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| Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und teilweise begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Die Leistungsklage war in Höhe von 100.400 EUR begründet. |
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| Die Kammer konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten diesem Vorgehen zugestimmt haben. |
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| Der Bescheid vom 23.10.2008 wurde gemäß § 86 SGG Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, da er vor Klageerhebung jedoch nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist (vgl. insoweit BSGE 47, 28, 30 f).Der Bescheid vom 23.10.2008 erging zur Regelung desselben Rechtsverhältnisses und überschnitt sich in seinen Wirkungen mit dem Bescheid vom 17.07.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.10.2008. |
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| Der Entscheidung war § 216a SGB III in der Fassung des Gesetzes vom 24.10.2010 (BGBl. I, S. 1417) zugrundezulegen. Gemäß § 216a SGB III wird die Teilnahme von Arbeitnehmern, die aufgrund von Betriebsänderungen oder im Anschluss an die Beendigung eines Berufsausbildungsverhältnisses von Arbeitslosigkeit bedroht sind an Transfermaßnahmen gefördert, wenn |
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1. sich die Betriebsparteien im Vorfeld der Entscheidung über die Einführung von Transfermaßnahmen, insbesondere im Rahmen ihrer Verhandlung über einen die Integration der Arbeitnehmer fördernden Interessensausgleich oder Sozialplan nach § 112 Betriebsverfassungsgesetz, durch die Agentur für Arbeit beraten lassen, |
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2. die Maßnahme von einem Dritten durchgeführt wird, |
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3. die vorgesehene Maßnahme der Eingliederung der Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt dienen soll, |
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4. die Durchführung der Maßnahme gesichert ist und |
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5. ein System zur Sicherung der Qualität angewendet wird. |
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| Unter Transfermaßnahmen versteht das Gesetz alle Maßnahmen zur Eingliederung von Arbeitnehmern in den Arbeitsmarkt, an deren Finanzierung sich die Arbeitgeber angemessen beteiligen (vgl. § 216a Abs. 1 Satz 2 SGB III). |
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| 1. Im Falle des Insolvenzbetriebs lag eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 Betriebsverfassungsgesetz vor. Ein Personalabbau im Großbetrieb (ab 600 Arbeitnehmern) wird vom Bundesarbeitsgericht dann als Betriebseinschränkung qualifiziert, wenn mindestens 5 % der Gesamtbelegschaft betroffen ist. Bei 1542 Beschäftigten vor Durchführung der Betriebsänderung wird diese Mindestzahl (78 Arbeitnehmer) durch den stufenweisen Abbau von 425 Arbeitsplätzen deutlich übertroffen. Desweiteren ist erforderlich, dass die Verringerung der Personalstärken auf einer einheitlichen unternehmerischen Entscheidung beruht (vgl. Gillen/Vahle, NZA 2005 S. 1385, 1387). Diese einheitliche unternehmerische Entscheidung wurde durch den Insolvenzbetrieb getroffen und in der Betriebsvereinbarung „Auffangstrukturen“ dokumentiert. In qualitativer Hinsicht ist erforderlich, dass grundsätzlich die Betriebseinschränkung durch Personalabbau ihrer Definition nach einer Herabsetzung der betrieblichen Leistungsfähigkeit voraussetzt, wobei dies keine zwingende Voraussetzung ist, wenn der Personalabbau z. B. durch einen effizienteren Einsatz von Technik ausgeglichen werden kann. Vorliegend wird diese Voraussetzung dadurch erfüllt, dass - ausweislich der Verwaltungsakte - durch Investitionen in Millionenhöhe in ein neues Presswerk und in eine effizientere Logistik der Personalabbau ausgeglichen wird. |
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| 2. Die Voraussetzungen des § 216a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 SGB III sind erfüllt. Ausweislich des Inhalts der Verwaltungsakte ließen sich die Betriebsparteien im Vorfeld der Entscheidung durch die Beklagte beraten. Die Maßnahme wurde durch die B. GmbH, also einen Dritten, durchgeführt. Die Profilingmaßnahme ist auch geeignet, die Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Die Durchführung der Transfermaßnahme war gesichert. Die B. GmbH bestätigte der Beklagten mit Schreiben vom 19.04.2008, dass die notwendigen Voraussetzungen für die Durchführung des Profilings in räumlicher und personeller Hinsicht vorliegen und bis zum Ende der geplanten Eingliederungsmaßnahme aufrecht erhalten werden. Ebenso wurde ein System zur Sicherung der Qualität angewendet. Der Kläger hat sich in Ziffer 10 des Antrags auf Förderung der Teilnahme an Transfermaßnahmen verpflichtet, die Ergebnisse der Maßnahme zur Feststellung der Eingliederungsaussichten anhand des vorgegebenen Profilingbogens der Beklagten unverzüglich nach Abschluss dieser Maßnahme zur Verfügung zu stellen und die vorliegenden Erkenntnisse mit dem Erfolg der Maßnahme in einem Erfahrungsbericht darzustellen und der Beklagten zu übersenden. Dies ist zur Anerkennung eines Systems zur Sicherung der Qualität ausreichend (vgl. Bepler, in: Gagel, § 216a SGB III Rnr. 62 f; ausführlich Zabel/Bohnenkamp/Fieber/Bade, Soziale Sicherheit 2009, S. 307 ff.). |
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| 3. Insgesamt waren 1542 Arbeitnehmer von Arbeitslosigkeit bedroht. Was unter der Bedrohung von Arbeitslosigkeit zu verstehen ist, bestimmt § 17 SGB III allgemein. Von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer sind hiernach Personen, die |
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1. versicherungspflichtig beschäftigt sind, |
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2. alsbald mit der Beendigung der Beschäftigung rechnen müssen und |
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3. voraussichtlich nach Beendigung der Beschäftigung arbeitslos werden. |
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| Dem BSG (30.03.1994, 11 RAr 95/92) folgend, muss ein Arbeitnehmer „alsbald mit der Beendigung der Beschäftigung rechnen“, wenn ein konkreter Arbeitnehmer mit einiger Wahrscheinlichkeit in nächster Zeit erwarten muss, dass er arbeitslos wird. Hiervon ist etwa dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis steht und der Arbeitnehmer eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit ihm ausgeschlossen hat. Eine entsprechende Prognose ist auch angezeigt, wenn der Arbeitgeber einen unbefristeten Arbeitnehmer bereits als einen aufgrund der Betriebsänderung betriebsbedingt zu Kündigenden festgelegt hat, wenn er ihn z.B. in einem Interessensausgleich übereinstimmend mit dem Betriebsrat schriftlich als einen Arbeitnehmer namentlich bezeichnet hat, dem wegen der Betriebsänderung gekündigt werden soll; § 125 InsO „Interessensausgleich mit Namensliste“ (vgl. Bepler in: Gagel, SGB III, § 216a Rnr. 31). Von Arbeitslosigkeit bedroht ist auch jeder Arbeitnehmer, auf den sich der Entschluss des Arbeitgebers konkretisiert hat, ihm betriebsbedingt im Zuge einer Betriebsänderung zu kündigen. |
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| Im Rahmen des sanierenden Übergangs nach dem BAG-Modell sind alle Arbeitnehmer des betroffenen Insolvenzbetriebs im Zeitpunkt der Durchführung der Transfermaßnahme von Arbeitslosigkeit bedroht. |
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| Der sanierende Übergang hat letztlich zum Ziel die Wirkungen des § 613a Bürgerliches Gesetzbuch nicht eintreten zu lassen. Es soll also verhindert werden, dass es zu einem Übergang der Arbeitsverhältnisse auf den Betriebsmittelerwerber kommt (vgl. ausführlich Lembke, Betriebsberater 2007, S. 1333, 1337 ff). Bei dieser Konstruktion kommt es insbesondere darauf an, dass der Arbeitnehmer freiwillig einen Aufhebungsvertrag abschließt, eine Transfergesellschaft in Form einer beE bzw. BQG zwischengeschaltet ist und der Arbeitnehmer keine sichere Aussicht darauf hat, bei dem Betriebsmittelerwerber eingestellt zu werden (vgl. BAG, 23.11.2006, 8 AZR 349/06). |
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| Durch den Abschluss der 3-seitigen Verträge waren sämtliche Arbeitnehmer von Arbeitslosigkeit bedroht, da alle Arbeitsverhältnisse mit dem Insolvenzbetrieb beendet wurden und in einer logischen Sekunde der Übertritt in die beE im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnis erfolgte. Keiner der Arbeitnehmer konnte sich beim Übertritt in die beE sicher sein, dass er vom Betriebsmittelerwerber übernommen wird. Gerade diese Unsicherheit ist Bestandteil des Modells des sanierenden Übergangs und verhindert den Eintritt der Wirkungen des § 613a BGB. Bei dem Tatbestandsmerkmal „von Arbeitslosigkeit bedroht“ (§ 17 SGB III) kommt es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht auf die Sicht des Betriebsmittelerwerbs oder des Insolvenzbetriebs, geschweige denn auf die Sicht der Beklagten ex post an. Vielmehr ist auf die Sicht des konkreten Arbeitnehmers ex ante abzustellen. Das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz III-Gesetz) hat sowohl das TKuG, als auch die Transfermaßnahme als Anspruch des einzelnen Arbeitnehmers ausgestaltet. Konsequenterweise wurden § 216a und § 216b SGB III auch im vierten Kapitel des SGB III, das mit der Überschrift „Leistungen an Arbeitnehmer“ versehen ist, verortet. Dieser gesetzgeberische Wille lässt keinen Spielraum bei der Beurteilung des Tatbestandsmerkmals „von Arbeitslosigkeit bedroht“. Aus Sicht des einzelnen Arbeitnehmers war dieser vom Abschluss des 3-seitigen Vertrags bis zur Mitteilung der Neueinstellung durch den Betriebsmittelerwerber, also während der Durchführung der Transfermaßnahme, konkret von Arbeitslosigkeit bedroht. |
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| Zur Überzeugung der Kammer ist dieses Ergebnis auch im insolvenz- und arbeitsrechtlichen Gesamtkontext sachgerecht. Die §§ 216a und 216b SGB III sind sanierungsfreundlich auszulegen. Würde die Rechtsauffassung der Beklagten zutreffen, würde der sanierende Übergang - und damit die Rettung von Arbeitsplätzen - erheblich erschwert werden, da der Insolvenzbetrieb einen Großteil der Kosten der Transfermaßnahme selbst tragen müsste. Der Insolvenzbetrieb hat indes keine andere Wahl als für sämtliche Arbeitnehmer eine Transfermaßnahme durchführen zu lassen, da die Durchführung einer solchen wiederum gem. § 216b Abs. 4 Satz 4 SGB III Voraussetzung für die Bewilligung von TKuG gemäß § 216b SGB III für diejenigen Arbeitnehmer, die tatsächlich in der Transfergesellschaft verbleiben, ist. Die Tragung der Maßnahmenkosten dürfte jedoch für viele Insolvenzbetriebe kaum möglich sein. Dem Insolvenzbetrieb ist auch der Weg versperrt nur für diejenigen Arbeitnehmer eine Transfermaßnahme durchzuführen, die tatsächlich in der Transfergesellschaft verbleiben, da in einem solchen Fall die übrigen Arbeitnehmer sicher sein könnten, vom Betriebsmittelerwerber angestellt zu werden und somit die Voraussetzungen des BAG an einen sanierenden Übergang nicht erfüllt wären. |
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| Der Beklagten ist zuzugeben, dass bei einem sanierenden Übergang, wie im vorliegenden Fall, die Förderung einer Transfermaßnahme größtenteils überflüssig ist, da die geförderten Arbeitnehmer vielfach vom Betriebsmittelerwerber neue Arbeitsverträge erhalten und somit überhaupt nicht auf dem Arbeitsmarkt vermittelt werden müssen. Insoweit werden Gelder der Beklagten in beträchtlicher Höhe ohne greifbaren Nutzen ausgegeben. Dies kann indes nicht den Arbeitnehmern, deren Ansprüche der Kläger geltend macht, zum Nachteil gereichen, sondern beruht vielmehr auf dem gesetzgeberischen Willen in Kenntnis des Modells des sanierenden Übergangs eine Transfermaßnahme als Voraussetzung für die Bewilligung von Transferkurzarbeitergeld vorzuschreiben. |
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| 3. Gemäß § 216a Abs. 2 SGB III wird die Förderung als Zuschuss gewährt. Der Zuschuss beträgt 50 % der erforderlichen und angemessenen Maßnahmekosten, jedoch höchstens 2.500,-- EUR je gefördertem Arbeitnehmer. Der Kläger macht vorliegend den Anspruch stellvertretend für die Arbeitnehmerschaft geltend, so dass ihm ein Anspruch auf Förderung für insgesamt 1426 Arbeitnehmer zusteht. Die Kammer vermochte hierbei nicht der Auffassung der Beklagten zu folgen, dass für die Arbeitnehmer M., N. und H. kein Antrag gestellt worden sei. Ein solcher ergibt sich aus Bl. 155 bzw. 162 der Verwaltungsakte. |
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| Allerdings ist für den Arbeitnehmer Z. (Nr. 1426 auf Bl. 49 der Verwaltungsakte) ein Profiling durchgeführt worden, jedoch kein Antrag gestellt worden. Für den Arbeitnehmer K. (Nr. 617 auf Bl. 189 der Verwaltungsakte) ist zwar ein Antrag gestellt, jedoch kein Profiling durchgeführt worden (vgl. Bl. 34 der Verwaltungsakte). Dementsprechend besteht für diese beiden Arbeitnehmer kein Anspruch auf Förderung. Die Maßnahmenkosten betragen insgesamt 200,-- EUR pro Arbeitnehmer netto. Förderungsfähig sind indes gem. § 216a Abs. 2 Satz 2 SGB III lediglich 50 % der Maßnahmekosten. Dementsprechend hat der Kläger einen Anspruch auf Zahlung von insgesamt 142.600 EUR gegen die Beklagte. Abzüglich der schon geleisteten Zahlung aus dem Bescheid vom 23.10.2008 in Höhe von 42.200 EUR verbleibt somit ein Restbetrag von 100.400 EUR. Da die Beklagte zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, ist die Umsatzsteuer nicht anzusetzen. |
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| Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger weit überwiegend obsiegt hat. |
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