Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 01. Dez. 2011 - 4 LB 8/11

ECLI: ECLI:DE:OVGSH:2011:1201.4LB8.11.0A
published on 01/12/2011 00:00
Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 01. Dez. 2011 - 4 LB 8/11
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Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 2. Kammer - vom 07. April 2009 geändert.

Der Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2008 wird aufgehoben.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Flüchtlingsanerkennung.

2

Der am 06. September 1981 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste – minderjährig – im September 1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 13. Januar 1997 einen Antrag auf Gewährung politischen Asyls stellte. Zur Begründung machte er seinerzeit im Wesentlichen geltend, er habe die Türkei verlassen, weil die Jugendlichen dort unterdrückt worden seien. Man habe von ihm etwa Mitte 1995 verlangt, mit dem Staat zusammen zu arbeiten und Dorfschützer zu werden. Er stamme aus einem Dorf nahe der türkisch-syrischen Grenze und habe gegen die PKK kämpfen sollen. Auch habe er zusammen mit anderen Jugendlichen auf Baustellen der Militärs arbeiten müssen. Man habe sie beschuldigt, die PKK zu unterstützen. Sein Vater sei wiederholt festgenommen worden. Im Falle der Rückkehr befürchte er, zwangsweise als Dorfschützer eingesetzt zu werden und zum Wehrdienst eingezogen zu werden.

3

Mit Bescheid vom 30. Januar 1997 lehnte das seinerzeitige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a. F. sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG a. F. nicht vorlägen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde dem Kläger die Abschiebung in die Türkei angedroht. Die daraufhin erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Mit rechtskräftigem Urteil vom 06. März 2002 (Az.: 21 A 443/01) hob das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht die sich auf die Türkei beziehende Abschiebungsandrohung auf und verpflichtete die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Feststellung, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliegen. Die Abweisung der Asylklage wurde im Wesentlichen damit begründet, der Kläger habe eine politische Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Er sei unverfolgt ausgereist. Die von ihm geschilderten Ereignisse würden das typische Erscheinungsbild einer örtlich begrenzten Verfolgung darstellen. Auch aus dem Umstand, dass sich der Kläger durch seine Ausreise der Ableistung seiner Wehrpflicht in der Türkei entzogen habe, ergäben sich keine Anhaltspunkte für die Gefahr einer politischen Verfolgung iSd Art. 16 a Abs. 1 GG. Die vom Kläger dargelegten exilpolitischen Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland könnten als subjektive Nachfluchtgründe den Asylanspruch nicht tragen. Der Kläger sei unverfolgt, ohne erkennbar betätigte und gefestigte politische Überzeugung ausgereist. Auch wenn er vortrage, aus einer politisch interessierten Familie zu stammen, habe er zu keinem Zeitpunkt dargelegt, sich in seinem Heimatland aktiv für die „kurdische Sache“ eingesetzt zu haben, obgleich er hierzu auch im Alter von 15 Jahren in der Lage gewesen wäre. Allerdings stehe dem Kläger aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten ein Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG zu, da er im Falle der Rückkehr in sein Heimatland eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende politische Verfolgung glaubhaft gemacht habe, ohne dass ihm insoweit eine zumutbare inländische Fluchtalternative zur Verfügung stünde. Hiervon sei aufgrund der vom Kläger dargelegten exilpolitischen Aktivitäten insbesondere in der YCK (Union der Jugendlichen aus Kurdistan), einer Unterorganisation der PKK, in deren Rahmen er sich in einer auch für die türkischen Sicherheitsbehörden deutlich erkennbaren Stellung betätigt habe, auszugehen. Ein beachtlich wahrscheinliches Verfolgungsrisiko bestehe regelmäßig bei profilierten Aktivisten von Vereinen, die als von der PKK dominiert oder beeinflusst gelten oder von Seiten des türkischen Staates als vergleichbar militant staatsfeindlich eingestuft werden, die sich in herausgehobener oder jedenfalls erkennbarer Stellung betätigen. Unter Berücksichtigung der schlüssigen und überzeugenden Darlegung des Klägers in der mündlichen Verhandlung stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es sich bei dem Kläger um einen in der vorgenannten Art hervorgehobenen Aktivisten handele. Er sei nicht nur Mitglied in der Organisation der PKK für Jugendliche, der YCK (Union der Jugendlichen aus Kurdistan) und nehme als solches an 14-täglich stattfindenden Versammlungen in D-Stadt teil, in denen er u. a. kurdische Jugendliche über kurdische Kultur unterrichte, er verteile auch die monatlich erscheinende Veröffentlichung der YCK, die Sterka Ciwan, und sei für die Dauer eines Monats im Schulungscamp der PKK in Holland gewesen, wo er über die Geschichte Kurdistans und die Ziele der PKK unterrichtet worden sei. Er sei darüber hinaus Mitglied der Kieler Deutsch-Kurdischen Gesellschaft e. V., einer Organisation, die als offizieller Mitgliedsverein der am 27. März 1994 in Bochum gegründeten Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V. (YEK-KOM), einem Dachverband PKK-naher kurdischer Vereine im Bundesgebiet als der PKK nahestehend anzusehen sei. Die Gründung der YEK-KOM sei seinerzeit als Reaktion der PKK auf das Verbot der „Föderation der patriotischen Arbeiter- und Kulturvereinigungen in Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland“ (DEKA-Kurdistan) am 26.11.1993 durch die Bundesinnenminister erfolgt. Nach der Auskunftslage wisse in D-Stadt jeder lebende Mensch türkischer und/oder kurdischer Abstammung, dass die Deutsch-Kurdische Gesellschaft, D-Stadt, der PKK nahestehe und betrachte die Mitglieder und Aktivisten als Mitglieder der PKK. Dieses sei auch dem Türkischen Generalkonsulat in A-Stadt bekannt. Die meisten türkisch-stämmigen Familien würden die Mitglieder und Sympathisanten als Landesverräter und Feinde des türkischen Staates betrachten. Darüber hinaus sei – ausweislich der von dem Kläger vorgelegten entsprechenden Ausgabe im Original – ein Interview des Klägers in der Zeitung „Özgür Politika“ vom 02.06.2001 unter Nennung seines Namens veröffentlicht worden. Bei dieser Zeitschrift handele es sich um das Sprachrohr der PKK. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der türkische Staat umfangreiche organisatorische Maßnahmen zur Überwachung der kurdischen nationalen Opposition im Ausland getroffen habe und die Personalien von Kadern der PKK und ähnlich militante staatsfeindlicher Exilorganisationen erfasse und bei der zuständigen Behörde registriere, sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die türkischen Sicherheitskräfte den Kläger aufgrund seines exponierten Auftretens in der Jugendorganisation der PKK, der YCK, zum einen und seiner namentlichen Nennung in der „Özgür Politika“ zum anderen ohne Weiteres dem der PKK nahestehenden Personenkreis zuordnen würden, so dass ein beachtlich wahrscheinliches Risiko zu seinen Lasten im Falle seiner Rückkehr in die Türkei auf der Hand liege.

4

Aufgrund des Urteils vom 06. März 2002 stellte das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 15. April 2002 unter Hinweis auf die ihm auferlegte Verpflichtung für den Kläger das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a. F. hinsichtlich der Türkei fest.

5

Am 05. Juni 2008 leitete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Widerrufsverfahren gemäß § 73 AsylVfG ein. Der Kläger wurde darauf hingewiesen, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft allein aufgrund exilpolitischer Aktivitäten erfolgt sei. Nach den Reformen in der Türkei aus jüngster Zeit sei jedoch davon auszugehen, dass ein Verfolgungsinteresse des türkischen Staates nur dann gegeben sei, wenn der Verdacht bestehe, exilpolitische Aktivitäten könnten nach türkischem Recht strafbar sein. Hierfür lägen keine Anhaltspunkte vor. Der Kläger könne nach Aktenlage die Rückkehr in das Heimatland auch nicht aus zwingenden Gründen, die auf früheren Verfolgungen beruhten, ablehnen. Deshalb sei beabsichtigt, die ihm zuerkannte Begünstigung zu widerrufen.

6

Der Kläger machte im Rahmen seiner Anhörung im Wesentlichen geltend, die Verhältnisse in der Türkei hätten sich nicht asylrelevant geändert.

7

Mit Bescheid vom 16. Juli 2008 widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die mit Bescheid vom 15. April 2002 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen und stellte zugleich fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen. Wegen der Begründung wird auf den Bescheid vom 16. Juli 2008 verwiesen.

8

Am 30. Juli 2008 hat der Kläger Klage erhoben.

9

Er hat im Wesentlichen geltend gemacht, der Widerrufsbescheid sei rechtswidrig, da sich die Verhältnisse in der Türkei nicht asylrelevant, d. h., erheblich und dauerhaft geändert hätten. Auch sei zu berücksichtigen, dass er in der Türkei wegen seiner Militärdienstentziehung gesucht würde und den dortigen Sicherheitskräften im Übrigen sein Aufenthalt in Deutschland sowie seine politischen Aktivitäten bekannt seien.

10

Im Rahmen seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ausgeführt, er sei unverändert Mitglied in der Deutsch-Kurdischen Gesellschaft in D-Stadt. Er sei dort auch bei Aktionen und Aktivitäten beteiligt. Die Veränderungen in der Türkei einschließlich des geltend gemachten Reformprozesses würden dort diskutiert. Sie seien aber nicht der Meinung, dass sich etwas Wesentliches geändert habe. Im Verhältnis zu früher sei er eher mehr als weniger aktiv. So habe er an den Newroz-Feierlichkeiten teilgenommen, auch an einer Veranstaltung in Hannover. Allerdings schreibe er keine Artikel mehr. In diesem Bereich halte er sich seit geraumer Zeit zurück, da er wegen einer seinerzeitigen Veröffentlichung zur Polizei vorgeladen worden sei. Man habe ihm Vorhaltungen gemacht, dass es angeblich Beweise gegen ihn im Zusammenhang mit der PKK gebe. Außerdem habe er im Falle einer Rückkehr Angst, zum Militärdienst eingezogen zu werden. Er lehne es ab, gegen sein eigenes Volk kämpfen zu müssen. Vor etwa sechs Monaten sei ein Onkel in Mersin nach ihm gefragt worden. Er sei in seinem ganzen Leben noch nicht in Mersin gewesen. Wenn man aber schon dort nach ihm frage, könne man sich vorstellen, was es für ihn bedeuten würde, in die Türkei zurückzukehren. Er müsse auch mit einer strafrechtlichen Verfolgung wegen Militärdienstentziehung rechnen. Im Jahre 2006 seien der Onkel seiner Mutter und dessen Frau in Midyat getötet worden. Wenn schon 80jährige dort getötet würden, was müssten dann erst junge Menschen befürchten.

11

Der Kläger hat beantragt,

12

den Bescheid des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 16. Juli 2008 aufzuheben.

13

Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

15

Die Beklagte hat zur Begründung auf den Inhalt des streitgegenständlichen Widerrufsbescheides verwiesen.

16

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 07. April 2009 abgewiesen. Der Widerrufsentscheidung stehe nicht das rechtskräftige Verpflichtungsurteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 06. März 2002 entgegen, da eine wesentliche, entscheidungserhebliche Änderung der Sachlage festzustellen sei. In den Fällen, in denen – wie hier – die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht auf einer individuellen Vorverfolgung beruhe, sondern Folge angenommener subjektiver Nachfluchtgründe sei, setze der Widerruf dieses Status nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG voraus, dass sich die zum Zeitpunkt der Zuerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat die Gefahr asylrelevanter Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit nicht (mehr) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Zwar hätten sich die Verhältnisse in der Türkei noch nicht derart verändert, dass von einer hinreichenden Sicherheit ausgegangen werden könne, weil nach wie vor eine nicht auszuschließende, ernsthafte Möglichkeit bestehe, in der Türkei im Rahmen polizeilicher Maßnahmen, insbesondere Gewahrsamsnahmen, Opfer von Misshandlungen zu werden. Nach Einschätzung des Gerichts wäre der Kläger im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland aber keinem beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsrisiko mehr ausgesetzt. Zu dem Personenkreis der politisch Aktiven, die aus der Sicht des türkischen Staates durch Art, Intensität und Gewicht ihrer auf Einflussnahme auf die politische Willensbildung der in Deutschland lebenden Landsleute abzielenden politischen Arbeit prägend auf die Umwelt einwirkten und die Meinungsbildung mitgestalteten, zähle der Kläger heute ersichtlich nicht mehr. Seine frühere exponierte Stellung innerhalb der YCK habe der Kläger nach dem in der mündlichen Verhandlung vermittelten Eindruck aufgegeben und auch seine einmalige namentliche Nennung in der Zeitung „Özgür Politika“ vom 02. Juni 2001 als Organisator eines Fußballturniers liege mittlerweile nahezu acht Jahre zurück, ohne dass es weitere Berichte über den Kläger in dieser Zeitschrift gegeben habe oder gar von ihm selbst verfasste Texte dort veröffentlicht worden wären. Die vom Kläger geschilderten aktuellen exilpolitischen Aktivitäten seit der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus im April 2002 seien gegenüber seiner ursprünglichen Betätigung, die schwerpunktmäßig in den Jahren 2000 und 2001 erfolgt sei, deutlich zurückgegangen. Vor dem Hintergrund einer Jahre zurückliegenden exponierten exilpolitischen Betätigung des seinerzeit jugendlichen Klägers und seiner nunmehr erheblich eingeschränkten Aktivitäten, die keinerlei staatliches Interesse auf Seiten der Türkei begründen würden, lasse sich eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr bei Rückkehr in die Türkei nicht mehr feststellen. Dies gelte auch vor dem Hintergrund nicht abgeleisteten Wehrdienstes. Zwar möge es sein, dass der Kläger bei der Einreise aus Deutschland von den Sicherheitsbehörden an der Grenze als Wehrdienstflüchtiger erkannt und festgenommen werde. Es gebe aber keine Erkenntnisse darüber, dass ihm in einem solchen Falle Folter drohe, zumal die Wehrdienstentziehung durch Flucht ins Ausland ohne weitere Verdachtsmomente nicht als Sympathie für separatistische Bestrebungen ausgelegt werde. Zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe, auf denen der Kläger gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG die Rückkehr in die Türkei ablehnen könnte, seien nicht ersichtlich.

17

Am 4. September 2009 hat der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das ihm am 6. August 2009 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts beantragt.

18

Der Senat hat mit Beschluss vom 28. Oktober 2009 auf Antrag des Klägers die Berufung zugelassen.

19

Der Kläger vertritt die Auffassung, bei der Beurteilung der Verfolgungswahrscheinlichkeit müsse der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab angewandt werden. Das Flüchtlingsrecht diene auch der Schaffung dauerhafter Zustände. Jedenfalls hinsichtlich einer der ursprünglich drohenden Verfolgung gleichartigen Verfolgung sei im Widerrufsverfahren der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde zu legen. Von einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Verhältnisse könne nur ausgegangen werden, wenn eine der ursprünglich geltend gemachten gleichartige Verfolgung hinreichend sicher auszuschließen sei. Im Übrigen hätten sich die Verhältnisse in der Türkei auch nicht derart verändert, dass nunmehr keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung wegen damals asylrelevanter exilpolitischer Aktivitäten mehr gegeben sei. Von einer nachhaltigen und stabilen Veränderung der Verhältnisse für Personen, die im Verdacht stehen, die PKK zu unterstützen, könne keine Rede sein. Soweit er sich in der letzten Zeit nicht mehr exponiert betätigt habe, werde dies dadurch „ausgeglichen“, dass er bei Rückkehr ohnehin eine Festnahme zu erwarten habe. Er werde nach wie vor wegen Nichtantritts des Wehrdienstes gesucht. Seine Eltern hätten eine entsprechende Ladung erhalten.

20

Der Kläger beantragt,

21

unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2008 aufzuheben.

22

Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

24

Sie hält den angefochtenen Widerrufsbescheid für rechtmäßig. Da die Qualifikationsrichtlinie das Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe nicht übernommen habe, setze der Widerruf nur voraus, dass die ursprüngliche Verfolgung nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe. Auf Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie könne sich der Kläger mangels Vorverfolgung nicht berufen. Die ursprünglich zur Flüchtlingsanerkennung führende Gefahr der Folter oder Misshandlung wegen exilpolitischer Aktivitäten für der PKK nahestehende Organisationen habe in der Türkei mittlerweile nur noch Ausnahmecharakter; darin liege eine erhebliche Veränderung.

25

Das Bundesverwaltungsgericht hat auf die Revision der Beklagten hin das der Berufung stattgebende Urteil des Senats vom 09. Februar 2010 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Wegen der Gründe wird auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 01. Juni 2011 (Az.: 10 C 10.10) Bezug genommen.

26

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, insbesondere auf den Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 28.11.2011, und auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist begründet. Der angefochtene Widerrufsbescheid vom 16. Juli 2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er war deshalb aufzuheben.

28

Maßgebliche Rechtsgrundlage ist § 73 Abs. 1 S. 2 AsylVfG in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 02. September 2008, BGBl. I S. 1798).

29

Nach § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gem. § 73 Abs. 1 S. 2 AsylVfG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

30

Im Hinblick auf das in § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG enthaltene Tatbestandsmerkmal der “Unverzüglichkeit“ begegnet der Widerruf allerdings keinen Bedenken. Das Gebot der Unverzüglichkeit dient nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausschließlich öffentlichen Interessen, so dass ein etwaiger Verstoß dagegen keine Rechte des Betroffenen Ausländers verletzten kann. Die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 S. 2, § 48 Abs. 4 VwlVfG findet jedenfalls in den Fällen keine Anwendung, in denen die Flüchtlingsanerkennung innerhalb der 3-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2 a AsylVfG widerrufen wird. Diese Vorschrift enthält eine bereichsspezifische Sonderregelung, welche die allgemeine Widerrufsfrist nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz verdrängt und auch für Altanerkennungen gilt (vgl. BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 10.10 -, juris unter Hinweis auf die Urteile v. 12.06.2007 - 10 C 24.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 und v. 18.07.2006 - 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243).

31

Der angefochtene Bescheid ist auch nicht wegen Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig. Durch die klarstellende Neuregelung in § 73 Abs. 7 AsylVfG ist geklärt, dass in den Fällen, in denen - wie vorliegend - die Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung vor dem 01. Januar 2005 unanfechtbar geworden ist, die Prüfung nach § 73 Abs. 2 a S. 1 AsylVfG spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu erfolgen hat. Damit hat der Gesetzgeber eine Übergangsregelung für vor dem 01. Januar 2005 unanfechtbar gewordene Altanerkennungen getroffen und festgelegt, bis wann diese auf einen Widerruf oder eine Rücknahme zu überprüfen sind. Daraus folgt, dass es vor einer solchen Prüfung und Verneinung der Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen in dem seit dem 01. Januar 2005 vorgeschriebenen Verfahren (Negativentscheidung) keiner Ermessensentscheidung bedarf (BVerwG, Urt. v. 25.11.2008 - 10 C 53.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 31).

32

Nach § 73 Abs. 1 S. 2 AsylVfG liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft insbesondere dann nicht mehr vor, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Hierbei ist - unter anderem - zu prüfen, ob der Flüchtling aufgrund der erheblichen Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr noch mit Verfolgung rechnen muss. Dabei findet - unabhängig davon, ob der Flüchtling Vorverfolgung erlitten hat - der Wahrscheinlichkeitsmaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Anwendung. Dies ergibt sich aus folgendem:

33

Mit § 73 Abs. 1 S. 2 AsylVfG hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchstabe e und f der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 v. 30.09.2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 v. 05.08.2005 S. 24) und über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt. Daher sind die Widerrufsvoraussetzungen in § 73 Abs. 1 S. 1 und 2 AsylVfG unionsrechtskonform im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen, die sich ihrerseits an Art. 1 C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - orientieren (BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 25.10 - InfAuslR 2011,408). Dies gilt auch für Fälle, in denen die zugrundeliegenden Schutzanträge - wie vorliegend - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind.

34

Das Bundesverwaltungsgericht hat, insbesondere unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zur Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft (EuGH, Urt. v. 02.03.2010 [Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505]) seine frühere Rechtsprechung aufgegeben, wonach der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung voraussetzte, dass sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich so verändert haben mussten, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist (so Urteile v. 01.11.2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 277, 281 u. v. 12.06.2007 - BVerwG 10 C 24.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 28). Unionsrechtlich gilt bei Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung erlitten hat. Dieser in den Tatbestandsmerkmal „… aus der begründeten Furcht vor Verfolgung …“ des Art. 2 Buchstabe c der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. nur EGMR, Gr. Kammer, Urt. v. 28.02.2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, a.a.O.).

35

Aus der konstruktiven Spiegelbildlichkeit der Anerkennungs- und Erlöschensprüfung, in der die gleiche Frage des Vorliegens einer begründeten Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 9 i.V.m. Art. 10 der Richtlinie zu beurteilen ist, ergibt sich, dass darauf abzustellen ist, ob noch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung besteht. Die Richtlinie kennt nur einen einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zur Beurteilung der Verfolgungsgefahr unabhängig davon, in welchem Stadium - Zuerkennen oder Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft - diese geprüft wird. Anhaltspunkte dafür, dass der deutsche Gesetzgeber mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 bei der Flüchtlingsanerkennung an den unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäben des nationalen Rechts festhalten wollte, bestehen nicht. Vielmehr belegt der neu eingefügte § 60 Abs. 1 S. 5 AufenthG, demzufolge für die Feststellung einer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG unter anderem Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ergänzend anzuwenden ist, dass der Gesetzgeber sich den beweisrechtlichen Ansatz der Richtlinie zu Eigen gemacht hat, wonach in Privilegierung des Vorverfolgten bzw. in anderer Weise Geschädigten Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG eine tatsächliche Vermutung dahingehend normiert, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden, wodurch der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet wird, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Auf die Frage, ob die Mitgliedsstaaten überhaupt bei der Regelung von Widerrufsverfahren von der unionsrechtlichen Vorgabe eines einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes nach Art. 3 der Richtlinie zugunsten des Betroffenen abweichen durften, kommt es deshalb nicht mehr an.

36

Die für den Widerruf gem. § 73 Abs. 1 AsylVfG erforderliche erhebliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände setzt voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland mit Blick auf die Faktoren, aus denen die zur Flüchtlingsanerkennung führende Verfolgungsgefahr hergeleitet worden ist, deutlich und wesentlich geändert haben. Der Maßstab der Erheblichkeit für die Veränderung der Umstände hat sich dabei danach zu bestimmen, ob noch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung besteht (BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 25.10, a.a.O. unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 2. März 2010 Rs. C-175/08 u.a. -NVwZ 2010,505). Gegenüber dem Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung muss sich durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben. Die Neubeurteilung einer im Kern unveränderten Sachlage reicht nicht aus, weil reiner Zeitablauf für sich genommen keine Sachlagenänderung bewirkt (BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, a.a.O.).

37

Die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland Türkei haben sich seit der aufgrund des Verpflichtungsurteils vom 06. März 2002 erfolgten Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG a.F. durch Bescheid vom 15. April 2002 geändert (vgl. hierzu auch: OVG Saarland, Urt. v. 25.08.2011 - 3 A 35/10 -, juris).

38

Das Auswärtiges Amt beschreibt diese Veränderungen in seinem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Februar 2011; im Folgenden: Lagebericht 2011) folgendermaßen:

39

Die rechtliche Entwicklung der vergangenen Jahre in der Türkei ist hiernach gekennzeichnet durch einen tiefgreifenden Reformprozess, der wesentliche Teile der Rechtsordnung (besonders im Strafrecht, aber auch im Zivil- oder Verfassungsrecht) erfasst hat und auf große Teile der Gesellschaft ausstrahlt. Im Jahre 2010 hat die Regierung durch ein erfolgreiches Verfassungsreferendum bislang offene Aufgaben erledigt (z.B. Stärkung der Rechte der Gewerkschaften, Ombudsmann-Gesetz, Gleichstellung, Verfassungsbeschwerde, Datenschutz). Das politische System insgesamt hat sich in den letzten Jahren verändert, die Bedeutung des Militärs ist graduell zurückgegangen. Auch im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit hat es Fortschritte gegeben. Ehemalige Tabu-Themen (Kurden, Armenien, Militär) können offener als früher diskutiert werden Die Bedeutung des Militärs und der Sicherheitskräfte ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Die zivile Kontrolle der Streitkräfte wurde in den letzten Jahren wesentlich gestärkt, zuletzt im September 2010 durch die Abschaffung der Militärjustiz für Zivilpersonen, die Einführung der Jurisdiktionsgewalt des Verfassungsgerichts über den Oberbefehlshaber der Streitkräfte und die Offenlegung des Militärbudgets gegenüber dem Parlament. Menschenrechtsorganisationen können wie andere Vereinigungen gegründet und betrieben werden, unterliegen jedoch (wie alle Vereine) der rechtlichen Aufsicht durch das Innenministerium nach Maßgabe des Vereinsgesetzes. Das „Präsidium für Menschenrechte“ untersteht als staatliche eigenständige Behörde mit ungefähr 20 Beschäftigten formal dem Ministerpräsidenten. Es besteht die Möglichkeit, sich über sogenannte „Menschenrechtsantragskästen“ in städtischen Einrichtungen über Menschenrechtsverstöße zu beschweren. Auch spricht der Parlamentsausschuss für Menschenrechte Missstände im Land an. Das am 23. November 2004 novellierte Vereinsgesetz erlaubt die Gründung von Vereinen auf der Grundlage der Zugehörigkeit unter anderem zu einer Religion oder Volksgruppe innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens. Türkisch muss nur noch in der offiziellen Korrespondenz des Vereins mit staatlichen Institutionen benutzt werden.

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Im Vergleich zur Situation vor 2005 berichtet die Presse freier und kritischer, insbesondere auch in Bezug auf die Regierung und auf Menschenrechtsverstöße. Über die Kurdenthematik wird offen berichtet. Auch die Möglichkeiten zur Kritik am Militär haben sich deutlich verbessert. Der private Gebrauch des Kurdischen, das heißt der beiden in der Türkei vorwiegend gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmanci und Zaza, ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt. 2010 wurde durch eine Änderung des Wahlgesetzes das Verbot von Wahlwerbung in einer anderen Sprache als Türkisch aufgehoben. Seit 2009 sendet der staatliche TV-Sender TRT 6 ein 24-Stunden-Programm in kurdischer Sprache. Die bisher geltenden zeitlichen Beschränkungen für Privatfernsehen in „Sprachen und Dialekten, die traditionell von türkischen Bürgern im Alltag gesprochen werden“ wurde aufgehoben. An der staatlichen Atakule Universität in Mardin wurde 2010 ein „Institut für lebende Sprachen“ (u.a. Kurdisch) eingerichtet. Die staatliche Alpaslan-Universität in Mus bietet seit dem Wintersemester auch einen Magister in kurdischer Sprache an, die private Istanbuler Bilgi-Universität bietet Kurdisch seit 2009 als Wahlfach an.

41

Reformen hat es insbesondere im Bereich der Gesetzgebung und des Justizwesens gegeben. Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafrecht. Die Unabhängigkeit der Justiz ist in der Verfassung verankert (Art. 138). Entscheidungen über Entlassungen von Richtern durch den Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte unter Vorsitz des Justizministeriums sind seit 2010 gerichtlich überprüfbar. Seit 2008 hat sich die vormals zögerliche Haltung bezüglich der Verfolgung von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten verbessert (Lagebericht 2011). Dem Auswärtigen Amt sind in jüngster Zeit keine Gerichtsurteile auf Grundlage von durch die Strafprozessordnung verbotenen, erpressten Geständnissen bekannt geworden. Bis 2004 kam es bei Wehrdienstentziehung auch zur Aberkennung der türkischen Staatsangehörigkeit (Art. 25 c tStAG). Diese gesetzliche Bestimmung wurde am 29. Mai 2009 durch ein Änderungsgesetz zum Staatsangehörigkeitsgesetz abgeschafft. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können. Nach der am 08. Mai 2008 in Kraft getretenen Reform des Art. 301 tStGB können Ermittlungen nach diesem Straftatbestand nur noch nach Zustimmung des Justizministers aufgenommen werden. Dabei ist der Tatbestand „Beleidigung des Türkentums“ durch die Formulierung „Beleidigung der türkischen Nation“ abgeändert, der Strafrahmen von 3 auf 2 Jahre heruntergesetzt sowie für im Ausland begangene Taten an das Inlandsstrafmaß angepasst worden. In der großen Mehrzahl der Fälle wurde es von der Justiz seither abgelehnt, Gerichtsverfahren einzuleiten.

42

Die Türkei ist Partei der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 und ist seit dem 15. April 2002 (Anerkennung des Klägers) zahlreichen VN-Übereinkommen beigetreten, so dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung von 1966 (in Kraft seit 16.06.2002); nach entsprechender Ratifizierung trat am 21.07.2003 der Pakt über bürgerliche und politische Rechte und am 11.08.2003 der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 in Kraft. Das zweite Fakultativprotokoll (Abschaffung der Todesstrafe) ist seit 27.12.2005 in Kraft. Das Fakultativprotokoll zu dem VN-Übereinkommen gegen Folter, welches am 14.09.2005 unterzeichnet wurde und eine unabhängige, finanzielle und strukturell autonome Überwachungseinrichtung vorsieht, wurde zwar bisher noch nicht ratifiziert; der Ministerrat hat am 02.09.2009 der Ratifizierung jedoch zugestimmt

43

Die AK-Partei-Regierung hat alle gesetzgeberischen Mittel eingesetzt, um Folter und Misshandlungen im Rahmen einer „Null-Toleranz-Politik“ zu unterbinden. Beispielsweise ist die entsprechende Strafandrohung in Art. 94 ff. tStGB erhöht worden; ferner sind ärztliche Untersuchungen bei polizeilicher Ingewahrsamsnahme und die Stärkung von Verteidigerrechten durchgesetzt worden. Nach belastbaren Informationen von Menschenrechtsorganisationen hat sich auch die Situation hinsichtlich der Folter in Gefängnissen in den letzten Jahren erheblich gebessert. Runderlasse schreiben vor, dass Staatsanwaltschaften Folterstraftaten vorrangig und mit besonderem Nachdruck zu verfolgen haben. Für die letzten Jahre sind dem Auswärtigen Amt keine Fälle bekannt geworden, in denen ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden ist.

44

Veränderungen in der Türkei attestiert auch der Fortschrittsbericht der EU vom 06.01.2007 (im Folgenden: Fortschrittsbericht 2007). Die Türkei habe im Oktober 2006 das Protokoll Nr. 14 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Änderung des Kontrollsystems der Konvention ratifiziert. Das erste Fakultativprotokoll zu dem internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, das die Türkei 2004 unterzeichnet hatte, sei im November 2006 ratifiziert worden und im Februar 2007 in Kraft getreten. In diesem Protokoll sei die Zuständigkeit des UN-Ausschusses für Menschenrechte anerkannt, Beschwerden von Einzelpersonen über Menschenrechtsverletzungen entgegenzunehmen und zu prüfen. Die durchgeführten Reformmaßnahmen hätten positive Auswirkungen auf die Umsetzung von ergangenen Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte gehabt. Die positiven Auswirkungen der gesetzlichen Schutzmaßnahmen im Rahmen der „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber Folter hielten an. Die gemeldeten Fälle von Folter und Misshandlungen seien rückläufig. Die Reformen zur Gewährleistung des Zugangs zu einem Rechtsbeistand hätten zu positiven Ergebnissen geführt. Die Türkei habe ihre Anstrengungen zur Verbesserung der ärztlichen Untersuchung bei Verdacht bei Misshandlungen fortgesetzt. Die Verwendung von Aussagen, die ohne Rechtsbeistand zustande gekommen seien oder nicht von einem Richter bestätigt würden, sei nach der Strafprozessordnung verboten. Insgesamt sehe das türkische Recht umfassende Schutzmaßnahmen gegen Folter und Misshandlung vor, wobei es jedoch immer wieder Ausnahmen, insbesondere vor Haftantritt gebe. Gewisse Fortschritte seien auch beim Zugang zur Justiz gemacht worden. Die materielle Ausstattung der Haftanstalten sei weiter verbessert und die Schulung des Personals fortgesetzt worden. Die offene Debatte in den türkischen Medien über zahlreiche Themen, darunter solche, die von der türkischen Gesellschaft als heikel empfunden werden, habe sich fortgesetzt. Allerdings garantiere das türkische Rechtssystem die Meinungsfreiheit nicht in vollem Umfang gemäß den europäischen Standards. Der Rechtsrahmen im Bereich der Versammlungsfreiheit entspreche im Großen und Ganzen den europäischen Standards. Allerdings sei es bei den Feierlichkeiten zum kurdischen Neujahrsfest zu (wenigen) gewaltsamen Zwischenfällen gekommen. Im Hinblick auf die kulturellen Rechte und Rundfunksendungen in anderen Sprachen als Türkisch teilt der Fortschrittsbericht mit, es gebe mittlerweile vier lokale Radio- und TV-Anstalten, die auf Kurdisch senden. Was die Professionalität und Kompetenz der Justiz angehe, so hätten das Justizministerium und die Justizakademie Schulungen für Richter, Staatsanwälte und Gerichtspersonal zu einem breiten Spektrum von Themen durchgeführt. Hierzu hätten unter anderem das neue Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung, die Meinungsfreiheit, die Berufungsgerichte, die Verwaltung von Gerichten, die Internetkriminalität und die Jugendgerichtsbarkeit gehört. Im Bereich der Meinungsfreiheit, einschließlich der Medienfreiheit und des Pluralismus, gebe es allerdings nach wie vor Defizite. Die Anwendung bestimmter Vorschriften des Strafgesetzbuchs, vor allem von Art. 301, habe zu zahlreichen Strafverfahren und teilweise Verurteilungen von Personen geführt, die in friedlicher Weise ihre Meinung unter anderem zur armenischen und kurdischen Frage oder zur Rolle des Militärs geäußert hatten. Durch Gerichtsverfahren und Drohungen gegen Menschenrechtler, Journalisten, Schriftsteller, Verleger, Akademiker und Intellektuelle sei ein Klima geschaffen worden, dass zu Fällen von Selbstzensur geführt habe. Insgesamt seien aber im Justizwesen vor allem bei der Effizienz Fortschritte erzielt worden.

45

Ein rechtmäßiger Widerruf, der - wie hier - mit den Veränderungen im Herkunftsland begründet wird, setzt voraus, dass die Veränderungen erheblich, d.h. deutlich und wesentlich und vor allem nicht nur vorübergehender Natur sind. Vorliegend sind jedenfalls die Anforderungen, die an die Nachhaltigkeit der Veränderungen zu stellen sind, nicht erfüllt. Ein Widerruf ist nur dann rechtmäßig, wenn die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG nicht nur vorübergehender Natur ist. Es muss festgestellt werden, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründen und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können. Es reicht deshalb nicht aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt kurzzeitig keine begründete Furcht vor Verfolgung (mehr) besteht. Die erforderliche dauerhafte Veränderung verlangt dem Mitgliedsstaat vielmehr den Nachweis der tatsächlichen Grundlagen für die Prognose ab, dass sich die Veränderung der Umstände als stabil erweist, das heißt dass der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält.

46

Sind - wie im vorliegenden Fall der Türkei - Veränderungen innerhalb eines fortbestehenden Regimes zu beurteilen, die zum Wegfall der Flüchtlingseigenschaft führen sollen, so sind an deren Dauerhaftigkeit hohe Anforderungen zu stellen. Unionsrecht gebietet, dass die Beurteilung der Größe der Gefahr von Verfolgung mit Wachsamkeit und Vorsicht vorzunehmen ist, da Fragen der Integrität der menschlichen Person und der individuellen Freiheiten betroffen sind, die zu den Grundwerten der Europäischen Union gehören. Eine Garantie der Kontinuität veränderter politischer Verhältnisse auf unabsehbare Zeit kann indes nicht verlangt werden (BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 10.10 -, juris).

47

Ferner ist in diesem Zusammenhang auf die individuelle Situation des Flüchtlings abzustellen. Bei der Prüfung des nachhaltigen Wegfalls der Umstände ist zwar die allgemeine Situation im Heimatstaat des Berechtigten in den Blick zu nehmen, hierauf aufbauend aber auch auf die individuelle Situation des als Flüchtling anerkannten Ausländers abzustellen, dem dieser Status wieder entzogen werden soll (vgl. OVG Saarland, Urt. v. 25.08.2011 - 3 A 35/10 -, juris; OVG Lüneburg, Urt. v. 11.08.2010 - 11 LB 405/08 -, juris). So wie die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung im Rahmen der Verfolgungsprognose eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung aus der Sicht eines vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen nicht zuletzt unter Einbeziehung der Schwere des befürchteten Eingriffs verlangt und damit dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit Rechnung trägt, gilt dies auch für das Kriterium der Dauerhaftigkeit. Je größer das Risiko einer auch unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit verbleibenden Verfolgung ist, desto nachhaltiger muss die Stabilität der Veränderung der Verhältnisse sein und prognostiziert werden können (BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, a.a.O.).

48

Dem Kläger droht bei einer Rückkehr in die Türkei zwar keine politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mehr. Allerdings verbleibt für ihn unterhalb dieser Schwelle ein nicht unerhebliches Verfolgungsrisiko. Dies ergibt sich aus Folgendem:

49

Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung nach Rückkehr in die Türkei besteht nach bisheriger Senatsrechtsprechung (nur) unter besonderen individuellen Voraussetzungen, nämlich für politisch aktive, sich erkennbar von der Masse gleichartiger Betätigungen abhebende und damit überhaupt erst in das Blickfeld der vom türkischen Staat organisierten Überwachung der kurdischen Opposition geratende Unterstützer der PKK und vergleichbarer Organisationen, nicht dagegen für „niedrig profilierte“ politisch-oppositionell aktive Unterstützer (vgl. Senatsbeschl. v. 16.04.2009 - 4 LA 14/09 -, Senatsurt. v. 20.06.2006 - 4 LB 56/02 -, v. 25.07.2000 - 4 L 147/95 - m.w.N.).

50

Zu dieser Gruppe gehört der Kläger nicht. Die vom Kläger mitgeteilten, vor seiner am 06. April 2000 erfolgten Aufnahme als Mitglied der Deutsch-Kurdischen Gesellschaft e.V. entwickelten exilpolitischen Aktivitäten seit Ende 1996 betreffen die Teilnahme an Konzerten, Festivals, den Newroz-Feierlichkeiten, einzelnen Versammlungen wie Trauerfeierlichkeiten und Gedenkveranstaltungen sowie Demonstrationen. Auch wenn der Kläger über die bloße Teilnahme hinaus bei einigen dieser Veranstaltungen Stände der YCK (Union der Jugendlichen aus Kurdistan) betreut und Bücher, Kassetten und kurdische Symbole verkauft hat sowie teilweise als Ordner bei der Organisation einzelner Veranstaltungen mitgeholfen hat, sind diese Tätigkeiten nicht als herausgehobene und profilierte oppositionelle Betätigung für die Ziele der PKK zu werten. Nach der Aufnahme als Mitglied der Deutsch-Kurdischen-Gesellschaft hat der Kläger zwar bis zu seiner aufgrund des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 06. März 2002 (Az.: 21 A 443/01) erfolgten Anerkennung als Flüchtling gem. § 51 Abs. 1 AuslG a.F. seine exilpolitischen Aktivitäten intensiviert. So hat er seinerzeit mitgeteilt, nach einer einwöchigen Schulung in einem Camp in Holland anschließend etwa im Abstand von zwei Wochen auf Versammlungen von kurdischen Jugendlichen in D-Stadt über die Ziele der PKK unterrichtet und die Broschüre “Sterka Ciwan“ verkauft zu haben. Im Rahmen eines in der Zeitung Özgür Politika vom 02. Juni 2001 unter namentlicher Nennung des Klägers abgedruckten Interviews, welches im Rahmen der Berichterstattung über ein Fußballturnier geführt wurde, wird der Kläger mit der Äußerung zitiert, Ziel des Turniers sei es, den kurdischen Jugendlichen die Mai-Märtyrer näherzubringen und dafür zu sorgen, dass die Jugendlichen ihre nationale Kultur und Identität bewahren. Über den Kläger ist seinen Angaben zufolge auch in der Zeitung Hürriyet sowie im türkischen Fernsehen TGRT berichtet worden, weil er im April 2001 auf einem Konzert des türkischen Sängers Ibrahim Tatlises in A-Stadt diesen geschlagen habe, weil er während der Veranstaltung die Kurden verächtlich gemacht habe. Im Sommer 2001 hat der Kläger nach seinen vom Senat nicht in Zweifel gezogenen Angaben an einer “Selbstbezichtigungskampagne“ von PKK-Unterstützern teilgenommen, selbst unterschrieben, andere Kurden mobilisiert und ist bei der Übergabe der Erklärungen im Landtag dabei gewesen. Am 03. Februar 2002 hat er eine Feier der Deutsch-Kurdischen Gesellschaft in D-Stadt organisiert, die Räumlichkeiten angemietet, den Ablauf mit geplant, für die Veranstaltung geworben und Tickets verkauft. Inhaltlich sei es um eine Kampagne gegangen dafür, dass die kurdische Sprache an den Schulen in der Türkei gelehrt werden solle. Des Weiteren hat er eine Busfahrt nach Straßburg im Februar 2002 organisiert, um zusammen mit anderen von ihm mobilisierten Teilnehmern am 16. Februar 2002 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg für eine faire Behandlung Öcalans zu demonstrieren.

51

Neuere herausgehobene und profilierte Unterstützungshandlungen für die PKK oder eine ihrer Unterorganisationen hat der Kläger für den Zeitpunkt nach seiner Anerkennung nicht vorgetragen. Im Rahmen der Klagebegründung der gegen den Widerrufsbescheid erhobenen Anfechtungsklage hat er mit Schriftsatz vom 02. Dezember 2008 zunächst vorgetragen, es hätten sich keine wesentlichen neuen Punkte ergeben. Es bleibe im Wesentlichen bei dem zur Asylanerkennung führenden Vortrag und dem Umstand, dass sich die Verhältnisse in der Türkei nicht asylrelevant, das heißt erheblich und dauerhaft geändert hätten. Im Verhandlungstermin hat der Kläger im Rahmen der informatorischen Anhörung am 07. April 2009 angegeben, er sei unverändert Mitglied in der Deutsch-Kurdischen Gesellschaft in D-Stadt und dort auch bei Aktionen und Aktivitäten beteiligt. Sie sprächen über Menschenrechte und über die angeblichen Reformen in der Türkei. Daneben gebe es aber auch Veranstaltungen, an denen er teilnehme; so habe er beispielsweise in Hannover an einer Veranstaltung sowie an den Newroz-Feierlichkeiten teilgenommen. Auf Nachfrage hat der Kläger angegeben, er müsse sagen, dass er nicht weniger aktiv - im Verhältnis zu früher - sei, sondern eher mehr, ohne dies allerdings in irgendeiner Form zu konkretisieren. Vielmehr gab er an, keine Artikel mehr zu schreiben, das heißt nicht mehr zu publizieren. Er halte sich in diesem Bereich seit geraumer Zeit zurück. Hintergrund sei, dass er wegen einer Veröffentlichung einmal zur Kriminalpolizei habe gehen müssen. Man habe ihm Vorhaltungen gemacht im Zusammenhang mit der PKK. Auch im Berufungsverfahren hat er keine herausgehobenen Aktivitäten vorgetragen, sondern geltend gemacht, soweit er in letzter Zeit nicht mehr exponiert tätig gewesen sei, werde dies dadurch „ausgeglichen“, dass er bei Rückkehr ohnehin eine Festnahme zu erwarten habe. Ein vorgetragenes Interview mit den Kieler Nachrichten ist vom Kläger entgegen seiner Ankündigung nicht belegt worden. Insgesamt ist der Senat zur Einschätzung gelangt, dass der Kläger zum heutigen Zeitpunkt - nicht zuletzt infolge der geschilderten Veränderungen - nicht mehr zu dem Personenkreis zu rechnen ist, bei dem die türkischen Sicherheitskräfte wegen herausgehobenen und profilierten Unterstützeraktivitäten für die PKK ein gesteigertes Verfolgungsinteresse haben, sodass eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung nicht mehr besteht.

52

Das Auswärtige Amt geht zwar weiterhin davon aus, dass sich die Sicherheitsbehörden bei einer Einreise in die Türkei mit türkischen Staatsangehörigen befassen, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben. Zugleich wird aber mitgeteilt, dass öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange nur noch dann strafbar seien, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können. Zur Frage der Behandlung von Rückkehrerinnen und Rückkehrern in die Türkei wird mitgeteilt, dem Auswärtigen Amt sei in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 08.04.2011, S. 27).

53

Der Senat ist jedoch überzeugt, dass für den Kläger - wenn auch unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit - ein Risiko der Verfolgung bei Rückkehr in die Türkei verbleibt. In seiner bisherigen Rechtsprechung zur Gefährdung von Unterstützern kurdischer oppositioneller Organisationen ist der Senat davon ausgegangen, dass Personen, die von den türkischen Sicherheitsbehörden als Sympathisanten und Unterstützer der PKK eingestuft werden, vor Verfolgung nicht hinreichend sicher sind, auch wenn es sich nicht um exponierte Akteure handelt (Senatsurt. v. 09.02.2010 - 4 LB 9/09 -, Juris, v. 20.06.2006 - 4 LB 25/02 -, v. 23.05.2000 - 4 L 21/94 -, Senatsbeschl. v. 10.06.2008 - 4 LB 4/06 -, Juris; v. 16.04.2009 - 4 LA 14/09 -, v. 20.03.2009 - 4 LA 16/09 -). An der im Anschluss an die Rechtsprechung des OVG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 19.04.2005 – 8 A 273/04.A – und vom 26.05.2004 – 8 A 3852/03.A-, Juris) getroffenen Bewertung, dass nach wie vor vom Fortbestehen von Folter und Misshandlungen in der Türkei auszugehen sei und daher jedenfalls keine hinreichende Verfolgungssicherheit (in der Terminologie des vor Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie gültigen rechtlichen Maßstabes) für vermutete Mitglieder oder Unterstützer der PKK bestehe (Urteil vom 20.06.2006 – 4 LB 25/02 -), hat der Senat noch mit Urteil vom 09. Februar 2010 - 4 LB 9/09 - festgehalten. Dabei hat er sich auf die aktuelle Auskunftslage zu zwischenzeitlichen Reformbemühungen der Türkei im Strafrecht und bei dem Problem staatlicher Folter und Misshandlungen bezogen und auf die fortbestehenden, sich eher verschärfenden Spannungen in der Kurdenfrage, auf strafrechtliche Verfolgungen von positiven Aussagen zur PKK, Verhaftungen von PKK-Unterstützern, fortbestehende Berichte über Folter und Misshandlungen sowie die Problematik der Straflosigkeit von Tätern in Folterfällen verwiesen (vgl. im Einzelnen die Auswertung der Auskunftslage im Urteil v. 09.02.2010 - 4 LB 9/09 -, Juris).

54

Daran ist auch unter Auswertung der aktualisierten Auskunftslage festzuhalten (vgl. bereits Senatsurt. v. 01.09.2011 - 4 LB 11/10 -).

55

Die Wahrscheinlichkeit für Rückkehrer, bei der Einreise festgehalten, verhört und ggf. an weitere Sicherheitsbehörden überstellt zu werden, hängt nach im Wesentlichen übereinstimmenden Auskünften nach wie vor davon ab, ob ein Strafverfahren gegen den Rückkehrer anhängig ist oder war und ob er seine Wehrpflicht noch nicht erfüllt hat. Ist beides nicht der Fall, so ist nach Auskunft von Kaya (an das VG Freiburg vom 01.07.2010) eine Ingewahrsamsnahme an der Grenze nicht zu erwarten. Wird bei der Einreise jedoch festgestellt, dass der Wehrdienst noch nicht abgeleistet wurde, wird der Betreffende nach Auskunft von Kaya (Gutachten an VG Freiburg vom 11.06.2008) festgenommen und in Begleitung von Polizisten oder Gendarmen zwecks Musterung und Einberufung der nächstgelegenen Militärdienstbehörde überstellt. Taylan hält eine Situation des vorherigen jahrelangen Nichterscheinens bei der Musterung mit der Möglichkeit, dass darüber ein Aufenthalt des Wehrpflichtigen im Ausland bei der PKK bekannt geworden sein könnte, und den fehlenden Beleg der entstandenen Auslandszeiten mit einem von türkischen Behörden anerkannten Status bei der Einreise für sehr gefährlich, weil er in aller Regel zu einer intensiveren Untersuchung führe (Taylan, Gutachten an VG Sigmaringen v. 21.12.2007). Für eine derartige Konstellation ist auch Aydin in einem Gutachten an das VG Sigmaringen vom 20. September 2007 von einer Gefährdung des betreffenden Rückkehrers durch Misshandlung oder Folter ausgegangen. Oberdiek teilt in seinem Gutachten an das VG Sigmaringen vom 15. August 2007 ebenfalls die Einschätzung, dass zurückkehrende Nichtwehrdienstleistende einer Überprüfung hinsichtlich des Grundes ihrer zwischenzeitlichen Abwesenheit und eines möglichen Verdachts der Zusammenarbeit mit der PKK unterzogen werden, ohne jedoch eine klare Aussage zu den hierdurch zu befürchtenden Folgen für den Rückkehrer zu treffen (vgl. dort S. 15).

56

Unter Berücksichtigung dieser Auskunftslage ist davon auszugehen, dass der Kläger, der noch keinen Wehrdienst in der Türkei geleistet hat, bei Einreise festgehalten und befragt werden wird und ihn hierbei ein Risiko trifft, misshandelt zu werden. Nach der Einschätzung von Kaya (Serafettin Kaya, Auskunft an das Verwaltungsgericht Freiburg vom 11.06.2008) ist es undenkbar, dass die türkischen Sicherheits- und Nachrichtendienstbehörden zur Beobachtung der Organisationen der kurdischen nationalen Opposition, insbesondere der PKK in Europa und für das Sammeln von Informationen über deren Aktivitäten, Aktionen und Aktivisten keine Spitzel und Agenten einsetzen. Sie sammeln danach über solche Aktionen und Teilnehmer Informationen nicht nur mittels ihrer Spitzel, sondern auch über die aktiven türkischen Vereine, Moscheen, Reisebüros, Studenten, Arbeiter und Zeitungsjournalisten, die in Europa ansässig sind. Bereits das Verwaltungsgericht ist in seinem Verpflichtungsurteil vom 06. März 2002 davon ausgegangen, dass den türkischen Sicherheitskräften die seinerzeitigen exilpolitischen Aktivitäten des Klägers bekannt geworden sind. Hiervon ist auch der Senat überzeugt. Auch wenn dem Auswärtigen Amt keine Fälle bekannt geworden sind, in denen PKK-Sympathisanten im Zusammenhang mit ihren exilpolitischen Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sind, so kann das Risiko, dass der Kläger als Kurde, der sich bislang dem Wehrdienst entzogen hat und der zumindest als PKK-Sympathisant eingestuft werden wird, im Zuge der Ingewahrsamsnahme und Befragung misshandelt wird, nicht von der Hand gewiesen werden, auch wenn es nicht beachtlich wahrscheinlich ist. Dieses Risiko besteht um so mehr, als die gegenwärtige Situation von Spannungen in den kurdisch geprägten Regionen im Südosten des Landes gekennzeichnet ist und die von Staatspräsident Gül und Ministerpräsident Erdogan 2009 initiierte „Demokratische Öffnung“ (zuvor „Kurdische Öffnung“) aufgrund nationalistischer Vorbehalte und andauernder Anschläge durch die PKK zum Stillstand gekommen ist (vgl. dazu auch OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 14.10.2011 - 10 A 10416/11.OVG)

57

Die Annahme eines verbleibenden Risikos für den Kläger wird auch durch die weitere Auskunftslage gestützt. Was die Gefahr von Folter und Misshandlungen allgemein anbelangt, so ist auch unter Berücksichtigung neuerer Erkenntnisse weiterhin von einer nicht auszuschließenden Gefährdung auszugehen. Das Auswärtige Amt berichtet für das Jahr 2010 von einer erheblichen Anzahl von Fällen von Folter und Misshandlungen, die bei anerkannten Menschenrechtsorganisationen registriert seien. Es sei der Regierung nach wie vor nicht gelungen, solche Misshandlungen vollständig zu unterbinden; Straflosigkeit der Täter sei weiterhin ein ernstzunehmendes Problem (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 08.04.2011, S. 21). Die EU-Kommission stellt in ihrem Fortschrittsbericht vom 09. November 2010 (Turkey 2010 Progress Report, SEC (2010) 1327, S. 18) zwar insgesamt einen positiven Trend bezüglich der Verhütung von Folter und Misshandlungen, gleichzeitig aber weiterhin ein verbleibendes, besorgniserregendes Problem unangemessener Gewaltanwendung seitens der Sicherheitsbehörden fest. Beispiele für auch noch 2010 geschehene Folter führt auch Kaya (Gutachten an OVG Greifswald v. 14.06.2010, S. 11 ff.) auf. Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe hält staatliche Folter in der Realität immer noch für verbreitet, wobei zunehmend an unbeobachteten Orten - außerhalb von Polizeistationen und Gefängnissen - gefoltert werde (SFH, Türkei: Die aktuelle Situation der Kurden, 20.12.2010, S. 13; Türkei: Risiken bei der Rückkehr eines verurteilten PKK-Mitglieds, 26.05.2010, S. 1 f.).

58

Nach Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Bericht v. 20.12.2010 über die aktuelle Situation der Kurden, S. 19) riskieren politisch aktive Kurden Haftstrafen wegen Mitgliedschaft in der verbotenen PKK. Kamil Taylan berichtete in einem Gutachten für das OVG Saarland vom 11. Februar 2011 (S. 5), dass die Staatsanwaltschaft Diyarbakir im April 2010 ein Strafverfahren gegen 30 Rückkehrer aus dem Nordirak wegen des Vorwurfs der Propaganda für eine Terrororganisation bzw. Planung und Durchführung von Verbrechen im Auftrag einer solchen Organisation eingeleitet habe; dieselbe Staatsanwaltschaft führe einen Massenprozess gegen PKK-Unterstützer. An anderer Stelle führt Taylan allerdings aus, dass keine Verfahren gegen Rückkehrer wegen Unterstützungshandlungen in den 90’ger Jahren bekannt seien (ebd. S. 4).

59

Nach allem ist der Senat davon überzeugt, dass für den Kläger - wenn auch unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit - ein erhebliches Risiko verbleibt, als kurdischer Sympathisant der PKK bei Rückkehr misshandelt zu werden.

60

Unter Berücksichtigung dieses Umstandes und der Tatsache, dass es sich um zu beurteilende Veränderungen innerhalb eines bestehenden Systems handelt, sind vorliegend hohe Anforderungen an die Nachhaltigkeit der Veränderungen zu stellen, die nicht erfüllt werden.

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Das Auswärtige Amt teilt im Lagebericht 2011 mit, dass trotz der Veränderungen des politischen Systems in den letzten Jahren weiterhin Hinweise vorliegen, dass die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz sowie die rechtsstaatlichen Garantien in Strafverfahren nicht immer konsequent eingehalten werden. Auch seien weiterhin Spannungen in dem kurdisch geprägten Regionen im Südosten und in den Ballungszentren des Landes zu verzeichnen. Die Politik der sogenannten „Demokratischen Öffnung“ sei vorerst eingefroren. Die PKK habe Ende Februar 2011 eine im Herbst des Jahres 2010 verkündete Waffenruhe zunächst aufgekündigt. Die vielfältige Presselandschaft berichte nach Einflussnahme der Regierung wenig regierungskritisch. Im März 2011 sei es zu zahlreichen Verhaftungen von Journalisten gekommen. Die Aktivitäten der Menschenrechtsorganisationen würden von Sicherheitsbehörden und Staatsanwaltschaften beobachtet; ihre Mitglieder seien nach wie vor des Öfteren Verfahren ausgesetzt, deren rechtliche Grundlage zum Teil fragwürdig erscheine. Seit April 2009 seien über 1500 Personen, darunter 11 Bürgermeister, 2 Provinzvorsitzende und 2 Mitglieder der Stadtversammlung der pro-kurdischen BTP verhaftet worden. Ihnen sei vorgeworfen worden, Mitglieder der Struktur KCK (Liga Demokratisches Kurdistan) und damit auch einer terroristischen Vereinigung zu sein. In der Praxis würden bei pro-kurdischen Versammlungen regelmäßig dem Veranstaltungszweck zuwiderlaufende Angaben Auflagen bezüglich Ort und Zeit gemacht und zum Teil aus sachlich nicht nachvollziehbaren Gründen Verbote ausgesprochen. Fälle von massiver Gewalt seitens der Sicherheitskräfte, polizeilichen Ingewahrsammaßnahmen und strafrechtlichen Ermittlungen bei der Teilnahme an nicht genehmigten oder durch Auflösung unrechtmäßig werdenden Demonstrationen kämen vor. Die extensive Auslegung des unklar formulierten § 220 tStGB durch das oberste Zivilgericht führe zur Kriminalisierung von Teilnehmern an Demonstrationen, bei denen auch PKK-Symbole gezeigt wurden bzw. zu denen durch die PKK aufgerufen wurde, unabhängig davon, ob dieser Aufruf bzw. die Nutzung den Betroffenen bekannt wurde. Sie müssten damit rechnen, wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt zu werden, ohne Mitglied in dieser zu sein. Schriftliche wie mündliche Aussagen, die die PKK (z.B. Bezeichnung der PKK als „Guerilla“), den PKK-nahen TV-Sender ROJ-TV oder den inhaftierten Abdullah Öcalan (z.B. „verehrter Öcalan“) in ein positives Licht stellen, werden strafrechtlich verfolgt. Die Möglichkeit, Meinungen im Internet zu äußern, sei durch das Gesetz für die Bekämpfung von Verbrechen gegen Kriminalität im Internet 2007 eingeschränkt worden. Nach Angaben des EU-Fortschrittsbericht 2010 sei der Zugang zu rund 8000 Seiten gesperrt. Insgesamt betrachtet hätten die Pressefreiheit und der Pluralismus in der türkischen Medienlandschaft u.a. aufgrund der offenen Diskreditierungen von Journalisten durch Politiker und durch die zunehmende vorauseilende Selbstzensur einen Rückschlag erfahren. Weiterhin würden mit Verweis auf die „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ oder „Gefährdung der nationalen Einheit“ Publikationsverbote ausgesprochen, welche vor allem kurdische oder linke Zeitungen beträfen. Kurdischunterricht und Unterricht in kurdischer Sprache an öffentlichen Schulen sei nicht erlaubt. Durch die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als der einzigen Nationalsprache werde die Inanspruchnahme öffentlicher Dienstleistungen durch Kurden erschwert. Die 2009 vom Staatspräsidenten Gül und Ministerpräsident Erdogan initiierte „demokratische Öffnung“ sei aufgrund nationalistischer Vorbehalte und andauernder Anschläge durch die PKK seit Mitte 2010 zum Stillstand gekommen. Seit 2008 habe sich zwar die vormals zögerliche Haltung bezüglich der Verfolgung von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert, allerdings komme es vor allem mangels Kooperation der Behörden bei der Tatsachenfeststellung nur in wenigen Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen, beispielsweise wegen Folter. Der Kassationsgerichtshof habe im Jahr 2008 unter Bezug auf Art. 220 Abs. 6 tStGB entschieden, dass Teilnehmer an einer Demonstration, zu der eine Terrororganisation aufgerufen habe, als Mitglied einer Terrororganisation verurteilt werden könnten, ohne formal Mitglied zu sein, selbst wenn der Teilnehmer von diesem Aufruf keine nachweisbare Kenntnis gehabt habe. Trotz der „Null-Toleranz-Politik“ und der Ausschöpfung gesetzgeberischer Mittel zur Unterbindung von Folter und Misshandlung sei es der Regierung bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Vor allem beim Auflösen von Demonstrationen kommen es zur übermäßiger Gewaltanwendung. Es gebe Anzeichen, dass Misshandlungen nicht mehr in den Polizeistationen, sondern gelegentlich an anderen Orten, u.a. im Freien stattfänden. Nach glaubhaften Angaben der türkischen Menschenrechtsstiftung TIHV seien bis Ende November 2010 insgesamt 161 Personen registriert, die im selben Jahr gefoltert oder unmenschlich behandelt wurden. Auch die Regierung räume ein, dass Folter in wenigen Ausnahmefällen vorkomme. Straflosigkeit der Täter in Folterfällen sei weiterhin ein ernstzunehmendes Problem. Laut Bericht des UN-Komitees gegen Folter (CAT) vom November 2010 mangele es an unabhängiger, unparteiischer und transparenter Untersuchung. Sicherheitskräfte, die unter Verdacht der Folter oder der unmenschlichen Behandlung stehen, würden zu selten vom Dienst suspendiert und gefährdeten damit die effektive Aufklärung.

62

Amnesty International führt zur allgemeinen Entwicklung in seinem Länderbericht Türkei (Stand: Dezember 2010; im Folgenden: Länderbericht Türkei 2010) aus, es habe in der Türkei seit etwa 2002 verstärkte Bemühungen gegeben, den Beitrittsprozess zur EU durch Reformen in den Bereichen Demokratie und Menschenrechte voranzubringen. Zwischen 2002 und 2005 seien insgesamt 8 Reformpakete mit Änderungen der Verfassung, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze verabschiedet worden; zum 01. Juni 2005 sei ein neues Strafrecht in Kraft getreten. Seit Mitte 2005 sei jedoch eine deutliche Verlangsamung der Reformbemühungen festzustellen, in einigen Bereichen habe es sogar Rückschritte gegeben. Im Sommer 2005 habe der damalige Generalstabschef kritisiert, die im Hinblick auf die EU vorgenommenen Gesetzesänderungen hätten den Kampf gegen den Terror behindert. Diese Kritik sei mit kampagnenartiger Intensität von der Presse aufgenommen worden und habe schließlich zu einer Verschärfung des Anti-Terror-Gesetzes im Juli 2006 geführt. Ansätze zu einer politischen Lösung der Kurdenfrage seien ins Stocken geraten und würden durch die Verfahren gegen die KCK und gegen Menschen, die an Demonstrationen teilgenommen hatten, weiter erschwert. Im Sommer 2006 habe das türkische Parlament eine geänderte Fassung des Anti-Terror-Gesetzes (ATG) verabschiedet. Darin sei das im Rahmen vorausgegangener Gesetzesreformen zugestandene Recht auf sofortigen Anwaltszugang für Festgenommene für den Anwendungsbereich dieses Gesetzes wieder eingeschränkt worden. Bei Strafverfahren mit politischem Hintergrund habe es unfaire Gerichtsverfahren und überzogene Strafen gegeben. Die Auseinandersetzungen um die Rechte der Kurden seien auch von den Aktivitäten der PKK geprägt, die nicht nur einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat führe, sondern auch, zumindest in der Vergangenheit, vor Bombenanschläge gegen die Zivilbevölkerung nicht zurückgeschreckt habe und Druck und Gewalt gegen Kurden ausübe, die andere politische Positionen vertreten oder sich von der PKK getrennt hätten. Einen möglicherweise schwerwiegenden Rückschlag für politische Lösungsbemühungen in der Kurdenfrage stelle das juristische Vorgehen gegen Kurden dar, denen eine Zusammenarbeit mit der PKK im Rahmen ihrer legalen politischen Aktivitäten vorgeworfen wird. Im April, September und im Dezember 2009 habe es gegen angebliche Mitglieder der KCK Verhaftungswellen gegeben. Insgesamt seien 1500 Personen in verschiedenen Provinzen angeklagt. Die Anklagepunkte würden sich auf legale politische Aktivitäten beziehen, die Beteiligung an bewaffneten Aktionen werde keinem der Beteiligten vorgeworfen. Bei der KCK handele es sich offenbar um eine politische Struktur, mit der die PKK versuche, ihre Macht auf legaler politischer und gesellschaftlicher Ebene zu etablieren.

63

Die Reformpakete, die in den Jahren 2002 bis 2005 verabschiedet worden seien, um das Ziel der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zur EU zu erreichen, hätten wichtige Mechanismen zum Schutz Festgenommener vor Folter enthalten. Seit der Änderung des Anti-Terror-Gesetzes vom Juli 2006 hätten jedoch Berichte über Folter und Misshandlungen im Gewahrsam der Sicherheitskräfte wieder zugenommen. Personen, die wegen politisch motivierter Straftaten angeklagt bzw. verurteilt waren, würden nach wie vor in Kleingruppen isoliert. Die Zahl der Misshandlungen in Gefängnissen habe in letzter Zeit wieder zugenommen. Neben Berichten über Folter in Polizei- und Gendarmerie-Gewahrsam sowie in Gefängnissen gebe es weiterhin in steigender Zahl Fälle von Folter und Misshandlung außerhalb offizieller Haftorte. Der Menschenrechtsverein IHD führe beispielsweise für das Jahr 2008 264 Fälle von Folter und Misshandlung an nichtregistrierten Haftorten an, für das Jahr 2009 358 Fälle.

64

Bei Demonstrationen gingen die Sicherheitskräfte nach wie vor mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen Teilnehmer vor.

65

Die Labilität des Reformprozesses in der Türkei spiegelt auch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 09. März 2011 zum Fortschrittsbericht 2010 der EU wieder. In dem Bericht erkennt das Europäische Parlament zwar verschiedene Reformbemühungen an, stellt jedoch zugleich fest, dass die Reformen in der Türkei langsam vorankommen und weist darauf hin, dass die türkische Regierung sich dazu verpflichtet habe, umfassende Reformen durchzuführen, um die Kriterien von Kopenhagen zu erfüllen sowie die Türkei zu modernisieren, und fordert die Regierung auf, ihre diesbezüglichen Anstrengungen zu verstärken. Die Entschließung zeigt sich besorgt über die anhaltende Konfrontation zwischen den politischen Parteien in der Türkei und die mangelnde Bereitschaft der Regierung und der Opposition, auf einen Konsens über wichtige Reformen hinzuarbeiten. Die Annahme der Verfassungsänderungen sei ein Schritt in die richtige Richtung, es sei jedoch deren Umsetzung unter umfassender Einhaltung der Normen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu fordern. Die Entschließung zeigt sich besorgt über die Verschlechterung der Pressefreiheit, insbesondere einige Zensurmaßnahmen sowie die zunehmende Selbstzensur in den türkischen Medien und im Internet sowie über den Umstand, dass Journalisten, die Beweise über Menschenrechtsverletzungen und andere Fragen von öffentlichem Interesse an die Öffentlichkeit bringen, strafrechtlich verfolgt würden. Zugleich wird die türkische Regierung mit Nachdruck aufgefordert, das Recht auf Versammlungsfreiheit und das Recht auf Vereinigungsfreiheit zu wahren. Die Fortschritte bei der Reformierung der Justiz würden begrüßt; die Regierung bleibe jedoch aufgefordert, die in diesem Bereich angenommenen Verfassungsänderungen unter uneingeschränkter Achtung der Gewaltenteilung zwischen der Exekutive und der Judikative, der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz und dem Einklang mit europäischen Normen umzusetzen. Die Auslegung der Strafprozessordnung durch den obersten Gerichtshof der Türkei, durch die die Dauer der Untersuchungshaft bis auf 10 Jahre ausgedehnt werden könne, sei besorgniserregend und stelle einen eindeutigen Verstoß gegen diesbezügliche europäische Normen dar. Das Europäische Parlament verurteilt entschieden die von der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die auf der EU-Liste terroristischer Vereinigungen stehe, und von anderen terroristischen Gruppierungen auf türkischem Boden weiterhin begangenen terroristischen Gewaltakte; fordert aber zugleich die Regierung auf, ihre Anstrengungen im Rahmen der demokratischen Öffnung zu verstärken, um die Kurdenthematik umfassend im Hinblick auf eine friedliche Lösung der Kurdenfrage zu behandeln, indem sie insbesondere eine kohärente Auslegung der Gesetze gewährleiste, die den Gebrauch der kurdischen Sprache im politischen und öffentlichen Leben und im Bildungssektor gestatte und indem sie die Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Terrorismus ändere, um Missbrauch oder eine weitreichende Auslegung zu vermeiden. Die in Diyarbakir anhängigen Gerichtsverfahren gegen 151 kurdische politische Aktivisten, darunter 8 gewählte amtierende Bürgermeister, stellten eine Einmischung in legale politische Aktivitäten dar und seien besorgniserregend, ebenso noch anhängige Gerichtsverfahren gegen Menschenrechtsverteidiger und die anhaltende strafrechtliche Verfolgung von Menschenrechtsverteidigern (vgl. insgesamt: Entschließung des Europäischen Parlaments vom 09. März 2011 zum Fortschrittsbericht 2010 über die Türkei).

66

Der Senat zieht aus den genannten Auskünften unter Berücksichtigung der dargestellten rechtlichen Grundsätze den Schluss, dass in der Türkei zwar seit der Anerkennung des Klägers erhebliche Reformbemühungen erfolgt sind, angesichts der zu verzeichnenden Rückschläge und der Verlangsamung des Reformprozesses im vorliegenden Einzelfall jedoch jedenfalls die für einen Widerruf der Flüchtlingsanerkennung des Klägers zu fordernde Stabilität der Veränderungen bisher nicht erreicht ist.

67

Die Voraussetzungen für einen Widerruf gemäß § 73 Abs. 1 AsylVfG lagen nach allem nicht vor. Aus der Entscheidung folgt zugleich, dass der Bescheid insgesamt aufzuheben ist, das heißt, dass auch die negative Feststellung zu § 60 Abs. 1 AufenthG der Aufhebung unterliegt, da die negative Feststellung zu § 60 Abs. 1 AufenthG der positiven Feststellung gemäß § 51 Abs. 1 AuslG a.F., welche Bestand hat, widersprechen würde.

68

Das Urteil des Verwaltungsgericht war mit der sich aus § 83 b AsylVfG und § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuändern.

69

Die Revision war nicht zuzulassen, da Revisionszulassungsgründe nicht vorliegen.


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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit
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published on 01/09/2011 00:00

Tenor Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichter der 8. Kammer - vom 04. Mai 2009 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 05. September 2006 verpflichtet
published on 25/08/2011 00:00

Tenor Die Berufung wird zurückgewiesen.Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.Die Revision wird nicht zugelassen. Tat
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published on 16/09/2015 00:00

Tenor Der Bescheid vom 13.12.2013 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherh
published on 29/11/2013 00:00

Tenor Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. April 2013 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Be
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Annotations

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.