Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 01. Juli 2014 - 20 B 490/14.PVL
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Antragsteller seinen Antrag zurückgenommen hat.
Der angegriffene Beschluss wird geändert.
Die Beteiligte wird im Wege der einstweiligen Verfügung vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, den Antragsteller über etwaig beabsichtigte Auflösungen der noch im Zuständigkeitsbereich der Beteiligten existierenden Hauptschulen auf der Grundlage der "Umsetzung der Vorgaben der Leitlinie in der Abteilung 4 der Bezirksregierung E. " zu informieren.
1
Gründe
2Soweit der Antragsteller den Antrag zurückgenommen und die Beteiligte der Antragsrücknahme zugestimmt hat, ist das Verfahren einzustellen.
3Das nach der teilweisen Antragsrücknahme mit der Beschwerde allein noch weiterverfolgte Begehren des Antragstellers,
4den angegriffenen Beschluss zu ändern und die Beteiligte im Wege der einstweiligen Verfügung vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten, den Antragsteller über etwaig beabsichtigte Auflösungen der noch im Zuständigkeitsbereich der Beteiligten existierenden Hauptschulen auf der Grundlage der "Umsetzung der Vorgaben der Leitlinie in der Abteilung 4 der Bezirksregierung E1. " zu informieren,
5hat Erfolg.
6Das Begehren des Antragstellers bedarf der Auslegung. Der im Beschwerdeverfahren allein noch weiterverfolgte Antrag ist vor dem Hintergrund der vom Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW erlassenen "Leitlinien für Personalmaßnahmen bei schulorganisatorischen Veränderungen" (ABl. NRW 2013 S. 406) zu sehen. Diese Leitlinien enthalten bei schulorganisatorischen Veränderungsprozessen zu beachtende Verfahrenshinweise und Grundsätze, die einen Orientierungsrahmen für die betroffenen Lehrkräfte und das sonstige Personal im Landesdienst darstellen und eine sozialverträgliche Gestaltung der Veränderungsprozesse gewährleisten sollen. In Nr. 1 dieser Leitlinien ist unter anderem vorgesehen, dass die zuständige Schulaufsichtsbehörde die frühzeitige Information der zuständigen Personalvertretung, der Schwerbehindertenvertretung und der Gleichstellungsbeauftragten sicherstellt. Zur Anwendung dieser Leitlinien in der Praxis hat die Beteiligte Handlungsanweisungen festgelegt, die mit "Umsetzung der Vorgaben der Leitlinie in der Abteilung 4 der Bezirksregierung E2. " überschrieben sind. Diese Handlungsanweisungen sind derart aufgebaut, dass zunächst die bei schulorganisatorischen Maßnahmen erfolgenden Verfahrensschritte dargestellt werden und sodann beschrieben wird, wer an dem jeweiligen Verfahrensschritt beteiligt ist und wer durch wen informiert wird. Eine Information des Personalrats ist in diesen Handlungsanweisungen erstmals dann vorgesehen, wenn der Schulträger seine Planungen der Beteiligten gegenüber konkretisiert, indem er beispielsweise die Einbringung einer bestimmten schulorganisatorischen Maßnahme in die politischen Gremien signalisiert oder mit einer bestimmten schulorganisatorischen Maßnahme in die Presse geht. Der Antrag des Antragstellers orientiert sich an diesen Handlungsanweisungen der Beteiligten und ist auf eine Verpflichtung der Beteiligten gerichtet, diese verbindlich einzuhalten.
7Dem Begehren des Antragstellers fehlt es nicht am Rechtsschutzinteresse. Zwar hat die Beteiligte die Handlungsanweisungen, auf deren Einhaltung das Begehren des Antragstellers gerichtet ist, selbst erlassen und im Ansatz erkennen lassen, nach diesen Handlungsanweisungen verfahren zu wollen. Dennoch hält die Beteiligte sich nicht für verpflichtet, den Antragsteller im Zusammenhang mit anstehenden Schulauflösungen in der Art zu unterrichten, wie es in den Handlungsanweisungen vorgesehen ist. Dies zeigt sich jedenfalls darin, dass sie das Begehren des Antragstellers im Rahmen der Anhörung vor dem Fachsenat nicht anerkannt, sondern die Zurückweisung der Beschwerde beantragt hat. Angesichts dessen kann der Antragsteller nicht darauf vertrauen und auch nicht darauf verwiesen werden, dass die Beteiligte die Handlungsanweisungen in der Zukunft anwenden und ihn nach den darin enthaltenen Vorgaben unterrichten wird.
8Eine einstweilige Verfügung kann nach den hier anzuwendenden Vorschriften des Achten Buches der Zivilprozessordnung erlassen werden, wenn die Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 940 ZPO). Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 ZPO). Die einstweilige Verfügung darf grundsätzlich nicht mehr zusprechen, als im Hauptsacheverfahren möglich ist; sie darf außerdem die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen. Allerdings kann es die Effektivität des Rechtsschutzes ausnahmsweise erfordern, durch den Erlass einer einstweiligen Verfügung der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, sofern wirksamer Rechtsschutz im ordentlichen Verfahren nicht erreicht werden kann und dies für den Antragsteller zu schlechthin unzumutbaren Folgen führen würde, insbesondere wenn ein endgültiger Rechtsverlust oder ein sonstiger irreparabler Zustand droht. Dabei sind die Belange der Beteiligten sorgfältig abzuwägen und strenge Anforderungen an die materiellen Voraussetzungen der einstweiligen Verfügung zu stellen.
9Ständige Rechtsprechung, vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 14. Januar 2003 ‑ 1 B 1907/02.PVL ‑, PersV 2003, 198, vom 28. Januar 2003 ‑ 1 B 1681/02.PVL ‑, PersR 2004, 64, vom 30. Dezember 2004 ‑ 1 B 1864/04.PVL ‑ und vom 22. Februar 2007 ‑ 1 B 2563/06.PVL ‑.
10An diesen Anforderungen hat sich aufgrund der Änderungen des § 79 LPVG NRW durch Art. I des Gesetzes zur Änderung des Landespersonalvertretungsgesetzes und des WDR-Gesetzes vom 5. Juli 2011 (GV. NRW. S. 348) ‑ LPVG-Novelle 2011 ‑ nichts geändert.
11Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 9. Juli 2012 ‑ 20 B 511/12.PVL ‑, DÖD 2012, 235, vom 20. August 2013 - 20 B 585/13.PVL -, DÖD 2013, 325 = PersR 2013, 467 = PersV 2013, 473, vom 8. Oktober 2013 ‑ 20 B 838/13.PVL - und vom 30. April 2014 ‑ 20 B 204/14.PVL ‑.
12Die besonderen Anforderungen für eine die Hauptsache vorwegnehmende einstweilige Verfügung sind für das Begehren des Antragstellers einschlägig, da er eine der Hauptsacheentscheidung ‑ jedenfalls in zeitlicher Hinsicht teilweise ‑ entsprechende Verpflichtung der Beteiligten zur Unterrichtung über etwaig beabsichtigte Schulauflösungen verfolgt.
13Ausgehend von diesen Anforderungen hat der Antragsteller für sein Begehren sowohl einen Verfügungsanspruch als auch einen Verfügungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht.
14Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus § 65 Abs. 1 Satz 1 LPVG NRW. Nach dieser Bestimmung ist der Personalrat zur Durchführung seiner Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten (Satz 1). Diese Voraussetzungen liegen offensichtlich vor.
15Die aus § 65 Abs. 1 Satz 1 LPVG NRW folgende Pflicht der Dienststelle, den Personalrat zu unterrichten, ist sehr weit. Sie bezieht sich grundsätzlich auf alle Angelegenheiten, die die Dienststelle und ihre Beschäftigten unmittelbar betreffen. Die Unterrichtungspflicht gilt aber nicht uneingeschränkt. Sie besteht nur, soweit dies zur Durchführung der Aufgaben des Personalrats erforderlich ist. Ein Anspruch auf Unterrichtung ohne konkreten Bezug zu seinen Aufgaben steht dem Personalrat nicht zu.
16Vorliegend sind die vom Antragsteller begehrten Informationen erforderlich, damit dieser seine Aufgaben sachgerecht wahrnehmen kann. Dabei kann dahinstehen, ob dem Antragsteller im Zusammenhang mit der Auflösung von Hauptschulen ein Mitwirkungsrecht aus § 73 Nr. 3 LPVG NRW oder ein anderes förmliches Beteiligungsrecht zusteht. Denn auch wenn es an einem förmlichen Beteiligungsrecht des Antragstellers fehlen und deshalb für ihn bei Schulauflösungen eine hinzunehmende Beteiligungslücke bestehen sollte,
17vgl. in diesem Zusammenhang BVerwG, Beschlüsse vom 16. Juni 2011 ‑ 6 PB 3.11 ‑, Buchholz 251.2 § 79 BlnPersVG Nr. 1,und vom 27. November 2012 ‑ 6 PB 12.12 ‑, ZfPR 2014, 2
18bedarf er zu seiner Aufgabenwahrnehmung der begehrten Informationen. Denn neben den förmlichen Beteiligungsrechten obliegen dem Personalrat auch die in § 64 LPVG NRW im Einzelnen beschriebenen allgemeinen Aufgaben. Zu diesen gehört es unter anderem, Maßnahmen, die der Dienststelle oder ihren Angehörigen dienen, zu beantragen (§ 64 Nr. 1 LPVG NRW), darüber zu wachen, dass die zugunsten der Beschäftigten geltenden Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge, Dienstvereinbarungen und Verwaltungsanordnungen durchgeführt werden (§ 64 Nr. 2 LPVG NRW), und Anregungen und Beschwerden von Beschäftigten entgegenzunehmen und, falls sie berechtigt erscheinen, durch Verhandlung mit der Dienststelle auf ihre Erledigung hinzuwirken (§ 64 Nr. 5 LPVG NRW). Insbesondere zur Wahrnehmung dieser allgemeinen Aufgaben ist es erforderlich, dass der Antragsteller als Personalrat der im Bereich der Beteiligten an den Hauptschulen tätigen Lehrkräfte möglichst frühzeitig Informationen darüber erhält, ob und gegebenenfalls ab wann eine Hauptschule geschlossen wird.
19Ein solches Informationsbedürfnis erklärt sich namentlich aus der besonderen Situation, in der sich die auf der Grundlage von § 87 Abs. 1 LPVG NRW gebildeten besonderen Personalvertretungen für die im Landesdienst beschäftigten Lehrkräfte wie hier der Antragsteller befinden. Das ‑ hier unterstellte ‑ Fehlen eines förmlichen Beteiligungsrechts im Zusammenhang mit der Auflösung von Schulen hat zur Folge, dass einerseits die Beschäftigungsverhältnisse der von der Auflösung einer Schule betroffenen Lehrkräfte in besonders schwerwiegender Weise Veränderungen unterworfen werden, während andererseits der Antragsteller als der zur Vertretung dieser Lehrkräfte berufene Personalrat deren Belange nicht im Rahmen eines förmlichen Beteiligungsverfahrens einbringen kann. In einer solchen Konstellation ist es jedenfalls zur Wahrnehmung der dargestellten allgemeinen Aufgaben aus § 64 LPVG NRW erforderlich, dass der Personalrat von der Dienststelle rechtzeitig und umfassend über den ihr bekannten Stand der Dinge unterrichtet wird. Insbesondere ist der Antragsteller nur bei einer möglichst frühzeitigen Unterrichtung über anstehende Schulauflösungen in der Lage, der Beteiligten im Rahmen des allgemeinen Initiativ- oder Antragsrechts aus § 64 Nr. 1 LPVG NRW vorzuschlagen, gegenüber dem Schulträger in einer bestimmten Weise vorstellig zu werden.
20Vgl. zu einer vergleichbaren Situation nach dem hessischen Landesrecht BVerwG, Beschluss vom 27. November 2012 ‑ 6 PB 12.12 ‑, a. a. O.
21Diesen Anforderungen entsprechen die Vorgaben aus den von der Beteiligten erlassenen Handlungsanweisungen, da in diesen vorgesehen ist, dass eine Unterrichtung des Personalrats erfolgen soll, sobald der Schulträger seine Planungen der Beteiligten gegenüber konkretisiert hat. Bei Einhaltung dieser Vorgaben ist sichergestellt, dass der Antragsteller so frühzeitig, wie es der Beteiligten sachgerecht möglich ist, über anstehende Schulauflösungen informiert wird.
22Der Antragsteller hat auch einen Verfügungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht. Der Erlass der einstweiligen Verfügung ist zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den Antragsteller nötig. Für ihn wäre es mit unzumutbaren Folgen verbunden, eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten.
23Bei der Frage, wann schlechthin unzumutbare Folgen anzunehmen sind, ist sowohl das Interesse des Personalrats als auch dasjenige der von ihm vertretenen Beschäftigten in den Blick zu nehmen. Als wesentlicher Gesichtspunkt ist dabei zu berücksichtigen, inwieweit die Arbeit des Personalrats ohne den Erlass der einstweiligen Verfügung generell oder für bestimmte wichtige Bereiche in einer Weise unmöglich oder eingeschränkt würde, die auch nur vorübergehend hinzunehmen dem Personalrat und/oder den von ihm vertretenen Beschäftigten nicht angesonnen werden könnte. Zu gewichten ist vor allem, welche Bedeutung dem geltend gemachten Beteiligungsrecht für den Personalrat und/oder für die Beschäftigten in dem jeweiligen Einzelfall beizumessen ist. Dabei ist insbesondere auch in den Blick zu nehmen, welche Möglichkeiten dem Personalrat zur Erlangung von Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren noch verbleiben.
24Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 9. Juli 2012 ‑ 20 B 675/12.PVB ‑, DÖD 2012, 237, vom 20. August 2013 - 20 B 585/13.PVL -, a. a. O., vom 8. Oktober 2013 ‑ 20 B 838/13.PVL - und vom 30. April 2014 ‑ 20 B 204/14.PVL ‑.
25Ausgehend von diesen Erwägungen sind vorliegend insbesondere für den Antragsteller unzumutbare Folgen glaubhaft gemacht.
26Ohne Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung würde der dem Antragsteller nach dem Vorstehenden offensichtlich zustehende Informationsanspruch mit jeder durchgeführten Schulauflösung endgültig und unwiederbringlich verloren gehen. Denn mit der Umsetzung der Organisationsentscheidung geht der im konkreten Fall bestehende Informationsanspruch des Antragstellers unter.
27Auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren kann der Antragsteller nicht verwiesen werden. Zwar ist es ihm möglich, für künftige Fallgestaltungen durch eine abstrakte Antragstellung die Klärung des Bestehens des geltend gemachten Informationsanspruchs herbeizuführen. Bis zu einer solchen Klärung im Hauptsacheverfahren müsste der Antragsteller dann aber möglicherweise hinnehmen, frühzeitige Informationen über anstehende Schulauflösungen nicht zu erhalten. Dies kann ihm insbesondere deshalb nicht zugemutet werden, weil die mit einer Schulauflösung verbundenen Konsequenzen für das Beschäftigungsverhältnis der betroffenen Lehrkräfte erheblich sind und deshalb in solchen Fällen ein besonderes Interesse der Lehrkräfte daran besteht, dass der zu ihrer Vertretung berufene Personalrat ihre Belange effektiv wahrnehmen kann. Im Weiteren ist zu berücksichtigen, dass gerade derzeit in Anbetracht der aktuell anstehenden Veränderungen in der Struktur der Schulformen in verstärktem Maße mit Schulauflösungen zu rechnen ist.
28Eine Kostenentscheidung entfällt im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren.
29Der Beschluss ist gemäß § 79 Abs. 2 LPVG NRW i. V. m. § 92 Abs. 1 Satz 3 ArbGG unanfechtbar.
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Einstweilige Verfügungen sind auch zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
Tenor
Der angegriffene Beschluss wird geändert.
Die Beteiligte wird im Wege der einstweiligen Verfügung vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, den Antragsteller fortlaufend über den Prozess "Privatisierung von Kindertagesstätten" zu informieren.
1
G r ü n d e
2Über die Beschwerde kann der Vorsitzende des Fachsenats wegen der Eilbedürftigkeit der Sache ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter und ohne vorhergehende Durchführung einer mündlichen Anhörung der Beteiligten entscheiden (§ 79 Abs. 2 LPVG NRW i. V. m. §§ 87 Abs. 2 Satz 1, 85 Abs. 2 ArbGG sowie § 937 Abs. 2 und § 944 ZPO).
3Das mit der Beschwerde vom Antragsteller weiterverfolgte vorläufige Rechtsschutzbegehren,
4die Beteiligte im Wege der einstweiligen Verfügung vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten, ihn fortlaufend über den Prozess "Privatisierung von Kindertagesstätten" zu informieren,
5hilfsweise
6über den Stand der beabsichtigten Privatisierung von Kindertagesstätten zu informieren,
7hat mit dem Hauptantrag Erfolg.
8Eine einstweilige Verfügung kann nach den hier anzuwendenden Vorschriften des Achten Buches der Zivilprozessordnung erlassen werden, wenn die Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 940 ZPO). Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 ZPO). Die einstweilige Verfügung darf grundsätzlich nicht mehr zusprechen, als im Hauptsacheverfahren möglich ist; sie darf außerdem die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen. Allerdings kann es die Effektivität des Rechtsschutzes ausnahmsweise erfordern, durch den Erlass einer einstweiligen Verfügung der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, sofern wirksamer Rechtsschutz im ordentlichen Verfahren nicht erreicht werden kann und dies für den Antragsteller zu schlechthin unzumutbaren Folgen führen würde, insbesondere wenn ein endgültiger Rechtsverlust oder ein sonstiger irreparabler Zustand droht. Dabei sind die Belange der Beteiligten sorgfältig abzuwägen und strenge Anforderungen an die materiellen Voraussetzungen der einstweiligen Verfügung zu stellen.
9Ständige Rechtsprechung, vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 14. Januar 2003 ‑ 1 B 1907/02.PVL ‑, PersV 2003, 198, vom 28. Januar 2003 ‑ 1 B 1681/02.PVL ‑, PersR 2004, 64, vom 30. Dezember 2004 ‑ 1 B 1864/04.PVL ‑ und vom 22. Februar 2007 ‑ 1 B 2563/06.PVL ‑.
10An diesen Anforderungen hat sich aufgrund der Änderungen des § 79 LPVG NRW durch Art. I des Gesetzes zur Änderung des Landespersonalvertretungsgesetzes und des WDR-Gesetzes vom 5. Juli 2011 (GV. NRW. S. 348) ‑ LPVG-Novelle 2011 ‑ nichts geändert. Zwar sieht der durch die LPVG-Novelle 2011 neu in das Gesetz aufgenommene Absatz 3 in dessen Satz 3 nunmehr ausdrücklich vor, dass für einstweilige Verfügungen § 85 Abs. 2 ArbGG gilt. Diese Aussage ist aber zum einen im Zusammenhang mit der Regelung in § 79 Abs. 3 Satz 1 LPVG NRW zu sehen, nach der das Beschlussverfahren nunmehr auch auf die Unterlassung oder Durchführung einer Handlung oder Maßnahme gerichtet sein kann. Nur für derartige Fallgestaltung hebt § 79 Abs. 3 Satz 3 LPVG NRW ‑ im Übrigen lediglich klarstellend ‑ die Anwendbarkeit von § 85 Abs. 2 ArbGG für einstweilige Verfügungen hervor. Zum anderen kommt der Vorschrift mit Blick auf die an den Erlass einer einstweiligen Verfügung zu stellenden Anforderungen auch keine regelnde Wirkung zu. Insbesondere ist damit keine Veränderung der Rechtslage eingetreten. Wie schon zuvor und auch weiterhin gelten nach § 79 Abs. 2 Satz 1 LPVG NRW im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren die Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes über das Beschlussverfahren entsprechend. Zu diesen Vorschriften zählt auch § 85 Abs. 2 ArbGG. Angesichts dessen folgt eine entsprechende Anwendung des § 85 Abs. 2 ArbGG im personalvertretungsrechtlichen Verfahren bereits aus § 79 Abs. 2 Satz 1 LPVG NRW. Einen darüber hinausgehenden Regelungsgehalt kann der neuen Regelung in § 79 Abs. 3 Satz 3 LPVG NRW deshalb weder für einstweilige Verfügungen, die auf die Unterlassung oder Durchführung einer Handlung oder Maßnahme (im Sinne von § 79 Abs. 3 Satz 1 LPVG NRW) gerichtet sind, noch für (sonstige) einstweilige Verfügungen entnommen werden.
11Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2012 ‑ 20 B 511/12.PVL ‑, DÖD 2012, 235.
12Die besonderen Anforderungen für eine die Hauptsache vorwegnehmende einstweilige Verfügung sind für das Begehren des Antragstellers einschlägig, da er eine der Hauptsacheentscheidung ‑ jedenfalls in zeitlicher Hinsicht teilweise ‑ entsprechende Verpflichtung der Beteiligten zu einer fortlaufenden Unterrichtung über den Prozess "Privatisierung von Kindertagesstätten" verfolgt.
13Ausgehend von diesen Anforderungen hat der Antragsteller sowohl einen Verfügungsanspruch als auch einen Verfügungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht.
14Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus § 65 Abs. 1 Satz 3 LPVG NRW. Nach dieser Bestimmung ist der Personalrat vor Organisationsentscheidungen der Dienststelle, die beteiligungspflichtige Maßnahmen zur Folge haben, frühzeitig und fortlaufend zu informieren.
15Die Regelung des § 65 Abs. 1 Satz 3 LPVG NRW steht im Zusammenhang mit dem allgemeinen Unterrichtungsanspruch des Personalrats aus § 65 Abs. 1 Satz 1 LPVG NRW. Danach ist die Dienststelle verpflichtet, den Personalrat zur Durchführung seiner Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten. Diese Regelung wird durch § 65 Abs. 1 Satz 3 LPVG NRW dahingehend ergänzt, dass der Personalrat ‑ losgelöst von einer konkreten beteiligungspflichtigen Maßnahme ‑ bereits im Vorfeld von Organisationsentscheidungen der Dienststelle, die beteiligungspflichtige Maßnahmen zur Folge haben, frühzeitig und fortlaufend zu informieren ist. Die Regelung ist mit der LPVG-Novelle 2011 als Teil des gesetzgeberischen Ziels der Einführung einer prozessbegleitenden Mitbestimmung in das Gesetz aufgenommen worden. Maßgeblich dafür war die Erwägung, bei Organisationsentscheidungen, wie beispielsweise der Auflösung oder Neubildung von Behörden, müsse eine Information des Personalrats möglichst frühzeitig vor diesen Entscheidungen erfolgen, um die kollektiven Interessen, insbesondere die Gleichbehandlung der betroffenen Beschäftigten, effektiv sicherstellen zu können; die förmliche Beteiligung bei den Einzelmaßnahmen sei wegen deren Einzelfallbezugs dafür oft nicht das geeignete Verfahren und setze zu spät ein.
16Vgl. LT-Drucks. 15/1644 S. 81.
17Die Voraussetzungen des § 65 Abs. 1 Satz 3 LPVG NRW liegen offensichtlich vor. Der vom Antragsteller als Prozess "Privatisierung von Kindertagesstätten" bezeichnete Gegenstand seines Informationsbegehrens stellt einen Vorgang dar, der auf die Herbeiführung einer Organisationsentscheidung gerichtet ist, die beteiligungspflichtige Maßnahmen zur Folge hat. Bei der Beteiligten finden derzeit konkrete Planungen statt, wesentliche organisatorische Veränderungen dergestalt vorzunehmen, dass 18 städtische Kindertagesstätten an freie Träger der Jugendhilfe übergeben werden. Sollten diese Planungen umgesetzt werden, hätte dies eine Vielzahl von beteiligungspflichtigen Maßnahmen hinsichtlich der derzeit noch in diesen städtischen Kindertagesstätten tätigen Beschäftigten der Beteiligten zur Folge. Auch wenn deren Arbeitsverträge erhalten blieben, stünden jedenfalls (mitbestimmungspflichtige) Umsetzungen der betroffenen Beschäftigten in andere Kindertagesstätten in Rede. Die Planungen haben sich ‑ jedenfalls seit dem Beschluss der Verwaltungskonferenz vom 24. Juli 2012 ‑ hinreichend konkretisiert. Mit diesem Beschluss hat die Verwaltungskonferenz die Verwaltung beauftragt, für im Einzelnen bezeichnete 18 städtische Kindertagesstätten die Verhandlungen für eine Übergabe an freie Träger der Jugendhilfe aufzunehmen. Damit kann kein Zweifel mehr bestehen, dass eine Organisationsentscheidung konkret vorbereitet wird. Angesichts dessen geht der Einwand der Beteiligten ins Leere, es sei noch keine weitere Vorlage an die Verwaltungskonferenz mit einer ergänzten Standortanalyse und einem Gesamtkonzept erfolgt und deshalb noch keine Entscheidung der Verwaltungskonferenz zu diesen Fragen getroffen. Im Übrigen ist der aus § 65 Abs. 1 Satz 3 LPVG NRW folgende Informationsanspruch gerade darauf gerichtet, den Antragsteller (auch) über die Entwicklung des Willensbildungsprozesses für die Erstellung einer solchen Vorlage an die Verwaltungskonferenz zu unterrichten.
18Ohne Erfolg wendet die Beteiligte mit ihrem Beschwerdevorbringen ein, die Vorschrift des § 65 Abs. 1 Satz 3 LPVG NRW finde keine Anwendung bei Organisationsentscheidungen, die ‑ wie hier die endgültige Entscheidung über die Übergabe der Kindertagesstätten an die freien Träger ‑ vom Rat als verfassungsmäßig zuständigem obersten Organ getroffen würden. Für eine derartige Einschränkung des Informationsanspruchs des Personalrats besteht keine Grundlage. Wenn § 65 Abs. 1 Satz 3 LPVG NRW auf Organisationsentscheidungen "der Dienststelle" abstellt, kann dies nicht dahingehend verstanden werden, dass davon allein solche Organisationsentscheidungen erfasst werden, über die der Leiter der Dienststelle im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 LPVG NRW zu entscheiden hat. Vielmehr greift die Vorschrift auch dann ein, wenn Organisationsentscheidungen in Rede stehen, über die der Rat als verfassungsmäßig zuständiges oberstes Organ oder ein von diesem bestimmter Ausschuss zu befinden hat. Das LPVG NRW unterscheidet für das Vorliegen von dem Personalrat zustehenden Beteiligungsrechten oder sonstigen Ansprüchen nicht danach, welchem verfassungsmäßigen Organ einer Gemeinde nach der Gemeindeordnung die Entscheidungsbefugnis zusteht. Das Gesetz enthält lediglich in § 66 Abs. 3 Satz 7 bis 9 und § 69 Abs. 1 Satz 2 LPVG NRW besondere Vorschriften für die Abwicklung von Mitbestimmungs- und von Mitwirkungsverfahren, bei denen anstelle des Leiters der Dienststelle das verfassungsmäßig zuständige oberste Organ oder ein von diesem bestimmter Ausschuss über die beabsichtigte Maßnahme zu entscheiden hat. Diese Regelungen betreffen aber allein Verfahrensfragen. Sie stellen nicht die nach den sonstigen Vorschriften des LPVG NRW bestehenden Rechte des Personalrats in Frage. Auch Sinn und Zweck des § 65 Abs. 1 Satz 3 LPVG gebietet die Anwendung der Vorschrift auf solche Organisationsentscheidungen, die vom Rat oder einem von diesem bestimmten Ausschuss der Gemeinde zu treffen sind. Bei derartigen Organisationsentscheidungen besteht in gleicher Weise das insbesondere nach der dargestellten Gesetzesbegründung anzuerkennende Interesse des Personalrats, frühzeitig und fortlaufend informiert zu werden, als wenn es sich um eine in der alleinigen Entscheidungsbefugnis des Leiters der Dienststelle liegende Maßnahme handelt.
19Der Antragsteller hat auch einen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht. Der Erlass der einstweiligen Verfügung ist zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den Antragsteller nötig. Für ihn wäre es mit unzumutbaren Folgen verbunden, eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten.
20Bei der Frage, wann schlechthin unzumutbare Folgen anzunehmen sind, ist sowohl das Interesse des Personalrats als auch dasjenige der von ihm vertretenen Beschäftigten in den Blick zu nehmen. Als wesentlicher Gesichtspunkt ist dabei zu berücksichtigen, inwieweit die Arbeit des Personalrats ohne den Erlass der einstweiligen Verfügung generell oder für bestimmte wichtige Bereiche in einer Weise unmöglich oder eingeschränkt würde, die auch nur vorübergehend hinzunehmen dem Personalrat und/oder den von ihm vertretenen Beschäftigten nicht angesonnen werden könnte. Zu gewichten ist vor allem, welche Bedeutung dem geltend gemachten Beteiligungsrecht für den Personalrat und/oder für die Beschäftigten in dem jeweiligen Einzelfall beizumessen ist. Dabei ist insbesondere auch in den Blick zu nehmen, welche Möglichkeiten dem Personalrat zur Erlangung von Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren noch verbleiben.
21Ausgehend von diesen Erwägungen sind vorliegend insbesondere mit Blick auf die Interessen des Antragstellers unzumutbare Folgen glaubhaft gemacht.
22Ohne Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung würde der dem Antragsteller nach dem Vorstehenden offensichtlich zustehende Informationsanspruch endgültig und unwiederbringlich verloren gehen. Nach der Umsetzung der von der Beteiligten erwogenen Organisationsentscheidung, mit der vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu rechnen ist, geht der Informationsanspruch des Antragstellers unter.
23Auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren muss der Antragsteller sich nicht verweisen lassen. Das bislang mit einem konkreten Antrag verfolgte Hauptsacheverfahren würde mit der Umsetzung der Organisationsentscheidung seine Erledigung finden. Ob eine aufgrund dessen erfolgende Umstellung auf eine abstrakte Antragstellung zu einer Klärung des Bestehens eines Informationsanspruchs des Antragstellers für künftige Fallgestaltungen beitragen könnte, begegnet angesichts des Umstandes erheblichen Zweifeln, dass das Bestehen eines Informationsanspruchs aus § 65 Abs. 1 Satz 3 LPVG NRW regelmäßig wie auch hier von besonderen, den jeweiligen Einzelfall prägenden Umständen abhängig ist.
24Dem Eintritt eines endgültigen Rechtsverlusts kommt vorliegend insbesondere auch deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil der durch § 65 Abs. 1 Satz 3 LPVG NRW vermittelte Informationsanspruch nach seinem Sinn und Zweck gerade darauf gerichtet ist, dem Personalrat die Möglichkeit zu geben, auf den der Organisationsentscheidung vorgelagerten Willensbildungs- und Entscheidungsprozess Einfluss zu nehmen. Dieser Möglichkeit würde der Antragsteller beraubt, wenn die einstweilige Verfügung nicht erging.
25Eine Kostenentscheidung entfällt im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren.
26Der Beschluss ist gemäß § 79 Abs. 2 LPVG NRW i. V. m. § 92 Abs. 1 Satz 3 ArbGG unanfechtbar.
(1) Gegen den das Verfahren beendenden Beschluß eines Landesarbeitsgerichts findet die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Beschluß des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 92a Satz 2 zugelassen wird. § 72 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. In den Fällen des § 85 Abs. 2 findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.
(2) Für das Rechtsbeschwerdeverfahren gelten die für das Revisionsverfahren maßgebenden Vorschriften sowie die Vorschrift des § 85 über die Zwangsvollstreckung entsprechend, soweit sich aus den §§ 93 bis 96 nichts anderes ergibt. Für die Vertretung der Beteiligten gilt § 11 Abs. 1 bis 3 und 5 entsprechend. Der Antrag kann jederzeit mit Zustimmung der anderen Beteiligten zurückgenommen werden; § 81 Abs. 2 Satz 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Die Einlegung der Rechtsbeschwerde hat aufschiebende Wirkung. § 85 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.