Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 10. Apr. 2018 - L 15 BL 4/16

bei uns veröffentlicht am10.04.2018
vorgehend
Sozialgericht Augsburg, S 4 BL 2/14, 09.02.2016

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I. Auf die Berufung werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 9. Februar 2016 und der Bescheid des Beklagten vom 4. September 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. April 2014 aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 1. Oktober 2014 Blindengeld nach dem BayBlindG zu gewähren.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 9/10 zu tragen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den Blindengeldanspruch der Klägerin nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG).

Die 1970 geborene Klägerin stellte erstmals 2011 Antrag auf Blindengeld nach dem BayBlindG beim Beklagten. Dieser und ein weiterer Antrag vom selben Jahr wurden vom Beklagten mangels Nachweises der Blindheit abgelehnt. Bereits am 21.08.2012 stellte die Klägerin den nächsten Antrag auf Blindengeld. In diesem Verwaltungsverfahren erstellte Prof. Dr. K. im Auftrag des Beklagten ein augenfachärztliches Gutachten, in dem er zu dem Ergebnis kam, dass sich bei der Untersuchung Unstimmigkeiten zwischen den subjektiv gemachten Angaben und den objektiv erhobenen Befunden ergeben hätten. Insbesondere die Verhaltensbeobachtungen, die Ergebnisse der visuell evozierten Potenziale (VEP), die Untersuchung am Bjerrumschirm als auch die Auslösbarkeit des Optokinetischen Nystagmus (OKN) würden eine bessere als die angegebene Sehschärfe und ein besseres Gesichtsfeld erwarten lassen. Nach einer versorgungsmedizinischen Stellungnahme lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 24.01.2013 den Antrag ab. Der Widerspruch hiergegen blieb erfolglos.

Am 15.07.2013 stellte die Klägerin den gegenständlichen Antrag. Es sei nun endlich eine Diagnose für die Sehbehinderung gefunden worden, so die Klägerin. Im Verwaltungsverfahren wertete der Beklagte den ärztlichen Bericht des Universitätsklinikums U-Stadt, Prof. Dr. L., vom 01.08.2013 aus. Darin wurden ein Fernvisus ohne Korrektion von Fingerzählen (rechts) und 0,05 (links) festgehalten und als Diagnose unter anderem Verdacht auf Retinopathia pigmentosa gestellt. Allgemein bestehe ein Anettevon-Droste-Hülshoff-Syndrom.

Mit Bescheid vom 04.09.2013 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die Voraussetzungen des BayBlindG lägen nicht mit der erforderlichen Sicherheit vor. Entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B. vom 30.08.2013 wies der Beklagte in dem Bescheid darauf hin, dass sich aktuell der Visus gegenüber dem von Prof. Dr. K. erhobenen Vorbefund gebessert habe. Bereits bei der früheren Begutachtung sei noch ein kleineres Gesichtsfeld zu erheben gewesen. Allerdings habe durch verschiedene Untersuchungen nachgewiesen werden können, dass eine bessere Sehschärfe und ein besseres Gesichtsfeld zu erwarten gewesen wären. Diesbezüglich ergäben sich auch nach dem jetzigen Gutachten keine neuen Erkenntnisse. Allein die Diagnose Retinopathia pigmentosa könne die Glaubhaftigkeit beim jetzigen Gesichtsfeldbefund nicht erhöhen.

Hiergegen erhob die Klägerin über ihre Bevollmächtigte am 26.09.2013 Widerspruch. Darin wurde darauf hingewiesen, dass bei der Untersuchung am 01.08.2013 auch Korrekturen keine Besserung des Visus ermöglicht hätten. Zudem sei anzumerken, dass seitens der Universitätsklinik U-Stadt eine Gesichtsfeldmessung am rechten Auge überhaupt nicht versucht worden sei, da dies nach Ansicht der behandelnden Augenärztin keinen Sinn mehr ergeben hätte aufgrund einer Sehschärfe von unter 2% (Fingerzählen). Aufgrund dieser Sehschärfe sei für die Entscheidung bzgl. des Blindengelds das Gesichtsfeld auch nicht mehr ausschlaggebend.

Im Widerspruchsverfahren berücksichtigte der Beklagte einen neuen Befundbericht des Universitätsklinikums U-Stadt vom 17.12.2013. Nach einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10.03.2014 von Dr. P. wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2014 den Widerspruch als unbegründet zurück. Ursache des schlechten Sehvermögens der Klägerin seien Netzhautveränderungen nach Frühgeborenenretinopathie beidseits sowie ein Zustand nach Netzhautablösung mit operativer Behandlung. Ferner bestehe eine Kunstlinse beidseits. Der Visus von 0,1 bzw. 0,2 sei fast 30 Jahre lang - bis zum Jahr 2011 - stabil geblieben. Ab 2011 seien bei unveränderten morphologischen Befunden Visusschwankungen dokumentiert. Ob der im Juni 2013 in U-Stadt geäußerte Verdacht auf eine Retinopathia pigmentosa abschließend abgeklärt worden sei, sei aus den Unterlagen nicht ersichtlich. Bei einer solchen Erkrankung, die eine Gesichtsfeldeinengung auf weniger als 10° bzw. 5° verursache, sei das skotopische Elektroretinogramm (ERG) in der Regel komplett erloschen; bei der Klägerin seien die Amplituden jedoch nur reduziert gewesen. Bei der Begutachtung durch Prof. Dr. K. sei ein auf weniger als 5° eingeengtes zentrales Rechtsgesichtsfeld angegeben worden, was mit dem bei der Klägerin beobachteten Verhalten nicht zu vereinbaren gewesen sei.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 05.05.2014 Klage zum Sozialgericht (SG) Augsburg erhoben. In der Klagebegründung hat die Klägerin mit Blick auf die o.g. elektrophysiologische Untersuchung darauf hingewiesen, dass der Aggravationsverdacht hinreichend widerlegt sei. Sie versuche, den Nachweis zu erbringen, dass sie keine Frühgeburt gewesen sei und die Sehbehinderung deshalb nicht hierauf zurückgeführt werden könne. Weiter solle die Frage der Diagnose gezielt geklärt werden. Ungeachtet dessen sei aufgrund der aktuellen Befunde Blindheit im Sinne des Gesetzes seit Juni 2013 zweifelsfrei nachgewiesen.

Das SG hat Beweis erhoben durch ein augenfachärztliches Gutachten von Dr. K. vom 30.12.2014. Der Sachverständige hat folgende Visuswerte erhoben (Sehschärfe mit Korrektion - Gläser bessern nicht):

– rechtes Auge: Erkennen von Handbewegungen, kein Fingerzählen in 30 cm Entfernung, kein Erkennen von Sehzeichen in 4 m Entfernung und in näherer Entfernung.

– Linkes Auge: 0,05 (Landoltringe in 4 m Entfernung),

– beidäugig: 0,063 (Landoltringe).

Hinsichtlich der Gesichtsfeldmessungen (mit dem Goldmann-Kugel-Perimeter) hat Dr. K. Folgendes festgehalten:

– Rechtes Auge: Die Außengrenzen würden massiv konzentrisch eingeschränkt angegeben; sie reichten bei der Reizmarke III/4e maximal bis 6 Grad (90-Grad-Meridian). Die Reizmarke V/4 werde mit etwas weiteren Außengrenzen als wahrgenommen angegeben. Die Mittelpunktfixation sei aufgenommen worden. Blickziel- und Augenfolgebewegungen seien nicht beobachtbar, dagegen aber ein leichter Spontannystagmus.

– Linkes Auge: Die Außengrenzen würden massiv konzentrisch eingeschränkt angegeben. Sie reichten bei der Reizmarke III/4e maximal bis 2 Grad (90-Grad-Meridian). Die Reizmarke V/4 werde mit etwas weiteren Außengrenzen als wahrgenommen angegeben. Die Mittelpunktfixation werde aufgenommen. Blickzielbewegungen und Augenfolgebewegungen seien nicht beobachtbar, dagegen aber ein leichter Spontannystagmus.

Dr. K. hat auch mit dem Bjerrum-Schirm (binokular) untersucht: Nach Abstandsvergrößerung werde eine deutliche „Aufweitung“ des Gesichtsfelds (zwei- bis dreifach) angegeben. Die Reizmarke werde dabei von 10 auf 20 mm Durchmesser vergrößert; der Mittelpunkt werde entsprechend vergrößert, so dass dessen Fixation gewährleistet sei. Beim Kontrastmuster-VEP hätten sich, so Dr. K., keine sicher identifizierbaren und reproduzierbaren Reizantworten kortikal ableiten lassen. Dies könne aber alleine schon auf das spontane Augenzittern zurückgeführt werden. Beim Blitz-VEP hätten sich bei der Stimulation des rechten Auges noch mäßig reproduzierbare und identifizierbare Reizantworten ableiten lassen.

Die Klägerin habe sich in für sie ungewohnter Umgebung unsicher und vorsichtig orientiert. Sie habe leidlich zielsicher nach den Stuhl-Armlehnen und der Untersucherhand gegriffen. Die zentrale Fixation sei im Gespräch nicht aufgenommen worden. Die Klägerin habe einmal auf einen ca. 1 m entfernten Befund verwiesen, bei dem sie aber eine Netzhautskizze mit einem Gesichtsfeldauszug verwechselt habe.

Der Sachverständige hat festgestellt, dass diese Befunde unter Berücksichtigung der Aktenlage wohl mindestens auch seit 01.07.2013 vorgelegen hätten.

Dr. K. hat die folgenden Diagnosen gestellt:

Rechtes Auge:

* Myopie nach OP des Grauen Stars (Pseudophakie),

* Astigmatismus,

* Akkomodationslosigkeit bei Pseudophakie, Nachstarbildung (Kapselfibrose und Kapselphimose),

* Missbildung und Dezentrierung der Makula (Makuladysgenesie mit Netzhautstrangbildung und Ektopie der Makula),

* Verdacht auf Amblyopie bei Makuladysgenesie, Schielen, angeborenem Nystagmus und Fehlsichtigkeiten,

* Netzhautdegeneration im Sinne einer Zapfen-Stäbchen-Dystrophie, Verdacht auf Missbildung und Degeneration des Sehnerven (Opticusdysplasie und anterograde partielle Opticusatrophie),

* Verdacht auf Sicca-Syndrom.

Linkes Auge:

* Hyperopie nach OP des Grauen Stars (Pseudophakie),

* Astigmatismus,

* Akkumodationslosigkeit bei Pseudophakie,

* Nachstarbildung (Kapselfibrose und Kapselphimose),

* Makuladysgenesie und Netzhautstrangbildung und Ektopie der Makula, Verdacht auf Amblyopie bei Makuladysgenesie, Schielen und angeborenem Nystagmus sowie Fehlsichtigkeiten,

* Netzhautdegeneration im Sinne einer Zapfen-Stäbchen-Dystrophie, Verdacht auf Missbildung und Degeneration des Sehnervs, Opticusdysplasie und anterograde partielle Opticusatrophie),

* Verdacht auf Sicca-Syndrom.

Die Stelle des schärfsten Sehens sei anatomisch nicht identifizierbar, weil dort eine Strangbildung der Netzhaut beobachtbar sei. Nach Aktenlage sei dieser Befund seit frühester Kindheit - wohl seit Geburt - vorliegend. Er gleiche dem einer fortgeschrittenen Frühgeborenen-Netzhauterkrankung (Retinopathia praematuorum). Mangels einer Frühgeburt (glaubhafte Versicherung der Klägerin) lägen, so Dr. K., sehr wahrscheinlich keine Retinopathia praematurorum und kein von-Droste-Hülshoff-Syndrom vor. Deshalb seien die wesentlichen sichtbaren Veränderungen der Netzhaut und der Sehnervenköpfe als Missbildung unbekannter Ursache zu interpretieren. Durch die mangelnde Ausbildung der Stelle des schärfsten Sehens und deren Verlagerung ergäben sich erhebliche Konsequenzen und machten viele Befunde verständlich. Auf die Missbildung der Netzhaut (Netzhautdysgenesie) insbesondere im zentralen Bereich (Makuladysplasie) und der Sehnerven (Optikusdysgenesie oder -dysplasie) zusammen mit der Ausbildung einer Schwachsichtigkeit sei seines, Dr. Ks, Erachtens bereits ein Großteil der Sehschärfeminderung zurückzuführen.

Die heute angegebene relevante Sehschärfe von 0,05 am besseren linken Auge bzw. von 0,063 beidäugig sei alleine vor dem Hintergrund der Sehschärfeentwicklung der letzten beiden Jahre nicht dramatisch schlechter, zumal auch heute mit den schwerer zu erkennenden Landoltringen geprüft worden sei. Die Sehschärfeverschlechterung in den letzten zwei Jahren könne angesichts der 30-jährigen Stabilität - wie von Dr. P. angedeutet - aber auch nicht auf die Fehlbildungen von Sehnerven und Netzhaut zurückgeführt werden. Dennoch könne allein schon anhand der Abblasssung der Papillen sehr wohl eine auch morphologisch sichtbare Veränderung im Sinne einer zunehmenden Degeneration anhand der Akten nachvollzogen werden.

Von großer Bedeutung sei, so der Sachverständige, die Beurteilung der objektiven Funktionsentwicklung, vor allem der Verlauf der Amplitudenminderung im ERG; leider liege nach der Aktenlage aber nur ein ERG von 2013 vor. Heute könne die Amplitudenminderung im ERG sehr wohl bestätigt werden. Die gemessenen Amplituden der Zapfenantwort seien massiv (und nicht nur etwas) reduziert und würden bei aller Vorsicht der Vergleichbarkeit eine Verschlechterung im Sinne einer Degeneration anzeigen. Dr. P. sei aber recht zu geben, dass bei einer Retinopathia pigmentosa mit einem derart eingeschränkten Gesichtsfeld wie von der Klägerin angegeben, die ERG-Potenziale nicht mehr messbar sein dürften. Weder die genetische Untersuchung noch der ERG-Befund weise auf das Vollbild einer Retinopathia pigmentosa hin. Es sei eher von einer Zapfen-Stäbchen-Dystrophie auszugehen. Die Vorerkrankungen (Operation der Netzhautablösung) ließen auch die Möglichkeit offen, dass Pigmentverschiebungen (Pigmentansammlungen) nicht unbedingt einer Retinopathia pigmentosa zugeschrieben werden müssten, das heiße, dass Pigmentansammlungen von der Operation herrühren könnten. Damit werde seines, Dr. K.s, Erachtens klar, dass neben der Netzhautdysgenesie (angeborene Fehlbildung) ein massiver degenerativer Netzhautschaden auf der Ebene der Fotorezeptoren, der mit der massiven Amplitudenminderung im ERG objektiviert sei, vorliege und zunehme. Er sei geeignet, sowohl die Sehschärfe zusätzlich zu reduzieren als auch das Gesichtsfeld massiv einzuschränken und stelle eine plausible Erklärung für die subjektiven Angaben zur Sehschärfe und auch zum Gesichtsfeld - insbesondere in deren Verlauf der letzten Jahre - dar. Somit liege ganz klar ein morphologisches bzw. funktionell objektivierbares Substrat über die weitere Sehschärfeminderung und für den zunehmenden Gesichtsfeldausfall vor.

In seinem Gutachten hat sich der Sachverständige zudem intensiv mit den Vorbefunden auseinandergesetzt.

Heute liege eine einer Sehschärfeminderung von 0,02 gleichzuachtende Sehstörung vor, die zwischen den Fallgruppen liege. Interpoliert und augenfachärztlicherseits auch sinnvoll begründbar reiche dann bei einer glaubhaften Sehschärfe von 0,063 zur Anerkennung von Blindheit nach dem Gesetz eine Gesichtsfeldeinschränkung auf ca. 11-12° Mittelpunktabstand oder weniger aus, um einer Sehschärfeminderung auf 0,02 analog zu den beiden Fallgruppen

– Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

– bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben, gleichgeachtet zu werden. Diese liege mit einer Sehschärfe von 0,063 und maximalen Außengrenzen von 6° so weit im Toleranzbereich, dass bei allen Messunschärfen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Blindheit angenommen werden müsse.

Auf das Gutachten hat Dr. P. des Beklagten darauf hingewiesen, dass sich der Sachverständige nicht dazu geäußert habe, wie das bei seiner Begutachtung deutlich reproduzierbare ERG nach Dunkeladaption mit der Angabe eines weiterhin hochgradig eingeschränkten Gesichtsfelds zu vereinbaren sei.

In einer kurzen ergänzenden Stellungnahme vom 24.03.2015 hat Dr. K. hervorgehoben, dass eine Retinopathia pigmentosa nicht zwangsläufig und nicht wahrscheinlich vorliege, sondern an beiden Augen eine Kombination aus Netzhautdysgenesie (Fehlbildung), Zustand nach Netzhautablösung und fortschreitender Degeneration, die noch am besten als Zapfen-Stäbchen-Dystrophie (Zapfen mehr betroffen als Stäbchen im Gegensatz zur Stäbchen-Zapfen-Dystrophie) bezeichnet werden könne. Weiter hat er betont, dass für eine klassische Retinopathia pigmentosa so typisch erloschene ERG-Potenziale nicht auf andere Krankheitsbilder (zum Beispiel isolierte Zapfen-Dystrophie) übertragen werden könnten. Das bedeute, dass die Reizantworten nicht erloschen sein müssten, um mit dem angegebenen Gesichtsfeldrest vereinbar zu sein. Unberücksichtigt bleibe darüber hinaus noch die zusätzliche Einschränkung des Sehvermögens durch die Sehnervenerkrankung.

Mit Schriftsatz vom 01.07.2015 hat der Beklagte weiterhin Klageabweisung beantragt. Der Nachweis von Blindheit sei nicht erbracht. Der Beklagte hat insoweit auf den Grundsatz der objektiven Beweislast hingewiesen. Dabei hat er auf eine von ihm eingeholte Stellungnahme des Ophthalmologen Prof. Dr. U. vom 17.06.2015 verwiesen. Prof. Dr. U. hat darin zunächst festgestellt, dass man „rein fachlich“ den Ausführungen von Dr. K. „durchaus folgen“ könne. Die Problematik an sich liege hier in der schwierigen Untersuchungsart der Klägerin, die ihrerseits sehr gutachtenserfahren sei und „sicherlich auch … sehr gut beraten“ werde. Nach der Diskussion im vorangegangenen Schriftverkehr hinsichtlich einer Aufweitung der Gesichtsfeldaußengrenzen am Bjerrumschirm - der Patient erhalte ja Einsicht in die Unterlagen - sei es „nun auch prompt“ zu einer Aufweitung bei Vergrößerung des Abstands im Bereich der Außengrenzen gekommen. Es falle auf, dass Dr. K. in der Diskussion seiner Untersuchungsbefunde schlussfolgere, dass kein OKN auslösbar gewesen sei; bei einer Patientin mit einem congenitalen Nystagmus sei diese Untersuchung selbstredend sehr schwierig. Andererseits beschreibe Dr. K., dass mit einem Streifenband am rechten Auge zeitweise ein horizontaler und modularer Nystagmus auslösbar und am linken Auge ein horizontaler und vertikaler OKN erkennbar gewesen sei. Zusammenfassend könne man nur sagen, dass das BayBlindG seine Kriterien sehr streng definiere und dass die klinische und elektrophysiologische Untersuchung bei derart gutachtenserfahrenen und gut beratenen Patienten grundsätzlich an Grenzen stoße. Da genetisch eine Retinopathia pigmentosa mit Ausnahme einer doch seltenen Neumutation ausgeschlossen habe werden können, sei die weitere Erklärung der progressiven Verschlechterung der Netzhautfunktion lediglich auf die o.g. elektrophysiologische Untersuchung zurückzuführen. Ob es sich aber nun tatsächlich um eine Stäbchen-Zapfen-Dystrophie handle, bleibe trotz allem etwas spekulativ. Letztlich bleibe das Krankheitsbild bei der Klägerin „etwas unklar“. Viele Aspekte wie die Makulaektopie und die stattgehabten Neigung zur Netzhautablösung würden, so Prof. Dr. U., sicherlich für eine Erkrankung sprechen, wie man sie ansonsten bei Retinopathia praematororum sehe. Da die Klägerin kein Frühgeborenes gewesen sei, bleibe auch diese Diagnose letztlich unbefriedigend.

Dr. P. hat am 25.06.2015 u.a. darauf hingewiesen, dass es in dem Fall letztlich darum gehe, ob man der Klägerin die Angaben zum Sehvermögen glaube, was letztendlich der richterlichen Beweiswürdigung obliege und nicht allein von medizinischer Seite beurteilt werden könne. Dabei sollte jedoch, so Dr. P., nicht vergessen werden, dass die Zweifel an den Gesichtsfeldangaben auch nach Auffassung von Dr. K. nicht vollends ausgeräumt hätten werden können und dass er zudem bestätigt habe, dass bei Patienten mit einem derart eingeschränkten Gesichtsfeld ERG-Potenziale eigentlich nicht mehr messbar seien.

Hierauf hat die Klägerseite am 01.09.2015 betont, dass die Darlegungen von Prof. Dr. U. nicht geeignet seien, die persönliche Untersuchung des gerichtlich bestellten Gutachters zu entkräften. Schließlich ist auf eine Untersuchung von Dr. R. der Augenklinik der LMU M-Stadt vom 08.12.2014 verwiesen worden.

Hierzu hat wiederum der Beklagte Stellung genommen. Der Befundbericht der Augenklinik würde die bereits geäußerten Zweifel am Vorliegen von Blindheit bestätigen. Bei der Untersuchung am 08.12.2014 sei am rechten Auge ein Visus von 0,16 (in 30 cm Entfernung) angegeben worden, wogegen bei der Untersuchung durch Dr. K. am 23.10.2014, also nur etwa 6 Wochen zuvor, in 30 cm nicht einmal Finger gezählt hätten werden können. Nachdem sich das Sehvermögen, so Dr. P., innerhalb dieser 6 Wochen wohl kaum gebessert haben dürfte, müsse die Zuverlässigkeit der Visusangaben bei Dr. K. in Zweifel gezogen werden. Die doch erhebliche Differenz der Visuswerte könne auch nicht alleine mit der Unterschiedlichkeit der Optotypen erklärt werden (Zahlen-Optotypen versus Landoltringe). Dass eine sehr schwerwiegende Sehminderung vorliege, sei unbestritten. Blindheit werde jedoch auch von Dr. R. in dem Arztbrief nicht bestätigt.

Mit Gerichtsbescheid vom 09.02.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Dabei hat es sich der Begründung der streitgegenständlichen Verwaltungsakte des Beklagten angeschlossen und von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, nach § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abzusehen. Ergänzend hat es darauf hingewiesen, dass nach allen vorliegenden Befunden, den ärztlichen Stellungnahmen des Beklagten und dem gerichtlich eingeholten Gutachten von Dr. K. sowie der ärztlichen Stellungnahme von Prof. U. keine der Konstellationen der Blindheit im Sinne des BayBlindG im Vollbeweis nachgewiesen sei. Es verblieben Zweifel, so das SG, am Vorliegen der Voraussetzungen, insbesondere auch wegen der bestehenden Diskrepanz zwischen den objektiv erhobenen Befunden und den subjektiven Angaben der Klägerin. Wie sowohl Dr. K. als auch Prof. Dr. U. darlegen würden und die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 17.09.2015 betone, sei eben keine der Konstellationen der Blindheit im Sinne der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG, Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung) eindeutig gegeben.

Am 02.03.2016 hat die Klägerin Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) mit dem Vortrag erhoben, dass der Entscheidung des SG nicht gefolgt werden könne. Unverständlich sei vor allem, dass das SG dem Gutachten von Dr. K. nicht gefolgt sei, ohne eine umfassende sachliche Auseinandersetzung durchzuführen. Weiter hat der Bevollmächtigte gerügt, dass das SG bestehende Zweifel nicht durch Einholung einer ergänzenden Stellungnahme bzw. Einvernahme des Gutachters im Termin zur mündlichen Verhandlung aufgeklärt habe. Es seien keine Gründe ersichtlich, weshalb den Einwendungen des Beklagten aufgrund einer Aktenlage-Stellungnahme (ohne weitergehende Aufklärung) der Vorrang gegeben worden sei. Nach den vom Gutachter getroffenen Feststellungen seien die Voraussetzungen für die Blindheit unter Beachtung der VG erfüllt.

Am 02.11.2016 hat der Beklagte - basierend auf einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 19.10.2016 - die Zurückweisung der Berufung beantragt. Darin hat Dr. P. auf das Schreiben des Instituts für Humangenetik der Universitätsklinik U-Stadt vom 09.01.2016 hingewiesen, in dem das Ergebnis der humangenetischen Beratung im Jahr 2014 in R-Stadt bestätigt worden sei; eine Retinopathia pigmentosa als Erklärung für die Gesichtsfeldbefunde sei daher weiterhin nicht nachgewiesen. Dass eine nicht genetisch bedingte Form dieser Erkrankung oder eine Neumutation als Möglichkeiten genannt worden seien, ändere an dem Sachverhalt nichts, so der Beklagte. Wesentlich an dem vorgelegten Arztbrief der D. vom 20.07.2016 sei der Befund des Ganzfeld-ERG, das skotopisch und photopisch erniedrigte Amplituden zeige, also reproduzierbar bzw. messbar gewesen sei. Es sei von einem deutlich größeren Gesichtsfeld auszugehen, zumal es bisher weder ein morphologisches Korrelat noch eine Diagnose gebe, die eine vollständige Auslöschung der Gesichtsfelder beider Augen bis auf eine zentrale Gesichtsfeldinsel von ca. 5° - wie bei der Begutachtung durch Dr. K. - plausibel erklären könnten. Vielmehr sei im Arztbrief aus D-Stadt erneut auf die Stabilität der Befunde hingewiesen worden. Die zentral gelegenen Gesichtsfeldinseln stünden, so die Ärztin in der Stellungnahme des Beklagten, des Weiteren im Widerspruch zur angegebenen Sehschärfe; bei einem auf Handbewegungen bzw. 0,02 reduzierten Visus wäre zumindest am rechten Auge ein Zentralskotom zu erwarten gewesen. Ergänzend hat Dr. P. angemerkt, dass es für die von Dr. K. postulierte fortschreitende Degeneration angesichts der über die Jahre beschriebenen Stabilität der Befunde keinen Beleg gebe. Die erneute Diskrepanz zwischen den Angaben zum Sehvermögen und den elektrophysiologischen Untersuchungen könne als weiterer Beleg für unzutreffende Angaben gewertet werden.

Am 25.11.2016 hat sich die Klägerin direkt an den Senat gewandt und darauf hingewiesen, dass sie nichts dafür könne, kein eindeutiges Krankenbild zu haben. Jedoch bestätige ihr jeder Augenarzt, die Bedingungen für das Blindengeld zu erfüllen. Alle Universitäten, in denen sie zur Untersuchung gewesen sei, hätten der Klägerin versichert, dass sie die maßgeblichen Werte erfülle. Die Unterstellung, zu lügen, belaste die Klägerin sehr. Zudem ist ein Bericht des Universitätsklinikums U-Stadt, Prof. Dr. K., vom 03.05.2017 vorgelegt worden. Als Diagnosen sind dort insbesondere Retinopathia pigmentosa, Opticusatrophie, feinschlägiger Rucknystagmus mit rotatorischer Komponente, Pseudophakie - allgemein von-Droste-Hülshoff-Syndrom gestellt und als Fernvisus rechts Handbewegungen und links 1/25 festgehalten worden. Beim Goldmann-Gesichtsfeld sei am rechten Auge keine Messung möglich gewesen, am linken Auge hätten die Außengrenzen bei der Marke III/4 unter 5 Grad gelegen. Im Rahmen der Optischen Cohärenztomographie (OCT) der Makula habe sich in beiden Augen eine zentrale Ausdünnung ergeben. Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass aufgrund des weit fortgeschrittenen Funktionsverlusts beidseits der Erhalt von Blindengeld als indiziert anzusehen sei.

Am 31.05.2017 hat ein Erörterungstermin des Senats stattgefunden.

Im Folgenden ist die Begutachtung gemäß § 109 SGG durch Prof. Dr. C. beantragt worden. Der Sachverständige hat in seinem ophthalmologischen Gutachten vom 24.10.2017 u.a. die nachfolgend beschriebenen Untersuchungsbefunde erhoben.

Beide Augen: Am Augenhintergrund sei bei deutlich reduziertem Einblick die Sehnervenscheibe entrundet, scharf begrenzt und wachsgelb gefärbt; sie zeige eine minimale Prominenz. Die Gefäße seien erheblich verdünnt und erheblich nach schläfenwärts unten gestreckt bei deutlicher Verziehung der Makula. Am hinteren Pol seien leichte Hyperpigmentierungen zu erkennen. Nach schläfenwärts erkenne man zusätzliche weißliche Narben. Die Netzhaut sei allseits anliegend, es seien keine Vorstufen einer Netzhautablösung erkennbar. Die periphere Netzhaut sei nicht sicher einzusehen.

Visus (Fernvisus mit Landoltringen und Korrektion):

– rechtes Auge Handbewegungen,

– linkes Auge 0,04.

In 4 m nach DIN 58220 sei kein Sehzeichen erkannt worden, daher sei der Arbeitsabstand verkürzt worden.

Gesichtsfeld (Goldmann-Projektionsperimeter, Reizmarke III/4e):

– Rechts: Es werde ein deutlich eingeengtes Gesichtsfeld angegeben, das nach rechts bis 5, nach oben bis 7, nach links bis 8 und nach unten bis 6 Grad reiche.

– Links: Ebenfalls ein deutlich eingeengtes Gesichtsfeld, das nach rechts bis 8, nach oben bis 6, nach links bis 9 und nach unten bis 10 Grad reiche.

– Beidäugig: Auch hier werde mit der Reizmarke III/4e eine Einengung festgestellt, nämlich nur 10 Grad nach links, 8 nach unten, 16 nach rechts und 8 nach oben. Für die größere Reizmarke V/4 werde ein deutlich größeres Gesichtsfeld angegeben. Bei nochmaliger Prüfung mit der Reizmarke III/4 werde ein etwas kleineres Gesichtsfeld als initial angegeben.

Bei Prüfung des rechten Auges im Muster-VEP seien keine reproduzierbaren Reizantworten feststellbar gewesen, am linken Auge seien Reizantworten mit normaler Latenz und deutlich reduzierter Amplitude zu erhalten gewesen. Im skotopischen ERG sei eine in der Amplitude massiv reduzierte Antwort nachweisbar gewesen (beide Augen), die Amplituden seien am rechten Auge kaum noch nachweisbar und geringer als im linken Auge gewesen. Das photopische ERG habe am linken Auge eine Antwort mit erheblich reduzierter Amplitude und unauffälliger Latenz gezeigt, am rechten Auge seien nur fragliche Antworten nachweisbar gewesen. OCT: Hier sei keinerlei normale Topographie der Sehgrube feststellbar, die Netzhaut sei erheblich verdünnt; hierbei liege insbesondere eine erhebliche Verminderung der retinalen Nervenfaserschicht vor. Beim OCT der peripapillären Netzhaut sei insgesamt von einer erheblichen Schädigung dieser Nervenfaserschicht auszugehen.

Prof. Dr. C. hat festgehalten, dass die genaue Einordnung der bei der Klägerin bestehenden Augenerkrankung unverändert schwierig sei. Der Sachverständige hat hinsichtlich der Annahme einer Netzhautveränderung nach Frühgeburtlichkeit, die in der Vergangenheit diagnostiziert worden sei, darauf hingewiesen, dass die Klägerin wiederholt angegeben habe, dass bei ihr kein solcher Zustand nach Frühgeburt vorliege und dass auch in den Akten zumindest ein normales Geburtsgewicht dokumentiert sei, was eine wesentliche Frühgeburt sicher ausschließe. Zusätzlich werde, so der Sachverständige, 1983 der Sehnervenkopf vollkommen unauffällig beschrieben. Die Entwicklung einer Netzhautablösung sei trotz hoher Kurzsichtigkeit bei einer 27 bzw. 30 Jahre alten Patientin ungewöhnlich. Aus diesem Grund sei auch denkbar, dass bei der Klägerin eine etwas untypische familiäre exsudative Vitreoretinopathie Criswick-Schepen vorliege, die mit ähnlichen Netzhautveränderungen einhergehe und häufig zu Netzhautablösungen führe.

Dem Einwand von Dr. P. vom 10.03.2014 (zu den Sehschärfeangaben der Klägerin), dass die Wahrnehmung der Reizmarke I/4 gegen einen Visus von 1/35 spreche, sei zu entgegnen, dass sich die Erkennungssehschärfe grundlegend vom Auflösungsvermögen des Auges unterscheide und die Wahrnehmung eines hellen Punkts durchaus auch bei sehr geringer Sehschärfe denkbar sei. Wenn Dr. P. für den Beklagten zutreffend darstelle, dass bei der Klägerin über Jahrzehnte hinweg zunächst eine stabile Sehschärfe bestanden habe, die dann ab 2012 nahezu plötzlich abfalle, müsse hierzu angemerkt werden, dass die Befunde bis 2012 nahezu alle nicht unter gutachtlichen Bedingungen erhoben worden seien. Zu beachten sei, dass die Prüfung der Sehschärfe zu einem quantiativen Ergebnis führe, das mit seiner Zahl eine Genauigkeit vorgebe, die in Wirklichkeit nicht existiere. Darüber hinaus unterscheide sich eine gutachtlich korrekte Sehschärfeprüfung (nach DIN 58220) mit Landoltringen und definiertem Abbruchkriterium erheblich von einer im Rahmen einer augenärztlichen Untersuchung oder Behandlung durchgeführten Sehschärfeprüfung.

Wenn man die Sehschärfe anlässlich der Begutachtung durch Dr. K. (23.10.2014) betrachte, so seien dies nur zwei Visusstufen weniger als die früher über lange Zeit erreichte Sehschärfe von 0,1 gewesen. Anlässlich der jetzigen Untersuchung sei die Sehschärfe links auf 0,04 reduziert, auch bei beidäugiger Prüfung sei keine bessere Sehschärfe angegeben worden.

Dr. P. habe in ihrer Stellungnahme vom 17.09.2015 ihre Zweifel am Vorliegen von Blindheit zusätzlich mit den unterschiedlichen Sehschärfeangaben bei Dr. K. rechts am 23.10.2014 (weniger als Fingerzählen in 30 cm) und in U-Stadt am 11.12.2014 (0,16 in 30 cm) begründet. Dieser Widerspruch, so Prof. Dr. C., der offensichtlich wesentlich zu den Zweifeln des SG beigetragen habe, sei jedoch ein Verständnisfehler. Die Angabe der Sehschärfe im Befundbericht von Prof. Dr. R. sei eindeutig so zu verstehen, dass auf einer Sehtafel für 5 m eine Sehschärfe von 0,16 angegeben worden sei, was bei Prüfung in 30 cm eben nur einer Sehschärfe von etwa 0,01 entspreche. Damit sei aber eben nicht von einer Sehschärfe von 0,16 auszugehen und es bestehe auch kein Widerspruch zu den Angaben bei Dr. K., da ein fehlendes Erkennen von Fingerzählen zumindest auf eine Sehschärfe von unter 0,014 hindeute.

Der Sachverständige hat sich in seinem Gutachten auch im Einzelnen mit der Frage der Glaubwürdigkeit der klägerischen Angaben zum Gesichtsfeld auseinandergesetzt. Wesentlicher Grund für die Klageabweisung des SG seien wohl die Zweifel an diesen Angaben der Klägerin gewesen. Er, Prof. Dr. C., halte diese Zweifel auch aufgrund der jetzt erhobenen zusätzlichen Befunde für nicht gut begründet.

Bei der Klägerin, die früher hochgradig kurzsichtig gewesen sei, sei davon auszugehen, dass das ERG immer schon niedrige Amplituden gehabt habe; darüber hinaus führe auch eine Netzhautablösung und selbst eine Operation derselben (mittels Glaskörperausschneidung) zu einer zusätzlichen Schädigung. Daher sei auch denkbar, dass die Klägerin nicht an einer erblichen Netzhautdystrophie leide, sondern dass sich in diesem Befund nur verschiedene andere Schädigungen oder Veränderungen bemerkbar machen würden. Dann wäre auch eine Gesichtsfeldeinengung nicht allein durch einen krankhaften Befund im ERG erklärt.

Allerdings habe bereits Dr. K. darauf hingewiesen, dass die an beiden Augen bestehende Sehnervenschädigung früher wohl nicht bestanden habe (zumindest sei der Sehnervenkopf 1983 als vollkommen normal beschrieben worden). Eine Sehnervenschädigung könne durchaus einen auch erheblichen Gesichtsfeldausfall erklären. Die Vermessung der peripapillären Faserschicht (Nervenfaserschicht um den Sehnervenkopf herum) sei bei der Klägerin nur eingeschränkt möglich gewesen, habe aber eindeutig eine schwerwiegende Veränderung gezeigt. Bereits anlässlich der ersten dokumentierten Gesichtsfelduntersuchung im Jahr 2000 sei das Gesichtsfeld an beiden Augen erheblich eingeengt gewesen. Auch wenn bei seitengetrennter Untersuchung inzwischen eine stärkere Einengung angegeben werde, so sei das beidäugige Gesichtsfeld jetzt doch relativ ähnlich, die nach rechts verschobene Erweiterung sei dabei der Lage des Kopfes geschuldet, der nicht zentral in der Kuppel angeordnet gewesen sei.

Der Sachverständige hat hervorgehoben, dass er keinerlei Zweifel an den jetzigen subjektiven Angaben zum Gesichtsfeld habe, und hat auf die Fallgruppen der VG sowie die Untersuchungsergebnisse bei Dr. K. hingewiesen. Er stimme Dr. K. vollumfänglich zu, dass bei dieser Konstellation, obwohl sie weder die Fallgruppe bb. noch cc. komplett erfülle, ebenfalls von Blindheit auszugehen sei. Allerdings sei bei der jetzigen Untersuchung vor allem bei der beidäugigen Gesichtsfeldprüfung ein doch größeres Gesichtsfeld angegeben worden. Auch hier sei aber zu beachten, dass natürlich neben der Sehschärfe auch das Gesichtsfeld bei verschiedenen Untersuchungen nicht vollkommen identisch sei und gewisse Schwankungen einfach untersuchungsbedingt bestehen könnten.

Bei der Klägerin sei in der Kindheit und Jugend das rechte Auge das bessere und das Führungsauge bei Schielamblyopie des linken Auges gewesen. Aus diesem Grund sei davon auszugehen, dass mit der erheblichen Verschlechterung des Sehvermögens rechts, aufgrund derer dann das linke Auge zum besseren geworden sei, dennoch gewisse Probleme vor allem beim Lesen eingetreten seien, die sich bei alleiniger Berücksichtigung der Sehschärfe als Funktionsparameter nicht ausreichend abbilden würden. Darüber hinaus sei auch davon auszugehen, dass angesichts der erheblichen Trübung der verbliebenen Linsenkapsel an beiden Augen bei der Klägerin eine erheblich stärkere Blendungsempfindlichkeit bestehe, als man es aufgrund der Veränderungen an den Augen ohnehin bereits annehmen würde. Insofern lägen durchaus weitere Funktionsstörungen vor, die neben den in den VG vorgegebenen Einschränkungen bei der Bewertung einer faktischen Blindheit zu berücksichtigen seien.

Die Beweisfragen des Gerichts hat Prof. Dr. C. wie folgt beantwortet:

– Im Wesentlichen bestehe an beiden Augen eine Verziehung der Stelle des schärfsten Sehens bei deutlichem langen Bau der Augen. Darüber hinaus sei es an beiden Augen zu einer Netzhautablösung gekommen, die operativ versorgt worden sei, auch sei die natürliche Linse durch eine Kunstlinse ersetzt worden. Neben einer seit jeher bestehenden deutlichen Sehschärfereduktion sei in den letzten Jahren eine weitere Verschlechterung eingetreten. Die wesentlichen morphologischen Befunde hätten sich dabei seit 15.07.2013 höchstens minimal verändert; so entspreche der Vorderabschnittsbefund an beiden Augen demjenigen, den Dr. K. anlässlich seines Gutachtens 2014 fotographisch dokumentiert habe. Bei den ebenfalls in den Akten enthaltenen Aufnahmen des Augenhintergrundes werde deutlich, dass infolge der Veränderungen des Vorderabschnittts und insbesondere der nur relativ kleinen Kapsellücke ein genügend sicherer Einblick in tiefere Augenabschnitte nicht möglich sei. Dies führe gleichzeitig zu einer zusätzlichen Funktionseinschränkung.

– Die Klägerin sei nicht vollständig erblindet.

– Die Sehschärfe betrage mehr als 1/50, nämlich am linken Auge sowie beidäugig 0,04. Eindeutig sei anlässlich der jetzigen Untersuchung (18.10.2017) mit einer korrigierten Sehschärfe von 0,04 links sowie beidäugig und bei einer gleichzeitig bestehenden Gesichtsfeldeinengung auf weniger als 15 Grad vom Zentrum des Restgesichtsfelds eine einer Sehschärfeminderung auf 1/50 gleichzuachtende Störung des Sehvermögens nachgewiesen.

Bereits anlässlich der Untersuchung durch Dr. K. habe dieser (bei einer Sehschärfe von 0,06 und einem bis auf 6 Grad eingeengten Gesichtsfeld) Blindheit für nachgewiesen erachtet. Dieser Einschätzung könne er, Prof. Dr. C., sich prinzipiell anschließen; selbst unter Berücksichtigung des nunmehr wieder größeren Gesichtsfelds könne man bei einer Sehschärfe von 0,06 eine einer Sehschärfe von 1/50 gleichzuachtende Funktionsstörung diskutieren, aber grundsätzlich sei auch nicht davon auszugehen, dass die Sehschärfe bis jetzt stabil geblieben sei und es umgekehrt kurz nach der Untersuchung durch Dr. K. zu einer Verbesserung des Gesichtsfelds gekommen sei. Insofern halte er, Prof. Dr. C., einen dauerhaften Zustand mit einer Funktionsminderung bezüglich der Blindheit, d.h. das Vorliegen einer faktischen Blindheit ab dem 23.10.2014 für nachgewiesen. Auch anlässlich der folgenden Untersuchungen in M-Stadt und D-Stadt liege kein besseres Sehvermögen vor.

– Auch wenn bei der Untersuchung durch Dr. K. eine Funktionsschädigung außerhalb der normierten Fallgruppen vorgelegen habe, so sei die Begründung von Dr. K. überzeugend, in der dieser darlege, dass die Beeinträchtigung von Sehschärfe und Gesichtsfeld gerade unter Berücksichtigung der beiden genannten Fallkonstellationen eindeutig auch einer Beeinträchtigung der Sehschärfe auf 1/50 gleichzuachten sei. Hierbei seien weiter bei der Klägerin vorhandene Einschränkungen mit erhöhter Blendungsempfindlichkeit und Schielstellung des rechten Auges und vor allem die seit jeher bestehende Schwachsichtigkeit dieses linken Auges, die funktionell trotz einer Sehschärfe von 0,04 eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung erkläre, nicht berücksichtigt. Der Sachverständige hat ausdrücklich festgehalten, dass für ihn jetzt unzweifelhaft auch nach dem BayBlindG dauerhaft Blindheit vorliege.

Auch diesem Gutachten ist der Beklagte jedoch nicht gefolgt. Im Schriftsatz vom 20.11.2017 hat er erneut auf die Zweifel an den Eigenangaben der Klägerin bzw. den Visusverlauf abgestellt. Zweifel am anhaltenden Vorliegen der gerade bei Begutachtungen angegebenen Befunde seien im Hinblick auf den Verlauf der Befundangaben durchaus berechtigt, zumal in den Unterlagen immer wieder von einem stabilen Befund die Rede sei. Es überrasche auch, dass im Befundbericht von November 2016 festgehalten sei, dass die Klägerin mit einem Bildschirmlesegerät und einer elektrischen Lupe bei einem Visus von nur 0,025 und nun wieder 1 m rechts und 0,04 links sowie einem höchstgradig eingeschränkten Gesichtsfeld gut zurechtkomme. An der Größe der angegebenen Gesichtsfeldausdehnung ergäben sich auch Zweifel im Hinblick auf die Auslösbarkeit des Retinogramms.

Am 09.01.2018 hat der Beklagte ein Vergleichsangebot abgegeben und sich bereit erklärt, der Klägerin ab 01.01.2018 Blindengeld für hochgradig Sehbehinderte gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG zu gewähren. In der zugrundeliegenden Stellungnahme von Dr. L. vom 20.12.2017 ist u.a. betont worden, dass im Hinblick auf die wechselnden Befundangaben doch begründete Zweifel bestünden, ob tatsächlich anhaltend über sechs Monate eine einer Blindheit gleichzuachtende Sehstörung vorliege. Es lasse sich nicht einmal die Frage, ob zumindest eine hochgradige Sehbehinderung vorliege, mit letzter Sicherheit beantworten. Es spreche aber doch sehr viel dafür, dass es grenzwertig vertretbar sei, ab 01.01.2018 „ein abgesenktes Blindengeld“ zu erbringen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 09.02.2016 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 04.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2014 zu verurteilen, ihr ab 01.07.2013 Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG) und ganz überwiegend auch begründet.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin blind im Sinne des BayBlindG ist und ihr deshalb (ab dem Monat der Antragstellung Blindengeld) zusteht. Dies hat das SG verneint, für die Zeit ab Oktober 2014 zu Unrecht. Die Klägerin hat ab diesem Zeitpunkt Anspruch auf Blindengeld. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 04.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.04.2014 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG erhalten blinde Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166 S. 1, ber. ABl L 200 S. 1, 2007 ABl L 204 S. 30) in der jeweils geltenden Fassung dies vorsieht, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld. Dabei beinhaltet nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), an die sich der Senat gebunden fühlt, die Formulierung „zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen“ keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung (vgl. BSG, Urteil vom 26.10.2004 - B 7 SF 2/03 R).

Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,

  • 1.deren Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 0,02 (1/50) beträgt oder

  • 2.bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.

Hochgradig sehbehindert ist gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG, wer nicht blind in diesem Sinne (Art. 1 Abs. 2 BayBlindG) ist und

1. wessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 0,05 (1/20) beträgt oder

2. wer so schwere Störungen des Sehvermögens hat, dass sie einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bedingen.

Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.

Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) folgend, vor allem bei folgenden Fallgruppen vor (siehe VG, Teil A Nr. 6):

a. bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

b. bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

c. bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

d. bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

e. bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,

f. bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,

g. bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.

Die Klägerin hat ab Oktober 2014 Anspruch auf Blindengeld. Blindheit im Sinne des BayBlindG ist seitdem nachgewiesen.

Zwar liegt weder Lichtlosigkeit gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG vor noch sind die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BayBlindG erfüllt. Allerdings ist bei der Klägerin eine der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachtende Sehstörung gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG (faktische Blindheit) erfüllt.

Dies steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R). Der Senat stützt sich dabei insbesondere auf die besonders fundierten und plausiblen Sachverständigengutachten von Dr. K. und Prof. Dr. C.. Der Senat macht sich diese Feststellungen, die auch nicht im Widerspruch zu den vorliegenden Befunddokumentationen stehen, zu eigen.

Freilich übersieht der Senat nicht, dass in dem vorliegenden - medizinisch-wissenschaft-lich komplexen - Fall gewisse Zweifel an der Blindheit der Klägerin verbleiben. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Senat vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG überzeugt ist, wie unten im Einzelnen dargestellt wird.

Wie der Senat bereits mehrfach darauf hingewiesen hat (z.B. Urteil vom 16.11.2015 - L 15 VG 28/13), muss sich das Gericht für den Vollbeweis die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache, wie hier der Blindheit der Klägerin, verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen mit der Folge, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R, m.w.N.). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugungsbildung zu begründen (BSG, a.a.O.).

Die vorliegend verbleibenden Restzweifel in dem vorgenannten Sinn stehen der vollen Überzeugungsbildung nicht entgegen. Dabei ist u.a. auch zu beachten, „dass sich die Gerichte mit demjenigen Gewissheitsgrad zu begnügen haben, den die medizinische Wissenschaft im Einzelfall leisten kann“ (Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Aufl. 2012, S. 51, mit Verweis auf Bender/Nack/Treuer). Unter Berücksichtigung der allen medizinischen Beurteilungen immanenten Unsicherheiten (vgl. a.a.O., S. 49 f.) müssen somit nicht nur völlig unbedeutende Restzweifel außen vor bleiben, sondern auch solche, die durchaus einer medizinisch-wissenschaftlichen Diskussion offenstehen, jedoch im Einzelnen nicht überzeugen können. Andernfalls wäre ein Blindheitsnachweis in sozialgerichtlichen Verfahren so gut wie unmöglich. Denn dann könnte in keinem Fall, wo nur eine ernsthafte medizinische Zweifelsfrage im Raum steht, für die mehrere Antworten nicht ganz ausgeschlossen sind, der Blindheitsnachweis durch den Kläger grundsätzlich nicht erbracht werden. Ein solches Verständnis vom Blindheitsnachweis ist aber mit der Rechtsprechung des BSG nicht vereinbar. Zwar hat das BSG im Urteil vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14 R) eindeutig festgelegt, dass die objektive Beweislast für die den Blindengeldanspruch begründende Tatbestandsvoraussetzungen grundsätzlich den sehbehinderten bzw. blinden Anspruchsteller/Kläger trifft und dass etwaige Beweiserleichterungen (des sozialen Entschädigungsrechts) nicht zum Tragen kommen. Dass hier aber wegen der Vernachlässigung der bestehenden besonderen Erkenntnisschwierigkeiten (s.o.) übertriebene Anforderungen an den Vollbeweis zu stellen wären, lässt sich dieser Rechtsprechung keinesfalls entnehmen. Im Gegenteil hat das BSG (im Urteil vom 11.08.2015, a.a.O.) in einem Teilbereich - nämlich der Diagnostik spezifischer Sehstörungen - sogar darauf aufmerksam gemacht, dass die „mit dem Beweisrecht verbundene typisierende Annahme, dass die relevanten Tatsachen im Ansatz hinreichend verlässlich feststellbar sind“, nicht gerechtfertigt ist.

Zusammenfassend ist somit aus Sicht des Senats darauf zu achten, dass die verbleibenden Zweifel unter Beachtung dieser aufgezeigten Problematik zutreffend gewichtet werden.

Diese Gewichtung ergibt vorliegend, dass der Klägerin das Augenlicht nicht vollständig fehlt und dass bei ihr faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BayBlindG nicht vorliegt, dass jedoch eine der Herabsetzung der Sehschärft auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG nachgewiesen ist, was aus den vorliegenden Untersuchungsbefunden der genannten Sachverständigen und der Berücksichtigung der weiteren Beeinträchtigung durch die erhebliche Blendempfindlichkeit der Klägerin sowie durch die Schielstellung ihres rechten Auges folgt.

1. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist auszuschließen, dass der Klägerin das Augenlicht vollständig fehlen würde; hierauf muss angesichts der vorliegenden offenkundigen Befunde nicht näher eingegangen werden.

2. Der Annahme faktischer Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BayBlindG stehen bereits die von den Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. erhobenen Visusbefunde entgegen. Denn danach beträgt die Sehschärfe bei der Klägerin im Zeitraum ab Antragstellung (knapp) mehr als 0,02, nämlich 0,04 bzw. 0,06 (vgl. im Einzelnen oben).

3. Bei der Klägerin liegt jedoch zur Überzeugung des Senat faktische Blindheit nach Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG vor; dies ergibt sich, wie bereits oben ausgeführt, aus den überzeugenden Sachverständigengutachten von Dr. K. und Prof. Dr. C..

Zwar hat letzterer Zweifel geäußert, ob man bei einer - wie von Dr. K. angenommenen - Sehschärfe von 0,06 (und den gemessenen Gesichtsfeldgrenzen bei max. 6 Grad) von einem Vollbeweis der Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG ausgehen könne. Auch hat Prof. Dr. C. unter Zugrundelegung einer Sehschärfe von 0,04 bei der Messung des beidäugigen Gesichtsfelds immerhin noch einen Wert von 16 Grad festgestellt (vgl. Fallgruppe bb. VG Teil A, Nr. 6). Somit könnte fraglich sein, ob faktische Blindheit im Hinblick auf die o.g. Fallgruppen nachgewiesen ist.

Allerdings können den Senat diese Zweifel nicht überzeugen. So sind hinsichtlich der von Dr. K. ermittelten Werte die der Fallgruppe cc. VG Teil A, Nr. 6 erfüllt. Bei dem von Prof. Dr. C. ermittelten Gesichtsfeld handelt es sich um einen Grenzfall, der denkbar knapp - nämlich um ein Grad - über der Grenze liegt. Wie der Beklagte (Stellungnahme vom 22.03.2018) zu Recht hervorhebt, liegt das Problem vorliegend auch nicht darin, dass die bei den Untersuchungen ermittelten Werte, also die subjektiven Angaben der Klägerin, einer faktischen Blindheit nicht entsprechen würden, sondern in der Nachvollziehbarkeit dieser Angaben, von der der Senat in Übereinstimmung mit den Sachverständigen (siehe im Einzelnen unten) ausgeht.

Letztlich können diese Zweifel an der Erfüllung der Voraussetzungen der genannten Fallgruppen bei den vorliegend ermittelten Sehschärfewerten (0,06 und 0,04) unerörtert bleiben. Denn die Sachverständigen gehen im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats zutreffend und plausibel davon aus, dass hier jedenfalls die Annahme faktischer Blindheit nach der genannten Vorschrift wegen den besonderen Voraussetzungen bei der Klägerin durch die zusätzlich hinzukommende besondere Blendempfindlichkeit und die Schielstellung des rechten Auges gerechtfertigt ist, unabhängig von der Frage, ob der Wortlaut der Fallgruppen nun erfüllt ist oder nicht. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. die Urteile vom 31.01.2013 - L 15 BL 6/07 - und vom 05.07.2016 - L 15 BL 17/12) ist in besonderen Ausnahmefällen spezieller Krankheitsbilder die Annahme von Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der VG bzw. der DOG nicht ausgeschlossen. Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 31.01.2013 (a.a.O.) Folgendes ausgeführt:

„Es ist unstrittig, dass die in den VG übernommenen DOG-Richtlinien nicht exklusiv sämtliche der Blindheit gleichzuachtenden kombinierten Sehstörungen aufführen, dass also die Kriterien gemäß Teil A Ziff. 6 b) VG nur beispielhaft sind […].

Der materielle Charakter der (medizinischen) Festlegungen und auch der Wortlaut der VG lassen es zu, zur Annahme faktischer Blindheit in Ausnahmefällen Sehstörungen ausreichen zu lassen, auch wenn die jeweiligen Voraussetzungen einer der VG-Fallgruppen nicht in vollem Umfang erfüllt sind. Denn die DOG-Richtlinien, auf denen die VG beruhen, sind nichts anderes als allgemeine medizinische Erfahrungssätze, die als fraglos gesichert und gänzlich verlässlich aus der Fülle des übrigen medizinischen Erfahrungswissens herausgenommen sind (vgl. hierzu Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Auflage, S. 36; Keller, in: Mayer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 128, Rdnr. 11). Zu diesen Erfahrungssätzen gehört jedoch nicht, dass sie Exklusivität beanspruchen. Dies folgt nicht nur aus medizinischer Sicht (vgl. z.B. Lachenmayr, a.a.O.), sondern auch bereits daraus, dass ein solcher Erfahrungssatz eine Tendenz zur Veränderung in sich birgt (vgl. Kater, a.a.O.) und auch insoweit bereits hinsichtlich der Absolutheit („fraglos gesichert“) selbst wieder in Frage zu stellen ist, was auch daraus ersichtlich wird, dass dem Vernehmen nach demnächst eine Änderung der Fallgruppen in den VG vorgenommen werden wird. Vor allem sind aus Sicht des Senats auch keine Gründe und auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es die Richtlinien der DOG bzw. die Festlegungen der VG ausschließen wollten, in besonderen Ausnahmefällen einem speziellen Behinderungsbild ausreichend gerecht zu werden.“

Auch die normative Bindungswirkung der VG (vgl. z.B. Francke/Gagel, Der Sachverständigenbeweis im Sozialrecht, 1. Aufl., S. 119, m.w.N. der Rechtsprechung; ferner BayLSG vom 06.11.2012 - L 15 VS 13/08 ZVW) bzw. die intendierte möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe und somit die Ziele einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung sprechen nach Auffassung des Senats wegen der Begrenzung der über den Fallgruppenkatalog hinausgehenden Annahme faktischer Blindheit auf außergewöhnliche Fallkonstellationen nicht entgegen.

Somit sind vorliegend nicht nur die in der Herabsetzung des Visus und der Begrenzung des Gesichtsfelds zum Ausdruck kommende Sehstörung, sondern entsprechend der plausiblen Darlegung von Prof. Dr. C. auch die Blendempfindlichkeit beider Augen und die Schielstellung des rechten Auges zu berücksichtigen. Ob darüber hinaus auch noch die von ihm erwähnte untypische Farbsinnstörung geeignet ist, einen besonderen Ausnahmefall bzw. ein spezielles Behinderungsbild zu begründen, kann vorliegend offenbleiben, da es hierauf nicht mehr entscheidend ankommt; weitergehende Ermittlungen waren daher nicht veranlasst.

Die „seit jeher bestehende Schwachsichtigkeit“ (so der Sachverständige) des linken Auges dürften hingegen nicht hierzu beitragen, da sich die Schwachsichtigkeit unmittelbar in einem niedrigen Visus und ggf. eingeschränkten Gesichtsfeld niederschlägt, also nicht zusätzlich zu den Einschränkungen der Fallgruppen zu berücksichtigen ist. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Annahme eines speziellen Behinderungsbildes in dem vorgenannten Sinn unvertretbar wäre. Denn die genannten zusätzlichen Einschränkungen sind erheblich und stellten eine wesentliche zusätzliche Einschränkung dar. Es ist unbestritten, dass - neben Sehschärfe und Gesichtsfeld - vor allem das räumliche Sehen, das Farbsehvermögen, das Dämmerungs- und Kontrastsehen und die Blendungsempfindlichkeit insoweit eine wesentliche Rolle spielen (vgl. z.B. C., Augenärztliche Begutachtung im sozialen Entschädigungs- und Schwerbehindertenrecht und bei Blindheit, in: MedSach 2012, 5 <8>).

Dass hier ein Ausnahmefall im o.g. Sinn und somit Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der VG bzw. der DOG vorliegt, steht im Übrigen auch nicht das oben erwähnte Urteil des Senats vom 05.07.2016 (L 15 BL 17/12) entgegen. Zwar hat der Senat in dieser Entscheidung festgelegt, dass Voraussetzung für die Berücksichtigung in den speziellen Fällen auch außerhalb der normierten Fallgruppen stets ist, dass feststeht, ob die Visus- und Gesichtsfeldwerte unter die normierten Grenzen herabgesunken sind. Ein allgemeiner, pauschaler Vergleich genügt nicht. Ein solcher Fall ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Anders als in dem der genannten Entscheidung zugrundeliegenden Fall sind (grundsätzlich verlässliche) Messungen und Untersuchungen bei der Klägerin möglich gewesen; lediglich die Plausibilität einzelner Angaben ist hier zu diskutieren. Bei der Klägerin liegt aber weder eine Einschränkung aller Sinnesfunktionen noch eine zerebrale, allgemeine Beeinträchtigung vor. Anders als im Fall der genannten Entscheidung betrifft die Wertung der Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. vorliegend die zusätzlichen Beeinträchtigungen (durch Blendempfindlichkeit und Schielstellung) und nicht die allgemeine Unmöglichkeit, Visusbzw. Gesichtsfeldwerte zu erheben. Die Entscheidung vom 05.07.2016 (a.a.O.) schließt es gerade nicht aus, in wie hier vorliegenden Grenzfällen die Rechtsprechung des Senats (31.01.2013, a.a.O.) zur Annahme von Blindheit außerhalb der normierten Fallgruppen anzuwenden.

Dass vorliegend die Voraussetzungen für die Annahme faktischer Blindheit gegeben sind - im Einzelnen, dass die erhobenen Visus- und Gesichtsfeldbefunde grundsätzlich zutreffend sind (s. im Einzelnen unten) und die Annahme faktischer Blindheit unter Berücksichtigung der zusätzlichen Einschränkung durch die besondere Blendempfindlichkeit und Schielstellung des Auges gerechtfertigt ist - ergibt sich, wie bereits mehrfach betont, aus den genannten Sachverständigengutachten.

Danach leidet die Klägerin jedenfalls an Myopie, Astigmatismus, Makulaektopie, Opticusatrophie und Innenschielstellung (rechts) und untypischer Farbsinnstörung (rechts) sowie Pseudophakie.

Wie sich aufgrund der umfangreichen Befunddokumentation und der übereinstimmenden Beurteilung der Sachverständigen und des Beklagten ergibt, ist die genaue Einordnung der bei der Klägerin bestehenden Augenerkrankungen schwierig. Problematisch bei der Beurteilung der zugrunde liegenden Augenerkrankungen ist u.a., dass infolge der Veränderungen des Vorderabschnitts der Augen und insbesondere der nur relativ kleinen Kapsellücke ein genügend sicherer Einblick in tiefere Augenabschnitte nicht möglich ist, was, wie der Sachverständige Prof. Dr. C. plausibel hervorgehoben hat, auch gleichzeitig zu einer zusätzlichen Funktionseinschränkung führt. Letztlich nicht geklärt werden konnte, ob bei der Klägerin eine Retinopathia pigmentosa (gegebenenfalls in einer seltenen Neumutation) vorliegt. Wie der vom Beklagten beauftragte Ophthalmologe Prof. Dr. U. darauf hingewiesen hat, bleibt es „etwas spekulativ“, ob es sich tatsächlich um eine Stäbchen-Zapfen-Dystrophie handelt. Nicht feststeht auch, ob bei der Klägerin die „etwas untypische“ familiäre exsudative Vitreoretinopathie Criswick-Schepens (vgl. die Darlegungen von Prof. Dr. C.) vorliegt.

Diese Fragen und weiteren Unsicherheiten sind jedoch letztlich nur teilweise beachtlich; die exakten Diagnosen, die der massiven Sehbeeinträchtigung der Klägerin zugrunde liegen, können letztlich offen bleiben. Wie oben im Einzelnen bereits zur Frage des Nachweises der Blindheit dargelegt, sind auch diese diagnostischen Einordnungen im Hinblick auf die grundsätzliche Problematik der medizinisch-wissenschaftlichen Feststellungen (s.o.) nur von sekundärer Bedeutung. Feststeht nach allen Darlegungen durch ophthalmologische Behandler und Gutachter, dass die Klägerin jedenfalls an erheblichen Schädigungen der Retina leidet und dass auch der Nervus opticus geschädigt ist. Wie Prof. Dr. C. nachvollziehbar dargelegt hat, steht eine Verziehung der Stelle des schärfsten Sehens an beiden Augen im Mittelpunkt der Sehbeeinträchtigung der Klägerin; darüber hinaus ist es an beiden Augen zu einer Netzhautablösung gekommen, die operativ versorgt worden ist. Neben einer seit jeher bestehenden deutlichen Sehschärfereduktion ist es zudem in den letzten Jahren zu einer weiteren Verschlechterung gekommen, wobei sich die wesentlichen morphologischen Befunde seit 15.07.2013 höchstens minimal verändert haben.

Auf die diagnostische Einordnung kommt es im Einzelnen nur insoweit an, als sich dadurch Rückschlüsse bezüglich der von der Klägerin angegebenen Sehbeeinträchtigungen ergeben (vgl. z.B. auch die Vorgabe der VG in Teil B, Vorbemerkung Nr. 4, wonach der morphologische Befund die Sehbeeinträchtigung zu erklären hat). Durch die hier festgestellten Diagnosen sind die massiven Sehstörungen der Klägerin zur Überzeugung des Senats, die zur Annahme faktischer Blindheit (gem. Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG) führen, ausreichend begründet, ohne dass die konkrete Einordnung entscheidend wäre. So gesteht selbst der vom Beklagten beauftragte, den Angaben der Klägerin sehr kritisch gegenüberstehende Ophthalmologe Prof. Dr. U. u.a. zu, dass selbst ohne eine „fragliche“ Stäbchen-Zapfen-Dystrophie eine funktionelle Verschlechterung des Sehnerven über die Jahre durchaus durch die von Geburt an bestehende Malformation des Sehnerven zu erklären sei. Im Übrigen ist es auch nicht Sinn eines sozialgerichtlichen Verfahrens, die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft voranzutreiben oder in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen Position zu beziehen, wie der Senat in Übereinstimmung mit dem BSG bereits in zahlreichen Entscheidungen dargelegt hat (vgl. z.B. die Urteile vom 11.07.2017 - L 15 VJ 6/14 - sowie vom 26.09.2017 - L 15 BL 8/14, mit Verweis auf das Urteil des BSG vom 16.09.20107 - 1 RK 28/95). Aus diesem Grund war im Übrigen auch nicht veranlasst, hier noch weiter zu ermitteln.

Im Mittelpunkt der (für den Senat nur Rest-) Zweifel an der Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG, wie sie insbesondere vom Beklagten artikuliert wurden, stehen vielmehr die vorgetragenen Aspekte, nach denen den Angaben der Klägerin zu Visus- und Gesichtsfeld nicht (vollständig) geglaubt werden könne. Dies gilt insbesondere für die unterschiedlichen Visus- und Gesichtsfeldangaben der Klägerin, auf die der Beklagte mehrfach in Übereinstimmung mit den vorliegenden Befunden hingewiesen hat.

Der Senat stellt nicht in Abrede, dass jeweils voneinenader abweichende Visus- und Gesichtsfeldangaben eines betroffenen sehbehinderten Menschen grundsätzlich u.U. durchaus zu gewichtigen Zweifeln führen und letztlich einen Blindheitsnachweis vereiteln können; dies ist in der ständigen Rechtsprechung des Senats auch fest verankert. Mit dem Sachverständigen Prof. Dr. C. und im Ergebnis auch mit Dr. K. geht der Senat jedoch davon aus, dass vorliegend die Angaben der Klägerin der Annahme von faktischer Blindheit im o.g. Sinn nicht entgegenstehen.

Auch wenn der Senat die Angaben der Klägerin anlässlich der Untersuchung bei Prof. Dr. K. im Jahr 2012 durchaus als widersprüchlich und insoweit (besonders wegen der Angaben bei den jeweils unterschiedlichen Abständen am Bjerrumschirm) nur bedingt als glaubhaft ansieht, geht er entsprechend der zutreffenden Feststellung des Sachverständigen Prof. Dr. C. davon aus, dass „deshalb nicht dauerhaft und für alle Zeit an den Angaben … gezweifelt werden“ kann, vor allem, wenn - worauf der Sachverständige ebenfalls zu Recht hingewiesen hat - zahlreiche objektive Befunde und auch der morphologische Befund eindeutig eine ausgeprägte Schädigung dokumentieren. Allerdings sind die Angaben sicherlich kritisch zu hinterfragen, was die Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. auch im Einzelnen getan haben.

Im Ergebnis teilt der Senat die Auffassung von Prof. Dr. C., der die Sehschärfeangaben als glaubhaft betrachtet und „keinerlei Zweifel an den jetzigen subjektiven Angaben zum Gesichtsfeld“ hat.

Wie dieser zutreffend hervorgehoben hat, stehen die Schwankungen bzgl. der Angaben bei beiden Prüfungen dem nicht entgegen.

Nach der plausiblen Darlegung des beauftragten Ophthalmologen ist hinsichtlich der über Jahre hinweg angegebenen stabilen Sehschärfe und dem Abfall ab 2012 u.a. zu berücksichtigen, dass es sich bei den Befunden bis 2012 nahezu ausschließlich um klinische Untersuchungen ohne gutachtliche Bedingungen gehandelt hat. Eine gutachtlich korrekte Sehschärfeprüfung (nach DIN 58220 mit Landoltringen und definiertem Abbruchkriterium) unterscheidet sich erheblich von einer im Rahmen einer augenärztlichen Untersuchung oder Behandlung durchgeführten Prüfung. Es ist daher nicht verwunderlich, dass gutachterliche Ergebnisse mit Landoltringen typischerweise niedriger liegen als Ergebnisse bei letzteren Prüfungen.

Vor allem aber hat der Gutachter festgestellt, dass sich bei der Sehschärfeprüfung im Vergleich von Ferne, Nähe und Vergrößerungsbedarf kein Anhalt für widersprüchliche oder nicht glaubhafte Angaben seitens der Klägerin ergeben hat.

Zudem hat der Sachverständige auch nachvollziehbar dargestellt, dass die Prüfung der Sehschärfe zu einem quantitativen Ergebnis führt, das eine Genauigkeit vorgibt, die in Wirklichkeit nicht existiert, worauf der Senat in seiner Rechtsprechung bereits hingewiesen hat (Urteil vom 16.11.2017 - L 15 BL 12/17). So ist die Sehschärfeprüfung (als subjektive Untersuchungsmethode) keine exakte Messung, bei der nicht einmal bei baldiger Wiederholung stets dieselbe Sehschärfe resultiert. Dies muss erst recht bei späteren Wiederholungen an einem anderen Tag gelten (vgl. d. Problem der „Tagesform“). Der Senat hat - im Ergebnis übereinstimmend nun auch mit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C. - festgestellt (a.a.O.):

„Im Übrigen ist aus Sicht des Senats nicht außer Acht zu lassen, dass jeder Visusbestimmung, also auch der mit den grundsätzlich vorgeschriebenen Landoltringen, eine gewisse Unschärfe eigen ist, die sich durchaus als im Sinn der Blindheitsbegutachtung relevant darstellen kann. Hierzu zählen nicht nur die Fälle von Aggravation im Hinblick darauf, dass es sich bei Visus (und Gesichtsfeld) insoweit um subjektive Befunderhebungen handelt, sondern hinzu kommt auch die Problematik der nur eingeschränkten Reproduzierbarkeit von Sehschärfemessungen. Bekanntlich ist davon auszugehen, dass nur bei einem Drittel aller Wiederholungen eines Tests derselbe Sehschärfewert ermittelbar ist; bei einem Sechstel aller Wiederholungen könnte der Unterschied sogar zwei Visusstufen betragen (vgl. z.B. bereits die Darlegungen von Bach/Kommerell, Sehschärfebestimmung nach Europäischer Norm, in: Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde 1998; 212: S. 190 bis 195).“

In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige auch plausibel auf die vorliegend starken Schwankungen der Angaben zur Brechkraft der Augen der Klägerin hingewiesen. So sind die deutlichen Schwankungen vor allem der Achse der Hornhautverkrümmung links einerseits Ausdruck der durch die erhebliche Trübung der Linsenkapsel hervorgerufenen Einschränkung der Optik dieses Auges, und somit ein zusätzlicher Erklärungspunkt für eine Sehschärfereduktion. Andererseits haben diese Schwankungen, wie der Sachverständige hervorgehoben hat, auch einen möglichen Einfluss auf die Sehschärfe.

Nach den plausiblen Darlegungen von Prof. Dr. C. haben die kurzfristigen Schwankungen der Sehschärfe im Jahr 2014 im Übrigen gar nicht stattgefunden.

Mit dem Sachverständigen geht der Senat auch davon aus, dass die Angaben der Klägerin zum Gesichtsfeld grundsätzlich stimmig sind, auch wenn - worauf der Beklagte, zuletzt in der mündlichen Verhandlung, zutreffend hingewiesen hat - ein schwankender Verlauf dokumentiert ist. Gerade bei einer starken Kurzsichtigkeit ist nach der nachvollziehbaren Darlegung des Sachverständigen eine u.U. sogar erhebliche Gesichtsfeldeinengung manchmal ohne eindeutige Erklärung aber durchaus nicht unüblich.

Vor allem ist bei der Untersuchung durch Prof. Dr. C. von der Klägerin ein nun aber wieder größeres Gesichtsfeld angegeben worden. Auch hier ist jedoch entsprechend den Feststellungen des Sachverständigen zu beachten, dass natürlich neben der Sehschärfe auch das Gesichtsfeld bei verschiedenen Untersuchungen nicht vollkommen identisch ist und gewissen Schwankungen unterliegt. Auch ist zu beachten, dass diese Schwankungen untersuchungsbedingt entstehen können; dass daneben - bei der gegebenen subjektiven Untersuchungsmethode - auch die „Tagesform“ der Klägerin eine gewisse Rolle spielen kann, ist selbstverständlich. Ob das Ausmaß der vorliegenden Schwankungen hiermit vereinbar ist, kann der Senat aufgrund eigener Sachkunde nicht definitiv entscheiden. Der Senat sieht aber keinen Anhalt dafür, dass die plausiblen Darlegungen des anerkannten Sachverständigen insoweit unzutreffend sein könnten; er macht sich auch diese sachverständigen Feststellungen zu eigen.

In diesem Zusammenhang ist freilich auch zu beachten, dass die zahlreichen objektiven Untersuchungsergebnisse sowohl des morphologischen als auch des objektiven Funktionsbefunds (d.h. der elektrophysiologischen Ergebnisse) eindeutig eine ganz ausgeprägte Schädigung der Klägerin dokumentieren (zum morphologischen Befund siehe u.a. bereits oben). Entsprechend der ausdrücklichen Feststellung von Prof. Dr. C. haben die objektiven Befunde eine wie angegeben hochgradige Störung der Sehschärfe erklärt, selbst wenn eine eindeutige Veränderung des Befundes nicht dokumentiert ist. Der Sachverständigen hat jedoch plausibel festgestellt, dass in solchen Fällen angesichts der ohnehin schon bestehenden (starken) Schädigung eine eindeutige Dokumentierung einer solchen Veränderung oft nicht mehr möglich ist.

Dabei ist mit Blick auf die morphologische Situation auch zu berücksichtigen, dass, wie der Sachverständige Dr. K. plausibel darauf hingewiesen hat, unterstellt werden muss, dass die Netzhautdegeneration zugenommen hat. Wegen der massiven strukturellen Vorveränderungen der Netzhaut ist eine weitere Degeneration durch Inaugenscheinnahme nur noch schwer heraus zu differenzieren, d.h. zu erkennen, zumal die Augenhintergrundspiegelung wegen des reduzierten Einblicks (s.o.) bei der Klägerin ohnehin sehr schwierig ist. Wie Dr. K. nachvollziehbar festgestellt hat, ist es also nicht verwunderlich, „wenn dann angesichts der Fülle an Vorschäden bei massiv erschwertem Einblick zusätzliche chronisch-degenerative, also langsam zunehmende Schäden nicht erkannt bzw. nicht dokumentiert“ worden sind. Wie der Sachverständige zutreffend festgestellt hat, bedeutet die Tatsache, dass keine zusätzlichen Fundusschäden in der fraglichen Zeit dokumentiert worden sind, entgegen der Argumentation des Beklagten nicht automatisch, dass sich keine entwickelt hätten. Zudem können sich durchaus funktionelle Verschlechterungen einstellen, ohne dass unbedingt eine sichtbare Strukturveränderung erkennbar sein muss. Im Übrigen ist hinsichtlich der Veränderung des morphologischen Befundes auch auf die Feststellung von Dr. K. zu verweisen, dass allein schon anhand der Abblasung der Papillen sehr wohl eine auch morphologisch sichtbare Veränderung im Sinne einer zunehmenden Degeneration (anhand der Akten) nachvollzogen werden kann.

Wie Prof. Dr. C. plausibel dargelegt hat, gelingt die Einschätzung einer (diffusen) Schädigung der Sinneszellen der Netzhaut am ehesten durch das Ganzfeld-Elektroretinogramm. Doch auch diese objektiven Befunde der elektrophysiologischen Untersuchung haben bei der Klägerin von Untersuchungsort zu Untersuchungsort und auch zwischen den unterschiedlichen Geräten geschwankt. Die Befunde sind jedoch durchwegs im unteren Bereich der Nachweisbarkeit gelegen.

Hinsichtlich des OKN geht der Senat in seiner Rechtsprechung (vgl. z.B. das Urteil vom 26.09.2017 - L 15 BL 8/14, m.w.N.) zwar davon aus, dass eine Auslösbarkeit zu erheblichen Zweifeln an einer niedrig angegebenen Sehschärfe (von nur noch Handbewegungen) Anlass gibt. Solche massiven Zweifel können vorliegend jedoch nicht durchgreifen. Wie der Sachverständige Prof. Dr. C. (im Hinblick auf die Ausführungen von Prof. Dr. U.) plausibel angemerkt hat, ist es bei einem gleichzeitig bestehenden Spontannystagmus grundsätzlich schwierig, den OKN von Letzterem zu differenzieren. Daneben aber ist auch wesentlich, dass vor allem bei vorbestehender Schwachsichtigkeit auch bei erheblich reduzierter Sehschärfe ein Nystagmus auslösbar sein kann. Ferner ist der Reiz einer Nystagmustrommel sehr großflächig und bei Annäherung auch mit einem leicht erkennbaren Strichmuster verbunden, so dass die Auslösbarkeit eines Nystagmus mit einer Trommel eine deutlich bessere als die subjektiv angegebene Sehschärfe nicht sicher beweist. Gerade angesichts einer Sehschärfe im Bereich wie vorliegend von 0,04 bis 0,06 gegenüber früheren Werten von 0,1 oder 0,125 ist der Unterschied nur so gering, dass sich ein solcher auch mit dieser objektiven Untersuchungsmethode nicht beweisen oder ausschließen lässt.

Der Sachverständige Prof. Dr. C. hat aus Sicht des Senats plausibel auch festgestellt, dass das Verhalten der Klägerin nicht gegen ihre subjektiven Angaben gesprochen hat. Bei einem Gesichtsfeld, das bis etwa 16 Grad vom Fixierpunkt erhalten ist, ist ein Betroffener, der sich über Jahre an eine solche Einengung gewöhnt hat, durchaus in der Lage, sich zögernd zu orientieren (und einen Stuhl zu finden oder die Hand zu reichen). Im Übrigen hat der Senat bereits längst entschieden (z.B. Urteil vom 16.09.2015 - L 15 BL 2/13), dass bei der Blindheitsbegutachtung im Rahmen von Plausibilitätskontrollen unter anderem auch Verhaltensbeobachtungen berücksichtigt werden können, dass dabei jedoch zu beachten ist, dass eine Verhaltensbeobachtung grundsätzlich nur eine grobe Einschätzung des Sehvermögens erlaubt. Sie ist grundsätzlich nicht geeignet, zwischen einer hochgradigen Sehbehinderung (im untechnischen Sinne) und einer Blindheit im Sinne des Art: 1 Abs. 2 BayBlindG mit der erforderlichen Zuverlässigkeit zu differenzieren.

Etwas anderes ergibt sich im Übrigen auch nicht aus dem vom Beklagten ins Verfahren eingeführten (Partei-)Gutachten, d.h. der Stellungnahme von Prof. Dr. U. vom 17.06.2015. Dieser hat im Wesentlichen die Glaubwürdigkeit der klägerischen Angaben problematisiert und darauf hingewiesen, dass die Klägerin ihrerseits sehr gutachtenserfahren und insoweit gut beraten sei. Zudem hat er im Einzelnen auf die Möglichkeiten der Beeinflussung elektrophysiologischer Untersuchungen (durch mangelnde Fixation des Bildschirms) thematisiert. Eine solche Untersuchung stoße in einem Fall wie dem der Klägerin „grundsätzlich an Grenzen“. Diese Ausführungen des - erfahrenen - Ophthalmologen sind aber nicht geeignet, die insoweit bestehenden positiven Feststellungen der Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. in Frage zu stellen oder zu entkräften.

Schließlich hindert nach Auffassung des Senats auch die Angabe im Befundbericht vom 14.11.2016, dass die Klägerin mit einem Bildschirmlesegerät und einer elektrischen Lupe gut zurechtkomme, nicht an der Annahme von Blindheit. Denn zur Beurteilung, ob die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG vorliegen, gelten die allgemeinen Regeln (VG Teil B, Vorbem. 4), nach denen es auf den Fernvisus ankommt. Wie der Senat im Urteil vom 26.09.2017 (L 15 BL 8/14) entschieden hat, gilt dies (im Fall einer Makuladegeneration) auch dann, wenn ein (fast) vollständiger Verlust der Lesefähigkeit vorliegt und die Sehschärfe in der Ferne deutlich besser ist. Umgekehrt gilt dies ebenfalls, wenn zwar gelesen werden kann, die Sehschärfe in der Ferne aber schlechter ist. Aus der Tatsache, dass unter Zuhilfenahme klassischer Lesehilfen Sehleistungen in der Nähe noch erbracht werden können, lässt sich nicht schlussfolgern, dass vorliegend die Angaben der Klägerin falsch gewesen wären. Im Übrigen kann dahinstehen, wie die Formulierung des Arztes, die Klägerin komme mit den Geräten gut zurecht, tatsächlich zu verstehen ist.

Entsprechend den nachvollziehbaren Darlegungen der Sachverständigen Dr. K. und Prof. Dr. C. sieht der Senat Blindheit der Klägerin jedoch erst ab dem 23.10.2014, also ab dem Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. K., als nachgewiesen an (vgl. Art. 5 Abs. 2 S. 1 BayBlindG). Vor dem genannten Zeitpunkt ist der Blindheitsnachweis nicht erbracht; hier liegen noch gewichtige Zweifel in o.g. Sinn vor. Die Berufung ist daher insoweit zurückzuweisen.

Die Berufung hat somit im tenorierten Umfang Erfolg. Der Beklagte ist unter Aufhebung der entgegenstehenden Verwaltungsentscheidungen zur Gewährung von Blindengeld ab dem genannten Zeitpunkt zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 10. Apr. 2018 - L 15 BL 4/16

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 10. Apr. 2018 - L 15 BL 4/16

Referenzen - Gesetze

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 10. Apr. 2018 - L 15 BL 4/16 zitiert 9 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 151


(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143


Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 109


(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschieß

Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV | § 2 Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“


Die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien sind in der Anlage zu dieser Verordnung#F1_771649als deren Bestandteil festgelegt.

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 10. Apr. 2018 - L 15 BL 4/16 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 10. Apr. 2018 - L 15 BL 4/16 zitiert 6 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 26. Sept. 2017 - L 15 BL 8/14

bei uns veröffentlicht am 26.09.2017

Tenor I. Auf die Berufung des Beklagten hin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29. Oktober 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen. II. Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen. III. A

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 05. Juli 2016 - L 15 BL 17/12

bei uns veröffentlicht am 05.07.2016

Tenor I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28. November 2012 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelasse

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 16. Sept. 2015 - L 15 BL 2/13

bei uns veröffentlicht am 16.09.2015

Tenor I. Auf die Berufung wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 18. Dezember 2012 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen sind nicht zu erstatten. III

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 11. Juli 2017 - L 15 VJ 6/14

bei uns veröffentlicht am 11.07.2017

Tenor I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 28. Oktober 2014 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelass

Bundessozialgericht Urteil, 11. Aug. 2015 - B 9 BL 1/14 R

bei uns veröffentlicht am 11.08.2015

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. März 2014 aufgehoben und die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnbe

Bundessozialgericht Urteil, 17. Apr. 2013 - B 9 V 3/12 R

bei uns veröffentlicht am 17.04.2013

Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. September 2011 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dies
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 10. Apr. 2018 - L 15 BL 4/16.

Sozialgericht Regensburg Urteil, 18. Sept. 2018 - S 13 VG 23/17

bei uns veröffentlicht am 18.09.2018

Tenor I. Die Klage gegen den Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales - Region Oberpfalz vom 21.07.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Zentrums Bayern Familie und Soziales - Landesversorgungsamt vom 07.09.2017 w

Referenzen

Die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien sind in der Anlage zu dieser Verordnung*als deren Bestandteil festgelegt.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. September 2011 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen, soweit sie die Gewährung von Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs in der Kindheit und Jugend der Klägerin betrifft.

Die zweitinstanzlich erhobene Klage betreffend Folgen körperlicher Misshandlung wird abgewiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Die 1949 geborene Klägerin lebte bis 1962 bei ihrer Mutter und deren zweiten Ehemann H. Stiefvater). Der Vater der Klägerin hatte sich kurz nach der Geburt der Klägerin von deren Mutter getrennt. Gegen den Stiefvater wurde offenbar aufgrund des Verdachts, seine eigene Tochter sexuell missbraucht zu haben, ein Ermittlungsverfahren durchgeführt. Nach dem Tod des Stiefvaters im März 1962 wurde die Klägerin vom Jugendamt aus dem Haushalt der Mutter herausgenommen und ihrem Vater, der wieder geheiratet hatte, zugeführt.

3

Im Mai 1967 erstattete die Klägerin gegen ihren Vater eine Strafanzeige. Dieser habe sie im vergangenen halben Jahr immer wieder unzüchtig berührt. Der Vater wurde offenbar verhaftet und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Klägerin zunächst dem Jugendamt der Stadt K. und ab August 1967 der Evangelischen Jugendhilfe des Amtes für Diakonie K. übertragen. Bis zur Vollendung ihres 21. Lebensjahres arbeitete die Klägerin in der Heimküche eines Altersheims, wo sie anscheinend auch wohnte. Nach dem späteren Erwerb des Hauptschulabschlusses und verschiedenen Erwerbstätigkeiten heiratete die Klägerin im Jahre 1976 und gebar zwischen 1977 und 1981 drei Kinder.

4

Anlässlich einer stationären Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in der P.-Klinik B. im Jahr 2000 wurde bei der Klägerin neben einer mittelgradigen depressiven Episode erstmals eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Im Anschluss an diese Maßnahme nahm die Klägerin eine ambulante Psychotherapie bei der psychologischen Psychotherapeutin S. auf. Diese äußerte den Verdacht einer dissoziativen Identitätsstörung die im Jahr 2002 durch die Abteilung Klinische Psychiatrie und Psychotherapie H. bestätigt wurde.

5

Im Mai 2005 beantragte die Klägerin beim Niedersächsischen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie die Gewährung von Gewaltopferentschädigung, weil sie in ihrer Kindheit von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht und von ihrem Vater sexuell belästigt worden sei. Zur Begründung legte sie das Ergebnis ihrer Recherchen sowie Unterlagen vor, die sie unter Mitwirkung ihrer Therapeutin zusammengetragen hatte. Von dort wurde die Angelegenheit im Juni 2005 wegen des angegebenen Tatorts in K. zuständigkeitshalber an das Versorgungsamt M. abgegeben. Dieses Amt holte einen Befundbericht der Psychotherapeutin S. sowie Berichte der Abteilung Klinische Psychiatrie und Psychotherapie H. ein. Zudem befragte das Amt schriftlich Frau C., die in der Zeit von 1969 bis 1972 als Sozialarbeiterin im Amt für Diakonie tätig und kurze Zeit mit der Pflegschaft der Klägerin befasst war. Ferner zog es die von der Evangelischen Jugend- und Familienhilfe K. eV archivierte Akte der Klägerin über die Pflegschaft der Klägerin sowie die Schwerbehindertenakte des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie bei, das mit Bescheid vom 30.8.2005 bei der Klägerin einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 wegen einer psychischen Behinderung ab Mai 2005 festgestellt hatte.

6

Mit Bescheid vom 3.1.2006 des Versorgungsamts M. in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Münster vom 17.7.2006 wurde der Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG abgelehnt. Es sei nicht nachgewiesen, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 OEG geworden sei. Weder der sexuelle Missbrauch durch den Stiefvater noch die sexuelle Belästigung durch den leiblichen Vater seien nachgewiesen. Selbst unter Heranziehung der Beweiserleichterung des § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) sei ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff auf die Klägerin nicht anzunehmen.

7

Das von der Klägerin daraufhin angerufene Sozialgericht Lüneburg (SG) hat von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie Dr. F. ein im Juli 2007 erstattetes nervenärztliches Gutachten mit einem unter Mithilfe des psychologischen Psychotherapeuten Dr. B. erstellten testpsychologischen Zusatzgutachten eingeholt. Der Sachverständige diagnostizierte eine dissoziative Identitätsstörung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 vH. Er vertrat die Auffassung, dass aufgrund des eindeutigen Vorliegens einer dissoziativen Identitätsstörung nach herrschender wissenschaftlicher Lehre ein frühkindlicher sexueller Missbrauch als Ursache für die Störung anzunehmen sei.

8

Mit Urteil vom 8.11.2007 hat das SG die noch gegen das Land Nordrhein-Westfalen gerichtete Klage abgewiesen, weil nicht im Sinne des notwendigen Vollbeweises feststellbar sei, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei. Auch unter Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG sei nicht anzunehmen, dass ein derartiger Angriff auf die Klägerin in ihrer Kindheit stattgefunden habe, weil von einer Glaubhaftigkeit der Schilderungen der Klägerin nicht ausgegangen werden könne. Schließlich sei der vom Sachverständigen gezogene Rückschluss von der vorliegenden Erkrankung auf deren Ursache nicht zulässig.

9

Das von der Klägerin mit der Berufung angerufene Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) hat weitere medizinische Unterlagen eingeholt, ua den Rehabilitations-Entlassungsbericht der P.-Klinik B. vom 26.7.2000 sowie das für die Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover in einem Rentenverfahren erstellte Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. T. vom 18.1.2005. Außerdem hat sich das LSG von der Dipl. Psychologin D. ein Glaubhaftigkeitsgutachten vom 19.4.2011 über die Klägerin erstatten lassen. Danach ist die Aussage der Klägerin bezüglich des dargelegten Missbrauchs durch den Stiefvater (1961 bis 1962) und den Vater (1963 bis 1967) nicht glaubhaft. Zwar liege keine bewusste Falschaussage vor, es bestünden aber Hinweise, dass die Angaben der Klägerin sich erst unter suggestiven Bedingungen entwickelt hätten.

10

Mit Urteil vom 16.9.2011 hat das LSG die zuletzt gegen den beklagten Landschaftsverband gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Seine Entscheidung hat es auf folgende Erwägungen gestützt:

Das Gericht sehe sich nicht in der Lage, einen sexuellen Missbrauch der Klägerin durch deren Stiefvater und/oder eine sexuelle Belästigung durch deren leiblichen Vater und damit einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 OEG anzunehmen. Der von der Klägerin behauptete sexuelle Missbrauch bzw die sexuelle Belästigung sei zur Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen. Unmittelbare Tatzeugen seien nicht vorhanden. Stiefvater, Mutter und Vater der Klägerin seien bereits verstorben. Urkunden, wie etwa staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten etc, seien nicht mehr vorhanden. Andere Beweismittel, die die Angaben der Klägerin bestätigen könnten, seien nicht ersichtlich. Der sexuelle Missbrauch bzw die sexuelle Belästigung könne auch nicht aus der medizinischen Diagnose einer dissoziativen Identitätsstörung gefolgert werden.
Schließlich lasse sich ein sexueller Missbrauch bzw eine sexuelle Belästigung auch nicht unter Zugrundelegung der Beweiserleichterung nach § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 KOVVfG annehmen. Zwar komme die Beweiserleichterung (Glaubhaftmachung) zugunsten der Klägerin zur Anwendung, weil es weder Zeugen noch sonstige zum Beweis geeignete Unterlagen zu den von der Klägerin behaupteten Taten gebe. Die entsprechenden Behauptungen der Klägerin seien jedoch nicht glaubhaft. Dies ergebe sich zum einen aus dem eingeholten Glaubhaftigkeitsgutachten der Sachverständigen D. und zum anderen auch aus eigenen Erwägungen des Senats zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin. Ein Anspruch auf Opferentschädigung ergebe sich aus im Wesentlichen gleichen Überlegungen auch nicht aus der Behauptung der Klägerin, von ihrem Vater einmal krankenhausreif geschlagen worden zu sein.

11

Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass der Anspruch der Klägerin "wahrscheinlich" auch an den Voraussetzungen des § 10a OEG scheitern würde. Für Taten in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 könnten die Opfer nur dann Entschädigung nach dem OEG erhalten, wenn sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt seien, also ein Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 50 vorliege. Nach dem Schwerbehindertenrecht sei indes nur ein GdB von 30 anerkannt. Dem Gutachten des Dr. F. sei nicht zu folgen, weil er keinerlei Begründung dafür gegeben habe, dass die "MdE 50" betrage. Im Ergebnis könne dies jedoch dahinstehen.

12

Mit der - vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen - Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Soweit das LSG davon ausgehe, dass keine Beweismittel mehr vorhanden seien, sei § 103 SGG verletzt. Sie, die Klägerin, habe dem LSG gegenüber die Vernehmung ihrer Halbschwester als Zeitzeugin angeboten. Soweit das LSG sage, dass aus der Diagnose einer dissoziativen Identitätsstörung nicht auf deren Ursache rückgeschlossen werden könne, stehe dies im Widerspruch zu der Aussage des erstinstanzlich eingeholten ärztlichen Gutachtens. Zudem sei nach der Entscheidung des BSG vom 18.10.1995 - 9/9a RVg 4/92 - ein derartiger Rückschluss durchaus ernsthaft in Betracht zu ziehen, wenn die herrschende Meinung in der medizinischen Wissenschaft die geltend gemachte Belastung allgemein für geeignet halte, bestimmte Krankheiten hervorzurufen. Nach dem Gutachten des Dr. F. sei nach heute herrschender wissenschaftlicher Lehrmeinung ein entsprechender Rückschluss hier möglich.

13

Im Hinblick auf das zweitinstanzlich eingeholte aussagepsychologische Gutachten sei bisher ungeklärt, ob ein derartiges Gutachten überhaupt "die Entscheidung des Gerichts ersetzen darf". Bezüglich der vom LSG als eigene Erwägungen bezeichneten Gründe zur fehlenden Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen (fehlende Aussagekonstanz) habe das LSG nicht beachtet, dass sie an einer dissoziativen Identitätsstörung leide.

14

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. September 2011 sowie des Sozialgerichts Lüneburg vom 8. November 2007 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 3. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2006 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter sowie einer schweren körperlichen Misshandlung Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz iVm dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

15

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

16

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

17

Der Senat hat die Bundesrepublik Deutschland auf deren Antrag hin beigeladen (Beschluss vom 29.1.2013). Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

18

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

19

Die Revision der Klägerin ist zulässig.

20

Sie ist vom BSG zugelassen worden und damit statthaft (§ 160 Abs 1 SGG). Die Klägerin hat bei der Einlegung und Begründung der Revision Formen und Fristen eingehalten (§ 164 Abs 1 und 2 SGG). Die Revisionsbegründung genügt den Voraussetzungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Entschädigungsanspruch nach dem OEG auf zahlreiche schädigende Vorgänge stützt. Demnach ist der Streitgegenstand derart teilbar, dass die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision für jeden durch einen abgrenzbaren Sachverhalt bestimmten Teil gesondert zu prüfen ist (vgl BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 9 V 2/05 R - SozR 4-3100 § 1 Nr 3). Dabei bietet es sich hier an, die verschiedenen Vorgänge in zwei Gruppen zusammenzufassen, nämlich einen über Jahre andauernden sexuellen Missbrauch und eine körperliche Misshandlung.

21

Hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs rügt die Klägerin eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) durch das LSG, weil das Gericht ihre Halbschwester nicht als Zeitzeugin vernommen habe. Als weitere Verletzung der Sachaufklärungspflicht betrachtet die Klägerin die Einholung und Verwertung eines aussagepsychologischen Gutachtens durch das LSG, und zwar auch in Bezug auf die behauptete einmalige schwere körperliche Misshandlung durch ihren Vater. Als Verletzung der Sachaufklärungspflicht und Überschreitung der Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung rügt die Klägerin, dass das LSG entgegen dem erstinstanzlich eingeholten psychiatrischen Gutachten nicht davon ausgegangen sei, dass aus der Art ihrer jetzigen Erkrankung auf sexuellen Missbrauch in der Kindheit und Jugend rückgeschlossen werden könne. Die Grenzen der richterlichen Beweiswürdigung habe das LSG auch im Rahmen von ihm so bezeichneter eigener Erwägungen überschritten. Insgesamt rügt die Klägerin zusätzlich eine Verletzung des materiellen Beweisrechts, weil sich das LSG bei Anwendung des § 15 KOVVfG nicht an die danach geltenden Grundsätze der Glaubhaftmachung gehalten habe.

22

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), soweit das Berufungsurteil einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter betrifft. Hinsichtlich geltend gemachter Folgen einer schweren körperlichen Misshandlung durch den Vater führt die Revision insoweit zu einer Änderung des Urteils des LSG, als die darauf bezogene zweitinstanzlich erhobene Klage abgewiesen wird.

23

Stillschweigend aber zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass bereits während des Berufungsverfahrens ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden hat und seit dem 1.1.2008 der beklagte Landschaftsverband passiv legitimiert ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 20 mwN). Denn § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482) hat die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung zum 1.1.2008 auf die Landschaftsverbände übertragen. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass die Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben der Kriegsopferversorgung, der Soldatenversorgung sowie der Opferentschädigung auf die kommunalen Landschaftsverbände in NRW nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des GG verstößt (vgl hierzu Urteile vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, RdNr 21, und - B 9 V 3/07 R - Juris RdNr 22; vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 24; vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26). Diese Übertragung hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann, sodass sich die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG)ab 1.1.2008 gemäß § 6 Abs 1 OEG gegen den für die Klägerin örtlich zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe zu richten hat.

24

Obwohl auch der Revisionsantrag der Klägerin auf die Bewilligung einer "Opferentschädigung" gerichtet ist, legt der Senat den erhobenen Anspruch im wohlverstandenen Interesse der Klägerin dahin aus, dass diese die Gewährung von Beschädigtenrente begehrt (vgl § 123 SGG). Der wörtlich gestellte Leistungsantrag wäre nämlich unzulässig. Zwar kann im sozialgerichtlichen Verfahren die Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 4 SGG auf jede nach dem materiellen Recht vorgesehene Leistung gerichtet werden. Die beanspruchte Leistung muss indes genau bezeichnet werden (BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a VS 5/06 R - SozR 4-3200 § 81 Nr 5). Der Begriff Opferentschädigung betrifft aber keine bestimmte Leistung, sondern umfasst alle nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG zur Verfügung stehenden Leistungen (vgl § 1 Abs 1 OEG iVm § 9 BVG). Selbst wenn nach den Umständen des Falles als "Opferentschädigung" nur Geldleistungen in Betracht kämen, kann nach der Rechtsprechung des Senats ein dann immer noch zu unbestimmter Ausspruch nicht Gegenstand eines Grundurteils nach § 130 SGG sein(Urteil vom 20.10.1999 - B 9 VG 2/98 R - USK 99140 S 816 f; Urteil vom 8.8.2001 - B 9 VG 1/00 R - BSGE 88, 240, 246 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 20 S 90; Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 12).

25

Soweit das LSG erstmals über einen Anspruch der Klägerin nach dem OEG/BVG wegen der Folgen einer einmaligen schweren körperlichen Misshandlung durch ihren Vater entschieden hat, handelt es sich um eine Entscheidung über eine erst im Laufe des Berufungsverfahrens erhobene Klage. Diese Klage ist schon deshalb unzulässig, weil über den Anspruch insoweit noch keine Verwaltungsentscheidung vorliegt. Das LSG hat sich mit diesem Streitpunkt nicht gesondert befasst. Insoweit ist das Urteil des LSG klarstellend dahin abzuändern, dass diese Klage abgewiesen wird.

26

Für einen Anspruch der Klägerin auf eine Beschädigtenrente nach dem OEG iVm dem BVG sind folgende rechtliche Grundsätze maßgebend:

Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs 1 S 1 OEG gegeben sind(vgl hierzu BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 27 mwN). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs 1 S 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

27

In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.5.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.5.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S 2 OEG iVm § 10a Abs 1 S 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie (1.) allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und (2.) bedürftig sind und (3.) im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

28

Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (stRspr seit 1995; vgl hierzu BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32 mwN). Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben. Leitlinie des erkennenden Senats ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger bzw rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (stRspr; vgl nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36 mwN).

29

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat den Begriff des tätlichen Angriffs noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 28 mwN). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG sein(BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f, und - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f). Diese erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten. Eine Erstreckung dieses Begriffsverständnisses auf andere Fallgruppen hat das BSG bislang abgelehnt (vgl BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

30

Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung iS des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs 1 S 1 OEG vor. Nach § 1631 Abs 2 BGB haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind.

31

Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten sein kann; tätliche Angriffe liegen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt wird, wie zB durch einen Fußtritt (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

32

Auch in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, in denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, ist maßgeblich auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib und Leben des Opfers abzustellen. Die Grenze der Wortlautinterpretation hinsichtlich des Begriffs des tätlichen Angriffs sieht der Senat jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 44 mwN). So ist beim "Stalking" die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - erst überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen das Opfer begangen und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 69 mwN).

33

Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang hier: tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs 3 OEG anzuwenden ist, sind hinsichtlich des schädigenden Vorgangs bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

34

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN).

35

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit iS des § 1 Abs 3 S 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht(vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 mwN). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

36

Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 15).

37

Soweit die Klägerin Beschädigtenrente nach dem OEG wegen der Folgen sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter beansprucht, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung unmöglich. Entgegen der bisherigen Diktion auch des LSG ist nicht zwischen einem sexuellen Missbrauch durch den Stiefvater und einer sexuellen Belästigung durch den Vater zu unterscheiden, sondern einheitlich von einem sexuellen Missbrauch zu sprechen. Denn strafrechtlich wird so nicht differenziert. Hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs von Kindern (Personen unter vierzehn Jahren) setzt § 176 StGB "sexuelle Handlungen" voraus. Ebenso stellt § 177 StGB betreffend andere Personen "sexuelle Handlungen" unter Strafe. Als solche werden alle Einwirkungen auf ein Kind oder eine über vierzehn Jahre alte Person verstanden, die mit sexuell bezogenem Körperkontakt einhergehen (s nur Fischer, StGB, 59. Aufl 2012, § 177 RdNr 49), sodass darunter auch die bisher als sexuelle Belästigung bezeichneten Handlungen des Vaters der Klägerin fallen. Die von der Klägerin ihrem Stiefvater und ihrem Vater zur Last gelegten schädigenden Vorgänge werden zwar von § 1 Abs 1 S 1 OEG erfasst. Es fehlen jedoch hinreichende verwertbare Tatsachenfeststellungen.

38

Den behaupteten sexuellen Missbrauch durch den Stiefvater und später durch den Vater der Klägerin hat das LSG nicht als nachgewiesen erachtet. Diese Beurteilung vermag der Senat nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht zu bestätigen. Denn sie beruht auf einer Auslegung des § 15 S 1 KOVVfG, die der Senat nicht teilt.

39

Nach § 15 S 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind(vgl grundlegend BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 125 = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind(vgl bereits BSG Beschluss vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/99 B - Juris RdNr 6).

40

Diesen Kriterien hat das LSG zwar Rechnung getragen, indem es eine Anwendbarkeit des § 15 S 1 KOVVfG angenommen hat. Der Anwendung dieser Vorschrift steht hier auch nicht der Umstand entgegen, dass das LSG verpflichtet war, die von der Klägerin benannte Zeugin R. zu vernehmen, denn diese ist nicht als Tatzeugin, sondern als Zeitzeugin benannt worden. Die Verpflichtung zu ihrer Vernehmung folgt indes aus § 103 SGG, denn ausgehend von seiner materiellen Rechtsansicht zur Anwendbarkeit des § 15 KOVVfG hätte sich das LSG zu deren Vernehmung gedrängt fühlen müssen. Die Angaben der Zeugin R. sind nämlich von erheblicher Relevanz im Rahmen der Prüfung einer Glaubhaftmachung des sexuellen Missbrauchs der Klägerin durch ihren Stiefvater H. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG über ein Ermittlungsverfahren gegen H. wegen eines sexuellen Missbrauchs seiner eigenen Tochter könnte es sich bei der Zeugin um die Tochter des H. handeln, die möglicherweise selbst von diesem sexuell missbraucht worden ist. Ihren Angaben kann somit auch hinsichtlich des behaupteten sexuellen Missbrauchs der Klägerin durch H. erhebliche Bedeutung zukommen.

41

Obwohl das LSG den § 15 S 1 KOVVfG herangezogen hat, lassen seine Ausführungen nicht hinreichend deutlich erkennen, dass es dabei den von dieser Vorschrift eröffneten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zugrunde gelegt hat. Aus der einschränkungslosen Bezugnahme auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen D. vom 19.4.2011 lässt sich eher der Schluss ziehen, dass das LSG insoweit einen unzutreffenden, nämlich zu strengen Beweismaßstab angewendet hat. Diese Sachlage gibt dem Senat Veranlassung, grundsätzlich auf die Verwendung von sog Glaubhaftigkeitsgutachten in Verfahren betreffend Ansprüche nach dem OEG einzugehen.

42

Die Einholung und Berücksichtigung psychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten ist im sozialen Entschädigungsrecht nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten zulässig.

43

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sog Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl grundlegend BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182; BGH Urteil vom 16.5.2002 - 1 StR 40/02 - Juris RdNr 22). Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - Juris RdNr 6; Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 22). Die Entscheidung, ob eine solche Fallgestaltung vorliegt und ob daher ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen ist, beurteilt und trifft das Tatsachengericht im Rahmen der Amtsermittlung nach § 103 SGG. Fußt seine Entscheidung auf einem hinreichenden Grund, so ist deren Überprüfung dem Revisionsgericht entzogen (vgl BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 20, 23).

44

Von Seiten des Gerichts muss im Zusammenhang mit der Einholung, vor allem aber mit der anschließenden Würdigung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens stets beachtet werden, dass sich die psychologische Begutachtung von Aussagen nicht darauf beziehen kann, Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts zu machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, dh einen Erlebnishintergrund haben. Darüber hinaus besteht die Kompetenz und damit auch die Aufgabe des Sachverständigen darin abzuklären, ob sich dieser Erlebnishintergrund in der sog Wachwirklichkeit befindet, anstatt auf Träumen, Halluzinationen oder Vorstellungen zu beruhen. Ausschließlich auf diesen Aspekt des Wirklichkeitsbezuges einer Aussage kann sich die Glaubhaftigkeitsbegutachtung beziehen (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 27, 49). In einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung trifft der Sachverständige erfahrungswissenschaftlich gestützte Feststellungen zu Erlebnishaltigkeit und Zuverlässigkeit von Sachverhaltskonstruktionen, die ein Zeuge oder ein Beteiligter vorträgt. Durch das Gutachten vermittelt er dem Gericht daher auf den Einzelfall bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse und stellt diesem aufgrund von Befundtatsachen wissenschaftlich gestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 280 f). Die umfassende rechtliche Würdigung dieser Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen obliegt sodann dem Gericht.

45

Aus den Ausführungen in dem Urteil des LSG NRW vom 28.11.2007 (- L 10 VG 13/06 - Juris RdNr 25) ergeben sich keine Hinweise auf die Unzulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialrechtlichen Verfahren. Vielmehr hat das LSG NRW hierbei lediglich die Amtsermittlung des erstinstanzlichen Gerichts gerügt, das anstelle der Vernehmung der durch die dortige Klägerin benannten Zeugen ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte (ua mit der Beweisfrage "Steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - dh es darf kein begründbarer Zweifel bestehen - fest, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs - in welchem Zeitraum, in welcher Weise - geworden ist?"; Juris RdNr 9). Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn das LSG NRW zum einen die Vernehmung der Zeugen gefordert und zum anderen festgestellt hat, dass die an die Sachverständigen gestellte Frage keinem Beweis durch ein medizinisches oder aussagepsychologisches Sachverständigengutachten zugänglich sei, sondern dass das Gericht diese Tatsache selbst aufzuklären habe. Ausdrücklich zu aussagepsychologischen Gutachten hat das LSG NRW ferner zutreffend festgestellt, auch bei diesen dürfe dem Sachverständigen nicht die Entscheidung überlassen werden, ob eine behauptete Tat stattgefunden habe oder nicht. Vielmehr dürfe dieser nur beurteilen, ob aussagepsychologische Kriterien für oder gegen den Wahrheitsgehalt der Angaben Betroffener sprächen und/oder ob die Aussagen und Erklärungen möglicherweise trotz subjektiv wahrheitsgemäßer Angaben nicht auf eigenen tatsächlichen Erinnerungen der Betroffenen beruhten (LSG NRW, aaO, Juris RdNr 25 aE). Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht der Schluss ziehen, das LSG NRW gehe grundsätzlich davon aus, dass in sozialrechtlichen Verfahren keine Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt und berücksichtigt werden könnten.

46

Für die Erstattung von Glaubhaftigkeitsgutachten gelten auch im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts zunächst die Grundsätze, die der BGH in der Entscheidung vom 30.7.1999 (1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellt hat. Mit dieser Entscheidung hat der BGH die wissenschaftlichen Standards und Methoden für die psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen zusammengefasst. Nicht das jeweilige Prozessrecht schafft diese Anforderungen (zum Straf- und Strafprozessrecht: Fabian/Greuel/Stadler, StV 1996, 347 f), vielmehr handelt es sich hierbei um wissenschaftliche Erkenntnisse der Aussagepsychologie (vgl Vogl, NJ 1999, 603), die Glaubhaftigkeitsgutachten allgemein zu beachten haben, damit diese überhaupt belastbar sind und verwertet werden können (so auch BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f; vgl grundlegend hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/ Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 48 ff; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 16 ff). Die grundsätzlichen wissenschaftlichen Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten stellen sich wie folgt dar (vgl zum Folgenden BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167 ff mwN; basierend ua auf dem Gutachten von Steller/Volbert, wiedergegeben in Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46 ff):

Bei der psychologischen Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen besteht das methodische Grundprinzip darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit einer bestimmten Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Der wissenschaftlich ausgebildete psychologische Sachverständige arbeitet (gedanklich) also zunächst mit der Unwahrannahme als sog Nullhypothese (Steller/Volbert, Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46, 61; den Begriff der Nullhypothese sowie das Ausgehen von dieser kritisierend Stanislawski/Blumer, Streit 2000, 65, 67 f). Der Sachverständige bildet dazu neben der "Wirklichkeitshypothese" (die Aussage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert) die Gegenhypothese, die Aussage sei unwahr. Bestehen mehrere Möglichkeiten, aus welchen Gründen eine Aussage keinen Erlebnishintergrund haben könnte, hat der Sachverständige bezogen auf den konkreten Einzelfall passende Null- bzw Alternativhypothesen zu bilden (vgl beispielhaft hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/ Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 52 f; ebenso, zudem mit den jeweiligen diagnostischen Bezügen Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 61 ff). Die Bildung relevanter, also auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmter Hypothesen ist von ausschlaggebender Bedeutung für Inhalt und (methodischen) Ablauf einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung. Sie stellt nach wissenschaftlichen Prinzipien einen wesentlichen, unerlässlichen Teil des Begutachtungsprozesses dar. Im weiteren Verlauf hat der Sachverständige jede einzelne Alternativhypothese darauf zu untersuchen, ob diese mit den erhobenen Fakten in Übereinstimmung stehen kann; wird dies für sämtliche Null- bzw Alternativhypothesen verneint, gilt die Wirklichkeitshypothese, wonach es sich um eine wahre Aussage handelt.

47

Die zentralen psychologischen Konstrukte, die den Begriff der Glaubhaftigkeit - aus psychologischer Sicht - ausfüllen und somit die Grundstruktur der psychodiagnostischen Informationsaufnahme und -verarbeitung vorgeben, sind Aussagetüchtigkeit (verfügt die Person über die notwendigen kognitiven Grundvoraussetzungen zur Erstattung einer verwertbaren Aussage?), Aussagequalität (weist die Aussage Merkmale auf, die in erlebnisfundierten Schilderungen zu erwarten sind?) sowie Aussagevalidität (liegen potentielle Störfaktoren vor, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussage begründen können?). Erst wenn die Aussagetüchtigkeit bejaht wird, kann der mögliche Erlebnisbezug der Aussage unter Berücksichtigung ihrer Qualität und Validität untersucht werden (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49; zur eventuell erforderlichen Hinzuziehung eines Psychiaters zur Bewertung der Aussagetüchtigkeit Schumacher, StV 2003, 641 ff). Das abschließende gutachterliche Urteil über die Glaubhaftigkeit einer Aussage kann niemals allein auf einer einzigen Konstruktebene (zB der Ebene der Aussagequalität) erfolgen, sondern erfordert immer eine integrative Betrachtung der Befunde in Bezug auf sämtliche Ebenen (Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 62).

48

Die wesentlichen methodischen Mittel, die der Sachverständige zur Überprüfung der gebildeten Hypothesen anzuwenden hat, sind die - die Aussagequalität überprüfende - Aussageanalyse (Inhalts- und Konstanzanalyse) und die - die Aussagevalidität betreffende - Fehlerquellen-, Motivations- sowie Kompetenzanalyse. Welche dieser Analyseschritte mit welcher Gewichtung durchzuführen sind, ergibt sich aus den zuvor gebildeten Null- bzw Alternativhypothesen; bei der Abgrenzung einer wahren Darstellung von einer absichtlichen Falschaussage sind andere Analysen erforderlich als bei deren Abgrenzung von einer subjektiv wahren, aber objektiv nicht zutreffenden, auf Scheinerinnerungen basierenden Darstellung (vgl hierzu Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 17 ff).

49

Diese Prüfungsschritte müssen nicht in einer bestimmten Prüfungsstrategie angewendet werden und verlangen keinen vom Einzelfall losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau. Die einzelnen Elemente der Begutachtung müssen auch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge geprüft werden (vgl BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f). Es ist vielmehr ausreichend, wenn sich aus einer Gesamtbetrachtung des Gutachtens ergibt, dass der Sachverständige das dargestellte methodische Grundprinzip angewandt hat. Vor allem muss überprüfbar sein, auf welchem Weg er zu seinen Ergebnissen gelangt ist.

50

Die aufgrund der dargestellten methodischen Vorgehensweise, insbesondere aufgrund des Ausgehens von der sog Nullhypothese, vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen Verfahren (vgl hierzu SG Fulda Urteil vom 30.6.2008 - S 6 VG 16/06 - Juris RdNr 33 aE; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8.7.2010 - L 13 VG 25/07 - Juris RdNr 36; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.6.2012 - L 4 VG 13/09 - Juris RdNr 44 ff; offenlassend, aber Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese äußernd LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.12.2011 - L 6 VG 584/11 - ZFSH/SGB 2012, 203, 206) überzeugen nicht.

51

Nach derzeitigen Erkenntnissen gibt es für einen psychologischen Sachverständigen keine Alternative zu dem beschriebenen Vorgehen. Der Erlebnisbezug einer Aussage ist nicht anders als durch systematischen Ausschluss von Alternativhypothesen zur Wahrannahme zu belegen (Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 20, 22). Nach dem gegenwärtigen psychologischen Kenntnisstand kann die Wirklichkeitshypothese selbst nicht überprüft werden, da eine erlebnisbasierte Aussage eine hohe, aber auch eine niedrige Aussagequalität haben kann. Die Prüfung hat daher an der Unwahrhypothese bzw ihren möglichen Alternativen anzusetzen. Erst wenn sämtliche Unwahrhypothesen ausgeschlossen werden können, ist die Wahrannahme belegt (vgl Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 22). Zudem hat diese Vorgehensweise zur Folge, dass sämtliche Unwahrhypothesen geprüft werden, womit ein ausgewogenes Analyseergebnis erzielt werden kann (Schoreit, StV 2004, 284, 286).

52

Es ist zutreffend, dass dieses methodische Vorgehen ein recht strenges Verfahren der Aussageprüfung darstellt (so auch Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 205), denn die Tatsache, dass eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, bedeutet nicht zwingend, dass diese Hypothese tatsächlich zutrifft. Gleichwohl würde das Gutachten in einem solchen Fall zu dem Ergebnis gelangen, dass eine wahre Aussage nicht belegt werden kann. Insoweit korrespondieren das methodische Grundprinzip der Aussagepsychologie und die rechtlichen Anforderungen in Strafverfahren besonders gut miteinander (vgl dazu Volbert, aaO S 20). Denn auch die Unschuldsvermutung hat zugunsten des Angeklagten bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten. Durch beide Prinzipien soll auf jeden Fall vermieden werden, dass eine tatsächlich nicht zutreffende Aussage als glaubhaft klassifiziert wird. Zwar soll möglichst auch der andere Fehler unterbleiben, dass also eine wahre Aussage als nicht zutreffend bewertet wird. In Zweifelsfällen gilt aber eine klare Entscheidungspriorität (vgl Volbert, aaO): Bestehen noch Zweifel hinsichtlich einer Unwahrhypothese, kann diese also nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, so gilt der Erlebnisbezug der Aussage als nicht bewiesen und die Aussage als nicht glaubhaft.

53

Diese Konsequenz führt nicht dazu, dass Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialrechtlichen Entschädigungsverfahren nach dem OEG als Beweismittel schlichtweg ungeeignet sind. Soweit der Vollbeweis gilt, ist damit die Anwendung dieser methodischen Prinzipien der Aussagepsychologie ohne Weiteres zu vereinbaren. Denn dabei gilt eine Tatsache erst dann als bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Bestehen in einem solchen Verfahren noch Zweifel daran, dass eine Aussage erlebnisfundiert ist, weil eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, geht dies zu Lasten des Klägers bzw der Klägerin (von der Zulässigkeit von Glaubhaftigkeitsgutachten ausgehend LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 9.9.2008 - L 11 VG 33/08 - Juris RdNr 24 ff; LSG NRW Urteil vom 29.9.2010 - L 6 (7) VG 16/05 - Juris RdNr 24; ebenso, jedoch bei Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG Bayerisches LSG Urteil vom 30.6.2005 - L 15 VG 13/02 - Juris RdNr 40; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 5.6.2008 - L 13 VG 1/05 - Juris RdNr 34 sowie Urteil vom 16.9.2011 - L 10 VG 26/07 - Juris RdNr 38 ff).

54

Die grundsätzliche Bejahung der Beweiseignung von Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialen Entschädigungsrecht wird auch dadurch gestützt, dass nach der dargestellten hypothesengeleiteten Methodik - unter Einschluss der sog Nullhypothese - erstattete Gutachten nicht nur in Strafverfahren Anwendung finden, sondern auch in Zivilverfahren (vgl BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527, 2528 f; Saarländisches OLG Urteil vom 13.7.2011 - 1 U 32/08 - Juris RdNr 50 ff) und in arbeitsrechtlichen Verfahren (vgl LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.7.2011 - 26 Sa 1269/10 - Juris RdNr 64 ff). In diesen Verfahren ist der Vollbeweis der anspruchsbegründenden Tatsachen bzw der Voraussetzungen für einen Kündigungsgrund (zumeist eine erhebliche Pflichtverletzung) ebenfalls erforderlich.

55

Soweit allerdings nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG eine Glaubhaftmachung ausreicht, ist ein nach der dargestellten Methodik erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten nicht ohne Weiteres geeignet, zur Entscheidungsfindung des Gerichts beizutragen. Das folgt schon daraus, dass es im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG ausreicht, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann, während ein aussagepsychologischer Sachverständiger diese Angaben erst dann als glaubhaft ansieht, wenn er alle Alternativhypothesen ausschließen kann. Da ein sachgerecht erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten den Vollbeweis ermöglichen soll, muss ein für die Auskunftsperson ungünstiges Ergebnis eines solchen Gutachtens nicht bedeuten, dass die betreffenden Angaben nicht iS des § 15 S 1 KOVVfG als glaubhaft erscheinen können.

56

Will sich ein Gericht auch bei Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG eines aussagepsychologischen Gutachtens bedienen, so hat es den Sachverständigen mithin auf den insoweit geltenden Beweismaßstab hinzuweisen und mit ihm zu klären, ob er sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten kann. Dabei sind auch die Beweisfragen entsprechend zu fassen. Im Falle von Glaubhaftigkeitsbegutachtungen lautet die übergeordnete psychologische Untersuchungsfragestellung: "Können die Angaben aus aussagepsychologischer Sicht als mit (sehr) hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert klassifiziert werden?" (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/ Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49). Demgegenüber sollte dann, wenn eine Glaubhaftmachung ausreicht, darauf abgestellt werden, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können.

57

Damit das Gericht den rechtlichen Begriff der Glaubhaftmachung in eigener Beweiswürdigung ausfüllen kann und nicht durch die Feststellung einer Glaubhaftigkeit seitens des Sachverständigen festgelegt ist, könnte es insoweit hilfreich sein, dem Sachverständigen aufzugeben, solange systematisch und unvoreingenommen nach Fakten zu den verschiedenen Hypothesen zu suchen, bis sich ein möglichst klarer Unterschied in ihrer Geltungswahrscheinlichkeit bzw praktischen Gewissheit ergibt (für eine solche Vorgehensweise im Asylverfahren vgl Lösel/Bender, Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Bd 7, 2001, S 175, 184). Denn dem Tatsachengericht ist am ehesten gedient, wenn der psychologische Sachverständige im Rahmen des Möglichen die Wahrscheinlichkeiten bzw Wahrscheinlichkeitsgrade für die unterschiedlichen Hypothesen darstellt.

58

Diesen Maßgaben wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Das LSG hat sich bei seiner Verneinung einer Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin nach § 15 S 1 KOVVfG ohne Weiteres auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen D. vom 19.4.2011 gestützt. Dieses Glaubhaftigkeitsgutachten ist vom LSG zu den Fragen eingeholt worden:

59

Ist die Aussage der Klägerin bezüglich der dargelegten schädigenden Ereignisse (Missbrauch durch den Stiefvater H. 1961 - 1962; Missbrauch durch den Vater 1963 - 1967) glaubhaft? Wenn ja, auf welchen aussagepsychologischen Kriterien beruht die Glaubhaftigkeit zu den unmittelbaren schädigenden Ereignissen? Wenn nein, nach welchen aussagepsychologischen Kriterien ist die Glaubhaftigkeit für die unmittelbaren schädigenden Ereignisse nicht erreicht oder auszuweisen?

60

Ein Hinweis auf den im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG geltenden Beweismaßstab der Glaubhaftmachung ist dabei nach Aktenlage nicht erfolgt. Dementsprechend lässt das Gutachten der Sachverständigen D. nicht erkennen, dass sich diese der daraus folgenden Besonderheiten bewusst gewesen ist. Vielmehr hat die Sachverständige in dem Abschnitt 3 ("Methodik der Begutachtung und Hypothesenbildung") festgestellt, dass es sich bei der Glaubhaftigkeitsbeurteilung um einen Hypothesen geleiteten Prüfprozess handele ("Wahrheits-Hypothese" und "Unwahr-Hypothese"). Dabei hat die Sachverständige auf Veröffentlichungen von Volbert (Beurteilung von Aussagen über Traumata. Erinnerungen und ihre psychologische Bewertung - Forensisch-psychologische Praxis 2004 und Volbert/Steller, Die Begutachtung der Glaubhaftigkeit, 2004) hingewiesen (S 15 f des Gutachtens).

61

Da das Berufungsurteil mithin bei der Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG offenbar auf einer Tatsachenwürdigung beruht, der ein unzutreffender Beweismaßstab zugrunde liegt, vermag der erkennende Senat die Beurteilung des LSG zu diesem Punkt nicht zu bestätigen.

62

Auf dieser nicht tragfähigen Tatsachenwürdigung beruht die Entscheidung des LSG. Das gilt auch in Anbetracht des Umstandes, dass das LSG seine Auffassung von der fehlenden "Glaubhaftigkeit" der Behauptungen der Klägerin zusätzlich auf eigene Erwägungen gestützt hat. Denn diese Erwägungen tragen die Entscheidung des LSG nicht allein. Vielmehr hat das LSG diese Ausführungen nur ergänzend gemacht ("nicht nur auf das Glaubhaftigkeitsgutachten, sondern auch auf eigene Erwägungen"), sodass das Glaubhaftigkeitsgutachten der Sachverständigen D. nach der Diktion des LSG für dessen Tatsachenwürdigung maßgebend ist.

63

Der erkennende Senat sieht sich zu einer Aufhebung des Berufungsurteils und einer Zurückverweisung der Sache an das LSG veranlasst (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), weil die jetzt nach zutreffenden Beweismaßstäben vorzunehmenden Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 SGG).

64

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. März 2014 aufgehoben und die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15. Dezember 2010 zurückgewiesen.

Das beklagte Land trägt die Kosten auch des Berufungs- und Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG).

2

Der Kläger erlitt bei seiner Geburt (2005) wegen einer Minderversorgung mit Sauerstoff schwerste Gehirnschäden. Diese führten unter anderem zu einem Anfallsleiden, einer spastischen Bewegungsstörung sowie zu einer schweren mentalen Retardierung mit Intelligenzminderung. Der Entwicklungsstand des Klägers entspricht dem eines ein- bis viermonatigen Säuglings. Seine kognitive Wahrnehmungsfähigkeit ist im Bereich aller Sinnesmodalitäten stark eingeschränkt. Unter anderem verfügt der Kläger lediglich über basale visuelle Fähigkeiten, die unterhalb der Blindheitsschwelle liegen, so dass der Kläger nicht sehen kann.

3

Die allein sorgeberechtigte Mutter des Klägers beantragte 2006 für ihren Sohn Blindengeld nach dem BayBlindG. Der beklagte Freistaat lehnte den Antrag ab. Zwar liege beim Kläger eine schwerste Hirnschädigung vor, jedoch sei das Sehvermögen nicht wesentlich stärker beeinträchtigt als die übrigen Sinnesmodalitäten. Dies aber sei nach der Rechtsprechung des BSG zur sogenannten cerebralen Blindheit Voraussetzung für die Gewährung von Blindengeld (Bescheid vom 31.7.2007; Widerspruchsbescheid vom 4.12.2007).

4

Das SG hat der Klage stattgegeben, weil der Kläger faktisch blind und seine visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen sei als die Wahrnehmung durch andere Sinnesorgane (Urteil vom 15.12.2010). Auf die Berufung des beklagten Freistaates hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage nach Einholung weiterer Sachverständigengutachten abgewiesen. Der Kläger sei zwar faktisch blind. Auch stehe das Vorliegen cerebraler Schäden der Annahme von Blindheit nicht grundsätzlich entgegen. Bei Vorliegen umfangreicher cerebraler Schäden müsse für einen Anspruch auf Blindengeld jedoch im Vergleich zu anderen - möglicherweise ebenfalls eingeschränkten - Gehirnfunktionen eine spezifische Störung des Sehvermögens vorliegen. Dies sei entgegen der Ansicht des SG beim Kläger nicht der Fall. Die Unterschiede bei den noch vorhandenen Sinneswahrnehmungen seien nach den eingeholten Gutachten im Hinblick auf den Gesamtzustand des Klägers vielmehr marginal (Urteil vom 27.3.2014).

5

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung formellen und materiellen Rechts (§§ 62, 103 SGG, Art 1 Abs 2 BayBlindG). Die vom LSG gestellten Anforderungen an die Prüfung einer spezifischen Sehstörung seien mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht vereinbar. Soweit gutachterlich zur Darstellung der Entwicklung von Kindern mit schwerer Mehrfachbehinderung und motorischer sowie mentaler Retardierung auf die sogenannten Griffiths Entwicklungsskalen (GES) zurückgegriffen worden sei, fehle es an einer allgemein anerkannten Grundlage für die Prüfung einzelner Sinneswahrnehmungen.

6

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. März 2014 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15. Dezember 2010 zurückzuweisen.

7

Der beklagte Freistaat beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält das Urteil für zutreffend.

9

Der Senat hat zu den GES als Methode der Diagnostik spezifischer Sehstörungen bei cerebral geschädigten Kindern Auskünfte der Gesellschaft für Neuropädiatrie und des Gemeinsamen Bundesausschusses eingeholt.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet (§ 170 Abs 2 S 1 SGG). Die streitgegenständlichen Bescheide sind rechtswidrig. Der Kläger hat Anspruch auf Blindengeld nach dem BayBlindG.

11

1. Der Senat ist, obwohl in der Sache um die Auslegung bayerischen und damit an sich irreversiblen Landesrechts gestritten wird, nicht an einer Sachentscheidung gehindert.

12

Nach § 162 SGG kann die Revision nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt. Zwar erstreckt sich das BayBlindG nicht über den Freistaat Bayern und damit den Bezirk des Bayerischen LSG hinaus. Revisibilität von Landesrecht hat das BSG jedoch auch angenommen, wenn inhaltsgleiche Vorschriften verschiedener Länder in den Bezirken verschiedener LSG gelten und die Übereinstimmung nicht nur zufällig, sondern im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt ist (vgl dazu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 162 RdNr 5a mwN; Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 162 RdNr 17 f mwN). Letzteres hat das BSG in ständiger Rechtsprechung auch für den Begriff der Blindheit nach dem BayBlindG angenommen. Der dort verwendete - hier umstrittene und entscheidungserhebliche - Blindheitsbegriff stimmt mit dem Blindheitsbegriff überein, den auch die in den Bezirken anderer LSG geltenden landesrechtlichen Blindengeldgesetze zu Grunde legen (zB für NRW § 1 Gesetz über die Hilfen für Blinde und Gehörlose vom 25.11.1997, GVBl S 430 idF des Gesetzes vom 5.4.2005, GVBl S 332). Übereinstimmung besteht zudem mit dem bundeseinheitlich geltenden Begriff der Blindheit in § 72 Abs 5 SGB XII, auf den im Schwerbehindertenrecht(§ 3 Abs 1 Nr 3 Schwerbehindertenausweisverordnung) Bezug genommen wird (vgl BSG Urteil vom 26.10.2004, SozR 4-5921 Art 1 Nr 1 RdNr 5; Urteil vom 20.7.2005 - B 9a BL 1/05 R, BSGE 95, 76 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 2, RdNr 6 mwN).

13

2. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage des Klägers ist begründet. Der allein gegenständliche Bescheid vom 31.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.12.2007, mit dem der Beklagte dem Kläger Blindengeld versagt hat, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat seit Antragstellung Anspruch auf Gewährung von Blindengeld nach dem BayBlindG. Er ist blind im Sinne des Gesetzes (dazu a). Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass beim Kläger auch weitere Sinnesorgane wie das Hörvermögen oder der Tastsinn nicht weniger auf Schwerste beeinträchtigt sind (dazu b).

14

a) Monatliches Blindengeld nach dem BayBlindG erhalten blinde und taubblinde Menschen auf Antrag, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben oder durch die VO (EG) Nr 883/2004 gleichgestellt sind, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen (Art 1 Abs 1 BayBlindG vom 7.4.1995, GVBl 1995, 150, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des BayBlindG vom 24.7.2013, GVBl 2013, 464). Dies ist beim Kläger der Fall. Er lebt in Bayern und ist entgegen der Ansicht des beklagten Freistaates auch blind im Sinne des Gesetzes.

15

Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art 1 Abs 2 S 1 BayBlindG). Als (faktisch) blind gelten darüber hinaus Personen, deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt (Art 1 Abs 2 S 2 Nr 1 BayBlindG) sowie bei denen hierdurch (Nr 1) nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr 1 gleichzuachten sind (Art 1 Abs 2 S 2 Nr 2 BayBlindG; zur Entwicklung des Begriffs "Blindheit" vgl Dau, jurisPR-SozR 24/2009 Anm 4).

16

Dies ist beim Kläger der Fall. Nach den Feststellungen des LSG besitzt er lediglich basale visuelle Fähigkeiten, die unterhalb der Blindheitsschwelle liegen. Der Einsatz seiner Sehfähigkeit im Alltag unter Tageslichtbedingungen ist nicht möglich.

17

Dabei kann es sowohl nach dem Wortlaut als auch nach Sinn und Zweck des Gesetzes dahingestellt bleiben, auf welcher konkreten Ursache die Blindheit im Einzelfall beruht, ob sie auf einer Schädigung des optischen Sehapparates, einer Hirnschädigung oder einer Kombination denkbarer Ursachen beruht. Auch cerebrale Schäden, die zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führen, sind beachtlich und können zur Blindheit führen (etwa der Ausfall der Sehrinde , vgl auch Anl zu § 2 Teil A Nr 6 Buchst c Versorgungsmedizin-Verordnung), und zwar für sich allein oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans. Der erkennende, für das BayBlindG allein zuständige 9. Senat des BSG gibt insoweit seine bisherige anderslautende, an die Materialien zum Gesetzentwurf für ein BayBlindG anknüpfende Rechtsprechung auf.

18

Das BSG hatte bisher in Anlehnung an Empfehlungen der Sektion Versorgungsmedizin des Ärztlichen Sachverständigenbeirates beim früheren Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA, Rundschreiben vom 16.2.1990) zwischen Störungen beim "Erkennen" (Schädigung des Sehapparates) und beim "Benennen" (Schädigung in der Verarbeitung wahrgenommener optischer Reize) unterschieden. Ausgangspunkt der Empfehlung war der Antrag eines Mädchens, das infolge einer Gewalttat unter einem apallischen Syndrom litt und die Versorgung mit einem Blindenführhund beantragt hatte. Der Sachverständigenbeirat beim BMA kam zu dem Ergebnis, dass bei einer solchen cerebralen Schädigung (dort als "Seelenblindheit" oder "visuelle Agnosie" bezeichnet) keine Blindheit vorliege; nicht das Sehvermögen mit dem Sehorgan im engeren Sinne sei beeinträchtigt, sondern die Fähigkeit, das Gesehene geistig zu verarbeiten (vgl dazu Stefan Jungeblut, Nicht sehen können - doch nicht blind? in: Sozialrecht im Umbruch, 2010, S 69, 70). Das BSG hat bei seiner Differenzierung zwischen "Erkennens- und Benennungsstörungen" selbst darauf hingewiesen, dass es sich im Einzelfall als sehr schwierig erweisen könne, eine Störung zu lokalisieren und einer dieser Kategorien zuzuweisen (vgl BSG Urteil vom 31.1.1995 - 1 RS 1/93 - SozR 3-5920 § 1 Nr 1 S 5, Juris RdNr 34 zum Saarländischen Gesetz Nr 761 über die Gewährung einer Blindheitshilfe; zum BayBlindG wieder Urteil vom 26.10.2004 - B 7 SF 2/03 R - SozR 4-5921 Art 1 Nr 1 RdNr 13; Urteil vom 20.7.2005 - B 9a BL 1/05 R - BSGE 95, 76 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 2, RdNr 9-11).

19

Das BSG gibt diese Differenzierung nunmehr auf. Soweit in der Gesetzesbegründung ausgeführt wird, unter dem Begriff "Störungen des Sehvermögens" seien Störungen beim Erkennen optischer Reize zu verstehen, die sich nicht auf eine Beeinträchtigung elementarer visueller Leistungen, auf eine Benennungsstörung oder auf eine allgemeine Herabsetzung kognitiver Fähigkeiten zurückführen lassen (Gesetzentwurf der Staatsregierung für ein BayBlindG, BayLT-Drucks 13/458 S 5; vgl zum Ausschluss jeder visuellen Agnosie nach Anl zu § 2 Teil A Nr 6 Buchst c VersMedV; zur Teilnichtigkeit dieser Regelung SG Osnabrück Urteil vom 24.6.2009 - S 9 SB 231/07 mit Anm Dau, jurisPR-SozR 24/2009 Anm 4), hat diese Differenzierung in Art 1 BayBlindG keinen normativen Niederschlag gefunden.

20

Die Differenzierung kann zudem gerade bei cerebral geschädigten Menschen vielfach medizinisch kaum nachvollzogen werden, dh die Ursache der Beeinträchtigung des Sehvermögens nicht genau bestimmt werden. Denn die Untersuchung visueller Wahrnehmungsleistungen setzt voraus, dass Untersuchungsfähigkeit gegeben ist; dazu gehören ua ausreichende Leistungen in den kognitiven Bereichen Aufmerksamkeit und Gedächtnis, ausreichende Sprachleistungen (Mitteilung ua über das eigene Sehvermögen bzw Beschreiben von optischen Reizen) oder ausreichende Handfunktionen, etwa um Reaktionstasten im Rahmen perimetrischer Untersuchungen betätigen zu können (vgl dazu Braun/Zihl, Der Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, MED SACH 2/2015, 81 ff; und sogleich unter 2b, aa).

21

Ein hinreichend sachlicher Grund für das Erfordernis einer genauen Lokalisierung der Sehstörung ist daher nicht nachweisbar. Entscheidend für den Anspruch auf Blindengeld ist allein, ob es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung "Sehen" (optische Reizaufnahme und deren weitere Verarbeitung im Bewusstsein des Menschen) fehlt, ob der behinderte Mensch "blind" ist. Damit wird die Frage hinfällig, ob die zugrunde liegende Annahme, der Wahrnehmungsvorgang stelle einen in strikter zeitlicher Abfolge stattfindenden Prozess mit mehreren voneinander klar abgrenzbaren Phasen (perzeptiv, semantisch und lexikalisch) dar, mit der aktuellen wissenschaftlichen Evidenzlage vereinbar ist (vgl Braun/Zihl, Der Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, MED SACH 2/2015, 81, 82: fehlende Trennschärfe visueller Verarbeitungsstrukturen; aA und für einen mehrstufigen Prozess weiterhin vgl Zimbardo/Gerrig, Psychologie, 20. Aufl, 2015, S 112 ff, 161 f).

22

b) Dem Anspruch des Klägers steht auch nicht entgegen, dass bei ihm darüber hinaus auch sonstige Sinnesorgane wie sein Hörvermögen oder der Tastsinn auf Schwerste beeinträchtigt sind. Soweit der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung für den Blindengeldanspruch verlangt hat, dass bei cerebralen Schäden eine spezifische Störung des Sehvermögens vorliegt, hält er auch daran nicht mehr fest (Aufgabe von BSGE 95, 76 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 2). Der Senat hat für den Nachweis einer schweren Störung des Sehvermögens bisher verlangt, dass die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen ist, als die Wahrnehmung in anderen Modalitäten (vgl BSG Urteil vom 20.7.2005 - B 9a BL 1/05 R - BSGE 95, 76 = SozR 4-5921 Art 1 Nr 2, RdNr 9). Zu einer Aufgabe dieser Rechtsprechung sieht sich der Senat aus den oben bereits angesprochenen Erkenntnisschwierigkeiten (dazu aa) sowie unter dem Aspekt der Gleichbehandlung veranlasst (dazu bb).

23

aa) Die Praxis der Instanzgerichte, darunter diejenige über den Anspruch des Klägers, zeigen, dass sich gerade bei mehrfach schwerstbehinderten Kindern eine spezifische Störung des Sehvermögens medizinisch kaum verlässlich feststellen lässt (vgl weiter zB Urteil des Bayerischen LSG vom 17.7.2012 - L 15 BL 11/08 - Juris RdNr 58 ff). Insoweit fehlt es an Erhebungs- und Untersuchungsmethoden, deren Einsatz sowohl zu medizinisch sicheren Ergebnissen führt als auch ethisch vertretbar ist. Das Kriterium der "spezifischen Sehstörung" hat sich aus Sicht des Senates insgesamt als nicht praktikabel erwiesen, weil es zu einer Erhöhung des Risikos von Zufallsergebnissen führt.

24

Anspruchsbegründende Tatsachen im Recht der sozialen Leistungen unterliegen grundsätzlich einem notwendigen Vollbeweis (BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 15 RdNr 46), die Nichterweislichkeit geht zu Lasten des Klägers. Die Nichterweislichkeit ginge auch im Falle des bayerischen Blindengelds zu Lasten des Klägers (hierzu Demmel, Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung, 2003, S 228). Etwaige Beweiserleichterungen des sozialen Entschädigungsrechts kommen nicht zum Tragen (zB § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung; Wahrscheinlichkeitsmaßstab bei Kausalitätsfragen BSG SozR 4-3200 § 81 Nr 6 RdNr 25). Besondere Vorschriften der Kriegsopferversorgung gelten im Rahmen des BayBlindG nur, soweit solche im SGG vorgesehen sind (vgl Art 7 Abs 3 S 2 BayBlindG, zB § 154 Abs 2 SGG; vgl BayLT-Drucks 13/458 S 6).

25

Die mit dem Beweisrecht verbundene typisierende Annahme, dass die relevanten Tatsachen im Ansatz hinreichend verlässlich feststellbar sind, ist in Bezug auf die vorhandene medizinische Diagnostik zur Feststellung einer spezifischen Sehstörung nicht gerechtfertigt. Die Diagnostik spezifischer Sehstörungen insbesondere bei cerebral geschädigten Kindern ist beschränkt. Medizintechnische Untersuchungsmethoden sind - worauf in der Vorinstanz unangegriffen hingewiesen wurde - wegen der notwendigen Sedierung oder gar Narkotisierung ethisch kaum vertretbar, verbleibende Befragungen der Betreuungspersonen störanfällig, weil oftmals subjektiv gefärbt (vgl dazu Braun/Zihl, Der Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, MED SACH 2/2015, 81, 83). Der Einsatz von Entwicklungsskalen hängt nach Auskunft der Gesellschaft für Neuropädiatrie maßgeblich von der Expertise des Testleiters ab. Die Anwendung der GES für Kleinkinder (im Alter von 0 bis 12 Monaten) auf ältere Kinder begünstigt weitere Unwägbarkeiten, unabhängig davon, ob sie dem neuesten anerkannten Stand des einschlägigen Erfahrungswissens genügen, welcher im Rahmen der richterlichen Sachaufklärung (§ 103 SGG) verbindlich zugrunde zu legen wäre (vgl BSG Urteil vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 63). Zweifel bestehen jedenfalls insofern auch in Anbetracht des Umstandes, dass die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in ihrer S2k-Praxisleitlinie "Intelligenzminderung" von Dezember 2014 S 35 die GES (Brandt und Sticker 2001) wegen ihrer geringen Testgüte und mangels aktueller Normen für den diagnostischen Einsatz nicht einmal mehr empfohlen hat (abrufbar unter www.awmf.de).

26

bb) Vor allem aber lässt es der allgemeine Gleichheitssatz nicht zu, bei schwer cerebral geschädigten Menschen zu verlangen, dass die zu Blindheit führende Beeinträchtigung ihres Sehvermögens noch deutlich stärker ausgeprägt ist als die Beeinträchtigung ihrer sonstigen Sinneswahrnehmungen (Hören, Tasten etc), sog spezifische Sehstörung. Hieran hält der Senat im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung behinderter Menschen vor dem Gesetz nicht mehr fest (Art 3 Abs 1 und 3 S 2 GG; Art 5 UN-Behindertenrechtskonvention, zur unmittelbaren Anwendbarkeit BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69, RdNr 29 ff).

27

Abgesehen davon, dass sich bei schwersten cerebralen Schäden die mit dem Merkmal einer spezifischen Sehstörung angestrebte Begrenzung des blindengeldberechtigten Personenkreises angesichts des erhöhten Risikos von Zufallsergebnissen (dazu oben aa) nach derzeitigen Erkenntnissen nicht hinreichend rechtssicher erreichen lässt (zum vorgelagerten Aspekt einer genauen Abgrenzung des begünstigten Personenkreises bereits BVerfGE 37, 154, 155, 164 f), besteht auch sonst keine Möglichkeit die genannte Differenzierung zu rechtfertigen.

28

Der Senat sieht keinen hinreichenden sachlichen Grund dafür, dass zwar derjenige Blindengeld erhalten soll, der "nur" blind ist, nicht aber derjenige, bei dem zusätzlich zu seiner Blindheit noch ein Verlust oder eine schwere Schädigung des Tastsinns oder sonstiger Sinnesorgane vorliegt, bei dem aber nicht von einer deutlich stärkeren Betroffenheit des Sehvermögens gegenüber der Betroffenheit sonstiger Sinnesorgane gesprochen werden kann (im Ergebnis ebenso bereits BVerfG Beschluss vom 7.5.1974 - 1 BvL 6/72 - BVerfGE 37, 154, 165 f zur Differenzierung zwischen zu einer zu fehlendem Sehvermögen führenden Beeinträchtigung der Sehschärfe und einer vergleichbar wirkenden Einschränkung des Gesichtsfeldes).

29

Zwar kommt in der früheren Rechtsprechung des BSG das Anliegen zum Ausdruck, dass Störungen aus dem seelisch/geistigen Bereich nicht zu einem Blindengeldanspruch führen sollen, weil Behinderungen solcher Art ggf durch anderweitige, auch einkommens- und vermögensunabhängige Sozialleistungen ausgeglichen werden, wenn deren Voraussetzungen vorliegen (etwa Leistungen der Pflegeversicherung oder der Eingliederungshilfe, §§ 61 ff SGB XII; vgl Demmel, aaO, S 501 ff; zur Reform der Eingliederungshilfe durch Einführung eines Bundesteilhabegelds vgl Koalitionsvertrag 2013, S 111 abrufbar unter www.bundesregierung.de). Dies kann die Ungleichbehandlung schwer cerebral geschädigter Behinderter jedoch nicht begründen.

30

Insbesondere stellt die Erwägung, dass derjenige, der wegen schwerster cerebraler Schäden zu keiner oder so gut wie keinen Sinneswahrnehmungen fähig ist, des Blindengeldes nicht bedarf, weil behinderungsbedingte Mehraufwendungen ohnehin nicht ausgeglichen werden können, keinen solchen sachlichen Grund dar. Zwar heißt es in Art 1 Abs 1 BayBlindG, das Blindengeld werde "zum Ausgleich der durch diese Behinderungen bedingten Mehraufwendungen" gezahlt. Das BSG hat jedoch entsprechend der Praxis der zuständigen Behörden, ohne dass dem der Gesetzgeber entgegengetreten wäre, entschieden, dass das Blindengeld derzeit ohne Rücksicht auf einen im Einzelfall nachzuweisenden oder nachweisbaren Bedarf pauschal gezahlt wird. Dabei ist gerade Sinn und Zweck der Pauschale, bei festgestellter Schädigung auf die Ermittlung des konkreten Mehrbedarfs sowie einer konkreten Ausgleichsfähigkeit zu verzichten. "Blindheitsbedingte Mehraufwendungen" sind insoweit keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung, sondern umschreiben lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung (vgl BSG Urteil vom 26.10.2004 - B 7 SF 2/03 R - SozR 4-5921 Art 1 Nr 1, RdNr 10 und 11; BSG SozR 3-5922 § 1 Nr 1; BVerwGE 51, 281, 286). Insoweit hält der Senat an seiner Rechtsprechung fest.

31

Nach allem gilt: Auch in den Fällen, in denen neben dem fehlenden Sehvermögen weitere oder alle Sinnesorgane schwer geschädigt sind, ändert dies nichts daran, dass der Betroffene sowohl in tatsächlich wie auch in rechtlicher Hinsicht blind ist und jedenfalls Anspruch auf Blindengeld hat.

32

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

I.

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28. November 2012 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch des Klägers auf Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) streitig.

Der Kläger ist 2004 geboren. Mit Bescheid vom 08.07.2009 wurden vom Beklagten ein GdB von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „G“, „aG“, „B“, „H“ und „RF“ festgestellt.

Am 06.03.2009 stellte der Kläger, vertreten durch seine Eltern, Antrag auf Blindengeld beim Beklagten. Im Verwaltungsverfahren wertete der Beklagte die vorgelegten Unterlagen aus, wie den Bescheid der M. Pflegekasse vom 13.06.2008 bezüglich der Feststellung der Pflegestufe III und eine Reihe von medizinischen Berichten.

* Im Bericht der Klinik für Neuropädiatrie und neurologische Rehabilitation, Epilepsiezentrum für Kinder und Jugendliche, Behandlungszentrum V., vom 25.08.2008 wurde darauf hingewiesen, dass die Grunderkrankung des Klägers nicht geklärt sei, es wurden vorsichtige Modifikationen der derzeitigen antiepileptischen Therapie empfohlen. Der Kläger wurde dort wegen fortschreitender geistiger Entwicklungsretadierung mit sprachlichem Schwerpunkt, fortschreitender Ataxie, Hypotonie und orofacialer Hypotonie sowie symptomatischer Epilepsie behandelt. Im Bericht wurde eine augenärztliche Untersuchung vom 08.07.2008 erwähnt, die ergeben hatte, dass eine Fixation beidseits nur auf große Objekte und Licht möglich sei; die Motilität sei frei, es seien kein Drift der Augen gesehen worden und auch kein Nystagmus, „keine Blickparese nach unten, weiterhin Visusminderung beidseits.“ Im Bericht wurden weiter objektive Refraktionswerte angegeben und die Empfehlung, zu versuchen, eine Brille zu tragen, ausgesprochen. * In der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde des UKR vom 21.08.2008 wurde der Verdacht auf Visusminderung im Rahmen eines Symptomkomplexes bisher unklarer Äthiologie als Diagnose festgestellt. Im Rahmen der Befunderhebung wurde festgestellt, dass keine Fixation aufgenommen worden sei, der Kläger habe jedoch zum Teil nach Gegenständen gegriffen. * Im Bericht der F-Klinik (Kinder- und Jugendmedizin) vom 08.04.2009 wurden die Diagnosen lokalisationsbezogene fokale partielle symptomatische Epilepsie und epileptische Syndrome mit komplexen fokalen Anfällen, schwere psychomotorische Retadierung bei unklarer Grunderkrankung und langzeitige Abhängigkeit vom Rollstuhl und Stuhlinkontinenz gestellt. Die Krampfanfälle seien eher unverändert geblieben, „jedoch gebesserte Motorik und Verhalten“, so dass nach früheren Rückschritten jetzt wieder eine Verbesserung eingetreten sei. Im Rahmen des Aufnahmebefundes wurde u. a. festhalten, dass mit dem Kläger wenig Kontaktaufnahme möglich sei.

Sodann fertigte die Augenärztin L. am 26.05.2009 im Auftrag des Beklagten ein Gutachten an. Die Ärztin stellte fest, dass beim Kläger eine Epilepsie und eine Entwicklungsstörung vorliegen würden. Nach Angaben der Mutter sei der Kläger als gesundes Kind geboren worden und habe auch erste Worte sprechen können, als die Anfälle begonnen hätten und damit ein Rückschritt im Entwicklungsstand des Klägers eingesetzt habe. Im Rahmen der Befunderhebung schilderte die Ärztin, dass der Kläger keinerlei Folgebewegungen (mit den Augen) gemacht habe, es sei zu keinem Zeitpunkt der Versuch einer Fixationsaufnahme erfolgt. Es lasse sich keine Reaktion erkennen auf Abdunkeln und plötzliches Erleuchten des Raumes, helles Licht im dunklen Raum, auf bewegte Personen, auf bewegte bunte oder schwarze Gegenstände oder auf schnelle angreifende Handbewegungen auf das Gesicht zu. Ausschließlich das bei der direkten und indirekten Fundusuntersuchung extrem helle Licht löse Abwehr in Form von Kneifen aus, sei aber auch hier nicht stark ausgeprägt. Soweit feststellbar, scheine das Abwehrverhalten bei Blendung des linken Auges etwas stärker als rechts, hier drehe der Kläger den Kopf etwas zur Seite. Als Diagnose stellte die Augenärztin eine generalisierte Störung der Hirnfunktion mit Störung aller Sinnesmodalitäten. Es lasse sich keine stärkere Beeinträchtigung des visuellen Systems im Vergleich zu den anderen Sinnesqualitäten feststellen. Damit sei Blindheit im Sinne des BayBlindG nicht nachgewiesen. Vielmehr sei neben dem gleichermaßen ausgeprägten Fehlen adäquater Reaktionen auf visuelle, akustische oder taktile Reize auch ein Fehlen einiger Reflexe feststellbar sowie eine anormale Pupillen- und Bulbusmotilität, was auf eine Hirnstammbeteiligung schließen lasse.

Nach einer versorgungsärztlichen Stellungnahme lehnte der Beklagte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 24.06.2009 den Blindengeldantrag ab. Nach dem o.g. augenärztlichen Gutachten und dem Bericht der F-Klinik liege beim Kläger eine schwere psychomotorische Retardierung bei unklarer Grunderkrankung vor, wobei sich eine generalisierte Störung der Hirnfunktion mit Störung aller Sinnesmodalitäten gezeigt habe. Das visuelle System sei im Vergleich zu den anderen Sinnesqualitäten nicht stärker beeinträchtigt. Morphologisch fänden sich an den Augen keine Befunde, die Blindheit beweisen oder nahelegen würden. Blindheit im Sinne des BayBlindG sei daher nicht nachgewiesen.

Hiergegen legte der Kläger, vertreten durch seine Eltern, am 11.07.2009 Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren wurden eine Reihe von weiteren ärztlichen Berichten ausgewertet. Im Arztbrief des Behandlungszentrums V. vom 25.04.2008 wurde u. a. der Normalbefund einer MRT vom August 2006 und eines cCT vom November 2007 festgehalten. Im craniellen MRT von Februar und April 2008 fanden sich im Wesentlichen unauffällige Befunde, lediglich die Weite der Liquorräume war betont. Im Rahmen der Messung visuell evozierter Potentiale (VEP) wurde auf eine schlechte Morphologie und schlechte Reproduzierbarkeit hingewiesen sowie auf verzögerte Reizleitungen. Es habe sich der Hinweis auf eine beidseitige Funktionsstörung der Sehbahn, links mehr als rechts, ergeben. Eine augenärztliche Untersuchung, so der Bericht, habe zunächst einen unauffälligen Befund ergeben. Für eine Woche habe der Kläger fast ausschließlich nach oben geblickt und die Augen nur selten in die Mittellinie bringen können.

In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10.09.2009 wurde von der Ärztin Dr. P. festgestellt, dass (faktische) Blindheit im Sinne des BayBlindG nicht nachgewiesen sei. Eine spezifische Sehstörung liege nicht vor. Der morphologische Befund an den Augen sei weitgehend unauffällig gewesen; Fixationsaufnahmen oder Folgebewegungen hätten nicht ausgelöst werden können etc. Das Kind reagiere jedoch ebenso wenig auf andere Reize. U. a. hat die Ärztin darauf hingewiesen, dass sich in der Bildgebung (MRT) weder umschriebene Veränderungen ischämischer, raumfordernder oder entzündlicher Natur gefunden hätten noch Allgemeinveränderungen der Hirnrinde (lediglich Weite der Liquorräume betont). Eine umschriebene oder abgrenzbare Schädigung im Bereich von Sehbahn bzw. Sehrinde sei somit nicht belegt.

Daraufhin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.09.2009 den Widerspruch als unbegründet zurück. Beim Kläger, so die Begründung, liege eine generalisierte, fortschreitende psychomotorische Retardierung, verbunden mit einem hirnorganischen Anfallsleiden, vor. Ob neben der zerebralen Schädigung auch Blindheit oder eine andere Blindheit gleichzuachtende Sehstörung vorliege, habe nicht festgestellt werden können. Mitwirkungsabhängige Untersuchungen des Visus und des Gesichtsfeldes seien aufgrund des Gesundheitszustands des Klägers bei der augenärztlichen Untersuchung am 26.05.2009 nicht durchführbar gewesen. Morphologisch habe sich an den Augen kein Befund gefunden, der Blindheit beweisen oder nahelegen könne, so dass sich der objektive Nachweis von Blindheit im Sinne des Gesetzes nicht erbringen lasse. Nachdem beim Kläger klinisch nicht nur eine Störung des Sehens, sondern generell ein schwerer Entwicklungsrückstand vorliege, sei zu prüfen, ob faktische Blindheit als Folge einer Hirnschädigung in Kombination mit einer Schädigung der Augen bestehe. Beim Kläger sei die Wahrnehmung aber nicht nur im visuell/optischen Bereich herabgesetzt, das fehlende Sehvermögen sei vielmehr eingebettet in eine umfassende Wahrnehmungsstörung und könne nicht von der schwerstgradigen seelischgeistigen und körperlichen Behinderung abgegrenzt werden.

Hiergegen hat der Kläger, vertreten durch seine Eltern, am 12.10.2009 Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben. Zur Begründung hat der Bevollmächtigte darauf hingewiesen, dass nach der gegebenen Tatsachenlage eine der Blindheit gleich zu achtende Sehstörung gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG zum Antragszeitpunkt aufgrund der schwerwiegenden zerebralen Schädigungen vorgelegen habe und dass die auf anderen Feldern der Sinneswahrnehmung verbliebenen Fähigkeiten nicht so weit herabgesetzt seien, dass der Leistungsunterschied zur fehlenden visuellen Modalität unbeachtlich wäre. Er hat u. a. hervorgehoben, dass der Kläger keinerlei Folgebewegungen gemacht habe und dass zu keinem Zeitpunkt der Versuch einer Fixationsaufnahme erfolgt sei. Somit müsse davon ausgegangen werden, dass die visuelle Wahrnehmungsfähigkeit so stark herabgesetzt sei, dass nicht einmal eine Lichtscheinwahrnehmung vorhanden sei. Die Feststellung, dass die übrigen Sinneswahrnehmungen ebenso stark reduziert seien, sei unzutreffend.

Mit Schreiben vom 26.05.2011 hat der Bevollmächtigte darauf hingewiesen, dass nach den Gesamtumständen beim Kläger Blindheit im Sinne des Gesetzes vorliege; er hat ein augenärztliches Attest von Frau Dr. C. vom 12.04.2011 vorgelegt. Die Augenärztin hat in dem Attest ebenfalls berichtet, dass keine Fixation aufgenommen werde und der Kläger keinerlei Reaktion auf Lichtreize gezeigt habe. Morphologisch sei, soweit beurteilbar, ein regelrechter Befund gegeben.

Im Folgenden hat das SG zahlreiche medizinische Unterlagen eingeholt bzw. ausgewertet. In einem Attest des Kinderarztes Dr. L. vom 20.07.2011 ist bestätigt worden, dass es sich um eine bisher unklare Grunderkrankung handele. Im Entlassungsbericht des Klinikums C. vom 27.12.2006 ist im Rahmen der Anamneseerhebung festgehalten worden, dass der Kläger im September in Erlangen gewesen sei, wo seine Brille korrigiert worden sei; seitdem hätte sich eine deutliche Besserung in der Motorik ergeben. Im Bericht des Sozialpädiatrischen Zentrums C. vom 04.08.2006 sind als Diagnosen u. a. Hyperopie, Schielfehlsichtigkeit, Brillenversorgung, Abkleben gestellt worden. Seit einem Jahr sei der Kläger wegen Schielens mit einer Brille versorgt. In der zusammenfassenden Beurteilung ist u. a. hervorgehoben worden, dass die „deutliche visuelle Beeinträchtigung“ die Entwicklung des Klägers sicher verlangsamt bzw. eingeschränkt habe. Im Bericht vom 02.09.2008 ist der Verdacht auf eine zentrale Hör- und Sehminderung geäußert worden. Der Kläger reagiere im Rahmen der dortigen Untersuchung nur sicher auf intensive Farben; Blickkontakt sei dem Kläger immer nur kurz möglich. Ein Verfolgen sei ihm nur ansatzweise möglich. Im Bericht vom 11.11.2008 sind als Diagnose u. a. allgemeine einschließlich kognitive Entwicklungsstörung mit Hinweis auf einen neurodegenerativen Verlauf sowie Verdacht auf epileptische Encephalopathie mit beginnender Hirnatrophie festgehalten worden. Der Kläger zeige im Verlauf Entwicklungsrückschritte. Im Befundbericht der Augenärztin Dr. C. vom 20.09.2011 sind Strabismus convergens, Hyperopie, Astigmatismus und Verdacht auf kortikale Blindheit festgestellt worden. Seit Juli 2007 sei eine Verschlechterung des Allgemeinzustands eingetreten; damals sei noch eingeschränkte Kooperation möglich gewesen, derzeit erfolge keinerlei Reaktion.

Sodann hat das Gericht Prof. Dr. G. mit der Erstellung eines ophthalmologischen Sachverständigengutachtens beauftragt (§ 106 Sozialgerichtsgesetz - SGG). In seinem Gutachten vom 11.07.2012 hat Prof. Dr. G. geschildert, dass der Kläger während der gesamten Untersuchung im Rollstuhl gesessen sei und keinerlei Blickkontakt aufgenommen habe. Während der Untersuchung sei die Angabe der Eltern bestätigt worden, dass der Kläger auf Geräusche reagiere. Sobald der Kläger am Kopf berührt werde, z. B. im Rahmen einer Untersuchung, werde der Kopf gezielt nach unten im Sinne einer Abwehrreaktion geneigt. Die Stimme der Eltern und insbesondere der durch Streicheln entstehende Körperkontakt wirkten beruhigend auf den Kläger.

Der Gutachter hat für beide Augen folgenden Befund erhoben: „Die Lider sind in Form, Stellung und Beweglichkeit regelrecht. Die Bindehaut ist reizfrei. Die Hornhaut ist glatt, klar, spiegelnd. Die Vorderkammer ist mittelschief, optisch leer. Die Regenbogenhaut ist reizfrei, regelrecht gefügt. Die Pupille ist rund, mittelweit, nur angedeutete und unvollständige Reaktion auf kräftigen Lichtreiz, bei indirektem Lichtreiz (durch Beleuchtung des linken Auges) ebenfalls angedeutete konsensuelle Reaktion. Die Linse ist am Ort, klar, keine Verdichtung oder Trübung.“

Den Augenhintergrund hat der Gutachter wie folgt beurteilt: Der Sehnervenkopf sei regelrecht gefärbt mit kleiner zentraler Aushöhlung, im Netzhautniveau scharf begrenzt. Die Stelle des schärfsten Sehens zeige einen regelrechten Reflex. Die Gefäße seien in Verlauf und Kaliber regelrecht. Die Netzhaut liege, soweit einsehbar, überall an.

Eine Sehschärfeprüfung hat der Sachverständige nicht durchführen können. Weder im hellen noch im abgedunkelten Raum sei eine eindeutige Reaktion auf Licht erfolgt. Auch starkes Beleuchten mit der Bonnoskoplampe direkt auf das Auge, selbst bei schneller Annäherung der Lichtquelle, löse keinerlei Reaktion aus. Phasenweise scheine ein Lidschluss auslösbar. Fixationsaufnahme, Blickkontakt oder Auslösen von Folgebewegungen seien nicht möglich gewesen. Soweit beurteilbar, bestehe bei der Augenbeweglichkeit keine grobe Einschränkung. Die Pupillen seien beide mittelweit und reagierten nur angedeutet auf direkte Beleuchtung. Eine Gesichtsfeldprüfung hat der Sachverständige nicht durchgeführt.

Im Rahmen der Beurteilung hat Prof. Dr. G. festgestellt, dass der Kläger das Augenlicht somit nicht vollständig verloren habe. Die Reaktion des Klägers auf visuelle Reize hänge nicht ausschließlich vom Befund des Sehnervs, der Sehbahn und dem dargebotenen visuellen Reiz ab, sondern von höheren Zentren, die das, was der Kläger mit den Augen aufnehme, weiter verarbeiteten. Diese Zentren seien ohne Zweifel durch seine Erkrankung in Mitleidenschaft gezogen. Summa summarum würde man, so der Sachverständige, eine hochgradige Beeinträchtigung des Sehvermögens vermuten. Der Gutachter hat aber nicht feststellen können, ob das Sehvermögen des Klägers einem Visus von 1/50 oder weniger entspricht. Eine visuelle Agnosie in ihrer typischen Form oder eine andere gnostische Störung in isolierter Form lägen nicht vor. Vielmehr scheine die Wahrnehmung auf allen Gebieten herabgesetzt bzw. massiv beeinträchtigt zu sein, wobei das visuelle System stärker betroffen sei als beispielsweise das taktile oder akustische, ohne dass dies in Zahlen ausgedrückt werden könne.

Auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts hat der Sachverständige weiter festgestellt, dass zur Beantwortung der Beweisfragen ausschließlich die klinische Untersuchung eingesetzt worden sei. Messmethoden wie ein VECP seien beim Kläger nicht anwendbar. Die klinische Untersuchung könne dahingehend verifiziert werden, dass sie von anderen Untersuchern wiederholt werde. Er, der Gutachter, persönlich gewichte die Sehstörung, die beim Kläger vorliege, als so komplex und ausgeprägt, dass er sie mit einer faktischen Erblindung vergleichen würde.

Mit Schriftsatz vom 30.07.2012 hat der Bevollmächtigte seine Einschätzung wiedergegeben, dass beim Kläger offenkundig ein Grenzfall vorliege, bei dem sich selbst die Experten äußerst schwer täten, zu einem gesicherten wissenschaftlichen Ergebnis zu kommen. Aufgrund der gutachterlichen Einschätzung teile die Klägerseite die mittlerweile geäußerte Auffassung des SG nicht, wonach der Vollbeweis der Erblindung nicht zu führen sei. Er, der Bevollmächtigte, komme zu dem Ergebnis, dass für die Experten mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer faktischen Erblindung auszugehen sei. Auch wenn dies wörtlich nicht so formuliert werde, müsse dieses Ergebnis im Wege der Auslegung der gutachterlichen Ausführungen angenommen werden.

Mit Gerichtsbescheid vom 28.11.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass nach Überzeugung des Gerichts der Blindheitsnachweis nach Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen nicht geführt werden könne. Eine hinreichende Beeinträchtigung der Sehschärfe sei nach dem Gutachten von Prof. Dr. G. im Hinblick auf die Feststellung von Restfunktionen des Sehvermögens nicht gegeben. Nicht zu folgen vermöge das SG der Äußerung des Gutachters, dass die Sehstörung einer faktischen Erblindung entspreche. Eine spezifische Sehstörung sei vorliegend nicht gegeben, ein Ermessen dem SG nicht eröffnet.

Hiergegen hat der Bevollmächtigte des Klägers am 27.12.2012 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) erhoben. Zur Begründung der Berufung hat der Bevollmächtigte im Wesentlichen darauf verwiesen, dass sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. G. nach klägerischer Auffassung Blindheit im Sinne des BayBlindG ergebe. Es handle sich um eine „andere Störung des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG, so dass diese Beeinträchtigung einer Sehschärfe gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 BayBlindG von 1/50 gleichzuachten sei. So sei das Gutachten von Prof. Dr. G. zu verstehen. Eine faktische Blindheit werde dort bejaht, dies werde durch die Verwendung des Wortes „würde“ nicht in Zweifel gezogen. Weiter hat der Bevollmächtigte darauf hingewiesen, dass eine der Blindheit gleichzusetzende Sehbeeinträchtigung nicht nur in den vom SG aufgeführten Fällen, sondern auch dann vorliege, wenn diese Kriterien nicht nachweisbar seien. In jedem Einzelfall sei zu prüfen, ob die Sehstörung nach ihrem Schweregrad als gleichschwere Beeinträchtigung zu bewerten sei. Bei der Blindheitsbeurteilung dürften nämlich nicht nur Sehschärfe und Gesichtsfeld herangezogen werden, sondern es müssten alle Störungen des Sehvermögens Berücksichtigung finden. Weiter hat der Bevollmächtigte auf das Urteil des BSG vom 20.07.2005 (Az.: B 9a BL 1/05 R) hingewiesen.

In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 25.04.2013 ist vom Beklagten vor allem darauf hingewiesen worden, dass in der Funktionsfähigkeit der verschiedenen Sinnesmodalitäten keine deutlichen Unterschiede bestehen würden. Weitere Untersuchungen, so die Ärztin Dr. P., seien im Hinblick auf die bisherigen aussagekräftigen Unterlagen nicht erforderlich und würden wohl auch keine neuen Erkenntnisse ergeben. (Faktische) Blindheit sei weiterhin nicht nachgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 09.04.2014 hat der Bevollmächtigte darauf hingewiesen, dass die Feststellung von Frau Dr. L. in krassem Widerspruch zu den Feststellungen von Prof. Dr. G. stehe; die Augenärztin habe zu dem Kläger keinen Zugang gefunden. Die gutachterliche Stellungnahme der Ärztin könne aufgrund der mangelhaft durchgeführten Untersuchung im Prozess nicht verwendet werden. Seit Sommer 2013 gehe es dem Kläger wieder zunehmend besser; so könne er mit einer geringfügigen Unterstützung jetzt wieder sitzen und versuche wieder, sich lautierend mitzuteilen. U. a. ist zudem darauf hingewiesen worden, dass eine Lehrkraft des Klägers bestätigen könne, dass bei diesem eine Wahrnehmungsfähigkeit deutlich vorhanden sei.

Im Folgenden ist das Berufungsverfahren wegen des Parallelverfahrens des Senats Aktenzeichen L 15 BL 5/11 und des sich beim Bundessozialgericht (BSG) anschließenden Revisionsverfahrens (Az.: B 9 BL 1/14 R) nicht weitergeführt worden. Auf gerichtliche Aufforderung hin hat sich der Beklagte dann mit Schriftsatz vom 29.02.2016 zum Verfahren mit Blick auf das zwischenzeitlich ergangene Revisionsurteil des BSG vom 11.08.2015 (Az.: B 9 BL 1/14 R) wie folgt geäußert: Entsprechend den Unterlagen des Behandlungszentrums V. und der Kinderklinik des Klinikums C. aus 2008 leide der heute elfjährige Kläger an einem Symptomenkomplex bisher unklarer Äthiologie mit fortschreitender geistiger Entwicklungsretardierung. Schwerpunkte seien sprachliche, fortschreitende Ataxie und Hypotonie sowie symptomatische Epilepsie. Alle Untersuchungen - einschließlich Stoffwechseldiagnostik und Bildgebung des Schädels - würden, so Dr. P., unauffällige Befunde zeigen. Bei dieser Befundlage könne nach Auffassung des Beklagten eine Sehstörung, die einer Erblindung gleichgesetzt werden könnte, nicht nachgewiesen werden. Die seit etwa dem zweiten Lebensjahr einsetzende Entwicklungsverzögerung mit Verschlechterung sowohl der motorischen als auch der kognitiven Funktionen habe in erster Linie das Sprachvermögen, den Gleichgewichtssinn und den Musekltonus betroffen, die Verarbeitung externer, vor allem taktiler, akustischer und visueller Reize sei erst im fortgeschrittenen Stadium bei Schädigung der höheren Hirnfunktionen zunehmend beeinträchtigt. Um das Ausmaß einer Sehbehinderung bestimmen zu können, müssten das Sehvermögen und die visuelle Wahrnehmung untersuchbar sein, was voraussetze, dass eine reproduzierbare Kommunikation möglich sei, z. B. in Form einer Ja-Nein-Kommunikation. Wenn jemand aufgrund schwerer Bewusstseinsstörungen nicht untersuchbar sei, könne die Frage, ob Blindheit vorliege, nicht beantwortet werden. Die Differenzierung zwischen Erkennen und Benennen sei im Urteil des BSG vom 11.08.2015 (a. a. O.) für obsolet erklärt worden. Für die Feststellung von Blindheit würden dagegen unverändert die Vorgaben der VG gelten, wonach der morphologische Befund die Sehstörung erklären oder zumindest in vernünftiger Weise sehr wahrscheinlich machen müsse. Zudem müsse eine Erkrankung vorliegen, die Blindheit verursachen könne. Beide Kriterien seien im Fall des Klägers nicht gegeben. Das BSG habe weiter den Grundsatz der objektiven Beweislast und das Fehlen von Beweiserleichterungen beim Blindheitsnachweis bekräftigt. Zusammenfassend sei festzustellen, dass vorliegend keine Blindheit gegeben sei.

Am 14.04.2016 hat der Bevollmächtigte erklärt, dass die Berufung nicht zurückgenommen werde. Alle entsprechenden Stellungnahmen (insbesondere der Ärztin L. sowie die versorgungsärztlichen Stellungnahmen) würden das Vorliegen einer Blindheit mit Verweis auf die nicht vorhandene besondere Betroffenheit des Sehsinns negieren. Gleichzeitig würden aber als Grundlage dieser Stellungnahmen Untersuchungsergebnisse herangezogen, die lediglich basale Reaktionen im Bereich des Sehens beschreiben würden. Zudem hat der Bevollmächtigte erneut auf die Einschätzung des Gutachters Prof. Dr. G. verwiesen. Blindheit sei damit spätestens ab dem Zeitpunkt der Gutachtenserstellung durch den genannten Sachverständigen nachgewiesen.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.11.2012 sowie den Bescheid des Beklagten vom 24.06.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.09.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger ab März 2009 Blindengeld zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands auf den Inhalt der Verwaltungsakte des Beklagten sowie der Gerichtsakten des Berufungs- und des erstinstanzlichen Verfahrens, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i. V. m. §§ 143, 151 SGG), jedoch nicht begründet. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger blind im Sinne des BayBlindG ist und ihm deshalb ab dem Monat der Antragstellung Blindengeld zusteht. Dies hat das SG zu Recht verneint. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 24.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Änderung des BayBlindG v. 24.07.2013 (GVBl. S. 464) erhalten blinde Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166 S. 1, ber. ABl L 200 S. 1, 2007 ABl L 204 S. 30) in der jeweils geltenden Fassung dies vorsieht, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld. Dabei beinhaltet nach der Rechtsprechung des BSG, an die sich der Senat gebunden fühlt, die Formulierung „zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen“ keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung (Urteil vom 26.10.2004, Az.: B 7 SF 2/03 R).

Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen, 1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt, 2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.

Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 1/50 (0,02) oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe Teil A Nr. 6 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze - VG, Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung):

aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,

ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,

gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Zwar steht die Tatsache, dass bei ihm zerebrale Schäden vorliegen, der Annahme von Blindheit nicht grundsätzlich entgegen. Auch steht dem nicht im Wege, dass eine spezifische Störung des Sehvermögens im Hinblick auf andere Sinnesmodalitäten fraglich ist. Doch sind die vorstehend genannten Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 BayBlindG nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen.

1. Beim Kläger liegt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Einschränkung aller Sinnesfunktionen aufgrund zerebraler Beeinträchtigung vor. Nach der Rechtsprechung des BSG (Entscheidungen vom 31.01.1995, Az.: 1 RS 1/93, 26.10.2004, Az.: B 7 SF 2/03 R, 20.07.2005, Az.: B 9a BL 1/05 R, und 11.08.2015, Az.: B 9 BL 1/14 R) stehen auch zerebrale Schäden, die - für sich allein oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans - zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führen, der Annahme von Blindheit nicht grundsätzlich entgegen. Diese Festlegung wird in der Literatur begrüßt (vgl. Braun/Zihl, Der Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 2015, S. 81, 82), wenngleich auch - zu Recht - auf sich hierdurch ergebende gravierende Schwierigkeiten in der Praxis bzgl. des Blindheitsnachweises aufmerksam gemacht wird (a. a. O.).

2. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens besteht beim Kläger eine hochgradige Einschränkung aller Sinnesfunktionen (vgl. das o.g. Gutachten von Prof. Dr. G.). Unklar bleibt, ob und inwieweit das visuelle System stärker betroffen ist als die anderen Sinnesmodalitäten. Hierauf kommt es jedoch nicht (mehr) an. Soweit das BSG in seiner bisherigen Rechtsprechung für den Blindengeldanspruch verlangt hatte, dass bei zerebralen Schäden eine spezifische Störung des Sehvermögens vorliegt, hat es im Urteil vom 11.08.2015 (a. a. O.) hieran nicht mehr festgehalten. Zur Aufgabe dieser Rechtsprechung hat sich das BSG aufgrund von Erkenntnisschwierigkeiten sowie unter dem Aspekt der Gleichbehandlung veranlasst gesehen (vgl. näher a. a. O.). Ebenfalls aufgegeben in der genannten Entscheidung hat das BSG die in der früheren Rechtsprechung getroffene Unterscheidung zwischen dem „Erkennen“ und dem „Benennen“ als so verstandene Teilaspekte bzw. Teilphasen des Sehvorgangs, da die Differenzierung gerade bei zerebral geschädigten Menschen vielfach medizinisch kaum nachvollzogen, d. h. die Ursache der Beeinträchtigung des Sehvermögens nicht genau bestimmt werden kann. Nach der Rechtsprechung des BSG ist für den Anspruch auf Blindengeld vielmehr allein entscheidend, ob es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung „Sehen (optische Reizaufnahme und deren weitere Verarbeitung im Bewusstsein des Menschen) fehlt, ob der behinderte Mensch blind ist“.

Der Senat fühlt sich an diese (neue) Rechtsprechung des BSG gebunden.

Die bestehende Unsicherheit hinsichtlich des Vorliegens einer spezifischen Sehstörung hindert vorliegend die Annahme eines Blindengeldanspruchs also nicht.

3. Beim Kläger ist Blindheit jedoch nicht nachgewiesen.

Es liegt weder Lichtlosigkeit gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG vor noch sind die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 BayBlindG erfüllt. Es ist nicht zur Gewissheit des Senats dargelegt, dass der Kläger das Augenlicht vollständig verloren hätte oder dass die Sehschärfe des Klägers entsprechend der gesetzlichen Vorgabe auf 1/50 (0,02) oder weniger herabgesunken wäre (Nr. 1 der genannten Vorschrift). Gleiches gilt für eine der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachtende Sehstörung (Nr. 2).

Wie der Senat wiederholt (vgl. z. B. Urteil vom 20.01.2015, Az.: L 15 BL 16/12) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d. h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92).

Wie der Beklagte zutreffend annimmt, hat sich durch die neue Rechtsprechung des BSG (a. a. O.) an der Erforderlichkeit der Prüfung, ob die visuellen Fähigkeiten des Betroffenen (nun: optische Reizaufnahme und Verarbeitung etc.) unterhalb der vom BayBlindG vorgegebenen Blindheitsschwelle liegen, nichts geändert. Nach der Rechtsprechung des Senats kam es schon bisher in den Fällen umfangreicher zerebraler Schäden auf das Erfordernis einer spezifischen Störung des Sehvermögens nicht (mehr) an, wenn bereits Zweifel am Vorliegen von Blindheit bestanden (Urteil vom 27.11.2013, Az.: L 15 BL 4/11). Der Blindheitsnachweis muss somit auch weiterhin erbracht werden (vgl. Braun, Neue Regeln für den Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 2016, S. 134, 135: keine allgemeine „Entwarnung“).

a) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann der Kläger den Nachweis nicht führen, dass sein Sehvermögen unterhalb der gesetzlichen Blindheitsschwelle liegt. Dies ergibt sich bereits ohne Weiteres aus dem - mit Ausnahme der vom Sachverständigen getroffenen „persönlichen Einschätzung“ plausiblen - Gutachten vom Prof. Dr. G. vom 11.07.2012. Der Senat macht sich die getroffenen sachverständigen Feststellungen (mit der genannten Ausnahme) zu eigen. Entsprechend den nachvollziehbaren Darlegungen von Prof. Dr. G. hat der Kläger das Augenlicht nicht vollständig verloren, was sich bereits aus Untersuchungen mit dem Bonnoskop ergeben hat. Nach den plausiblen Darlegungen des Sachverständigen kann nicht zweifelsfrei geklärt werden, ob die Beeinträchtigungen des Klägers so groß sind, dass sie selektiv das Sehvermögen so weit herabsetzen, dass dieses einem Visus von 1/50 oder weniger entspricht. Wie Prof. Dr. G. im Einzelnen dargelegt hat, ist die Angabe einer Sehschärfe des Klägers - auch eines Näherungswertes - und somit eine Einschätzung des Sehvermögens nicht sicher möglich. Die eingeschränkte Pupillenmotorik des Klägers legt eine hochgradige Sehbeeinträchtigung nahe; allerdings ist entsprechend den Feststellungen des Gutachters der Sehnerv auf beiden Augen vital und zeigt keinerlei Zeichen einer Atrophie. Eine direkte Läsion des Sehnervs oder eine solche der hinteren Sehbahn als alleinige Ursache für eine Visusherabsetzung ist sehr unwahrscheinlich, weil eine Läsion dort, wie Prof. Dr. G. plausibel dargestellt hat, durch eine sogenannte transsynaptische Degeneration zu einer Aufhellung des Sehnervs führen würde, die beim Kläger aber nicht zu erkennen ist. Wegen der aufgehobenen bzw. stark beeinträchtigten Kooperationsbereitschaft des Klägers ist eine Klärung des Sehvermögens durch den Einsatz von Messverfahren nicht möglich. Somit beruht die Einschätzung des Sehvermögens ausschließlich auf Reaktionen des Klägers auf angegebene Optotypen oder Lichtreize. Dies ist jedoch nicht ausreichend, um mit Sicherheit sagen zu können, ob das Sehvermögen 1/50 oder weniger oder vielleicht auch ein 1/20 oder weniger beträgt, wie der Sachverständige ausdrücklich klargestellt hat. Somit kann der Blindheitsnachweis nicht geführt werden, da eine Quantifizierung und Qualifizierung des Sehvermögens an den allgemeinen Beeinträchtigungen des Klägers und auch an den weiteren vorliegenden medizinischen Besonderheiten scheitert.

Hinzu kommt, dass, wie aufgrund des Gesamtergebnisses der Beweisaufnahme feststeht, kein objektiver Strukturbefund gegeben ist, der die massive Sehstörung bzw. eine mögliche Blindheit des Klägers erklären könnte. Wie der Beklagte zudem zutreffend darauf hingewiesen hat, gilt Entsprechendes auch für eine plausible Grunderkrankung, die zu einer Aufhebung des Sehvermögens führen würde.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vom Kläger gezeigten Sehleistungen. Der Klägerseite ist durchaus zuzugestehen, dass vorliegend lediglich Untersuchungsergebnisse gegeben sind, die im Wesentlichen nur basale Reaktionen im Bereich des Sehens beschreiben. Der Rückschluss der Klägerseite hieraus, der Kläger könne auch nur noch diese basalen Reaktionen zeigen, weil er zu weiteren visuellen Leistungen nicht (mehr) in der Lage sei, ist jedoch unzulässig. Denn, worauf auch der Beklagte zu Recht hingewiesen hat, „eine fehlende oder nicht adäquate Reaktion auf optische Reize“ kann „nur dann als Beleg für Blindheit gewertet werden, wenn bei erhaltener - teilweiser - Untersuchbarkeit eine zuverlässige reproduzierbare Kommunikation mit dem sehbehinderten Menschen möglich ist“ (vgl. Braun, a. a. O., S. 134). Für den Senat bleibt letztlich nicht aufklärbar, auf welchen Ursachen die sehr eingeschränkten Reaktionen im Bereich des Sehens beruhen; auf den fehlenden morphologischen Befund ist bereits hingewiesen worden.

Der Blindheitsnachweis ist im Übrigen auch keineswegs durch die abschließende Äußerung des Sachverständigen in seinem Gutachten geführt, er persönlich gewichte die Sehstörung des Klägers als so komplex und ausgeprägt, dass er sie mit einer faktischen Erblindung vergleichen würde. Diese „persönliche Einschätzung“, die bereits per se unzulässig ist, beruht nämlich auf der falschen, ausdrücklich geäußerten Annahme, die Frage nach einer Erblindung sei eine „reine Ermessensfrage“. Auch wenn dies sicherlich nicht im juristischen Sinn gemeint gewesen sein dürfte, so geht sie doch von der falschen Grundannahme aus, dass das Herabsinken des Sehvermögens unter die gesetzlich normierte Blindheitsschwelle des Art. 1 Abs. 2 BayBlindG auch anhand sonstiger, nicht genau definierter Kriterien bestimmt bzw. angenommen werden könne. Dies ist unzutreffend.

Zwar hat der Senat in seinem Urteil vom 31.01.2013 (Az.: L 15 BL 6/07) im Einzelnen dargelegt, dass in besonderen Ausnahmefällen spezieller Krankheitsbilder die Annahme von Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der VG (bzw. der Richtlinien der DOG) nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Damit bedarf es in speziellen, seltenen Ausnahmefällen durchaus einer gewissen Wertung des medizinischen Sachverständigen, ob trotz der noch besseren Sehschärfe- und Gesichtsfeldwerte wegen zusätzlicher Einschränkungen der Sehleistung - also wegen der (nahezu) zwingenden Vergleichbarkeit des gemäß den gesetzlichen Vorgaben weitgehend eingeschränkten Visus/Gesichtsfelds einerseits mit der Situation von geringeren Einschränkungen (die jedoch immer noch erheblich sind) zuzüglich weiterer massiver Einschränkungen andererseits - der Fall des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 2 BayBlindG gegeben ist.

Ein solcher Fall liegt hier aber gerade nicht vor. Denn die Voraussetzungen für die Annahme von Blindheit ausnahmsweise außerhalb der normierten Fallgruppen der VG bzw. DOG sind vorliegend nicht gegeben. Sie bestehen nämlich vor allem darin, dass die (Nicht-)Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayBlindG geklärt ist, dass also feststeht, ob das Sehvermögen unter die normierten Werte herabgesunken ist bzw. welche Werte im Einzelnen erreicht werden. So liegt es vorliegend jedoch gerade nicht, da, wie oben im Näheren dargelegt, nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, welches Sehvermögen der Kläger überhaupt hat. Es genügt jedoch nicht, dass nur feststeht, dass der Kläger ein sehr schlechtes Sehvermögen hat. Dies würde den vom bayerischen Gesetzgeber gemachten und von den VG bzw. den sachverständigen Festlegungen der DOG konkretisierten Vorgaben (s.o.) widersprechen. Der Gesetzgeber hat gerade keine hochgradige Sehbehinderung mit Werten unterhalb der hier maßgeblichen Grenze ausreichen lassen (kein Blindengeld für „beinahe blinde Menschen“). Die Wertung des Sachverständigen betrifft vorliegend also gar nicht die zusätzliche Berücksichtigung spezieller, weiterer Sehbeeinträchtigungen, sondern die Visus- und Gesichtsfeldwerte selbst. Dies ist nach der o.g. Rechtsprechung des Senats aber nicht zulässig.

Im Übrigen widerspricht die persönliche Gewichtung von Prof. Dr. G. - unabhängig von den eben aufgezeigten Aspekten bezüglich der Senatsrechtsprechung vom 31.01.2013 (a. a. O.) - seiner eigenen unmissverständlichen Feststellung, dass das Ausmaß der Sehbeeinträchtigung des Klägers eben nicht genau festgestellt werden kann.

b. Auch eine visuelle Verarbeitungsstörung ist nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 11.08.2015, a. a. O.) ist jedenfalls in den Fällen zerebraler Schäden ferner auch zu prüfen, ob die Fähigkeit zur „Verarbeitung im Bewusstsein“ des sehbehinderten Menschen beeinträchtigt bzw. aufgehoben ist. Ein solcher Nachweis kann vorliegend ebenfalls nicht geführt werden. Auch insoweit fehlt das morphologische Korrelat. Zudem ergibt auch das klinische Bild des Klägers vorliegend keine Belege und vor allem keinen sicheren Nachweis dafür, dass das Vermögen des nicht bewusstlosen Klägers, visuelle Reize zu verarbeiten, aufgehoben wäre. Insbesondere kann nicht sicher geklärt werden, weshalb der Kläger nur auf Lichtreize (schwach) reagiert. Neben einer visuellen Verarbeitungsstörung können auch sonstige Ursachen hierfür maßgeblich sein. Für den Senat liegen insoweit eine mangelnde Kooperationsbereitschaft (Motivationsstörung), worauf der Sachverständige hingewiesen hat, bzw. Defizite in den kognitiven Bereichen der Aufmerksamkeit (Wachsamkeit und Konzentration) und Gedächtnis als Ursachen sehr nahe (vgl. Braun/Zihl, a. a. O.).

Somit sind keine sicheren Anhaltspunkte für eine Verarbeitungsstörung gegeben, was im Hinblick auf die (weitgehend) unklare Grundproblematik der schweren Gesundheitsstörungen des Klägers nicht überrascht.

Aus Sicht des Senats ist es zwar nicht auszuschließen, dass der Kläger die Blindheitsschwelle des Art. 1 Abs. 2 BayBlindG unterschritten hat. Dafür fehlt es aber jedenfalls am notwendigen Beweis. Kann das Gericht bestimmte Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen (non liquet), so gilt - wie oben bereits erwähnt - der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. z. B. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 11. Aufl., § 103, Rdnr. 19a, mit Nachweisen der höchstrichterlichen Rspr.). Der Kläger muss daher nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Folgen tragen, dass eine (große) Ungewissheit bezüglich der für ihn - rechtlich, d. h. für den geltend gemachten Anspruch - günstigen Tatsachen verblieben ist. Denn für das Vorliegen der Voraussetzungen der Blindheit gemäß Art. 1 Abs. 2 BayBlindG trägt der sehbehinderte Mensch die objektive Beweislast. Beweiserleichterungen gelten vorliegend nicht (vgl. Urteil des BSG vom 11.08.2015, a. a. O.; ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. auch Braun, a. a. O.).

Der Senat hat alle Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Gesichtspunkte, die zu weiteren Ermittlungen hätten veranlassen müssen, sind nicht erkennbar. Auch die Klägerseite hat die Auffassung vertreten, dass offenkundig keine weiteren Aufklärungsmöglichkeiten bestehen (Schriftsatz vom 20.07.2012).

Diesem vorliegend gefundenen Ergebnis steht auch nicht die frühere Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 27.11.1997, Az.: L 15 BL 10/96) entgegen. Damals hat der Senat einem Kleinkind, bei dem naturgemäß eine genaue Untersuchung nicht möglich war und das später eine Sehschärfe von 0,3 erreicht hat, Blindengeld zugesprochen. Er hat in der Begründung ausgeführt, dass die fehlenden Möglichkeiten apparativer Untersuchung einen gerichtlichen Sachverständigen nicht daran hindern können, seine ärztliche Erfahrung in die Beurteilung einzubringen und in Verbindung mit den vorliegenden Befunden daraus zu schließen, dass die Anspruchsvoraussetzungen für einen gewissen Zeitraum gegeben sind. Daraus ist abgeleitet worden, dass die Funktionsbestimmung gerade im Kindes- und Kleinkindalter unsicher sein könne und dass am besten entsprechende Nachuntersuchungen erfolgen sollten (z. B. Rohrschneider, Augenärztliche Begutachtung im sozialen Entschädigungs- und Schwerbehindertenrecht und bei Blindheit, in: MedSach, 1/2012, S. 9). Bereits hieraus wird aber deutlich, dass die Sachlagen nicht vergleichbar sind. Zwar ist auch vorliegend eine genauere Untersuchung nicht möglich. Der Senat hat jedoch in der damaligen Entscheidung auf eine rückschauende Beurteilung und die später gewonnenen Erkenntnisse, d. h. die später erhobenen genaueren Befunde abgestellt. Solche liegen im streitgegenständlichen Fall aber gerade nicht vor.

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

I.

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 28. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Versorgung nach dem Impfschadensrecht gemäß §§ 60 ff. Infektionsschutzgesetz (IfSG).

Die Klägerin wurde am ... 2001 mit einem Gestationsalter von 30 Wochen und einem Tag (durch Kaiserschnitt) geboren. Mit Bescheid vom 24.03.2003 wurde für sie ein GdB von 100 festgesetzt unter Berücksichtigung einer Hirnschädigung mit Anfallsleiden, Tetraspastik und Blindheit. Die Klägerin befand sich ab 19.11.2001 im Klinikum A-Stadt, Kinderklinik. Im Entlassungsbericht vom 19.03.2002 wurde u.a. über ein Schädelsonogramm vom 09.01.2001 berichtet. Darin heißt es: „Beidseits im frontoparietalen paraventrikulären Marklager jetzt Nachweis mehrerer kleiner maximal 8 x 5 mm großer porenzephaler Zysten. Beide SV nicht vergrößert. Basalganglien und Balken unauffällig.“ Es folgt die Beurteilung, dass sich die Zysten bds. im Sinne einer sich organisierenden periventrikulären Leukomalazie (PVL) nachweisen hätten lassen. Am 24.01.2002 habe sich, so der Bericht, ein im Wesentlichen unveränderter Befund einer PVL in zystischer Umwandlung, vor allem periventrikulär bds. ergeben. Die äußeren Liquorräume seien geringgradig erweitert gewesen. In dem Bericht werden auch evozierte Potentiale vom 24.01.2002 beschrieben - bei den visuell evozierten Potentialen seien keine Reizantworten erhaltbar gewesen. Im Entlassungsbefund wird neben weiteren unauffälligen Befunden u.a. ausdrücklich festgestellt: „Neurologisch unauffällig“.

Die Klägerin erhielt am 27.03.2002 durch die Kinderärztin Dr. S. die streitgegenständliche Sechsfachimpfung gegen Tetanus, Diphterie, Pertussis, Hepatitis, Poliomyelitis und Haemophilus influenzae Typ b; zum Einsatz kam der Impfstoff Hexavac.

Am 25.05.2009 stellte die Klägerin über ihre Vertreter beim Beklagten Antrag auf Versorgung unter Berufung auf bestehende Epilepsie, Blindheit, massive Spastik der Arme und Beine sowie massive körperliche Beeinträchtigungen. Der Beklagte zog die zahlreichen medizinischen Befundunterlagen bei und wertete diese aus. Vom 14.04.2002 bis 03.05.2002 befand sich die Klägerin (erneut) in der Kinderklinik des Klinikums A-Stadt; im Entlassungsbericht vom 21.05.2002 wird der Bericht der Mutter der Klägerin geschildert, dass Letztere bereits während des postpartalen stationären Aufenthalts nur zögerlich an der Brust getrunken habe, weswegen kurz nach der Entlassung die Umstellung auf Muttermilchersatz erfolgt sei. Auch danach hätten sich die Ernährungsprobleme fortgesetzt. Eine Steigerung der Trinkmenge sei, so der Bericht über den Aufenthalt im April/Mai 2002, nicht möglich gewesen; des Weiteren zeige die Klägerin außerhalb der Fütterungszeiten eine vermehrte Unruhe und unstillbares Schreien. In einem weiteren Bericht des Klinikums A-Stadt vom 17.06.2002 wurde angegeben, dass bei der Klägerin objektiv bisher nie Anfälle gesehen worden seien. Im Arztbrief der F-Klinik vom 06.12.2002 wurde geschildert, dass die Klägerin im Mai 2002 wegen Nahrungsverweigerung im Zentralklinikum A-Stadt stationär vorgestellt worden sei; es seien bis dahin keine epileptischen Anfälle aufgetreten. Weiter wird u.a. ein aktuelles Anfallsgeschehen geschildert. Vom 17.06 bis 17.07.2003 wurde die Klägerin im Behandlungszentrum V. therapiert; der Bericht vom 12.08.2003 schildert die Angaben der Mutter der Klägerin, dass sich diese 14 Tage nach der Impfung erstmals für die Eltern auffällig gezeigt habe, initial habe sich lediglich eine Blickdeviation nach rechts gezeigt, schließlich mehrfach BNS-artige Anfälle. Die Anfallsanamnese werde, so der Bericht, sodann beginnend mit Juli 2002 geschildert und auf ein erstes Anfallsereignis im Juli 2002 Bezug genommen. Im Bericht des Facharztes für Kinderheilkunde und Jugendmedizin Prof. Dr. Dr. V., Kinderzentrum M-Stadt, vom 31.05.2007 sprach sich dieser gegen einen Zusammenhang der Mehrfachimpfung mit der Tetraspastik und der Epilepsie aus. Prof. Dr. Dr. V. ging davon aus, dass eine Blutung doch über längere Zeit stattgefunden habe und damit intrauterin eine Hypoxie ausgelöst habe.

Nach zwei versorgungsärztlichen Stellungnahmen (25.08.2009 und 23.09.2009) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 28.10.2009 den Antrag auf Beschädigtenversorgung ab. Weder die Tetraspastik noch die Epilepsie, so die Begründung, seien durch die Mehrfachimpfung hervorgerufen worden; mit der nötigen Wahrscheinlichkeit seien auch weder die Blindheit noch die massiven körperlichen Beeinträchtigungen auf die Impfung zurückzuführen. Es spreche alles dafür, dass die Klägerin schon vor der Geburt gefährdet gewesen sei und dass es dann perinatal erneut zu einer Schädigung gekommen sei.

Hiergegen erhob die Klägerin am 10.11.2009 Widerspruch unter Vorlage einer medizinischen Stellungnahme des Allgemeinarztes (Naturheilverfahren) Dr. R. vom 20.01.2010 samt zahlreichen Anlagen. Im Wesentlichen verwies der Arzt darin auf eine 18 Tage nach der Impfung erstmals diagnostizierte Befundveränderung bei der Klägerin im Sinne einer dramatischen Verschlechterung. Es seien von der Mutter Trinkschwierigkeiten und Schreiphasen beschrieben worden. Weiter verwies Dr. R. auf eine am 02.02.2002 unter Vollnarkose stattgehabte Operation einer Leistenhernie und eines Hämangioms. Die Impfung am 27.03.2002 sei zu kurz nach dieser Vollnarkose erfolgt, zudem sei die Klägerin als Frühgeborene zu früh geimpft worden. Vorher habe ein normaler Frühgeborenenstatus bestanden. Die vaginale Blutung der Mutter sei keine Ursache für die gesundheitlichen Störungen der Klägerin. Eine Kausalität zwischen der Uterus- und Vaginalblutung und den schlimmen gesundheitlichen Veränderungen könne nicht bewiesen werden. Weiter wurde hervorgehoben, dass die Klägerin die Impfung mit Hexavac nicht überlebt hätte, wenn sie nicht „ursprünglich so robust gewesen wäre“.

Im Widerspruchsverfahren beauftragte der Beklagte Prof. Dr. K. mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage. In dem Gutachten vom 22.05.2010 hob dieser insbesondere hervor, dass bereits vor der streitgegenständlichen Impfung Gesundheitsstörungen bestanden hätten, und verwies dabei auf den Nachweis von Leukomalazie. Die Behinderungen der Klägerin seien ausschließlich Folge einer schweren perinatalen zerebralen Störung; für die funktionelle Blindheit könne zusätzlich eine angeborene Fehlbildung diskutiert werden. Der Manifestationszeitpunkt des Anfallsleidens bzw. seiner EEG-Merkmale sei nicht bekannt; sollte er in den Bereich zu aktzeptierender postvakzinaler Inkubationszeit nach der Hexavac-Impfung fallen, handle es sich um einen rein gelegenheitsursächlichen Zusammenhang. Es habe durchaus Impfschäden nach Hexavac gegeben. Im hier vorliegenden Fall der Klägerin sei ein solcher jedoch zuverlässig auszuschließen. Es gebe keine Veranlassung und keinen Hinweis dafür, über den vorliegenden eindeutigen kausalen Zusammenhang hinaus über eine ruhende Anlage bzw. Disposition ohne manifeste Gesundheitsstörungen zu sprechen. In seinem Gutachten setzte sich Prof. Dr. K. u.a. auch näher mit den Darlegungen des Arztes Dr. R. auseinander.

Im Einzelnen verwies der Sachverständige in seinem Gutachten u.a. auf das epidemiologische Bulletin vom 22.06.2007 (Ziff. 8) der Ständigen Impfkimmission beim Robert-Koch-Institut in Berlin (STIKO), wo für den Impfstoff Hexavac, bei dem es „zu Verwicklungen“ gekommen sei, die nach Imfpungen üblichen vorübergehenden und hinzunehmenden Lokal- und Allgemeinreaktionen, ferner im Sinne von Komplikationen einen sog. Fieberkrampfes, allergische Reaktionen und hypoton-hyporesponsive Episoden, akzeptiert worden seien. Darüber hinausgehende Komplikationen habe die STIKO „in einem auffällig wortreichen Text“ abgelehnt, dessen Endergebnis aber, so der Sachverständige, aus den Perspektiven der Logik ebenso wie neuropädiatrisch akzeptiert werden müsse. Prof. Dr. K. hat jedoch darauf hingewiesen, dass für die Anerkennung eines Impfschadens nicht die Schadensträchtigkeit des Impfstoffes genüge. So müsse vor der Impfung zumindest hinsichtlich des geltend gemachten Impfschadens ein gesundes Kind vorgelegen haben. Das sei bei der Klägerin jedoch nicht der Fall gewesen - von einem prävakzinal gesunden Kind könne keine Rede sein. Innerhalb der zu akzeptierenden postvakzinalen Inkubationszeit müsse es zu einem typischen postvakzinalen Akutschaden (Impfschaden im engeren Sinne) kommen. Im vorliegenden Fall gebe es hierzu keine entsprechende anamnestische Notiz; ein Hirnödem sei mit Blick auf die Umfangmessung sowie das vorliegende Sonogramm ausgeschlossen und bei einer Erstimpfung auch sehr unwahrscheinlich. Auch gebe es keine akut enzephalopathische Symptomatik. Andere, insbesondere übergewichtige Ursachen müssten für die Anerkennung eines Impfschadens, ausgeschlossen sein. Hier sei das Gegenteil der Fall.

Im Gefolge der Notsectio am 19.11.2001 habe ein deutlich beeinträchtigter Zustand des Kindes bestanden. Dementsprechend sei dann durch die Hypoxie und Dyszirkulation eine intraventrikuläre Blutung mit erwartbarem anschließenden Nachweis von Leukomalazie gekommen. Prof. Dr. K. hat darauf hingewiesen, dass Frühgeborene mit einer derartigen Vorgeschichte und mit derartigen bildgebend dokumentierten Hirnschäden bei der Entlassung aus dem Krankenhaus nicht selten äußerlich noch keine neurologischen Auffälligkeiten zeigen würden; die hierzu nötigen Fristen und anatomischen sowie funktionalen Hirnreifungsschritte müssten erst noch absolviert werden. Gleichwohl sei es nicht korrekt, wenn der Entlassungsbericht der Kinderklinik A-Stadt „quasi blauäugig“ von Unauffälligkeit berichte. Die Hirnschädigung sei bildgebend ebenso wie die Beeinträchtigung der Hörbahn und die massive Schädigung der Sehbahn dokumentiert. Dass die Mutter das Kind für gesund gehalten habe, sei, so Prof. Dr. K., schon aus ihrer Rolle als Mutter nicht zu verwundern. Dass Dr. S. nichts bemerkt habe, zeige mangelnde neonatologische und neuropädiatrische Qualifikation.

U.a. hat der Gutachter auch hervorgehoben, dass der Wechsel der Verlaufskurve des Kopfumfangs von der 80. Perzentile bei der Geburt bis unter die dritte Perzentile zur Mikrozephalie aus neuropädiatrischer Perspektive „absolut unmöglich“ auf die Impfung vom 27.03.2002 zurückgehen könne. Völlig Gleiches gelte auch für die Differenzen der hirnsonographischen Befunde vom April gegenüber Januar 2002.

Aus einer Schädigung der zerebralen motorischen Zentren und Bahnen resultiere bekanntlich zunächst eine motorische Schlaffheit. Erst nach mindestens sechs Wochen, so Prof. Dr. K., oft aber auch erst nach Monaten, stelle sich zunehmend die dann definitive Spastik ein. Die im April 2002 festgestellte Tetraspastik könne also nicht auf ein Schadensereignis im Anschluss an die Impfung vom 27.03.2002 bezogen werden. Die Schädigung der Hörbahn und das maximale Versagen der Sehbahn seien schon im Januar 2002 (mit den evozierten Potentialen) dokumentiert worden; auch hier sei also der Bezug auf ein Schadensereignis Ende März 2002 klar zu widerlegen. Es sei nicht bekannt, wann die Hypsarrhythmie und BNS-Anfälle (mit anschließender Ausweitung auch zu anderen Anfallsbildern) begonnen hätten. Bekannt sei jedoch, dass angesichts des massiven Schadensbildes im Gefolge perinataler Hirnschädigung mit ganz erheblicher Wahrscheinlichkeit nach Ablauf der hierbei üblichen Frist von Monaten auch mit der Manifestation eines symptomatischen Anfallsleidens zu rechnen gewesen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.2010 wies der Beklagte den Widerspruch unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Gutachters Prof. Dr. K. als unbegründet zurück.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 16.09.2010 Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben. Erst am 09.12.2011 hat sie nach einer Betreibensaufforderung des SG die Klage begründet. Dabei hat sie auf die Widerspruchsbegründung und auf das „Gutachten“ von Dr. R. verwiesen.

Zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts hat das Gericht einen Befundbericht der Kinderärztin Dr. S. vom 17.01.2012 eingeholt. Darin ist über die Erstvorstellung am 22.01.2002 berichtet worden, wonach sich im Wesentlichen ein unauffälliger interner Untersuchungsbefund ergeben habe; auch neurologisch hätten sich keine Besonderheiten feststellen lassen. Bei der Vorsorgeuntersuchung 4 (U 4) am 27.03.2002 seien erstmalig ein deutlich erhöhter Muskeltonus aller vier Extremitäten und eine vermehrte Streckstellung der Beine aufgefallen. Wegen Verdachts auf eine beginnende zerebrale Bewegungsstörung sei Krankengymnastik verordnet worden. Da der Untersuchungsbefund sonst regelrecht gewesen sei, insbesondere auch das Gewicht und das Größenwachstum, habe die von der STIKO empfohlene Sechsfachimpfung durchgeführt werden können. Nach der Impfung seien keine Besonderheiten und kein Fieber aufgetreten. Von ihr, Dr. S., sei die Klägerin erst wieder zur U 5 am 09.07.2002 gesehen worden. Bei weiterhin gutem Gedeihen und unauffälligem internistischen Befund habe nur ein rezidivierender Schnupfen gestört; zerebrale Krampfanfälle seien von der Mutter nicht wahrgenommen worden. Die neurologische Untersuchung habe unverändert Auffälligkeiten im Sinne einer zerebralen Bewegungsstörung ergeben.

Sodann hat das SG Beweis erhoben durch ein Sachverständigengutachten von Prof. Dr. H., Arzt für Kinder- und Jugendmedizin sowie für Neurologie, Schwerpunkt Neuropädiatrie, das dieser am 17.01.2014 erstellt hat. Hierfür ist ein neuroradiologisches Zusatzgutachten von Prof. Dr. E. angefertigt worden. Die Sachverständige hat am 19.12.2013 aufgrund der am 09.12.2013 erstellten MRT das Gutachten angefertigt. Sie hat festgestellt, dass bei der Klägerin das Bild einer deutlichen Schädigung der periventrikulären weißen Substanz vorliege, wie sie nur im noch unreifen Gehirn, also vor der 37. Gestationswoche auftrete. Dieses Schädigungsmuster werde auch als PVL bezeichnet. Neben den deutlichen eckkantigen Erweiterungen lägen bei der Klägerin auch deutliche subependymale Gliosezonen vor. Gliosezonen entstünden erst ab einem Gestationsalter von ca. 26 Wochen, so dass der Schädigungszeitraum, der die morphologischen Veränderungen bei der Klägerin hervorgerufen habe, zwischen der 26. und der 36. Gestationswoche liegen müsse. Dies sei sehr gut vereinbar mit der Anamnese der Klägerin als ehemaliges Frühgeborenes aus der frühen 31. Schwangerschaftswoche. Residuen von typischen mit einer Impfung assoziierten Schädigungen sehe sie, Prof. Dr. E., hingegen nicht. Das in der MRT vorliegende Schädigungsmuster könne nicht durch die beschriebene Impfung ausgelöst worden sein, da die Schädigung vom Muster her vor der 36. Gestationswoche stattgefunden haben müsse, wo hingegen die Impfung deutlich später erfolgt sei.

In seinem Gutachten hat Prof. Dr. H. zunächst die Angaben der Mutter geschildert. In den ersten Wochen nach der Geburt habe sich im Vergleich zu den beiden älteren Geschwistern eine ähnliche und unauffällige Entwicklung, insbesondere hinsichtlich des Trink- und Schlafverhaltens, ergeben. Am nächsten Tag nach der Sechsfachimpfung habe die Klägerin nach Angaben der Mutter deutliche Unruhe gezeigt, die sich im Verlauf der folgenden Woche dramatisch gesteigert habe, so dass erneut eine stationäre Aufnahme mit „Fixation“ und Sedierung im Klinikum A-Stadt erfolgt sei. Seitdem bestehe dann nach dem, was den Eltern gesagt worden sei, ein schwerer Hirnschaden; ursächlich sei die PVL, die sich nun deutlich zystisch demarkiert gehabt habe. Die Klägerin sei ein ehemaliges Frühgeborenes und leide wegen der Tatsache der Frühgeburtlichkeit an typischen und gravierenden Komplikationen. Zudem bestünden Komorbiditäten. Prof. Dr. H. hat festgestellt, dass bei der Klägerin keine Gesundheitsstörungen aufgetreten seien, die grundsätzlich hinsichtlich der Impfung am 27.03.2002 als Impfschaden in Frage kommen könnten. Grund hierfür sei, dass alle Gesundheitsstörungen der Klägerin biologisch eindeutig und in ihrem Verlauf typisch auf die Frühgeburtlichkeit und ihre Komplikationen bezogen seien, mit nachgewiesenem Schädigungsmuster und damit eindeutig belegtem Schädigungszeitpunkt. Diese Störungen könnten biologisch nur als Komplikation der Frühgeburtlichkeit (als PVL) auftreten bis etwa zum Zeitpunkt der 36. Schwangerschaftswoche. Ein solches Schädigungsmuster könne auch grundsätzlich nicht mehr später im Gehirn - auch nicht spekulativ - auftreten. Daher gebe es auch keine Gesundheitsstörungen, die bezogen auf die genannte Impfung als gesichert angenommen werden könnten. Es gebe demzufolge auch keine Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Verursachung der Gesundheitsstörungen durch die vorangegangene Impfung. Es gebe auch keine Wahrscheinlichkeit, nach der ein Impfschaden weitere Gesundheitsschäden (Dauerleiden) verursacht haben könnte.

Ein GdS könne also nicht angenommen werden. Da die Frage nach der Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs eindeutig und medizinisch belegbar mit nein beantwortet werde, lägen auch die Voraussetzungen für diese Gesundheitsstörungen als Impfschaden im Sinne der sog. Kannversorgung nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung, nicht vor.

Nachdem die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt hatten, hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 28.10.2014 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass aus seiner Sicht ein über die übliche Impfreaktion hinausgehender Gesundheits-(Erst-)Schaden im Gefolge der Impfung vom 27.03.2002 nicht nachgewiesen sei. Damit schieden eine Impfschadensanerkennung und auch eine Kannversorgung aus. Mit der PVL und der BNS lägen Gesundheitsstörungen ohne Impfzusammenhang vor. Auch seien keine sonstigen Gesundheitsstörungen gegeben. Anhaltspunkte für eine Impfreaktion seien nicht vorhanden, u.a. auch kein Fieberkrampf. Aus Sicht des SG komme bei sehr engem zeitlichen Zusammenhang von Impfreaktionen (wie beispielsweise auch schrillem Schreien und Ausbildung erster Anfallszeichen binnen Stunden bis wenige Tage nach der Impfung) bei fehlenden anderen differentialdiagnostischen und ätiologischen Hinweisen eine Impfschadensanerkennung in Betracht. Solche Anhaltspunkte vermöge das SG jedoch im vorliegenden Fall nicht zu erkennen; dabei hat das SG insbesondere auch auf die Ausführungen von Prof. Dr. K. hingewiesen.

Gegen den Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 28.11.2014 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) erhoben und diese mit dem Verweis auf die Widerspruchsbegründung sowie das „Gutachten“ von Dr. R. (s.o.) begründet. Zudem ist vorgetragen worden, dass die Kläger vor der Impfung gesund gewesen sei.

Mit Schriftsatz vom 17.02.2015 hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass es sich bei den Äußerungen von Dr. R. um eine ärztliche Stellungnahme handle, die durch das klinisch-wissenschaftliche Kausalitätsgutachten von Prof. Dr. K. und durch das Gerichtsgutachten von Prof. Dr. H. eindeutig widerlegt sei.

Die Anfrage des Senats, was an dem vom SG eingeholten Gutachten aus klägerischer Sicht unzutreffend sei, und die Aufforderung, die Berufung näher zu begründen, blieben von Klägerseite unbeantwortet. Trotz Erinnerung an eine ausführlichere Berufungsbegründung etc. ist diese nicht erfolgt; die Bevollmächtigte hat am 22.04.2016 lediglich bekannt gegeben, die Berufung nicht zurückzunehmen, und hat am 31.05.2016 schließlich erklärt, mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden zu sein. Eine entsprechende Erklärung hat der Beklagte am 21.04.2016 abgegeben.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des SG München vom 28.10.2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 28.10.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.08.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Gesundheitsstörungen Epilepsie, massive Spastik der Arme und Beine, Blindheit sowie massive körperliche Beeinträchtigungen als Schädigungsfolgen der am 27.03.2002 erfolgten Impfung gegen Tetanus, Diphterie, Hepatitis B, Polio, Pertussis und Haemophilus influenzae Typ b anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die erstinstanzliche Akte des SG sowie die Impfschadensakte des Beklagten zum Verfahren beigezogen, auf deren Inhalt sowie auf den Inhalt der streitgegenständlichen Berufungsakte im Übrigen zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen wird. Sämtlicher Inhalt war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Gründe

Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG. Hieran war er auch nicht im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention gehindert (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 153, Rdnr. 13a), weil das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat. Denn für die Klägerin bestand im Berufungsverfahren die Möglichkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung; sie hat hierauf jedoch verzichtet.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Bescheid vom 28.10.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung der geltend gemachten Gesundheitsstörungen Epilepsie, massive Spastik der Arme und Beine, Blindheit sowie massive körperliche Beeinträchtigungen als Schädigungsfolgen im Sinne des IfSG.

Das Begehren der Klägerin scheitert daran, dass zwischen der angeschuldigten Impfung am 27.03.2002 und den bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen kein Kausalzusammenhang im versorgungsrechtlichen Sinn wahrscheinlich ist. Ferner liegen auch die Voraussetzungen für die sog. Kannversorgung nicht vor.

1.) Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG (in den seit dem 27.03.2002 bis zum Tag der Entscheidung des BayLSG geltenden Fassungen, weil nach dem Grundsatz des intertemporalen Rechts - vgl. dazu BSG, Urteil vom 04.09.2013 - B 10 EG 11/12 R, m.w.N., BayLSG, Urteil des erkennenden Senats vom 26.04.2012 - L 15 VS 2/06 - dass eine Rechtsänderung auch bereits begonnene, aber noch nicht vollendete Sachverhalte erfasst, soweit keine besondere Übergangsregelung vorhanden ist, der Fall zeitabschnittsbezogen anhand sämtlicher Gesetzesfassungen zu prüfen ist, die sich seit dem ersten Entstehen des Anspruchs auf Versorgung in Kraft befunden haben, so dass vorliegend sämtliche Gesetzesfassungen seit dem 27.03.2002 zu berücksichtigen sind) erhält, wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die 1. von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, 2. auf Grund dieses Gesetzes angeordnet wurde, 3. gesetzlich vorgeschrieben war oder 4. auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.

Nach § 61 Satz 1 IfSG genügt zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG anerkannt werden, wobei die Zustimmung allgemein erteilt werden kann (vgl. § 61 Sätze 2 und 3 IfSG).

Der Impfschaden wird in § 2 Nr. 11 IfSG definiert als die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung, wobei ein Impfschaden auch vorliegt, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde.

Neben einer „Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe“, die die genannten Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfüllen müssen (1. Glied), muss damit auch eine „gesundheitliche Schädigung“ (2. Glied) als Primärschädigung (d.h. Impfkomplikation) ebenso wie der „Impfschaden“ (3. Glied, d.h. die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, also der Folgeschaden) im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R). Ob es unschädlich ist, wenn die Primärschädigung, also das 2. Glied, nicht deutlich zu Tage tritt, sondern im Verborgenen erfolgt, weil der Zusammenhang zwischen Impfung und manifestiertem Gesundheitsschaden in einer einzigen gedanklichen „Etappe“ beurteilt werden muss, wie der erkennende 15. Senat früher bereits entscheiden hat (Urteil vom 31.07.2012 - L 15 VJ 9/09, vgl. auch Urteil vom 15.12.2015 - L 15 VJ 4/12), kann vorliegend offen bleiben (s.u.).

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen (BSG Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R). Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen (vgl. BSG Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R; BSG Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R). Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 128 Rn. 3b, m.w.N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R). Eine Tatsache ist damit bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. BSG Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R; vgl. Keller, a.a.O.).

Die Beurteilung des Zusammenhangs (Kausalität) folgt, wie ansonsten im Versorgungsrecht auch, der Theorie der wesentlichen Bedingung (ständige Rspr. des BSG, vgl. z.B. Urteile vom 23.11.1977, Az.: 9 RV 12/77, vom 08.05.1981, Az.: 9 RV 24/80, vom 20.07.2005, Az.: B 9a V 1/05 R, und vom 18.05.2006, Az.: B 9a V 6/05 R). Diese beruht auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie: Danach ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Als rechtserheblich werden allerdings nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben.

Eine potentielle Ursache begründet dann einen wahrscheinlichen Zusammenhang, wenn ihr nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.1977, Az.: 10 RV 15/77). Oft wird diese Wahrscheinlichkeit auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet, wobei das Wort „hinreichend“ nur der Verdeutlichung dient (vgl. Keller, a.a.O., § 128, Rdnr. 3c). Nicht ausreichend ist dagegen eine bloße - abstrakte oder konkrete - Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.1968, Az.: 9 RV 610/66). Haben mehrere Ursachen zu einem Schaden beigetragen, ist eine vom Schutzbereich des BVG umfasste Ursache dann rechtlich wesentlich, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 6/13 R). Im Einzelnen bedarf es dazu der wertenden Abwägung der in Betracht kommenden Bedingungen. Im Einzelfall muss die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinne als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (vgl. BSG, a.a.O.).

2.) Vorliegend kann nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht die Rede davon sein, dass nach sachgerechter Abwägung aller wesentlicher Umstände der Möglichkeit, dass die streitgegenständliche Sechsfachimpfung die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen verursacht hat, gegenüber jeder anderen Möglichkeit von Schädigungsursachen ein deutliches Übergewicht zukommen würde bzw. dass der Impfung für den Eintritt der Schäden allein mindestens so viel Gewicht beizubemessen wäre wie den übrigen Umständen zusammen. Vielmehr hat keiner der vom SG und vom Beklagten beauftragten Sachverständigen die Kausalität bestätigt, sondern sogar „ohne Wenn und Aber“ abgelehnt. Der Senat macht sich diese sachverständigen Feststellungen, die auch in Übereinstimmung mit der gesamten Befundlage stehen, zu eigen.

Dabei ist er im Übrigen nicht daran gehindert, auch das vom Beklagten bei Prof. Dr. K. in Auftrag gegebene Gutachten zu verwerten. Wie der Senat bereits früher hervorgehoben hat (Beschluss vom 29.05.2015 - L 15 VG 19/15 B PKH) weist das BSG in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Beschluss vom 26.05.2000 - B 2 U 90/00 B) darauf hin, dass nicht als gerichtliche Sachverständigengutachten erstellte ärztliche Gutachten zwar grundsätzlich einen anderen Beweiswert und eine andere Beweiskraft und somit eine andere Aussagekraft besitzen als gerichtliche Gutachten. Dies stellt aber kein Hindernis dar, ein Verwaltungsgutachten im Wege des Urkundenbeweises gemäß § 118 SGG i.V.m. §§ 415 ff. ZPO zu verwerten und ihm im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs. 1 SGG zu folgen. Dabei hat das BSG klargestellt, dass es sich bei einem von einem Sozialleistungsträger gemäß §§ 20, 21 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch eingeholten Gutachten nicht um ein bloßes „Privatgutachten“ handelt, sondern um ein im Rahmen der Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben erstelltes Sachverständigengutachten, das auch die Entscheidungsgrundlage für das Gericht sein kann (vgl. BSG, Beschluss vom 12.10.1993 - 13 RJ 71/92). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der vom Sozialleistungsträger beauftragte Sachverständige weder dem ärztlichen Dienst des Sozial-leistungsträgers angehört noch die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt (vgl. BSG, Beschluss vom 10.08.1993 - 9/9a BV 185/92). Weitere Ermittlungen von Amts wegen können allenfalls dann angezeigt sein, wenn der andere Verfahrensbeteiligte gegen das durch den Sozialleistungsträger eingeholte Gutachten nicht unerhebliche Einwendungen vorbringt (vgl. BSG, Urteil vom 15.10.1986 - 5b RJ 80/85). Bei Berücksichtigung dieser Vorgaben steht einer Verwertung des Gutachtens von Prof. Dr. K. nichts entgegen. Prof. Dr. K. gehört nicht dem versorgungsärztlichen Dienst des Beklagten an. Vielmehr ist er oftmals auch als - beim BayLSG anerkannter - Gerichtsgutachter tätig. Auch überzeugt das Gutachten durch seine wissenschaftliche Methodik. Allgemein vermittelt es den Eindruck großer Sachkunde, Sorgfalt, Umsicht, Ergebnisoffenheit, abwägender Beurteilung und Objektivität.

Wie die Sachverständigen Prof. Dr. H. und Prof. Dr. K. detailliert und anschaulich herausgearbeitet haben, fehlt es eindeutig an der Kausalität zwischen der Impfung am 27.03.2006 mit dem Impfstoff Hexavac und den zahlreichen schweren Gesundheitsstörungen der Klägerin.

Diese leidet als ehemaliges Frühgeborenes der 30 + 1 Schwangerschaftswoche mit einem Geburtsgewicht von 1500 g entsprechend den plausiblen Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. H. im Einzelnen an aus der Tatsache der Frühgeburtlichkeit folgenden typischen und gravierenden Komplikationen: an einer bilateralen spastisch-dystonen Zerebralparese (Bewegungsstörung; Schwere der Mobilitätsstörung GMFCS Level IV; Schwere der Hand/Funktionsmotorikstörung: MACS Level IV; Schwere der Kommunikationsstörung zur Umwelt: CFCS Level V; Gelenkkontrakturen im Bereich der Hüftbeugermuskulatur, der Kniebeugermuskulatur, der Wadenmuskulatur und der Aduktorenmuskulatur mit Windschlagedeformität nach links, Hüftluxation rechts, Hüftsubluxation links, Schluckstörung/Dysphagie mit Beaufsichtigungspflicht während der Nahrungsaufnahme) sowie an Komorbiditäten (im Sinne typischer zusätzlicher anderer Störungen bzw. Störungen anderer Organsysteme, die auch auf die Frühgeburtlichkeit zu beziehen sind), nämlich an einer symptomatischen aktiven Epilepsie (typischerweise beginnend als EEG-Veränderung während der ersten Lebensmonate, dann sog. symptomatisches West-Syndrom als besonders schwere Form der Epilepsie), an einer schwersten globalen Entwicklungsstörung (aller funktionalen biologischen Systeme wie Sehen, Hören, Schlucken, Körpermotorik, Feinmotorik, Sprache, Kognition, Verstehen, Verhalten, Reagieren und Befinden) und an einer Mikrozephalie als Ausdruck der schweren gesamten Hirnentwicklungsstörung, die dann auftritt, wenn das Gehirn selbst in seiner Größe zurückbleibt und keine Wachstumsimpulse gibt.

Wie der Sachverständige Prof. Dr. H. zur Überzeugung des Senats in Übereinstimmung mit der ebenfalls in jeder Hinsicht plausiblen und anschaulichen gutachterlichen Feststellung von Prof. Dr. E. dargelegt hat, sind alle diese Schäden auf die mit der MRT bestätigten morphologischen Veränderungen zurückführen. Diese Störungen können jedoch nur - biologisch eindeutig und in ihrem Verlauf typisch als Komplikation der Frühgeburtlichkeit der Klägerin - bis etwa zum Zeitpunkt der 36. Schwangerschaftswoche aufgetreten sein; das nachgewiesene Schädigungsmuster kann sich nicht mehr später, d.h. erst zur Zeit der Impfung im Gehirn manifestiert haben.

Dieses - auch neuroradiologisch abgesicherte - Ergebnis des Sachverständigen Prof. Dr. H. wird durch die Darlegungen von Prof. Dr. K. gestützt - im Übrigen auch soweit, als der vom Beklagten beauftragte Sachverständige andere Diagnosen gestellt hat. Denn maßgeblich ist, dass auch Prof. Dr. K. eine kausale Schädigung, die erst Ende März 2002 eingetreten wäre, eindeutig ausschließt. Dabei argumentiert auch dieser Sachverständige u.a. mit morphologischen Befunden. Wie er plausibel darauf hingewiesen hat, fehlt für April 2002 sonographisch jeglicher Anhalt für eine frische, maximal erst 18 Tage alte zusätzliche Schädigung. U.a. hat Prof. Dr. K. auch nachvollziehbar hervorgehoben, dass es neuropädiatrisch völlig ausgeschlossen ist, die im April 2002 in der Kinderklinik A-Stadt feststellte Tetraspastik auf ein Schadensereignis im Anschluss an die Impfung vom 27.03.2002 zu beziehen; die Tetraspastik muss angesichts der im April 2002 bereits erheblichen Ausprägung auch schon vorher eingesetzt haben.

Eine exakte Bestimmung des Schädigungszeitpunkts ist vorliegend nicht möglich, jedoch auch nicht erforderlich. Es kann also offen bleiben, ob es sich tatsächlich in vollem Umfang um eine perinatale Schädigung handelt, oder ob (daneben auch) pränatale Anteile maßgeblich waren bzw. ob die Schäden (auch bzw. gerade) während der Notsectio entstanden sind (vgl. die Darlegungen von Prof. Dr. Dr. V., der davon gesprochen hat, „dass die Klägerin schon vor der Geburt gefährdet gewesen“ ist „und dann um die Geburt herum auch“). Denn relevant ist vorliegend einzig, dass die Schäden nicht erst im März 2002 entstanden sein können, was - wie erläutert - durch die beiden Gutachten feststeht. Zu weiteren Ermittlungen bestand daher kein Anlass. Insbesondere ist es nicht Sinn eines Gerichtsverfahrens, lediglich die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft voranzutreiben oder in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen Position zu beziehen (vgl. BSG, Urteil vom 16.09.1997 - 1 RK 28/95). Im Übrigen hat denn auch die Klägerseite keinerlei begründete Einwendungen gegen die Feststellungen im Gutachten von Prof. Dr. H. vorgebracht.

Ein anderes Ergebnis des Rechtsstreits ergäbe sich im Übrigen auch nicht, falls man von einer Manifestation des BNS-Anfallsleidens der Klägerin im zeitlichen Zusammenhang zur Hexavac-Impfung (postvakzinaler Inkubationszeit) ausgehen würde, wofür der Senat jedoch nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, u.a. mit Blick auf die vorliegenden Befundunterlagen, ebenso wie das SG keine Veranlassung sieht. Denn, wie Prof. Dr. K. plausibel darauf hingewiesen hat, ein solcher Zusammenhang zwischen der Impfung mit der - nicht belegten - Manifestation könnte lediglich als gelegenheitsursächlich eingeordnet werden. So ist zwar ein „Fieberkrampf“ als im Gefolge der Impfung ausnahmsweise auftretender möglicher Auslöser eines prädeterminierten Anfallsleidens denkbar. Unter Heranziehung gültiger wissenschaftlicher Erkenntnisse hat Prof. Dr. K. jedoch klargestellt, das innerhalb der gesamten vier postvakzinalen Wochen die Manifestationshäufigkeit nicht von der Normalerwartung abweicht, was bedeutet, dass die vorliegende Impfung nicht fähig gewesen ist, Anfallsleiden zu verursachen. Sie könnte lediglich fähig gewesen sein, den Beginn des zur Manifestation anstehenden Anfallsleidens um wenige Tage vorzuverlegen. Eine Schädigung kann zwar unter Umständen wesentliche Bedingung für eine Gesundheitsstörung sein, auch wenn diese allein aufgrund einer Schadensdisposition mit Wahrscheinlichkeit ohnehin irgendwann aufgetreten wäre. Die Störung muss sich aber wegen der Schädigung signifikant früher gezeigt haben (vgl. z.B. Vießmann, SGb 2013, 68, 69).

Somit sieht der Senat entsprechend den anschaulichen Darlegungen von Prof. Dr. H. und von Prof. Dr. K. die grundsätzliche Möglichkeit der Verursachung von Impfschäden durch den Impfstoff Hexavac als nicht ausgeschlossen an; im vorliegenden Fall der Klägerin bestehen jedoch keine Hinweise hierauf.

Ein anderes Ergebnis folgt im Übrigen auch nicht aus den Darlegungen des Allgemeinarztes und Arztes für Naturheilverfahren Dr. R … Dies ergibt sich im Einzelnen aus den anschaulichen und in jeder Hinsicht überzeugenden Darlegungen von Prof. Dr. K … Aus Sicht des Senats sind die Ausführungen von Dr. R. fachlich nicht verwertbar, sie sind offensichtlich von Fehlannahmen bestimmt. Dies zeigt sich bereits bei dessen Definition des Impfschadens („wenn deutliche Unterschiede in medizinischen Untersuchungen und Befunden vor und nach der Impfung dokumentiert sind“), die, da offenbar schon das Kausalitätskriterium fehlt, von einem laienhaften Verständnis geprägt ist. Bei der Untersuchung von Impfschäden bedarf es, was Prof. Dr. K. zutreffend hervorgehoben hat, zahlreicher (sehr differenzierter) Merkmale und Kriterien, was aus den Darlegungen der beiden im Verfahren tätigen Sachverständigen ersichtlich wurde. Auch ist entsprechend den plausiblen Darlegungen von Prof. Dr. K. darauf hinzuweisen, dass vorliegend zwar die potentiell schädigende Impfung gesichert ist, die hierfür typische postvakzinale pathologische Komplikation aber nicht (s.o.). Selbst wenn sie belegt wäre, würde kein Zusammenhang mit dem vorhandenen Dauerleiden bestehen, das sich ohne jeden vernünftigen Zweifel und in vollem Umfang auf die o.g. Schädigung deutlich vor der Impfung zurückführen lässt (s.o.). Auch das Argument von Dr. R., die Klägerin als Frühgeborenes sei zu früh geimpft worden und deshalb sei es zu einem Impfschaden gekommen, überzeugt nicht. Denn sehr junge Neugeborene sind ebenso wie unreife Frühgeborene aufgrund einer noch unzureichenden immunologischen Leistung seltener in der Lage, auf Impfungen mit anaphylaktischer Reaktion oder immunologischer Fehlleistung zu reagieren. Für den vorliegenden Fall ist jedoch die Frage des Impftermins völlig irrelevant, da kein Impfschaden vorliegt. Der Behauptung von Dr. R., das Kind sei vor der Impfung gesund gewesen, nach der Impfung sei es zu Trinkschwierigkeiten und Schreiphasen gekommen und Letztere seien Folge eines postvakzinalen Gehirnödems und überdies sei ein pathologisches EEG gefunden worden, so dass auf die erforderliche Kausalität zu schließen sei, muss mit Prof. Dr. K. entgegengehalten werden, dass die Klägerin - wie oben ausführlich dargestellt - auf gar keinen Fall gesund gewesen ist. Dem Senat drängt sich hier wie dem genannten Sachverständigen der Eindruck auf, dass es dem für die Klägerseite Stellung nehmenden Arzt insoweit an neonatologischer und neuropädiatrischer Qualifikation fehlt. Weiter ist es reine Spekulation, aus postvakzinalem Schreien auf ein postvakzinales Hirnödem zu schließen. Dies gilt, wie Prof. Dr. K. nachvollziehbar dargestellt hat, insbesondere nach der ersten Impfung und jenseits der ersten Tage und vor allem im Falle des Fehlens eines Hirnödems, was vorliegend durch den Sonographiebefund belegt ist. Zur Behauptung von Dr. R., die kausale Verbindung zwischen mütterlicher Blutung und dem Leiden des Kindes könne nicht bewiesen werden und die Leiden seien erst nach der Impfung dokumentiert, schließt sich der Senat der Wertung des Sachverständigen an, dass der Leser „massiv fehlinformiert“ wird, da ihm Dr. R. den Zustand des Kindes nach der Geburt vorenthält.

3.) Auch auf der Basis von § 61 Satz 2 IfSG (Kannversorgung) vermag die Klägerin mit ihrem Begehren nicht durchzudringen. Eine Versorgung kann danach auch gewährt werden, wenn die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung nur deswegen scheitert, weil in der medizinischen Wissenschaft über die Leidensursache allgemein Unkenntnis herrscht. Dabei ist eine abstrakte theoretische Unsicherheit Voraussetzung, nicht eine bloße konkrete im Einzelfall (vgl. bereits das Urteil des Senats vom 31.07.2012 - L 5 VJ 9/09, m.w.N.). § 61 Satz 2 IfSG ist dahin zu interpretieren, dass mit Ausnahme des Wahrscheinlichkeitsnachweises alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sein müssen und zugleich keine Aspekte erkennbar sein dürfen, welche die Wahrscheinlichkeit der Verursachung unabhängig von der Ätiologie und der Pathogenese der betreffenden Krankheit ausschließen. Damit sind die Voraussetzungen für die Kannversorgung im Falle der Klägerin nicht erfüllt. Dies ergibt sich ebenfalls aus dem plausiblen und anschaulichen Sachverständigengutachten von Prof. Dr. H … Im vorliegenden Fall hat man es, wie überzeugend ausgeführt worden ist, gerade nicht mit einer Unsicherheit auf der abstrakten, theoretischen Ebene zu tun. Von Prof. Dr. H. und auch von dem vom Beklagten beauftragten Sachverständigen sind die Ursachen für die schweren Behinderungen der Klägerin plausibel dargestellt worden. Unklarheit in diesem Sinne besteht ferner auch nicht im Hinblick auf die Möglichkeit, dass infolge der Impfung ein Fieberkrampf als möglicher Auslöser eines prädeterminierten Anfallsleidens in der Folge der Impfung abgelaufen sein könnte, was sich ebenfalls aus den plausiblen Darlegungen von Prof. Dr. K. ergibt (vgl. bereits oben).

4.) Auch hat die Klägerseite im Übrigen keinerlei begründete Einwendungen gegen die gutachterlichen Feststellungen vorgebracht. Das Verfahren, insbesondere das Berufungsverfahren, ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass außer der pauschalen Behauptung, die Klägerin sei vor der Impfung gesund gewesen, und dem Verweis auf das in keiner Weise überzeugende „Gutachten“ des Arztes für Allgemeinmedizin und Naturheilkunde Dr. R. eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den zahlreichen Problemkreisen der medizinischen Beurteilungen so gut wie nicht stattgefunden hat und insbesondere keinerlei Einwendungen gegen die Feststellungen des Gutachtens von Prof. Dr. H. vorgetragen worden sind. Der Senat hat im Übrigen auch unter diesem Aspekt keine Veranlassung gesehen, zu einzelnen Fragen ergänzende Ermittlungen durchzuführen; Abklärungsbedarf kann der Senat denn auch nicht erkennen (s.o.).

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten hin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29. Oktober 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

III. Außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen sind nicht zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) hat.

Am 08.02.2012 stellte die 1948 geborene Klägerin erstmals Antrag auf Blindengeld beim Beklagten, der mit Bescheid vom 05.03.2012 abgelehnt wurde, da nach einem Befundbericht des Medizinischen Versorgungszentrums M. die Sehschärfe auf dem linken Auge 0,16 betragen hatte und sich keine Hinweise für maßgebliche Gesichtsfeldeinschränkungen gefunden hatten.

Am 10.10.2012 stellte die Klägerin erneut Blindengeldantrag, woraufhin der Beklagte die Begutachtung durch Dr. G. veranlasste. In dem Gutachten vom 04.12.2012 hielt dieser fest, dass sich bei Betrachtung des Augenhintergrunds Makulaveränderungen gezeigt hätten, die an Morbus Stargardt denken ließen, wobei der späte Beginn ungewöhnlich sei. Als Visusbefunde wurden Erkennen von Handbewegungen (rechts, links, beidäugig - jeweils ohne Korrektur) festgestellt. Eine Gesichtsfelduntersuchung sei nicht möglich gewesen; dennoch sei davon auszugehen, dass eine Einschränkung des Gesichtsfelds, die das für Blindengeld erforderliche Maß erreiche, nicht vorliegen würde. Bei der Beurteilung der Sehschärfe sei auffällig, wie sicher sich die Klägerin im Raum bewegt habe. Sie habe mühelos einem Stuhl ausweichen können und sei sicher durch die Türe gegangen. Die Auslösung des optokinetischen Nystagmus (OKN) nach Kotowski sei entsprechend einem Sehvermögen von 0,1 möglich gewesen. Unter Verweis auf wissenschaftliche Literatur stellte der Gutachter fest, dass ein solches Sehvermögen für einen fortgeschrittenen Morbus Stargardt relativ typisch sei.

Mit Bescheid vom 14.12.2012 lehnte der Beklagte daraufhin den Blindengeldantrag der Klägerin ab.

Hiergegen erhob die Klägerin am 21.12.2012 Widerspruch. In der Begründung dessen wurde auf das Attest von Dr. G. vom 22.01.2013 verwiesen. Am 21.02.2013 nahm die Ärztin des Beklagten Dr. P. ausführlich Stellung. Sie hielt u.a. fest, dass der Visusabfall zwischen den Untersuchungen am 29.12.2011 und 25.09.2012 (Befundberichte MVZ M. und Dr. C.), also innerhalb von nur neun Monaten, angesichts der von der Klägerin bei der Begutachtung durch Dr. G. anamnestisch angegebenen langsamen Progredienz nicht nachvollziehbar sei. Weiter wies sie darauf hin, dass bei der Klägerin der OKN mit dem auf 0,1 kalibrierten Schachbrettmuster ausgelöst habe werden können. Zusammenfassend stellte Dr. P. fest, dass die Zweifel an den Angaben zum Sehvermögen nicht nur auf der Beobachtung des spontanen Orientierungsverhaltens beruhen würden, sondern auch maßgeblich auf den Diskrepanzen zwischen dem angegebenen Sehvermögen und der Diagnose bzw. den morphologischen Befunden.

Daraufhin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.03.2013 der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Blindheit sei vorliegend nicht nachgewiesen. Die angegebene Sehschärfe von Handbewegungen bei der Begutachtung am 04.12.2012 auf beiden Augen sei mit den funktionellen Untersuchungsbefunden nicht in Einklang zu bringen; der Beklagte wies insbesondere auf den OKN und weiter darauf hin, dass der rasche Visusabfall innerhalb von neun Monaten nicht nachvollziehbar sei.

Am 02.04.2013 hat die Klägerin hiergegen Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben.

Zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts hat das SG Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt, nämlich vom Internisten K. und von der Augenärztin Dr. G., die am 16.12.2013 als Sehschärfe (korrigiert und unkorrigiert) Handbewegungen (Gläser bessern nicht) sowie Gesichtsfeldausfälle beidseits festgestellt hat, vor allem im zentralen Bereich (die Gesichtsfelduntersuchung sei mit dem HFA 2 erfolgt, Leuchtdichte und Stimulusgröße entsprechend Goldmann III/4). Blindheit bestehe seit mindestens 15.01.2013. Zu diesem Zeitpunkt habe sich die Klägerin zur Erstuntersuchung in der Praxis vorgestellt. Laut Angaben der Klägerin sei die Sehminderung schon 2012 eingetreten.

Sodann hat das Gericht Beweis erhoben und Dr. L. mit der Erstellung eines ophthalmologischen Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 15.04.2014 hat Dr. L. hinsichtlich der Sehschärfe festgestellt, dass ein Fünf-Meter-Visus an beiden Augen nicht mehr erhebbar sei. In der Nähe betrage die Sehleistung rechts und links 1/100. Bei binokularer Prüfung betrage die Sehleistung 1/70. Das Gesichtsfeld sei mit dem Goldmann-Perimeter aufgezeichnet worden und zeige freie Außengrenzen sowie ein großes zentrozoekales Skotom an beiden Augen. Dieses Ergebnis stehe mit dem Augenhintergrundbefund in Übereinstimmung.

Hinsichtlich der Augenhintergrunduntersuchung hat der Sachverständige vor allem festgestellt, dass sich im Gebiet der Makula eine ausgedehnte Pigmentverschiebung mit Pigementepitheldystrophien zeige. Dieser Bereich reiche bis in die oberen und unteren Gefäßbögen hinein. Auch sei die Papille mit einbezogen. Die Aderhautgefäße in diesem Bereich seien in erheblicher Weise sklerosiert, so dass die Diagnose einer sehr ausgeprägten Aderhautsklerose gestellt werden müsse.

Dr. L. hat als Diagnosen für beide Augen Astigmatismus myopicus compositus, Makuladegenration sowie Cataracta senilis incipiens gestellt.

Für die schlechte Sehschärfe entscheidend sei der Makulabefund. Die großflächigen Makulaveränderungen seien nicht derart, dass eine Stargardt'sche Makuladegeneration wahrscheinlich sei; diese würde auch, so Dr. L., zu einem viel früheren Zeitpunkt beginnen als es bei der Patientin nach den anamnestischen Angaben der Fall gewesen sei. Hingegen bedingten die Aderhautgefäßsklerose und die zum Teil grobschollige, zum Teil feiner strukturierte Pigmentepiteldystrophie ein großes Zentralskotom, das sich im Gesichtsfeld auch nachweisen lasse. Die beiden geprüften Marken würden schlüssige und in keiner Weise divergierende Übereinstimmungen zeigen. Die Außengrenzen des Gesichtsfelds ergäben eine relativ gute Orientierung der Klägerin im freien Raum. Setze man nun die angegebene zentrale Sehschärfe in Relation zum flächenhaften Ausfall der Makularegion, so ergebe sich keine auffällige Diskrepanz der Befunde, die etwa Aggravationsverdacht nahelegen könnte.

Die Sehschärfe überschreite den kritischen Grenzwert im Sinne von Blindheit. Trotz des Gutachtens von Dr. G. ergebe sich jetzt der hier beschriebene Befund; die Voraussetzungen für den Blindheitsnachweis seien mit Blick auf Dr. G. aber erst ab dem jetzigen Untersuchungszeitpunkt anzunehmen.

In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 06.05.2014 ist Dr. P. weiterhin davon ausgegangen, dass Blindheit nicht nachgewiesen sei, da die Auslösbarkeit des OKN eine Sehschärfe von 0,08 bzw. eine deutlich oberhalb der Blindheitsgrenze liegende Sehschärfe voraussetze. Bei einem Visus von 1/50 oder weniger sei der OKN nicht mehr auszulösen. Zu dieser auffälligen Diskrepanz habe sich Dr. L. nicht geäußert.

In seiner im Auftrag des SG erstellten ergänzenden Stellungnahme vom 30.06.2014 hat Dr. L. u.a. hervorgehoben, dass es sich jeweils um ein großes zentrozoekales Skotom handele, dessen Außengrenzen am rechten Auge zwischen 15 und 30 Grad, links zwischen 20 und 28 Grad liegen würden. Die im Gesichtsfeld zutage tretenden ausschließlich zentralen Ausfälle würden, so der Sachverständige, zweifellos eine erhebliche Reduktion der zentralen Sehschärfe bedingen. Betrachte man die Ausdehnung der pathologisch veränderten Areale am Augenhintergrund - die in ihrer Summe eine flächenhafte Degeneration nicht nur der Makula, sondern weit darüber hinausgehender Anteile bedingen würden - so widerspreche die subjektive Angabe der Sehschärfe mit 1/100 auf beiden Augen nicht dem vorliegenden Befund, wobei erfahrungsgemäß der Makula die konkrete Sehschärfe nicht angesehen werden könne, sondern ergänzend die subjektiven Angaben des Patienten in Übereinstimmung zu bringen seien.

Hinsichtlich des Aggravationsverdachts hat der Sachverständige betont, dass eine derartige, zielgerichtete Verhaltensweise der Klägerin während der Untersuchung nicht erkennbar gewesen sei. Wenn man die subjektiven Angaben als inkorrekt bezeichne, müsste hierfür auch eine Diskrepanz zwischen Visus und Gesichtsfeldbefund gegeben sein bzw. der hierfür ursächlichen Degenerationsfläche, was aber nicht der Fall sei.

Abschließend hat Dr. L. ausgeführt, dass er die Bedenken des Beklagten hinsichtlich der Beurteilung nachvollziehen könne, eine Blindheit werde jedoch für nachgewiesen gehalten. Bei Betrachtung aller objektiven Befunde und deren Vergleich mit subjektiven Verhaltensweisen könne er, Dr. L., keine Merkmale erkennen, die die Zuerkennung des Status der Blindheit zweifelhaft erscheinen ließen.

In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 18.07.2014 hat der Beklagte die Zweifel nicht ausgeräumt gesehen. Gerade die Möglichkeit der Erhebung exakter Gesichtsfeldbefunde spreche erheblich gegen die Angabe einer hochgradigen Visusminderung von nur noch 1/100 bzw. sogar nur noch Erkennen von Handbewegungen.

Mit Gerichtsbescheid vom 29.10.2014 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 14.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.03.2013 verurteilt, der Klägerin Blindengeld ab 01.03.2014 zu zahlen. In der Begründung hat das SG hervorgehoben, dass es das Gutachten von Dr. L. für insgesamt überzeugend halte; darin sei eine hinreichende Beeinträchtigung der Sehschärfe von weniger als 1/100 festgestellt worden. Den Ausführungen der versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. P. und Dr. L. vermöge das SG nicht zu folgen, da Dr. L. darauf hingewiesen habe, dass die fehlende Auslösbarkeit des OKN bei einer Sehschärfe von unter 1/50 nur den Regelfall betreffe, bei der Klägerin aber zu vermerken sei, dass wegen des ausgedehnten Zentralskotoms nur der Zentralbereich einer starken Visusminderung unterliege, nicht aber das gesamte Gesichtsfeld. Das Gericht vermöge auch nicht der Kritik zu folgen, dass bei einem Visus von 1/100 ein exaktes Gesichtsfeld nicht zu bestimmen sei, weil dabei nicht hinreichend gewürdigt werde, dass bei der Klägerin mit großflächigem Zentralskotom und einer ausgedehnten Pigmentverschiebung mit Pigmentepitheldystrophien ein besonderer morphologischer Befund vorhanden sei. Dem Gesichtsfeldbefund könne allerdings dann nicht gefolgt werden, wenn der Klägerin eine fehlende Mitwirkung vorzuhalten sei, was der Gutachter Dr. L. aber ausgeschlossen habe. Diese Beobachtung könne von Vertretern des Beklagten mangels Anwesenheit in der Begutachtungssituation nicht in Zweifel gezogen werden, so das SG. Schließlich habe sich Dr. L. auch überzeugend zu der allmählichen Visusverschlechterung geäußert, die die Abweichung gegenüber den Beobachtungen von Dr. G. hinreichend erkläre.

Gegen den Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 19.11.2014 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (Bayer. LSG) erhoben. In der Berufungsbegründung hat der Beklagte eine Reihe von Punkten, die gegen den Blindheitsnachweis sprechen würden, aufgelistet, nämlich im Wesentlichen die Verschlechterung des Visus innerhalb von nur sechs Monaten von 0,05 rechts/0,16 links auf nur noch Erkennen von Handbewegungen, die Diagnose Morbus Stargardt, das Verhaltensmuster der Klägerin, die unterschiedlichen Visus- und Gesichtsfeldangaben, die fehlende Erklärung für eine Visusminderung auf weniger als 0,05 durch ein Zentralskotom beidseits, die Visusüberprüfung mit dem Kotowski-Test, nicht erfolgte mitarbeitsunabhängige Untersuchungen bei der Begutachtung durch Dr. L. und die fehlende Erklärung der Sehstörung durch den morphologischen Befund.

Sodann hat das Gericht PD Dr. B., Universitätsklinikum B-Stadt, mit der Erstellung eines ophthalmologischen Sachverständigengutachtens beauftragt. Im Gutachten vom 25.02.2016 ist die Schilderung der Klägerin wiedergegeben worden, dass diese bei Tätigkeiten im Haushalt kaum mehr zurechtkomme. Seit 2005 sei die Klägerin berentet.

Bei der Sehschärfenprüfung in 5 msei die Visustafel binokular gut fixiert, die Landoltringe seien jedoch nicht erkannt worden. Die Sehschärfe in 1 msei mit Hilfe einer Lesetafel geprüft worden. Die Tafel sowie die oberste Ziffer seien jeweils eindeutig gut fixiert worden, auch wenn die Tafel ohne Erläuterungen in verschiedenen Richtungen dargeboten worden sei. Vor der Darbietung der Lesetafel in 1 msei diese nicht angekündigt worden. Die Klägerin habe gesagt, sie sehe nicht einmal die Tafel bei eindeutiger Blickfolge bei einer langsamen Bewegung der Tafel in 1 m. Während dieser Bewegung sei von der Klägerin plötzlich die Aussage gemacht worden: „Die Fünf ist ganz weg.“ Zur weiteren Visustestung sei das Erkennen von einzelnen Fingern oder Handbewegungen (monokular und binokular) überprüft worden. Hierzu sei die Handbewegung zunächst 30 bis 40, dann 50 cm, dann 1 msowohl zentral als auch jeweils exzentrisch dargeboten worden. Die Klägerin habe berichtet, dass sie die Handbewegungen kaum erkennen könne. Fingerzählen könne sie ebenfalls in den genannten Entfernungen (sowohl monokular als auch binokular) nicht wahrnehmen. Bei der Darbietung eines Bleistifts in ca. 1 m Entfernung und Überprüfung der Konvergenzreaktion durch langsames Heranführen auf ca. 20 bis 30 cm habe sich eine gute Konvergenzreaktion gezeigt. Ohne vorherige Erläuterung oder Ankündigung sei nach einer P. mittels Teller-Acuity-Cards eine weitere Sehschärfenprüfung erfolgt. Ohne dass der Klägerin erklärt worden sei, auf den Tafeln ein Streifenmuster zu sehen, habe diese erklärt: „Da kann ich die Striche jetzt nicht sehen.“ Bei Vorhalten eines Stifts in 50 cm Entfernung sei dem Stift gut gefolgt worden, ohne dass zuvor die Richtung angegeben worden sei.

Der OKN sei horizontal und verikal bei verschiedenen Mustergrößen und Mustern binokular gut auslösbar gewesen.

U.a. hat die Sachverständige auch eine Gesichtsfeldmessung mit dem Halbkugelprojektionsperimeter nach Goldmann durchgeführt. Es hätten sich folgende Ergebnisse gezeigt:

– Rechtes Auge: Mit der Marke III/4 hätten die Außengrenzen temporal bis ca. 60 Grad, unten bis ca. 60 Grad, nasal bis ca. 50 Grad, oben bis ca. 30 Grad gereicht. Es habe ein großes Zentralskotom bis nach ca. 15 Grad temporal bestanden.

– Linkes Auge: Mit der Marke III/4 hätten die Außengrenzen temporal bis ca. 50 Grad, unten bis ca. 45 Grad, nasal bis ca. 40 Grad, oben bis ca. 30 Grad gereicht. Ein großes Zentralskotom habe bis ca. 12 Grad temporal gereicht.

PD Dr. B. hat hervorgehoben, dass die ausgeprägte Netzhaut- und Aderhautatrophie bei der Klägerin zweifelsohne eine hochgradige Sehminderung sowie eine hochgradige Einschränkung bei der Verrichtung alltäglicher Tätigkeiten bedinge. Die gutachterliche Beurteilung werde allerdings erheblich dadurch erschwert, dass die Angaben der Klägerin leider nicht glaubwürdig erscheinen würden. Weiter hat PD Dr. B. darauf hingewiesen, dass - wie auch bereits bei den Vorgutachtern - der Nachweis des OKN bei verschiedenen Streifenmustern und Größen positiv gewesen sei. Insgesamt müsse daher zum jetzigen Zeitpunkt, trotz der sicherlich erheblichen Visuseinschränkungen bei der Klägerin davon ausgegangen werden, dass die Kriterien zum Erhalt von Blindengeld nach dem BayBlindG nicht erfüllt seien.

Mit Schreiben vom 20.05.2016 hat die Klägerin über ihre Bevollmächtigte erhebliche Einwendungen gegen das Gutachten vorgebracht. Nach Auskunft des behandelnden Facharztes (Dr. C.) sei dieses Gutachten unverwertbar, da zum einen die angewandten Untersuchungsmethoden unzulässig und zum anderen Befunde falsch interpretiert worden seien. Bei der Prüfung der Sehschärfe sei mit einer Lesetafel mit Ziffern gearbeitet worden, diese seien für gutachterliche Zwecke jedoch nicht zugelassen, sondern nur Landoltringe. Wenn nur die obere Ziffer erkannt worden sei, entspreche dies aber nur einer Sehschärfe von 0,02 und begründe somit auch einen Anspruch auf Blindengeld. Zur Simulationsprüfung sei unzulässigerweise die Sehschärfe mit Teller-Acuity-Cards verwendet worden, womit nur die Gittersehschärfe geprüft werden könne. Diese sei jedoch, so die Bevollmächtigte, aus wahrnehmungsphysiologischen Gründen deutlich höher als die anguläre Sehschärfe. Daher seien die beiden bei der Begutachtung eingesetzten Simulationsproben bereits aus methodischen Gründen nicht verwertbar. Der behandelnde Arzt habe weiter ausgeführt, dass die erstellte Optische Cohäreztomographie (OCT) der Netzhautmitte sowie die Autofloureszenzuntersuchung Befunde zeigen würden, die mit einer Sehschärfe von mehr als 1/50 schwer zu vereinbaren seien. Die Übereinstimmung der angegebenen Sehschärfe mit dem morphologischen Befund werde von der Gutachterin jedoch im Gutachten nicht erörtert, obwohl dieses die von ihr vorgenommene Bewertung der sogenannten Simulationsproben mehr als fragwürdig erscheinen lassen würden. Die Klägerin stütze ihr Begehren auf das Gutachten von Dr. L.. Sofern dieses den Senat nicht überzeugen könne, werde beantragt, ein weiteres Gutachten nach § 106 SGG einzuholen, nachdem das Gutachten von PD Dr. B. nicht verwertbar sei. Hilfsweise werde beantragt, Dr. C. gemäß § 109 SGG zu beauftragen.

Auf Veranlassung des Senats hat die Sachverständige PD Dr. B. am 14.06.2016 zu den Ausführungen der Bevollmächtigten ergänzend Stellung genommen. Dabei hat sie hervorgehoben, dass eine Simulationsprüfung immer verschiedene Methoden der Visusprüfung einschließe; nur hierdurch könnten die Ergebnisse der einzelnen Methoden miteinander verglichen und auf Glaubwürdigkeit überprüft werden. Sämtliche der angewandten Untersuchungsmethoden würden wissenschaftlich untersuchte und seit langem erprobte Beobachtungsmethoden darstellen. Da sich bei der Simulationsprüfung eine deutlich bessere Sehschärfe ergeben habe als anhand der zunächst gemachten Aussagen der Klägerin, habe der erforderliche Blindheitsnachweis nicht geführt werden können. Für die genaue Festlegung der Grenze des Sehvermögens sei eine glaubwürdige Mitarbeit des Probanden unabdingbar. Die bessere Sehschärfe, die sich ergeben habe, habe jedoch nicht mit absoluter Sicherheit bis an die obere Grenze geprüft werden können, da sich die Klägerin dann vermutlich ihrer widersprüchlichen Aussagen bewusst gewesen sei. Eine noch etwas bessere Sehschärfe als bei der Simulationsprüfung sei daher möglich. Die große Fünf auf der Lesetafel - dargeboten in einem Abstand von 1 m - entspreche einem Visus von 1/50. Diese von der Klägerin angegebene Ziffer entspreche jedoch nach ihrer, PD Dr. B.s, Meinung nicht zwangsläufig der besten Sehschärfe, sondern sei von der Klägerin versehentlich angegeben worden. Sie stehe in Diskrepanz zu der von ihr zunächst gemachten Aussage, sie könne eine Handbewegung in 30 bis 40 bzw. 50 cm kaum sehen und mache diese Aussage somit unglaubwürdig.

Richtig sei, dass die Gittersehschärfe, die mit Hilfe der Teller-Acuity-Cards geprüft werde, nicht direkt auf eine Prüfung der Sehschärfe mit Optotypen übertragen werden könne. Im Rahmen der gutachterlichen Bewertung liege die Bedeutung des durchgeführten Tests mit den Cards jedoch im Wesentlichen darin, dass bei der Prüfung mit diesem nonverbalen Test ein erheblich besseres Ergebnis habe erzielt werden können als dies durch die Klägerin bewusst angegeben worden sei.

Hinsichtlich der OCT und der Autofloureszenzuntersuchung hat PD Dr. B. darauf hingewiesen, dass die im Gutachten beschriebenen Unterbrechungen der Atrophieareale nach ihrer Meinung die Sehschärfe bei der Klägerin erklären würden. Den genauen Wert der Sehschärfe zu ermitteln, sei aufgrund der eingeschränkten Mitarbeit der Klägerin erheblich erschwert. Wegen der im Gutachten aufgeführten Simulationsuntersuchungen läge der Sehschärfewert aber in jedem Fall deutlich höher als die Wahrnehmung von Handbewegungen, wie von der Klägerin angegeben.

Im Schriftsatz vom 29.07.2016 hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass die Stellungnahme der Sachverständigen bestätigt habe, dass die Simulationsprüfung mit zulässigen Untersuchungsmethoden durchgeführt worden sei und dass der Blindheitsnachweis nicht erbracht werden könne.

Am 18.08.2016 hat die Klägerseite zu der ergänzenden Stellungnahme mitgeteilt, dass sie den behandelnden Dr. C. um Äußerung gebeten habe. Dieser vertrete weiterhin die Auffassung, dass das Gutachten nicht haltbar sei. Ebenso wie das Gutachten selbst basiere auch die ergänzende Stellungnahme nicht auf Tatsachen, sondern auf Vermutungen.

Sodann hat die Klägerin beantragt, gemäß § 109 SGG Dr. C. zu beauftragen. Am 30.12.2016 hat dieser im Auftrag des Gerichts das Gutachten erstellt und darin Im Wesentlichen Folgendes festgestellt:

Im Bereich der gesamten Makula zeige die OCT eine massive Verdünnung der äußeren Netzhautschichten einschließlich der Fotorezeptorenschicht. Die Fovialgrube sei angedeutet erhalten. Das Pigmentepithel zeige massive Defekte.

Die Sehschärfe rechts und links sowie beidäugig werde ohne Korrektion mit der Wahrnehmung von Handbewegungen angegeben. Das Vorsetzen optischer Gläser führe zu keiner Verbesserung. Bei der Untersuchung wurden folgende Gesichtsfeldbefunde erhoben (geprüft mit dem Halbkugelprojektionsperimeter nach Goldmann, Prüfmarke III/4e):

– Rechtes Auge: Die Gesichtsfeldaußengrenzen würden nach oben bis 47 Grad, nach temporal bis 60 Grad, nach unten bis 57 Grad und nach nasal bis 40 Grad reichen. Es finde sich ein großer zentraler, den sogenannten blinden Fleck einschließender Gesichtsfeldausfall, der nach oben bis 20 Grad, nach temporal bis 30 Grad, nach unten bis 35 Grad und nach nasal bis 20 Grad reiche. Dieser zentrale Gesichtsfeldausfall sei durch die beschriebenen Makulaveränderungen bedingt.

– Linkes Auge: nur geringfügige Abweichungen vom rechten Auge.

Weiter hat der Sachverständige eine Aggravationsprüfung in Form der Prüfung der Sehschärfe mit der ETDRS-R-Tafel durchgeführt. Zu Beginn der Prüfung sei die Klägerin nur darüber informiert worden, dass die Prüfung mit Landoltringen wohl zu schwierig sei und jetzt etwas Einfacheres gemacht werde. Eine Information über die Art der verwendeten Optotypen, nämlich Buchstaben, sei nicht erfolgt. Bei der Prüfung - jeweils mit der der objektiven Refraktion entsprechenden Korrektion - habe die Klägerin angegeben, keine der „Zahlen“ erkennen zu können. Binokular habe mit einem Streifenmuster von 2 cm Breite in einer Entfernung von 50 cm der OKN ausgelöst werden können. In einer Entfernung von 1 msei der OKN mit demselben Streifenmuster nicht auslösbar gewesen.

Die beidseitige Erkrankung der Makula mit massiver Atrophie des Pigmentepithels und der Fotorezeptorenschicht habe zu einer Herabsetzung der Sehschärfe verbunden mit der Ausbildung großer zentraler Gesichtsfeldausfälle geführt. Die festgestellte Reduktion der Sehschärfe auf die Wahrnehmung von Handbewegungen sei durch den morphologischen Befund, insbesondere durch die Atrophie der Fotorezeptorenschicht, erklärt. Die Angaben der Klägerin würden gut mit dem morphologischen Befund übereinstimmen. Das Ergebnis der Aggravationsprüfung bestätige die Angaben der Klägerin zum Sehvermögen.

Sodann hat sich der Sachverständige auch kritisch mit den anderen Gutachten auseinandergesetzt. Hinsichtlich des Gutachtens von Dr. G. hat Dr. C. hervorgehoben, dass die Methode der Auslösung des OKN mit dem Gerät nach Kotowski mit Unsicherheiten behaftet sei. Dem Gutachten von Dr. L. hat Dr. C. zugestimmt. Bezüglich des Gutachtens von PD Dr. B. hat er die Verwendung der weit verbreiteten Visustafel mit Zahlen als Optotypen bemängelt und weiter kritisiert, dass das Erreichen höherer Visusstufen die Gutachterin zwar unterstellt habe, jedoch die Optotypen bei der Visusprüfung mit Landoltringen und mit Zahlen nicht als nachgewiesen postuliert worden seien. Auch habe die Sachverständige die Teller-Acuity-Cards verwendet; hier sei jedoch zu betonen, dass diese Methode nach Vollendung des ersten Lebensjahrs des Probanden als nicht mehr zuverlässig gelte. Vom - seitens der Gutachterin - errechneten Visusäquivalent von 0,1 könne eben gerade nicht auf das Vorliegen eines tatsächlichen Visus von 0,03 bis 0,05 geschlossen werden. Vielmehr bestätige das von PD Dr. B. festgestellte Visusäquivalent eben gerade die von Dr. L. ermittelten Visuswerte von 1/100 bzw. 1/70. Die für die Zweifel von PD Dr. B. an den klägerischen Angaben aufgeführten Gründe würden einer kritischen Überprüfung nicht standhalten.

Blindheit im Sinne des Gesetzes bestehe unter Berücksichtigung der aktenkundigen Vorbefunde und des selbst erhobenen Makulabefunds seit 10.10.2012.

Auf das Gutachten gemäß § 109 SGG hat der Beklagte am 20.02.2017 darauf hingewiesen, es sei zu erwarten gewesen, dass Dr. C. wieder zu dem Ergebnis komme, dass Blindheit vorliege, obwohl auch die sehr exakte Gesichtsfeldbestimmung vom 23.12.2016 gegen das Erkennen von nur noch Handbewegungen oder weniger spreche.

Mit Schreiben vom 20.09.2017 hat die Klägerin noch eine Schilderung ihrer Untersuchung bei der Gutachterin Dr. B. hinsichtlich der verwendeten Zahlentafel (s.o., „Ziffer 5“) abgegeben.

In der mündlichen Verhandlung des Senats am 26.09.2017 hat die Klägerin Anschlussberufung mit dem Ziel der Verurteilung des Beklagten zur Blindengeldgewährung bereits ab Antragstellung erhoben.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29.10.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und im Wege der Anschlussberufung den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29.10.2014 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, Blindengeld bereits ab Oktober 2012 entsprechend den gesetzlichen Bestimmung zu gewähren.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG) und begründet. Die Anschlussberufung der Klägerin ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Das SG hat zu Unrecht der Klage entsprochen. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 14.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Änderung des BayBlindG v. 24.07.2013 (GVBl. S. 464) erhalten blinde Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166 S. 1, ber. ABl L 200 S. 1, 2007 ABl L 204 S. 30) in der jeweils geltenden Fassung dies vorsieht, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld. Dabei beinhaltet nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), an die sich der Senat gebunden fühlt, die Formulierung „zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen“ keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung (vgl. BSG, Urteil vom 26.10.2004, Az.: B 7 SF 2/03 R).

Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,

  • 1.deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 0,02 (1/50) beträgt,

  • 2.bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.

Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.

Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der DOG folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe VG, Teil A Nr. 6):

aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,

ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,

gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Blindheit im Sinne des BayBlindG ist im streitgegenständlichen Zeitraum ab Oktober 2012 nicht nachgewiesen.

Es liegt weder Lichtlosigkeit gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG vor noch sind die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 BayBlindG erfüllt. Es ist nicht zur Gewissheit des Senats dargelegt, dass die Klägerin das Augenlicht vollständig verloren hätte oder dass ihre Sehschärfe entsprechend der gesetzlichen Vorgabe auf 0,02 oder weniger herabgesunken wäre (Nr. 1 der genannten Vorschrift). Gleiches gilt für eine der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachtende Sehstörung (Nr. 2).

Wie der Senat wiederholt (vgl. z.B. die Urteile vom 27.09.2016 - L 15 BL 11/15 - und 24.01.2017 - L 15 BL 7/15) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92).

Auch unter Beachtung der aus der Natur der Sache folgenden Vorgabe, „dass sich die Gerichte mit demjenigen Gewissheitsgrad zu begnügen haben, den die medizinische Wissenschaft im Einzelfall leisten kann“ (Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Aufl., S. 51, mit Verweis auf Bender/Nack/Treuer), weil sich ein Warten auf neue und bessere (naturwissenschaftliche) Erkenntnisse aus naheliegenden Gründen verbietet (vgl. das Urteil des Senats vom 20.01.2017 - L 15 BL 16/12), ist nach dem Gesamtergebnis des vorliegenden Verfahrens festzustellen, dass hier Blindheit der Klägerin nicht nachgewiesen ist. Denn zahlreiche Aspekte lassen hieran ernsthaft zweifeln.

Zwar hat die Klägerin bei zahlreichen Untersuchungen Angaben gemacht, nach denen die oben geschilderten gesetzlichen Voraussetzungen für die Annahme von Blindheit erfüllt wären. Wie der gemäß § 109 SGG beauftragte Sachverständige Dr. C. zutreffend dargelegt hat, kommt es für das Verfahren maßgeblich auf die Zweifel an diesen (subjektiven) Angaben der Klägerin an. Die vorliegenden Zweifel sind erheblich und vor allem auch begründet. Sie stehen, gerade in ihrer Gesamtheit, der Annahme entgegen, dass Blindheit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen würde.

1. Lichtlosigkeit

Dass der Klägerin das Augenlicht vollständig fehlen würde, ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens auszuschließen; hierauf muss angesichts der vorliegenden einschlägigen Befunde nicht näher eingegangen werden.

2. Faktische Blindheit

Daran, dass bei der Klägerin faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 oder 2 BayBlindG vorliegen würde, hat der Senat wie bereits darauf hingewiesen erhebliche Zweifel.

Dies folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Der Senat stützt sich dabei insbesondere auf das insoweit überzeugende Gutachten von PD Dr. B., ferner auf die plausible versorgungsärztliche Stellungnahme nach Aktenlage von Dr. L. vom 14.11.2014. Der Senat macht sich diese Feststellungen, die auch in Übereinstimmung mit der vorliegenden Befunddokumentation stehen, zu eigen.

Dabei ist sich der Senat bewusst, dass die von Dr. L. erstellte Stellungnahme grundsätzlich einen anderen Beweiswert und eine andere Beweiskraft hat und somit andere Aussagekraft besitzt als gerichtliche Gutachten. Dies stellt aber kein Hindernis dar, nicht nur Verwaltungsgutachten, sondern auch versorgungsärztliche Stellungnahmen zu verwerten und ihnen im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 SGG) zu folgen. Ein anderer Weg, wie etwa der, versorgungsärztliche Stellungnahmen trotz fachlicher Fundiertheit und Überzeugungskraft unbeachtet zu lassen, ist für den Senat nicht denkbar. Die sachliche Äußerung der genannten Versorgungsärztin deckt sich im Übrigen auch mit den beim Senat bestehenden Fachkenntnissen, die dieser aufgrund der zahlreichen vergleichbaren Fälle im Bereich des Blindheitsnachweises erworben hat. Die Äußerungen von Dr. L. lassen nicht die Besorgnis der Befangenheit entstehen, die Klägerseite hat auch keine erheblichen Einwendungen in diese Richtung erhoben. Die Stellungnahme ist von der Klägerin lediglich im Ergebnis - und auch nur teilweise - hinterfragt worden (zur Verwendung von Verwaltungsgutachten im gerichtlichen Verfahren s. z.B. das Urteil des Senats vom 11.07.2017 - L 15 VJ 6/14.)

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass die Klägerin an beiden Augen an einer großen zentralen Netzhaut- und Adernhautatrophie, die bis über die großen Gefäßbögen hinaus reicht und von feinen linienartigen Unterbrechungen durchzogen wird, leidet, ferner an Kurzsichtigkeit, Stabsichtigkeit, Altersweitsichtigkeit und beginnendem Grauen Star. Dabei bedingt die große zentrale Netzhaut- und Aderhautatrophie eine hochgradige Sehminderung und eine hochgradige Einschränkung im Leben der Klägerin. Nach Auffassung des Senats reicht diese Einschränkung in ihrem Ausmaß bis relativ nahe an die Blindheitsgrenze im Sinne des BayBlindG heran.

Diese Feststellungen ergeben sich u.a. auch aus dem plausiblen Gutachten von PD Dr. B..

Zwar hat die Klägerin im Laufe der Untersuchungen, z.B. bei dem gemäß § 109 SGG beauftragten Sachverständigen Dr. C. nur noch einen Visus von Handbewegungen und beim Sachverständigen Dr. L. einen Visus von nur 1/70 angegeben. Auch war bei der Klägerin teilweise gar kein Gesichtsfeld mehr erhebbar. Dennoch ist faktische Blindheit der Klägerin im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 BayBlindG nicht nachgewiesen.

Wie die Sachverständige PD Dr. B. plausibel dargelegt hat und auch entsprechend der Zweifel des Beklagten (Stellungnahme von Dr. L. vom 14.11.2014), können diese Angaben einen Nachweis nicht erbringen. Aufgrund der zahlreichen entgegenstehenden Aspekte sind diese Angaben nicht geeignet, den Senat davon zu überzeugen, dass bei der Klägerin Blindheit im Sinne des BayBlindG mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (s.o.) vorliegen würde.

1. So hat Dr. L. in der genannten Stellungnahme zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Verschlechterung des Visus innerhalb von nur sechs Monaten von 0,05 rechts und 0,16 links (Werte vom Februar 2012) auf nur noch Erkennen von Handbewegungen (Werte im September 2012) ohne akute besondere Ursache sehr ungewöhnlich ist. Zwar ist dem Senat aus zahlreichen Verfahren nach dem BayBlindG bekannt, dass es mitunter schwierig sein kann, tatsächliche Verschlechterungen der Sehfunktionen zu erklären, wenn kein Hinweis für eine erneute Schädigung etc. besteht. So hat z.B. Prof. Dr. R., der gemäß § 109 SGG im Verfahren des Senats L 15 BL 6/07 (vgl. das Urteil vom 31.01.2013) ein Sachverständigengutachten erstellt hat, plausibel dargelegt, dass man es bei umfassenden Schädigungen immer wieder erlebe, dass auch nach Jahren ohne sichtbare Änderung des morphologischen Befundes eine weitere Funktionsschädigung eintrete. Der Sachverständige hat jedoch diese Aussage für solche umfassenden Schädigungen getroffen, die auch die Sehrinde mit einbeziehen, also für die Fälle der zerebralen Schäden (vgl. zu diesem Problemkreis z.B. Braun/Zihl, Der Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 2015, S. 81, 82). Um solche Zerebralschäden geht es vorliegend jedoch nicht. Zudem wäre die Verschlechterung des Visus vorliegend (von 0,16 auf Handbewegungen!) massiv. Ein solcher Visusverfall bedarf jedoch entsprechend der verbindlichen Vorgaben der VG in Teil B Vorbemerkung Nr. 4 zwingend der Erklärung durch die morphologische Situation. Eine solche Erklärung gibt es vorliegend aber nicht. Insbesondere bleiben auch die Sachverständigen Dr. L. und Dr. C. eine solche Erklärung schuldig. Eine solche stellt auch nicht der Hinweis von Dr. L. dar, dass die Klägerin einerseits bei den behandelnden und andererseits bei den gutachterlich untersuchenden Augenärzten jeweils konsequent eine identische Sehschärfe angegeben habe.

2. Wie sich aus der Beweisaufnahme ergibt, sprechen einige Anhaltspunkte dafür, dass bei der Klägerin die Erkrankung Morbus Stargardt vorliegt. Insoweit könnte durchaus auch Einiges dafür sprechen, dass der Visus - entsprechend dieses Krankheitsbilds - deutlich oberhalb der Blindheitsgrenze liegt. Hiergegen steht zwar der Hinweis von Dr. L., dass die Makulaveränderung nicht dem Befund einer Stargardt'schen Makuladegeneration entspreche, sondern flächenmäßig und in der Ausprägungsart diese weitaus übertreffe. Eine befriedigende Erklärung hinsichtlich der Ursache der Erkrankung der Klägerin gibt jedoch auch Dr. L. nicht.

3. Wie die Versorgungsärztin Dr. L. plausibel hervorgehoben hat, sind sowohl die Visusangaben der Klägerin als auch ihre Gesichtsfeldangaben sehr unterschiedlich ausgefallen. So sind im September 2012 und Dezember 2012 beim Visustest nur Handbewegungen erkannt worden. Im Dezember 2013 hat die Klägerin sogar angegeben, nur Unterarm- und nicht einmal Handbewegungen erkannt zu haben. Im März 2014 ist dann eine Visusbestimmung von 0,5/50 monokular bzw. 1/70 binokular möglich gewesen. Was das Gesichtsfeld betrifft, so war im Dezember 2012 eine Gesichtsfeldbestimmung nach den Angaben der Klägerin überhaupt nicht möglich, im Dezember 2013, März 2014, Januar 2016 und Dezember 2016 waren dann jedoch sehr exakte Gesichtsfeldangaben möglich. Diese aufgrund der unterschiedlichen Gesichtsfeldangaben bestehenden Bedenken sind auch von Dr. L. und Dr. C. nicht ausgeräumt worden. Wie bereits hinsichtlich des Visusverfalls innerhalb von nur sechs Monaten ist auch hinsichtlich dieser Zweifel festzustellen, dass die Gutachter hier nicht einmal im Ansatz eine Erklärung liefern. Die Angaben der Klägerin, die Blindheit begründen würden, sind somit nicht glaubhaft.

4. Zweifelhaft bleibt auch, ob die bei der Klägerin vorliegende unbestritten massive Einschränkung im zentralen Gesichtsfeld eine so ausgeprägte Visusminderung, wie von der Klägerin angegeben, bewirken kann. Wie in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.11.2014 hervorgehoben worden ist, kann bei einer Ausdehnung von ca. 30 Grad keine Visusminderung auf unter 0,05 erklärt werden. Zu dieser Frage stellt Dr. L. lediglich allgemein fest, dass „sich keine auffällige Diskrepanz der Befunde“ ergebe, wenn man die angegebene zentrale Sehschärfe in Relation zum flächenhaften Ausfall der Makularegion setze. Auch Dr. C. geht ohne nähere Begründung davon aus, dass die festgestellten Zentralskotome das Herabsinken des Visus auf nur noch Handbewegungen bewirken könnte. Genauere Erklärungen werden hier aber auch nicht geliefert.

5. Erhebliche Zweifel an der angegebenen Sehschärfe ergeben sich auch im Hinblick auf das Ergebnis des objektiven Funktionsbefundes hinsichtlich der Auslösung des OKN. Auch wenn der Gutachter Dr. L. sicherlich zutreffend darauf hingewiesen hat, dass es sich hinsichtlich des festgestellten Visusäquivalents von 0,1 lediglich um einen Richtwert handelt und wenn der auf Antrag der Klägerin beauftragte Sachverständige Dr. C. auf Unsicherheiten in diesem Messverfahren verwiesen hat, so entspricht es dem anerkannten und im Wesentlichen unstrittigen medizinischen Erfahrungswissen, dass eine Prüfung des OKN zur Abschätzung der Sehschärfe (ohne Antworten von Seiten des Patienten) herangezogen werden kann (vgl. z.B. Lachenmayr, Begutachtung in der Augenheilkunde, 2. Auflage, S. 71 ff.), auch wenn hier, wie bei allen anderen objektiven Testverfahren generell durchaus die Möglichkeit der Fehleinschätzung nicht völlig ausgeschlossen ist (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 27.09.2016 - L 15 BL 11/15). Wie dem Senat aufgrund zahlreicher Verfahren bekannt ist, wird die Sehschärfe, bei der noch ein OKN ausgelöst werden kann, in der medizinischen Fachwelt unterschiedlich angesetzt (a.a.O.). Es besteht jedoch Einigkeit darüber, dass ein auslösbarer OKN eine oberhalb der Blindheitsgrenze liegende Sehschärfe voraussetzt und bei einem (tatsächlich) auf Handbewegungen reduzierten Visus negativ ausfällt. Bei einem auslösbaren OKN beträgt die Sehschärfe mehr als Handbewegungen. Insbesondere gilt dies auch unabhängig von der Entfernung der Nystagmustrommel (a.a.O.).

6. Schließlich ergeben sich für den Senat massive Zweifel an den Angaben der Klägerin auch daraus, dass am 23.12.2016 (bei Dr. C.) erneut eine sehr exakte Gesichtsfeldbestimmung möglich war, obwohl die Klägerin beim Visustest nur noch das Erkennen von Handbewegungen angegeben hat. Wie der Sachverständige in dem oben genannten Verfahren (L 15 BL 11/15) plausibel dargelegt hat, kann bei einer Sehschärfe von Handbewegungen die Testmarke III/4e nicht erkannt werden (vgl. die Ausführungen des Senats in dem genannten Urteil). Auch insoweit gehen die Gutachter Dr. L. und Dr. C. auf diese Problematik hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit der klägerischen Angaben bei den subjektiven Prüfungen von Visus und Gesichtsfeld nicht näher ein.

Im Übrigen überzeugen den Senat die Ausführungen des SG hierzu nicht, dass nämlich bei der morphologischen Situation der Klägerin mit einem großflächigen Zentralskotom und einer ausgedehnten Pigmentverschiebung mit Pigmentepitheldystrophien trotz eines Visus von 1/100 ein exaktes Gesichtsfeld noch bestimmbar sei und auch der OKN ausgelöst werden könne. So ist diese pointierte Feststellung von den vorliegenden Gutachten, die von Blindheit der Klägerin ausgehen, nicht getroffen worden. Zum anderen liegt nahe, dass die Sehstörung der Klägerin nicht schematisch in den „erkrankten Teil“ und „gesunden Rest“ aufgeteilt werden kann, sondern dass durch die Makulaveränderungen das Sehvermögen insgesamt schwer beeinträchtigt ist. Anderenfalls würde lediglich ein Fall des von den Fallgruppen der DOG/VG berücksichtigten Zentralskotoms vorliegen bzw. die Sehschärfe in der Peripherie für unbeeinträchtigt gehalten werden. Eine solche Vorstellung entspricht jedoch nicht den medizinischen Gegebenheiten, wie aus dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme folgt.

7. Im Übrigen folgen massive Zweifel auch im Hinblick auf die von der vom Senat beauftragten Gutachterin PD Dr.B. aufgezeigten Unstimmigkeiten bei den klägerischen Angaben etc. (s. im Einzelnen oben). Dabei ist nicht zu beanstanden, dass die Sachverständige die vorgenannten Kontrolluntersuchungen vorgenommen hat. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. das Urteil vom 31.01.2013 - L 15 BL 6/07) und ist - völlig unbestritten - für eine sinnvolle Blindenbegutachtung unabdingbar (vgl. z.B. durchgängig bei Lachenmayr, a.a.O.), dass mit weiteren Prüfungen Plausibilitätskontrollen etc. erfolgen müssen. Die zum Einsatz gebrachten Tests stellen, wie die Sachverständige nachvollziehbar dargelegt hat, allesamt wissenschaftlich untersuchte und seit langem erprobte Beobachtungsmethoden dar. Es kommt nicht darauf an, ob das eine oder andere Testverfahren Bedenken begegnet, wie sie von der Klägerseite hervorgehoben worden sind (wie z.B. hinsichtlich der Teller-Acuity-Cards), was der Senat im Einzelnen nur eingeschränkt prüfen kann, dem aber hier nicht weiter nachgegangen werden muss.

Nicht von Bedeutung ist vorliegend auch, ob es gegebenenfalls aussagekräftigere Aggravationstests gegeben hätte.

Schließlich ist für den Senat - mit Blick auf die diametral unterschiedlichen Angaben der Sachverständigen und der Klägerseite zum Ablauf der Begutachtung - letztlich auch nicht mit Sicherheit erkennbar, ob die Klägerin bei der Prüfung der Sehschärfe anhand der Lesetafel die Ziffer Fünf tatsächlich erkannt oder sonstige Kenntnis von dieser Ziffer auf der Tafel gehabt hat (z.B. wegen des von der Klägerseite am 20.09.2017 geschilderten Begutachtungsablaufs oder auch aufgrund früherer Untersuchungen).

Aufgrund der Vielzahl von Indizien, dass die Angaben der Klägerin nicht plausibel gewesen sind, ergeben sich durch das nachvollziehbare Gutachten von PD Dr. B. jedenfalls in der Gesamtheit deutliche Zweifel an den Angaben.

8. Entsprechendes gilt auch für die Verhaltensschilderungen durch Dr. G.. So hat die Klägerin durchaus eine Orientierungsfähigkeit gezeigt, die mit Blindheit nur schwer vereinbar sein dürfte. Allerdings hat Dr. C. diese Zweifel relativiert, indem er darauf hingewiesen hat, dass das periphere Gesichtsfeld wesentlich bedeutsamer sei als die zentrale Sehschärfe und dass die Klägerin ihr Orientierungsverhalten sukzessive dem Fortschreiten des Augenleidens anpassen hat können. Dennoch verbleiben aus Sicht des Senats gewisse Zweifel (vgl. im Übrigen zur generell begrenzten Bedeutung von Verhaltensbeobachtungen die Rechtsprechung des Senats, z.B. das Urteil vom 16.09.2015 - L 15 BL 2/13).

9. Faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt auch nicht vor, weil etwa aufgrund des speziellen Krankheitsbilds der Klägerin ausnahmsweise von Blindheit auszugehen wäre. Zwar ist in besonderen Ausnahmefällen spezieller Krankheitsbilder nach der Rechtsprechung des Senats die Annahme von Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der VG bzw. der DOG nicht von vornherein ausgeschlossen (vgl. im Einzelnen die Urteile vom 31.01.2013 - L 15 BL 6/07 - sowie vom 27.09.2016 - L 15 BL 11/15). Wie der Senat ebenso bereits entschieden hat, ist Voraussetzung für die Berücksichtigung jedoch, dass feststeht, welche Visus- und Gesichtsfeldwerte im Einzelnen erreicht werden, was hier gerade nicht der Fall ist. Ein allgemeiner, pauschaler Vergleich genügt insoweit nicht (vgl. das genannte Urteil vom 27.09.2016 - a.a.O. - sowie vom 05.07.2016 - L 15 BL 17/12).

Etwas Anderes ergibt sich im Übrigen auch nicht aus dem Gedanken, dass gerade bei einer Makuladegeneration ein fast vollständiger Verlust der Lesefähigkeit hervorgerufen wird, obwohl die Sehschärfe in der Ferne besser sein kann (vgl. z.B. Rohrschneider, MedSach 2012, S. 5, 6), so dass trotz besserer (d.h. über 0,02 liegender) - wie vorliegend anzunehmend - Fernvisuswerte im Hinblick auf die spezielle Erkrankung bei der Klägerin dennoch von Blindheit auszugehen wäre. Dieser Gedanke widerspricht nämlich dem System der Blindheitsbeurteilung bzw. den Vorgaben der VG/DOG, die die Visusprüfung ausschließlich auf den Fernvisus reduzieren, auch wenn dies „angesichts des hohen Stellenwertes von Lesen und Schreiben für die Teilhabe am täglichen Leben verwundert“ (Rohrschneider, a.a.O.). Eine solche Ausdehnung des Blindheitsbegriffs ist dem Senat aber nicht möglich, da er an diese Vorgaben gebunden ist.

Somit schließt der Senat zwar nicht völlig aus, dass das Sehvermögen der Klägerin doch unter die maßgebliche Blindheitsschwelle herabgesunken sein könnte. Wie ausführlich dargestellt, mangelt es jedoch insoweit am notwendigen Beweis.

Kann das Gericht bestimmte Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen (non liquet), so gilt der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. z.B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ders., SGG, 12. Aufl. 2017, § 103, Rdnr. 19a, mit Nachweisen der höchtsrichterlichen Rspr.). Die Klägerin muss daher nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Folgen tragen, dass eine (deutliche) Ungewissheit bezüglich der für sie günstigen Tatsachen verblieben ist. Denn für das Vorliegen der Voraussetzungen der Blindheit gemäß Art. 1 Abs. 2 BayBlindG trägt der sehbehinderte Mensch die objektive Beweislast. Das BSG hat in seinem Urteil vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14) eine Beweiserleichterung - selbst für die besonders schwierigen Fälle der Blindheit bei zerebralen Schäden (vgl. hierzu Braun/Zihl, a.a.O.) - klar abgelehnt. Etwas Anderes ergibt sich ferner auch nicht aus der Tatsache, dass vorliegend die Klägerin Berufungsbeklagte ist.

Anlass für weitere Ermittlungen durch den Senat und erst recht eine verfahrensrechtliche Pflicht hierzu haben nicht bestanden, auch wenn die Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß § 106 SGG sogar vom Beklagten in den Raum gestellt worden ist. Aus Sicht des Senats war es jedoch nicht angezeigt und letztlich rechtlich auch nicht möglich, noch weitere Gutachten nach § 106 SGG einzuholen. Es ist dem Senat selbstverständlich verwehrt, solange Gutachten einzuholen, bis ein bestimmtes Ergebnis dargelegt wird. Auch ist ein Obergutachten dem sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich fremd (vgl. das Urteil des Senats vom 05.08.2014 - L 15 SB 29/12), „weil nach Verfahrensrecht alle Gutachten dieselbe Relevanz beanspruchen können“ (Kater, a.a.O., S. 25), Ein Obergutachten kommt vorliegend unter keinem Gesichtspunkt in Betracht. Denn in den Fällen, „in denen einander widersprechende Gutachten vorliegen, ist das Gericht gezwungen, sich mit den Einzelheiten der medizinischen Feststellungen auseinanderzusetzen, um Klarheit darüber zu gewinnen, welche überzeugen und der Entscheidung zu Grunde gelegt werden können und welche nicht“ (Kater, a.a.O., S. 27). Dies hat der Senat getan. Ein Sonderfall, der die Einholung einer „dritten Meinung“ erforderlich machen würde, wie etwa dann, wenn sich zwei grundsätzliche medizinische Lehrmeinungen gegenüberstehen und das Gericht mangels eigener Sachkenntnis deren jeweilige Relevanz in der Wissenschaft nicht beurteilen kann, ist vorliegend nicht gegeben. Zudem sind in gerichtlichen Verfahren medizinische Gutachten nicht um ihrer selbst willen einzuholen. Insbesondere ist es auch nicht Sinn des Verfahrens, lediglich die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft voranzutreiben oder in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen Position zu beziehen (vgl. das Urteil des Senats vom 11.07.2017 - L 15 VJ 6/14, mit Verweis auf das Urteil des BSG vom 16.09.2007 - 1 RK 28/95).

Die Berufung hat somit Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zahlung von Blindengeld durch den Beklagten. Der Gerichtsbescheid des SG ist aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 14.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2013 ist abzuweisen. Die unbegründete Anschlussberufung ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Tenor

I.

Auf die Berufung wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 18. Dezember 2012 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) hat.

Für die 1968 geborene Klägerin sind ein GdB von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B, G, H und RF festgestellt (Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 28.11.2006). Dabei ist ein Einzel-GdB von 100 für die Gesundheitsstörung Rosazea mit Hornhaut- und Lidbefall, Sehminderung beidseits festgesetzt worden.

Am 17.10.2011 stellte die Klägerin beim Beklagten Antrag auf Blindengeld. Der Beklagte holte einen Befundbericht des behandelnden Augenarztes Dr. R. vom 02.11.2011 ein und wertete einen Bericht der Augenklinik des Universitätsklinikums B-Stadt, Prof. Dr. L., vom 26.09.2011 aus.

Mit Bescheid vom 30.11.2011 lehnte der Beklagte den Antrag ab, da die Voraussetzungen nach Art. 1 Abs. 2 BayBlindG nicht vorlägen; nach den vorliegenden Unterlagen betrage die Sehschärfe der Klägerin auf beiden Augen 0,12 (6/50). Gesichtsfeldeinschränkungen seien nicht nachgewiesen und nicht in einem anspruchsbegründenden Ausmaß wahrscheinlich.

Hiergegen erhob die Klägerin am 09.12.2011 Widerspruch. Diesen begründete sie damit, dass sie seit ca. drei Jahren an Diabetes erkrankt sei und nicht wisse, wie sich dieser auf ihre Augen auswirke. Auch habe sie in letzter Zeit bemerkt, dass sich ihr restliches Sehvermögen nochmals verschlechtert habe. Weitere Ermittlungen führte der Beklagte soweit ersichtlich nicht durch. Mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.2012 wies er den Widerspruch als unbegründet zurück. Im Fall der Klägerin sei der Visuswert von 0,12 maßgeblich. Bei einer Sehschärfe von mehr als 0,1 wie vorliegend sei Blindheit nur dann anzunehmen, wenn das Gesichtsfeld eingeengt sei und die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5 Grad vom Zentrum entfernt sei, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50 Grad unberücksichtigt blieben. Hinweise auf eine Gesichtsfeldeinengung über 5 Grad würden aus den vorliegenden Unterlagen, so der Beklagte, nicht hervorgehen.

Am 26.03.2012 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie darauf hingewiesen, dass ihre Sehschärfe auf dem rechten Auge 1/40 und auf dem linken Auge 1/24 betrage; somit liege der Visus - so die Klägerin [fälschlich, d. Verf.] - unter einer Sehstärke von 1/50.

Das SG hat einen Befundbericht des behandelnden Augenarztes C. vom 30.06.2012 und einen Bericht des Bundeswehrkrankenhauses B-Stadt, Klinik für Augenheilkunde, Prof. Dr. G., vom 25.06.2012 eingeholt. Der Augenarzt C. hat einen Visus von 1/35 rechts und 1/50 links festgehalten. Es bestünden beidseits konzentrische Gesichtsfeldeinschränkungen bis auf 20 Grad. Als Diagnosen hat der Arzt Hornhautnarben bei rezidivierender Rosazea-Keratitis beidseits mit erheblicher Visusverschlechterung festgestellt.

Sodann hat das Gericht Beweis erhoben durch ein ophthalmologisches Sachverständigengutachten von Dr. K. Die Fachärztin hat in ihrem Gutachten vom 23.08.2012 festgestellt, dass die Klägerin seit 10 Jahren an Entzündungen der vorderen Augenabschnitte erkrankt sei, die nach Angaben der Klägerin seit 2007 so zugenommen hätten, dass sich diese in fremder Umgebung nicht mehr bewegen, nicht mehr zusammenhängend lesen und ihren Haushalt nicht mehr selbst versorgen könne; in ihrem Beruf als Frisörin könne die Klägerin schon seit mehreren Jahren nicht mehr tätig sein. Die Erkrankung verlaufe schubweise.

Als Visuswerte hat die Sachverständige nur rechts 0,5/50 angegeben; Gläser würden nicht bessern. Aufgrund der Medientrübung sei eine objektive Refraktion nicht durchführbar. Bei der kinetischen Goldmannperimetrie (Reizmarke III/4) hätten sich folgende Werte ergeben:

- Rechtes Auge: ein etwas größeres Gesichtsfeld als 5 Grad, nasal oben, nasal unten und temporal.

- Linkes Auge: Hier seien die Angaben sehr unregelmäßig, da die Lichtmarke an vielen Stellen gar nicht erkannt worden sei; das Gesichtsfeld sei auf unter 5 Grad eingeschränkt angegeben worden.

Im Rahmen der übrigen Untersuchungen hat Dr. K. unter anderem angegeben, dass die Ishihara-Tafeln (Farbsehen) nicht erkannt worden seien. Im Hinblick auf die VEP (visuell evozierte Potenziale) hat die Sachverständige dargelegt, dass aufgrund des schlechten Sehvermögens das Gittermuster nicht sicher erkannt worden sei, so dass eine Schädigung des Sehnervens weder bewiesen noch ausgeschlossen werden könne.

Die Herabsetzung der zentralen Sehschärfe durch die starke Narbenbildung in der Hornhaut betrage beidseits unter 1/50. Die Gesichtsfeldeinschränkung sei erheblich, so dass aufgrund der heute erhobenen Befunde Anspruch auf Blindengeld bestehe. Über zurückliegende Zeiten könne nicht geurteilt werden.

Vom SG um eine Stellungnahme gebeten, hat der Beklagte weiterhin die Klageabweisung beantragt. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21.09.2012 hat die Sozialmedizinerin Dr. P. darauf hingewiesen, dass der von Dr. K. angegebene Visus nicht plausibel sei, da die Muster-VEP rechts reproduzierbar gewesen seien, wofür eine Sehschärfe von 0,1 Voraussetzung sei. Ebenso wenig seien die Angaben der Sachverständigen zum Gesichtsfeld nachvollziehbar. Eine Einengung der Gesichtsfeldaußengrenzen auf 5 Grad Abstand vom Zentrum habe aber im Hinblick auf die weiteren Untersuchungsbefunde weder ein morphologisches Korrelat noch sei diese Einengung durch die Hornhauttrübung zu erklären. Es bestünden somit begründete Zweifel an den Angaben zum Gesichtsfeld, die auch durch das Ergebnis der ebenfalls durchgeführten Computerperimetrie erhärtet würden. Der Nachweis sei nicht erbracht.

Die Klägerin hat am 19.10.2012 hervorgehoben, dass sich ihr Augenleiden extrem verschlechtert habe; momentan sei sie ständig auf Begleitung angewiesen.

Im Auftrag des SG hat die Sachverständige Dr. K. am 29.10.2010 ergänzend Stellung genommen. Zunächst hat sie sich dafür entschuldigt, dass die Sehschärfe des linken Auges im Gutachten nicht angegeben worden sei; hier sei eine Sehschärfe von 0,5/50 festgestellt worden; Gläser hätten nicht gebessert. Das Gesichtsfeld sei sowohl statisch als auch kinetisch geprüft worden; die kinetische Goldmannperimetrie (Marke III/4) sei mit dem Oculus Twinfield Perimeter, das hierfür zugelassen sei, geprüft worden. Es sei kein Lichtpunkt auch bei langsamer Führung durch die Perimetristin vom rechten Auge außerhalb der 5-Grad-Grenze erkannt worden. Links seien drei Lichtpunkte bei 8 Grad Distanz vom Zentrum bei langsamster Führung erkannt worden. Die Angaben der Klägerin hätten bei der Untersuchung mit dem unsicheren Verhalten innerhalb der Praxis übereingestimmt. Entsprechend der aktuellen Forschung sei festzustellen, dass eindeutige Visuseinschätzungen durch Visus- und Muster-VEP nicht möglich seien.

In das Sehvermögen einer zu prüfenden Person gingen, so die Sachverständige, auch die Trübungen der brechenden Medien, die auch bei funktionierender Netzhaut ein ausreichendes Sehvermögen nicht mehr möglich machen würden, ein. Es sei nicht zulässig, in Einzelpunkten Restfunktionen des Sehvermögens anzuführen, die möglicherweise bei klarer Hornhaut ein viel besseres Sehvermögen erlauben würden.

Auch daraufhin hat der Beklagte weiter Klageabweisung beantragt. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 29.11.2012 hat die Sozialmedizinerin Dr. P. bestätigt, dass die nachgereichte Sehschärfe des linken Auges teilweise im Hinblick auf den morphologischen Befund plausibel sei. Die Zweifel an der angegebenen Sehschärfe rechts würden dagegen weiter aufrechterhalten. Dass durch Visus- und Muster-VEP eindeutige Visuseinschätzungen nicht möglich seien, sei bekannt und würde von versorgungsärztlicher Seite auch nicht behauptet. Es könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aber ausgeschlossen werden, dass bei einer Sehschärfe von weniger als 1/50 noch Muster-VEP abgeleitet werden könnten.

Bei einer augenärztlichen Begutachtung vom 27.12.2004 im Klageverfahren vor dem SG, Aktenzeichen S 11 SB 296/04, sei die Sehschärfe beidseits 0,1 gewesen, obwohl der morphologische Befund damals an der Hornhaut (zumindest rechts) schlechter gewesen sei. Im Hinblick auf die Untersuchungsergebnisse der Sachverständigen Dr. K. auch bezüglich der hinteren Augenabschnitte fehle nun eine plausible Erklärung für die um mehr als sieben Zeilen schlechtere Sehschärfe gegenüber dem Vorgutachten aus 2004. Im Übrigen sei anzumerken, dass bei Ableitung der VEP auch Trübungen der brechenden Medien mit einbezogen würden (ebenso wie bei der Prüfung der Sehschärfe). Auch könne die sorgfältigste Gesichtsfeldprüfung unzutreffende Angaben nicht verhindern. Daher sei auf den morphologischen Befund abzustellen.

Zusammenfassend hat die Sozialmedizinerin Dr. P. die Gründe dargelegt, aus denen erhebliche Zweifel an den Angaben der Klägerin bestünden. Diese Zweifel hätten auch durch die ergänzenden Ausführungen der Sachverständigen nicht ausgeräumt werden können.

Sodann hat das SG die Beteiligten darüber informiert, dass es eine Entscheidung per Gerichtsbescheid beabsichtigte; die Beteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Beklagte hat am 13.12.2012 bekundet, dass keine Bedenken hiergegen bestünden.

Mit Gerichtsbescheid vom 18.12.2012 hat das SG den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 30.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.02.2012 verurteilt, der Klägerin ab 01.08.2012 Blindengeld zu gewähren; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Nach Durchführung der Beweisaufnahme, so das SG, stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin den Nachweis der Blindheit erbracht habe. Das SG hat sich insoweit der Sachverständigen Dr. K. angeschlossen. Die zentrale Sehschärfe sei durch die starke Narbenbildung in der Hornhaut beidseits auf unter 1/50 herabgesetzt; insoweit seien die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayBlindG gegeben. Dass bei der Klägerin aufgrund der Ergebnisse der Muster-VEP-Untersuchung ein Visus auf dem rechten Auge von mindestens 0,1 bestehen solle, halte das SG nicht für plausibel, denn nach dem dokumentierten Verlauf der Sehminderung habe ab dem Jahr 2008 kein besserer Visus als 1/24 bestanden. Soweit im Befundbericht von Dr. R. ein beidäugiger Visus von 0,12 angenommen worden sei, könne dies angesichts eines korrigierten Visus links von 1/40 und rechts von 1/24 nicht nachvollzogen werden. Die Blindheit der Klägerin sei erst durch die Begutachtungsuntersuchung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, so dass ihr nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG erst ab 01.08.2012 Blindengeld zustehe.

Hiergegen hat der Beklagte am 25.01.2013 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) erhoben und beantragt, gemäß § 199 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Vollstreckung aus dem Gerichtsbescheid durch einstweilige Anordnung auszusetzen. Zur Begründung der Berufung hat der Beklagte eine Reihe von gegen den Nachweis von Blindheit sprechenden Punkten vorgetragen, nämlich vor allem die ableitbaren Muster-VEP, das fehlende morphologische Korrelat für die angegebene Verschlechterung des Sehvermögens rechts (Visus) gegenüber Vorbefunden im Dezember 2004 und im Juni 2012 und die fehlende Erklärung für die von der Klägerin angegebene hochgradige Gesichtsfeldeinengung auf 5 Grad Abstand vom Zentrum (durch Medientrübung nicht erklärbar). Die Zweifel an den Angaben der Klägerin zum Sehvermögen seien daher erheblich. Der Beklagte hat beantragt, eine weitere Begutachtung gemäß § 106 SGG (in einer Augenklinik durch einen erfahrenen Gutachter) durchzuführen.

Mit Beschluss vom 14.03.2013 (Az.: L 15 BL 1/13 ER) hat der Senat die Vollstreckung aus dem Gerichtsbescheid ausgesetzt. Der Beklagte habe plausibel gemacht, dass nach dem Gutachten von Dr. K. verschiedene gravierende Widersprüche blieben.

Mit Beschluss vom 27.08.2013 hat der Senat der Klägerin für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt W. beigeordnet.

Dieser hat im Schriftsatz vom 27.03.2014 berichtet, dass sich nach aktueller Mitteilung der Klägerin ihr Augenleiden seit März 2013 weiter verschlechtert habe; die Klägerin leide jeden Monat unter der Entzündung eines Auges.

Im Folgenden hat das Gericht aktuelle Befundberichte behandelnder Ärzte (Augenarzt C. sowie Dr. F./Dr. S., Endokrinologiezentrum B-Stadt) eingeholt.

Im Auftrag des Gerichts hat Prof. Dr. E. am 11.12.2014 ein augenfachärztliches Sachverständigengutachten nach Untersuchung der Klägerin erstellt.

Beim Gutachter hat die Klägerin angegeben, „im Großen gar nichts mehr“ zu sehen; sie könne nur Umrisse schemenhaft erkennen. Ihre Sehschärfe sei seit längerer Zeit konstant und zunehmend schlechter geworden. Zu Hause komme sie gar nicht mehr zurecht und werde daher von ihren zwei Töchtern unterstützt.

Die Untersuchung des Augenhintergrundes durch Prof. Dr. E. hat für beide Augen jeweils einen identischen Befund ergeben, unter anderem eine randscharf begrenzte, vital gefärbte Papille - der Einblick sei aufgrund der Hornhauttrübungen deutlich reduziert; die Makula scheine flach zu sein; Netzhaut zirkulär stabil anliegend.

Im Gutachten sind folgende Visusbefunde erhoben worden (Ferne ohne Korrektur, mit Landoltringen): mit dem rechten Auge sowie linken Auge und auch beidäugig Fingerzählen. Als Kontaktlinsenvisus ist für das rechte und das linke Auge angegeben: weniger als 1/50 Meter Visus. Eine Messung der objektiven Refraktion sei nicht möglich gewesen.

Prof. Dr. E. hat an beiden Augen reproduzierbare Potenziale im Muster-VEP festgestellt, die Latenzen seien verlängert, die Amplituden im Normbereich gewesen.

Bei der mit dem Projektionshalbkugelperimeter nach Goldmann (Testmarke III/4) durchgeführten Gesichtsfeldprüfung hätten sich, so der Sachverständige, für jedes Auge folgende Außengrenzen ergeben: temporal 5 Grad, oben 5 Grad, nasal 5 Grad, unten 5 Grad.

Den Optokinetischen Nystagmus hat der Sachverständige mit der Catford-Trommel beidseits horizontal und vertikal auslösen können.

Aufgrund der Hornhautnarben an beiden Augen liege bei der Klägerin sicherlich eine sehr ausgeprägte Sehbehinderung vor; sie habe jedoch das Augenlicht nicht vollständig verloren.

Wegen den starken Diskrepanzen, auf die der Sachverständige in seinem Gutachten näher eingegangen ist, zwischen den klinischen Bunden und den subjektiven klägerischen Angaben könne, so Prof. Dr. E., leider keine präzise Aussage über das Ausmaß der Sehbehinderung getroffen werden. Derzeit bestünden keine Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad, dass sie einer Beeinträchtigung von nicht mehr als 1/50 auf dem besseren Auge entsprechen würden.

Bei der Klägerin bestünden keine Hinweise auf zerebrale Schäden; es handle sich vielmehr um eine reine Augenerkrankung. Weitere Begutachtungen seien nicht erforderlich.

Auf das gerichtliche Schreiben vom 26.01.2015, in dem der Klägerseite angeraten worden ist, die Klage angesichts des Gutachtens von Prof. Dr. E. zurückzunehmen, hat der Bevollmächtigte auf Aussagen im Gutachten verwiesen, die von der Klägerin so nicht bestätigt werden könnten. So sei die Klägerin während der gesamten Begutachtung immer auf die Hilfestellung des Ehemanns angewiesen gewesen. Bei keinem Zusammentreffen, weder mit der Stationsärztin noch mit Prof. Dr. E., sei zur Begrüßung eine Hand gereicht worden. Weiter ist hervorgehoben worden, dass die Klägerin bis 2010 deutlich besser zurechtgekommen sei; die letzten Jahre gehe es ihr jedoch zunehmend schlechter. Schließlich hat die Klägerin über ihren Bevollmächtigten auf die seit zwei Jahren bestehenden Depressionen mit Panikattacken hingewiesen. Vor diesem Hintergrund solle an dem Verfahren festgehalten werden.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des SG vom 18.12.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte sowie der Akte des BayLSG Aktenzeichen L 15 BL 1/13 ER, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Mit Beschluss gemäß § 153 Abs. 5 SGG vom 16.03.2015 ist die Berufung dem Berichterstatter übertragen worden, so dass dieser zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern zu entscheiden hat.

Die Berufung ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i. V. m. §§ 143, 151 SGG) und begründet.

Das SG hat zu Unrecht der Klage entsprochen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 30.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Änderung des BayBlindG v. 24.07.2013 (GVBl. Nr. 2013, 464) erhalten blinde Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166 S. 1, ber. ABl L 200 S. 1, 2007 ABl L 204 S. 30) in der jeweils geltenden Fassung dies vorsieht, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld. Dabei beinhaltet nach der Rechtsprechung des BSG die Formulierung „zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen“ keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung (BSG, Urteile v. 26.10.2004, Az.: B 7 SF 2/03 R, und v. 11.08.2015, Az.: B 9 BL 1/14 R).

Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,

1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt,

2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.

Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.

Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 1/50 (0,02) oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe Teil A Nr. 6 VG):

aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,

ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,

gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.

Dass die Klägerin keinen Anspruch auf Blindengeld hat, weil ihr das Augenlicht vollständig fehlen würde (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG), ist offensichtlich und bedarf keiner weiteren Darlegungen.

Auch die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 BayBlindG sind nicht erfüllt. Denn es ist nicht zur Gewissheit des Senats dargelegt, dass die Sehschärfe der Klägerin entsprechend der gesetzlichen Vorgabe auf 1/50 (0,02) oder weniger herabgesunken wäre (Nr. 1 der genannten Vorschrift). Gleiches gilt für eine der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachtende Sehstörung (Nr. 2).

Wie der Senat wiederholt (vgl. z. B. Urteil vom 20.01.2015, Az.: L 15 BL 16/12) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d. h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d. h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92).

Daran, dass bei der Klägerin faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 BayBlindG vorliegen würde, hat der Senat erhebliche Zweifel.

Dies folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Der Senat stützt sich dabei insbesondere auf das überzeugende, fundierte und nachvollziehbar begründete Gutachten von Prof. Dr. E.. Der Gutachter hat auf ophthalmologischem Fachgebiet die bei der Klägerin vorliegenden (Seh-)Beeinträchtigungen vollständig erfasst und unter Beachtung der maßgeblichen Vorgaben - insbesondere auch der VG - zutreffend gewürdigt. Der Senat macht sich die Feststellungen des genannten Sachverständigen, die auch in Übereinstimmung mit der vorliegenden Befunddokumentation - von den Darlegungen der Gutachterin Dr. K. abgesehen - stehen, zu eigen.

Danach leidet die Klägerin am rechten Auge an Stabsichtigkeit (hoher irregulärer Astigmatismus) und an beiden Augen an Hornhauttrübungen mit Hornhautvaskularisationen bei Zustand nach mehrfacher Keratitis bei Rosazea; am linken Auge mehr als am rechten Auge ist zudem ein negativer Skiareflex mit Kontaktlinsen feststellbar.

Dass eine Sehschärfe der Klägerin von 1/50 (0,02) oder weniger nicht nachgewiesen ist, ergibt sich entsprechend den plausiblen Darlegungen von Prof. Dr. E. bereits ohne Weiteres aus den reproduzierbaren Potenzialen im VEP und dem ausgelösten Optokinetischen Nystagmus. Denn aufgrund dieser Untersuchungsergebnisse ist nach der sachverständigen Feststellung eine bessere Sehschärfe als 1/50 naheliegend. Gleichwohl hat die Klägerin bei der klinischen Untersuchung als Sehschärfe nur Fingerzählen angegeben. Aus augenärztlicher Sicht liegen, wie Prof. Dr. E. ausdrücklich klargestellt hat, starke Diskrepanzen zwischen den objektiven Befunden und den subjektiven Angaben der Klägerin vor. Ein Ansatzpunkt für eine Erklärung, weshalb trotz der reproduzierbaren Potenziale und dem auslösbaren Optokinetischen Nystagmus eine so schlechte bzw. aufgehobene Sehschärfe bestehen sollte, findet sich nicht. Einen solchen hat auch weder die Klägerin noch das SG in seinem Gerichtsbescheid aufgezeigt.

In der Gesichtsfelduntersuchung durch Prof. Dr. E. hat sich an beiden Augen der Klägerin eine Einengung der Gesichtsfeldaußengrenzen mit einer horizontalen und vertikalen Ausdehnung des Gesichtsfelds von 10 Grad gezeigt. Wie der Sachverständige zutreffend darauf hingewiesen hat, hätte die Klägerin bei einer angegebenen Sehschärfe von (nur) Fingerzählen (binokular und monokular) die Testmarke III/4 jedoch gar nicht sehen können. Dies unterstreicht erneut die Diskrepanz zwischen den subjektiven Angaben und dem objektiven Untersuchungsbefund, aufgrund deren nach der überzeugenden Darlegung des Gutachters keine präzise Aussage über das Ausmaß der Sehbehinderung der Klägerin getroffen werden kann. Dies gilt im Übrigen auch hinsichtlich der Frage, ob vorliegend wegen eines speziellen Krankheitsbilds die Annahme von Blindheit auch außerhalb der Fallgruppen der VG bzw. der Richtlinien der DOG ausnahmsweise möglich ist (Fall der faktischen Blindheit außerhalb der normierten Fallgruppen, vgl. Urteil des Senats vom 31.01.2013, Az.: L 15 BL 6/07), was Prof. Dr. E. im Ergebnis ausdrücklich verneint hat.

Gewisse Zweifel im Hinblick auf den Blindheitsnachweis hat der Senat ferner auch wegen der vom Sachverständigen geschilderten Verhaltensbeobachtung. Jedoch kommt dieser Beobachtung keine entscheidende Bedeutung zu. Zwar sind, wie der Senat bereits ausdrücklich entschieden hat (vgl. Urteil vom 31.01.2013, a. a. O.), gerade in komplexen ophthalmologischen Problemlagen Plausibilitätskontrollen unabdingbar; dies gilt sowohl hinsichtlich nicht richtlinienkonformer Untersuchungsmethoden (vor allem Untersuchungen, die nicht mit dem Goldmann-Perimeter - Reizmarke III/4 - oder mit Landoltringen - Fernvisus - entsprechend den Vorgaben der VG bzw. der DOG durchgeführt worden sind) als auch für Verhaltensbeobachtungen (a. a. O.). Gerade bei Diskrepanzen ist kein Grund ersichtlich, der es verbieten würde, die Plausibilität von subjektiven Angaben zu hinterfragen. Den zusätzlichen Untersuchungsmethoden und Kontrollen darf nach der genannten Rechtsprechung des Senats (a. a. O.) keine (alleinige) Beweiskraft zugemessen werden. Wie der Beklagte jedoch zutreffend in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 29.11.2012 hervorgehoben hat, erlaubt eine Verhaltensbeobachtung grundsätzlich nur eine grobe Einschätzung des Sehvermögens. Sie ist nicht geeignet, mit der erforderlichen Zuverlässigkeit zwischen einer hochgradigen Sehbehinderung und einer Blindheit im Sinne des BayBlindG zu differenzieren.

Aus den vom Gutachter und von der Klägerseite (unterschiedlich) geschilderten Tatsachen, dass sich die Klägerin im Raum gut orientieren habe können, alleine den Untersuchungsstuhl gefunden, die Hand zur Begrüßung zielsicher reichen habe können bzw. dass der Fuß der Klägerin beim Hinsetzen auf den Behandlungsstuhl zwischen Stuhl und Boden gerutscht und die Klägerin beinahe gefallen sei und dass sie in jedem Behandlungsraum vom Personal an die Hand genommen etc. worden sei, ist somit kein rechtssicherer Rückschluss auf das exakte Sehvermögen der Klägerin möglich.

Ein anderes Ergebnis des Verfahrens folgt auch nicht aus dem ophthalmologischen Sachverständigengutachten von Dr. K., welches das SG eingeholt hat. Denn dieses Gutachten leidet an einer Reihe von deutlichen Mängeln, so dass aus ihm nach Auffassung des Senats kein Nachweis einer Blindheit erwachsen kann. So findet sich im Gutachten zu zentralen Widersprüchlichkeiten keine Stellungnahme. Unter anderem waren trotz der von der Gutachterin festgestellten stark reduzierten Sehschärfe (auch) bei Dr. K. (rechts) VEP reproduzierbar (hierzu vgl. oben die Darlegungen von Prof. Dr. E.). Zudem gibt es, worauf der Beklagte plausibel und überzeugend darauf hingewiesen hat, für die von der Klägerin bei der Begutachtung durch Dr. K. angegebene hochgradige Gesichtsfeldeinengung auf 5 Grad Abstand vom Zentrum bei unauffälliger Sehnervenscheibe und peripher anliegender Netzhaut kein morphologisches Korrelat. Auf dieses Argument ist die Sachverständige (im Übrigen auch in ihrer ergänzenden Stellungnahme) nicht eingegangen. Für die angegebene Verschlechterung des Visus rechts im Verlauf hat Dr. K. ebenfalls keine plausible Erklärung aufgezeigt. Wie der Beklagte zudem zutreffend dargelegt hat, hat sich die Sachverständige auch nicht mit der hohen Rate falsch negativer Fangfragen bei der von ihr ergänzend durchgeführten Computerperimetrie als Ausdruck unzuverlässiger Angaben auseinandergesetzt. Schließlich fehlt in ihrem Gutachten eine Verhaltensbeobachtung völlig.

Für den Senat steht außer Frage, dass bei der Klägerin - vor allem aufgrund der Hornhautnarben an beiden Augen - eine sehr ausgeprägte Sehbehinderung vorliegt, was die sicherlich drastischen Beeinträchtigungen in ihrem Alltag erklärt. Maßgeblich für das vorliegende Verfahren ist jedoch, ob die Klägerin die Blindheitsschwelle im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 BayBlindG über- bzw. unterschritten hat. Eine hochgradige Einschränkung des Sehvermögens genügt nicht. Auf den von der Klägerseite geschilderten Hilfebedarf (im Haushalt und bei Begleitung) kommt es also nicht entscheidend an.

Zusammenfassend ist festzustellen: Aus Sicht des Senats ist es zwar aufgrund der Begrenztheit der diagnostischen Möglichkeiten nicht völlig auszuschließen, dass das unzweifelhaft sehr deutlich beeinträchtigte Sehvermögen der Klägerin die genannte Blindheitsschwelle über- bzw. unterschritten haben könnte. Dafür fehlt es aber jedenfalls am notwendigen Beweis. Kann das Gericht bestimmte Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen (non liquet), so gilt der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. z. B. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 11. Aufl., § 103, Rdnr. 19a, mit Nachweisen der höchstrichterlichen Rspr.). Die Klägerin muss daher nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Folgen tragen, dass eine (beträchtliche) Ungewissheit bezüglich der für sie günstigen Tatsachen verblieben ist. Denn für das Vorliegen der Voraussetzungen der Blindheit gemäß Art. 1 Abs. 2 BayBlindG trägt der sehbehinderte Mensch die objektive Beweislast.

Der Senat hat alle Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Gesichtspunkte, die zu weiteren Ermittlungen hätten veranlassen müssen, sind nicht erkennbar. So besteht insbesondere keinerlei Anlass für die Erwartung, bei einer erneuten Untersuchung könnten nun die Diskrepanzen zwischen den objektiven Befunden und den subjektiven Angaben der Klägerin geklärt werden o. ä.

Die Berufung hat somit Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zahlung von Blindengeld durch den Beklagten.

Die Entscheidung des SG ist aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 30.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2012 abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten hin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29. Oktober 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

III. Außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen sind nicht zu erstatten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) hat.

Am 08.02.2012 stellte die 1948 geborene Klägerin erstmals Antrag auf Blindengeld beim Beklagten, der mit Bescheid vom 05.03.2012 abgelehnt wurde, da nach einem Befundbericht des Medizinischen Versorgungszentrums M. die Sehschärfe auf dem linken Auge 0,16 betragen hatte und sich keine Hinweise für maßgebliche Gesichtsfeldeinschränkungen gefunden hatten.

Am 10.10.2012 stellte die Klägerin erneut Blindengeldantrag, woraufhin der Beklagte die Begutachtung durch Dr. G. veranlasste. In dem Gutachten vom 04.12.2012 hielt dieser fest, dass sich bei Betrachtung des Augenhintergrunds Makulaveränderungen gezeigt hätten, die an Morbus Stargardt denken ließen, wobei der späte Beginn ungewöhnlich sei. Als Visusbefunde wurden Erkennen von Handbewegungen (rechts, links, beidäugig - jeweils ohne Korrektur) festgestellt. Eine Gesichtsfelduntersuchung sei nicht möglich gewesen; dennoch sei davon auszugehen, dass eine Einschränkung des Gesichtsfelds, die das für Blindengeld erforderliche Maß erreiche, nicht vorliegen würde. Bei der Beurteilung der Sehschärfe sei auffällig, wie sicher sich die Klägerin im Raum bewegt habe. Sie habe mühelos einem Stuhl ausweichen können und sei sicher durch die Türe gegangen. Die Auslösung des optokinetischen Nystagmus (OKN) nach Kotowski sei entsprechend einem Sehvermögen von 0,1 möglich gewesen. Unter Verweis auf wissenschaftliche Literatur stellte der Gutachter fest, dass ein solches Sehvermögen für einen fortgeschrittenen Morbus Stargardt relativ typisch sei.

Mit Bescheid vom 14.12.2012 lehnte der Beklagte daraufhin den Blindengeldantrag der Klägerin ab.

Hiergegen erhob die Klägerin am 21.12.2012 Widerspruch. In der Begründung dessen wurde auf das Attest von Dr. G. vom 22.01.2013 verwiesen. Am 21.02.2013 nahm die Ärztin des Beklagten Dr. P. ausführlich Stellung. Sie hielt u.a. fest, dass der Visusabfall zwischen den Untersuchungen am 29.12.2011 und 25.09.2012 (Befundberichte MVZ M. und Dr. C.), also innerhalb von nur neun Monaten, angesichts der von der Klägerin bei der Begutachtung durch Dr. G. anamnestisch angegebenen langsamen Progredienz nicht nachvollziehbar sei. Weiter wies sie darauf hin, dass bei der Klägerin der OKN mit dem auf 0,1 kalibrierten Schachbrettmuster ausgelöst habe werden können. Zusammenfassend stellte Dr. P. fest, dass die Zweifel an den Angaben zum Sehvermögen nicht nur auf der Beobachtung des spontanen Orientierungsverhaltens beruhen würden, sondern auch maßgeblich auf den Diskrepanzen zwischen dem angegebenen Sehvermögen und der Diagnose bzw. den morphologischen Befunden.

Daraufhin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.03.2013 der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Blindheit sei vorliegend nicht nachgewiesen. Die angegebene Sehschärfe von Handbewegungen bei der Begutachtung am 04.12.2012 auf beiden Augen sei mit den funktionellen Untersuchungsbefunden nicht in Einklang zu bringen; der Beklagte wies insbesondere auf den OKN und weiter darauf hin, dass der rasche Visusabfall innerhalb von neun Monaten nicht nachvollziehbar sei.

Am 02.04.2013 hat die Klägerin hiergegen Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben.

Zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts hat das SG Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt, nämlich vom Internisten K. und von der Augenärztin Dr. G., die am 16.12.2013 als Sehschärfe (korrigiert und unkorrigiert) Handbewegungen (Gläser bessern nicht) sowie Gesichtsfeldausfälle beidseits festgestellt hat, vor allem im zentralen Bereich (die Gesichtsfelduntersuchung sei mit dem HFA 2 erfolgt, Leuchtdichte und Stimulusgröße entsprechend Goldmann III/4). Blindheit bestehe seit mindestens 15.01.2013. Zu diesem Zeitpunkt habe sich die Klägerin zur Erstuntersuchung in der Praxis vorgestellt. Laut Angaben der Klägerin sei die Sehminderung schon 2012 eingetreten.

Sodann hat das Gericht Beweis erhoben und Dr. L. mit der Erstellung eines ophthalmologischen Sachverständigengutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 15.04.2014 hat Dr. L. hinsichtlich der Sehschärfe festgestellt, dass ein Fünf-Meter-Visus an beiden Augen nicht mehr erhebbar sei. In der Nähe betrage die Sehleistung rechts und links 1/100. Bei binokularer Prüfung betrage die Sehleistung 1/70. Das Gesichtsfeld sei mit dem Goldmann-Perimeter aufgezeichnet worden und zeige freie Außengrenzen sowie ein großes zentrozoekales Skotom an beiden Augen. Dieses Ergebnis stehe mit dem Augenhintergrundbefund in Übereinstimmung.

Hinsichtlich der Augenhintergrunduntersuchung hat der Sachverständige vor allem festgestellt, dass sich im Gebiet der Makula eine ausgedehnte Pigmentverschiebung mit Pigementepitheldystrophien zeige. Dieser Bereich reiche bis in die oberen und unteren Gefäßbögen hinein. Auch sei die Papille mit einbezogen. Die Aderhautgefäße in diesem Bereich seien in erheblicher Weise sklerosiert, so dass die Diagnose einer sehr ausgeprägten Aderhautsklerose gestellt werden müsse.

Dr. L. hat als Diagnosen für beide Augen Astigmatismus myopicus compositus, Makuladegenration sowie Cataracta senilis incipiens gestellt.

Für die schlechte Sehschärfe entscheidend sei der Makulabefund. Die großflächigen Makulaveränderungen seien nicht derart, dass eine Stargardt'sche Makuladegeneration wahrscheinlich sei; diese würde auch, so Dr. L., zu einem viel früheren Zeitpunkt beginnen als es bei der Patientin nach den anamnestischen Angaben der Fall gewesen sei. Hingegen bedingten die Aderhautgefäßsklerose und die zum Teil grobschollige, zum Teil feiner strukturierte Pigmentepiteldystrophie ein großes Zentralskotom, das sich im Gesichtsfeld auch nachweisen lasse. Die beiden geprüften Marken würden schlüssige und in keiner Weise divergierende Übereinstimmungen zeigen. Die Außengrenzen des Gesichtsfelds ergäben eine relativ gute Orientierung der Klägerin im freien Raum. Setze man nun die angegebene zentrale Sehschärfe in Relation zum flächenhaften Ausfall der Makularegion, so ergebe sich keine auffällige Diskrepanz der Befunde, die etwa Aggravationsverdacht nahelegen könnte.

Die Sehschärfe überschreite den kritischen Grenzwert im Sinne von Blindheit. Trotz des Gutachtens von Dr. G. ergebe sich jetzt der hier beschriebene Befund; die Voraussetzungen für den Blindheitsnachweis seien mit Blick auf Dr. G. aber erst ab dem jetzigen Untersuchungszeitpunkt anzunehmen.

In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 06.05.2014 ist Dr. P. weiterhin davon ausgegangen, dass Blindheit nicht nachgewiesen sei, da die Auslösbarkeit des OKN eine Sehschärfe von 0,08 bzw. eine deutlich oberhalb der Blindheitsgrenze liegende Sehschärfe voraussetze. Bei einem Visus von 1/50 oder weniger sei der OKN nicht mehr auszulösen. Zu dieser auffälligen Diskrepanz habe sich Dr. L. nicht geäußert.

In seiner im Auftrag des SG erstellten ergänzenden Stellungnahme vom 30.06.2014 hat Dr. L. u.a. hervorgehoben, dass es sich jeweils um ein großes zentrozoekales Skotom handele, dessen Außengrenzen am rechten Auge zwischen 15 und 30 Grad, links zwischen 20 und 28 Grad liegen würden. Die im Gesichtsfeld zutage tretenden ausschließlich zentralen Ausfälle würden, so der Sachverständige, zweifellos eine erhebliche Reduktion der zentralen Sehschärfe bedingen. Betrachte man die Ausdehnung der pathologisch veränderten Areale am Augenhintergrund - die in ihrer Summe eine flächenhafte Degeneration nicht nur der Makula, sondern weit darüber hinausgehender Anteile bedingen würden - so widerspreche die subjektive Angabe der Sehschärfe mit 1/100 auf beiden Augen nicht dem vorliegenden Befund, wobei erfahrungsgemäß der Makula die konkrete Sehschärfe nicht angesehen werden könne, sondern ergänzend die subjektiven Angaben des Patienten in Übereinstimmung zu bringen seien.

Hinsichtlich des Aggravationsverdachts hat der Sachverständige betont, dass eine derartige, zielgerichtete Verhaltensweise der Klägerin während der Untersuchung nicht erkennbar gewesen sei. Wenn man die subjektiven Angaben als inkorrekt bezeichne, müsste hierfür auch eine Diskrepanz zwischen Visus und Gesichtsfeldbefund gegeben sein bzw. der hierfür ursächlichen Degenerationsfläche, was aber nicht der Fall sei.

Abschließend hat Dr. L. ausgeführt, dass er die Bedenken des Beklagten hinsichtlich der Beurteilung nachvollziehen könne, eine Blindheit werde jedoch für nachgewiesen gehalten. Bei Betrachtung aller objektiven Befunde und deren Vergleich mit subjektiven Verhaltensweisen könne er, Dr. L., keine Merkmale erkennen, die die Zuerkennung des Status der Blindheit zweifelhaft erscheinen ließen.

In der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 18.07.2014 hat der Beklagte die Zweifel nicht ausgeräumt gesehen. Gerade die Möglichkeit der Erhebung exakter Gesichtsfeldbefunde spreche erheblich gegen die Angabe einer hochgradigen Visusminderung von nur noch 1/100 bzw. sogar nur noch Erkennen von Handbewegungen.

Mit Gerichtsbescheid vom 29.10.2014 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 14.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.03.2013 verurteilt, der Klägerin Blindengeld ab 01.03.2014 zu zahlen. In der Begründung hat das SG hervorgehoben, dass es das Gutachten von Dr. L. für insgesamt überzeugend halte; darin sei eine hinreichende Beeinträchtigung der Sehschärfe von weniger als 1/100 festgestellt worden. Den Ausführungen der versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. P. und Dr. L. vermöge das SG nicht zu folgen, da Dr. L. darauf hingewiesen habe, dass die fehlende Auslösbarkeit des OKN bei einer Sehschärfe von unter 1/50 nur den Regelfall betreffe, bei der Klägerin aber zu vermerken sei, dass wegen des ausgedehnten Zentralskotoms nur der Zentralbereich einer starken Visusminderung unterliege, nicht aber das gesamte Gesichtsfeld. Das Gericht vermöge auch nicht der Kritik zu folgen, dass bei einem Visus von 1/100 ein exaktes Gesichtsfeld nicht zu bestimmen sei, weil dabei nicht hinreichend gewürdigt werde, dass bei der Klägerin mit großflächigem Zentralskotom und einer ausgedehnten Pigmentverschiebung mit Pigmentepitheldystrophien ein besonderer morphologischer Befund vorhanden sei. Dem Gesichtsfeldbefund könne allerdings dann nicht gefolgt werden, wenn der Klägerin eine fehlende Mitwirkung vorzuhalten sei, was der Gutachter Dr. L. aber ausgeschlossen habe. Diese Beobachtung könne von Vertretern des Beklagten mangels Anwesenheit in der Begutachtungssituation nicht in Zweifel gezogen werden, so das SG. Schließlich habe sich Dr. L. auch überzeugend zu der allmählichen Visusverschlechterung geäußert, die die Abweichung gegenüber den Beobachtungen von Dr. G. hinreichend erkläre.

Gegen den Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 19.11.2014 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (Bayer. LSG) erhoben. In der Berufungsbegründung hat der Beklagte eine Reihe von Punkten, die gegen den Blindheitsnachweis sprechen würden, aufgelistet, nämlich im Wesentlichen die Verschlechterung des Visus innerhalb von nur sechs Monaten von 0,05 rechts/0,16 links auf nur noch Erkennen von Handbewegungen, die Diagnose Morbus Stargardt, das Verhaltensmuster der Klägerin, die unterschiedlichen Visus- und Gesichtsfeldangaben, die fehlende Erklärung für eine Visusminderung auf weniger als 0,05 durch ein Zentralskotom beidseits, die Visusüberprüfung mit dem Kotowski-Test, nicht erfolgte mitarbeitsunabhängige Untersuchungen bei der Begutachtung durch Dr. L. und die fehlende Erklärung der Sehstörung durch den morphologischen Befund.

Sodann hat das Gericht PD Dr. B., Universitätsklinikum B-Stadt, mit der Erstellung eines ophthalmologischen Sachverständigengutachtens beauftragt. Im Gutachten vom 25.02.2016 ist die Schilderung der Klägerin wiedergegeben worden, dass diese bei Tätigkeiten im Haushalt kaum mehr zurechtkomme. Seit 2005 sei die Klägerin berentet.

Bei der Sehschärfenprüfung in 5 msei die Visustafel binokular gut fixiert, die Landoltringe seien jedoch nicht erkannt worden. Die Sehschärfe in 1 msei mit Hilfe einer Lesetafel geprüft worden. Die Tafel sowie die oberste Ziffer seien jeweils eindeutig gut fixiert worden, auch wenn die Tafel ohne Erläuterungen in verschiedenen Richtungen dargeboten worden sei. Vor der Darbietung der Lesetafel in 1 msei diese nicht angekündigt worden. Die Klägerin habe gesagt, sie sehe nicht einmal die Tafel bei eindeutiger Blickfolge bei einer langsamen Bewegung der Tafel in 1 m. Während dieser Bewegung sei von der Klägerin plötzlich die Aussage gemacht worden: „Die Fünf ist ganz weg.“ Zur weiteren Visustestung sei das Erkennen von einzelnen Fingern oder Handbewegungen (monokular und binokular) überprüft worden. Hierzu sei die Handbewegung zunächst 30 bis 40, dann 50 cm, dann 1 msowohl zentral als auch jeweils exzentrisch dargeboten worden. Die Klägerin habe berichtet, dass sie die Handbewegungen kaum erkennen könne. Fingerzählen könne sie ebenfalls in den genannten Entfernungen (sowohl monokular als auch binokular) nicht wahrnehmen. Bei der Darbietung eines Bleistifts in ca. 1 m Entfernung und Überprüfung der Konvergenzreaktion durch langsames Heranführen auf ca. 20 bis 30 cm habe sich eine gute Konvergenzreaktion gezeigt. Ohne vorherige Erläuterung oder Ankündigung sei nach einer P. mittels Teller-Acuity-Cards eine weitere Sehschärfenprüfung erfolgt. Ohne dass der Klägerin erklärt worden sei, auf den Tafeln ein Streifenmuster zu sehen, habe diese erklärt: „Da kann ich die Striche jetzt nicht sehen.“ Bei Vorhalten eines Stifts in 50 cm Entfernung sei dem Stift gut gefolgt worden, ohne dass zuvor die Richtung angegeben worden sei.

Der OKN sei horizontal und verikal bei verschiedenen Mustergrößen und Mustern binokular gut auslösbar gewesen.

U.a. hat die Sachverständige auch eine Gesichtsfeldmessung mit dem Halbkugelprojektionsperimeter nach Goldmann durchgeführt. Es hätten sich folgende Ergebnisse gezeigt:

– Rechtes Auge: Mit der Marke III/4 hätten die Außengrenzen temporal bis ca. 60 Grad, unten bis ca. 60 Grad, nasal bis ca. 50 Grad, oben bis ca. 30 Grad gereicht. Es habe ein großes Zentralskotom bis nach ca. 15 Grad temporal bestanden.

– Linkes Auge: Mit der Marke III/4 hätten die Außengrenzen temporal bis ca. 50 Grad, unten bis ca. 45 Grad, nasal bis ca. 40 Grad, oben bis ca. 30 Grad gereicht. Ein großes Zentralskotom habe bis ca. 12 Grad temporal gereicht.

PD Dr. B. hat hervorgehoben, dass die ausgeprägte Netzhaut- und Aderhautatrophie bei der Klägerin zweifelsohne eine hochgradige Sehminderung sowie eine hochgradige Einschränkung bei der Verrichtung alltäglicher Tätigkeiten bedinge. Die gutachterliche Beurteilung werde allerdings erheblich dadurch erschwert, dass die Angaben der Klägerin leider nicht glaubwürdig erscheinen würden. Weiter hat PD Dr. B. darauf hingewiesen, dass - wie auch bereits bei den Vorgutachtern - der Nachweis des OKN bei verschiedenen Streifenmustern und Größen positiv gewesen sei. Insgesamt müsse daher zum jetzigen Zeitpunkt, trotz der sicherlich erheblichen Visuseinschränkungen bei der Klägerin davon ausgegangen werden, dass die Kriterien zum Erhalt von Blindengeld nach dem BayBlindG nicht erfüllt seien.

Mit Schreiben vom 20.05.2016 hat die Klägerin über ihre Bevollmächtigte erhebliche Einwendungen gegen das Gutachten vorgebracht. Nach Auskunft des behandelnden Facharztes (Dr. C.) sei dieses Gutachten unverwertbar, da zum einen die angewandten Untersuchungsmethoden unzulässig und zum anderen Befunde falsch interpretiert worden seien. Bei der Prüfung der Sehschärfe sei mit einer Lesetafel mit Ziffern gearbeitet worden, diese seien für gutachterliche Zwecke jedoch nicht zugelassen, sondern nur Landoltringe. Wenn nur die obere Ziffer erkannt worden sei, entspreche dies aber nur einer Sehschärfe von 0,02 und begründe somit auch einen Anspruch auf Blindengeld. Zur Simulationsprüfung sei unzulässigerweise die Sehschärfe mit Teller-Acuity-Cards verwendet worden, womit nur die Gittersehschärfe geprüft werden könne. Diese sei jedoch, so die Bevollmächtigte, aus wahrnehmungsphysiologischen Gründen deutlich höher als die anguläre Sehschärfe. Daher seien die beiden bei der Begutachtung eingesetzten Simulationsproben bereits aus methodischen Gründen nicht verwertbar. Der behandelnde Arzt habe weiter ausgeführt, dass die erstellte Optische Cohäreztomographie (OCT) der Netzhautmitte sowie die Autofloureszenzuntersuchung Befunde zeigen würden, die mit einer Sehschärfe von mehr als 1/50 schwer zu vereinbaren seien. Die Übereinstimmung der angegebenen Sehschärfe mit dem morphologischen Befund werde von der Gutachterin jedoch im Gutachten nicht erörtert, obwohl dieses die von ihr vorgenommene Bewertung der sogenannten Simulationsproben mehr als fragwürdig erscheinen lassen würden. Die Klägerin stütze ihr Begehren auf das Gutachten von Dr. L.. Sofern dieses den Senat nicht überzeugen könne, werde beantragt, ein weiteres Gutachten nach § 106 SGG einzuholen, nachdem das Gutachten von PD Dr. B. nicht verwertbar sei. Hilfsweise werde beantragt, Dr. C. gemäß § 109 SGG zu beauftragen.

Auf Veranlassung des Senats hat die Sachverständige PD Dr. B. am 14.06.2016 zu den Ausführungen der Bevollmächtigten ergänzend Stellung genommen. Dabei hat sie hervorgehoben, dass eine Simulationsprüfung immer verschiedene Methoden der Visusprüfung einschließe; nur hierdurch könnten die Ergebnisse der einzelnen Methoden miteinander verglichen und auf Glaubwürdigkeit überprüft werden. Sämtliche der angewandten Untersuchungsmethoden würden wissenschaftlich untersuchte und seit langem erprobte Beobachtungsmethoden darstellen. Da sich bei der Simulationsprüfung eine deutlich bessere Sehschärfe ergeben habe als anhand der zunächst gemachten Aussagen der Klägerin, habe der erforderliche Blindheitsnachweis nicht geführt werden können. Für die genaue Festlegung der Grenze des Sehvermögens sei eine glaubwürdige Mitarbeit des Probanden unabdingbar. Die bessere Sehschärfe, die sich ergeben habe, habe jedoch nicht mit absoluter Sicherheit bis an die obere Grenze geprüft werden können, da sich die Klägerin dann vermutlich ihrer widersprüchlichen Aussagen bewusst gewesen sei. Eine noch etwas bessere Sehschärfe als bei der Simulationsprüfung sei daher möglich. Die große Fünf auf der Lesetafel - dargeboten in einem Abstand von 1 m - entspreche einem Visus von 1/50. Diese von der Klägerin angegebene Ziffer entspreche jedoch nach ihrer, PD Dr. B.s, Meinung nicht zwangsläufig der besten Sehschärfe, sondern sei von der Klägerin versehentlich angegeben worden. Sie stehe in Diskrepanz zu der von ihr zunächst gemachten Aussage, sie könne eine Handbewegung in 30 bis 40 bzw. 50 cm kaum sehen und mache diese Aussage somit unglaubwürdig.

Richtig sei, dass die Gittersehschärfe, die mit Hilfe der Teller-Acuity-Cards geprüft werde, nicht direkt auf eine Prüfung der Sehschärfe mit Optotypen übertragen werden könne. Im Rahmen der gutachterlichen Bewertung liege die Bedeutung des durchgeführten Tests mit den Cards jedoch im Wesentlichen darin, dass bei der Prüfung mit diesem nonverbalen Test ein erheblich besseres Ergebnis habe erzielt werden können als dies durch die Klägerin bewusst angegeben worden sei.

Hinsichtlich der OCT und der Autofloureszenzuntersuchung hat PD Dr. B. darauf hingewiesen, dass die im Gutachten beschriebenen Unterbrechungen der Atrophieareale nach ihrer Meinung die Sehschärfe bei der Klägerin erklären würden. Den genauen Wert der Sehschärfe zu ermitteln, sei aufgrund der eingeschränkten Mitarbeit der Klägerin erheblich erschwert. Wegen der im Gutachten aufgeführten Simulationsuntersuchungen läge der Sehschärfewert aber in jedem Fall deutlich höher als die Wahrnehmung von Handbewegungen, wie von der Klägerin angegeben.

Im Schriftsatz vom 29.07.2016 hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass die Stellungnahme der Sachverständigen bestätigt habe, dass die Simulationsprüfung mit zulässigen Untersuchungsmethoden durchgeführt worden sei und dass der Blindheitsnachweis nicht erbracht werden könne.

Am 18.08.2016 hat die Klägerseite zu der ergänzenden Stellungnahme mitgeteilt, dass sie den behandelnden Dr. C. um Äußerung gebeten habe. Dieser vertrete weiterhin die Auffassung, dass das Gutachten nicht haltbar sei. Ebenso wie das Gutachten selbst basiere auch die ergänzende Stellungnahme nicht auf Tatsachen, sondern auf Vermutungen.

Sodann hat die Klägerin beantragt, gemäß § 109 SGG Dr. C. zu beauftragen. Am 30.12.2016 hat dieser im Auftrag des Gerichts das Gutachten erstellt und darin Im Wesentlichen Folgendes festgestellt:

Im Bereich der gesamten Makula zeige die OCT eine massive Verdünnung der äußeren Netzhautschichten einschließlich der Fotorezeptorenschicht. Die Fovialgrube sei angedeutet erhalten. Das Pigmentepithel zeige massive Defekte.

Die Sehschärfe rechts und links sowie beidäugig werde ohne Korrektion mit der Wahrnehmung von Handbewegungen angegeben. Das Vorsetzen optischer Gläser führe zu keiner Verbesserung. Bei der Untersuchung wurden folgende Gesichtsfeldbefunde erhoben (geprüft mit dem Halbkugelprojektionsperimeter nach Goldmann, Prüfmarke III/4e):

– Rechtes Auge: Die Gesichtsfeldaußengrenzen würden nach oben bis 47 Grad, nach temporal bis 60 Grad, nach unten bis 57 Grad und nach nasal bis 40 Grad reichen. Es finde sich ein großer zentraler, den sogenannten blinden Fleck einschließender Gesichtsfeldausfall, der nach oben bis 20 Grad, nach temporal bis 30 Grad, nach unten bis 35 Grad und nach nasal bis 20 Grad reiche. Dieser zentrale Gesichtsfeldausfall sei durch die beschriebenen Makulaveränderungen bedingt.

– Linkes Auge: nur geringfügige Abweichungen vom rechten Auge.

Weiter hat der Sachverständige eine Aggravationsprüfung in Form der Prüfung der Sehschärfe mit der ETDRS-R-Tafel durchgeführt. Zu Beginn der Prüfung sei die Klägerin nur darüber informiert worden, dass die Prüfung mit Landoltringen wohl zu schwierig sei und jetzt etwas Einfacheres gemacht werde. Eine Information über die Art der verwendeten Optotypen, nämlich Buchstaben, sei nicht erfolgt. Bei der Prüfung - jeweils mit der der objektiven Refraktion entsprechenden Korrektion - habe die Klägerin angegeben, keine der „Zahlen“ erkennen zu können. Binokular habe mit einem Streifenmuster von 2 cm Breite in einer Entfernung von 50 cm der OKN ausgelöst werden können. In einer Entfernung von 1 msei der OKN mit demselben Streifenmuster nicht auslösbar gewesen.

Die beidseitige Erkrankung der Makula mit massiver Atrophie des Pigmentepithels und der Fotorezeptorenschicht habe zu einer Herabsetzung der Sehschärfe verbunden mit der Ausbildung großer zentraler Gesichtsfeldausfälle geführt. Die festgestellte Reduktion der Sehschärfe auf die Wahrnehmung von Handbewegungen sei durch den morphologischen Befund, insbesondere durch die Atrophie der Fotorezeptorenschicht, erklärt. Die Angaben der Klägerin würden gut mit dem morphologischen Befund übereinstimmen. Das Ergebnis der Aggravationsprüfung bestätige die Angaben der Klägerin zum Sehvermögen.

Sodann hat sich der Sachverständige auch kritisch mit den anderen Gutachten auseinandergesetzt. Hinsichtlich des Gutachtens von Dr. G. hat Dr. C. hervorgehoben, dass die Methode der Auslösung des OKN mit dem Gerät nach Kotowski mit Unsicherheiten behaftet sei. Dem Gutachten von Dr. L. hat Dr. C. zugestimmt. Bezüglich des Gutachtens von PD Dr. B. hat er die Verwendung der weit verbreiteten Visustafel mit Zahlen als Optotypen bemängelt und weiter kritisiert, dass das Erreichen höherer Visusstufen die Gutachterin zwar unterstellt habe, jedoch die Optotypen bei der Visusprüfung mit Landoltringen und mit Zahlen nicht als nachgewiesen postuliert worden seien. Auch habe die Sachverständige die Teller-Acuity-Cards verwendet; hier sei jedoch zu betonen, dass diese Methode nach Vollendung des ersten Lebensjahrs des Probanden als nicht mehr zuverlässig gelte. Vom - seitens der Gutachterin - errechneten Visusäquivalent von 0,1 könne eben gerade nicht auf das Vorliegen eines tatsächlichen Visus von 0,03 bis 0,05 geschlossen werden. Vielmehr bestätige das von PD Dr. B. festgestellte Visusäquivalent eben gerade die von Dr. L. ermittelten Visuswerte von 1/100 bzw. 1/70. Die für die Zweifel von PD Dr. B. an den klägerischen Angaben aufgeführten Gründe würden einer kritischen Überprüfung nicht standhalten.

Blindheit im Sinne des Gesetzes bestehe unter Berücksichtigung der aktenkundigen Vorbefunde und des selbst erhobenen Makulabefunds seit 10.10.2012.

Auf das Gutachten gemäß § 109 SGG hat der Beklagte am 20.02.2017 darauf hingewiesen, es sei zu erwarten gewesen, dass Dr. C. wieder zu dem Ergebnis komme, dass Blindheit vorliege, obwohl auch die sehr exakte Gesichtsfeldbestimmung vom 23.12.2016 gegen das Erkennen von nur noch Handbewegungen oder weniger spreche.

Mit Schreiben vom 20.09.2017 hat die Klägerin noch eine Schilderung ihrer Untersuchung bei der Gutachterin Dr. B. hinsichtlich der verwendeten Zahlentafel (s.o., „Ziffer 5“) abgegeben.

In der mündlichen Verhandlung des Senats am 26.09.2017 hat die Klägerin Anschlussberufung mit dem Ziel der Verurteilung des Beklagten zur Blindengeldgewährung bereits ab Antragstellung erhoben.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29.10.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und im Wege der Anschlussberufung den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 29.10.2014 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, Blindengeld bereits ab Oktober 2012 entsprechend den gesetzlichen Bestimmung zu gewähren.

Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG) und begründet. Die Anschlussberufung der Klägerin ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Das SG hat zu Unrecht der Klage entsprochen. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 14.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Änderung des BayBlindG v. 24.07.2013 (GVBl. S. 464) erhalten blinde Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166 S. 1, ber. ABl L 200 S. 1, 2007 ABl L 204 S. 30) in der jeweils geltenden Fassung dies vorsieht, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld. Dabei beinhaltet nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), an die sich der Senat gebunden fühlt, die Formulierung „zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen“ keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung (vgl. BSG, Urteil vom 26.10.2004, Az.: B 7 SF 2/03 R).

Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen,

  • 1.deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 0,02 (1/50) beträgt,

  • 2.bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.

Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.

Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der DOG folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe VG, Teil A Nr. 6):

aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben,

ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist,

ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt,

gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld. Blindheit im Sinne des BayBlindG ist im streitgegenständlichen Zeitraum ab Oktober 2012 nicht nachgewiesen.

Es liegt weder Lichtlosigkeit gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG vor noch sind die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 BayBlindG erfüllt. Es ist nicht zur Gewissheit des Senats dargelegt, dass die Klägerin das Augenlicht vollständig verloren hätte oder dass ihre Sehschärfe entsprechend der gesetzlichen Vorgabe auf 0,02 oder weniger herabgesunken wäre (Nr. 1 der genannten Vorschrift). Gleiches gilt für eine der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachtende Sehstörung (Nr. 2).

Wie der Senat wiederholt (vgl. z.B. die Urteile vom 27.09.2016 - L 15 BL 11/15 - und 24.01.2017 - L 15 BL 7/15) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92).

Auch unter Beachtung der aus der Natur der Sache folgenden Vorgabe, „dass sich die Gerichte mit demjenigen Gewissheitsgrad zu begnügen haben, den die medizinische Wissenschaft im Einzelfall leisten kann“ (Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Aufl., S. 51, mit Verweis auf Bender/Nack/Treuer), weil sich ein Warten auf neue und bessere (naturwissenschaftliche) Erkenntnisse aus naheliegenden Gründen verbietet (vgl. das Urteil des Senats vom 20.01.2017 - L 15 BL 16/12), ist nach dem Gesamtergebnis des vorliegenden Verfahrens festzustellen, dass hier Blindheit der Klägerin nicht nachgewiesen ist. Denn zahlreiche Aspekte lassen hieran ernsthaft zweifeln.

Zwar hat die Klägerin bei zahlreichen Untersuchungen Angaben gemacht, nach denen die oben geschilderten gesetzlichen Voraussetzungen für die Annahme von Blindheit erfüllt wären. Wie der gemäß § 109 SGG beauftragte Sachverständige Dr. C. zutreffend dargelegt hat, kommt es für das Verfahren maßgeblich auf die Zweifel an diesen (subjektiven) Angaben der Klägerin an. Die vorliegenden Zweifel sind erheblich und vor allem auch begründet. Sie stehen, gerade in ihrer Gesamtheit, der Annahme entgegen, dass Blindheit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen würde.

1. Lichtlosigkeit

Dass der Klägerin das Augenlicht vollständig fehlen würde, ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens auszuschließen; hierauf muss angesichts der vorliegenden einschlägigen Befunde nicht näher eingegangen werden.

2. Faktische Blindheit

Daran, dass bei der Klägerin faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 oder 2 BayBlindG vorliegen würde, hat der Senat wie bereits darauf hingewiesen erhebliche Zweifel.

Dies folgt aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Der Senat stützt sich dabei insbesondere auf das insoweit überzeugende Gutachten von PD Dr. B., ferner auf die plausible versorgungsärztliche Stellungnahme nach Aktenlage von Dr. L. vom 14.11.2014. Der Senat macht sich diese Feststellungen, die auch in Übereinstimmung mit der vorliegenden Befunddokumentation stehen, zu eigen.

Dabei ist sich der Senat bewusst, dass die von Dr. L. erstellte Stellungnahme grundsätzlich einen anderen Beweiswert und eine andere Beweiskraft hat und somit andere Aussagekraft besitzt als gerichtliche Gutachten. Dies stellt aber kein Hindernis dar, nicht nur Verwaltungsgutachten, sondern auch versorgungsärztliche Stellungnahmen zu verwerten und ihnen im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 SGG) zu folgen. Ein anderer Weg, wie etwa der, versorgungsärztliche Stellungnahmen trotz fachlicher Fundiertheit und Überzeugungskraft unbeachtet zu lassen, ist für den Senat nicht denkbar. Die sachliche Äußerung der genannten Versorgungsärztin deckt sich im Übrigen auch mit den beim Senat bestehenden Fachkenntnissen, die dieser aufgrund der zahlreichen vergleichbaren Fälle im Bereich des Blindheitsnachweises erworben hat. Die Äußerungen von Dr. L. lassen nicht die Besorgnis der Befangenheit entstehen, die Klägerseite hat auch keine erheblichen Einwendungen in diese Richtung erhoben. Die Stellungnahme ist von der Klägerin lediglich im Ergebnis - und auch nur teilweise - hinterfragt worden (zur Verwendung von Verwaltungsgutachten im gerichtlichen Verfahren s. z.B. das Urteil des Senats vom 11.07.2017 - L 15 VJ 6/14.)

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass die Klägerin an beiden Augen an einer großen zentralen Netzhaut- und Adernhautatrophie, die bis über die großen Gefäßbögen hinaus reicht und von feinen linienartigen Unterbrechungen durchzogen wird, leidet, ferner an Kurzsichtigkeit, Stabsichtigkeit, Altersweitsichtigkeit und beginnendem Grauen Star. Dabei bedingt die große zentrale Netzhaut- und Aderhautatrophie eine hochgradige Sehminderung und eine hochgradige Einschränkung im Leben der Klägerin. Nach Auffassung des Senats reicht diese Einschränkung in ihrem Ausmaß bis relativ nahe an die Blindheitsgrenze im Sinne des BayBlindG heran.

Diese Feststellungen ergeben sich u.a. auch aus dem plausiblen Gutachten von PD Dr. B..

Zwar hat die Klägerin im Laufe der Untersuchungen, z.B. bei dem gemäß § 109 SGG beauftragten Sachverständigen Dr. C. nur noch einen Visus von Handbewegungen und beim Sachverständigen Dr. L. einen Visus von nur 1/70 angegeben. Auch war bei der Klägerin teilweise gar kein Gesichtsfeld mehr erhebbar. Dennoch ist faktische Blindheit der Klägerin im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 und 2 BayBlindG nicht nachgewiesen.

Wie die Sachverständige PD Dr. B. plausibel dargelegt hat und auch entsprechend der Zweifel des Beklagten (Stellungnahme von Dr. L. vom 14.11.2014), können diese Angaben einen Nachweis nicht erbringen. Aufgrund der zahlreichen entgegenstehenden Aspekte sind diese Angaben nicht geeignet, den Senat davon zu überzeugen, dass bei der Klägerin Blindheit im Sinne des BayBlindG mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (s.o.) vorliegen würde.

1. So hat Dr. L. in der genannten Stellungnahme zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Verschlechterung des Visus innerhalb von nur sechs Monaten von 0,05 rechts und 0,16 links (Werte vom Februar 2012) auf nur noch Erkennen von Handbewegungen (Werte im September 2012) ohne akute besondere Ursache sehr ungewöhnlich ist. Zwar ist dem Senat aus zahlreichen Verfahren nach dem BayBlindG bekannt, dass es mitunter schwierig sein kann, tatsächliche Verschlechterungen der Sehfunktionen zu erklären, wenn kein Hinweis für eine erneute Schädigung etc. besteht. So hat z.B. Prof. Dr. R., der gemäß § 109 SGG im Verfahren des Senats L 15 BL 6/07 (vgl. das Urteil vom 31.01.2013) ein Sachverständigengutachten erstellt hat, plausibel dargelegt, dass man es bei umfassenden Schädigungen immer wieder erlebe, dass auch nach Jahren ohne sichtbare Änderung des morphologischen Befundes eine weitere Funktionsschädigung eintrete. Der Sachverständige hat jedoch diese Aussage für solche umfassenden Schädigungen getroffen, die auch die Sehrinde mit einbeziehen, also für die Fälle der zerebralen Schäden (vgl. zu diesem Problemkreis z.B. Braun/Zihl, Der Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 2015, S. 81, 82). Um solche Zerebralschäden geht es vorliegend jedoch nicht. Zudem wäre die Verschlechterung des Visus vorliegend (von 0,16 auf Handbewegungen!) massiv. Ein solcher Visusverfall bedarf jedoch entsprechend der verbindlichen Vorgaben der VG in Teil B Vorbemerkung Nr. 4 zwingend der Erklärung durch die morphologische Situation. Eine solche Erklärung gibt es vorliegend aber nicht. Insbesondere bleiben auch die Sachverständigen Dr. L. und Dr. C. eine solche Erklärung schuldig. Eine solche stellt auch nicht der Hinweis von Dr. L. dar, dass die Klägerin einerseits bei den behandelnden und andererseits bei den gutachterlich untersuchenden Augenärzten jeweils konsequent eine identische Sehschärfe angegeben habe.

2. Wie sich aus der Beweisaufnahme ergibt, sprechen einige Anhaltspunkte dafür, dass bei der Klägerin die Erkrankung Morbus Stargardt vorliegt. Insoweit könnte durchaus auch Einiges dafür sprechen, dass der Visus - entsprechend dieses Krankheitsbilds - deutlich oberhalb der Blindheitsgrenze liegt. Hiergegen steht zwar der Hinweis von Dr. L., dass die Makulaveränderung nicht dem Befund einer Stargardt'schen Makuladegeneration entspreche, sondern flächenmäßig und in der Ausprägungsart diese weitaus übertreffe. Eine befriedigende Erklärung hinsichtlich der Ursache der Erkrankung der Klägerin gibt jedoch auch Dr. L. nicht.

3. Wie die Versorgungsärztin Dr. L. plausibel hervorgehoben hat, sind sowohl die Visusangaben der Klägerin als auch ihre Gesichtsfeldangaben sehr unterschiedlich ausgefallen. So sind im September 2012 und Dezember 2012 beim Visustest nur Handbewegungen erkannt worden. Im Dezember 2013 hat die Klägerin sogar angegeben, nur Unterarm- und nicht einmal Handbewegungen erkannt zu haben. Im März 2014 ist dann eine Visusbestimmung von 0,5/50 monokular bzw. 1/70 binokular möglich gewesen. Was das Gesichtsfeld betrifft, so war im Dezember 2012 eine Gesichtsfeldbestimmung nach den Angaben der Klägerin überhaupt nicht möglich, im Dezember 2013, März 2014, Januar 2016 und Dezember 2016 waren dann jedoch sehr exakte Gesichtsfeldangaben möglich. Diese aufgrund der unterschiedlichen Gesichtsfeldangaben bestehenden Bedenken sind auch von Dr. L. und Dr. C. nicht ausgeräumt worden. Wie bereits hinsichtlich des Visusverfalls innerhalb von nur sechs Monaten ist auch hinsichtlich dieser Zweifel festzustellen, dass die Gutachter hier nicht einmal im Ansatz eine Erklärung liefern. Die Angaben der Klägerin, die Blindheit begründen würden, sind somit nicht glaubhaft.

4. Zweifelhaft bleibt auch, ob die bei der Klägerin vorliegende unbestritten massive Einschränkung im zentralen Gesichtsfeld eine so ausgeprägte Visusminderung, wie von der Klägerin angegeben, bewirken kann. Wie in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.11.2014 hervorgehoben worden ist, kann bei einer Ausdehnung von ca. 30 Grad keine Visusminderung auf unter 0,05 erklärt werden. Zu dieser Frage stellt Dr. L. lediglich allgemein fest, dass „sich keine auffällige Diskrepanz der Befunde“ ergebe, wenn man die angegebene zentrale Sehschärfe in Relation zum flächenhaften Ausfall der Makularegion setze. Auch Dr. C. geht ohne nähere Begründung davon aus, dass die festgestellten Zentralskotome das Herabsinken des Visus auf nur noch Handbewegungen bewirken könnte. Genauere Erklärungen werden hier aber auch nicht geliefert.

5. Erhebliche Zweifel an der angegebenen Sehschärfe ergeben sich auch im Hinblick auf das Ergebnis des objektiven Funktionsbefundes hinsichtlich der Auslösung des OKN. Auch wenn der Gutachter Dr. L. sicherlich zutreffend darauf hingewiesen hat, dass es sich hinsichtlich des festgestellten Visusäquivalents von 0,1 lediglich um einen Richtwert handelt und wenn der auf Antrag der Klägerin beauftragte Sachverständige Dr. C. auf Unsicherheiten in diesem Messverfahren verwiesen hat, so entspricht es dem anerkannten und im Wesentlichen unstrittigen medizinischen Erfahrungswissen, dass eine Prüfung des OKN zur Abschätzung der Sehschärfe (ohne Antworten von Seiten des Patienten) herangezogen werden kann (vgl. z.B. Lachenmayr, Begutachtung in der Augenheilkunde, 2. Auflage, S. 71 ff.), auch wenn hier, wie bei allen anderen objektiven Testverfahren generell durchaus die Möglichkeit der Fehleinschätzung nicht völlig ausgeschlossen ist (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 27.09.2016 - L 15 BL 11/15). Wie dem Senat aufgrund zahlreicher Verfahren bekannt ist, wird die Sehschärfe, bei der noch ein OKN ausgelöst werden kann, in der medizinischen Fachwelt unterschiedlich angesetzt (a.a.O.). Es besteht jedoch Einigkeit darüber, dass ein auslösbarer OKN eine oberhalb der Blindheitsgrenze liegende Sehschärfe voraussetzt und bei einem (tatsächlich) auf Handbewegungen reduzierten Visus negativ ausfällt. Bei einem auslösbaren OKN beträgt die Sehschärfe mehr als Handbewegungen. Insbesondere gilt dies auch unabhängig von der Entfernung der Nystagmustrommel (a.a.O.).

6. Schließlich ergeben sich für den Senat massive Zweifel an den Angaben der Klägerin auch daraus, dass am 23.12.2016 (bei Dr. C.) erneut eine sehr exakte Gesichtsfeldbestimmung möglich war, obwohl die Klägerin beim Visustest nur noch das Erkennen von Handbewegungen angegeben hat. Wie der Sachverständige in dem oben genannten Verfahren (L 15 BL 11/15) plausibel dargelegt hat, kann bei einer Sehschärfe von Handbewegungen die Testmarke III/4e nicht erkannt werden (vgl. die Ausführungen des Senats in dem genannten Urteil). Auch insoweit gehen die Gutachter Dr. L. und Dr. C. auf diese Problematik hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit der klägerischen Angaben bei den subjektiven Prüfungen von Visus und Gesichtsfeld nicht näher ein.

Im Übrigen überzeugen den Senat die Ausführungen des SG hierzu nicht, dass nämlich bei der morphologischen Situation der Klägerin mit einem großflächigen Zentralskotom und einer ausgedehnten Pigmentverschiebung mit Pigmentepitheldystrophien trotz eines Visus von 1/100 ein exaktes Gesichtsfeld noch bestimmbar sei und auch der OKN ausgelöst werden könne. So ist diese pointierte Feststellung von den vorliegenden Gutachten, die von Blindheit der Klägerin ausgehen, nicht getroffen worden. Zum anderen liegt nahe, dass die Sehstörung der Klägerin nicht schematisch in den „erkrankten Teil“ und „gesunden Rest“ aufgeteilt werden kann, sondern dass durch die Makulaveränderungen das Sehvermögen insgesamt schwer beeinträchtigt ist. Anderenfalls würde lediglich ein Fall des von den Fallgruppen der DOG/VG berücksichtigten Zentralskotoms vorliegen bzw. die Sehschärfe in der Peripherie für unbeeinträchtigt gehalten werden. Eine solche Vorstellung entspricht jedoch nicht den medizinischen Gegebenheiten, wie aus dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme folgt.

7. Im Übrigen folgen massive Zweifel auch im Hinblick auf die von der vom Senat beauftragten Gutachterin PD Dr.B. aufgezeigten Unstimmigkeiten bei den klägerischen Angaben etc. (s. im Einzelnen oben). Dabei ist nicht zu beanstanden, dass die Sachverständige die vorgenannten Kontrolluntersuchungen vorgenommen hat. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. das Urteil vom 31.01.2013 - L 15 BL 6/07) und ist - völlig unbestritten - für eine sinnvolle Blindenbegutachtung unabdingbar (vgl. z.B. durchgängig bei Lachenmayr, a.a.O.), dass mit weiteren Prüfungen Plausibilitätskontrollen etc. erfolgen müssen. Die zum Einsatz gebrachten Tests stellen, wie die Sachverständige nachvollziehbar dargelegt hat, allesamt wissenschaftlich untersuchte und seit langem erprobte Beobachtungsmethoden dar. Es kommt nicht darauf an, ob das eine oder andere Testverfahren Bedenken begegnet, wie sie von der Klägerseite hervorgehoben worden sind (wie z.B. hinsichtlich der Teller-Acuity-Cards), was der Senat im Einzelnen nur eingeschränkt prüfen kann, dem aber hier nicht weiter nachgegangen werden muss.

Nicht von Bedeutung ist vorliegend auch, ob es gegebenenfalls aussagekräftigere Aggravationstests gegeben hätte.

Schließlich ist für den Senat - mit Blick auf die diametral unterschiedlichen Angaben der Sachverständigen und der Klägerseite zum Ablauf der Begutachtung - letztlich auch nicht mit Sicherheit erkennbar, ob die Klägerin bei der Prüfung der Sehschärfe anhand der Lesetafel die Ziffer Fünf tatsächlich erkannt oder sonstige Kenntnis von dieser Ziffer auf der Tafel gehabt hat (z.B. wegen des von der Klägerseite am 20.09.2017 geschilderten Begutachtungsablaufs oder auch aufgrund früherer Untersuchungen).

Aufgrund der Vielzahl von Indizien, dass die Angaben der Klägerin nicht plausibel gewesen sind, ergeben sich durch das nachvollziehbare Gutachten von PD Dr. B. jedenfalls in der Gesamtheit deutliche Zweifel an den Angaben.

8. Entsprechendes gilt auch für die Verhaltensschilderungen durch Dr. G.. So hat die Klägerin durchaus eine Orientierungsfähigkeit gezeigt, die mit Blindheit nur schwer vereinbar sein dürfte. Allerdings hat Dr. C. diese Zweifel relativiert, indem er darauf hingewiesen hat, dass das periphere Gesichtsfeld wesentlich bedeutsamer sei als die zentrale Sehschärfe und dass die Klägerin ihr Orientierungsverhalten sukzessive dem Fortschreiten des Augenleidens anpassen hat können. Dennoch verbleiben aus Sicht des Senats gewisse Zweifel (vgl. im Übrigen zur generell begrenzten Bedeutung von Verhaltensbeobachtungen die Rechtsprechung des Senats, z.B. das Urteil vom 16.09.2015 - L 15 BL 2/13).

9. Faktische Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt auch nicht vor, weil etwa aufgrund des speziellen Krankheitsbilds der Klägerin ausnahmsweise von Blindheit auszugehen wäre. Zwar ist in besonderen Ausnahmefällen spezieller Krankheitsbilder nach der Rechtsprechung des Senats die Annahme von Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der VG bzw. der DOG nicht von vornherein ausgeschlossen (vgl. im Einzelnen die Urteile vom 31.01.2013 - L 15 BL 6/07 - sowie vom 27.09.2016 - L 15 BL 11/15). Wie der Senat ebenso bereits entschieden hat, ist Voraussetzung für die Berücksichtigung jedoch, dass feststeht, welche Visus- und Gesichtsfeldwerte im Einzelnen erreicht werden, was hier gerade nicht der Fall ist. Ein allgemeiner, pauschaler Vergleich genügt insoweit nicht (vgl. das genannte Urteil vom 27.09.2016 - a.a.O. - sowie vom 05.07.2016 - L 15 BL 17/12).

Etwas Anderes ergibt sich im Übrigen auch nicht aus dem Gedanken, dass gerade bei einer Makuladegeneration ein fast vollständiger Verlust der Lesefähigkeit hervorgerufen wird, obwohl die Sehschärfe in der Ferne besser sein kann (vgl. z.B. Rohrschneider, MedSach 2012, S. 5, 6), so dass trotz besserer (d.h. über 0,02 liegender) - wie vorliegend anzunehmend - Fernvisuswerte im Hinblick auf die spezielle Erkrankung bei der Klägerin dennoch von Blindheit auszugehen wäre. Dieser Gedanke widerspricht nämlich dem System der Blindheitsbeurteilung bzw. den Vorgaben der VG/DOG, die die Visusprüfung ausschließlich auf den Fernvisus reduzieren, auch wenn dies „angesichts des hohen Stellenwertes von Lesen und Schreiben für die Teilhabe am täglichen Leben verwundert“ (Rohrschneider, a.a.O.). Eine solche Ausdehnung des Blindheitsbegriffs ist dem Senat aber nicht möglich, da er an diese Vorgaben gebunden ist.

Somit schließt der Senat zwar nicht völlig aus, dass das Sehvermögen der Klägerin doch unter die maßgebliche Blindheitsschwelle herabgesunken sein könnte. Wie ausführlich dargestellt, mangelt es jedoch insoweit am notwendigen Beweis.

Kann das Gericht bestimmte Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellen (non liquet), so gilt der Grundsatz, dass jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (vgl. z.B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ders., SGG, 12. Aufl. 2017, § 103, Rdnr. 19a, mit Nachweisen der höchtsrichterlichen Rspr.). Die Klägerin muss daher nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast die Folgen tragen, dass eine (deutliche) Ungewissheit bezüglich der für sie günstigen Tatsachen verblieben ist. Denn für das Vorliegen der Voraussetzungen der Blindheit gemäß Art. 1 Abs. 2 BayBlindG trägt der sehbehinderte Mensch die objektive Beweislast. Das BSG hat in seinem Urteil vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14) eine Beweiserleichterung - selbst für die besonders schwierigen Fälle der Blindheit bei zerebralen Schäden (vgl. hierzu Braun/Zihl, a.a.O.) - klar abgelehnt. Etwas Anderes ergibt sich ferner auch nicht aus der Tatsache, dass vorliegend die Klägerin Berufungsbeklagte ist.

Anlass für weitere Ermittlungen durch den Senat und erst recht eine verfahrensrechtliche Pflicht hierzu haben nicht bestanden, auch wenn die Einholung eines weiteren Gutachtens gemäß § 106 SGG sogar vom Beklagten in den Raum gestellt worden ist. Aus Sicht des Senats war es jedoch nicht angezeigt und letztlich rechtlich auch nicht möglich, noch weitere Gutachten nach § 106 SGG einzuholen. Es ist dem Senat selbstverständlich verwehrt, solange Gutachten einzuholen, bis ein bestimmtes Ergebnis dargelegt wird. Auch ist ein Obergutachten dem sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich fremd (vgl. das Urteil des Senats vom 05.08.2014 - L 15 SB 29/12), „weil nach Verfahrensrecht alle Gutachten dieselbe Relevanz beanspruchen können“ (Kater, a.a.O., S. 25), Ein Obergutachten kommt vorliegend unter keinem Gesichtspunkt in Betracht. Denn in den Fällen, „in denen einander widersprechende Gutachten vorliegen, ist das Gericht gezwungen, sich mit den Einzelheiten der medizinischen Feststellungen auseinanderzusetzen, um Klarheit darüber zu gewinnen, welche überzeugen und der Entscheidung zu Grunde gelegt werden können und welche nicht“ (Kater, a.a.O., S. 27). Dies hat der Senat getan. Ein Sonderfall, der die Einholung einer „dritten Meinung“ erforderlich machen würde, wie etwa dann, wenn sich zwei grundsätzliche medizinische Lehrmeinungen gegenüberstehen und das Gericht mangels eigener Sachkenntnis deren jeweilige Relevanz in der Wissenschaft nicht beurteilen kann, ist vorliegend nicht gegeben. Zudem sind in gerichtlichen Verfahren medizinische Gutachten nicht um ihrer selbst willen einzuholen. Insbesondere ist es auch nicht Sinn des Verfahrens, lediglich die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft voranzutreiben oder in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen Position zu beziehen (vgl. das Urteil des Senats vom 11.07.2017 - L 15 VJ 6/14, mit Verweis auf das Urteil des BSG vom 16.09.2007 - 1 RK 28/95).

Die Berufung hat somit Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zahlung von Blindengeld durch den Beklagten. Der Gerichtsbescheid des SG ist aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 14.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2013 ist abzuweisen. Die unbegründete Anschlussberufung ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.