. Das Sozialgericht hat das beklagte Land zu Unrecht verurteilt, eine chronische Essstörung, schwere Depression und fragliche multiple Persönlichkeitsanteile als Schädigungsfolge anzuerkennen und der Klägerin Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz nach einer MdE von 60 v. H. zu gewähren.

23

Gemäß § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) setzt der Anspruch auf die Anerkennung von Schädigungsfolgen und die Gewährung von Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschrift des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) u. a. voraus, dass die zu entschädigende Gesundheitsstörung Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist. Das Vorliegen eines solchen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs, der ursächlich für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen geworden sein könnte, kann nicht festgestellt werden.

24

Die Klägerin macht in erster Linie geltend, dass sie im Alter von etwa zwei Jahren Opfer sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater geworden sei. Ferner verweist die Klägerin darauf, dass sie im Alter zwischen sieben und vierzehn Jahren häufig im Ehebett neben dem Vater übernachtet habe und dass es auch in diesem Zusammenhang zu Übergriffen durch den Vater gekommen sein könne.

25

Der sexuelle Missbrauch von Kindern stellt einen rechtswidrigen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG dar. Die Tatbestandsvoraussetzungen können auch dann erfüllt sein, wenn der Täter keine nennenswerte Kraft aufwendet, um einen Widerstand des Opfers zu überwinden, sondern sein Ziel dadurch erreicht, dass er den Widerstand seines Opfers durch Täuschung, Überredung oder sonstige Mittel ohne besonderen Kraftaufwand bricht oder gar nicht erst aufkommen lässt (vergl. BSG, Urt. v. 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7/93 -, BSGE 77, 11 = SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Selbst wenn das Opfer in die Tat einwilligt, ist die Handlung nicht gerechtfertigt, wenn dem Opfer die Einwilligung durch Täuschung entlockt wird oder es dem Opfer aus sonstigen Gründen an der Fähigkeit mangelt, Bedeutung und Tragweite seiner Einwilligung zu erkennen. An dieser Fähigkeit fehlt es insbesondere bei Kindern auf sexuellem Gebiet, jedenfalls solange sie noch nicht strafmündig sind. Deshalb ist vom Vorliegen eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs auch bei dem sexuellen Missbrauch eines Kindes auszugehen, selbst wenn dabei keine Gewalt im strafrechtlichen Sinne ausgeübt wird.

26

Indes konnte der Senat auch das Vorliegen eines solchen ggf. ohne die Anwendung von Gewalt im strafrechtlichen Sinne begangenen Missbrauchs nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts nicht feststellen. Die durch den Senat vernommene Mutter und die Schwester der Klägerin haben übereinstimmend angegeben, einen sexuellen Missbrauch des Vaters gegenüber der Klägerin nicht bemerkt zu haben, und sie konnten auch keine Tatsachen angeben, die konkrete Hinweise auf ein solches Geschehen geben würden. Der Vater selbst hat den ihm von der Klägerin vorgeworfenen Missbrauch vehement bestritten. Besonderes Gewicht war nach Auffassung des Senats der Aussage der fünf Jahre älteren Schwester der Klägerin beizumessen. Diese war in jeder Hinsicht glaubwürdig. Sie hatte erkennbar kein Interesse daran, ein positiv gefärbtes Bild ihres Vaters zu vermitteln. Vielmehr hat sie das Verhältnis zu ihrem Vater glaubhaft als nicht sehr liebevoll bezeichnet und auf Nachfrage sogar angegeben, dass sie diesen als sehr unangenehm beurteile und sich vorstellen könne, dass er einen solchen Missbrauch begangen haben könnte. Auf der anderen Seite hat die Zeugin in jeder Hinsicht glaubhaft versichert, keine Angaben zu Missbrauchshandlungen machen zu können, weil sie niemals Zeugin einer solchen Tat geworden sei. Gerade angesichts des erkennbar nicht von Sympathie getragenen Verhältnisses der Schwester der Klägerin zu ihrem Vater ist der Senat von der Glaubhaftigkeit dieser Angaben der Zeugin überzeugt. Entsprechendes gilt für die Angaben der von dem Vater der Klägerin geschiedenen Mutter, die sich ebenfalls sehr kritisch gegenüber ihrem ehemaligen Ehemann geäußert und ebenfalls angegeben hat, dass sie einen sexuellen Missbrauch durch ihren Ehemann an der Tochter für möglich halte. Auch sie hat glaubhaft angegeben, dass sie nicht Zeugin eines sexuellen Missbrauchs geworden sei, und sie konnte ebenfalls keine Angaben machen, die auf einen solchen stattgefundenen Missbrauch auch nur hindeuten würden. Angesichts der fehlenden konkreten Beobachtungen zu einem sexuellen Missbrauch bewertet der Senat die Äußerungen der Mutter und der Schwester der Klägerin, nach denen dem Vater der Klägerin ein sexueller Missbrauch zuzutrauen sei, in erster Linie als Ausdruck des schlechten persönlichen Verhältnisses dieser Zeugen zu ihrem Vater bzw. ehemaligen Ehemann und nicht als Hinweis darauf, dass ein solcher Missbrauch tatsächlich stattgefunden hat. Weitere Personen, die Zeuge einer Missbrauchshandlung geworden sein könnten, sind von der Klägerin nicht angegeben worden und auch sonst nicht ersichtlich.

27

Auch die Erkrankung, an der die Klägerin leidet, lässt nicht den Schluss zu, dass es zu einem sexuellen Missbrauch oder einer anderen Gewalttat gekommen sein muss. Die Klägerin leidet an einer komplexen dissoziativen Störung sowie einer Essstörung in Gestalt einer Bulimie. Frühkindliche Traumatisierungen haben für die Entstehung sowohl dissoziativer Störungen als auch von Essstörungen Bedeutung. Als Traumatisierungen kommen Vernachlässigung, körperliche Misshandlung oder sexueller Missbrauch in Betracht. Auf Grund des klinischen Bildes lässt sich nicht differenzieren, welche Form der Traumatisierung im Einzelfall vorgelegen hat. Auch gibt es kein spezifisches Krankheitsbild, welches sich infolge frühkindlicher Traumatisierung herausbildet. So gibt es keine kausale Beziehung zwischen sexuellem Missbrauch und einer spezifischen Psychopathologie im Erwachsenenalter. Das bedeutet allerdings auch nicht, dass Traumatisierungen keine kausale Bedeutung für einzelne Krankheitsbilder haben können. Die Häufigkeit von kindlichen Traumatisierungen im Vorfeld der Entwicklung dissoziativer Störungen wird in der Literatur überwiegend mit Werten zwischen 60 % und 80 % angegeben, für dissoziative Identitätsstörungen werden auch Werte über 90 % angegeben. Dabei handelt es sich allerdings um statistische Angaben, welche für die Beurteilung des Einzelfalles nur begrenzte Bedeutung haben. Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass kindliche Traumatisierungen häufig für die spätere Entwicklung einer dissoziativen Störung ursächlich sind, dass aber nicht jede Traumatisierung zur Ausprägung einer dissoziativen oder anderen psychischen Störung führt und dass dissoziative Störungen auch auftreten können, ohne dass sich in der Vorgeschichte ein sexueller Missbrauch oder eine andersartige Traumatisierung sichern lässt. Danach spricht zwar eine statistische Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klägerin Opfer kindlicher Traumatisierungen geworden ist. Eine mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit lässt sich jedoch nicht feststellen. Zudem lässt das bei der Klägerin vorliegende Krankheitsbild keinen Rückschluss darauf zu, ob es sich bei der Traumatisierung ggf. um eine Vernachlässigung, körperliche Misshandlung oder sexuellen Missbrauch gehandelt hat.

28

Mit diesen Feststellungen stützt sich der Senat in erster Linie auf das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sb. Dessen Ausführungen sind schlüssig und überzeugend. Der Sachverständige ist dem Senat als besonders erfahren auch bei der Beurteilung von Fragen zur Kausalität auf seinem Fachgebiet bekannt. Seine Ausführungen stehen in den wesentlichen Punkten im Einklang mit dem Gutachten des Dr. A., der ebenfalls nur einen Zusammenhang in Gestalt einer statistischen Wahrscheinlichkeit zwischen sexuellem Missbrauch und dem Vorliegen einer dissoziativen Störung beschrieben hat. Allerdings unterscheidet Dr. A. in seinem Gutachten nicht zwischen Traumatisierungen in Gestalt sexuellen Missbrauchs und anderen Formen der Traumatisierung, so dass er im Ergebnis von einer Häufigkeit von 70 % des sexuellen Missbrauchs bei entsprechenden dissoziativen Störungen ausgeht. Damit steht sein Gutachten nicht nur im Widerspruch zu dem Gutachten des Dr. Sb., sondern auch im Widerspruch zu der in den Verwaltungsakten des beklagten Landes (Bl. 25 ff.) befindlichen Veröffentlichung der Frau Kb. (Trauma und Wirklichkeits(re)konstruktion: Theoretische Überlegungen zu dem Phänomen wiederauftauchender Erinnerungen, Persönlichkeitsstörungen, 1999, S. 45 ff.), die unter Bezugnahme auf neuere Untersuchungen darlegt, dass hohe Werte für Dissoziation eher mit einem pathogenen familiären Umfeld korrelieren als mit sexuellem Missbrauch. Nach dem Eindruck, den der Senat aus der Vernehmung der Zeugen gewonnen hat, spricht jedenfalls einiges dafür, dass die Klägerin in einem „pathogenen" familiären Umfeld aufgewachsen sein könnte und dass sie unter den konfliktbeladenen familiären Verhältnissen in ihrer Kindheit gelitten hat. Eine Auseinandersetzung mit den dazu in der wissenschaftlichen Fachliteratur vertretenen Standpunkten ist dem nur sechsseitigen Gutachten des Prof. Dr. A. nicht zu entnehmen. Unabhängig davon geht aber auch Dr. A. nicht davon aus, dass aus der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankung mit Sicherheit auf einen erlittenen sexuellen Missbrauch geschlossen werden kann. Vielmehr hält auch er lediglich eine statistische Wahrscheinlichkeit für gegeben. Ferner weist auch er darauf hin, dass neben der Traumatisierung auch die Persönlichkeit des Opfers bei der Entwicklung der Symptomatik eine Rolle spielt und dass deshalb von einem multikausalen Ursachengefüge auszugehen ist. Nach allem kann aus der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankung allenfalls mit einer Wahrscheinlichkeit auf einen erlittenen sexuellen Missbrauch oder eine andere Traumatisierung geschlossen werden.

29

Auch unter weiterer Berücksichtigung der Aussagen der Klägerin kann die Feststellung, dass eine Missbrauchshandlung stattgefunden haben muss, nicht getroffen werden. Bezogen auf die Zeit zwischen dem 7. und 14. Lebensjahr der Klägerin, in der diese wiederholt zusammen mit ihrem Vater im Elternbett geschlafen hat, hat die Klägerin gegenüber dem Senat angegeben, dass sie sich an konkrete Übergriffe ihres Vaters nicht erinnern könne. Sie könne nicht sagen, ob und in welcher Weise sie damals sexuell missbraucht worden sei. Insofern decken sich die Angaben der Klägerin vollständig mit denen der vernommenen Zeugen. Bezogen auf die Zeit um das 2. Lebensjahr vermutet die Klägerin, dass es zu einem sexuellen Missbrauch gekommen ist. Eine konkrete Erinnerung an ein Missbrauchsereignis hat die Klägerin aber auch insoweit nicht. Vielmehr stützt sie ihre Vermutung auf bruchstückhafte mosaikartige Bildsegmente im Rahmen von Flash-Back-Erlebnissen. In der mündlichen Verhandlung am 19. April 2005 hat die Klägerin diese Bildsegmente in der Weise beschrieben, dass Bilder von ihrem Kinderzimmer aufgetaucht seien und dass sie das Gefühl gehabt habe, auf einem Bücherregal zu sitzen und das Kinderzimmer von oben zu sehen. Dabei habe sie gesehen, wie ihr Vater sich über sie gebeugt habe. Die Bilder hätten sehr schnell gewechselt. Ihr Vater habe sich über sie gelegt, und sie habe wahnsinnige Schmerzen und Angst gehabt. Nach Auffassung des Senats sind diese Angaben der Klägerin insoweit glaubhaft, als keine Zweifel daran bestehen, dass die Klägerin Flash-Back-Erlebnisse hatte und dabei die geschilderten Bilder gesehen hat. Bei den beschriebenen Bildsegmenten und den dadurch verbundenen emotionalen Zuständen handelt es sich erkennbar nicht um Geschehensabläufe, die sich genauso zugetragen haben, sondern um Bilder, die einer Deutung bedürfen. Nach Auffassung des Senats können die von der Klägerin glaubhaft beschriebenen Bilder nicht nur so gedeutet werden, dass es zu einem sexuellen Missbrauch durch den Vater gekommen sein muss. Erinnerungen werden erst frühestens ab dem 2. bis 3. Lebensjahr festgehalten. Vor diesem Zeitpunkt besteht eine sog. Kindheitsamnesie. Aus dem Fehlen erzählbarer Erinnerungen an ein Trauma kann daher nicht geschlossen werden, dass ein solches nicht vorgelegen hat. Im sog. impliziten Gedächtnis finden auch nicht bewusst erinnerte Traumatisierungen ihren Niederschlag. Diese impliziten Gedächtnisinhalte können dann der Beobachtung bzw. subjektiven Wahrnehmung und damit dem Bewusstsein zugänglich werden, wenn es zu unerwarteten Änderungen der Stimmung, des Erlebens und des Verhaltens kommt, wenn konditionierte Reaktionen ausgelöst werden sowie wenn traumatische Erfahrungen plötzlich wiedererlebt werden, die als solche zuvor dem Bewusstsein nicht zugänglich waren (sog. Flash-Back). Auch im expliziten Gedächtnis bilden die Erinnerungen aber keine originalgetreue Abbildung realer Begebenheiten und Erfahrungen. Vielmehr können sich reale Erinnerungen mit phantasierten Aspekten verbinden. Auch werden die Erinnerungen vor dem Hintergrund von Erfahrungen in kognitive Schemata eingeordnet, so dass reale Begebenheiten anders erinnert werden können, als sie sich tatsächlich abgespielt haben. Auch Erinnerungen an Begebenheiten, die so überhaupt nicht vorgekommen sind, sind möglich, so dass auch die Erinnerung an ein Trauma das Vorliegen eines solchen nicht beweist. Wie häufig derartige Fehlerinnerungen vorkommen, ist zahlenmäßig nur schwer einzuschätzen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass derartige Fehlerinnerungen im Rahmen psychotherapeutischer Behandlungen möglich sind und auch vorkommen. Die von der Klägerin beschriebenen bruchstückhaften mosaikartigen Bildsegmente und die damit verbundenen emotionalen Zustände können auch zustande gekommen sein, ohne dass ein sexueller Missbrauch stattgefunden hat.

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Auch mit diesen Feststellungen bezieht sich der Senat auf das überzeugende und schlüssige Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sb. Das Gutachten des Dr. Sb. steht auch insoweit in den wesentlichen Punkten nicht im Widerspruch zu dem im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten des Prof. A. Auch dieser hat ausgeführt, dass die von der Klägerin geschilderten Erinnerungen für das Vorliegen eines sexuellen Missbrauchs sprechen. Auf der anderen Seite räumt er aber ein, dass nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass die Erinnerungen, die so konkret erst nach Beginn einer Therapie auftraten, durch die Auseinandersetzung mit der Thematik und im Kontakt mit anderen Patienten entstanden sind und einer eigenen freien Ausgestaltung entsprechen. Im Gegensatz zur psychodynamischen Literatur der früheren Jahre müsse davon ausgegangen werden, dass in den eigenen Erinnerungen reale Erlebnisse und Phantasien häufig untrennbar miteinander verknüpft seien. Dass die Erinnerung der Klägerin durch den Kontakt mit anderen Patienten beeinflusst worden sein könnte, wird in dem vorliegenden Bericht der G.-Klinik vom 24. April 1995 besonders deutlich. Dort wird u.a. ausgeführt, dass sich die Klägerin in den Gruppentherapien „durch das sehr ähnliche Erleben von ebenfalls betroffenen Frauen einerseits bestätigt, andererseits jedoch auch bedroht" gefühlt habe.

31

Die im Gutachten des Prof. A. geäußerte Einschätzung, dass die Darstellung der Klägerin glaubhaft sei, stimmt mit der bei der Befragung der Klägerin gewonnenen Überzeugung des Senats überein. Dies beantwortet allerdings nicht die Frage, ob die Darstellungen den Schluss auf eine tatsächlich erlittene Missbrauchshandlung zulassen. Insoweit bleibt es bei den auch im Gutachten des Dr. A. wiedergegebenen Unsicherheiten durch die nicht auszuschließende Vermischung realer Erlebnisse und Phantasien gerade bei der hier erforderlichen Deutung traumähnlicher Bildsegmente, die sich auf mögliche Erlebnisse aus einer Zeit beziehen, in der erzählbare Erinnerungen und Ereignisse regelmäßig auf Grund der sog. Kindheitsamnesie nicht wiedergegeben werden können. Dass die Deutung der von der Klägerin geschilderten Flash-Back-Erlebnisse mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist, wird auch in der Formulierung der Antwort zu der zweiten Beweisfrage im Gutachten des Prof. Dr. A. deutlich. Dort wird die Wiedergabe der ursächlich auf den Missbrauch zurückzuführenden Gesundheitsstörungen unter den Vorbehalt gestellt, dass man das Vorliegen eines Missbrauchs „unterstellt".

32

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts können die Feststellungen zum Vorliegen eines Missbrauchsereignisses auch nicht unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung aus § 15 Abs. 1 KOVVfG getroffen werden. Nach dieser Vorschrift können der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatschen beziehen, zu Grunde gelegt werden, wenn Unterlagen nicht vorhanden sind oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind. Zwar gilt diese Vorschrift gem. § 6 Abs. 3 OEG auch für die Entschädigung nach dem OEG und nicht nur im Verwaltungsverfahren, sondern auch im gerichtlichen Verfahren (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 1988 - 9/9a RVg 3/87 -, SozR 1500 § 128 Nr. 34, juris RdZiff. 14; BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3/89 -, BSGE 65, 123 = SozR 1500 § 128 Nr. 39, juris RdZiff. 11 ff.). Sie hilft der Klägerin im vorliegenden Fall aber nicht. § 15 KOVVfG setzt voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 1988, a.a.O., juris RdZiff. 14; BSG, Urteil vom 28. Juni 2000 - B 9 VG 3/99 R -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 3, juris RdZiff. 12, m.w.N.).

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Der Senat hat - auch unabhängig von der durch § 15 KOVVfG bewirkten Beweiserleichterung - keine Bedenken, der Entscheidung die glaubhaften Angaben der Klägerin zu ihrer Erinnerung in der Form der Flash-Back-Ereignisse zu Grunde zu legen. Davon bleibt jedoch die Frage unberührt, wie die geschilderten Bildsegmente zu deuten sind und ob sie den Schluss auf einen erlittenen Missbrauch zulassen. Zur Beantwortung dieser Frage kann sich der Senat nicht auf Angaben der Klägerin stützen, sodass auch eine Glaubhaftmachung gem. § 15 KOVVfG insoweit nicht in Betracht kommt. Denn die Klägerin erinnert keine konkreten Missbrauchsereignisse, sondern - wie im Gutachten des Dr. Sb. zutreffend beschrieben - bruchstückhafte mosaikartige Bildsegmente und damit verbundene emotionale Zustände. Nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen lassen diese von der Klägerin glaubhaft beschriebenen Flash-Back-Ereignisse nicht den Schluss zu, dass es zu einem Missbrauch durch den Vater gekommen sein muss.

34

Im übrigen belegen die vorliegenden Befundberichte, dass auch die Klägerin selbst jedenfalls in der ersten Zeit nach dem Auftreten der Flash-Back-Ereignisse unsicher war, wie diese zu deuten sind. So wird in dem Abschlussbericht der G.-Klinik, F. vom 24. April 1995 mitgeteilt, dass es der Klägerin gelungen sei, über ihre Befürchtungen, von ihrem Vater sexuell missbraucht worden sein, offen zu sprechen. Sie habe ihren Erinnerungen und Wahrnehmungen aber zunächst nicht recht trauen können. In dem Abschlussbericht vom 16. Oktober 1995 zu einem zweiten stationären Aufenthalt in der G.-Klinik (29. Mai bis 11. Oktober 1995) wird mitgeteilt: „Greifbare Erinnerungen bezüglich eines sexuellen Missbrauchs haben sich bis zum Ende dieses stationären Aufenthalts nicht ergeben, jedoch wohl gesicherte Erkenntnisse, dass es zu Grenzverletzungen gekommen ist."

35

Zwar hat das Bundessozialgericht in einem Urteil vom 3. Februar 1999 (- B 9 V 33/97 R -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 2 = BSGE 83, 279) § 15 KOVVfG entsprechend auf einen Fall angewandt, in dem die Klägerin keine Angaben aus eigener Erinnerung machen konnte, und angenommen, dass die entsprechende Anwendung der Vorschrift ausnahmsweise zur Beseitigung einer Beweisnot herangezogen werden kann. In Abgrenzung zu diesem Urteil hat das BSG in seinem Urteil vom 28. Juni 2000 (a.a.O., juris RdZiff. 13) jedoch klargestellt, dass diese Beweiserleichterung nur für den dort zu entscheidenden Ausnahmefall aus den Besonderheiten des Kriegsopferverfahrensrechts und der Kriegsopferversorgung herzuleiten war. Maßgebend sei gewesen, dass das Vorliegen einer Straftat als Ursache außer Zweifel gestanden habe und dass die Beweisnot im Zusammenhang mit der Durchführung der Ermittlung durch einen Geheimdienst (NKWD) zustande gekommen war, der „nicht rechtsstaatlich zu arbeiten pflegte". Für andere Fallkonstellationen, in denen sich beispielsweise ein Gewaltopfer nicht an den schädigenden Vorgang erinnern kann, hat das BSG eine erweiternde Auslegung des § 15 KOVVfG ausdrücklich abgelehnt (BSG, Urteil vom 28. Juni 2000, a.a.O., juris RdZiff. 13).

36

Die Beweisschwierigkeiten können auch nicht durch andere Beweiserleichterungen überwunden werden. Die Voraussetzungen für einen Beweis des ersten Anscheins liegen nicht vor, denn dieser ist nur bei typischen Geschehensabläufen möglich, die nach allgemeiner Erfahrung aus einer bestimmten Tatsache auf einen bestimmten Verlauf schließen lassen. Sind wie vorliegend mehrere Geschehensabläufe oder Vorgänge möglich, dann ist eine solche Beweisregel ausgeschlossen (BSG, Urteil v. 22. Juni 1988, a.a.O., juris RdZiff. 12 sowie BSG, Beschl. v. 22. Juni 1988 - 9/9a BVg 4/87 -, SozR 1500 § 128 Nr. 35, juris RdZiff. 14). Nach dem überzeugenden Gutachten des Dr. Sb. kann aus der Erkrankung (dissoziative Störung, Essstörung) gerade nicht eindeutig der Schluss auf einen sexuellen Missbrauch gezogen werden, weil als Ursache auch andere traumatisierende Ereignisse, die nicht als Gewalttat im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG angesehen werden können, in Betracht kommen und darüber hinaus dissoziative Störungen oder Essstörungen auch ohne ein traumatisierendes Ereignis entstehen können.

37

Nach allem ist nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass die Klägerin Opfer eines sexuellen Missbrauchs oder einer anderen Gewalttat geworden ist. Die Folgen der Beweislosigkeit hat nach dem auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast die Klägerin zu tragen (vergl. BSG, Urt. v. 3. Februar 1999, a.a.O.; BSG, Urt. v. 22. Juni 1988, a.a.O., juris RdZiff. 11).

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

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Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 SGG) liegen nicht vor.


Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt die Anerkennung, Opfer schädigender Ereignisse in Form von sexuellem Missbrauch zwischen 1966 und 1978 geworden zu sein und infolgedessen unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bzw. einer rezidivierenden depressiven Störung und schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen zu leiden.
Die am ... Januar 1962 geborene Klägerin zog im Alter von 16 Jahren aus dem Elternhaus aus, wo sie bis dahin mit zwei älteren und einem jüngeren Bruder aufgewachsen war. Sie machte den Hauptschulabschluss, danach zunächst eine Ausbildung zur Kinderpflegerin, später zur Wochenpflegerin, Arzthelferin und Krankenschwester. Im Jahr 1980 heiratete sie und bekam drei Kinder, geboren 1981, 1984 und 1988. Sie war erwerbstätig als Arzthelferin, als Nachtwache im Krankenhaus, als Kinderpflegerin und als sozialpädagogische Familienhelferin. 1985 kollabierte sie während eines Nachtdienstes, litt anschließend unter Schlafstörungen, Kraftlosigkeit, Appetitstörungen und machte eine Kur in Bad S. wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände und damals fraglicher depressiver Episode. 1992 führte sie eine Mutter-Kind-Kur in C. wegen starker Erschöpfung durch, ob eine depressive Episode vorlag, ist nicht unbekannt (GA Dr. F. Bl. 68 SG-Akte). Sie machte zahlreiche Fortbildungen: Im März 2004 bildete sie sich im Selbststudium zur beratenden Kinderpsychologin (nicht anerkannt) fort, im selben Jahr besuchte sie den Fachtag Dokumentation und Beobachtung in der offenen Kita-Arbeit, 2007 den Fachtag Suchtprobleme am Arbeitsplatz, wurde Betriebshelferin für Erste Hilfe, nahm an einer Veranstaltung zum Thema: „riskante Kinderwelten brauchen Schutz“ teil, am Fachtag Suchtprävention, am G.-V. Kinder und Jugendliche in der Schule, 2008 am Fachtag frühe Hilfen im O. sowie an der Fortbildung: „Risikoverhalten in der Pubertät“.
Im Jahr 2006 wurde die Ehe geschieden. Von 2008 bis 2013 führte die Klägerin eine Klage vor dem Amtsgericht H. (AG) wegen nachehelichen Ehegattenunterhalts, in dessen Verlauf sie zwecks Feststellung des Umfangs ihrer Erwerbsfähigkeit mehrfach u. a. von PD Dr. F. (aufgrund der partiellen Amnesie könne die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden, es spräche mehr gegen die Diagnose einer PTBS) begutachtet wurde. Seit 1. Februar 2009 bezieht sie unbefristet Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (Bescheid Bl. 62 VV), zwischenzeitlich auch eine bis 2015 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung (Entlassbericht Bl. 137 Senatsakte). In seinem Gutachten für die D. R. vom 28. April 2009 stellte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. die Diagnosen einer PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, eines psychophysischen Erschöpfungszustands und einer reaktiven Depression. Über die ersten 16 Jahre ihres Lebens habe die Klägerin keine Erinnerung, was sie berichte, habe sie von Angehörigen erfahren. Im Alter von drei Jahren habe sie wohl an einer Enzephalitis und Meningitis gelitten, Unterlagen gebe es in der Kinderklinik in G. nicht mehr. Anschließend seien regelmäßig Elektroenzephalogramme (EEGs) abgeleitet worden und sie habe bis etwa zum 15. Lebensjahr Mylepsinum einnehmen müssen. Ihr sei berichtet worden, sie habe von 1968 bis 1977 die Grund- und Hauptschule in D. besucht. Man habe ihr berichtet, sie habe keine Klassenarbeiten mitschreiben dürfen, da sie sich nicht aufregen oder freuen dürfe.
Nach der Geburt ihres Sohnes K. 1984 sei sie Anfang 1985 während eines Nachtdienstes zusammengebrochen. Sie sei zur Kur nach Bad S. gekommen. Darüber gebe es keine Unterlagen. Nach der Schwangerschaft mit ihrer Tochter 1988 habe sie ein „normales“ Leben gelebt. Bis 1994 sei sie psychisch relativ stabil gewesen, sie habe „funktioniert“. Im Rahmen einer schweren Erkrankung ihres Sohnes K. - schwere Operation mit protrahiertem Verlauf nach Platzen eines Meckel´schen Divertikels - sei der Verdacht entstanden, die Heilung des Sohnes verzögere sich oder werde unmöglich durch ihre eigenen Ängste. Daraufhin sei sie zu Dr. T. in Psychotherapie gegangen. Im Dezember 1995 sei ihr Vater gestorben und habe ihr zuvor am Sterbebett eröffnet, sie sei vom Liebhaber ihrer Mutter sexuell missbraucht worden. Anschließend habe sie sich in Therapie bei Psychotherapeutin (nach dem Heilpraktikergesetz - HPG) C. begeben. Im Rahmen der Therapie habe sich herausgestellt, dass sie wohl innerfamiliär in der Kindheit über Jahre hinweg sexuelle Missbrauchserfahrungen erlitten habe, in deren Folge es zu Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen gekommen sei.
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. stellte in seinem Gutachten für das AG vom 9. November 2008 die Diagnosen histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen (ICD-10 F 60.4, F 43.1), berichtete depressive Stimmungsschwankungen und zurückliegende Essstörung (derzeit nicht aktuell). Allgemeine Erschöpfungszustände, Stimmungsschwankungen und zugleich eher fahrige Schilderungen ließen sich unter einer histrionischen Strukturierung einordnen. Zwar kämen dissoziative Störungen auch bei einer PTBS vor, der anamnestische Kontext spreche aber weniger für die Zuordnung zu einer PTBS. Anhaltende Erinnerungen, eindeutiges und spezifisches Wiedererleben eines früheren Traumas, aufdringliche Nachhallerinnerungen würden nicht berichtet, auch kein Vermeidungsverhalten, etwa gegenüber Situationen, die Flashbacks hervorriefen oder mit der Belastungssituation in Zusammenhang gebracht würden. Sie berichte über gynäkologische Untersuchungen, die ganz komisch gewesen seien. Es sei ihr noch völlig unklar, was überhaupt passiert sei. Ihre Amnesie werde inzwischen nur partiell durchbrochen, sie habe viel erfahren, was für andere unvorstellbar sei. Hierbei assoziiere sie allerdings weniger eigene Missbrauchserfahrungen als vielmehr die Besonderheiten in ihrer Familienstruktur, die „Männerbeziehungen“ der Mutter, wo auch noch „der Vater gegenüber“ gesessen habe. Auffällig sei, dass sie - im Zusammenhang etwas abrupt - darauf zu sprechen gekommen sei, vom Vater nicht missbraucht worden zu sein.
Gegenüber dem Gutachter Dr. S. gab die Klägerin am 8. September 2008 an, sie habe bis zum 16. Lebensjahr überhaupt keine Erinnerung an ihr Leben. Das sei alles nur erforscht und berichtet.
PD Dr. F. stellte in seinem Gutachten vom 25. Oktober 2010 an das AG die Diagnose einer PTBS, differentialdiagnostisch einer generalisierten Angststörung. Das Trauma-A-Kriterium sei durch die psychiatrische Exploration nicht zu beweisen. Es bestünden deutliche Hinweise auf eine frühkindliche Traumatisierung. Aufgrund der Amnesie könne jedoch die Art der Traumatisierung diagnostisch nicht erfasst werden. Ein False-memory-Syndrome liege nicht vor, denn die Symptomatik sei nicht durch genaue Befragungen und Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen, sondern durch die Berichte des sterbenden Vaters ausgelöst worden. Bis zum Alter von 16 Jahren habe sie zunächst keinerlei Erinnerungen an ihr Leben gehabt. Alles was sie heute wisse, seien Inhalte aus Erzählungen anderer und Erinnerungsbruchstücke, die sie in langen Jahren der Psychotherapie mit plötzlich einschießenden Bildern und nachfolgendem intensivem Nachforschen erfahren habe. Sie habe keinen Sport und keine Prüfungen machen dürfen, da man unter jeder Art von Stress einen epileptischen Anfall befürchtet habe. Die Kommunion habe sie allein erhalten, der Pfarrer habe die Beichte bei ihr zu Hause abgenommen. Sie habe teilweise bis zu 15 Medikamente bekommen. Mit 12 oder 13 Jahren sei sie innerhalb des Hauses zu ihren Großeltern mütterlicherseits gezogen und von diesen weiter aufgezogen worden. Mit 16 sei sie zu Hause ausgezogen, seitdem habe sie regelmäßige Erinnerungen an ihr Leben. Bis 1995 habe sie keine Alpträume und keine belastenden Bilder, die sie überfielen, gehabt. Ihr Vater habe ihr kurz vor seinem Tod viel Belastendes aus ihrer Kindheit und Jugend erzählt. Er habe berichtet, Onkel H. habe ihr etwas Schlimmes angetan, er habe ihr weh getan und etwas getan, was man Kindern nicht antun sollte. Er, der Vater, habe sie nicht schützen können, nicht den Mut gehabt und sich in seine Arbeit gestürzt. Es habe viele wechselnde Liebhaber der Mutter gegeben. Diese seien nach Vermutung der Klägerin ebenfalls fragliche Täter sexuellen Missbrauchs an ihr. Die Berichte ihres Vaters hätten einige Bilder zusammengeführt, die in ihrem Kopf gewesen seien und mit denen sie bis dahin nichts habe anfangen können. Leider erinnere sie sich heute nicht mehr genau an alles, was ihr Vater ihr erzählt habe. Nach dem Tod des Vaters seien ihr immer wieder belastende Bilder in den Kopf gedrängt. Inzwischen erinnere sie sich an mehrfachen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Sie habe eine Erinnerung an eine Vergewaltigung, gegen die sie sich gewehrt habe, als er sie im Schlafzimmer der Eltern aufs Bett gelegt und festgehalten habe. Sie habe ihn gebissen und versucht, ihn zu schlagen. Während der einschießenden Bilder höre sie oft seine Sprüche von Onkel H.. Er habe sie „Bettchen“ genannt, wenn sie zu ihm habe kommen sollen. Er habe gesagt, sie solle zu ihm kommen, um eine „Spritztour“ zu machen. Das sei ein Synonym für sexuelle Handlungen gewesen. Im Alter von 5 Jahren habe sie sich beim Arzt geweigert, sich auszuziehen. Ihre Mutter habe zu dem Arzt gesagt, er müsse sagen, sie solle „Striptease“ machen, dann würde sie sich ausziehen. Daher denke sie, dass zu diesem Zeitpunkt schon vieles vorgefallen sei, was mit sexuellem Missbrauch zu tun habe. Zur späteren Narkose bei der Tonsillektomie habe man sie festhalten müssen, weil sie getobt habe. Sie habe auch Erinnerungen an sexuelle Belästigungen der Haushälterin und der Freundin ihres Bruders durch Onkel H. sowie sexuelle Handlungen zwischen diesem und der Mutter auf der Wohnzimmercouch, während sie, ihre Geschwister und der Vater anwesend gewesen seien. 1996 habe sie Onkel H. gesucht, aber nicht gefunden. Ihre Familie sei nicht bereit gewesen, über die Vergangenheit zu sprechen, habe gesagt, dass sie verrückt sei. 2003 habe sie den Kontakt zu ihrer Primärfamilie aufgrund der immer vermehrt auftretenden Kindheitserinnerungen abgebrochen. An aktuellen Beschwerden habe sie berichtet, belastende Bilder würden einschießen. Sie sehe z. B. die Gestalt ihrer Patentante, auch Onkel H. mit dunklen Haaren, sehe seine Hände, höre seine Stimme. Sie habe auch schon die Form einer Flasche gesehen. Nachforschungen hätten ergeben, dass dies eine Whiskyflasche der Marke „Racke rauchzart“ sei. Ihre Mutter habe oft gesagt, sie müsse noch „Racke rauchzart“ kaufen. Sie sehe Bilder von sich im Kindes- und Jugendalter aus verschiedenen Perspektiven, neben sich, über sich oder aus ihren eigenen Augen, als sei sie selbst beteiligt. Sie habe sich in einer Ecke mit einer Decke über sich gesehen, so als habe sie sich schützen wollen. Sie habe auch immer wieder Bilder aus einem Behandlungszimmer in einem Krankenhaus gesehen. Wenn sie viele Bilder von sexuellem Missbrauch überfielen, hätten diese oft mit Onkel H. zu tun. Einmal habe sie während der Begutachtung berichtet, ein Bild würde immer wieder kommen und dann vor ihren Augen stehen bleiben. Es habe mit einem sexuellen Missbrauch an ihr zu tun, genauer könne sie es nicht beschreiben.
2004 nahm sie den dritten Vornamen P. an, 2007 machte sie diesen dritten Vornamen zum Rufnamen, nahm zwei weitere Vornamen an und behielt den Ehenamen als Nachnamen, heißt somit nun nicht mehr B. B., sondern P. D., geb. D..
Die Klägerin litt im Kleinkindalter an einer Meningoenzephalitis (Gehirnentzündung/Hirnhautentzündung) im Alter von drei Jahren, weshalb bis zum 16. Lebensjahr eine Therapie mit Primidon, einem Antikonvulsivum, durchgeführt wurde (Bericht Epilepsiezentrum K. vom 26. September 1993, betr. den Sohn der Klägerin K. D., Anlagenkovolut zur AG-Akte). Sie führte in den Jahren 1984 und 1992 stationäre Reha-Maßnahmen wegen psychovegetativer Erschöpfungszustände durch. Vom 19. Dezember 2000 bis 4. Januar 2001 war sie in stationärer psychotherapeutischer Behandlung in der H. Bad Z., wegen eines Erschöpfungszustands infolge von „harter Arbeit in ambulanter Psychotherapie“, in der sie traumatische Erlebnisse in ihrer Kindheit bearbeitet habe. Dort wurde die Diagnose einer rezidivierenden mittelgradigen depressiven Störung und die Verdachtsdiagnose einer psychogenen Amenorrhoe seit 1998 gestellt (Bl. 14 VV). Ab Mai 1994 führte sie eine Psychotherapie bei Dr. T., Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, durch, seit August 1996 bei M. C., Psychotherapeutin nach dem HPG (ohne Kassenzulassung). Frau C. gab in einer Stellungnahme vom 15. August 2008 gegenüber dem Beklagten an, die Klägerin leide an Depressionen infolge schwerer Anpassungsstörungen, aufgrund über Jahre fortgesetzter schwerster Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, in deren Folge es zu Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen gekommen sei. Als Kind seien ihr Psychopharmaka, zeitweilig in Verbindung mit Alkohol, verabreicht worden. Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit März 2008 anerkannt (Bescheid vom 17. Dezember 2008, Bl. 23 VV).
10 
Am 4. Februar 2009 stellte sie über den Weißen Ring einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Der Weiße Ring gab darin an, die Klägerin sei in ihrer Kindheit Opfer eines schweren sexuellen Missbrauchs geworden. Dies führe dazu, dass sie an ca. 16 Lebensjahre keine Erinnerung habe. In langjährigen Therapien seien als Ursache hierfür Geschehnisse in der Kindheit ermittelt worden. In ihrem Antrag gab die Klägerin als schädigendes Ereignis an: sexueller Missbrauch, ca. 1965 – 1978, “als Gesundheitsstörung eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Amnesie von ca. 16 Lebensjahren, keine Zeugen, Namen der schädigenden Personen nicht bekannt“. Mit Bescheid vom 23. März 2009 wurde der Antrag abgelehnt (Bl. 28 VV). Es sei nicht objektiv nachgewiesen, dass die Klägerin Opfer einer Gewalttat geworden sei. Die Beweiserleichterung für den Fall, dass unverschuldet kein Nachweis erbracht und keine Zeugen benannt werden könnten, greife nicht ein, weil die Klägerin den Sachverhalt aufgrund der Amnesie nicht aus eigener Erinnerung beschreiben könne. Die ärztlichen Befundberichte reichten für eine Beweisführung nicht aus, weil aus dem vorliegenden psychiatrischen Störungsbild keine Rückschlüsse auf ein spezifisches Ereignis gezogen werden könnten und kein Profil psychiatrischer Symptome eindeutig auf eine traumatische Vergangenheit hinweise.
11 
Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung des Allgemeinmediziners Dr. E. vor (Bl. 57 VV), der sie seit 1997 betreute. Demnach stehe im Vordergrund der zweimal monatlichen Konsultationen ein psycho-physischer Erschöpfungszustand bei posttraumatischer Belastungsstörung nach kindlicher Missbrauchserfahrung. Sie könne sich an Einzelheiten in ihrer Kindheit und Jugend nicht erinnern. Diese seien erst nach mehrjährigen mehrfachen Psychotherapien in einem extrem belastenden Prozess wieder aufgetaucht. Sie leide häufig unter ausgeprägter körperlicher Schwäche und somatischen Beschwerden ohne somatisches Korrelat, Bauchschmerzen, Leistenschmerzen, Schmerzen im linken Bein und Sensibilitätsstörungen in der linken Gesichtshälfte. 1999 habe sie bis auf 42 kg abgenommen und in den letzten Jahren bis auf 75 kg zugenommen. Beim Neurologen und Psychiater S. war sie seit 2001 nur in mehrjährigen Abständen. 2001 nahm sie an einer geleiteten Frauengruppe des Vereins „A.“ mit dem Anliegen, eigene Selbstzweifel bezüglich ihrer Gewalterfahrungen zu klären, teil (Bl. 61 VV). Weiterhin legte sie eine Stellungnahme der Frau C. vom 13. Oktober 2009 (Bl. 88 VV) vor. Darin schildert diese die „Geschichte“ der Klägerin, die nicht in der Lage sei, selbst darüber zu berichten. Seit dem Tod des Vaters, der ihr auf dem Sterbebett über Familiengeheimnisse berichtet habe, seien sie und ihr Sohn immer kränker geworden, ohne dass die Ärzte hätten sagen können, was ihr fehle. Der kleinen B. sei ein absolutes Redeverbot unter Androhung härtester Strafen auferlegt worden. „…H. ist der offizielle Liebhaber der Mutter und thront ab 1962 im Wohnzimmer auf dem Sofa neben der Mutter, vor sich eine Flasche Whisky. … Ab kleinster Kindheit (ca. 4 - 5 Jahre) wird P. vom Liebhaber H. sexuell missbraucht. Sie wird auch in fremde Häuser gebracht, man gibt ihr Alkohol und Medikamente, damit sie ruhig bleibt. … Sie wird oral und anal vergewaltigt, regelmäßig, von verschiedenen Männern, wird zeitweise währenddessen fixiert, wird eingesperrt. Andere Kinder sind auch dabei, auch manchmal ihr Bruder M., vor allem eine gleichaltrige Tochter von H.. … Eine zweite Frau scheint allgegenwärtig im System und dokumentiert alles, wie wenn es ein Experiment wäre: Tante G., Schwester des Vaters (medizintechnische Assistentin in einem Versuchslabor). Bei vielen „Experimenten“ an den Kindern waren die Männer als Arzt verkleidet (weißer Kittel und Stethoskop). Damit keine Informationen über die Familie nach außen drängen, werden Kontakte zu anderen Kindern unterbunden, B. darf nicht zum Sport, alles mit der Erklärung, das Kind sei psychisch labil, hätte epileptische Anfälle. Mit 12 Jahren wird B.-P. schwanger, unter dem Vorwand einer Blinddarmoperation wird sie nach N. zu Tante K. gebracht, wo sie „operiert“ wird, wo eine Abtreibung vorgenommen wurde…“. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück (Bl. 83 VV).
12 
Am 10. Juni 2010 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihre Mutter habe an den Missbrauchshandlungen mitgewirkt. Sie selbst habe an ihre ersten 15 bis 16 Lebensjahre kaum oder lediglich bruchstückhafte Erinnerungen. Im Rahmen sogenannter Flashbacks habe sie mit ihrer Therapeutin in langjähriger Therapie zahlreiche Vorfälle sexuellen Missbrauchs zusammentragen können. Ihr Bruder M., dessen Aufenthaltsort sie nicht kenne, sei bei den sexuellen Übergriffen zum Teil zugegen gewesen und habe am Sterbebett des Vaters dessen Berichte mitgehört. Sie habe alles Zumutbare zur Sachverhaltsaufklärung getan, so dass die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG eintrete. Die bei ihr vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ergäben eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für sexuellen Missbrauch, auch die nur bruchstückhafte Erinnerung. Dies sei durch Gutachten belegt.
13 
Frau C. hat in ihrer Auskunft an das SG vom 7. Januar 2011 angegeben, es bestehe der Verdacht auf eine PTBS nach ICD-10 F 43.1 und der Verdacht auf dissoziative Amnesien sowie dissoziativen Stupor und dissoziative Bewegungsstörungen nach ICD-10 F 44.0, F 44.2.0 und F 44.7. Man müsse davon ausgehen, dass diese dissoziativen Zustände zur Zeit der Traumatisierung als emotional-physiologische Notlösung des Gehirns entstanden seien, das sonst keine Möglichkeit gehabt habe, die massiven, sadistisch geprägten sexuellen Übergriffe zu bearbeiten. Die ursprüngliche Symptomatik habe bereits darauf hingedeutet, dass sie an den Folgen einer langjährigen schwersten Traumatisierung leide. Zur Stabilisierungsphase habe der totale Bruch mit der Ursprungsfamilie mit Namensänderung 2007 gehört. Ab 1998 seien Erinnerungsfetzen an die Oberfläche gekommen, die allerdings nicht sprachlich, dafür aber mit nonverbalen Methoden hätten aufgedeckt werden können. Bis vor 1 – 2 Jahren habe noch das Redeverbot auf der Klägerin gelastet. Die Schaffung eines Zugangs zum Traumamaterial habe nur mit Hilfe von Psychopharmaka verkraftet werden können, jetzt sei die Klägerin teilweise abhängig von Benzodiazepinen, um sich gegen überflutende traumaartige Bilder zu wehren und schlafen zu können. Bis heute könne keine Traumaexposition durchgeführt werden, weil mit einer erneuten Destabilisierung zu rechnen sei. Die wiederholten Explorationen zur Erstellung von Gutachten hätten jeweils eine schwerwiegende Retraumatisierungssymptomatik provoziert. Die Scheidung 2005 habe neue Belastungsfaktoren in Form einer Unterhaltsklage mit sich gebracht. Im Hintergrund der vorliegenden Auseinandersetzung stehe das Bedürfnis, mit ihrer Geschichte gehört und anerkannt zu werden, damit ihr existentielles Bedürfnis nach Gerechtigkeit gestillt werden könne.
14 
Das SG hat die Klägerin in mündlicher Verhandlung am 16. September 2011 gehört (Niederschrift Bl. 88 SG-Akte). Sie hat angegeben, nach konkreten Erinnerungen an ihre Kinder- und frühe Jugendzeit befragt, könne sie sich tatsächlich nicht an Details, d. h. Gesichter oder Räumlichkeiten oder Sachverhalte erinnern. Vielmehr habe sie aus Erzählungen Dritter, z. B. zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, die sie im Kinder- und Jugendalter gehabt habe, Informationen erhalten. Diese halte sie für die Realität. Hierauf beschränkten sich letztlich ihre “Erinnerungen“ an diese Zeit. Da sie ab dem dritten Lebensjahr wegen ihrer angeblichen Erkrankungen mit Medikamenten versorgt worden sei, nehme sie an, dass die an ihr verübten Taten zu diesem Zeitpunkt begonnen haben müssten.
15 
Das SG hat den Bruder der Klägerin, den Zeugen R.-M. B., Rufname M., und die Haushälterin der Familie, die Zeugin B. S., durch einen ersuchten Richter beim Sozialgericht S. vernehmen lassen. Die Mutter der Klägerin hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Der Zeuge B. hat in seiner Vernehmung angegeben, die Klägerin habe ca. 1964 eine Hirnhautentzündung gehabt und sei dadurch sehr zurückgeworfen gewesen, in der Schule und so. Das habe sich erst in der Lehre gebessert. Sein Vater habe nach 18 Uhr ein Bier oder ein Glas Wein getrunken, er habe ihn aber nicht betrunken erlebt. Die Hausangestellte sei nur stundenweise gekommen. Onkel H., ein weitläufiger Verwandter seines Vaters, habe nicht im Haus gewohnt. Seines Wissens seien keine sexuellen Handlungen an der Klägerin vorgefallen, er habe auch nichts hierüber gehört. Von einer Schwangerschaft der Klägerin ca. 1974 wisse er nichts. Sein Vater habe vor seinem Tod eine Lebensbeichte abgelegt, alles vom Krieg bis zu seinem Sterbedatum erzählt. Über die Klägerin habe er nicht gesprochen. Onkel H. sei öfter nach Feierabend zu Besuch gewesen, allerdings habe er, der Zeuge, da nicht mehr zu Hause gelebt. Gegenstand der Lebensbeichte des Vaters sei auch gewesen, dass der jüngere Bruder M. nicht sein Sohn, sondern Onkel H. dessen Vater sei. Die Zeugin S. hat bekundet, sie habe sich meist abends stundenweise um die Klägerin gekümmert. Onkel H. sei gelegentlich dort im Haus gewesen. Zu einem sexuellen Missbrauch könne sie nichts sagen, weder aus eigenen Wahrnehmungen noch vom Hörensagen. Zu einer Schwangerschaft der Klägerin Mitte der Siebziger Jahre könne sie keine Angaben machen. Sie sei zu diesem Zeitpunkt noch regelmäßig dort gewesen. Ihr sei nichts aufgefallen. Sie habe bis heute Kontakt zur Mutter der Klägerin und dem jüngeren Bruder M..
16 
Die Klägerin hat Fotos vorgelegt (Bl. 253 SG-Akte), auf denen eine von ihr als Onkel H. bezeichnete männliche Person auf einem Sofa neben der Mutter sitzt, neben der Klägerin – beide rauchend – den Arm um sie legend, stehend neben der Zeugin S., die den Arm um ihn legt, Urlaubsbilder und Bilder ihrer Trauung, bei der sie neben Onkel H. zu sehen ist.
17 
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22. März 2013 abgewiesen. Ausgangspunkt für die Feststellung eines schädigenden Ereignisses sei das Vorbringen der Klägerin. Bei ihr bestünden an den fraglichen Zeitraum, mithin auch an die geltend gemachten Taten, keine konkreten Erinnerungen. Vorhanden seien lediglich die im Rahmen der Psychotherapie bei Frau C. zutage geförderten bruchstückhaften Erinnerungen, die sich als einschießende Bilder mit belastender psychischer Reaktion darstellten. Dabei sei klar, dass es sich bei den Bildern, die der Klägerin spontan vor Augen träten, nicht um Erinnerungen an konkrete Geschehensabläufe in der Vergangenheit handele, sondern um bildhaft innerpsychische Vorgänge, die einer Interpretation bzw. Deutung bedürften. Daher sei nicht die Frage, ob die Angaben der Klägerin überzeugend und glaubhaft seien, sondern ob diese den Schluss zuließen, dass sich die geltend gemachten Geschehensabläufe tatsächlich zugetragen hätten. Dies sei nach dem Beweisergebnis nicht der Fall. Es schließe sich der Beurteilung des PD Dr. F. an, der dargelegt habe, dass die einschießenden Bilder nicht den zwingenden Schluss zuließen, das sich der Missbrauch so zugetragen und daher nur die Verdachtsdiagnose einer PTBS gestellt habe. Die entgegenstehende Stellungnahme der behandelnden Psychotherapeutin, die keine Facharztausbildung habe und deren Stellungnahmen jegliche professionelle Distanz vermissen ließen, hätten dagegen nicht überzeugt. Die Angaben der Klägerin außerhalb des Kerngeschehens hätten sich ebenfalls nicht bestätigen lassen, so das Vorbringen, ihr Bruder M. sei zugegen gewesen, als ihr Vater auf dem Sterbebett Hinweise auf die Missbrauchshandlungen gegeben habe. Auch das Kerngeschehen, nämlich dass ihr Bruder M. teilweise bei den Missbrauchshandlugen zugegen gewesen sei, habe dieser nicht bestätigt. Die Zeugin S. habe das Klagevorbringen ebenfalls nicht bestätigt, wobei nichts gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben spreche. Die vorgelegten Fotos bewiesen zwar ein gewisses Näheverhältnis der abgebildeten Personen, aber nichts darüber hinaus. Die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG führe zu keinem anderen Ergebnis, da die Klägerin ausdrücklich zugebe, keine Angaben machen zu können, da sie sich nicht erinnere. Es halte die Schilderung der Klägerin hinsichtlich der einschießenden Bilder und des angegebenen Inhalts durchaus für glaubhaft. Dies ändere nichts daran, dass mit diesen Bildern nicht der Nachweis eines tatsächlichen Geschehensablaufs in der Vergangenheit geführt werden könne.
18 
Gegen das am 16. April 2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16. Mai 2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Die Zeugen seien nicht glaubwürdig. Der Zeuge B. habe nicht bekennen wollen, selbst Missbrauchsopfer zu sein. Er habe ihr einen Brief geschrieben und erklärt, „…auch ich habe mir in den letzten Jahren die gleichen Fragen gestellt, wie du“. Die Zeugin S. habe sich in einem Interessenkonflikt befunden. Die vorgelegten Fotos belegten eindeutig einen mehr als vertrauten Umgang zwischen ihrer Mutter, Onkel H. und ihr selbst. Sie habe durchaus Erinnerungen, verspüre aber ein innerliches Redeverbot im Sinne eines Schweigegebots. Mit Schriftsatz vom Juni 2014 hat sie über ihre neue Bevollmächtigte mitgeteilt, einige Vorgänge schildern zu können. Sie erinnere sich an einen Urlaub in einem Waldgebiet, den sie gemeinsam mit ihrer Mutter und Onkel H. verbracht habe. Man habe in einer gemieteten Hütte gewohnt. Onkel H. habe sie im kindlichen Alter gebadet und danach ihre Genitalien untersucht. Sie erinnere sich an einen Übergriff im Gartenzimmer am Ende des Elternhauses. Onkel H. sie damals dort im kindlichen Alter aufgesucht, sei zu ihr ans Bett gekommen und habe ihr etwas aus einem Schnapsglas zu trinken gegeben. Er habe sich zu ihr ins Bett gelegt und sie am Körper berührt. Sie sei unbekleidet zurückgeblieben und habe in den Morgenstunden starke Übelkeit verspürt. Im Alter von 14 Jahren hätten sich die Übergriffe des Onkels gesteigert. An einem Tag habe sie sich im Schlafzimmer der Eltern befunden. Onkel H. habe das Zimmer betreten, sie gepackt, auf die Bettseite der Mutter geworfen und sich auf sie gelegt. Er habe ihr im Alter von 14 Jahren die Arme festgehalten und einen Zungenkuss gegeben. Sodann habe er sie gegen ihren erkennbaren Willen zwischen den Beinen berührt. Erst durch die massive Gegenwehr habe er von ihr abgelassen.
19 
Die Klägerin beantragt,
20 
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. März 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 aufzuheben und eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen,
21 
hilfsweise, eine rezidivierende depressive Störung bei aktuell nicht vorhandener depressiver Episode und unter schädlichem Gebrauch von Benzodiazepinen als Folge eines in den Jahren 1966 bis 1978 erlittenen schädigenden Ereignisses im Sinne von fortgesetzten sexuellen Missbrauchshandlungen festzustellen.
22 
Der Beklagte beantragt,
23 
die Berufung zurückzuweisen.
24 
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig. Der Rückschluss von einer Diagnose auf ein ursächliches schädigendes Ereignis sei nicht möglich. Es gebe keine Zeugenaussagen, die die behaupteten Missbrauchshandlungen bestätigten.
25 
Zuletzt hat die Klägerin einen Behandlungsbericht von Dr. E., Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über ambulante Behandlungen am 2. Oktober sowie 6. und 18. November 2014 vorgelegt. Darin wird eine stationäre Traumatherapie empfohlen, deren Voraussetzung aber eine stabile Abstinenz von Benzodiazepinen und kein laufendes Rentenverfahren sei. Die Klägerin strebe die Verlängerung der 2015 auslaufenden Rente wegen voller Erwerbsminderung an. Einen zunächst gestellten Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens hat die Klägerin zurückgenommen.
26 
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 21.04.2015 gehört. Sie hat bekundet, sie könne nunmehr Vorfälle schildern, an die sie sich erinnere. Diese habe ihr nicht ihr Vater berichtet. Der schlimmste Vorfall sei im Alter von ca. 10 Jahren gewesen. Sie habe, bekleidet mit einem Unterhemd, auf einem Tisch gekniet und ein Mann, sie wisse nicht wer, habe einen Finger in ihre Scheide eingeführt. Sie erinnere sich daran, dass Onkel H. wiederholt verlangt habe, dass sie ihre Unterhose ausziehe, um zu sehen, ob sie sauber sei. Er habe sie oft in ihrem Kinderzimmer aufgesucht, ohne dass jemand dies bemerkt habe. Sie könne sich erinnern, mehrfach in ihrem Zimmer in eine Decke gehüllt sitzend aufgewacht und nicht mehr in ihrem Bett gewesen zu sein. Onkel H. habe sein Auto hinter dem Haus geparkt. Er habe auch einen Hausschlüssel gehabt. Als sie ein anderes Zimmer näher bei ihren Großeltern bezogen habe, habe Onkel H. öfter mit ihr sog. Spritztouren gemacht, d. h., er habe sie im Auto mitgenommen. Sie sei mehrmals mit ihrer Mutter und Onkel H. ohne ihren Vater in den Urlaub gefahren. Dort habe Onkel H. sie oft gebadet und gewaschen. Als sie 12 Jahre alt gewesen sei, habe er ihr einmal auf der Strandpromenade die Schleifen der Bikinihose aufgezogen und sie habe ohne Hose dagestanden. Sie könne sich erinnern, dass sie ihn habe anfassen müssen. Er sei ausgezogen gewesen und sie habe sein Glied streicheln müssen. Er sei auch mehrfach, wohl mit den Händen, in sie eingedrungen. Er habe große, stark dunkel behaarte Hände gehabt, wie ein Affe.
27 
Bei der angeblichen Blinddarmoperation im Alter von 12 Jahren sei sie gynäkologisch untersucht worden, obwohl sie nicht weit entwickelt gewesen sei. Sie habe danach eine kleine Narbe gehabt und eine Menstruationsblutung. Man habe ihr erklärt, wie sie eine Binde verwende.
28 
Es habe ein Redeverbot gegeben. Onkel H. habe gesagt, wenn sie ihrer Mutter etwas erzähle, müsse diese sterben. Sie habe das geglaubt, weil ihre Mutter Herzanfälle gehabt habe und sie von ihr abgeschirmt worden sei. Man sei öfter über die sog. Lügenbrücke im Ort spazieren gegangen und ihr sei gesagt worden, wenn sie lüge, breche die Brücke zusammen. Im Alter von ca. 8 Jahren habe sie ihrem Kindermädchen, der Zeugin S., berichtet, dass sie Blut in der Unterhose habe. Diese habe gesagt, das müsse vom Schaukeln kommen. Sie habe auch öfter gesagt, sie wisse ja Bescheid, müsse doch aber immer wieder dorthin kommen. Mit ca. 8 Jahren habe sie bei ihrer Tante G., die sie als Vertrauensperson angesehen habe, auf eine mit PVC bezogene Kommode einen Mann gemalt, der ein Kind anfasse. Tante G. habe mit ihr geschimpft. Mit 15 Jahren habe sie ihren ersten Freund gehabt. Sie wisse nicht, ob sie mit ihm intim gewesen sei. Er sei zu ihrer Mutter gegangen und habe gesagt, mit ihr stimme etwas nicht. Danach habe sie ihn nicht mehr gesehen. Die von Frau C. beschriebenen Gruppenvergewaltigungen mehrerer Erwachsener mit mehreren kindlichen Opfern seien Flashbacks gewesen. Sie könne nicht sagen, ob es wirkliche Erinnerungen seien.
29 
Manchmal seien Erinnerungen gleich weggewesen, das könne an den Medikamenten gelegen haben. Sie wisse nicht, warum das Redeverbot bis heute noch wirke.
30 
Ihr Bruder M. sei bei der Lebensbeichte des Vaters nicht die ganze Zeit anwesend gewesen, weil er habe arbeiten müssen. Er sei selbst stark traumatisiert, sei lange untergetaucht gewesen und habe Alkoholprobleme gehabt. Die Zeugin S. sei zu ihrer Zeugenvernehmung von Onkel H. Sohn M. begleitet worden. Vielleicht habe sie deshalb nicht die Wahrheit gesagt.
31 
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ein Schreiben an den Senat vorgelegt.
32 
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 21.04.2015, auf die Prozessakten beider Instanzen, den Verwaltungsvorgang des Beklagten, die Schwerbehindertenakte und die Akten des AG H. zu Az. 1 F 646/07 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
33 
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
35 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
36 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
37 
Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
38 
Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
39 
Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
40 
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
41 
Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
42 
Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
43 
Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
44 
Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
46 
Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
47 
Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
48 
PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
50 
Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
51 
Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
53 
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
54 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
55 
Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
56 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
33 
Die nach §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
34 
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden zu sein. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn es besteht auch zur Überzeugung des Senats nur die bloße Möglichkeit, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden und zu psychischen Gesundheitsschäden geführt haben, wie dies für einen Anspruch nach dem OEG erforderlich ist, da die isolierte Feststellung der Opfereigenschaft nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG unzulässig ist (Urteil des BSG vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R).
35 
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich des OEG in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
36 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteile vom 29. April 2010 - B 9 VG 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17 - und vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1. R -). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (Nötigung) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw. je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozial adäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre. Die Angriffshandlung muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzunehmen. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (BSG, Urteil vom 23. Oktober 1985 - 9a RVg 5. - SozR 3800 § 1 Nr. 6). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (st. Rspr. seit 1985, vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 7. - SozR 3-3800 § 1 Nr. 7). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 18). Der sexuelle Missbrauch von Kindern, durch den der Tatbestand des § 176 StGB erfüllt wird, indem der Täter sexuelle Handlungen an einem Kind vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, ist stets ein Angriff nach § 1 OEG (st. Rspr., vgl. BSGE 77, 11).
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Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Ein solcher Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs ist vorliegend nicht erbracht. Unmittelbarer Zeuge für die von Frau C. geschilderten Taten des sexuellen Missbrauchs durch eine Gruppe Erwachsener an mehreren Kindern war nach ihren Angaben der Bruder der Klägerin, der Zeuge B., der als weiteres kindliches Opfer anwesend gewesen sein soll. Dieser hat in seiner richterlichen Vernehmung im Auftrag des SG bekundet, nichts über sexuellen Missbrauch an der Klägerin durch Familienangehörige oder Dritte zu wissen, auch nicht vom Hörensagen. Für die von der Klägerin zuletzt angegebenen Missbrauchshandlungen durch Onkel H. im Elternhaus bzw. bei gemeinsamen Familienurlauben gab es nach ihren Angaben keine Tatzeugen. Auch dass die Lebensbeichte des Vaters auf dem Sterbebett Missbrauchshandlungen insbesondere von Onkel H. an der Klägerin thematisiert habe, wie von der Klägerin nahegelegt, konnte er nicht bestätigen. Thema sei gewesen, dass der jüngste Sohn M. wohl nicht Sohn des Vaters der Klägerin, sondern von Onkel H. sei.
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Die Mutter der Klägerin, die nach dem Vorbringen der Klägerin Zeugin von Missbrauchshandlungen gewesen sein soll, hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
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Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift).
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Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 2. B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; Urteil vom 22. September 1977 - 10 RV 1. - BSGE 45, 9; vgl. auch Urteil vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 4. - SozR 5070 § 3 Nr. 1). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d. h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den Übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen. Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG seiner freien richterlichen Beweiswürdigung. Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt (LSG N.-W., Urteil vom 20. Dezember 2006 - L 10 VG 1. - zit. nach Juris).
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Diese besondere Beweiserleichterung ist auch bei sexuellem Missbrauch von Kindern zu beachten, wenn es keine Zeugen gibt oder diese keine Angaben machen, denn Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, sind für die Beweiserleichterung nach § 15 S 1 KOVVfG als nicht vorhandene Zeugen anzusehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 1. R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 20). Zwar wollte § 15 KOVVfG ursprünglich nur der Beweisnot Rechnung tragen, in der sich Antragsteller häufig befanden, weil sie durch die besonderen Kriegsverhältnisse (Luftangriffe, Vertreibung usw.) etwa die über sie geführten Krankengeschichten oder Befundberichte nicht mehr erlangen konnten (BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3. - SozR 1500 § 128 Nr. 39 m. w. N.). Solche Unterlagen hat die Versorgungsverwaltung zum Nachweis der Schädigung im allgemeinen für ausreichend gehalten, ohne dass es noch der Anhörung von Zeugen bedurft hätte. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 KOVVfG nur in solchen Fällen anzuwenden ist, in denen normalerweise Unterlagen vorhanden sind, die glaubhaften Angaben des Antragstellers also nur das Fehlen von Unterlagen, nicht aber das Fehlen von Zeugen ersetzen können. Für eine solche Einschränkung gibt es keine Rechtfertigung. Vielmehr kann die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG überhaupt erst zum Tragen kommen, wenn weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen sind (BSG a. a. O. unter Bezugnahme auf Nrn. 1 und 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 15 KOVVfG). Die Beweisnot kann also auch allein darin liegen, dass für den schädigenden Vorgang keine Zeugen und deshalb keine Unterlagen vorhanden sind.
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Wenn allerdings das Opfer - wie die Klägerin zunächst noch bei ihrem Antrag vorgetragen hat - keinerlei Erinnerungen mehr an ihre Kindheit und Jugend hat, so kommt § 15 KOVVfG nach der Rspr. nicht zum Tragen. Denn es lässt sich für den Antragsteller oder Verfahrensbeteiligten, der zu dem geltend gemachten Schädigungstatbestand (hier: Gewalttat i. S. d. § 1 Abs. 1 OEG) überhaupt keine oder keine Angaben aus eigenen Wissen machen kann, auch dann keine Beweiserleichterung herleiten, wenn der Antragsteller zu eigenen Angaben möglicherweise gerade wegen der behaupteten Schädigung außerstande ist (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3. R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3).
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Zur Anwendung des § 15 KOVVfG ist der Senat daher nur deswegen gelangt, weil die Klägerin sich im Berufungsverfahren meinte, nunmehr erinnern zu können. Auch unter Anlegung dieses abgesenkten Beweismaßstabes hält es der Senat nicht für gut möglich, dass die vom Senat persönlich angehörte Klägerin in der Zeit bis zu ihrem 16. Lebensjahr Opfer sexuellen Missbrauchs durch Onkel H. allein oder mit weiteren Tätern geworden ist. Dabei hat der Senat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin subjektiv von der Authentizität der von ihr geschilderten Erinnerungsfetzen überzeugt ist. Soweit sie vermutet, der Missbrauch habe mit drei Jahren begonnen, steht bereits die fehlende Aussagetüchtigkeit im Altersbereich von unter vier entgegen. Die Klägerin stützt die Vermutung auf den Umstand, dass sie seit dieser Zeit Medikamente habe einnehmen müssen. Bei der Abgrenzung verwertbarer von sog. Pseudoerinnerungen ist nach der Rechtsprechung entscheidend, dass in einem Altersbereich von unter vier Jahren in der Regel noch keine Aussagetüchtigkeit besteht. Diese entwicklungsbedingte Aussageuntüchtigkeit für frühe Erlebnisse kann nicht mit zunehmender kognitiver Reife nachgeholt werden (H. LSG, Urteil vom 26. Juni 2014 - L 1 VE 3. - zit. nach Juris). Vorliegend sind - nach Angabe der Klägerin - zudem tatbestandsbezogene Aufmerksamkeits- und Gedächtnisbeeinträchtigungen infolge der Einnahme oder Verabreichung der Medikamente zu beachten (H. LSG a.a.O.). Auch sind entgegen der Ansicht der Klägerin allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biographie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (LSG N.-B., Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 2. - zit. nach Juris).
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Eine Glaubhaftmachung für die Zeit vom 4. bis zum 16. Lebensjahr scheitert daran, dass die Klägerin nach ihren wiederholten Bekundungen im Verfahren, bei mehreren Begutachtungen und zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine eigene Erinnerung an ihre gesamte Kindheit und Jugend bis zu ihrem Auszug aus dem Elternhaus im Alter von 16 Jahren hatte. Für diesen Zeitraum lag nach ihren wiederholten Angaben eine Amnesie vor. So konnte sie noch bei der Antragstellung 2009 keine Taten und keine Täter benennen. Der Weiße Ring hat in seinem Antrag darauf hingewiesen, dass sie keine Erinnerung an die ersten 16 Jahre ihres Lebens hat. Dies hat sie gegenüber allen sie untersuchenden Gutachtern angegeben, so gegenüber Dr. S. und Dr. S.; auch bei der Behandlung in der U.-Klinik und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. September 2011. Demnach kann sie sich an Details, Gesichter, Räumlichkeiten sowie Sachverhalte aus ihrer Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern und hat das, was sie weiß, aus Erzählungen Dritter, beispielsweise zu Krankheiten oder Schwierigkeiten, erfahren. Hierauf beschränkten sich ihre „Erinnerungen“. Ihre Vermutung, ab dem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht worden zu sein, beruht auf der Kenntnis, dass sie seit diesem Zeitpunkt Medikamente bekommen hat. Dies ist somit eine reine Schlussfolgerung der Klägerin, die nicht auf eigene Erinnerung gestützt und zudem in der Konsequenz nicht nachvollziehbar ist. Da die Klägerin als Kleinkind nach den aktenkundigen Berichten an einer Gehirnentzündung mit der Gefahr epileptischer Anfälle litt, ist die Verabreichung von Medikamenten naheliegend, nicht aber die Schlussfolgerung, die Medikamentengabe deute auf sexuellen Missbrauch hin.
45 
Ebenso beinhaltet die von der Klägerin geschilderte Lebensbeichte des sterbenden Vaters nicht zwingend einen sexuellen Missbrauch durch Onkel H.. Wenn ihr Vater tatsächlich, wie von ihr angegeben, gesagt hat, Onkel H. habe schlimme Dinge getan, die man Kindern nicht antun solle, er (der Vater) sei zu schwach gewesen, dies zu verhindern und habe sich in Arbeit gestürzt, ist dies durchaus vereinbar mit der Bekundung des Zeugen B., der Vater habe von einer Affäre der Mutter mit Onkel H. berichtet, aus der der jüngste Bruder M. hervorgegangen sei. Dies ist als Teil der „Lebensbeichte“ des Vaters dem Zeugen B. in Erinnerung gewesen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass die Bekundungen des Zeugen B. glaubhaft sind und sieht entgegen der Ansicht der Klägerin bei ihm kein Motiv für eine Falschaussage. Auch die Klägerin hat gegenüber Dr. S. 2008 anlässlich einer Gutachtenerstellung angegeben, sie habe vieles erfahren, das für andere unvorstellbar sei, und sich dabei nicht auf Missbrauch, sondern auf die außerehelichen sexuellen Beziehungen ihrer Mutter zu Männern bezogen.
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Der Senat kann ebenfalls nicht den von Frau C. in ihrer Bescheinigung von Oktober 2010 ohne nähere Einzelheiten angegebenen Missbrauch durch Onkel H. und die Schilderung von oralen und analen Gruppenvergewaltigungen durch mehrere Männer in weißen Kitteln und die Schwester des Vaters in fremden Häusern, wobei der Zeuge B. und die Tochter von Onkel H. weitere kindliche Opfer gewesen sein sollen, nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde legen. Hinsichtlich dieser Schilderungen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr angegeben, nicht zu wissen, ob es sich um echte Erinnerungen handele, es seien Flashbacks.
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Die erstmals im Berufungsverfahren konkret geschilderten Vorfälle mit Onkel H. im Elternhaus, bei Spritztouren und bei gemeinsamen Urlaubsreisen beinhalten zum Teil keine tätlichen Angriffe bzw. sexuelle Missbrauchshandlungen. Dies gilt für das Aufziehen der Bänder am Bikini, das Baden bzw. Waschen und das Herzeigenmüssen der Unterhose. Auch was bei den Spritztouren geschah, blieb unklar. Die Vorfälle, die tatbestandlich sexuelle Missbrauchshandlungen beinhalten, nämlich das Eindringen in die Scheide der Klägerin mit dem Finger und das Anfassen des Gliedes von Onkel H. durch die Klägerin können ebenfalls nicht nach dem Maßstab der guten Möglichkeit zugrunde gelegt werden. Diese Erinnerungen sind nämlich bei Zugrundelegung des Schriftsatzes von Juni 2014 erst nach über 17 Jahren Therapie bei Frau C. zutage gefördert worden. Nach deren Auskunft an das SG von Januar 2011 hat die Klägerin die Traumatherapie bei ihr im August 1996 aufgenommen und ab 1998 „kamen Erinnerungsfetzen an die Oberfläche“, die allerdings nicht sprachlich, sondern mithilfe non-verbaler Methoden aufgedeckt werden konnten. Das Redeverbot soll nach Angaben von Frau C. noch weitere ein bis zwei Jahre auf der Klägerin gelastet haben. Da die Klägerin jedoch auch nach dieser Zeit weiterhin durchgehend eine Amnesie angab, sah sie die von Frau C. „an die Oberfläche“ gebrachten „Erinnerungsfetzen“ offensichtlich selbst nicht als authentische Erinnerungen an. Erinnerungen, die im Zusammenhang mit einer Traumatherapie hervorgerufen werden, sind mit Vorsicht zu betrachten, weil nicht auszuschließen ist, dass im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1.; Urteil des LSG N.-B. vom 22. April 2010 – L 10 VG 1. – zit. nach Juris). Dies gilt auch für die bei der Klägerin durchgeführte Therapie, die sich nach Auskunft von Frau C., am E.-S.-Ansatz nach J. G. W. und L. R. orientiert. Diese greift in der – bei der Klägerin bis heute anhaltenden - Stabilisierungsphase auf Imaginationstechniken und hypnotherapeutische Techniken zurück (R. S., E.-S.-Therapie in der Psychotraumatologie, Journal für Psychologie, Internet). Falsche und echte Erinnerung können danach nicht immer zuverlässig unterschieden werden. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass bis dahin abgespaltene Erinnerungen an traumatische Vorfälle in der Therapie aufgedeckt werden (echte wiederentdeckte Erinnerung) als auch die Möglichkeit, dass die aufgetretenen Sinneseindrücke Folge von Gedächtnistäuschungen oder Suggestion („false memory“) sind. Gewisse Hinweise auf eine echte Erinnerung geben Schilderungen, die über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während unzutreffende Erinnerungen über Ereignisse, die sich nicht zugetragen haben, dazu neigen, im Laufe der Jahre eher auszuufern (R. in: K., Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, Handkommentar, Rn. 49 zu § 1 OEG m. w. N.). Die Klägerin hat erstmals im Juni 2014 schriftsätzlich konkrete Tatschilderungen über ihre Bevollmächtigte vortragen lassen, also nach inzwischen beinahe 18 Jahren Traumatherapie.
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PD Dr. F. geht bezogen auf seine Schlussfolgerung, das von ihm differentialdiagnostisch erwogene False-memory-Syndrome sei auszuschließen, davon aus, die Erinnerung sei nicht durch genaue Befragungen und die Suche nach traumatischen Ereignissen in Therapiesitzungen hervorgebracht worden, sondern unmittelbar durch die Berichte des sterbenden Vaters. Dies widerspricht den von Frau C. geschilderten Zeitabläufen. Der Vater ist Weihnachten 1995 gestorben, die Klägerin hat sich im August 1996 in Therapie zu Frau C. begeben und erst 1998 kamen erste Erinnerungsfetzen an die Oberfläche.
49 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachten von Amts wegen war nicht erforderlich. Der Senat konnte nach Anhörung der Klägerin entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 5. - zit. nach Juris; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4. B). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 5. und BGH, Beschluss vom 22. Juni 2000 - 5 StR 2.; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 3. - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (R. a. a .O., Rn. 49 m. w. N.). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats auch aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung der Fall.
50 
Der Senat hält auch die Bekundungen des Zeugen B. und der Zeugin S. im erstinstanzlichen Verfahren für glaubhaft und teilt nicht die Einschätzung der Klägerin, diese hätten die Unwahrheit gesagt. Der Zeuge B. hat im Anschluss an seine Aussage und nach Rücksprache mit der Mutter die Zeugin S. als mögliche Auskunftsperson selbst benannt, was dagegen spricht, dass er etwas habe verbergen wollen (vgl. Schriftsatz der ehemaligen klägerischen Bevollmächtigten vom 14.06.2012, Bl. 219 SG-Akte). Auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen B. aufgrund der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegebenen Vorgeschichte des Zeugen mit angeblich schweren Traumatisierungen, jahrelangem „Untertauchen“ und schwerer psychischer Krankheit kann der Senat weder der Aussage selbst noch den Akten entnehmen. Der Zeuge konnte vom SG durch einfache Meldeabfrage problemlos ausfindig gemacht werden und freute sich ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Briefes (Bl. 48 Senatsakte) über die Kontaktaufnahme der Klägerin nach so langer Zeit. In dem Schreiben berichtet er, wieder geheiratet zu haben sowie mit Frau und Hund in S. zu leben, seit drei Jahren beim Fernsehsender S. zu arbeiten und sich von einem Schlaganfall im Jahr 2009 sehr gut erholt zu haben. Hinweise auf eine schwere Traumatisierung bzw. schwere psychische Erkrankungen bietet diese Lebensgestaltung nicht. Soweit er schreibt, er habe in den letzten Jahren des Öfteren an seine Schwester, die Klägerin, gedacht und sich die gleichen Fragen gestellt wie sie, ist der Schluss naheliegend, diese beträfen die Beziehung der Mutter zu Onkel H. und dessen Vaterschaft zum Bruder M..
51 
Schließlich können auch keine sicheren Schädigungsfolgen, nämlich insbesondere nicht die beantragte posttraumatische Belastungsstörung sowie eine rezidivierende depressive Erkrankung mit dissozialen Zügen, auf den berichteten Missbrauch zurückgeführt werden, denn dafür fehlt es an einer klaren und nachvollziehbaren Diagnostik.
52 
Für die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen wurden von den zahlreichen Gutachtern und Behandlern unterschiedliche Diagnosen gestellt. PD Dr. F. stellte Ende 2009 die Diagnose einer PTBS nur als Verdachtsdiagnose, weil das Trauma-A-Kriterium durch die psychiatrische Exploration wegen der vorhandenen Amnesie nicht diagnostisch erfassbar sei (Bl. 81 R SG-Akte). Das Ergebnis seiner Untersuchung war eine dissoziative Störung, Amnesie und Bewegungsstörung gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig keine depressive Episode, einen schädlichen Gebrauch von Benzodiazepinen mit der Differentialdiagnose eines Abhängigkeitssyndroms von Benzodiazepinen bei ständigem Substanzgebrauch. In dem zuletzt vorgelegten Behandlungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin M. über drei ambulante Behandlungen im Oktober und November 2014 wird eine PTBS sowie eine dissoziative Störung, gemischt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert und ein schädlicher Gebrauchs von Benzodiazepinen beschrieben. Dr. S. diagnostizierte 2008 eine histrionische Persönlichkeit mit dissoziativen Zügen und berichtete von Stimmungsschwankungen und einer zurückliegenden Essstörung. Im Abschlussbericht der U.-Klinik vom Januar 2009 werden die Diagnosen PTBS, depressive Reaktion, Panikstörung sowie die Verdachtsdiagnose eines schädlichen Gebrauchs von Benzodiazepinen gestellt. Dr. S. diagnostizierte schließlich im April 2009 eine PTBS nach Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, einen psycho-physischen Erschöpfungszustand und eine reaktive Depression.
53 
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Gesundheitsstörungen überwiegend wahrscheinlich auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführen sind, da der Senat ein schädigendes Ereignis nicht als gut möglich feststellen konnte (s.o.). Der Schluss von einer Diagnose - auch der PTBS - auf einen Schädigungstatbestand des § 1 OEG ist nicht zulässig (Rademacker a. a .O. Rn. 48 m. w .N.).
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Die Berufung war daher zurückzuweisen.
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Dies Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Beschwerdeverfahren.

Gründe

1

I. Die 1957 geborene Klägerin beansprucht von dem beklagten Land Leistungen der Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen der Folgen eines in der Zeit vor 1973 jahrelang erlittenen sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater.

2

Den im September 2006 gestellten Versorgungsantrag der Klägerin lehnte das beklagte Land nach Durchführung von Ermittlungen mit Bescheid vom 28.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.2.2007 ab, weil es nicht als erwiesen angesehen werden könne, dass die Klägerin infolge eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung iS des § 1 Abs 1 OEG erlitten habe. Die Klägerin habe ihren Antrag auf Leistungen mehr als 30 Jahre nach dem Tod des Vaters und den erklärten letzten Schädigungshandlungen gestellt. Zeugen für die Vorfälle gebe es nicht. Die Klägerin selbst habe in ihrem Antrag angegeben, sie wisse nicht mehr, was "hinter der verschlossenen Tür geschah". Es lägen also ausschließlich die Angaben der Klägerin gegenüber den behandelnden Ärzten (nach 1990) vor. Die Mutter und die Schwester der Klägerin könnten nur wiedergeben, was diese ihnen selbst berichtet habe.

3

Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht Freiburg (SG) hat die Klägerin persönlich angehört, ihre Schwester R. Q. als Zeugin vernommen sowie ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. S., eingeholt. Durch Urteil vom 10.12.2010 hat das SG den angefochtenen Bescheid aufgehoben und den Beklagten verurteilt, bei der Klägerin das Vorliegen einer seelischen Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung als Folge von vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffen ihres Vaters in der Zeit von 1961 bis 1972 anzuerkennen und ihr wegen dieser Folgen ab dem 1.9.2006 Versorgung nach dem OEG nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 80 zu gewähren.

4

Das vom Beklagten angerufene Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) hat zunächst durch die Senatsvorsitzende einen Erörterungstermin durchgeführt und sodann in der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2011 die Klägerin persönlich befragt und deren Schwester R. Q. als Zeugin vernommen. Nach dem Hinweis des Senats, "dass es schwierig sein dürfte, auch einen sexuellen Missbrauch vom 4. bis 8. Lebensjahr nachzuweisen und nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eigentlich eine Verurteilung zu Lasten des Beklagten in diesem Verfahrensstadium ausscheide, da die Beklagte selbst noch nicht über die Versorgung entschieden habe", hat die Klägerin durch ihre Bevollmächtigte erklärt, es werde auf die Rechte aus dem Urteil vom 10.12.2010 insoweit verzichtet, als ein sexueller Missbrauch auch für die Zeit von 1961 bis 1964 geltend gemacht worden sei. Des Weiteren werde auf die Rechte aus dem Urteil verzichtet, soweit der Klägerin Versorgung zugesprochen worden sei.

5

Der Beklagte hat danach beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 10. Dezember 2010 insoweit aufzuheben, als die Klägerin nicht auf die Rechte aus dem Urteil verzichtet hat, und die Klage insoweit abzuweisen,
hilfsweise von Amts wegen ein Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin … einzuholen.

6

Durch Urteil vom selben Tag (15.12.2011) hat das LSG die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen wie folgt begründet:

7

Die Klägerin sei zur Überzeugung des Senats Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 OEG geworden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat, insbesondere der Zeugenvernehmung ihrer Schwester in der mündlichen Verhandlung, sei der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin von 1965 bis 1972 von ihrem Vater in der elterlichen Wohnung sexuell missbraucht worden sei. Als aufgrund der Zeugenaussage nachgewiesene sexuelle Handlungen im Sinne eines Missbrauchs der Klägerin nehme der Senat das Waschen der weiblichen Brust sowie die Vorgänge im elterlichen Schlafzimmer mit der beobachteten oralen Befriedigung an. Dabei müsse nicht im Einzelnen jeder sexuelle Missbrauch in zeitlicher Hinsicht weiter konkretisiert werden, was gerade bei Sexualdelikten deliktstypisch im Nachhinein nicht mehr möglich sei.

8

Der Senat halte die Aussagen der Zeugin Q. für glaubhaft. Die Konstanzanalyse ihrer Aussagen ergebe, dass die dem Vater vorgeworfenen Handlungen im Kern übereinstimmend dargestellt würden. Die Aussage erweise sich somit über die beiden Vernehmungen beim SG und LSG hinweg als konstant. Die kriterienorientierte Analyse der Aussage weise im Ergebnis deutliche Kennzeichen einer erlebnisbezogenen Darstellung auf, so zB die Schilderung des verdunkelten Zimmers und der Schlafgewohnheiten der unter beengten Verhältnissen lebenden Familie. Es fänden sich in ihrer Aussage zudem Einzelheiten, die von ihrer Mutter nicht bestätigt worden seien. Zudem habe sich die Zeugin nicht als suggestibel erwiesen und generell keinen besonderen Belastungseifer gezeigt. Die Zeugin habe glaubhaft bereits in einem sehr frühen Verfahrensstadium, nämlich schriftlich am 16.10.2006, geschildert, dass sie selbst gesehen habe, wie ihr Vater der Klägerin gegen deren Willen die Brüste eingeseift und mit ihr bei dem "mittäglichen Schlafritual" regelrecht verkeilt im Bett gelegen habe. Letztere Haltung lasse bereits ohne die konkrete Schilderung sexueller Handlungen Rückschlüsse auf sexuellen Missbrauch zu. Dass der Beklagte darin keine sexuelle Handlung sehen wolle, weil das Einseifen in der Badewanne geschehen sei und der Vater im Bett angezogen gewesen sei, sei aus Sicht des Senats lebensfremd. Dass die konkrete Begebenheit, dass die Klägerin den Penis ihres Vaters habe in den Mund nehmen müssen, von der Zeugin erst während des gerichtlichen Verfahrens geschildert worden sei, mache ihre Angaben auch aus Sicht des Senats nicht insgesamt unglaubwürdig. Denn die Zeugin habe den Vorgang so detailgetreu geschildert, dass sie ihn selbst erlebt haben müsse. Sie habe auch ein nachvollziehbares Motiv für ihre späte Aussage angegeben, nämlich die anfängliche Scham über die familiären Vorgänge überhaupt und ihre Schuldgefühle, darüber geschwiegen und damit den Missbrauch erst möglich gemacht zu haben. Diese Motivation erkläre auch hinlänglich die angeblichen Diskrepanzen in den Aussagen der Familienangehörigen.

9

Da der Senat seine Überzeugung anhand der Zeugenaussage sowie des Akteninhalts getroffen habe, könne dahingestellt bleiben, ob bei der Glaubhaftigkeitsprüfung der klägerischen Angaben durch einen medizinischen Sachverständigen von der sogenannten Nullhypothese ausgegangen werden müsse. Zudem habe der Senat entscheiden können, ohne die von dem Beklagten beantragten Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin einzuholen. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen gehöre zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und sei daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) komme nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich dann, wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehle. Die Einholung eines entsprechenden Gutachtens sei nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweise, die eine Sachkunde erforderten, die ein Richter normalerweise nicht habe. Das sei vorliegend nicht der Fall. Weder wiesen die Aussagepersonen solche Besonderheiten auf noch sei der Sachverhalt besonders gelagert, sondern könne im Kern durch die Beobachtungen einer Zeugin gestützt werden.

10

Der fortgesetzte Missbrauch der Klägerin habe iS einer Alleinverursachung wahrscheinlich zu einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung geführt. Der Senat stütze sich insoweit auf das Gutachten des Dr. S., dessen Diagnostik in Übereinstimmung mit den Befunden der behandelnden Ärzte stehe.

11

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Beklagte beim BSG Beschwerde eingelegt, die er mit dem Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG) begründet.

12

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

13

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie vorliegend - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 S 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

14

Soweit der Beklagte als Verfahrensmangel rügt, das LSG habe mit der Entscheidung selbst gegen den "Bestimmtheitsgrundsatz" und das "Gebot der Rechtsklarheit" verstoßen, hat er die für die Annahme eines Verfahrensmangels relevanten Tatsachen dargestellt. Entscheidet ein Gericht, ohne hinreichend deutlich zu machen, worin die Entscheidung liegt, handelt es sich um einen das Urteil selbst betreffenden Verfahrensmangel (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160 RdNr 16a und Keller, aaO, § 136 RdNr 5d). Der behauptete Verfahrensmangel liegt jedoch nicht vor.

15

Dem Beklagten ist hier zwar einzuräumen, dass sich für ihn als dem unterlegenen Prozessbeteiligten der Inhalt der Entscheidung des LSG als unübersichtlich darstellt. Bei Heranziehung der Prozessgeschichte, also des Urteils des SG, des der Klägerin in der mündlichen Verhandlung des LSG gegebenen verfahrensrechtlichen Hinweises, der daraufhin von der Klägerin abgegebenen Erklärung sowie des Inhalts der Entscheidungsgründe (vgl dazu Keller, aaO, § 136 RdNr 5c) ist indes eindeutig zu erkennen, worüber und mit welchem Ergebnis das LSG entschieden hat.

16

Das LSG selbst hat nicht positiv tenoriert, sondern die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG vom 10.12.2010 zurückgewiesen, nachdem die Klägerin zuvor einen Verzicht auf einen Teil ihrer Rechte aus dem Urteil des SG erklärt hatte. Das SG hatte den Beklagten verurteilt, bei der Klägerin das Vorliegen einer näher bezeichneten seelischen Störung als Folge von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen in der Zeit von 1961 bis 1972 anzuerkennen und ihr wegen dieser Folgen Versorgung nach dem OEG ab dem 1.9.2006 nach einem GdS von 80 zu gewähren. Hinsichtlich des auf Gewährung von "Versorgung" nach einem GdS von 80 gerichteten Teils hat die Klägerin auf ihre Rechte aus dem Urteil verzichtet, sodass dieses insoweit nicht auszuführen ist und auch nicht vollstreckt werden kann.

17

Soweit das SG den Beklagten zur "Anerkennung" bestimmter Gesundheitsstörungen als Folge von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen auf die Klägerin verurteilt hat, hat es sich im Rahmen der als zulässig anzusehenden kombinierten Klage auf Anfechtung des entgegenstehenden Bescheides und Verpflichtung zur Feststellung von Folgen eines versorgungsrechtlich relevanten Tatbestandes (s nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VS 2/09 R - SozR 4-3200 § 88 Nr 4 RdNr 32; für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung s jüngst BSG Urteil vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 RdNr 12 bis 14, auch zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) - hier: eines tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG - gehalten. Da die Klägerin auf ihre Rechte aus diesem Urteil verzichtet hat, soweit ein sexueller Missbrauch auch für die Zeit von 1961 bis 1964 geltend gemacht worden war, entfaltet der Urteilsausspruch des SG nur insoweit Wirkung als es sich um die Folgen von tätlichen Angriffen in den Jahren 1965 bis 1972 handelt. Soweit der Beklagte diesen Zusammenhang rügt, es sei unbestimmt, was das LSG letztlich als schädigenden Vorgang angesehen habe, bezieht er sich darauf, dass das LSG in den Entscheidungsgründen einmal als Schädigungszeitraum die Jahre 1961 bis 1972 genannt hat. Dabei handelt es sich um eine offensichtliche Unrichtigkeit, die nicht den Inhalt des Urteils in Frage stellt.

18

Erwächst dieses Urteil in Rechtskraft, verpflichtet es den Beklagten unmittelbar zur Erteilung eines Ausführungsbescheides. Daneben bleibt der Beklagte aufgrund des Leistungsantrages der Klägerin verpflichtet, über die der Klägerin zustehenden konkreten Leistungen der Beschädigtenversorgung - auch soweit es den GdS betrifft und soweit sie von dessen Höhe abhängen - durch anfechtbaren Verwaltungsakt zu entscheiden. Bei dem Verzicht der Klägerin auf die Rechte aus dem Urteil des SG, soweit ihr ein Anspruch auf Versorgung zugesprochen worden war, handelt es sich nicht um eine auf die Anfechtung des ablehnenden Verwaltungakts bezogene Klagerücknahme, sodass dieser dadurch nicht bestandkräftig geworden ist (vgl § 77 SGG). Er ist und bleibt durch das Urteil des SG aufgehoben.

19

Den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG nicht entsprochen hat der Beklagte, soweit er beanstandet, dass ihm nicht klar sei, ob das LSG bei seiner Entscheidung auch auf die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin oder ausschließlich auf die Glaubhaftigkeit der Angaben der als Zeugin vernommenen Schwester und nach Aktenlage auch deren Mutter abgestellt habe. Dabei handelt es sich nicht um einen - rügbaren - Verfahrensfehler, also einen Verstoß gegen das gerichtliche Verfahren regelnde Vorschriften oder einen das Urteil selbst betreffenden Verfahrensmangel, sondern um eine mögliche Unklarheit des Urteils, die nicht zu dessen Fehlerhaftigkeit führt. Soweit in dieser Begründung des Beklagten ein Angriff auf die Beweiswürdigung des LSG zu sehen ist, kann die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG darauf nicht gestützt werden.

20

Soweit der Beklagte als Verfahrensfehler eine Verletzung des § 103 SGG mit der Begründung rügt, das LSG sei seinem bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag auf Einholung eines Gutachtens über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin ohne hinreichende Begründung nicht nachgekommen, kann offenbleiben, ob der Beklagte insoweit den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG in allen notwendigen Punkten Rechnung getragen hat. Denn jedenfalls ist das LSG diesem Beweisantrag nicht ohne hinreichende Begründung, dh nicht ohne hinreichenden Grund (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5), nicht gefolgt (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG). Das LSG musste sich nicht gedrängt fühlen, die beantragte Beweiserhebung durchzuführen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 49). Es hat sich seine Überzeugung davon, dass die Klägerin in den Jahren 1965 bis 1972 durch ihren Vater sexuell missbraucht worden ist, im Wesentlichen aufgrund der Zeugenaussagen der Schwester der Klägerin, insbesondere in der mündlichen Berufungsverhandlung, gebildet und war auch nach Auffassung des erkennenden Beschwerdesenats nicht verpflichtet, Glaubhaftigkeitsgutachten der beantragten Art einzuholen.

21

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (vgl dazu BSGE 30, 192, 205 = SozR Nr 20 zu § 1247 RVO S Aa 25 Rückseite). Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sogenannten Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182).

22

Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - juris). Eine solche Fallgestaltung ist hier nicht ersichtlich.

23

Möglicherweise wäre eine Glaubhaftigkeitsbegutachtung bezüglich der Angaben der psychisch kranken Klägerin erforderlich gewesen, wenn das LSG seine Entscheidung maßgebend darauf hätte stützen wollen. Das ist jedoch nicht der Fall. Das LSG hat vielmehr im Rahmen einer eingehenden Abwägung insbesondere die Aussagen der Zeugin Q. als glaubhaft angesehen und sie bei der Bejahung eines jahrelangen sexuellen Missbrauchs der Klägerin durch ihren Vater entscheidend zugrunde gelegt. Hinsichtlich der Angaben dieser Zeugin sind keine Umstände zu erkennen, die eine darauf bezogene Glaubhaftigkeitsbegutachtung hätten gebieten können. Die berufungsgerichtliche Beweiswürdigung selbst kann auch insoweit nicht mit einer Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen werden (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG).

24

Soweit der Beklagte geltend macht, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, kann dahinstehen, ob der Beklagte den Zulassungsgrund in allen notwendigen Punkten dargetan hat (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

25

Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine bestimmte Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65).

26

Die vom Beklagten als klärungsbedürftig, klärungsfähig und über den Einzelfall hinaus bedeutsam angesehene Frage, ob für ein im Verfahren des sozialen Entschädigungsrechtes eingeholtes aussagepsychologisches Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben eines Antragstellers/Zeugen die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) für Strafsachen zu berücksichtigenden methodischen Mindeststandards Anwendung finden oder ob andere und ggf welche Anforderungen zu gelten haben, ist für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht erheblich. Zunächst hat das LSG seine Tatsachenfeststellungen dahin, dass der Vater der Klägerin diese in den Jahren 1965 bis 1972 fortgesetzt sexuell missbraucht hat, ohne Verwertung eines Sachverständigengutachtens über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin oder der Zeugin Q. getroffen. Darüber hinaus ist die Vorinstanz - wie der Senat zu der entsprechenden Verfahrensrüge des Beklagten bereits ausgeführt hat - nicht verpflichtet gewesen, ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen.

27

Der Beklagte übersieht in diesem Zusammenhang, dass die Beurteilung, ob eine grundsätzliche Bedeutung vorliegt, auf der Tatsachengrundlage der Vorinstanz zu erfolgen hat (vgl dazu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160 RdNr 9f). Danach kommt es hier auf die Auswertung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nicht an. Insofern kann in dem vom Beklagten angestrebten Revisionsverfahren nicht geklärt werden, nach welchen methodischen Standards Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen Leistungsstreitigkeiten zu fertigen sind.

28

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.