Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 23. Juli 2014 - 3 L 53/12

ECLI:ECLI:DE:OVGST:2014:0723.3L53.12.0A
bei uns veröffentlicht am23.07.2014

Tatbestand

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Der Kläger begehrt die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach § 4 AsylVfG.

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Der nach eigenen Angaben im Jahr 1990 in der Provinz Laghman/Afghanistan geborene Kläger reiste nach seinen Schilderungen am 03. Juni 2009 aus Belgien kommend auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein.

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Am 18. Juni 2009 wurde der Kläger vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu seinem Asylbegehren angehört. Zur Begründung gab er an: Er habe in P./Pakistan eine Koranschule besucht. Seine beiden Halbbrüder seien Taliban und Lehrer an dieser Schule. Nach einigen Jahren an dieser Schule sei er aufgefordert worden, sich dem Jihad anzuschließen, um gegen die amerikanischen Militärs zu kämpfen. Er sei aufgefordert worden, an Trainingskursen teilzunehmen, welche auch die Ausbildung an der Waffe und zu Selbstmordattentaten zum Inhalt hatten. Dies habe er nicht gewollt und habe mit Unterstützung seiner Tante aus Afghanistan ausreisen können. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan fürchte er, dass die Taliban ihn töten könnten.

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Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 12. Februar 2010 ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Flüchtlingsanerkennung i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland binnen eines Monats nach Rechtskraft der Entscheidung zu verlassen, anderenfalls würde er nach Afghanistan abgeschoben. Der Kläger könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger könne weder Asyl noch Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG beanspruchen, da er ein individuelles Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft gemacht habe. Er habe vielmehr ausgeführt, dass er Afghanistan unverfolgt verlassen habe. Auch nationale und europarechtliche Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor. Für keine der Provinzen in Afghanistan läge ein Gefährdungsgrad für Zivilpersonen vor, der die Feststellung einer erheblichen individuellen Gefahr allein aufgrund einer Rückkehr in das Herkunftsgebiet und die Anwesenheit dort rechtfertige. Im Übrigen sei es dem Kläger auch zuzumuten auf das Gebiet der Hauptstadt Kabul auszuweichen.

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Am 25. Februar 2010 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Magdeburg Klage erhoben. Er hat ausgeführt, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban drohen würde. Ferner sei davon auszugehen, dass in seiner Heimatprovinz Laghman eine allgegenwärtige Gefahr bestehe, die jederzeit und nahezu überall in einen lebensbedrohlichen Schaden umschlagen könne. Der Kläger könne sich auch nicht in Kabul niederlassen, da er über keine beruflichen Qualifikationen verfüge und in Kabul keine unterstützungsbereiten Strukturen vorfinde. Er habe seit seinem 13. Lebensjahr für fünf oder sechs Jahre die Koranschule in P./Pakistan besucht. Er hat ferner vorgetragen, dass er sich nunmehr dem Christentum zugewandt habe und sich am 11. September 2011 in C-Stadt habe taufen lassen.

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Der Kläger hat beantragt,

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ihn unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Februar 2010 als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass für ihn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, hilfsweise Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG vorliegen, weiter hilfsweise Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Mit Urteil vom 19. Dezember 2011 hat das Verwaltungsgericht Magdeburg die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG lägen nicht vor, da der Kläger bereits nach eigenen Angaben auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Dem Kläger stehe auch kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu. Dem Kläger drohe im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung. Dies gelte auch für den von ihm vorgetragenen Übertritt zum Christentum. Der Kläger habe auch nach seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung einen Glaubenswechsel zum Christentum nicht glaubhaft gemacht. Die Voraussetzungen für das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 oder Abs. 3 AufenthG lägen nicht vor. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf die Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Es könne offen bleiben, ob in der Heimatprovinz des Klägers ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrsche. Trotz der äußerst schlechten Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan sei dem Kläger jedenfalls eine Rückkehr nach Kabul zumutbar. Auch die Voraussetzungen für das Vorliegen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG seien nicht gegeben.

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Mit der vom Senat auf das Vorliegen des unionsrechtlichen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG beschränkt zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend, dass ihm in seiner Heimatregion eine Verfolgung durch die Taliban drohe. In den anderen Regionen von Afghanistan habe er keine Existenzgrundlage. Er verfüge über keine Ausbildung. Er habe als landwirtschaftlicher Helfer und als Viehhirte für seine Tante gearbeitet.

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Der Kläger beantragt,

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unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 19. Dezember 2011 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Februar 2010 zu verpflichten, das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes für den Kläger nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG festzustellen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie trägt zur Begründung vor, dass die Ausführungen des Klägers in der Berufungsbegründung sich im Wesentlichen auf das Vorliegen eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezögen. Insoweit sei die Berufung jedoch nicht zugelassen worden.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Beteiligten sowie auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten und auf die vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

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Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG.

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Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist gemäß § 77 AsylVfG das Asylverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 02. September 2008 (AsylVfG, BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474), und das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (AufenthG, BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 06. September 2013 (BGBl. I S. 3556). Unionsrechtlich findet die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 337 S. 9) - RL 2011/95/EU - Anwendung (vgl. Art. 39 Abs.1, Art. 41 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU).

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Kann ein Schutzsuchender kein Bleiberecht auf der Grundlage von Art. 16a GG oder § 3 AsylVfG finden, ist subsidiärer Schutz nach § 4 AsylVfG zu prüfen. Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Abs. 1 AsylVfG bezeichnete ernsthafte Schaden droht. § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG fasst die bisher in Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 enthaltenen Abschiebungsverbote zusammen, mit denen bereits Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt worden war (vgl. Begründung in BT-Drs. 17/13063, S. 25).

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Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG). In diesem Rahmen sind gemäß § 4 Abs. 3 AsylVfG die §§ 3c bis 3e AsylVfG entsprechend anzuwenden.

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§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 AsylVfG bilden nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zu den Vorläuferregelungen des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG grundsätzlich einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urt. v. 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris; BayVGH, Urt. v. 20.01.2012 - 13a B 11.30427 -, juris). Der Kläger hat im Berufungsverfahren sein Begehren ausdrücklich auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG beschränkt, so dass gemäß § 129 VwGO die gerichtliche Prüfung auf das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift beschränkt ist.

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Nach §§ 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG in der zum 1. Dezember 2013 in Kraft getretenen Fassung gilt als ernsthafter Schaden auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt jedenfalls dann vor, wenn bewaffnete Konflikte im Hoheitsgebiet eines Staates zwischen dessen Streitkräften und anderen organisierten Gruppen stattfinden (vgl. EuGH, Urt. v. 30.01.2014 - C-285/12 - „Diakité“). Nach dieser autonomen unionsrechtlichen Definition des Begriffs des „innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes“ in Art. 15 c RL 2011/95/EU, der dem entsprechenden Begriff in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG zugrunde liegt, ist es dabei nicht erforderlich, dass die Konfliktparteien unter verantwortlicher Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes des Staates ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen können. Für das Vorliegen eines solchen Konfliktes ist es ferner auch nicht von Bedeutung, ob dieser ein gewisses Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweist (vgl. EuGH, Urt. v. 30.01.2014 - C-285/12 - „Diakité“; anders die frühere Rspr. zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.: BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 4.09 -, juris).

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Aufgrund eines derartigen Konflikts muss für den Schutzsuchenden eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit bestehen. Hierbei ist zu prüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende und damit allgemeine Gefahr in der Person des Schutzsuchenden so verdichtet hat, dass sie eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG darstellt (vgl. EuGH, Urt. v. 30.01.2014 - C-285/12 - „Diakité“). Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses - die Vorgaben des Art. 15 Buchst. c RL 2011/95/EU umsetzenden - Abschiebungsverbotes können auch dann erfüllt sein, wenn sich der bewaffnete Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt. In diesem Fall ist Bezugspunkt für die Gefahrenprognose der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 10 C. 5.12 -, juris unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 17.02.2009 - C-465/07 - „Elgafaji“). Für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, kommt es aber weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Ein Abweichen von der Regel kann insbesondere nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen ihm § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG Schutz gewähren soll. Kommt die Herkunftsregion als Zielort wegen der dem Ausländer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des Art. 8 der Richtlinie 2011/95/EU auf eine andere Region des Landes verwiesen werden. Der Begriff des „tatsächlichen Zielortes der Rückkehr“ ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da es bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG um den Schutz vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat geht, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat, etwa weil Familienangehörige getötet worden sind oder diese Gebiete ebenfalls verlassen haben. Auch soweit die nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände begründet worden ist, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage), und es mangels Existenzgrundlage und Zukunftsperspektive eine nachvollziehbare Haltung ist, nicht in die Herkunftsregion zurückkehren zu wollen, behält diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG aus (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.01.2013, a. a. O.).

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Normalerweise hat ein bewaffneter Konflikt nicht eine solche Gefahrendichte, dass alle Bewohner des betroffenen Gebiets ernsthaft individuell bedroht sein werden. Allerdings kann der bewaffnete Konflikt ein so hohes Niveau willkürlicher Gewalt erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land/die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dies bleibt allerdings außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind (vgl. EuGH, Urt. v. 17.02.2009 - C-465/07 - „Elgafaji“; Urt. v. 30.01.2014 - C-285/12 - „Diakité“). Eine Individualisierung kann sich auch aus gefahrerhöhenden persönlichen Umständen in der Person des Schutzsuchenden ergeben, die ihn von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffenen erscheinen lassen (EuGH, Urt. v. 30.01.2014 - C-285/12 - „Diakité“). Der für die Annahme einer individuellen Gefahr in diesem Sinne erforderliche Grad willkürlicher Gewalt wird daher umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende zu belegen vermag, dass er aufgrund solcher individueller gefahrerhöhender Umstände spezifisch betroffen ist. Solche persönlichen Umstände können sich z.B. aus dem Beruf des Schutzsuchenden etwa als Arzt oder Journalist ergeben, da diese regelmäßig gezwungen sind, sich nahe an einer Gefahrenquelle aufzuhalten. Ebenso können solche Umstände aber auch aus einer religiösen und ethnischen Zugehörigkeit herrühren, aufgrund derer der Schutzsuchende zusätzlich der Gefahr gezielter Gewalttaten ausgesetzt ist. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich, welches mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) gegeben sein muss. Hierzu soll entsprechend der Feststellung einer Gruppenverfolgung eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen bei der Zivilbevölkerung erforderlich sein, wobei neben völkerrechtswidrigen auch andere nicht zielgerichtete Gewaltakte zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.02.2014 - 10 C 6.13 -, juris und Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 11.10 und 10 C 13.10 -, juris). Das Bundesverwaltungsgericht hatte in den Urteilen vom 17. November 2011 - bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres - ein Risiko von 1:800 bzw. 1:1000 verletzt oder getötet zu werden, als weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt angesehen.

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Gemessen an diesen Maßstäben ist der Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer auf seine Heimatprovinz Laghman beschränkten individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt. Auf einer Fläche von 3.977 km² leben in der Provinz Laghman rund 431.000 Einwohner (zitiert nach Afghanistan Statistical Yearbook 2013-2014, veröffentlicht unter cso.gov.af/Content/files/Population(3).pdf). Die Provinz Laghman grenzt unmittelbar östlich an die Hauptstadt Kabul an. Die Provinz ist mit einem Bevölkerungsanteil von 75 % mehrheitlich von der Volksgruppe der Paschtunen, welcher auch der Kläger angehört, bewohnt (zitiert nach de.wikipedia.org/wiki/Laghman). Obwohl der Kläger nach seinen Angaben die letzten fünf oder sechs Jahre vor seiner Ausreise in P./Pakistan gelebt hat, um dort eine Koranschule zu besuchen, ist nicht davon auszugehen, dass er sich schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von seiner Heimatregion gelöst hat und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Die Provinz Laghman ist somit weiterhin als Anknüpfungspunkt der Gefahrenprognose in Bezug auf den Kläger anzusehen.

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Hinsichtlich der vorgenannten Voraussetzungen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in Afghanistan und das dortige Ausgesetztsein einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ergibt sich nach den vorliegenden Erkenntnisquellen folgendes Bild:

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Nach den letzten Lageberichten des Auswärtigen Amtes (vom 09. Februar 2011, vom 10. Januar 2012, vom 04. Juni 2013 und vom 31. März 2014), ist die Sicherheitslage in Afghanistan regional weiter sehr unterschiedlich. Neben medienwirksamen Anschlägen auf militärische wie zivile internationale Akteure (insbesondere in Kabul) verüben Aufständische vermehrt Anschläge gegen die afghanischen nationalen Sicherheitskräfte. Im Zuge der Übernahme der Sicherheitsverantwortung in ganz Afghanistan stehen die ANSF (Afghan National Security Forces) in der ersten Reihe und sind, auch aufgrund ihrer im Vergleich zu ISAF/NATO Kräften qualitativ weniger hochwertigen Ausrüstung und Ausbildung, primäres Ziel der Aufständischen. Aufgrund ihrer besonderen Machtstellung gehören auch Provinz- und Distriktgouverneure zu den herausgehobenen Personen, auf die immer wieder Anschläge verübt werden. Auch gegen Mitarbeiter des afghanischen öffentlichen Dienstes wie Angehörige von Ministerien oder nachgeordneten Behörden werden aufgrund ihrer Tätigkeit für den afghanischen Staat Anschläge verübt. Hohe Opferzahlen erleidet auch die afghanische Zivilbevölkerung, insbesondere wird sie bei Anschlägen mittels improvisierter Sprengsätze (IEDs) in Mitleidenschaft gezogen.

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Im Jahre 2013 gab es nach den Berichten der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) in ganz Afghanistan insgesamt 8.615 zivile Opfer, darunter 2.959 Todesfälle, wovon die meisten Opfer bei Anschlägen ums Leben kamen, die den Aufständischen zugerechnet werden (UNAMA, Annual Report 2013 vom Februar 2014). Die größte Bedrohung für die Bevölkerung geht weiterhin von der bewaffneten Aufstandsbewegung, deren Intensität und regionale Ausbreitung seit 2006 zugenommen hat, aus. 74 % der zivilen Opfer werden von Aufständischen verursacht. 34 % der Opfer rühren von Anschlägen aufgrund von improvisierten Sprengeinrichtungen (IED), 27 % von Auseinandersetzungen zwischen Regierungskräften und Aufständischen, 15 % von Selbstmordattentaten und 14 % von gezielten Tötungen her. Die weiteren Opfer rühren z. B. von militärischen Lufteinsätzen und Explosionen von Blindgängern her. Hierbei ist nach den Angaben der UN ein Anstieg der Zahl der Opfer von funkgesteuerten Sprengeinrichtungen und der Opfer bei Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Aufständischen festzustellen. Eine Übersicht über die Opferzahlen in den verschiedenen Regionen/Provinzen Afghanistans findet sich für das Jahr 2013 nur bei den Opfern von IEDs und den Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und den Aufständischen. Von den 2.890 Opfern von IEDs stammten 288 Opfer aus der östlichen Region Afghanistans, wozu neben der Heimatprovinz des Klägers Laghman auch die Provinzen Nangarhar (Einwohnerzahl 1,462 Mio.), Kunar (Einwohnerzahl 436.000) und Nuristan (Einwohnerzahl 143.000, jeweils zitiert nach cso.gov.af/Content/files/Population(3).pdf) zählen. Bei den 2.327 Opfern von Auseinandersetzungen zwischen Aufständischen und Regierungstruppen kamen 726 Opfer aus der östlichen Region, wobei hier 339 Opfer aus der Provinz Kunar und 261 Opfer aus der Provinz Nangarhar stammten.

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Nach dem Midyear Report der UNAMA vom Juli 2014 sind die Opferzahlen des innerstaatlichen Konflikts im ersten Halbjahr 2014 im Vergleich zum ersten Halbjahr des Vorjahres um 17 % angestiegen. So sind im ersten Halbjahr 2014 4.853 Opfer (1.564 Tote und 3.289 Verletzte) zu verzeichnen gewesen, während es im ersten Halbjahr 2013 3.919 Opfer (1.342 Tote und 2.577 Verletzte) waren. Wiederum waren 74 % Opfer von Gewalt, welche von Aufständischen ausging. 39 % der Opfer rührten von Auseinandersetzungen zwischen Regierungseinheiten und Aufständischen her, 30 % aufgrund des Einsatzes von IEDs. Bei den Opferzahlen in den Provinzen hat es im ersten Halbjahr 2014 gegenüber dem ersten Halbjahr 2013 keine größeren Verschiebungen gegeben. Im ersten Halbjahr 2014 wurden 1.463 Menschen Opfer von IEDs (463 Tote und 1.000 Verletzte), was einen Anstieg von 7 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum bedeutet. 181 Opfer kamen aus den östlichen Regionen, wobei keine genauen Zahlen für einzelne Provinzen vorliegen. Weiterhin sind die Provinzen Kandarhar und Helmand am stärksten von Sprengstoffanschlägen betroffen. Dem folgen die Provinzen Khost, Nangarhar (Ostregion) und Ghazni. Von den 1.901 Opfern (Tote und Verletzte) der Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Aufständischen im ersten Halbjahr 2014 stammten 335 aus der Provinz Helmand, 183 aus Faryab, 177 aus Kunar und 158 aus Nangarhar. Insgesamt kamen 414 Opfer aus der östlichen Region, so dass 79 Opfer aus den Provinzen Laghman und Nuristan stammen.

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Nach den Erkenntnissen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Update vom 30.09.2013) seien die Anschläge regierungsfeindlicher Gruppierungen 2012 bei sehr hoch bleibendem Gewaltlevel um 25 % zurückgegangen. Dies habe aber ausgereicht, die zahlenmäßig durch den Rückzug bereits stark reduzierten internationalen Sicherheitskräfte weiterhin herauszufordern. Im Frühjahr 2013 sei es dann erneut zur Trendwende gekommen. Die Anschläge der regierungsfeindlichen Gruppierungen seien im Vergleich zum Vorjahr wieder um 47 % angestiegen und könnten leicht das Niveau von 2011 oder 2009 erreichen. Die Herausforderungen für die Zukunft seien jedoch groß, da sich einerseits schwer zugängliche und umkämpfte Gebiete entlang der Grenze zu Pakistan darunter befänden und andererseits die Unterstützung der ISAF mit der Verringerung der Präsenz in Afghanistan stetig sinke.

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Nach dem Fortschrittsbericht Afghanistan der Bundesregierung zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages von Januar 2014 (nachfolgend: Fortschrittsbericht 2014) besteht in den Bevölkerungszentren und entlang der bedeutsamen Verkehrsinfrastruktur eine „ausreichend kontrollierbare Sicherheitslage“; in den südlichen und östlichen ländlich geprägten Gebieten und Distrikten herrscht hingegen eine „überwiegend nicht“ oder sogar eine „nicht kontrollierbare Sicherheitslage“ (vgl. Fortschrittsbericht 2014, Seite 10). Der Fortschrittsbericht der Bundesregierung weist für die Provinz Laghman nicht die höchste Bedrohungsstufe „hoch“ (wie z. B. für die Provinzen Kunar und den Norden der Provinz Helmand), sondern nur die zweithöchste Bedrohungsstufe „erheblich“ aus.

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Die Sicherheitslage hat z. T. auch Auswirkungen auf das Gesundheitssystem in Afghanistan. Die medizinische Versorgung ist trotz erkennbarer Verbesserungen (die Anzahl der Gesundheitseinrichtungen hat sich seit 2002 vervierfacht) landesweit aufgrund ungenügender Verfügbarkeit von Medikamenten, Ausstattung der Kliniken, Ärzten und Ärztinnen sowie mangels gut qualifizierten Assistenzpersonals (v. a. Hebammen) immer noch häufig unzureichend. Lediglich in größeren Städten kann man eine bessere medizinische Versorgung vorfinden. Auch in Kabul entspricht die medizinische Versorgung nicht immer europäischem Standard. Afghanische Staatsangehörige mit guten Kontakten zum ausländischen Militär oder Botschaften können sich unter Umständen auch in Militärkrankenhäusern der ausländischen Truppen behandeln lassen. Die Militärkrankenhäuser können Zivilisten (jeglicher Staatsangehörigkeit) allerdings nur in beschränktem Maße aufnehmen, da Betten für Mitglieder der internationalen Streitkräfte vorgehalten werden müssen.

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Gesundheitseinrichtungen und mobile Programme mussten ihre Aktivitäten in manchen Regionen aufgrund von Kämpfen und Unsicherheit auf den Straßen einstellen. Auch das Einstellen von qualifiziertem Personal, welches bereit ist, unter diesen Umständen zu arbeiten, wurde zunehmend schwieriger. Die Unsicherheit, die Entfernungen im Land, der Transport und die Kosten sind die Haupteinschränkungen der Möglichkeiten der Bevölkerung beim Zugang und Erreichen wesentlicher Gesundheitsleistungen. Diese Beschränkungen spielen eine besondere Rolle für Frauen und Kinder. Zwar haben die Angriffe auch in Kabul zugenommen, jedoch gaben Ärzte an, die in Regierungsspitälern arbeiteten, dass sie selbst von der allgemeinen Steigerung der Gewalt nicht betroffen sind. Die Ärzte sind aber noch immer den gleichen Engpässen ausgesetzt wie in der Vergangenheit. Die Anzahl nicht funktionierender Gesundheitseinrichtungen im Jahr 2012 ist im Gegensatz zu 2011 um 40 % gestiegen. In den südlichen Provinzen haben aufgrund des andauernden Konfliktes 50 bis 60 % der Bevölkerung Schwierigkeiten bzw. keinen Zugang zu notwendiger grundlegender Gesundheitsversorgung. Es können jedoch insgesamt deutliche Fortschritte verzeichnet werden. Rund 85 % der Bevölkerung lebt in Bezirken mit Anbietern von Gesundheitsvorsorge, die grundlegende Gesundheitsleistungen anbieten (vgl. zum Vorgehenden: D-A-CH Kooperation Asylwesen Deutschland-Österreich-Schweiz, Basisinformationen Afghanistan vom 09. Dezember 2013).

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Auch wenn sich aus den vorstehenden Quellen ergibt, dass die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle seit dem Jahr 2012 gestiegen ist, lässt sich - das Bestehen eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes in Afghanistan bzw. der Provinz Laghman unterstellt - nicht feststellen, dass in der Provinz Laghman die willkürliche Gewalt aufgrund dieses Konfliktes ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung von Leib und Leben ausgesetzt zu sein. Wie oben bereits ausgeführt, liegen für die einzelnen Provinzen keine genauen Angaben zu Opferzahlen aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts vor. Detailliertere Angaben zu den einzelnen Provinzen hatte (nur) bis zum 1. Quartal des Jahres 2013 das Afghanistan NGO Safety Office (ANSO) gemacht. Zum einen wird dort auf Angriffe abgestellt, die von Regierungsgegnern ausgeführt wurden (AOG - Armed Opposition Groups - Initiated Attacks). Inwieweit es bei diesen Anschlägen zu Toten und Verletzten gekommen ist, ergibt sich aus den von ANSO gefertigten Berichten nicht. Landesweit wurden von UNAMA im Jahr 2010 7.160, im Jahr 2011 7.839 und im Jahr 2012 7.589 Tote und Verletzte festgestellt (UNAMA, Annual Report 2013, S. 3). Demgegenüber betrug die Zahl der Angriffe nach ANSO im Jahr 2010 12.252, im Jahr 2011 14.034 und im Jahr 2012 10.468 (Quarterly Data Report Q.4 2012). Hieraus ergibt sich, dass nicht jeder von ANSO gezählte Anschlag zu Toten und Verletzten geführt hat und deshalb für die Beurteilung des Gefährdungsgrades im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG nur bedingt herangezogen werden kann. Insoweit kann auch die Zahl der von ANSO erfassten 380 Vorfälle in der Provinz Laghman im Jahr 2012 nur eingeschränkt für die Beurteilung der Gefahrenlage herangezogen werden. Hinzu kommt, dass ANSO in seinen bis Anfang 2013 erschienenen vierteljährlichen Berichten die Angriffsintensität in den Provinzen mit Gefährdungsstufen beurteilt hat. Trotz eines im 1. Quartal 2013 zu verzeichnenden Anstiegs der Anschläge hat ANSO die Provinz Laghman (anders als die unmittelbar an Pakistan angrenzenden Provinzen der östlichen Region Nuristan, Kunar und Nangarhar) nicht in die höchste Gefährdungsstufe eingeordnet.

37

Die Nichtregierungsorganisation iMMAP, auf deren Erhebungen die Beklagte im Schriftsatz vom 22. Juli 2014 hingewiesen hat, hat für die einzelnen Provinzen in Afghanistan eine tabellarische Übersicht von sicherheitsrelevanten Vorfällen in den Jahren 2008 bis 2013 veröffentlicht (immap.org/maps/files/maps/1263.pdf; für die Provinz Laghman immap.org/maps/files/maps/1292.pdf). Wie sich aus der Legende zu den Karten ergibt, sind in dieser Übersicht nicht nur die Vorfälle erfasst, welche von dem in Afghanistan bestehenden bewaffneten Konflikt herrühren, sondern es werden auch Opfer von allgemeiner Kriminalität oder Unglücksfällen berücksichtigt, die nicht im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt stehen (z. B. aufgrund von Unfällen, Drogenkriminalität, Familienfehden, Suizid). Selbst wenn man, ungeachtet des umfassend verstandenen Begriffs der Sicherheitsvorfälle, wie ihn iMMAP seinen Erhebungen zugrunde legt, alle 323 Sicherheitsvorfälle in der Provinz Laghman im Jahr 2013, bei denen es zu Toten oder Verletzten kam, berücksichtigt, liegt das Risiko bezogen auf die Einwohnerzahl von 431.000 auch nach den Statistiken von iMMAP bei 1:1334 und damit unter der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes. Auch wenn man die Tendenz, die sich aus dem Midyear Report der UNAMA für das erste Halbjahr 2014 ergibt, auf die Zahlen von iMMAP für das Jahr 2013 überträgt und einen Anstieg der Zahlen um 17 % für das gesamte Jahr 2014 prognostiziert, würde dies bei einer angenommenen Zahl von 378 Vorfällen im Jahr 2014 erneut nur ein Risiko im Promillebereich (1:1140) ergeben.

38

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht bei einer auf ganz Afghanistan bezogenen Betrachtung. Setzt man die Bevölkerungszahl von Afghanistan von 27,5 Millionen (26 Millionen in städtischen und ländlichen Siedlungsgebieten sowie 1,5 Millionen als Nomaden lebende Personen) in Relation zu den für ganz Afghanistan von iMMAP gezählten 15.527 Sicherheitsvorfällen im Jahr 2013 ergibt sich gleichfalls nur ein Risiko von 1: 1771. Auch wenn man hier einen Anstieg um 17 % bezogen auf die Gesamtzahl der Vorfälle in ganz Afghanistan annimmt und für das gesamte Jahr 2014 eine Zahl von 18.166 Sicherheitsvorfällen prognostiziert, würde dies ein Risiko von 1:1514 und damit ebenfalls nur ein Risiko im Promillebereich ergeben.

39

Auch bei einer Gesamtbetrachtung aller Gesichtspunkte der dortigen Sicherheitslage kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Konflikt in Afghanistan insgesamt und in der Provinz Laghman im Besonderen keine so hohe Gefahrendichte willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung erreicht, dass jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region jederzeit mit einer nicht mehr zu vernachlässigenden Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften individuellen Bedrohung i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG ausgesetzt ist. Dies gilt angesichts des festgestellten Risikos auch unter Einbeziehung der in der Provinz Laghman und im gesamten Land nicht immer ausreichenden medizinischen Versorgungslage, bei der nur eingeschränkt gewährleistet sein dürfte, dass den Opfern nach schweren körperlichen Verletzungen keine dauerhaften Verletzungsfolgen mit Invalidität verbleiben (im Ergebnis mittlerweile einheitliche obergerichtliche Rechtsprechung: HessVGH, Urt. v. 30.01.2014 - 8 A 119/12.A -, juris; BayVGH, Urt. v. 30.01.2014 - 13a B 13.30279 -, juris; BayVGH, Urt. v. 16.01.2014 - 13a B 13.30025 -, juris; SächsOVG, Urt. v. 10.10.2013 - A 1 A 474/09 -, juris, jeweils mit weiteren Nachweisen).

40

Gefahrerhöhende Umstände, die den Kläger wegen individueller Merkmale einem besonderen Sicherheitsrisiko i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG aussetzen könnten, sind nicht ersichtlich. Zwar hat der Sachverständige Dr. Danesch in seinem Gutachten vom 03. September 2013 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof anhand von Beispielen dargelegt, dass die Taliban auch noch im Jahr 2012 in Kabul aktiv waren und „nicht selten“ junge Männer zwangsrekrutiert haben. Konkrete Zahlen konnte der Sachverständige aber nicht ermitteln. In den wenigen Fällen, in denen ihm bekannte, nach Kabul abgeschobene oder als sog. Binnenflüchtlinge von Taliban „behelligte“ Männer zwangsrekrutiert werden sollten, hatten diese nach Darstellung des Sachverständigen jeweils Gelegenheit, sich den befürchteten Zwangsmaßnahmen zu entziehen. Von der Tötung junger Männer durch die Taliban im Zusammenhang mit geplanten Zwangsrekrutierungen haben der Sachverständige und seine Kontaktpersonen nur gerüchteweise Kenntnis erlangt. Diese nicht näher nachprüfbaren Mutmaßungen geben angesichts des oben dargelegten Wahrscheinlichkeitsmaßstabs keinen hinreichenden Anlass, mit der Gefahr einer Zwangsrekrutierung mit tödlichen oder anderen schwerwiegenden Folgen zu rechnen (so auch HessVGH, Urt. v. 30.01.2014, a. a. O.). Weitere gefahrerhöhende Momente wie eine gefährdungsauslösende (glaubhaft gemachte) Religions- oder Volkszugehörigkeit liegen nicht vor. Auch hat der Kläger nicht geltend macht, dass er einen Beruf ausübt, der eine besondere (räumliche) Nähe zu zivilen oder militärischen Einrichtungen der ISAF, ausländischen Nichtregierungsorganisationen oder der afghanischen Regierung mit sich bringt, was im Hinblick auf die geänderte Taktik der Aufständischen bei der Begehung von Sprengstoffattentaten ein gefahrerhöhendes Moment darstellen könnte (z.B. Tätigkeit als Dolmetscher, Ärzte, Verwaltungsbedienstete, vgl. UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 06.08.2013).

41

Bei Rückkehrern können im Einzelfall auch gefahrerhöhende persönliche Umstände in diesem Sinn vorliegen, wenn sie als Angehörige der Zivilbevölkerung nach ihrer Wiedereinreise in Afghanistan, die regelmäßig über den Flughafen Kabul erfolgt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 31.03.2014, S. 21), besonders gefährliche Provinzen oder Distrikte nur über besonders von Anschlägen betroffene Hauptverkehrsstraßen erreichen können und zu Versorgungszwecken auch weiterhin benutzen müssen. Hierfür bestehen im vorliegenden Fall jedoch keine Anhaltspunkte, da die Provinz Laghman unmittelbar an die als relativ sicher geltende Hauptstadt Kabul angrenzt.

42

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

43

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 VwGO) sind nicht gegeben.


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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

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(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

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Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 16a


(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. (2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 129


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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Das Urteil des Verwaltungsgerichts darf nur soweit geändert werden, als eine Änderung beantragt ist.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I.

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 24. Oktober 2012 wird die Klage insgesamt abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der nach seinen Angaben am 1. Januar 1991 in Malestan, Provinz Ghazni, geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger und hazarischer Volkszugehöriger muslimisch-schiitischen Glaubens. Er reiste am 15. Juni 2009 auf dem Luftweg ins Bundesgebiet ein und stellte am 19. Juni 2009 Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) übermittelte dem Kläger mit Schreiben vom 19. Juni 2009 die Benachrichtigung zur Anhörung für den 17. August 2009 in München. Der Kläger nahm diesen Termin nicht wahr und reiste weiter nach Norwegen. Am 2. Februar 2010 wurde er von Oslo nach Hamburg zurück überstellt. Mit Schreiben vom 30. März 2010 teilte das Bundesamt dem Kläger gemäß § 25 Abs. 4 Satz 5 AsylVfG mit, dass er den Anhörungstermin vom 17. August 2009 unentschuldigt nicht wahrgenommen habe und nunmehr die Möglichkeit bestünde, innerhalb eines Monats den Asylantrag und die übrigen Umstände schriftlich zu begründen. Am 3. Mai 2010 teilte der Bevollmächtigte des Klägers dem Bundesamt mit, dass ein Großteil der Verwandtschaft des Klägers aufgrund der Bürgerkriegswirren kurz vor dem Sturz der Taliban gestorben sei. Lediglich sein älterer Bruder habe überlebt. Nachdem aber auch dieser verschollen war, sei er aus Afghanistan geflohen und in den Iran gegangen. Nach ca. acht Monaten habe er sich auf den Weg nach Europa gemacht. Der Kläger stamme aus einer Provinz, wo Krieg herrsche. Ein aufnahmebereiter Familienverband bestehe in Afghanistan nicht.

Mit Bescheid vom 17. Februar 2011 lehnte das Bundesamt (1.) den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass (2.) die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen und (3.) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte (4.) dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan an.

Durch Beschluss vom 8. Juli 2011 nach § 80 Abs. 5 VwGO ordnete das Verwaltungsgericht München (M 23 S 11.30195) die aufschiebende Wirkung der Klage (M 23 K 11.30194) gegen die Ziffer 4 des Bundesamtsbescheids vom „20. Februar 2007“ [?] insoweit an, als die Abschiebung nach Afghanistan angedroht wurde. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht München am 7. Oktober 2012 gab der Kläger Folgendes an: Er sei drei bis vier Jahre zur Schule gegangen und habe dort Lesen und Schreiben gelernt. Sein Vater sei zur Zeit der Taliban-Herrschaft in Afghanistan umgebracht worden, seine Mutter sei verstorben und sein Bruder verschwunden. Seine Familie habe in Ghazni in einer Mietwohnung gelebt. Die landwirtschaftlichen Grundstücke der Familie in Malestan bearbeite sein Onkel. Er könne aber wegen der Probleme mit seinem Onkel nicht in seinen Heimatort zurückkehren. Dieser behaupte, dass ihm die Grundstücke allein gehörten, wohingegen er selbst meine, dass sie seinem Onkel und seinem Vater gemeinschaftlich gehört hätten.

Durch Urteil vom 24. Oktober 2012 hob das Verwaltungsgericht den Bundesamtsbescheid vom 17. Februar 2011 in Nr. 3 insoweit auf, als festgestellt wurde, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegt. Zudem wurde dieser im Nr. 4 insoweit aufgehoben, als die Abschiebung nach Afghanistan angedroht wurde. Die Beklagte wurde verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, dass für den Kläger im Fall der Abschiebung nach Afghanistan eine extreme Gefahr für Leib oder Leben bestünde. Er wäre angesichts der schlechten Versorgungslage in Afghanistan der Gefahr des baldigen Todes durch Verhungern oder Erfrieren ausgeliefert. Der Kläger habe in Afghanistan keine Familie als soziales Netz und hätte auch keine Möglichkeit, allein Fuß zu fassen und als Tagelöhner das Existenzminimum zu erlangen. Als Rückkehrer aus dem westlich geprägten Ausland täte sich der Kläger besonders schwer. In Kabul könnte er sich mangels Ortskenntnissen nicht zurechtfinden. Außerdem seien ihm die Lebensumstände in Afghanistan ohnehin fremd geworden, weil er sich mehrere Jahre in Deutschland aufgehalten habe. Hinzu komme, dass er nur die Grundschule besucht und keine Berufsausbildung erhalten habe. Aus diesen Gründen wären seine Chancen, irgendeinen Job zu finden, als aussichtslos einzuschätzen. Außerdem gehöre er als Hazara einer geächteten Volksgruppe an.

Durch Beschluss vom 13. September 2013 (13a ZB 13.30037) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung der Beklagten hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsschutzes wegen Divergenz von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bezüglich der Annahme einer extremen Gefahr zugelassen.

Am 27. September 2013 hat die Beklagte die Berufung unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Zulassungsantrag begründet.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München

vom 24. Oktober 2012 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er habe vier Jahre lang die Schule besucht und dann seinem Vater in der Landwirtschaft geholfen. Nach dessen Tod sei er seinem Bruder zur Hand gegangen. Er habe zwar von seinem Vater Land bekommen, sei deswegen aber von seinem Onkel bedroht worden, so dass er Afghanistan verlassen habe. Ihm drohten nunmehr Gefahren durch die Taliban und insbesondere durch seinen Onkel. Dieser arbeite im Innenministerium in Kabul und habe ihn sogar bedroht, als er sich im Zuge der Ausreise kurzzeitig in Herat aufgehalten habe. Es gehe bei dem Streit auch um Baugrundstücke in Kabul. Das Land in seinem Heimatdorf Balagsan (bei Malestan) werde von Söhnen des Onkels bearbeitet. Im Übrigen habe er keinen Kontakt mehr zu seinem Onkel. Es sei hier von einer extremen Gefahrenlage auszugehen, welche ein Abschiebungsverbot in analoger Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründe. Er habe seit 2008 im Ausland gelebt. Es bestünde die Gefahr, dass er im Fall der Abschiebung in eine hilflose Lage geraten und den nächsten Winter nicht überleben würde. Er habe keine Chance auf dem derzeitigen Arbeitsmarkt in Afghanistan. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass gemäß den Erkenntnissen von amnesty international im Winter 2011/2012 und 2012/2013 mehr als 100 Personen in Flüchtlingslagern durch Erfrieren gestorben seien (Bericht vom 19.10.2012 und vom 21.1.2013). Der Kläger weist außerdem auf einen Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) aus der Sitzung vom 4. bis 6. Dezember 2013 (TOP 39) hin, demgemäß die IMK die Entwicklung der rückführungsrelevanten Situation in Afghanistan mit großer Aufmerksamkeit beobachte und der Auffassung sei, dass die bestehende Beschlusslage aus dem Jahr 2005 unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung - insbesondere infolge des Abzugs der ausländischen Streitkräfte - einer Überprüfung und Neubewertung bedürfe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig und begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylVfG) nicht verpflichtet festzustellen, dass für den Kläger ein national begründetes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht. Beim national begründeten Abschiebungsverbot handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand, weshalb alle entsprechenden Anspruchsgrundlagen zu prüfen sind (BVerwG, U. v. 8.9.2011 - 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 Rn. 16 und 17). Allerdings sind weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 noch diejenigen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig (EMRK) ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (U. v. 11.11.1997 - 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen („zielstaatsbezogene“ Abschiebungshindernisse). Dabei sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat können jedoch nur in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK wäre (BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167 unter Verweis auf EGMR, U. v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; U. v. 28.6.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681; U. v. 13.10.2011 - Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 - NJOZ 2012, 952).

Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird.

Eine individuelle erhebliche konkrete Gefahr i. S. v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG droht dem Kläger nicht.

Es ist nicht anzunehmen, dass dem Kläger bei Rückkehr in seine Heimatprovinz Ghazni eine Gefahr von Seiten seines Onkels drohen würde. Der Senat hält den Vortrag des Klägers nicht für glaubwürdig. Die diesbezüglichen Angaben vor dem Verwaltungsgericht und dem Verwaltungsgerichtshof weisen eine auffällige und nicht plausible Steigerung auf. In erster Instanz sprach der Kläger von Problemen mit seinem Onkel, die daher rührten, dass dieser die landwirtschaftlichen Grundstücke im Heimatdorf (für sich allein) bewirtschafte und ihm seine Ansprüche aus dem väterlichen Miteigentum streitig gemacht habe. Von (nicht näher beschriebenen) Drohungen war erst in der Berufungsverhandlung die Rede. Neu ist auch die Behauptung, der Onkel sei im Innenministerium beschäftigt, er habe den Kläger während eines einmonatigen Zwischenaufenthalts in Herat bedroht und es gebe außer den landwirtschaftlichen Flächen in der Provinz Ghazni auch noch Baugrundstücke in Kabul. Würden die geschilderten Ereignisse und Umstände den Tatsachen entsprechen, so wäre es unerklärlich, warum sie der Kläger nicht schon früher geltend gemacht hätte. Der Vortrag bezüglich des Zwischenaufenthalts in Herat entbehrt jeglicher Realitätsnähe. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Onkel dem Kläger nach dessen Weggang aus dem Heimatdorf noch nachgestellt haben sollte und wie es ihm gelungen sein könnte, ihn in Herat aufzuspüren. Bei kritischer Würdigung des gesteigerten Vortrags ist nach der Überzeugung des Senats allenfalls der Streit wegen der geltend gemachten Erbansprüche, aber nicht die fortgesetzte Bedrohung glaubwürdig.

Die erstmals in der Berufungsverhandlung geltend gemachte Bedrohung durch Taliban begründet die Annahme einer erheblichen konkreten Gefahr ebenfalls nicht. Sollte sich dieser Hinweis auf ein persönliches Bedrohungsszenario beziehen, so wäre er unbeachtlich, da gänzlich unsubstantiiert.

Soweit sich der Kläger auf die allgemeine Gefährdung durch die Taliban und die unzureichende Versorgungslage in Afghanistan bezieht, handelt es sich um allgemeine Gefahren im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die auch dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden können, wenn sie durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt werden, aber nur eine typische Auswirkung der allgemeinen Gefahrenlage sind (BVerwG, U. v. 8.12.1998 - 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77). Dann greift grundsätzlich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Eine Abschiebestoppanordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht (mehr). Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat durch die Verwaltungsvorschriften zum Ausländerrecht (BayVVAuslR) mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 16. April 2013 bezüglich der Rückführungen nach Afghanistan verfügt, dass nach wie vor vorrangig zurückzuführen sind alleinstehende männliche afghanische Staatsangehörige, die volljährig sind (s. BayVVAuslR Nr. C.3.2).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG; vgl. nur BVerwGE 99, 324; 102, 249; 108, 77; 114, 379; 137, 226). Diese Grundsätze über die Sperrwirkung bei allgemeinen Gefahren und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise verfassungskonforme Anwendung in den Fällen, in denen dem Betroffenen im Abschiebezielstaat eine extrem zugespitzte Gefahr droht, sind auch für die Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes maßgeblich (BVerwG, B. v. 23.8.2006 - 1 B 60.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 19).

Hinsichtlich der vom Kläger befürchteten allgemeinen Gefährdung durch Taliban (z. B. Sprengfallen) ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 60 Abs. 7 Satz 2 (a. F.) AufenthG schon nicht von einer erheblichen individuellen Gefahr auszugehen. Gemäß den Erkenntnissen des Senats lag das Risiko für Angehörige der Zivilbevölkerung, in der nach UNAMA zur Südostregion zählenden Provinz Ghazni durch (jegliche) militante Gewalt Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, im Jahr 2012 unter 1:1.000 (weniger als 0,1%). Diese Risikohöhe ist weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (BayVGH, U. v. 15.3.2013 - 13a B 12.30294 - juris Rn. 22 f.). Gemäß dem UNAMA-Bericht vom Juli 2013 (United Nations Assistance Mission in Afghanistan, Mid-Year Report 2013, Protection of Civilians in Armed Conflict) ist derzeit in der Südostregion nicht mit einer signifikanten Verschlechterung der Gefährdungslage oder einer wesentlichen Erhöhung des Risikos, Opfer militanter Gewalt zu werden, zu rechnen. Somit ist erst recht nicht von einer extremen Gefahr im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auszugehen.

Im Hinblick auf die unzureichende Versorgungslage hat sich die allgemeine Gefahr in Afghanistan für den Kläger ebenfalls nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist (vgl. ständige Rspr. des Senats, z. B. U. v. 8.12.2011 - 13a B 11.30276 - EzAR-NF 69 Nr. 11 = AuAS 2012, 35 -LS-; U. v. 20.1.2012 - 13a B 11.30425 - juris; U. v. 22.3.2013 - 13a B 12.30044 - juris; U. v. 4.6.2013 - 13a B 12.30063 - juris; U. v. 24.10.2013 - 13a B 13.30031 - juris; so auch VGH BW, U. v. 6.3.2012 - A 11 S 3177/11 - EzAR-NF 69 Nr. 13 - juris; VGH BW, U. v. 27.4.2012 - A 11 S 3079/11 - juris = DÖV 2012, 651 -LS-; OVG RhPf, U. v. 21.3.2012 - 8 A 11050/10.OVG - juris; SächsOVG, U. v. 10.10.2013 - A 1 A 474/09 - juris; HessVGH, U. v. 30.1.2014 - 8 A 119/12.A - juris). Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung hierfür aufgestellten Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226).

Nach der Rechtsprechung des Senats ergibt sich aus den Erkenntnismitteln nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher afghanischer Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Der Senat hat sich dabei zunächst u. a. auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom Januar 2012 (S. 26 ff.) gestützt, wonach sich nahezu alle volkswirtschaftlichen Indikatoren Afghanistans positiv entwickelt hätten. Von den verbesserten Rahmenbedingungen profitierten dem Lagebericht zufolge grundsätzlich auch Rückkehrer. Die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten sei allerdings nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen für Rückkehrer. Dort erfolge die Ansiedlung unter schwierigen Rahmenbedingungen; für eine permanente Ansiedlung seien die vorgesehenen „Townships“ kaum geeignet. Auch sei der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich.

Ähnliche Erkenntnisse haben sich für den Senat aus den weiter zugrunde gelegten Berichten ergeben. So geht der Sachverständige Dr. Danesch in seinem Gutachten vom 7. Oktober 2010 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich der Arbeitsmöglichkeiten davon aus, dass am ehesten noch junge kräftige Männer, häufig als Tagelöhner, einfache Jobs, bei denen harte körperliche Arbeit gefragt sei, fänden. In diesen Sektor, meist im Baugewerbe, ströme massiv die große Zahl junger Analphabeten. Ein älterer Mann, der vorher schon lange im Westen gelebt habe, hätte keine Chance auf einen solchen Arbeitsplatz. Hieraus konnte der Senat im Umkehrschluss die Folgerung ziehen, dass bei anderen Voraussetzungen eine Beschäftigung möglich ist. Nach der Stellungnahme vom 8. Juni 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz (zum dortigen Verfahren 6 A 11048/10.OVG) von Dr. Karin Lutze (stellvertretende Geschäftsführerin der AGEF - Arbeitsgruppe Entwicklung und Fachkräfte im Bereich der Migration und der Entwicklungszusammenarbeit i. L.) gebe es für qualifiziertes Personal ein umfangreiches Angebot an offenen Stellen. Für einen nicht oder gering qualifizierten Rückkehrer bestünden nur geringe Chancen für eine dauerhafte Beschäftigung mit geregeltem Einkommen. Das Existenzminimum für eine Person könne durch Aushilfsjobs ermöglicht werden (S. 9). Fälle, in denen Rückkehrer aufgrund von Hunger oder Unterernährung verstorben seien, seien nicht bekannt. Schließlich hat der Senat auch die Auskunft von ACCORD (Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation) vom 1. Juni 2012 herangezogen, in der ebenfalls auf die schwierige Arbeitssuche hingewiesen wird. Die meisten Männer und Jugendlichen würden versuchen, auf nahe gelegenen Märkten als Träger zu arbeiten. Aufgrund dieser Auskünfte sah der Senat deshalb die Annahme als gerechtfertigt an, dass grundsätzlich Arbeitsmöglichkeiten bestehen.

Der aktuelle Lagebericht vom 4. Juni 2013 (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: März 2013) formuliert die maßgeblichen Passagen zwar anders (S. 17 ff: „IV. Rückkehrerfragen“). Danach ist der Entwicklungsbedarf in Afghanistan weiterhin beträchtlich. Die Möglichkeiten des afghanischen Staats, die Grundbedürfnisse der eigenen Bevölkerung zu befriedigen und ein Mindestmaß an sozialen Dienstleistungen, etwa im Bildungsbereich, zur Verfügung zu stellen, würden aufgrund des rapiden Bevölkerungswachstums zusätzlich unter Druck geraten. Die Situation am Arbeitsmarkt stelle das Land vor besondere wirtschaftliche und soziale Herausforderungen. Die Grundversorgung sei für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung. Andererseits wird im Lagebericht dargestellt, dass zunehmend Arbeiter aus Bangladesch, Iran und Pakistan nach Afghanistan kommen, da hier höhere Gehälter bezahlt würden, wenngleich es an einer politischen Strategie zur Schaffung von Arbeitsplätzen fehle (S. 17). Auch sei die afghanische Wirtschaft in den vergangenen Jahren aufgrund der internationalen Präsenz ständig gewachsen, unterliege allerdings derzeit besonderen Herausforderungen. Die medizinische Versorgung sei zwar immer noch unzureichend, Verbesserungen seien aber erkennbar (S. 18). Zusammenfassend lassen sich dem Lagebericht vom 4. Juni 2013 damit keine für die Beurteilung der Gefahrenlage relevanten Änderungen entnehmen (BayVGH, U. v. 24.10.2013 a. a. O.).

Aufgrund der in den Auskünften geschilderten Rahmenbedingungen geht der Senat weiterhin davon aus, dass trotz großer Schwierigkeiten grundsätzlich auch für Rückkehrer durchaus Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts bestehen und jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten sind. Insbesondere Rückkehrer aus dem Westen sind in einer vergleichsweise guten Position. Allein schon durch Sprachkenntnisse sind ihre Chancen, einen Arbeitsplatz zu erhalten, gegenüber den Flüchtlingen, die in die Nachbarländer geflüchtet sind, wesentlich höher (Lagebericht 2012, S. 27). Hinzu kommt, dass eine extreme Gefahrenlage zwar auch dann besteht, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226), jedoch Mangelernährung, unzureichende Wohnverhältnisse und eine schwierige Arbeitssuche nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit „alsbald“ zu einer extremen Gefahr führen. Diese muss zwar nicht sofort, also noch am Tag der Ankunft eintreten. Erforderlich ist allerdings eine hinreichende zeitliche Nähe zwischen Rückkehr und unausweichlichem lebensbedrohenden Zustand. Die Gefahr muss sich alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies ist aus den genannten Erkenntnismitteln nicht ersichtlich. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amts (Auskunft vom 2.7.2013 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zum Verfahren 8 A 2344/11.A) dürfte es unwahrscheinlich sein, dass besonders in der Hauptstadt Kabul Personen verhungern oder verdursten.

Das vom Kläger unter Hinweis auf aktuelle Erkenntnisse von amnesty international geltend gemachte Risiko des Erfrierens begründet die Annahme einer extremen Gefahr ebenfalls nicht. Wie aus dem vom Kläger zitierten offenen Brief von amnesty international vom 19. Oktober 2012 (www.amnesty.org/en/news/afghanistan-urgent-assistance-needed-avoid-deaths) hervorgeht, gab es in den Flüchtlingslagern Afghanistans infolge des außerordentlich strengen Winters 2011/2012 über 100 Menschen, meistens Kinder, die an Kälte oder Krankheiten starben. Gemäß den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 6. August 2013 - HCR/EG/AFG/13/01 - besteht hinsichtlich der provisorischen und notdürftigen Unterkünfte für Binnenvertriebene sowie zurückkehrende Flüchtlinge folgende Situation: Die Betroffenen - in Kabul ca. 35.000 Personen -, die angesichts begrenzter Unterkunftsmöglichkeiten in informellen Siedlungen (Slums) leben müssten, seien dem strengen Winter schutzlos ausgeliefert. Infolge dessen seien in Kabul Anfang 2012 zehn Personen und Anfang 2013 17 Personen an der Kälte gestorben. Die meisten von ihnen seien Kinder (UNHCR a. a. O. Fn. 154, 157, 162). Nach der Auskunft des Auswärtigen Amts vom 2. Juli 2013 (a. a. O.) kommt es in Kabul im Winter gelegentlich vor, dass Personen, die keine winterfeste Bleibe haben, erfrieren. Hierbei handle es sich zumeist um Säuglinge. Das für die Kinder als besonders gefährdete Gruppe bestehende Risiko lässt sich jedoch nicht auf den Kläger als erwachsenen Mann übertragen.

Es ist auch nicht anzunehmen, dass der Kläger als Angehöriger der Minderheit der Hazara keine Chance hätte, sich als Tagelöhner oder Gelegenheitsarbeiter zu verdingen. Die vorliegenden Gutachten und Berichte enthalten keine entsprechenden Hinweise. Der Umstand, dass der Kläger noch nicht in Kabul gelebt und sich seit 2008 im Ausland aufgehalten hat, steht der Annahme, er könne sich in Kabul auf sich allein gestellt notfalls „durchschlagen“, ebenfalls nicht entgegen (BayVGH, U. v. 24.10.2013 a. a. O.).

Bei dieser Ausgangslage ist davon auszugehen, dass der Kläger selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer zwangsweisen Rückkehr in sein Heimatland in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten, etwa in Kabul, wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren. UNHCR ist ebenfalls der Auffassung, dass bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht komme (Richtlinien vom 6.8.2013 a. a. O. S. 9).

Der Hinweis auf den Beschluss der IMK zu TOP 39 (Rückführung nach Afghanistan) aus der Sitzung vom 4. bis 6. September 2013, demgemäß die abschiebungsrelevante Situation in Afghanistan der Überprüfung und Neubewertung bedürfe, vermag die Einschätzung des Senats nicht in Frage zu stellen. Die von der IMK zu klärende Frage, ob die Abschiebung afghanischer Staatsangehöriger ausgesetzt werden soll, richtet sich nach § 60a Abs. 1 AufenthG. Danach kann die Anordnung eines sog. Abschiebestopps aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland ergehen. Für die IMK besteht somit ein weites Entscheidungsspektrum (Bauer in Renner/Bergmann/Dienelt a. a. O., § 60a AufenthG Rn. 6). Die Frage hingegen, ob eine Extremgefahr für einen bestimmten Ausländer gegeben wäre, betrifft nur einen kleinen Ausschnitt dieses Spektrums und hängt somit nicht von der humanitären Bewertung der Sicherheits- und Gefährdungslage im Ganzen ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 22. März 2012 wird der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 18. Oktober 2011 aufgehoben.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger muslimischen Glaubens. Gemäß den Eintragungen im Reisepass wurde er am … 1990 Neu-Delhi (Indien) geboren. Er reiste im Januar 1991 zusammen mit seiner Familie ins Bundesgebiet ein. Im Jahr 1992 trennten sich die Eltern. Am 2. Juni 1993 stellte die Mutter des Klägers für sich und ihn Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte. Mit Bescheid vom 6. Oktober 1993 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (1.) die Asylanträge ab und stellte fest, dass (2.) die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und (3.) Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, und drohte (4.) die Abschiebung nach Afghanistan an. Aufgrund der hiergegen erhobenen Klage erließ das Verwaltungsgericht Ansbach am 29. November 1994 (Az. AN 22 K 93.56190) folgendes Urteil:

„1. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge wird unter Aufhebung der Ziffer 3 des Bescheides vom 6.10.1993 verpflichtet, zugunsten der Kläger festzustellen, dass die Voraussetzungen für eine Ermessensausübung gemäß §§ 53 Abs. 6 Satz 2, 54 AuslG gegeben sind; im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.

[2. Kosten].“

In den Entscheidungsgründen ist u.a. ausgeführt, „dass die Leibes- und Lebensgefahren in Afghanistan derzeit wesentlich erhöht sind“ [wegen Bürgerkriegsgefahren – unter Hinweis auf BayVGH, U.v. 28.10.1994 – 24 BA 94.33471 – InfAuslR 1995, 73]. Demgemäß stellte das Bundesamt in seiner Entscheidung vom 1. Februar 1995 fest, „dass die Voraussetzungen für eine Ermessensausübung gemäß §§ 53 Abs. 6 Satz 2, 54 AuslG gegeben sind.“

Mit Schreiben vom 11. August 2011 teilte die Stadt Nürnberg dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit, dass der Kläger derzeit eine Jugendstrafe in der JVA Ebrach bis zum 1. Oktober 2013 verbüße. Das Bundesamt wurde gebeten zu prüfen, ob die Feststellung vom 1. Februar 1995 widerrufen werden könne. Gemäß dem beigefügten Urteil des Amtsgerichts Nürnberg (Jugendschöffengericht) vom 16. Dezember 2010 (Az. 62 Ls 603 Js 36517/10) war der Kläger wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung zu einer Einheitsjugendstrafe von 2 Jahren 8 Monaten verurteilt worden, wobei eine frühere Jugendstrafe von 2 Jahren 3 Monaten wegen Diebstahls (Amtsgericht Nürnberg vom 13.1.2010) einbezogen war.

Mit Schreiben vom 5. Oktober 2011 teilte das Bundesamt dem Kläger mit, dass bezüglich der Feststellung des Abschiebungsschutzes ein Widerrufsverfahren nach § 73 AsylVfG eingeleitet worden sei. Die Situation habe sich zwischenzeitlich geändert, da er bei einer Rückkehr nach Afghanistan zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr mit einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben rechnen müsse. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2011 teilte der Kläger dem Bundesamt mit, dass er seit seinem ersten Lebensjahr immer in Deutschland gelebt habe. Er habe keinen Bezug zu Afghanistan, kenne dort niemand und beherrsche auch nicht die Landessprache. Im Fall der Abschiebung wäre er deshalb völlig auf sich allein gestellt. Mit Bescheid vom 18. Oktober 2011 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 1. Februar 1995 nach altem Recht getroffene Feststellung, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG vorliegt. Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Feststellung eines Abschiebungshindernisses gemäß § 53 Abs. 6 AuslG, der heute im wesentlichen § 60 Abs. 7 AufenthG entspreche, gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG zu widerrufen sei, weil die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nicht mehr vorlägen. Die Sachlage habe sich seit der Entscheidung des Bundesamts vom 1. Februar 1995 geändert. Eine extreme Gefahrenlage, die zum damaligen Zeitpunkt zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG geführt habe, sei nun nicht mehr gegeben. Die Gesamtversorgungslage habe sich infolge der überdurchschnittlichen Ernteergebnisse nach dem Dürrejahr 2008 signifikant verbessert. Die Sicherheits- und Versorgungslage sei zumindest im Raum Kabul, auf den zu verweisen sei, nicht derart schlecht, dass der Ausländer bei einer Rückkehr dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Aufgrund seiner qualifizierten Schulausbildung in Deutschland und seiner umfangreichen Sprachkenntnisse könnte er sich speziell in Kabul etablieren.

Die gegen den Widerrufsbescheid beim Verwaltungsgericht Ansbach erhobene Klage (AN 11 K 11.30501) begründete der Kläger damit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf nicht gegeben seien. Die Leibes- und Lebensgefahr sei in Afghanistan nach wie vor hoch. Der wahre Grund für den Widerruf sei die gegen ihn verhängte Jugendstrafe. Insofern sei der Hinweis auf die angeblich verbesserte Lage in Afghanistan nur vorgeschoben. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass er nie in Afghanistan gelebt habe. In der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2012 gab der Kläger an, dass er nach der Trennung seiner Eltern in Deutschland vorübergehend in einer Pflegefamilie gelebt habe. Er beabsichtige, nach Verbüßung der Jugendstrafe eine Berufsausbildung als Verkäufer zu machen. In Afghanistan könnte er allein nicht existieren. Sein Vater lebe in Nürnberg; wo seine Mutter lebe, wisse er nicht. Er beantragte, den Widerrufsbescheid aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Das Verwaltungsgericht wies die Klage durch Urteil vom 22. März 2012 ab. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG (erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit) nicht mehr gegeben seien. Trotz der überaus schlechten Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan könne nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass jeder Rückkehrer aus Europa mit einer existenziellen Bedrohung rechnen müsste. Die durch den Sturz der Taliban und den Einsatz internationaler Truppen unter Führung der ISAF geprägte aktuelle Sicherheitslage rechtfertige ein Abschiebungsverbot nicht. Dem Kläger stünden auch die geltend gemachten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht zu. Es sei nicht anzunehmen, dass der Kläger, der volljährig, gesund und arbeitsfähig sei, mit einer existenziellen Bedrohung rechnen müsste. Eine besondere Situation ergebe sich auch nicht daraus, dass der Kläger angegeben habe, die Landessprachen nicht ausreichend zu sprechen, und er in Afghanistan nicht sozialisiert sei.

Mit Beschluss vom 23. Januar 2013 (13a ZB 12.30152) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zugelassen. Es sei insbesondere zu klären, ob für Rückkehrer, sofern sie nicht über ausreichende Kenntnisse einer der Landessprachen Dari oder Paschtu verfügen, eine Chance bestehe, irgendeine Arbeit zu finden und wenigstens das Existenzminimum zu erlangen.

Der Kläger macht zur Begründung der Berufung Folgendes geltend: Als Kleinkind sei er zeitweilig in einer deutschen Pflegefamilie aufgewachsen. Im Alter von drei Jahren sei er in den Kindergarten gekommen und mit sechs Jahren in die Grundschule. Zu diesem Zeitpunkt habe er schon bei seinem Vater gelebt. Dieser habe mit ihm immer Deutsch gesprochen. Die Muttersprache seines Vaters, Dari, beherrsche er selbst nicht. Er habe den Hauptschulabschluss gemacht und danach die Berufsschule besucht. Ein Familienverband, der ihn unterstützen könnte, existiere in Afghanistan nicht. Auf sich allein gestellt wäre er im Fall der Abschiebung völlig hilf- und mittellos. Somit seien Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 und Art. 8 EMRK gegeben. Entgegen der Auffassung der Beklagten habe sich die Sachlage seit der Entscheidung vom 1. Februar 1995 gerade nicht in erheblicher Weise geändert.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 18. Oktober 2011 unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 22. März 2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Bezüglich der Sprachkenntnisse des Klägers verweist sie auf eine von der JVA Ebrach über den Kläger erstellte Personenbeschreibung vom 4. Februar 2011, welche folgenden Vermerk enthält: „Sprache(n): deutsch, afghanisch“.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylVfG) zu Unrecht abgewiesen. Der angefochtene Widerrufsbescheid des Bundesamts ist rechtswidrig (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Nach § 73c Abs. 2 AsylVfG (n.F.) ist die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entspricht dem damaligen § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, wonach von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden konnte, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bestand. Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben ist im vorliegenden Fall aber nach wie vor gegeben, wenngleich hier nicht mehr auf die damaligen Bürgerkriegsgefahren, sondern auf die existentielle Notlage mangels Ernährung abzustellen ist.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht in seiner aktuellen Rechtsprechung davon aus, dass die Angehörigen der Zivilbevölkerung in Afghanistan durch ihre bloße Anwesenheit keiner erheblichen Gefahr für Leib oder Leben infolge militanter Gewalt ausgesetzt sind (vgl. z.B. hier die Südregion: U.v. 21.6.2013 – 13a B 12.30170 – juris; für die Südostregion: U.v. 4.6.2013 – 13a B 12.30063 – juris; für die Ostregion: U.v. 15.3.2013 – 13a B 12.30121 – juris; für die Zentralregion: U.v. 1.2.2013 –13a B 12.30045 – juris).

Die Voraussetzungen für die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind bei dem Kläger aber unter dem Gesichtspunkt einer extremen Gefahr nach wie vor gegeben. Eine Gefahr im Sinn von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann grundsätzlich auch in einer unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan, die insbesondere für Rückkehrer ohne Berufsausbildung und ohne familiäre Unterstützung besteht, begründet sein. Dies stellt jedoch eine allgemeine Gefahr im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 (n.F.) AufenthG dar, die auch dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden kann, wenn sie durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt wird, aber nur eine typische Auswirkung der allgemeinen Gefahrenlage ist (BVerwG, U.v. 8.12.1998 – 9 C 4.98 – BVerwGE 108, 77). Dann greift grundsätzlich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 (n.F.) AufenthG. Demnach sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, (nur) bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Eine Abschiebestoppanordnung nach dieser Vorschrift besteht jedoch für die Personengruppe, welcher der Kläger angehört, nicht (mehr). Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat durch die Verwaltungsvorschriften zum Ausländerrecht (BayVVAuslR) mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 16. April 2013 bezüglich der Rückführungen nach Afghanistan verfügt, dass nach wie vor vorrangig zurückzuführen sind alleinstehende männliche afghanische Staatsangehörige, die volljährig sind (s. BayVVAuslR Nr. C.3.2).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 (n.F.) AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG; vgl. nur BVerwGE 99, 324; 102, 249; 108, 77; 114, 379; 137, 226; 140, 319).

Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren – zeitlichen – Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226 NVwZ-RR 2011, 48).

Nach der Rechtsprechung des Senats (z.B. U.v. 24.10.2013 – 13a B 13.30031 – juris) ergibt sich aus den Erkenntnismitteln nicht, dass jeder afghanischer Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan nach wie vor schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau grundsätzlich nicht anzunehmen, dass einem alleinstehenden arbeitsfähigen männlichen Rückkehrer bei einer Abschiebung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Dies gilt selbst dann, wenn ein (Dari sprechender) Mann Afghanistan schon im Kleinkindesalter verlassen hatte.

Gemäß den vorliegenden Erkenntnismitteln, insbesondere dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Danesch vom 7. Oktober 2010, der Stellungnahme der ehemaligen stellvertretenden Geschäftsführerin der AGEF Dr. Lutze vom 8. Juni 2011, der Auskunft von ACCORD (Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation) vom 1. Juni 2012, dem Lagebericht des Auswärtiges Amts vom 4. Juni 2013 (Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: März 2013) und den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom August 2013, geht der Senat davon aus, dass arbeitsfähige Rückkehrer trotz großer Schwierigkeiten die Chance haben, ihr Existenzminimum als Tagelöhner oder Gelegenheitsarbeiter zu erlangen.

Aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls ist jedoch anzunehmen, dass es dem Kläger nicht gelingen wird, sich etwa in Kabul notdürftig „durchzuschlagen“. Da er die beiden Landessprachen Dari und Paschtu (Wikipedia, Enzyklopädie, Artikel Afghanistan, Abschn. 3.2 – de.wikipedia.org) nicht beherrscht, hätte er keine reelle Chance, als Tagelöhner irgendwelche Aufträge zu erhalten und diese zu verrichten. Ohne die Möglichkeit einer Verständigung mit den Einheimischen ist nicht zu erwarten, dass er Interessenten seine Arbeitskraft anbieten könnte. Bei einer Analphabetenrate von ca. 70% (Lagebericht S. 17) und einem niedrigen Prozentsatz höherer Bildungsabschlüsse kommt auch eine Kommunikation in einer Fremdsprache im täglichen Leben nicht in Betracht. Mangels nennenswerten Vermögens und ohne familiären Rückhalt wäre der Kläger somit der Gefahr des baldigen Verhungerns ausgesetzt.

Der Senat ist aufgrund der Klagebegründung und der eingehenden Befragung in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass Deutsch die alleinige Muttersprache des Klägers ist. Der Kläger spricht ein einwandfreies Deutsch (flüssig, wortreich und grammatikalisch richtig) ohne einen ausländischen Akzent. Da er schon als Dreijähriger in den Kindergarten kam und damals zeitweilig bei einer deutschen Pflegefamilie lebte, war er schon als Kleinkind mit der deutschen Sprache aufgewachsen. Wenngleich der Kläger als Kind und als Jugendlicher im Haushalt seines Vaters in Nürnberg aufwuchs, ist nicht zu vermuten, dass er dabei Dari, die Muttersprache seines Vaters, angenommen hat. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, dass er mit seinem Vater Deutsch gesprochen habe. Dies erscheint plausibel, weil die gewandte Ausdrucksweise des Klägers zeigt, dass er Deutsch nicht nur halbwegs oder als zweite Sprache erlernt hat. Falls er als Kleinkind bei seiner Mutter auch etwas Dari gesprochen haben sollte, entspräche es der Lebenserfahrung, dass sich diese Kenntnisse im Laufe der Jahre verloren haben. Die von der Beklagten vorgelegte Personenbeschreibung der JVA Ebrach vom 4. Februar 2011 mit dem Vermerk „Sprache(n): Deutsch, Afghanisch“ ist nicht geeignet, die Kenntnis der Sprache Dari zu beweisen. Da es „Afghanisch“ als Sprache nicht gibt, dürfte der betreffende Vermerk des Vollzugsbeamten eine ungeprüfte Ableitung aus der Staatsangehörigkeit sein. Sonstige, vom Bundesamt nicht angeführte Anzeichen dafür, dass der Kläger auch Dari spricht, gibt es nicht (zum Erfordernis der Heranziehung aller für einen Widerruf erheblichen Umstände vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 17.12 – BVerwGE 146, 31).

Die Tatsache, dass der Kläger schon des Öfteren straffällig geworden ist – wobei das Jugendschöffengericht viermal auf Jugendstrafe erkannte – steht dem hier festgestellten Abschiebungsverbot nicht entgegen. Die Vorschrift des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG, wonach die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgeschlossen ist, wenn der betreffende Ausländer wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist, greift hier nicht ein, weil die zuletzt vom Amtsgericht Nürnberg mit Urteil vom 16. Dezember 2010 verhängte Einheitjugendstrafe von zwei Jahren acht Monaten unter dieser Grenze liegt und weil diese Vorschrift ohnehin nicht auf Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG anzuwenden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.