Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 06. Juni 2014 - 2 A 2757/12

ECLI:ECLI:DE:OVGNRW:2014:0606.2A2757.12.00
bei uns veröffentlicht am06.06.2014

Tenor

Die Berufungen werden zurückgewiesen.

Die Beklagte und die Beigeladene, diese als Gesamtschuldner, tragen die Kosten des Berufungsverfahrens jeweils zur Hälfte. Eine Kostenerstattung zwischen der Beklagten und den Beigeladenen findet nicht statt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 132


(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 42


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden. (2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist

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Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 04. Juni 2012 - 2 L 56/11

bei uns veröffentlicht am 04.06.2012

Gründe 1 I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. 2 Der Kläger benennt schon keinen der in § 124 Abs. 2 VwGO aufgeführten Gründe, die allein eine Zulassung der Berufung erlauben. Aber auch wenn anzunehmen sein sollte, er mache
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Verwaltungsgericht München Beschluss, 09. Okt. 2018 - M 8 SN 18.3661

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Tenor I. Die aufschiebende Wirkung der Klage (M 8 K 17.3748) gegen die Baugenehmigung vom 5. Juli 2017 (Az.: …) in Gestalt der Baugenehmigung vom 15. Januar 2018 (Az.: …) wird angeordnet. II. Die Antragsgegnerin und

Verwaltungsgericht München Urteil, 12. März 2018 - M 8 K 16.4384

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Tenor I. Der Bescheid vom 25.8. 2016 (Az.: ......) wird aufgehoben. II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst. III. Die Kostenentscheidung ist gegen

Verwaltungsgericht München Urteil, 19. März 2018 - M 8 K 16.4726

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Tenor I. Die Baugenehmigung vom 22. September 2016, Az. … wird aufgehoben. II. Die Beklagte und die Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen je zur Hälfte zu

Verwaltungsgericht München Urteil, 19. März 2018 - M 8 K 16.4694

bei uns veröffentlicht am 19.03.2018

Tenor I. Die Baugenehmigung vom 22. September 2016, Az. … wird aufgehoben. II. Die Beklagte und die Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen je zur Hälfte zu

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(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Gründe

1

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

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Der Kläger benennt schon keinen der in § 124 Abs. 2 VwGO aufgeführten Gründe, die allein eine Zulassung der Berufung erlauben. Aber auch wenn anzunehmen sein sollte, er mache ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend, kann der Zulassungsantrag keinen Erfolg haben. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor, wenn zwar einzelne Rechtssätze oder tatsächliche Feststellungen, welche das Urteil tragen, zu Zweifeln Anlass bieten, das Urteil aber im Ergebnis aus anderen Gründen offensichtlich richtig ist (BVerwG, Beschl. v. 10.03.2004 – 7 AV 4.03 –, DVBl 2004, 838). So liegt es hier.

3

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Klage, mit der sich der Kläger gegen die Aufhebung einer gegen den Beigeladenen am 23.01.2009 erlassenen bauaufsichtlichen Anordnung zum Verschließen zweier Dachflächenfenster mit harter Bedachung wendet und hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten zum (erneuten) bauaufsichtlichen Einschreiten gegen den Beigeladenen begehrt, sei bereits wegen formeller Verwirkung unzulässig. Über seinen nachbarrechtlichen Abwehranspruch betreffend die beiden Dachfenster sei bereits bestandskräftig entschieden worden. Der Kläger habe bereits im April 2004 gegenüber der Beklagten ohne Erfolg ein Einschreiten gefordert. Das damalige Verfahren sei mit bestandskräftigem Widerspruchsbescheid vom 10.02.2006 abgeschlossen worden. Das über zwei Jahre später mit Antrag vom 10.04.2008 vom Kläger erneut veranlasste Verfahren sei mithin in verwirkter Zeit anhängig gemacht worden.

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1. Der Kläger wendet hiergegen ein, eine Verwirkung setze neben dem Zeitmoment besondere Umstände voraus, die die verspätete Geltendmachung des Rechts als Verstoß gegen Treu und Glauben im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis erscheinen lassen. Dieses Merkmal, zu dem das Verwaltungsgericht nichts ausgeführt habe, sei hier nicht erfüllt. Insbesondere ein positives Tun seinerseits, wie etwa eine Erklärung, die als Einverständnis gewertet werden könnte, sei nicht ersichtlich. Zu einem Handeln sei er nicht verpflichtet gewesen, weil der streitige Dachausbau bereits abgeschlossen gewesen sei. Besondere Umstände, bei denen nach der Rechtsprechung eine Verwirkung angenommen werden könne, hätten weder im Zeitraum zwischen 2006 und dem erneuten Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten noch im Zeitraum zwischen dem Erwerb der Immobilie durch den Beigeladenen im Jahr 2002 und dem ersten Antrag im Jahr 2004 vorgelegen. Mit diesem Vorbringen vermag der Kläger im Ergebnis nicht durchzudringen.

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1.1. Zwar begegnen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur formellen Verwirkung Bedenken. Grundsätzlich ist zwischen materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Rechtspositionen zu unterscheiden, wobei die Verwirkung verfahrensrechtlicher Rechte des Nachbarn regelmäßig voraussetzt, dass eine Baugenehmigung zuvor erteilt worden ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.03.1988 – 4 B 50.88 –, NVwZ 1988,730). Dies ist hier in Bezug auf den Einbau der streitigen Dachflächenfenster – soweit ersichtlich – nicht der Fall. Ob auch dann von einer formellen Verwirkung gesprochen werden kann, wenn – wie hier – ein Nachbar einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten nicht im Klagewege weiterverfolgt, sondern die ablehnende behördliche Entscheidung hinnimmt, erscheint fraglich. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Behörde auf einen erneuten Antrag des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten in eine neue Sachprüfung eintritt und einen Zweitbescheid erlässt, der den Klageweg neu eröffnet. Eine solche Fallkonstellation liegt hier vor. Die Beklagte hat – ungeachtet der Frage, ob ein solches Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne zu Lasten des Bauherrn zulässig ist (zweifelnd: VGH BW, Urt. v. 28.11.1989 – 10 S 1011/89 –, NVwZ 1990, 985 [988]) – den Antrag des Klägers vom 10.04.2008 zum Anlass genommen, die Zulässigkeit der Dachflächenfenster und einen eventuellen Beseitigungsanspruch des Klägers erneut zu prüfen. Die Frage, ob eine formelle Verwirkung vorliegt, kann indes offen bleiben.

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1.2. Der Kläger hat jedenfalls deshalb keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die beiden in Widerspruch zu § 31 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauO LSA (früher § 34 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauO LSA 1994) stehenden Dachflächenfenster, weil ein eventuelles Abwehrrecht jedenfalls materiell verwirkt ist.

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Materiellrechtliche Abwehrrechte des Nachbarn können auch gegenüber ungenehmigten Bauvorhaben verwirkt werden (BVerwG, Beschl. v. 18.03.1988, a.a.O.). Verwirkung als ein im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) erscheinen lassen. Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Das Verhalten des Berechtigten muss beim Verpflichteten also nicht nur die Vorstellung begründet haben, dass das Recht nicht mehr geltend gemacht werde; der Verpflichtete muss sich hierauf auch tatsächlich eingerichtet haben (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 16.05.1991 – 4 C 4.89 –, NVwZ 1991, 1182 [1184]). Die für eine Verwirkung nachbarlicher Abwehrrechte erforderliche Voraussetzung der Schaffung eines Vertrauenstatbestandes und einer Vertrauensbetätigung können auch in der Zeit nach Fertigstellung eines umstrittenen Bauvorhabens erfüllt werden, insbesondere wenn der umstrittene Baubestand über lange Jahre vom Nachbarn „widerspruchslos" hingenommen worden ist und der Bauherr in dieser Zeit Erhaltungsaufwendungen getätigt hat (vgl. SaarlOVG, Urt. v. 25.01.1994 – 2 R 12/93 –, BRS 56 Nr. 183). Dabei spielt ein Eigentumswechsel keine Rolle, da die jeweiligen Abwehrrechte dinglich, d. h. auf die beteiligten Grundstücke bezogen sind, so dass der neue Eigentümer in die Rechtsstellung des früheren einrückt (BayVGH, Urt. v. 28.03.1990 – 20 B 89.3055 –, BayVBl 1991, 725; VGH BW, Urt. v. 25.09.1991 – 3 S 2000/91 –, VBlBW 1991, 103; OVG MV, Urt. v. 05.11.2001 – 3 M 93/01 –, NVwZ-RR 2003, 15 [17], m.w.N.). Auch wenn es um die Einhaltung dem vorbeugenden Brandschutz dienender Vorschriften geht, können eventuelle nachbarliche Abwehrrechte verwirken (vgl. VGH BW, Urt. v. 25.09.1991, a.a.O.; SaarlOVG, Beschl. v. 16.02.2010 – 2 A 390/09 –, Juris, RdNr. 17).

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Gemessen daran sind Abwehrrechte des Klägers gegen die beiden streitigen Dachflächenfenster materiell verwirkt. Das erforderliche zeitliche Moment ist erfüllt. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts wurden die Fenster bereits Mitte der 90er Jahre im Zuge der Dachsanierung eingebaut, als der Beigeladene noch nicht Eigentümer des Baugrundstücks war. Der Kläger hat sich indes erstmals im April 2004 gegen die Dachfenster gewandt. Der Beigeladene durfte – wie schon der jeweilige Voreigentümer – auch darauf vertrauen, dass der Kläger eventuelle Abwehrrechte gegen den Fenstereinbau nicht mehr geltend machen werde. Nach den Ausführungen des Klägers im Schriftsatz vom 15.05.2012 wurden alle baulichen Veränderungen und Instandhaltungen auf den Grundstücken A-Straße 8 und 9 in den 90er Jahren in gegenseitiger Absprache zwischen dem Kläger und den Rechtsvorgängern des Beigeladenen durchgeführt. Auch ist davon auszugehen, dass der jeweilige Grundstückseigentümer tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die späte Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Für den Grundstückseigentümer unzumutbare Nachteile können auch dann entstehen, wenn über Fensteröffnungen, die beseitigt werden sollen, Aufenthaltsräume belichtet werden (vgl. VGH BW, Urt. v. 25.09.1991, a.a.O.), insbesondere dann, wenn der Eigentümer das Grundstück bereits mit dem umstrittenen baulichen Bestand erworben und darauf vertraut hat, es in der vorgefundenen Weise nutzen zu können. Dies ist hier der Fall. Nach der am 21.10.2009 durchgeführten Ortsbesichtigung wird über die beiden Dachflächenfenster, die bereits beim Erwerb des Grundstücks eingebaut waren, das Badezimmer im Gebäude des Beigeladenen belichtet.

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Ohne rechtliche Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass der Beigeladene gegen die dem Kläger am 28.05.2010 nachträglich erteilte Baugenehmigung für den im Jahr 1993 – im Einvernehmen mit dem damaligen Nachbarn – errichteten Wintergarten Widerspruch erhob und das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt daraufhin mit (noch nicht bestandskräftigem) Widerspruchsbescheid vom 29.06.2011 die Baugenehmigung aufhob. Der Umstand, dass der Kläger den Wintergarten im Einvernehmen mit den Voreigentümern des Nachbargrundstücks errichtete, mag dazu geführt haben, dass auch eventuelle Abwehransprüche der Voreigentümer und des Beigeladenen gegen den Wintergarten in seiner bisherigen Gestalt materiell verwirkt waren. Dass der Beigeladene ungeachtet dessen die nachträgliche Baugenehmigung für den Wintergarten angefochten hat, ließ die materiell verwirkten Abwehrrechte des Klägers gegen die Dachflächenfenster aber nicht wieder aufleben. Es blieb dem Kläger vielmehr unbenommen, im Rahmen der Anfechtungsklage gegen den Widerspruchsbescheid vom 29.06.2011 seinerseits eine materielle Verwirkung von Abwehrrechten des Beigeladenen gegen den Wintergarten geltend zu machen. Einer solchen Verwirkung könnte allerdings entgegen stehen, dass die im Widerspruchsverfahren aufgehobene Baugenehmigung neben der Genehmigung des bisher vorhandenen Bestandes auch die „Ertüchtigung“ des Wintergartens mit einer Brandschutzwand beinhaltet. Dadurch würde eine neue bauliche Situation im Grenzbereich zwischen den Grundstücken des Klägers und des Beigeladenen entstehen, die im Vergleich zum bisherigen Bestand zu einer zusätzlichen bzw. andersartigen Beeinträchtigung der Belange des Beigeladenen führt.

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2. Der Kläger rügt weiter, unabhängig von einer Verwirkung seiner Nachbarrechte wäre die Beklagte gleichwohl verpflichtet, gegen das Bauvorhaben einzuschreiten, weil der Abstand der Kippfenster zum Nachbargebäude den bauordnungsrechtlich geforderten Mindestabstand unterschreite und sich daraus eine erhöhte Brandgefahr ergebe. Auf Bestandsschutz könne sich der Beigeladene nicht berufen. Der seinerzeitige Ausbau des Dachgeschosses sei nicht gemäß § 69 Abs. 1 Nr. 11 BauO LSA (a. F.) baugenehmigungsfrei gewesen, weil nicht durch eine sachkundige Person schriftlich bescheinigt worden sei, dass keine Bedenken hinsichtlich des Brandschutzes bestünden.

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Auch damit vermag der Kläger nicht durchzudringen. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist allein ein Anspruch des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen den Einbau der Dachflächenfenster, der der materiellen Verwirkung unterliegt. Besteht ein solcher Anspruch nicht (mehr), liegt es – auch wenn die Fenster der dem vorbeugenden Brandschutz dienende Vorschrift des § 31 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauO LSA (früher § 34 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauO LSA 1994) nicht entsprechen – im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten, ob sie dagegen bauaufsichtlich einschreitet (§§ 79 Satz 1, 86 Abs. 1 BauO LSA).

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II. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327, 1329).


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.