Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 10. Aug. 2016 - 19 E 818/15
Gericht
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Der Senat bewilligt dem Kläger Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren und ordnet ihm Rechtsanwältin R. in I. bei.
Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
1
Gründe:
2Der Senat entscheidet über die Beschwerde durch die Berichterstatterin, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§§ 87a Abs. 2, 3, 125 Abs. 1 VwGO).
3Die Prozesskostenhilfebeschwerde ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers für das erstinstanzliche Klageverfahren zu Unrecht abgelehnt. Seine Klage hat hinreichende Erfolgsaussicht (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die angefochtene Feststellung sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung setzt nach § 5 AO-SF eine dauerhafte und hochgradige Beeinträchtigung des schulischen Lernens des Klägers im Bereich der kognitiven Funktionen und in der Entwicklung seiner Gesamtpersönlichkeit sowie hinreichende Anhaltspunkte für seine voraussichtlich dauerhafte Hilfebedürftigkeit zur selbstständigen Lebensführung auch nach dem Ende der Schulzeit voraus.
4Am Maßstab dieser Begriffsdefinition ist der angefochtene Feststellungsbescheid vom 19. Mai 2015 schon deshalb rechtswidrig, weil weder er noch das ihm zugrunde liegende sonderpädagogische Gutachten vom 27. März 2015 eine prognostische Feststellung zur letztgenannten Voraussetzung enthalten (dauerhafte Hilfebedürftigkeit auch nach dem Ende der Schulzeit). Im Gegenteil heißt es in der Zusammenfassung des Gutachtens ausdrücklich: „Im lebenspraktischen Bereich benötigt D. nur wenig, altersangemessene Unterstützung.“
5Unabhängig davon lässt sich dem Gutachten auch das Vorliegen der erstgenannten Voraussetzung, einer hochgradigen Beeinträchtigung im Bereich der kognitiven Funktionen, nicht entnehmen. Die beiden Gutachterinnen attestieren dem Kläger im kognitiven Bereich vielmehr lediglich „Schwierigkeiten“, hier zeige er sich „nicht altersentsprechend entwickelt, besonders im Hinblick auf sein Konzentrationsvermögen.“ Diese Umschreibung lässt allenfalls auf Lern- und Leistungsausfälle im Sinn des § 4 Abs. 2 AO-SF schließen, nicht aber auf eine hochgradige Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen des Klägers im Sinn des § 5 AO-SF. Eine solche hochgradige Beeinträchtigung ist, wie der Kläger zu Recht rügt, auch durch den von ihm vorgelegten Untersuchungsbericht des Evangelischen Krankenhauses C. vom 3. Juli 2015 sowie den vom Schulamt im Januar 2016 vorgelegten Entwicklungsbericht der Klassen- und der Förderschullehrerin eher widerlegt als bestätigt.
6Bezeichnenderweise geht auch das Schulamt in seiner Stellungnahme vom 30. September 2015 vom Vorliegen lediglich einer „Entwicklungsverzögerung“ aus und sieht sich an der hierzu allenfalls passenden Feststellung sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs im Förderschwerpunkt Lernen nur deshalb gehindert, weil „bei Einschulungskindern ein sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf Lernen erst nach Ende der Schuleingangsphase attestiert werden soll“. Diese an § 19 Abs. 7 Satz 2 Halbsatz 1 SchulG NRW und § 12 Abs. 3 Halbsatz 1 AO-SF orientierte Erwägung des Schulamtes greift im vorliegenden Fall nicht durch. Danach kann die allgemeine Schule den Antrag nach § 19 Abs. 5 Satz 1 SchulG NRW bei einem vermuteten Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt Lernen in der Regel erst stellen, wenn ein Schüler die Schuleingangsphase der Grundschule im dritten Jahr besucht. Die beiden Vorschriften regeln nur, unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise auch die allgemeine Schule den Feststellungsantrag nach § 19 Abs. 5 Satz 1 SchulG NRW stellen kann, lassen jedoch das Recht der Eltern unberührt, einen solchen Antrag zu stellen.
7Gesetzentwurf der Landesregierung zum 9. Schulrechtsänderungsgesetz, LT-Drs. 16/2432 vom 21. März 2013, S. 50.
8Da das hier streitige Feststellungsverfahren auf dem Elternantrag vom 27. November 2014 beruht, stehen § 19 Abs. 7 Satz 2 Halbsatz 1 SchulG NRW und § 12 Abs. 3 Halbsatz 1 AO-SF einer Feststellung sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs im Förderschwerpunkt Lernen auch schon in der Schuleingangsphase nicht entgegen. Dies wird die Klassenkonferenz bei ihrer inzwischen anstehenden mindestens jährlichen Überprüfung des festgestellten Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung und des festgelegten Förderschwerpunkts nach den §§ 17 Abs. 1, 18 AO-SF zu berücksichtigen haben.
9Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.
10Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
moreResultsText
Annotations
(1) Der Vorsitzende entscheidet, wenn die Entscheidung im vorbereitenden Verfahren ergeht,
- 1.
über die Aussetzung und das Ruhen des Verfahrens; - 2.
bei Zurücknahme der Klage, Verzicht auf den geltend gemachten Anspruch oder Anerkenntnis des Anspruchs, auch über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe; - 3.
bei Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, auch über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe; - 4.
über den Streitwert; - 5.
über Kosten; - 6.
über die Beiladung.
(2) Im Einverständnis der Beteiligten kann der Vorsitzende auch sonst anstelle der Kammer oder des Senats entscheiden.
(3) Ist ein Berichterstatter bestellt, so entscheidet dieser anstelle des Vorsitzenden.
(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.
(2) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.
(3) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.
(4) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 2 und 3 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.
(5) § 87a Absatz 3 gilt entsprechend.
(6) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 2 und 3 kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.
(7) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 2 bis 6 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.
(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.
(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
Ist die Finanzbehörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.
Gesetz ist jede Rechtsnorm.
Ist die Finanzbehörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.
Die örtliche Zuständigkeit richtet sich, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach den folgenden Vorschriften.
(1) Für die gesonderten Feststellungen nach § 180 ist örtlich zuständig:
- 1.
bei Betrieben der Land- und Forstwirtschaft, bei Grundstücken, Betriebsgrundstücken und Mineralgewinnungsrechten das Finanzamt, in dessen Bezirk der Betrieb, das Grundstück, das Betriebsgrundstück, das Mineralgewinnungsrecht oder, wenn sich der Betrieb, das Grundstück, das Betriebsgrundstück oder das Mineralgewinnungsrecht auf die Bezirke mehrerer Finanzämter erstreckt, der wertvollste Teil liegt (Lagefinanzamt), - 2.
bei gewerblichen Betrieben mit Geschäftsleitung im Geltungsbereich dieses Gesetzes das Finanzamt, in dessen Bezirk sich die Geschäftsleitung befindet, bei gewerblichen Betrieben ohne Geschäftsleitung im Geltungsbereich dieses Gesetzes das Finanzamt, in dessen Bezirk eine Betriebstätte - bei mehreren Betriebstätten die wirtschaftlich bedeutendste - unterhalten wird (Betriebsfinanzamt), - 3.
bei Einkünften aus selbständiger Arbeit das Finanzamt, von dessen Bezirk aus die Tätigkeit vorwiegend ausgeübt wird, - 4.
bei einer Beteiligung mehrerer Personen an Einkünften, die keine Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb oder aus selbständiger Arbeit sind und die nach § 180 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a gesondert festgestellt werden, - a)
das Finanzamt, von dessen Bezirk die Verwaltung dieser Einkünfte ausgeht, oder - b)
das Finanzamt, in dessen Bezirk sich der wertvollste Teil des Vermögens, aus dem die gemeinsamen Einkünfte fließen, befindet, wenn die Verwaltung dieser Einkünfte im Geltungsbereich dieses Gesetzes nicht feststellbar ist.
- 5.
in den Fällen des § 180 Absatz 1a das Finanzamt, das für den Bescheid örtlich zuständig ist, für den der Teilabschlussbescheid unmittelbar Bindungswirkung entfaltet.
(2) Ist eine gesonderte Feststellung mehreren Steuerpflichtigen gegenüber vorzunehmen und lässt sich nach Absatz 1 die örtliche Zuständigkeit nicht bestimmen, so ist jedes Finanzamt örtlich zuständig, das nach den §§ 19 oder 20 für die Steuern vom Einkommen und Vermögen eines Steuerpflichtigen zuständig ist, dem ein Anteil an dem Gegenstand der Feststellung zuzurechnen ist. Soweit dieses Finanzamt auf Grund einer Verordnung nach § 17 Abs. 2 Satz 3 und 4 des Finanzverwaltungsgesetzes sachlich nicht für die gesonderte Feststellung zuständig ist, tritt an seine Stelle das sachlich zuständige Finanzamt.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Entscheidungen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ergehen ohne mündliche Verhandlung. Zuständig ist das Gericht des ersten Rechtszuges; ist das Verfahren in einem höheren Rechtszug anhängig, so ist das Gericht dieses Rechtszuges zuständig. Soweit die Gründe der Entscheidung Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei enthalten, dürfen sie dem Gegner nur mit Zustimmung der Partei zugänglich gemacht werden.
(2) Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe kann nur nach Maßgabe des Absatzes 3 angefochten werden. Im Übrigen findet die sofortige Beschwerde statt; dies gilt nicht, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag nicht übersteigt, es sei denn, das Gericht hat ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint. Die Notfrist beträgt einen Monat.
(3) Gegen die Bewilligung der Prozesskostenhilfe findet die sofortige Beschwerde der Staatskasse statt, wenn weder Monatsraten noch aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind. Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Partei gemäß § 115 Absatz 1 bis 3 nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Zahlungen zu leisten oder gemäß § 116 Satz 3 Beträge zu zahlen hat. Die Notfrist beträgt einen Monat und beginnt mit der Bekanntgabe des Beschlusses. Nach Ablauf von drei Monaten seit der Verkündung der Entscheidung ist die Beschwerde unstatthaft. Wird die Entscheidung nicht verkündet, so tritt an die Stelle der Verkündung der Zeitpunkt, in dem die unterschriebene Entscheidung der Geschäftsstelle übermittelt wird. Die Entscheidung wird der Staatskasse nicht von Amts wegen mitgeteilt.
(4) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.