Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss, 05. Jan. 2012 - 1 SsBs 45/11, 1 Ss Bs 45/11

ECLI:ECLI:DE:POLGZWE:2012:0105.1SSBS45.11.0A
bei uns veröffentlicht am05.01.2012

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Landau in der Pfalz vom 27. Oktober 2011 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Landau in der Pfalz zurückverwiesen.

Gründe

1

Durch Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums Rheinpfalz, Bußgeldstelle Speyer, vom 15. März 2011 wurde gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 43 km/h gemäß §§ 41 Abs. 2, 49 StVO, 24, 25 StVG; 11.3.7 BKat; 4 Abs. 1 BKatV ein Bußgeld von 160,00 € festgesetzt und ein Fahrverbot für die Dauer von 1 Monat angeordnet. Den Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht Landau in der Pfalz durch das angefochtene Urteil vom 27. Oktober 2011 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, weil der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung und ohne genügende Entschuldigung zur Hauptverhandlung nicht erschienen sei. Hiergegen wendet sich der Betroffenen mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung seines rechtlichen Gehörs rügt.

2

Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen ( § 79 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 OWiG) hat mit der ordnungsgemäß ausgeführten Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe den Einspruch zu Unrecht nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen und damit den Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, einen vorläufigen Erfolg.

3

Wird der Einspruch des Betroffenen – wie hier – nach § 74 Abs. 2 OWiG wegen Ausbleibens in der Hauptverhandlung ohne Verhandlung zur Sache verworfen, so ist der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, wenn über ein rechtzeitig gestellter Antrag, den Betroffenen von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, zu Unrecht nicht entschieden worden ist (vgl. OLG Bamberg, 2. Senat für Bußgeldsachen, Beschluss vom 30.10.2007, 2 Ss OWi 1409/07, 1 Ss OWi 1409/07, zitiert nach juris; KK-OWiG/Senge, 3. Aufl. § 73 Rn. 36 m.w.N.).

4

Ein solcher Fall liegt hier vor. Nach dem durch den Akteninhalt bestätigten Vorbringen zur Rechtsbeschwerde  hat der Betroffene über seinen Verteidiger bereits mit Schriftsatz vom 6. September 2011 zur Begründung seines Entbindungsantrags vortragen lassen, dass er das im Bußgeldbescheid genannte Fahrzeug zur Tatzeit geführt habe und im Übrigen in der Hauptverhandlung von seinem Schweigerecht Gebrauch mache. An den Entbindungsantrag hat er mit weiterem Schriftsatz vom 26. Oktober 2011 erinnert und seinen Antrag vorsorglich wiederholt.

5

Bei dieser Sachlage durfte die Bußgeldrichterin, weil von der persönlichen Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung kein weiterer Beitrag zur Sachaufklärung zu erwarten war, weder auf dem Erscheinen des zur Aussage nicht bereiten Betroffenen bestehen noch dessen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verwerfen (vgl. dazu näher Beschluss des Senats vom 12. Oktober 1999 – 1 Ss 195/99-, NZV 2000, 304 = DAR 2000, 86 = VRS 98, 215 und vom 23. Juni 2008 -1 Ss 92/08 -, zitiert nach juris). Insbesondere ist nicht ersichtlich, inwieweit eine umfassende Würdigung der Persönlichkeit bei einem nicht zur Aussage bereiten Betroffenen erfolgen soll. Das Unterlassen des rechtzeitig und begründet beantragten Entbindung des Betroffenen von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung durch das Amtsgericht war somit rechtsfehlerhaft und sperrte deshalb die Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG mit der Folge, dass das dennoch ergangene Verwerfungsurteil ebenfalls rechtsfehlerhaft ist.

6

Die rechtsfehlerhafte Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG stellt nicht nur einen Verstoß gegen einfaches Verfahrensrecht, sondern wegen der dadurch unterbliebenen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Betroffenen in der Sache selbst (hier: Bestreiten der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung unter Behauptung eines Messfehlers sowie Beantragung der Erhebung von Sachverständigenbeweis dazu) auch eine Verletzung des verfassungsrechtlich garantierten Grundrechts auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG dar.

7

Die Sache ist daher unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Amtsgerichts Landau in der Pfalz zurückzuverweisen; es besteht dabei kein Anlass, einen anderen Amtsrichter mit der Sache zu befassen (§ 79 Abs. 3, Abs. 6 OWiG; §§ 353, 354 Abs. 2 StPO). In der neuen Verhandlung wird auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu befinden sein (vgl. KK-OWiG a.a.O., § 79 Rn. 165). Die ergangene Entscheidung entspricht dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft.

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 79 Rechtsbeschwerde


(1) Gegen das Urteil und den Beschluß nach § 72 ist Rechtsbeschwerde zulässig, wenn 1. gegen den Betroffenen eine Geldbuße von mehr als zweihundertfünfzig Euro festgesetzt worden ist,2. eine Nebenfolge angeordnet worden ist, es sei denn, daß es sich

Straßenverkehrs-Ordnung - StVO 2013 | § 41 Vorschriftzeichen


(1) Wer am Verkehr teilnimmt, hat die durch Vorschriftzeichen nach Anlage 2 angeordneten Ge- oder Verbote zu befolgen. (2) Vorschriftzeichen stehen vorbehaltlich des Satzes 2 dort, wo oder von wo an die Anordnung zu befolgen ist. Soweit die Zeich

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 74 Verfahren bei Abwesenheit


(1) Die Hauptverhandlung wird in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war. Frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine protokollierten und sonstigen

Referenzen

(1) Wer am Verkehr teilnimmt, hat die durch Vorschriftzeichen nach Anlage 2 angeordneten Ge- oder Verbote zu befolgen.

(2) Vorschriftzeichen stehen vorbehaltlich des Satzes 2 dort, wo oder von wo an die Anordnung zu befolgen ist. Soweit die Zeichen aus Gründen der Leichtigkeit oder der Sicherheit des Verkehrs in einer bestimmten Entfernung zum Beginn der Befolgungspflicht stehen, ist die Entfernung zu dem maßgeblichen Ort auf einem Zusatzzeichen angegeben. Andere Zusatzzeichen enthalten nur allgemeine Beschränkungen der Gebote oder Verbote oder allgemeine Ausnahmen von ihnen. Die besonderen Zusatzzeichen zu den Zeichen 283, 286, 277, 290.1 und 290.2 können etwas anderes bestimmen, zum Beispiel den Geltungsbereich erweitern.

(1) Die Hauptverhandlung wird in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war. Frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine protokollierten und sonstigen Erklärungen sind durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen. Es genügt, wenn die nach § 265 Abs. 1 und 2 der Strafprozeßordnung erforderlichen Hinweise dem Verteidiger gegeben werden.

(2) Bleibt der Betroffene ohne genügende Entschuldigung aus, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war, hat das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen.

(3) Der Betroffene ist in der Ladung über die Absätze 1 und 2 und die §§ 73 und 77b Abs. 1 Satz 1 und 3 zu belehren.

(4) Hat die Hauptverhandlung nach Absatz 1 oder Absatz 2 ohne den Betroffenen stattgefunden, so kann er gegen das Urteil binnen einer Woche nach Zustellung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den gleichen Voraussetzungen wie gegen die Versäumung einer Frist nachsuchen. Hierüber ist er bei der Zustellung des Urteils zu belehren.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Gegen das Urteil und den Beschluß nach § 72 ist Rechtsbeschwerde zulässig, wenn

1.
gegen den Betroffenen eine Geldbuße von mehr als zweihundertfünfzig Euro festgesetzt worden ist,
2.
eine Nebenfolge angeordnet worden ist, es sei denn, daß es sich um eine Nebenfolge vermögensrechtlicher Art handelt, deren Wert im Urteil oder im Beschluß nach § 72 auf nicht mehr als zweihundertfünfzig Euro festgesetzt worden ist,
3.
der Betroffene wegen einer Ordnungswidrigkeit freigesprochen oder das Verfahren eingestellt oder von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen worden ist und wegen der Tat im Bußgeldbescheid oder Strafbefehl eine Geldbuße von mehr als sechshundert Euro festgesetzt, ein Fahrverbot verhängt oder eine solche Geldbuße oder ein Fahrverbot von der Staatsanwaltschaft beantragt worden war,
4.
der Einspruch durch Urteil als unzulässig verworfen worden ist oder
5.
durch Beschluß nach § 72 entschieden worden ist, obwohl der Beschwerdeführer diesem Verfahren rechtzeitig widersprochen hatte oder ihm in sonstiger Weise das rechtliche Gehör versagt wurde.
Gegen das Urteil ist die Rechtsbeschwerde ferner zulässig, wenn sie zugelassen wird (§ 80).

(2) Hat das Urteil oder der Beschluß nach § 72 mehrere Taten zum Gegenstand und sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 oder Satz 2 nur hinsichtlich einzelner Taten gegeben, so ist die Rechtsbeschwerde nur insoweit zulässig.

(3) Für die Rechtsbeschwerde und das weitere Verfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Revision entsprechend. § 342 der Strafprozeßordnung gilt auch entsprechend für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 72 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1.

(4) Die Frist für die Einlegung der Rechtsbeschwerde beginnt mit der Zustellung des Beschlusses nach § 72 oder des Urteils, wenn es in Abwesenheit des Beschwerdeführers verkündet und dieser dabei auch nicht nach § 73 Abs. 3 durch einen mit nachgewiesener Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten worden ist.

(5) Das Beschwerdegericht entscheidet durch Beschluß. Richtet sich die Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil, so kann das Beschwerdegericht auf Grund einer Hauptverhandlung durch Urteil entscheiden.

(6) Hebt das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung auf, so kann es abweichend von § 354 der Strafprozeßordnung in der Sache selbst entscheiden oder sie an das Amtsgericht, dessen Entscheidung aufgehoben wird, oder an ein anderes Amtsgericht desselben Landes zurückverweisen.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.