Sozialgericht Nürnberg Beschluss, 12. Okt. 2016 - S 6 AS 80/16

bei uns veröffentlicht am12.10.2016

Tenor

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.

Mit vier Änderungsbescheiden vom 10.11.2014 bewilligte der Beklagte der 1989 geborenen Klägerin zu 1) und ihrer 2008 geborenen Tochter, der Klägerin zu 2) mit der sie in Bedarfsgemeinschaft lebt, für die Zeiträume 01.01.2013 bis 31.03.2013, 01.04.2013 bis 30.09.2013, 01.10.2013 bis 31.03.2014 und 01.04.2014 bis 30.09.2014 Leistungen der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Im Vergleich zu den vorausgegangenen Bewilligungsbescheiden berücksichtigte der Beklagte darin einen Mehrbedarf für Warmwasser, was zu einer entsprechenden Erhöhung der Leistung um 1,79 EUR für Januar 2013, um 2,08 EUR für Februar 2013, von 10,58 EUR für Marz bis Dezember 2013, von 11,78 EUR für Januar 2014 und 12,12 EUR von Februar bis März 2014 führte.

Am 04.03.2015 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen die Überprüfung der Änderungsbescheide nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), nachdem ihm diese von seinen Mandanten vorgelegt worden waren.

Ohne Sach- und Rechtsprüfung lehnte der Beklagte den Überprüfungsantrag durch Bescheid vom 10.03.2015 ab, da dieser lediglich pauschal - ohne Angabe der für die Unrichtigkeit der angegriffenen Bescheide sprechenden Gründe - gestellt worden sei.

Im Rahmen des durch den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerinnen vom 13.03.2015 eingeleiteten Widerspruchsverfahrens wurden die Klägerinnen vom Beklagten am 29.06.2015 aufgefordert darzulegen, aus welchen Gründen die angefochtenen Bescheide unrichtig sein sollten.

Nachdem innerhalb der hierfür gesetzten Frist keinerlei Stellungnahme seitens der Klägerinnen einging, wurde der Widerspruch gegen den Bescheid vom 10.03.2015 mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2015 zurückgewiesen, in welchem der Beklagte u.a. die Auffassung vertrat, dass er nicht zu einer Überprüfung seiner Bescheide „ins Blaue hinein“ verpflichtet sei.

Gegen ihn richtet sich die am 21.01.2016 zum Sozialgericht Nürnberg erhobene Klage, in welcher die Klägerinnen beantragen:

Der Bescheid des Beklagten vom 10.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2015 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet über den Überprüfungsantrag vom 04.03.2015 hinsichtlich der Änderungsbescheide vom 10.11.2014 bezüglich der Leistungszeiträume 01.01.2013 bis 31.03.2013, 01.04.2013 bis 30.09.2013, 01.10.2013 bis 31.03.2014 und 01.04.2014 bis 30.09.2014 inhaltlich zu entscheiden.

Zugleich mit Klageerhebung wurde um Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. aus B-Stadt ersucht.

Der Beklagte beantragt in seinem Klageerwiderungsschreiben vom 15.07.2016, die Klage wird abgewiesen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

II.

Gemäß § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhalten Beteiligte, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen können, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Antrag vorliegend abzulehnen, da es der in der Hauptsache geführten Klage an der erforderlichen Erfolgsaussicht gem. § 73 a SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO mangelt.

Nach der im Verfahren zur Bewilligung von PKH vorzunehmenden summarischen Prüfung hat es der Beklagte zu Recht abgelehnt, auf den Antrag der Klägerinnen vom 04.03.2015 hin die Änderungsbescheide vom 10.11.2014 nach § 44 SGB X inhaltlich nochmals zu überprüfen.

Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

Erfolgt die Überprüfung aufgrund eines Antrags der Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag zwar grundsätzlich eine Prüfungspflicht des Leistungsträgers aus. Der Antrag bestimmt jedoch zugleich auch den Umfang des Prüfungsauftrages der Verwaltung im Hinblick darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist (BSG v. 13.02.2014 - B 4 AS 22/13 R; v. 04.06.2014 - B 14 AS 335/13 B).

Aufgrund oder aus Anlass des Antrags muss sich der Verwaltung im Einzelfall objektiv erschließen, aus welchem Grund, etwa wegen eines Rechtsfehlers oder einer falschen Sachverhaltsgrundlage, nach Auffassung der Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll.

Wird hingegen ohne nähere Differenzierung ein Verwaltungshandeln insgesamt zur Überprüfung gestellt, also keine Prüfung im Einzelfall begehrt, löst ein solcher Antrag nach § 44 SGB X keine inhaltliche Prüfpflicht des Sozialleistungsträgers aus (s. BSG v. 13.02.2014 - B 4 AS 22/13 R; v. 04.06.2014 - B 14 AS 335/13 B sowie v. 28.10.2014 - B 14 AS 39/13 R; s.a. LSG Niedersachsen -Bremen v. 25.02.2016 - L 11 AS 1392/13)

Eine Entbindung von der inhaltlichen Prüfpflicht setzt allerdings voraus, dass der Sozialleistungsträger den Einzelfall, also die konkreten Inhalte eines bestimmten Bescheides die zu Überprüfung gestellt werden sollen, bei objektiver Betrachtung nicht ermitteln kann. Ein Prüfanliegen im Einzelfall ist daher zu bejahen, wenn entweder eine bestimmte Fragestellung tatsächlicher oder rechtlicher Natur oder eine konkrete Verwaltungsentscheidung benannt wird (BSG v. 13.02.2014 - B 4 AS 22/13 R).

Denn auch bei einem Antrag nach § 44 SGB X hat die Verwaltung den Untersuchungsgrundsatz des § 20 SGB X zu beachten. In welchem Umfang der Leistungsträger seiner Amtsermittlungspflicht nachzukommen hat, beurteilt sich jedoch noch Lage des Einzelfalls. Als Kriterium für den Umfang der Amtsermittlungspflicht ist beispielsweise zu berücksichtigen, ob der Leistungsberechtigte anwaltschaftlich vertreten oder/und vertreten ist.

Letztlich kommt es darauf an, ob der Sozialleistungsträger in die Lage versetzt wurde zu erkennen, welche seiner Entscheidungen und aus welchem Grund diese überprüft werden soll (s. hierzu SG Neuruppin v. 28.07.2015 - S 26 AS 2020/11).

Am 04.03.2015 wurde für die Klägerinnen pauschal und ohne jede Begründung eine Überprüfung der Änderungsbescheide vom 10.11.2014 begehrt. Ein konkretes Vorbringen zu einem Sachverhalt oder zu einer Rechtslage enthielt dieser Antrag, der zudem von ihrem rechtsanwaltlichen Vertreter gestellt wurde, nicht.

Ebenso wenig ging daraus hervor, auf welches Rechtsschutzziel er gerichtet war.

Selbst im Rahmen des gegen die Ablehnung der Überprüfung geführten Widerspruchsverfahrens kamen die Klägerinnen der Bitte des Beklagten um Konkretisierung ihres Überprüfungsantrags nicht nach (s. LSG Sachsen-Anhalt v. 23.06.2016 - L 5 AS 20/15, das einen Antrag nach § 44 SGB X der nicht bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahren hinreichend konkretisiert ist, bereits für unzulässig hält. S.a. LSG Berlin-Brandenburg v. 26.03.2013 - L 19 AS 727/11).

Erst durch die Begründung der gegen den Widerspruchsbescheid vom 18.12.2015 erhobenen Klage wurde für den Beklagten deutlich, dass die Klägerinnen in den zur Überprüfung gestellten Zeiträumen höhere Heizkosten begehrten.

Die Nachbesserung eines bis dahin unbestimmten und nicht objektiv konkretisierbaren Antrags erst im Klageverfahren ist jedoch nicht ausreichend (BSG v. 13.02.2014 - B 4 AS 22/13 R).

Im Ergebnis geht das Gericht mithin davon aus, dass ihr Antrag vom 04.03.2015 nicht hinreichend konkretisiert war und die Klägerinnen deshalb keinen Anspruch auf eine inhaltliche Überprüfung der Änderungsbescheide vom 10.11.2014 hatten. Folglich wäre der Ablehnungsbescheid vom 10.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2015 zu Recht ergangen, weshalb die dagegen erhobene Klage keine Aussicht auf Erfolg hätte.

Es war mithin zu entscheiden wie geschehen und der Antrag auf PKH abzulehnen.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 114 Voraussetzungen


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Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. März 2013 wird zurückgewiesen.

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(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. März 2013 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Überprüfung und Rücknahme aller Bescheide über die Gewährung, Aufhebung und Erstattung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für den Zeitraum seit Januar 2006.

2

Der 1973 geborene Kläger bezog seit Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Auf den Antrag des anwaltlich vertretenen Klägers vom 28.7.2010, sämtliche bestandskräftige Bescheide seit dem 1.1.2006 "auf ihre Rechtmäßigkeit" zu überprüfen, forderte der Beklagte ihn unter Fristsetzung bis zum 15.8.2010 auf, eine detaillierte Aufstellung der angefochtenen Bescheide vorzulegen. Eine Überprüfung des Sachverhaltes werde ansonsten nicht vorgenommen. Nachdem keine Reaktion erfolgt war, lehnte der Beklagte eine Prüfung der Bescheide ab (Bescheid vom 16.8.2010; Widerspruchsbescheid vom 11.10.2010).

3

Im sozialgerichtlichen Verfahren hat der Kläger vorgetragen, in den Bewilligungsbescheiden vom 23.11.2005, 12.6.2006, 14.12.2006, 29.5.2007, 26.11.2007, 2.6.2008 und 24.11.2008 seien die Kosten für Unterkunft und Heizung falsch ermittelt, der Beklagte habe den Abzug der Kosten für die Warmwasseraufbereitung unrichtig vorgenommen. Im August 2006 müsse eine Nachforderung aus einer Betriebskostenabrechnung in Höhe von 108,36 Euro berücksichtigt werden. Gleiches gelte für die Betriebskostenabrechnungen für das Jahr 2006 (Bescheid vom 22.6.2007) und für das Jahr 2007 (Bescheid vom 8.5.2008). Der Beklagte habe jeweils einen zu geringen Betrag berücksichtigt.

4

Das SG hat die Klage teilweise als unzulässig zurückgewiesen, im Übrigen als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 15.3.2011). Soweit die Klagebegründung einen erneuten Überprüfungsantrag beinhalte, fehle es an einem ordnungsgemäßen Vorverfahren. Im Übrigen handele es sich bei der in § 44 SGB X vorgesehenen Korrekturmöglichkeit um eine Einzelfallprüfung. Ein "globaler" Überprüfungsantrag werde von der Norm nicht erfasst.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 26.3.2013). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf eine schranken- und voraussetzungslose Sach- und Rechtsprüfung der seit Januar 2006 erlassenen Bescheide. Aus dem Wortlaut und der Systematik ergebe sich, dass jeweils nur ein Anspruch auf Überprüfung einzelner Verwaltungsentscheidungen, nicht auf ein ggf umfangreiches Verwaltungshandeln über einen mehrjährigen Zeitraum bestehe. Für den Bereich des SGB II habe der Gesetzgeber die Bedeutung der Rechtssicherheit mit Wirkung zum 1.4.2011 weiter hervorgehoben und durch eine Ergänzung in § 40 Abs 1 S 2 SGB II die Rückwirkung auf ein Jahr begrenzt. Zudem werde das Leistungsverhältnis Bürger - Behörde im Bereich des SGB II schon materiell-rechtlich, dh aufgrund des Gegenstandes und des Normprogramms, durch Veränderungen in der Lebenswirklichkeit der Betreffenden ungleich mehr als im Sozialrecht sonst üblich geprägt. Im Interesse einer funktionsfähigen Verwaltung erfahre § 44 SGB X daher im SGB II eine Einschränkung. Unter Beachtung dieser Grundsätze folge aus dem Antrag des Klägers keine Pflicht zur Überprüfung von Bescheiden in der Sache, weil er diese bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens nicht benannt habe. Soweit er mit seiner Klagebegründung die zu überprüfenden Bescheide des Beklagten und Gründe für die aus seiner Sicht rechtswidrigen Regelungen benannt habe, sei zwar bei der Beurteilung von Bescheiden im Überprüfungsverfahren bei einer zulässigen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt derjenige der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz. Hänge das Überprüfungsbegehren aber von Mitwirkungsobliegenheiten im Verwaltungsverfahren ab, seien Gerichte nicht verpflichtet, auf die Nachholung der schon bestehenden Mitwirkungsobliegenheit die nunmehr konkret benannten Bescheide erstmals zu überprüfen.

6

Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, es sei kein plausibler Grund dafür ersichtlich, warum eine Überprüfung "sämtlicher" erlassener Bescheide des Beklagten nur dann möglich sein solle, wenn der Antragsteller diese nochmals aufliste. Da der Überprüfungsantrag ausschließlich auf eine fehlerhafte Rechtsanwendung gestützt worden sei, bedürfe es keiner weiteren Darlegungen.

7

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. März 2013 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. März 2011 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2010 zu verpflichten, die Bescheide vom 23. November 2005, 12. Juni 2006, 14. Dezember 2006, 29. Mai 2007, 22. Juni 2007, 26. November 2007, 8. Mai 2008, 2. Juni 2008 und 24. November 2008 teilweise zurückzunehmen und dem Kläger für die in den Bescheiden geregelten Bewilligungszeiträume höhere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er bezieht sich auf das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist zulässig, jedoch unbegründet.

11

1. Streitgegenstand ist die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Zeitraum vom 1.1.2006 bis 30.6.2009, als dies durch die im Antrag bezeichneten Bescheide des Beklagten geschehen ist. Richtige Klageart ist hier eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (zuletzt BSG Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 4; BSG Urteil vom 28.2.2013 - B 8 SO 4/12 R - RdNr 9; vgl auch Baumeister in juris-PK SGB X, § 44 RdNr 154, Stand 4/2013; Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 44 SGB X RdNr 30, Stand 09/2013 mwN; Waschull in LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 44 RdNr 59; aA in einem obiter dictum: BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr 18, jeweils RdNr 9; wohl auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IV RdNr 76). Der Kläger begehrt mit der Anfechtungsklage die Aufhebung des - die Überprüfung der zuvor benannten Bescheide ablehnenden - Verwaltungsakts vom 16.8.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2010. Die Verpflichtungsklage ist auf die Erteilung eines Bescheids durch den Beklagen gerichtet, mit dem dieser die begehrte Änderung der bezeichneten Bewilligungsbescheide bewirkt. Mit der Leistungsklage beantragt er die Erbringung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im streitigen Zeitraum.

12

2. Der Beklagte hat es hier rechtlich zutreffend abgelehnt, eine inhaltliche Überprüfung der benannten Verwaltungsakte nach § 44 SGB X vorzunehmen. Es mangelt bereits an einem hinreichend objektiv konkretisierbaren Antrag im Sinne dieser Vorschrift.

13

a) Nach § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Erfolgt die Überprüfung aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag zwar grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus. Der Antrag bestimmt jedoch zugleich auch den Umfang des Prüfauftrags der Verwaltung im Hinblick darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist. Aufgrund oder aus Anlass des Antrags muss sich der Verwaltung im Einzelfall objektiv erschließen, aus welchem Grund - Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage - nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll. Dazu muss der Antrag konkretisierbar sein, dh entweder aus dem Antrag selbst - ggf nach Auslegung - oder aus einer Antwort des Leistungsberechtigten aufgrund konkreter Nachfrage des Sozialleistungsträgers muss der Umfang des Prüfauftrags für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar werden. Ist dies nicht der Fall, ist der Sozialleistungsträger berechtigt, von einer inhaltlichen Prüfung dieses Antrags abzusehen. Diese Begrenzung des Prüfauftrags der Verwaltung wird durch den Wortlaut, die Gesetzesbegründung sowie den Sinn und Zweck des § 44 SGB X gestützt.

14

b) Nach dem Wortlaut von § 44 Abs 1 S 1 SGB X soll "im Einzelfall" eine Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes - sei es ein rechtswidriger belastender Verwaltungsakt, mit dem Leistungen ganz oder teilweise abgelehnt worden sind, sei es ein Rückforderungsbescheid(vgl Voelzke/Hahn, SGb 2012, 685, mwN) - erfolgen. Hieraus hat der erkennende Senat geschlossen, dass dann, wenn nicht ein einzelner oder mehrere konkrete, ihrer Zahl nach bestimmbare Verfügungssätze von Verwaltungsakten, sondern das Verwaltungshandeln - ohne jede Differenzierung - insgesamt zur Überprüfung durch die Verwaltung gestellt wird, keine Prüfung im Einzelfall begehrt wird. Trotz des Vorliegen eines "Antrags" löst ein solches Begehren bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift noch keine inhaltliche Prüfpflicht des Sozialleistungsträgers aus (BSG Beschluss vom 14.3.2012 - B 4 AS 239/11 B - juris-RdNr 6).

15

c) Eine Entbindung von der inhaltlichen Prüfung setzt allerdings voraus, dass der Sozialleistungsträger "den Einzelfall", also die konkreten Inhalte eines bestimmten Bescheides, die zur Überprüfung gestellt werden sollen, bei objektiver Betrachtung nicht ermitteln kann. Ein Prüfanliegen "im Einzelfall" ist daher zu bejahen, wenn entweder eine bestimmte Fragestellung tatsächlicher oder rechtlicher Natur oder eine konkrete Verwaltungsentscheidung benannt wird. Auch bei einem Antrag nach § 44 SGB X hat die Verwaltung den Untersuchungsgrundsatz des § 20 SGB X zu beachten. Insofern kann es - je nach den konkreten Umständen der Antragstellung - erforderlich sein, dass der Träger auf eine Konkretisierung des Überprüfungsbegehrens durch den Leistungsberechtigten iS des § 21 Abs 2 S 1 SGB X hinwirkt. In welchem Umfang der Leistungsträger seiner Amtsermittlungspflicht nachzukommen hat, beurteilt sich jedoch nach Lage des Einzelfalls. Als Kriterium für den Umfang der Amtsermittlungspflicht des SGB II-Trägers ist beispielsweise zu berücksichtigen, ob der Leistungsberechtigte (mit juristischem Sachverstand) vertreten oder unvertreten ist oder ob sich aus vorangegangenen Kontakten zwischen ihm und der Verwaltung Anhaltspunkte für das Begehren des Antragstellers ergeben. Auch kann von Bedeutung sein, in welchem Gesamtkontext ein Überprüfungsantrag gestellt wird. Wenn - jedoch wie im vorliegenden Fall - auch auf Nachfrage des SGB II-Trägers bei dem Rechtsanwalt der Antragstellerin keine Angaben gemacht werden, die eine Konkretisierung für den Einzelfall ermöglichen, sondern weiter pauschal auf die Überprüfung sämtlicher Bescheide verwiesen wird, ist der Sozialleistungsträger objektiv nicht in der Lage, seinen Prüfauftrag zu bestimmen. In diesem Sinne wird auch in dem Entwurf zur Begründung des § 42 SGB X (heute § 44 SGB X) darauf hingewiesen, Voraussetzung für die Rücknahme solle sein, dass der Behörde im Einzelfall die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes bekannt werde(BT-Drucks 8/2034, S 34). Der Sozialleistungsträger muss also zumindest in die Lage versetzt werden, bestimmen zu können, welcher Verwaltungsakt rechtswidrig sein könnte. Dies war hier bis zur Erteilung des Widerspruchsbescheides nicht der Fall.

16

d) Es genügt nicht, wenn der Leistungsberechtigte - wie hier - eine Nachbesserung des bis dahin unbestimmten und nicht objektiv konkretisierbaren Antrags erst im Klageverfahren vornimmt. Für die Beurteilung, ob die formellen Erfordernisse eines solchen Antrags vorliegen, der überhaupt erst eine Prüfpflicht des Leistungsträgers auslöst, ist auf die zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zu diesem Überprüfungsantrag vorgetragenen tatsächlichen und/oder rechtlichen Anhaltspunkte abzustellen.

17

Soweit das LSG mit Hinweis auf eine Entscheidung des 5. Senats des BSG (Urteil vom 25.1.2011 - B 5 R 47/10 R - RdNr 12) für die Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Überprüfungsverfahren im Ansatz davon ausgegangen ist, dass dies derjenige der letzten mündlichen Verhandlung sei, handelte es sich bei der Entscheidung des 5. Senats um eine andere Ausgangslage. In dem dortigen Verfahren war umstritten, ob konkrete "Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden" sind. Ob diese neben der Antragsstellung zu beachtende (weitere) Rücknahmevoraussetzung erfüllt ist, kann sich nach der materiellen Rechtslage richten, die im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Überprüfungsentscheidung gilt. Insofern ist neues Recht und auch erstmaliges Vorbringen der Beteiligten im Klageverfahren hierzu nach der Entscheidung des 5. Senats des BSG zu berücksichtigen, wenn das neue Recht das streitige Rechtsverhältnis nach seinem Geltungswillen "mit Rückwirkung" erfassen soll. Vorliegend fehlt es jedoch bereits an der vorrangig zu prüfenden verfahrensrechtlichen Voraussetzung für ein (Wieder)Aufleben ("Ingangbringen") der Prüfverpflichtung des Sozialleistungsträgers nach § 44 SGB X.

18

e) Ohne Bedeutung für die hier behandelte Fallgestaltung des nicht einzelfallbezogenen Antrags ist es, dass nach der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG eine Einschränkung im Verfahren nach § 44 SGB X unter Rückgriff auf § 51 Abs 1 VwVfG vorgenommen werden darf mit der Folge einer gestuften Prüfungsverpflichtung bei einem "unrichtigen Sachverhalt"(BSGE 88, 75 = SozR 3-2200 § 1265 Nr 20). Nicht einschlägig ist hier auch die Rechtsprechung des 9. Senats des BSG, der eine Prüfpflicht nur dann annehmen will, wenn Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit des der früheren Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts vorhanden sind (BSGE 63, 33 = SozR 1300 § 44 Nr 33). Wird das Verwaltungshandeln umfassend zur Überprüfung gestellt, mangelt es bereits an einem konkreten Anlass zum Eintritt in die zuvor aufgezeigten "Prüfstadien". Bereits auf der davor liegenden Stufe fehlt es an Hinweisen, wie sich der Prüfumfang bestimmen soll, wenn - wie hier - auch auf Nachfrage bei dem Leistungsberechtigten keine weiteren Angaben gemacht werden. Gleiches gilt, wenn sich die Rechtswidrigkeit aus einer unrichtigen Anwendung des Rechts ergeben soll. Nach Auffassung des 2. Senats des BSG soll zwar im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X auch ohne neues Vorbringen des Antragstellers immer eine Prüfverpflichtung bestehen, ob bei Erlass des bindend gewordenen Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt wurde(BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr 18, RdNr 12). Dies setzt jedoch voraus, dass die Verwaltung überhaupt "einzelfallbezogen" erkennen kann, welcher Bescheid zu überprüfen ist. Ansonsten kann sie bereits den Gegenstand der Prüfung nicht bestimmen und nicht dem Sinn und Zweck des § 44 SGB X entsprechend handeln.

19

f) Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen(BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 24, juris-RdNr 16; Merten in Hauck/Noftz, SGB X, K § 44 RdNr 2, Stand XII/12; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2013, § 44 RdNr 2, vor 44-49, RdNr 1; Steinwedel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X RdNr 2, Stand IX/2013; Waschull in LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, vor §§ 44-51 RdNr 13; vgl auch Voelzke/Hahn, SGb 2012, 685). Eine Konfliktlösung in diesem Sinne ist der Verwaltung jedoch nur möglich, wenn ihr "der Konflikt" bekannt ist. Insoweit besteht kein Unterschied zwischen der Situation der Einleitung eines Überprüfungsverfahrens durch einen Antrag des Leistungsberechtigten oder der Verpflichtung der Verwaltung zur Überprüfung von Amts wegen (§ 44 Abs 3 S 2 und 3 SGB X). Der Maßstab zur Bestimmung des Prüfumfangs ist gleich. Im Rahmen der Überprüfung von Amts wegen ist die Verwaltung nach ständiger Rechtsprechung des BSG nicht verpflichtet, die Akten von sich aus auf Rücknahmemöglichkeiten durchzuarbeiten. Es müssen sich vielmehr konkret in der Bearbeitung eines Falles Anhaltspunkte für eine Aufhebung ergeben (vgl BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VH 1/07 R - juris-RdNr 48; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 23, juris-RdNr 24 f; s auch Baumeister in jurisPK-SGB X, § 44 SGB X, RdNr 133, Stand 4/2013; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2013, § 44 RdNr 39; Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 44 SGB X, RdNr 24, Stand IX/2013). Anderenfalls würde der Verwaltung die Verpflichtung auferlegt, ihr bindend gewordenes Verwaltungshandeln "ins Blaue hinein" zu überprüfen. Auch bei einer Überprüfung auf Antrag ist die Verwaltung daher nicht gehalten, die Akten von Amts wegen durchzuarbeiten, um eine mögliche Rechtswidrigkeit aufzudecken. Sie kann sich vielmehr - in einer Situation wie der vorliegenden - unter dem Hinweis auf fehlende Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit nicht näher bezeichneter Ausgangsbescheide darauf stützen, es sei nicht erkennbar, dass das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei und die erneute inhaltliche Prüfung ablehnen. Damit wird sowohl der materiellen Gerechtigkeit als auch der Bindungswirkung Rechnung getragen, ohne die materielle Gerechtigkeit durch eine Zugunstenentscheidung für den Leistungsberechtigten im Einzelfall hinter die Bindungswirkung zurücktreten zu lassen.

20

g) Unerheblich für die Bestimmung des Umfangs der Prüfpflicht des Leistungsträgers ist hingegen, dass es sich hier um einen Antrag auf Überprüfung eines Bescheides aus dem Leistungsbereich des SGB II handelt. Die den dortigen Leistungsvoraussetzungen geschuldete Häufigkeit der Änderungen der Leistungshöhe und der damit verbundenen erneuten Bescheiderteilung bilden keinen Anlass von anderen Sozialleistungsbereichen abweichende Maßstäbe für die Voraussetzungen der Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung nach § 44 SGB X aufzustellen. § 40 Abs 1 SGB II enthält nur eine Begrenzung hinsichtlich der rückwirkenden Erbringung von SGB II-Leistungen nach § 44 Abs 4 SGB X, nicht jedoch abweichende Grundsätze für die vorangehenden Prüfungsschritte des § 44 SGB X(vgl in diesem Zusammenhang auch BSGE 106, 155 = SozR 4-4200 § 22 Nr 36).

21

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 17. Juni 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Umstritten ist die Überprüfung von Bescheiden nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Der seit dem 1.1.2005 im laufenden Leistungsbezug des beklagten Jobcenters stehende Kläger beantragte am 22.10.2010 die "Überprüfung sämtlicher bestandskräftiger Bescheide über Grundsicherung", ohne dies näher zu begründen. Der Beklagte lehnte den Antrag ohne Sachprüfung ab (Bescheid vom 28.10.2010, Widerspruchsbescheid vom 27.1.2011). Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab (Gerichtsbescheid vom 13.6.2012), Berufung wurde keine eingelegt. Den während des Laufs dieses Gerichtsverfahrens am 2.5.2011 gestellten, nicht begründeten Antrag des Klägers auf Überprüfung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 27.12.2006 lehnte der Beklagte ab, weil eine Überprüfung nur für einen Zeitraum bis zu einem Jahr vor der Rücknahme erfolgen könne (Bescheid vom 9.5.2011, Widerspruchsbescheid vom 22.6.2011). Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 31.8.2012), das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 17.6.2013), weil die Ablehnung einer Sachprüfung durch den Beklagten im Ergebnis nicht zu beanstanden sei.

2

In der gegen die Nichtzulassung der Revision in der Entscheidung des LSG gerichteten Beschwerde rügt der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aufgrund der Rechtsfrage:

"Sind Verwaltung und Gerichte im Rahmen eines Überprüfungsantrages nach § 44 SGB X verpflichtet, auch ohne neues tatsächliches Vorbringen der Beteiligten, die Rechtmäßigkeit des zur Überprüfung gestellten Bescheides anhand der zwischenzeitlich ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu überprüfen?"

Zur Begründung hat der Kläger ua auf die zu dieser Rechtsfrage schon anhängigen Revisionsverfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) verwiesen.

3

Nachdem der 4. Senat durch Urteil vom 13.2.2014 - B 4 AS 22/13 R -, in dem dieselbe Rechtsfrage gestellt, derselbe Beklagte und auf Klägerseite derselbe Prozessbevollmächtigte beteiligt waren, die Revision des dortigen Klägers zurückgewiesen hatte und in dem hiesigen Verfahren angefragt worden ist, ob die Nichtzulassungsbeschwerde aufrechterhalten bleibe, hat der Kläger mitgeteilt, dass an der Nichtzulassungsbeschwerde festgehalten werde, da die Rechtsauffassung des zuständigen 14. Senats noch nicht bekannt sei.

4

II. Die gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG gerichtete Beschwerde des Klägers ist zurückzuweisen, weil sie unbegründet ist. Die Voraussetzungen des vom Kläger allein geltend gemachten Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG sind nicht erfüllt.

5

Voraussetzungen für die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage sind über die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage hinaus deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, deren Klärungsbedürftigkeit sowie Klärungsfähigkeit und Entscheidungserheblichkeit im konkreten Rechtsstreit (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX, RdNr 60 ff).

6

Die Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der zuvor aufgezeigten Voraussetzungen ist der Zeitpunkt der Entscheidung des BSG über die Nichtzulassungsbeschwerde. Dies bedeutet, dass die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage, die zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde gegeben war, durch zwischenzeitliche Entscheidungen des BSG über diese Rechtsfrage bis zur Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde wegfallen kann (BSG SozR 1500 § 160 Nr 25; BSG SozR 1500 § 160a Nr 65; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX, RdNr 71).

7

Die vom Kläger formulierte Rechtsfrage ist aufgrund des genannten Urteils des 4. Senats vom 13.2.2014 - B 4 AS 22/13 R - nicht mehr klärungsbedürftig. In diesem Urteil hat der 4. Senat in RdNr 13 ausgeführt und den folgenden RdNr näher begründet:

"Nach § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Erfolgt die Überprüfung aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag zwar grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus. Der Antrag bestimmt jedoch zugleich auch den Umfang des Prüfauftrags der Verwaltung im Hinblick darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist. Aufgrund oder aus Anlass des Antrags muss sich der Verwaltung im Einzelfall objektiv erschließen, aus welchem Grund - Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage - nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll. Dazu muss der Antrag konkretisierbar sein, dh entweder aus dem Antrag selbst - ggf nach Auslegung - oder aus einer Antwort des Leistungsberechtigten aufgrund konkreter Nachfrage des Sozialleistungsträgers muss der Umfang des Prüfauftrags für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar werden. Ist dies nicht der Fall, ist der Sozialleistungsträger berechtigt, von einer inhaltlichen Prüfung dieses Antrags abzusehen. Diese Begrenzung des Prüfauftrags der Verwaltung wird durch den Wortlaut, die Gesetzesbegründung sowie den Sinn und Zweck des § 44 SGB X gestützt."

8

Dem schließt sich der 14. Senat an. Angesichts dessen ist kein Grund zu erkennen oder vom Kläger vorgebracht worden, wieso noch eine Entscheidung des erkennenden Senats im Rahmen eines Revisionsverfahrens über die vom Kläger formulierte Frage notwendig ist.

9

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. März 2013 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Überprüfung und Rücknahme aller Bescheide über die Gewährung, Aufhebung und Erstattung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für den Zeitraum seit Januar 2006.

2

Der 1973 geborene Kläger bezog seit Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Auf den Antrag des anwaltlich vertretenen Klägers vom 28.7.2010, sämtliche bestandskräftige Bescheide seit dem 1.1.2006 "auf ihre Rechtmäßigkeit" zu überprüfen, forderte der Beklagte ihn unter Fristsetzung bis zum 15.8.2010 auf, eine detaillierte Aufstellung der angefochtenen Bescheide vorzulegen. Eine Überprüfung des Sachverhaltes werde ansonsten nicht vorgenommen. Nachdem keine Reaktion erfolgt war, lehnte der Beklagte eine Prüfung der Bescheide ab (Bescheid vom 16.8.2010; Widerspruchsbescheid vom 11.10.2010).

3

Im sozialgerichtlichen Verfahren hat der Kläger vorgetragen, in den Bewilligungsbescheiden vom 23.11.2005, 12.6.2006, 14.12.2006, 29.5.2007, 26.11.2007, 2.6.2008 und 24.11.2008 seien die Kosten für Unterkunft und Heizung falsch ermittelt, der Beklagte habe den Abzug der Kosten für die Warmwasseraufbereitung unrichtig vorgenommen. Im August 2006 müsse eine Nachforderung aus einer Betriebskostenabrechnung in Höhe von 108,36 Euro berücksichtigt werden. Gleiches gelte für die Betriebskostenabrechnungen für das Jahr 2006 (Bescheid vom 22.6.2007) und für das Jahr 2007 (Bescheid vom 8.5.2008). Der Beklagte habe jeweils einen zu geringen Betrag berücksichtigt.

4

Das SG hat die Klage teilweise als unzulässig zurückgewiesen, im Übrigen als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 15.3.2011). Soweit die Klagebegründung einen erneuten Überprüfungsantrag beinhalte, fehle es an einem ordnungsgemäßen Vorverfahren. Im Übrigen handele es sich bei der in § 44 SGB X vorgesehenen Korrekturmöglichkeit um eine Einzelfallprüfung. Ein "globaler" Überprüfungsantrag werde von der Norm nicht erfasst.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 26.3.2013). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf eine schranken- und voraussetzungslose Sach- und Rechtsprüfung der seit Januar 2006 erlassenen Bescheide. Aus dem Wortlaut und der Systematik ergebe sich, dass jeweils nur ein Anspruch auf Überprüfung einzelner Verwaltungsentscheidungen, nicht auf ein ggf umfangreiches Verwaltungshandeln über einen mehrjährigen Zeitraum bestehe. Für den Bereich des SGB II habe der Gesetzgeber die Bedeutung der Rechtssicherheit mit Wirkung zum 1.4.2011 weiter hervorgehoben und durch eine Ergänzung in § 40 Abs 1 S 2 SGB II die Rückwirkung auf ein Jahr begrenzt. Zudem werde das Leistungsverhältnis Bürger - Behörde im Bereich des SGB II schon materiell-rechtlich, dh aufgrund des Gegenstandes und des Normprogramms, durch Veränderungen in der Lebenswirklichkeit der Betreffenden ungleich mehr als im Sozialrecht sonst üblich geprägt. Im Interesse einer funktionsfähigen Verwaltung erfahre § 44 SGB X daher im SGB II eine Einschränkung. Unter Beachtung dieser Grundsätze folge aus dem Antrag des Klägers keine Pflicht zur Überprüfung von Bescheiden in der Sache, weil er diese bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens nicht benannt habe. Soweit er mit seiner Klagebegründung die zu überprüfenden Bescheide des Beklagten und Gründe für die aus seiner Sicht rechtswidrigen Regelungen benannt habe, sei zwar bei der Beurteilung von Bescheiden im Überprüfungsverfahren bei einer zulässigen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt derjenige der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz. Hänge das Überprüfungsbegehren aber von Mitwirkungsobliegenheiten im Verwaltungsverfahren ab, seien Gerichte nicht verpflichtet, auf die Nachholung der schon bestehenden Mitwirkungsobliegenheit die nunmehr konkret benannten Bescheide erstmals zu überprüfen.

6

Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, es sei kein plausibler Grund dafür ersichtlich, warum eine Überprüfung "sämtlicher" erlassener Bescheide des Beklagten nur dann möglich sein solle, wenn der Antragsteller diese nochmals aufliste. Da der Überprüfungsantrag ausschließlich auf eine fehlerhafte Rechtsanwendung gestützt worden sei, bedürfe es keiner weiteren Darlegungen.

7

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. März 2013 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. März 2011 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2010 zu verpflichten, die Bescheide vom 23. November 2005, 12. Juni 2006, 14. Dezember 2006, 29. Mai 2007, 22. Juni 2007, 26. November 2007, 8. Mai 2008, 2. Juni 2008 und 24. November 2008 teilweise zurückzunehmen und dem Kläger für die in den Bescheiden geregelten Bewilligungszeiträume höhere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er bezieht sich auf das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist zulässig, jedoch unbegründet.

11

1. Streitgegenstand ist die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Zeitraum vom 1.1.2006 bis 30.6.2009, als dies durch die im Antrag bezeichneten Bescheide des Beklagten geschehen ist. Richtige Klageart ist hier eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (zuletzt BSG Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 4; BSG Urteil vom 28.2.2013 - B 8 SO 4/12 R - RdNr 9; vgl auch Baumeister in juris-PK SGB X, § 44 RdNr 154, Stand 4/2013; Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 44 SGB X RdNr 30, Stand 09/2013 mwN; Waschull in LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 44 RdNr 59; aA in einem obiter dictum: BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr 18, jeweils RdNr 9; wohl auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IV RdNr 76). Der Kläger begehrt mit der Anfechtungsklage die Aufhebung des - die Überprüfung der zuvor benannten Bescheide ablehnenden - Verwaltungsakts vom 16.8.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2010. Die Verpflichtungsklage ist auf die Erteilung eines Bescheids durch den Beklagen gerichtet, mit dem dieser die begehrte Änderung der bezeichneten Bewilligungsbescheide bewirkt. Mit der Leistungsklage beantragt er die Erbringung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im streitigen Zeitraum.

12

2. Der Beklagte hat es hier rechtlich zutreffend abgelehnt, eine inhaltliche Überprüfung der benannten Verwaltungsakte nach § 44 SGB X vorzunehmen. Es mangelt bereits an einem hinreichend objektiv konkretisierbaren Antrag im Sinne dieser Vorschrift.

13

a) Nach § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Erfolgt die Überprüfung aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag zwar grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus. Der Antrag bestimmt jedoch zugleich auch den Umfang des Prüfauftrags der Verwaltung im Hinblick darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist. Aufgrund oder aus Anlass des Antrags muss sich der Verwaltung im Einzelfall objektiv erschließen, aus welchem Grund - Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage - nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll. Dazu muss der Antrag konkretisierbar sein, dh entweder aus dem Antrag selbst - ggf nach Auslegung - oder aus einer Antwort des Leistungsberechtigten aufgrund konkreter Nachfrage des Sozialleistungsträgers muss der Umfang des Prüfauftrags für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar werden. Ist dies nicht der Fall, ist der Sozialleistungsträger berechtigt, von einer inhaltlichen Prüfung dieses Antrags abzusehen. Diese Begrenzung des Prüfauftrags der Verwaltung wird durch den Wortlaut, die Gesetzesbegründung sowie den Sinn und Zweck des § 44 SGB X gestützt.

14

b) Nach dem Wortlaut von § 44 Abs 1 S 1 SGB X soll "im Einzelfall" eine Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes - sei es ein rechtswidriger belastender Verwaltungsakt, mit dem Leistungen ganz oder teilweise abgelehnt worden sind, sei es ein Rückforderungsbescheid(vgl Voelzke/Hahn, SGb 2012, 685, mwN) - erfolgen. Hieraus hat der erkennende Senat geschlossen, dass dann, wenn nicht ein einzelner oder mehrere konkrete, ihrer Zahl nach bestimmbare Verfügungssätze von Verwaltungsakten, sondern das Verwaltungshandeln - ohne jede Differenzierung - insgesamt zur Überprüfung durch die Verwaltung gestellt wird, keine Prüfung im Einzelfall begehrt wird. Trotz des Vorliegen eines "Antrags" löst ein solches Begehren bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift noch keine inhaltliche Prüfpflicht des Sozialleistungsträgers aus (BSG Beschluss vom 14.3.2012 - B 4 AS 239/11 B - juris-RdNr 6).

15

c) Eine Entbindung von der inhaltlichen Prüfung setzt allerdings voraus, dass der Sozialleistungsträger "den Einzelfall", also die konkreten Inhalte eines bestimmten Bescheides, die zur Überprüfung gestellt werden sollen, bei objektiver Betrachtung nicht ermitteln kann. Ein Prüfanliegen "im Einzelfall" ist daher zu bejahen, wenn entweder eine bestimmte Fragestellung tatsächlicher oder rechtlicher Natur oder eine konkrete Verwaltungsentscheidung benannt wird. Auch bei einem Antrag nach § 44 SGB X hat die Verwaltung den Untersuchungsgrundsatz des § 20 SGB X zu beachten. Insofern kann es - je nach den konkreten Umständen der Antragstellung - erforderlich sein, dass der Träger auf eine Konkretisierung des Überprüfungsbegehrens durch den Leistungsberechtigten iS des § 21 Abs 2 S 1 SGB X hinwirkt. In welchem Umfang der Leistungsträger seiner Amtsermittlungspflicht nachzukommen hat, beurteilt sich jedoch nach Lage des Einzelfalls. Als Kriterium für den Umfang der Amtsermittlungspflicht des SGB II-Trägers ist beispielsweise zu berücksichtigen, ob der Leistungsberechtigte (mit juristischem Sachverstand) vertreten oder unvertreten ist oder ob sich aus vorangegangenen Kontakten zwischen ihm und der Verwaltung Anhaltspunkte für das Begehren des Antragstellers ergeben. Auch kann von Bedeutung sein, in welchem Gesamtkontext ein Überprüfungsantrag gestellt wird. Wenn - jedoch wie im vorliegenden Fall - auch auf Nachfrage des SGB II-Trägers bei dem Rechtsanwalt der Antragstellerin keine Angaben gemacht werden, die eine Konkretisierung für den Einzelfall ermöglichen, sondern weiter pauschal auf die Überprüfung sämtlicher Bescheide verwiesen wird, ist der Sozialleistungsträger objektiv nicht in der Lage, seinen Prüfauftrag zu bestimmen. In diesem Sinne wird auch in dem Entwurf zur Begründung des § 42 SGB X (heute § 44 SGB X) darauf hingewiesen, Voraussetzung für die Rücknahme solle sein, dass der Behörde im Einzelfall die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes bekannt werde(BT-Drucks 8/2034, S 34). Der Sozialleistungsträger muss also zumindest in die Lage versetzt werden, bestimmen zu können, welcher Verwaltungsakt rechtswidrig sein könnte. Dies war hier bis zur Erteilung des Widerspruchsbescheides nicht der Fall.

16

d) Es genügt nicht, wenn der Leistungsberechtigte - wie hier - eine Nachbesserung des bis dahin unbestimmten und nicht objektiv konkretisierbaren Antrags erst im Klageverfahren vornimmt. Für die Beurteilung, ob die formellen Erfordernisse eines solchen Antrags vorliegen, der überhaupt erst eine Prüfpflicht des Leistungsträgers auslöst, ist auf die zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zu diesem Überprüfungsantrag vorgetragenen tatsächlichen und/oder rechtlichen Anhaltspunkte abzustellen.

17

Soweit das LSG mit Hinweis auf eine Entscheidung des 5. Senats des BSG (Urteil vom 25.1.2011 - B 5 R 47/10 R - RdNr 12) für die Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Überprüfungsverfahren im Ansatz davon ausgegangen ist, dass dies derjenige der letzten mündlichen Verhandlung sei, handelte es sich bei der Entscheidung des 5. Senats um eine andere Ausgangslage. In dem dortigen Verfahren war umstritten, ob konkrete "Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden" sind. Ob diese neben der Antragsstellung zu beachtende (weitere) Rücknahmevoraussetzung erfüllt ist, kann sich nach der materiellen Rechtslage richten, die im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Überprüfungsentscheidung gilt. Insofern ist neues Recht und auch erstmaliges Vorbringen der Beteiligten im Klageverfahren hierzu nach der Entscheidung des 5. Senats des BSG zu berücksichtigen, wenn das neue Recht das streitige Rechtsverhältnis nach seinem Geltungswillen "mit Rückwirkung" erfassen soll. Vorliegend fehlt es jedoch bereits an der vorrangig zu prüfenden verfahrensrechtlichen Voraussetzung für ein (Wieder)Aufleben ("Ingangbringen") der Prüfverpflichtung des Sozialleistungsträgers nach § 44 SGB X.

18

e) Ohne Bedeutung für die hier behandelte Fallgestaltung des nicht einzelfallbezogenen Antrags ist es, dass nach der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG eine Einschränkung im Verfahren nach § 44 SGB X unter Rückgriff auf § 51 Abs 1 VwVfG vorgenommen werden darf mit der Folge einer gestuften Prüfungsverpflichtung bei einem "unrichtigen Sachverhalt"(BSGE 88, 75 = SozR 3-2200 § 1265 Nr 20). Nicht einschlägig ist hier auch die Rechtsprechung des 9. Senats des BSG, der eine Prüfpflicht nur dann annehmen will, wenn Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit des der früheren Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts vorhanden sind (BSGE 63, 33 = SozR 1300 § 44 Nr 33). Wird das Verwaltungshandeln umfassend zur Überprüfung gestellt, mangelt es bereits an einem konkreten Anlass zum Eintritt in die zuvor aufgezeigten "Prüfstadien". Bereits auf der davor liegenden Stufe fehlt es an Hinweisen, wie sich der Prüfumfang bestimmen soll, wenn - wie hier - auch auf Nachfrage bei dem Leistungsberechtigten keine weiteren Angaben gemacht werden. Gleiches gilt, wenn sich die Rechtswidrigkeit aus einer unrichtigen Anwendung des Rechts ergeben soll. Nach Auffassung des 2. Senats des BSG soll zwar im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X auch ohne neues Vorbringen des Antragstellers immer eine Prüfverpflichtung bestehen, ob bei Erlass des bindend gewordenen Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt wurde(BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr 18, RdNr 12). Dies setzt jedoch voraus, dass die Verwaltung überhaupt "einzelfallbezogen" erkennen kann, welcher Bescheid zu überprüfen ist. Ansonsten kann sie bereits den Gegenstand der Prüfung nicht bestimmen und nicht dem Sinn und Zweck des § 44 SGB X entsprechend handeln.

19

f) Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen(BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 24, juris-RdNr 16; Merten in Hauck/Noftz, SGB X, K § 44 RdNr 2, Stand XII/12; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2013, § 44 RdNr 2, vor 44-49, RdNr 1; Steinwedel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X RdNr 2, Stand IX/2013; Waschull in LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, vor §§ 44-51 RdNr 13; vgl auch Voelzke/Hahn, SGb 2012, 685). Eine Konfliktlösung in diesem Sinne ist der Verwaltung jedoch nur möglich, wenn ihr "der Konflikt" bekannt ist. Insoweit besteht kein Unterschied zwischen der Situation der Einleitung eines Überprüfungsverfahrens durch einen Antrag des Leistungsberechtigten oder der Verpflichtung der Verwaltung zur Überprüfung von Amts wegen (§ 44 Abs 3 S 2 und 3 SGB X). Der Maßstab zur Bestimmung des Prüfumfangs ist gleich. Im Rahmen der Überprüfung von Amts wegen ist die Verwaltung nach ständiger Rechtsprechung des BSG nicht verpflichtet, die Akten von sich aus auf Rücknahmemöglichkeiten durchzuarbeiten. Es müssen sich vielmehr konkret in der Bearbeitung eines Falles Anhaltspunkte für eine Aufhebung ergeben (vgl BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VH 1/07 R - juris-RdNr 48; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 23, juris-RdNr 24 f; s auch Baumeister in jurisPK-SGB X, § 44 SGB X, RdNr 133, Stand 4/2013; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2013, § 44 RdNr 39; Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 44 SGB X, RdNr 24, Stand IX/2013). Anderenfalls würde der Verwaltung die Verpflichtung auferlegt, ihr bindend gewordenes Verwaltungshandeln "ins Blaue hinein" zu überprüfen. Auch bei einer Überprüfung auf Antrag ist die Verwaltung daher nicht gehalten, die Akten von Amts wegen durchzuarbeiten, um eine mögliche Rechtswidrigkeit aufzudecken. Sie kann sich vielmehr - in einer Situation wie der vorliegenden - unter dem Hinweis auf fehlende Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit nicht näher bezeichneter Ausgangsbescheide darauf stützen, es sei nicht erkennbar, dass das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei und die erneute inhaltliche Prüfung ablehnen. Damit wird sowohl der materiellen Gerechtigkeit als auch der Bindungswirkung Rechnung getragen, ohne die materielle Gerechtigkeit durch eine Zugunstenentscheidung für den Leistungsberechtigten im Einzelfall hinter die Bindungswirkung zurücktreten zu lassen.

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g) Unerheblich für die Bestimmung des Umfangs der Prüfpflicht des Leistungsträgers ist hingegen, dass es sich hier um einen Antrag auf Überprüfung eines Bescheides aus dem Leistungsbereich des SGB II handelt. Die den dortigen Leistungsvoraussetzungen geschuldete Häufigkeit der Änderungen der Leistungshöhe und der damit verbundenen erneuten Bescheiderteilung bilden keinen Anlass von anderen Sozialleistungsbereichen abweichende Maßstäbe für die Voraussetzungen der Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung nach § 44 SGB X aufzustellen. § 40 Abs 1 SGB II enthält nur eine Begrenzung hinsichtlich der rückwirkenden Erbringung von SGB II-Leistungen nach § 44 Abs 4 SGB X, nicht jedoch abweichende Grundsätze für die vorangehenden Prüfungsschritte des § 44 SGB X(vgl in diesem Zusammenhang auch BSGE 106, 155 = SozR 4-4200 § 22 Nr 36).

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 17. Juni 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Umstritten ist die Überprüfung von Bescheiden nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Der seit dem 1.1.2005 im laufenden Leistungsbezug des beklagten Jobcenters stehende Kläger beantragte am 22.10.2010 die "Überprüfung sämtlicher bestandskräftiger Bescheide über Grundsicherung", ohne dies näher zu begründen. Der Beklagte lehnte den Antrag ohne Sachprüfung ab (Bescheid vom 28.10.2010, Widerspruchsbescheid vom 27.1.2011). Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab (Gerichtsbescheid vom 13.6.2012), Berufung wurde keine eingelegt. Den während des Laufs dieses Gerichtsverfahrens am 2.5.2011 gestellten, nicht begründeten Antrag des Klägers auf Überprüfung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 27.12.2006 lehnte der Beklagte ab, weil eine Überprüfung nur für einen Zeitraum bis zu einem Jahr vor der Rücknahme erfolgen könne (Bescheid vom 9.5.2011, Widerspruchsbescheid vom 22.6.2011). Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 31.8.2012), das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 17.6.2013), weil die Ablehnung einer Sachprüfung durch den Beklagten im Ergebnis nicht zu beanstanden sei.

2

In der gegen die Nichtzulassung der Revision in der Entscheidung des LSG gerichteten Beschwerde rügt der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aufgrund der Rechtsfrage:

"Sind Verwaltung und Gerichte im Rahmen eines Überprüfungsantrages nach § 44 SGB X verpflichtet, auch ohne neues tatsächliches Vorbringen der Beteiligten, die Rechtmäßigkeit des zur Überprüfung gestellten Bescheides anhand der zwischenzeitlich ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu überprüfen?"

Zur Begründung hat der Kläger ua auf die zu dieser Rechtsfrage schon anhängigen Revisionsverfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) verwiesen.

3

Nachdem der 4. Senat durch Urteil vom 13.2.2014 - B 4 AS 22/13 R -, in dem dieselbe Rechtsfrage gestellt, derselbe Beklagte und auf Klägerseite derselbe Prozessbevollmächtigte beteiligt waren, die Revision des dortigen Klägers zurückgewiesen hatte und in dem hiesigen Verfahren angefragt worden ist, ob die Nichtzulassungsbeschwerde aufrechterhalten bleibe, hat der Kläger mitgeteilt, dass an der Nichtzulassungsbeschwerde festgehalten werde, da die Rechtsauffassung des zuständigen 14. Senats noch nicht bekannt sei.

4

II. Die gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG gerichtete Beschwerde des Klägers ist zurückzuweisen, weil sie unbegründet ist. Die Voraussetzungen des vom Kläger allein geltend gemachten Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG sind nicht erfüllt.

5

Voraussetzungen für die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage sind über die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage hinaus deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, deren Klärungsbedürftigkeit sowie Klärungsfähigkeit und Entscheidungserheblichkeit im konkreten Rechtsstreit (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX, RdNr 60 ff).

6

Die Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der zuvor aufgezeigten Voraussetzungen ist der Zeitpunkt der Entscheidung des BSG über die Nichtzulassungsbeschwerde. Dies bedeutet, dass die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage, die zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde gegeben war, durch zwischenzeitliche Entscheidungen des BSG über diese Rechtsfrage bis zur Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde wegfallen kann (BSG SozR 1500 § 160 Nr 25; BSG SozR 1500 § 160a Nr 65; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX, RdNr 71).

7

Die vom Kläger formulierte Rechtsfrage ist aufgrund des genannten Urteils des 4. Senats vom 13.2.2014 - B 4 AS 22/13 R - nicht mehr klärungsbedürftig. In diesem Urteil hat der 4. Senat in RdNr 13 ausgeführt und den folgenden RdNr näher begründet:

"Nach § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Erfolgt die Überprüfung aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag zwar grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus. Der Antrag bestimmt jedoch zugleich auch den Umfang des Prüfauftrags der Verwaltung im Hinblick darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist. Aufgrund oder aus Anlass des Antrags muss sich der Verwaltung im Einzelfall objektiv erschließen, aus welchem Grund - Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage - nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll. Dazu muss der Antrag konkretisierbar sein, dh entweder aus dem Antrag selbst - ggf nach Auslegung - oder aus einer Antwort des Leistungsberechtigten aufgrund konkreter Nachfrage des Sozialleistungsträgers muss der Umfang des Prüfauftrags für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar werden. Ist dies nicht der Fall, ist der Sozialleistungsträger berechtigt, von einer inhaltlichen Prüfung dieses Antrags abzusehen. Diese Begrenzung des Prüfauftrags der Verwaltung wird durch den Wortlaut, die Gesetzesbegründung sowie den Sinn und Zweck des § 44 SGB X gestützt."

8

Dem schließt sich der 14. Senat an. Angesichts dessen ist kein Grund zu erkennen oder vom Kläger vorgebracht worden, wieso noch eine Entscheidung des erkennenden Senats im Rahmen eines Revisionsverfahrens über die vom Kläger formulierte Frage notwendig ist.

9

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. November 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten sind keine zu erstatten.

Tatbestand

1

Umstritten ist die Überprüfung von Bescheiden nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

2

Die im Jahr 1973 geborene Klägerin, ihr im Jahr 1970 geborener Ehemann und ihr im Jahr 1998 geborener Sohn bilden eine Bedarfsgemeinschaft und beziehen seit Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mit undatiertem, beim beklagten Jobcenter am 3.2.2011 eingegangenem Schreiben beantragte sie die "Überprüfung sämtlicher bestandskräftiger Bescheide über Grundsicherung seit dem 01.01.2006 inklusive aller Aufhebungs- und Erstattungsbescheide". Nachdem die Klägerin trotz einer Bitte des Beklagten die zu überprüfenden Bescheide nicht näher benannt hatte, lehnte dieser eine "Prüfung der Bescheide" ab, da mangels Vortrags nicht ersichtlich sei, was für deren Unrichtigkeit spreche (Bescheid vom 1.3.2011). Der durch Stempelaufdruck auf diesem Bescheid erhobene, nicht näher begründete Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 9.5.2011).

3

Im Laufe des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht (SG) hat die Klägerin mit Schreiben vom 29.8.2011 mitgeteilt, dass sie die Überprüfung begehre der Bescheide vom 8.2.2006, 18.7.2006, 29.1.2007, 22.8.2007, 21.1.2008, 28.7.2008, 26.1.2009, 18.2.2010, 12.8.2010 inklusive aller Änderungsbescheide, des Sanktionsbescheides vom 22.8.2007, der Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 3.1.2007, 10.1.2008, 7.2.2008, 17.10.2008, 26.7.2010, 3.9.2010. Der Beklagte hat das Schreiben vom 29.8.2011 als neuen Überprüfungsantrag gewertet und mit weiteren Bescheiden "festgestellt", dass die vor dem 1.1.2010 wirksam gewesenen Bescheide vom 8.2.2006, 18.7.2006, 29.1.2007 (vom Beklagten angeführt wird das Datum 28.1.2007), 22.8.2007, 21.1.2008, 28.7.2008, 26.1.2009 - jeweils inklusive aller Änderungsbescheide - und der Sanktionsbescheid vom 22.8.2007 einer Überprüfung wegen Verfristung nicht zugänglich seien (Bescheide vom 27.10.2011, Widerspruchsbescheide vom 1.3.2012).

4

Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 9.11.2011). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 23.11.2012) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: (1) Die aufgrund des Schreibens vom 29.8.2011 ergangenen Überprüfungsbescheide vom 27.10.2011 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 1.3.2012 seien nicht Gegenstand des Klageverfahrens geworden, weil diese den angefochtenen Bescheid vom 1.3.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.5.2011 nicht gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geändert oder ersetzt hätten. Letzterer setze voraus, dass die Regelungsgegenstände des früheren und des neuen Bescheides identisch seien; ein bloßer Sachzusammenhang genüge nicht. Ein Überprüfungsbescheid nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) werde nicht Gegenstand des Klageverfahrens gegen den ursprünglichen Bescheid(Hinweis auf Bundessozialgericht vom 30.9.2009 - B 9 SB 19/09 B). Werde ein erster Überprüfungsantrag im Hinblick auf eine mangelnde Konkretisierung der zu überprüfenden Bescheide und ein zweiter Überprüfungsantrag wegen Verfristung nach § 40 Abs 1 Satz 2, § 77 Abs 13 SGB II abgelehnt, handele es sich ebenfalls um verschiedene Regelungsgegenstände. (2) Der angefochtene Bescheid vom 1.3.2011 sei nicht rechtswidrig gewesen und im Rahmen des Vorverfahrens durch den Widerspruchsbescheid vom 9.5.2011 zu Recht bestätigt worden. Der Beklagte habe sich auf die Bindungswirkung seiner früheren Bescheide berufen und es mangels Vortrags der Klägerin ablehnen dürfen, deren Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Denn § 44 SGB X erfordere für das Eintreten in eine umfassende Sachprüfung, dass gewisse Mindestanforderungen erfüllt seien. Die Tatsache, dass die Klägerin im Klageverfahren eine Konkretisierung ihres Überprüfungsantrags nachgeschoben habe, führe nicht dazu, dass nun im Gerichtsverfahren die inhaltliche Überprüfung der bestandskräftigen Bescheide vorzunehmen sei. Das Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 29.8.2011 sei vielmehr als neuer Überprüfungsantrag zu werten.

5

Mit der - vom BSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 44 SGB X durch das LSG. Insbesondere habe das LSG die Rechtmäßigkeit der von ihr im Laufe des SG-Verfahrens konkret benannten Bescheide überprüfen müssen. Dass nach heutiger Rechtslage der zu überprüfende Bescheid nicht angegeben werden müsse, folge auch aus den Überlegungen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Rechtsvereinfachung im SGB II, die ua eine Gesetzesänderung beinhalte, nach der die zu überprüfenden Bescheide zu benennen und die Beschwer zu bezeichnen seien. Nachdem das Urteil des 4. Senats des BSG vom 13.2.2014 (- B 4 AS 22/13 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-1300 § 44 Nr 28) ergangen ist, ist die Revision aufrechterhalten worden, weil die zu überprüfenden Sachverhalte im Antrag vom 3.2.2011 angegeben worden seien und die Benennung der Bescheide nach ihrem Datum nicht erforderlich sei.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. November 2012 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 9. November 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 1. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2011 zu verpflichten, die Bescheide vom 8. Februar 2006, 18. Juli 2006, 29. Januar 2007, 22. August 2007, 21. Januar 2008, 28. Juli 2008, 26. Januar 2009, 18. Februar 2010, 12. August 2010, jeweils inklusive aller Änderungsbescheide, zu ändern und höhere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, sowie den Sanktionsbescheid vom 22. August 2007 und die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 3. Januar 2007, 10. Januar 2008, 7. Februar 2008, 17. Oktober 2008, 26. Juli 2010, 3. September 2010 aufzuheben.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat in seinem angefochtenen Urteil vom 23.11.2012 zu Recht ihre Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 9.11.2011 zurückgewiesen, in dem dieses die Klage auf Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 1.3.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.5.2011 und die Überprüfung der im Klageverfahren von der Klägerin bezeichneten Bescheide abgewiesen hat.

10

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind nur die genannten vorinstanzlichen Entscheidungen und der genannte Bescheid des Beklagten sowie das Überprüfungsbegehren der Klägerin, nicht aber - wie das LSG zu Recht erkannt hat - die Bescheide des Beklagten vom 27.10.2011 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 1.3.2012. Denn letztere haben den Bescheid vom 1.3.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.5.2011 nicht gemäß § 96 Abs 1 SGG geändert oder ersetzt.

11

Voraussetzung für die Anwendung des § 96 Abs 1 SGG ist ua eine zumindest teilweise Identität der Regelungsgegenstände beider Verwaltungsakte, die ähnlich wie der Streitgegenstand durch einen Vergleich beider Verfügungssätze sowie des zugrunde liegenden Sachverhaltes zu ermitteln sind; ein bloßer Sachzusammenhang genügt nicht (BSG vom 30.9.2009 - B 9 SB 19/09 B zu einem Ausgangs- und einem Überprüfungsbescheid; BSG vom 17.10.2012 - B 6 KA 40/11 R - SozR 4-2500 § 95 Nr 27 RdNr 21 mwN; BSG vom 15.11.2012 - B 8 SO 22/10 R - FEVS 64, 486, RdNr 14). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, weil in den Bescheiden vom 27.10.2011 nicht auf den früheren Bescheid vom 1.3.2011 Bezug genommen wird und in ihrer Begründung für die Ablehnung der Überprüfung der ursprünglichen Bescheide nicht auf deren mangelnde Konkretisierung abgehoben wurde, sondern auf die Verfristung des Überprüfungsantrags vom 29.8.2011 nach § 40 Abs 1 Satz 2, § 77 Abs 13 SGB II idF der Neubekanntmachung vom 13.5.2011 (BGBl I 850). Dem Bescheid vom 1.3.2011 und den Bescheiden vom 27.10.2011 liegen unterschiedliche Anträge gegenüber dem Beklagten hinsichtlich ihrer Zeitpunkte sowie Inhalte und damit unterschiedliche Sachverhalte zugrunde.

12

2. Prozessuale Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Aufgrund der Einverständnisse der Beteiligten konnte nach § 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Aus den Bescheiden des Beklagten vom 27.10.2011 folgt aufgrund der unterschiedlichen Regelungsgegenstände gegenüber dem hier angefochtenen Bescheid vom 1.3.2011 nichts für das vorliegende Verfahren.

13

3. Die Revision der Klägerin ist unbegründet, weil - wie das LSG zutreffend entschieden hat - der Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 1.3.2011 zu Recht die von der Klägerin im Verwaltungsverfahren beantragte "Überprüfung sämtlicher bestandskräftiger Bescheide über Grundsicherung seit dem 01.01.2006 inklusive aller Aufhebungs- und Erstattungsbescheide" abgelehnt hat, auch wenn eine Benennung von Bescheiden im Laufe des anschließenden Gerichtsverfahrens erfolgt ist.

14

Als Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin kommt nur § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X in Betracht, nach dem ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

15

a) Zu den Voraussetzungen für einen Überprüfungsantrag eines Leistungsberechtigten nach § 44 SGB X hat der 4. Senat in seinem Urteil vom 13.2.2014 (- B 4 AS 22/13 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-1300 § 44 Nr 28 mwN), dem sich der erkennende Senat angeschlossen hat (Beschluss vom 4.6.2014 - B 14 AS 335/13 B), ausgeführt: Erfolgt die Überprüfung aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag zwar grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus, deren Umfang aber von dem Antrag und dessen Begründung abhängig ist. Eine solche Prüfung erfordert, dass der Antrag konkretisierbar ist und entweder aus dem Antrag selbst - ggf nach Auslegung - oder aus einer Antwort des Antragstellers auf eine Nachfrage des Leistungsträgers der Umfang der Prüfpflicht für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar ist. Andernfalls ist der Leistungsträger berechtigt, von einer inhaltlichen Prüfung des Antrags abzusehen. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X, nach dem "im Einzelfall" beim Vorliegen der Voraussetzungen die Rücknahme eines Verwaltungsaktes erfolgen soll, was in der Konsequenz bedeutet, dass der Überprüfungsantrag des Leistungsberechtigten einen oder ggf mehrere zu überprüfende Verwaltungsakte konkret aufführen muss. Dies ist nur dann entbehrlich, wenn bei objektiver Betrachtung aus dem Vorbringen des Antragstellers der zu überprüfende Verwaltungsakt ohne Weiteres zu ermitteln ist. Dafür streitet auch der Sinn und Zweck des § 44 SGB X, der die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer auflösen will, was jedoch nur möglich ist, wenn der Verwaltung der zu lösende Konflikt bekannt ist. Aus den von der Klägerin angeführten Überlegungen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe über Gesetzesänderungen kann mangels näherer Begründungen nichts Abweichendes hergeleitet werden.

16

Nach diesen Voraussetzungen hat die Klägerin mit dem am 3.2.2011 beim Beklagten eingegangenen Schreiben keinen Überprüfungsantrag gestellt, der zu einer inhaltlichen Überprüfung einzelner Verwaltungsakte führen musste. Vielmehr ist dieser Antrag zu Recht von dem Beklagten mangels Bestimmbarkeit der zu überprüfenden Verwaltungsakte abgelehnt worden. Denn die Klägerin hat die "Überprüfung sämtlicher bestandskräftiger Bescheide über Grundsicherung seit dem 01.01.2006 inklusive aller Aufhebungs- und Erstattungsbescheide" beantragt und keinen zu überprüfenden Bescheid genau benannt. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin im Revisionsverfahren kann ihrem Antrag aufgrund der in ihm angeführten, zu überprüfenden Umstände keine Konkretisierung entnommen werden. Die von ihr angegebenen Prüfungspunkte "Kosten der Unterkunft und Heizung" sowie "Einkommensanrechnung", insbesondere hinsichtlich des Kindergeldes, der Freibeträge und des Werbungskostenabzugs, sind nicht derart prägnant, dass aus ihnen konkrete Prüfungspunkte hinsichtlich bestimmter, einzelner Verwaltungsakte abgeleitet werden können. Sie stellen sich vielmehr in jedem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, in dem diese Bedarfe anfallen oder entsprechende Einnahmen zu berücksichtigen sind.

17

Dass dem nicht weiter eingeengten Antrag vom 3.2.2011 kein konkreter zu überprüfender Verwaltungsakt oder ggf bestimmte mehrere entnommen werden konnten, zeigt auch der später im Gerichts- und nun im Revisionsverfahren von der Klägerin gestellte Antrag mit der Benennung zahlreicher Bescheide, der aber immer noch unvollständig ist, wenn zB die Überprüfung des Bescheides vom 8.2.2006 "inklusive aller Änderungsbescheide" begehrt wird, weil letztere nicht konkret benannt sind und auch kein Umstand aufgeführt wird, auf den sich die Überprüfung beziehen soll.

18

b) Durch diese Benennung von Bescheiden, auf die sich der am 3.2.2011 gestellte Überprüfungsantrag beziehen soll, im Schreiben vom 29.8.2011 im Laufe des Verfahrens vor dem SG wird - in Übereinstimmung mit dem Urteil des 4. Senats vom 13.2.2014 (- B 4 AS 22/13 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-1300 § 44 Nr 28, RdNr 16) - der Bescheid des Beklagten vom 1.3.2011 nicht rechtswidrig.

19

Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist anhand des materiellen Rechts zu ermitteln und neben der jeweiligen Klageart vor allem von dem materiell-rechtlichen Begehren des Antragstellers oder Klägers abhängig (vgl das vom 4. Senat angeführte Urteil des 5. Senats vom 25.1.2011 - B 5 R 47/10 R - RdNr 12 mwN, das eine Änderung der Rechtslage betraf; Böttiger in Breitkreuz/Fichte, SGG Kommentar, 2. Aufl 2014, § 54 RdNr 67, 98; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 32 ff). Von der bekannten Faustformel "Bei reinen Anfechtungsklagen ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich, bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung." gibt es zahlreiche Ausnahmen (BSG vom 13.3.1997 - 11 RAr 51/96 - SozR 3-4100 § 152 Nr 7, Juris-RdNr 21 ff; BSG vom 2.5.2012 - B 11 AL 18/11 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 24 RdNr 26; Böttiger in Breitkreuz/Fichte, SGG, aaO, § 54 RdNr 67 f, 98, 132; Castendiek in SGG Handkommentar, 4. Aufl 2012, § 54 RdNr 55 ff, 76 ff, 101, 131; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, aaO, § 54 RdNr 33a, 34 ff; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, VII, RdNr 97 ff; Ulmer in Hennig, SGG Kommentar mit Nebenrecht, Stand der Einzelkommentierung 2/2009, § 54 RdNr 134 ff; vgl zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur: Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl 2013, § 113 RdNr 29 ff, 217 ff).

20

Zumindest in Rechtsstreitigkeiten über die Beurteilung, ob ein hinreichend konkretisierter Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X vorliegt, ist auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung über diesen Überprüfungsantrag abzustellen. Andernfalls würden die oben dargestellten Ziele des § 44 SGB X leerlaufen und die inhaltliche Überprüfung des bestandskräftigen Verwaltungsaktes, einschließlich möglicher Ermittlungen, von der Verwaltung auf das Gericht verlagert. Zudem erschöpft sich der Verwaltungsakt über die Ablehnung der Überprüfung in dieser - einmaligen - Regelung und hat keinerlei Wirkungen für die Zukunft, in der bei einer späteren Änderung der Sachlage eine andere Beurteilung der einmal getroffenen Entscheidung gerechtfertigt sein kann. Der Betroffene kann vielmehr, so wie es die Klägerin auch durch den Überprüfungsantrag vom 29.8.2011 gemacht hat, einen erneuten Antrag stellen, über den dann aufgrund der durch diesen Antrag neuen Sachlage zu entscheiden ist.

21

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. März 2013 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Überprüfung und Rücknahme aller Bescheide über die Gewährung, Aufhebung und Erstattung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für den Zeitraum seit Januar 2006.

2

Der 1973 geborene Kläger bezog seit Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Auf den Antrag des anwaltlich vertretenen Klägers vom 28.7.2010, sämtliche bestandskräftige Bescheide seit dem 1.1.2006 "auf ihre Rechtmäßigkeit" zu überprüfen, forderte der Beklagte ihn unter Fristsetzung bis zum 15.8.2010 auf, eine detaillierte Aufstellung der angefochtenen Bescheide vorzulegen. Eine Überprüfung des Sachverhaltes werde ansonsten nicht vorgenommen. Nachdem keine Reaktion erfolgt war, lehnte der Beklagte eine Prüfung der Bescheide ab (Bescheid vom 16.8.2010; Widerspruchsbescheid vom 11.10.2010).

3

Im sozialgerichtlichen Verfahren hat der Kläger vorgetragen, in den Bewilligungsbescheiden vom 23.11.2005, 12.6.2006, 14.12.2006, 29.5.2007, 26.11.2007, 2.6.2008 und 24.11.2008 seien die Kosten für Unterkunft und Heizung falsch ermittelt, der Beklagte habe den Abzug der Kosten für die Warmwasseraufbereitung unrichtig vorgenommen. Im August 2006 müsse eine Nachforderung aus einer Betriebskostenabrechnung in Höhe von 108,36 Euro berücksichtigt werden. Gleiches gelte für die Betriebskostenabrechnungen für das Jahr 2006 (Bescheid vom 22.6.2007) und für das Jahr 2007 (Bescheid vom 8.5.2008). Der Beklagte habe jeweils einen zu geringen Betrag berücksichtigt.

4

Das SG hat die Klage teilweise als unzulässig zurückgewiesen, im Übrigen als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 15.3.2011). Soweit die Klagebegründung einen erneuten Überprüfungsantrag beinhalte, fehle es an einem ordnungsgemäßen Vorverfahren. Im Übrigen handele es sich bei der in § 44 SGB X vorgesehenen Korrekturmöglichkeit um eine Einzelfallprüfung. Ein "globaler" Überprüfungsantrag werde von der Norm nicht erfasst.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 26.3.2013). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf eine schranken- und voraussetzungslose Sach- und Rechtsprüfung der seit Januar 2006 erlassenen Bescheide. Aus dem Wortlaut und der Systematik ergebe sich, dass jeweils nur ein Anspruch auf Überprüfung einzelner Verwaltungsentscheidungen, nicht auf ein ggf umfangreiches Verwaltungshandeln über einen mehrjährigen Zeitraum bestehe. Für den Bereich des SGB II habe der Gesetzgeber die Bedeutung der Rechtssicherheit mit Wirkung zum 1.4.2011 weiter hervorgehoben und durch eine Ergänzung in § 40 Abs 1 S 2 SGB II die Rückwirkung auf ein Jahr begrenzt. Zudem werde das Leistungsverhältnis Bürger - Behörde im Bereich des SGB II schon materiell-rechtlich, dh aufgrund des Gegenstandes und des Normprogramms, durch Veränderungen in der Lebenswirklichkeit der Betreffenden ungleich mehr als im Sozialrecht sonst üblich geprägt. Im Interesse einer funktionsfähigen Verwaltung erfahre § 44 SGB X daher im SGB II eine Einschränkung. Unter Beachtung dieser Grundsätze folge aus dem Antrag des Klägers keine Pflicht zur Überprüfung von Bescheiden in der Sache, weil er diese bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens nicht benannt habe. Soweit er mit seiner Klagebegründung die zu überprüfenden Bescheide des Beklagten und Gründe für die aus seiner Sicht rechtswidrigen Regelungen benannt habe, sei zwar bei der Beurteilung von Bescheiden im Überprüfungsverfahren bei einer zulässigen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt derjenige der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz. Hänge das Überprüfungsbegehren aber von Mitwirkungsobliegenheiten im Verwaltungsverfahren ab, seien Gerichte nicht verpflichtet, auf die Nachholung der schon bestehenden Mitwirkungsobliegenheit die nunmehr konkret benannten Bescheide erstmals zu überprüfen.

6

Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, es sei kein plausibler Grund dafür ersichtlich, warum eine Überprüfung "sämtlicher" erlassener Bescheide des Beklagten nur dann möglich sein solle, wenn der Antragsteller diese nochmals aufliste. Da der Überprüfungsantrag ausschließlich auf eine fehlerhafte Rechtsanwendung gestützt worden sei, bedürfe es keiner weiteren Darlegungen.

7

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. März 2013 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. März 2011 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2010 zu verpflichten, die Bescheide vom 23. November 2005, 12. Juni 2006, 14. Dezember 2006, 29. Mai 2007, 22. Juni 2007, 26. November 2007, 8. Mai 2008, 2. Juni 2008 und 24. November 2008 teilweise zurückzunehmen und dem Kläger für die in den Bescheiden geregelten Bewilligungszeiträume höhere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er bezieht sich auf das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist zulässig, jedoch unbegründet.

11

1. Streitgegenstand ist die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Zeitraum vom 1.1.2006 bis 30.6.2009, als dies durch die im Antrag bezeichneten Bescheide des Beklagten geschehen ist. Richtige Klageart ist hier eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (zuletzt BSG Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 4; BSG Urteil vom 28.2.2013 - B 8 SO 4/12 R - RdNr 9; vgl auch Baumeister in juris-PK SGB X, § 44 RdNr 154, Stand 4/2013; Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 44 SGB X RdNr 30, Stand 09/2013 mwN; Waschull in LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 44 RdNr 59; aA in einem obiter dictum: BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr 18, jeweils RdNr 9; wohl auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IV RdNr 76). Der Kläger begehrt mit der Anfechtungsklage die Aufhebung des - die Überprüfung der zuvor benannten Bescheide ablehnenden - Verwaltungsakts vom 16.8.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2010. Die Verpflichtungsklage ist auf die Erteilung eines Bescheids durch den Beklagen gerichtet, mit dem dieser die begehrte Änderung der bezeichneten Bewilligungsbescheide bewirkt. Mit der Leistungsklage beantragt er die Erbringung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im streitigen Zeitraum.

12

2. Der Beklagte hat es hier rechtlich zutreffend abgelehnt, eine inhaltliche Überprüfung der benannten Verwaltungsakte nach § 44 SGB X vorzunehmen. Es mangelt bereits an einem hinreichend objektiv konkretisierbaren Antrag im Sinne dieser Vorschrift.

13

a) Nach § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Erfolgt die Überprüfung aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag zwar grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus. Der Antrag bestimmt jedoch zugleich auch den Umfang des Prüfauftrags der Verwaltung im Hinblick darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist. Aufgrund oder aus Anlass des Antrags muss sich der Verwaltung im Einzelfall objektiv erschließen, aus welchem Grund - Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage - nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll. Dazu muss der Antrag konkretisierbar sein, dh entweder aus dem Antrag selbst - ggf nach Auslegung - oder aus einer Antwort des Leistungsberechtigten aufgrund konkreter Nachfrage des Sozialleistungsträgers muss der Umfang des Prüfauftrags für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar werden. Ist dies nicht der Fall, ist der Sozialleistungsträger berechtigt, von einer inhaltlichen Prüfung dieses Antrags abzusehen. Diese Begrenzung des Prüfauftrags der Verwaltung wird durch den Wortlaut, die Gesetzesbegründung sowie den Sinn und Zweck des § 44 SGB X gestützt.

14

b) Nach dem Wortlaut von § 44 Abs 1 S 1 SGB X soll "im Einzelfall" eine Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes - sei es ein rechtswidriger belastender Verwaltungsakt, mit dem Leistungen ganz oder teilweise abgelehnt worden sind, sei es ein Rückforderungsbescheid(vgl Voelzke/Hahn, SGb 2012, 685, mwN) - erfolgen. Hieraus hat der erkennende Senat geschlossen, dass dann, wenn nicht ein einzelner oder mehrere konkrete, ihrer Zahl nach bestimmbare Verfügungssätze von Verwaltungsakten, sondern das Verwaltungshandeln - ohne jede Differenzierung - insgesamt zur Überprüfung durch die Verwaltung gestellt wird, keine Prüfung im Einzelfall begehrt wird. Trotz des Vorliegen eines "Antrags" löst ein solches Begehren bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift noch keine inhaltliche Prüfpflicht des Sozialleistungsträgers aus (BSG Beschluss vom 14.3.2012 - B 4 AS 239/11 B - juris-RdNr 6).

15

c) Eine Entbindung von der inhaltlichen Prüfung setzt allerdings voraus, dass der Sozialleistungsträger "den Einzelfall", also die konkreten Inhalte eines bestimmten Bescheides, die zur Überprüfung gestellt werden sollen, bei objektiver Betrachtung nicht ermitteln kann. Ein Prüfanliegen "im Einzelfall" ist daher zu bejahen, wenn entweder eine bestimmte Fragestellung tatsächlicher oder rechtlicher Natur oder eine konkrete Verwaltungsentscheidung benannt wird. Auch bei einem Antrag nach § 44 SGB X hat die Verwaltung den Untersuchungsgrundsatz des § 20 SGB X zu beachten. Insofern kann es - je nach den konkreten Umständen der Antragstellung - erforderlich sein, dass der Träger auf eine Konkretisierung des Überprüfungsbegehrens durch den Leistungsberechtigten iS des § 21 Abs 2 S 1 SGB X hinwirkt. In welchem Umfang der Leistungsträger seiner Amtsermittlungspflicht nachzukommen hat, beurteilt sich jedoch nach Lage des Einzelfalls. Als Kriterium für den Umfang der Amtsermittlungspflicht des SGB II-Trägers ist beispielsweise zu berücksichtigen, ob der Leistungsberechtigte (mit juristischem Sachverstand) vertreten oder unvertreten ist oder ob sich aus vorangegangenen Kontakten zwischen ihm und der Verwaltung Anhaltspunkte für das Begehren des Antragstellers ergeben. Auch kann von Bedeutung sein, in welchem Gesamtkontext ein Überprüfungsantrag gestellt wird. Wenn - jedoch wie im vorliegenden Fall - auch auf Nachfrage des SGB II-Trägers bei dem Rechtsanwalt der Antragstellerin keine Angaben gemacht werden, die eine Konkretisierung für den Einzelfall ermöglichen, sondern weiter pauschal auf die Überprüfung sämtlicher Bescheide verwiesen wird, ist der Sozialleistungsträger objektiv nicht in der Lage, seinen Prüfauftrag zu bestimmen. In diesem Sinne wird auch in dem Entwurf zur Begründung des § 42 SGB X (heute § 44 SGB X) darauf hingewiesen, Voraussetzung für die Rücknahme solle sein, dass der Behörde im Einzelfall die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes bekannt werde(BT-Drucks 8/2034, S 34). Der Sozialleistungsträger muss also zumindest in die Lage versetzt werden, bestimmen zu können, welcher Verwaltungsakt rechtswidrig sein könnte. Dies war hier bis zur Erteilung des Widerspruchsbescheides nicht der Fall.

16

d) Es genügt nicht, wenn der Leistungsberechtigte - wie hier - eine Nachbesserung des bis dahin unbestimmten und nicht objektiv konkretisierbaren Antrags erst im Klageverfahren vornimmt. Für die Beurteilung, ob die formellen Erfordernisse eines solchen Antrags vorliegen, der überhaupt erst eine Prüfpflicht des Leistungsträgers auslöst, ist auf die zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zu diesem Überprüfungsantrag vorgetragenen tatsächlichen und/oder rechtlichen Anhaltspunkte abzustellen.

17

Soweit das LSG mit Hinweis auf eine Entscheidung des 5. Senats des BSG (Urteil vom 25.1.2011 - B 5 R 47/10 R - RdNr 12) für die Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Überprüfungsverfahren im Ansatz davon ausgegangen ist, dass dies derjenige der letzten mündlichen Verhandlung sei, handelte es sich bei der Entscheidung des 5. Senats um eine andere Ausgangslage. In dem dortigen Verfahren war umstritten, ob konkrete "Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden" sind. Ob diese neben der Antragsstellung zu beachtende (weitere) Rücknahmevoraussetzung erfüllt ist, kann sich nach der materiellen Rechtslage richten, die im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Überprüfungsentscheidung gilt. Insofern ist neues Recht und auch erstmaliges Vorbringen der Beteiligten im Klageverfahren hierzu nach der Entscheidung des 5. Senats des BSG zu berücksichtigen, wenn das neue Recht das streitige Rechtsverhältnis nach seinem Geltungswillen "mit Rückwirkung" erfassen soll. Vorliegend fehlt es jedoch bereits an der vorrangig zu prüfenden verfahrensrechtlichen Voraussetzung für ein (Wieder)Aufleben ("Ingangbringen") der Prüfverpflichtung des Sozialleistungsträgers nach § 44 SGB X.

18

e) Ohne Bedeutung für die hier behandelte Fallgestaltung des nicht einzelfallbezogenen Antrags ist es, dass nach der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG eine Einschränkung im Verfahren nach § 44 SGB X unter Rückgriff auf § 51 Abs 1 VwVfG vorgenommen werden darf mit der Folge einer gestuften Prüfungsverpflichtung bei einem "unrichtigen Sachverhalt"(BSGE 88, 75 = SozR 3-2200 § 1265 Nr 20). Nicht einschlägig ist hier auch die Rechtsprechung des 9. Senats des BSG, der eine Prüfpflicht nur dann annehmen will, wenn Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit des der früheren Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts vorhanden sind (BSGE 63, 33 = SozR 1300 § 44 Nr 33). Wird das Verwaltungshandeln umfassend zur Überprüfung gestellt, mangelt es bereits an einem konkreten Anlass zum Eintritt in die zuvor aufgezeigten "Prüfstadien". Bereits auf der davor liegenden Stufe fehlt es an Hinweisen, wie sich der Prüfumfang bestimmen soll, wenn - wie hier - auch auf Nachfrage bei dem Leistungsberechtigten keine weiteren Angaben gemacht werden. Gleiches gilt, wenn sich die Rechtswidrigkeit aus einer unrichtigen Anwendung des Rechts ergeben soll. Nach Auffassung des 2. Senats des BSG soll zwar im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X auch ohne neues Vorbringen des Antragstellers immer eine Prüfverpflichtung bestehen, ob bei Erlass des bindend gewordenen Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt wurde(BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr 18, RdNr 12). Dies setzt jedoch voraus, dass die Verwaltung überhaupt "einzelfallbezogen" erkennen kann, welcher Bescheid zu überprüfen ist. Ansonsten kann sie bereits den Gegenstand der Prüfung nicht bestimmen und nicht dem Sinn und Zweck des § 44 SGB X entsprechend handeln.

19

f) Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen(BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 24, juris-RdNr 16; Merten in Hauck/Noftz, SGB X, K § 44 RdNr 2, Stand XII/12; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2013, § 44 RdNr 2, vor 44-49, RdNr 1; Steinwedel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X RdNr 2, Stand IX/2013; Waschull in LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, vor §§ 44-51 RdNr 13; vgl auch Voelzke/Hahn, SGb 2012, 685). Eine Konfliktlösung in diesem Sinne ist der Verwaltung jedoch nur möglich, wenn ihr "der Konflikt" bekannt ist. Insoweit besteht kein Unterschied zwischen der Situation der Einleitung eines Überprüfungsverfahrens durch einen Antrag des Leistungsberechtigten oder der Verpflichtung der Verwaltung zur Überprüfung von Amts wegen (§ 44 Abs 3 S 2 und 3 SGB X). Der Maßstab zur Bestimmung des Prüfumfangs ist gleich. Im Rahmen der Überprüfung von Amts wegen ist die Verwaltung nach ständiger Rechtsprechung des BSG nicht verpflichtet, die Akten von sich aus auf Rücknahmemöglichkeiten durchzuarbeiten. Es müssen sich vielmehr konkret in der Bearbeitung eines Falles Anhaltspunkte für eine Aufhebung ergeben (vgl BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VH 1/07 R - juris-RdNr 48; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 23, juris-RdNr 24 f; s auch Baumeister in jurisPK-SGB X, § 44 SGB X, RdNr 133, Stand 4/2013; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2013, § 44 RdNr 39; Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 44 SGB X, RdNr 24, Stand IX/2013). Anderenfalls würde der Verwaltung die Verpflichtung auferlegt, ihr bindend gewordenes Verwaltungshandeln "ins Blaue hinein" zu überprüfen. Auch bei einer Überprüfung auf Antrag ist die Verwaltung daher nicht gehalten, die Akten von Amts wegen durchzuarbeiten, um eine mögliche Rechtswidrigkeit aufzudecken. Sie kann sich vielmehr - in einer Situation wie der vorliegenden - unter dem Hinweis auf fehlende Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit nicht näher bezeichneter Ausgangsbescheide darauf stützen, es sei nicht erkennbar, dass das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei und die erneute inhaltliche Prüfung ablehnen. Damit wird sowohl der materiellen Gerechtigkeit als auch der Bindungswirkung Rechnung getragen, ohne die materielle Gerechtigkeit durch eine Zugunstenentscheidung für den Leistungsberechtigten im Einzelfall hinter die Bindungswirkung zurücktreten zu lassen.

20

g) Unerheblich für die Bestimmung des Umfangs der Prüfpflicht des Leistungsträgers ist hingegen, dass es sich hier um einen Antrag auf Überprüfung eines Bescheides aus dem Leistungsbereich des SGB II handelt. Die den dortigen Leistungsvoraussetzungen geschuldete Häufigkeit der Änderungen der Leistungshöhe und der damit verbundenen erneuten Bescheiderteilung bilden keinen Anlass von anderen Sozialleistungsbereichen abweichende Maßstäbe für die Voraussetzungen der Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung nach § 44 SGB X aufzustellen. § 40 Abs 1 SGB II enthält nur eine Begrenzung hinsichtlich der rückwirkenden Erbringung von SGB II-Leistungen nach § 44 Abs 4 SGB X, nicht jedoch abweichende Grundsätze für die vorangehenden Prüfungsschritte des § 44 SGB X(vgl in diesem Zusammenhang auch BSGE 106, 155 = SozR 4-4200 § 22 Nr 36).

21

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden.

(2) Die Behörde hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen.

(3) Die Behörde darf die Entgegennahme von Erklärungen oder Anträgen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, nicht deshalb verweigern, weil sie die Erklärung oder den Antrag in der Sache für unzulässig oder unbegründet hält.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. März 2013 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Überprüfung und Rücknahme aller Bescheide über die Gewährung, Aufhebung und Erstattung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für den Zeitraum seit Januar 2006.

2

Der 1973 geborene Kläger bezog seit Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Auf den Antrag des anwaltlich vertretenen Klägers vom 28.7.2010, sämtliche bestandskräftige Bescheide seit dem 1.1.2006 "auf ihre Rechtmäßigkeit" zu überprüfen, forderte der Beklagte ihn unter Fristsetzung bis zum 15.8.2010 auf, eine detaillierte Aufstellung der angefochtenen Bescheide vorzulegen. Eine Überprüfung des Sachverhaltes werde ansonsten nicht vorgenommen. Nachdem keine Reaktion erfolgt war, lehnte der Beklagte eine Prüfung der Bescheide ab (Bescheid vom 16.8.2010; Widerspruchsbescheid vom 11.10.2010).

3

Im sozialgerichtlichen Verfahren hat der Kläger vorgetragen, in den Bewilligungsbescheiden vom 23.11.2005, 12.6.2006, 14.12.2006, 29.5.2007, 26.11.2007, 2.6.2008 und 24.11.2008 seien die Kosten für Unterkunft und Heizung falsch ermittelt, der Beklagte habe den Abzug der Kosten für die Warmwasseraufbereitung unrichtig vorgenommen. Im August 2006 müsse eine Nachforderung aus einer Betriebskostenabrechnung in Höhe von 108,36 Euro berücksichtigt werden. Gleiches gelte für die Betriebskostenabrechnungen für das Jahr 2006 (Bescheid vom 22.6.2007) und für das Jahr 2007 (Bescheid vom 8.5.2008). Der Beklagte habe jeweils einen zu geringen Betrag berücksichtigt.

4

Das SG hat die Klage teilweise als unzulässig zurückgewiesen, im Übrigen als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 15.3.2011). Soweit die Klagebegründung einen erneuten Überprüfungsantrag beinhalte, fehle es an einem ordnungsgemäßen Vorverfahren. Im Übrigen handele es sich bei der in § 44 SGB X vorgesehenen Korrekturmöglichkeit um eine Einzelfallprüfung. Ein "globaler" Überprüfungsantrag werde von der Norm nicht erfasst.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 26.3.2013). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf eine schranken- und voraussetzungslose Sach- und Rechtsprüfung der seit Januar 2006 erlassenen Bescheide. Aus dem Wortlaut und der Systematik ergebe sich, dass jeweils nur ein Anspruch auf Überprüfung einzelner Verwaltungsentscheidungen, nicht auf ein ggf umfangreiches Verwaltungshandeln über einen mehrjährigen Zeitraum bestehe. Für den Bereich des SGB II habe der Gesetzgeber die Bedeutung der Rechtssicherheit mit Wirkung zum 1.4.2011 weiter hervorgehoben und durch eine Ergänzung in § 40 Abs 1 S 2 SGB II die Rückwirkung auf ein Jahr begrenzt. Zudem werde das Leistungsverhältnis Bürger - Behörde im Bereich des SGB II schon materiell-rechtlich, dh aufgrund des Gegenstandes und des Normprogramms, durch Veränderungen in der Lebenswirklichkeit der Betreffenden ungleich mehr als im Sozialrecht sonst üblich geprägt. Im Interesse einer funktionsfähigen Verwaltung erfahre § 44 SGB X daher im SGB II eine Einschränkung. Unter Beachtung dieser Grundsätze folge aus dem Antrag des Klägers keine Pflicht zur Überprüfung von Bescheiden in der Sache, weil er diese bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens nicht benannt habe. Soweit er mit seiner Klagebegründung die zu überprüfenden Bescheide des Beklagten und Gründe für die aus seiner Sicht rechtswidrigen Regelungen benannt habe, sei zwar bei der Beurteilung von Bescheiden im Überprüfungsverfahren bei einer zulässigen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt derjenige der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz. Hänge das Überprüfungsbegehren aber von Mitwirkungsobliegenheiten im Verwaltungsverfahren ab, seien Gerichte nicht verpflichtet, auf die Nachholung der schon bestehenden Mitwirkungsobliegenheit die nunmehr konkret benannten Bescheide erstmals zu überprüfen.

6

Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, es sei kein plausibler Grund dafür ersichtlich, warum eine Überprüfung "sämtlicher" erlassener Bescheide des Beklagten nur dann möglich sein solle, wenn der Antragsteller diese nochmals aufliste. Da der Überprüfungsantrag ausschließlich auf eine fehlerhafte Rechtsanwendung gestützt worden sei, bedürfe es keiner weiteren Darlegungen.

7

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. März 2013 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. März 2011 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2010 zu verpflichten, die Bescheide vom 23. November 2005, 12. Juni 2006, 14. Dezember 2006, 29. Mai 2007, 22. Juni 2007, 26. November 2007, 8. Mai 2008, 2. Juni 2008 und 24. November 2008 teilweise zurückzunehmen und dem Kläger für die in den Bescheiden geregelten Bewilligungszeiträume höhere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

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Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Er bezieht sich auf das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist zulässig, jedoch unbegründet.

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1. Streitgegenstand ist die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Zeitraum vom 1.1.2006 bis 30.6.2009, als dies durch die im Antrag bezeichneten Bescheide des Beklagten geschehen ist. Richtige Klageart ist hier eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (zuletzt BSG Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 4; BSG Urteil vom 28.2.2013 - B 8 SO 4/12 R - RdNr 9; vgl auch Baumeister in juris-PK SGB X, § 44 RdNr 154, Stand 4/2013; Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 44 SGB X RdNr 30, Stand 09/2013 mwN; Waschull in LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 44 RdNr 59; aA in einem obiter dictum: BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr 18, jeweils RdNr 9; wohl auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IV RdNr 76). Der Kläger begehrt mit der Anfechtungsklage die Aufhebung des - die Überprüfung der zuvor benannten Bescheide ablehnenden - Verwaltungsakts vom 16.8.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2010. Die Verpflichtungsklage ist auf die Erteilung eines Bescheids durch den Beklagen gerichtet, mit dem dieser die begehrte Änderung der bezeichneten Bewilligungsbescheide bewirkt. Mit der Leistungsklage beantragt er die Erbringung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im streitigen Zeitraum.

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2. Der Beklagte hat es hier rechtlich zutreffend abgelehnt, eine inhaltliche Überprüfung der benannten Verwaltungsakte nach § 44 SGB X vorzunehmen. Es mangelt bereits an einem hinreichend objektiv konkretisierbaren Antrag im Sinne dieser Vorschrift.

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a) Nach § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Erfolgt die Überprüfung aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag zwar grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus. Der Antrag bestimmt jedoch zugleich auch den Umfang des Prüfauftrags der Verwaltung im Hinblick darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist. Aufgrund oder aus Anlass des Antrags muss sich der Verwaltung im Einzelfall objektiv erschließen, aus welchem Grund - Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage - nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll. Dazu muss der Antrag konkretisierbar sein, dh entweder aus dem Antrag selbst - ggf nach Auslegung - oder aus einer Antwort des Leistungsberechtigten aufgrund konkreter Nachfrage des Sozialleistungsträgers muss der Umfang des Prüfauftrags für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar werden. Ist dies nicht der Fall, ist der Sozialleistungsträger berechtigt, von einer inhaltlichen Prüfung dieses Antrags abzusehen. Diese Begrenzung des Prüfauftrags der Verwaltung wird durch den Wortlaut, die Gesetzesbegründung sowie den Sinn und Zweck des § 44 SGB X gestützt.

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b) Nach dem Wortlaut von § 44 Abs 1 S 1 SGB X soll "im Einzelfall" eine Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes - sei es ein rechtswidriger belastender Verwaltungsakt, mit dem Leistungen ganz oder teilweise abgelehnt worden sind, sei es ein Rückforderungsbescheid(vgl Voelzke/Hahn, SGb 2012, 685, mwN) - erfolgen. Hieraus hat der erkennende Senat geschlossen, dass dann, wenn nicht ein einzelner oder mehrere konkrete, ihrer Zahl nach bestimmbare Verfügungssätze von Verwaltungsakten, sondern das Verwaltungshandeln - ohne jede Differenzierung - insgesamt zur Überprüfung durch die Verwaltung gestellt wird, keine Prüfung im Einzelfall begehrt wird. Trotz des Vorliegen eines "Antrags" löst ein solches Begehren bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift noch keine inhaltliche Prüfpflicht des Sozialleistungsträgers aus (BSG Beschluss vom 14.3.2012 - B 4 AS 239/11 B - juris-RdNr 6).

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c) Eine Entbindung von der inhaltlichen Prüfung setzt allerdings voraus, dass der Sozialleistungsträger "den Einzelfall", also die konkreten Inhalte eines bestimmten Bescheides, die zur Überprüfung gestellt werden sollen, bei objektiver Betrachtung nicht ermitteln kann. Ein Prüfanliegen "im Einzelfall" ist daher zu bejahen, wenn entweder eine bestimmte Fragestellung tatsächlicher oder rechtlicher Natur oder eine konkrete Verwaltungsentscheidung benannt wird. Auch bei einem Antrag nach § 44 SGB X hat die Verwaltung den Untersuchungsgrundsatz des § 20 SGB X zu beachten. Insofern kann es - je nach den konkreten Umständen der Antragstellung - erforderlich sein, dass der Träger auf eine Konkretisierung des Überprüfungsbegehrens durch den Leistungsberechtigten iS des § 21 Abs 2 S 1 SGB X hinwirkt. In welchem Umfang der Leistungsträger seiner Amtsermittlungspflicht nachzukommen hat, beurteilt sich jedoch nach Lage des Einzelfalls. Als Kriterium für den Umfang der Amtsermittlungspflicht des SGB II-Trägers ist beispielsweise zu berücksichtigen, ob der Leistungsberechtigte (mit juristischem Sachverstand) vertreten oder unvertreten ist oder ob sich aus vorangegangenen Kontakten zwischen ihm und der Verwaltung Anhaltspunkte für das Begehren des Antragstellers ergeben. Auch kann von Bedeutung sein, in welchem Gesamtkontext ein Überprüfungsantrag gestellt wird. Wenn - jedoch wie im vorliegenden Fall - auch auf Nachfrage des SGB II-Trägers bei dem Rechtsanwalt der Antragstellerin keine Angaben gemacht werden, die eine Konkretisierung für den Einzelfall ermöglichen, sondern weiter pauschal auf die Überprüfung sämtlicher Bescheide verwiesen wird, ist der Sozialleistungsträger objektiv nicht in der Lage, seinen Prüfauftrag zu bestimmen. In diesem Sinne wird auch in dem Entwurf zur Begründung des § 42 SGB X (heute § 44 SGB X) darauf hingewiesen, Voraussetzung für die Rücknahme solle sein, dass der Behörde im Einzelfall die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes bekannt werde(BT-Drucks 8/2034, S 34). Der Sozialleistungsträger muss also zumindest in die Lage versetzt werden, bestimmen zu können, welcher Verwaltungsakt rechtswidrig sein könnte. Dies war hier bis zur Erteilung des Widerspruchsbescheides nicht der Fall.

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d) Es genügt nicht, wenn der Leistungsberechtigte - wie hier - eine Nachbesserung des bis dahin unbestimmten und nicht objektiv konkretisierbaren Antrags erst im Klageverfahren vornimmt. Für die Beurteilung, ob die formellen Erfordernisse eines solchen Antrags vorliegen, der überhaupt erst eine Prüfpflicht des Leistungsträgers auslöst, ist auf die zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zu diesem Überprüfungsantrag vorgetragenen tatsächlichen und/oder rechtlichen Anhaltspunkte abzustellen.

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Soweit das LSG mit Hinweis auf eine Entscheidung des 5. Senats des BSG (Urteil vom 25.1.2011 - B 5 R 47/10 R - RdNr 12) für die Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Überprüfungsverfahren im Ansatz davon ausgegangen ist, dass dies derjenige der letzten mündlichen Verhandlung sei, handelte es sich bei der Entscheidung des 5. Senats um eine andere Ausgangslage. In dem dortigen Verfahren war umstritten, ob konkrete "Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden" sind. Ob diese neben der Antragsstellung zu beachtende (weitere) Rücknahmevoraussetzung erfüllt ist, kann sich nach der materiellen Rechtslage richten, die im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Überprüfungsentscheidung gilt. Insofern ist neues Recht und auch erstmaliges Vorbringen der Beteiligten im Klageverfahren hierzu nach der Entscheidung des 5. Senats des BSG zu berücksichtigen, wenn das neue Recht das streitige Rechtsverhältnis nach seinem Geltungswillen "mit Rückwirkung" erfassen soll. Vorliegend fehlt es jedoch bereits an der vorrangig zu prüfenden verfahrensrechtlichen Voraussetzung für ein (Wieder)Aufleben ("Ingangbringen") der Prüfverpflichtung des Sozialleistungsträgers nach § 44 SGB X.

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e) Ohne Bedeutung für die hier behandelte Fallgestaltung des nicht einzelfallbezogenen Antrags ist es, dass nach der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG eine Einschränkung im Verfahren nach § 44 SGB X unter Rückgriff auf § 51 Abs 1 VwVfG vorgenommen werden darf mit der Folge einer gestuften Prüfungsverpflichtung bei einem "unrichtigen Sachverhalt"(BSGE 88, 75 = SozR 3-2200 § 1265 Nr 20). Nicht einschlägig ist hier auch die Rechtsprechung des 9. Senats des BSG, der eine Prüfpflicht nur dann annehmen will, wenn Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit des der früheren Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts vorhanden sind (BSGE 63, 33 = SozR 1300 § 44 Nr 33). Wird das Verwaltungshandeln umfassend zur Überprüfung gestellt, mangelt es bereits an einem konkreten Anlass zum Eintritt in die zuvor aufgezeigten "Prüfstadien". Bereits auf der davor liegenden Stufe fehlt es an Hinweisen, wie sich der Prüfumfang bestimmen soll, wenn - wie hier - auch auf Nachfrage bei dem Leistungsberechtigten keine weiteren Angaben gemacht werden. Gleiches gilt, wenn sich die Rechtswidrigkeit aus einer unrichtigen Anwendung des Rechts ergeben soll. Nach Auffassung des 2. Senats des BSG soll zwar im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X auch ohne neues Vorbringen des Antragstellers immer eine Prüfverpflichtung bestehen, ob bei Erlass des bindend gewordenen Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt wurde(BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr 18, RdNr 12). Dies setzt jedoch voraus, dass die Verwaltung überhaupt "einzelfallbezogen" erkennen kann, welcher Bescheid zu überprüfen ist. Ansonsten kann sie bereits den Gegenstand der Prüfung nicht bestimmen und nicht dem Sinn und Zweck des § 44 SGB X entsprechend handeln.

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f) Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen(BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 24, juris-RdNr 16; Merten in Hauck/Noftz, SGB X, K § 44 RdNr 2, Stand XII/12; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2013, § 44 RdNr 2, vor 44-49, RdNr 1; Steinwedel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X RdNr 2, Stand IX/2013; Waschull in LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, vor §§ 44-51 RdNr 13; vgl auch Voelzke/Hahn, SGb 2012, 685). Eine Konfliktlösung in diesem Sinne ist der Verwaltung jedoch nur möglich, wenn ihr "der Konflikt" bekannt ist. Insoweit besteht kein Unterschied zwischen der Situation der Einleitung eines Überprüfungsverfahrens durch einen Antrag des Leistungsberechtigten oder der Verpflichtung der Verwaltung zur Überprüfung von Amts wegen (§ 44 Abs 3 S 2 und 3 SGB X). Der Maßstab zur Bestimmung des Prüfumfangs ist gleich. Im Rahmen der Überprüfung von Amts wegen ist die Verwaltung nach ständiger Rechtsprechung des BSG nicht verpflichtet, die Akten von sich aus auf Rücknahmemöglichkeiten durchzuarbeiten. Es müssen sich vielmehr konkret in der Bearbeitung eines Falles Anhaltspunkte für eine Aufhebung ergeben (vgl BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VH 1/07 R - juris-RdNr 48; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 23, juris-RdNr 24 f; s auch Baumeister in jurisPK-SGB X, § 44 SGB X, RdNr 133, Stand 4/2013; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2013, § 44 RdNr 39; Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 44 SGB X, RdNr 24, Stand IX/2013). Anderenfalls würde der Verwaltung die Verpflichtung auferlegt, ihr bindend gewordenes Verwaltungshandeln "ins Blaue hinein" zu überprüfen. Auch bei einer Überprüfung auf Antrag ist die Verwaltung daher nicht gehalten, die Akten von Amts wegen durchzuarbeiten, um eine mögliche Rechtswidrigkeit aufzudecken. Sie kann sich vielmehr - in einer Situation wie der vorliegenden - unter dem Hinweis auf fehlende Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit nicht näher bezeichneter Ausgangsbescheide darauf stützen, es sei nicht erkennbar, dass das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei und die erneute inhaltliche Prüfung ablehnen. Damit wird sowohl der materiellen Gerechtigkeit als auch der Bindungswirkung Rechnung getragen, ohne die materielle Gerechtigkeit durch eine Zugunstenentscheidung für den Leistungsberechtigten im Einzelfall hinter die Bindungswirkung zurücktreten zu lassen.

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g) Unerheblich für die Bestimmung des Umfangs der Prüfpflicht des Leistungsträgers ist hingegen, dass es sich hier um einen Antrag auf Überprüfung eines Bescheides aus dem Leistungsbereich des SGB II handelt. Die den dortigen Leistungsvoraussetzungen geschuldete Häufigkeit der Änderungen der Leistungshöhe und der damit verbundenen erneuten Bescheiderteilung bilden keinen Anlass von anderen Sozialleistungsbereichen abweichende Maßstäbe für die Voraussetzungen der Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung nach § 44 SGB X aufzustellen. § 40 Abs 1 SGB II enthält nur eine Begrenzung hinsichtlich der rückwirkenden Erbringung von SGB II-Leistungen nach § 44 Abs 4 SGB X, nicht jedoch abweichende Grundsätze für die vorangehenden Prüfungsschritte des § 44 SGB X(vgl in diesem Zusammenhang auch BSGE 106, 155 = SozR 4-4200 § 22 Nr 36).

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.